Inhaltsverzeichnis Plenarprotokoll 18/40

Deutscher

Stenografischer Bericht

40. Sitzung

Berlin, Freitag, den 6. Juni 2014

Inhalt:

Begrüßung des Präsidenten der Parlamentari- Tagesordnungspunkt 27: schen Versammlung der Organisation für Si- Antrag der Abgeordneten , cherheit und Zusammenarbeit in Europa, Sabine Zimmermann (Zwickau), Matthias W. Herrn Ranko Krivokapic...... 3489 A Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Sanktionen bei Tagesordnungspunkt 26: Hartz IV und Leistungseinschränkungen bei der Sozialhilfe abschaffen a) Erste Beratung des von der Bundesregie- Drucksache 18/1115 ...... 3508 B rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zur Einstufung weiterer Staaten als Katja Kipping (DIE LINKE) ...... 3508 C sichere Herkunftsstaaten und zur Er- (CDU/CSU) ...... 3510 A leichterung des Arbeitsmarktzugangs für Asylbewerber und geduldete Aus- Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn länder (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) ...... 3512 A Drucksache 18/1528 ...... 3489 B (Wetzlar) (SPD) ...... 3513 A b) Antrag der Abgeordneten , Jan Dr. (CDU/CSU) ...... 3513 D Korte, Sevim Dağdelen, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion DIE LINKE: Sabine Zimmermann (Zwickau) Schutzbedarf von Roma aus Westbal- (DIE LINKE) ...... 3516 A kanstaaten anerkennen Dr. (SPD) ...... 3517 A Drucksache 18/1616 ...... 3489 C Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/ Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister DIE GRÜNEN) ...... 3518 D BMI ...... 3489 D Matthäus Strebl (CDU/CSU) ...... 3519 D Ulla Jelpke (DIE LINKE) ...... 3491 D Rüdiger Veit (SPD) ...... 3493 B (SPD) ...... 3520 D (BÜNDNIS 90/ Christel Voßbeck-Kayser (CDU/CSU) . . . . . 3522 A DIE GRÜNEN) ...... 3495 B Katja Kipping (DIE LINKE) ...... 3524 A (Heilbronn) (CDU/CSU) . . . . 3497 B (SPD) ...... 3524 B Sevim Dağdelen (DIE LINKE) ...... 3499 A (CDU/CSU) ...... 3525 D Uli Grötsch (SPD) ...... 3500 A (Augsburg) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) ...... 3501 C Tagesordnungspunkt 28: (Altötting) (CDU/CSU) . . . . . 3502 C Erste Beratung des von der Bundesregierung Daniela Kolbe (SPD) ...... 3505 A eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur (CDU/CSU) ...... 3506 C Stabilisierung des Künstlersozialabgabe- II Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 40. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Juni 2014

satzes (Künstlersozialabgabestabilisierungs- (CDU/CSU) ...... 3548 A gesetz – KSAStabG) Drucksache 18/1530 ...... 3528 A Dr. (SPD) ...... 3549 C Gabriele Lösekrug-Möller, Parl. Staats- Dr. (CDU/CSU) ...... 3550 D sekretärin BMAS ...... 3528 B Sigrid Hupach (DIE LINKE) ...... 3529 A Tagesordnungspunkt 31: Jana Schimke (CDU/CSU) ...... 3530 A Antrag der Bundesregierung: Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn Streitkräfte an der „United Nations Inte- (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) ...... 3531 B rim Force in Lebanon“ (UNIFIL) auf (SPD) ...... 3532 A Grundlage der Resolution 1701 (2006) vom 11. August 2006 und folgender Resolutio- Dr. (CDU/CSU) ...... 3533 B nen, zuletzt 2115 (2013) vom 29. August 2013 des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen Tagesordnungspunkt 29: Drucksache 18/1417 ...... 3552 A Antrag der Bundesregierung: Fortsetzung Dr. , Parl. Staatssekretär der Beteiligung bewaffneter deutscher BMVg ...... 3552 B Streitkräfte an der Multidimensionalen In- tegrierten Stabilisierungsmission der Ver- Sevim Dağdelen (DIE LINKE) ...... 3553 C einten Nationen in Mali (MINUSMA) auf (SPD) ...... 3554 D Grundlage der Resolution 2100 (2013) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen Dr. (BÜNDNIS 90/ vom 25. April 2013 DIE GRÜNEN) ...... 3556 A Drucksache 18/1416 ...... 3534 D Philipp Mißfelder (CDU/CSU) ...... 3557 A Dr. Ralf Brauksiepe, Parl. Staatssekretär (BÜNDNIS 90/ BMVg ...... 3535 A DIE GRÜNEN) ...... 3557 D Jan van Aken (DIE LINKE) ...... 3536 C (SPD) ...... 3558 D (Minden) (SPD) ...... 3537 C (CDU/CSU) ...... 3559 D (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) ...... 3538 C Nächste Sitzung...... 3560 D Philipp Mißfelder (CDU/CSU) ...... 3539 C

Dirk Vöpel (SPD) ...... 3540 C Anlage 1 Florian Hahn (CDU/CSU) ...... 3541 B Liste der entschuldigten Abgeordneten...... 3561 A

Tagesordnungspunkt 30: Anlage 2 Erste Beratung des von den Abgeordneten Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten , Özcan Mutlu, Beate Walter- Dr. Ernst-Dieter Rossmann und Andreas Rosenheimer, weiteren Abgeordneten und der Schwarz (beide SPD) zur Abstimmung über Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN einge- den Änderungsantrag der Abgeordneten brachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur (Köln), , , Änderung des Gesetzes über befristete Ar- Luise Amtsberg, Kai Gehring, , beitsverträge in der Wissenschaft (1. Wiss- Renate Künast, , , ZeitVG-ÄndG) Özcan Mutlu, Dr. , Hans- Drucksache 18/1463 ...... 3542 A Christian Ströbele und der Fraktion Bünd- Kai Gehring (BÜNDNIS 90/ nis 90/Die Grünen zum Entwurf eines Geset- DIE GRÜNEN) ...... 3542 B zes zur Anpassung steuerlicher Regelungen an die Rechtsprechung des Bundesverfas- Alexandra Dinges-Dierig (CDU/CSU) ...... 3543 C sungsgerichts (Drucksache 18/1662) (39. Sit- zung, Tagesordnungspunkt 18) ...... 3562 A (DIE LINKE) ...... 3545 B Dr. Simone Raatz (SPD) ...... 3546 B Anlage 3 Maria Klein-Schmeink (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) ...... 3546 C Amtliche Mitteilungen ...... 3563 C Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 40. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Juni 2014 3489

(A) (C)

40. Sitzung

Berlin, Freitag, den 6. Juni 2014

Beginn: 9.00 Uhr

Vizepräsident : b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulla Die Sitzung ist eröffnet. Jelpke, , Sevim Dağdelen, weiterer Ab- geordneter und der Fraktion DIE LINKE Der Ältestenrat hat sich in seiner gestrigen Sitzung darauf verständigt, während der Haushaltsberatungen ab Schutzbedarf von Roma aus Westbalkanstaa- dem 24. Juni keine Befragung der Bundesregierung, ten anerkennen keine Fragestunde und auch keine Aktuellen Stunden Drucksache 18/1616 durchzuführen. Als Präsenztage sind die Tage von Überweisungsvorschlag: Montag, dem 23. Juni, bis Freitag, dem 27. Juni 2014, Innenausschuss (f) festgelegt worden. Sind Sie damit einverstanden? – Das Auswärtiger Ausschuss ist offenkundig der Fall. Dann verfahren wir so. Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Auf der Ehrentribüne hat der Präsident der Parlamen- Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für (B) tarischen Versammlung der Organisation für Sicherheit (D) und Zusammenarbeit in Europa, OSZE, Herr Ranko die Aussprache 96 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei- Krivokapić, der auch Präsident des Parlaments von nen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Montenegro ist, mit seiner Delegation Platz genommen. Ich eröffne die Aussprache. Für die Bundesregierung hat das Wort Bundesminister Dr. Thomas de Maizière. (Beifall) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Im Namen aller Kolleginnen und Kollegen des Deut- neten der SPD) schen Bundestages begrüße ich Sie, sehr geehrter Kol- lege Krivokapić, sehr herzlich. Die Bedeutung der OSZE wird ja gerade in diesen Tagen der Weltöffentlichkeit Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister des In- wieder stärker bewusst. Der Deutsche Bundestag fordert nern: alle Konfliktparteien auf, die Beauftragten der OSZE zu Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das respektieren und für ihren Schutz Sorge zu tragen. Für Recht auf Asyl hat für uns einen hohen Stellenwert Ihren Aufenthalt bei uns und für Ihr weiteres Wirken in (Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE der Parlamentarischen Versammlung der OSZE beglei- GRÜNEN]: Gehabt!) ten Sie unsere besten Wünsche. und verdeutlicht den Willen Deutschlands, seine histori- (Beifall) sche und humanitäre Verpflichtung zur Aufnahme von Flüchtlingen zu erfüllen. Wir sollten klug und verant- Ich rufe die Tagesordnungspunkte 26 a und b auf: wortungsvoll mit dieser Verpflichtung umgehen. Eine a) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein- verantwortungsvolle Asylpolitik muss auch darauf aus- gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einstu- gerichtet sein, die große Aufnahmebereitschaft, die un- fung weiterer Staaten als sichere Herkunfts- sere Gesellschaft auszeichnet, für die Aufnahme von staaten und zur Erleichterung des wirklich Schutzbedürftigen zu erhalten. Das gilt umso Arbeitsmarktzugangs für Asylbewerber und mehr, wenn wir uns die aktuelle Entwicklung der Flücht- geduldete Ausländer lingszahlen anschauen. Drucksache 18/1528 Seit einigen Jahren steigen die Zuzugszahlen in Deutschland wieder stark an. Innerhalb der Europäi- Überweisungsvorschlag: schen Union weist unser Land heute mit großem Ab- Innenausschuss (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz stand die meisten Asylbewerber auf. Im Jahr 2013 haben Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union über 120 000 Menschen in Deutschland Asyl beantragt, 3490 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 40. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Juni 2014

Bundesminister Dr. Thomas de Maizière (A) in Italien waren es 28 000, in Frankreich 66 000, in und der allgemeinen politischen Verhältnisse dort keine (C) Großbritannien 30 000 und in den Niederlanden 17 000. politische Verfolgung droht. Vor diesem Hintergrund würde ich Sie, Frau Kollegin (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Roth, gerne bitten, dass Sie, wenn Sie die Politik der NEN]: Was ist mit den Roma?) Bundesregierung kritisieren, nicht davon sprechen, es ginge hier um Reste des Asylrechts. Wir sind stolz da- Dadurch sollen aussichtslose Asylanträge schneller bear- rauf, das Land in Europa zu sein, das die meisten Asyl- beitet und der Aufenthalt in Deutschland schneller been- bewerber aufnimmt. det werden können. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Die gesetzliche Vermutung der Verfolgungsfreiheit ist jedoch widerlegbar. Jeder Asylbewerber hat auch danach Die Entwicklung setzt sich in diesem Jahr fort. Von weiterhin die Chance, darzulegen, dass er abweichend Januar bis Mai 2014 betrug der Anstieg gegenüber dem von der allgemeinen Lage im Herkunftsland in seinem entsprechenden Vorjahreszeitraum erneut mehr als konkreten Fall mit Verfolgung rechnen muss. 60 Prozent. Wenn diese Entwicklung so weitergeht, dann Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Bundesregie- liegen wir am Ende dieses Jahres bei rund 200 000 Asyl- rung hat sich die Einstufung von Serbien, Mazedonien anträgen. Die Hilfsbereitschaft der deutschen Bevölke- und Bosnien-Herzegowina als sichere Herkunftsstaaten rung ist auch angesichts dieser hohen Zahlen ungebro- nicht leicht gemacht. Wir haben uns anhand der Rechts- chen groß. Das sehen wir am Beispiel Syrien. lage, der Rechtsanwendung und der allgemeinen politi- Deutschlands Unterstützung für Syrien beläuft sich seit schen Verhältnisse ein Gesamturteil über die Verhält- 2012 auf rund 520 Millionen Euro. Insgesamt sind 2011 nisse in diesen drei Staaten gebildet. nahezu 40 000 syrische Staatsbürger nach Deutschland eingereist, rechnet man die Zahlen aus den Aufnahme- In der Begründung des Gesetzentwurfs werden die programmen, die wir gemacht haben, und der Asylbe- Erwägungen für jedes dieser drei Länder ausführlich werber zusammen. Auch hier sind wir mit Abstand das dargelegt. Für alle drei Länder jedoch gilt: Nach der Be- Land, das außerhalb des Krisengebietes am meisten richterstattung des Auswärtigen Amtes, einschließlich Flüchtlinge aus Syrien aufnimmt. der entsprechenden Asyllageberichte, sowie unter Be- rücksichtigung der Erkenntnisse lokaler Menschen- ( [DIE LINKE]: Was passiert im rechtsgruppen, vor Ort vertretener Nichtregierungsorga- Krisengebiet?) nisationen und auch internationaler Organisationen wie zum Beispiel des Hohen Flüchtlingskommissars der Ver- Seit drei Jahren werden bundesweit keine Menschen einten Nationen oder des Internationalen Roten Kreuzes, mehr nach Syrien abgeschoben. Auch dafür haben die nach all diesen Bewertungen können Serbien, Mazedo- (B) Menschen in unserem Land großes Verständnis. nien und Bosnien-Herzegowina wirklich als sichere Her- (D) (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) kunftsstaaten angesehen werden. (Beifall bei der CDU/CSU – Ulla Jelpke [DIE Dagegen gibt es ein wachsendes Unverständnis für LINKE]: Was sagt der UNHCR?) die Armutsmigration aus Westbalkanstaaten im Asylver- fahren. In der Tat, seit Aufhebung der Visumspflicht – Serbien, mit dem die EU den Status eines EU-Beitritts- nicht etwa wegen einer veränderten Lage in den entspre- kandidaten verabredet hat, bittet selbst um die Auf- chenden Staaten – für Serbien, Mazedonien und Bos- nahme in die Liste als sicheres Herkunftsland. nien-Herzegowina ist in Deutschland ein sprunghafter (Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE Anstieg der Antragszahlen festzustellen. GRÜNEN]: Das macht es nicht besser!) Im Jahr 2009, also im letzten Jahr vor der Aufhebung Wir teilen die Einstufung der drei Länder als sichere der Visumspflicht, kamen etwa 1 000 Asylbewerber aus Herkunftsländer mit vielen unserer europäischen Nach- diesen Herkunftsstaaten. Im Jahr 2013 waren es bereits barn. Frau Roth, Frankreich, Belgien, Luxemburg, Ös- 32 000. Das war ein Viertel aller 2013 in Deutschland terreich, die Schweiz und Großbritannien stufen Serbien, gestellten Asylanträge. Mazedonien und Bosnien-Herzegowina bereits heute als sichere Herkunftsstaaten ein. Das ist ja nun keine Liste Serbien, meine Damen und Herren, ist im Jahr 2014 von Schurkenstaaten. das zweitstärkste Herkunftsland aller Staaten, aus denen Asylbewerber kommen. Die Zahl der anerkannten (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Schutzbedürftigen unter den Angehörigen dieser Staaten Alle diese Staaten stimmen demnach ganz grundsätz- liegt jedoch bei unter 1 Prozent. lich überein mit der in unserem Gesetzentwurf vorge- nommenen Einschätzung der Lage in Serbien, Mazedo- Der vorliegende Gesetzentwurf, den ich hier heute nien und Bosnien-Herzegowina. einbringe, sieht deshalb vor, Mazedonien, Serbien sowie Bosnien-Herzegowina als sichere Herkunftsstaaten nach Auch wenn wir diese Staaten als sichere Herkunfts- dem Asylverfahrensgesetz einzustufen. länder im Sinne des Asylrechts einstufen, so verschlie- ßen wir nicht die Augen vor den bestehenden Defiziten, (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- die es gerade im Hinblick auf den Umgang mit Minder- NEN]: Unverantwortlich!) heiten auch in diesen Ländern gibt. Für sichere Herkunftsstaaten wird kraft Gesetzes vermu- (Michael Hartmann [Wackernheim] [SPD]: tet, dass aufgrund der Rechtslage, der Rechtsanwendung Sehr wahr!) Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 40. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Juni 2014 3491

Bundesminister Dr. Thomas de Maizière (A) Die Bundesregierung setzt sich deshalb kontinuierlich (Rüdiger Veit [SPD]: Höchstens!) (C) und intensiv dafür ein, die Lebenssituation der Men- Wir wollen durch verschiedene Bemühungen erreichen, schen vor Ort zu verbessern. Im Rahmen der bilateralen dass die Asylverfahren im Durchschnitt nach drei Mona- staatlichen Entwicklungszusammenarbeit werden die ten abgeschlossen sind, sodass nach diesen drei Monaten nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung und die verbes- im Grunde klar ist, wer bleibt und wer nicht bleibt. Wa- serte Ausbildung insbesondere junger Menschen geför- rum sollen diejenigen, die bleiben dürfen, nachdem das dert. Auf regionaler Ebene werden Regierungen und zi- Verfahren abgeschlossen ist, nicht arbeiten dürfen, Bei- vilgesellschaftliche Organisationen im Westbalkan dabei träge und Steuern zahlen und sich hier integrieren? Das unterstützt, die soziale Situation benachteiligter Gesell- haben wir jetzt vor. schaftsgruppen zu verbessern. Die Integration der Min- derheiten wird im Rahmen der Regierungsgespräche re- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) gelmäßig thematisiert. Das gilt umso mehr für die Meine Damen und Herren, ich bitte Sie um ein kon- Beitrittsverhandlungen zur Europäischen Union mit Ser- struktives und verantwortungsvolles Mitwirken an diesem bien, die im Januar dieses Jahres begonnen haben. Es ist Gesetzgebungsverfahren, das, wie wir alle wissen, mit von einem Staat, der Mitglied der Europäischen Union der Entscheidung im Deutschen Bundestag noch keinen werden will, nicht zu viel verlangt, dass er seine eigenen Abschluss gefunden hat; das müssen wir alle miteinan- Minderheiten vernünftig behandelt. der bedenken. Ich bitte Sie, in der Tonlage der Debatte (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- einerseits dem Anspruch und der humanitären Verpflich- neten der SPD) tung, die wir mit dem Asylrecht in Deutschland gerne übernommen haben, und andererseits mit dem, was viele Meine Damen und Herren, Sie wissen, dass es auch Menschen im Hinblick auf Asylbewerber aus bestimm- Debatten gibt, zwei andere Staaten, darunter Albanien, ten Ländern bewegt, behutsam und so umzugehen, dass in die Liste sicherer Herkunftsstaaten aufzunehmen; da- wir zusammenbleiben und uns nicht von manchen, die rüber wird in aller Ruhe zu sprechen sein. Dort ist die genau darauf spekulieren, auseinanderdividieren lassen. Lage teilweise vergleichbar, teilweise nicht ganz ver- gleichbar. Wir sollten das im weiteren Gesetzgebungs- Vielen Dank. verfahren in Ruhe miteinander besprechen. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Der heute von mir vorgelegte Gesetzentwurf enthält zudem eine Regelung, mit der wir die Situation der Vizepräsident Peter Hintze: Asylbewerber in unserem Land künftig spürbar verbes- Als nächster Rednerin erteile ich das Wort der Abge- sern möchten. Die Wartefrist, nach der Asylbewerbern ordneten Ulla Jelpke, Fraktion Die Linke. (B) und Ausländern, die eine Duldung besitzen, die Aus- (D) übung einer Beschäftigung grundsätzlich erlaubt werden (Beifall bei der LINKEN) kann, möchten wir auf drei Monate verkürzen. Ulla Jelpke (DIE LINKE): (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bun- Durch die Verkürzung dieser Wartefrist sollen die Men- desregierung legt heute einen Gesetzentwurf vor, mit schen früher die Möglichkeit erhalten, durch Aufnahme dem Bosnien-Herzegowina, Mazedonien und Serbien zu einer Beschäftigung ihren Lebensunterhalt zu bestreiten, sicheren Herkunftsstaaten erklärt werden sollen. Das be- und zwar selbst. Auch da gibt es so etwas wie eine Vor- deutet, dass die Asylanträge aller Asylsuchenden aus rangprüfung. Aber man kann nicht einerseits sagen, die diesen Staaten in Zukunft im Schnellverfahren abgelehnt Asylbewerber sollen dem deutschen Steuer- und Bei- werden, tragszahler nicht auf der Tasche liegen, aber anderer- ( [SPD]: Geprüft werden, seits, wenn es die Arbeitsmarktlage erlaubt und wenn die nicht abgelehnt!) Betroffenen arbeiten können und wollen, sagen: Ihr dürft nicht arbeiten. – Deswegen ist es richtig, diese Frist zu weil sie pauschal als unbegründet gelten, und dass sie in- verkürzen. nerhalb einer Woche das Land verlassen müssen. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) (Rüdiger Veit [SPD]: Das ist so nicht richtig!) Ich will die Situation in der Vergangenheit jetzt aber Faktisch werden auch jetzt schon Asylanträge von nicht kritisieren; diese Regelungen haben wir ja schließ- Antragstellern aus dem Westbalkan im Eiltempo abge- lich auch beschlossen. Eingeführt wurde diese Frist al- fertigt und nur oberflächlich geprüft. Trotzdem erhielten lerdings vor dem Hintergrund einer ganz anderen Ar- 2013 immerhin 60 Asylsuchende aus diesen Ländern ei- beitslosenzahl; auch das darf man nicht vergessen. Die nen humanitären Aufenthaltstitel durch das Bundesamt Lage in Deutschland ist da unterschiedlich. In Gegenden für Migration und Flüchtlinge, und weitere 82 erkämpf- mit einer sehr niedrigen Arbeitslosenzahl war der Druck, ten sich dieses Recht vor den Verwaltungsgerichten. diese Frist zu verkürzen, höher als in anderen Gegenden. Die Linke fordert ganz klar: Es muss weiterhin faire Wie auch immer, es ist jedenfalls richtig, dass wir jetzt Asylverfahren für Menschen aus den Staaten im West- so vorgehen. Es ist auch richtig, die Dreimonatsfrist in balkan geben. den Blick zu nehmen. Denn nach dem Asylrecht befin- den sich die Asylbewerber in aller Regel drei Monate in (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten Erstaufnahmelagern. des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) 3492 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 40. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Juni 2014

Ulla Jelpke (A) Ich will hier ganz deutlich sagen: Länder, in denen und zu Sozialleistungen. Man muss hier ganz deutlich (C) schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen begangen sagen: Insgesamt gibt es dort 400 informelle Roma-Sied- werden, dürfen nicht als sichere Herkunftsstaaten einge- lungen. Ein Drittel davon hat keine Wasserversorgung, stuft werden. 70 Prozent der Haushalte sind nicht an das Abwassersys- tem angeschlossen, und häufig gibt es auch keinen (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten Strom. Ich glaube, ich muss hier nicht sagen, was das des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) dort bedeutet – insbesondere für Kinder und für Frauen. Aus all diesen Staaten kommen vor allem Roma als Laut UNICEF ist die Kindersterblichkeit bei Roma in Asylsuchende nach Deutschland. 90 Prozent der Asylsu- Serbien viermal so hoch wie im Durchschnitt. chenden aus Serbien sind Roma. Aus Mazedonien sind All diese Beispiele zeigen eindrucksvoll, wie schmal es 80 Prozent und aus Bosnien-Herzegowina 65 Prozent. der Grat zwischen Diskriminierung und lebensbedrohen- Es ist bekannt, dass diese Minderheiten dort am Rande der Ausgrenzung ist. der Gesellschaft leben und Opfer von rassistischen Über- griffen und Kampagnen sind. Gerade weil wir als Deut- (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten sche Roma gegenüber eine historische Verantwortung des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) haben, meinen wir, dass diese Länder nicht einfach als sichere Herkunftsstaaten eingestuft werden können. Wir reden nicht einfach über Armut. Wir reden über massive Verletzungen der sozialen Menschenrechte. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten Nach den Asylrichtlinien der EU muss auch eine Mehr- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) fachdiskriminierung zur Anerkennung als Flüchtling führen. Über eine halbe Million Sinti und Roma sind während des Faschismus in ganz Europa umgekommen. Dieser Herr Innenminister, ich sage es gerne noch einmal: Gesetzentwurf tut gerade so, als hätte es diesen Teil der Wenn diese Menschen in irgendeiner Weise von schwer- Geschichte, diesen Antiziganismus, nie gegeben. Ich ap- wiegenden Verletzungen eines grundlegenden Men- pelliere an Sie: Handeln Sie, und seien Sie hier nicht ge- schenrechtes betroffen sind, muss auch das zum Schutz schichtsvergessen! in unserem Land führen, nicht nur die enge Sicht auf die politische Verfolgung. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der LINKEN) In diesen Tagen gibt es erschreckende Meldungen aus Übrigens – auch das hat der Innenminister hier nicht er- Serbien und Bosnien-Herzegowina. Dort wurden durch wähnt – hat auch der UNHCR in seiner Stellungnahme (B) eine Überschwemmungskatastrophe Häuser und ganze zu dem heute vorliegenden Gesetzentwurf klar gefor- (D) Siedlungen zerstört. Zehntausende Menschen sind ob- dert, dass das europäische Recht angewendet bzw. end- dachlos, und es besteht Seuchengefahr. Die Behörden lich in die Praxis umgesetzt werden soll. versuchen, zu helfen, wo sie können; das ist keine Frage. Diese Hilfe kommt aber längst nicht bei allen an. In der Begründung des Gesetzentwurfs findet sich zu all diesen Menschenrechtsverletzungen kein einziges Insbesondere Roma sind von den Fluten betroffen; Wort. Die Flüchtlingsorganisation Pro Asyl hat zu Recht denn ihre Siedlungen befinden sich direkt an den Fluss- von einer „Bagatellisierung“ der Menschenrechtslage in ufern. Erst in dieser Woche hat der Ombudsmann für den Westbalkanstaaten gesprochen. In dem vorliegenden Bürgerrechte, Saša Janković, in Bosnien-Herzegowina Gesetzentwurf werden die zahlreichen Berichte von beklagt, dass dort einer Gruppe von 30 Roma der Zu- Menschenrechtsgruppen, Institutionen und dem Europa- gang zu Aufnahmezentren einfach verweigert wurde, rat sowie der US-Menschenrechtsbericht – das soll weil sie Roma waren. Sie wurden stattdessen in einen schon etwas heißen – ignoriert. Diese Ignoranz der Bun- Bunker verfrachtet, der durch Rattengift verseucht war – desregierung ist meines Erachtens wirklich unerträglich. ohne Toiletten, ohne sauberes Wasser und ohne An- schluss an das Abwassersystem. Ihnen wurde die Unter- (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- stützung, die andere Bürgerinnen und Bürger dort selbst- NIS 90/DIE GRÜNEN) verständlich erhalten haben, nicht zuteil – und das einzig Diese ganze Debatte vergiftet zusehends das gesell- und allein, weil sie Roma sind. Das ist die schreckliche schaftliche Klima in der Bundesrepublik. Am Mittwoch Realität, die auch Sie von der Koalition einfach einmal wurden zum Beispiel neue Zahlen einer Studie der Uni- zur Kenntnis nehmen müssen. versität Leipzig zum Rassismus in der Mitte dieser Ge- (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten sellschaft bekannt. Demnach haben 55,4 Prozent der Be- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) fragten ein Problem damit, wenn sich Roma und Sinti in ihrer Gegend aufhalten. 47,1 Prozent finden, Roma und Das ist eine von vielen Geschichten alltäglicher Dis- Sinti sollten aus den Innenstädten verbannt werden. kriminierung, die Roma in den Staaten des ehemaligen 55,9 Prozent unterstellen ihnen eine höhere Neigung zu Jugoslawien erdulden und erleiden müssen. Ich will Kriminalität. – All diese Werte sind im Vergleich zur noch weitere Beispiele aus Serbien nennen: Umfrage von 2011 deutlich gestiegen. 45 000 Roma, Flüchtlinge aus dem Kosovo, leben Der grassierende Antiziganismus ist auch das Ergeb- dort ohne Personaldokumente und damit völlig rechtlos. nis dieser unsäglichen Asylmissbrauchsdebatten, die wir Sie haben keinen Zugang zu medizinischer Versorgung seit mindestens zwei Jahren in dieser Gesellschaft füh- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 40. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Juni 2014 3493

Ulla Jelpke (A) ren, besonders auf der rechten Seite dieses Hauses. Das Hauptmann von Köpenick: Wenn du keinen Aufenthalts- (C) ist unerträglich. titel hast, bekommst du keine Arbeit. Wenn du keine Ar- beit hast, bekommst du keinen Aufenthaltstitel. – Auch (Beifall bei der LINKEN) diesen Teufelskreis werden wir durchbrechen, wenn die betroffene Personengruppe nach drei Monaten den Ar- Vizepräsident Peter Hintze: beitsmarktzugang haben wird. Frau Kollegin. Ich bin schon lange in der Politik und erinnere mich Ulla Jelpke (DIE LINKE): daran, dass sogar Otto Schily und Günter Beckstein Ja, Herr Präsident, ich komme zum Schluss. – das war wirklich so; das ist kein Missverständnis oder Hörfehler – in einer gemeinsamen Initiative vor vielen Jahren gefordert haben, dass das unselige Arbeitsverbot Vizepräsident Peter Hintze: für Geduldete und Asylbewerber auf sechs Monate ver- Das müssten Sie schon längst gekommen sein. kürzt werden muss. Das hat sich damals nicht durchge- setzt. Heute ist es endlich so weit. Es hat lange genug ge- Ulla Jelpke (DIE LINKE): dauert. Meine Kollegin Daniela Kolbe wird noch im Man befeuert damit jedenfalls den Antiziganismus in Einzelnen darauf eingehen. dieser Gesellschaft. Ich komme jetzt zu dem Teil, der mir zugegebenerma- Ich sage zum Schluss noch einmal: Ziehen Sie diesen ßen wenig Freude macht. Ich darf vorausschicken – ich Gesetzentwurf zurück! Beenden Sie die Asylschnellver- bitte um Nachsicht für diese persönliche Bemerkung –: fahren, und erkennen Sie den Schutzbedarf von Roma Ich gehörte innerhalb der hessischen SPD zu denjenigen, aus den Westbalkanstaaten an! Seien Sie mit dieser die den Asylkompromiss von 1993, zu dem auch das Gruppe solidarisch. Ich denke, sie hat es historisch ver- Prinzip und Konzept der sicheren Herkunftsstaaten ge- dient. hörte und gehört, nachhaltig bekämpft haben. Deswegen Ich danke Ihnen. können Sie mir gerne glauben, dass es mir in den Koali- tionsverhandlungen wirklich schwergefallen ist, der (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- Union zuzugestehen, dass wir die drei Westbalkanstaa- NIS 90/DIE GRÜNEN) ten in die Liste der sicheren Herkunftsländer aufnehmen. (Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE Vizepräsident Peter Hintze: GRÜNEN]: Aber gemacht haben Sie es dann Als nächstem Redner erteile ich dem Abgeordneten trotzdem!) (B) Rüdiger Veit, SPD-Fraktion, das Wort. (D) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Aber neben diesen grundsätzlichen Überlegungen der CDU/CSU) und Vorbehalten, die ich auch heute noch gegenüber die- sem System habe – das will ich nicht verhehlen; wir sind innerhalb der SPD durchaus unterschiedlicher Meinung, Rüdiger Veit (SPD): aber meine Position jedenfalls hat sich im Grundsatz Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Um nicht verändert –, mit einem Bekenntnis zu beginnen: Ich habe an diesem Pult und vor Ihnen selten mit so gemischten Gefühlen ( [CDU/CSU]: Natürlich!) gestanden. muss man klarstellend Folgendes sagen: Zunächst ein- Ich beginne mit dem, was aus meiner Sicht uneinge- mal ist es nicht so, liebe Ulla Jelpke, dass damit alle, die schränkt positiv ist und was wir mit unserem jetzigen aus diesen Ländern zu uns kommen, rechtlos gestellt Koalitionspartner erreicht haben. Es ist nach dem Vor- werden. Es gibt nach § 36 des Asylverfahrensgesetzes lauf, auf den ich noch zu sprechen komme, in der Tat fast ein vereinfachtes, beschleunigtes Verfahren, auf das sensationell zu nennen: Die Dauer des Arbeitsverbotes auch der Herr Minister bereits hingewiesen hat. für Asylbewerber und Geduldete wurde gekürzt. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Stephan Es gibt im Übrigen sogar Praktiker aus den Bundes- Mayer [Altötting] [CDU/CSU]) ländern, die bestreiten, dass eine Einstufung als sichere Herkunftsländer wirklich zu einer nachhaltigen Arbeits- Diese Frist beträgt im Augenblick noch 12 bzw. 9 Mo- entlastung des Bundesamtes für Migration und Flücht- nate. Wenn der vorliegende Entwurf Gesetz wird, wird linge führt. Wir allerdings hoffen das und gehen davon die Dauer des Arbeitsverbotes in Zukunft auf 3 Monate aus. verkürzt. Die Betreffenden sind damit in der Lage, sich und ihre Familien selbst zu versorgen. Es wird aber mit dieser Systematik der sicheren Her- kunftsländer eine für jeden Einzelnen widerlegbare Re- Wenn uns das gelingt, dann gelingt uns zugleich auch gelvermutung begründet, er sei nicht verfolgt. Er kann die Durchbrechung eines Teufelskreises in anderer Hin- also beim BAMF das Gegenteil geltend machen. Er kann sicht; denn bei vielen, die hier zwar nicht als Flüchtlinge dagegen auch Rechtsschutz in Anspruch nehmen, wenn oder Asylberechtigte anerkannt werden, die aber nicht auch in kürzester Frist. Das ist richtig. abgeschoben werden oder ausreisen können, ist es heute noch immer – so möchte man sagen – wie beim (Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Eine Woche!) 3494 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 40. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Juni 2014

Rüdiger Veit (A) Er kann auch nach § 80 Absatz 5 der Verwaltungsge- Alle anderen haben eine andere ethnische oder staatsbür- (C) richtsordnung einstweiligen Rechtsschutz beantragen gerschaftliche Herkunft. (Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: So Jenseits dessen, was wir nun damit schaffen werden, ist es!) ist dies für mich persönlich ein sehr schwieriger Kom- promiss gewesen. Aber wir haben in den Koalitionsver- und darf dann, solange darüber nicht entschieden wor- handlungen gerade im Bereich des Flüchtlingsrechts ei- den ist – auch hierbei gibt es eine kurze Frist –, nicht ab- niges erreicht. – Nun schaue ich ganz bewusst die beiden geschoben werden. Verhandlungsführerinnen in der Arbeitsgruppe „Migra- (Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: In- tion/Integration“, Frau Kollegin Maria Böhmer und Frau dividueller Rechtsschutz!) Kollegin Aydan Özoğuz, an. Ich denke, wir haben uns gerade für Flüchtlinge eine Reihe von Verbesserungen Angesichts der Tatsache, dass wir es bei den drei vorgenommen, die sich sehen lassen können. Dazu ge- Westbalkanstaaten mit Schutzquoten zu tun haben, die in hört das stichtagsunabhängige Bleiberecht, dazu gehört den vergangenen Jahren unter 0,5 Prozent gelegen ha- eine Ausweitung des Resettlement-Programms, dazu ge- ben, habe ich durchaus Zutrauen in das Bundesamt für hört die Fastabschaffung der Residenzpflicht, dazu ge- Migration und Flüchtlinge, in die Qualität, Sorgfalt und hört die frühzeitige Unterweisung in der deutschen Spra- Sensibilität der dortigen Bearbeiter und Entscheider che, und dazu gehört natürlich auch die Frage der (Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Handlungsfähigkeit von 16- und 17-Jährigen, die in Zu- Die sollen zehn Minuten einsparen!) kunft als Kinder einzustufen sind, was das Asylverfah- rensrecht angeht. Das alles sind wichtige Maßnahmen – ich komme gleich dazu –, dass es gelingt, nach wie vor für Flüchtlinge – auf den Arbeitsmarkt bin ich schon zu die Schutzbedürftigen zu erfassen und sie auch mit Blei- sprechen gekommen –, die sich sehen lassen können. berechten auszustatten. Eine Koalitionsvereinbarung ist immer – wem sage ich Es ist nicht richtig, liebe Kollegin Amtsberg, dass wir das eigentlich hier im Haus, wer ist denn so unerfahren, dann ohne Weiteres von 10-Minuten-Anhörungen auszu- dass er das nicht wüsste – ein Geben und ein Nehmen. gehen haben. Ich sagte schon: Es gibt sogar Praktiker Von daher gesehen ist das letztendlich ein Kompromiss, aus den Bundesländern, die meinen, das beschleunigte zu dem wir Sozialdemokraten stehen. administrative Verfahren werde letztendlich gar keine Ich will einen weiteren Punkt ansprechen. Da ich von großen administrativen Erleichterungen bringen. meiner persönlichen Befindlichkeit bei der Ausweisung Ich wiederhole – in diesem Zusammenhang danke ich von Ländern als sichere Herkunftsländer gesprochen habe, will ich darauf hinweisen, dass in unseren Reihen, (B) auch den Mitarbeitern in Nürnberg bzw. dort, wo sie (D) sonst in der Bundesrepublik tätig sind –: Anders als frü- auch bei unseren Länderinnenministern und Senatoren her, als die Behörde noch Bundesanstalt für die Aner- der SPD, durchaus die Sorge besteht, die Bundesminister kennung ausländischer Flüchtlinge hieß, aber in Wirk- de Maizière hier artikuliert hat, nämlich dass die Akzep- lichkeit eher für die Ablehnung von Flüchtlingen eintrat, tanz für die Aufnahme noch schutzbedürftigerer Men- ist es heute so, dass unter der sensiblen Amtsführung des schen als derjenigen vom Westbalkan in unserer Bevöl- damaligen Präsidenten Albert Schmid und des derzeiti- kerung schwinden kann, wenn wir alle wieder mit gen Präsidenten Manfred Schmidt die Mitarbeiter in der Größenordnungen konfrontiert sind, die man nur sehr Lage sind, die Schutzbedürftigen entsprechend heraus- schwer bewältigen kann. Wir sind zwar weit entfernt von zufinden. Dafür noch einmal meinen herzlichen Dank! den Größenordnungen von 1991/92. Damals gab es 450 000 Asylantragsteller und über 400 000 Spätaus- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten siedler. Aber man sollte versuchen, die Sensibilität sich der CDU/CSU) selber zu bewahren und in der Bevölkerung zu erhalten. In Albanien und Montenegro – der Minister hat es an- Ich füge hinzu: Wenn das nach dem Prinzip kommu- gesprochen – ist die Situation etwas anders. Für Antrag- nizierender Röhren funktioniert und man die Meinung steller aus Montenegro beträgt die Schutzquote 0,0. Bei vertritt, dass diejenigen, die vielleicht weniger schutzbe- Antragstellern aus Albanien ist sie, anders als bei den dürftig sind, möglichst zügig in ihre Heimat zurückkeh- anderen Herkunftsstaaten, über die wir heute reden, ren sollen, damit wir uns um diejenigen kümmern kön- deutlich höher. Das hat aber unterschiedliche Ursachen, nen, die in besonderem Maße an Leib und Leben bedroht die wir in der Tat sorgfältig beobachten müssen. Dazu und traumatisiert sind, dann gehört dazu – darum bitte laufen Gespräche. Ich gebe aber keine Erklärungen da- ich auch unseren Koalitionspartner –, dass wir uns in Eu- rüber ab, ob die SPD dazu bereit sein könnte, über die ropa, bezogen auf die Aufnahme syrischer Flüchtlinge, jetzt vereinbarten drei Staaten hinaus weitere Staaten weiterhin so vorbildlich verhalten, wie wir das bisher ge- aufzunehmen. Aber ich sichere zu, dass wir diesen Kom- tan haben. Da erwarte ich, Herr Minister, insbesondere plex weiterhin sachkundig, wie ich hoffe, und ohne von der nächsten Innenministerkonferenz in Bonn in der Scheuklappen bearbeiten werden. Dann wird man das nächsten Woche entsprechende Fortschritte. Ergebnis sehen. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Stefan Übrigens, was Albanien angeht – liebe Ulla Jelpke, Liebich [DIE LINKE]) auch diesen Hinweis will ich geben –, ist es keineswegs so, dass alle, die aus Albanien zu uns kommen, Roma Lassen Sie mich noch etwas zur Situation der Sinti sind. Ausgerechnet aus dem Land sind es nur 6 Prozent. und Roma sagen. Ich weiß nicht, ob nur ich dieser Mei- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 40. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Juni 2014 3495

Rüdiger Veit (A) nung bin, aber meine Einschätzung ist, dass diese größte Heute, fast auf die Woche genau 21 Jahre später, brin- (C) Ethnie bzw. Minderheit überall in Europa schlecht be- gen Sie einen Gesetzentwurf ein, bei dem mehr als deut- handelt wird, nicht nur auf dem Westbalkan. Ich erinnere lich wird, dass Sie erneut die bundesrechtlichen und mich an einen Besuch in der Harzer Straße in Berlin- europarechtlichen Voraussetzungen auf Kosten der Men- Neukölln – die Kollegin Kolbe hat ihn freundlicherweise schenrechte und auf Kosten der europäischen Idee igno- organisiert –, wo wir mit Betroffenen – dabei hat es sich rieren. Das ist einfach nur enttäuschend. um Roma vorwiegend aus Bulgarien und Rumänien ge- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) handelt – genauso gesprochen haben wie mit Sozialar- beitern. Bei diesem Besuch wurde uns noch einmal klar Bei Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der und deutlich vor Augen geführt: Selbst hier bei uns in CDU, wundert es mich nicht. Von Ihnen haben wir ge- Deutschland – die Zahlen aus der Studie sind eben ge- lernt, wie man so eine Grundgesetzverschärfung von nannt worden – gibt es so etwas wie eine Hierarchie der langer Hand plant und vorbereitet. Blickt man zurück Fremden. Diejenigen, die nicht zur Stammbevölkerung auf das Ende der letzten Legislatur, bekommt man dafür gehören, unterteilen sich ungefähr wie folgt – so wurde eine perfekte Handlungsanleitung. Das geht so: Erst las- es uns gesagt; ich befürchte, dass das so ist –: Relativ sen Sie den damaligen Bundesinnenminister wegen stei- weit oben stehen die Türken, die noch gut emanzipiert gender Asylzahlen eine Debatte über die Wiedereinfüh- sind. Dann kommen diejenigen russischer Abstammung, rung der Visumspflicht und innereuropäische Grenzen gefolgt von denjenigen arabischer Abstammung oder auslösen. Mal austesten, wie weit es so geht mit unserem Herkunft. Ganz am Schluss dieser Kette, wenn es um europäischen Bewusstsein. – Na ja, für das Aufstellen Anerkennung und Integration sowie um die Frage geht, von Schlagbäumen hat es zum Glück nicht gereicht, wie man ihnen begegnet, befinden sich, auch bei uns in wohl aber dafür, das Bundesamt anzuweisen, das Asyl- Deutschland, Sinti und Roma. Nach meiner Einschät- verfahren für Menschen aus dieser Region zu beschleu- zung ist das in ganz Europa so. Deswegen müssen wir nigen. unsere europäischen Anstrengungen darauf richten, die Lebensbedingungen, die für diese Ethnie in ganz Europa Dann lässt man die Schwesterpartei und ihr – nun ja – wirklich schändlich sind, dort, wo sie sich in erster Linie Flaggschiff Horst Seehofer, der mit seiner Einwande- aufhält, zu verbessern. Das jedenfalls wäre der gemein- rungspolitik wirklich nur noch die Emotionalsten unter samen Anstrengungen wert. Das würde unserer histori- uns zum Kopfschütteln bringt, an den Ball. Der erzählt schen Verantwortung dieser Ethnie und dieser Bevölke- dann was vom Missbrauch unseres Sozialsystems – als rungsgruppe gegenüber entsprechen. Das wäre eine ob es in Deutschland keine Gesetze gäbe, die diesen ver- Gemeinsamkeit, zu der wir uns zusammenfinden könn- hindern würden! –, macht mit Betrügergerüchten Front ten. gegen Bulgaren und Rumänen und vergiftet damit vor (B) der Europawahl das gesellschaftliche Klima in Deutsch- (D) Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit. land gegenüber Europa. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten und bei der LINKEN) der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Damit es dann auch alle glauben, spricht sogar die Kanz- lerin von Sozialmissbrauch in einer ihrer Regierungs- erklärungen. Vizepräsident Peter Hintze: Als nächster Rednerin erteile ich der Abgeordneten Im letzten Schritt – und das ist wirklich unerträglich, Luise Amtsberg, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort. durchsichtig und perfide – nehmen Sie die niedrigen Schutzquoten von Menschen aus dieser Region als Rechtfertigung für diesen Gesetzentwurf und berufen Luise Amtsberg (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): sich damit auf Fakten, die Sie mit Ihrer vorangegange- „Sie gehören zu den Verwundbarsten unserer Gesell- nen Politik selber geschaffen haben. schaft, vor allem wenn es darum geht, sie in unserem … (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Umfeld zu integrieren und sie zu fördern.“ Das wurde und bei der LINKEN) bei einem Treffen mit Papst Franziskus gestern Abend gesagt. Dieses Zitat stelle ich an den Anfang meiner Man muss schon an Amnesie leiden, um diese Taktik Rede. nicht zu begreifen. Ihnen, liebe Christdemokraten, kann ich also an der Stelle keine unbedachte oder fahrlässige Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Politik vorwerfen; denn das, was Sie hier intendieren, ist Kolleginnen und Kollegen der Großen Koalition! Ich absolut gewollt. finde es traurig, dass wir heute im Zusammenhang mit dem ersten Gesetzentwurf der Koalition im flüchtlings- Was aber um alles in der Welt ist eigentlich mit euch politischen Bereich eine weitere Einschränkung des los, liebe Sozialdemokraten? Asylrechts diskutieren und nach meiner Auffassung mit (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ diesem Gesetzentwurf dem Asylrecht den finalen Todes- DIE GRÜNEN und der LINKEN) stoß versetzen. Wie konntet ihr nach 1993, als das Grundrecht auf Asyl (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN seines Inhalts beraubt wurde, mit euren Stimmen – ich und bei der LINKEN) weiß, lieber Rüdiger, dass das vielen von euch noch auf 3496 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 40. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Juni 2014

Luise Amtsberg (A) der Seele liegt –, zulassen, dass an diese Politik jetzt Region, um die es geht, abgelehnt werden, dann kann es (C) wieder angeknüpft wird? Ihr wisst doch, dass mit dieser dort, wo diese Menschen herkommen, ja nicht so Grundgesetzänderung das elendige Hin- und Herge- schlimm sein; dann kann man so ein Land auch einfach schiebe von Schutzsuchenden in Europa erst möglich ge- als sicher einstufen. Meine Fraktion hat sich schon im- macht wurde, dass heute nur noch weniger als 2 Prozent mer gegen die Praxis der „sicheren Herkunftsstaaten“ der Asylsuchenden in Deutschland über unseren Verfas- ausgesprochen. Denn das Einstufen eines Landes als si- sungsartikel geschützt werden, dass alle anderen unter cher führt zur pauschalen Ablehnung von Asylanträgen die Dublin-Regulierung fallen und dass niemand in und somit zu schwerwiegenden Fehlentscheidungen. Deutschland einfach so vom Himmel fällt und Asyl be- (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- antragt. Wie kann es sein, dass ihr erneut vor der Panik- SES 90/DIE GRÜNEN) mache der CDU vor steigenden Asylbewerberzahlen einknickt? Ich kann das wirklich nicht glauben. Jetzt kommen Sie vermutlich und sagen – ich habe es schon gehört –: Frau Amtsberg, regen Sie sich mal nicht (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so auf. Es ist ja nicht so, dass niemand Asyl beantragen und bei der LINKEN) kann. Die Möglichkeit dazu ist nach wie vor vorhanden. – Das stimmt. Nur, der entscheidende Unterschied ist, Liebe Kolleginnen und Kollegen, dieser Gesetzent- dass die Anträge nicht mehr sorgfältig geprüft werden. wurf schlägt – das wurde noch nicht gesagt – noch in ei- Damit unterwandert dieses Gesetz einen der zentralsten nem anderen Bereich dem Fass den Boden aus; denn in Grundsätze unseres Asylrechts: das Recht auf individu- dem Gesetz geht es auch um eine zweite Sache, die be- elle und gründliche Prüfung eines Asylbegehrens und dauerlicherweise überhaupt gar nichts mit der ersten auf effektiven – nicht individuellen, Herr Strobl! – Sache zu tun hat – es handelt sich also um eine Art Sam- Rechtsschutz. melgesetz –: Es geht nämlich auch um den Arbeits- marktzugang von Asylbewerberinnen und Asylbewer- Der Hauptkritikpunkt an Ihrem Gesetzentwurf muss bern in Deutschland. sich zweifelsohne nach meiner Auffassung auf den Rechtsbruch beziehen, den Sie begehen, indem Sie Keine Frage: Die Absenkung der Frist für den Zugang nicht, wie nach europäischem Recht vorgeschrieben, alle zum Arbeitsmarkt von neun auf drei Monate ist ein gutes verfügbaren menschenrechtlichen Quellen zurate ziehen, Anliegen. Aber auch hier, wie auch schon bei der De- wenn Sie ein Land als sicher einstufen wollen. batte über den Optionszwang oder die Residenzpflicht, gehen Sie nur einen halben Schritt. Eine Lockerung der (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Arbeitsverbote macht doch nur dann Sinn, wenn die so- und bei der LINKEN) genannte Vorrangprüfung wegfällt. Wenn dieser Schritt Denn unser europäisches Recht erlaubt es ohne Wei- (B) nicht gegangen wird, dann ist den meisten Asylbewerbe- teres, existenzbedrohende Mehrfachdiskriminierung als (D) rinnen und Asylbewerbern leider überhaupt nicht gehol- Asylgrund einzustufen. Ich sage es mal so: Besonders fen. vor dem Hintergrund unserer Geschichte – Frau Jelpke hat darauf hingewiesen – wäre es mehr als angezeigt, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN wenn Deutschland diesen Spielraum endlich nutzen und bei der LINKEN) würde. Damit ist dieses zentrale Anliegen, liebe SPD, noch In all den benannten Ländern finden schwerwiegende nicht mal mehr ein Zückerchen, sondern einfach nur Diskriminierungen statt. Fast alle Menschenrechts- und – und das ist bedauerlich – an der Sache vorbei. Flüchtlingsverbände haben sich dazu geäußert: das Deutsche Institut für Menschenrechte, Pro Asyl, Am- Der Gesetzentwurf ist aber auch ein fantastisches nesty International, die Flüchtlingsräte, der UNHCR, das Lehrstück dafür, mit welcher Arroganz große Mehrhei- Europäische Unterstützungsbüro für Asylfragen, der Je- ten hier in diesem Parlament Politik machen. Warum hat suiten-Flüchtlingsdienst, die Diakonie, der UN-Flücht- man denn an dieser Stelle Birnen und Tomaten in einen lingshochkommissar, die Kommission; und sogar das Topf geschmissen? Das kann man wohl nur damit be- Auswärtige Amt äußert sich dazu sehr deutlich. Sie alle gründen, dass dieser Gesetzentwurf im Bundesrat zu- haben gesagt, dass die menschenrechtliche Lage vor Ort stimmungspflichtig ist und man versucht hat, den SPD- besorgniserregend ist. Innenministern in irgendeiner Form Argumentationshil- fen an die Hand zu geben oder uns als Opposition in die Nur ein Beispiel: In Bosnien-Herzegowina sind An- Enge zu treiben und zu unterstellen, dass wir mit einer gehörige der Romaminderheit gleich mehrfachen Diskri- Ablehnung dieses Gesetzes arbeitsmarktpolitische Ver- minierungen ausgesetzt: Sie stecken in einem Teufels- besserungen blockieren würden. Ich sage nur: Meine kreis aus Armut und Arbeitslosigkeit. Der Zugang zu Fraktion lässt sich nicht erpressen. Ich hoffe, dass es Bildung, Arbeit, medizinischer Versorgung oder ver- auch die SPD-Landesinnenminister nicht tun. nünftigen Wohnverhältnissen ist ihnen verwehrt. Roma werden häufig Opfer rassistischer Propaganda und Ge- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN walt. Die Sterblichkeit von Romakindern ist in allen drei und bei der LINKEN) Staaten, um die es hier geht, doppelt so hoch wie an- derswo. Die älteren Roma sterben zehn Jahre früher als Zurück zu den „sicheren Herkunftsstaaten“. Wir wer- der Rest der Bevölkerung. Das ist doch kein Zufall! den diesen Gesetzentwurf mit aller Schärfe zurückwei- sen. Die Logik darin ist nämlich folgende: Wenn die (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN meisten Anträge auf Asyl von Bewerbern aus der sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 40. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Juni 2014 3497

