Sächsische Heimatblätter · 2 | 2018 186 Deutsche Und Tschechen in Der Ersten Tschechoslowakischen Republik Und Im Reichsgau Sudetenland 1918 Bis 1945

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Sächsische Heimatblätter · 2 | 2018 186 Deutsche Und Tschechen in Der Ersten Tschechoslowakischen Republik Und Im Reichsgau Sudetenland 1918 Bis 1945 Deutsche und Tschechen in der ersten Tschechoslowakischen Republik und im Reichsgau Sudetenland 1918 bis 1945 Lars-Arne Dannenberg, Matthias Donath Handkarte der cechoslovaki-� Deutsche und Tschechen im Königreich herrschte die deutsche Sprache vor. In den übri- schen Republik, 1924. Böhmen gen Landesteilen dominierte die tschechische Die Tschechoslowakische Sprache. Jedoch gab es im mehrheitlich tschechi- Republik war ein Zentralstaat. Sie setzte sich aus verschiedenen Das bis 1918 bestehende Königreich Böhmen schen Gebiet auch deutsche „Sprachinseln“ be- Landesteilen zusammen (Böhmen, war ein Land mit zwei Völkern und zwei Spra- ziehungsweise deutsche Minderheiten, etwa in Mähren, Schlesien, Slowakei, chen. Nach der Volkszählung von 1910 waren Budweis (Ceské� Bud�ejovice) und Prag. Die Karpatenrussland), war aber 62,7 Prozent, fast zwei Drittel der Einwohner, Sprachgrenze zwischen Deutsch und Tsche- nicht föderal organisiert. Die Tschechen, die sich im Alltag der tschechischen chisch hatte sich seit dem 16. Jahrhundert ver- Landkarte war für den Gebrauch in Schulen zugelassen. Orte Sprache bedienten. 37,3 Prozent der Einwohner festigt. Sie änderte sich im 19. Jahrhundert nur mit tschechischer Mehrheit betrachteten sich als Deutsche. Ihre Vorfahren geringfügig, etwa durch Zuwanderung der ländli- sind ausschließlich mit ihrem waren im 13. Jahrhundert von den böhmischen chen Bevölkerung tschechischer Sprache in die tschechischen Namen, Orte mit Königen ins Land geholt worden, wo sie brach- Städte und in die Industriegebiete Nordböh- deutscher Mehrheit mit ihrem liegendes Land besiedelten und Städte gründe- mens. deutschen Namen bezeichnet. © Bayerisches Hauptstaatsarchiv ten. Im Lauf der Jahrhunderte hatte sich eine ge- Die Deutschen in Böhmen betrachteten sich München, Sudetendeutsches Archiv genseitige Assimilation vollzogen, was zu einer nicht als Minderheit, denn sie lebten vorwie- Ausbildung geschlossener Sprachgebiete führte. gend in Gebieten, wo sie selbst in der Mehrheit In Nordböhmen, im nördlichen Teil Westböh- waren. Außerdem war im österreichischen Teil mens sowie in den Randregionen Südböhmens der Habsburger-Monarchie, zu dem Böhmen Sächsische Heimatblätter · 2 | 2018 186 Deutsche und Tschechen in der ersten Tschechoslowakischen Republik und im Reichsgau Sudetenland 1918 bis 1945 gehörte, Deutsch die vorherrschende Amts- Gebrauch. Die Bezeichnung setzte sich erst sprache. Von den Deutschen im Deutschen nach der Gründung der Tschechoslowakei Reich unterschied man sich durch zahlreiche durch, weil die Behörden des jungen Staates die kulturelle wie konfessionelle Eigenheiten. Die Verwendung der Begriffe „Deutschböhmen“ Einwohner Böhmens waren Staatsbürger der und „Deutschmährer“ untersagten. österreichisch-ungarischen Monarchie. Am Böhmen war das wirtschaftlich stärkste Kron- Erzgebirgskamm traf dieser Vielvölkerstaat auf land der österreichischen Monarchie. Im vr 19. das 1871 unter preußischer Vorherrschaft ge- Jahrhundert