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Oktober 2013 – Nr. 9

:: Vom französischen Emigranten zum deutschen Dichter

:: Nachlassforschung und Editionen im Internet

:: György Dalos zum 70. Geburtstag PARTNER DER ROBERT BOSCH STIFTUNG AUF DER FRANKFURTER UND LEIPZIGER BUCHMESSE Inhalt :: 3

4 – Liebe Leserinnen und Leser, ein früher Bote im internationalen Kulturaustausch in dieser neunten Ausgabe des Chamisso widmen Als Dichter, Übersetzer, Botaniker, Ethnologe… wir uns ausführlich dem Namensgeber unseres ein Grenzgänger Preises, dem Dichter und Naturforscher Adelbert von Von Klaus-Dieter Lehmann Chamisso (1781–1838). Seine berühmte Novelle Peter Schlemihls wundersame Geschichte erschien erstmals 9 Vom französischen Adelsemigranten vor 200 Jahren und ist bis heute lesenswert. zum deutschen Dichter Zu Chamissos literarischem Sprachwechsel Ein Kongress hat sich im Mai 2013 in Berlin unter Von René-Marc Pille dem Titel »Phantastik und Skepsis« mit Chamisso als Wanderer zwischen Literatur, Wissenschaft und zwi- 11 Die Stunde der Editorinnen schen den Kulturen beschäftigt. Welche Rolle dabei Wissenschaftliche Editionen im Internet heute auch der Adelbert-von-Chamisso-Preis spielt, und Buchneuerscheinungen erläutert Klaus-Dieter Lehmann in seinem hier exklu- Von Michael Bienert siv abgedruckten Eröffnungsvortrag. Viele der Preisträger haben mit Adelbert von 15 »schwärmend in fremdartiges Chamisso den Wechsel von ihrer Muttersprache in das mich umzusehen« Deutsche als literarische Sprache gemeinsam – ein Chamissos Korrespondenzen im Januar 1821 Grund mehr, den sprachlichen Aspekt in seinem Leben Von Monika Sproll genauer zu betrachten. Überaus interessante Aufschlüsse über sein Denken und Handeln, sein Alltagsleben oder 19 Mit Siebenmeilenstiefeln durch Berlin seine Korrespondenz kann man aus erster Hand von Chamissos Berlin im Jahr 1832 – und heute den Wissenschaftlerinnen der Staatsbibliothek zu Von Michael Bienert Berlin erfahren, etwa aus einem gerade erst ausgewer- teten persönlichen Briefkalender. 22 Heitere Genauigkeit Zum siebzigsten Geburtstag von György Dalos Begeisterte Spaziergänger wissen längst, dass man Von Zsuzsanna Gahse sich Literatur gewissermaßen »erwandern« kann – dazu lädt unser Berlin-Stadtplan mit den Schauplätzen 25 Manches wird einem geschenkt … aus Chamissos Leben und Wirken ein. Außerdem er- Ein Nachruf auf Jean Krier (1949 –2013) fahren Sie, welche Möglichkeiten neue Editionen im Von Jürgen Ritte Internet bieten – Literaturwissenschaft digital! 30 LesArt.2013 Wir gedenken in dieser Ausgabe des im Januar 2013 Die Chamisso-Tage zu Gast an der Ruhr verstorbenen Dichters Jean Krier aus Luxemburg. In Von Klauspeter Sachau einem Porträt stellen wir außerdem den ungarischen Schriftsteller György Dalos zu seinem 70. Geburtstag 32 Neue Bücher von Adelbert-von- vor. Und wir blicken auf die Chamisso-Tage an der Chamisso-Preisträgern Ruhr 2013, die im Rahmen des LesArt.Festival in meh- Von Klaus Hübner reren Städten des Ruhrgebietes Chamisso-Preisträger zu Werkstätten und öffentlichen Lesungen versammeln. 34 Neuigkeiten Auszeichnungen, Novitäten Wir wünschen Ihnen viel Vergnügen mit dieser Aus- gabe des Chamisso und interessante Neuentdeckungen. 35 Mitarbeiterinnen/Mitarbeiter Impressum 4::Grenzgänger

Adelbert von Chamisso – ein früher Bote im internationalen Kulturaustausch

Als Dichter und Übersetzer, Botaniker, Zoologe, Sprachwissenschaftler und Ethnologe war er auch in seinen Interessen ein Grenzgänger

Von Klaus-Dieter Lehmann

»Franzose in Deutschland und Deutscher in Frank- päische Themen, Quellen und Motive in seinen Reise- reich, Katholik bei den Protestanten, Protestant bei berichten und Gedichten machten die Ferne und den Katholiken, Philosoph bei den Gläubigen und Fremde für seine Leserschaft erlebbar. […] Heuchler bei den Männern des Ressentiments, Jakobi- ner bei den Aristokraten und Mann des ancien régime Adelbert von Chamisso war Vieles in seinem bei den Demokraten. Ich habe nichts, wohin ich gehöre, Leben, ein Grenzgänger auch in seinen Interessen: Er ich bin überall fremd.« Sie alle kennen dieses berühm- war ein ungewöhnlicher Dichter und Übersetzer, ein te Zitat aus einem Briefwechsel Adelbert von Chamis- exzellenter Botaniker, Zoologe, Sprachwissenschaftler sos mit seiner guten Freundin Madame Germaine de und Ethnologe. Staël. Zwei Herzen schlugen in seiner Brust – ein fran- Der Dichter Chamisso wurde in viele Richtungen zösisches und ein deutsches –, und dieser Hintergrund rezipiert. feierte ihn als »modernen« war ihm ein Leben lang richtungsweisend. Er floh als und »jungen« deutschen Schriftsteller, er reklamierte Sohn einer adligen Familie vor der französischen Revo- ihn für die zeit- und romantikkritische Vormärzlitera- lution nach Preußen, wo er wiederum auf Französisch tur. Jungdeutsche Autoren wie Georg Herwegh und erzogen wurde. Er trat in den Militärdienst ein, kämpf- Heinrich Laube verorteten Chamisso begeistert als te im deutsch-französischen Krieg von 1806 auf preu- Wegbereiter einer politischen Lyrik, die sich den Nöten ßischer Seite. Gedichtet hat er stets auf Deutsch, doch der kleinen Leute widmete. Doch blieb er trotz seiner ist gleichermaßen überliefert, dass er bis an sein dezidierten Begeisterung für den demokratischen Lebensende mit starkem französischem Akzent ge- Meinungsbildungsprozess, trotz seiner zahlreichen sprochen hat. Übersetzungen politischer französischer Lyrik stets Chamisso wanderte ruhelos zwischen den Grenzen liberaler Einzelgänger, er ordnete sich nicht fest ein in und Kulturen, denen seiner eigenen Identität und Her- die Reihen politischer Dichter seiner Zeit. Trotzdem kunft, aber auch ganz unmittelbar auf seiner dreijäh- war er in seiner Wirkung hoch politisch. Seine Waffe rigen Weltreise, die ihm einen Blick von außen auf war das Wort, seine Stärke, im Gedicht zu zeigen, Europa ermöglichte. Aus dieser rastlosen Neugier her- wofür er stand. Die Lyrik war für viele Autoren jener aus wurde er zu einem sehr frühen und bedeutenden Zeit die wichtigste Gattung, in der sie Absichten aus- Boten im internationalen Kulturaustausch, weit über drücken konnten, ohne dass die Zensur gleich ein- den deutsch-französischen Austausch hinaus, den er schritt. Hoffmann von Fallersleben war ein solcher vor allem durch seine intensive literarische Überset- Weggefährte. Seine politisch-literarischen Aktivitäten zertätigkeit maßgeblich prägte. Zahlreiche außereuro- sind ihm nicht gut bekommen. Die Handschriften und Grenzgänger :: 5

Bildnis Adelbert von Chamissos unbekannter Provenienz

Drucke aus dem Besitz von Hoffmann von Fallersleben Erfolg seiner literarischen Karriere, romantisch an. hatte die Staatsbibliothek schon 1850 durch Kauf er- Doch stellen sich beim genaueren Hinsehen glasklare worben. gesellschaftskritische Elemente und die Beschreibung von prosaischen Alltagsverhältnissen heraus. Über die Jahre hinweg distanzierte Chamisso sich Neugier auf Fremdes und Respekt immer mehr von der romantischen Schwärmerei, nicht gegenüber allen Kulturen zuletzt durch die Erfahrungen auf seiner Weltreise, die für ihn zum Aufklärungsprojekt wurde. Heute wird er oft als »aufgeklärter Romantiker« verstanden, auch als Die schwierige Einordnung von Adelbert von Dichter in Herders Sinn, wie Chamisso-Biograf Peter Chamissos Position in der zeitkritischen Literatur Lahnstein schreibt: »›Stimmen der Völker‹ tönen hun- glaubte man dadurch zu lösen, dass man ihn der dertfältig aus seinem Werk; neben den deutschen und Romantik zuschlug. Diese Zuordnung zur Romantik ist französischen spanische, baskische, korsische Stim- wohl im wesentlichen seiner Mitgliedschaft im »Nord- men, polnisch-jüdische, ungarische, nordische, russi- sternbund« geschuldet, ein Zusammenschluss junger sche; Stimmen aus dem alten Orient, aus Amerika, aus Lyriker und Autoren der Berliner Romantik wie Karl der Südsee. In seinen Gedichten fließt es ineinander: August Varnhagen, Wilhelm Neumann, Louis de La Foye, Aufnehmen und Gestaltung fremder Motive, Nach- David Ferdinand Koreff oder seinem späteren guten dichtung und Übersetzung.« Freund Julius Eduard Hitzig. Natürlich mutet auch die Wie kam es zur Weltreise des Dichters? Chamisso märchenhafte Geschichte des Schlemihl, der wichtigste vollzog noch im Jahr, in dem er den Schlemihl schrieb, 6::Grenzgänger

Begegnungen mit den Einwohnern der Penrhyn-Inseln Der hawaiianische König mit Kotzebue, Chamisso und Choris während der Weltumseglung mit der »Rurik« (aus Chamissos Reise um die Welt)

eine Kehrtwende in seinem Werdegang und widmete Auf seiner Reise war Chamisso ebenso sehr Natur- sich in den Jahren 1812 bis 1814 dem Studium der beobachter wie Beobachter der Menschen, ihrer sozia- Botanik, der Zoologie und der vergleichenden Anato- len Umstände, der politischen Verhältnisse. Er warf mie an der Universität Berlin. Man könnte meinen, der einen strengen Blick auf die Kolonisierung, auf den heimatlose Chamisso suchte sich eine geistige Heimat Sklavenhandel und das Missionarstum. Der Kontakt zu in der Wissenschaft. Im Rahmen seiner Forschungen den unterschiedlichen Kulturen und Gesellschaften, zu wurde der Ruf hinaus in die Welt für Chamisso immer anderen Religionen hat ihn zu einem offenen Geist lauter, und er brach nur zu gerne zu einer Weltreise an werden lassen, er war neugierig auf das Fremde und Bord der russischen Brigg »Rurik« auf. Die Reise hatte respektierte andere Kulturen. selbst für heutige Verhältnisse unglaubliche Ausmaße – drei Jahre lang segelte Chamisso von Kopenhagen über Der Dichter, Weltreisende und Kulturvermittler Plymouth gen Süden, über Brasilien um das Kap Horn, Chamisso kann uns heute Inspiration sein, wenn wir in über die Südseeinseln Salas y Gomes, Osterinseln, einer immer komplexer werdenden Welt auf der Suche Ratak, nach Kamtschatka und Alaska (wo es bis heute sind nach Wegen für einen nachhaltigen Kulturaus- ein »Chamisso-Island« gibt), zurück nach Süden, tausch. […] Kalifornien, danach Hawaii, gefolgt von einem zweiten Vorstoß nach Norden, wieder über Hawaii zurück gen Westen, Guam, Philippinen, Sunda-Straße, Kapstadt, Ein früher Liebhaber des europäischen St. Helena, London, Kopenhagen, Reval, Kronstadt, Gedankens St. Petersburg und schließlich Swinemünde. Von der Reise schrieb er an seinen guten Freund Julius Eduard Hitzig: »Es gibt Zeiten, wo ich zu meinem armen Her- Wie lässt sich die globalisierte Welt – hier borge ich zen sage: Du bist ein Narr, so müßig umherzuschwei- mir einen Ausdruck des ungarischen Schriftstellers fen! Warum bliebest Du nicht zu Hause und studirest Péter Esterházy – lesbar machen? Es genügt nicht, nur etwas Rechtes, da Du doch die Wissenschaft zu lieben eine riesige Wissens- und Informationsmaschine in vorgibst? Und das auch ist eine Täuschung, denn ich Gang zu halten. Es bedarf einer verständlichen, nutzer- athme doch durch alle Poren zu allen Momenten neue freundlichen und zeitgemäßen Bedienungsanleitung, Erfahrungen ein.« einer Kompetenz und Urteilskraft. Offenheit und Grenzgänger :: 7

