Repräsentanten Des Großdeutschen Reiches"? Die Auslandsarbeit Der HJ 9.1.1 Auslandsakti
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9. Die HJ und das Ausland1 9.1 „Repräsentanten des Großdeutschen Reiches"? Die Auslandsarbeit der HJ „Die Hitler-Jugend hat keine Außenpolitik betrieben; aber es ist nicht zu bezweifeln, daß sie gewisse, im Sinne der Reichspolitik liegende außenpolitische Tendenzen fermentiert und untermauert hat, was nicht ohne positive Auswirkung auf die erstrebte und offiziell angebahnte zwischenstaatliche Konstellation geblieben ist... So war die direkte Einflußnahme der Hitler-Jugend-Führer unverkennbar... Auf dem Gebiet der germanischen Jugendarbeit bildete ein dauernder und lebhafter Gedanken- und Erfahrungsaustausch zwischen den Führern der deutschen Jugend und den Jugendführern und leitenden Staatsmännern der germanischen Länder die Grundlage zu einer erfolgreichen Entwicklung ... Es muß ... als Erfolg der Auslandsarbeit gewertet werden, daß die Jugend dieser Länder in keinem Falle auf der Seite der Verräter stand."2 9.1.1 Auslandsaktivitäten der HJ in der Vorkriegszeit Das gleichermaßen komplexe und fragmentierte, einheitliche und heterogene, widersprüchliche und systemimmanent logische Arbeitsgebiet der nach außen gerichteten Aktivitäten der NS-Ju- gendorganisation - grob zu untergliedern in die sogenannte volkspolitische und in die fremdvölki- sche Jugendarbeit - zählt zwar zu den ältesten, gleichwohl zu den am wenigsten erforschten Ar- beitsbereichen der HJ.3 Bereits Ende der 20er Jahre waren von der Reichsleitung der HJ parallel zum Ausbau der NS-Jugendorganisation in Deutschland erste Formen der Auslandsarbeit entwickelt und erste bilaterale internationale Kontakte geknüpft worden. Über das Ende 1928 im sächsischen Klingenberg gebildete Grenzlandamt der HJ, das bis August 1931 von Rudolf Schmidt und danach, bis Juli 19324, als Auslandsamt der Reichsjugendführung von Hans Brüß geleitet wurde, versuchte die Führung der zahlenmäßig noch unbedeutenden HJ5, zunächst in den Deutschland benachbarten Staaten Jugendgruppen nach eigenem Vorbild zu gründen bzw. bestehende Verbände zu infiltrieren und nationalsozialistisch auszurichten. Neben vorerst sporadischen, Grenzlandarbeit genannten und nach Dänemark, Frankreich, Jugoslawien, Liechtenstein und Schweden gerichteten Aktivitäten waren Österreich, die sudetendeutschen und böhmischen Gebiete der Tschechoslowakei und besonders Polen6 bevorzugte Bereiche der frühen HJ-Auslandsbetätigungen. Die Anweisungen der HJ-Reichsleitung zur Gestaltung der sogenannten Grenzlandarbeit kenn- zeichnen sowohl die schon früh beträchtliche Bedeutung als auch die aggressive Zielsetzung, die die HJ-Führung den nach außen gerichteten Aktivitäten bereits zu diesem Zeitpunkt beimaß; sie dokumentieren darüber hinaus Sprachregelungen und inhaltliche Kontinuitäten, die im Dritten Reich politikbestimmend wurden. Schon 1931 sind in allen damaligen HJ-Gauen und -Bezirken Grenzlandämter eingerichtet worden, mit denen in den Grenzgebieten „vorsichtig eine deutsche Irredentabewegung aufgebaut" werden sollte. Als „erste Voraussetzung hierfür" galt die „Erzie- hung der Grenzdeutschen"; „wir müssen ihnen unsere Haltung und unseren Glauben beibringen