Aus D E R „Rechts"-Praxis Nationalsozialistischer
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AUS DER „RECHTS"-PRAXIS NATIONALSOZIALISTISCHER SONDERGERICHTE IM „REICHSGAU SUDETENLAND" 1940-1945 Von Freia Anders-Baudisch Ihr wählt euch eure Zeugen. Ihr sichert den Bestand. Wo sich euch Rechte beugen, ist euer Vaterland 1. Politischer Kontext und Forschungsstand „Verbrecher in Richterroben. Dokumente über die verbrecherische Tätigkeit von 230 nazistischen Richtern und Staatsanwälten auf dem okkupierten Gebiet der Tschechoslowakischen RepubHk, die gegenwärtig in der westdeutschen Justiz die- nen", so lautete der deutsche Titel einer mehrsprachig aufgelegten Broschüre, die 1960 in Prag herausgegeben wurde. Wie schon vorher ährüiche in der DDR erschie- nene PubUkationen, versuchte sie auf in der BundesrepubHk Deutschland in Amt und Würden sitzende „Blutrichter" aufmerksam zu mache 2.n Ziel war die Strafver- folgung der NS-Verbrechen verbunden mit propagandistischen Absichten. Die Do- kumentationen wurden jedoch weitgehend von offizieUen Kreisen der Bundesrepu- bHk Deutschland ignoriert und diffamiert. Auch das Angebot der Justizminister in Prag und Warschau sowie des Generalstaatsanwalts der DDR, in ihrem Besitz be- findliche Akten deutscher Sondergerichte einer kompetenten Untersuchungskom- mission zur Verfügung zu steUen, stießen in der BRD auf wenig Gegeninteresse. Unter den Juristen, die durch die Veröffentlichung des tschechoslowakischen Ver- bandes der antifaschistischen Widerstandskämpfer wegen ihrer Tätigkeit an den Son- dergerichten in Prag und Brunn (Brno), aber auch im Reichsgau Sudetenland schwer belastet wurden, befanden sich Clemens Feldmann, derzeit Oberlandesgerichtsrat an der poHtischen Kammer des OLGs Düsseldorf und Dr. Friedrich Seifert, Landge- richtsdirektor in Augsburg, als maßgebHch Verantwortliche für die Rechtsprechung des Sondergerichts Eger (Cheb) zwischen 1940 und 1945, sowie Dr. Franz Holczak, Landgerichtsdirektor in Memmingen, ehemaHger Vorsitzender des Sondergerichts Troppau (Opava). Der Ausgang der Ermittlungen war typisch für den Umgang der bundesrepubHkanischen Justiz mit NS-belasteten Juristen: Die Strafanzeige gegen Feldmann verHef im Sande, Seifert wurde die vorzeitige Pensionierung angetragen. 1 Letzte Strophe des 1921 verfaßten, fast prophetisch anmutenden Gedichtes von Kurt Tucholsky: „Deutsche Richtergeneration 1940". In: Ders.: PoUtische Justiz. Reinbek bei Hamburg 1988,15 f. 2 Bästlein, Klaus: „Nazi-Blutrichter als Stützen des Adenauer-Regimes". Die DDR-Kam- pagnen gegen NS-Richter und -Staatsanwälte, die Reaktionen der bundesdeutschen Justiz und ihre gescheiterte „Selbstreinigung" 1957- 1968. In: Die Normaütät des Verbrechens. Büanz und Perspektiven der Forschung zu den nationalsoziaUstischen Gewaltverbrechen. Hrsg. v. dems., Helge Grabitz und Johannes Tuchel. BerHn 1994, 408-430. 