Neugierde auf fremde Denk- und Lebenswelten, wie sie Er setzte sich in seinen Gedichten immer wieder auch Chamisso eigen waren, sind dafür eine wichtige mit der politischen Lage auseinander, auch hier spielte Voraussetzung. So versucht auch das Goethe-Institut der Gedanke des Europäischen stets eine zentrale in seinen weltweiten Tätigkeiten stets einen offen, neu- Rolle – literarisch-kulturell und gesellschaftlich-poli- gierigen und respektvollen Blick auf die Welt und das tisch. Seine in der Rezeption als »europäische Ge- jeweilige kulturelle Gegenüber in unseren Gastländern dichte« bezeichneten lyrischen Arbeiten, es handelt zu bewahren. Das ist eine wichtige Prämisse unserer sich dabei um rund 80 Einzelwerke, stellen sehr kon- Arbeit. Gerade weil diese Welt so viel Unterschiede, krete tagespolitische Bezüge her: zum spanischen Ungleichzeitigkeiten und Brüche zeigt, weil sie ein Widerstand gegen das napoleonische Frankreich, zum hohes Maß an Anpassungsfähigkeit und Veränderungs- Dekabristenaufstand in Russland von 1825, zum polni- bereitschaft der Menschen abfordert und die Integra- schen Aufstand gegen das zaristische Russland 1830 tionsfähigkeit von Gesellschaften auf eine harte Probe oder zum griechischen Freiheitskrieg. Bemerkenswert stellt, sind Weltformeln oder weltumspannende Steue- sind in diesem Kontext auch seine Übertragungen rungssysteme nicht die Lösung. Es muss im Gegenteil und Bearbeitungen der politischen Volkslieder von ein Weg gefunden werden, der ein kritisches, fantasie- Béranger – 44 an der Zahl. Doch behandeln seine volles Gespräch mit und in der Welt ermöglicht, der Gedichte stets auch »allgemeinmenschliche Themen« unsere starren Klischees hinterfragt und der sich wie die Liebe, den Tod, die Treue, den Mut usw. Unter- glaubwürdig um einen Dialog bemüht. […] schwellige Botschaft war dabei laut Edward Monin, Ich schreibe den Begriffen der Nah- und Fern- »daß Chamissos Leser sich ihrer mit anderen Euro- kompetenz im internationalen Kulturaustausch eine päern geteilten Humanität bewusster werden sollten.« wichtige Bedeutung zu. Wir müssen uns auf den euro- päischen Gedanken besinnen, bevor wir sinnvoll welt- weit aktiv werden können. Deutschland hat als Mittel- Wenn eine Sprache mitsingt land in Europa eine besondere Verantwortung für oder mitklingt einen gemeinsamen Kulturraum. Europa ist mehr als Euroland, es ist ein Kultur- und Bildungsprojekt. […] Europa war auch schon für Chamisso ein wichtiges Bei diesem Blick auf die Biografie Chamissos er- Thema. Bei ihm flossen die Neugier auf fremde Welten schließt es sich sofort, dass die Robert Bosch Stiftung, und das Bewusstsein für Europa ineinander. Nicht um- in den Anfängen noch begleitet von der Bayerischen sonst hat die Autorin Beatrix Langner ihre Chamisso- Akademie der Schönen Künste und dem Institut für Biografie von 2009 Der wilde Europäer betitelt.Also Deutsch als Fremdsprache der Universität München, ging es auch bei ihm um eine Nah- und Fernkompetenz, unseren weltreisenden Deutsch-Franzosen Adelbert die einander produktiv bedingten. von Chamisso 1985 als Namensgeber für einen neuen Chamisso war ein früher Liebhaber des europäi- Literaturpreis gewählt hat. Der Adelbert-von- schen Gedankens, allein durch seine Übersetzertätig- Chamisso-Preis zeichnet Autoren deutschsprachiger keiten wurde er zum wichtigen Kulturvermittler ganz Literatur aus, deren Werk von einem Sprach- und im Sinne seines Zeitgenossen Wilhelm von Humboldt, Kulturwechsel geprägt ist. In einer Begründung für die der gesagt hat »Jede Sprache, die ich erlerne, eröffnet Namensgebung hat Harald Weinrich, der Initiator des mir eine neue Welt«. Insbesondere seine Weltumseg- Preises, übrigens einen klaren Bezug hergestellt zur lung förderte die Auseinandersetzung mit Europa und literarischen Figur Peter Schlemihl. Er schrieb: »Bei der Bedeutung von nationaler Identität; er schien sich der Option Chamisso […] sollte deutlich werden, dass erstmals ein Bild zu machen von Gesamteuropa, das die Autoren auf dem Weg in die deutsche Literatur seine früheren Vorstellungen eines Europas der Natio- ihren Schatten nicht einbüßen sollten.« nen überstieg. Die ausgezeichneten Autoren einen Themen, Auch wenn er kein politischer Theoretiker war, Motive, Schauplätze, die ein familiär und kulturell seit kannte er sich aus in den Systemen Europas, in seiner Jahrhunderten in Ostfriesland oder Niederbayern ver- Korrespondenz stellte er Vergleiche der Systeme an. wurzelter Schriftsteller wohl kaum wählen würde oder Er war in seiner Geisteshaltung ein Liberaler, stark von literarisch gestalten könnte. Auch prägt ein ganz eigen- dem britischen Ansatz überzeugt. ständiger, man mag sogar sagen eigenwilliger Umgang 8::Grenzgänger

mit der deutschen Sprache ihr Schreiben; sie verwen- Literatur aus Ost- und Südosteuropa brachte, da diese den einen Stil, den man womöglich eher entwickelt, schon längst existierte, kam mit der Zeitenwende von wenn noch eine weitere Sprache mitflüstert, mitsingt 1989 naturgemäß ein starker Fokus auf Osteuropa. […] und mitschwingt. Parallel kamen Autoren aus Afrika, Lateinamerika und Es sind ungemein reizvolle Schriftsteller und Asien auf den Plan – der persische Lyriker Cyrus Werke vertreten, heute gehören viele der Preisträger Atabay, die Japanerin oder die Argenti- zur ersten Garde der deutschsprachigen Literatur und nierin María Cecilia Barbetta. haben sich fest auf dem deutschen Buchmarkt eta- Heute geht die »Migrantenliteratur« immer mehr in bliert – Feridun Zaimoglu, SAID, , Terézia der deutschen auf, die Autoren wollen sich weder aus- Mora, Emine Sevgi Özdamar oder , um grenzen noch einen Sonderstatus haben, sie verstehen nur einige Namen zu nennen. Der Preis ist prominent sich als literarische Vertreter einer lebendigen literari- positioniert unter den vielen Literaturpreisen, die in schen Kultur in Deutschland. Autoren wie Feridun Deutschland verliehen werden. Dabei ist der Kultur- Zaimoglu stellen Lebenswelten ihrer Heimat in ihren und Sprachwechsel das unverwechselbare und einzig- Romanen vor, wie sie kein anderer beschreiben könn- artige Kriterium, der Kern des Chamisso-Preises. Für te, auch wenn sie selbst dort gar nicht leben. Darin liegt mich ist es eine besondere Ehre, Mitglied in der Jury eine ungemeine Bereicherung für unsere Gesellschaft. des Preises zu sein. Wenn ich mir hier noch eine per- Hier zitiere ich Ilja Trojanow, Chamisso-Preisträger sönliche Einschätzung erlauben darf: Man sollte nicht aus dem Jahr 2000, der sagt: »Ohne Migration wäre die meinen, dass es zu viele Preise gibt. Sie sind eine ein- Menschheit unvorstellbar ärmer, in jeder Hinsicht.« malige Gelegenheit für Autoren, sichtbar zu werden. Das Goethe-Institut hat den Mehrwert erkannt, Insbesondere in den Anfängen hat Harald Weinrich den die Chamisso-Autoren dem deutschen Buchmarkt hier Großes geleistet – junge Autoren in einem neuen gebracht haben. Wir laden sie überproportional oft zu Land fanden in dem Preis ein Riesenpotenzial, ihre Lesereisen ins Ausland ein. Dabei ist natürlich die Außenwirkung zu stärken. Interkulturalität der Persönlichkeiten und Werke be- Die Auszeichnung hat eine interessante und wech- sonders reizvoll. Begleitende Veranstaltungen vermit- selvolle Geschichte. Zu Beginn stand sehr stark der teln, wie die Literaturproduktion und der Buchmarkt biografische Hintergrund der Autoren im Fokus, auch in Deutschland aussehen, wie jemand, der aus einem die Romane waren primär sozial angesiedelt. Die Dia- anderen Land kommt, in Deutschland arbeitet. lektik von Heimat und Fremde, der Sprach- und Chamisso hat in verschiedenen Welten und Kultu- Kulturwechsel und die sich dem »Multikulturellen« nur ren gelebt, in verschiedenen Sprachen und Gesell- langsam öffnende deutsche Gesellschaft waren die schaftsschichten, das hat ihn neugierig gemacht, wiss- zentralen Themen. begierig und offen. Meiner Meinung nach kann Kultur Die öffentliche Sichtbarkeit literarischer deutscher nur existieren, wenn sie sich mit anderen Kulturen Texte von Autoren mit Migrationshintergrund ging befasst und auseinandersetzt. Dabei geht es nicht da- Anfang der neunziger Jahre dann einher mit der Kate- rum, etwas Gleiches zu entwickeln oder nachzuahmen, gorisierung unter dem – insbesondere unter den Schrift- sondern wirklich den Unterschied zu erkennen und stellern selbst – umstrittenen Begriff der »Migranten- ihn respektvoll zu akzeptieren. Eine abgeschlossene literatur«. Damit wurde ein Phänomen benannt, das für Kultur ist eine tote Kultur, lebendig bleibt sie, wenn Deutschland neu war, im Gegensatz zu Ländern wie Impulse von außen kommen. Das war gelebtes Prinzip Frankreich, Großbritannien oder USA. Im Zuge dieser für Adelbert von Chamisso – und darauf macht der begrifflichen Debatte wurde und wird bis heute auch Chamisso-Preis bis heute aufmerksam. :: Kritik am Chamisso-Preis geübt: Er vereinnahme Autoren und Werke für kulturpolitische Zwecke oder schiebe Autoren durch das Etikett »Migrantenlitera- (Leicht gekürzte Fassung des Eröffnungsvortrags bei tur« in eine bestimmte Ecke ab. Es ist eine Kritik, über der internationalen Konferenz: »Phantastik und die es sich zu diskutieren lohnt. Skepsis. Lebens- und Schreibwelten Chamissos« am Über die Jahre hinweg hat sich die Bandbreite der 29. Mai 2013 in der Staatsbibliothek zu Berlin) Preisträger enorm weiterentwickelt. Auch wenn sie keine Initialzündung für erstklassige deutschsprachige Sprachwechsel :: 9

Vom französischen Louis Charles Adelsemigranten zum Adélaïde deutschen Dichter de Chamissot de Boncourt Zu Chamissos literarischem Sprachwechsel

Von René-Marc Pille

Chamissos Vita ist schon immer eine Fundgrube für aufgenommen wurde, stellten sich doch das Kurfürsten- Biografen gewesen. Der Sohn französischer Adels- tum Brandenburg und später das Königreich Preußen emigranten aus der Champagne, die nach langen Irr- als Beschützer verfolgter Minderheiten dar. Dass der wegen in Berlin ihre Zuflucht vor der Revolution gefun- junge Chamisso als Adelsemigrant bald Page der Köni- den hatten, war ein preußischer Offizier, Weltreisender – gin Luise wurde, später dann ins Berliner Regiment eine Insel an der Küste von Alaska trägt seinen Namen –, von Götze eintrat, um eine Militärkarriere aufzuneh- ein anerkannter Botaniker und wurde zu einem der men, sind Stationen eines typischen französisch-preu- populärsten deutschen Dichter seiner Zeit. Gerade darin ßischen Lebenslaufs, die jedoch keineswegs seinen liegt die Eigenart Chamissos in der Literaturgeschichte, Sprachwechsel erklären, ganz im Gegenteil. Gerade im ja sogar das W undersame an der dichterischen Entwick- damaligen Berlin und überhaupt im Europa des Ancien lung des Verfassers von Pet er Schlemihl: Dass er sich da- Régime hätte es ein französischer Edelmann gar nicht für entschieden hat, in der Fremdsprache zu schreiben. nötig gehabt, eine Fremdsprache zu lernen, da seine Durch diesen literarischen Sprachwechsel befindet Muttersprache von Versailles bis Sankt Petersburg in sich der gebürtige Franzose übrigens weltliterarisch in Gebrauch war. In diesem Zusammenhang war eine bester Gesellschaft, zu der namhafte Schriftsteller wie Entscheidung für die deutsche Sprache erst recht ver- Joseph Conrad, Samuel Beckett und Vladimir Nabokov wunderlich, da sie ein Gegenstand des Spotts oder ja gehören. In Chamissos Fall ist die Entscheidung für die sogar der Verachtung war: Voltaire hatte in Candide Sprache des Gastlands als literarisches Ausdrucks- die westfälischen Ortsnamen Thunder-ten-tronck und mittel doppelt signifikant: Sowohl in Hinsicht auf die Valdberg-Hoff-trabk-dikdorff erfunden, die für franzö- Zeit, in der sie sich vollzog, als auch bezüglich des sische Ohren schrecklich klingen sollten. Friedrich II. Ortes, in dem sie sich verankerte. seinerseits behauptete, Deutsch würde er nur mit sei- Was die zeitliche Dimension angeht, war dieser nen Pferden sprechen. Berlin ist außerdem der Ort, wo Sprachwechsel von epochaler Bedeutung. Er vollzog der sprachkritische Essay des Grafen Antoine de sich in einem Moment des Umbruchs, nämlich als die Rivarol De l’universalité de la langue française 1784 universalistischen Ziele der Französischen Revolution, von der Berliner Akademie der Wissenschaften – wo die im Namen der Menschenrechte durchgeführt man selbstverständlich französisch sprach – preisge- wurde, als Gegenreaktion ein Europa der Nationen her- krönt wurde. vorbrachte. In ebendiesem Zusammenhang kam die Chamissos Verzicht auf eine Sprache voller Prestige Vorstellung zustande, dass eine Übereinstimmung zwi- zugunsten des Deutschen, das sich angeblich so bar- schen Sprache und Territorium bestehen solle – für barisch anhörte, kann also beinahe als eine Art Provo- damalige Verhältnisse eine Neuheit, die ihre Gültigkeit kation aufgefasst werden – zumindest aus französischer erst heutzutage zu verlieren scheint. Sicht, denn nach dem Tod Friedrichs II. wurde nun die Was die örtliche Dimension dieses Sprachwechsels deutsche Sprache und Kultur von seinem Nachfolger anbetrifft, ist es nicht verwunderlich, dass eine Emi- Friedrich Wilhelm II. offiziell gefördert. Für die Erklä- grantenfamilie aus Frankreich im damaligen Berlin rung dieses Sprachwechsels lässt sich eine Hypothese 10 :: Sprachwechsel

