Volker Zimmermann: Die Sudetendeutschen Im NS-Staat
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Bücher . Zeitschriften 88 Volker Zimmermann: derung des Sudetenlandes ins Reich seit 1918; Die Sudetendeutschen im NS-Staat. die Parallelität von Euphorie und Terror nach Politik und Stimmung der Bevölke- dem Anschluß, die Gleichschaltung des Sude- tengebietes und dessen Umwandlung in einen rung im Reichsgau Sudetenland NS-»Mustergau«; die wirtschaftlichen und (1938-1945), Klartext-Verlag sozialen Folgen des Anschlusses, die politi- Essen 1999, 516 S. (48,00 DM) schen Konflikte zwischen verschiedenen Grup- pierungen der nationalsozialistischen Führer im Sudetenland, die mit einem Sieg der (zu- »Angesichts der Fülle populärer und wissen- vor heftig attackierten) Gruppe um Henlein schaftlicher Literatur, die über die Struktur des endete; die Behandlung der tschechischen Nationalsozialismus, seine gesellschaftlichen, Minderheit; Resistenz, Opposition und Wi- politischen und wirtschaftlichen Konsequen- derstand sowie den Krieg und seine Auswir- zen bisher veröffentlicht wurde, erscheint vor kungen auf die Region. allem das Fehlen einer Gesamtdarstellung der Zimmermanns umfassende Darstellung, seine Geschichte des Reichsgaus Sudetenland er- außerordentliche Detailkenntnis, vor allem staunlich«, schreibt der Autor einleitend. Man aber sein (erfolgreiches) Bemühen um ein kann ergänzen: Auch angesichts der relativ ausgewogenes Urteil werden diesen Band für vielen, speziell dem Sudetenland in der Zeit alle, die sich professionell oder aufgrund ihrer der nationalsozialistischen Herrschaft gewid- persönlichen Biographie für das Sudetenland meten Veröffentlichungen. unter der Naziherrschaft interessieren, zu ei- Vielleicht liegt die Ursache darin, daß die nem Erlebnis werden lassen. Davon bin ich Geschichtsschreibung bisher kaum Interesse überzeugt. für das Geschehen in einzelnen NSDAP-Gau- In seinem abschießenden Fazit trifft Zimmer- en aufgebracht hat. Das jedenfalls vermutet mann auch einige auf einen Vergleich zielen- Volker Zimmermann. Nach der Lektüre seines de Aussagen zur Entwicklung im Sudeten- Buches bin ich jedoch anderer Meinung: Eine land, wobei er sich auf zwei vorangegangene Gesamtdarstellung verlangt, das Geschehen nationalsozialistische Anschlußfälle, auf das im Sudetenland auf politischem, wirtschaftli- Saarland (1935) und Österreich (im Frühjahr chem, sozialem, kulturellem und juristischem 1938) bezieht. Der Autor schreibt dazu, bezo- Gebiet zu analysieren und zu synthetisieren. gen auf Österreich: »Die Parallelen zwischen Heutzutage müssen auch die Geschichte der den Reaktionen im Gau Sudetenland und in Widerspiegelung dieser Entwicklungen im den Gebieten der ›Ostmark‹ sind so eklatant, Denken »des Volkes« und dessen Rückwir- daß nur eine Erklärung möglich ist: Das NS- kungen auf das Geschehen berücksichtigt Regime mit seinen übersteigerten Verspre- werden. Kurz und gut: Verlangt wird ein in- chungen und der darauffolgenden Mißach- terdisziplinäres Herangehen. Das liegt nicht tung der Bedürfnisse der Menschen den jedem, das kann auch nicht jeder. Grundstein für die spätere Unzufriedenheit Zimmermann vollbringt diese für einen Nach- selbst gelegt, während die neuen Bevölke- wuchswissenschaftler bravouröse Leistung. rungsteile ungeduldig auf die vermeintlichen Insofern ist der Untertitel, der auf Politik und Segnungen des Nationalsozialismus warteten deren Verarbeitung durch »das Volk« abhebt, und möglichen Härten, die mit der Umstel- sogar ein Understatement. Der Autor arbeitet lung auf die Verhältnisse im Reich zwangs- die besondere Rolle der wirtschaftlichen Fak- läufig entstehen mußten, nur unwillig in Kauf toren ebenso heraus, wie die Besonderheiten nehmen wollten.« (S. 440). Zimmermanns der Preis- und Lohnentwicklung im Sudeten- implizite Schlußfolgerung, daß es sich in land seit 1938 – eine der Hauptquellen für die Österreich wie im Sudetenland um Merkma- soziale Unzufriedenheit, bis der Kriegsverlauf le einer typisch nationalsozialistischen »An- und die Bedrohung als Volksgruppe zum schlußpolitik« handelt, halte ich für zu kurz Hauptgegenstand der Besorgnis der Sudeten- gegriffen. Übersteigerte Versprechungen, das deutschen wurden. Der Autor behandelt in Warten auf die Segnungen der neuen Ord- sechs Kapiteln die Vorgeschichte der Einglie- nung, Mißachtung der Bedürfnisse der Men- 89 Bücher . Zeitschriften schen des Anschlußgebietes, eine spätere Un- Philosoph« bezeichnete und eigentlich Be- zufriedenheit der Angeschlossenen u.a. sind scheid wissen sollte. In wenigen Monaten 1998 Stichworte, die ebenso auf den »Anschluß- fertiggestellt und publiziert, kam das Buch fall« DDR zutreffen und auf manch anderen auch schnell übersetzt auf den deutschen Anschluß in der Weltgeschichte auch, wie der Büchermarkt. Wenn ein Multimilliardär so sehr Leser das unschwer