oder notfalls auch aufzwingen. Im Inland wird das Verständnis für volkspolitische Aufgaben (Ostraumpolitik) geweckt und erweitert".7 Das für die Propaganda der NSDAP schon in der Zwi- 1 Der übergreifende Aspekt dieses Kapitels besteht in der Betrachtung der nach außen gerichteten Tätigkeit der Reichs- jugendführung und der Untersuchung der außerhalb des 'Altreichs'gebietes geleisteten HJ-Arbeit. Nach der Behandlung der 'klassischen' Auslandsarbeit werden die HJ-Aktivitäten in den ab 1938 zum Reich gekommenen Gebieten, den annektierten Ländern und den 'verbündeten' Staaten beleuchtet. Daran schließt sich die Behandlung der "Ostarbeit" der HJ an, ein Spezialgebiet, das zwar logisch zur HJ-Arbeit in den "neuen Gebieten" gehört, wegen des Inhalts und der Tragweite dieses weit über den Bereich der 'normalen' Außenaktivitäten hinausreichenden Tätigkeitsbereiches, jedoch separat behandelt wird. 2 BA, NS 26/358 (Kriegsgeschichte der HJ, 1944). 3 Diese Zurückhaltung erstaunt, bilden doch die Unterlagen des Grenzlandamtes der Reichsffihrung HJ bzw. der Reichs- jugendffihrung zumindest fur die Zeit von 1929 bis 1933 den wahrscheinlich einzigen zentralen Aktenbestand eines Amtes der HJ-Zentrale, der weitgehend überliefert ist; und auch von den wenigen, lediglich bruchstückhaft überkomme- nen Akten der Reichsjugendführung aus der Zeit des Dritten Reiches dokumentieren die meisten dieser Unterlagen Aspekte der Auslandsarbeit der HJ. 4 Zwischen Juli 1932 und Anfang 1933 bestand in der Reichsjugendführung kein mit Auslandsaktivitäten befaßtes Amt. 5 Die HJ zählte Ende 1929 weniger als 12.000 und Ende 1931 erst 30.700 Mitglieder. 6 Vgl. dazu Buddrus, HJ und Polenpolitik; Pallaske, HJ in Danzig. 7 BA, NS 26/364 (Anweisung Nr. 1 und Rundschreiben Nr. 2 des HJ-Grenzlandamtes, August 1931). 742 9.1 „Repräsentanten des Großdeutschen Reiches" schenkriegszeit charakteristische und später lediglich durch Akzentverlagerungen modifizierte „Mixtum compositum von Kriegsideologie und Friedensdemagogie"8 war durchgängiger Tenor der Verlautbarungen bereits der frühen HJ-Auslandsarbeit. So hatte Amtschef Rudolf Schmidt - damit spätere Darstellungen des Charakters und der Motiv- lage der volkspolitischen Arbeit der HJ9 sicherlich ungewollt ins Reich der Legende verweisend - bereits im August 1930 umrissen, worauf es der HJ-Führung bei ihrer Grenzlandarbeit ankam: „Unsere Stellung zum Ostproblem: Wiedergewinnung der abgetretenen Teile. Die Grenzlandfrage, die wir zu bearbeiten haben, hängt eng zusammen mit dem Problem 'Volk ohne Raum'. Der Platz, auf dem wir heute gezwungen leben müssen, ist für unser 60-Millionen-Volk zu eng geworden... Und Siedlungsland können wir nur im Osten gewinnen. Landgewinnung ist zunächst das Ziel. Das ist unsere, der Jugend Aufgabe. Wir müssen dies- und jenseits der Grenze einen Apparat schaffen, der den Gegner ... vor vollendete Tatsachen stellt und [der] im entscheidenden Augenblick die Macht - auch jenseits der Grenzen - an sich reißt. Dazu ist gewissermaßen eine Geheimorganisa- tion notwendig ... Solche Planungen behält man lieber für sich und erzählt nach außen nur, daß man Verbindung mit seinen Landsleuten aufrechterhalten wolle."10 Schmidt konnte seine Visionen später als Amtsleiter in der