biografischer Art aufstellen, die auf der Erschließung ten unter anderem Varnhagen von Ense, Chamissos seines schriftstellerischen Nachlasses beruht, der in späterer Biograf Julius Eduard Hitzig und der »Magne- der Staatsbibliothek zu Berlin aufbewahrt ist. Beson- tiseur« Koreff an. ders aufschlussreich sind hier die Familienpapiere. So Nach seiner missglückten Heimkehr nach Frank- erfahren wir, dass der junge Louis Charles Adélaïde de reich muss also Chamisso seine Rezeptionskultur im Chamissot, von den Seinigen auf liebevoll-neckische Gegensatz zu seiner Ausgangskultur als befreiend Art »Chevalier« genannt, nicht der einzige aus der Fami- empfunden haben. Dies könnte eine Erklärung für sein lie ist, der einen Sprachwechsel vollzogen hat. Sein sich wandelndes Zugehörigkeitsgefühl sein, wobei ein jüngerer Bruder Eugène, der 1802 im Alter von neun- solches Gefühl natürlich Schwankungen unterliegt. Als zehn Jahren gestorben ist, hat zahlreiche Hefte und Chamisso 1810 abermals versuchte, in Frankreich Fuß Tagebücher in deutscher Sprache hinterlassen, die zu fassen, klagte er bei seiner Gastgeberin Germaine einen deutlichen Akkulturationsprozess bezeugen. de Staël über seine Zerrissenheit: Er sei Franzose in Dagegen ist bei den älteren Brüdern Chamissos, Deutschland und Deutscher in Frankreich, Katholik bei Charles und Hippolyte, und bei den Eltern erst recht, den Protestanten und Protestant bei den Katholiken, keinerlei Neigung zu einem Sprachwechsel festzustel- Jakobiner bei den Aristokraten und Adliger bei den len. Alle sind übrigens 1801 nach Frankreich zurück- Demokraten. gekehrt, nachdem der Erste Konsul Bonaparte eine Diese oft angeführte Äußerung sollte jedoch nicht Teilamnestie für Adelsemigranten erlassen hatte. Dies verabsolutiert werden. Das Beispiel Chamisso lehrt bestätigt eigentlich, dass bei einem Akkulturations- uns, dass im Fall einer Doppelzugehörigkeit – ob natio- prozess das Alter der betroffenen Personen von großer nal, sozial, kulturell oder religiös – Eintracht und Zer- Bedeutung ist. Bei Chamisso, dem künftigen Adelbert, rissenheit miteinander abwechseln können, je nach trug, wie aus seinen Briefen und Tagebüchern heraus- den historischen Faktoren, denen der Betroffene unter- zulesen ist, ein anderer Faktor entschieden zu seinem worfen ist. Ein Zerrissener war Chamisso abermals, als Sprach- und Kulturwechsel bei: Es war wohl das Erleb- er sich 1813 ins Oderbruch auf das Gut des General- nis der schmerzhaften Heimkehr. intendanten der preußischen Domänen und Forsten Eine solche »Identitätskrise«, wie wir heute sagen Graf Peter Alexander von Itzenplitz zurückzog, denn würden, erlebte Chamisso 1802, als er Frankreich zum die Erhebung gegen Napoleon hatte den in Berlin hei- ersten Mal wiedersah – die Reise hatte er unternommen, misch gewordenen französischen Adelsemigranten um seinen todkranken Bruder Eugène zu den Eltern wieder in die Isolation zwischen den feindlichen Par- zurückzubringen. Diese Krise muss umso schmerzhaf- teien getrieben. Dagegen machte ihn der wieder er- ter gewesen sein, als sie nach Jahren der Zurückge- langte Frieden in Europa zum aktiven Mittler, nicht nur zogenheit, ja der Abkapselung erfolgte, in denen sich zwischen Deutschland und Frankreich, sondern auch Chamisso, der sowohl das Hofleben als auch die preu- in Deutschland selbst, wo er als Mitherausgeber des ßische Uniform verabscheute, immer wieder nach der Deutschen Musenalmanachs, zusammen mit Gustav verlorenen Heimat gesehnt hatte. In seiner ersten Schwab, die literarisch und politisch entzweiten nord- Berliner Zeit hatte er zwar angefangen Deutsch zu ler- und süddeutschen Dichter vereinen konnte. nen – sein Vorbild hieß Schiller –, er schrieb aber vor- Viel mehr als Chamissos Herkunft und Werdegang wiegend auf Französisch: Das bezeugen die zahlreichen sollte letzten Endes sein tatsächlicher Beitrag zur Blätter und Hefte aus seinem Nachlass, die aus Briefen, Rezeptionskultur – ob als Dichter, ob als Herausgeber – Tagebüchern, Gedichten und Erzählungen bestehen. hervorgehoben werden, genau wie Joseph Conrad als Nun musste er auf einmal erfahren, wie fremd ihm das unbestrittener Meister der Seegeschichte in die Welt- Frankreich seiner Sehnsüchte geworden war. literatur eingegangen ist, und nicht etwa als ein auf Kein Wunder also, dass Chamisso, bald nach Berlin Englisch schreibender Pole. Und was seinen literari- zurückgekehrt, sich eifrig um neue Bindungen bemüh- schen Sprachwechsel anbetrifft, kann man sich fragen, te. Er fand Zugang zu einem Kreis gleichgesinnter ob es wirklich ein außerordentliches Phänomen ist: Literaten, die sich unter dem Symbol des Nordsterns Kann Literatur überhaupt ohne den fremden Blick ge- als Zeichen der Wissenschaft zusammengeschlossen deihen?So vermerkt Jean-Paul Sartre in seiner literari- hatten und der Kunstauffassung von August Wilhelm schen Autobiographie Die Wörter, man spreche in der Schlegel schwärmerisch huldigten. Dem Bund gehör- eigenen Sprache und schreibe in der Fremdsprache. :: Publikationen :: 11

Wissenschaftliche Editionen im Internet stellen die Chamisso- Rezeption auf eine neue Grundlage. Auch auf dem Buchmarkt gibt es gewichtige Neuerscheinungen.

Die Stunde der Editorinnen

Von Michael Bienert

Als der Teufel den Habenichts Peter Schlemihl ver- Die Stiefel durften nicht aus dem Kramladen des führt, seinen wohlgeformten Schatten gegen etwas Bösen stammen, sonst hätten die Leser gedacht, Nützlicheres einzutauschen, da bietet er ihm allerlei Schlemihl sei immer noch in den Krallen des Teufels! Wunderdinge an. Die echte Springwurzel, die Alraun- Als Chamisso das auffiel, hat er im Manuskript zurück- wurzel, Wechselpfennige, Raubtaler, ein Glücksäckel … geblättert und das Motiv weiter vorne getilgt. Die Hand- und auch »ein paar ganz neue Siebenmeilen Stiefel«, so schrift zeigt den Dichter bei der Feinjustierung seiner steht es in der Handschrift mit dem Titel Peter Schle- Prosa. miels Schicksale, die in der Berliner Staatsbibliothek Auch eine lange Passage mit der Aufzählung vieler aufbewahrt wird. Doch das Motiv der Siebenmeilen- Orte und Länder, die Schlemihl in seinen Siebenmeilen- stiefel hat der Autor Adelbert von Chamisso an dieser stiefeln besucht, hat Chamisso stark zusammengestri- frühen Stelle seiner Erzählung durchgestrichen. Denn chen. Er spürte, dass er die Geschichte zügiger zu Ende am Ende bekommen die Wunderdinger eine gegen- bringen musste, nachdem der Held seinen Weg gefun- sätzliche Bedeutung. Sie sind der Lohn dafür, dass den hatte. Oder Freunde hatten ihm dazu geraten: In Peter Schlemihl dem Teufel widersteht. Die Wunder- den gedruckten Ausgaben ist ein Briefverkehr zwi- stiefel eröffnen ihm eine Zukunft als Naturforscher, mit schen Chamisso, Friedrich de la Motte-Fouqué und ihnen eilt er von Kontinent zu Kontinent. Julius Eduard Hitzig der eigentlichen Erzählung voran- 12 :: Publikationen

gestellt; die Druckfassung entstand im engen Aus- tausch mit sachverständigen Lesern.

Zweihundert Jahre nach der Entstehung (1813) und Drucklegung (1814) von Chamissos berühmtestem Werk ermöglichen gleich mehrere Editionsvorhaben einen neuen, frischen Blick auf den Schlemihl. Der Findling Verlag im brandenburgischen Kunersdorf, wo Chamisso mit der Niederschrift begann, bringt in Zu- sammenarbeit mit der Berliner Staatsbibliothek eine Faksimile-Edition der ältesten erhaltenen Handschrift heraus. Dort lautet der Titel noch Peter Schlemiels Schicksale, mitgetheilt von Adelbert von Chamisso. Diese sogenannte Urschrift basiert auf Notizen, die lei- der nicht mehr existieren. Der gefaltete Korrekturrand und die Verwendung der lateinischen Schreibschrift statt der sonst von Chamisso verwendeten deutschen Kurrentschrift weisen das Konvolut als Reinschrift aus, an dem weiter gearbei- tet werden sollte. Brand- spuren lassen vermuten, dass beim Brüten über dem Manuskript Pfeife geraucht wurde. In ihrem Aufsatz über die Entstehung und Weiter- gabe des Manuskripts klären Anja Krüger und Monika Sproll, die mit Jutta Weber den Nachlass Chamissos in der Berliner Staatsbibliothek neu erschließen, interes- sante Details wie die Frage, warum der Autor auf dem Deckblatt den Namen »A.W.Schlemiel« in »Peter Schlemiel« umänderte. Beim Lesen dachte der Freund Hitzig spontan an den romantischen Kunstphiloso- phen A(ugust) W(ilhelm) Schlegel, mit dem Chamisso gut bekannt war. Diese Assoziation aber wünschte der Autor gar nicht, wie er dem Freund brieflich versichert: Die hier dargestellten Illustrationen entstammen alle dem »Schlegel hat wirklig mit dem unschuldigen Jungen Bildband Reise um die Welt (Die Andere Bibliothek), in dem nichts gemein, dem ich vielmehr in den Leib stecke.« Chamissos literarischer Reisebericht mit 250 Lithografien des Das Deutsch Chamissos war keineswegs so fehlerlos, Malers Ludwig Choris zusammengeführt wird Publikationen :: 13

wie die gedruckte Erzählung suggeriert, auch deshalb Neben diesen Online-Editionen wird der umfang- suchte er den Rat befreundeter Muttersprachler. reiche Nachlass von Chamisso aus der Staatsbibliothek Als Entzifferungshilfe bietet die bibliophile Buch- Ende 2013 frei zugänglich im Internet publiziert. Von ausgabe neben dem Faksimile eine Transkription der der Handschriften-Datenbank »Kalliope« führen dann Würzburger Germanistin Katrin Dennerlein. Sie berei- Links zu den mit Hilfe der Robert Bosch Stiftung digita- tet überdies eine digitale historisch-kritische Edition lisierten Briefen, Manuskripten und Lebenszeugnissen. von Peter Schlemihls wundersamer Geschichte vor, die So entsteht eine völlig neue Basis für die Rezeption erstmals alle zu Chamissos Lebzeiten entstandenen dieses Autors: Noch nie standen der Forschung so viele und gedruckten Fassungen berücksichtigt – darunter Quellen so bequem zur Verfügung. Das Internet ist das auch eine Übersetzung ins Französische durch seinen ideale Kommunikationsmedium für die internationale Bruder Hippolyte, die der Autor korrigierte. In der digi- und interdisziplinäre Beschäftigung mit Chamisso. Wie talen Edition sieht Dennerlein die Chance, die Text- lebhaft das Interesse daran ist, gerade auch bei jünge- fassungen der Erzählung mit anderen Quellen und ren Wissenschaftlern, zeigt der Sammelband Korres- Internetangeboten zu verknüpfen. Das Internet böte pondenzen und Transformationen, der auf eine interna- außerdem die Möglichkeit zu einer »social edition«: tionale Konferenz in Paris vor zwei Jahren zurückgeht: Nach dem Modell Wikipedia könnten weltweit ver- Sehr konkret werden Beiträge streute Chamisso-Kenner gemeinsam eine Kommen- zur Reiseliteratur, zur Geogra- tierung und eine Bibliografie erarbeiten. Anders als bei fie, zur Zoologie, Botanik und der gedruckten historisch-kritischen Ausgabe wäre Völkerkunde gewürdigt, eben- beides jederzeit aktualisierbar. so wie seine Lyrik und ihre zahllosen Vertonungen im Im Herbst 2013 soll die digitale Edition einer zwei- 19. Jahrhundert. ten erhaltenen Handschrift online gehen, sie stammt aus dem Stadtmuseum Berlin und trägt den Titel Peter Doch für die Rezeption des Schlemiels Wundersame Geschichte. Es handelt sich um Autors über die Wissenschaft eine Abschrift mit handschriftlichen Ergänzungen hinaus ist es nicht minder Chamissos und seines Freundes und Biografen Julius wichtig, dass er in schönen Eduard Hitzig. In dessen Nachlass sind außerdem Leseausgaben auf dem Buch- Manuskripte von Friedrich de la Motte-Fouqués Undine markt präsent ist. Im besten Fall wird ein gelungenes und E.T.A. Hoffmanns Der Sandmann erhalten. Diese Chamisso-Buch als wichtige literarische Neuerschei- drei zeitlich eng benachbarten Schlüsseltexte der nung wahrgenommen und auf einer Doppelseite der Berliner Romantik ediert eine Gruppe junger Forsche- Frankfurter Allgemeinen Zeitung oder sogar im Fern- rinnen auf der Website Briefe und Texte aus dem intel- sehen empfohlen – so geschehen mit der Ende 2012 lektuellen Berlin um 1800. Leiterin des DFG-Projekts ist erschienenen Prachtausgabe von Chamissos Reise um die französische Germanistin Anne Baillot, ediert hat die Welt in der Anderen Bibliothek. Sie führt den 1836 die drei Schlüsseltexte Anna Busch, die über Chamissos erschienenen literarischen Reisebericht erstmals mit Freund Hitzig promoviert hat. Diese Edition macht sämtlichen 250 Lithografien zusammen, die der Maler ebenfalls sichtbar, wie intensiv Chamisso, Hoffmann, Ludwig Choris zur gemeinsamen Weltreise auf dem Fouqué, Hitzig und andere Berliner Intellektuelle um russischen Expeditionsschiff »Rurik« publizierte. Da 1810 kooperierten, wie sie nicht nur Briefe tauschten, die Fotografie um 1815 noch nicht erfunden war, wurde sondern auch Ideen und Projekte. der junge Künstler angeheuert, um während der drei- 14 :: Publikationen

Faksimileausgabe:

jährigen Weltumseglung :: Adelbert von Chamisso, Peter Schlemihls wundersame Landschaften, Bewohner, Geschichte. Faksimileausgabe der Handschrift (Urschrift). Tiere, Pflanzen und Alltags- Hrsg. von der Chamisso-Gesellschaft e.V., Transkription Katrin gegenstände bildlich festzu- Dennerlein. Findling Verlag, Kunersdorf 2013. 184 Seiten, halten. In dem großformati- 24,90 Euro gen Band sind die farbige Reisechronik von Choris und Wissenschaftliche Online-Editionen: das literarische Reisetage- buch Chamissos so geschickt :: Peter Schlemiels Schicksale (sog. Urschrift) verzahnt, dass sich daraus Staatsbibliothek zu Berlin PK / Digitalisierte Sammlungen ein neues, aufregendes Lese- http://digital.staatsbibliothek-berlin.de/dms/werkansicht/ erlebnis ergibt. ?PPN=PPN666348782&PHYSID=PHYS_0001

Ein Buch, in dem man gerne blättert und schmö- :: Peter Schlemiels Wundersame Geschichte (sog. Abschrift) kert, ist auch der Band Frauen – Liebe und Leben, der Stadtmuseum Berlin, ediert von Anna Busch auf der Homepage 2013 zu einer Ausstellung im Duisburger Lehmbruck- »Briefe und Texte aus dem intellektuellen Berlin um 1800« Museum erschienen ist. Gezeigt wurde eine Privat- http://tei.ibi.hu-berlin.de/berliner-intellektuelle/ sammlung von künstlerischen Frauenporträts aus der Nachkriegszeit und Gegenwart. Robert Schumanns :: Peter Schlemihl’s wundersame Geschichte (Erstausgabe) Liederzyklus Frauenliebe und -leben nach Gedichten Edition des »Deutschen Textarchivs« der Berlin- Chamissos half den Kuratoren, eine Ordnung in den Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften Bilderschatz der Sammler Maria Lucia und Ingo http://www.deutsches- Klöckner zu bringen. Im textarchiv.de/book/show/chamisso_schlemihl_1814 Buch treffen nun Chamissos Verse »Er, der Herrlichste :: Nachlass Chamissos von allen, ⁄ Wie so milde, wie http://kalliope.staatsbibliothek-berlin.de/ so gut!« auf ein im Nachthim- mel schwebendes realsozia- Forschungsband: listisches Liebespaar, das der Leipziger Maler Wolfgang :: Marie-Theres Federhofer, Jutta Weber (Hrsg.), Mattheuer 1964 malte – und Korrespondenzen und Transformationen. Neue Perspektiven das seinerseits den DDR- auf Adelbert von Chamisso . Mit einem Vorwort von Volker Schriftsteller Andreas Hoffmann. V&R unipress, Göttingen 2013. 312 Seiten, Montag zu einem Gedicht 49,99 Euro inspirierte. Die Zeilen »Bleib an meinem Herzen ⁄ Fühle dessen Schlag ⁄ Dass ich fest Bild- und Textbände: und fester ⁄ Nur dich drücken mag« sind der literari- sche Auftakt zu Aktbildern von Lucian Freud, Alberto :: Adelbert von Chamisso, Reise um die Welt. Mit einem Nachwort Giacometti und Gerhard Richter, flankiert durch Texte von Matthias Glaubrecht. Die Andere Bibliothek, Berlin 2013. von Sigmund Freud oder . Dieses 450 Seiten, 99 Euro Kaleidoskop zum Thema Weiblichkeit in der neueren Kunst ist nicht streng auf Chamisso bezogen. Aber es :: LehmbruckMuseum (Hrsg.), Frauen – Liebe und Leben. passt zum weiten Horizont dieses Autors, der nicht Hatje Cantz, Ostfildern, 2013. 264 Seiten, 38,80 Euro müde wurde, Liebeslieder zu dichten und dabei gerne in Frauenrollen schlüpfte. :: Aus dem Nachlass :: 15

