Oktober 2013 – Nr
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hamis -C so n - o P v - r t e r i s e 2 b l 0 e 1 d 3 A *** Oktober 2013 – Nr. 9 :: Vom französischen Emigranten zum deutschen Dichter :: Nachlassforschung und Editionen im Internet :: György Dalos zum 70. Geburtstag PARTNER DER ROBERT BOSCH STIFTUNG AUF DER FRANKFURTER UND LEIPZIGER BUCHMESSE Inhalt :: 3 4 Adelbert von Chamisso – Liebe Leserinnen und Leser, ein früher Bote im internationalen Kulturaustausch in dieser neunten Ausgabe des Chamisso widmen Als Dichter, Übersetzer, Botaniker, Ethnologe… wir uns ausführlich dem Namensgeber unseres ein Grenzgänger Preises, dem Dichter und Naturforscher Adelbert von Von Klaus-Dieter Lehmann Chamisso (1781–1838). Seine berühmte Novelle Peter Schlemihls wundersame Geschichte erschien erstmals 9 Vom französischen Adelsemigranten vor 200 Jahren und ist bis heute lesenswert. zum deutschen Dichter Zu Chamissos literarischem Sprachwechsel Ein Kongress hat sich im Mai 2013 in Berlin unter Von René-Marc Pille dem Titel »Phantastik und Skepsis« mit Chamisso als Wanderer zwischen Literatur, Wissenschaft und zwi- 11 Die Stunde der Editorinnen schen den Kulturen beschäftigt. Welche Rolle dabei Wissenschaftliche Editionen im Internet heute auch der Adelbert-von-Chamisso-Preis spielt, und Buchneuerscheinungen erläutert Klaus-Dieter Lehmann in seinem hier exklu- Von Michael Bienert siv abgedruckten Eröffnungsvortrag. Viele der Preisträger haben mit Adelbert von 15 »schwärmend in fremdartiges Chamisso den Wechsel von ihrer Muttersprache in das mich umzusehen« Deutsche als literarische Sprache gemeinsam – ein Chamissos Korrespondenzen im Januar 1821 Grund mehr, den sprachlichen Aspekt in seinem Leben Von Monika Sproll genauer zu betrachten. Überaus interessante Aufschlüsse über sein Denken und Handeln, sein Alltagsleben oder 19 Mit Siebenmeilenstiefeln durch Berlin seine Korrespondenz kann man aus erster Hand von Chamissos Berlin im Jahr 1832 – und heute den Wissenschaftlerinnen der Staatsbibliothek zu Von Michael Bienert Berlin erfahren, etwa aus einem gerade erst ausgewer- teten persönlichen Briefkalender. 22 Heitere Genauigkeit Zum siebzigsten Geburtstag von György Dalos Begeisterte Spaziergänger wissen längst, dass man Von Zsuzsanna Gahse sich Literatur gewissermaßen »erwandern« kann – dazu lädt unser Berlin-Stadtplan mit den Schauplätzen 25 Manches wird einem geschenkt … aus Chamissos Leben und Wirken ein. Außerdem er- Ein Nachruf auf Jean Krier (1949 –2013) fahren Sie, welche Möglichkeiten neue Editionen im Von Jürgen Ritte Internet bieten – Literaturwissenschaft digital! 30 LesArt.2013 Wir gedenken in dieser Ausgabe des im Januar 2013 Die Chamisso-Tage zu Gast an der Ruhr verstorbenen Dichters Jean Krier aus Luxemburg. In Von Klauspeter Sachau einem Porträt stellen wir außerdem den ungarischen Schriftsteller György Dalos zu seinem 70. Geburtstag 32 Neue Bücher von Adelbert-von- vor. Und wir blicken auf die Chamisso-Tage an der Chamisso-Preisträgern Ruhr 2013, die im Rahmen des LesArt.Festival in meh- Von Klaus Hübner reren Städten des Ruhrgebietes Chamisso-Preisträger zu Werkstätten und öffentlichen Lesungen versammeln. 