Luise Amtsberg (A) Herr Bundesinnenminister, Sie haben recht, wenn Sie fahren durchlaufen, dann liegt die Schutzquote bei (C) sagen, dass man von Beitrittskandidaten und Ländern, 100 Prozent. Bei Flüchtlingen aus den Westbalkanstaa- die es werden wollen, erwarten kann, dass sie den ten liegt sie bei nahe 0 Prozent. Deswegen: Wer aus Sy- Rechtsstaat und die Menschenrechte aufrechterhalten rien kommt – Herr Kollege Veit, das möchte ich auch und achten. Der Wunsch und die Erwartung sind fromm. dem Koalitionspartner, der SPD, zusagen –, dem wollen Ich teile sie. Auch ich habe diese Erwartung; denn die wir effektiv helfen. Hier wollen wir den Schutz im Zwei- Achtung der Menschenrechte ist und muss europäischer fel sogar ausbauen. Konsens sein. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Aber gerade dann ist es doch fahrlässig, nicht zur Dafür, meine Damen und Herren, ist es aber erforder- Kenntnis zu nehmen, wie die menschenrechtliche Situa- lich, dass wir unsere Kräfte bündeln und die Ressourcen, tion vor Ort ist, und diese Staaten, in denen die Beitritts- die nicht unbegrenzt sind, entsprechend gezielt einset- kapitel zu Justiz und Menschenrechten noch nicht ge- zen. Deswegen verfolgt der Gesetzentwurf der Bundes- schlossen sind, einfach als sicher einzustufen. Ein Staat regierung zwei zentrale Ziele: ist eben nicht einfach sicher, weil man ihn hier so nennt. Erstens. Wir wollen, dass Asylbewerber und gedul- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN dete Ausländer schneller arbeiten können, nämlich sowie bei Abgeordneten der LINKEN) schon nach drei Monaten. Damit soll die Abhängigkeit In meinen Augen ist das Vogel-Strauß-Taktik: Kopf in von Sozialleistungen reduziert werden. Sie sollen mit ih- den Sand; denn was nicht sein darf, ist auch nicht. rer eigenen Hände Arbeit ihren Lebensunterhalt oder je- denfalls einen Teil davon selbst bestreiten können, und So macht man keine Politik. Liebe SPD, liebe Innen- sie sollen auch nicht verdammt sein, tatenlos in den Tag minister der SPD, macht den Rücken gerade und zeigt hineinleben zu müssen. Das ist ein konkreter Fortschritt, eure Verantwortung! Denn jeder Einzelfall ist es wert, der auch geduldeten Ausländerinnen und Ausländern zu- beachtet zu werden. Wir sollten an unseren asylrechtli- gutekommt. Frau Kollegin Amtsberg, das sollten eigent- chen Grundsätzen festhalten. Menschen, die Schutz ver- lich auch die Grünen anerkennen. dienen, müssen ihn hier bei uns auch bekommen. (Beifall bei der CDU/CSU – Luise Amtsberg Herzlichen Dank. [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das habe ich ja auch gesagt!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Wir wollen zweitens zügige Verfahren bei Bewerbern aus sicheren Herkunftsstaaten, damit solche aussichtslo- sen Asylanträge schneller bearbeitet werden und die (B) (D) Vizepräsident Peter Hintze: Menschen schneller in ihre Heimatländer zurückkehren Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abge- können. Das ist ein Kernanliegen, das wir mit diesem ordneten Thomas Strobl, CDU/CSU-Fraktion. Gesetzentwurf verfolgen; denn wir brauchen zügig – zü- (Beifall bei der CDU/CSU) gig! – eine Verbesserung unseres Asylsystems. Wir er- warten, dass wir damit auch dem eigentlichen Ziel unse- res Asylsystems, den tatsächlich politisch Verfolgten Thomas Strobl (Heilbronn) (CDU/CSU): Schutz und einen sicheren Rechtsstatus gewähren zu Herr Präsident Hintze! Verehrte Kolleginnen und können, einen Schritt näher kommen. Kollegen! Wenn wir in diesen Tagen mit Bürgermeistern und Landräten in unseren Wahlkreisen sprechen, dann (Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Sie ignorieren werden wir sehr häufig auf die steigenden Zahlen von auch die UN-Richtlinie für Asyl! Das ist ja un- Asylbewerberinnen und Asylbewerbern angesprochen. glaublich!) Die Kommunen müssen Unterkünfte bereitstellen. Die Das bedeutet konkret: Die steigende Zahl von Bewer- Bürgerinnen und Bürger fragen uns besorgt: Geht dieser bern stellt unsere Kommunen vor große Herausforderun- Anstieg immer weiter? gen. Ich will Ihnen zwei Beispiele nennen: Stuttgart in- 2009 waren es 28 000 Asylbewerber in der Bundes- vestiert augenblicklich 21 Millionen Euro in sogenannte republik Deutschland. Im letzten Jahr waren es knapp Systembauten, in denen 1 000 Asylbewerber unterkom- men sollen. Aber das ist nicht nur ein Problem für die 100 000 mehr: 127 000. Innerhalb von fünf Jahren gab großen Städte, sondern auch eines für den ländlichen es also fast eine Verfünffachung der Asylbewerberzahlen Raum. Im Ostalbkreis in Baden-Württemberg rechnet in der Bundesrepublik Deutschland. Dabei ist der An- man mit 1 000 Asylbewerbern am Ende dieses Jahres. stieg von Asylbewerbern aus den Balkanstaaten beson- Der Landrat und die Kommunalpolitiker arbeiten inten- ders groß: Fast jeder fünfte Bewerber kommt aus Ser- siv daran, Unterkünfte zu erstellen. Deshalb brauchen bien, Mazedonien oder Bosnien-Herzegowina. wir eine Entlastung der Kommunen. Unser Gesetzent- Diese Entwicklung ist kein Anlass für Alarmismus. wurf leistet dazu einen wichtigen Beitrag. Ich finde, dass die Koalition heute einen maßvollen Vor- Den Kommunen ist am meisten damit geholfen, wenn schlag macht. Eines, liebe Kolleginnen und Kollegen, die Bewerberzahlen aus Staaten zurückgehen, in denen wollen wir auch: Wir wollen vor allem sicherstellen, offensichtlich keine politische Verfolgung stattfindet. dass wir unsere Anstrengungen für syrische Flüchtlinge aufrechterhalten und ausbauen können; denn wenn (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Michael Flüchtlinge aus Syrien zu uns kommen und ein Asylver- Hartmann [Wackernheim] [SPD]) 3498 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 40. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Juni 2014

Thomas Strobl (Heilbronn) (A) Das ist offensichtlich bei Serbien, Mazedonien und Bos- Dezember 2013 auf der Liste der sicheren Herkunfts- (C) nien-Herzegowina der Fall. Ich möchte nicht auf jedes staaten. Die Zahlen albanischer Bewerber sind in Frank- Land im Einzelnen eingehen, aber lassen Sie mich zu reich deutlich zurückgegangen. Bei uns allerdings sind Serbien Folgendes anmerken: sie dramatisch angestiegen. Das zeigt aber: Die Einstu- fung als sicherer Herkunftsstaat wirkt entlastend. Vor einem Jahr hat der Europäische Rat die Auf- nahme von Beitrittsverhandlungen mit Serbien beschlos- Albanien ist im Übrigen seit 2009 NATO-Mitglied. sen. Diese Verhandlungen mit Serbien haben im Januar Die Europäische Kommission hat gerade dieser Tage dieses Jahres begonnen. Die EU verhandelt mit Serbien empfohlen, Albanien den Status eines Beitrittskandida- auch deshalb, weil man davon ausgeht, dass Serbien in- ten für die Europäische Union zu verleihen. Auch hier zwischen ein bestimmtes Maß an Rechtsstaatlichkeit er- gehen wir in einem anderen Kontext, bei dem es nicht reicht hat und dort eben keine politische Verfolgung um Asyl geht, davon aus, dass sich Albanien unserer stattfindet. Wertegemeinschaft annähert, auch wenn bei rechtsstaat- (Beifall des Abg. Gunther Krichbaum [CDU/ lichen Standards und bei der Bekämpfung von Korrup- CSU]) tion sicherlich noch einiges zu tun ist. Wir sollten aber die Entwicklung Albaniens wie auch die Montenegros Serbien ist auf dem Weg in die europäische Wertege- genau im Blick behalten und uns ernsthaft fragen, ob meinschaft. Deswegen finde ich es sehr bemerkenswert nicht eine Einstufung als sichere Herkunftsstaaten auch und begrüße es, dass Serbien selbst um Aufnahme in die für diese beiden Länder infrage kommt. Liste der sicheren Herkunftsländer gebeten hat. Diesem Wunsch sollten wir doch auch entsprechen. Er deckt sich (Beifall bei der CDU/CSU) im Übrigen, Frau Staatsministerin Böhmer, mit den Ana- Meine sehr verehrten Damen und Herren, viele Asyl- lysen des Auswärtigen Amtes. bewerber kommen aus Syrien. Dafür haben wir und da- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) für haben die Bürgerinnen und Bürger in diesem Land großes Verständnis. Was in Syrien täglich geschieht, er- Wir sind dabei, Frau Kollegin Amtsberg, auch nicht füllt uns mit Trauer und mit Schrecken. Deshalb begrü- allein in Europa: ßen wir von der Koalition es ausdrücklich, dass der Bun- (Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- desinnenminister Thomas de Maizière mit den Ländern NEN]: Das ist das Schlimme! – Claudia Roth über die weitere Aufnahme syrischer Flüchtlinge ver- [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: handelt. Herr Innenminister, wir stehen bei diesen Ver- Das macht es nicht besser!) handlungen als Koalition hinter Ihnen und ermutigen Sie ausdrücklich zu diesen Verhandlungen. Großbritannien, Frankreich, die Schweiz, Österreich stu- (B) fen Serbien als sicheres Herkunftsland ein. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Rüdiger (D) Veit [SPD]: Das höre ich gern!) (Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum denn?) Aber nimmt man die drei Balkanstaaten, um die es Wir befinden uns also in guter Gesellschaft. Ich weise hier und jetzt geht, zusammen, dann muss man sagen, zurück, dass Frankreich, Großbritannien und Österreich dass von dort derzeit mehr Asylbewerber kommen als europäisches Recht brechen, wenn sie Serbien in die aus Syrien, nämlich 11 600 Bewerber in den ersten vier Liste der sicheren Herkunftsstaaten aufnehmen. Wir Monaten dieses Jahres gegenüber rund 7 500 Asylbe- können es auch tun. werbern aus Syrien: 11 600 Bewerber aus dem westli- chen Balkan, bei denen die Anerkennungsquote nahe (Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- null ist, 7 500 Syrer, bei denen die Anerkennungsquote, NEN]: Was ist mit denen, die eine höhere die Schutzquote 100 Prozent ist. Das ist unseren Bürge- Schutzquote haben, Belgien zum Beispiel?) rinnen und Bürger schwer zu vermitteln. Es gibt neben den drei Westbalkanstaaten auch andere Damit bin ich beim zweiten Grund, warum wir die europäische Staaten, aus denen immer mehr Asylbewer- Liste der sicheren Herkunftsstaaten maßvoll erweitern ber nach Deutschland kommen. Herr Kollege Veit, wir wollen: Wir wollen unsere Kapazitäten in Deutschland sollten diese Entwicklung im Blick behalten und bei den für alle wirklich politisch Verfolgten wie etwa die aus anstehenden parlamentarischen Beratungen auch genau Syrien nutzen. Das sind wir den Verfolgten, den tatsäch- analysieren, wie sich etwa die Situation in Montenegro lich politisch Verfolgten, und unseren Bürgerinnen und und in Albanien darstellt. Bürgern auch schuldig. Nur wenn unser Asylsystem die 2010 waren es 39 Asylanträge von Albanern, in den wirklich politisch Verfolgten und die, die aus asylfrem- ersten Monaten dieses Jahres aber schon über 3 000. Die den Motiven zu uns kommen, klar differenziert und es Zahlen schießen durch die Decke. auch unterschiedliche asylrechtliche Konsequenzen gibt, dann bleibt der Rückhalt in der Bevölkerung für unser (Stefan Liebich [DIE LINKE]: Sie wollten Asylsystem vorhanden. Dann können wir unseren Ver- doch keinen Alarmismus betreiben!) pflichtungen als humaner Rechtsstaat nachkommen. Das Uns ist bewusst – darauf hat Kollege Veit auch hinge- wollen wir alle zusammen gerne tun. wiesen –, dass die Schutzquote bei Albanern in den letz- Danke fürs Zuhören. ten Jahren über den Quoten der übrigen Westbalkanstaa- ten lag. Im Augenblick liegt sie bei 2,7 Prozent. Aber sie (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- geht deutlich nach unten. Albanien ist in Frankreich seit neten der SPD) Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 40. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Juni 2014 3499

(A) Vizepräsident Peter Hintze: unterhalt selbst zu bestreiten, anstatt auf Leistungen (C) Als nächster Rednerin erteile ich das Wort der Abge- nach dem Asylbewerberleistungsgesetz angewiesen zu ordneten Sevim Dağdelen, Fraktion Die Linke. sein. Diese Position vertritt die Linksfraktion seit Jahren. Aber nach den hehren Worten in der Gesetzesbegrün- (Beifall bei der LINKEN) dung vermissen wir die Taten.

Sevim Dağdelen (DIE LINKE): (Beifall bei der LINKEN) Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Kollege Strobl, Die Arbeitsverbote werden nämlich nicht abgeschafft. Sie sagten, man muss das Asylrecht verbessern. Wenn In der Praxis bleibt es bei dem faktischen Arbeitsverbot. diese Aussage von Ihrer Fraktion kommt, dann ist das Es wurde oft von der Vorrangprüfung gesprochen. Diese ein ernsthafter Grund zu besonderer Besorgnis in diesem möchte ich für die Zuschauer erklären. Bei der Vorrang- Haus, vor allem, wenn man sich anschaut, was mit dem prüfung – sie soll für die ersten vier Jahre bestehen blei- Asylrecht in den letzten Jahren und Jahrzehnten mit Ih- ben – wird aufwendig geprüft, ob deutsche oder soge- rer Hilfe geschehen ist. nannte bevorrechtigte Arbeitslose den Job übernehmen Der Minister und Sie haben Syrien erwähnt. Deswe- könnten, auf den sich ein Asylsuchender oder ein Gedul- gen erlauben Sie mir eine kurze Bemerkung zum Thema deter bewirbt, ungefähr nach dem Motto: Arbeit zuerst Syrien. Vor einer Woche war ich mit dem Außenminister für Deutsche. Das lehnen wir als Linke ganz konsequent Steinmeier im Libanon und habe ein syrisches Flücht- ab. lingslager des UNHCR besucht. Der Libanon hat bei ei- (Beifall bei der LINKEN) ner Bevölkerungszahl von 4 Millionen über 1 Million syrische Flüchtlinge aufgenommen: Ein Viertel der ge- Da ist die Frage, lieber Rüdiger, ob das gesetzliche Ar- samten Bevölkerung besteht aus syrischen Flüchtlingen. beitsverbot drei, neun oder zwölf Monate beträgt, fast Angesichts dessen finde ich es wirklich beschämend, schon zweitrangig. Faktisch kommt diese Vorrangprü- dass die Aufnahme weniger Tausend syrischer Flücht- fung insbesondere in Regionen mit schlechter Arbeits- linge in Deutschland meistens zu einer Belastung erklärt marktlage zum Tragen; das sind ja die meisten. Das wird. kommt einem Arbeitsverbot gleich. Wenn diese Men- (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Haben schen auf staatliche Hilfen angewiesen sind, obwohl sie Sie vorhin nicht zugehört? – Thomas Strobl arbeiten wollen, ist es immer wieder auch die Politik, die [Heilbronn] [CDU/CSU]: Ich habe gerade ge- ihnen unter Benutzung der legalen Basis des Arbeitsver- sagt: Wir wollen doch syrische Flüchtlinge botes vorwirft, dass sie nur wegen der Sozialleistungen aufnehmen!) nach Deutschland gekommen seien. Diese legale Basis (B) wird sehr oft – ich habe das in meiner Heimatstadt Duis- (D) Ich finde, hier muss ein Schritt in die Richtung erfolgen, burg erlebt, besonders bei den Kommunalwahlen – für dass Deutschland deutlich mehr syrische Flüchtlinge rechtspopulistische Kampagnen gegen Asylsuchende, aufnimmt, weil die Anrainerstaaten hoffnungslos über- gegen Geduldete und gegen Flüchtlinge benutzt. Diesen lastet sind. Kampagnen muss der Boden entzogen werden, und zwar, indem wir die gleichen sozialen Rechte allen Men- (Beifall bei der LINKEN – Thomas Strobl schen geben, die in Deutschland leben. [Heilbronn] [CDU/CSU]: Sie müssen doch auch ein bisschen zuhören! – Michael Grosse- (Beifall bei der LINKEN) Brömer [CDU/CSU]: Er hat doch das Gegen- teil gesagt!) Wie schon gesagt, führt die Koalition in der Begrün- dung an, dass die Asylsuchenden und Geduldeten durch Dass Roma und andere Minderheiten in Serbien, Ma- den Zugang zum Arbeitsmarkt die Möglichkeit erhalten zedonien und Bosnien-Herzegowina massiv rassistisch sollen, zu arbeiten, anstatt auf Leistungen nach dem diskriminiert werden, ihnen der Zugang zu Arbeit, zu Asylbewerberleistungsgesetz angewiesen zu sein. Da medizinischer Versorgung, zu regulären Wohnungen und stellt sich mir die Frage: Wie kann es sein, dass Sie jetzt oft auch zu sauberem Trinkwasser verwehrt wird, haben vor der Sommerpause wirklich alle Gesetzesvorhaben, wir schon von meiner Kollegin Jelpke, aber auch von auch in Bezug auf das Staatsangehörigkeitsrecht, durch meiner Kollegin von den Grünen gehört. den Bundestag jagen, aber nichts in Richtung Umset- Ich möchte mich dem kleinen Feigenblatt des Geset- zung des Bundesverfassungsgerichtsurteils in Sachen zes widmen, den vermeintlichen Erleichterungen beim Asylbewerberleistungsgesetz unternehmen? Arbeitsmarktzugang, wie es die Bundesregierung nennt. (Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Das ist ein Wir sind der Auffassung: Auch hier haben wir es mit ei- Skandal!) ner Mogelpackung der Großen Koalition zu tun. Zu die- sem Schluss kommt man, wenn man sich die Maßnah- Dabei hat das Bundesverfassungsgericht in seinem Ur- men anschaut bezüglich des Arbeitsmarktzugangs für teil den Bundestag aufgefordert, dieses verfassungswid- Asylbewerber und geduldete Ausländer. Völlig zutref- rige Gesetz unverzüglich zu ändern. Das ist im Juli 2014 fend heißt es in der allgemeinen Begründung des Gesetz- ganze zwei Jahre her. Ich frage mich: Wo ist denn da ei- entwurfes, dass Asylsuchende und Geduldete durch den gentlich der Eifer der Bundesregierung? Zugang zum Arbeitsmarkt die Möglichkeit erhalten sol- len, durch Aufnahme einer Beschäftigung ihren Lebens- (Beifall bei der LINKEN) 3500 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 40. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Juni 2014

(A) Vizepräsident Peter Hintze: stieg die Zahl der Erstanträge – es wurde heute schon öf- (C) Frau Kollegin, achten Sie bitte auf die Zeit. ter erwähnt; es ist aber so wichtig, sodass ich es noch einmal sagen möchte – um 70 Prozent und die Zahl der Sevim Dağdelen (DIE LINKE): Folgeanträge um fast 100 Prozent. Die Tendenz der ein- Ich komme zum Schluss, Herr Präsident. – Ich finde, gehenden Anträge ist nach wie vor steigend. Immer man kann Deutschland schlecht als Hort des Humanis- mehr Menschen fliehen vor Verfolgung, Folter und Ver- mus darstellen, Herr Minister, wenn man gleichzeitig die treibung aus ihrer Heimat und suchen bei uns in Menschenrechte mit Füßen tritt. Die Sondergesetzge- Deutschland Zuflucht. bung – Asylbewerberleistungsgesetz, Sachleistungen, Ich begrüße es sehr, dass Deutschland neben Schwe- Residenzpflicht, menschenunwürdige Lagerunterbrin- den das Land in der EU ist, das die meisten syrischen gung – muss abgeschafft werden. Wir möchten das Bürgerkriegsflüchtlinge aufgenommen hat. Grundgesetz mit Leben füllen. Die Würde des Men- schen, nicht die Würde des deutschen Menschen, ist laut (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) unserem Grundgesetz unantastbar. Ich fordere Sie auf, Damit sind wir top in der EU. der sich aus unserer Verfassung ergebenden Verpflich- tung nachzukommen. (Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Na ja!) (Beifall bei der LINKEN) Aber wir wollen noch besser werden. Das hat auch Bun- Vizepräsident Peter Hintze: desaußenminister Frank-Walter Steinmeier erst vor we- Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abge- nigen Tagen sehr eindrucksvoll bestätigt, und zwar – das ordneten Uli Grötsch, SPD-Fraktion. haben wir alle gemerkt – aus seiner vollsten und tiefsten Überzeugung. Wir spüren seitens der SPD-Bundestags- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten fraktion sehr deutlich, dass das Schicksal der syrischen der CDU/CSU) Bevölkerung, dass das Schicksal der Flüchtlinge aus Sy- rien bei Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier Uli Grötsch (SPD): in den besten Händen ist. Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Seit Be- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten ginn dieser Wahlperiode sind die Schicksale von Flücht- der CDU/CSU) lingen aus Syrien und die Situation der Asylbewerber in Deutschland auf jeder Tagesordnung des Innenausschus- Es ist aber auch so, dass viele Menschen ihre Heimat ses, und das zu Recht. Das Schicksal von Flüchtlingen aus anderen Motiven als die syrischen Flüchtlinge ver- (B) (D) beschäftigt uns aber nicht nur im Bundestag, sondern be- lassen und nach Deutschland kommen, um Asyl zu be- trifft uns alle auch ganz konkret zu Hause in den Wahl- antragen. Diesen Menschen droht in ihrer Heimat keine kreisen, etwa wenn es um geeignete Unterkünfte für systematische politische Verfolgung oder gar Folter. diese hilfesuchenden Menschen geht. Wir sehen es nicht Bei der Prüfung zur Einstufung als sicheres Her- als Belastung, sondern als Herausforderung für die kunftsland hat sich die Bundesregierung an den Vorga- Kommunen in unserem Land, geeignete Unterkünfte zur ben des Bundesverfassungsgerichts und auch an den eu- Verfügung zu stellen, Frau Kollegin Dağdelen. Seien wir ropäischen Vorgaben orientiert und ist zu dem Schluss ehrlich: Es werden vor allem die Abgeordneten aus den gekommen, dass Serbien, Mazedonien und Bosnien- Volksparteien sein, die gemeinsam mit ihren Bürger- Herzegowina als sogenannte sichere Herkunftsstaaten meistern und ihren Landräten in den Wahlkreisen im gemäß § 29 a des Asylverfahrensgesetzes einzustufen ganzen Land dafür werben und nach geeigneten Unter- sind. Das heißt, dass zukünftig der Asylsuchende glaub- künften suchen werden. haft darlegen muss, dass er in seinem eigentlich sicheren (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Heimatland politisch verfolgt wird. der CDU/CSU) Wir meinen, das ist nachvollziehbar; denn das Bun- Wie schwer es oftmals für die Behörden ist, in den Kom- desamt für Migration und Flüchtlinge hat 2013 ins- munen noch zusätzliche Unterkünfte für Asylbewerber gesamt fast 22 000 Entscheidungen über Asylerst- und und Flüchtlinge zu finden, erfahren wir in vielen Städten -folgeanträge von bosnischen, serbischen und mazedoni- und Gemeinden unseres Landes leider viel zu oft. schen Staatsangehörigen getroffen. Nur drei Menschen aus einem dieser Staaten wurde Asyl zugesprochen, vier Ein Blick auf die von Jahr zu Jahr steigende Zahl von Menschen wurde Flüchtlingsschutz gewährt, und bei Asylanträgen zeigt, dass Deutschland ein attraktives 53 Personen wurde ein Verbot der Abschiebung erteilt. Zielland ist. Das Bundesamt für Migration und Flücht- 90 Prozent der vor Gericht verhandelten und abgelehn- linge hat mehr als alle Hände voll zu tun, um die Anträge ten Asylanträge von Menschen aus den drei erwähnten und Verfahren sorgfältig zu prüfen, und an dieser sorg- Staaten wurden als unbegründet abgelehnt. Mit anderen fältigen Prüfung habe ich keinerlei Zweifel. Worten: Nur im Einzelfall haben die Antragsteller aus (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten den drei Westbalkanstaaten Asyl zugesprochen bekom- der CDU/CSU) men. Bislang sind bereits in diesem Jahr knapp 26 000 Erst- Gegen eine Äußerung aus Ihrem Antrag, liebe Kolle- und Folgeanträge beim Bundesamt eingegangen. Damit ginnen und Kollegen von der Fraktion Die Linke, ver- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 40. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Juni 2014 3501

Uli Grötsch (A) wehre ich mich ganz entschieden und ausdrücklich: Die und gegenüber der EU-Kommission dafür einsetzen (C) hohen Ablehnungsquoten des Bundesamtes für Migra- wollen, rasche und nachhaltige Schritte zur Verbesse- tion und Flüchtlinge seien „ein Indiz für unzureichende rung der Lebenssituation vor Ort zu ergreifen. Prüfungen und pauschale Ablehnungen aufgrund politi- scher Vorgaben“. Das ist eine Unterstellung und wird (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der dem Engagement der betroffenen Behörden nicht ge- CDU/CSU) recht. Vizepräsident Peter Hintze: (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Herr Kollege, wenn Sie einen Blick auf die Zeit wer- Laut aktueller Asylgeschäftsstatistik hat das BAMF fen, werden Sie feststellen, dass sie abgelaufen ist. bislang in diesem Jahr mehr als 26 000 Entscheidungen getroffen. Das ist im Vergleich zum Vorjahreszeitraum Uli Grötsch (SPD): eine Zunahme um mehr als 130 Prozent – und das bei Ich komme zum Schluss. – Liebe Kolleginnen und auch dort leider knappen personellen Ressourcen. Wer Kollegen, wir sind uns unserer Verantwortung ganz si- schon einmal eine solche Behörde besucht hat, weiß, cher bewusst. Deutschland kann mehr machen, und was dort geleistet wird. Von dieser Stelle aus möchte ich Deutschland wird auch mehr machen. Wir sind aber der den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Bundesamt Meinung, dass wir uns angesichts von Bürgerkriegen für Migration und Flüchtlinge im Namen der SPD-Bun- und massenhaften Vertreibungen in verschiedenen destagsfraktion meine ausdrückliche Anerkennung aus- Brandherden der Welt schnell und effizient um die akut sprechen. Schutzbedürftigen kümmern müssen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vielen Dank. Liebe Kolleginnen und Kollegen, die genannten Zah- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) len belegen eines: Unbegründete Asylanträge binden oh- nehin erschöpfte Kapazitäten bei Bund, Ländern und Vizepräsident Peter Hintze: Kommunen und verhindern auch eine noch zeitnähere Bearbeitung von Anträgen tatsächlich schutzbedürftiger Als nächster Rednerin in der Debatte erteile ich der Asylsuchender beispielsweise aus Syrien, Afghanistan Abgeordneten Claudia Roth, Bündnis 90/Die Grünen, oder dem Irak. Selbstverständlich muss nach wie vor je- das Wort. der Asylantrag gewissenhaft geprüft werden, egal aus welchem Land die Flüchtlinge stammen. Claudia Roth (Augsburg) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (B) NEN): (D) (Beifall bei der SPD) Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es Aber es ist angesichts der erwähnten Zahlen, so meine war mein Vater, der mir als Kind erklärt hat, was unser ich, keine Zumutung für die Asylsuchenden aus den be- Grundgesetz, die Grundrechte bedeuten: dass die Men- troffenen Staaten, die Menschenrechtsverletzungen ein- schenwürde kein Konjunktiv ist, dass die Menschen- zeln darzulegen, aufgrund derer sie um Asyl ersuchen. würde ganz ohne Adjektiv auskommt und dass die Ja, das ist eine Beweislastumkehr. Sie sollte deshalb in Grundrechte jedem einzelnen Menschen gehören. So einem fairen und geordneten Verfahren stattfinden. verhält es sich auch mit dem Grundrecht auf Asyl. Es ist ein individuelles Recht. Kein Staat, keine Regierung Ich möchte auch ganz klar sagen: Wir leugnen nicht, kann mich einfach enteignen, und wenn ich es für mich dass insbesondere Sinti und Roma Anfeindungen und beanspruche oder einklagen will bzw. muss, dann bin Diskriminierungen in ihren Heimatländern ausgesetzt nicht ich die Missbraucherin. Vielmehr missbrauchen sind. Wir wissen natürlich, dass gerade diese Bevölke- diejenigen den Geist unserer Verfassung, die Menschen, rungsgruppe in ihren Heimatländern oftmals von sozia- die sich um Asyl bewerben, kriminalisieren. ler Ausgrenzung und rassistischer Diskriminierung be- troffen ist. Nicht nur für diese Menschen, sondern (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN generell auch für andere Menschen, die aufgrund von sowie des Abg. Jan Korte [DIE LINKE]) Perspektivlosigkeit ihre Heimatländer verlassen, gilt es, Unser Asylrecht wird seit 20 Jahren malträtiert. Herr die Bedingungen vor Ort in ihren Heimatländern in den de Maizière, es soll jetzt weiter entleert und in sein Ge- Blick zu nehmen. Die Verbesserung der gesellschaftli- genteil verkehrt werden. Nichts anderes passiert doch, chen Realitäten kann die deutsche Asylpolitik nicht leis- wenn per Gesetz sichere Herkunftsstaaten definiert wer- ten. den, wenn per Gesetz politische Verfolgung sowie un- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) menschliche oder erniedrigende Bestrafung oder Be- handlung ausgeschlossen und als nicht existent Das ist eine europäische Aufgabe. Ich bin davon über- dekretiert werden. Ganz in kafkaesker Logik braucht es zeugt, dass die Bundesregierung im Europäischen Rat dann ja auch keinen vorläufigen Rechtsschutz mehr; entsprechend darauf hinwirken wird, dass die Regierun- denn das Recht hat gerade Sicherheit definiert. Man gen von Serbien, Mazedonien und Bosnien-Herzego- nennt das unter Juristen, so habe ich mir sagen lassen, wina ihre Bemühungen entsprechend intensivieren wer- „normative Vergewisserung“. Ich nenne das: Umdefini- den. Es steht übrigens auch im Koalitionsvertrag, dass tion der Realität in eine Welt, die es zwar so gar nicht wir uns gegenüber den Regierungen dieser drei Staaten gibt, die aber perfekt ins politische Kalkül passt. 3502 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 40. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Juni 2014

Claudia Roth (Augsburg) (A) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – recht – muss Ängste und Vorurteile sehr ernst nehmen, (C) Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Was aber sie darf sie nicht schüren. Doch genau das tut Ihr sind denn das für sonderbare Juristen bei den Gesetzentwurf nicht. Grünen? Welche Juristen haben Sie denn da gefragt?) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Ich wundere mich schon, liebe Kolleginnen und Kol- legen, dass Sie sich nicht einmal ein bisschen schämen, Deshalb sage ich: Bitte, bewahren wir unser Grundrecht das auch noch schwarz auf weiß zu benennen. Da steht auf Asyl! Das macht uns als Gesellschaft reich. Und geschrieben: „Deutschland soll … weniger attraktiv wer- bitte, spielen wir nicht Flüchtlinge aus Syrien gegen den.“ Also geht es wieder einmal um die Anreizminde- Flüchtlinge aus anderen Ländern aus! rung, aber nicht um die Gründe, warum Menschen ihre (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Heimat verlassen. und bei der LINKEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Errichten wir keine zusätzlichen Mauern, sondern be- sowie bei Abgeordneten der LINKEN) wahren wir unser Grundrecht, und schaffen wir endlich Es wird eine Kosten-Nutzen-Rechnung aufgemacht: We- ein modernes Einwanderungsrecht! niger Asylbewerber bedeuten mehr Geld in den Kassen Vielen Dank. von Bund, Ländern und Kommunen. – Ich befürchte, dass diese kalte Rechnung uns sehr teuer zu stehen kom- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN men wird, weil wir damit das verlieren, was Humanität, sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Schutzgewährung und Schutzverantwortung ausmachen: unseren moralischen Imperativ nach dem Naziterror, der Vizepräsident Peter Hintze: 500 000 Sinti und Roma das Leben gekostet hat. Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abge- Ich lese im Gesetzentwurf, dass Menschen aus Ser- ordneten Stephan Mayer, CDU/CSU-Fraktion. bien, Mazedonien und Bosnien-Herzegowina angeblich (Beifall bei der CDU/CSU) – ich zitiere – „aus nicht asylrelevanten Motiven“ kom- men. Lieber Herr Minister, waren Sie eigentlich schon einmal persönlich unter der Autobahnbrücke in Belgrad, Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU): wo die Roma zu überleben versuchen, die ihrer Men- Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr verehrte Kollegin- schenwürde beraubt wurden? Waren Sie im Lager von nen! Sehr geehrte Kollegen! Deutschland verfügt über Deponija in Belgrad, wo die Menschen, die Roma, wie ein humanes, weltoffenes und tolerantes Asylrecht. (B) (D) Abfall behandelt werden? Waren Sie schon einmal per- (Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: sönlich in Skopje, in Šutka, der wohl größten Romasied- Glauben Sie das eigentlich selber?) lung weltweit, einem grauenhaften Ort, der an Bangla- desch, aber nicht an Europa erinnert? Ich war vor Ort; Ich glaube, gerade in einem Gedenkjahr wie diesem ich habe die Not gesehen, ich habe die Verzweiflung er- ist es wichtig, dass wir uns ständig unserer historischen lebt, die Angst der Menschen vor rassistischer Gewalt, Verantwortung bewusst werden, dass gerade Deutsch- vor pogromartigen Angriffen. land jederzeit für jeden offen sein muss, der verfolgt wird, aus welchen Gründen auch immer, und an Leib „Nicht asylrelevante Motive“? Trotz Diskriminie- und Leben bedroht ist. Es ist unsere historische Aufgabe, rung, trotz versperrten Zugängen zur Gesundheitsversor- dass wir jederzeit dem Schutz gewähren, der aufgrund gung, zum Bildungssystem, zur Arbeit, zur Ausbildung, seiner Religion, aufgrund seiner Ethnie, aufgrund seiner trotz einer zehn Jahre geringeren Lebenserwartung? sexuellen Orientierung oder aus politischen Motiven „Nicht asylrelevante Motive“? Trotz Verweigerung ele- verfolgt wird. Ich glaube aber, dass wir mit Fug und mentarster Teilhaberechte für Menschen, die oft aus dem Recht behaupten können: Wir Deutsche haben ein derar- Kosovo vertrieben wurden und alles, aber wirklich alles tiges humanes und weltoffenes Asylrecht. verloren haben? Keine gruppenspezifische Verfolgung, Herr Minister de Maizière? Ich bin, nachdem ich dort Kein Land in Europa nimmt so viele Asylbewerber war, wirklich davon überzeugt: Wenn Sie in einem so auf wie Deutschland. Deswegen stimmt es einfach nicht, menschenverachtenden Umfeld leben würden, dann Frau Kollegin Roth, dass wir mit diesem Gesetzentwurf würden auch Sie alles dafür tun, Ihre Kinder, Ihre Fami- unser Asylrecht malträtieren oder entleeren. Es stimmt lie zu retten und ihnen eine Zukunft in Sicherheit zu er- auch nicht, Frau Kollegin Amtsberg, dass wir mit diesem öffnen. sinnvollen Gesetzentwurf unserem Asylrecht den Todes- stoß versetzen. Das Gegenteil ist der Fall. Deutschland ist (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie offen für alle, die schutzbedürftig sind. Im letzten Jahr des Abg. Richard Pitterle [DIE LINKE]) haben wir insgesamt 127 000 Asylbewerber aufgenom- Eine vorgestern veröffentlichte Studie zum Rechts- men. Die Zahlen entwickeln sich weiter rasant nach oben. extremismus in unserem Land, die schon genannt wor- Allein im ersten Quartal dieses Jahres hatten wir den ist, hat erschreckende Auffassungen belegt: Über 50 000 Erst- und Folgeanträge. Wenn sich die Entwick- 50 Prozent der Deutschen glauben, dass Sinti und Roma lung der ersten drei Monate fortschreibt, dann werden am kriminell sind; über 50 Prozent wollen nicht in ihrer Ende dieses Jahres in Deutschland über 200 000 Asyl- Nähe leben. Verantwortliche Politik – da gebe ich Ihnen anträge gestellt worden sein. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 40. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Juni 2014 3503

Stephan Mayer (Altötting) (A) Ich glaube, dass es deshalb richtig ist, dass wir uns Aber aus durchaus verständlichen Gründen sind diese (C) Gedanken darüber machen, wo wir die Prioritäten set- Mitarbeiter derzeit zum BAMF abgeordnet worden; sie zen. Da unter den sechs Ländern, aus denen die meisten sollen dort die Arbeitsbelastung etwas reduzieren. Wenn Asylbewerber nach Deutschland kommen, vier Länder durch die Deklaration von drei Ländern des westlichen des westlichen Balkans sind, sollten wir das intensiver Balkans als sichere Herkunftsländer erreicht wird, dass betrachten. Im letzten Jahr gehörten Bosnien-Herzego- die Verfahrensdauer bzw. die Dauer der Einzelprüfung wina, Serbien, Mazedonien und Albanien zu diesen ers- verkürzt wird, dann wird dies auch zusätzliche Ressour- ten sechs Ländern. Auch in den ersten vier Monaten die- cen im BAMF schaffen. Diese Ressourcen sind dringend ses Jahres war das der Fall. Allein aus den drei Ländern erforderlich angesichts der weiterhin rasant wachsenden Serbien, Bosnien-Herzegowina und Mazedonien wurden Asylbewerberzahlen. in den ersten drei Monaten dieses Jahres insgesamt 13 000 Asylanträge gestellt. Im Vergleich dazu waren es Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, ich in den ersten drei Monaten des letzten Jahres empfinde es als unanständig von der Fraktion Die Linke, 5 000 Asylanträge. Die Anerkennungsquote liegt bei al- wenn uns in dem Antrag unterstellt wird, dass die Mitar- len drei Ländern bei 0,0 Prozent. Die Schutzquote liegt, beiter des BAMF erst einmal dazu angehalten werden wenn man die Flüchtlinge und die subsidiär Schutzbe- müssen, sorgfältig, gewissenhaft und gründlich zu prü- rechtigten hinzuzählt, bei maximal 0,4 Prozent. Bezogen fen. auf Mazedonien, das Land mit der – in Anführungszei- (Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Dafür haben wir chen – höchsten Schutzquote, liegt sie bei gerade einmal Belege, Herr Mayer!) 0,4 Prozent. Das ist kein Affront gegenüber der Bundesregierung und Ich möchte eines klar herausstreichen: Auch mit die- uns – das würde man im politischen Geschäft vielleicht sem Gesetzentwurf bleibt es bei unserem individuellen noch verstehen –, sondern gegenüber den Mitarbeitern Recht auf Asyl. Es gibt eine widerlegbare Vermutung, des BAMF. Es ist, sehr verehrte Kollegin Jelpke, wirk- dass Personen aus den drei genannten Ländern, aus Ser- lich nicht fair, dass Sie den Mitarbeitern des Bundesam- bien, Bosnien-Herzegowina und Mazedonien, politisch tes für Migration und Flüchtlinge, die wirklich keinen nicht verfolgt werden. Aber natürlich gibt es für jeder- einfachen Job machen und unter einer enorm hohen Ar- mann die Möglichkeit, im Einzelfall nachzuweisen, dass beitsbelastung leiden, unterstellen, sie würden die An- dies doch der Fall ist. träge nicht gewissenhaft und gründlich prüfen. (Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: So ist es!) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) (B) Es ist nur so: Das Verfahren wird insgesamt unkompli- (D) zierter, die Klagefrist wird auf eine Woche verkürzt, und Ich möchte auch noch einmal auf Folgendes hinwei- eine Klage hat zunächst einmal zwar keine aufschie- sen: Es gibt ein gemeinsames Ziel. Ich hoffe, dass das bende Wirkung, aber die aufschiebende Wirkung kann Ziel, die Dauer der Asylverfahren zu reduzieren, von al- natürlich sofort angeordnet werden. len hier im Haus geteilt wird. Derzeit beträgt die durch- schnittliche Dauer der Asylverfahren neun Monate. Es Mit diesem Gesetzentwurf leisten wir einen aus mei- gibt die klare Aussage im Koalitionsvertrag, dass wir die ner Sicht wichtigen Beitrag dazu, das Bundesamt für Dauer der Asylverfahren auf drei Monate reduzieren Migration und Flüchtlinge und seine Mitarbeiter zu ent- wollen. Wenn wir nur annähernd an dieses Ziel heran- lasten. In der vergangenen Nacht hat der Haushaltsaus- kommen wollen, dann ist es erforderlich, diese Länder, schuss des Deutschen Bundestages richtigerweise den insbesondere die, bei denen die Schutz- und Anerken- Beschluss gefasst, dass das Bundesamt für Migration nungsquoten gegen 0,0 Prozent tendieren oder wirklich und Flüchtlinge insgesamt 300 zusätzliche Stellen be- 0,0 Prozent betragen, als sichere Herkunftsländer zu de- kommt. klarieren. (Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, wir GRÜNEN]: Das ist gut!) sollten uns aber auch die Mühe machen, in dem anste- Das ist ein wichtiger Schritt. henden Gesetzgebungsverfahren intensiv zu prüfen, noch zwei weitere Länder des westlichen Balkans, Alba- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der nien und Montenegro, als sichere Herkunftsstaaten zu SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- deklarieren. Auch ich bin da für eine vorurteilsfreie und NEN) offene Prüfung. Wenn man sich aber zum Beispiel im Ich möchte in diesem Zusammenhang aber auch erwäh- Falle Albaniens ansieht, dass im letzten Jahr insgesamt nen, dass das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge 1 247 Erstanträge gestellt wurden und allein in den ers- 900 zusätzliche Stellen als sachgerecht angemeldet hat ten fünf Monaten dieses Jahres 3 204, also fast dreimal und dass derzeit auch 40 Beamte der Bundespolizei ih- so viel wie im gesamten letzten Jahr, dann sollte dies, ren Dienst beim BAMF leisten. Um es klar zu sagen: glaube ich, schon Anlass sein, intensiv zu prüfen, ob Diese wären an anderer Stelle mindestens genauso not- nicht auch Albanien ein sicheres Herkunftsland ist. wendig. (Beifall bei der CDU/CSU – Luise Amtsberg (Michael Hartmann [Wackernheim] [SPD]: [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist genau Ja!) andersherum!) 3504 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 40. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Juni 2014

Stephan Mayer (Altötting) (A) Zur Erklärung: Wie kommt es gerade im Fall Alba- westlichen Bundesländern bei 74 Prozent. Ich möchte ei- (C) niens zu diesem rasanten Anstieg? Frankreich hat genau nes nicht, meine verehrten Kolleginnen und Kollegen: das getan, was wir jetzt bezüglich der drei anderen Län- dass wir in Deutschland wieder Zustände bekommen wie der vorhaben. zu Beginn der 90er-Jahre. Ich möchte nicht, dass hier Brandstifter, politische Hetzer wieder das Sagen bekom- (Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Sehr men. Ich glaube, gerade deshalb müssen wir das gemein- richtig!) same Ziel haben, die Empathie, das Verständnis der Be- Frankreich hat im Dezember des vergangenen Jahres Al- völkerung gegenüber Asylbewerbern und Flüchtlingen banien als sicheres Herkunftsland deklariert. auf diesem hohen Niveau zu halten. (Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- GRÜNEN]: Das macht es doch aber nicht neten der SPD) richtig!) Es ist daher richtig, sich Gedanken zu machen, für Das führt jetzt zu den genannten Umlenkungseffekten, wen wir prioritär offen sein sollen. Die syrischen Flücht- was die Ströme der Asylbewerber anbelangt. Ähnlich ist linge sind da schon genannt worden. Die größte humani- es bei Montenegro. Da waren es im vergangenen Jahr täre Katastrophe auf unserem Globus spielt sich aus mei- insgesamt 258 Erstanträge und allein in den ersten fünf ner Sicht derzeit in Syrien und in den Anrainerländern Monaten dieses Jahres schon 351. von Syrien ab. Gerade gegenüber syrischen Flüchtlingen gibt es in Deutschland eine hohe Aufnahmebereitschaft Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, mir in der Bevölkerung. ist wichtig, darauf hinzuweisen, dass wir in unserer Be- völkerung – aus meiner Sicht; das ist zumindest meine (Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Wahrnehmung – eine außerordentlich hohe Empathie, NEN]: Herr Mayer, lassen Sie uns einen An- Sympathie und auch ein großes Verständnis für die Si- trag machen! – Claudia Roth [Augsburg] tuation von Asylbewerbern und Flüchtlingen haben. Die [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau! Wir Situation der Kommunen ist alles andere als einfach. Ich machen einen Antrag!) möchte noch einmal sagen, Frau Kollegin Roth: Es gibt Frau Kollegin Roth, ich wehre mich dagegen, dass Sie mittlerweile auch einige Bürgermeister, die der Fraktion uns unterstellen, wir würden die Menschen gegeneinan- Bündnis 90/Die Grünen angehören. Die ächzen genauso der ausspielen oder das eine Schicksal gegen das andere unter der Notwendigkeit, jetzt händeringend Unterkünfte Schicksal aufwiegen. Aber ich bin schon der Meinung, für die Asylbewerber finden zu müssen. dass wir für zusätzliche Kontingente gegenüber syri- (B) (Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE schen Flüchtlingen offen sein sollten. Wir unterstützen (D) GRÜNEN]: Ja!) hier unseren Bundesinnenminister in seinen Verhandlun- gen mit seinen Länderkollegen. Das ist für keinen Oberbürgermeister, für keinen Bürger- meister und für keinen Landrat, egal in welchem Bun- Ich sage ganz offen: Es muss weitere zusätzliche desland, derzeit eine einfache und angenehme Aufgabe. Kontingente für die Aufnahme von syrischen Flüchtlin- gen geben. (Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Vollkommen richtig! Wir sind ja in den (Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE Haushaltsberatungen! – Kai Gehring [BÜND- GRÜNEN]: Gut!) NIS 90/DIE GRÜNEN]: Besser finanziell aus- Ich füge aber hinzu: Wir bekommen diese Bereitschaft statten!) in der Bevölkerung nur dann, wenn wir die Bevölkerung Alle Kommunalpolitiker tun hier ihr Möglichstes, unab- nicht überstrapazieren und nicht überfordern. Deshalb hängig davon, welcher Fraktion und welcher Partei sie sollten wir, glaube ich, in den nächsten Wochen – angehören. Deshalb finde ich es wichtig, dass wir die Bereitschaft in der Bevölkerung gerade auch zu ehren- Vizepräsident Peter Hintze: amtlichem Engagement und zu einer ehrenamtlichen Die Zeit, Herr Kollege! Unterstützung der Asylbewerber weiterhin auf diesem hohen Niveau halten. Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU): Die Studie der Universität Leipzig, die vorgestern – dieses Gesetzgebungsverfahren gründlich, aber hier in Berlin veröffentlicht wurde, ist ja schon erwähnt auch zügig vorantreiben. Insbesondere unsere Kommu- worden. Was ich an dieser Studie interessant finde, ist, nen harren dringend darauf, dass wir diese Probleme lö- dass wir in Deutschland – ich glaube, darauf können wir sen. auch ein Stück weit stolz sein – einen deutlichen Rück- gang der Ausländerfeindlichkeit, auch des Antisemitis- In diesem Sinne freue ich mich auf ein konsequentes, mus, zu verzeichnen haben. Was ich aber aus dieser Stu- auf ein gründliches, aber auch auf ein zügiges Gesetzge- die mit großem Ernst und auch mit einer gewissen Sorge bungsverfahren. zur Kenntnis genommen habe – das gebe ich ganz offen Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. zu –, ist, dass es laut der Zahlen dieser Studie eine enorme Ablehnung gegenüber Asylbewerbern gibt. In (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- den neuen Bundesländern liegt sie bei 85 Prozent, in den neten der SPD) Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 40. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Juni 2014 3505

(A) Vizepräsident Peter Hintze: wir uns bisher in diesem Zusammenhang gar nicht mit (C) Als nächster Rednerin erteile ich der Abgeordneten diesen Menschen auseinandergesetzt und uns gefragt ha- Daniela Kolbe, SPD-Fraktion, das Wort. ben, was für Fähigkeiten sie mitbringen. Ich weiß nur, dass ich in den Heimen, in den Asylbewerberunterkünf- (Beifall bei der SPD) ten, die ich besuche, auf sehr unterschiedliche Menschen treffe, vielfach auch auf Ärzte, auf Ingenieure, auf Men- Daniela Kolbe (SPD): schen, die vor allen Dingen eines beschreiben: dass sie Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und es unerträglich finden, dass sie in diese Langeweile, in Kollegen! Ich werde mich in meinem Redebeitrag auf dieses Nichtstun, in dieses Ausharren gesteckt werden. den arbeitsmarktpolitischen Teil des Gesetzentwurfs Das empfinden sie wirklich vielfach als das größte Übel, konzentrieren. Er ist mir ein bisschen zu kurz gekom- das sie erleben, wenn sie hier in Deutschland einen Asyl- men, und ich finde es wichtig, dass wir uns darüber auch antrag gestellt haben. Die Neuregelung ist insofern noch einmal kurz unterhalten. längst überfällig. Wir schaffen jetzt das formale Arbeits- Mit dem Gesetzentwurf wird vorgeschlagen, Asylbe- verbot nach einer dreimonatigen Ankunftsphase ab. Das werbern und Geduldeten bereits nach drei Monaten den freut mich sehr. Zugang zum Arbeitsmarkt zu ermöglichen. – Viele der Das Asylrecht hat bisher den Aufenthaltsstatus von Zuhörerinnen und Zuhörer wissen das vielleicht nicht: Asylbewerberinnen und Asylbewerbern grundsätzlich Nach der geltenden Gesetzeslage dürfen Asylsuchende als vorübergehend angesehen, als Provisorium. Die Rea- erst nach neun Monaten arbeiten und Geduldete erst lität sieht aber anders aus. Wir haben heute schon viel nach zwölf Monaten. – Die Opposition hat das hier in ih- von Schutzquoten gehört. Im Durchschnitt liegt die ren Redebeiträgen anklingen lassen, aber ein bisschen Schutzquote bei 25 Prozent. Bei Menschen aus vielen kleingeredet. Die Kollegin Amtsberg hat es als „Zücker- Herkunftsstaaten liegt sie aber bei deutlich über 50 Pro- chen“ bezeichnet. zent, zum Teil bei über 80 oder 90 Prozent, zum Beispiel (Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- bei Menschen aus Syrien. NEN]: Noch nicht einmal!) Darüber hinaus gibt es weitere Möglichkeiten, den Das finde ich, ehrlich gesagt, sehr schade; denn für die eigenen Aufenthaltsstatus zu legalisieren. Viele der Betroffenen ist das ein riesiger Schritt nach vorn. 85 000 Menschen, die geduldet in Deutschland leben, le- ben hier sehr lange, jahrelang. Insofern leben die Men- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten schen nicht regelmäßig nur vorübergehend hier, sondern der CDU/CSU) regelmäßig nicht vorübergehend. Auch dieser Denk- weise werden wir an dieser Stelle mit dem vorliegenden (B) Wir als SPD stehen dafür, dass es ein starkes Recht (D) Gesetzentwurf gerecht. Denn bisher war es so, dass wir auf Asyl geben muss. Frau Roth, da sind wir uns sicher- Tausende Menschen über Jahre hinweg systematisch lich einig. Wir wollen Schutzsuchenden Schutz gewäh- vom Arbeitsmarkt desintegriert haben, um sie dann nach ren, und wir müssen das auch tun. Aber wenn wir uns einer positiven Aufenthaltsentscheidung individuell wie- das gegenwärtige Asylsystem anschauen, dann sehen der zu integrieren. Erst dann gab es Sprachkurse, erst wir, dass selbst für die Menschen, die davon profitieren dann gab es Qualifizierung. Das war viel mühevoller – das sind doch einige –, das Asylsystem derzeit eine und hatte viel weniger Aussicht auf Erfolg. Das ist total zeitweilige Sackgasse ist, weil es sie ganz ungewollt in widersinnig, teuer, unmenschlich und falsch, sowohl für Passivität und Hilfsbedürftigkeit drängt. die Betroffenen als auch für die Gesellschaft insgesamt. Die Regel, über die wir heute sprechen, dieses zwölf- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten monatige Arbeitsverbot, stammt aus dem Jahr 1980. der CDU/CSU) Damals gab es einen Anstieg der Zahlen der Asylsu- chenden, auch dadurch ausgelöst, dass mit dem Anwer- Wir geben den Betroffenen mit diesem Gesetz ein bestopp von 1973 legale Zuwanderungsmöglichkeiten Mehr an Selbstbestimmung und die Chance, ihren Le- beseitigt worden waren. bensunterhalt selbst zu verdienen. Die Gesellschaft spart den Arbeits- und Kostenaufwand, der mit der Wiederein- Seither hat sich nicht nur die Welt weitergedreht, gliederung dieser Menschen, die jahrelang nicht auf den sondern es hat sich auch einiges auf dem Arbeitsmarkt Arbeitsmarkt durften, verbunden wäre. – und nicht nur da – verändert. Wir reden wieder über le- gale Zuwanderung, wir reden über Fachkräftebedarf, wir Richtig ist auch – das ist von der Opposition ange- reden über Globalisierung und eine weltoffene Gesell- sprochen worden –, dass die Vorrangprüfung erhalten schaft. Insofern ist es schlichtweg anachronistisch, dass bleibt und die Arbeitsaufnahme im Regelfall nur nach- wir Menschen per se von Erwerbstätigkeit ausschließen, rangig möglich ist. Gleichwohl ist das ein deutlicher zumal diese vielfach nichts lieber täten, als ihren Le- Schritt, und zwar in mehrfacher Hinsicht. Es ist ein ganz bensunterhalt selbst zu verdienen. starkes Signal in Richtung der betroffenen Menschen: Sobald ihr euch nach drei Monaten zurechtgefunden (Beifall bei der SPD) habt, dürft, könnt und sollt ihr versuchen, auf dem Ar- Viele gut ausgebildete Menschen landen im Asylsys- beitsmarkt Fuß zu fassen, euren Lebensunterhalt selber tem. Bezeichnenderweise wissen wir, ehrlich gesagt, ei- zu bestreiten. – Es gibt auch derzeit schon Bereiche, in gentlich gar nicht so richtig, was für eine Ausbildung die denen Menschen, die noch nicht gut Deutsch sprechen Asylsuchenden mitbringen. Das ist bezeichnend, weil oder vielleicht auch nicht die erforderliche Qualifikation 3506 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 40. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Juni 2014

Daniela Kolbe (A) mitbringen, händeringend gesucht werden. Das heißt, Nina Warken (CDU/CSU): (C) trotz Nachrangigkeitsprüfung gibt es Bereiche, in denen Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Asylsuchende eine Chance haben. Zahl der Asylbewerber in Deutschland – das haben wir bereits gehört – steigt seit einigen Jahren deutlich. Zu (Beifall des Abg. Rüdiger Veit [SPD]) den zehn Hauptherkunftsstaaten zählen aktuell nicht nur Es gibt auch Bereiche, die nicht von der Nachrangig- Länder mit massiven gewaltsamen innerstaatlichen Kon- keitsprüfung betroffen sind. Da geht es um die Berufs- flikten, wie etwa Syrien, Afghanistan, Somalia oder der ausbildung und Weiterbeschäftigung; auch das sei an Irak, sondern auch Länder aus der direkten Nachbar- dieser Stelle gesagt. schaft zur EU, wie Serbien, Mazedonien sowie Bosnien und Herzegowina. Ehrlich gesagt ist mir ein Punkt am wichtigsten – er ist noch gar nicht angeklungen –: Dadurch, dass diese Allein aus den Balkanländern kamen zwischen Januar Menschen nun den prinzipiellen Zugang zum Arbeits- und April dieses Jahres 25 Prozent aller Asylantragstel- markt haben, haben sie unabhängig davon, ob sie einen ler in Deutschland – und das, obwohl nach verschie- Job finden oder nicht, Zugang zu Leistungen, zu arbeits- denen glaubhaften Quellen in diesen Ländern weder marktpolitischen Leistungen aus dem Bereich der Bun- Verfolgung noch andere systematische Menschenrechts- desagentur für Arbeit, dem SGB III, und zu einigen verletzungen drohen, die ein Asylgrund wären. ESF-Programmen. (Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt einfach nicht! Hinfah- (Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- ren!) NEN]: Sagen Sie das nicht so laut! – Gegenruf der Abg. Christine Lambrecht [SPD]: Richtig Zu diesem Schluss kommen entgegen der Kritik in laut sagen wir das sogar!) dem vorliegenden Antrag der Linken nicht nur die Lage- bilder des Auswärtigen Amtes, das seine Informationen – Ich sage das trotzdem, und zwar richtig laut. Ich er- aus verschiedenen Quellen bezieht, sondern auch die kläre Ihnen einmal, worum es dabei geht. Es geht um Fortschrittsberichte der EU-Kommission, die die Ent- Beratung, um Vermittlung in Arbeit, um Förderung aus wicklung eines Landes bekannterweise sehr kritisch be- dem Vermittlungsbudget. Jetzt sage ich Ihnen auf urteilt. Deutsch, was das heißt. Dabei handelt es sich zum Bei- spiel um die Übernahme von Bewerbungskosten, wie Die einzelnen Berichte kommen zu der Einschätzung, Dolmetscherkosten, und von Kosten für die Anerken- dass es in allen drei Ländern keine diskriminierenden nung im Ausland erworbener Abschlüsse. Gesetze gibt. Willkürliche oder unmenschliche Bestra- (B) fungen sowie staatliche Repression oder Verfolgung ein- (D) Nach dem SGB III hat man auch ein Recht auf Maß- zelner Bevölkerungsgruppen finden nicht statt. nahmen zur Aktivierung und beruflichen Eingliederung sowie zur beruflichen Weiterbildung, ein Recht auf Ein- (Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Was sagen Sie zu stiegsqualifizierung und einen Eingliederungszuschuss den Menschenrechtsorganisationen?) und ein Recht auf die Förderung der Teilhabe behinder- Bemerkenswert ist, dass selbst in den Berichten des ter Menschen, was für viele Menschen, die als Flücht- UNHCR und von Menschenrechtsorganisationen diese linge nach Deutschland kommen, auch sehr wichtig ist; Länder betreffend nicht von Verfolgung oder schweren denn es kann auch für Menschen mit posttraumatischen Menschenrechtsverletzungen die Rede ist. Belastungsstörungen denkbar sein, eine solche Förde- rung zu bekommen. (Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Was?) Mit dieser Änderung ist im deutschen Asylsystem Um dennoch einen Schutzgrund annehmen zu kön- beileibe nicht alles gut. Sie kennen ja die SPD: Wir wol- nen, wird von den Menschenrechtsorganisationen und len noch viele andere Verbesserungen. Es ist aber eine dem UNHCR sowie im vorliegenden Antrag der Links- signifikante Verbesserung für die Menschen. fraktion mit dem Begriff der „kumulativen Verfolgung“ aus der EU-Qualifikationsrichtlinie argumentiert. Dem- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten nach soll auch die Beeinträchtigung von weniger der CDU/CSU) schwerwiegenden Rechten einen Anspruch auf Asyl be- Insofern freue ich mich für die Betroffenen und auch gründen können. Betont werden muss hier allerdings, für die gesamte Gesellschaft von Herzen über diese Ver- dass dies nur dann gilt, wenn die Rechtsverletzungen änderungen, wenn wir sie hinbekommen. oder Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtwirkung einer schweren Menschenrechtsverletzung gleichkommen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Meine Damen und Herren, es ist richtig, dass in Ser- der CDU/CSU) bien, Mazedonien sowie Bosnien und Herzegowina viele Menschen – darunter auch viele Sinti und Roma – auf- Vizepräsident Peter Hintze: grund der schwierigen wirtschaftlichen Lage und der ge- Als letzte Rednerin in dieser Debatte erhält die Abge- sellschaftlichen Probleme in großer Armut leben. ordnete Nina Warken, CDU/CSU-Fraktion, das Wort. Ebenso ist unumstritten, dass viele Roma in diesen Län- dern gesellschaftlich diskriminiert werden. Diskriminie- (Beifall bei der CDU/CSU) rung und soziale Ausgrenzung stellen zwar eine erhebli- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 40. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Juni 2014 3507