»schwärmend in fremdartiges mich umzusehen« – Chamissos Korrespondenzen im Januar 1821

Ein Blatt im Nachlass Adelbert von Chamissos – ein Monat in seinem Leben

Von Monika Sproll

Chamisso hat wiederholt, vielleicht beständig, Diese Notizbücher zeigen neben den Briefaus- und Journale über seine Korrespondenzen geführt. In sei- Briefeingängen eine Fülle weiterer Inhalte. Sie stellen nem Nachlass, den die Staatsbibliothek zu Berlin seit mit ihren knappen, manchmal nahezu unlesbaren Ein- 1937/38 aufbewahrt, sind vier Briefjournale aus dem tragungen auf engstem Raum dar, was der frühere Zeitraum Oktober 1805 bis März 1828 erhalten, von Weltreisende im Januar 1821 über seine Lebensweise denen das hier vorgestellte, 92 Blatt umfassende »Brief- an schrieb: Er finde, inzwischen Vater, journal 1821–25« die umfangreichsten Eintragungen an den langen Winterabenden Zeit, »nach alter Weise enthält. Für die derzeit laufende archivarische und schwärmend« – also durch Lektüre und Anschauen sei- wissenschaftliche Erschließung seines Nachlasses, den ner Sammlungen – »in fremdartiges [s]ich umzusehen«. die Robert Bosch Stiftung seit Dezember 2011 fördert, Chamissos Briefjournale waren von ihren Formaten sind diese Aufzeichnungen von unschätzbarem Wert, her handlich genug, als Begleiter überallhin mitgeführt da sich mit ihnen undatierte Briefe manches Mal datie- zu werden. Sie dokumentieren die erstaunliche Vielfalt ren und Korrespondenzfolgen ermitteln lassen. Nicht der Beschäftigungsfelder, in die er als Dichter und zuletzt werden wir durch sie gewahr, wie viele Briefe Naturforscher, Weltreisender und Wahlpreuße einge- Chamisso selbst geschrieben hat und in welchen Ab- bunden war. In ihnen finden sich lyrische Entwürfe ständen er den Kontakt zu seiner französischen Fami- neben Adressen, bibliografische Angaben neben Zeich- lie, zu seinen Freunden und Kollegen gehalten hat. nungen künstlerischer wie naturkundlicher Art, 16 :: Aus dem Nachlass

Eine Seite aus dem 92 Blätter umfassenden Briefjournal 1821–25 von Chamisso und die Transkription

Beschreibungen geografischer Inhalte oder barometri- Erstaunlich ist die sichtbare Begeisterung für beide scher Untersuchungsergebnisse neben Vokabel- Lebensinhalte, die seine Identität bereichern und die tabellen der marshallesischen und hawaiianischen ihn für uns heute so faszinierend machen. Sprachen, lateinische Pflanzen- und Tierlisten. Selbst Schon ein erster Vergleich des in der Staatsbiblio- biografische Momentaufnahmen kommen vor, meist thek verwahrten Nachlasses mit den Brieflisten dieser auf einer Reise oder als Zusatz in die Korrespondenz- Journale weist uns neben dem reichhaltig Überliefer- listen eingetragen, und lassen ihre persönliche Be- ten auf einen großen Verlust nicht überlieferter oder deutung für Chamisso erkennen. Am 31. Oktober 1821 vielleicht noch nicht wiederentdeckter Dokumente schreibt er etwa: »31. Tag wo ich von der Reise zurück hin. Chamissos Korrespondenzlisten lassen durch dif- kehrte. vor 3 Jahr. 1818«, zurück von der Weltreise, ferenzierte Eintragungsunterschiede und -zusätze die deren Auswertung sein Leben von nun an neben der Priorisierung einzelner Briefe erkennen. Das hier vor- Literatur prägen wird. gestellte erste Blatt des Briefjournals vom Januar 1821 zeigt auf der linken Seite die erhaltenen, auf der rech- Der Dichter und Naturforscher Chamisso steht in ten Seite die von Chamisso geschriebenen Briefe. Auf- einer Tradition doppelter Profession, die sich bis grund einiger Variationen in Chamissos Eintragungs- heute unter Schriftstellern fortsetzt. Jedoch teilt sich modell müssen die Datumsangaben mit dem Überlie- seine Tätigkeit nicht in Broterwerb und Berufung auf. ferten verglichen werden. Aus dem Nachlass :: 17

nuar in den Tausch ein, insbesondere von seinen ge- Berlin–Paris–Kopenhagen––Berlin – Paris – Kopenhagen – Stuttgart – Weimar – sammelten Algen Exemplare abzugeben, und erhält im Weimar–Dorpat–KönigsbergDorpat – Königsberg Gegenzug aus der Sammlung des Kopenhagener Bota- nischen Gartens grönländische Gräser sowie Enziane aus Martin Henrichsen Vahls Herbarium, ferner sind Die unsichere Sendung von Briefen ist ein allgemei- ihm Pflanzen aus Indien und Island versprochen. nes Problem dieser Zeitläufte, das sich in Chamissos Chamisso notiert Brief-Beilagen, um einen Über- Korrespondenznetz durch die Internationalität der blick über seine Korrespondenzen zu behalten. In Briefpartner allerdings verstärkt. Allein in dem hier vor- Kurzform werden so Pflanzenpakete und Zeichnungen gestellten Monat Januar 1821 korrespondiert Chamisso erwähnt, aber auch Zeitschriftenbeiträge wissen- mit dem Maler Ludwig Choris in Paris, mit dem Freund schaftlicher und literarischer Art, Gedichtabschriften, und Botaniker Karl Wilhelm Eysenhardt in Königsberg, Bücher. Es entsteht der Eindruck, dass auch Beilagen mit dem Dichter Ludwig Uhland in Stuttgart, mit dem notiert werden, die Chamissos Arbeitsergebnisse zweiten Naturforscher der Rurik-Expedition Johann künstlerischer oder wissenschaftlicher Art dokumen- Friedrich Eschscholtz in Dorpat, mit seinem Freund tieren und an die er sich selbst erinnern möchte. Karl August Varnhagen von Ense in Paris, mit seinem Zu den erinnerungswerten kreativen Leistungen, Bruder Hippolyte und dessen Söhnen Félix und Xavier die Chamisso brieflich mitteilt, gehört im Januar 1821 in Paris, mit dem Botanikerkollegen Jens Wilken sein Sonett »Ja, überhand nimmt die Ungerechtigkeit«. Hornemann in Kopenhagen, mit dem Freund Ludwig Das Briefjournal spiegelt damit ebenso wie die Poeti- Auguste Baron de Staël-Holstein in Paris, nicht zuletzt schen Hausbücher, die sich in seinem Nachlass befin- mit dem Verlag der Gebrüder Hoffmann in Weimar und den, dass er dem Gedicht ein Entstehungsdatum zu- der Ferdinand-Dümmlerschen Verlagsbuchhandlung ordnet. Chamisso, der in diesem Augenblick zu einem in Berlin. Einige dieser Briefe sind nachweislich nicht neuen Bewusstsein als Dichter, »leiht« sich in seinem postalisch übermittelt worden, einerseits um die Kos- Brief vom 5. Januar 1821 die dem Empfänger Ludwig ten zu umgehen, aber eben auch, um durch einen Über- Uhland zugeschriebende dichterische Potenz und bringer den sicheren Empfang zu garantieren. Publizität. Von einem positiven Signal von Uhland (das Chamisso und seine Briefpartner versuchen, Briefe leider ausbleibt) erhofft er sich, nach dem großen Er- und Pakete durch ihnen bekannte Reisende oder insti- folg seiner Novelle Peter Schlemihls wundersame Ge- tutionelle Anbindung, Verwaltungsbeamte oder Kurie- schichte als Lyriker gehört zu werden: »Und, lieber re des diplomatischen Dienstes zu übersenden. In die- Uhland, wie ich an Sie schreibe erwächst eben aus mei- sem Monat erhält und übersendet Chamisso Briefe nem Brief ein Sonnet, das ich mich nicht entblöde an über den im Botanischen Garten angestellten Christoph Sie, deren Muse mich begeistert, zu schicken.« Friedrich Otto und über seinen Freund Varnhagen in Im Schwung dieser dichterischen Energie versen- Paris und wählt den Weg über die Ferdinand-Dümm- det Chamisso im Januar außer diesem Sonett zwei zu- lersche Verlagsbuchhandlung in Berlin. gehörige Sonette aus dem Zyklus An die Apostolischen an Auguste de Staël, Louis de La Foye und Karl Wilhelm Eysenhardt, drei Naturforscher also, mit Zeichnungen, Pflanzen, Gedichte, denen er in engem freundschaftlichem Kontakt steht. VerlagsanzeigenZeichnungen, Pflanzen, – Chamissos Gedichte, Verlagsanzeigen Notate De La Foyes Briefe sind nicht überliefert, de Staël geht über– Chamis Briefbeilagensos Notate über Briefbeilagen offenbar nicht auf Chamissos Gedichte ein. Eysenhardt reagiert im April, hat aber wenig Sinn für eine Personal- union von Naturforschung und Dichtung: »Deine 3 Jens Wilken Hornemanns Brief aus Kopenhagen Sonnette sagen mir nicht zu, nimms nicht übel. Alles vom 5. Januar 1821 initiiert einen Sammlungsaustausch was mit einer fröhlichen und heitern Naturforschung mit Chamisso. Hornemann weiß nicht, dass Chamisso im Einklang steht, möchte ich begierig aufsaugen; jene ihm durch den Gärtner des Botanischen Gartens drei mit dieser zusammen angeschlagen, geben keinen Berlin, Christoph Friedrich Otto, bereits im vorigen harmonischen Accord.« Jahr eine Pflanzensendung hatte zuschicken lassen, Eysenhardt ist es wichtiger, sich ein baldiges die offenbar verlorenging. Chamisso willigt am 23. Ja- Wiedersehen im Kreise der Naturforscherfreunde aus- Wo habt ihr, blöde Thoren, doch den Sinn? Ihr seht den Saft in alle Zweige steigen, Und leugnet euch den Sommer immerhin.

Ausschnitt von Blatt 31 aus dem Poetischen Hausbuch mit dem Sonett »Ja, überhand nimmt die Ungerechtigkeit« zumalen: »Wenn ich nur unsre Egypter«, das sind die Das Leiden unter langsamem Fortschritt, das Forschungsreisenden Christian Gottfried Ehrenberg Chamisso am 31. Januar seinem Bruder Hippolyte und Friedrich Wilhelm Hemprich, »freudig u. frisch brieflich ausmalt – die Brüder schrieben sich natürlich wieder umarmen darf. Ueberhaupt freue ich mich auf auf Französisch –, ist immer wieder Thema in seinem unsre erste zusammen Kunft wieder in Berlin; ihr sitzt Leben. Im Januar 1821 erhält Chamisso endlich die u disputirt über Aegypten u. Unalaschka, da tritt der Verlagsankündigung der Reisebeschreibung von Otto nordische Gast mit seinem ¯·ÈÚÂ [altgr. für »sei von Kotzebue, in dessen drittem Band sein wissen- gegrüsst«] ein, u. ihr nehmt ihn frohlich in Eure Mitte.« schaftlicher Bericht über die Weltreise Bemerkungen An solchen Zusammenkünften unter Forschungs- und Ansichten publiziert wird. In den Korresponden- reisenden hat Chamisso gerne teilgenommen. Die lyri- zen haben Kotzebues Verzögerungen zu einer rechten sche Produktion ist ihm aber ebenso wichtig, denn sie Aversion ihm gegenüber geführt: »Wo ist Kotzebue? Ihr bietet ihm die Möglichkeit, sich zu Politik und Gesell- Freund Kotzebue?« schreibt etwa der Expeditions- schaft zu äußern. Seine Sonette vertreten für Chamisso zeichner Ludwig Choris ironisch am 15. März 1821, als die durch die Zensur unterdrückte öffentliche Mei- er einige Briefe Chamissos erhält, nur nicht den vom nung. Sie intervenieren in das Zeitgeschehen, ver- 8. Januar, der zusammen mit französischen Erläute- deckt, aber doch so treffend, dass Chamisso sie erst rungstexten Aquarelle einer antarktischen Riesenalge 1830 in Amadeus Wendts Musenalmanach zu publizie- sowie der Landschaft »Volcan de Taal« Chamissos ent- ren vermag. hält, die Ludwig Choris für seine Voyage pittoresque autour du monde lithographieren wird. Im Januar sen- det Chamisso noch weitere Aquarelle »Molusken. ChamissosChamissos wissenschaftlicher wissenschaftlicher Reisebericht Reise- Palmen« mit französischen Erläuterungen, die Choris bericht»Bemerkungen »Bemerkungen und Ansichten« und Ansichten« unter der beratenden Weisung Alexander von Humboldts in die Einzellieferungen seines Werks auf- nehmen wird. Denn Humboldt, so schrieb Choris, »[I]ch lebe in einer Welt, die Dir absolut fremd ist, fürchtete wie viele Gelehrte in Paris und andernorts, und kann daher nur von mir sprechen, welcher Stoff die Russen würden die Berichte über ihre Expedition bald erschöpft ist. Ich lese, schreibe, singe, fühle und gänzlich unterdrücken. Mit der Verlagsankündigung denke in einer Sprache, die Dir fremd ist. Hierbei die seiner Bemerkungen und Ansichten, die Chamisso nun Anzeige meines Werkes. Wir sind in allem langsam, an Choris, an die Freunde de Staël, de La Foye und nichts bei uns scheint vorwärts zu gehen und dennoch Eysenhardt sowie an Uhland schicken kann, ist endlich kommen wir vorwärts. Aber man hat Zeit, zehnmal gesichert, dass seine Erkenntnisse Teil der gelehrten seine Gedanken und seine Werke zu vergessen, wenn Diskurse über die Erforschung der Kulturen und man sie endlich eines Tages erscheinen sieht. Literatur Naturen der Welt werden. :: wie Politik halten gleichsam Schritt.« Chamissos Berlin :: 19

Mit Siebenmeilenstiefeln durch Berlin

Du, meine liebe deutsche Heimat, hast, Warum ich bat, und mehr noch mir gegeben; Du ließest freundlich dem gebeugten Gast Die eigne traute Hütte sich erheben, Und der bescheidne kleine Raum umfaßt Ein neuerwachtes heitres reiches Leben; Ich habe nicht zu bitten, noch zu klagen, Dir nur aus frommem Herzen Dank zu sagen.