34 Neuigkeiten Auszeichnungen, Novitäten Wir wünschen Ihnen viel Vergnügen mit dieser Aus- gabe des Chamisso und interessante Neuentdeckungen. 35 Mitarbeiterinnen/Mitarbeiter Impressum 4::Grenzgänger Adelbert von Chamisso – ein früher Bote im internationalen Kulturaustausch Als Dichter und Übersetzer, Botaniker, Zoologe, Sprachwissenschaftler und Ethnologe war er auch in seinen Interessen ein Grenzgänger Von Klaus-Dieter Lehmann »Franzose in Deutschland und Deutscher in Frank- päische Themen, Quellen und Motive in seinen Reise- reich, Katholik bei den Protestanten, Protestant bei berichten und Gedichten machten die Ferne und den Katholiken, Philosoph bei den Gläubigen und Fremde für seine Leserschaft erlebbar. […] Heuchler bei den Männern des Ressentiments, Jakobi- ner bei den Aristokraten und Mann des ancien régime Adelbert von Chamisso war Vieles in seinem bei den Demokraten. Ich habe nichts, wohin ich gehöre, Leben, ein Grenzgänger auch in seinen Interessen: Er ich bin überall fremd.« Sie alle kennen dieses berühm- war ein ungewöhnlicher Dichter und Übersetzer, ein te Zitat aus einem Briefwechsel Adelbert von Chamis- exzellenter Botaniker, Zoologe, Sprachwissenschaftler sos mit seiner guten Freundin Madame Germaine de und Ethnologe. Staël. Zwei Herzen schlugen in seiner Brust – ein fran- Der Dichter Chamisso wurde in viele Richtungen zösisches und ein deutsches –, und dieser Hintergrund rezipiert. Heinrich Heine feierte ihn als »modernen« war ihm ein Leben lang richtungsweisend. Er floh als und »jungen« deutschen Schriftsteller, er reklamierte Sohn einer adligen Familie vor der französischen Revo- ihn für die zeit- und romantikkritische Vormärzlitera- lution nach Preußen, wo er wiederum auf Französisch tur. Jungdeutsche Autoren wie Georg Herwegh und erzogen wurde. Er trat in den Militärdienst ein, kämpf- Heinrich Laube verorteten Chamisso begeistert als te im deutsch-französischen Krieg von 1806 auf preu- Wegbereiter einer politischen Lyrik, die sich den Nöten ßischer Seite. Gedichtet hat er stets auf Deutsch, doch der kleinen Leute widmete. Doch blieb er trotz seiner ist gleichermaßen überliefert, dass er bis an sein dezidierten Begeisterung für den demokratischen Lebensende mit starkem französischem Akzent ge- Meinungsbildungsprozess, trotz seiner zahlreichen sprochen hat. Übersetzungen politischer französischer Lyrik stets Chamisso wanderte ruhelos zwischen den Grenzen liberaler Einzelgänger, er ordnete sich nicht fest ein in und Kulturen, denen seiner eigenen Identität und Her- die Reihen politischer Dichter seiner Zeit. Trotzdem kunft, aber auch ganz unmittelbar auf seiner dreijäh- war er in seiner Wirkung hoch politisch. Seine Waffe rigen Weltreise, die ihm einen Blick von außen auf war das Wort, seine Stärke, im Gedicht zu zeigen, Europa ermöglichte. Aus dieser rastlosen Neugier her- wofür er stand. Die Lyrik war für viele Autoren jener aus wurde er zu einem sehr frühen und bedeutenden Zeit die wichtigste Gattung, in der sie Absichten aus- Boten im internationalen Kulturaustausch, weit über drücken konnten, ohne dass die Zensur gleich ein- den deutsch-französischen Austausch hinaus, den er schritt. Hoffmann von Fallersleben war ein solcher vor allem durch seine intensive literarische Überset- Weggefährte. Seine