hatte sich ein immenser wirt- bildete Deutsche Reich. Hier bestand zwar kei- schaftlicher Aufschwung vollzogen. Die Indust- ne Sprachgrenze, dafür eine Staats-, Konfessi- rie war aber ungleich verteilt. Vor allem in den ons-, Währungs- und Wirtschaftsgrenze. Die deutschsprachigen Randgebieten Nordböh- Deutschen Böhmens blickten nach Prag und mens waren bedeutende Industriebetriebe ent- Wien, nicht nach Berlin. standen. Bestimmende Wirtschaftszweige wa- Abgesehen von der Sprache waren die Unter- ren die Textilindustrie, der Bergbau, die schiede im Alltagsleben der deutschen und Gebrauchsgüterindustrie und – im Isergebirge tschechischen Bevölkerung eher gering. Die – die Glas- und Schmuckherstellung. Wirt- Einwohner Böhmens waren seit Durchsetzung schaft, Verkehr und Handel waren im ganzen der Gegenreformation fast ausschließlich rö- Land miteinander vernetzt und machten nicht misch-katholischen Glaubens. 1905 bekannten an den Sprachgrenzen halt. Obwohl die Indust- sich 96 Prozent zum Katholizismus. Die katholi- rialisierung auch die Städte in den Randgebie- sche Frömmigkeit bestimmte den Alltag vieler ten Böhmens hatten wachsen lassen, blieb die Menschen. Auch bei der Küche waren die Un- Hauptstadt Prag die prägende Metropole des terschiede marginal. Tschechen wie Deutsche Landes. Auch die Deutschböhmen blickten hatten ähnliche Ess- und Trinkgewohnheiten nach Prag, wo sich die wichtigsten Einrichtun- und verspeisten die gleichen Gerichte. Für das gen des Landes befanden. alltägliche Leben war über Jahrhunderte nicht die Sprache von Bedeutung, sondern die soziale Der Zusammenbruch Österreich-Ungarns Stellung innerhalb der ständisch gegliederten und die Gründung der Tschechoslowaki- Gesellschaft. schen Republik Das Bewusstsein für eine Verschiedenheit der deutsch- und tschechischsprachigen Bevölke- Die tschechische Nationalbewegung ging von ei- rungsteile Böhmens und Mährens setzte erst im nem „historischen und natürlichen Recht“ der 19. Jahrhundert ein, als im „nationalen Zeital- Tschechen an Böhmen und Mähren aus und for- ter“ die Idee ethnisch definierter Nationen pro- derte ein engeres Zusammenwirken der slawi- pagiert wurde, die in eigenen Nationalstaaten schen Völker in Österreich-Ungarn. Diese Bestre- leben. So bildete sich eine tschechische Natio- bungen richteten sich zunächst noch nicht gegen nalbewegung heraus. Wissenschaftliche Verei- die Herrschaft der Habsburger. So verlangten die ne sowie Kultur- und Sportverbände setzten Jungtschechen – Ende des 19. Jahrhunderts die sich für die Anerkennung und Verwendung der dominierende tschechische Partei – zwar einen tschechischen Sprache ein. Dem folgte das Ver- autonomen tschechischen Staat, doch sollte die- langen nach politischer Selbstbestimmung. Die ser innerhalb der Habsburger-Monarchie gebildet „nationale Wiedergeburt“ stärkte das Selbstbe- werden. Im Ersten Weltkrieg kämpften deutsche wusstsein der tschechischen Mehrheit. Diese und tschechische Soldaten gemeinsam in der Ar- identifizierte sich ganz selbstverständlich mit mee Österreich-Ungarns gegen die Kriegsgegner dem gesamten Land, denn in der tschechischen Serbien, Russland und Italien. Mit der Fortdauer Sprache wird nicht zwischen „tschechisch“ und des Krieges wuchs allerdings die Unzufriedenheit „böhmisch“ unterschieden. Dagegen werden in der tschechischen