Von Michael Bienert

Mit diesen Versen beginnt das Gedicht »Berlin«, das Adelbert von Chamisso 1831 seiner neuen Heimat widmete. Er war damals 50 Jahre alt, hatte sich als Schriftsteller, Weltreisender und Naturforscher einen Namen gemacht, eine bürgerliche Existenz als Botani- ker aufgebaut und eine Familie gegründet. Das aufstre- bende Berlin des frühen 19. Jahrhunderts mit seinen literarischen Zirkeln und der erst 1810 gegründeten Universität bot ihm die Chance, sich von einem franzö- sischen Grafensohn in einen liberalen preußischen Bürger zu verwandeln. Zu Chamissos Lebzeiten verdoppelte sich die Ein- Wer in Berlin auf die Suche nach den Orten wohnerzahl der preußischen Hauptstadt von etwa Chamissos geht, findet auch nach 200 Jahren noch aus- 140.000 auf rund 280.000 Menschen. Berlin war noch sagekräftige Spuren. Auf dem umseitig abgebildeten keine Weltstadt wie Paris und London, aber schon eine Plan von 1832 sieht man die Orte in der Umgebung, so richtige Großstadt und auf dem Weg zur Industrie- wie sie Chamisso durchwandert hat. Am unteren Rand stadt. Chamisso hat das in seinem Werk kaum themati- schmückt die Karte Schinkels 1821 eingeweihtes siert, aber das großstädtische Milieu war eine still- Nationaldenkmal für die Befreiungskriege auf dem schweigende Voraussetzung seiner Existenz. Wie die Kreuzberg (im heutigen Viktoriapark). Nicht allzu weit meisten romantischen Dichterkollegen, die den deut- von Chamissos Grab bietet sich von dem Denkmal aus schen Wald und die blaue Blume feierten, schätzte noch immer ein großartiger Panoramablick über die Chamisso die Vorzüge des Großstadtlebens und hätte historische Mitte der Hauptstadt. sie nicht gegen eine Hütte in der Waldeinsamkeit ein- (Eine erweiterte Version der Karte ist online unter getauscht. Jedenfalls nicht auf Dauer. www.text-der-stadt.de/Chamissokarte.html zu sehen.) 1

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Chamissos Berlin im Jahr 1832 – und heute

1 Monbijouplatz 51 Gendarmenmarkt Nach Schiller und Goethe In Schinkels Schauspiel- war Chamisso der dritte haus, heute Konzerthaus, Dichter, dem Berlin ein kam es am 14. Mai 1825 öffentliches Denkmal er- zu einer Aufführung von richtete. 1888 wurde es Chamissos Drama »Die nach einem Entwurf Julius Mosers am Monbijou- Wunderkur« und wurde ein kapitaler Misserfolg. platz aufgestellt. Benannt sind der Platz und der Nebenan in der Charlottenstraße 56, Ecke Tauben- benachbarte Monbijoupark nach dem im Zweiten straße wohnte von 1815 bis zu seinem Tod 1822 Weltkrieg zerstörten Schloss Monbijou. Dort arbei- der Schriftstellerkollege E.T.A. Hoffmann. Im Ge- tete der junge Adelbert von Chamisso 1796 als büsch auf der anderen Straßenseite steht halb ver- Page der preußischen Königin Friederike Luise. steckt eine Bronzestele mit seinem Porträt.

21 Brandenburger Tor 61 Friedrichstraße 235 Das 1793 fertiggestellte Eine Gedenktafel erinnert Brandenburger Tor ist das an das Gartenhaus, das einzige erhaltene Stadttor Chamisso in den letzten Berlins. Als preußischer Lebensjahren bewohnte. Leutnant war Chamisso Durch die E.T.A.-Hoffmann- dort 1803/04 zur Torwache eingeteilt. Das Tor wurde Promenade ist die Adresse mit dem Jüdischen so zum Treffpunkt eines romantischen Dichter- Museum (Lindenstraße 9–14) verbunden, einst kreises, des Nordsternbundes. Napoleon ließ die Kammergericht und Arbeitsplatz der Juristen Julius Quadriga 1806 als Siegestrophäe nach Paris schaf- Eduard Hitzig und E.T.A. Hoffmann. Chamissos fen. Ihre Rückführung nach den Befreiungskriegen Schwiegervater und Biograf Hitzig wohnte von machte das Tor zum Nationalsymbol. 1820 bis 1849 in der Friedrichstraße 242.

31 Humboldt-Universität 71 Kleistpark Im Hauptgebäude (Unter Bis 1910 befand sich auf den Linden 6) studierte dem Areal der Königliche Chamisso ab 1812 Natur- Botanische Garten von wissenschaften und half Berlin. Dort war Chamisso bei der Einrichtung des ab 1819 als Kustos des Zoologischen Museums. Auf seiner Weltreise von Herbariums angestellt und bezog eine Dienstwoh- 1815 bis 1818 sammelte er Naturalien dafür, die sich nung in der Nähe (Hauptstraße, Ecke Großgörschen- heute im Naturkundemuseum (Invalidenstraße 43) straße). Sie brannte 1822 ab. Am ehemaligen befinden. Vor dem Unigebäude steht ein Denkmal Botanischen Museum, heute »Haus am Kleistpark« Alexander von Humboldts, der die Aufnahme Chamis- (Grunewaldstraße 6/7), wurde 2009 eine Gedenk- sos in die Akademie der Wissenschaften empfahl. tafel für Chamisso enthüllt.

41 Jägerstraße 81 Jerusalemkirchhof In E.T.A. Hoffmanns 1838 wurde Chamisso Die Abenteuer der Silvester- neben seiner Frau Antonie nacht, geschrieben im auf dem Friedhof vor dem Januar 1815, kurz nach Halleschen Tor (Eingang Erscheinen von Peter Mehringdamm 21) beige- Schlemihls wundersamer Geschichte, besucht Peter setzt, nicht weit vom Grab E.T.A. Hoffmanns. Schlemihl eine Kneipe in der Jägerstraße. Am Haus Nahebei sind auch sein 1832 geborener Sohn, der Nr. 54–55 erinnert eine Gedenktafel an Rahel Levin, Arzt Herman von Chamisso, Rahel und Karl August die 1814 Chamissos Freund Varnhagen heiratete, Varnhagen, Felix Mendelssohn Bartholdy, die gegenüber an der Akademie der Wissenschaften Salonnière Henriette Herz sowie der Schauspieler (Nr. 22) eine weitere an Alexander von Humboldt. und Dramatiker August Wilhelm Iffland begraben. Heitere Genauigkeit

Zum 70. Geburtstag von György Dalos

Von Zsuzsanna Gahse

Nach seinen Zukunftsplänen befragt, sagt der György Dalos kann man allerdings nicht nur an- zwölfjährige Robi Singer unumwunden, dass er Kunst- hand seiner Bücher kennenlernen. Man liest seine historiker werden würde, denn auch sein Vater sei Artikel in Zeitungen, hört im Rundfunk seine besonne- Kunsthistoriker gewesen, und diesen Beruf habe er in nen Bemerkungen zur gegenwärtigen Lage in Ungarn, den Genen. Diese kleine Szene aus Die Beschneidung und wer diese Kommentare aufmerksam verfolgt, für könnte als Leitmotiv für das gesamte Werk von György den können sie sich durchaus irritierend ausnehmen. Dalos stehen. Was vererbbar ist und was nicht, wie Hubert Spiegel schrieb 2006 in seiner Rezension zur fatal sich der Blick auf die Gene und die Frage nach der damals erschienenen Erzählung Die Balaton-Brigade: Abstammung ausnehmen kann, thematisiert der Autor »Dalos’ abgeklärte Schilderung ist in jenem differen- in den verschiedensten Zusammenhängen. zierten, nuancenreichen Grauton gehalten, der allen in den Augen brennt, die nur Schwarz oder Weiß akzep- Die Beschneidung , 1990 erschienen, heißt im Unter- tieren wollen.« Mit dem vielschichtigen »Grauton« sind titel schlicht eine »Geschichte«, und diese Geschichte selbst die kürzeren Kommentare des Autors durch- hat seither nichts an Aktualität verloren. Im Gegenteil; setzt, und das ist ein irritierender, überraschender im vergangenen Jahr mochte sich bei den öffentlichen Gewinn. Debatten über die Legalität von Beschneidungen manch einer an das Buch erinnert haben, mit dem György Dalos wurde 1943 in Budapest geboren, er György Dalos im deutschsprachigen Raum schlagartig ist als Halbwaise aufgewachsen, da sein jüdischer Vater bekannt wurde. In der Zwischenzeit sind von ihm mehr 1945 an den Folgen des Arbeitslagers gestorben war. als 20 Bücher erschienen, Romane, Fast-Romane, Bio- In den 60er Jahren studierte Dalos an der Moskauer grafien, Essays. In diesen gut lesbaren Publikationen Lomonossow-Universität Geschichte. Ein Band mit sei- spielt die Zeitgeschichte eine Hauptrolle und zur nen Gedichten ist bereits während seines Studiums Zeitgeschichte gehören Frauen und Männer mit ihrem erschienen. Woher und Wohin, mit ihren Lebensgeschichten. Gratulation :: 23

Selbst mit diesen kargen biografischen Angaben Herkunft hängt sozusagen auch mit dem trockenen, sind die Themen, mit denen sich Dalos seit jeher be- nicht schwarz-weißen Witz zusammen, mit dem schäftigt, erstaunlich klar vorgezeichnet, und minde- Schalk. stens so erstaunlich ist die Konsequenz, mit der er »seinen« Themen treu geblieben ist und sie auf die Privatleben aus der Zeitgeschichte unterschiedlichste Weise auslotet. Entscheidend sind seine Herkunft, sein Interesse für Länder, Geschichte, gefiltert Politik und Sprache. Die jüdische Abstammung hat mit seinen beunruhigenden Fragen nach den Genen zu Während der Grundton unverwechselbar ist, sind tun, die Jahre an der Universität in Moskau weisen auf die Themen weit gefächert. Unterschiedlicher als Die die Aufgeschlossenheit des politisch denkenden jun- Beschneidung und die Biografie Gorbatschow können gen Studenten hin. Was aber weder aus dieser noch zwei Bücher eines Autors kaum sein. aus einer erweiterten Biografie zu erklären wäre, ist Die Beschneidung ist eine annähernd autobiogra- Dalos’ Lust und Talent, Geschichten zu erzählen. fische Geschichte, wobei sie nicht selbstbeschreibend, Ob er Romane schreibt, historische Ereignisse sondern einfach authentisch wirkt. Dalos erzählt vom dokumentiert oder einen aufschlussreichen Einblick in zwölfjährigen Protagonisten namens Robi Singer in Pasternaks Liebesleben bietet, seine Fabulierlust ist in der dritten Person, er versteht die Probleme des her- jedem Fall deutlich spürbar, und spürbar ist immer anwachsenden Jünglings, spricht aber auch unver- auch der lakonische Grundton. Das ist der Dalos-Ton. blümt über seine Schwächen. Robi lebt in Budapest Anstatt von Lakonik könnte man bei dieser Grundstim- abwechselnd in einem jüdischen Knabenwaisenhaus mung auch von Witz reden, sogar vom Budapester Witz, und bei seiner Großmutter und muss sich in einer wobei der Budapester oder Ungarische Witz selbstver- tückischen Zeit zurechtfinden. Der Zweite Weltkrieg ständlich mehrere Gesichter hat. Dalos hat für sich von hängt halb noch in die Gegenwart hinein, der Aus- den möglichen Varianten den Schalk auserkoren. Seine bruch der 56er Revolution ist beinahe schon zu wittern, 24 :: György Dalos

und der Junge muss sich den Kopf darüber zerbre- chen, was es bedeutet, ein Jude zu sein, was es heißt, ein Kommunist zu sein, und gleichzeitig sollte er eine Entscheidung über seine Beschneidung treffen, die so spät erfolgt, weil sie in den Kriegsjahren nicht möglich war. Während er die vorbereitenden Prozeduren durchzustehen hat, wird er unter anderem von einem Arzt untersucht, und der sagt ihm »leise, jedes Wort einzeln betonend: Es ist schön, dass du ein Jude bist. Es sind nur so wenige von uns übriggeblieben«. Mit derart gedämpften, aber klaren Sätzen spricht Dalos von geschichtlichen Fakten. Und unpathetisch erfährt der Leser zum Schluss, dass sich Robi Singer der Be- schneidung entzieht.

Im Gegensatz zu dieser privaten Geschichte, bei der Dalos die vierziger und fünfziger Jahre ausleuchtet, verfährt er in seiner 2011 veröffentlichten Gorbatschow- Biografie gerade umgekehrt. Er filtert das Privatleben des russischen Staatsmannes aus der Zeitgeschichte heraus. Der Leser hat den Eindruck, eine Weile selbst mit Gorbatschow verbracht zu haben, zumindest als Zaungast. »Die beinahe bieder erscheinende Beschei- denheit des Ersten Sekretärs war keine Asketenpose. Und noch dies: György Dalos mag Epiloge und Gorbatschow schätzte den Wohlstand, auch den Luxus, Nachworte. Passend zu seinem siebzigsten Geburtstag liebte es, gut zu essen und zu trinken – wobei er den wäre hier wohl eine Serenade, deren Text aus seinen kosmopolitischen Cognac gegenüber dem nationalen eigenen gewitzten Titeln besteht. Hier nur einige Bei- Wodka eindeutig bevorzugte.« Das Alltagsleben des spiele: Der Rock meiner Großmutter, Archipel Gulasch, berühmten Russen und der First Lady Raissa an seiner Proletarier aller Länder, entschuldigt mich! Seite haben in dieser Biographie ähnlich viel Gewicht Die Vertonung der Serenade fehlt noch. Sobald die wie die politische Laufbahn, die öffentlichen Auftritte fertige Komposition vorliegt, wird sie an seinen Wohn- Gorbatschows. Bei seinem »Weg in die Ohnmacht« (so ort Berlin geliefert, und dann wird man nachfeiern. :: eine Kapitelüberschrift) ist in erster Linie das persönli- che Schicksal eines Politikers zu erleben, die bekann- ten historischen Fakten stehen eher im Hintergrund.