politisch-literarischen Aktivitäten zertätigkeit maßgeblich prägte. Zahlreiche außereuro- sind ihm nicht gut bekommen. Die Handschriften und Grenzgänger :: 5 Bildnis Adelbert von Chamissos unbekannter Provenienz Drucke aus dem Besitz von Hoffmann von Fallersleben Erfolg seiner literarischen Karriere, romantisch an. hatte die Staatsbibliothek schon 1850 durch Kauf er- Doch stellen sich beim genaueren Hinsehen glasklare worben. gesellschaftskritische Elemente und die Beschreibung von prosaischen Alltagsverhältnissen heraus. Über die Jahre hinweg distanzierte Chamisso sich Neugier auf Fremdes und Respekt immer mehr von der romantischen Schwärmerei, nicht gegenüber allen Kulturen zuletzt durch die Erfahrungen auf seiner Weltreise, die für ihn zum Aufklärungsprojekt wurde. Heute wird er oft als »aufgeklärter Romantiker« verstanden, auch als Die schwierige Einordnung von Adelbert von Dichter in Herders Sinn, wie Chamisso-Biograf Peter Chamissos Position in der zeitkritischen Literatur Lahnstein schreibt: »›Stimmen der Völker‹ tönen hun- glaubte man dadurch zu lösen, dass man ihn der dertfältig aus seinem Werk; neben den deutschen und Romantik zuschlug. Diese Zuordnung zur Romantik ist französischen spanische, baskische, korsische Stim- wohl im wesentlichen seiner Mitgliedschaft im »Nord- men, polnisch-jüdische, ungarische, nordische, russi- sternbund« geschuldet, ein Zusammenschluss junger sche; Stimmen aus dem alten Orient, aus Amerika, aus Lyriker und Autoren der Berliner Romantik wie Karl der Südsee. In seinen Gedichten fließt es ineinander: August Varnhagen, Wilhelm Neumann, Louis de La Foye, Aufnehmen und Gestaltung fremder Motive, Nach- David Ferdinand Koreff oder seinem späteren guten dichtung und Übersetzung.« Freund Julius Eduard Hitzig. Natürlich mutet auch die Wie kam es zur Weltreise des Dichters? Chamisso märchenhafte Geschichte des Schlemihl, der wichtigste vollzog noch im Jahr, in dem er den Schlemihl schrieb, 6::Grenzgänger Begegnungen mit den Einwohnern der Penrhyn-Inseln Der hawaiianische König mit Kotzebue, Chamisso und Choris während der Weltumseglung mit der »Rurik« (aus Chamissos Reise um die Welt) eine Kehrtwende in seinem Werdegang und widmete Auf seiner Reise war Chamisso ebenso sehr Natur- sich in den Jahren 1812 bis 1814 dem Studium der beobachter wie Beobachter der Menschen, ihrer sozia- Botanik, der Zoologie und der vergleichenden Anato- len Umstände, der politischen Verhältnisse. Er warf mie an der Universität Berlin. Man könnte meinen, der einen strengen Blick auf die Kolonisierung, auf den heimatlose Chamisso suchte sich eine geistige Heimat Sklavenhandel und das Missionarstum. Der Kontakt zu in der Wissenschaft. Im Rahmen seiner Forschungen den unterschiedlichen Kulturen und Gesellschaften, zu wurde der Ruf hinaus in die Welt für Chamisso immer anderen Religionen hat ihn zu einem offenen Geist lauter, und er brach nur zu gerne zu einer Weltreise an werden lassen, er war neugierig auf das Fremde und Bord der russischen Brigg »Rurik« auf. Die Reise hatte respektierte andere Kulturen. selbst für heutige Verhältnisse unglaubliche Ausmaße – drei Jahre lang segelte Chamisso von Kopenhagen über Der Dichter, Weltreisende und Kulturvermittler