Nina Warken (A) che Härte dar, sind aber selten mit Verfolgung und Schuss, meine Damen und Herren Kollegen von der (C) Schaden im asylrechtlichen Sinn gleichzusetzen. Linksfraktion, am Ziel vorbei. Um diesem Problem zu begegnen, ist vielmehr drin- (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Michael gend ein Prozess des Umdenkens in der Gesellschaft die- Hartmann [Wackernheim] [SPD]) ser drei Balkanländer erforderlich. Dabei muss auch Wir sagen stattdessen: Lassen Sie uns das Augenmerk gesagt werden, dass sich die Regierungen dieser Länder auf die wirklich Hilfsbedürftigen richten, damit unsere bemühen, diesen Prozess des Umdenkens voranzutrei- Asylpolitik gerecht und durchführbar ist. Vor diesem ben. Es wurden Gesetze zum Schutz nationaler Minder- Hintergrund ist es richtig und verantwortungsvoll, dass heiten verabschiedet, und durch verschiedene Pro- die Bundesregierung nun einen Gesetzentwurf zur Ein- gramme wird versucht, die Lage der Roma zu stufung von Serbien, Mazedonien sowie Bosnien und verbessern, auch wenn sie bislang leider noch nicht die Herzegowina als sichere Herkunftsstaaten eingebracht erhoffte Wirkung erzielt haben. Ein solcher Prozess kann hat. Wie der Bundesinnenminister bereits erläutert hat, nicht von heute auf morgen Erfolg haben. können durch die Einstufung Asylanträge von Staatsan- Umso wichtiger ist es, dass wir gemeinsam mit unse- gehörigen aus diesen Ländern schneller bearbeitet wer- ren europäischen Partnern und Akteuren vor Ort im den, da sie grundsätzlich als offensichtlich unbegründet Zuge einer koordinierten Entwicklungszusammenarbeit betrachtet werden. Der Aufenthalt von nicht schutzbe- dafür sorgen, dass die notwendigen Maßnahmen ergrif- dürftigen Antragstellern kann künftig schneller beendet fen werden und die Hilfe bei den Betroffenen ankommt. werden, wodurch den tatsächlich Schutzbedürftigen Dazu müssen wir die Regierungen der drei Balkanländer mehr Aufnahmekapazitäten zur Verfügung stehen. diesbezüglich stärker in die Pflicht nehmen; denn diese Davon unabhängig kann dennoch jeder Antragsteller erhalten im Zuge des Stabilisierungs- und Assoziie- weiterhin im Verfahren Beweise vorlegen, dass in sei- rungsprozesses mit der EU beträchtliche Finanzhilfen nem konkreten Fall eine schwere Menschenrechtsverlet- zur Integration ihrer nationalen Minderheiten. zung vorliegt. Dadurch ist sichergestellt, dass die betrof- Vor diesem Hintergrund kann die Lage in Serbien, fenen Menschen im Einzelfall nach wie vor Schutz Mazedonien sowie Bosnien und Herzegowina, auch erhalten. wenn sie nach wie vor wirtschaftlich und sozial schwie- Gleichzeitig sollen mit dem Gesetzentwurf Asylbe- rig sein mag, nicht mit den Auswirkungen für die Betrof- werber schon nach drei Monaten Zugang zum Arbeits- fenen von Verfolgung oder anderen systematischen markt bekommen. Das bedeutet für viele Asylbewerber, Menschenrechtsverletzungen, wie etwa in Syrien oder die arbeiten können und wollen, eine Chance auf ein Afghanistan, gleichgesetzt werden. Vielmehr stellt sich selbstbestimmtes Leben, was dazu beitragen kann, das (B) bei der Prüfung der Asylanträge aus den Balkanstaaten (D) Trauma von Flucht und Verfolgung zu überwinden. in der Regel heraus, dass Armut und die wirtschaftlich Obendrein werden dadurch die Haushalte von Bund, schwierigen Verhältnisse in diesen Ländern die wahren Ländern und Kommunen entlastet. Gründe sind, zusammen mit der Gewissheit, dass jeder, der in Deutschland Asyl auch nur beantragt, bereits So- Liebe Kolleginnen und Kollegen, für die Akzeptanz zialleistungen erhält. Zu glauben, all dies sei kein An- des Asylrechts in der Bevölkerung ist es wichtig, dass reiz, um in Deutschland Asyl zu beantragen, ist naiv. Da- Asyl den tatsächlich Schutzbedürftigen vorbehalten für sprechen auch die erheblich gestiegenen Zahlen der bleibt. Das ist und muss der Maßstab für die Zuerken- Asylfolgeanträge aus den Balkanstaaten. Aus Sicht der nung dieses zentralen Menschenrechts bleiben. Ich spre- Antragsteller mag dieses Verhalten menschlich nachvoll- che mich deshalb dafür aus, auch die beiden weiteren ziehbar sein. Ihnen kann man es nicht verdenken, dass Balkanländer Albanien und Montenegro als sichere Her- sie alles tun, um ihre Situation zu verbessern. kunftsstaaten einzustufen; denn auch für diese beiden Länder gilt, dass dort keine Gefahr durch Verfolgung Auf der anderen Seite geht dieses Verhalten zulasten oder schwere Menschenrechtsverletzungen für die Men- der tatsächlich schutzbedürftigen Flüchtlinge, etwa aus schen drohen und nur in wenigen Einzelfällen Schutz ge- Syrien, die in ihrer Heimat verfolgt werden und jeden währt wird. Tag um ihr Leben bangen müssen. Diese Flüchtlinge müssen aufgrund der Flut von Anträgen aus den Balkan- Trotzdem ist die Zahl der Anträge von Asylbewerbern staaten oft länger als notwendig warten, bis über ihre aus diesen Ländern in jüngster Vergangenheit stark ge- Anträge entschieden werden kann. Zudem sind mittler- stiegen und hat sich innerhalb eines Jahres mehr als ver- weile – das haben wir gehört – die meisten Bundesländer zehnfacht. Besonders auffällig ist, dass es sich bei den bzw. Kommunen mit ihren Aufnahmekapazitäten Antragstellern überwiegend um junge Menschen han- schlicht an ihre Grenzen geraten. Wegen der Antragstel- delt, die zuvor schon in Griechenland oder Italien gelebt ler aus den Balkanstaaten können dort weniger Flücht- haben. Dass es in diesen Fällen vor allem um wirtschaft- linge aus den Krisenregionen aufgenommen werden. liche Motive geht, liegt aus meiner Sicht auf der Hand. Konzentrieren wir uns auf die wirklich Hilfsbedürfti- Mit dieser Einschätzung sind wir in Europa nicht al- gen, auf diejenigen, in deren Herkunftsländern Krieg, lein. Viele weitere EU-Mitgliedstaaten wie Frankreich, Verfolgung, Plünderungen und Unterdrückung herr- Belgien, Luxemburg, Österreich und Großbritannien ha- schen. Der Antrag der Linksfraktion differenziert nicht ben nicht nur Serbien, Mazedonien sowie Bosnien und richtig. Es wird versucht, für alle irgendwie einen An- Herzegowina, sondern auch Albanien und Montenegro spruch auf Aufnahme zu begründen. Damit geht der bereits als sichere Herkunftsstaaten eingestuft. 3508 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 40. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Juni 2014

Nina Warken (A) Dem Versuch, die Asylgründe so weit auszudehnen, Sanktionen bei Hartz IV und Leistungsein- (C) dass allein aufgrund von Armut und sozialen Problemen schränkungen bei der Sozialhilfe abschaffen ein Asylrecht besteht, möchte ich eine entschiedene Ab- sage erteilen. Drucksache 18/1115 Überweisungsvorschlag: (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Michael Ausschuss für Arbeit und Soziales (f) Hartmann [Wackernheim] [SPD]) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Unser Asylsystem würde unter dem zu erwartenden An- sturm kollabieren. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 96 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei- Zudem verwahre ich mich gegen den Vorwurf der nen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Linken, Roma seien in Deutschland unerwünscht. Ganz im Gegenteil! Lassen Sie mich dies so klar formulieren Als erster Rednerin erteile ich der Abgeordneten – womit ich dann auch zum Ende kommen möchte –: Katja Kipping, Fraktion Die Linke, das Wort. Deutschland ist sich seiner historischen Verantwortung (Beifall bei der LINKEN) sehr bewusst. Deshalb ist es auch richtig, dass die Gruppe der Sinti und Roma als nationale Minderheit in Katja Kipping (DIE LINKE): unserem Land anerkannt ist und einen besonderen Schutz und eine spezifische Förderung erhält. Gerade Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Linke deshalb müssen wir unbedingt darauf hinwirken, dass meint: Das Existenzminimum, also das Mindeste, was Roma denselben Schutz auch in Serbien, Mazedonien ein Mensch zum körperlichen und sozialen Überleben sowie Bosnien und Herzegowina genießen. braucht, darf nicht gekürzt werden. Meine Damen und Herren, vor Ort kann damit viel (Beifall bei der LINKEN) mehr Menschen geholfen und ein Beitrag zur Verbesse- Deshalb bringe ich heute den Antrag ein, die Sanktionen rung des gesellschaftlichen Zusammenlebens in den si- bei Harz IV und Leistungseinschränkungen bei der So- cheren Herkunftsstaaten geleistet werden. Lassen Sie zialhilfe abzuschaffen. uns das tun. Wir sagen Ja zur Sanktionsfreiheit. Das ist für uns ein Lassen Sie mich am Ende der Debatte noch eine An- erster wichtiger Schritt zu einer sanktionsfreien Mindest- merkung an meine Kolleginnen und Kollegen aus dem sicherung, und das wiederum ist ein Meilenstein auf dem Innenausschuss richten und erklären, warum wir bzw. Weg zu einer angstfreien Gesellschaft. unser Obmann bislang einem gemeinsamen flüchtlings- (B) politischen Antrag eine Absage erteilt haben. Ich glaube, (Beifall bei der LINKEN) (D) wir führen im Innenausschuss eine sehr moderate und in Über 1 Million Sanktionen wurden im Jahr 2013 ver- Teilen auch konstruktive Debatte zu diesem Thema. hängt. Um den Begriff „Sanktionen“ noch einmal zu er- Aber hier wurde heute aus meiner Sicht diametral anders läutern: Sanktion bedeutet, dass das ohnehin niedrige diskutiert als im Ausschuss. Arbeitslosengeld II gekürzt wird, und zwar im ersten (Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Schritt um 30 Prozent, dann um 60 Prozent, und am NEN]: Jetzt habt ihr endlich eine Begrün- Ende komplett gestrichen wird. dung!) Um Missverständnisse auszuschließen, möchte ich Deswegen sehe ich auf dieser Grundlage momentan Folgendes klarstellen: Wenn wir das schikanöse Hartz-IV- keine Veranlassung zu einem gemeinsamen Antrag aller System kritisieren, dann meinen wir damit ausdrücklich Fraktionen in dieser Frage. nicht die vielen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Bundesagentur und den Jobcentern, die unter schweren Herzlichen Dank. Umständen arbeiten und nach besten Kräften versuchen, (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- die Betroffenen zu unterstützen. Ihnen gilt unser Dank neten der SPD) und Respekt. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsident Peter Hintze: Meine Kritik gilt den politisch Verantwortlichen, also Ich schließe die Aussprache. all jenen Bundestagsabgeordneten, die immer wieder Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf Nein zur Sanktionsfreiheit gesagt haben. Davon gibt es den Drucksachen 18/1528 und 18/1616 an die an der Ta- leider noch viel zu viele, und ich finde, das muss sich än- gesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. dern. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann (Beifall bei der LINKEN) sind die Überweisungen beschlossen. Die Gegner der Sanktionsfreiheit bedienen sich unter Ich rufe den Tagesordnungspunkt 27 auf: anderem, vereinfacht ausgedrückt, folgender Behaup- Beratung des Antrags der Abgeordneten Katja tung: Wer suchet, der findet. Also im Klartext: Wer er- Kipping, Sabine Zimmermann (Zwickau), werbslos ist, ist selber schuld. Die Mathematik spricht Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeordneter eine andere Sprache. Ich habe mich informiert: Das Ver- und der Fraktion DIE LINKE hältnis von offenen Stellen zu offiziell Erwerbsarbeitsu- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 40. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Juni 2014 3509

Katja Kipping (A) chenden war im vergangenen Jahr eins zu neun, wenn lich ein Sozialgesetzbuch sein. Ich erlebe es zunehmend (C) man nur die offensichtlichen statistischen Tricks heraus- als Strafgesetzbuch. nimmt. Auf eine offene Stelle kommen also neun Er- werbsarbeitsuchende. Das heißt, egal wie sich diese (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Meine neun anstrengen: Acht von ihnen müssen nach mathema- Güte! Jetzt sinkt das Niveau noch tiefer!) tischen Grundsätzen leer ausgehen. Ja, Sanktionen sind Ausdruck eines paternalistischen Er- Halten wir also fest: Erwerbslosigkeit ist keine indivi- ziehungsstaates. Das steht in der Tradition des Arbeits- duelle Schuld; sie hängt mit dieser Wirtschaftsweise zu- hauses. Erwachsene werden als Erziehungsbedürftige sammen. Deswegen müssen wir da ansetzen. betrachtet. Wir als Linke sagen Nein zu diesem paterna- listischen Verständnis. Wir sagen Ja zu einem demokrati- (Beifall bei der LINKEN) schen Sozialstaat, der von demokratischen und sozialen Rechten ausgeht. Für uns ist es nicht hinnehmbar, wenn Ein weiteres Gegenargument, das ein Redner der Erwachsene als Erziehungsbedürftige behandelt werden. CDU/CSU vor einigen Jahren bedient hatte, lautet: Sanktionen betreffen nur 3 Prozent aller Leistungsbe- (Beifall bei der LINKEN) rechtigten; wenn wir uns darum kümmern, dann machen wir Politik vom Rande her. Ich finde, das ist eine unge- Es gibt einen weiteren Grund für uns. Das Regelsatz- heuerliche Ignoranz gegenüber Menschen, die in einer urteil des Bundesverfassungsgerichts besagt ganz klar: besonderen existenziellen Notlage sind. Das Grundrecht auf Gewährleistung eines men- (Beifall bei der LINKEN) schenwürdigen Existenzminimums ist dem Grunde nach unverfügbar … Es stimmt vor allen Dingen nicht, weil die Möglichkeit einer Sanktion, dieses Damoklesschwert, viele bedroht Weiter heißt es: und verunsichert. Der gesetzliche Leistungsanspruch muss so ausge- Die Sanktionen sind auch ein Angriff auf die Mitte. staltet sein, dass er stets den gesamten existenznot- Deswegen ist die Standardantwort vonseiten der CDU/ wendigen Bedarf jedes individuellen Grundrechts- CSU so verlogen, man müsse auch an diejenigen den- trägers deckt. ken, die von früh bis abends arbeiten. Ja, wenn Sie die Ich wiederhole: „Unverfügbar“ und „stets“ muss es den Mitte steuerlich entlasten wollen, können Sie das ma- notwendigen Bedarf decken. Beim soziokulturellen chen. Sorgen Sie mit uns gemeinsam für Steuergerech- Existenzminimum handelt es sich also um ein Grund- tigkeit! Aber tun Sie nicht so, als ob die Verkäuferin, der recht, und Grundrechte kürzt man einfach nicht. Lehrer, die Kindergartenerzieherin oder der Kranken- (B) (D) pfleger einen Cent mehr in der Tasche hätten, nur weil (Beifall bei der LINKEN) Erwerbslose noch schärfer und weiter sanktioniert wer- Vor einigen Wochen fand im Petitionsausschuss die den. Das ist einfach verlogen. öffentliche Behandlung der Massenpetition zur Abschaf- (Beifall bei der LINKEN) fung der Sanktionen gegen Inge Hannemann statt. Viele Betroffene sind zu diesem Termin angereist, um zuzuhö- Wir wissen doch: Das Gegenteil ist der Fall. Das ist offi- ren. Meine Fraktion hat danach die Betroffenen zu ei- ziell durch das IAB belegt worden. Im Zuge von nem Fachaustausch eingeladen. Wir haben Expertinnen Hartz IV hat die Bereitschaft zugenommen, schlechte und Experten der Praxis angehört. Ich habe in den zwei- Löhne und familienunfreundliche Arbeitszeiten zu akzep- einhalb Stunden, in denen ich zugehört habe, viele be- tieren. Hartz IV ist also auch ein Angriff auf das Lohnge- rührende Berichte vernommen, die mir gezeigt haben, füge. Deswegen liegt die Abschaffung der Hartz-IV-Sank- wie sehr Hartz IV Spuren auf den Seelen der Betroffe- tionen im Interesse sowohl von Erwerbslosen und prekär nen hinterlassen hat. Am Ende habe ich die Frage aufge- Beschäftigten als auch von Kernbelegschaften. worfen: Wir haben uns nun ausgetauscht, wer und was (Beifall bei der LINKEN) alles unter Hartz IV leidet. Aber gibt es auch Profiteure von Hartz IV? Die Antwort lautete: Ja. Denn im Zuge Ein weiteres Vorurteil lautet, Sanktionen träfen nur von Hartz IV ist die Bereitschaft gestiegen – ich sprach diejenigen, die den ganzen Tag faul vor dem Fernseher bereits darüber –, schlechtere Arbeitsbedingungen zu ak- sitzen. Die offiziellen Zahlen sprechen eine andere Spra- zeptieren. Ja, ein Ziel von Hartz IV war und ist auch, che. 72 Prozent der Sanktionen gehen auf Meldever- Menschen gefügig zu machen und die Widerstandsfähig- säumnisse zurück. Möglicherweise sind die Betroffenen keit zu schwächen. nicht zu einem Termin erschienen, weil sie keinen Brief erhalten haben oder Angst hatten, den Brief zu öffnen, (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Oh der in einer Sprache verfasst ist, die für viele bedrohlich Mann!) wirkt. Nur 12 Prozent der Sanktionen gehen zurück auf – Mir ist schon klar, dass Sie das nicht gerne hören. mögliche Ablehnungen von Maßnahmen oder Arbeits- plätzen. Darunter sind Maßnahmen, die oft nichts ande- (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Nein, ich res als eine fragwürdige Beschäftigungstherapie für Er- kann diesen Unsinn kaum noch ertragen!) wachsene darstellen. Um es auf den Punkt zu bringen: In der Auseinander- Ich habe mich mit einer Sozialarbeiterin aus Neukölln setzung zwischen oben und unten stärkt Hartz IV die Be- unterhalten. Sie sagte mir: Das SGB sollte doch eigent- sitzenden und schwächt diejenigen, die nur ihre Arbeits- 3510 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 40. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Juni 2014

Katja Kipping (A) kraft als Ware haben. Deswegen werden wir, die Linke, Berlin und Thüringen, denen ich Ihren Antrag vorgelegt (C) uns niemals mit Hartz IV zufriedengeben. habe und die ich gebeten habe, diesen zu bewerten. Das Gespräch mit den Fachleuten in den Jobcentern hat mich (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Welt- darin bestärkt, dass ich mit meinem Gefühl der Ableh- weit werden wir geachtet und bewundert für nung Ihres Ansinnens doch richtig liege. unsere soziale Sicherheit! Machen Sie die Au- gen auf für die Realität in Deutschland!) (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Wolfgang Wir sagen ganz klar: Wer wie wir eine angstfreie Gesell- Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- schaft möchte, der muss Hartz IV und vor allem die NEN]: Es geht um Argumente, nicht um Ge- Hartz-IV-Sanktionen abschaffen und eine sanktionsfreie fühle!) Mindestsicherung einführen. Überall sind Regeln notwendig, in der Schule, im Vielen Dank. Verkehr, so auch in der Politik wie hier im Deutschen Bundestag. Es hat mit Fairness, Gerechtigkeit und Ver- (Beifall bei der LINKEN) antwortung zu tun, dass wir ein solches Sanktionssystem haben. Wir müssen ein solches haben; denn wenn unser Vizepräsident Peter Hintze: Sozialsystem nicht ausgenützt würde, dann brauchten Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abge- wir solche Sanktionen nicht. ordneten Albert Weiler, CDU/CSU-Fraktion. Das ist Fairness gegenüber den Arbeitnehmern und (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Arbeitgebern, die diesen Sozialstaat erst ermöglichen, neten der SPD) und – das wird oft vergessen – gegenüber den arbeits- losen Menschen, die sich regelkonform verhalten. Die Albert Weiler (CDU/CSU): Jobcentermitarbeiter bestätigten mir, dass gegenüber Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen 97 Prozent der Hartz-IV-Bezieher keine Sanktionen ver- und Kollegen! Liebe Frau Kipping, ich selbst habe nach hängt werden bzw. verhängt werden müssen. Dieser meinen Ausbildungen bei der Eisenbahn Klos geputzt, Großteil will ernsthaft aus seiner Notsituation heraus- ich habe Wagen gereinigt, aus den Aschenbechern Kau- kommen und einen Job finden. Lediglich 3 Prozent der gummis herausgekratzt und fühlte mich dabei nicht un- Hartz-IV-Empfänger sind von Sanktionen betroffen. Wir wohl; denn das war meine Arbeit, und ich wollte nicht sprechen hier wahrlich nicht von einem Massenphäno- arbeitslos werden. Sicherlich wollte ich das nicht auf men, wie Sie es immer wieder darstellen, Dauer machen, aber ich habe es gemacht, weil ich nicht arbeitslos werden wollte. Ich fühle mich von Ihnen diffa- (Katja Kipping [DIE LINKE]: Wie ich in mei- (B) (D) miert. Keine Arbeit ist schändlich. Jeder soll für seine ner Rede sagte: Die anderen erleben es als Be- Arbeit geehrt werden. Das ist wichtig. Ich ehre jeden, drohung!) egal was er tut, auch wenn er, wie ich es getan habe, um Wahlkampfpropaganda zu betreiben. Wir haben Aschenbecher saubermacht. schließlich in Thüringen und Sachsen wieder Wahl- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) kampf. Jetzt versuchen Sie, die Randgruppen noch wei- ter an den Rand zu drängen, um zu zeigen, dass Sie die Es ist wieder einmal so weit. Der obligatorische An- Guten sind, die gewählt werden sollen. Das tun Sie in trag der Linken zur Abschaffung der Sanktionen bei dem Wissen, dass man nichts erreicht; aber Sie wollen Hartz IV ist da. Zum wiederholten Mal beschäftigt sich nur Stimmen fischen. der Deutsche Bundestag mit diesem Antrag der Linken. Ich würde mir sehr wünschen, dass die Linken end- (Katja Kipping [DIE LINKE]: Wir hören auf, lich damit aufhören, Politik vom Rand aus zu betreiben sobald Sie zustimmen!) und so zu tun, als sei die Mehrheit der Gesellschaft von Es war sicherlich nicht das letzte Mal. diesem Problem betroffen. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Er kommt (Beifall bei der CDU/CSU – Katja Kipping so lange, bis die Sanktionen weg sind!) [DIE LINKE]: Von Wohnungslosigkeit sind auch nicht alle betroffen! Wieso interessieren Ich habe recherchiert. Allein in den letzten zwei Wahlpe- Sie die dann?) rioden ist immer wieder ein derartiger Antrag von Ihnen eingebracht, diskutiert und abgelehnt worden. Ich sehe, Wir nehmen die gesamte Gesellschaft in den Blick dass Ihre Führungsspitze nicht da ist; dann ist das wohl und sorgen dafür, dass mit unserer Politik die guten Rah- auch Ihnen gar nicht so wichtig. Das ist eher Wahl- menbedingungen erhalten bleiben. kampfpropaganda. So werden wir auch heute wieder da- mit verfahren. Lassen Sie uns also die bekannten Argu- Wann bedankt sich die Partei Die Linke eigentlich bei mente, die wir schon so oft ausgetauscht haben, noch den über 42 Millionen Arbeitnehmerinnen und Arbeit- einmal austauschen. Ich bin gerne bereit dazu. nehmern, Kopfschütteln und Kommentare wie „Schwachsinn“, (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Wir ha- „Geht’s noch?“ und „Man nimmt uns damit das letzte ben nicht 42 Millionen Arbeitnehmerinnen Mittel, das wir haben“ waren nur ein Teil der Reaktionen und Arbeitnehmer! Wir haben 29 Millionen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus Jobcentern in Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer!) Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 40. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Juni 2014 3511

Albert Weiler (A) die durch ihr fleißiges Tun und ihre Steuern und Abga- staats angeboten werden – das ist gut so –, können keine (C) ben erst ermöglichen, dass wir überhaupt Hartz IV zah- Anträge gestellt, kann keine Untersuchung stattfinden, len können? kann kein Anspruch geprüft werden, kann aber auch kein Geld ausgezahlt und keine Leistung erbracht wer- (Beifall bei der CDU/CSU) den. Es kann doch nicht sein, meine Damen und Herren, Schauen wir uns doch einmal die Zahlen an. Worüber dass ich einen angebotenen Job ablehne oder zu Termi- reden wir hier eigentlich? 2013 wurden laut Statistik der nen unentschuldigt nicht erscheine und trotzdem unkon- Bundesagentur für Arbeit rund 1 Million Sanktionen ge- trolliert Steuermittel von fleißigen Arbeitern einkassiere. genüber Menschen mit Hartz-IV-Bezug verhängt. Circa Das geht nicht. 726 000 Personen melden sich einfach nicht auf Schrei- (Beifall bei der CDU/CSU) ben der Jobcenter. Frau Kipping hat versucht, das klein- zureden. Das ist der Kern des Ganzen: In einer guten Gesellschaft muss jeder seinen Beitrag leisten. Regeln müssen von al- (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Sie hat len eingehalten werden. Gegen Regeln zu verstoßen und es gut erklärt!) weiter Geld einzukassieren, ist in unserem Sozialstaat Aber wenn ich Arbeit habe, dann muss ich mich auch Gott sei Dank verboten. Das ist nicht lediglich eine melden, wenn ich krank bin oder nicht kommen kann. rechtliche Frage, sondern betrifft auch das Funktions- Andere weigern sich sogar, eine Arbeit anzunehmen. Ich prinzip der Solidarität. Sie gilt für alle Seiten. habe selbst auf Stellen gearbeitet, auf denen man nicht An dieser Stelle gilt mein besonderer Dank den vielen unbedingt arbeiten will, aber ich habe es getan. Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in den deutschen Job- Manche weigern sich, eine Ausbildung aufzunehmen. centern, die eine hervorragende Arbeit machen. Sie sind Rund 5 000 von den vollsanktionierten Personen sind in einem sehr sensiblen Bereich tätig; denn sie haben es unter 25 Jahre. Es sind also junge Leute, die nicht arbei- mit arbeitslosen Menschen zu tun, die sich teilweise in ten wollen. Das geht nicht. einer sehr schwierigen persönlichen Situation befinden, und sie müssen sich individuell auf diese Arbeitslosen Die Sanktionen fallen nicht plötzlich und unangekün- einstellen. Das ist für beide Seiten nicht einfach. Dafür digt vom Himmel. In jeder Einladung zu einem Ge- noch einmal vielen Dank an die Mitarbeiterinnen und spräch mit dem Betreuer im Jobcenter wird schriftlich Mitarbeiter der Jobcenter! darauf hingewiesen, dass bei unentschuldigtem Nichter- scheinen oder bei Ausbleiben einer Rückmeldung eine (Beifall bei der CDU/CSU) Kürzung von 10 Prozent der Leistungen droht. Dem, der An die Kolleginnen und Kollegen der Fraktion Die es dann noch nicht verstanden hat, drohen noch mehr (B) Linke gerichtet – passen Sie noch einen Moment auf; ich (D) Kürzungen. Zudem werden die Rechtsbelehrungen im- bin gleich fertig –: mer wieder mündlich im persönlichen Gespräch zwi- schen dem Betreuer und dem Empfänger vorgetragen. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Wir Es ist sogar so, dass Betreuer und Empfänger gemein- sind ganz Ohr!) sam eine Vereinbarung unterzeichnen, in der explizit auf Nur weil man einen Antrag immer wieder hervorholt, die Möglichkeit von Sanktionen hingewiesen wird. wird er nicht besser und nicht richtiger. Noch viel Es kann mir keiner erzählen, dass man keine Rück- schlimmer: Mit Umsetzung dieses Antrags würde nicht meldung auf eine Einladung zum Gespräch im Jobcenter ein einziger Langzeitarbeitsloser in Arbeit gebracht. geben kann. Jeder Arbeitnehmer muss sich beim Arbeit- (Katja Kipping [DIE LINKE]: Mit Ihrer Rede geber melden, wenn er krank ist oder einen wichtigen aber auch nicht!) Termin wahrnehmen muss. Das ist, liebe Freunde, ganz einfach Ausdruck gesunden Menschenverstands. Den Gerade das muss unser Ziel sein. würde ich Ihnen gerne unterstellen. Im Moment fällt es Bitte sorgen Sie dafür, dass sich Firmen in unserem mir schwer. Land ansiedeln, und bringen Sie Leute in Arbeit. Dann (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU) tun Sie mehr, als nur den Betrieb zu stören. Wenn man sich nicht bewerben will, folgen Sanktio- (Katja Kipping [DIE LINKE]: Also das ent- nen, und das halte ich für richtig. Schließlich muss es scheiden wir in einer Demokratie noch selbst, das Ziel sein, einen Arbeitslosen wieder in Arbeit zu was für einen Antrag wir einbringen! Was für bringen. Es ist nun einmal so, dass die Arbeit nicht vom ein Parlamentsverständnis! – Matthias W. Himmel fällt. Ohne Bewerbung kein Job! Deshalb wol- Birkwald [DIE LINKE]: Ganz dünnes Eis!) len wir den Betroffenen helfen, durch Bewerbungen wie- Gerne diskutieren wir hier mit Ihnen, wie wir Menschen der Arbeit zu finden. ohne Arbeit wieder in Lohn und Brot bringen. Ein An- (Katja Kipping [DIE LINKE]: Was sagen Sie trag aber, der auf Spaltung der Gesellschaft fokussiert ist zu den von mir angeführten statistischen Da- und nur der Wahlpropaganda dient, ist falsch und muss ten?) daher, auch wenn wir Wahlkampf haben, heute zum wie- derholten Male abgelehnt werden, egal wie leid Ihnen Das Stichwort „Mitwirkungspflichten“ findet sich in das tut. allen Zweigen des Sozialgesetzbuches. Ohne die Mitwir- kung der Menschen, für die die Leistungen des Sozial- Vielen Dank. 3512 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 40. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Juni 2014

Albert Weiler (A) (Beifall bei der CDU/CSU – Katja Kipping so zu ändern, dass sie den Maßstäben des Grundgesetzes (C) [DIE LINKE]: Aber Sie wissen schon, dass aber auch den Maßstäben einer inklusiven Gesellschaft das die erste Lesung ist? Ihr Parlamentsver- genügen, also Menschen nicht ausgrenzt werden und ständnis ist ja sowieso fragwürdig!) Teilhabe gefördert wird. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Peter Hintze: Nächster Redner ist der Kollege Dr. Wolfgang An der Stelle eine kleine Anmerkung zu den Vorstel- Strengmann-Kuhn, Bündnis 90/Die Grünen. lungen der Linken. Ich glaube, man muss auch darüber nachdenken, ob die sofortige Abschaffung aller Sanktio- nen diesem Anspruch tatsächlich gerecht wird oder ob Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (BÜNDNIS 90/ nicht die komplette Abschaffung der Sanktionen auch DIE GRÜNEN): dazu führen kann – wohlgemerkt: unter den derzeitigen Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bedingungen –, dass Menschen von gesellschaftlicher Herr Kollege Weiler, Sie haben angekündigt, dass Sie Teilhabe und aus der Gesellschaft ausgegrenzt werden. Argumente gegen den Antrag der Linken vorbringen Ich stelle das einmal als eine Frage in den Raum, über wollen. Ich habe kein einziges Argument gehört. die man intensiv nachdenken müsste. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Guter und bei der LINKEN – Bernhard Kaster Gedanke!) [CDU/CSU]: Waren Sie draußen?) Was heißt das, wenn wir sagen: „Menschen müssen in Stattdessen wird ein Menschen- und Gesellschaftsbild die Gesellschaft hereingeholt werden, dürfen nicht aus- verbreitet, das eigentlich weder zu unserem Grundgesetz gegrenzt werden“? Das heißt, wir müssen Barrieren ab- noch zum gesellschaftlichen Konsens passt. bauen, wir müssen Hürden abbauen, wir müssen Mauern (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN einreißen, und wir müssen Türen aufschließen, die ver- und bei der LINKEN) hindern, dass Menschen in die Gesellschaft hineinkom- men. Die derzeitige Sanktionspraxis schafft das nicht. Wir haben an dieser Stelle vor zwei Wochen einen Zwei Beispiele: Festakt aus Anlass des 65. Jahrestages der Verkündung des Grundgesetzes mit einer großartigen Rede von Totalsanktion. Dass Menschen eine Leistung kom- Navid Kermani erlebt. plett verweigert wird, das geht unseres Erachtens nicht. Meines Erachtens ist das auch nicht mit dem vom Ver- (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) fassungsgericht festgestellten Grundrecht auf Gewäh- (B) (D) Artikel 1 des Grundgesetzes beginnt mit den Worten: rung eines Existenzminimums vereinbar. Dass Men- „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Das Bun- schen gar nichts bekommen, das geht so nicht. desverfassungsgericht leitet aus Artikel 1 und aus Arti- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN kel 20 des Grundgesetzes ein Grundrecht auf Gewäh- und bei der LINKEN) rung eines menschenwürdigen Existenzminimums ab. Ich finde, dieses Grundrecht müssen wir rechtfertigen, Wir hatten dazu schon Anhörungen im Ausschuss; da ist verteidigen und den Menschen tatsächlich gewähren. dieser Punkt von allen Experten kritisiert worden, auch von den Verfassungsrechtlern. Wir haben jetzt die Bun- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN desregierung einmal gefragt, wie viele Fälle das eigent- und bei der LINKEN) lich sind. Es sind 9 000 Fälle. Da kann man sagen: Das Aber die Frage der Sanktionen ist nicht nur eine sind nicht viele. Aber: 9 000 Menschen, denen das Exis- rechtliche Frage. Es geht darum: In welcher Gesellschaft tenzminimum tatsächlich verweigert wird – das müssen wollen wir tatsächlich leben? Wir Grüne wollen in einer wir dringend ändern. Gesellschaft leben, die inklusiv ist, in der niemand aus- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gegrenzt wird und in der jeder Mensch ein Recht auf sowie bei Abgeordneten der LINKEN) selbstbestimmte gesellschaftliche Teilhabe hat. An die- sen Maßstäben – Grundrecht auf Existenzminimum und Von diesen 9 000 Menschen sind 5 000 Menschen unter eine gesellschaftliche Realität, die allen selbstbestimmte 25 Jahre. Wir finden, gerade bei jungen Menschen muss Teilhabe ermöglicht – messen wir auch die Sanktionen. man darauf achten und ihnen dabei helfen, dass sie in die Wenn wir uns die derzeitige Sanktionspraxis angucken, Gesellschaft hineinkommen. stellen wir fest, dass die Sanktionen zurzeit diesen Maß- stäben nicht genügen. (Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Richtig! Genau so! Ja!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Zweitens. Wir haben besonders scharfe Sanktionsre- geln für die unter 25-Jährigen. Das ist von der letzten Gro- Die meisten Sanktionen sind in der Tat demütigend, ßen Koalition eingeführt worden. Auch das wurde von al- sie sind häufig unnötig, und sie sind meist auch kontra- len Verfassungsrechtlern als problematisch bezeichnet. produktiv. Deswegen sagen wir: Wir brauchen ein Sank- Insbesondere Altersdiskriminierung ist da ein rechtli- tionsmoratorium. Die Zeit, in der die Sanktionen ausge- ches Problem. Diese schärferen Sanktionsregeln für un- setzt werden, sollten wir nutzen, um die Sanktionsregeln ter 25-Jährige gehören also abgeschafft. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 40. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Juni 2014 3513

Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (A) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN durch eine gute Familienpolitik, die Familien mit Zeit, (C) sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Geld und guter Betreuung unterstützt. Schließlich ist es wichtig, noch einmal die Bedeutung (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) einer Grundsicherung für die Gesellschaft insgesamt zu Man verändert Arbeitsbedingungen nicht dadurch, betonen. Für uns als Freiheitspartei dass man alle Menschen alimentiert und eine eigenstän- (Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Liberale dige Existenzsicherung überflüssig macht, sondern Seite! – Weitere Zurufe von der CDU/CSU: durch solidarisches gewerkschaftliches Handeln und Oh!) durch gute gesetzliche Rahmenbedingungen. Einen gro- ßen Schritt in die richtige Richtung haben wir gestern ist es wichtig, dass die Selbstbestimmung der Menschen mit der Verabschiedung des Tarifpakets bereits gemacht. gewährleistet wird. Zur Selbstbestimmung gehört eine (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) verlässliche Grundsicherung als Existenzsicherung in al- len Lebenslagen unmittelbar dazu. Eine stabile Grund- Statt den Menschen Scheinfreiheit unbegrenzter eh- sicherung ist die Voraussetzung für ein selbstbestimmtes renamtlicher Arbeit zu geben, wollen wir ihnen die Frei- Leben. heit geben, durch eigenes Einkommen ihr Leben selber in die Hand zu nehmen. Aus Ihrer Sicht ist Fördern und Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. Fordern Ausdruck eines paternalistischen Sozialstaates, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN aus unserer Sicht ist es Ausdruck eines emanzipatori- sowie bei Abgeordneten der LINKEN) schen Sozialstaats. (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Zurufe Vizepräsident : von der LINKEN) Vielen Dank. – Für die Sozialdemokraten spricht jetzt Die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozial- die Kollegin Dagmar Schmidt. hilfe hat für viele Menschen die Tür zu Hilfe und Unter- stützung geöffnet. Wir wollen keinen Sozialhilfestaat (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten mehr, der Menschen alimentiert und dann links liegen der CDU/CSU) lässt. Fördern und Fordern heißt: Wir brauchen alle, wir wollen alle, wir erwarten von allen etwas, aber wir geben Dagmar Schmidt (Wetzlar) (SPD): auch allen Hilfe und Unterstützung. Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kollegin- Damit komme ich zu den Sanktionen. Entscheidend nen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Be- dafür, dass es gelingt, Arbeitslose in gute Jobs zu brin- (B) (D) vor ich zu den Sanktionen direkt komme, möchte ich et- gen, ist neben dem eigenen Engagement eines jeden Ein- was Grundsätzliches zum Sozialstaatsverständnis sagen, zelnen – wir lassen da auch keinen raus – all das, was weil Sie diesen Punkt nicht nur in Ihrem Antrag, sondern wir zur Förderung und Unterstützung zur Verfügung auch in Ihrer Rede angesprochen haben. stellen. „Wir lassen den Einzelnen nicht raus“ heißt aber Es ist für uns selbstverständlich, dass der Sozialstaat auch, dass wir Sanktionen nicht grundsätzlich abschaf- ein menschenwürdiges Existenzminimum sichern muss. fen wollen. Ob sie in der jetzigen Form aber die Ziele Aber es sollte genauso selbstverständlich sein, dass alle erreichen, die wir damit erreichen wollen, ist fraglich. Menschen, die es können, auch ihren Beitrag zur Ent- Darüber muss geredet werden. Deswegen haben wir ge- wicklung und zum Wohlstand unserer Gesellschaft leis- meinsam im Koalitionsvertrag verabredet, dass wir uns ten und sich bemühen, ihren Lebensunterhalt selbststän- vor allem mit der Überprüfung der Sanktionsregelungen dig zu verdienen. und der Sanktionspraxis für die unter 25-Jährigen be- schäftigen wollen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Wir haben darüber hinaus beschlossen, dass wir uns Wir sind uns wahrscheinlich einig, dass die ganz große mit den Ergebnissen der Bund-Länder-Arbeitsgruppe Mehrheit genau das auch möchte. zur Rechtsvereinfachung im SGB II beschäftigen wer- den, Die Menschen sind unterschiedlich. Sie haben unter- schiedliche Voraussetzungen und befinden sich in unter- (Katja Kipping [DIE LINKE]: Dann bekom- schiedlichen Lebenslagen. Man kann nicht von allen das men wir eine Verschärfung!) Gleiche erwarten. Aber dass man etwas von den Men- und zwar dahin gehend beschäftigen werden – das steht schen erwartet, das hat auch etwas mit Respekt zu tun. auch so im Koalitionsvertrag –, dass wir Verbesserungen Ich will keine Grundsatzdebatte zum bedingungslosen sowohl für die Arbeitslosen als auch für die Verwaltung Grundeinkommen führen. Ich will aber ein paar kleine erreichen wollen. Worte dazu verlieren, weil es in Ihrem Antragstext zu- mindest angedeutet ist. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Diese Ergebnisse werden bald auf dem Tisch liegen und Chancengleichheit stellt man nicht dadurch her, dass sicher eine gute Grundlage für eine spannende und hef- man Menschen bedingungslos alimentiert, sondern tige Debatte werden. durch eine aktive, gute und gerechte Bildungspolitik, die individuell fördert mit Ganztagsschulen und die einen (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das ist Nachteilsausgleich für sozial Schwächere vorsieht, und richtig!) 3514 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 40. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Juni 2014

Dagmar Schmidt (Wetzlar) (A) Ich persönlich kann mir vorstellen, dass wir uns an Der zweite Punkt – Sie haben es angesprochen –: (C) der Stelle vor allem über die Frage der Gleichbehand- Sind die Schriftstücke, die informieren und darüber auf- lung der unter und über 25-Jährigen unterhalten; denn klären sollen, welche Rechte und Pflichten man hat, für die Unterscheidung in Altersgruppen hat sich weder als alle wirklich immer so verständlich, dass daraus das gerecht noch als zielführend erwiesen. richtige Handeln resultieren kann? (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Mit diesen Fragen möchten wir uns gerne in Zukunft der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE beschäftigen. GRÜNEN) Die Reform des SGB II ist ein steter Prozess. Wir alle Ich möchte an der Stelle der Debatte noch nicht vor- haben die Aufgabe, zu überprüfen, ob die angewandten greifen, aber zumindest möchte ich einen kurzen Ein- Mittel die bestmöglichen sind, um zu den Zielen zu füh- druck davon vermitteln, was nach meinen Vorstellungen ren, die wir erreichen wollen. Unser sozialpolitisches noch auf den Tisch kommen müsste. Auch mit der Ziel ist es aber eben nicht, Arbeitslosigkeit zu bezahlen Frage, ob die Sanktionen auf den Bereich der Kosten der und uns mit Ihnen über die Höhe der Transferleistungen Unterkunft ausgedehnt werden sollten, müssen wir uns zu streiten. Unser Ziel ist es, Menschen in Arbeit zu beschäftigen. Dies ist nämlich ein Punkt, der ganz hart in bringen, und zwar zu guten Bedingungen und so, dass die Existenz von Menschen eingreift. sie sich und ihre Familien ernähren können. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) CDU/CSU) Die allermeisten Menschen wollen arbeiten und stolz auf Wir werden uns darüber unterhalten, welche Sanktion das Geschaffene sein. wofür angemessen und was an dieser Stelle zielführend Wir sind der Auffassung, dass „Menschen in Arbeit ist. zu bringen“ Ausdruck eines emanzipatorischen Sozial- Zum Weg in die selbstständige Existenzminderung staatsverständnisses ist. Wir wollen alles dafür tun, die gehört Förderung genauso wie eigenes Engagement. Es notwendige Hilfe und Unterstützung zu gewährleisten, gehört dazu, Erwartungen zu formulieren und sich dann auch und gerade für die, die es besonders schwer haben; auf Vereinbarungen verlassen zu können. Wenn nicht, frei nach Abraham Lincoln: dann muss man auch mit Sanktionen rechnen. Das ist in Je schwerer etwas fällt, desto größer die Freude, anderen gesellschaftlichen Bereichen nicht anders. Wer wenn es uns gelingt. Vereinbarungen, wer Verträge, wer Verabredungen bricht, muss mit Konsequenzen rechnen. Das ist nicht (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie (B) paternalistisch, sondern hat etwas mit einem normalen der Abg. Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE (D) und respektvollen Umgang miteinander zu tun. GRÜNEN])

(Zuruf von der CDU/CSU: So ist es!) Vizepräsident Johannes Singhammer: Aber entscheidend ist dabei doch: Handelt es sich um Nächster Redner ist der Kollege Professor eine Verabredung oder eine Verordnung? Deshalb finde Dr. Matthias Zimmer, CDU/CSU. ich andere Fragen viel entscheidender als die Frage der (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Sanktion. neten der SPD – Katja Kipping [DIE LINKE]: Nehmen wir als erstes Beispiel einmal die Eingliede- Kommt Lafargue gleich am Anfang Ihrer Rede rungsvereinbarung. Ich finde, eine Eingliederungsver- oder nicht?) einbarung ist ein Schlüsselinstrument, um Menschen den Weg in den Arbeitsmarkt zu ebnen, und zwar dann, Dr. Matthias Zimmer (CDU/CSU): wenn eine echte Verständigung stattfindet, die den Wün- Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Psalm 127 schen der Arbeitsuchenden genauso gerecht wird wie sie sagt bekanntlich, dass es unnütz sei, früh aufzustehen den realistischen Möglichkeiten entspricht, und sich die und hernach lange zu sitzen, um das Brot mit Sorgen zu Arbeitsuchenden mit ihr auch identifizieren können. essen, denn den Seinen gebe es der Herr im Schlaf. Ich Dann ist sie ein Erfolgsinstrument. Aber sind die Vo- fühle mich ein wenig an diesen Psalm erinnert, wenn wir raussetzungen dafür überall geschaffen? Lässt der Be- – nicht zum ersten Mal – auf Antrag der Fraktion Die treuungsschlüssel an allen Stellen eine so intensive Be- Linke die Abschaffung von Sanktionen in der Welt der treuung und Beratung zu, dass es wirklich klappt? Sozialgesetzgebung debattieren. Ich will an einigen Stimmt die Chemie zwischen den Beratern und denen, Punkten deutlich machen, warum die biblische Verhei- die Beratung wünschen? Was passiert, wenn das nicht ßung und die Solidarität in unserer Gesellschaft zwei der Fall ist? Wer hat dann welche Rechte? Das sind für verschiedene Dinge sind, in der Hoffnung – denn diese mich die viel interessanteren Fragen stirbt bekanntlich zuletzt –, dass die ganze Debatte ein (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE wenig von der vordergründigen Perspektive der Fairness GRÜNEN]: Und: „Gibt es ausreichend Ange- im Einzelfall auf das Grundsätzliche gestellt werden bote?“!) kann und am Ende die Kolleginnen und Kollegen der Fraktion, die sich des Themas immer wieder annehmen, als die, ob man grundsätzlich für oder gegen Sanktionen das Irrige ihrer Argumentation einzusehen in der Lage ist. sind. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 40. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Juni 2014 3515

Dr. Matthias Zimmer (A) (Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Mein dritter Einwand ist, dass damit Menschen nicht (C) NEN]: Mann, jetzt nicht so poetisch! – Zurufe mehr als selbstständig wahr- und ernstgenommen wer- von der SPD: Oh!) den, sondern zum dauerhaften Objekt staatlicher Betreu- ung werden. Der enge Zusammenhang von Freiheit und Von der Abschaffung der Sanktionen in der Sozialge- Selbstverantwortung wird aufgelöst. Man kann Freiheit setzgebung, meine Damen und Herren, ist es ein kaum durchaus denken als dauerhafte staatliche Alimentie- noch wahrnehmbarer Schritt zum bedingungslosen rung, aber das ist ein Freiheitsbegriff, dem die Dimen- Grundeinkommen. Ich habe sehr wohl wahrgenommen, sion der Selbstverantwortung fehlt. Aus meiner Sicht dass es hierüber in der Fraktion der Linken wie auch bei – ich glaube, hier spreche ich auch für die Union als den Grünen sehr unterschiedliche Auffassungen gibt. Ganzes – verfehlt ein solcher Freiheitsbegriff den Kern Aber ein sanktionsfreies Regime in der Sozialgesetzge- der Personalität des Menschen. bung ist ein bereits auf niedrigem Niveau installiertes Grundeinkommen, das an keine erzwingbaren Bedin- (Beifall bei der CDU/CSU) gungen mehr geknüpft ist. Hiergegen habe ich drei Er nimmt den Menschen nicht als mündig wahr. Wäre es grundsätzliche Einwände. nicht Aufgabe einer neuen Aufklärung, den Menschen Der erste Einwand ist, dass wir durch ein solches Sys- an seine Mündigkeit zu erinnern und ihn aufzufordern, tem die Bedingungen von Solidarität selbst untergraben. aus allen Formen der Unmündigkeit sich zu befreien, Solidarität ist ein Sozialprinzip der gesamtschuldneri- auch wenn diese noch so benevolent als staatliche Be- schen Haftung. Es ist aus dem römischen Privatrecht treuung daherkommt? entlehnt und in der französischen Revolution dann zu ei- Damit zusammen hängt ein weiteres Argument. Die nem politischen Prinzip der Gesellschaftsgestaltung um- Linke behauptet in ihrem Antrag, dass Sanktionen gegen gedeutet worden. Mit anderen Worten: Wir kennen in die Würde des Menschen verstoßen. Wenn wir aber Frei- der Gesellschaft, im Sozialverband das solidarische Ein- heit und Selbstverantwortung ernst nehmen, dann müs- treten für den Einzelnen, wenn er in Not gerät. Wir ken- sen wir auch die Entscheidungsfreiheit des Einzelnen nen hier unbedingte und bedingte Solidaritätspflichten. ernst nehmen. Wir knüpfen Sozialleistungen an Bedin- gungen und machen dies auch sehr deutlich; der Kollege Unbedingte Solidaritätspflichten sind solche, die Weiler hat in seiner Rede davon ja ausführlich gespro- nicht auf Gegenseitigkeit beruhen oder beruhen können. chen. Wenn diese Bedingungen wissentlich und willent- Der Mensch, der sich in einer solchen Lage befindet, lich nicht erfüllt werden, und zwar im Wissen um die kann sich aus eigener Kraft und auch mit Hilfe anderer Konsequenzen, dann ist das mitnichten ein Verstoß ge- daraus nicht mehr befreien. Er bedarf der dauerhaften gen die Würde. Es ist Ausfluss der Entscheidungsfreiheit Hilfestellung. (B) des Einzelnen. (D) Anders in Fällen der bedingten Solidaritätspflichten. (Beifall bei der CDU/CSU) Hier kann sich der Einzelne selbst oder mit Hilfe anderer aus der Notlage befreien; denn sie ist nicht dauerhaft. Es verstieße, meine Damen und Herren, meines Erach- Mehr noch: Die Legitimität der gesellschaftlichen Res- tens gegen die Würde des Menschen, diese Entschei- source Solidarität ist gerade davon abhängig, dass er dies dungsfreiheit sozialtherapeutisch oder gesellschaftlich auch tut, weil er es kann. Solidarität versteht sich hier als aufheben zu wollen. Einstehen für andere in unverschuldeten Notlagen, aber (Beifall bei der CDU/CSU) nicht als eine dauerhafte Subventionierung der Unwillig- keit, Verantwortung für sich selbst zu übernehmen. Hinter dem unscheinbar daherkommenden Antrag der Linken, die Sanktionen in der Sozialgesetzgebung abzu- Mein zweiter Einwand ist, dass damit der Wert von schaffen, verbirgt sich also mehr. Sie, meine Damen und Arbeit selbst diskreditiert wird. Überspitzt formuliert: Herren von den Linken, stellen damit in Wahrheit die Wer arbeitet, ist der Dumme; denn es ginge ja auch an- Grundlagen unserer Wirtschafts- und Sozialordnung in- ders. Das ist im Übrigen auch mein Haupteinwand gegen frage, Sie stellen die Systemfrage. ein bedingungsloses Grundeinkommen. Die Befürworter rechnen damit, dass sich in der Summe die Anzahl derje- (Katja Kipping [DIE LINKE]: Das stimmt nigen, die durch produktive Arbeit ein solches Grund- nicht! – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: einkommen finanzieren, nicht verändert. In dem Antrag bestimmt nicht!) (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Herr Nicht mehr und nicht weniger hatte ich auch von Ihnen Kollege, es geht heute nicht um das bedin- erwartet. Im Wege der heutigen Rede wollte ich Sie wis- gungslose Grundeinkommen!) sen lassen: Wir haben es gemerkt und lehnen deshalb Ih- ren Antrag ab. Ich hingegen glaube schon, dass die Anzahl derjenigen, die sich ohne Arbeit auf niedrigerem Niveau einrichten, (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- deutlich ansteigt. Die Finanzierung eines Grundeinkom- neten der SPD) mens lebt damit von Voraussetzungen, die sie selbst un- tergräbt. Das gilt eben auch für die Überstrapazierung Vizepräsident Johannes Singhammer: der Solidarität. Nächste Rednerin ist für die Linken die Kollegin Sabine Zimmermann. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Davon steht nichts im Antrag!) (Beifall bei der LINKEN) 3516 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 40. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Juni 2014