aus Beiträgen in den gegen political correctness aussagt, läßt das Nummern 94 und 95 dieser Zeitschrift ent- aufhorchen, und siehe da, das Buch steckt voll- nehmen kann. er überraschender Gedanken. Unabhängig von JÖRG ROESLER seiner Gliederung lassen sich drei Teile mit un- terschiedlichem Gewicht ausmachen: Im ersten umreißt Soros seine grundlegen- den theoretischen Prämissen. Ausgehend von George Soros: Karl Poppers Konzept von einer offenen Ge- Die Krise des globalen Kapitalismus. sellschaft und im Widerspruch zu den deter- Offene Gesellschaft in Gefahr, ministischen Vorstellungen vom gesellschaft- Alexander Fest Berlin 1998, 300 S. lichen Fortschritt unseres seinerzeitigen »Hist-Mat«, sind für Soros die Ausgangsbe- (39,80 DM) griffe Fehlbarkeit und Reflexivität. Fehlbar- keit setzt an die Stelle einer künftig vollkom- In einer Sitzung eines Bundestagsausschusses menen Gesellschaft eine unvollkommene, aus Anlaß des 50. Jahrestages der UN-Men- »die gleichwohl laufend der Verbesserung schenrechtserklärung sprach Joschka Fischer fähig ist«. (S. 7) Soweit auch Popper, was über die universelle Gültigkeit dieser Rechte Soros ergänzt, ist der Unterschied bei der Er- und mahnte: »Dabei muß verstanden werden, kenntnis sozialer Prozesse zu der von Natur- daß all dies mit einem unabhängigen Banken- gesetzen: Unsere Einsichten und abgeleiteten system und einer freien Marktwirtschaft zu- Handlungen verändern reflexiv die Vorgänge sammengehört und beides getrennt voneinan- selbst. So absolut scheint allerdings der Un- der nicht zu haben ist.« Im Verlaufe des Kal- terschied nicht zu sein, wenn man an die Hei- ten Krieges hat sich die Vorstellung recht all- senbergsche Unschärferelation denkt. Dies gemein durchgesetzt, daß freie Marktwirt- ändert allerdings nichts daran, daß wir es in schaft und freie Demokratie ebenso zusam- der Gesellschaft mit Prozessen zu tun haben, mengehören wie Planwirtschaft und Diktatur. an denen wir unmittelbar teilhaben, in die Neu ist nur, es aus diesem Mund zu hören, wir selbst eingebunden sind. Hier nähert sich noch dazu mit dem extremen Bekenntnis zu die Vorstellung denen der chaostheoretischen unabhängigen Banken. Evolutionsmodelle. An dieser Hürde scheiterte die politische Wie sehr das zutrifft, kann der Finanzier mit Laufbahn von Oskar Lafontaine. Es ist schwer eigenen Erfahrungen im zweiten Teil anschau- einzusehen, wem die Unabhängigkeit von lich belegen. Die Vorstellung des freien Mark- Banken von Nutzen sein könnte, außer für die tes unserer Marktfundamentalisten geht von Bankiers. Schließlich heißt Demokratie einem nicht existenten Denkmodell aus, bei Volkssouveränität, und die sollte gestärkt wer- dem der anonyme Markt automatisch optimale den, wenn man die Banken ihrer Kontrolle Allokationen von Ressourcen gewährleistet. entzieht und die Regierungen des Instruments (Adam Smiths »unsichtbare Hand«). Im Ge- der Geldpolitik beraubt – noch dazu im Na- gensatz dazu kann jemand wie Soros, der über men der Menschenrechte? einen nennenswerten Marktanteil verfügt, Dagegen ist zu lesen: »Der heutige Markt- diesen recht erheblich beeinflussen, wie der fundamentalismus ist eine wesentlich größere Autor das tat, als er gegen das britische Pfund Bedrohung der offenen Gesellschaft als jede spekulierend diese Währung aus dem euro- totalitäre Ideologie.« (S. 21/22) päischen Währungsverbund hinauszwang. Das stammt von niemand anderem als dem Das abstrakte Beispiel der Finanzmärkte läßt weltbekannten Finanzguru George Soros, der am anschaulichsten erkennen, was Norbert sich selbst als »Spekulant, Philanthrop und Wiener1 schon 1948 spieltheoretisch nach- Bücher . Zeitschriften 90 wies: Märkte konvergieren nicht zum Gleich- DDR-Staates insgesamt zu leisten.« (S. VII/VIII) gewicht! Unter dem Schirm des Militärgeschichtli- Im letzten und für mich am wenigsten strin- chen Forschungsamtes haben sie ein volumi- genten Kapitel entwirft Soros einen »Fahrplan nöses Werk vorgelegt. Wohl alle relevanten für eine offene Gesellschaft«. In gewisser Elemente der »sozialistischen Landesverteidi- Hinsicht widerspricht der Anspruch eines gung« werden in insgesamt 14 Übersichtsdar- Fahrplanes, der doch pünktlich eingehalten stellungen mit ihrer historischen Entwicklung, werden sollte, den vorangegangenen Thesen. ihren Grundstrukturen und wesentlichen Indessen bleibt es eine gewichtige Aussage, Kommandeurspersönlichkeiten beschrieben. wenn Soros dem »amoralischen« Diktat der Ergänzt wird dies durch einen Beitrag zu den profitmaximierenden Zweckmäßigkeit des sowjetischen (bzw. russischen) Truppen in Marktes die korrigierende Notwendigkeit kol- Deutschland (1945-1994) (Kurt Arlt) sowie ei- lektiver Entscheidungsfindung nach den Kate- ner Zeittafel. Hervorzuheben sind die Einzel- gorien Richtig und Falsch gegenüberstellt, al- beiträge zur Geschichte der NVA (R. Wenzke), so eines