Seine sorgfältig recherchierten Biographien und Romane hat György Dalos selbst ins Deutsche über- setzt. An der Bearbeitung, am Schliff der deutschen Publikationen, sind bisher immer versierte Personen beteiligt gewesen, dennoch gehört der Originalton Dalos, dem zweisprachigen Autor. Er ist ein Wanderer zwischen den Sprachen, und die Krönung dieser Wan- derschaften brachte ihm 1995 der Adelbert-von- Chamisso-Preis. Für seine Wanderungen in der Zeitge- schichte wurde ihm 2010 der Leipziger Buchpreis zur Europäischen Verständigung verliehen. Nun feiert der unermüdliche Autor am 23. Septem- ber seinen siebzigsten Geburtstag, den er jung erlebt. Nachruf :: 25

Manches wird einem geschenkt …

Zum Gedenken an Jean Krier (1949 –2013)

Von Jürgen Ritte

»Manches wird einem geschenkt« – Jean Krier war nach Paris ein und lernte einen selbstironischen mein Freund, seine Freundschaft ein Geschenk, das Melancholiker kennen und schätzen, einen zutiefst mich als Flaschenpost erreichte: Als ich, das ist nun humanen und blitzend intelligenten Menschen von all- mehr als zwei Jahrzehnte her, zum ersten Mal Gedichte zeit bestechendem Witz, der gerne »aus Verzweiflung von ihm zu Gesicht bekam, hatte ich das ganz seltene lachte«. Es kam zu ersten Auftritten im Rundfunk, Privileg, etwas zu lesen, das noch keinen Filter außer ersten Publikationen in Zeitschriften. Zwanzig Jahre dem kritischen Auge des Meisters selber durchlaufen und vier veröffentlichte Gedichtbände später, die Jean hatte. Kein Verleger, kein Lektor hatte die Texte für Krier in der ersten Reihe der deutschsprachigen Lyrik mich ausgesucht, indem er sie für publikationswürdig der Gegenwart platzieren und ihm 2011 den Adelbert- gehalten und zwischen zwei Buchdeckel gepresst von-Chamisso-Preis einbrachten, gibt es Jean Krier, hätte. Jeans Gedichte waren ungedruckt, es waren gibt es den Lyriker Jean Krier – und es gibt ihn nicht Typoskripte, die eines Tages, begleitet von einem kur- mehr: Wie im Titel seines letzten Gedichtbandes, den zen Brief, in meinem Briefkasten lagen. Irgendjemand Herzens Lust Spielen aus dem Jahr 2010, schon mit hatte ihm meine Adresse gegeben, dabei womöglich einigem Sarkasmus anklingt, lebte Jean bereits in der die reichlich vermessene Hoffnung geweckt, dass ich Nachbarschaft des Todes, dem er eines um das andere »etwas für ihn oder besser die Gedichte tun könne«. Mal noch von der Klinge hatte springen können. An- Denn keine Institution, kein Verband, kein Lexikon, fang Dezember 2012 begegnete ich ihm zum letzten kein Kritiker hatte bis dahin dem Absender und Autor Mal in Freiburg, wo er seine Studentenzeit verbracht der Gedichte die symbolische Beförderung zur amtlich hatte und sich ärztlich behandeln ließ. Einen Monat verbrieften Autorenexistenz verschafft. Es gab ihn später, am 12. Januar dieses Jahres, zehn Tage nach nicht – und es gab ihn eben doch. Oder besser, so die seinem vierundsechzigsten Geburtstag, ist es ihm nicht spontane Überzeugung des mit dieser unvermittelt mehr gelungen, einen weiteren Haken zu schlagen. eingetroffenen lyrischen Post beschenkten Lesers: es musste ihn geben. Denn für einen solch virtuosen Um- Verbales Strandgut, sorgsam gang mit Sprache und Rhythmus, mit Metaphern, lite- rarischen Reminiszenzen und Anspielungen, Wort- gesammelt und neu arrangiert hülsen und lyrischem »Volksvermögen«, eine so resolut sich auf Zeitgenossenschaft und moderne Welt sich Moderner, zeitgenössischer Lyrik haftet der Ruf einlassende Dichtung war mir bis dahin im deutsch- des Hermetischen an, und manch schwachem Talent sprachigen Raum nur aus den Werken eines Thomas ist diese Undurchdringlichkeit willkommenes »cache- Kling oder eines Peter Rühmkorf vertraut – oder aber, misère«.Für Lebensfähigkeit sorgt dann erst das Ge- mit einer ähnlichen, geradezu jubilierenden Lektüre- rüst oder Stützkorsett des Kommentars. Anders – dies erfahrung, bei alten Meistern der Moderne, wie etwa war und ist der besondere Glücksfall – bei Jean Krier: bei Apollinaires Zone. Ich lud Jean zu einer Lesung Nicht, dass einem hier was geschenkt würde, auch wenn 26 :: Nachruf auf Jean Krier

ich diese Zeilen unter das Motto eines Verses stelle, nichts als Abfall. Knapper, kaltschnäuziger lässt sich mit dem ein Gedicht Jean Kriers aus dem Jahre 1995 das Ende von Illusionen wohl nicht auf den Punkt brin- einsetzt und der mir seither nicht mehr aus dem Kopf gen. Und im Gedicht geht es weiter mit aggressiven gegangen ist: »Manches wird einem geschenkt«. Ja, »Katzentatzen, Ehefratzen«. Es ist ein – absichtlich aber bei Jean Krier wird einem auch manches einge- böses, zersetzendes – Spiel mit sprachlichen Versatz- schenkt, und zwar ordentlich, »reiner Wein« etwa und stücken, das Jean Krier treibt, mit »-etz« und »-atz«- da ist dann »Musik drin«, das heißt jede Menge Müll Lauten, es ist, Phonetik und Schriftbild synthetisierend, und Tod und Gestank und Verwesung und Brackwasser. ein »ätzendes« Spiel. Jean Krier schaut dem geschenkten Gaul, der immer der schlechtere ist, ins Maul. Und seine Gedichte »han- Es war nicht die gemütliche Pension mit Seeblick, deln« stets vom Nächstliegenden, vom allzu Bekann- sondern Luxemburg, wo Jean Kriers Schreibtisch ten, von dem, was vermeintlich »geschenkt« ist, was stand, und Luxemburg liegt am Meer, liegt, wie auch man glaubt, sich schenken zu können: Sie handeln von das rein kontinentale Bolivien in einem seiner Gedich- der Sprache, diesem geschenkten Gaul, dem niemand te aus den Herzens Lust Spielen, an einem Meer der ins Maul schaut, die aber jeder, tun wir der Metapher Sprache. Denn, so Jean Krier, »in der Sprache kocht das ein wenig Gewalt an, ins Maul nimmt. Die Sprache sei- Meer«. Da meint man noch einen Nachklang des späten ner Lyrik, dieser ganz eigene »Sound«, mit dem sie den Hölderlin zu vernehmen. Und die im stürmischen Leser gleich in langen, melodischen Versrhythmen Meer vor der bretonischen Westküste gelegene Insel umfängt, wie sie heute nur noch wenige beherrschen, Ouessant ist von hier aus immer wieder zugleich ima- setzt sich zusammen aus Idiomatismen, abgewetzten ginäre und reale Landschaft: zerfetzt, zerklüftet, von Metaphern, Sprachmüll, Vorgekautem, aber auch aus Salz und Wind geätzt. Dort fallen, in Jean Kriers Ge- klassischen Zitaten, französischen Versatzstücken, An- dichten, Spatzen, die nichts mehr von den Dächern zu spielungen, Alliterationen. Jean Krier war ein virtuoser pfeifen haben, tot von denselben herunter. Meister des »Objet trouvé«, er arbeitete mit verbalem Strandgut, das er, wie der morgendliche Spaziergänger Herzenslust und Lustspiele werden zu am Meer nach der Flut, sorgsam einsammelte und neu arrangierte. Wohl deswegen hatte Jean Krier sich als Herzenslustspielen lyrische Landschaft par excellence das Meer, den Strand ausgesucht. Bretonische Inseln lautete der Titel Die Natur bewirkt das, was Jean Krier lyrisch, seines ersten Gedichtbandes im Jahre 1995, Sehstücke, sprachkritisch nachvollzieht: Der pfeifende Spatz auf die Stücke zum Sehen und eben auch Seestücke, dem Dach, das ist die Redensart, das geschenkte Aller- »Tableaux marins«, in einem sind, der zweite aus dem weltsmittel, der dumme Gaul, dem Jean Kier ins Maul Jahre 2002. Und auch die folgenden Bände, Gefundenes schaut, bevor er ihn in die Abdeckerei bringt. Die wah- Fressen (2005) und zuletzt die Herzens Lust Spiele ren Verteidiger der Sprache sind die, die sie attackie- (2010) kamen ohne einen längeren Gang über bretoni- ren, schrieb Marcel Proust einmal an seine Freundin sche Strände nicht aus. Nein, es sind keine romanti- Geneviève Straus. Bei Jean Krier finden wir in dem Ge- schen Seestücke à la Heine, natürlich auch kein »La dicht »Das Jahr ist hin« aus den Herzens Lust Spielen, Paloma« oder sonstige Landrattenfolklore. Liebes und die beiden nachdenklichen Verse: »Vielleicht waren Nettes ist da in der Tat nicht zu entdecken. Stattdessen wir doch zu ⁄ wenig darauf bedacht, möglichst großen setzt es, wie etwa in dem Gedicht »Böse« aus Ge funde- Schaden anzurichten«. Ihnen voraus gehen andere, nes Fressen, ein mit einem »Beigeschmack von totem aggressivere Verse in dem Gedicht mit dem nur schein- Wasser«, auch von einem Mord im Hohlweg ist die bar betulichen Titel »Seelchen«, der auf Kaiser Hadrians Rede, »und dann nach Festen zwischen Speiseresten Animula vagula blandula anzuspielen scheint: »Schlag die Fetzen ⁄ von Manifesten«. Von Festen zu Fetzen: die Welt dir zusammen, schamlos ⁄ in den Augapfel Sprachspielerisch steckt im Manifest, im militanten beiß, den die Schlange dir reicht«. In diesem Sinne hat Bekenntnis zu politischen oder ästhetischen Gewiss- Jean Krier reichlich Schaden angerichtet, und wir hät- heiten, immer noch das Fest, etwa das Fest einer Revo- ten uns noch mehr von solchen »Verwüstungen«, von lution, das große Gastmahl der Verbrüderung. Doch solch zerbissenen Augäpfeln gewünscht: mehr Scha- was von beidem bleibt, ist, so der hellsichtige Befund, den an einer beschädigten und also schadenden Nachruf :: 27

Sprache. Und wer Schaden am Schaden anrichtet, der der gescheiterten Revolution des Jahres 1919 bis zum repariert vielleicht noch nicht – Letzteres dürfte auch Berliner Bauboom in den Jahren nach der Wiederver- nicht in seiner Absicht gelegen haben –, aber er schafft einigung wohl kaum in einem Wort kondensieren… etwas Neues, einen anderen, jenseits der Schablonen sich auftuenden Blick auf die Wirklichkeit, eine Wirk- Aber sprechen wir auch vom Herzen. Den Umschlag lichkeit, in der nichts geschenkt ist, nichts sich nach der Herzens Lust Spiele ziert eine wilde schwarz-weiße vorgegebenem Muster fügt. Proust, zitieren wir ihn Schraffur. Mediziner erkennen darin sogleich den noch einmal, verglich die Arbeit des Schriftstellers mit Ausriss aus einer Echographie, einem Ultraschallbild der eines Augenarztes, der den Patienten und also des menschlichen Herzens. Und dieses Herz, dieses Leser nach erfolgtem Eingriff auffordert: »Jetzt sehen Organ, kann durchaus Ort des Schmerzens sein, wie Sie ’mal!«. Jean Kriers Sehstücke und seine anderen Jean Krier schon lange wusste. Es ist die Pumpe, die Gedichtbände sind solche ophtalmologischen Eingriffe, aussetzen kann. Und vor dem Hintergrund einer sol- die in den »Augapfel beißen«. Die Operation indes ver- chen existenziellen Bedrohung, in der das Leben zur läuft einigermaßen schmerzlos, ja sogar durchaus lust- tickenden »Eiszeitbombe« wird – noch ein »mot valise« –, voll, verspielt, und sorgt für neue Sehlust. finden die Sprachlustspiele des Jean Krier statt. Nein, auch hier reimt das Herz sich nicht auf Schmerz. Nichts Und nur einer wie er, Jean Krier, konnte es sich lei- will sich mehr reimen. Aber es ist von Halbherzigem sten, das Herz, den ad nauseam gereimten Ort des die Rede, von Herzkammermusik, vom vollen Herzen, Schmerz’, auf den Titel eines Gedichtbandes zu setzen, vom dunklen Herzen. Und vom Wind, vom Atem, der freilich sprachspielerisch in ein sogenanntes »mot aufspielt zum so hässlichen wie apokalyptischen valise«, ein »Kofferwort«, wie die Übersetzung lauten »Plastiktütentotentanz«. Die Gedichte situieren sich, würde, verpackt, ein Genre übrigens, in dem Lewis im ersten Teil des Bandes, der »Von der Gewalt und vom Carroll, der Vater von Alice im Wunderland, brillierte: Tod« überschrieben ist, in einer »Dezembergegend«, Herzenslust und Lustspiele werden zu Herzenslust- einer Endzeitgegend mithin, die von Zitaten aus der spielen. Zitieren wir aus Lust und Spaß noch ein ande- Johannes-Apokalypse durchschossen ist. Eine dunkle res von Jean Krier geprägtes »mot valise«, die »Bau- Grundierung, die auch der Frage nach dem Sinn des geRÄTErepublik« aus Gefundenes Fressen:Schöner, Schreibens deutliches Relief zu verleihen scheint: konziser, witziger lässt sich deutsche Geschichte von »Habe mein Herz wie ein Herzenslustmörder in den 28 :: Nachruf auf Jean Krier

Baum geritzt ⁄ in ein ganzes Meer von Baum, mit grü- dian) wie für den französischen Schriftsteller und nen Wellen und Sturm…«, heißt es in »Extubation pré- Semiologen – also: Zeichendeuter – Roland Barthes war coce«. Der Mörder an der Herzenslust oder der Mör- dies das Eigentliche aller Literatur: in einer bestimm- der aus Herzenslust, beide wären Figurationen des ten Sprache zu sagen, was in ihr nicht vorgesehen ist, prometheischen Dichters, dessen Leber »der Adler mit wozu sie keine Worte hat. Vielleicht muss man dafür, stinkendem Schnabel« klein frisst, ritzt in den Baum, des geschärften Blickes und Gehörs wegen, von den beziehungsweise schreibt auf Papier. Ein Bild, ein Rändern her schreiben, etwa von Luxemburg aus. schönes Bild, das bei Jean Krier aber gleich wieder zur Aber sicher ist das nicht. Jean, der deutschsprachige, Kippfigur, zur optischen Täuschung gerät und als sol- in Deutschland ausgebildete Germanist und Deutsch- che entlarvt wird. Denn am Ende des Gedichts heißt es: lehrer, hat sich durchaus und mit vollem Recht inmit- »Bruder ⁄ Herz, nichts ist geritzt, früh wird Winter, ten der deutschen Sprache zuhause gefühlt. Und wenn Schluss nun mit Vögeln«. Nichts ist je geritzt und erle- von Rändern die Rede war, dann hat er eher unter dem digt, und der drohende Winter, das allzeit drohende peripheren Status, den die Lyrik im heutigen Literatur- Ende, droht nicht nur den Vögeln, sondern auch dem betrieb einnimmt, gelitten. Dass seine Stimme, spät Vögeln, der rechten Herzenslust. zwar, noch vernommen werden konnte, ist ein Glücks- fall für die Literatur. Dass sie nunmehr – und zu schnell Gedichte von Jean Krier sind komplexe Maschine- – wieder verstummt ist, ein Verlust, dessen Ausmaß mit rien, in denen alle Hebel der Sprache und Sprachzer- jedem seiner Verse schmerzlich bewusst wird. Größer legung in Bewegung gesetzt werden, auf dass die aber ist der Schmerz über den vermissten Freund. :: Sprache, hier das Deutsche, etwas sage, das so nicht in ihr angelegt war. Dafür muss man ihr zu Leibe rücken. Für (in seiner berühmten Rede vom Meri-

Totenbuch

Doch kommen wir zum Thema zurück. Du meinst, das sei schon schlimm, aber nichts zu machen: als Kind bereits infiziert u nie mehr losgeworden – Lesen u Schreiben. Blatt um Blatt, Bogen um Bogen vollgekritzelt seit damals. Kein Mitleid mit Baum oder Stein, kein Einsehen. So mir nichts, dir nichts ein Wort das andere, u nichts zu Buche. Denn gutem Rat zum Trotz Oden* gelesen u selbst bei hohem Seegang ein Lied auf den Lippen. Und auch später hat sich nicht gewendet das Blatt, einfach weiter gesprochen nach der Schrift. Einen großen Satz gemacht, ja, diese Zeichen u was sie bedeuten. Tanz mit den Bienen, u nur die Toten sind erhaben über die Kühle des Kreuzgangs. Es hätte immer u ewig so weitergehen können, denn ewig: das ist ewig** u sagt sich so leicht, während der Beipackzettel zerknittert u ratlos Arzt u Apotheker. Die Leber auf dem Asphalt verschmiert, die Todestropfen gezählt. Am Ende laust doch der Affe. Allez, tournons la page.