332 Bohemia Band 40 (1999) Der in der ČSSR als „Kriegsverbrecher" eingestufte Holczak war bereits kurz zuvor in den Ruhestan d gegangen 3. Die Problemati k der juristischen NS-Verbreche n verlor an öffentlichem Interesse. Erst 1983 bemühte sich die SPD-Fraktio n über einen im Bundestag gesteüten An- trag, die „Nichtigkeit der Entscheidungen der als Volksgerichtshof und Sonderge- richt e bezeichneten Werkzeuge des nationalsoziaUstischen Unrechtsregimes" uz erwirken 4, konnte sich aber gegen die Ansicht des Bundesjustizministerium s und der CDU , bei einer Nichtigkeitserklärung von Sondergerichtsurteüen würden Urteüe gegen „SchwerstkriminaHtät " aufgehoben5, nicht durchsetzen . Seit Ende der achtzi- ger Jahre wurden einzelne Urteüe überprüft, und in einigen Bundesländern bemühte man sich um die Aufarbeitung der regionalen Justiz6. Der poUtische Kontext der Forschun g zur Sondergerichtsbarkeit veränderte sich erst im Mai 1998, als sich das Parlamen t zur Verabschiedung eines „Gesetzes über die Aufhebung nationalsoziaU- stischer Unrechtsurteü e in der Strafrechtspflege" durchringen konnte 7. Mttlerweü e hat sich in der bundesrepubHkanische n Historiographie ein Zweig etabHert , der sich „Juristische Zeitgeschichte" nennt8, und das NS-Recht in den Kontex t längerer EntwicklungsHnien und Kontinuitäte n steUt. Dies betrifft Fragen rechtsphilosophischer , normativer, organisations- und institutionsgeschichdiche r Art ebenso wie Fragen nach den Auswirkungen von Herrschaftstechniken, bürokra- tischer Vorschriftsmäßigkeit und justitieüer NormaHtät . Dennoc h herrsch t ein Man- gel an rechtsvergleichende n Studien über die Sondergerichtsbarkeit 9 und an Unter- suchunge n über den Anteü der Justiz an der Herrschaftsstabüisierung; sowohl für das langsam in Aufarbeitung begriffene Feld der Justiztätigkeit auf dem Gebiet des „Altreiches " als auch besonders für die Funktion des Rechtswesens in den von Deutschlan d im Zweiten Weltkrieg okkupierte n Ländern . In den grundlegenden Forschungen zur BesatzungspoHtik gegenüber der Tsche- choslowakei spielt die Justiz nur eine untergeordnet e RoUe. Daß gerade auch ihr eine 3 Ungesühnte Nazijustiz. Hundert Urteü e klagen ihre Richter an. Hrsg. v. Wolfgang Kop- pel. Karlsruhe 1960, 68 ff. -Justiz im Zwieücht. Hrsg. v. Wolfgang Koppel. Karlsruhe 1963, 81. 4 Bundestag-Drucksache (im folgenden BT-Drucksache ) 10 (1983) 116. 5 Stenographische ProtokoU e über die Sitzungen des Rechtsausschusse s des Deutsche n Bun- destages. 10. Wahlperiode . 6. Ausschuß (18./28.3.1984) 26 f. 6 Siehe diesbezügUche PubUkatione n des Senators für Justiz und Verfassung der Freien Hansestad t Bremen, der Justizbehörd e Hamburg und des Justizministerium s Rheinland- Pfalz. 7 BT-Drucksache 13, 10848. — Zur Erläuterun g siehe auch die Frankfurte r Rundschau vom 29.5.1998. — Die Verabschiedung des Gesetzes muß im Kontext der Diskussion um die Auseinandersetzun g mit der Vergangenheit der Rechtsprechun g gesehen werden, die das Bemühe n um strafrechtliche Verfolgung von DDR-Poütikern , Juristen und Militärangehö - rigen ausgelöst hatte . 8 Juristische Zeitgeschichte - Ein neues Fach? Hrsg. v. Michael Stolleis. Baden-Baden 1993. 