Bevölkerung. der deutschen Sprache für das Land und für das Währenddessen dachten tschechische und slo- slawische Volk verschiedene Begriffe gebraucht. wakische Intellektuelle, die in den USA lebten Die deutschen Landesbewohner betrachteten beziehungsweise nach Kriegsbeginn auf die Seite sich als Deutschböhmen. Der Begriff „Sudeten- der Alliierten getreten waren, über eine neue deutsche“ ist vergleichsweise spät entstanden. Staatsidee nach. Im Hinblick auf die Verwandt- Der Prager Geograf Franz Jesser (1869–1954) schaft der tschechischen und slowakischen Spra- prägte ihn 1902 für die deutschsprachige Bevöl- che entwickelten sie den Gedanken, aus den kerung Böhmens und Mährens. Er leitet sich Ländern der böhmischen Krone und dem slowa- vom Gebirgszug der Sudeten ab, der aber nur kischen Siedlungsgebiet des Königreichs Ungarn einen kleinen Teil des deutschen Sprachgebiets einen neuen Nationalstaat der Tschechen und in Böhmen berührt. Vor 1918 war er kaum in Slowaken zu bilden. Die Slowaken befürchteten, Sächsische Heimatblätter · 2 | 2018 187 Deutsche und Tschechen in der ersten Tschechoslowakischen Republik und im Reichsgau Sudetenland 1918 bis 1945 Postkarte „3 ½ Millionen Deutsche wollen frei sein!“ mit Eintragung des deutschen Siedlungsgebiets in den böhmischen Ländern, 1919. Mit Postkarten wie dieser warben die politischen Vertreter der Provinzen Deutschböhmen und Sudetenland um internationale Anerkennung ihres Selbstbestimmungsrechts. Die Postkarten wurden in hoher Auflage gedruckt und in verschiedenen europäischen Staaten verteilt. © Sammlung ZKG sich ohne die Hilfe der Tschechen nicht aus dem Zwei Tage später proklamierte Masaryk in Wa- ungarischen Staatsverband lösen zu können, shington den unabhängigen tschechoslowaki- während die Tschechen eine slawische Mehrheit schen Staat. Ende Oktober löste sich die Armee im neuen Staat sicherstellen wollten. Der in Österreich-Ungarns auf und die Befehlshaber Mähren geborene Tomáš Garrigue Masaryk mussten in einen Waffenstillstand einwilligen. (1850–1937) und sein Mitarbeiter Edvard Beneš Unter diesen Umständen wurde am 28. Oktober (1884–1948) waren die prägenden Vertreter 1918 in Prag die Tschechoslowakische Republik dieser Staatsidee. 1917 stellten sie aus tschechi- ausgerufen. Der Tschechoslowakische National- schen Soldaten, die in Gefangenschaft geraten ausschuss beschloss das erste Gesetz, betreffend oder zu den Alliierten übergelaufen waren, die die Errichtung des selbständigen tschechoslowa- Tschechoslowakische Legion auf, die auf Seiten kischen Staates. Am 14. November 1918 wurde Frankreichs und Russlands gegen das Deutsche Masaryk von der Tschechoslowakischen Natio- Reich und Österreich-Ungarn kämpfte. Als der nalversammlung zum Präsidenten gewählt, und amerikanische Präsident Woodrow Wilson am 21. Dezember 1918 kehrte er aus dem Exil in (1856–1924) am 8. Januar 1918 in seinem sein Heimatland zurück. 14-Punkte-Programm den Völkern Österreich- Die deutschen Bevölkerungsteile Österreich-Un- Ungarns die „freieste Gelegenheit zu autonomer garns reagierten ebenfalls auf den Zerfall der Entwicklung“ zusprach, war damit noch nicht Habsburger-Monarchie, aber sie waren anders als eine Zerschlagung des Vielvölkerstaats gemeint. die nichtdeutschen Völker nicht auf eine Staats-
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