*H. M. Enzensberger: »Ins Lesebuch für die Oberstufe« ** G. Büchner: Woyzeck

(Unveröffentlichtes Gedicht aus dem Nachlass) Adelbert-von-Chamisso-Preisträgerinnen und Preisträger 1985 — 2013 :: 29

Seit 1985 würdigt die Robert Bosch Stiftung mit dem Adelbert-von-Chamisso-Preis herausragende Beiträge zur deutschsprachigen Literatur von Autoren, deren Werk von einem Sprach- oder Kulturwechsel geprägt ist. Die Preisverleihung findet alljährlich in feierlichem Rahmen in München statt.

Benannt wurde der Preis nach dem Schriftsteller und Naturforscher Adelbert von Chamisso (1781–1838). Er wurde in Frankreich geboren und zog in den Wirren der Französischen Revolution mit seiner Familie nach Berlin. Von dort unternahm er seine Weltreisen und entwickelte sich gleichzeitig zu einem der bedeutendsten deutschsprachigen Schriftsteller seiner Zeit. Sein bekanntestes Werk, Peter Schlemihls wundersame Geschichte, wurde 1813 veröffentlicht.

1985 Aras Ören 2002 SAID Rafik Schami (Förderpreis) Catalin Dorian Florescu (Förderpreis) 1986 Ota Filip Francesco Micieli (Förderpreis) 1987 Franco Biondi Harald Weinrich (Ehrengabe) Gino Chiellino 2003 Ilma Rakusa 1988 Elazar Benyoëtz Hussain Al-Mozany (Förderpreis) Zafer S¸enocak (Förderpreis) Marica Bodrozˇic´ (Förderpreis) 1989 Yüksel Pazarkaya 2004 Asfa-Wossen Asserate Zehra Çırak (Förderpreis) Zsuzsa Bánk 1990 Cyrus Atabay † Yadé Kara (Förderpreis) Alev Tekinay (Förderpreis) 2005 Feridun Zaimoglu 1991 Libusˇe Moníková † Dimitré Dinev (Förderpreis) SAID (Förderpreis) 2006 Zsuzsanna Gahse 1992 A del Karasholi Sudabeh Mohafez (Förderpreis) Galsan Tschinag Eleonora Hummel (Förderpreis) 1993 Rafik Schami 2007 Magdalena Sadlon ˙Ismet Elçi (Förderpreis) Luo Lingyuan (Förderpreis) 1994 Dante Andrea Franzetti Que Du Luu (Förderpreis) Dragica Rajcˇic´ (Förderpreis) 2008 Sasˇa Stanisˇic´ 1995 György Dalos Léda Forgó (Förderpreis) László Csiba (Förderpreis) Michael Stavaricˇ (Förderpreis) 1996 Yoko Tawada 2009 Artur Becker Marian Nakitsch (Förderpreis) Tzveta Sofronieva (Förderpreis) 1997 Güney Dal María Cecilia Barbetta (Förderpreis) José F.A.Oliver 2010 Terézia Mora Jirˇí Grusˇa (Ehrengabe) † Abbas Khider (Förderpreis) 1998 Natascha Wodin Nino Haratischwili (Förderpreis) Abdellatif Belfellah (Förderpreis) 2011 Jean Krier † 1999 Emine Sevgi Özdamar Olga Martynova (Förderpreis) Selim Özdogan (Förderpreis) Nicol Ljubic´ (Förderpreis) 2000 Ilija Trojanow 2012 Michael Stavaricˇ Terézia Mora (Förderpreis) Akos Doma (Förderpreis) Aglaja Veteranyi (Förderpreis) † Ilir Ferra (Förderpreis) 2001 Zehra Çırak 2013 Marjana Gaponenko Mehr über sämtliche Chamisso- Radek Knapp (Förderpreis) Matthias Nawrat (Förderpreis) Preisträger und frühere Ausgaben des Vladimir Vertlib (Förderpreis) Anila Wilms (Förderpreis) Magazins finden Sie unter Imre Kertész (Ehrengabe) www.bosch-stiftung.de/chamissopreis 30 ::

LesArt.2013

Das Festival aus Dortmund hat im November wieder die Chamisso-Tage an der Ruhr zu Gast

Von Klauspeter Sachau

Das LesArt.Festival hat das verflixte 13. Jahr gut solchen ist es inzwischen geworden: das Festival hat überstanden und feiert in diesem Jahr die 14. Ausgabe Standards entwickelt, die von den jüngsten bis zu den mit einem literarischen Feuerwerk: Es steht ganz im spezialisiertesten Lesern erwartet und freudig ange- Zeichen der »Chamisso-Tage an der Ruhr 2013«. nommen werden. Fünfzehn Autorinnen und Autoren, allesamt mit Das fängt mit dem »KindergartenBuchTheater- dem Adelbert-von-Chamisso-Preis ausgezeichnet, Festival« an, bei dem fünfzehn Kindergartengruppen werden vom 13. bis 15. November von Dortmund aus aus allen Dortmunder Stadtteilen ein Kinderbuch aus- das Ruhrgebiet entdecken und in Schul- und Abend- wählen, zu einem Theaterstück umschreiben, proben, lesungen Einblick in ihre sehr unterschiedlichen, inszenieren, für das sie Kulissen und Kostüme schnei- immer aufregenden Schreibwelten geben. Asfa-Wossen dern und es dann an einem Nachmittag im voll besetz- Asserate, Zsuzsa Bánk, Artur Becker, Marica Bodrozˇic´, ten Theater Fletch Bizzel auf die Bühne bringen – allein György Dalos, Akos Doma, Zsuzsanna Gahse, Abbas dafür lohnt sich schon das LesArt.Festival. Khider, Que Du Luu, Olga Martynova, Sasˇa Stanisˇic´, Auch die anderen Formate bringen immer Überra- Michael Stavaricˇ und die diesjährigen Preisträger schungen: die Lesungen in den Umkleidekabinen von Marjana Gaponenko, Anila Wilms und Matthias Nawrat Borussia Dortmund, bei denen es natürlich immer um sind dabei. Fußball geht, aber immer um die literarische Verarbei- tung der in ihm liegenden Hoffnung und Tragik. Am 15. November werden alle miteinander bei der Studentinnen der Kulturwissenschaften gestalten Abschluss-Gala innerhalb des LesArt.Festivals im Jazz- ganz nach ihrem Geschmack und ihrer Neugier den club domicil lesen und feiern. Die Veranstalter – der Ver- Abend »wir sind – helden von hier«. Jedes Mal staunen ein für Literatur, das Kulturbüro der Stadt Dortmund die Besucher über den Reichtum junger Autoren, und die Stadt- und Landesbibliothek – nehmen diesen Singer/Songwriter, Musiker, Rapper und Körperspra- Abend zum Anlass, der Robert Bosch Stiftung für die chenakrobaten. großzügige Förderung dieser Chamisso-Tage zu dan- Ein Lyriktag zählt regelmäßig zum Programm des ken, ebenso wie den vielen Partnern in der Stadt, die Festivals, dabei wird zeitgenössische Lyrik aus West- das Festival zum Glanzpunkt literarischen Lebens im falen und dem deutschen Sprachraum auf die Bühne östlichen Ruhrgebiet zu machen halfen. Denn zu einem gebracht. LesArt.2013 :: 31

Das LesArt.Festival versucht, Grenzgänger vor Ort zu sein. Ein Wochenende ist der Literatur junger zuge- wanderter Literaten gewidmet: Lütfiye Güzel aus Duisburg, Bülent Demirtas (alias 2seiten) aus Dorsten und Mely Kiyak aus Berlin. Und ein »gestandener« Grenzgänger beschließt es: Ulrich Kienzle mit seinem »Abschied von 1001 Nacht«.

Ein Abend öffnet den Blick für die Möglichkeiten neuen Erzählens: Roland E. Koch mit seinen einein- halbseitigen Kurzromanen trifft auf Sudabeh Mohafez mit ihren Zehn-Zeilen-Texten. Das wäre eigentlich der ideale »Fortbildungsabend« für die Schülerinnen und Schüler aus den fünf Ruhr- gebietsstädten, in denen mit Unterstützung der Robert Bosch Stiftung halbjährige Schreibwerkstätten mit Texte fanden ihre Bühne im jeweils einem Chamisso-Preisträger als Schreibver- LesArt.Festival 2012: bei den mittler durchgeführt werden konnten: mit Léda Forgó, »helden von hier«, in den Nicol Ljubic´, José F.A.Oliver, Selim Özdogan und Zehra Umkleidekabinen des BVB, am Çırak. Sie stellen ihre Ergebnisse, in schmucken Bü- Dortmunder Lyriktag, in chern festgehalten, ebenfalls am 15. November im Schreibwerkstätten und ihrer Dortmunder U, dem Zentrum für Kunst und Kultur, vor. Präsentation, beim Kinder- Gewiss wird auch dieses LesArt.Festival wieder ein gartenBuchTheaterfestival und großartiges Fest der Literatur werden. :: bei begeisternden Lesungen

Informationen unter: www.lesart-festival.de und www.chamissoruhr.de 32 :: Neuerscheinungen von Adelbert-von-Chamisso-Preisträgern

Neue Bücher

On the road again Selim Özdogan bleibt ein junger Autor

Vor 18 Jahren erschien ein Roman, in dem es um ren Lebensentwürfen und von der Suche nach dem eine traumhaft beginnende und schmerzlich endende Glück – Themen und Motive, die den Autor seit je be- Sommerliebe geht und der Selim Özdogan als einen schäftigen und die auch im Klang der Blicke zu finden höchst glaubwürdigen Literaten der deutsch-türkischen sind. Gastarbeiterkinder-Generation bekannt machte. Den »Wir lebten in der Steinstadt und jeder glaubte, es Titel vergisst man nie mehr: Es ist so einsam im Sattel, gäbe noch ein anderes Leben«, heißt es lakonisch in seit das Pferd tot ist. Mit sicherem Gefühl für Tempo der dritten der sage und schreibe 36 in diesem Band und Rhythmus, zumeist in schnoddriger Zeitgeist- versammelten Kurzgeschichten. »Manche stiegen in sprache und doch in ganz unterschiedlichen Tonlagen, den Bus, fuhren weg. Einige kamen wieder, andere witzig, ironisch und schnörkellos erzählte Özdogan von nicht.« Nicht allein am Erzählton merkt man sofort, den Erfahrungen, Träumen und Gefühlen junger Men- dass dem heute 42-Jährigen die unendliche Verloren- schen. Für seine ersten drei Prosabücher – Nirgendwo heit und mit Coolness drapierte Ratlosigkeit, aber auch & Hormone und Ein gutes Leben ist die beste Rache das unermessliche Freiheits- und Glücksgefühl der kamen bald hinzu – wurde der damals 28-Jährige 1999 Unter-Dreißig-Generation nicht abhanden gekommen mit dem Chamisso-Förderpreis ausgezeichnet. Seit- sind. Dass er viel gelernt hat von seinen zumeist ameri- dem ist er dem Preis eng verbunden, als ein besonders kanischen Vorbildern, zeigen allein schon die Anfangs- an Schulen sehr erfolgreicher Performer seiner immer sätze seiner Geschichten: »Ich hätte auf meinen Vater zahlreicher werdenden Texte sowie als Leiter von hören sollen« zum Beispiel, »Nicht das ganze Leben. Workshops und Schreibwerkstätten. Oder vielleicht doch …« oder »Irgendwann war es so Wer hätte damals gedacht, dass dieser coole weit«. Um Sonne und Schatten geht es hier, um Liebe Szene-Autor sechs Jahre später einen so traurigen wie und Tod, um Sehnsucht und Enttäuschung, um Gewalt zugleich wunderschönen Roman veröffentlichen und Hass, um Eifersucht und Abscheu und um das würde, der am Beispiel der Hauptfigur Gül und ihrer große Glück. Meist auch um die Deutschtürken und um Familie vom türkischen Alltagsleben der fünfziger und die Anderen, am eindrucksvollsten vielleicht in der vor allem sechziger Jahre des 20. Jahrhunderts erzählt Erzählung »Opfer«. und damit die Vorgeschichte der Özdogan-Generation Die vieldiskutierte Frage, was denn nun eigentlich festhält? Die Tochter des Schmieds, ein bis heute »interkulturelle Literatur« sei, wird mit Der Klang der schmählich unterschätztes Buch, endet mit Güls Reise Blicke souverän beantwortet. So nämlich sieht sie aus, nach Deutschland und hat 2011 durch Heimstraße 52 und wie außergewöhnlich und originell sie sein kann, eine beachtliche Fortsetzung erfahren. erfährt man auf jeder Seite dieses umfangreichen Ban- Das sind aber nur die Perlen aus Özdogans Text- des. Nein, es muss nicht immer ein Roman sein. Mit fabrik – es gibt wenige deutsche Schriftsteller, die, was seinen durchweg spannenden Erzählungen relativiert ihre Buchproduktion wie die Zahl ihrer öffentlichen der in mehrfacher Hinsicht jung gebliebene Schrift- Auftritte betrifft, derart fleißig sind wie dieser in Köln steller aus dem Geiste Adelbert von Chamissos seinen lebende Autor. Allein 2012 sind drei Bücher von ihm in der Geschichte »Verdachtsmomente« zu findenden erschienen, 2013 sind mindestens zwei zu erwarten. Satz »Der Mensch ist nicht dafür gedacht, in der Ober- Seit wenigen Wochen ist das erste davon im Handel, liga zu spielen«. Ob dafür gedacht oder nicht – der ein voluminöser neuer Roman mit einem etwas rätsel- Schriftsteller Selim Özdogan jedenfalls, der spielt haften Titel: DZ. Dieses »DZ« ist ein fiktives Land in schon längst ganz oben mit. Südostasien, das seinen Bewohnern ein Leben in Frei- heit und grenzenlosen Zugang zu allen Drogen dieser Selim Özdogan, Der Klang der Blicke. Welt anbietet.Selim Özdogan erzählt von Ziggy, der Geschichten. Haymon Verlag, Innsbruck/Wien 2012. sich, um seiner Mutter ihren letzten Wunsch zu erfül- 264 Seiten, 19,90 Euro len, auf die Suche nach seinem Bruder Damian macht. Selim Özdogan, DZ. Roman. Haymon Verlag, Er erzählt von der Drogenwelt im Internet, von prekä- Innsbruck/Wien 2013. 380 Seiten, 22,90 Euro Buchvorstellungen von Klaus Hübner :: 33