(A) Sabine Zimmermann (Zwickau) (DIE LINKE): Denn sie bewirken zudem das Gegenteil: Sie entmutigen (C) Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und die Betroffenen, und das kann so weit gehen, dass man- Kollegen! Lieber Kollege Zimmer, es geht in unserem che den Kontakt zu den Jobcentern total abbrechen. Sie Antrag nicht um das bedingungslose Grundeinkommen. fördern keine Motivation, im Gegenteil, sie machen sie Ich glaube, da haben Sie etwas falsch verstanden; denn kaputt. Und das, meine Damen und Herren, ist Ihre Poli- beim bedingungslosen Grundeinkommen sollen alle tik. Geld bekommen, egal ob sie arbeiten, ob sie nicht arbei- (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. ten, ob sie Millionäre sind oder sonst was. Es geht hier Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜND- einfach darum, die Aussage von Artikel 1 des Grundge- NIS 90/DIE GRÜNEN]) setzes „Die Würde des Menschen ist unantastbar“ umzu- setzen. Um nichts anderes geht es hier. Warum das alles? – Die Antwort ist einfach. Sanktio- nen drangsalieren nicht nur Erwerbslose, sie zwingen (Beifall bei der LINKEN) auch dazu, schlechte, unsichere Jobs anzunehmen. Da- Meine Damen und Herren, über 1 Million Sanktionen mit üben Sie auch Druck auf die Löhne aus. Erwerbslose wurden im letzten Jahr wieder gegenüber Hartz-IV-Be- im Hartz-IV-System sind bei der Jobsuche meist zu Zu- zieherinnen und -Beziehern verhängt. Das sind alles Ein- geständnissen bereit. Meine Kollegin Katja Kipping hat zelschicksale; davon, wie es diesen Menschen geht, ha- es gesagt. Dazu sagt auch die erwähnte Befragung der ben die meisten hier im Saal allenfalls eine vage Agentur für Arbeit: acht von zehn Hartz-IV-Beziehern Vorstellung. Wie ist es denn, wenn von einem Betrag, sind bereit, eine Arbeit unterhalb ihrer Qualifikation an- der als Existenzminimum gilt, noch etwas weggenom- zunehmen. Zwei Drittel würden ungünstige Arbeitszei- men wird? Was heißt denn das überhaupt: Leben unter- ten in Kauf nehmen und knapp die Hälfte ein geringeres halb des Existenzminimums? Ich frage Sie hier: Kann Einkommen. man denn mit weniger als dem Existenzminimum über- Dass Sanktionen dazu führen, jede x-beliebige Arbeit haupt noch ein Leben in Würde führen? anzunehmen, zeigt auch eine aktuelle Studie des Ar- Ich muss Ihnen ehrlich sagen: Ich kenne viele Men- beitsministeriums aus Nordrhein-Westfalen. Dort heißt schen – zum Beispiel Frauen über 50 –, die vor dem Job- es: Harte Sanktionen führen häufig nicht zu einem „kon- center stehen, zittern und Angst haben, dort hineinzuge- tinuierlichen Beschäftigungsverhältnis“, sondern nur zu hen. Ich habe letztens erst einen alleinerziehenden Mann einer „kurzfristigen Beschäftigung zur Verbesserung der getroffen, der Aufstocker ist und 150 Euro gestrichen finanziellen Situation“. bekommen sollte. Der hat nächtelang davor nicht ge- Wenn Sie glauben, dass ohne Sanktionen Erwerbslose schlafen. Wissen Sie, wie es den Kolleginnen und Kolle- zumutbare Arbeit ablehnen würden, dann muss ich Ih- (B) (D) gen geht? nen sagen, dass nur jede achte Sanktion zustande ge- (Waltraud Wolff [Wolmirstedt] [SPD]: Warum kommen ist, weil Arbeit, Ausbildung oder eine Maß- kriegt er die denn gestrichen?) nahme abgelehnt oder abgebrochen wurden. Wenn Sie sich diese Fälle einmal ganz genau anschauen, dann er- – Die sollte er ungerechtfertigerweise gestrichen bekom- kennen Sie, dass in vielen Fällen Erwerbslose miss- men, das ist dann später herausgekommen, was ich rich- braucht und ihre Rechte mit Füßen getreten werden. Das tig finde. Danach konnte der Kollege wieder richtig ist der Ist-Zustand. schlafen. Vorher hatte er nur noch 700 Euro verdient und konnte sein Kind nicht mehr ernähren. Das war nämlich Aber Sanktionen sind nicht nur ein Problem der Er- das ganze Problem dabei. werbslosen. Wer einmal Betriebe besucht hat, die in wirtschaftlich schwierigen Situationen stecken, weiß, (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. welches Drohpotenzial auch Arbeitgeber damit besitzen, Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜND- welche Angst unter den Kolleginnen und Kollegen ge- NIS 90/DIE GRÜNEN]) schürt wird, auf Lohn zu verzichten, damit sie nicht in kürzester Zeit in Hartz IV landen; das will nämlich kei- Mit den Sanktionen sollen – so das angebliche Ziel – ner. Erwerbslose dazu angehalten werden, sich um Arbeit zu bemühen. Meine Damen und Herren, ich muss Ihnen sa- Auch der DGB merkte erst kürzlich in einer Stellung- gen, dass das ziemlicher Unsinn ist. Ich will es Ihnen nahme zu den Sanktionen an, mit Hartz IV und anderen auch belegen. Vor etwas längerer Zeit hat die Bundes- Maßnahmen der Hartz-Gesetze sollte erklärtermaßen der agentur für Arbeit Arbeitslosengeld-II-Bezieher befragt. Niedriglohnbereich ausgebaut werden. – Das, meine Da- Danach stimmten 76 Prozent der Aussage zu: Arbeit zu men und Herren, ist Ihnen wirklich gelungen. haben ist das Allerwichtigste im Leben. 86 Prozent er- klärten sogar: Arbeit ist wichtig, weil sie einem das Ge- Deutschland hat nach Litauen den zweitgrößten Nie- fühl gibt, dazuzugehören. Meinen Sie wirklich, diesen driglohnsektor Europas. Sogar die internationale Wirt- Arbeitslosen müsste man noch mit Sanktionen drohen, schaftsorganisation OECD hat die Bundesregierung damit sie sich um Arbeit bemühen? – Ich glaube das inzwischen aufgefordert, das Problem des Niedriglohn- eher nicht. bereichs zu bekämpfen. Das geht nicht, wenn man Hartz IV außen vorlässt. Nach den derzeitigen Mindest- (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. lohnplänen sollen die Langzeitarbeitslosen – das sind Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜND- 1,1 Millionen Menschen – für Löhne unterhalb des vor- NIS 90/DIE GRÜNEN]) gesehenen Mindestlohns von 8,50 Euro arbeiten. Für uns Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 40. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Juni 2014 3517

Sabine Zimmermann (Zwickau) (A) gilt aber auch hier das Prinzip „Gleicher Lohn für glei- haben, wenn Menschen nicht alles daransetzen, aus dem (C) che Arbeit“. Leistungsbezug wieder herauszukommen. (Beifall bei der LINKEN) Der richtige Grundgedanke, der hinter dem Sankti- Ich komme zum Schluss. Liebe Kolleginnen und Kol- onskonzept steht, ist der Ansatz der fordernden Aktivie- legen von der Großen Koalition und hier insbesondere rung. Damit soll sichergestellt werden, dass die Leis- von der SPD, wenn es Ihnen wirklich ernst damit ist, tungsberechtigten mit den Jobcentern kooperieren, und Niedriglöhne zu bekämpfen und für gute Arbeit zu sor- es sollen dadurch Bewerbungsaktivitäten und die An- gen, kommen Sie nicht daran vorbei, die Sanktionen ab- nahme von angebotenen Stellen gewährleistet werden. zuschaffen. Das liegt im gemeinsamen Interesse der Er- Wenn man arbeitslos und bedürftig ist und kein ALG I werbslosen und der Beschäftigten. Die Linke bleibt erhält, bekommt man ALG II. Man muss dafür nicht ar- dabei – jetzt, Frau Pothmer, kommt mein Satz –: beiten; das liegt in der Natur der Sache. Aber man muss Hartz IV muss weg, und auch das Sanktionssystem muss schon die Auflagen des Jobcenters erfüllen. Das ist die weg. Es ist nichts anderes als ein Programm zur Drang- Gegenleistung für staatliche Unterstützung, und das ist, salierung der Erwerbslosen und zur Disziplinierung der mit Verlaub, auch richtig. Beschäftigten. Wir brauchen eine sanktionsfreie, armuts- (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der feste Mindestsicherung. CDU/CSU – Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn Danke schön. [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war aber nicht der Grundsatz!) (Beifall bei der LINKEN) Die Linke fordert in ihrem vorliegenden Antrag, bei Fehlverhalten von Leistungsbeziehern komplett auf Sank- Vizepräsident Johannes Singhammer: tionen zu verzichten. Das, meine Damen und Herren, ist Für die Sozialdemokraten spricht jetzt der Kollege ein weitgehender Schritt in Richtung bedingungsloses Matthias Bartke. Grundeinkommen: (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜND- der CDU/CSU) NIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein! – Zurufe von der LINKEN) Dr. Matthias Bartke (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Man muss keine Leistung erbringen, man muss keine Kollegen! Eines vorweg: Die überwältigende Mehrheit Auflagen erfüllen, und man muss nicht arbeiten, aber (B) der Hartz-IV-Empfänger ist gesetzestreu. Es gibt unzäh- Geld vom Staat bekommt man trotzdem. Meine Damen (D) lige Gründe, warum man in den Hartz-IV-Bezug gelan- und Herren, das geht nicht. gen kann: Verwerfungen am Arbeitsmarkt, Betriebs- (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der schließungen und persönliche Schicksalsschläge. Nur CDU/CSU) einen Grund gibt es fast nie: Unlust oder Faulheit. Die Große Koalition ist ohne Wenn und Aber gegen ein (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜND- bedingungsloses Grundeinkommen, und ich war bisher NIS 90/DIE GRÜNEN]: Richtig!) davon ausgegangen, dass es auch bei der Linken diffe- Es ist wichtig, dies zu Beginn zu betonen; denn man hat renziert betrachtet wird. In Ihrem Wahlprogramm for- in der Debatte über Leistungsmissbrauch zuweilen den dern Sie noch eine Enquete-Kommission dazu; Eindruck, dass ein signifikanter Anteil der Hartz-IV- Empfänger Leistungsmissbrauch betreibt. Ich sage Ih- (Katja Kipping [DIE LINKE]: Die haben wir nen: Das stimmt nicht; das ist nicht zutreffend. immer gefordert!) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ nun fordern Sie aber die völlige Abschaffung der Sank- DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der tionen im SGB II. Damit setzen Sie einen Kurs fort, den CDU/CSU und der LINKEN) Sie mit der ziemlich populistischen Kampagne von Inge Hannemann zum bedingungslosen Grundeinkommen Von Sanktionen sind nach Angaben des IAB im Laufe begonnen haben. der Zeit gerade einmal 5 Prozent der Leistungsbezieher betroffen, und die ganz häufig nur wegen Meldever- (Zurufe von der LINKEN) säumnissen; das wurde eben schon gesagt. Ich kenne Frau Hannemann; sie kommt aus meinem (Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Wahlkreis. Ich sage Ihnen: Sie ist zweifellos eine kluge NEN]: Das ist dann aber doch trotzdem ein Frau, die mit ihrer Kritik in vielen Einzelpunkten recht Problem!) hat; nur sind die Handlungskonsequenzen – so ist das häufig bei Kritikern – nicht zu Ende gedacht. Dennoch sind Sanktionen im System des SGB II un- erlässlich. Grundsätzlich muss man sich vor Augen füh- Meine Damen und Herren von der Linken, in Ihrem ren, dass es sich bei Hartz-IV-Leistungen um Steuergel- Antrag fordern Sie die Totalabschaffung aller Sanktio- der handelt, die von anderen Menschen hart erarbeitet nen im SGB II. Damit hat sich bei Ihnen in dieser zentra- worden sind. Gerade die wenig verdienenden Menschen len Frage der populistische Flügel durchgesetzt. Ich be- sind es, die in der Regel am wenigsten Verständnis dafür daure das sehr. Wir werden Ihren Antrag ablehnen. Das 3518 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 40. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Juni 2014

Dr. Matthias Bartke (A) heißt im Umkehrschluss aber keineswegs, dass wir das fürsorgliche Belagerung ist viel wirksamer als Sanktio- (C) Sanktionssystem in seiner jetzigen Form gutheißen. nen. (Katja Kipping [DIE LINKE]: Da sind wir ja (Beifall bei Abgeordneten der SPD) mal gespannt!) Es ist daher gut, dass die Große Koalition die bundes- Es ist nicht gut; es ist zu kompliziert, es ist intransparent, weite Einführung der Hamburger Jugendberufsagentu- und es wird von vielen Betroffenen als Schikane emp- ren im Koalitionsvertrag festgeschrieben hat. funden. Unterm Strich lässt sich festhalten: (Zuruf von der LINKEN: Das ist wohl wahr!) Erstens. Die ganz überwältigende Mehrheit der Hartz- Besonders das verschärfte Sanktionssystem gegen Ju- IV-Empfänger verhält sich rechtskonform. gendliche geht gar nicht. Verstöße von Jugendlichen ge- gen Auflagen der Jobcenter werden stärker geahndet als Zweitens. Das von der Linken geforderte weitgehend die von Erwachsenen. Das ist eine Verdrehung der tat- bedingungslose Grundeinkommen ist ein gesellschaftli- sächlichen Notwendigkeiten. cher und politischer Irrweg. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Beifall der Abg. Daniela Kolbe [SPD] – der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜND- GRÜNEN) NIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, die fordern das gar nicht!) Eine Streichung sämtlicher ALG-II-Leistungen inklu- sive aller KdU-Leistungen ist bei Jugendlichen deutlich Drittens. Das gesamte Sanktionsregularium im schneller möglich als bei Erwachsenen. Das setzt häufig SGB II bedarf dringend der Überarbeitung, insbesondere eine Abwärts- und Verschuldungsspirale in Gang, die hinsichtlich der unter 25-Jährigen. niemand wollen kann. Sogar das IAB hat kürzlich fest- Viertens. Die GroKo ist dabei. Wir liefern. gestellt, dass das zutiefst problematisch ist. Selbst im Strafrecht werden Jugendliche milder behandelt als Er- Ich danke Ihnen. wachsene. Dabei stehen pädagogische Erwägungen im (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Vordergrund. Solche Erwägungen müssen auch im der CDU/CSU) SGB II stärker zum Tragen kommen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der Vizepräsident Johannes Singhammer: LINKEN) Herr Kollege Dr. Bartke, vielen Dank. – Es spricht (B) (D) Das vorhin schon von Ihnen zitierte Institut für Sozial- jetzt die Kollegin Brigitte Pothmer, Bündnis 90/Die Grü- und Gesellschaftspolitik hat dazu festgestellt: Je höher nen. die Sanktionen bei Jugendlichen, desto stärker schwin- det ihr Vertrauen in die Berater. Das ist ja auch kein Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wunder. Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Das Sanktionssystem des SGB II, insbesondere das Weiler ist leider schon gegangen, aber ich möchte trotz- für Jugendliche, gehört auf den Prüfstand. Das hat die dem das Argument, das er hier vorgebracht hat, aufgrei- Große Koalition daher auch in ihrem Koalitionsvertrag fen. Herr Weiler sagte: Wo ist eigentlich das Problem? festgeschrieben. Die Bund-Länder-Arbeitsgruppe „Rechts- Es sind doch sowieso nur 3 Prozent aller Arbeitslosen vereinfachung im SGB II“ hat sich dieses Auftrags ange- von Sanktionen betroffen. – Das zeigt, dass er die Wir- nommen. Vorgestern haben wir im Ausschuss erfahren, kung von Sanktionen total verkennt; denn wenn 3 Pro- dass sich die Arbeitsgruppe auf der Zielgeraden befin- zent sanktioniert werden, erleben 97 Prozent der Betrof- det. Wir werden also in Kürze mit Ergebnissen rechnen fenen die Sorge, ebenfalls von Sanktionen betroffen zu können. Es ist geplant, dass die notwendigen SGB-II- werden. Sanktionen wirken weit über die Gruppe hinaus, Änderungen spätestens im kommenden Frühjahr im die von ihnen unmittelbar betroffen ist. Bundesgesetzblatt stehen werden. Das Sanktionssystem (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN für Erwachsene wird vereinfacht und transparenter, und sowie bei Abgeordneten der LINKEN) das Sanktionssystem für Jugendliche wird völlig geän- dert. Ich sage: Je schneller das passiert, desto besser. Trotzdem sage ich an dieser Stelle – Herr Strengmann-Kuhn hat es schon angedeutet –: Die Grü- (Katja Kipping [DIE LINKE]: Na, wir werden nen sind ausdrücklich nicht grundsätzlich und in jedem nachfragen!) Fall gegen Sanktionen. Wir stehen zu dem Prinzip „Soli- Meine Damen und Herren, ich komme aus Hamburg. darität ist keine Einbahnstraße“. Da, wo es möglich ist, Wir haben dort das System der Jugendberufsagenturen müssen diejenigen, die Solidarität erfahren haben, im entwickelt. Ein Bestandteil dieses Systems ist, dass wir Rahmen ihrer Möglichkeiten etwas zurückgeben. Das immer wieder auf Jugendliche zugehen. Wir sorgen so finden wir richtig. dafür, dass keiner von ihnen verloren geht. Das, was die Aber dafür müssen die Voraussetzungen stimmen, Hamburger Jugendberufsagenturen machen, hat der und die Voraussetzungen stimmen ausdrücklich nicht. Hamburger Bürgermeister Olaf Scholz einmal fürsorgli- che Belagerung genannt. Ich sage Ihnen: Eine solche (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 40. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Juni 2014 3519

Brigitte Pothmer (A) Sanktionen können nicht nach dem Prinzip „Vogel friss nachhaltig in Arbeit bringen wollen, dann geht das nicht (C) oder stirb“ ausgesprochen werden. mit Drohungen, sondern nur dann, wenn Arbeitslose auch mitarbeiten, wenn ihre Ideen und ihre Vorstellun- Herr Zimmer, wir haben die Situation – das können gen in diesen Prozess einbezogen werden, wenn sie auch Sie mir glauben; denn ich bin wirklich Handlungsrei- einmal Nein sagen können, wenn sie eine echte Wahl- sende in Sachen Jobcenter –, dass Arbeitslose jeden Job möglichkeit haben. annehmen müssen, dass sie jede ihnen angebotene, auch jede unsinnige, Maßnahme annehmen müssen. Das ist Ich sage Ihnen noch etwas: Natürlich gibt es auch Si- aus meiner Sicht ein Verstoß gegen die Würde. Ich finde, tuationen, in denen ein Arbeitsloser und ein Fallmanager das geht gar nicht. sich so ineinander verhaken, dass es nicht weitergeht. In diesem Fall müssen Arbeitslose sich einen anderen Fall- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN manager suchen können; da muss es eine Wechselmög- sowie bei Abgeordneten der LINKEN) lichkeit geben. Wenn immer sofort mit der Keule der Sanktionen ge- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN droht wird, dann ist das ebenfalls ein Angriff auf die sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Würde. Ich plädiere im Übrigen dafür, dass wir in allen Job- Frau Schmidt, Sie haben hier zu Recht gesagt, dass es centern Ombudsstellen einrichten. um Fordern und Fördern geht. Aber finden Sie nicht auch, dass die Balance zwischen Fordern und Fördern, (Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Ein guter die herzustellen wir den Menschen versprochen haben, Punkt!) nie da war und dass das Verhältnis zwischen Fordern und Fördern im Laufe der Jahre sogar vollständig aus den Ich prognostiziere Ihnen: Das wird die Zahl der Klagen, Fugen geraten ist? Ich finde, an der Stelle ist es der Staat, die es derzeit vor den Arbeitsgerichten gibt, exorbitant der nicht vertragstreu ist, es sind nicht die Arbeitslosen. reduzieren. Das lohnt sich also in jeder Hinsicht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Die Mittel der Arbeitsförderung sind auf der einen Seite immer weiter gekürzt worden. Auf der anderen Meine Damen und Herren, es geht um weniger Büro- Seite sind die Sanktionen, insbesondere für die unter kratie und mehr Freiheit. Es geht um qualifiziertes Per- 25-Jährigen, verstärkt worden. Das ist auch der Grund sonal. Es geht um bessere und individuelle Förderung. Am Ende geht es tatsächlich auch um mehr Geld. So- (B) dafür, dass dieses Hartz-IV-System in der gesamten Ge- (D) sellschaft, aber in besonderer Weise von den Arbeitslo- lange diese Voraussetzungen nicht gegeben sind, solange sen als ein sehr repressives System wahrgenommen wir diese Arbeitssituation in den Jobcentern haben, wie wird. sie sich derzeit leider immer noch darstellt, so lange wol- len wir ein Sanktionsmoratorium. Wenn die Bedingun- Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Linken, da- gen sich bessern, dann muss es, finde ich, tatsächlich ein ran ändert die Abschaffung aller Sanktionen schlicht gar Projekt auf Gegenseitigkeit werden. nichts. Dadurch bekommt kein einziger Arbeitsloser wieder einen Job. Dafür brauchen wir tatsächlich ganz Ich danke Ihnen. andere Jobcenter. Wir müssen die Jobcenter umbauen in (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Servicecenter für Arbeitslose, aber auch in Servicecenter Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Weder ja für Beschäftigte, die zum Beispiel nach einer neuen be- noch nein! Enthaltung! Typisch Grün! Lau- ruflichen Perspektive suchen. Wir brauchen Jobcenter, in warm!) denen diejenigen, die vor dem Schreibtisch sitzen, und diejenigen, die hinter dem Schreibtisch sitzen, tatsäch- lich auf Augenhöhe miteinander kommunizieren. Vizepräsident Johannes Singhammer: Nächster Redner ist für die CDU/CSU der Kollege (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Matthäus Strebl. Obrigkeitsstaatliches Verhalten darf da keine Rolle spie- (Beifall bei der CDU/CSU) len. Wir haben, Herr Zimmer, nach wie vor ein asymmet- Matthäus Strebl (CDU/CSU): risches Machtverhältnis zwischen den Jobcentern und Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und den Arbeitslosen. Immer noch kommen sich die Arbeits- Kollegen! Wir beraten heute über den Antrag „Sanktio- losen in den Jobcentern wie Bittsteller vor. Deswegen nen bei Hartz IV und Leistungseinschränkungen bei der müssen wir die sozialen Bürgerrechte dringend stärken, Sozialhilfe abschaffen“ der Linken. Um es gleich vor- und wir müssen die Zumutbarkeitsregelungen ändern. wegzusagen: Die vornehmste Aufgabe des deutschen Daran führt kein Weg vorbei, Sozialstaats ist es, einen erwerbsfähigen Leistungsbe- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) rechtigten, der nicht in der Lage ist, seinen Lebensunter- halt aus eigenen Mitteln zu bestreiten, finanziell zu un- jedenfalls dann nicht, wenn wir wirklich die Potenziale terstützen. An dieser Aufgabe werden wir nach wie vor der Arbeitslosen heben wollen. Wenn wir Arbeitslose festhalten. 3520 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 40. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Juni 2014

Matthäus Strebl (A) Jedem kann es passieren, dass er unverschuldet in dem Leistungsbezug zu lösen. Dazu gehört eben auch, (C) eine Notlage gerät, und dann sollte er nicht allein zu- dass man sich eine Arbeit sucht, die nicht immer den ei- rückgelassen werden und nicht sich selbst überlassen genen Fähigkeiten oder Vorlieben entspricht. Aber auch werden. hier werden Grenzen der Zumutbarkeit nach § 10 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch beachtet. Jeder Leis- Wenn wir uns jetzt mit dem Kapitel 1 des Zweiten tungsbezieher hat die Möglichkeit, zunächst eine nicht Buches Sozialgesetzbuch befassen, müssen wir uns die so beliebte Tätigkeit aufzunehmen, sich aber trotzdem Stichwörter Fördern und Fordern als grundlegende Maß- weiterhin auf andere Jobs zu bewerben. Somit kann eine stäbe vergegenwärtigen. Neben ihrer Regelleistung, den Verfestigung der Langzeitarbeitslosigkeit verhindert Kosten für Unterkunft und Heizung, können Bezieher werden. von Arbeitslosengeld II weitere Unterstützung erhalten. Ich nenne hier Qualifizierungsmaßnahmen, Umschulun- Meine sehr verehrten Damen und Herren, eine Tätig- gen, finanzielle Unterstützung beim Umzug oder beim keit ist zum Beispiel dann nicht zumutbar, wenn jemand Führerschein und Coaching. Dies sind nur einige der körperlich dazu nicht in der Lage ist oder wenn durch die vielen Maßnahmen, die bei der Eingliederung in den Ar- Ausübung der Arbeit die Erziehung des Kindes gefähr- beitsmarkt helfen. det wäre. Aber wir müssen uns auch dem Stichwort Fordern Entgegen der Auffassung der Linken teilen wir die widmen. Dabei müssen wir uns vor Augen halten, dass Ansicht, dass Sanktionen weder gegen das Grundrecht das Arbeitslosengeld II nur eine temporäre Unterstüt- der Berufswahlfreiheit noch gegen das Grundrecht auf zung sein sollte und nicht zur Dauerleistung im Sinne ei- Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzmini- ner Bürgerrente oder ein bedingungsloses Grundeinkom- mums verstoßen. Auch bleibt es mir unverständlich, men werden darf. welchen Weg die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Jobcenter wählen sollen, wenn sich diejenigen, die Leis- (Beifall bei der CDU/CSU) tungen beziehen, jeglicher Mitwirkung entziehen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, darin unter- (Beifall bei der CDU/CSU) scheiden wir uns von der Antragstellerin. Der Arbeitslo- sengeld-II-Bezieher wird aktiv gefordert, seine Hilfsbe- Bei aller Kritik, meine sehr verehrten Damen und dürftigkeit zu beenden. Allein gelassen wird er dabei Herren, die an den Sanktionen geäußert wird, darf eines auch nicht. Unterstützung erhält er zum Beispiel durch nicht vergessen werden: Leistungen nach dem Zweiten die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bei den Jobcentern Buch Sozialgesetzbuch sind steuerfinanzierte Leistun- und den Trägern. Dafür muss er Meldetermine in den gen, die von der Allgemeinheit aufgebracht werden. Die Allgemeinheit kann erwarten, dass jemand, der vorsätz- Jobcentern wahrnehmen. (D) (B) lich und in Kenntnis aller Rechtsfolgen nicht dazu bei- Nur in einem persönlichen Gespräch können Qualifi- trägt, seine Hilfsbedürftigkeit zu überwinden, mit Kon- zierungsmöglichkeiten oder Stellenausschreibungen an- sequenzen rechnen muss. Das ist auch die Grundlage der geboten werden. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sozialen Marktwirtschaft. sind bemüht, Meldeversäumnisse zu verhindern. Ein neuer Weg ist zum Beispiel die kostenlose Erinnerung (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) per SMS durch das Jobcenter einen Tag vor dem Termin. Im Koalitionsvertrag haben wir vereinbart, die Rege- Allein im März dieses Jahres wurden fast 500 000 SMS lungen und auch die Praxis der Sanktionen im SGB II an Arbeitslosengeld-II-Bezieher versandt. Diese Zahl ist auf ihre Wirkung zu überprüfen. Dieser Aufgabe werden bezeichnend. wir uns effizient widmen. Wir wollen im Herbst erste Er- Mit jeder Einladung zu einem Meldetermin erhält der gebnisse vorlegen. Arbeitslose auch eine Rechtsfolgenbelehrung für den Zusammenfassend kann zum Schluss gesagt werden: Fall, dass er nicht zum Termin erscheint. Im Ergebnis halten wir an Sanktionen und Leistungsein- (Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Richtig!) schränkungen im Zweiten und Zwölften Buch Sozialge- setzbuch fest. Wir werden deshalb den Antrag der Lin- Außerdem erfolgt bei Nichterscheinen nicht gleich eine ken ablehnen. Kürzung der Leistung. Der Arbeitslose erhält zunächst Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. die Möglichkeit einer Anhörung mit einer erneuten Rechtsfolgenbelehrung. Ihm bleibt somit offen, die Ent- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- schuldigungsgründe zu benennen. neten der SPD) Meine sehr verehrten Damen und Herren, entgegen der weitverbreiteten Auffassung werden Sanktionen Vizepräsident Johannes Singhammer: nicht willkürlich und plötzlich erlassen. Liegt kein wich- Vielen Dank, Herr Kollege Strebl. – Für die Sozialde- tiger Grund vor und die Sanktion wird erlassen, hat das mokraten spricht jetzt die Kollegin Daniela Kolbe. nicht zur Folge, dass der Arbeitslose keine Unterstüt- (Beifall bei der SPD) zung mehr bekommt. Er kann dann immer noch ergän- zende Sachleistungen beantragen. Daniela Kolbe (SPD): Außerdem kann von dem Leistungsbezieher erwartet Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und werden, dass er alles Mögliche unternimmt, um sich aus Kollegen! Ich finde, über Sanktionen zu sprechen, ist Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 40. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Juni 2014 3521

Daniela Kolbe (A) mehr als sinnvoll. Immerhin sprechen wir auch über ei- Sanktionen sind allerdings grundsätzlich notwendig. (C) nen zum Teil sehr massiven Eingriff in das Leben von Wir lehnen die radikale Abschaffung aller Sanktionen Menschen. Deshalb lohnt die Reflexion darüber, auch ab. Oft wird in diesem Zusammenhang von den Gegnern als Gesetzgeber, ob wir mit dem Sanktionsregime, das der Sanktionen eine Studie aus NRW ins Feld geführt wir installiert haben, die Ziele wirklich in dem Maße er- – die ich übrigens sehr interessant finde –, die auch im reichen, wie wir uns das vorstellen. Antrag erwähnt ist. Man sucht sich aus Studien ja immer gerne das heraus, was passt. Es stehen aber auch einige Auch deshalb gibt es derzeit eine Bund-Länder-Kom- andere Aspekte darin, zum Beispiel, dass die Tatsache, mission mit dem Titel – ob er eingängig ist, darüber kann dass Leistungen des Staates an bestimmte Pflichten ge- man sich streiten – „Rechtsvereinfachung im SGB II“. bunden sind, auch bei den Betroffenen auf Zustimmung Diese Kommission beschäftigt sich auch mit dem Thema stößt und dass der überwiegende Teil der Betroffenen Sanktionen. Wir haben am Mittwoch im Ausschuss für weiß, warum eine Sanktion gegen ihn oder sie ergangen Arbeit und Soziales einen ersten Zwischenbericht ge- ist. 80 Prozent der Betroffenen haben zudem auch die hört, der sich aus meiner Sicht sehr positiv anlässt. Aller- Rechtsschutzbelehrung verstanden. Sie wissen also, wel- dings wird dort nicht die Abschaffung aller Sanktionen che Folgen ihr Handeln hat. Am wichtigsten finde ich: gefordert oder vorgeschlagen, und das ist auch gut so. Es gibt ein grundsätzliches Verständnis der Betroffenen dafür, dass es Sanktionen gibt und warum es sie gibt. Sehr wohl aber deutet sich an, dass die verschärften Sanktionen gegenüber U25, also unter 25-Jährigen, kri- Wir halten Sanktionen als grundsätzlich vorhandenes tisch gesehen werden. Das sehen wir als Sozialdemokra- Mittel für notwendig, und daran werden wir als SPD ten ähnlich. Es gibt aus meiner Sicht keine wirklich gu- auch weiter festhalten. Trotzdem sagen wir ganz klar: ten Gründe, warum unter 25-Jährige härter bestraft Veränderungen in diesem Bereich sind notwendig. Ge- werden sollten als Ältere. Ich finde auch, dass dies Sank- rade wenn es um den KdU-Bereich – Wohnung, Miete, tionen als erzieherische Maßnahme ein ganzes Stück Heizung – geht, sind Sanktionen oft kontraproduktiv. überbewertet. Ich bezweifle, dass möglichst scharfe Wenn jemand erst einmal obdachlos geworden ist, sind Sanktionen dazu führen, dass sich bei jungen Erwachse- viel größere Maßnahmen und Ressourcen notwendig. nen Verhaltensänderungen einstellen oder dadurch gar Ganz grundsätzlich halte ich noch einmal fest: Ziel- eine Nachsozialisation möglich wird. Scharfe Sanktio- stellung ist, dass die Jobcenter als Partner gesehen wer- nen sind dann womöglich gerade eine Maßnahme, die den. Dazu gehört, dass die Jobcenter die Kundinnen und Türen nicht öffnet, sondern zuschlägt. Kunden als individuelle Personen wahrnehmen können Die verschärften Sanktionen haben zudem oft krasse und wahrnehmen. Das wird zunehmend schwieriger. (B) Auswirkungen auf das reale Leben der Betroffenen. Sie Ich will noch einen Aspekt einführen, der noch gar (D) stehen häufig von einem Tag auf den anderen ohne Res- nicht richtig zur Sprache gekommen ist. Wir erleben sourcen für alltägliche Dinge da. Die verschärften Sank- auch eine Veränderung bei den Arbeitsuchenden. Ein tionen widersprechen auch dem gesellschaftlich eigent- immer größerer Anteil der Kundinnen und Kunden der lich weitverbreiteten Ansatz, dass Menschen am Anfang Jobcenter ist durch wirklich große Schwierigkeiten be- ihrer Berufskarriere eher eine zweite Chance verdient lastet und hat es auf dem Arbeitsmarkt sehr schwer. Das haben, als sofort abgestraft zu werden. Deswegen finde hat unterschiedlichste Gründe: persönliche Gründe, ge- ich den Ansatz der Bundesregierung richtig, einen ande- sundheitliche Gründe, psychologische Schwierigkeiten, ren Weg zu wählen, nämlich diese jungen Menschen ge- Suchtprobleme, Verschuldung. Ich denke, dass wir alle zielt zu fördern und eine viel stärkere Betreuung durch mit unserem gesunden Menschenverstand sagen: Bei die Behörden zu organisieren. dieser Klientel ist einfach nur ein Mehr an Sanktionen womöglich nicht der richtige Weg; vielmehr sind hier Wir orientieren uns dabei an den sehr guten Erfahrun- Verbesserungen in ganz anderer Weise vonnöten. Ich gen, die unter SPD-Führung in Hamburg gemacht wur- rede allerdings nicht von der Abschaffung von Sanktio- den, und an den dort sehr erfolgreich erprobten Jugend- nen, sondern es geht zum Beispiel darum, eine bessere berufsagenturen. Dort gibt es eine enge Zusammenarbeit Betreuung durch einen besseren Betreuungsschlüssel zu zwischen allen Behörden, die damit zu tun haben: zwi- organisieren. Die Jobcenter müssen in der Lage sein, auf schen Jugendämtern, Schulen, Jobcentern, Arbeitsagen- jeden Einzelnen wirklich individuell zugehen zu können. turen und vielen anderen mehr. Ziel ist ganz klar: Nie- Dazu brauchen sie die notwendigen Ressourcen, aber si- mand soll durchs Netz fallen, weder nach der Schulzeit cherlich auch die richtige Grundhaltung, um jeden, der noch dann, wenn es mit der Ausbildung schiefgegangen kommt, als Individuum zu betrachten. Daneben brau- ist und man sie abgebrochen hat, noch nach Beendigung chen wir eine bessere Zusammenarbeit der verschiede- einer Ausbildung. Niemand soll also durchs Netz fallen. nen Träger in diesem Bereich usw. usf. Das ist genau der richtige Ansatz. Zum Schluss will ich sagen: Das ist ein sehr wichtiges (Beifall bei der SPD) Thema. Reformen sind nötig, allerdings keine pauschale Ablehnung von Sanktionen. Insofern lehnen wir an die- Im besten Fall führt das dazu, dass die jungen Menschen ser Stelle nur Ihren Antrag pauschal ab. die Behörden eben nicht mehr als Gegner, wie es manch- mal mitunter der Fall ist, sondern als Partner wahrneh- Wir werden die Diskussionen anhand eines Gesetz- men. Uns als Sozialdemokraten erscheint es zielführen- entwurfs, der noch vorgelegt wird – wir haben die Bund- der, genau diesen Zustand zu erreichen. Länder-Kommission ja nicht zum Spaß eingesetzt –, 3522 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 40. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Juni 2014

Daniela Kolbe (A) fortsetzen. Nach der Sommerpause werden wir dann viel Die Möglichkeit, Leistungen zu mindern, ist sehr (C) Gelegenheit haben, miteinander zu diskutieren. Ich freue wohl ein arbeitsmarktpolitisches Instrument. Es ist auch mich darauf. ein pädagogisches Instrument. Mir haben in meiner be- ruflichen Tätigkeit viele Kunden rückgemeldet: Ja, die (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Kürzung war ein Schock. Sie hat wehgetan. Aber sie hat der CDU/CSU) mich auch wachgerüttelt. – Die Kürzung entmutigt nicht, und die Menschen werden auch nicht alleine gelassen. Vizepräsident Johannes Singhammer: Das Beratungs- und Hilfesystem in Deutschland ist mit Vielen Dank. – Nächste Rednerin ist die Kollegin eines der größten. Wer will, kann sich mit den Mitarbei- Christel Voßbeck-Kayser, CDU/CSU. tern ein entsprechendes Beratungssystem aussuchen. (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei der CDU/CSU) Die Studie des Institutes für Arbeitsmarkt- und Be- Christel Voßbeck-Kayser (CDU/CSU): rufsforschung ist schon genannt worden. Es wird darin Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es eindeutig aufgezeigt, dass eine Kürzung, die dazu dient, ist eigentlich schon alles gesagt worden, nur noch nicht Fehlanreizen im System der Arbeitslosenversicherung von mir. entgegenzuwirken, als Maßnahme sehr wohl Früchte trägt und als Sanktion dazu führt, dass die Leute in die (Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD) Gänge kommen. Somit ist Ihre Aussage widerlegt, dass Sanktionen nicht zu Verhaltensänderungen führen wür- Vielleicht ist es ja auch gut, einmal aus NRW-Sicht über den. Sie tun es sehr wohl. dieses Thema zu reden. (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜND- Bis September letzten Jahres habe ich fast 30 Jahre NIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber oft in die fal- lang im Sozialpsychiatrischen Dienst gearbeitet – auch sche Richtung!) in Zusammenarbeit mit den Jobcentern. Ich fühle mich durch Ihren Antrag, Kolleginnen und Kollegen der Lin- Damit die zur Verfügung stehenden Arbeitsmarkt- ken, schon auch angegriffen und verärgert. Die Arbeit, instrumente, die den Jobcentern zur Verfügung stehen, die in den Jobcentern von den Mitarbeitern geleistet Wirkung zeigen können, bedarf es nun einmal eines re- wird, finde ich hier nicht ausreichend gewürdigt. gelmäßigen Kontaktes zwischen den Leistungsbeziehern und den Jobcentermitarbeitern, sonst können die einge- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- setzten Maßnahmen nicht wirken. neten der SPD – Dr. Matthias Zimmer [CDU/ (B) CSU]: Das sind alles Theoretiker! – Katja Leistungsempfänger erhalten nicht nur finanzielle (D) Kipping [DIE LINKE]: Dazu habe ich gar Unterstützung, sondern sie werden auch aktiv unter- nichts in meiner Rede gesagt! Das ist eine Un- stützt. Diese aktive Unterstützung heißt Fallmanage- verschämtheit!) ment; darüber haben wir uns gestern im Rahmen einer Debatte zu diesem Thema ausgetauscht. Hier sitzen die Ich habe in den letzten Wochen öfter hier gestanden und Mitarbeiter der Jobcenter mit Mitarbeitern der Bera- habe auch immer wieder negative Äußerungen gehört. tungsstellen – ich kann Ihnen das, wie gesagt, aus mei- Alles wird kaputtgeredet. Das ist wieder Stimmungsma- nem eigenen Erleben und aus meiner beruflichen Tätig- che vor anstehenden Landtagswahlen. keit versichern – zusammen und suchen gemeinsam (Beifall bei der CDU/CSU) nach dem richtigen Instrument für die Zusammenarbeit mit den Kunden.

Vizepräsident Johannes Singhammer: Im Rahmen des Fallmanagements, der aktiven Unter- Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage der stützung, gibt es verschiedene Formen. Es gibt die Qua- Kollegin Kipping? lifizierung und Unterstützung zur Eingliederung, sei es ein Bewerbungstraining, sei es eine fachspezifische Wei- terbildung, seien es Arbeitsgelegenheiten in unterschied- Christel Voßbeck-Kayser (CDU/CSU): lichen Gewerken zur Berufsorientierung. Nein, ich würde gerne meine Rede zu Ende führen. Vielleicht erledigt sich die Frage dann von selbst. Die Sanktionen wegen Meldeversäumnissen – der häufigste Grund für Sanktionen – sind angesprochen Zur Sache. Die Gewährung von Leistungen nach dem worden. Seit dem vergangenen Jahr versenden die Job- SGB II basiert auf dem Solidaritätsprinzip. Dieses Prin- center Termin-SMS. Von Januar bis Oktober letzten Jah- zip unseres gesellschaftlichen Zusammenlebens hat sich res waren das 430 000 Termin-SMS. Ich frage Sie, Kol- seit Jahrzehnten bewährt. Das ist kein einseitiges Sys- leginnen und Kollegen: Welcher Arbeitnehmer erhält tem, keine Einbahnstraße. Jedes Mitglied in unserer diese Form der Unterstützung von seinem Arbeitgeber? Gesellschaft hat Rechte und Pflichten. Ja, in der Gewäh- (Beifall bei der CDU/CSU) rung von Leistungen nach dem SGB II sind Einschrän- kungen aufgeführt. Aber es kann und wird abgewogen. Wie gesagt, die Personen mit Vermittlungshemmnis- Es wird nicht willkürlich gekürzt. Es gibt unterschiedli- sen, die wirklich auf Unterstützung angewiesen sind, be- che zeitliche Abläufe, es gibt auch unterschiedliche kommen diese Unterstützung auch. Ich kann doch nicht finanzielle Abstufungen. sagen: Es gibt in Deutschland kein Hilfe- und Fürsorge- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 40. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Juni 2014 3523

Christel Voßbeck-Kayser (A) system. – Die Sache ist eher die: Ich muss dort hingehen. – Lassen Sie uns deshalb gemeinsam konstruktiv an Lö- (C) Darüber hinaus wird auch aufsuchende Hilfe geleistet. sungen und Ideen arbeiten, Es werden nicht einfach Sanktionen ausgesprochen und (Katja Kipping [DIE LINKE]: Sie haben uns dann, plumps, steht auf einmal keiner mehr als An- doch die Mitarbeit in dieser AG verweigert!) sprechpartner zur Verfügung. Das ist Unsinn. Das stimmt so nicht. um den Menschen zu helfen, in Arbeit zu kommen und damit eine geregelte Tagesstruktur zu haben. Das Prinzip des Förderns und Forderns, insbesondere das Prinzip des Förderns, habe ich anhand der gerade ge- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- nannten Beispiele sehr deutlich gemacht. Aber es darf neten der SPD) doch auch gefordert werden, dass eine Person mithilft, Sie stellen mit Ihrem Antrag quasi die Jobcentermit- die eigene Situation nach ihren Möglichkeiten zu verbes- arbeiter unter den Generalverdacht, nichts Besseres zu sern. tun haben, als den Leistungsbeziehern immer nur (Beifall bei der CDU/CSU) Schlechtes zu wollen und sie zu sanktionieren. Das stimmt einfach nicht. Wenn Sie die Abschaffung von Sanktionen fordern, dann erklären Sie uns bitte, was Sie einer Kranken- Eben wurde es schon angesprochen: Worum geht es schwester, einem Handwerker oder einem Fabrikarbeiter heute Mittag? Es geht um 3 Prozent der Leistungsbezie- sagen und damit all denen, die jeden Tag frühmorgens her. aufstehen, zur Arbeit gehen, ihrer Arbeit nachgehen und (Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- vielleicht auch noch zwischendurch Familienmanager NEN]: Oh nein! Das ist doch Quatsch!) sind, – Doch, das ist so. Der Jahresdurchschnitt der Leistungs- (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜND- berechtigten mit mindestens einer Sanktion lag im ver- NIS 90/DIE GRÜNEN]: Die kriegen häufig gangenen Jahr bei 147 000 Personen. Das sind die ge- selber Hartz IV und sind von Sanktionen be- nannten 3 Prozent. 97 Prozent der Leistungsberechtigten droht! Was für ein blödes Argument!) sind nicht von Sanktionen betroffen. also Kinder zur Kita, zur Schule, zu Freunden, zum Kin- (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/ derarzt oder zum Vereinssport bringen, und die hart für DIE GRÜNEN]: Das ist doch falsch!) ihren Beitrag zur Sozialversicherung arbeiten. Wie er- klären Sie ihnen, dass ihre Sozialversicherungsbeiträge Die Mehrheit der Leistungsberechtigten verhält sich ver- antwortungsvoll. Auch das Instrumentarium der Leis- per Gießkannenprinzip verteilt werden, ohne etwas zu tungsminderung wird von den Jobcentermitarbeitern (B) fordern? (D) nicht ausgenutzt. (Beifall bei der CDU/CSU – Katja Kipping (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜND- [DIE LINKE]: Sie verhindern doch, dass sie NIS 90/DIE GRÜNEN]: Haben Sie wirklich steuerlich entlastet werden, weil Sie die Mil- schon einmal mit Langzeitarbeitslosen zu tun lionäre nicht stärker besteuern wollen!) gehabt?) Dieses Gießkannenprinzip können Sie niemandem er- Ihr Antrag vermittelt den Eindruck, es gäbe eine ge- klären. Es widerspricht auch allen Grundsätzen unseres nerelle Ungerechtigkeit im gesamten Leistungsbereich Zusammenlebens und der sozialen Gemeinschaft in un- des SGB II. Ich wünsche mir, wie sicherlich viele andere serem Land. Das alles hat nichts mit einer Solidarge- Kollegen auch, dass Sie aufhören, Einzelfälle, die nicht meinschaft zu tun. gut laufen, als allgemeingültig hinzustellen und damit (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) ein Versagen des ganzen Hilfesystems zu unterstellen. Denn dies entspricht in keiner Weise der Realität. Ein anderer Aspekt: Hat nicht jeder, der einen Beitrag für die Solidargemeinschaft leistet, indem er Beiträge (Beifall bei der CDU/CSU) einzahlt, das Recht, dass mit seinem Beitrag verantwor- Deshalb lehnen wir auch diesen Antrag, den Sie ein- tungsvoll umgegangen wird? Ich fände es deshalb we- gebracht haben, ab. Denn er verstößt gegen den Grund- sentlich hilfreicher, Kolleginnen und Kollegen der Frak- satz der Solidargemeinschaft und torpediert das Prinzip tion Die Linke, wenn Sie statt wiederholter Showanträge der Solidarität. zu Sanktionen bei Hartz IV einmal einen konstruktiven Antrag einbringen würden, der einer Solidargemein- Vielen Dank. schaft gerecht wird. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Wir haben im Koalitionsvertrag – meine Vorrednerin- neten der SPD) nen und Vorredner haben es schon erwähnt – gerade die junge Generation berücksichtigt. Wir wollen uns den Vizepräsident Johannes Singhammer: jungen Menschen widmen und Lücken zwischen der Ju- Bevor der Kollege Paschke gleich das Wort ergreifen gendhilfe und anderen Hilfesystemen weiter reduzieren. wird, hat die Kollegin Kipping die Möglichkeit zu einer Kurzintervention. (Katja Kipping [DIE LINKE]: Die Bund-Län- der-Arbeitsgruppe ist doch höchst intranspa- (Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Jetzt wird rent!) es kritisch!) 3524 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 40. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Juni 2014

(A) Katja Kipping (DIE LINKE): Debatte immer wieder abstreiten –: Es geht darum, das (C) Frau Voßbeck-Kayser, es ist ein beliebtes Spiel Ihrer- bedingungslose Grundeinkommen light einzuführen. seits: Wir kritisieren die gesetzliche Regelung, und Sie (Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: So ist es!) unterstellen uns, wir würden die Arbeit der Mitarbeite- rinnen und Mitarbeiter nicht würdigen. Ich möchte Sie Die Diskussion in der Gesellschaft darüber ist erst am an den Beginn meiner Rede erinnern: Ich habe gleich zu Anfang. Es gibt aber auch viele, die behaupten, sie sei Anfang den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern Respekt schon zu Ende. Jedenfalls finde ich, dass die Einführung und Anerkennung ausgesprochen. eines solchen Einkommens durch die Hintertür gegen die gesellschaftlichen und politischen Mehrheiten erfol- (Kai Whittaker [CDU/CSU]: Das war das erste gen würde. Das ginge auch meilenweit an den Interessen Mal, dass Sie das gemacht haben!) der Menschen vorbei. Meine Fraktion hat darum gekämpft, dass die vielen Stattdessen sollten wir uns die Frage stellen: Was befristeten Stellen bei der Bundesagentur in unbefristete wollen wir denn mit dem SGB II und den Sanktionen er- Stellen umgewandelt werden. Wir haben gegen Kürzun- reichen? Wollen wir Erwachsene erziehen, oder wollen gen bei der Bundesagentur für Arbeit gekämpft, die den wir alle motivieren und befähigen, am gesellschaftlichen Mitarbeitern das Leben schwermachen. Wir wissen von Leben – dazu gehört maßgeblich auch die Erwerbsarbeit – vielen Mitarbeitern, dass sie selber darunter leiden, dass teilzuhaben? Das führt wiederum zu der Frage: Wie er- sie laut Gesetz verpflichtet sind, Sanktionen umzusetzen, reichen wir dieses Ziel am besten? Sind Sanktionen das weil sie ansonsten mit arbeitsrechtlichen Konsequenzen beste Mittel, und wenn ja, wann und in welcher Höhe zu rechnen haben. Das ist nicht nur mein Eindruck. sind sie angemessen und akzeptiert? Meine Kollegin Zimmermann ist in verschiedenen Bei- räten von Jobcentern tätig und hat das ebenfalls bestä- (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜND- tigt. Deswegen sage ich noch einmal: Stellen Sie sich Ih- NIS 90/DIE GRÜNEN]: Zumindest einmal die rer politischen Verantwortung, und hören Sie auf, sich richtigen Fragen!) hinter den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zu verste- cken! Lassen Sie mich das anhand eines Beispiels verdeutli- chen. Ein junge Frau unter 25 Jahren bezieht seit Jahren (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten ununterbrochen Leistungen nach dem SGB II. Trotz des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Hauptschulabschluss stellt das Amt immer wieder fest, dass sie keine Ausbildungsreife hat. Verschiedene För- Weil Sie mir unterstellt haben, dass ich immer nur auf dermaßnahmen konnten sie weder in eine Ausbildung Einzelfälle verweise, will ich daran erinnern – das sind noch in eine Anstellung bringen. Hinzu kam, dass die die offiziellen Zahlen der Regierung –: Rund 40 Prozent (B) Mutter sie aus dem gemeinsamen Haushalt geworfen (D) der Widersprüche gegen Sanktionen wird – je nach Jahr – hatte und die junge Frau daraufhin zu ihrem Vater in eine in Gänze oder teilweise stattgegeben. Das heißt, allein Einzimmerwohnung zog. Die Geschichte der jungen bei den falschen Sanktionen reden wir nicht über Einzel- Frau lässt vermuten, dass sie Schwierigkeiten hat, Inhalt fälle, sondern über 40 Prozent. Es ist also etwas grundle- und Bedeutung amtlicher Schreiben zu verstehen und gend falsch. Da muss man ran. den Aufforderungen Folge zu leisten. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten Zwischen ihr und dem Jobcenter wurde dann eine des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Eingliederungsvereinbarung getroffen. Die darin enthal- tenen Auflagen hat sie nicht vollständig erfüllt. Als Re- Vizepräsident Johannes Singhammer: aktion gab es seitens des Jobcenters eine Sanktion: Der Frau Kollegin Voßbeck-Kayser, möchten Sie darauf Leistungsanspruch wurde gemindert; die junge Frau be- erwidern? – Das ist nicht der Fall. kam weniger Geld. Für sie brach die Welt zusammen. Sie hat keinen Widerspruch eingelegt, aber auch keine Dann hat jetzt der Kollege Markus Paschke, SPD, das Einladung des Jobcenters mehr angenommen. Kurz und Wort. gut: Es dauerte nicht lange, und ihr Leistungsanspruch (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – wurde auf null herabgesetzt. Sie bekam also nicht nur Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- weniger, sondern gar kein Geld. Auch die Mittel zur De- NEN]: Markus, es ist doch alles gesagt!) ckung der anteiligen Miete für die Einzimmerwohnung und der Heizkosten wurden gekürzt. Damit drohten Va- ter und Tochter als Bedarfsgemeinschaft die Wohnung Markus Paschke (SPD): zu verlieren. Nur noch nicht von mir. – Sehr geehrter Herr Präsi- dent! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr ge- Das ist zwar ein Einzelfall, aber wir finden sicher in ehrten Damen und Herren! Es macht keinen Sinn, wenn jedem Wahlkreis ähnliche Fälle. Es ist eine völlig unan- wir uns über den Prozentsatz der Betroffenen streiten. gemessene Bestrafung eines Vaters, der seinen Beitrag Gerade bei diesem Thema geht es um Recht, Gerechtig- leisten wollte, um seiner Tochter zu helfen. Deswegen ist keit und Gerechtigkeitsempfinden. Da zählt für mich im das für mich ein gutes Beispiel, das zeigt: Es gibt Be- Zweifel jeder Einzelne. darf, das bestehende System zu verändern. Als ich Ihren Antrag gelesen habe, habe ich sofort den (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem Eindruck gewonnen – auch wenn Sie das in der heutigen BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 40. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Juni 2014 3525