NSDAP-Kreisleitung in Litzmannstadt verwirklichen. Ausgehend von den in der Weimarer Republik noch wenig mit der NSDAP-Führung koordinier- ten Aktivitäten der HJ-Reichsleitung und ihres relativ selbständigen Grenzlandamtes, wurde die Auslandsarbeit der HJ ab 1933 immer stärker mit den außenpolitischen Bestrebungen der Partei- fuhrung abgestimmt. Scheinbar parallel zur Tätigkeit der gerade gebildeten Auslandsorganisation der NSDAP, praktisch zunächst jedoch oft erfolgreicher und mit dieser konkurrierend, war es der HJ-Zentrale schon bis 1934 gelungen, mehrere hundert Stützpunkte im Ausland zu schaffen. Bis 1937/38 schließlich wurden durch 55 der Reichsjugendfiihrung unterstehende HJ-Landesführun- gen im Ausland etwa 20.000 reichs- und Volksdeutsche Jugendliche in 312 Städten und Dörfern erfaßt11; und selbst im Sommer 1939 waren es noch 9.400 auslandsdeutsche Jugendliche, die in 43 Staaten auf allen Kontinenten in HJ-Einheiten erfaßt waren, den jeweiligen Strukturen der Auslands- organisation der NSDAP unterstanden und zunächst durch die kurzzeitig bestehende Auslandsorgani- sation der HJ, später über das Auslandsamt der Reichsjugendfiihrung angeleitet wurden.12 8 So Weißbecker, Kriegsideologie, S. 139. 9 So etwa, wenn Kaufmann, Das kommende Deutschland, S. 193, behauptete, daß in der Hitleijugend - ausgehend von "der Sehnsucht der Volksdeutschen Menschen aller Generationen nach dem Reich" - ein "Gefühl unsagbarer Liebe für die fernen Volksgenossen, leidenschaftliche Anteilnahme an ihrem Schicksal, tiefes Verstehen ihrer völkischen Not" erwuchs. 10 BA, Film Nr. 14621 (Schmidt an Gaertner, 28.8.1930). 11 Vgl. BA, NS 26/360 (Berechnet nach Unterlagen des HJ-Gebietes Ausland). 12 Vgl. BA, NSD 8/43, Bl. 47 ff. (Statistik der NSDAP-Auslandsorganisation, 30.6.1939, geheim). Danach befanden sich die zahlenmäßig größten, vor Ort unter Führung der NSDAP-AO stehenden HJ-Organisationen im europäischen Raum in Holland (992 Mitglieder), der Schweiz (584) und Italien (500), in Asien in China (208) und Japan (78), in Südamerika in Argentinien (1.500) und Chile (1.000), in Afrika in Kenia (106) und im Nahen Osten in Palästina (285). AO-geführte HJ-Organisationen bestanden bis zum Kriegsbeginn in Ägypten, Argentinien, Belgien, Bolivien, Brasilien, Bulgarien, Chile, China, Costa Rica, Dänemark, Ekuador, Estland, Finnland, Frankreich, Griechenland, Großbritannien, Guatemala, Holland, Irland, Italien, Japan, Jugoslawien, Kenia, Kolumbien, Kuba, Lettland, Litauen, Luxemburg, Mandschukuo, Mexiko, Palästina, Paraguay, Peru, Polen, Portugal, Rumänien, Schweden, Schweiz, Spanien, Türkei, Ungarn, Uruguay und Venezuela. Zumindest bis 1938 existierte auch die etwas exotisch erscheinen- de HJ-Bewegung in Südwestafrika; hervorgegangen aus den sich dort 1928 vereinigenden deutschen Pfadfinder- gruppen, nahm eine Abordnung der bis 1934 von Robert Strunck geführten "Südwest-HJ" am Reichsparteitag der NSDAP 1933 in Nürnberg teil. Als sich im Juli 1934 erstmals die mehr als tausend südwestafrikanischen HJ-Angehö- rigen in Windhuk trafen, die sich in ihren Uniformen, Fahnen, Abzeichen und Ritualen der reichsdeutschen HJ an- geglichen hatten, verbot der Gouverneur - Deutsch-Südwestafrika war nach dem Ersten Weltkrieg Mandatsgebiet