9 uZ den neuesten PubUkatione n vgl. die Sammelrezension von Hirsch, Harald. In: Jus Commune . Zeitschrift für Europäische Rechtsgeschicht e XXVI. Frankfur t a.M., 498-505. F. Anders-Baudisch, Aus der „Rechts "-Praxis nationalsozialistischer Sondergerichte 333 wichtige Bedeutung für die Legitimierung der Repression gegenüber dem tschechi- schen Widerstand zukommt, belegen die Ergebnisse der bisher umfangreichsten Untersuchun g zum Volksgerichtshof: Klaus Marxen kommt zu dem Schluß, daß die Version vom deutschen Volk als Objekt und Opfer des Gerichtes die Deutschen über Gebühr entlastet; war der Volksgerichtshof doch hauptsächUch ein Gericht über Angehörige anderer Nationen ; ein Gericht , das einen wichtigen Beitrag bei der Sicherun g eroberter Gebiete leistete. Wesentlicher Faktor seiner Tätigkeit war die Aburteüun g des ausländischen Widerstandes. Die sogenannten Annexionsverfahren gegen Angehörige fremder Nationen bÜdeten nicht nur mit Abstand die größte Verfahrensgruppe , mehr als die Hälfte der Verfahren richtete sich ausschUeßUch gegen den tschechischen Widerstand, ebenso viele Todesurteüe betrafen Protekto- ratsangehörig e 10. Solcherart Ergebnisse verweisen auf die Notwendigkeit, Funktion und Bedeutung der Justiz auf den unterschiedhchste n Behördenebene n für die Be- satzungspoUti k gegenüber der Tschechoslowake i herauszuarbeiten n, und dabei auch den ki der Forschung über die böhmischen Länder lange Zeit vernachlässigten „Reichsga u Sudetenland " einzubeziehen 12. Dabei ist die QueUenlage im Vergleich zu andere n Regionen mehr als günstig zu bezeichnen, läßt sich doch die Tätigkeit der drei Sondergerichte im Reichsgau Sudetenland — Eger, Leitmeritz (Litoměřice ) und Troppa u - trotz teüweiser Aktenverluste relativ voüständig dokumentieren 13. Über Marxen , Klaus: Das Volk und sein Gerichtshof. Eine Studie zum nationalsoziaUstische n Volksgerichtshof. Frankfur t a.M. 1994, 31 ff, hier 49. - Schlüter, Holger: Die Urteüspra - xis des nationalsoziaUstische n Volksgerichtshofes. Münster 1995, 190 ff. Vorüegende r Text präsentiert Teüergebnisse aus der Magisterarbeit der Verfasserin, die 1997 an der Fakultät für Geschichtswissenschafte n der Universität Bielefeld unter dem Ti- tel „Nationalsoziaüstisch e Sondergerichte im Reichsgau Sudetenland. Ein Beitrag zur Er- forschung der nationalsoziaUstische n Strafjustiz in Böhmen und Mähren " vorgelegt wurde. Es schüeßt ein Dissertationsprojek t an, das die unterschiedUche n Ebenen der Strafjustiz vergleichend in den Kontex t der Besatzungspoüti k steüt. Zur Vernachlässigung vgl. Křen , Jan: Unsere Geschichte . In: Češi a Němci - historick á tabu [Tscheche n und Deutsch e - historische Tabus]. Prag 1995, 41-46. - Neuestens siehe Gebel , Ralf: „Heim ins Reich". Konrad Henlein und der Reichsgau Sudetenland (1938- 1945). München 1999 (Veröffentlichungen des CoUegium CaroUnum 83). - Und Zim- mermann , Volker: Die Sudetendeutsche n im NS-Staat . Poüti k und Stimmun g im Reichs- gau Sudetenland (1938- 1945). Essen 1999. - Zur Organisation des Gerichtswesens Ma- cek, Jaroslav: Okupační justice v českém pohraničí a její vývoj [Die Okkupationsjusti z im tschechische n Grenzgebiet und ihre Entwicklung]. Sborní k archivních prací 1963, 63-118. - Ders.: Nacistick á justice v pohraničí 1938 - 1945 [Nationalsoziaüstische Justiz im Grenzgebiet] . Ústeck ý sborník historický (1966) 139-172. Die umfangreichste Überüeferung bietet das Sondergericht Eger mit Registern für Vor- und Hauptverfahre n von 1940 bis 1945 und 1345 Verfahrensakten der Staatsanwaltschaft gegen rund 1800 Personen, darunte r 1215 in Hauptverfahre n abgeurteüte Personen. Ob- wohl