Markus Paschke (A) Ein erster Schritt hierzu wäre für mich eine verständ- den Eindruck, dass in den vergangenen Jahren das For- (C) liche Sprache in den Schreiben an die Betroffenen. dern gegenüber dem Fördern deutlich die Oberhand ge- wonnen hat. (Daniela Kolbe [SPD]: Das stimmt!) (Beifall der Abg. Brigitte Pothmer [BÜND- Anträge und Bescheide sind rechtlich einwandfrei, aber NIS 90/DIE GRÜNEN]) für Laien häufig völlig unverständlich verfasst. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Hier muss wieder eine Balance geschaffen werden. Wie sollen Menschen darauf reagieren, wenn sie nicht (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/ oder nur teilweise verstehen, was man eigentlich von ih- CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- nen will? Haben Sie schon einmal das Vergnügen ge- NEN) habt, ein solches Schreiben jemandem erklären zu müs- Deshalb packen wir die Themen in der Großen Koali- sen, der es nicht verstanden hat? Manche Sätze muss tion an. auch ich zwei- oder dreimal lesen. Das ging mir aller- dings bei dem vorliegenden Antrag ähnlich. (Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Na, das warten wir mal ab!) (Heiterkeit und Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Katja Kipping [DIE LINKE]: Wir haben im Koalitionsvertrag vereinbart, in einem ers- Aber Ihnen droht keine Streichung der Diäten ten Schritt die gesonderten Sanktionen für junge Men- um 30 Prozent! Keine Angst! – Dr. Wolfgang schen bis 25 Jahre zu überprüfen. Unterschiedliche Stra- Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- fen für jemanden, der 25 Jahre alt ist, und jemanden, der NEN]: Das gilt aber nicht nur für Anträge der 26 Jahre alt ist, sind für mich und für ganz viele Betrof- Linken!) fene überhaupt nicht nachvollziehbar. Zweitens. Bei der Ausgestaltung der Sanktionen be- Eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe erarbeitet bereits steht für mich Handlungsbedarf. Ich finde, Gelder für seit letztem Jahr sowohl für den Bereich Rechtsvereinfa- Miete und Heizung dürfen nicht gekürzt werden. chung als auch für den Bereich Sanktionen konkrete Vorschläge für Verbesserungen. Erste Ergebnisse erwar- (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem ten wir noch in diesem Sommer. Danach werden wir uns BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) hier im Bundestag mit diesen Vorschlägen auseinander- Wir wollen Teilhabe organisieren, nicht Wohnungslosig- setzen. Ich finde, es ist ein gutes parlamentarisches Ver- keit. fahren, wenn man erst einmal den Rat der Experten ab- wartet, bevor man politische Entscheidungen trifft. (B) Drittens. Die Verhältnismäßigkeit des bürokratischen (D) Aufwands müssen wir überprüfen. Macht es denn wirk- Gute politische Arbeit bedeutet für uns: motivieren lich Sinn, alle sechs Monate einen neuen Antrag zu stel- und fördern statt alleinlassen, einfache und verständliche len? Ich finde, wir sollten weniger verwalten und mehr Regeln statt Bürokratiemonster – und vor allem: küm- unterstützen und fördern. mern statt verwalten. Bei allem, was wir hier in die Wege leiten, sollten wir immer die Menschen in den (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Mittelpunkt stellen. DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) In diesem Sinne danke ich für die Aufmerksamkeit und wünsche allen frohe Pfingsten. Viertens. Wir brauchen mehr Klarheit und Verständ- lichkeit in den Regeln zum SGB II. Wir wollen nicht (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem Richter und Rechtsanwälte beschäftigen, sondern Men- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. schen zur Teilhabe befähigen. Jörn Wunderlich [DIE LINKE]) (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Johannes Singhammer: Abschließender Redner zu diesem Tagesordnungs- Ich stelle also fest: Die Sanktionspraxis bedarf einer punkt ist der Kollege Kai Whittaker, CDU/CSU, dem ich gründlichen und nachhaltigen Überprüfung. Ich sage be- hiermit das Wort erteile. wusst: Überprüfung. Denn bei den Leistungen nach dem SGB II handelt es sich um einen Interessenausgleich (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- zwischen Leistungsempfängern und Leistungsgebern. neten der SPD) Die Leistungsgeber sind wir alle; das ist unsere Gesell- schaft. Ich denke, unsere Gesellschaft hat einen An- Kai Whittaker (CDU/CSU): spruch darauf, dass sich jeder im Rahmen seiner Mög- Herr Präsident! Liebe Kollegen! Heute reden wir über lichkeiten bemüht, diese Unterstützung zu beenden. Sanktionen für Leistungsempfänger – ein Thema, liebe Linke, das Ihnen am Herzen liegt. Seit Jahren stellen Sie (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Anträge hierzu. Man sollte meinen, dass Sie sich mit die- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) sem Thema sehr gut auskennen. Ich saß also mit Ihrem Wir haben aber auch die Pflicht, diejenigen, die sich Antrag da und habe überlegt, wie ich das Ganze am bes- bemühen, zu unterstützen, egal in welchem Bereich ten kritisieren kann. Zwei Dinge ließen mich dabei nicht diese Unterstützung benötigt wird. Ich persönlich habe mehr los: 3526 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 40. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Juni 2014

Kai Whittaker (A) Das eine war in der Tat die Reflexartigkeit meiner Wem wäre mit Ihrem Antrag denn wirklich geholfen? (C) Handlung. Ich habe gerade erst hier angefangen, und Doch nur Ihrem Profil! Dafür verstopfen Sie den halben schon habe ich mir ein Ritual dieses Hauses angewöhnt: Ausschuss, während wichtige Arbeit liegen bleibt. Das Da flattern Anträge von der Opposition herein, und noch ist weit unter dem Potenzial, das parlamentarische Ent- bevor man sie gelesen hat, weiß man, dass man sie ab- scheidungsfindung leisten kann. Sicher, die eigentliche lehnen wird. Der Grund ist einfach: Trotz vielleicht wah- Arbeit findet in den Ausschüssen statt. Aber genau die- rem Kern glänzen viele der Anträge durch unrealistische ser Moment im Plenum, an dem Sie oder ich hier stehen Forderungen. Das ist aus Sicht der Opposition nicht und reden, das ist der Moment, in dem die wenigen Zu- wirklich schlimm; denn für sie muss Politik nicht realis- schauer, die wir hier noch haben, den Bundestag erleben. tisch sein, sondern großzügig klingen. Wenn die am Lassen Sie uns den Zuschauern doch wirklich einmal et- Steuer aussehen wie zynische Geizhälse, dann wird das was bieten statt der sitzungstäglichen Show, gern in Kauf genommen, quasi als Kollateralschaden – Ziel erreicht! (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN]: Lassen Sie das doch Unsichtbar für die Außenstehenden werfen dann die endlich!) zuständigen Abgeordneten die Selbstverteidigungsma- schinerien an: Da sitzen dann knapp eine Woche lang die wir hier veranstalten. ungefähr 50 emsige Mitarbeiter in unseren Büros und (Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- googeln sich die Finger blutig. Man will alles wissen: NEN]: Sie haben noch kein einziges inhaltli- Was für Anträge hat die Opposition in den letzten ches Argument gebracht!) 100 Jahren zu dem Thema gestellt? Irgendetwas Peinli- ches? Gibt es irgendwo Widersprüche? Vielleicht wollen uns die Wählerinnen und Wähler etwas (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE sagen, wenn sie eine Partei mit dem Slogan „Inhalte GRÜNEN]: Bitte zum Thema reden!) überwinden“ wählen. Die Partei mit diesem Slogan hat bei der letzten Europawahl nämlich 180 000 Stimmen Hauptsache, man kann sie bloßstellen. – Eine hausin- bekommen. terne Detektei hätte wahrscheinlich mehr zu tun als un- ser Wissenschaftlicher Dienst. Ich will hier nicht den Moralapostel spielen; nach so kurzer Zeit der Zugehörigkeit steht mir das auch nicht (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und zu. Aber wir sollten aufhören, uns mit uns selbst zu be- der SPD) fassen, und wir müssen konstruktiv zusammenarbeiten. Diebisch freut man sich dann über jede Verwundbar- Liebe Linke, bitte geben Sie sich da ein bisschen mehr (B) keit, die da auftaucht, und Suchergebnisse verwandeln Mühe. (D) sich in wahre Trefferlisten. Manchmal macht so ein Tref- Die zweite Sache, die mir auffiel, klang zum Teil fer ja auch Spaß. Auch ich bekenne mich schuldig im schon durch. Das Thema Sanktionen ist nur ein Bruch- Sinne der Anklage. teil eines großen Problems, das wir alle gemeinsam tra- Doch, meine Damen und Herren, ich frage Sie ganz gen: Arbeitslosigkeit. Bei diesem Thema hatte ich, im Ernst: Ist das die Existenzberechtigung der Opposi- ehrlich gesagt, gar keine Lust, Ihren Antrag auseinander- tion? zupflücken und in Definitionsorgien zu verfallen. (Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Ja, in dem (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜND- Fall schon!) NIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, dann lassen Sie es doch einfach! – Katja Kipping [DIE LINKE]: Anträge zu schreiben, bloß damit die regierenden Par- Aber jetzt müssen Sie mal ein Argument lie- teien schlecht dastehen? Sie hauen hier ein Ding raus mit fern! Sie haben neun Minuten! Sie haben so meterlangen Begründungen – für zwei magere Forderun- viel Redezeit!) gen. Es bringt doch niemanden weiter, ständig Scheindiskus- Klar, es wäre toll, wenn die Sanktionen wegfielen. sionen über dieses Thema zu führen. Ich bin überzeugt, (Katja Kipping [DIE LINKE]: Das ist jetzt wi- dass unsere Gesellschaft hier eine Großbaustelle igno- dersprüchlich! – Weitere Zurufe von der LIN- riert. KEN) (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜND- Da freuten sich alle Betroffenen – für fünf Minuten. NIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie müssen nicht die Aber aus der Arbeitslosigkeit, aus der sozialen Not holen ganzen neun Minuten reden!) Sie die Leute damit nicht heraus. Lassen Sie uns wirklich einmal über das Thema Ar- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- beitslosigkeit reden. In der Tat werden manche unserer neten der SPD) Gesetze oder auch deren Ausführungen der Realität Wie Sie das Problem lösen wollen, dazu sagen Sie nicht gerecht. Fest steht: Bei der Arbeitslosigkeit warten nichts. eine Menge Probleme auf uns. Wenn wir die Langzeitar- beitslosen in den Blick nehmen, dann sehen wir Folgen- (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Dafür des: Akribisch verfolgen wir da die Regelverstöße. haben wir gute andere Vorschläge!) Manchmal verlieren wir die aus dem Blick, die statt Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 40. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Juni 2014 3527

Kai Whittaker (A) komplizierter Regeln Hilfe bräuchten. Diesen Menschen Wenn jemand zum Beispiel sieben Wochen krank ist, (C) müssen wir ein besseres Angebot machen. fängt seine offizielle Betreuungsdauer wieder bei null an. Das halte ich wirklich für absurd. So kann der Bun- (Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Ja, aber dann destag, so können wir nicht effektiv sehen, wie unsere machen Sie mal!) Maßnahmen wirken. Für ein klares Bild darüber, wie er- Wir bieten ihnen momentan nicht sehr viel außer Be- folgreich wir sind, brauchen wir bessere Erfolgskrite- schäftigungsprogrammen, die eher Ablenkungsmanö- rien, transparentere Daten und das gesammelte Know- vern gleichen. Damit geben wir in der Tat eine halbe how all jener, die sich mit Arbeitslosen beschäftigen. Million Menschen in diesem Land einfach auf. Nachdem wir angefangen haben, unsere Arbeitslosen Wir müssen unsere Kriterien der Realität anpassen. in den Agenturen und Jobcentern „Kunden“ zu nennen, Wir brauchen Regeln, denen die Arbeitslosen gerecht sollten wir sie nun auch so behandeln und sie in den Mit- werden können. Versuchen Sie einmal, einen Ball in ei- telpunkt unserer Bemühungen stellen. So könnten wir, nen Briefkasten zu bekommen: Da können Sie drücken, wenn wir uns denn dafür entscheiden, Politik zur Dienst- so fest Sie wollen, das wird nicht passen. Genauso ist es leistung für den Bürger machen – eine Sichtweise, die manchmal mit unseren Sozialgesetzen, die Vielfalt kei- der britischen Verwaltungsstruktur übrigens Millionen nen Raum lassen. Es ist eine Illusion, zu glauben, dass einspart. Denn wenn ich den Kunden im Blick habe, wir Menschen mit unterschiedlichsten Problemen schaffe ich ein Produkt, das jeder versteht, das einfach schnell in den ersten Arbeitsmarkt bringen können. Und wirkt und die versprochene Leistung bringt. eine bessere Bastelstunde ist auch nicht die Lösung. Wir Aber konkret noch einmal zu Ihrem Antrag, liebe sollten einsehen, dass manch einer nur langfristig wieder Linke. Sie haben vielleicht gemerkt: Den innersten Kern zum Arbeitsmarkt findet und wir eine Arbeitsvermitt- Ihres Antrags zu den Sanktionen habe ich gehört. Ableh- lung brauchen, die Wirtschaft, sozialpädagogische Be- nen muss ich Ihren Antrag trotzdem. Lassen Sie mich im treuung und Integrationsbetriebe miteinander verzahnt. Geiste der Großen Koalition hier einen SPD-Politiker, Arbeitslosigkeit macht krank; das wissen wir. Wir Kurt Schumacher, zitieren: wissen ebenfalls, dass Sanktionen, wie wir sie jetzt ha- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) ben, nicht so effizient sind, wie wir uns das wünschen, dass manche jungen Menschen Schwierigkeiten bekom- Das Wesen der Opposition ist der permanente Ver- men und aus dem System auch verschwinden, bis sie such, an konkreten Tatbeständen mit konkreten vielleicht auf der Straße oder gar im Gefängnis wieder Vorschlägen der Regierung und ihren Parteien den angespült werden. positiven Gestaltungswillen der Opposition aufzu- zwingen. (D) (B) (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE Sie haben zwar einen Teil des Problems im Ansatz GRÜNEN]: Was schlagen Sie vor?) richtig benannt, aber den positiven Gestaltungswillen Aus rechtlicher und aus volkswirtschaftlicher Perspek- konnte ich nicht finden. tive müssen wir dieses System tatsächlich in einigen Be- (Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Sehr reichen überdenken. gut!) (Zurufe von der LINKEN: Überdenken Sie Die notwendige Einordnung in den Kontext und einen mal! – Wohin denn?) echten Lösungsvorschlag bleiben Sie uns schuldig. Da- Da wir gerade bei der Wirtschaft sind, möchte ich mit bewegen Sie sich weit unter Ihren Möglichkeiten als gern einen Vorschlag machen: Warum nicht auch An- Opposition. Nehmen Sie mir das nicht krumm; das ist reize setzen? Eine Menge an Belegen deutet darauf hin: konstruktiv gemeint. Mit einer durchdachten Anreizstruktur schafft man Mo- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- tivation und Ziele für die, denen keiner mehr etwas zu- neten der SPD – Jörn Wunderlich [DIE traut. Man kann, wenn man will, sanktionieren ohne die LINKE]: Danke schön!) ganzen negativen Effekte. Wo wirkliche Belohnungen gegeben werden, können wir sie auch wieder nehmen. Ich sage Ihnen auch ganz eindeutig: Ich lasse mich nicht in die Ecke drängen, dieses Parlament in die Guten Fazit: Wir dürfen die Leute nicht einfach so abschrei- und die Bösen aufzuteilen. Wir machen hier Bundespoli- ben. Unsere Gesetzgebung und unsere Verwaltungs- tik und müssen die Verantwortung für die viertstärkste strukturen müssen Möglichkeiten schaffen, haushaltsge- Wirtschaftsnation der Welt sowie für 80 Millionen Men- recht und bedürfnisgerecht zu fördern. schen übernehmen. Sowohl unsere Anträge als auch un- Ein weiteres Problem, meine Damen und Herren, ser Gebaren müssen das widerspiegeln; denn die Men- sehe ich bei der Messung unserer Ergebnisse. Die Bun- schen bezahlen uns nicht für rhetorische Schaukämpfe. desagentur kann mir zum Beispiel nicht sagen, wie lange (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE ein Langzeitarbeitsloser insgesamt unter dem System GRÜNEN]: Das stimmt! Nehmen Sie das bitte des ALG II betreut wurde. mal zur Kenntnis!) (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜND- Daher biete ich Ihnen an, liebe Kollegen: Schalten Sie NIS 90/DIE GRÜNEN]: Da gibt es Statistiken die automatische Wiedervorlage für „Antrag stellen: vom IAB!) Sanktionen abschaffen“ aus, 3528 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 40. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Juni 2014

Kai Whittaker (A) (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Wenn Arbeit und nicht zuletzt unregelmäßiges Einkommen, (C) wir das gemacht hätten, gäbe es den Mindest- das oft kaum zum Leben reicht. Aufgrund all dieser Un- lohn nicht!) sicherheiten brauchen Künstler und Designer, Kreative und Werbefachleute, Schriftsteller und Publizisten eine und lassen Sie uns gemeinsam ein System überarbeiten, soziale Absicherung, auf die sie sich verlassen können. bei dem es offensichtlich Probleme gibt und das den Menschen in unserer Republik nicht hilft! Dafür werden (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem wir alle gewählt. Ich denke, das ist eine angemessene BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Aufgabe für ein selbstbewusstes Parlament wie uns. Die Einführung der Künstlersozialkasse vor 30 Jahren Vielen Dank. war dafür ein Meilenstein. Heute leisten wir mit dem Gesetz zur Stabilisierung des Künstlersozialabgabesat- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- zes dazu einen weiteren wichtigen Beitrag. Es sind vor neten der SPD) allem zwei Ziele, die wir mit diesem Gesetzentwurf er- reichen: erstens echte Abgabengerechtigkeit zwischen Vizepräsident Johannes Singhammer: den Unternehmen und zweitens einen stabilen Abgabe- Damit sind alle vorgesehenen Redebeiträge zu diesem satz. In den letzten beiden Jahren musste der Künstlerso- Tagesordnungspunkt gehalten, und deshalb schließe ich zialabgabesatz deutlich angehoben werden: von 3,9 auf die Aussprache. 5,2 Prozent. Einen weiteren Anstieg werden wir mit die- sem Gesetzentwurf durch einen effektiven Prüfmecha- Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf nismus verhindern, und zwar ohne dass unnötiger büro- Drucksache 18/1115 an die in der Tagesordnung aufge- kratischer Aufwand entsteht. führten Ausschüsse vorgeschlagen. – Ich sehe, dass sich kein Widerspruch dagegen erhebt. Dann ist die Überwei- Die Rentenversicherung wird die Künstlersozialab- sung so beschlossen. gabe bei den alle vier Jahre stattfindenden Sozialversi- cherungsprüfungen mitprüfen. Das ist effizient, weil Ich rufe den Tagesordnungspunkt 28 auf: keine zusätzlichen Kontrolltermine notwendig sind. Zu- Erste Beratung des von der Bundesregierung ein- gleich wird die Rentenversicherung die Arbeitgeber um- gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Sta- fassend informieren und beraten. Von den Unternehmen, bilisierung des Künstlersozialabgabesatzes die weniger als 20 Beschäftigte haben, werden nur die- (Künstlersozialabgabestabilisierungsgesetz – jenigen geprüft, bei denen das Bestehen einer Abgabe- KSAStabG) pflicht am wahrscheinlichsten ist. Arbeitgeber, die nicht geprüft werden, müssen bestätigen, abgabepflichtige (B) Drucksache 18/1530 Sachverhalte von sich aus zu melden. Genau damit wird (D) Überweisungsvorschlag: der Verwaltungsaufwand für kleinere Betriebe gegen- Ausschuss für Arbeit und Soziales (f) über flächendeckenden Prüfungen deutlich reduziert. Ausschuss für Kultur und Medien Gleichzeitig aber stellen wir sicher, dass alle abgabe- Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für pflichtigen Arbeitgeber erfasst werden. diese Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre Darüber hinaus führen wir eine Bagatellgrenze ein. keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Wer zum Beispiel zu Werbezwecken kleinere Aufträge Ich eröffne die Aussprache. Erste Rednerin ist für die an einen selbstständigen Designer erteilt, die unterhalb Bundesregierung die Parlamentarische Staatssekretärin von 450 Euro im Jahr liegen, ist nicht abgabepflichtig. Gabriele Lösekrug-Möller, der ich hiermit das Wort er- Das erleichtert die Anwendung des Künstlersozialversi- teile. cherungsgesetzes. Es schafft auch mehr Rechtssicherheit für Unternehmen ohne nennenswerte Einnahmeausfälle. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Wir stellen also sicher, dass es gerecht zugeht. Aber wir verlieren auch nicht die Lebenswirklichkeit in den Un- Gabriele Lösekrug-Möller, Parl. Staatssekretärin ternehmen aus den Augen. So haben wir es im Koali- bei der Bundesministerin für Arbeit und Soziales: tionsvertrag vereinbart, und so setzen wir es um. Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Kolleginnen und Kollegen! Wir wissen: Ohne die Ge- der CDU/CSU) staltungskraft der Künstler und Kreativen wäre unser Land nicht so lebenswert und um einiges ärmer. Aber Die Künstlersozialkasse und die Rentenversicherung auch für unsere Wirtschaft ist diese Branche ein wichti- werden bei der Arbeitgeberprüfung eng zusammenarbei- ger Impulsgeber. Immerhin 143 Milliarden Euro Umsatz ten. Die Künstlersozialkasse erhält zudem ein eigenes machte die Kreativwirtschaft allein im Jahr 2012 – Ten- Prüfrecht, um branchenspezifische Schwerpunktkontrol- denz steigend. len und anlassbezogene Prüfungen selbst durchzuführen. Gleichzeitig wird sie die Mitarbeiterinnen und Mitarbei- Hinter diesen Zahlen stehen mehr als 1 Million ter der Rentenversicherung mit ihrem Wissen über die Frauen und Männer, die ihren Beruf mit ganz besonde- Kultur- und Kreativwirtschaft, eine ja besondere Bran- rem Einsatz und viel Herzblut ausüben. Viele von ihnen che, unterstützen. So verbessern wir Fachkompetenz vor nehmen dafür soziale Risiken auf sich: selbstständige Ort. und abhängige Beschäftigung, die sich abwechseln oder überschneiden, projektbezogene und unvorhersehbare (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 40. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Juni 2014 3529

Parl. Staatssekretärin Gabriele Lösekrug-Möller (A) Liebe Kolleginnen und Kollegen, eine starke, innova- Gut finde ich, dass Rentenversicherung und Künstler- (C) tive Kulturbranche braucht eine zukunftsfeste Künstler- sozialkasse zukünftig enger zusammenarbeiten sollen. sozialkasse. Mit diesem Gesetz sorgen wir dafür, dass Effektivere Abläufe helfen sicherlich, auf Unterneh- Künstlerinnen, Künstler und Kreative Zeit für das haben, mensseite das Verständnis für die Abgabe zu verbessern. was sie am besten können, ohne sich ständig Sorgen Akzeptanz ist wichtig; denn fatalerweise steigt oder fällt über ihre soziale Absicherung machen zu müssen; denn die Akzeptanz der Künstlersozialkasse mit der Höhe des wir wissen: Nur wer den Kopf frei hat, kann wirklich jeweiligen Abgabesatzes. Es darf aber nicht sein, dass kreativ sein. Das wollen wir erreichen. bei jeder neuen Festlegung des Beitragssatzes über die Zukunft der Künstlersozialkasse neu diskutiert wird. Vielen Dank. Leicht hatte es die Kasse nie. Immer war sie massiven (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem Angriffen von Arbeitgeberseite ausgesetzt. Für eine der- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. artig großartige sozialpolitische Errungenschaft wie die Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]) Künstlersozialkasse ist es aber verheerend, wenn die Debatte um eine potenzielle Erhöhung des Abgabesatzes Vizepräsident Johannes Singhammer: jedes Jahr neu zur Existenzfrage wird. Es steht dem Präsidenten nicht zu, die Bundesregie- (Beifall bei der LINKEN) rung oder andere zu loben, aber ich muss doch feststel- len, dass Ihre Rede bezüglich der Redezeit eine Punkt- Hier brauchen wir endlich Stabilität, nicht zuletzt für un- landung war, nämlich auf die Sekunde. sere Künstlerinnen und Künstler. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Beifall bei der LINKEN) der CDU/CSU) Warum, zeigt ein Beispiel, das der Deutschlandfunk Nächste Rednerin ist die Kollegin Sigrid Hupach, Die vor einiger Zeit sendete: Sonntagnachmittag in einem Linke. Kindertheater in Köln. Auf der Bühne: Hänsel und Gre- tel. Gretel heißt eigentlich Sophie. Die 28-Jährige spielt (Beifall bei der LINKEN) diese Rolle mehrmals im Monat, allerdings ohne festes Bühnenengagement. Gerade einmal 50 Euro brutto ver- Sigrid Hupach (DIE LINKE): dient sie pro Auftritt. Der Weg in die Selbstständigkeit Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen war für sie nur machbar, weil sie sich günstig sozial absi- und Herren! Ich freue mich, dass die jetzige Koalition im chern kann, wie eine Angestellte. Möglich ist das nur mit Gegensatz zur vorherigen endlich den so dringend not- der Künstlersozialversicherung. So wie Sophie sind in wendigen Gesetzentwurf zur Stabilisierung des Künst- (B) Deutschland fast 180 000 Kreative sowie Publizistinnen (D) lersozialabgabesatzes vorgelegt hat. und Publizisten versichert. Laut Künstlersozialkasse ha- (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- ben sie ein durchschnittliches Einkommen von circa NIS 90/DIE GRÜNEN) 14 500 Euro im Jahr. Das ist nicht gerade üppig. Deswe- gen gibt es diese Kasse. Die Gesetzesnovelle war überfällig und ist ein erster Schritt in die richtige Richtung. Das Gesetz stellt klar, Ich verstehe nicht, dass die Wirtschaft schon wieder dass geltendes Recht auch umgesetzt werden muss. Es sagt, dass das neue Abgabeverfahren zu kompliziert und/ ermöglicht eine gegenüber der bisherigen Praxis deutlich oder der Aufwand zu hoch sei. Die Abgabepflicht der ausgeweitete Überprüfung von Unternehmen. Diese re- Unternehmen wird schließlich nicht durch eine neue Ge- gelmäßige Überprüfung der Abgabepflicht ist unabding- setzeslage begründet, sondern besteht seit Jahren. Ich bar und sollte eine Selbstverständlichkeit sein: plädiere zudem dafür, dass in einer neuen gesetzlichen Regelung auch die Grundlagen für ein elektronisches (Beifall bei der LINKEN) Meldeverfahren geschaffen werden. Dies könnte dem für die Deutsche Rentenversicherung als Überprüfende Argument des potenziell zu hohen bürokratischen Auf- genauso wie für die Unternehmen. Aber von dieser wands den Wind aus den Segeln nehmen. Selbstverständlichkeit sind wir beim Thema Künstler- Der heute debattierte Gesetzentwurf ist ein Kompro- sozialkasse leider noch weit entfernt. miss, ein Kompromiss vor allem mit der deutschen Ren- In den letzten Jahren haben sich so viele Unterneh- tenversicherung, deren völlig überzogene Zahlen maß- men ihrer Abgabepflicht entzogen, dass 2014 der Abga- geblich für das Scheitern einer Überprüfungsregelung im besatz von 4,1 Prozent auf 5,2 Prozent hochgesetzt wer- letzten Sommer mit verantwortlich waren. den musste. Wir, die Linke, fordern schon lange eine Die grundsätzlichen finanziellen Probleme der Künst- flächendeckende Überprüfung der Verwerter, sprich: der lersozialkasse kann dieses Gesetz allein aber nicht lösen, Unternehmen. und ob es sich bewährt, wird die für das Jahr 2019 ge- (Beifall bei der LINKEN) plante Evaluation zeigen. Denn wir brauchen Abgabegerechtigkeit. Die gibt es nur Will man die Künstlersozialkasse dauerhaft erhalten, mit einem gesetzlich festgelegten Prüfrhythmus. Es kann müssen wir weitergehen, als es dieses Gesetz heute tut. nicht sein, dass die Unternehmen, die ehrlich zahlen, Da wäre einerseits über den Bundeszuschuss zu reden, letztendlich mit einem höheren Abgabesatz bestraft wer- andererseits über die Weiterentwicklung und den Zu- den, weil andere ihre Beiträge nicht zahlen. gang zur Künstlersozialkasse. Denn in ihr spiegelt sich 3530 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 40. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Juni 2014

Sigrid Hupach (A) ein gesamtgesellschaftliches Problem wider: Viele Men- Zum 1. Januar stieg der Beitragssatz über 1 Prozent- (C) schen sind heute kurzfristig beschäftigt oder in wech- punkt von 4,1 Prozent auf 5,2 Prozent. Jetzt schaffen wir selnden Erwerbsformen tätig. Vor allem betrifft dies Abgabengerechtigkeit und Beitragssatzstabilität und set- Freiberufler und Selbstständige, vorwiegend im künstle- zen damit die Vereinbarungen des Koalitionsvertrages rischen Bereich. Für die soziale Absicherung und Alters- um. Dazu werden wir auch die Prüfungen durch die vorsorge dieser Menschen brauchen wir dringend Lö- Träger der Rentenversicherung erheblich ausweiten. sungen. Denn unser Ziel ist es, einen weiteren Anstieg der Künstlersozialabgabe zu vermeiden und die Künstler- Danke. sozialkasse zu stabilisieren. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- Das Ziel der Stabilisierung des Abgabesatzes ist neten der SPD) wichtig und richtig. Wir wissen alle, dass die Höhe von Abgaben und das Ausmaß von Bürokratie Arbeit in Vizepräsident Johannes Singhammer: Deutschland verteuern können. Deshalb ist es wichtig, Nächste Rednerin ist für die CDU/CSU die Kollegin an die Unternehmen und insbesondere an unsere kleinen Jana Schimke. Unternehmen zu denken. Sie erteilen oft Aufträge nur (Beifall bei der CDU/CSU) zum Zweck der Eigenwerbung und werden jetzt über die Einführung der Geringfügigkeitsgrenze von 450 Euro entlastet. Auch die Begrenzung auf stichprobenartige Jana Schimke (CDU/CSU): Prüfungen bei kleinen Betrieben ist positiv und zeigt, Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Her- dass wir bei den Anforderungen kleine Betriebe berück- ren! Die Künstlersozialversicherung hat eine Sonderstel- sichtigt haben. lung in der deutschen Sozialversicherung, und das aus gutem Grund; denn den Raum für das Andersdenken zu Natürlich kann man immer darüber nachdenken, wo garantieren und Freiheit von Kunst und Kultur zu för- weitere Entlastungen geschaffen und Vereinfachungen dern, ist das Prinzip der Bundesregierung. Es ist Arbeits- erzielt werden müssen. Ich halte deshalb auch die Anre- auftrag und Verpflichtung zugleich. gungen der Wirtschaft für wichtig, künftig unter ande- rem über die Höhe der Geringfügigkeitsgrenze oder auch Künstlerinnen und Künstler in Deutschland – das sind über die Anzahl der Aufträge, an die diese Grenze ge- zahllose Schriftsteller, Musiker, Grafiker, Fotografen, koppelt ist, zu sprechen. Deshalb ist es sinnvoll, dass wir Tänzer oder auch Schauspieler. Sie leben von ihren krea- diese neuen Regelungen im Jahr 2019 einer Prüfung un- tiven Leistungen, und die Gesellschaft lebt von und mit terziehen werden. Sie wissen, wir reden gerade auch im ihnen. Kunst und Kultur sind mehr als eine Bereicherung Rahmen der Mindestlohndebatte darüber, wie und wann (B) (D) für unsere Gesellschaft, sie haben identitätsstiftende wir evaluieren. Ich glaube, das ist etwas, was alle Ge- Kraft. So sorgen der föderale Aufbau Deutschlands und setzgebungsverfahren kennzeichnen sollte. die Kulturhoheit der Länder für eine Vielzahl kultureller Einrichtungen und eine reiche Kulturszene in Deutsch- Eine Evaluation ist auch deshalb geboten, da der Auf- land. Mehr als 100 Opernspielstätten gibt es bundesweit, wand und die zusätzlichen Einnahmen durch die ver- so viele wie in keinem anderen Land der Welt. Ebenso stärkte Prüftätigkeit sehr unterschiedlich eingeschätzt gehört unser Land mit über 94 000 neuen und neu aufge- wurden. Ich denke, wir sind mit der jetzigen Reform auf legten Büchern pro Jahr zu den großen Buchnationen. dem richtigen Weg. Dennoch sollten wir auch für wei- tere Diskussionen und alternative Regelungen offenblei- Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich gehe davon aus, ben. dass alle hier Anwesenden mindestens eine Tageszeitung am Tag lesen. Die insgesamt etwa 350 Tageszeitungen Nicht von der Hand zu weisen ist die Kritik, dass Un- und die enorme Zeitschriftenvielfalt in Deutschland sind ternehmen die Künstlersozialabgabe auch zahlen müs- nicht nur der Beleg für eine lebendige Medienlandschaft. sen, wenn Künstler nicht in der Künstlersozialversiche- Sie sind der Beleg für Meinungsfreiheit und für Vielfalt, rung versichert sind. Diese Regelung ist kritikanfällig, die sich täglich in der Arbeit unserer Journalistinnen und da weder der Auftraggeber noch der Künstler oder die Journalisten ausdrückt. Kunst und Kultur existieren Künstlerin selbst von diesem Beitrag profitieren. Sie er- nicht einfach so, sondern sie entstehen überhaupt erst innern sich vielleicht an die Diskussion um das Renten- durch die Arbeit der Künstler. Wir brauchen unsere paket und die Einführung der Flexirente. Auch da haben selbstständigen Künstlerinnen und Künstler in Deutsch- wir diese Frage im Zusammenhang mit der Beschäfti- land. Sie sind Voraussetzung für diese lebendige Kultur- gung älterer Arbeitnehmer und der Beschäftigung von landschaft. Rentnern diskutiert. Sie tritt hier erneut auf. Ich denke, die Debatte sollte deswegen auch in Zukunft aufgegrif- Das alles geht nicht ohne einen Schutz in der Sozial- fen, geführt und bewertet werden. versicherung. Die Künstlersozialversicherung bietet die- sen Schutz in der gesetzlichen Kranken-, Pflege- und Auch die Ausweitung des Künstlerbegriffs und die insbesondere Rentenversicherung. Sie ist eine bedeu- Frage „Was ist Kunst?“ sind letztendlich gerechtfertigt. tende Einrichtung für die soziale Absicherung und Ebenso müssen wir abwarten, wie sich die Schaffung ei- Altersvorsorge der deutschen Künstler. Der heute disku- nes eigenen Prüfrechts auf die Künstlersozialkasse aus- tierte Gesetzentwurf zur Stabilisierung des Künstlerso- wirken wird. Mit der Reform im Jahr 2007 wurde die zialabgabesatzes ist eine Antwort auf die Entwicklung flächendeckende Prüfung der Abgabepflicht explizit auf der letzten Jahre. die Deutsche Rentenversicherung übertragen, um Abga- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 40. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Juni 2014 3531

Jana Schimke (A) begerechtigkeit herzustellen. Unser zukünftiger Auftrag Man darf das aber auch nicht überschätzen. Es ist ein (C) wird deshalb sein, zu beobachten, wie dieser Prüfauftrag wichtiger Beitrag, aber nicht der Einzige. Ich möchte an wirkt. dieser Stelle übrigens nicht nur der Bundesregierung danken, der es – im Gegensatz zur letzten Bundesregie- Auch sollten wir über grundlegende Fragen wie zum rung – gelungen ist, jetzt einen Gesetzentwurf vorzule- Beispiel über die des Verwerters im Gespräch bleiben. gen, sondern auch den über 70 000 Menschen, die eine Verlage, Theater oder auch Musikproduzenten können Petition an den Deutschen Bundestag gerichtet haben, in als Verwerter angesehen werden. Trifft dies aber auch der das, was jetzt umgesetzt worden ist, gefordert wurde. auf das kleine Unternehmen zu, das sich die Homepage Das ist ein Zeichen lebendiger Demokratie und zeigt von einem Webdesigner gestalten lässt, der nicht in der noch einmal, wie wichtig der Petitionsausschuss für un- Künstlersozialversicherung versichert ist? sere Demokratie ist. Die Künstlersozialversicherung ist ein kompliziertes (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Konstrukt für eine spezifische Gruppe der Selbstständi- sowie bei Abgeordneten der SPD) gen. Unser Ziel und Auftrag für die Zukunft sollte daher sein, weiterhin über die grundsätzlichen und sozialpoliti- Wie gesagt: Manches, was im letzten Jahr in der Dis- schen Fragen der Künstlersozialversicherung im Ge- kussion gesagt worden ist – es hieß, durch das fehlende spräch zu bleiben. Gesetz würde die Existenz der Künstlersozialversiche- rung gefährdet oder sie quasi abgeschafft –, halte ich für Heute aber leisten wir einen wichtigen Beitrag für die übertrieben. Andererseits ist es aber auch übertrieben, zu Rechtssicherheit in der Künstlersozialversicherung und behaupten, dass mit dem Gesetz, das wir hoffentlich bald für den Fortbestand der Kunst und Kultur in Deutsch- verabschieden können, alle Probleme gelöst sind. Viel- land. mehr gibt es weitere strukturelle Probleme bei der Vielen Dank. Künstlersozialversicherung. Man muss schauen, wie sich der Beitragssatz weiterentwickelt und wovon sonst (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) die Abgabenentwicklung abhängt. Ich glaube, wir soll- ten hier ohne Tabus herangehen. Es gibt da wichtige strukturelle Fragen, die wir tatsächlich angehen müssen. Vizepräsident Johannes Singhammer: Auch so etwas wie der Bundeszuschuss darf meines Er- Nächster Redner ist der Kollege Dr. Wolfgang achtens kein Tabu sein; möglicherweise muss man auch Strengmann-Kuhn für Bündnis 90/Die Grünen. an der Stelle nachjustieren. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (BÜNDNIS 90/ (D) (B) DIE GRÜNEN): und bei der LINKEN) Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Die Einnahmeseite ist nicht das einzige Problem im Künstlersozialversicherung ist ein typisches Beispiel da- Hinblick auf die Akzeptanz einer Sozialversicherung; für, wie soziale Sicherung eine Grundlage für selbstbe- auch die Ausgabenseite, die Leistungsseite, ist wichtig. stimmte Tätigkeit, für Freiheit, für Kreativität und für Es ist schon angesprochen worden: Die Einkommenssi- die Förderung von Innovationen sein kann. Ich glaube, tuation von Künstlerinnen und Künstlern ist in vielen dass man das nicht stark genug betonen kann, weil oft Fällen mehr als prekär. Das Durchschnittseinkommen Freiheit, Kreativität, Selbstbestimmung und soziale Si- der in der Künstlersozialversicherung Versicherten liegt cherung als Widerspruch gesehen werden. Sie ist aber bei ungefähr 16 000 Euro, in manchen Berufsgruppen geradezu die Voraussetzung für tatsächliche Freiheit und – Musiker, bildende Künstler – deutlich darunter. Selbstbestimmung. (Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Im (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Jahr!) sowie bei Abgeordneten der SPD) Das heißt, die Armutsbedrohung ist bei Künstlerinnen Man sollte auch über eine Sozialversicherung nicht und Künstlern sehr groß. Viele von ihnen haben Angst nur für diese Gruppe der Selbstständigen, sondern viel- vor Altersarmut. Wir haben mit der Garantierente ein leicht für alle Selbstständigen nachdenken im Sinne ei- Konzept vorgelegt, das auch für diese Gruppe eine gute ner Bürgerversicherung für alle Selbstständigen. Aber Absicherung bedeuten würde, weil 30 Versicherungs- das ist ein anderes Thema, das wir an anderer Stelle si- jahre reichen würden, um das Minimum der Garantie- cher noch einmal diskutieren müssen. rente zu erhalten. Die Künstlersozialversicherung gibt es jetzt seit über 30 Jahren. Wer dauerhaft in der Künstler- Wichtig ist, dass eine Einrichtung wie die Künstler- sozialversicherung war, hätte also nach unserem Modell sozialversicherung auch gesellschaftliche Akzeptanz fin- Anspruch auf ein Minimum in der gesetzlichen Renten- det. Dazu ist es wichtig, dass die Abgabensätze nicht ins versicherung. Auch bei der solidarischen Lebensleis- Uferlose steigen. Es ist wichtig, dass die finanzielle Sta- tungsrente – wenn sie denn überhaupt mal kommen bilität gewährleistet ist, dass die Mittel vernünftig flie- sollte – müsste dieser Aspekt berücksichtigt werden, da- ßen. Zu diesem Zweck leistet dieser Gesetzentwurf tat- mit sie für Künstlerinnen und Künstler überhaupt er- sächlich einen wichtigen Beitrag. reichbar ist; ich habe da meine Zweifel. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie Ich will die letzte halbe Minute meiner Redezeit nut- des Abg. Dr. Matthias Bartke [SPD]) zen, um auf ein weiteres Problem aufmerksam zu ma- 3532 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 40. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Juni 2014

Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (A) chen. Nicht nur Altersarmut ist für Künstlerinnen und (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Matthias (C) Künstler ein Problem, sondern auch Armut im aktuellen W. Birkwald [DIE LINKE]) Leben, während sie erwerbstätig sind und Kunst schaf- Zurzeit sind 180 000 von ihnen über diesen Weg abgesi- fen. Auch da müssen wir über Lösungen nachdenken, chert. wie vielleicht innerhalb der Künstlersozialversicherung, aber vielleicht auch mit anderen Maßnahmen dafür ge- Die Finanzierung der Künstlersozialversicherung ist sorgt werden kann, dass das Existenzminimum von eine solidarische: über die Beiträge der Versicherten, Künstlerinnen und Künstlern gewährleistet wird. Denn über den Bundeszuschuss und über die Beiträge der Un- Hartz IV ist für Künstlerinnen und Künstler sicherlich ternehmen und Einrichtungen, die Aufträge an freischaf- nicht die perfekte Existenzsicherung. Wir brauchen da fende Künstler und Publizisten vergeben, die sogenann- andere Maßnahmen, um die Existenz zu sichern und da- ten Verwerter. Genau da liegt der Hase im Pfeffer: Es ist mit tatsächlich Freiheit und Kreativität in dieser Gesell- offensichtlich, dass einige Unternehmen ihrer Zahlungs- schaft zu fördern; davon brauchen wir noch mehr. pflicht nicht nachkommen. Die schwarz-gelbe Bundes- regierung hat es noch abgelehnt – das ist schon erwähnt Vielen Dank. worden –, eine gesetzliche Überprüfung durch die Deut- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sche Rentenversicherung auf den Weg zu bringen. Die sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und Große Koalition dagegen hat vereinbart, die Künstler- der LINKEN) sozialkasse zu erhalten und zu stabilisieren. (Beifall bei der SPD) Vizepräsident Johannes Singhammer: Deshalb ist der vorliegende Gesetzentwurf konse- Für die Sozialdemokraten spricht jetzt der Kollege quent. Er ist ein konkreter, dringend notwendiger Schritt Ralf Kapschack. hin zu mehr Abgabengerechtigkeit und damit zur Bei- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten tragssatzstabilität; denn durch die verstärkten Prüfungen der CDU/CSU) werden auch die Verwerter herangezogen, die sich bisher ihrer Zahlungspflicht entzogen haben. Davon profitieren alle – wir haben es schon gehört –, weil die Chance, den Ralf Kapschack (SPD): Beitragssatz stabil zu halten, mit höheren Einnahmen Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ein größer wird. Gruß an die Zuschauer auf der Besuchertribüne! „Kunst ist schön, macht aber viel Arbeit“ – diese Erkenntnis In der Diskussion ist mir in der Tat das Argument be- stammt von Karl Valentin, dem genialen bayerischen gegnet, durch die Ausweitung der Prüfungen würden (B) Künstler, der am Mittwoch 132 Jahre alt geworden wäre. Unternehmen unter Generalverdacht gestellt. Das ist na- (D) Ja, Kunst und Kultur machen Arbeit, aber sind auch Ar- türlich völliger Unsinn. beit; sie sind für viele Künstlerinnen, Künstler und freie (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Autoren – auch um sie geht es heute – Quelle des Le- DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der bensunterhalts. Sie leben häufig in prekären Verhältnis- LINKEN) sen. Deshalb ist es notwendig, ihnen einen sicheren Zu- gang zur Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung zu Dass der Staat kontrolliert, dass geltendes Recht durch- gewährleisten; gesetzt wird, ist für mich nicht besonders bemerkens- wert, sondern eigentlich selbstverständlich. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten das war die Idee, als die Künstlersozialversicherung der CDU/CSU und der LINKEN) 1981 ins Leben gerufen wurde. Mangelnde Kontrolle hat dazu geführt, dass längst Der SPD-Abgeordnete Egon Lutz hat den Gesetzent- nicht alle Unternehmen, die dazu verpflichtet wären, die wurf damals so begründet – mit Genehmigung des Präsi- Abgabe zahlen. Das kann aus Unkenntnis, aber auch aus denten zitiere ich aus dem Protokoll –: anderen Gründen so sein. Beim Deutschen Kulturrat ist uns erzählt worden, dass Steuerberater ihre Unterneh- Nichts zu tun und die Künstler und Publizisten wei- men animiert haben, sich der Zahlungspflicht zu entzie- terhin ohne jeden sozialen Schutz zu belassen, wie hen, weil ja gar nicht geprüft würde. An diesem Beispiel er für die weit überwiegende Mehrheit der Bevölke- kann man sehen, dass da einiges im Argen liegt. Durch rung längst schon eine Selbstverständlichkeit ist, die regelmäßige Prüfung, alle vier Jahre, wird der Druck das ist in einem gewissen Umfang … schändlich. erhöht, der Zahlungspflicht nachzukommen. Wir finden Aus heutiger Sicht wäre es also schändlich, durch das gut so. Nichtstun die Künstlersozialversicherung vor die Wand (Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des fahren zu lassen. Abg. Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN]) Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Künstlersozial- versicherung ist einzigartig in Europa, und sie ist Aus- Gleichzeitig gibt es eine Bagatellgrenze, um den bü- druck der Wertschätzung für die vielen Kulturschaffen- rokratischen Aufwand für die Verwerter in einem ver- den, die mit ihrer Arbeit diese Gesellschaft bereichern tretbaren Rahmen zu halten. Das ist für eine ganze Reihe und etwas lebenswerter machen. von ihnen eine deutliche Entlastung. Aus unserer Sicht Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 40. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Juni 2014 3533

Ralf Kapschack (A) gibt es auch einen ausreichenden Schutz der ehrenamt- mehr, welche die Kunst und deren Erschaffer nach eige- (C) lich Tätigen, zum Beispiel der Musikvereine. Wir sehen nem Gusto aus der Staatsschatulle fördern könnten. Das hier keine unzumutbare Belastung und auch keine Not- ist ja im Prinzip auch ganz gut so. Doch umso mehr Ver- wendigkeit für Sonderregelungen. Wir werden gleich antwortung für die Entwicklung von Kunst und Kultur möglicherweise noch etwas dazu hören. liegt nun beim Demos, beim Volk, also bei uns. Es taucht immer wieder die Frage auf: Brauchen wir Nun ist die Bundesrepublik Deutschland ja bekannt- die Künstlersozialkasse eigentlich als eigene Einrich- lich nicht nur ein Sozial- und Rechtsstaat, sondern auch tung? Unsere Antwort ist: Ja. Als Ziel haben wir Sozial- ein Kulturstaat, worauf wir immer wieder gern und zu demokraten allerdings nach wie vor die Ausweitung der Recht verweisen. Wir haben deshalb eine ganz beson- Rentenversicherung zu einer Erwerbstätigenversiche- dere Verantwortung. Das bedeutet ausdrücklich nicht, rung, in der dann auch alle Selbstständigen pflichtversi- dass wir alle Künstler alimentieren müssten. Eine Ali- chert wären. mentierung kann nicht Aufgabe eines freiheitlichen Kul- turstaates sein. Sie würde neue Abhängigkeiten schaffen, (Beifall bei der SPD) die wir nicht wollen. Was wir aber tun können, ist, den Bis dahin steht die SPD zur Künstlersozialversiche- Boden zu schaffen, den Kultur braucht, um gedeihen zu rung. Aber wir wissen natürlich – das ist vom Kollegen können. Strengmann-Kuhn vorhin schon angesprochen worden –, Das Kunstwerk, zum Beispiel einen Roman oder ein dass das nicht reicht, um die soziale Lage der Künstler Gedicht, das der Künstler oder Publizist schafft, verste- und freischaffenden Publizisten grundlegend zu verbes- hen wir oft als öffentliches Gut. Die soziale Absicherung sern. Wir sind uns dessen durchaus bewusst. Zu einer des Künstlers ist aber Privatsache. An genau diesem Verbesserung gehört zum Beispiel ein leichterer Zugang Punkt greift die Künstlersozialversicherung. Seiner Auf- zum Arbeitslosengeld I. Darüber werden wir in nächster gabe kann der Künstler oder Publizist nämlich nur ge- Zeit sprechen. Mit großem Interesse wird im Kulturbe- recht werden, wenn auch seiner sozialen Situation Rech- reich auch unser Plan zur solidarischen Lebensleistungs- nung getragen wird. Diese unterscheidet sich zum Teil rente verfolgt. ganz erheblich von der anderer Berufsgruppen. Die Kultur fällt uns nicht wie eine reife Frucht in den Erwerbsbiografien von selbstständigen Künstlern und Schoß. Der Baum muß gewissenhaft gepflegt wer- Publizisten sind risikoreich. Das zeigen auch die Werde- den, wenn er Früchte tragen soll. gänge berühmter Künstler und Dichter, die eben oft auch brotlose Künstler waren und sind. Die Einkommensver- Das hat Albert Schweitzer gesagt. Es gibt noch einiges hältnisse unterliegen überdurchschnittlichen Schwan- zu tun. Ich bin sehr zuversichtlich, dass wir das in die- kungen – und das oft auf niedrigem Niveau. Die Gründe (B) sem Haus mit einer großen Mehrheit hinbekommen. hierfür sind vielschichtig, zum Beispiel die Abhängig- (D) keit vom Publikumsgeschmack oder von geistigen Mo- Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. deströmungen, die wirtschaftliche Situation des öffentli- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie chen Kulturbetriebes und die Fördermöglichkeiten von des Abg. Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn Bund, Ländern und Kommunen, Stiftungen und Banken. [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Umso wichtiger war die Einführung der Künstlerso- zialversicherung vor gut 30 Jahren. Mit ihr wurde es den Vizepräsident Johannes Singhammer: freischaffenden Künstlern und Publizisten de facto erst Vielen Dank. – Letzte Rednerin zu diesem Tagesord- ermöglicht, die größten Lebensrisiken abzusichern. Sie nungspunkt ist die Kollegin Dr. Astrid Freudenstein, bekamen Zugang zur Kranken-, Renten- und Pflegever- CDU/CSU. sicherung zu Konditionen, die sie sich leisten konnten. Damals betrat Deutschland Neuland. Bis heute ist die (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Künstlersozialversicherung ein weltweit einmaliges Dr. Matthias Bartke [SPD]) Konstrukt, aber eben auch eine herausragende sozial- politische Institution in der deutschen Kulturlandschaft, Dr. Astrid Freudenstein (CDU/CSU): um die wir im Übrigen von vielen Ländern beneidet wer- Herr Präsident! Meine Damen und Herren auf der Tri- den. büne! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Was macht die Kunst?“, fragt der Prinz in Lessings Emilia Galotti den (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Hofmaler Conti. Dieser antwortet: „Prinz, die Kunst geht neten der SPD) nach Brot“, was so viel heißt, wie: Erst einmal muss man Genauso einmalig wie die Versicherung selbst ist die satt werden, bevor an die Kunst zu denken ist. Lessing Finanzierung. Die Hälfte der Kosten tragen die versi- war nicht der einzige Schriftsteller, der das Einkommen cherten Kulturschaffenden selbst, 20 Prozent trägt der und die soziale Lage von Künstlern und Publizisten the- Bund, und 30 Prozent übernehmen die Verwerter, also matisiert hat. Johann Wolfgang von Goethe hat dem die Unternehmen, welche die künstlerische Leistung in Thema bekanntlich mit seinem Torquato Tasso gleich ein Auftrag geben. ganzes Stück gewidmet. Im Vordergrund dieser Werke stehen die Abhängigkeiten der Künstler und Dichter von So weit, so gut. Aber es gibt ein Problem, sonst wären Mäzenen und Monarchen. Ohne die war Künstlerleben wir heute nicht hier. Der Abgabesatz für diese abgabe- damals nicht denkbar. Nun gibt es heute keine Prinzen, pflichtigen Verwerter steigt gerade rasant an, allein in- Fürsten und Könige, keine Friedrichs und Ludwigs nerhalb der vergangenen beiden Jahre von 3,9 auf 3534 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 40. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Juni 2014

Dr. Astrid Freudenstein (A) 5,2 Prozent. Das liegt zum einen an der stark steigenden Rechtssicherheit; denn in diesem Punkt war das Gesetz (C) Mitgliederzahl der Künstlersozialversicherung, zum an- bisher missverständlich. deren an der ausbaufähigen Zahlungsmoral einiger Un- ternehmen bei der Künstlersozialabgabe, was oft daran Nebenbei hat diese 450-Euro-Grenze auch den Effekt, liegt, dass die Unternehmen noch nicht einmal wissen, dass insbesondere kleine Unternehmen – etwa Hand- dass sie abgabepflichtig sind. Ein steigender Abgabesatz werksbetriebe –, die nur in geringem Umfang Aufträge gefällt jedoch niemandem und gefährdet die Stabilität an Künstler erteilen, entlastet werden. der Versicherung als Ganzes. Der Gesetzentwurf berücksichtigt damit die Aspekte der Abgabegerechtigkeit, der Effektivität und der Effi- Genau hier setzt der vorliegende Gesetzentwurf an, zienz. Er beinhaltet die richtigen Instrumente, um die den wir von der Union ausdrücklich begrüßen. Im Kern Künstlersozialversicherung kurz- und mittelfristig zu des Entwurfs wird festgelegt, dass ab 2015 ein strenge- stabilisieren. Die regelmäßige Überprüfung, die nun res Prüfverfahren eingeführt wird, das die Finanzierung festgeschrieben wird, ist notwendig, um das System in auf solide Beine stellt und für Abgabegerechtigkeit dieser Weise in Deutschland zu erhalten. sorgt. Mehr Unternehmen werden regelmäßiger auf ihre Abgabepflicht hin geprüft. Denn wir bleiben dabei: Wer Wir müssen aber auch überlegen, wie wir die Künst- von der Arbeit freischaffender Künstler profitiert, muss lersozialversicherung langfristig stabilisieren können. sich auch an deren sozialer Sicherung beteiligen. Dabei darf eine kritische Überprüfung der Kriterien für die Aufnahme in diese Versicherung kein Tabu sein. (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei der CDU/CSU) Entscheidend war für uns dabei von Anfang an die Auch die Abgrenzung zwischen ehrenamtlicher und Art und Weise der Prüfungen. Wir wollen ein Prüfver- künstlerischer Arbeit, wie wir sie uns im Koalitionsver- fahren, dass effektiv und effizient ist. Das ist, meine ich, trag vorgenommen haben, steht noch auf der Agenda. mit dem Vorschlag, der jetzt auf dem Tisch liegt, gut ge- Das Ehrenamt, das die kulturelle Vielfalt in unserem lungen. Im Rahmen der alle vier Jahre stattfindenden Ar- Land wahrt, darf nicht über Gebühr belastet werden. beitgeberprüfungen werden alle bei der Künstlersozial- kasse erfassten Unternehmer und alle Arbeitgeber mit Doch nun wollen wir mit dem Gesetz zur Stabilisie- mindestens 20 Beschäftigten auch auf die Künstlerso- rung des Künstlersozialabgabesatzes einen ersten und zialabgabe hin geprüft. So wird sichergestellt, dass Un- sehr, sehr wichtigen Schritt tun. Künstler und Publizisten ternehmen ihre Abgabepflicht aufgrund fehlender Prü- wären in früheren Jahren vermutlich heilfroh gewesen, fungen nicht vernachlässigen. wenn sie eine Künstlersozialversicherung gehabt hätten. Man stelle sich einmal vor, wie viele Werke der Weltlite- (B) Von den kleineren Arbeitgebern mit bis zu 19 Be- ratur hätte Friedrich Schiller wohl noch schreiben kön- (D) schäftigten werden im Kalenderjahr mindestens 40 Pro- nen, hätte er eine ordentliche Krankenversicherung ge- zent geprüft. Jene Arbeitgeber, die nicht Teil des Prüf- habt. kontingents sind, werden von den Prüfern der Deutschen (Heiterkeit bei der CDU/CSU) Rentenversicherung beraten und bestätigen schriftlich, dass sie abgaberelevante Sachverhalte melden werden. Während einer seiner etlichen Erkrankungen soll er seine Nachwelt aufgefordert haben: Sorgt für eure Ge- So erreichen wir – das war uns wichtig –, dass klei- sundheit, ohne diese kann man nicht gut sein. nere mittelständische Unternehmen im Schnitt nur alle zehn Jahre geprüft werden. Das bedeutet weniger Auf- Herzlichen Dank. wand für diese und hält die allgemeinen Bürokratiekos- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) ten im Rahmen. Trotzdem: Die Rentenversicherung benötigt und be- Vizepräsidentin : kommt dafür zusätzliches Personal. Die Mehrkosten Ich schließe die Aussprache. werden jetzt auf 12,3 Millionen Euro geschätzt. Dem Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzent- stehen erwartete Mehreinnahmen in Höhe von 32 Mil- wurfs auf Drucksache 18/1530 an die in der Tagesord- lionen Euro gegenüber. Aufwand und Ertrag stehen also nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es in einem akzeptablen Verhältnis zueinander. dazu anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall. Das alles sind Schätzungen, daher können wir nicht Dann ist die Überweisung so beschlossen. genau sagen, wie sich die neuen Regelungen letztlich Ich rufe Tagesordnungspunkt 29 auf: tatsächlich in der Praxis auswirken werden. Deshalb ist es gut und richtig, dass wir nach einem vierjährigen Beratung des Antrags der Bundesregierung Prüfturnus eine Evaluation vorsehen. Denn erst dann Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter sind klare Aussagen über das Kosten-Nutzen-Verhältnis deutscher Streitkräfte an der Multidimensio- möglich. nalen Integrierten Stabilisierungsmission der Ein weiterer wichtiger Punkt im Gesetzentwurf ist die Vereinten Nationen in Mali (MINUSMA) auf Einführung einer Geringfügigkeitsgrenze von 450 Euro. Grundlage der Resolution 2100 (2013) des Si- cherheitsrates der Vereinten Nationen vom Wer innerhalb eines Jahres Aufträge erteilt, die insge- 25. April 2013 samt diese Summe nicht überschreiten, wird von der Ab- gabe befreit. Mit dieser Bagatellgrenze schaffen wir Drucksache 18/1416 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 40. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Juni 2014 3535

Vizepräsidentin Petra Pau (A) Überweisungsvorschlag: dere die langfristigen Aufgaben der Entwicklungszu- (C) Auswärtiger Ausschuss (f) sammenarbeit im Norden Malis können bisher nur sehr Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Verteidigungsausschuss begrenzt umgesetzt werden. Zur Stabilisierung des Lan- Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe des als Grundvoraussetzung zur Verbesserung der Si- Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und cherheitslage bleibt deswegen das weitere Engagement Entwicklung der internationalen Gemeinschaft auch im Rahmen der Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union VN-geführten Mission MINUSMA erforderlich. Haushaltsausschuss gemäß § 96 der GO Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für Der Einsatz im Rahmen von MINUSMA bleibt Teil die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei- eines umfassenden Engagements der Bundesregierung nen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen. für Mali im Rahmen eines vernetzten Ansatzes. Damit stellen wir einen Teil der Voraussetzungen zum Einsatz Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Parla- von Krisenpräventionsmitteln, von Entwicklungshilfe, mentarische Staatssekretär Dr. Ralf Brauksiepe. dem Ausstattungshilfeprogramm der Bundesregierung und der Ausbildung von Polizei und Sicherheitskräften Dr. Ralf Brauksiepe, Parl. Staatssekretär bei der im Rahmen der EU- und VN-Missionen. Bundesministerin der Verteidigung: Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die kürzlich durch die Bundesregierung verabschie- Die Bundesregierung ersucht heute um Ihre Zustimmung deten afrikapolitischen Leitlinien haben einen Bogen für zur Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher unser Engagement in Afrika aufgespannt, aus dem wir Streitkräfte an der Multidimensionalen Integrierten Sta- bei weiterer Verbesserung der Sicherheitslage noch wei- bilisierungsmission der Vereinten Nationen in Mali, tere Instrumente im Rahmen eines regionalen Ansatzes MINUSMA. Die Entwicklung der Sicherheitslage im zum Einsatz bringen können. So sollen Konfliktursachen Norden Malis ist beunruhigend und zeigt, dass eine Sta- bekämpft und die malischen Behörden und Sicherheits- bilisierung des Landes weiter notwendig ist. Bedauerli- kräfte in die Lage versetzt werden, Sicherheit und staat- cherweise sind durch die bewaffneten Auseinanderset- liche Souveränität selbst aufrechtzuerhalten. Entspre- zungen immer wieder Opfer zu beklagen, die durch chende Beschlüsse, zum Beispiel für das Engagement im einen durch alle Seiten getragenen Vermittlungs- und Rahmen von EUTM Mali, sind auf europäischer Ebene Versöhnungsprozess vermieden werden könnten. Mehr bereits gefasst. Auch darüber hinaus wird uns ein kom- denn je sind wir deshalb gefordert, die uns zur Verfü- plementär und umfassend angelegter Ansatz langfristig gung stehenden Mittel einzusetzen, um die Lage in die- fordern, gerade im Bereich der direkten Stabilisierung sem westafrikanischen Staat zu verbessern. des Landes und beim Aufbau von Sicherheitskräften als (B) Grundvoraussetzung eines insgesamt erfolgreichen Vor- (D) Mit dem vorliegenden Mandat zu MINUSMA stehen gehens. wir auch weiterhin zusammen mit unseren europäischen und internationalen Partnern zu der durch uns übernom- Meine Damen und Herren, die Entsendung bewaffne- menen sicherheitspolitischen Verantwortung für die Re- ter deutscher Streitkräfte steht unter dem Vorbehalt der gion. Das Ziel unseres gesamten Engagements in Mali konstitutiven Zustimmung des Deutschen Bundestages. bleibt es, die malischen Streitkräfte selbst in die Lage zu Die Fortsetzung erfolgt auf der Grundlage der Resolu- versetzen, die wiedererlangte territoriale Integrität Malis tion 2100 (2013) des Sicherheitsrates der Vereinten Na- aufrechtzuerhalten und nachhaltig für Stabilität zu sor- tionen vom 25. April letzten Jahres. Aller Voraussicht gen. Wir Deutsche engagieren uns im europäischen Ver- nach wird der UN-Sicherheitsrat nach Ende Juni eine bund für die Menschen in Afrika, damit sie ihre Pro- Verlängerung des Mandats um ein Jahr bis zum 30. Juni bleme selbst lösen können. Das ist und bleibt der richtige 2015 beschließen. Im Rahmen des deutschen Engage- Ansatz. Ihn verfolgen wir weiter, liebe Kolleginnen und ments bei MINUSMA können bis zu 150 Soldatinnen Kollegen. und Soldaten eingesetzt werden, solange ein Mandat des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen und die konsti- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- tutive Zustimmung des Deutschen Bundestages vorlie- neten der SPD) gen, längstens jedoch bis zum 30. Juni 2015. Wir müssen uns weiterhin bewusst sein, dass der mili- Das Mandat der Mission MINUSMA soll inhaltlich tärische Beitrag zu dieser VN-Mission nur ein Teil des unverändert bleiben. Die deutsche Beteiligung soll im mit unseren Partnern abgestimmten mehrdimensionalen zweiten Mandatszeitraum vergleichbar zum bisherigen Ansatzes zur Stabilisierung der Region sein kann. Insbe- Rahmen beibehalten werden. sondere im Norden Malis bleibt die Lage fragil. Eine zentrale Herausforderung bleibt vor diesem Hintergrund MINUSMA, die wesentlich von afrikanischen Trup- die Stabilisierung der großen Bevölkerungszentren im penstellern getragen wird, verfolgt eine umfassende Sta- Norden des Landes. bilisierung des Landes. Sie bildet den unverzichtbaren Gesamtrahmen für den fokussierten Beitrag der EU zum Liebe Kolleginnen und Kollegen, die humanitäre Aufbau der Streitkräfte. Lage in Mali hat sich seit dem Beginn der internationa- len Bemühungen insgesamt verbessert. Ein ungehinder- Das Mandat umfasst die Unterstützung bei der Wie- ter Zugang zu allen Regionen Malis ist für die Entwick- derherstellung der staatlichen Autorität im gesamten lungszusammenarbeit und humanitäre Hilfe aber Land, die Unterstützung für die Umsetzung des Fahr- weiterhin noch nicht vollständig sichergestellt. Insbeson- plans für den Übergang, die sogenannte Roadmap, den 3536 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 40. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Juni 2014

Parl. Staatssekretär Dr. Ralf Brauksiepe (A) Schutz von Zivilpersonen, die Förderung und den Schutz Vizepräsidentin Petra Pau: (C) der Menschenrechte, die Unterstützung für humanitäre Das Wort hat der Kollege Jan van Aken für die Frak- Hilfe, die Unterstützung für die Erhaltung des Kultur- tion Die Linke. guts und die Unterstützung für die nationale und interna- tionale Justiz. (Beifall bei der LINKEN)

Diese abgestimmte Aufgabenteilung mit besonderer Jan van Aken (DIE LINKE): Einbeziehung regionaler Akteure, ergänzt um vielfältige Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Als Maßnahmen der Entwicklungszusammenarbeit und wei- Frankreich im Januar 2013 im Alleingang in Mali inter- terer nationaler und internationaler Bemühungen, illus- venierte, haben wir das scharf kritisiert. Wir haben da- triert unsere Vorstellung davon, wie eine ganzheitliche mals auch kritisiert, dass die Bundesregierung Frank- Stabilisierung eines Landes mit einem Konfliktherd ge- reich sofort militärische Unterstützung angeboten hat; staltet werden kann, nämlich umfassend, multidimensio- denn damals wie heute – das ist Ihnen wahrscheinlich nal und auf Nachhaltigkeit ausgerichtet. genauso klar wie mir – ging es Frankreich nicht um die Seit Beginn der internationalen militärischen Mission Menschen in Mali. Es geht nicht um den Schutz der Zi- und des darüber hinausgehenden umfassenden Engagements vilbevölkerung oder um die Menschenrechte, sondern der internationalen Gemeinschaft zur Unterstützung der als ehemaliger Kolonialmacht geht es Frankreich natür- malischen Sicherheitskräfte bei der Wiederherstellung lich um regionalen Einfluss und auch um den Zugriff auf der staatlichen Integrität Malis und der nachhaltigen Ver- die Ressourcen in der Region. besserung der Sicherheitslage sind bereits beachtliche Leider hat der UNO-Sicherheitsrat vor einem Jahr Fortschritte erzielt worden. Der für die Lösung des Kon- beschlossen, Frankreich mit einem Militäreinsatz flikts entscheidende politische Prozess hat auch seit dem – MINUSMA – zu unterstützen. Diesen wollen Sie Beginn der Mission wesentliche Fortschritte gemacht. heute verlängern, und wieder einmal sind Ihre beiden Argumente – das läuft doch gut und ist erfolgreich und Mali verfügt nach den weitgehend friedlich verlaufe- außerdem weiterhin nötig – falsch. Das wissen Sie auch. nen freien und demokratischen Präsidentschafts- und Parlamentswahlen wieder über eine demokratisch legiti- (Beifall bei der LINKEN – mierte Regierung, die den Reform- und Aufbauprozess [CDU/CSU]: Und Sie wissen wieder mal alles in die Hand genommen und sich den Aussöhnungspro- besser!) zess zwischen den Volksgruppen im Land als wichtiges Ziel gesetzt hat. Die Gespräche dazu dauern weiter an, Ein Blick in den jüngsten Mali-Bericht des UN-Gene- ralsekretärs spricht hier eigentlich Bände: Die Sicher- (B) wobei unstrittig ist, dass man diesen Prozessen Zeit ge- (D) ben muss. heitslage im Norden des Landes ist katastrophal. Die Ge- walt durch bewaffnete Gruppen hat in den letzten drei Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Monaten massiv zugenommen; es gab allein 25 Raketen- Kollegen, ich finde, es ist wichtig, dass wir uns immer angriffe, und das, obwohl mehr als 7 000 MINUSMA-Sol- wieder vor Augen führen bei all den Problemen, die es in daten und zusätzlich 3 000 französische Soldaten im Ländern gibt, in denen wir uns entwicklungspolitisch Land sind! und auch militärisch engagieren, dass diese Probleme (Wilfried Lorenz [CDU/CSU]: Das ist zu nicht durch die Bundeswehr ausgelöst worden sind, son- wenig!) dern dass unsere Soldatinnen und Soldaten im Gegenteil einen Beitrag dazu leisten, dass diese Probleme gelöst In Kidal, im Nordosten des Landes, gab es am werden. Sie können sie nicht alleine lösen, aber sie leis- 17. Mai 2014 wieder offene Kämpfe zwischen mali- ten einen Beitrag zur Problemlösung, und sie haben die schen Soldaten und der MNLA. Die MNLA, die Natio- Probleme nicht verursacht. nale Befreiungsbewegung für Azawad, ist eine überwie- gend aus Tuareg bestehende Bewegung. Sie will im (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie Norden einen eigenen Staat errichten. Der Anlass am bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE 17. Mai 2014 war der Versuch des malischen Premiermi- GRÜNEN) nisters Moussa Mara, die Stadt Kidal zu besuchen. Am Weil dies so ist und weil unsere Soldatinnen und Sol- Ende gab es an die 50 tote malische Regierungssoldaten. daten in Mali einen sehr wichtigen Beitrag zur Stabilisie- Das Erschütternde daran ist, dass all das unter den Au- rung des Landes, zum Aufbau selbsttragender Streit- gen und sogar mit der Billigung der Franzosen stattge- kräfte und für die Zukunft der Menschen in der Region funden hat. leisten, ist es gut, dass unsere Soldatinnen und Soldaten Sie wissen: Nach dem Waffenstillstand im letzten dort sind. Sie sind in unserem Auftrag dort. Jahr hätte die MNLA schon lange Kidal verlassen und die Waffen abgeben müssen, und die malische Regie- Um die Zustimmung zur Verlängerung dieses Auftra- rung hätte Kidal übernehmen müssen. Es waren die ges bittet Sie die Bundesregierung. Ich bitte Sie um Un- Franzosen, die dafür gesorgt haben, dass die MNLA die terstützung dieses Antrags. Waffen nicht abgegeben und weiter die Kontrolle über Herzlichen Dank. Kidal behalten hat. Der Grund dafür ist relativ simpel: Zum einen kämpfen die Franzosen gemeinsam mit der (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) MNLA gegen die Islamisten, und zum anderen verhan- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 40. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Juni 2014 3537

Jan van Aken (A) deln die Franzosen gerade mit der MNLA über die Aus- Ausgrenzung des Nordens und die Armut im Norden (C) beutung der Ressourcen im Norden Malis. Das ist die Malis. Auf diesem Gebiet tun Sie gar nichts. Wahrheit. Anstatt jetzt weitere 15 Millionen Euro in einen Bun- Um das Ganze einmal auf den Punkt zu bringen – das deswehreinsatz in Mali zu versenken, sollten Sie diese muss ich mir immer wieder vor Augen halten –: Sie 15 Millionen Euro in eine zivile Konfliktbearbeitung in schicken jetzt Bundeswehrsoldaten zur Unterstützung Mali investieren. Damit könnten Sie wirklich für eine der malischen Regierung, um gegen die MNLA zu friedliche Situation vor Ort sorgen. Das aber verweigern kämpfen, die wiederum von Frankreich unterstützt wird. Sie. Das kann doch nicht wirklich Ihr Ernst sein. Zum Abschluss muss ich sagen: Es gäbe in Mali so (Beifall bei der LINKEN) viel Gutes zu tun. Aber dieser Militäreinsatz gehört ganz sicher nicht dazu. Beenden Sie die Beteiligung an Es kommt noch schlimmer. Ich habe gesagt: Bei den MINUSMA! Vor allem: Sorgen Sie dafür, dass Ihr Kämpfen um Kidal sind 50 malische Regierungssoldaten Bündnispartner Frankreich endlich mit dieser blutigen getötet worden. Das sind genau die malischen Soldaten, Interessenpolitik aufhört! die Sie gerade in einer anderen Mission, EUTM Mali, ausbilden. Da wird es für mich am Ende vollkommen (Beifall bei der LINKEN) absurd. Im Übrigen bin ich der Meinung, dass Deutschland Ich fasse das einmal zusammen: Sie bilden malische keine Waffen mehr exportieren sollte. Ich will noch hin- Soldaten für den Kampf gegen Separatisten aus, die von zufügen: im Moment nicht nach Frankreich und nach Frankreich unterstützt werden. Sie unterstützen wiede- Mali sowieso nicht. rum Frankreich im Kampf gegen die Islamisten, die wie- derum von Katar unterstützt werden, einem Land, das (Beifall bei der LINKEN) wiederum Sie mit Waffen beliefern. – Irgendwann fin- den Sie sich auf beiden Seiten des Konfliktes wieder. Es Vizepräsidentin Petra Pau: ist doch vollkommener Irrsinn, was Sie da machen. Eine Für die SPD-Fraktion hat der Kollege Achim Post das Friedensmission ist das jedenfalls nicht. Wort. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der SPD) Sie wissen auch: Nach einem Jahr können Sie MINUSMA nicht als Erfolgsgeschichte verkaufen. Das Achim Post (Minden) (SPD): Land ist nicht friedlicher geworden. Die Probleme sind Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und (B) (D) nicht einmal im Ansatz gelöst. Das ist auch kein Wun- Kollegen! Lieber Kollege van Aken, die Sache mit dem der: Militärisch – das haben Sie selbst gesagt, Herr Export von Waffen nach Frankreich überlegen wir uns Brauksiepe – lassen sich die Probleme nicht lösen, aber noch einmal. Wenn wir keine Waffen mehr nach Frank- für einen politischen Prozess haben Sie im letzten Jahr reich liefern und nicht mehr mit den Franzosen zusam- nullkommanichts getan. menarbeiten dürfen, frage ich mich, mit wem wir als Bundesrepublik Deutschland Ihrer Ansicht nach über- Sie reden hier immer von einem vernetzten Ansatz haupt noch zusammenarbeiten dürfen. – das haben Sie auch eben wieder getan –, in dem MINUSMA nur ein Baustein sei. Aber ich sehe nur Mili- ( [CDU/CSU]: Das ist unser tär. Ich sehe Bundeswehrsoldaten, die andere Soldaten in Bündnis! Es ist nicht sein Bündnis!) das Einsatzgebiet fliegen. Ich sehe Bundeswehrsoldaten, Ich fange einmal ganz anders an. Was ist in der Au- die französische Kampfflugzeuge auftanken. Ich sehe ßen- und Sicherheitspolitik das wichtigste Gut oder eines Bundeswehrsoldaten, die malische Soldaten ausbilden. der höchsten Güter? – Vertrauen und Verlässlichkeit. Ich will einmal konkret hören: Wo sind die anderen Bau- Das gilt gerade in dieser Debatte. Das macht gerade der steine? Wo sind die politischen Maßnahmen? Was haben Antrag der Bundesregierung deutlich; denn wir gewähr- Sie getan? leisten beides mit der Fortsetzung der Beteiligung be- Es gibt in Mali ganz viele Partner für zivile Konflikt- waffneter deutscher Streitkräfte in Mali. lösungen. Hier sehe ich bei Ihnen gar nichts. Warum set- Fast alle hier wissen: Mali galt bis 2012 als Muster- zen Sie sich zum Beispiel nicht dafür ein, dass die jetzt beispiel der Demokratisierung in Afrika. wieder neu gebildete Wahrheits- und Versöhnungskom- mission nicht wieder so eine Farce wird wie die Vorgän- Ende 2012 drohte dieses Land in die Hände von radi- gerkommission, sondern dieses Mal funktioniert? Setzen kalen islamistischen Gruppen und Terroristen zu fallen. Sie sich doch einmal ganz konkret und knallhart dafür Gewalt, Vertreibung, Hunger und Tod gingen mit dem ein, dass in dieser Wahrheitskommission auch die zivil- Vormarsch dieser Rebellengruppen einher. Es ist vor al- gesellschaftlichen Organisationen mitreden und auch lem Frankreich zu verdanken, dass der Vormarsch der wirklich mitbestimmen können; denn diese gibt es dort, Rebellen gestoppt werden konnte. und sie machen eine gute Arbeit. Seit Beginn des internationalen Engagements gibt es Setzten Sie sich doch endlich für ein vernünftiges Fortschritte: die weitgehende Wiederherstellung der ter- Programm zur Beseitigung der Ursache der Krise ein. ritorialen Integrität des Staates, die Verbesserung der Si- Die Ursache – das wissen Sie so gut wie ich – ist die cherheitslage und die Präsidentschafts- und Parlaments- 3538 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 40. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Juni 2014

Achim Post (Minden) (A) wahlen im Spätsommer 2013. Ich bin fest davon Diese Mission braucht eine umfassende politische Stra- (C) überzeugt: MINUSMA und der deutsche Beitrag haben tegie, und sie braucht einen steten und zügigen Dialog erheblich zu diesen Fortschritten beigetragen. zwischen den Konfliktparteien. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der Deshalb unterstützt meine Fraktion den Antrag der CDU/CSU) Bundesregierung und die vorgeschlagene Mandatsver- längerung. Mali hat ein Recht auf Vertrauen und Verläss- Liebe Kolleginnen und Kollegen, sowohl Mali als auch lichkeit. unsere UN-Partner verlassen sich auf unseren Beitrag. Schönen Dank. Es ist richtig: Es bleibt noch sehr viel zu tun. Die si- cherheitspolitische Lage in Mali ist fragil. Die Ziele der (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie Mission werden nur schrittweise erreicht. Der Dialog- des Abg. Dr. [BÜNDNIS 90/ und Versöhnungsprozess läuft unstet. Die Bemühungen DIE GRÜNEN]) um die Friedensverhandlungen wurden durch die Aus- einandersetzungen in Kidal unterbrochen. Immer noch Vizepräsidentin Petra Pau: sind Hunderttausende Menschen auf der Flucht. Das Wort hat der Kollege Uwe Kekeritz für die Frak- Warum ist die Verlängerung des Mandats notwendig? tion Bündnis 90/Die Grünen. Lassen Sie mich für die SPD-Fraktion vier Kernpunkte nennen. Uwe Kekeritz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Erstens. Mali braucht Unterstützung bei der Umset- Herr van Aken, eigentlich habe ich mir geschworen, zung des Aktionsplans der Regierung, das heißt bei der nicht auf Sie einzugehen. Aber ich habe gestern einen Schaffung starker und glaubwürdiger Institutionen, bei Fehler gemacht: Ich habe nämlich Ihre Rede vom der Wiederherstellung der Sicherheit, bei der Umsetzung 23. Juni 2013 gelesen. Dabei habe ich gelernt, wie Sie einer aktiven Politik der nationalen Versöhnung, beim Ihre Reden zusammenstellen: Sie gehen dabei modular Wiederaufbau des malischen Schulwesens und beim vor. Die Rede, die Sie damals gehalten haben, „fits for Aufbau einer aufstrebenden Wirtschaft. all those questions“. Das ist ganz phantastisch. Die malische Regierung kann all diese Herausforde- (Jan van Aken [DIE LINKE]: Welche Rede?) rungen noch nicht alleine bewältigen. Deshalb geht es darum, die politischen Probleme auch politisch zu lösen. – Vom 23. Juni 2013. Zweitens. Mali braucht die langfristige Entwicklungs- (Jan van Aken [DIE LINKE]: Fits for all?) (B) zusammenarbeit – das hat der Herr Staatssekretär gerade (D) – Ja, das ist ein Basismodul, das sich immer für solche ausgeführt – in der Landwirtschaft, bei der Dezentrali- sierung, bei guter Regierungsführung und bei der Was- Themen eignet. Sie müssen es nur ein bisschen individu- serversorgung. Deshalb ist die Erhöhung der Mittel für ell anpassen. die staatliche Entwicklungszusammenarbeit auf 120 Mil- (Zurufe von der LINKEN) lionen Euro für 2013/2014 richtig. Ich glaube, dass es im Interesse des gesamten Hauses ist, dass Mali ein – Ja, da sind Sie jetzt durcheinandergekommen. Schwerpunktland der deutschen Entwicklungspolitik Mit der französischen Intervention und dem vorgese- bleibt. henen Mandat sind die Gefahren in Mali bei weitem (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten nicht gebannt. Die Lage – das wurde schon gesagt – ist der CDU/CSU und des Abg. Dr. Frithjof erschreckend. Nichtsdestotrotz können wir heute sagen, Schmidt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) dass das Mandat seine Aufgabe in einer noch akzeptab- len Weise erfüllt. Drittens. Mali braucht eine nachhaltige sicherheits- politische Stabilisierung. Dabei leisten die genannten Die Alternative zu diesem Mandat und der französi- Missionen der EU gute Arbeit. schen Intervention wäre ein radikaler islamistischer Staat gewesen, in dem die Terrorherrschaft zum domi- Viertens. Mali braucht einen Friedensprozess und ei- nierenden Regierungsprinzip geworden wäre. Es gibt gar nen strukturierten Dialog zwischen den Konfliktpar- keinen Grund zu der Annahme, dass bei einer erfolgrei- teien. Die Unterzeichnung des Waffenstillstandsabkom- chen Einnahme Malis der Ausdehnungswille der Terro- mens in Kidal vor zwei Wochen ist ein erster Lichtblick. risten gestoppt gewesen wäre. Es wäre verantwortungs- los gewesen, Burkina, Mauretanien, Niger und die Das gilt es zu nutzen. Wir brauchen verstärkten diplo- anderen angrenzenden Staaten einer schleichenden terro- matischen Druck auf die malische Regierung und die Or- ristischen Unterwanderung oder einer offenen militäri- ganisationen der Rebellen, um die zügige Implementie- schen Konfrontation auszusetzen. rung von Friedensverhandlungen zu erreichen. Die Beispiele Boko Haram und Lords Resistance Ich fasse zusammen, liebe Kolleginnen und Kollegen: Army und viele andere Terrorgruppen mit ihren War- Deshalb braucht diese Mission internationale Unterstüt- lords zeigen doch deutlich, dass solche Terrorgruppen, zung. so sie einmal Fuß gefasst haben, nicht mehr oder kaum (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der mehr unter Kontrolle zu bringen sind und welche Gefah- CDU/CSU) ren mit ihnen verbunden sind. Boko Haram – Sie wissen Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 40. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Juni 2014 3539

Uwe Kekeritz (A) es – hat in den letzten Jahren 4 000 Menschen ermordet. Werte, über die dieses Land verfügt, zum Beispiel das (C) Beim Kampf gegen die terroristischen Islamisten in Mali Gold, das Land verlassen. ging es deshalb nicht nur um die Situation in Mali. Es musste unbedingt eine Destabilisierung der gesamten Vizepräsidentin Petra Pau: Region verhindert werden, genauso wie das Entstehen Kollege Kekeritz, Sie sind schon weit über Ihre Rede- eines gefestigten, erstarkten Terrorbandes von Mali bis zeit. Nigeria. Wir alle in diesem Hause wissen, dass durch dieses Uwe Kekeritz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Mandat allein keine langfristige Stabilisierung erfolgen Herr van Aken hat mir meine Redezeit geklaut. wird. Wir müssen in Mali Menschenrechte etablieren sowie soziale und ökologische Gerechtigkeit entwickeln. Vizepräsidentin Petra Pau: Deshalb begrüßen wir es natürlich sehr, dass vor zwei, Er nicht. drei Wochen in Bamako die Wiederaufnahme der entwicklungspolitischen Zusammenarbeit beschlossen Uwe Kekeritz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): wurde, und auch, dass diese Zusammenarbeit europäisch Ich bedanke mich bei Ihnen. koordiniert werden soll. Ich bedanke mich in diesem Zu- sammenhang beim Parlamentarischen Staatssekretär (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN beim Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenar- sowie bei Abgeordneten der SPD) beit und Entwicklung, Herrn Fuchtel. Vizepräsidentin Petra Pau: Zwei Schwerpunkte der deutschen Entwicklungszu- sammenarbeit sind besonders zu begrüßen. Den einen Für die CDU/CSU-Fraktion hat der Kollege Philipp Schwerpunkt bildet die ländliche Entwicklung. Dabei Mißfelder das Wort. geht es vor allem um Wasserversorgung und Wasserent- (Beifall bei der CDU/CSU) sorgung sowie die Ernährungssituation im Land. Den zweiten Schwerpunkt bildet das Thema Good Gover- Philipp Mißfelder (CDU/CSU): nance. Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle- In Mali könnte Good Governance tatsächlich sehr gen! schnell große Wirkung erzielen. Das mag Sie etwas ver- (Jan van Aken [DIE LINKE]: Der stiehlt uns blüffen, weil Good Governance in vielen Entwicklungs- die Zeit!) ländern eigentlich zu den Bereichen gehört, in denen nur (B) wenige Fortschritte zu erzielen sind. Im Sinne von Good – Ich kann Ihnen, Herr van Aken, nur sagen: Hören Sie (D) Governance müssten bestehende Altverträge gerade im genau zu! Von dem, was unser Kollege von den Grünen Bergbaurecht überprüft werden. Ich fordere den Staats- gerade gesagt hat, konnten Sie etwas lernen, was verant- sekretär Fuchtel auf, dafür zu sorgen. Ich spreche ganz wortungsvolle Opposition und Politik angeht. besonders den Goldabbau an. In Mali werden jährlich Sie wiederholen bei jeder Rede Ihr „ceterum censeo“, circa 90 Zentner Gold gefördert. Tatsächlich verbleiben dass Karthago zerstört werden muss. Es lohnt sich von diesem Goldwert in Mali gerade einmal 1 bis 2 Pro- schon, das Ganze genauer zu betrachten. Sie können na- zent, ein erschreckender Wert. Dies reicht noch nicht türlich eine radikalpazifistische Position vertreten, aber einmal aus, um den ökologischen Schaden, der durch Sie können uns gerade im Fall von Mali nicht unterstel- den auf unqualifizierte Art und Weise betriebenen Gold- len, dass das ein interventionistischer Vorstoß der Bun- bergbau entstanden ist, auszugleichen. Bei einer fairen desregierung sei. Ganz im Gegenteil, wir sichern mit Besteuerung des Goldabbaus mit 60 oder 70 Prozent dem, was wir tun, unsere gesamten humanitären Aktivi- – bei Gold und Diamanten sind solche Sätze durchaus täten ab. Darum geht es an der Stelle, um nichts anderes. üblich und legitim – ließe sich der Haushalt Malis inner- Deshalb ist es ein Zerrbild, was Sie gezeichnet haben. halb eines Jahres schlichtweg verdoppeln. Der Staatsse- Vor dem Hintergrund weise ich das, was Sie sagen, zu- kretär hat vorhin gesagt, dass eine Eigenleistung Malis rück. erwünscht ist und auch erbracht werden muss. Eine sol- che Besteuerung wäre ein sehr guter Weg dorthin. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Frithjof Schmidt [BÜNDNIS 90/DIE Wir müssen allerdings feststellen, dass es Freihan- GRÜNEN]) delsverträge gibt, die Investitionen enorm schützen. Da Ich behaupte angesichts der Komplexität des Kon- haben wir ein riesengroßes Problem. Diese Freihandels- flikts nicht, dass Sie mit allem, was Sie sagen, unrecht verträge sorgen dafür, dass Investitionen einen höheren haben. Deshalb prüfen wir auch ganz genau, inwiefern Stellenwert als ökologische, soziale oder menschen- dieses Mandat Sinn macht oder nicht. Wir können ein rechtliche Aspekte haben. Das verhindert natürlich eine Jahr nach Beginn des MINUSMA-Mandats sagen: Der vernünftige Entwicklung in Mali. Deswegen sollten wir Einsatz war richtig, und er ist es immer noch. Deshalb uns Gedanken darüber machen, welche Möglichkeiten unterstützen wir die Verlängerung und werden diesem wir haben, alte Abbauverträge zu kündigen. Es kann Mandat auch zustimmen. nicht sein, dass wir, global gesehen, Milliarden in Form von Investitionen oder Hilfeleistungen zur Verfügung Die Ereignisse der vergangenen Wochen – ich ver- stellen und gleichzeitig zulassen, dass die eigentlichen weise auf die Ausschreitungen in der nordmalischen 3540 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 40. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Juni 2014

Philipp Mißfelder (A) Stadt Kidal am 17. Mai – machen deutlich, dass die Lage Vizepräsidentin Petra Pau: (C) weiterhin fragil ist, selbst wenn die Medien sich nicht in Für die SPD-Fraktion hat der Kollege Dirk Vöpel das dem Umfang damit beschäftigen, wie wir das hier im Wort. Deutschen Bundestag mit Blick auf das Mandat tun müs- sen. (Beifall bei der SPD)

Wir sind in einer schwierigen Situation. Es sind noch Dirk Vöpel (SPD): immer über 200 000 Menschen auf der Flucht. Davon Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! befinden sich rund 140 000 Menschen in den Nachbar- Afrika wird unterschätzt. In weiten Teilen des Konti- ländern Malis, sodass die Gefahr besteht, dass der Kon- nents vollzieht sich ein dramatischer, wenn nicht gar flikt übergreift. Vor dem Hintergrund haben wir die Ver- epochaler Wandel zum Besseren. Es ist noch nicht lange antwortung, uns um diese Nachbarländer zu bemühen, her, da hätte das niemand für möglich gehalten, da galt sie zu stabilisieren und ihnen die Möglichkeit zu geben, die Wiege der Menschheit als hoffnungsloser Fall. Der mit der Flüchtlingsproblematik klarzukommen. Name Afrika war nur ein anderes Wort für Hunger, Ge- Das Mandat MINUSMA, wozu Deutschland konkret walt, Stagnation und millionenfaches Elend. Natürlich einen sehr bescheidenen Beitrag leistet, ist eine beruhi- gibt es nach wie vor Regionen, auf die das alles zutrifft; gende und stabilisierende Maßnahme. Wir beteiligen uns aber in seiner Einseitigkeit ist dieses Afrika-Bild, das viele Menschen noch immer im Kopf haben, definitiv mit bis zu 150 Soldatinnen und Soldaten. Davon sind falsch. zurzeit 77 im Einsatz. Das ist wie jedes Bundeswehr- mandat eine nicht ungefährliche Mission. Deshalb danke Viele Länder Afrikas erleben eine ökonomische und ich all denjenigen, die für unser Land dort ihren Dienst soziale Gründerzeit, die in ihrer Dynamik vielleicht nur tun. mit dem Aufbruch der asiatischen Tigerstaaten ver- gleichbar ist. Mali gehört zu den Ländern, die nach wie (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie vor auf der Schattenseite dieses afrikanischen Aufbruchs bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE stehen. Es ist eines der ärmsten Länder der Welt und GRÜNEN) stand vor zwei Jahren unmittelbar vor dem Staatszerfall. Wir beteiligen uns darüber hinaus mit einer polizeili- Eine Rebellion im Norden und ein Putsch im Süden chen Komponente, die aus bis zu zehn Polizisten besteht. hatten den westafrikanischen Staat innerhalb eines Vier- Die Hauptaufgabe der deutschen Soldaten liegt weiter- teljahres von einer scheinbar stabilen Demokratie in ei- hin, auch beim neuen Mandat, darin, den Lufttransport nen neuen internationalen Krisenherd verwandelt. Nur (B) und die Luftbetankung zu unterstützen und in Führungs- das Eingreifen der internationalen Gemeinschaft, insbe- (D) und Verbindungsstäben Beratungs- und Unterstützungs- sondere der Franzosen im Rahmen der Operation Serval, aufgaben zu übernehmen. Das ist wichtig; denn das zeigt hat den Absturz in das völlige Chaos verhindert. Seit den Charakter des Mandats und wie wir in diesem Land dem Anlaufen der VN-Mission MINUSMA, die von vorgehen, nämlich unterstützend und nicht interventio- afrikanischen Partnern ganz wesentlich mitgetragen nistisch. wird, ist die Gesamtsituation in Mali nicht schlechter, sondern besser geworden. Staatsgewalt und territoriale Das gehört aus meiner Sicht zu den Kernaufgaben der Integrität sind im Wesentlichen wiederhergestellt, wenn Bundeswehr und fügt sich in das ein, was die Bundesre- man von den weiten Wüstengebieten im Norden absieht. gierung mit ihrer Afrika-Strategie anstrebt. Auch das ist Diese sind schon aus geografischen Gründen nur sehr – das sage ich hier ganz deutlich – an manchen Stellen schwer zu kontrollieren. noch ausbaufähig. Wir diskutieren und ringen darum, welcher Weg der beste für Afrika sein soll. Ich schließe Die Sicherheitslage und damit auch die Arbeitsvo- nicht aus, dass auch militärische Maßnahmen zur Kon- raussetzungen für die zivilen Aufbauhelfer konnten im fliktlösung gehören können. Sie sind aber nicht ein Süden und in der Mitte des Landes erheblich verbessert Allheilmittel. Das hat im Übrigen auch niemand von un- werden. Die politische Stabilisierung hat mit den Präsi- serer Fraktion oder von der Regierung gesagt. Insbeson- dentschafts- und den Parlamentswahlen im letzten Jahr dere der Beitrag von Staatssekretär Brauksiepe hat ge- ebenfalls große Fortschritte gemacht. Nur wo sich die re- zeigt, dass sich dieses Mandat in ein Gesamtkonzept gionale Sicherheitslage entspannt, verbessert sich auch einfügt, das entwicklungspolitische und diplomatische die humanitäre Situation. Es gibt also Hoffnung für Maßnahmen umfasst. Mali; aber es ist noch lange nicht über den Berg. Vor dem Hintergrund können wir diesem Mandat zu- Die Unterstützung durch die internationale Gemein- stimmen. Wir hoffen, dass in den nächsten zwölf Mona- schaft und damit auch durch Deutschland bleibt notwen- ten dieses Mandat einen kleinen stabilisierenden Beitrag dig. Sie bleibt notwendig, um das bisher Erreichte abzu- für das Land leistet. sichern und weitere Fortschritte überhaupt erst in Reichweite zu bringen. Gerade die besorgniserregenden Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. Ereignisse der jüngsten Tage im Norden Malis zeigen überdeutlich, dass die Fähigkeiten auch zu einem robus- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie ten Vorgehen zurzeit nicht verzichtbar sind, wenn man bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE den mühsam erkämpften Erfolg nicht aufs Spiel setzen GRÜNEN) will. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 40. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Juni 2014 3541

Dirk Vöpel (A) Diese Ereignisse zeigen aber auch, dass der stockende der Gruppe Ansar al-Din aus der Stadt gejagt. Zusam- (C) Friedensprozess wieder in Gang kommen muss. Seit den men mit al-Qaida des Islamischen Maghreb versuchen Wahlen sind hier leider keine sichtbaren Fortschritte er- diese, die Scharia in ihrer strengsten Form durchzuset- zielt worden. Eine Befriedung des Nordens hängt aber in zen. Es beginnt ein Regime des Terrors und der Verwüs- hohem Maße gerade von diesen politischen Fortschritten tung. Mehrere berühmte Mausoleen wurden als „unisla- ab. Jetzt ist weiterer diplomatischer Druck auf die mali- misch“ zerstört, eine Bibliothek mit unersetzlichen sche Regierung und die MNLA sowie auf deren Verbün- Handschriften wurde in Brand gesetzt. dete zwingend erforderlich. Erst Ende Januar 2013 machte die Militäraktion Ser- (Beifall bei der SPD) val der Franzosen diesem Spuk Gott sei Dank ein Ende – Heute liegt uns der Antrag der Bundesregierung auf ein gutes Beispiel, das zeigt, warum in bestimmten Fäl- Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher len auch kurzfristige militärische Interventionen uner- Streitkräfte an der MINUSMA-Mission der Vereinten lässlich sein können. Nationen in Mali vor. Das deutsche Engagement bleibt Ziel der Mission MINUSMA in Mali ist es nun, Be- hinsichtlich der Instrumente und des entsandten Perso- völkerungszentren zu stabilisieren, staatliche Autorität nals im Rahmen der Gesamtoperation MINUSMA eine im ganzen Land wiederherzustellen und den Übergangs- kleine Mission. Die Bereitstellung von taktischen Luft- fahrplan zu unterstützen, vor allem den nationalen politi- transportkapazitäten wie auch – im Anforderungsfall – schen Dialog. die zugesicherte Fähigkeit zur Luftbetankung gehören jedoch zu den Kompetenzen, ohne die eine solche Mis- Der deutsche militärische Beitrag dazu ist im Schwer- sion kaum durchgeführt werden könnte. punkt taktischer Lufttransport mit zwei Flugzeugen vom Typ Transall, die in Dakar im Senegal und in Bamako Bemerkenswert und vorbildlich finde ich die konse- bereitstehen. Sie bilden die German Airlift Support quente entwicklungspolitische Unterfütterung und Flan- Group und fliegen fast täglich Transporte in den unruhi- kierung des MINUSMA-Einsatzes. Es ist sehr erfreulich gen Norden zur Versorgung der UN-Truppen. Außerdem und markiert durchaus einen beachtlichen Fortschritt, stellen wir optional Luftbetankung für französische dass mit den deutsch-malischen Regierungsverhandlun- Streitkräfte bereit, und Einzelpersonal ist in den Füh- gen Mitte Mai nun auch ganz offiziell die vollständige rungsstäben bzw. als Verbindungsoffizier tätig. Wiederaufnahme der entwicklungspolitischen Zusam- menarbeit in Mali erfolgen kann. Nicht alle Probleme sind mit militärischen Mitteln lösbar – schon gar nicht ethnische Konflikte. Aber wir Auch die Mission EUTM Mali und die zivile EU- müssen als Übergangslösung so viel Stabilität und Si- Mission EUCAP Sahel Mali zeigen deutlich, dass der (B) cherheit schaffen, dass ein geordneter Neuaufbau von Si- (D) Lösungsansatz für Mali gut vernetzt und breit aufgestellt cherheitskräften und Verwaltungsapparat beginnen kann. ist. Liebe Kolleginnen und Kollegen, für unsere interna- Im nichtmilitärischen Bereich hilft Deutschland durch tionalen Partner, aber vor allem für Mali ist unsere Un- die Bereitstellung von Krisenpräventionsmitteln – allein terstützung auch weiterhin wichtig und notwendig. 2013 10 Millionen Euro – für Versöhnung und Entwick- lung im Norden Malis, durch humanitäre Hilfe, insbe- Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. sondere Nahrungsmittelhilfe – hierfür sind 8,1 Millionen Euro ausgegeben worden – und die Entwicklungszusam- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie menarbeit: Hier werden allein 2013/2014 120 Millionen bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE Euro aus den Mitteln der staatlichen Entwicklungszu- GRÜNEN) sammenarbeit und 20 Millionen Euro über nichtstaatli- che Träger bereitgestellt. Außerdem beteiligen wir uns Vizepräsidentin Petra Pau: an der Ausbildung von Polizei und Sicherheitskräften. Der Kollege Florian Hahn hat nun für die CDU/CSU- Fraktion das Wort. Lassen Sie mich abschließend sagen: Unsere Trans- portflieger leisten unter extremen Bedingungen Heraus- (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. ragendes. Wir müssen auch hier unserer Fürsorgepflicht Achim Post [Minden] [SPD]) nachkommen und sicherstellen, dass bei den Einsatzbe- dingungen, was Material und Einsatzzeiten angeht, die Florian Hahn (CDU/CSU): Belastungsgrenze nicht überschritten wird. Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kol- legen! In Malis Norden liegt die Oasenstadt Timbuktu: Militärische Unterstützung und Ausbildung in Mali Zentrum islamischer Gelehrsamkeit, geprägt vom Sufis- stehen für uns nicht allein; wir verfolgen zu Recht einen mus, Heimat Tausender Handschriften aus dem Mittelal- ganzheitlichen Ansatz beim Staatsaufbau. Versöhnung ter, Standort vieler Heiligengrabmäler, Moscheen und aller Volksgruppen und Beteiligung aller Regionen am Bibliotheken, UNESCO-Weltkulturerbe der Menschheit. Staatswesen sind Voraussetzungen für langfristige Stabi- lität. Die jüngsten Rückschläge im Norden zeigen deut- Erinnern wir uns an das Frühjahr 2012: Die Regie- lich: In Mali werden wir einen längeren Atem brauchen. rung in Bamako wird gestürzt. Tuareg und Söldner aus Aber unser Engagement ist wichtig und notwendig für dem libyschen Bürgerkrieg erobern die Stadt Timbuktu. Mali, für die Menschen dort und ist nicht zuletzt auch in Nach wenigen Tagen werden die Tuareg von Islamisten unserem eigenen Interesse. 3542 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 40. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Juni 2014

Florian Hahn (A) Den zivilen und militärischen Beteiligten an der Un- tion, warum muss diese Initiative zur Novellierung des (C) terstützung in Mali wünsche ich Gesundheit, Erfolg und Wissenschaftszeitvertragsgesetzes eigentlich aus der Op- Gottes Segen bei ihrem Tun. position kommen? Sie selbst kündigen doch im Koali- tionsvertrag eine Novelle des Gesetzes an. Danke schön. ( [CDU/CSU]: Das werden (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie wir auch machen!) bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Der Gesetzentwurf, den wir heute in den Bundestag ein- bringen, wurde schon im Frühjahr 2013 von grün-rot Vizepräsidentin Petra Pau: und rot-grün regierten Ländern in den Bundesrat einge- Ich schließe die Aussprache. bracht. Sie – und hier meine ich vor allem die Kollegin- nen und Kollegen der SPD – hätten längst handeln kön- Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf nen. Ihre Zögerlichkeit als Koalition schadet dem Drucksache 18/1416 an die in der Tagesordnung aufge- wissenschaftlichen Nachwuchs. führten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es dazu ander- weitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dann ist die (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Überweisung so beschlossen. sowie des Abg. Ralph Lenkert [DIE LINKE] – Dr. Simone Raatz [SPD]: Ach jemine!) Ich rufe den Tagesordnungspunkt 30 auf: Meine Fraktion hat die prekären Arbeitsbedingungen Erste Beratung des von den Abgeordneten Kai des wissenschaftlichen Nachwuchses schon mehrmals Gehring, Özcan Mutlu, Beate Walter- im Bundestag zum Thema gemacht. Sie kennen die Zah- Rosenheimer, weiteren Abgeordneten und der len: Beinahe neun von zehn Wissenschaftlerinnen und Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN einge- Wissenschaftlern an den deutschen Hochschulen und brachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Forschungseinrichtungen sind befristet beschäftigt. Das Änderung des Gesetzes über befristete Ar- gilt auch für die Phase nach der Promotion, in der beitsverträge in der Wissenschaft (1. Wiss- 51 Prozent der Verträge an den Hochschulen und 40 Pro- ZeitVG-ÄndG) zent der Verträge in den Forschungseinrichtungen eine Drucksache 18/1463 Laufzeit von unter einem Jahr haben. Das sind Zustände, Überweisungsvorschlag: die sich kein Unternehmen leistet, das genauso wie der Ausschuss für Bildung, Forschung und Wissenschaftsbetrieb auf Spitzenpersonal angewiesen Technikfolgenabschätzung (f) ist. Hier ist etwas aus dem Lot geraten, und das müssen Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz wir ändern. (B) Ausschuss für Arbeit und Soziales (D) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei- Abg. Dr. [SPD]) nen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sprechen hier Kai Gehring für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. durchaus von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaft- lern, die gut und gern ihr viertes, teils sogar fünftes Le- bensjahrzehnt erreicht haben. Diese erfahrenen Kräfte Kai Gehring (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): wollen Sie weiter mit kurzfristigen Verträgen hinhalten. Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vor zwei Wochen hat dieses Haus gegen die Stimmen (Dr. Daniela De Ridder [SPD]: Nein, wollen der grünen Bundestagsfraktion ein milliardenschweres, wir nicht!) aber ungerechtes Rentenpaket verabschiedet. Aber was Mit einer solchen Politik schafft man keine Innovationen ist mit der jungen Generation? Was tut die Bundesregie- und kein wettbewerbsfähiges Wissenschaftssystem, das rung für den wissenschaftlichen Nachwuchs in Deutsch- kreative Menschen an sich bindet. Man schafft vielmehr land, der mit seinem Wissen und Können für dringend Frustration und riskiert das Abwandern dieser klügsten benötigte Innovationen sorgt? Die Antwort ist: bisher Köpfe in die Wirtschaft oder ins Ausland. Das kann hier nichts. Wenn es um verlässliche Perspektiven für Wis- niemand ernsthaft wollen. senschaftlerinnen und Wissenschaftler an den Hoch- schulen und Forschungseinrichtungen geht, zeigt sich (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN diese Koalition erschreckend ideenlos und erschreckend sowie des Abg. Ralph Lenkert [DIE LINKE] – tatenlos. So darf es nicht bleiben. Dr. Daniela De Ridder [SPD]: Das tut auch keiner!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Mit unserer Novelle des Wissenschaftszeitvertragsge- Hochschulen und Forschungseinrichtungen sind setzes schlagen wir konkrete Verbesserungen vor. Dabei Herzstücke unseres Wissenschaftssystems. Sie müssen ist uns bewusst, dass es nur ein Baustein ist, den wir im attraktive Arbeitgeber mit guten und zukunftsfähigen deutschen Wissenschaftssystem voranbringen müssen. Arbeitsbedingungen sein. Im Bereich dieses Gesetzes hat der Bund originäre Zu- Schauen wir uns den Gesetzentwurf an, den wir heute ständigkeiten und Handlungsmöglichkeiten. Deshalb debattieren. Ich möchte zunächst fragen: Liebe Koali- schieben Sie in der Debatte die Verantwortung nicht nur Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 40. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Juni 2014 3543

Kai Gehring (A) auf die Länder und Hochschulen, sondern lassen Sie uns (Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Alte (C) dort, wo wir es als Bund können, einen klaren Rahmen Kamelle!) setzen! – Wenn Sie das „alte Kamelle“ nennen, dann rate ich Ih- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN nen: Sprechen Sie einmal mit Vertretern des Wissen- und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten schaftsbetriebs. Die werden Ihnen sagen, dass ein neues der SPD) Juniorprofessorenprogramm Perspektiven schafft, Zu diesem klaren Rahmen gehört, Mindestvertrags- (Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Die sagen laufzeiten für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mir etwas ganz anderes!) in der zweiten Qualifizierungsphase einzuführen. Wer wichtig und ein Fortschritt ist. Das könnten Sie machen, seine Promotion erfolgreich abgeschlossen hat, soll nur anstatt 500 Millionen einfach so zu versenken. noch in begründeten Ausnahmefällen eine Vertragslauf- zeit von unter zwei Jahren erhalten. Außerdem soll für (Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Das Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in allen Qualifizie- stimmt nicht, Herr Kollege!) rungsphasen gelten, dass die Laufzeit der Verträge, die Ich sage Ihnen: Es ist dringend notwendig, Wissen- auf Drittmittelbefristung beruhen, mindestens der Lauf- schaft als Beruf wieder attraktiver zu machen. Wir wol- zeit der Finanzierungsbewilligung des Drittmittelgebers len es im Wissenschaftssystem fair statt prekär. entsprechen muss. Sorgen wir endlich dafür, dass sach- grundlose Befristungen Vorrang haben vor Drittmittelbe- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) fristungen. Das täte dem wissenschaftlichen Nachwuchs gut. Mit diesen Vorschlägen können wir einiges tun ge- Vizepräsidentin Petra Pau: gen das Befristungsunwesen in unserem Wissenschafts- Für die CDU/CSU-Fraktion hat die Kollegin system. Alexandra Dinges-Dierig das Wort. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- bei der SPD und der LINKEN) neten der SPD) Wenn wir schon dabei sind: Lassen Sie uns auch die Tarifsperre im Wissenschaftszeitvertragsgesetz aufhe- Alexandra Dinges-Dierig (CDU/CSU): ben, um so die Autonomie der Hochschulen zu stärken. Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertreterinnen und -ver- Kolleginnen und Kollegen! Das Wichtigste vorweg: treter im Wissenschaftsbereich müssen endlich die Mög- Deutschland ist ein hervorragender und attraktiver For- lichkeit erhalten, eigene adäquate Tarifregelungen für (B) schungsstandort. Diesen gilt es weiter zu stärken. Dies (D) die Wissenschaft auszuhandeln. Es ist aus unserer Sicht haben wir bei den Haushaltsberatungen ganz deutlich allerhöchste Zeit, dass die Bundesregierung auch junge gezeigt. Die Regierungskoalition aus CDU, CSU und Beschäftigte in Deutschland in den Blick nimmt. Promo- SPD hat sich ausgesprochen für zusätzliche 3 Milliarden vierende und Postdocs an den Hochschulen und For- Euro für die Forschung und, lieber Herr Gehring, für schungseinrichtungen sind Teil einer Generation, von weitere 6 Milliarden Euro, die sich auf Kita, Schulen und der sich dieses Land superwichtige Impulse für seine Hochschulen verteilen. Es bleibt also bei den 9 Milliar- wirtschaftliche, soziale und ökologische Modernisierung den Euro, egal bei welchem Posten sie nun stehen. erhofft. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Um diese Hoffnung zu erfüllen, brauchen Wissen- Unsere politische Verantwortung ist es, den geeigneten schaftlerinnen und Wissenschaftler verlässliche Perspek- Rahmen für erfolgreiche Forschung zu schaffen. Da sind tiven und planbare Karrierewege. Das beginnt bei der wir beieinander, Herr Gehring; das haben auch Sie ge- Novelle des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes, es geht sagt. Wir sind auch da beieinander, dass das Wissen- weiter bei der Zukunft der Wissenschaftspakte und endet schaftszeitvertragsgesetz dazu ein Baustein ist. im Kern bei der dringend notwendigen Verbesserung der Grundfinanzierung der Hochschulen. Letzterem, liebe Wir debattieren heute das Wissenschaftszeitvertrags- Koalitionäre, haben Sie im Haushalt 2014 und in der gesetz auf Wunsch der Grünen noch einmal. Ich muss gestrigen Bereinigungssitzung des Haushaltsausschusses aber sagen – Sie haben es selber erwähnt, Herr Gehring –: einen Bärendienst erwiesen. Die bei Schäuble zwischen- Ihr Gesetzentwurf entspricht dem Gesetzentwurf der geparkte halbe Milliarde Euro fließt nun doch nicht in SPD aus dem letzten Jahr Bildung und Forschung, sondern Sie stopfen damit Lü- (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: cken im Gesamthaushalt. Nein! Der Bundesratsinitiative!) (Dr. Daniela De Ridder [SPD]: Fehlinterpreta- – nahezu –; ich vermisse die Ergebnisse der Debatten tion! – Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Das und der Anhörungen des letzten Jahres. stimmt nicht!) (Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Hört! Damit hätten Sie so viel für die Wissenschaft tun kön- Hört!) nen, unter anderem ein neues Juniorprofessorenpro- gramm mit Tenure Track auflegen, wie wir es in den Es hätte uns in der Diskussion viel weiter gebracht, Haushaltsberatungen beantragt haben. Ihre Politik ist da- wenn Sie dies konstruktiv eingebaut hätten. Dann hätten gegen unsäglich zukunftsvergessen. wir jetzt über andere Inhalte sprechen können, nämlich 3544 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 40. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Juni 2014

Alexandra Dinges-Dierig (A) über die Stärkung der Forschung und die Schaffung ver- Meine Damen und Herren, aber neben viel Licht gibt (C) lässlicher Karrierewege für Nachwuchswissenschaftle- es auch Schatten. Dieser Schatten ist die zunehmende rinnen und Nachwuchswissenschaftler. Zahl kurzfristiger Arbeitsverträge. Dies war – und ist – nicht die Intention des Gesetzgebers in 2007. Ich gebe (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Ihnen zu 100 Prozent recht, dass hier Handlungsbedarf neten der SPD) besteht. Weil es ein Gesetzentwurf von gestern ist, wird die (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem CDU/CSU ihn auch diesmal wieder ablehnen. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo Die Debatten des letzten Jahres haben aber gezeigt, dass bleibt Ihr Änderungsantrag?) es keine Lösung ist, die Fristen mit Mindestzeiten bei gleichzeitig begründeter Verkürzungsmöglichkeit zu be- Meine Damen und Herren, Kern des Gesetzes ist – für legen. diejenigen, die sich damit noch nicht beschäftigt haben – die Regelung von Möglichkeiten, im Bereich der Wis- (Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Sehr senschaft Arbeitsverträge abzuschließen, die befristet richtig!) sind. Das betrifft besonders Nachwuchswissenschaftler, Denn das wiederum führt zu Starrheit in einem flexiblen also Personen, die ihr Studium abgeschlossen haben. Es System, zu Rechtsunsicherheit und vor allem zu neuer geht um die Befristung für einen festen Zeitraum, und Ungerechtigkeit. zwar ohne Angabe von Gründen. Natürlich gibt es auch befristete Arbeitsverträge mit Angabe von Gründen. (Beifall bei der CDU/CSU) Hier geht es insbesondere um Arbeitsverträge mit Be- fristungsgrund, zum Beispiel bei Drittmittelprojekten Eine kurzfristige Verlängerung der bestehenden Ver- oder auch wegen notwendiger Kinderbetreuung oder träge, für sechs Monate, weil jemand mit der Arbeit Pflege. nicht fertig ist, weil jemand in die Familienphase eintritt oder weil ein Überbrückungsvertrag nötig ist, bis ein Eine Evaluation aus dem Jahr 2011 und eine Exper- neuer Vertrag geschlossen wird, wird extrem schwierig. tenanhörung im vergangenen Jahr haben gezeigt: Das Das hemmt unsere Entwicklung. Deshalb sind in meinen Wissenschaftszeitvertragsgesetz wird in hohem Maße Augen systemfremde Änderungen der falsche Weg. der projektorientierten Arbeitsweise in der Forschung Der Gesetzentwurf der Grünen, so wie er jetzt vor- gerecht. Es gibt den Arbeitgebern die notwendige liegt, ist in meinen Augen wieder ein Beispiel dafür, dass Rechtssicherheit bei Arbeitsverträgen, weil es einfach zu (B) versucht wird, Symptome zu bekämpfen, ohne die Ursa- (D) handhaben ist. Außerdem – für diejenigen, die das nicht chen aufzudecken. so gerne hören – stößt das Wissenschaftszeitvertragsge- setz auch bei den jungen Wissenschaftlerinnen und Wis- (Lachen des Abg. Kai Gehring [BÜND- senschaftlern aufgrund ihrer individuellen Arbeitsweise NIS 90/DIE GRÜNEN] – Dr. Ernst Dieter auf hohe Akzeptanz. – Diese Punkte sollten wir nicht un- Rossmann [SPD]: Das sehen wir anders!) ter den Tisch fallen lassen. Ich sage es ganz deutlich: Es gibt kein Problem von ge- Darüber hinaus können wir in Deutschland beobach- setzgeberischer Seite, sondern ein Umsetzungsproblem ten: Seitdem wir das Wissenschaftszeitvertragsgesetz in den Ländern. Die Hochschulen haben in vielen Län- haben, nimmt die Anzahl der Promotionen enorm zu. dern nicht den Stellenwert, der ihnen zusteht. Wir liegen in Deutschland inzwischen weit über dem ( [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: EU-Durchschnitt. Dass wir international attraktiv sind, Das stimmt! Das ist auch in Hamburg so!) das zeigt der nicht nachlassende Zustrom von Wissen- schaftlerinnen und Wissenschaftlern an unsere Universi- Es fehlen – das zeigt auch die Empfehlung der HRK täten. Das ist eine erfreuliche Entwicklung. vom 13. Mai 2014; das ist gerade einmal drei Wochen her – die rechtlich und finanziell verlässlichen Rahmen- (Beifall bei der CDU/CSU) bedingungen an den Hochschulen. Hier sind die Länder Ich stelle also fest: Das Wissenschaftszeitvertragsge- in der Pflicht. setz ist im Kern ein wichtiger und richtiger Baustein. Mit Lassen Sie mich eines deutlich machen: Die Regie- seiner Hilfe gewinnen wir die Besten der Besten. Gleich- rungskoalition von CDU, CSU und SPD hat in den ver- zeitig – das haben Sie leider nicht erwähnt – können wir gangenen Tagen beschlossen, dass der Bund zukünftig den Nachwuchswissenschaftlerinnen und Nachwuchs- die Kosten für das BAföG vollständig übernimmt. Damit wissenschaftlern vermehrt die Möglichkeit des Einstiegs haben die Länder zusätzliche finanzielle Möglichkeiten, in eine wissenschaftliche Laufbahn bieten. In dem Zeit- in Schule und Hochschule zu investieren. Jetzt geht es raum seit 1992 bis heute stieg die Zahl derer immerhin darum, dass die Länder dies auch tun. um 80 Prozent. Das ist ein gutes Zeichen für einen sich entwickelnden Wissenschaftsstandort. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der SPD – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/ (Beifall bei der CDU/CSU – Kai Gehring DIE GRÜNEN]: Was haben Sie denn für den [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es geht hier wissenschaftlichen Nachwuchs vereinbart? um Befristungen!) Gibt es Juniorprofessuren?) Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 40. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Juni 2014 3545

Alexandra Dinges-Dierig (A) Im Bereich der Hochschulen zum Beispiel könnte mit trägen auf Drittmittelprojekten bis zur Rente hangeln zu (C) diesen Mitteln eine veränderte, attraktive Personalstruk- müssen? Ausgebeutet und missbraucht würden Sie sich tur aufgebaut werden. fühlen – zu Recht. Deshalb ist es höchste Zeit, dieses Gesetz zu hinterfragen. Neben den Ländern sind bezüglich der Umsetzung des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes auch die Hoch- (Beifall bei der LINKEN) schulen in der Pflicht. Herr Gehring hat gerade einige Mit flexibleren Forschungsmöglichkeiten und mehr Zahlen genannt; die sind richtig. Ich möchte aber zeigen, Chancen für angehende Wissenschaftlerinnen und Wis- dass, wenn man eine andere Auswahl von Zahlen heran- senschaftler begründete die letzte GroKo die Einführung zieht, man vielleicht zu einem anderen Ergebnis kommt. dieses Gesetzes. Was hat es für unseren wissenschaftli- chen Nachwuchs an den Hochschulen gebracht? Nur Vizepräsidentin Petra Pau: noch einer von zehn Wissenschaftlern hat eine feste Frau Kollegin, das können Sie gerne tun, aber ab jetzt Stelle. 50 Prozent der Befristungen sind kürzer als ein geht das zulasten der Kollegen Ihrer Fraktion. Jahr. Kettenbefristungen sind die bittere Realität. Damit haben die Betroffenen oft mehr abgelaufene Arbeitsver- Alexandra Dinges-Dierig (CDU/CSU): träge als Lebensjahre. An den außeruniversitären For- Ich bin auch sofort fertig. – An den Hochschulen ha- schungseinrichtungen ist die Situation nicht viel besser. ben wir 53 Prozent kurzfristige Verträge, an Helmholtz- (Dr. [CDU/CSU]: Doch, die ist Instituten nur 23,8 Prozent. An den Hochschulen haben besser!) wir 11 Prozent langfristige Verträge, an Helmholtz-Insti- Und die Folgen? Es ist kein Wunder, dass Absolven- tuten 50 Prozent. Das spricht für sich. ten die erste Chance ergreifen, in die Industrie oder ins (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ausland zu wechseln. Und was tun Sie für die Hochschulen?) (Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Was haben Das Wissenschaftszeitvertragsgesetz schafft einen Sie gegen die Industrie? Wir brauchen doch flexiblen Rahmen. Schwächen in der Umsetzung des auch gute Leute in der Industrie!) Gesetzes sind bei den Ländern und Hochschulen zu be- Mehr Geld, mehr Anerkennung und eine planbare Zu- heben. Der Bund will gern dabei unterstützen, dieses zu kunft sind starke Argumente. ändern. Das werden wir mit der Änderung des Arti- kels 91 b Grundgesetz auch tun. Die Flexibilität zu neh- (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- men, ist der falsche Weg. Deshalb werden wir vonseiten NIS 90/DIE GRÜNEN) (B) der CDU/CSU, wie zu Beginn ausgeführt, den Gesetz- Entscheiden sich Akademikerfamilien für die Wissen- (D) entwurf ablehnen. schaft, dann wird Familienplanung verdammt schwer, Vielen Dank. und der Kinderwunsch wird häufig zu lange aufgescho- ben. Ignorieren Sie dies nicht länger! Sie beschädigen (Beifall bei der CDU/CSU) die Zukunft unserer Familien. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Ralph Lenkert für die Frak- Begreifen Sie endlich, dass Sie so auch die Qualität un- tion Die Linke. serer Hochschulen und Forschungseinrichtungen ruinie- ren! (Beifall bei der LINKEN) Die ständigen Projektbefristungen bei Verwaltungs- angestellten und technischem Personal sind für die Linke Ralph Lenkert (DIE LINKE): ebenfalls inakzeptabel. Unternehmen der freien Wirt- Sehr geehrte Frau Präsidentin! Geehrte Kolleginnen schaft haben auch keine Auftragssicherheit über mehrere und Kollegen! Eine Novelle zum Wissenschaftszeitver- Jahre. Trotzdem arbeitet die Industrie mit wesentlich tragsgesetz ist überfällig. Es reicht aber nicht, Frau mehr Dauerverträgen. Warum? Weil es strengere Ge- Dinges-Dierig, nur die Schwächen zu benennen und al- setze für Befristungen gibt. Ehrlich: Unsere Professoren les andere schönzubeten; Sie müssen handeln. sind doch nicht unfähiger als die Manager in der Indus- (Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Haben wir trie. Bringen wir Hochschulen und Forschungseinrich- getan!) tungen mit härteren Befristungsvorschriften zum Ab- schluss von Dauerverträgen! Alle Beschäftigten haben Mit dem Handeln ist das bei Ihnen aber so eine Sache: ein Recht auf eine planbare Zukunft. Sie kündigen an, und es passiert nichts. (Beifall bei der LINKEN) Wie würden Sie sich fühlen, wenn Sie mit 19 ein Stu- Es sind erste gute Schritte, die unsere Kollegen von dium beginnen, nach Studienabschluss über vier Jahre in Bündnis 90/Die Grünen mit ihrem Gesetzentwurf vor- 20 Stunden Teilzeit mit Halbjahresverträgen bis zur Pro- schlagen: weniger Willkür bei Befristung durch die ver- motion angestellt werden, aber real über 40 Stunden im pflichtende Einbeziehung der Tarifpartner und durch ga- Labor schuften und abends zu Hause büffeln, um dann rantierte Qualifizierungszeiten bei wissenschaftlichen weitere sechs Jahre mit jahresbefristeten Teilzeitverträ- Befristungen. Das unterstützt die Linke. gen am wissenschaftlichen Fortschritt der Bundesrepu- blik teilzuhaben und sich anschließend mit Quartalsver- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 3546 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 40. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Juni 2014

Ralph Lenkert (A) Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, Doktoran- Ein bisschen Kreativität hätte ich mir sehr gewünscht, (C) den und das gesamte Personal an Hochschulen und For- weil – da stimme ich, wie viele andere auch, mit Ihnen schungseinrichtungen haben für die Linke Anspruch, überein – gute Arbeit in der Wissenschaft ein ganz wich- erstens, auf eine Mindestbefristungszeit der Verträge tiges Thema ist. nach Dauer der Qualifizierungsphase, jedoch mindestens auf zwölf Monate, zweitens, bei Drittmittelprojekten auf (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten eine Mindestbefristung nach Projektdauer und gesicher- der CDU/CSU) ter Finanzierung, jedoch mindestens auf zwölf Monate, Ich denke, dass wir uns des Themas „gute Arbeit in und, drittens, einen rechtssicheren Anspruch auf Verlän- der Wissenschaft“ in dieser Legislatur unbedingt anneh- gerung vereinbarter Befristungen um die Länge von Kin- men müssen. Hier wurden schon einige Argumente ge- derbetreuungs- und Pflegezeiten. Wir fordern, dass bei nannt. Drittmittelprojekten das nichtwissenschaftliche Perso- nal unbefristete Arbeitsverträge erhält. Grundsätzlich wollen wir die Schaffung von Dauerarbeitsplätzen für Vizepräsidentin Petra Pau: Personal in Lehre und Forschung an öffentlichen Hoch- Kollegin Raatz, gestatten Sie eine Frage oder Bemer- schulen und Forschungseinrichtungen für die Wiederbe- kung der Kollegin Klein-Schmeink? lebung des akademischen Mittelbaus. (Beifall bei der LINKEN) Dr. Simone Raatz (SPD): Gerne. Es wird höchste Zeit, die Lehr-, Lern- und Forschungs- bedingungen an öffentlichen Einrichtungen des Wissen- schafts- und Forschungssystems zu verbessern. Machen Maria Klein-Schmeink (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Sie da mit! Verweigern Sie sich nicht; sonst gefährden NEN): Sie den Wissenschaftsstandort Deutschland. Kann ich, nachdem Sie darauf hingewiesen haben, dass der Gesetzentwurf im Wesentlichen dem entspricht, (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- was rot-grün regierte Länder in den Bundesrat einge- neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) bracht haben, davon ausgehen, dass Sie diesem Gesetz- entwurf im weiteren Verfahren zustimmen werden? Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat die Kollegin Dr. Simone Raatz für die (Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Mein Gott! SPD-Fraktion. Das ist billige Spielerei! Das ist überflüssig wie nur was!) (B) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (D) der CDU/CSU) Dr. Simone Raatz (SPD): Ich denke, Sie haben verfolgt, dass wir weiter an einer Dr. Simone Raatz (SPD): Vorlage arbeiten werden, gemeinsam mit unserem Koali- Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegin- tionspartner. Ich werde in den paar Minuten Redezeit, nen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! die ich habe, schon einige Punkte benennen, an denen Herr Gehring, ich bin schon ein bisschen verwundert, wir über die Bundesratsinitiative hinausgehen. Prinzi- dass Ihre Fraktion, Bündnis 90/Die Grünen, es wirklich piell entspricht Ihr Gesetzentwurf dem vom vergangenen schafft, einen SPD-Gesetzentwurf aus dem vergangenen Jahr, den wir damals gerne durchgebracht hätten. Aber Jahr zu 100 Prozent, nahezu wortwörtlich, als ihren eige- seitdem ist ein bisschen Zeit vergangen, und wir werden nen in diese Debatte einzubringen das nun weiterentwickeln. Wir würden uns freuen, wenn (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie uns dabei unterstützten. Das war eine gemeinsame Bundesratsinitia- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) tive!) Im vergangenen Jahr wurde intensiv über dieses und dazu nicht ein Wort zu sagen. Man kann das natür- Thema debattiert; ich war noch nicht dabei, aber konnte lich verschmitzt machen. Ich verstehe es ja. Es ist Auf- die Debatte nachverfolgen. Die Zahlen haben sich seit- gabe der Opposition, ein paar Themen zu setzen und zu dem nicht verändert: 83 Prozent der hauptberuflich täti- sagen: Guckt mal, das habt ihr vergangenes Jahr ge- gen wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter macht. – Aber Sie sollten es wirklich nicht so unkritisch an Hochschulen sind in befristeten Beschäftigungsver- zu 100 Prozent übernehmen. Vielleicht haben Sie es hältnissen. Auch an außeruniversitären Forschungsein- nicht ganz zu 100 Prozent übernommen. Dann sind es richtungen – da muss ich meiner geschätzten Kollegin 99,9 Prozent; denn es sind wirklich nur zwei Punkte an- Frau Dinges-Dierig ein klein wenig widersprechen – ders und auch die haben Sie aus Vorlagen von Nord- sieht die Lage nicht besser aus. Sicherlich ist die Situa- rhein-Westfalen und Hamburg abgeschrieben. tion an einigen Instituten schon ganz gut – wir hatten ei- (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: nen Vertreter der Helmholtz-Gemeinschaft im Aus- Das war eine gemeinsame Bundesratsinitia- schuss zu Gast –, aber an manchen Instituten gibt es eine tive! – Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/ Befristungsquote von 80 bis 90 Prozent. Ich kann mir DIE GRÜNEN]: Strategisches Know-how überhaupt nicht erklären, wie gerade an außeruniversitä- müssen Sie noch lernen!) ren Forschungseinrichtungen solch eine Befristungs- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 40. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Juni 2014 3547

Dr. Simone Raatz (A) quote zustande kommt. Da muss dringend etwas geän- (Ralph Lenkert [DIE LINKE]: Aber immer si- (C) dert werden. cher! Ohne Ausnahme! Nicht wie bei Ihnen: mit Hintertür!) (Beifall bei der SPD) Ich denke, das allein reicht nicht, um die Situation für Wenn man sich einmal anschaut, wohin unsere Spit- unsere Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nach- zenwissenschaftler gehen, haltig zu verbessern. Dazu gehört in jedem Fall auch, dass die Grundfinanzierung unserer Hochschulen deut- (Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Sie kom- lich verbessert wird, um dem Stellenkürzungswahn Ein- men nach Deutschland!) halt zu gebieten. In Sachsen – das ist Wahnsinn – sollen dann sieht man: zum großen Teil in die USA. Warum? über 1 000 Stellen gestrichen werden; keiner weiß, wie. Wie ist da die Befristungsquote? Sie liegt bei 14 Prozent. Dem muss Einhalt geboten werden. Wir müssen – das ist Das ist natürlich etwas anderes. In England liegt sie bei unser Ziel – mehr dauerhafte Stellen im Hochschul- und 28 Prozent. Ich denke, daran sollten wir uns orientieren Forschungsbereich einrichten. und auch messen lassen. (Beifall der Abg. [SPD]) Es wurde schon gesagt: Die Hälfte der befristeten Be- Die komplette Übernahme der Kosten für das BAföG schäftigungsverhältnisse an den Einrichtungen in durch den Bund wurde schon von meiner Kollegin er- Deutschland ist auf weniger als ein Jahr angelegt; über wähnt. Die Aufhebung des Kooperationsverbots steht 20 Prozent der wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und auch bevor. Das eröffnet zeitnah Spielräume für die Län- Mitarbeiter müssen sogar mit Sechsmonatsverträgen le- der. Dieser Spielraum muss – da bin ich ganz an Ihrer ben. Das können wir nicht fortführen. Seite – aber auch genutzt werden. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Liebe Kolleginnen und Kollegen, das macht deutlich: Für Sachsen bedeutet das 84 Millionen Euro. Damit Hier ist etwas gewaltig aus dem Ruder gelaufen. Diesem kann man doch etwas machen. Missstand müssen und werden wir einen Riegel vor- schieben. Wir werden mit der Novellierung des Wissen- (Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Damit muss schaftszeitvertragsgesetzes – ich denke, dass wir da zu- man etwas machen!) künftig unseren Koalitionspartner an der Seite haben – Mindeststandards einführen; denn dies allein den Hoch- Bei der Verlängerung des Paktes für Forschung und Innovation sollten wir auch daran denken, mit den außer- (B) schulen zu überlassen, hat, wie wir gesehen haben, nicht (D) zu dem Ergebnis geführt, das wir uns wünschen. Wir universitären Forschungseinrichtungen messbare Ziel- wünschen uns für unsere Wissenschaftlerinnen und Wis- vereinbarungen zu treffen, die eine wirklich signifikante senschaftler planbare und verlässliche Karrierewege; das Reduzierung der Befristungsquote sicherstellen. wurde hier schon gesagt. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie sehen, es ist ei- Drei unserer Kernforderungen, die sich im Gesetzes- niges zu tun. Ein erster wichtiger Schritt wurde bereits text wiederfinden werden, will ich an dieser Stelle be- unternommen. So haben wir die Novellierung des Wis- nennen – ich staune und freue mich, dass wir diesbezüg- senschaftszeitvertragsgesetzes gemeinsam mit der Union lich sogar etwas weiter sind als die Linken –: im Koalitionsvertrag festgeschrieben. Wir sind uns also einig, dass es hinsichtlich der prekären Beschäftigungs- (Ralph Lenkert [DIE LINKE]: Was?) verhältnisse in der Wissenschaft einen dringenden Hand- lungsbedarf gibt. Der nächste Schritt wird sein, gemein- Erstens. Wichtig ist für uns, dass zukünftig sowohl in sam mit unserem Koalitionspartner und im Dialog mit der ersten als auch in der zweiten Qualifizierungsphase den Betroffenen und den Fachgemeinschaften von GEW eine Vertragslaufzeit von mindestens 24 Monaten gilt. oder Verdi in den nächsten Monaten an einer Lösung zu Natürlich können Sachgründe dagegen sprechen – Sie arbeiten, die attraktive Beschäftigungsverhältnisse haben einige genannt –, aber das ist die Ausnahme. schafft und so das deutsche Wissenschaftssystem inter- Wenn Sachgründe dagegen sprechen, dann kann man si- national wieder wettbewerbsfähiger macht. Anderenfalls cherlich einmal davon abweichen; aber prinzipiell wol- werden wir – das wurde schon gesagt – unsere Spitzen- len wir in der Qualifizierungsphase Vertragslaufzeiten leute und guten Nachwuchswissenschaftler verlieren, von mindestens 24 Monaten. weil sie aus dem System ausscheiden oder abwandern. Ich denke, damit wäre keinem geholfen. Zweitens. Die Drittmittelbefristung wird zukünftig an die Dauer der Drittmittelförderung gekoppelt. Das heißt, Ich lade also die Fraktionen, aber auch Sie persönlich, bei Dreijahresverträgen gibt es einen Beschäftigungsver- Herr Gehring, ganz herzlich dazu ein, sich jetzt in den trag über drei Jahre. Prozess der Ausgestaltung des Wissenschaftszeitver- tragsgesetzes konstruktiv einzubringen, Drittens ist uns die Tarifsperre sehr wichtig. Die Lin- ken haben 12 Monate genannt. Ich gehe etwas weiter (Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Nicht nur ab- und sage: 24 Monate. Das ist doch etwas. schreiben, sondern mitarbeiten!) 3548 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 40. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Juni 2014

Dr. Simone Raatz (A) und zwar nicht durch Abschreiben von Gesetzentwürfen, [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und was (C) sondern mit eigenen Ideen. steht da drin zum Befristungsunwesen?) (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Liebe Frau Raatz, die Leute verlassen Deutschland als Wir sind auf Ihre gespannt!) Forschungsstandort nicht, sondern sie kommen zu uns, Vielen Dank. weil wir die attraktiveren Bedingungen haben. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) (Beifall bei der CDU/CSU) Die Berichte benennen zwei Probleme, unter denen Vizepräsidentin Petra Pau: junge Wissenschaftler in Deutschland leiden. Das ist Der Kollege Tankred Schipanski hat für die Fraktion zum einen die Personalstruktur, die derzeit als einziges der CDU/CSU das Wort. Karriereziel die Vollprofessur bietet. (Beifall bei der CDU/CSU) (Dr. Simone Raatz [SPD]: Genau das müssen wir ändern!) Tankred Schipanski (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich darf Das ist zum anderen die überbordende Befristungspraxis die Debatte an dieser Stelle wieder ins richtige Fahrwas- – wir haben es gehört –: Stellensplitting, Vertragslaufzei- ser führen. Insbesondere nach dem Beitrag der Linken ten von teilweise unter einem Jahr, Kettenverträge. Jeder scheint es nötig zu sein, den Sachstand aufzuzeigen und kennt Beispiele aus seinem Bekanntenkreis. den Fahrplan der Koalition in dieser Frage zu skizzieren. (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Lassen Sie mich Folgendes voranstellen – das wurde Was machen Sie dagegen?) schon gesagt –: Herr Gehring, ich finde es einfallslos, ei- nen Gesetzentwurf einzubringen, der fast identisch ist Die christlich-liberale Koalition hat daher in der letz- mit einer Vorlage, über die in der letzten Legislaturpe- ten Legislaturperiode konkrete Maßnahmen ergriffen riode diskutiert wurde und die mit sehr guten Argumen- und vor allen Dingen mit Blick auf die Universitäten ten abgelehnt worden ist. – Sie kennen die Vorlage, die wir hier behandelt haben – konkrete Verbesserungen vorgeschlagen. Stichwortartig (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: darf ich Ihnen nennen: Associate-Professuren, befristete Mit schlechten Argumenten!) Assistenzprofessuren mit Tenure-Track-Option, also ein ganz ausgewogenes Karrieremodell neben der Vollpro- Von daher knüpfe ich argumentativ gerne an meine Aus- (B) fessur und nicht irgendwelche aufgewärmten Juniorpro- (D) führungen in der letzten Legislaturperiode an. Ich darf fessorenprogramme. Das sind Modelle, die sich in der Sie herzlich einladen, unsere Debatten vom 10. April Praxis bewähren. Wir können das an der TU München und vom 27. Juni letzten Jahres in den Parlamentsproto- sehen, die diese Personalstruktur eingeführt hat. Das ist kollen nachzulesen. Der Eindruck, der in dieser Debatte praxistauglich. Jede andere Uni kann dieses Modell ein- vermittelt wird, die Politik würde ein als wichtig erkann- tes Problem nicht lösen, ist grob falsch. Ich finde es un- führen. Es bedarf keiner Änderung des Wissenschafts- verantwortlich, dass die Grünen hier einen solchen Ein- zeitvertragsgesetzes, um hier planbare Karrierepfade zu druck erwecken, zumal Ihnen, lieber Herr Gehring, die ermöglichen. verschiedensten Maßnahmen bekannt sein müssten, da (Beifall bei der CDU/CSU) Sie in der letzten Legislaturperiode dabei waren. Zum zweiten Problem, der überbordenden Befris- Ausgangspunkt und Impuls dieser gesamten Debatte tungspraxis, hat die christlich-liberale Koalition in die- waren die Evaluation des Wissenschaftszeitvertragsge- setzes durch die HIS GmbH im Jahre 2011 sowie der sem Hohen Hause im Jahre 2013 sowie bereits 2012 im Bundesbericht Wissenschaftlicher Nachwuchs im Jahr Ausschuss einen Antrag beschlossen, in dem wir die 2013. Verantwortlichen auffordern, die Vertragslaufzeiten „an die Laufzeit der Qualifikationsphase bzw. der Projekte (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: zu koppeln, in denen die wissenschaftlichen Nach- Die Zahlen habe ich Ihnen ja vorgesagt!) wuchskräfte beschäftigt sind. … Das Stellensplitting in Einheiten von weniger als einer halben Stelle muss gänz- Die Kernbotschaften waren damals: Dem wissenschaftli- lich unterbleiben“. Wir wissen zudem um die Notwen- chen Nachwuchs in Deutschland geht es gut. Die Ar- digkeit, auf den immer schneller werdenden Wissen- beitsbedingungen sind insgesamt zufriedenstellend. schaftsbetrieb mit flexiblen Personallösungen zu Noch nie strömten mehr Wissenschaftler an unsere Uni- reagieren. – Adressiert waren diese Forderungen an die versitäten und außeruniversitären Forschungseinrichtun- Forschungseinrichtungen und Hochschulen, die darauf- gen. Noch nie schlossen so viele junge talentierte Men- hin Leitlinien erlassen haben für die Ausgestaltung schen eine Promotion ab. Noch nie entschieden sich befristeter Beschäftigungsverhältnisse mit ihrem wissen- mehr junge Menschen für eine Karriere in der Wissen- schaft. schaftlichen Personal, sogenannte Selbstverpflichtungs- erklärungen. Wir werden schauen, ob sich die Einrich- (Beifall bei der CDU/CSU – Albert Rupprecht tungen an diese Selbstverpflichtungserklärungen halten [CDU/CSU]: So ist es! – Kai Gehring oder nicht. Das evaluieren wir jetzt. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 40. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Juni 2014 3549

Tankred Schipanski (A) (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Simone Raatz (Beifall bei der CDU/CSU – Kai Gehring (C) [SPD]: Das klappt doch nicht! Das wissen wir [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann legen alle!) Sie endlich was vor!) Sind die Missstände in der Befristungspraxis aufgeho- ben, werden wir nicht reagieren. Sind sie nicht aufgeho- Vizepräsidentin Petra Pau: ben, bedarf es eventuell einer gesetzlichen Regelung. Für die SPD-Fraktion hat die Kollegin Dr. Daniela De Diese gesetzliche Regelung – meine Kollegin von der Ridder das Wort. SPD hat es angesprochen – haben wir im Koalitionsver- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten trag als „flankierend“ bezeichnet. der CDU/CSU) Sie haben es angesprochen, liebe Frau Raatz: Wir können uns auch vorstellen, dass der Bund bei der Aus- Dr. Daniela De Ridder (SPD): gestaltung der Pakte lenkend einwirkt. Aber darüber Liebe Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kol- können wir erst entscheiden, wenn wir wissen, wie es legen! In einer Großen Koalition ist man miteinander um die Selbstverpflichtungserklärungen steht. Der Aus- verpartnert, Herr Schipanski. Das bedeutet auch – so schuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenab- kenne ich das aus meiner Ehe –, dass man gelegentlich schätzung hat in der letzten Legislaturperiode einen ähn- beim Abendessen, beim Frühstück eine hitzige Diskus- lichen Gesetzentwurf diskutiert und am 12. Juni letzten sion führt. Auf die mit Ihnen im Ausschuss, auch jen- Jahres eine Sachverständigenanhörung dazu durchge- seits des Ausschusses, freue ich mich, führt. Im Rahmen dieser Anhörung wurde eindeutig auf- (Philipp Mißfelder [CDU/CSU]: Abends oder gezeigt, dass mit den vorgeschlagenen Änderungen an morgens?) diesem Wissenschaftszeitvertragsgesetz ein Missbrauch der Befristungsmöglichkeiten nicht ausgeräumt werden weil ich Sie gerne davon überzeugen möchte, dass wir kann. hier wirklich Änderungs- und Handlungsbedarf haben. (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem Das wurde als Fortschritt bezeichnet!) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vielmehr müssen die einschlägigen Landeshochschulge- Die Einladung steht. Sie können das auch gleich heute setze geändert werden; Frau Dinges-Dierig hat das hier einlösen. zu Recht betont. Heute sprechen wir aber zunächst – scheinbar – über die Vorschläge von Bündnis 90/Die Grünen, die sich ja (B) (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: (D) Offensichtlich waren wir in unterschiedlichen inhaltlich weitestgehend bei jenem Gesetzentwurf be- Anhörungen!) dient haben, den die SPD im vergangenen Jahr in dieses Hohe Haus eingebracht hat. Die damalige Expertenanhörung – das kann ich Ihnen (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE nicht ersparen – hat zudem gezeigt, dass der Grund für GRÜNEN]: Gemeinsam mit den Grünen!) die überbordende Befristungspraxis nicht dieses Gesetz ist, sondern die mangelnde finanzielle Planbarkeit der – Es freut mich doch, liebe Kolleginnen und Kollegen Hochschulen. Um diese zu verbessern, dürfen die Län- von den Grünen, dass Sie unseren Gesetzentwurf offen- der auf gar keinen Fall bei der Grundfinanzierung spa- sichtlich so klasse fanden, dass Sie ihn fast eins zu eins ren. Die Redner der Koalition haben es angesprochen: übernommen haben. Wir haben vereinbart, das BAföG komplett zu überneh- men. Das ist eine milliardenschwere Entlastung der Län- (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: der. Das Geld können sie in die Grundfinanzierung ihrer Das haben wir ja schon gehört!) Hochschulen investieren. Somit setzen wir auch unser Worum ging es bei diesem Gesetzentwurf? Wir woll- Versprechen im Koalitionsvertrag um, uns an der Grund- ten gegensteuern, weil im wissenschaftlichen Bereich in finanzierung zu beteiligen. der Tat prekäre Beschäftigungsverhältnisse zunehmend zum Standard zu werden drohen. Davon werden wir Sie, (Beifall bei der CDU/CSU – Kai Gehring Herr Schipanski, auch noch überzeugen. Fast der ge- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das haben samte akademische Mittelbau arbeitet nämlich befristet, Sie doch noch nicht mal vereinbart!) meist projektbezogen, häufig sogar mit Arbeitsvertrags- Die Verfassungsänderung im Hinblick auf Artikel 91 b laufzeiten von unter einem Jahr. Am Ende stehen dann haben wir im Blick. die meisten vor der ungeklärten Frage, wie ihre Jobpers- pektiven aussehen. Gelingt der Aufstieg zur Professur, Meine Damen und Herren, das sind Meilensteine in oder folgt der Abstieg in die Arbeitslosigkeit? der Wissenschaftspolitik, die natürlich auch positive Auswirkungen auf den wissenschaftlichen Nachwuchs Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir Sozialdemokra- haben werden. Ich darf den Grünen nur empfehlen, sich tinnen und Sozialdemokraten haben keineswegs verges- hieran konstruktiv zu beteiligen und nicht alte Gesetz- sen, was wir gesagt haben. Heute, ein Jahr danach, wis- entwürfe aufzuwärmen. sen wir noch besser, was wir wollen. Es ist nämlich unser Gesetzentwurf aus dem vergangenen Jahr, der die Vielen Dank. Grundlage für die Arbeit in dieser Legislaturperiode 3550 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 40. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Juni 2014

Dr. Daniela De Ridder (A) legt. Wie gesagt: Sie sind alle herzlich eingeladen, mit Die SPD wird in der Diskussion dafür Sorge tragen (C) uns darüber zu diskutieren, um mit uns für den wissen- – das versichere ich Ihnen –, dass an den Hochschulen schaftlichen Nachwuchs den besten Weg zu entwickeln. Elternzeit, Betreuungs- und Pflegezeiten ernster genom- men werden als bisher. Denn unser Versprechen – Sie (Beifall bei der SPD) kennen es – lautet: gesagt, getan, gerecht. Ich lade Sie Mich stimmt es sehr optimistisch, wenn wir hier zu einer alle, die Sie sich als Bildungspolitikerin bzw. -politiker großen Übereinstimmung kommen. Die werden wir her- verstehen, dazu ein. Dies ist eine Situation, die wir her- stellen; davon bin ich felsenfest überzeugt. Denn es geht stellen müssen, insbesondere in der Bildungspolitik. um faire Arbeitsbedingungen; das wollen wir für unsere Wer, wie wir in der SPD, will, dass wir möglichst vie- Wissenschaft weiterentwickeln. len jungen Menschen mehr Chancen geben, der darf Beim Wissenschaftszeitvertrag, lieber Herr Gehring, doch vor den Toren der Hochschulen nicht haltmachen. geht es um die Perspektive für die Jüngeren. Unser wis- Wer will, dass unsere Talente, unsere Wettbewerbsfähig- senschaftlicher Nachwuchs braucht bessere Arbeitsbe- keit und unser Innovationspotenzial in einer globalis- dingungen. Wer heute als junger Mensch einen sicheren ierten Welt konkurrenzfähig bleiben – denn darum geht Job will, dem kann man in der Tat kaum empfehlen, an es –, der lässt nicht zu, dass der wissenschaftliche Nach- der Uni zu bleiben. wuchs ausgebeutet wird. Wir sollten deshalb klar benen- nen, welche Stressfaktoren in der wissenschaftlichen Ar- (Ralph Lenkert [DIE LINKE]: Ja!) beitswelt leistungssteigernd und welche blockierend 80 Prozent – ich wiederhole: 80 Prozent – der wissen- wirken. schaftlich Beschäftigten unter 30 Jahren arbeiten auf be- Wir haben – das bleibt eine Tatsache – zu viele Be- fristeten Stellen. Das sind die Zahlen des Statistischen schäftigungsverhältnisse, die am Menschen vorbei nur Bundesamtes. Das ist, ehrlich gesagt, alles andere als negativen Stress produzieren. Deshalb brauchen wir Planbarkeit. Das gilt nicht nur für den wissenschaftli- faire Arbeitsbedingungen. Dazu werden wir Mindest- chen Nachwuchs, sondern umso mehr für die Universitä- standards entwickeln – ten und Forschungseinrichtungen; denn die wollen ihre Talente bewahren können. Vizepräsidentin Petra Pau: Wer also Exzellenz will, insbesondere wissenschaftli- Kollegin De Ridder, Sie müssen bitte zum Schluss che Exzellenz, muss lebensnahe und faire Arbeitsbedin- kommen. gungen schaffen. Das gilt im Übrigen auch – lassen Sie mich das aus meiner Perspektive betonen – für die Fami- (B) lienfreundlichkeit an Hochschulen. Schon vor rund Dr. Daniela De Ridder (SPD): (D) 20 Jahren habe ich mich als Gleichstellungsbeauftragte – das tue ich – und positive Anreize setzen, mit mehr an einer Hochschule für mehr Familienfreundlichkeit Planungssicherheit. eingesetzt. Am Ende meiner Wünsche bin ich heute (Beifall des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann noch lange nicht; aber das Ziel – da bin ich ganz sicher – [SPD]) scheint heute näher zu rücken. Wir müssen dafür sorgen und klarstellen, dass die sogenannte familienpolitische Das gilt im Übrigen für alle Phasen der wissenschaftli- Komponente deutlich häufiger angewandt wird. Die er- chen Qualifikation. Wir machen das – davon bin ich laubt nämlich, dass der Arbeitsvertrag, den Wissen- überzeugt – gemeinsam, wohlüberlegt, zeitnah und im schaftlerinnen und Wissenschaftler haben, aus familiä- Konsens. Ich lade Sie alle herzlich ein, daran mitzuwir- ren Gründen pro Kind um jeweils zwei Jahre verlängert ken. werden kann. Beschäftigte – das ist unser Problem, Herr Schipanski – haben darauf bislang aber noch keinen ver- Vielen Dank. bindlichen Rechtsanspruch. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Leider, der CDU/CSU) ja!) Vizepräsidentin Petra Pau: Das ist ein Problem, und deshalb müssen wir hier tätig werden und nicht nur die Länder. Für die SPD-Fraktion spricht nun der Kollege Dr. Wolfgang Stefinger. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Tankred Schipanski [CDU/ (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Simone Raatz CSU]: Steht aber nicht im Gesetz!) [SPD]: Los, Herr Stefinger, jetzt mal etwas Freundliches! – Dr. Daniela De Ridder [SPD]: – Weil es nicht im Gesetz steht, haben wir hier Hand- Nehmen Sie meine Einladung an! Sie sind mit lungsbedarf. Wie gesagt: Ich überzeuge Sie gern davon, gemeint!) dass das eine Perspektive ist, die wir gemeinsam disku- tieren müssen. Kommen Sie also ruhig mit mir! Ich Dr. Wolfgang Stefinger (CDU/CSU): trinke gerne Tee oder Kaffee. Über anderes reden wir dann noch. Liebe Frau Kollegin De Ridder, wenn ich richtig in- formiert bin, haben wir bereits einen Termin ausge- (Heiterkeit bei der CDU/CSU) macht. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 40. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Juni 2014 3551

Dr. Wolfgang Stefinger (A) (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und (Dr. Simone Raatz [SPD]: Es wäre schön, (C) der SPD – [CDU/CSU]: Aha, wenn sie es auch machen würden!) jetzt hat er die beiden geoutet!) Wenn ich mit den Einrichtungen spreche, dann sagen Nach Ihrer Rede freue ich mich umso mehr auf das Mit- mir diese auch: Bitte engt uns mit gesetzlichen Vorgaben tagessen mit Ihnen. nicht zu sehr ein. Wir brauchen eine gewisse Flexibilität, um an Themenfelder herangehen zu können. (Dr. Daniela De Ridder [SPD]: Danke schön!) Bei meinen Besuchen treffe ich auch Wissenschaftler, Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und die nur an einem Teilbereich eines Forschungsprojektes Kollegen! Den Beginn meiner heutigen Rede möchte ich mitarbeiten möchten und von sich aus nur sechs, acht nutzen, um mich bei unseren Wissenschaftlern für die oder zwölf Monate mitforschen wollen. Innovationskraft zu bedanken, mit der sie Deutschland im Forschungsbereich international wettbewerbsfähig (Dr. Daniela De Ridder [SPD]: Die kenne ich halten. nicht!) (Beifall bei der CDU/CSU) Hier stelle ich mir die Frage: Wollen wir für diese hoch- motivierten Forscher wirklich eine Begründungspflicht – Ja, da darf man ruhig klatschen. einführen? Brauchen wir wirklich ein Mehr an Bürokra- tie? Zahlreiche Studien und Berichte der letzten Zeit bele- gen: In vielen Bereichen ist die deutsche Wissenschaft, (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: sind unsere Wissenschaftler Weltspitze. Unser Wissen- Weniger Befristung brauchen wir!) schaftssystem scheint attraktiv zu sein. Welche Zahlen Verstehen Sie mich bitte nicht falsch: Gerade als jun- könnten dies eindrucksvoller belegen als die der auslän- ger Mensch weiß ich natürlich, wie wichtig es ist, Per- dischen Wissenschaftler, die gerne zu uns kommen, um spektiven zu haben und sich Ziele zu setzen. Natürlich hier zu forschen und sich weiterzuentwickeln? ist es notwendig, ein Stück weit berufliche Planungssi- Wir wissen nämlich: Spitzenwissenschaftler gehen cherheit zu bekommen, vor allem dann, wenn es an die dorthin, wo sie die besten Arbeitsbedingungen vorfin- Familiengründung geht. Aus diesem Grund werden bei den. Sie wollen unter optimalen Bedingungen arbeiten der Weiterentwicklung unserer großen Wissenschafts- und Grundlagenforschung betreiben. Hervorragende Be- pakte auch verlässliche und planbare Karrierewege in dingungen bieten auch unsere außeruniversitären Ein- der Wissenschaft eine wichtige Rolle spielen. richtungen. Sie genießen weltweit ein hohes Ansehen Wir wollen die bisherigen Bemühungen der Wissen- (B) und sind national wie international begehrte Arbeitgeber. schaftsorganisationen durch eine maßvolle Novellie- (D) Ja, unsere Einrichtungen ziehen Wissenschaftler an. rung des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes unterstützen Dies liegt zum einen an ihrem weltweit hervorragenden und nicht belasten. Ruf und zum anderen auch an den Arbeitsbedingungen; (Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Immer- davon konnte ich mich bei meinen Besuchen in For- hin!) schungszentren überzeugen. Denn das Ziel unserer For- schungseinrichtungen ist und muss es sein, als attrakti- Das 2007 in Kraft getretene Gesetz wurde 2011 eva- ver Arbeitgeber im deutschen Wissenschaftssystem luiert. Die gesetzlichen Befristungsvorschriften haben wahrgenommen zu werden. sich, so das Ergebnis der Evaluation, im Grunde be- währt. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) (Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Na, na! – Gute Entwicklungsmöglichkeiten gehören selbstver- Dr. Daniela De Ridder [SPD]: Nicht ganz!) ständlich dazu. Auf einer seiner nächsten Sitzungen wird sich der Das Wissenschaftszeitvertragsgesetz hat hierfür die Wissenschaftsrat mit den Perspektiven des wissenschaft- Rahmenbedingungen geschaffen. Unsere Einrichtungen lichen Nachwuchses befassen. Ich denke, dessen Stel- wissen – davon bin ich überzeugt –, dass sie eine Verant- lungnahme sollten wir abwarten. wortung haben: nicht nur eine Verantwortung gegenüber dem Staat oder den Drittmittelgebern, die für die For- Eines ist klar: Wo Anpassungen sinnvoll sind, werden schung bewilligten Gelder zu rechtfertigen, sondern wir diese vornehmen, auch eine Verantwortung gegenüber der Gesellschaft, (Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Das ist ein mit neuen Erfindungen und durch die Erforschung von Wort!) Ursachen Probleme zu lösen, Krankheiten zu bekämp- fen, neue Technologien zu entwickeln und ressourcen- aber mit Maß und Ziel. schonende Werkstoffe zu erfinden. Sie wissen auch um Vielen Dank. ihre Verantwortung für ihre Mitarbeiter und deren Fami- lien. Genau diese Verantwortung spiegelt sich in den (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Leitlinien der Forschungsorganisationen wider. Viele neten der SPD) Einrichtungen haben in diesen nämlich geregelt, dass sie verantwortlich und nachvollziehbar mit der Befristung Vizepräsidentin Petra Pau: von Arbeitsverhältnissen umgehen. Ich schließe die Aussprache. 3552 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 40. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Juni 2014

Vizepräsidentin Petra Pau (A) Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzent- diese robuste VN-Mission ein entscheidender Stabilitäts- (C) wurfs auf Drucksache 18/1463 an die in der Tagesord- faktor in der Region. nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall. Der Auftrag der Mission ist es letztlich, den Rahmen Dann ist die Überweisung so beschlossen. für politische Lösungen offener Fragen zwischen dem Libanon und Israel zu bieten. Es gilt, die Beziehungen Ich rufe den Tagesordnungspunkt 31 auf: zwischen diesen beiden Nachbarn stabil zu halten und damit zur Stabilität der gesamten Region beizutragen. Beratung des Antrags der Bundesregierung Genau das ist das, was wir tun können. Man kann als Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deut- erster Redner nicht alles vorhersehen, was nachher noch scher Streitkräfte an der „United Nations gesagt wird. Aber wir haben heute ja schon eine Debatte Interim Force in Lebanon“ (UNIFIL) auf über ein Mandat gehabt, und wir haben unsere Erfahrun- Grundlage der Resolution 1701 (2006) vom gen. 11. August 2006 und folgender Resolutionen, zuletzt 2115 (2013) vom 29. August 2013 des Es ist wahr: Natürlich sind die Konflikte zwischen Sicherheitsrates der Vereinten Nationen dem Libanon und Israel noch längst nicht gelöst. Aber diese Konflikte hat nicht die Bundeswehr ausgelöst, die Drucksache 18/1417 Ursachen dafür liegen ganz woanders. Wir leisten mit Überweisungsvorschlag: der Bundeswehr einen Beitrag für einen Rahmen zur Auswärtiger Ausschuss (f) Konfliktlösung. Den Konflikt müssen andere lösen. Wir Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz tragen zur Konfliktlösung bei. Verteidigungsausschuss Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Niels Annen [SPD]) Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Haushaltsausschuss gemäß § 96 der GO Es geht aber auch konkret darum, die libanesische Re- gierung auf Anforderung bei der Sicherung der Grenzen Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für zu unterstützen und zu verhindern, dass Rüstungsgüter die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei- und sonstiges Wehrmaterial illegal in den Libanon ver- nen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. bracht werden. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wer Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Parla- wirklich dagegen ist, dass Rüstungsgüter unkontrolliert mentarische Staatssekretär Dr. Ralf Brauksiepe. und illegal in ein Land verbracht werden, der muss für (B) dieses Mandat bzw. die Fortsetzung dieses Mandats (D) (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. stimmen. Nur so kann in dieser Region ein Beitrag zur Niels Annen [SPD]) Verhinderung der illegalen Verbringung geleistet wer- den. Dr. Ralf Brauksiepe, Parl. Staatssekretär bei der (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Bundesministerin der Verteidigung: Niels Annen [SPD] – Wolfgang Gehrcke [DIE Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! LINKE]: Völliger Quatsch!) Die Entwicklungen in Syrien und darüber hinaus im gan- zen Nahen und Mittleren Osten verdienen unverändert Wir sind mit der Bundeswehr seit dem Jahr 2006 an unsere ganze Aufmerksamkeit; denn das Leiden der Be- UNIFIL beteiligt, genauer gesagt: am damals neu aufge- völkerung in Syrien geht weiter. Millionen von Flücht- stellten Marineeinsatzverband der Mission. Auftrag un- lingen haben das Land bereits verlassen und suchen Zu- serer Soldatinnen und Soldaten ist es, die seeseitigen flucht in den Nachbarstaaten. Grenzen des Libanon zu sichern. Wichtiger Teil des deutschen Beitrags ist aber auch der Fähigkeitsaufbau Erst kürzlich hat deshalb der Deutsche Bundestag aus der libanesischen Marine. Wir wollen die libanesische guten Gründen mit großer Mehrheit einer Beteiligung Marine so weit ausbilden und ausstatten, dass sie den deutscher Streitkräfte am maritimen Begleitschutz für Schutz der seeseitigen Grenzen künftig selbstständig die Vernichtung der syrischen Chemiewaffen zuge- durchführen und gewährleisten kann. Es ist durch deut- stimmt. Das ist aus Sicht der Bundesregierung weit mehr sche Unterstützung in den vergangenen Mandatszeiträu- als nur ein symbolischer Beitrag. Wir leisten einen akti- men bereits ein bemerkenswerter Fähigkeitsaufbau bei ven Beitrag dafür, dass Massenvernichtungswaffen ver- der libanesischen Marine erreicht worden. nichtet werden, und ich bin dankbar, dass es dafür eine so große Zustimmung hier in diesem Hohen Hause gege- Als letztes großes Projekt wurde bisher im vergange- ben hat. Wer dem nicht zugestimmt hat, hat hinsichtlich nen Jahr der Aufbau der Küstenradarorganisation mit der Bekämpfung von Massenvernichtungswaffen wirk- deutschen Mitteln abgeschlossen. Heute sind acht Statio- lich jede politische Glaubwürdigkeit verloren. nen personell besetzt und bereits voll funktionsfähig. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Zusätzlich haben wir seit dem Jahr 2007 drei Patrouil- lenboote, Schiffssicherungsausstattung, Anlagen für eine Ursprünglich eine reine Beobachtermission, machte Maschinenwerkstatt und Schulmöbel an die libanesische UNIFIL den Waffenstillstand zwischen Israel und dem Regierung übergeben. Zudem wurde eine hochmoderne Libanon vom 14. August 2006 erst möglich. Seitdem ist Navigations- und Radarausbildungsanlage beschafft. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 40. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Juni 2014 3553

Parl. Staatssekretär Dr. Ralf Brauksiepe (A) Auch für dieses Jahr ist wieder ein wichtiges Projekt ner Region leisten, die in unserer Nachbarschaft liegt (C) geplant. Ressortübergreifend werden durch das Auswär- und diese Stabilität im Hinblick auf eine friedliche Ent- tige Amt und das Bundesministerium der Verteidigung wicklung ganz dringend braucht. Deswegen ist es der drei Elektronikwerkstätten sowie ein Werkstattfahrzeug Wunsch der Bundesregierung, dass das Mandat für die aufgebaut und ausgerüstet. Damit soll die libanesische deutsche Beteiligung an UNIFIL um zwölf Monate ver- Marine in die Lage versetzt werden, die Ausbildung und längert wird. Durchführung von Wartung und Instandsetzung elektro- nischer Anlagen künftig eigenständig wahrzunehmen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Bundesregie- rung bittet Sie daher um Unterstützung für diesen Antrag Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Sicherheitslage im Sinne der Stabilität in unserer Nachbarregion und im im Nahen und Mittleren Osten ist nach wie vor ange- Sinne der Menschen im Nahen und Mittleren Osten. spannt. Innenpolitische Probleme vieler Länder und der Herzlichen Dank. Konflikt in Syrien fordern unverändert unsere ganze Aufmerksamkeit. UNIFIL ist dabei einer der wichtigsten (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Stabilitätsanker in der Region. Er kann nicht allein die Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Jetzt wäre Probleme lösen, aber er ist und er bleibt ein wichtiger ich bald eingeschlafen! – Gegenruf von der Stabilitätsanker. Deswegen ist es gut, dass wir mit unse- CDU/CSU: Wir wecken Sie wieder auf!) ren Soldatinnen und Soldaten zu dieser Stabilität beitra- gen. Vizepräsidentin Petra Pau: Deswegen ist es naheliegend und nicht erstaunlich, Das Wort hat die Kollegin Sevim Dağdelen für die dass sowohl der Libanon als auch Israel eine Fortsetzung Fraktion Die Linke. der Mission wünschen. Sie legen ausdrücklich großen (Beifall bei der LINKEN) Wert auf eine fortgesetzte deutsche Beteiligung an dieser so nachhaltigen Mission. Gemeinsam mit ihren Kamera- den aus 36 anderen Nationen haben unsere deutschen Sevim Dağdelen (DIE LINKE): Soldatinnen und Soldaten für UNIFIL viel geleistet und Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr für die Region eine Menge erreicht. Staatssekretär, die Unterstützung der Linken werden Sie auch im neunten Jahr des UNIFIL-Mandates nicht be- Unsere Soldatinnen und Soldaten auf unseren kommen. Schnellbooten, unsere Stabs- und Unterstützungskräfte in Limassol auf Zypern, unsere Soldaten in den Stäben (Beifall bei der LINKEN – Zuruf von der des UNIFIL Force Headquarters im Libanon sowie un- CDU/CSU: Gott sei dank!) (B) (D) sere Ausbilder im Libanon erfüllen die ihnen zugewiese- Die Kolleginnen und Kollegen der Koalitionsfraktionen, nen Aufgaben gewissenhaft und erfolgreich. Sie können aber auch der Grünen, die diesen Einsatz immer be- stolz auf das Geleistete sein. Wir können dankbar für das fürwortet haben, müssen sich immer dringender die sein, was unter diesen schwierigen Bedingungen geleis- Frage stellen, ob der Aufwand – bislang hat der Einsatz tet wird. 330 Millionen Euro gekostet – und der Ertrag dieses (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Einsatzes in einem guten Verhältnis zueinander stehen. neten der SPD – Wolfgang Gehrcke [DIE Wenn wir uns den Anspruch der Mission, den Waf- LINKE]: Ein bisschen mehr Leidenschaft fenschmuggel vor der Küste des Libanon zu unterbin- kann man erwarten!) den, vor Augen führen, und dann den Blick darauf Liebe Kolleginnen und Kollegen, durch unsere viel- richten, wie das Ganze vor Ort gehandhabt wird, dann fältigen Beiträge haben sich über die letzten acht Jahre müssen auch dem stärksten Befürworter der globalen intensive Kontakte zwischen Deutschland und dem Li- Präsenz deutscher Streitkräfte eigentlich Zweifel am banon entwickelt. Deutschland wird heute als vertrau- Sinn des Einsatzes kommen. ensvoller Partner in der Region geschätzt. Auch in Zu- (Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Ganz im kunft wird es noch eines starken internationalen Gegenteil!) Engagements bedürfen, um die Lage vor Ort zu stabili- sieren und den Aufbau der libanesischen Streitkräfte vo- Wie sieht die Unterbindung dieses Waffenschmuggels ranzubringen. durch die deutsche Marine aus? Die Bundeswehr meldet verdächtige Schiffe an die libanesische Küstenwache, Die personelle Obergrenze für die deutsche Beteili- die diese dann im Rahmen ihrer eigenen Kapazitäten gung am UNIFIL-Flottenverband wird bei 300 Soldatin- durchsucht. Bei all diesen Aktionen in neun Jahren nen und Soldaten belassen. In der Realität liegen wir wurde rein gar nichts gefunden. Vielleicht muss ich mich deutlich darunter. Aber es ist sicherlich sinnvoll, diese korrigieren: Die UNIFIL-Mission hat doch etwas gefun- Obergrenze zu belassen; denn sie erlaubt es uns, alle im den, nämlich geschmuggelte Zigaretten. Das ist zwar Rahmen des Mandats vorgesehenen Aufgaben zu erfül- auch verdienstvoll, aber ich frage mich und Sie: Recht- len, und sie trägt der unverändert angespannten Sicher- fertigt dies aus Ihrer Sicht den Einsatz der Bundeswehr heitslage in der Region Rechnung. vor der libanesischen Küste? Wir wollen auf dem bisher Erreichten aufbauen und (Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Ja! Die trauen weiterhin einen Beitrag zu Stabilität und Sicherheit in ei- sich nicht mehr!) 3554 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 40. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Juni 2014

Sevim Dağdelen (A) Ich denke, das ist keine Rechtfertigung. Die Linke je- im Bereich Riot Control, also in der Bekämpfung ziviler (C) denfalls will diesen kafkaesken Einsatz beenden. Das Aufstände, ausgebildet. Was der Libanon tatsächlich Geld, das für den Schiffsdiesel der Bundeswehrflottille braucht, ist Hilfe für die vielen Flüchtlinge im Land und hinausgeblasen wird, könnte weitaus besser verwendet nicht eine Armee, die das Zerschlagen von Demonstra- werden als dafür. tionen trainiert. (Beifall bei der LINKEN – Ingo Gädechens (Beifall bei der LINKEN – Wilfried Lorenz [CDU/CSU]: Fraktionsmittel für die Linke, [CDU/CSU]: Das ist ja wohl eine Unver- oder was?) schämtheit!) Dass bei dem Einsatz rein gar nichts an Waffen gefun- Wenn wir heute über den Libanon sprechen, müssen den wurde, ist nicht weiter verwunderlich, meine Damen wir auch darüber sprechen, dass wir dringend eine politi- und Herren. Der Einsatz ist nämlich so angelegt, dass sche Lösung des Syrien-Konflikts brauchen. Unsere li- nichts gefunden werden kann. banesischen Gesprächspartner jedenfalls haben sich in (Florian Hahn [CDU/CSU]: Jetzt kommen diesem Zusammenhang über die neue Initiative des US- wieder Verschwörungen!) amerikanischen Präsidenten Obama zur verstärkten Auf- rüstung der Aufständischen entsetzt gezeigt, weil sie da- Bei unserem Besuch letzte Woche mit Außenminister von ausgehen, dass dies die Region noch mehr destabili- Steinmeier im Libanon hatten wir Abgeordneten die Ge- sieren und noch mehr Blutvergießen bedeuten wird. Die legenheit, die Bundeswehroffiziere der UNIFIL selbst zu Bundesregierung schweigt sich dazu bislang leider öf- befragen. Zu unser aller Überraschung wurde uns mitge- fentlich aus. Ich finde, das ist wirklich absurd. Ein Teil teilt, dass es trotz des Ausbruchs des Syrien-Krieges und der Waffen wird an der libanesischen Küste angelandet, erhöhten Waffenschmuggels auch für diesen Krieg bis- wo sie die Bundeswehr selbstverständlich wieder einmal her keine gesteigerte Aktivität von UNIFIL gibt, nicht finden wird. Deshalb lautet unser Appell: Beenden (Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Nein! Die See- Sie lieber diesen Einsatz! Die beantragten 23,6 Millio- grenze ist dicht!) nen Euro für diesen UNIFIL-Einsatz wären an anderer Stelle viel besser aufgehoben, zum Beispiel für eine sub- und dies, obwohl wir wissen, dass ein Gutteil der Waffen stanzielle Unterstützung des libanesischen Roten Kreu- für den Syrien-Konflikt über den Libanon und seine zes oder eine stärkere Unterstützung bei der Aufnahme Küste kommt. von Flüchtlingen im Libanon. Der Libanon hat bei einer Bevölkerung von rund 4 Millionen Einwohnern über Ebenso verwunderlich ist diese Aussage vor dem 1 Million syrische Flüchtlinge aufgenommen. Hier und Hintergrund, dass Auseinandersetzungen im Libanon im nicht bei der Bundeswehr sollte ein substanzieller Bei- (B) Kontext des Syrien-Krieges bereits über 400 Menschen (D) trag geleistet werden. das Leben gekostet haben. Die Hisbollah jedenfalls gilt bereits seit mehreren Jahren trotz der peniblen Kontrol- Danke. len der Bundeswehr als viel stärker ausgerüstet als vor dem Waffengang 2006. Auch diverse andere paramilitä- (Beifall bei der LINKEN – Wilfried Lorenz rische Akteure im Libanon sind bis an die Zähne bewaff- [CDU/CSU]: Das ist doch ein substanzieller net. Beitrag!) (Florian Hahn [CDU/CSU]: Es gibt auch Vizepräsidentin Petra Pau: Landgrenzen!) Das Wort hat der Kollege Niels Annen für die SPD- Letzteres kann man auch an den immer wiederkeh- Fraktion. renden gewaltsamen Aktionen der saudi-arabisch und vor allen Dingen US-amerikanisch finanzierten islamis- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten tischen Fatah al-Islam ablesen, als Teil des Syrien-Kon- der CDU/CSU) fliktes, der in den Libanon hineingetragen wurde. Niels Annen (SPD): Die Bevölkerung des Libanon braucht deshalb ganz dringend die Lösung des Syrien-Konflikts. Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Meine Damen und Herren! Liebe Kollegin Dağdelen, Sie haben die berech- (Beifall bei der LINKEN) tigte Frage nach dem Verhältnis von Aufwand zu Er- trag gestellt. Ich glaube, diese Frage lässt sich relativ Die Bevölkerung des Libanon braucht keine Bundes- eindeutig beantworten. Wir sollten uns zurückerinnern, wehrschiffe vor der Küste, die nach Phantomen jagen. welches der Anlass für die maritime Komponente von Nachdem die angebliche Aufgabe von UNIFIL mitt- UNIFIL war. Ich erinnere Sie an das Jahr 2006. Damals lerweile schon fast in Vergessenheit geraten ist, verän- gab es Krieg zwischen Israel und der Hisbollah. Dieser dern Sie nun auch noch den Fokus. Die verschiedenen Krieg hat weit über 1 000 Tote gefordert und wichtige westeuropäischen Soldatenkontingente wollen nämlich Teile der libanesischen Infrastruktur zerstört und ist in jetzt verstärkt auf die Ausbildung der libanesischen Ar- einer ökologischen Katastrophe gemündet. Frau Kolle- mee setzen. Was dieser neue Schwerpunkt bedeuten gin, darf ich Sie daran erinnern, dass es der damalige und könnte, haben jüngst wieder die italienischen UNIFIL- heutige Außenminister Frank-Walter Steinmeier gewe- Soldaten gezeigt. Vergangene Woche haben italienische sen ist, der mit unermüdlichen diplomatischen Anstren- Soldaten zum wiederholten Mal libanesische Soldaten gungen mit dafür gesorgt hat, dass es zu einem Waffen- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 40. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Juni 2014 3555

Niels Annen (A) stillstand gekommen ist, der bis heute hält! Kernelement Grenze, die dort markiert wird. Das ist ein ganz schwie- (C) dieses Waffenstillstands und der entsprechenden Verein- riger, im Grunde genommen technischer Prozess. Es barung ist die maritime Komponente von UNIFIL, über geht darum, dass weithin sichtbare, blau angemalte Ton- die wir heute diskutieren. Aufwand und Ertrag stehen nen verankert werden, um diese Linie zu markieren. also in einem hervorragenden Verhältnis zueinander, Frau Kollegin Dağdelen. Ich würde das nicht erläutern, wenn es sich nur um ei- nen technischen Prozess handeln würde. Es handelt sich (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie um einen Prozess, auch wenn die libanesische Seite das bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE offiziell in dieser Form nicht eingesteht, in dem UNIFIL, GRÜNEN) Israel und der Libanon zusammenarbeiten. Sie, Frau Kollegin, werden bei unserer gemeinsamen Reise in den Ich habe bei der logischen Argumentation, die Sie Libanon festgestellt haben, dass dort über viele Pro- vorgetragen haben, genau zugehört. Sie haben aus einem bleme geredet worden ist; aber über ein Problem ist nicht Gespräch berichtet, an dem ich teilgenommen habe. Ich mehr geredet worden, nämlich über den andauernden habe in den letzten Monaten zweimal die Gelegenheit Konflikt mit Israel. Der Süden des Libanon ist heute gehabt, mit UNIFIL-Soldaten zu sprechen. Bei einem – das muss man einmal sagen – im Grunde genommen Gespräch waren Sie dabei. Das war ein Briefing am der sicherste und stabilste Teil des Landes. Rande des Besuchs von Außenminister Steinmeier. In der Tat sind bislang keine Waffen gefunden worden. Ist der Libanon deswegen ein stabilisiertes Land? Wenn das Ziel dieser Operation ist, den Küstenschutz Nein, natürlich nicht, weil die Konflikte jederzeit wieder insgesamt zu stabilisieren und die lokale Marine in die aufbrechen können. Aber die Präsenz von UNIFIL unter Lage zu versetzen, diese Aufgabe eigenständig wahrzu- professioneller und engagierter Beteiligung unserer nehmen, deutschen Soldatinnen und Soldaten leistet dazu einen essenziellen Beitrag. Wir sollten dazu beitragen, dass (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Das steht diese Arbeit fortgesetzt werden kann. aber nicht im Mandat!) Deswegen will ich auf Folgendes hinweisen: Die un- und alle sagen: „Wir sind in die Lage versetzt worden terschiedlichen Komponenten – einmal die Präsenz der und haben in einer ganz schwierigen Situation dafür ge- Vereinten Nationen, gerade in diesem ehemals so um- sorgt, dass dieser Seeraum inzwischen kontrolliert wird strittenen und umkämpften Teil im Süden des Landes, und kein Schmuggel mehr stattfindet“, dann ist das doch der technische Vorgang der Markierung, der ein prakti- ein Erfolg und nichts, was man kritisieren sollte. Ich scher Beitrag zur Vertrauensbildung ist, und die mari- (B) finde Ihre Logik ein wenig merkwürdig. time Komponente, über die wir hier diskutieren – gehö- (D) ren zusammengedacht. Deswegen ist es richtig, dass die (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem Bundesregierung diesen Antrag hier vorgelegt hat. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Gleichzeitig tragen wir dazu bei, dass die technischen Ich will die Gelegenheit nutzen, auf Folgendes auf- Fähigkeiten der libanesischen Marine verbessert werden, merksam zu machen – der Staatssekretär hat bereits da- dass die Soldatinnen und Soldaten ausgebildet werden, rauf hingewiesen –: Wir diskutieren nicht über eine iso- dass technisches Gerät angeschafft und auch die Fähig- lierte Mission, sondern über einen deutschen Beitrag in keit vermittelt wird, dieses Gerät eigenständig zu warten einer Region, in der wir einen Konflikt erleben, der in- und einzusetzen. Ich halte das für ganz essenziell. zwischen biblische Ausmaße angenommen hat, eine Ka- Ganz am Ende meines kurzen Beitrages will ich noch tastrophe von ungekannter Intensität, die uns alle hier Folgendes sagen: Die libanesische Armee genießt etwas, betrifft, wenn es um Flüchtlinge und regionale Stabilität was im Libanon kaum jemand genießt, nämlich Ver- geht. Da haben Sie, Frau Kollegin, wie ich finde, zu trauen von allen Seiten, und das in einem Land, in dem Recht auf die prekäre Lage im Libanon hingewiesen. es weiterhin intern massive Probleme gibt. Die soge- Man kann die Zahlen gar nicht häufig genug wiederho- nannte Antiterroroperation, begonnen in Tripoli im Nor- len. Es sind inzwischen über 1 Million Flüchtlinge, die den des Landes, dann in der Bekaa-Ebene und im Süden ein Land mit etwas über 4 Millionen Einwohnern auf- und in der Hauptstadt des Landes fortgeführt, ist von al- nimmt. Das ist eine gigantische Leistung. An dieser len Teilen des politischen Spektrums im Libanon mitge- Stelle muss man vielleicht auch sagen: Ohne den Beitrag tragen worden. der Vereinten Nationen und ihrer Unterorganisationen, UNHCR, Welternährungsprogramm, aber auch UNIFIL Riot Control ist etwas, was die libanesische Armee im Libanon, wäre dieses Land überhaupt nicht in der beherrschen muss, um den Terrorismus beispielsweise in Lage, mit diesem immensen Druck klarzukommen. Tripoli zu bekämpfen, und zwar mit Unterstützung der gesamten Regierung. Das ist geschehen. Wenn die italie- Deswegen will ich Ihnen Folgendes berichten: Ich nischen Soldaten dazu einen Beitrag geleistet haben, ha- habe mir die Arbeit des deutschen Einsatzkontingentes ben sie einen Beitrag zum Frieden geleistet. in Nakura angeschaut. Vielleicht erinnert sich der eine oder andere an diesen Krieg 2006. Damals gab es eine Ich danke für die Aufmerksamkeit. Vereinbarung über eine sogenannte Waffenstillstandsli- nie. Das ist nicht die völkerrechtliche Grenze zwischen (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem Israel und dem Libanon, sondern es ist eine vereinbarte BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 3556 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 40. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Juni 2014

(A) Vizepräsidentin Claudia Roth: Ein Abzug von UNIFIL wäre politisch nicht nur ein (C) Vielen Dank, Herr Kollege. – Herzlich Willkommen fatales Signal für den Libanon, sondern auch für die von meiner Seite aus zum Endspurt. ganze Region. Das bedeutet nicht, wie ich finde, dass wir der internationalen Gemeinschaft oder Europa Ver- Die nächste Rednerin ist Dr. Franziska Brantner für sagen im Hinblick auf den Konflikt in Syrien vorwerfen Bündnis 90/Die Grünen. müssen, auch wenn es die internationale Gemeinschaft nicht schafft, dort für Frieden und damit für ein Ende der Dr. Franziska Brantner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- wirklich grausamen Situation – sie ist nicht akzeptabel NEN): und nicht länger ertragbar – zu sorgen. Ich habe mich ge- Danke. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe wundert, als ich gelesen habe, dass Gerd Müller, immer- Kollegen! Liebes Publikum! Aus dem Nahen Osten hin einer unserer Minister, der Europäischen Union in kommen seit geraumer Zeit eigentlich nur schlechte der Syrien-Krise ein Aussitzen vorgeworfen hat. Ich Nachrichten. Zwischen Israel und Palästina scheint nach habe mich da schon gefragt: Was trägt die deutsche Bun- den gescheiterten Verhandlungen ein friedliches Neben- desregierung denn dazu bei, diesen Krieg wirklich zu be- einander weiter entfernt denn je, in Ägypten hat sich ge- enden? rade der Exmilitärchef zum Präsidenten „wählen“ las- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – sen, der sich anschickt, sein Land in die Vor-Mubarak- Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Was ist denn der Ära zurückzuführen, auch in Syrien gibt es einen „Wahl- Vorschlag der Grünen? Mit Truppen dort ein- sieger“, Baschar al-Assad, obwohl die Schreckensherr- marschieren, oder was? – Philipp Mißfelder schaft weitergeht. [CDU/CSU]: Schlagen Sie doch mal was vor!) Direkt betroffen von diesem Krieg ist eben nicht nur – Wir glauben, dass man über Dialog in dieser Region Jordanien, sondern auch der Libanon. Es wurde von wesentlich mehr erreichen könnte und dass man sowohl Niels Annen gerade schon gesagt: Vom Libanon wurden auf die russische Seite als auch auf die Partner Saudi- über 1 Million Menschen aufgenommen. Jeder Fünfte Arabien und Katar wesentlich mehr Druck ausüben im Libanon ist Flüchtling, die Nachbarstaaten Syriens müsste. nehmen gerade ungeheure Belastungen – so hat es Herr Steinmeier bezeichnet – auf sich. (Philipp Mißfelder [CDU/CSU]: Dann fangen Sie damit mal an! Sehr wegweisend!) Leider ist nur selten Positives zu vermelden. Ich glaube, man kann sagen, dass der UNIFIL-Einsatz, der Beide Seiten sorgen dafür, dass der Konflikt dort anhält den Waffenstillstand zwischen Israel und dem Libanon und sich somit für sie lohnt, weil sie Waffen dorthin lie- (B) absichert, positive Auswirkungen hat. Man darf nicht fern können. Für uns ist klar: Beide Kriegsparteien in (D) vergessen, was zu diesem Einsatz geführt hat. Nach jah- Syrien haben Akteure hinter sich, die dafür sorgen, dass relangen blutigen Auseinandersetzungen im israelisch- man von dem Krieg dort profitiert und man sich nicht libanesischen Grenzgebiet stellte dieser Einsatz, be- auf eine friedliche Einigung einlässt. schlossen im Jahr 2006, eine Möglichkeit dar, dort we- (Wilfried Lorenz [CDU/CSU]: Wenn Sie jetzt nigstens für weniger Tote und für etwas Frieden zu sor- noch sagen, wie Sie den Druck ausüben wol- gen. Man sollte auch daran erinnern, dass die meisten len! – Gegenruf der Abg. Leidtragenden der Auseinandersetzungen damals Zivi- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jedenfalls listen waren. Viele von ihnen kamen durch diesen Kon- nicht mit Waffenlieferungen!) flikt ums Leben. – Nicht mit Waffenlieferungen; die dürfen auf jeden Fall Es geht um eine Mission, die sich in dieser sich täg- nicht stattfinden. lich weiter destabilisierenden Region um zumindest et- was Stabilität bemüht. Ich glaube, wenn diese Mission (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- heute aufhören würde, würden die Spannungen zwi- SES 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Harald schen Israel und dem Libanon sofort wieder aufflackern, Petzold [Havelland] [DIE LINKE]) (Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Sofort!) Erlauben Sie mir am Ende meiner Rede noch einen kritischen Hinweis zu dem Mandat, über dessen Verlän- weil die Grenzstreitigkeiten noch nicht endgültig beige- gerung wir abstimmen. Nicht nur bei der Debatte über legt sind. dieses Mandat haben wir festgestellt, dass die Bundesre- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gierung im Antrag auf seine Verlängerung darauf ver- sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und zichtet, wichtige Angaben, zum Beispiel die völker- und der SPD) verfassungsrechtlichen Grundlagen, den Auftrag, die einzusetzenden Fähigkeiten, den Rechtsstatus und das Wir wissen ja durch Gerüchte oder schon bewiesene Einsatzgebiet, explizit zu nennen. Stattdessen verweist neue Informationen über Rohstoffquellen in diesem Ge- sie einfach nur auf die Fortgeltung der Regelungen der biet, dass der Konflikt dort nach Abzug von UNIFIL be- acht Mandatsbeschlüsse seit 2006. Wir bitten wirklich stimmt nicht kleiner würde; vielmehr könnte es zu einer darum, dass die Bundesregierung dem Bundestag künf- Verschärfung der Auseinandersetzungen über Grenzfra- tig Mandate vorlegt, die zumindest die im Parlamentsbe- gen kommen. Deswegen ist UNIFIL heute immer noch teiligungsgesetz aufgeführten Angaben enthalten. Im In- genauso wichtig wie zuvor. teresse aller Abgeordneten wünschen wir uns, dass uns Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 40. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Juni 2014 3557

Dr. Franziska Brantner (A) diese Angaben wieder vollständig und korrekt vorgelegt Die Alternative zu unserer Dialogbereitschaft damals (C) werden. wäre Intervention gewesen. So schlimm das Leid in Syrien auch ist: Ich bin froh, dass wir nicht interveniert Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. haben, weil ich mir sicher bin, die Situation wäre da- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – durch nicht besser geworden. Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Nicht bit- (Beifall des Abg. Wolfgang Gehrcke [DIE ten, sondern fordern muss man das!) LINKE]) Deshalb sage ich, dass es von uns richtig war, von An- Vizepräsidentin Claudia Roth: fang an die militärische Option vom Tisch zu nehmen. Danke, Frau Kollegin Brantner. – Nächster Redner für die CDU/CSU-Fraktion ist Philipp Mißfelder. Vizepräsidentin Claudia Roth: (Beifall bei der CDU/CSU) Herr Mißfelder, erlauben Sie eine Zwischenfrage oder -bemerkung des Kollegen Omid Nouripour? Er ist ein Philipp Mißfelder (CDU/CSU): bisschen älter als Sie. Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Frau (Heiterkeit) Dr. Brantner, ich kann mich noch daran erinnern, dass vor nicht allzu langer Zeit hier einmal eine Abgeordnete Philipp Mißfelder (CDU/CSU): – sie ist heute Ministerin – gestanden und ein Lied ge- Selbstverständlich, Frau Präsidentin. sungen hat; singen kann ich nicht so gut wie sie. Ich kann nur sagen, dass der Inhalt des Liedtextes in etwa (Florian Hahn [CDU/CSU]: Aber er schaut dem entsprach, was Sie gerade an außenpolitischer Kon- jünger aus! – Heiterkeit – Omid Nouripour zeption aufgezeigt haben: Sie malen sich die Welt, wie [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hat noch es Ihnen gefällt. Nichts anderes machen Sie. nie jemand über mich gesagt!) (Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was machen Sie denn?) Vizepräsidentin Claudia Roth: Wollen Sie eine Bemerkung dazu machen, Herr Den wegweisenden und bahnbrechenden Hinweis, man Mißfelder? – Nein. Gut. solle jetzt auf Dialog setzen, nehmen wir gern auf. Nur: Das tun wir seit Ausbruch des Konflikts. Philipp Mißfelder (CDU/CSU): Nein; ich nehme das einfach so hin. (B) (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Franziska (D) Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was machen Sie denn?) Vizepräsidentin Claudia Roth: Herr Nouripour, bitte. Angesichts dessen bin da ein bisschen sprachlos. Ich weiß nicht, was wir da noch tun sollen. Ich weiß nicht, wie lange Sie jetzt schon dabei sind, Frau Brantner – ich Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): habe nicht im Volkshandbuch nachgesehen –, aber lassen Herr Kollege Mißfelder, herzlichen Dank, dass Sie Sie sich von einem zweifellos älteren Abgeordneten sa- die Zwischenfrage zulassen. gen: Philipp Mißfelder (CDU/CSU): (Heiterkeit bei der CDU/CSU, der SPD und Selbstverständlich. dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Ist Ihnen das Argument nicht zu billig?) Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich glaube nicht, dass jemand im Hohen Hause sagen Auch in der vorherigen Koalition haben wir auf Dialog würde: Es gibt eine klare militärische Lösung für die Si- gesetzt. Ich habe hier schon mehrmals zum Thema ge- tuation in Syrien. – Aber das, was die Kollegin Brantner sprochen, das letzte Mal vor ein paar Tagen, als wir den angesprochen hat, blieb unbeantwortet. Die Frage war gemeinsamen Antrag zu Syrien auf den Weg zu bringen doch – und das ist gerade auch aus Ihren Reihen gekom- versucht haben. men –: Wie kann man denn Druck auf Staaten machen, die doch einiges an Unheil ins Land bringen? Zu nennen Der Konflikt, was Syrien angeht, hat sich natürlich sind auf der einen Seite die Russen und die Iraner, auf auch insgesamt verändert. Man ging von einer ganz an- der anderen Seite die Golfstaaten. Wir sagen ja – nicht deren Ausgangssituation aus. Wir haben über Monate meine Fraktion, aber die Bundesrepublik sagt es die hinweg Treffen mit den sogenannten Friends of Syria ge- ganze Zeit –, dass genau diese Golfstaaten unsere Part- habt, die wir für die – in Anführungszeichen – „Richti- ner sind. gen“ gehalten haben, zumindest für solche, die hehre Motive für die Zukunft ihres Landes haben. Nur: Wäh- Also: Welche Vorstellung haben Sie davon, wie wir renddessen hat sich der Konflikt verändert, wie Sie ja Druck auf Saudi-Arabien und Katar machen können? selbst sagen. Von außerhalb des Landes sind zusätzliche Das sind Staaten, von denen wir wissen, dass sie, wäh- Spieler hinzugekommen – mit eigenen Interessen und rend wir ihnen gleichzeitig Waffen liefern, Gruppierun- mit einer eigenen Agenda. gen finanzieren, die nicht nur Terror nach Syrien brin- 3558 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 40. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Juni 2014

Omid Nouripour (A) gen, sondern auch in Ländern wie Afghanistan oder Mali wichtiger Verbündeter und Partner für uns, wenn es da- (C) Gruppen finanzieren, die auf Bundeswehrsoldaten schie- rum geht, den Hegemon Iran teilweise in seine Schran- ßen. Wie wollen Sie diesen Druck überhaupt aufbauen ken zu weisen. Das möchte ich an dieser Stelle deutlich und aufrechterhalten? sagen. In welchem Grad Unterstützung und Kooperation stattfinden kann, das wird im Bundessicherheitsrat – das Philipp Mißfelder (CDU/CSU): steht ja in der Zeitung – offenbar sehr lebhaft diskutiert. Sie sprechen die Problematik zu Recht an. Das betrifft Wir im Parlament spiegeln diese Diskussion wider und unsere Partner in Peace und unsere Partner im Kampf tun uns deshalb mit Rüstungsexporten insgesamt sehr gegen den internationalen Terrorismus ganz klar. Die Ja- schwer. Niemand trifft hier leichtfertige Entscheidungen. nusköpfigkeit manch unserer Partner in der Region ist Ich komme zum UNIFIL-Mandat zurück. Ich halte uns schon bewusst. Sie ist ja auch Ihnen bekannt; Sie dieses Mandat, wie gesagt – ich wiederhole mich – nach sind ja bei den Besprechungen dabei, Herr Kollege wie vor für eine Erfolgsgeschichte. Es zeigt, wie einsatz- Nouripour. fähig unsere Streitkräfte mittlerweile sind und zu welch großartigen Leistungen sie in der Lage sind. Ich sehe An einer Stelle muss ich Sie korrigieren. Wenn Sie diesen Einsatz auch deswegen als Erfolgsgeschichte an, per se sagen: „Saudi-Arabien unterstützt das, Katar un- weil es nicht jeden Tag Vorkommnisse gibt. Ehrlich ge- terstützt das“, dann ist das nicht ganz korrekt; das wissen sagt, wünsche ich mir das auch nicht. Lieber berate ich Sie selbst. Es sind zum Teil Einzelpersonen, die konkrete hier über ein Mandat, bei dem es nur wenige Zwischen- Aktionen unterstützen. Ich würde sie nicht gleichsetzen fälle gibt und das nach außen weniger spektakulär zu mit dem Staat. Davor würde ich warnen. Das ist gerade sein scheint. Ich werte dieses Mandat also als vollen Er- der Balanceakt, den man in der gesamten Golfregion folg und sage im Namen meiner Fraktion die Unterstüt- schaffen muss. Es ist ja so, dass wir die Golfstaaten nicht zung für dieses Mandat zu. als Partner abschreiben wollen, sondern mit ihnen zu- sammenarbeiten wollen, wissend, dass es schwierige Herzlichen Dank. Partner sind und dass Einzelpersonen, wenn nicht sogar größere Gruppierungen in einzelnen Ländern, Leute, die (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- sehr viel Einfluss haben, konkret hinter solchen Aktio- neten der SPD) nen stecken. Wir können die ja zum Teil genau lokalisie- ren und auch konkret benennen, wer das ist. Aber ich Vizepräsidentin Claudia Roth: würde trotzdem nicht sagen: Der Staat Saudi-Arabien Vielen Dank, Herr Kollege Mißfelder. – Nächster selbst ist hier die treibende Kraft. – Das würde ich schon Redner ist Thomas Hitschler für die SPD. differenzierter darstellen. Was die Art und Weise der Zu- (B) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (D) sammenarbeit angeht: Ich kann Ihnen da – wir haben da- der CDU/CSU) rüber schon oft gesprochen – nur recht geben. Es gibt halt kein Schwarz und Weiß in dieser Region; es gibt aber Interessen. Thomas Hitschler (SPD): Wir reden hier über UNIFIL. Denken Sie nur daran Sie sagten viel, sie schrieben viel, zurück, wie UNIFIL auf den Weg gekommen ist. Tränenschiffe und Seidenlandschaften. UNIFIL ist – Niels Annen hat es angesprochen – auf den Gedichte, die das Ende der Erde erreichten, Weg gekommen, weil wir damals einen Beitrag dazu verwundete Gedichte. leisten wollten, das Existenzrecht des jüdischen Staates Sie sagten: Die Heimat des Taubengurrens verfällt, Israel zu sichern. Das war der Ausgangspunkt. Bei uns die Heimat der Zeit, die abermals baute und lehrte. lief die Debatte damals eigentlich in die falsche Rich- Und die Erde weinte. tung. Bei uns haben alle ausgeschlossen, dass Deutsch- land in dieser Region militärisch tätig werden könne, Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und während der damalige israelische Premierminister Kollegen! Diese Zeilen stammen von der libanesischen Olmert uns öffentlich aufgefordert, eingeladen und drin- Sängerin Fairuz. 1978 veröffentlichte sie das Lied „Der gend gebeten hat, tätig zu werden. Wir wurden tätig, Vogel kehrt zurück“, zu einer Zeit, als sich ihr Heimat- aber nicht mit Landstreitkräften, sondern mittels eines land mitten in einem blutigen Bürgerkrieg befand. sehr moderaten und, wie ich finde, gelungenen Beitrages Fairuz hat sich damals bewusst nicht für eine Seite ent- im Rahmen von UNIFIL. Deshalb ist dieses Mandat schieden. Sie engagiert sich für die Einheit von Norden auch eine Erfolgsgeschichte. und Süden, von Arm und Reich, von allen Menschen im Libanon und für den Frieden. Dies ist ein wichtiger Bei- Wenn wir über die Region insgesamt reden, dann dür- trag in einem Land, das wie kaum ein anderes in der Re- fen wir die deutschen Interessen nicht außen vor lassen. gion von verschiedenen Konfliktlinien durchzogen und Dazu gehören auch wirtschaftliche Interessen und vieler- geteilt wird. Nicht zuletzt deshalb gilt Fairuz als eine der lei andere Aspekte. Definitiv gehört aber auch der beliebtesten und am meisten respektierten Persönlichkei- Schutz Israels dazu. ten in der arabischen Welt. Wir beschäftigen uns mit der Menschenrechtssitua- Im Jahr 1978 startete die Mission UNIFIL, über die tion in Saudi-Arabien eingehend. Es ist zum Teil sehr wir gerade beraten. Heute ist es jedoch der Bürgerkrieg schwer nachvollziehbar, was dort passiert. Aber aus stra- im benachbarten Syrien, der die Sicherheit im Libanon tegischen Gründen gilt: Saudi-Arabien ist und bleibt ein bedroht – zusätzlich zu allen anderen Problemen, die Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 40. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Juni 2014 3559

Thomas Hitschler (A) dieses Land hat. Wir haben die Zahlen heute schon das terhin helfen, tragfähige Sicherheitsstrukturen aufzu- (C) eine oder andere Mal gehört: Etwa 1 Million Flüchtlinge bauen. Dazu wird auch der deutsche Beitrag zu UNIFIL aus Syrien sind im Libanon, eine enorme Belastung für benötigt, der sowohl von den Vereinten Nationen als ein Land mit gerade einmal 4 Millionen Einwohnern. auch von der libanesischen und der israelischen Regie- Zum Vergleich: Deutschland müsste die gesamte Bevöl- rung ausdrücklich begrüßt wird. kerung Australiens aufnehmen, um eine ähnliche Quote Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Mission UNIFIL zu erreichen. ist eine der ältesten UN-Missionen überhaupt. Ange- (Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Die Australier sichts dieser langen Zeit wäre es naiv, zu hoffen, dass sie wollen aber nicht!) schon bald überflüssig sein könnte. Nicht aufgeben will ich aber die Hoffnung, dass ein erneuter Bürgerkrieg im Bei uns finden aber gerade einmal 40 000 syrische Libanon verhindert werden kann, dass der Frieden und Flüchtlinge Zuflucht. Ich meine, Deutschland müsste da die Vögel zurückkehren bzw., um es mit den Worten von einiges mehr tun. Frank-Walter Steinmeier hat in der Fairuz zu sagen: vergangenen Woche angekündigt, mehr Menschen aus Syrien nach Deutschland zu holen und ihnen damit Aber wir kehren zurück. Schutz zu gewähren. Gut, wieder einen echten Außen- Wir kehren aus Bränden zurück. minister zu haben, liebe Kolleginnen und Kollegen. Aus Straßen unter Geschossen. Der wahre Libanon kehrt zurück, (Beifall bei der SPD) räumt gefärbte Geschichte Es muss auch unser Anliegen sein, den Libanon zu und falsche Versprechen weg. entlasten. Die großen Flüchtlingsströme haben enorme Und der Winter nimmt sie fort. Auswirkungen auf die Lage der Gesellschaft, Auswir- Liebe Heimat, kungen auf das fragile Gleichgewicht zwischen den der Fluss glüht vor Freude, Konfessionen. Auch hier müssen wir helfen. und mit der Morgendämmerung wird das Leben strahlen. Die Syrienkrise hat auch enorme Auswirkungen auf die wirtschaftliche Entwicklung des Libanon, und sie ist Vielen Dank. in hohem Maße sicherheitsrelevant, nicht nur, weil die (Beifall bei der SPD) Hisbollah an der Seite Assads und sunnitische Kräfte aufseiten der Rebellen direkt in den Konflikt eingreifen. Es grenzt eigentlich an ein Wunder, dass der syrische Vizepräsidentin Claudia Roth: Bürgerkrieg noch nicht auf den Libanon übergegriffen Vielen Dank, Herr Kollege, auch für die schönen Zi- (B) hat. tate, die Sie gebracht haben. Wie heißt das Spiel, das Sie (D) genannt haben? Ich habe neugierige Blicke gesehen. Die aktuelle Situation im Libanon gleicht, wenn man das vergleichen darf, dem Spiel „Jenga“, bei dem man kleine Bausteine aus einem Turm ziehen muss. Wenn der Thomas Hitschler (SPD): Turm umfällt, hat man verloren. Nur gewinnen würde im Jenga. Libanon niemand. Mit den genannten Konfliktlinien, mit Akteuren wie der Hisbollah, mit den demografischen, Vizepräsidentin Claudia Roth: wirtschaftlichen und sozialen Problemen und dem Bür- Jenga. Gut, beim nächsten Mal werden wir es spielen. gerkrieg vor der eigenen Haustür schwankt der libanesi- Mal schauen, welcher Turm dann einstürzt. sche Turm gewaltig. UNIFIL mag dabei nur ein kleiner, ein stabilisierender Baustein sein. Wer ihn in dieser Si- Letzter Redner in der Debatte ist Florian Hahn für die tuation jedoch wieder herauszieht, riskiert den Zusam- CDU/CSU-Fraktion. mensturz des gesamten fragilen Gebildes mit schlimmen (Beifall bei der CDU/CSU) Folgen für die Region. (Beifall der Abg. [SPD]) Florian Hahn (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und UNIFIL ist ein Beitrag zu mehr Stabilität. Bei allen Kollegen! Bevor ich zum Thema komme, möchte ich Zwischenfällen an den libanesischen Grenzen möchte kurz Stellung nehmen zu dem Zwischenruf, den ich vor- ich mir nicht ausmalen, wie die Lage ohne die Mission hin gemacht habe. Ich möchte nämlich nicht, dass der aussehen würde. Dass sich die libanesische und die is- Kollege Mißfelder frustriert in die Ferien geht. Ich raelische Armee bei regelmäßigen Treffen im UNIFIL- meinte natürlich, dass der Kollege Nouripour jünger aus- Hauptquartier direkt austauschen können, ist ein von al- sieht, als er ist. Das war nicht auf dich gemünzt, lieber len Seiten hochgeschätzter Beitrag zu mehr Stabilität. Philipp; nur, damit da nichts aufkommt. Der Aufbau der Marine mit dem Ziel einer eigenständi- gen Sicherung der Seegrenzen ist ein langfristiger Bei- (Zurufe von der CDU/CSU und der SPD): trag zu mehr Stabilität. Aha!) Wir müssen die Kräfte in der Region stärken, die sich Als letzter Redner vor den Pfingstferien, darf ich viel- für mehr Stabilität einsetzen. Wir müssen den Dialog leicht eins sagen: Spätestens nach Ihrer Rede, Frau und die Zusammenarbeit zwischen allen gesellschaftlich Dağdelen, bin ich urlaubsreif. Die Mischung aus Ideolo- relevanten Akteuren unterstützen. Und wir müssen wei- gie, Weltverschwörungstheorie und Unsinn ist so un- 3560 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 40. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Juni 2014

Florian Hahn (A) glaublich anstrengend – das war leider nicht das erste Die Beteiligung am Flottenverband ist – wie bei prak- (C) Mal in dieser Woche –, dass ich froh bin, dass wir gleich tisch allen unseren Mandaten – nur ein Teil eines umfas- in die Ferien gehen können. senderen Engagements für den Libanon und die gesamte Region. Deutschland hilft dem Libanon bei der Durch- (Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Von mir aus führung des nationalen Dialogs, beim Hariri-Tribunal, können Sie sofort gehen!) bei der Verbesserung der Flüchtlingssituation, bei der Meine Damen und Herren, wenn wir über die interna- Grenzsicherung, beim Wiederaufbau der Wasser- und tionalen Mandate sprechen, stellen wir naturgemäß den Abwasserinfrastruktur sowie bei der Berufsausbildung. deutschen Beitrag ganz besonders heraus. Ich möchte Der deutsche Beitrag im Rahmen von UNIFIL ist ein aber heute mit Brasilien beginnen. Wenn man über Bra- wichtiges Element im Hilfskonzept für den Libanon und silien redet – aktuell denkt man hier vor allem an den die Region. Für mich ist er durch den klar greifbaren Fußball und die kommende Fußballweltmeisterschaft; Nutzen, die erkennbaren Fortschritte bei der libanesi- darüber hinaus fallen einem vielleicht noch andere Bra- schen Marine, ein besonders überzeugender Beitrag. silienklischees ein –, vergisst man meistens, dass es um Wie bei vielen anderen Einsätzen zeigt sich auch hier, ein aufstrebendes Schwellenland geht, das internationale wie viel man mit einem konsequenten und durchdachten Verantwortung übernimmt und sich im Rahmen der Ver- Einsatz bewegen kann. Dies wird auch auf libanesischer einten Nationen militärisch engagiert. Schon seit Anfang Seite anerkannt. Gerade in dieser zerrissenen Region, in 2011 führt Brasilien den Flottenverband, die Maritime diesem Land am Abgrund, ist dieses enge Zusammen- Task Force, im Rahmen von UNIFIL an. Dafür möchte wirken ein kleines, ermutigendes Signal. ich an dieser Stelle Brasilien ganz herzlich danken. Hier ist in den Jahren seit 2006 nicht nur eine pro- (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem fessionelle Beziehung vertieft worden, sondern auch BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Freundschaft gewachsen. Im letzten November pflanz- Daneben sind noch viele andere Nationen vor der ten deutsche und libanesische Soldaten im Marinestütz- Küste des Libanon beteiligt. Insgesamt haben schon punkt Beirut eine deutsche Steineiche als Geschenk an 15 Nationen die Maritime Task Force unterstützt. Zur- die libanesische Marine. Der deutsche UNIFIL-Kon- zeit sind etwa 10 500 Soldatinnen und Soldaten im tingentführer merkte an: „Wir pflanzen einen jungen UNIFIL-Einsatz, davon etwa 1 000 im Flottenverband. Baum, der so groß und stark werden soll wie die Freund- Dieser besteht aus drei Fregatten aus Brasilien, Indone- schaft zwischen unseren Marinen“. Die Tafel neben dem sien und Bangladesch sowie vier Patrouillenbooten aus Baum trägt die Inschrift: „Wo Freunde sind, da ist Bangladesch, der Türkei, Griechenland und Deutsch- Reichtum“. (B) land. Hier ist das Schnellboot „Wiesel“ unterwegs. Ich wünsche Ihnen allen schöne Pfingstferien. (D) Die Operation UNIFIL dient als Friedensmission zum (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) einen der Begleitung der Waffenruhe zwischen dem Li- banon und Israel und zum anderen der Unterstützung der Vizepräsidentin Claudia Roth: libanesischen Regierung bei der Grenzsicherung. Der Vielen Dank, Herr Kollege Hahn. deutsche Beitrag dient im Schwerpunkt dem Ausbau der Fähigkeiten der libanesischen Marine, Küste und Terri- Ich schließe die Aussprache. torialgewässer zu überwachen, damit sie sie irgendwann einmal selbstständig überwachen kann. Unsere Beteili- Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf gung soll bis zum 30. Juni 2015 mit einer unveränderten Drucksache 18/1417 an die in der Tagesordnung aufge- Personalobergrenze von 300 Soldatinnen und Soldaten führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein- fortgesetzt werden. verstanden? – Ja. Dann ist die Überweisung so beschlos- sen. UNIFIL war bislang erfolgreich. Die Mission ist aber Wir sind am Schluss unserer heutigen Tagesordnung. noch nicht abgeschlossen. Damit ein nachhaltiger Erfolg sichtbar wird, müssen wir das Engagement fortsetzen. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun- Aufbau und Training der libanesischen Marine sind destages auf Dienstag, den 24. Juni 2014, 10 Uhr, ein. wichtig, damit der Libanon seine Sicherheitsaufgaben Ich wünsche Ihnen, meine Kolleginnen und Kollegen, künftig eigenverantwortlich wahrnehmen kann. Hierbei aber auch unseren Gästen und den Mitarbeitern des Hau- wurden erste Erfolge erzielt. ses ruhige, friedliche und schöne Pfingsttage. Wer daran Hervorzuheben ist, dass Israel ebenso wie die libane- glaubt: Hoffentlich schickt uns der Heilige Geist ziem- sische Regierung und die Vereinten Nationen weiterhin lich viel Erleuchtung. Schöne Pfingsten und bis zum größten Wert auf eine deutsche Beteiligung am UNIFIL- nächsten Mal! Flottenverband legen. UNIFIL wird auch als Forum für Die Sitzung ist geschlossen. Vertrauensbildung und Austausch zwischen Israel und Libanon genutzt. (Schluss: 15.23 Uhr) Anlagen

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 40. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Juni 2014 3561

(A) Anlagen zum Stenografischen Bericht (C)

Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten

entschuldigt bis entschuldigt bis Abgeordnete(r) einschließlich Abgeordnete(r) einschließlich

Alpers, Agnes DIE LINKE 06.06.2014 Dr. Lauterbach, Karl SPD 06.06.2014

Bätzing-Lichtenthäler, SPD 06.06.2014 Lay, Caren DIE LINKE 06.06.2014 Sabine Dr. Malecha-Nissen, SPD 06.06.2014 Bluhm, Heidrun DIE LINKE 06.06.2014 Birgit

Bulmahn, Edelgard SPD 06.06.2014 Mast, Katja SPD 06.06.2014

Dobrindt, Alexander CDU/CSU 06.06.2014 Dr. Merkel, Angela CDU/CSU 06.06.2014

Freitag, Dagmar SPD 06.06.2014 Möhring, Cornelia DIE LINKE 06.06.2014

Dr. Friedrich (Hof), CDU/CSU 06.06.2014 Dr. Neu, Alexander S. DIE LINKE 06.06.2014 Hans-Peter Nietan, Dietmar SPD 06.06.2014 Dr. Gauweiler, Peter CDU/CSU 06.06.2014 Pilger, Detlev SPD 06.06.2014 Gohlke, Nicole DIE LINKE 06.06.2014 Rüffer, Corinna BÜNDNIS 90/ 06.06.2014 Golze, Diana DIE LINKE 06.06.2014 DIE GRÜNEN

(B) Grindel, Reinhard CDU/CSU 06.06.2014 Rüthrich, Susann SPD 06.06.2014 (D)

Groß, Michael SPD 06.06.2014 Schavan, Annette CDU/CSU 06.06.2014

Gunkel, Wolfgang SPD 06.06.2014 Schlecht, Michael DIE LINKE 06.06.2014

Hänsel, Heike DIE LINKE 06.06.2014 Dr. Schockenhoff, CDU/CSU 06.06.2014 Andreas Hartmann, Sebastian SPD 06.06.2014 Schwabe, Frank SPD 06.06.2014 Dr. Hendricks, Barbara SPD 06.06.2014 Steinke, Kersten DIE LINKE 06.06.2014 Hinz (Essen), Petra SPD 06.06.2014 Tank, Azize DIE LINKE 06.06.2014 Hochbaum, Robert CDU/CSU 06.06.2014 Dr. Wagenknecht, Sahra DIE LINKE 06.06.2014 Dr. Hoppenstedt, CDU/CSU 06.06.2014 Hendrik Wagner, Doris BÜNDNIS 90/ 06.06.2014 DIE GRÜNEN Dr. Jüttner, Egon CDU/CSU 06.06.2014 Walter-Rosenheimer, BÜNDNIS 90/ 06.06.2014 Kampeter, Steffen CDU/CSU 06.06.2014 Beate DIE GRÜNEN

Klare, Arno SPD 06.06.2014 Werner, Katrin DIE LINKE 06.06.2014

Klingbeil, Lars SPD 06.06.2014 Wiese, Dirk SPD 06.06.2014

Koenigs, Tom BÜNDNIS 90/ 06.06.2014 Ziegler, Dagmar SPD 06.06.2014 DIE GRÜNEN

Lange (Backnang), SPD 06.06.2014 Christian 3562 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 40. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Juni 2014

(A) Anlage 2 stimmungsverhalten verständigt haben, können wir dem (C) Antrag der Bündnis 90/Die Grünen-Bundestagsfraktion Erklärung nach § 31 GO leider nicht zustimmen. der Abgeordneten Dr. Ernst-Dieter Rossmann Dieses einheitliche Abstimmungsverhalten ermög- und (beide SPD) zur Abstim- licht es uns, erfolgreich deutliche Verbesserungen für mung über den Änderungsantrag der Abgeord- viele Menschen zu erreichen – auch im Hinblick auf ein neten Volker Beck (Köln), Lisa Paus, Ulle selbstbestimmtes Leben. Damit wird also – trotz dieses Schauws, Luise Amtsberg, Kai Gehring, Katja einzelnen Aspekts in der Abgabenordnung – viel er- Keul, Renate Künast, Monika Lazar, Irene reicht. Diese Erfolge wollen wir nicht durch Zustim- Mihalic, Özcan Mutlu, Dr. Konstantin von mung zu dem Antrag von Bündnis 90/Die Grünen ge- Notz, Hans-Christian Ströbele und der Fraktion fährden. Bündnis 90/Die Grünen zum Entwurf eines Ge- setzes zur Anpassung steuerlicher Regelungen Wir werden uns aber weiterhin für dieses Anliegen an die Rechtsprechung des Bundesverfassungs- einsetzen und eine vollständige Gleichbehandlung von gerichts (Drucksache 18/1662) (39. Sitzung, Ta- Lebenspartnerschaften unterstützen. Mit dem heute ver- gesordnungspunkt 18) abschiedeten Gesetz zur Anpassung steuerlicher Rege- lungen an die Rechtsprechung des Bundesverfassungs- In einer aufgeklärten Gesellschaft ohne Diskriminie- gerichts wird eine steuerliche Gleichbehandlung von rung versteht sich die vollständige Gleichstellung der Ehe und Lebenspartnerschaft, wie vom Bundesverfas- eingetragenen Lebenspartnerschaft mit der Ehe von sungsgericht gefordert, hergestellt. selbst. Gleichwohl lässt sich dieses Selbstverständnis nicht verordnen – es sind Kompromisse zu suchen, über die in einer Demokratie Mehrheiten entscheiden. Anlage 3 Im Koalitionsvertrag zwischen CDU/CSU und SPD Amtliche Mitteilungen wurde für diese Legislaturperiode vereinbart: Der Bundesrat hat in seiner 922. Sitzung am 23. Mai Sexuelle Identität respektieren – Lebenspartner- 2014 beschlossen, den nachstehenden Gesetzen zuzu- schaften, Regenbogenfamilien stimmen: Wir wissen, dass in gleichgeschlechtlichen Partner- – Erstes Gesetz zur Änderung des Arbeitnehmer- schaften Werte gelebt werden, die grundlegend für Entsendegesetzes unsere Gesellschaft sind. (B) – Gesetz zum Vorschlag für einen Beschluss des Ra- (D) Wir werden darauf hinwirken, dass bestehende – Dis- tes zur Aufhebung des Beschlusses 2007/124/EG, kriminierungen von gleichgeschlechtlichen – Le- Euratom des Rates benspartnerschaften und von Menschen aufgrund ihrer sexuellen Identität in allen gesellschaftlichen Bereichen beendet werden. Rechtliche Regelungen, Darüber hinaus hat der Bundesrat in seiner 922. Sit- die gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaften zung am 23. Mai 2014 gemäß § 3 Absatz 1 Satz 2 Num- schlechter stellen, werden wir beseitigen. mer 2 und Satz 3 des Standortauswahlgesetzes in Er- gänzung seines Beschlusses vom 11. April 2014 als Wir sind froh, dass sich Vereine und Körperschaften Vertreter der gesellschaftlichen Gruppen für die Rechte Homosexueller einsetzen. Gemäß § 52 Absatz 2 Nummer 7 AO können diese Vereine und Kör- – Klaus Brunsmeier (Bund für Umwelt und Natur- perschaften zur Förderung der Volksbildung als gemein- schutz Deutschland) und nützig anerkannt werden. – Jörg Sommer (Deutsche Umweltstiftung) Zu einer vollständigen Gleichstellung gehört auch, zu Mitgliedern der „Kommission Lagerung hoch radio- dass die Förderung der Lebenspartnerschaft als gemein- aktiver Abfallstoffe“ gewählt. nütziger Zweck neben Ehe und Familie explizit in der Abgabenordnung verankert wird; denn sie leisten einen wichtigen Beitrag für die Akzeptanz von Homosexuali- Die folgenden Ausschüsse haben mitgeteilt, dass sie tät in der Gesellschaft. Sie klären auf und unterstützen gemäß § 80 Absatz 3 Satz 2 der Geschäftsordnung von Homosexuelle bei der Bewältigung von Problemen. Hier einer Berichterstattung zu den nachstehenden Vorlagen die Förderungswürdigkeit in die Abgabenordnung auf- absehen: zunehmen, folgt unmittelbar aus der Koalitionsvereinba- rung. Auswärtiger Ausschuss Wir bedauern sehr, dass die CDU/CSU dieser Verein- barung noch nicht folgen kann und zwischen den Koali- – Unterrichtung durch die Bundesregierung tionspartnern hier keine Einigung über die Erweiterung Bericht der Bundesregierung über die Tätigkeit des Eu- der gemeinnützigen Zwecke erzielt werden konnte. roparats im Zeitraum vom 1. Januar bis 30. Juni 2013 Drucksachen 18/1046, 18/1379 (neu) Nr. 1.3 Aus Rücksichtnahme auf den Koalitionsvertrag, in dem sich die Koalitionspartner auf ein einheitliches Ab- – Unterrichtung durch die Bundesregierung Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 40. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Juni 2014 3563

(A) Bericht der Bundesregierung über die Tätigkeit des Eu- Drucksache 18/822 Nr. A.10 (C) roparats im Zeitraum vom 1. Juli bis 31. Dezember Ratsdokument 6113/14 2013 Drucksachen 18/1047, 18/1379 (neu) Nr. 1.4 Haushaltsausschuss Drucksache 18/1048 Nr. A.7 Innenausschuss Ratsdokument 5398/14 Drucksache 18/1137 Nr. A.2 – Unterrichtung durch die Bundesregierung Ratsdokument 7907/14 Bericht des unabhängigen Expertenkreises Antisemitis- mus Ausschuss für Arbeit und Soziales Antisemitismus in Deutschland – Erscheinungsformen, Drucksache 18/419 Nr. A.100 Bedingungen, Präventionsansätze Ratsdokument 11460/13 Drucksachen 17/7700, 18/770 Nr. 2 Drucksache 18/419 Nr. A.101 Ratsdokument 11474/13 Drucksache 18/419 Nr. A.102 Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Ratsdokument 11926/13 Reaktorsicherheit Drucksache 18/419 Nr. A.103 Ratsdokument 16220/13 – Unterrichtung durch die Bundesregierung Drucksache 18/419 Nr. C.36 Ratsdokument 8040/12 Bericht über die Auswirkungen der Regelungen zur Drucksache 18/419 Nr. C.37 Anzeigepflicht gewerblicher und gemeinnütziger Samm- Ratsdokument 15865/12 lungen gemäß der §§ 17 und 18 des Kreislaufwirt- Drucksache 18/544 Nr. A.37 schaftsgesetzes (Monitoring-Bericht) Ratsdokument 5567/14 Drucksachen 18/800, 18/1042 Drucksache 18/544 Nr. A.38 Ratsdokument 17367/13 Drucksache 18/544 Nr. A.39 Ratsdokument 17650/13 Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben Drucksache 18/544 Nr. A.40 mitgeteilt, dass der Ausschuss die nachstehenden Unions- Ratsdokument 18151/13 dokumente zur Kenntnis genommen oder von einer Be- Drucksache 18/642 Nr. A.5 ratung abgesehen hat. EP P7_TA-PROV(2014)0012 Drucksache 18/642 Nr. A.6 EP P7_TA-PROV(2014)0014 Drucksache 18/822 Nr. A.26 Petitionsausschuss (B) Ratsdokument 6220/14 (D) Drucksache 18/1393 Nr. A.1 Drucksache 18/1137 Nr. A.4 EP P7_TA-PROV(2014)0204 Ratsdokument 7978/14 Drucksache 18/1137 Nr. C.2 Ratsdokument 6715/12 Auswärtiger Ausschuss Drucksache 17/9475 Nr. A.17 Ratsdokument 8042/12 Drucksache 18/419 Nr. A.7 EP P7_TA-PROV(2013)0383 Drucksache 18/419 Nr. A.8 Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe EP P7_TA-PROV(2013)0389 Drucksache 18/544 Nr. A.7 Drucksache 18/419 Nr. A.148 Ratsdokument 17859/13 EP P7_TA-PROV(2013)0284 Drucksache 18/822 Nr. A.1 Drucksache 18/419 Nr. A.150 EuB-BReg 14/2014 EP P7_TA-PROV(2013)0390 Drucksache 18/822 Nr. A.2 Drucksache 18/419 Nr. A.153 EuB-BReg 15/2014 EP P7_TA-PROV(2013)0420 Drucksache 18/822 Nr. A.4 Drucksache 18/1393 Nr. A.36 EuB-BReg 20/2014 EP P7_TA-PROV(2014)0206 Drucksache 18/1048 Nr. A.4 Drucksache 18/1393 Nr. A.37 Ratsdokument 7509/14 EP P7_TA-PROV(2014)0253 Drucksache 18/1048 Nr. A.5 Drucksache 17/14284 Nr. A.12 Ratsdokument 7536/14 EP P7_TA-PROV(2013)0223 Drucksache 18/1137 Nr. A.1 Drucksache 17/14284 Nr. A.14 Ratsdokument 7537/14 EP P7_TA-PROV(2013)0232 Drucksache 18/1393 Nr. A.6 EuB-BReg 38/2014 Drucksache 18/1393 Nr. A.11 Ausschuss für Kultur und Medien EP P7_TA-PROV(2014)0229 Drucksache 18/419 Nr. A.197 EP P7_TA-PROV(2013)0274 Drucksache 18/419 Nr. A.198 Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz EP P7_TA-PROV(2013)0329 Drucksache 18/419 Nr. A.37 Drucksache 18/419 Nr. A.199 Ratsdokument K(2013)3539 endg. EP P7_TA-PROV(2013)0350 Drucksache 18/419 Nr. A.39 Drucksache 18/419 Nr. A.200 Ratsdokument 11499/13 EP P7_TA-PROV(2013)0368 Drucksache 18/419 Nr. A.54 Drucksache 18/419 Nr. A.201 Ratsdokument 17645/13 Ratsdokument 10469/13

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