Künstlerirrungen und Liebeswirrungen Feridun Zaimoglu mal(t) anders

Eines gleich vorweg: Eine »Liebesgeschichte« ist Es sind die Frauen, die den Protagonisten dieser das nicht, auch wenn der Untertitel genau so lautet. Geschichte fortwährend beschäftigen – was sich auch Oder besser: Der Mietmaler, das neue Buch des 1964 daran zeigt, dass 17 der 18 dem Text beigegebenen im türkischen Bolu geborenen Kieler Chamisso-Preis- und sehr schön reproduzierten Bilder eigenwillige, trägers Feridun Zaimoglu, kann man unter anderem etwas düster und auf jeden Fall leicht schräg wirkende auch als ziemlich absurde Geschichte über die Liebe Frauenporträts sind. »Bei diesen Frauenporträts han- lesen. Erzählt wird sie von einem knapp 40-jährigen, delt es sich zwar um Frauenporträts von mir, aber in ein wenig verwirrten Maler, dem seine Freundin Sonja Nachahmung der Kunst des Malers«, hat Feridun gleich auf den ersten Seiten bedeutet, er möge seine Zaimoglu dem einstigen »Tagesthemen«-Star Ulrich Siebensachen packen und für immer verschwinden. Wickert zugeraunt. Das mag man, was immer es be- »Sie sprach fluchbeladene Wörter… Ich klang verdäch- deuten könnte, mal einfach so stehen lassen. Interes- tig nach einem Sonntagsirren«. Der Ich-Erzähler erlebt sant sind diese Porträts allemal, und außerdem geben eine »hässliche Minute der Zermalmung«. Irgendwann sie der Geschichte in der Tat eine zusätzliche Dimen- sieht er ein, dass es vorbei ist. Und dass es irgendwie sion. weitergehen muss in dieser »Saison der kalten Her- Doch weder das Geschilderte noch das Gemalte ist zen«. Dann kommt ein Auftrag: Edouard, so heißt der das Spannendste am Mietmaler – das Spannendste ist, etwas unentschlossen wirkende Mietmaler, soll in eine wie immer bei Zaimoglu, sein einzigartiger Umgang andere Stadt reisen und dort die verwitwete Nora mit der deutschen Sprache. Das, wofür dieser Autor Sillinger porträtieren. Er nimmt den Auftrag an, und immer wieder zu Recht gerühmt wird, findet sich auch von Beginn an ist das Verhältnis zwischen ihm und der hier: verblüffende Wortneuschöpfungen, geniale Wie- bürgerlich-soliden, aber auch ziemlich undurchsichti- derbelebungen kaum noch gebräuchlicher Ausdrücke gen Dame ein sehr angespanntes. Frau Sillinger, so höf- und ein leicht lesbarer und dennoch vertrackter Satz- lich und apart sie manchmal scheint, kann ganz schön bau, der einen ganz eigenen, manchmal dem literari- zickig sein. Sie spart nicht mit Kritik an Edouards Mal- schen Expressionismus ähnelnden und den Leser kunst und behandelt ihn auch sonst oft so, als sei sie geradezu süchtig machenden Erzählton hervorruft. In die Herrin und der Künstler ihr Knecht. Edouard der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur kann das nimmt das hin, mehr noch: Er setzt viel daran, einen im Augenblick keiner so gut wie Zaimoglu. etwas unappetitlich gezeichneten alternden Mann, der offenkundig hinter seiner unbemannten Herrin her ist, Feridun Zaimoglu, Der Mietmaler. Eine Liebes- wie eine lästige Fliege von ihr fernzuhalten. »Sie ahn- geschichte. Verlag LangenMüller, München 2013. ten es«, sagt Frau Sillinger. »Weil es so häufig vor- 137 Seiten, 19,99 Euro kommt: Mann stirbt, Freund wartet die Trauerzeit ab. Dann belästigt er die Witwe.« Und nicht nur er – schließ- lich sieht die Dame nicht nur passabel aus, sie ist auch nicht ganz unvermögend: »Vielleicht rochen die alten Galane tatsächlich den Speck in ihrer Tasche.« Der Mietmaler – und damit der Leser – erfährt mancherlei aus der Vergangenheit der Auftraggeberin. Eine zarte erotische Spannung zwischen ihr und dem Auftrag- nehmer ist unverkennbar, aber… Edouard stellt so seine Überlegungen an, über Frau Sillinger natürlich – »Sie war meisterhaft darin, im Nebel zu gehen« –, aber auch über Männer und Frauen im Allgemeinen. Ein uraltes Thema. Mehr wird nicht verraten. 34 :: Neuerscheinungen, Auszeichnungen, Neuigkeiten…

Neuer scheinungen Auszeichnungen Neuigkeiten

:: Artur Becker, Vom Aufgang der :: Marica Bodrozˇic´ erhielt in die- :: Harald Weinrich übereignet sein Sonne bis zu ihrem Niedergang. sem Jahr den Kranichsteiner Litera- Archiv dem Deutschen Literatur- Roman. Weissbooks, Frankfurt a.M. turpreis des Deutschen Literatur- archiv Marbach. Der Vorlass des 2013 fonds Darmstadt und den Preis der Romanisten und Schriftstellers um- :: Zsuzsanna Gahse, Die Erbschaft. Litera-Tour Nord. fasst Materialkonvolute zu seinen Mit Zeichnungen von Anna Luchs. :: Léda Forgó wurde für Seiten- zentralen Monographien, darüber Edition Korrespondenzen, Wien schlag mit dem Anerkennungspreis hinaus Zettelkästen und den Kern 2013 zum Hohenemser Literaturpreis seiner Arbeitsbibliothek. Zu den :: Eleonora Hummel, In guten Hän- für deutschsprachige Autoren umfangreichen Materialien des den, in einem schönen Land.Roman. nichtdeutscher Muttersprache ersten übergebenen Teilbestands Steidl Verlag, Göttingen 2013 2013 gewürdigt. gehören unter anderem Manu- :: Imre Kertész, Letzte Einkehr. :: Dante Andrea Franzetti erhielt skripte, Sonderdrucke und Zettel- Tagebücher 2001–2009. Rowohlt für seinen Roman Zurück nach Rom kästen zu seinem Buch Lethe. Kunst Verlag, Reinbek bei Hamburg 2013 den Schillerpreis der Zürcher und Kritik des Vergessens (1997) :: Terézia Mora, Das Ungeheuer. Kantonalbank 2013. und seine Büchersammlung zum Roman. Luchterhand Verlag, :: Abbas Khider konnte 2013 mit Adelbert-von-Chamisso-Preis mit München 2013 dem Grenzgänger-Stipendium der über 400 Bänden. :: Said, parlando mit le phung. Robert Bosch Stiftung und als Lite- :: Das internationale Forschungs- Steidl Verlag, Göttingen 2013 ratur-Stipendiat im Künstlerhaus zentrum Chamisso-Literatur (IFC) :: Rafik Schami, Der Mut, die Edenkoben arbeiten, zudem wurde am Institut für Deutsch als Fremd- Würde und das Wort. Von der Ver- er mit dem Hilde-Domin-Preis für sprache der Ludwig-Maximilians- pflichtung, den Mund aufzuma- Literatur im Exil der Stadt Heidel- Universität München stellt sich mit chen. edition syndikat, Karlsruhe berg ausgezeichnet. Unterstützung der Robert Bosch 2013 :: Sas ˇa Stanisˇic´ wurde für Frau Stiftung die Aufgabe, die wissen- :: Michael Stavaricˇ, Königreich der Kranz malt ein Bild vom Hier mit schaftliche Beschäftigung mit Schatten . Roman. Mit Illustrationen dem Hohenemser Literaturpreis Chamisso-Literatur zu fördern und von Mari Otberg. C.H. Beck Verlag, für deutschsprachige Autoren nicht- die interdisziplinäre Schnittstelle München 2013 deutscher Muttersprache 2013 zwischen Literaturproduktion und :: Ilija Trojanow, Der überflüssige ausgezeichnet. Außerdem erhielt -rezeption mit Schwerpunkt auf Mensch. Unruhe bewahren. Essay. er den diesjährigen Alfred-Döblin- xenologische Perspektiven zu stär- Residenz Verlag, St. Pölten 2013 Preis für unveröffentlichte Prosa, ken. Im Mai und Juni 2013 wurden :: Ili ja Trojanow, Wo Orpheus be- den das Literarische Colloqium F eridun Zaimoglu und Michael graben liegt . Mit Fotografien von Berlin vergibt. Stavaricˇ als Poetikdozenten einge- Christian Muhrbeck. Hanser Ver- :: Yoko Tawada erhielt neben dem laden und hielten neben einem lag, München 2013 japanischen Yomiuri-Literaturpreis Gastvortrag und einer öffentlichen :: Galsan Tschinag, Der Mann, die den Erlanger Literaturpreis für Lesung zwei Workshops ab. Frau, das Schaf, das Kind.Roman. Poesie als Übersetzung, der zum Unionsverlag, Zürich 2013 Auftakt des 33. Erlanger Poeten- festes überreicht wurde. :: 35

Die Mitarbeiter dieser Chamisso-Ausgabe

:: Michael Bienert, Jahrgang 1964, arbei- wissenschaftlichen Beirat des Chamisso- :: René-Marc Pille, 1953 in Montpellier tet in Berlin als Journalist, Buchautor und Digitalisierungsprojekts der Berliner geboren, ist Professor für Deutsche Stadtführer. Er ist Erfinder und Redak- Staatsbibliothek. Ab 2013 leitet er Stadt- Literatur- und Kulturgeschichte an der teur des Chamisso-Forums, einer Inter- führungen zu Chamisso in Berlin. Université Paris 8 Vincennes-Saint-Denis. netplattform für den Austausch über den Weiteres unter www.text-der-stadt.de. Sein Beitrag ist eine gekürzte Fassung Dichter und Naturforscher (www.cha- :: Zsuzsanna Gahse, geboren in seines Essays »Der deutsche Dichter aus misso-forum. blogspot.de), Mitglied im Budapest, aufgewachsen in Wien, in Frankreich: Mutmaßungen über Chamis- Stuttgart zur Schriftstellerin geworden, sos Sprachwechsel«, zuerst erschienen lebt in Müllheim/Thurgau. Für ihr lite- in: Anna Busch, Nana Hengelhaupt, Alix rarisches Werk erhielt sie zahlreiche Winter (Hrsg.), Französisch-deutsche Kul- Auszeichnungen, 2006 den Adelbert- turräume um 1800. Bildungsnetzwerke, Impr essum von-Chamisso-Preis. Zuletzt erschienen Vermittlerpersönlichkeiten, Wissens- ihr Bücher Donauwürfel, Südsudelbuch transfer. BWV Berliner Wissenschafts- Herausgegeben von der und Die Erbschaft in der Wiener Edition Verlag, Berlin 2012. Seite 65 bis 73. Robert Bosch Stiftung GmbH Korrespondenzen. :: Jürgen Ritte, Jahrgang 1956, ist Pro- :: Klaus Hübner,J ahrgang 1953, arbei- fessor für deutsche Literatur und inter- Redaktion tete nach seinem Germanistikstudium kulturelle Studien an der Université de Irene Ferchl, Frank W.Albers, und der Promotion als Dozent an in- la Sorbonne Nouvelle in Paris. 2011 Maria Trini und ausländischen Universitäten und hielt er die Laudatio auf Jean Krier aus für Verlage. Er lebt in München als Anlass des Chamisso-Preises, für die Gestaltung Autor, Publizist und Literaturkritiker, französische Literaturzeitschrift MEET r2 | röger & röttenbacher, ist Redakteur der Zeitschrift Fachdienst übersetzte er eine Reihe seiner Gedichte Büro für Gestaltung, Leonberg Germanistik und Sekretär des Adelbert- ins Französische. Zahlreiche Publika- von-Chamisso-Preises der Robert tionen, unter anderem zu W.G. Sebald Abbildungen/Fotos Bosch Stiftung. und Marcel Proust. 2013 erscheint Michael Bienert (auf Seite 21) :: Klaus-Dieter Lehmann, Jahrgang 1940, seine Übersetzung des Condottiere von Die Andere Bibliothek (6, 11, 12/13, 14) ist seit 2008 Präsident des Goethe-Insti- Georges Perec im Hanser Verlag. Insel Verlag (19) tuts. Er ist Honorarprofessor an der :: Klauspeter Sachau , Jahrgang 1940, Yves Noir (22, 23, 24, 27, 28) Frankfurter Goethe-Universität und der ist Grafiker und Literaturvermittler. Für Hartmut Salmen (30/31) Humboldt-Universität zu Berlin und den Verein für Literatur Dortmund lei- Staatsbibliothek zu Berlin (15, 16, 17) Mitglied der Berlin-Brandenburgischen tet er das jährliche LesArt.Festival in Zentral- und Landesbibliothek/Berlin- Akademie der Wissenschaften sowie Dortmund. In Zusammenarbeit mit dem Studien (20/21) der Akademie der Wissenschaften und Kulturbüro der Stadt Dortmund koordi- der Literatur in Mainz. Die Ludwig- niert er größere literarische Veranstal- Trotz aller Bemühungen konnten wir Maximilians-Universität verlieh ihm im tungen wie 2007 die »Chamisso-Tage an nicht alle Bildquellen ausfindig machen. Jahr 2001 die Ehrendoktorwürde. Neben der Ruhr« und das Projekt »Viele Kul- Wo uns das nicht gelungen ist, freuen zahlreichen anderen Ehrenämtern ist er turen – eine Sprache« im Rahmen der wir uns auf Hinweise zur Herkunft der im Stiftungsrat für den Friedenspreis Kulturhauptstadt Europas RUHR.2010. Bilder. des Deutschen Buchhandels, in den Ver- :: Monika Sproll, Jahrgang 1972, ist waltungsräten des Germanischen Natio- Literaturwissenschaftlerin und Mitar- Dank an nalmuseums, des Deutschen Museums beiterin am Chamisso-Digitalisierungs- LIV – Feinkost & Wein, Berlin (S. 24) und des Senckenberg Museums. projekts der Berliner Staatsbibliothek. :: Yves Noir wurde 1967 in Frankreich Zur Zeit arbeitet sie an ihrer Disserta- © 2013 bei den Autoren, Fotografen geboren. Er studierte Mediendesign mit tion über Das Charakteristische. Studien und dem Herausgeber Schwerpunkt Fotografie und arbeitet zur Theorie des Charakters und zur Alle Rechte vorbehalten als freier Fotograf und Dozent für Foto- Ästhetik des Charakteristischen von www.bosch-stiftung.de grafie im In- und Ausland. Leibniz bis Hölderlin. Kinder- und Jugendliteratur aus Mittel- und Osteuropa entdecken

Aus der aktuellen Kinder- und Jugendliteratur der Länder Mittel- und Osteuropas ist im deutschsprachigen Raum sehr zu Unrecht nur wenig bekannt.

ViVaVostok Ein Förderprogramm der Robert Bosch Stiftung in Kooperation mit der Stiftung Internationale Jugendbibliothek

öffnet den besten und spannendsten Kinder- und Jugendbuchautoren aus den Ländern Mittel- und Osteuropas die Tür. Innovative Veran- stalter erhalten Unterstützung, wenn sie ihrem Publikum Kinder- und Jugendliteratur aus Mittel- und Osteuropa vorstellen. ViVaVostok lädt junge Leser ein, in fremde Lebenswelten einzutauchen, fremdspra- chigen Autoren und Illustratoren persönlich zu begegnen und sich von einer einfallsreichen und phantasievollen Literatur verzaubern zu lassen. Nicht zuletzt möchte ViVaVostok damit Anstoß zur Publikation der Werke in deutscher Übersetzung geben. www.bosch-stiftung.de/vivavostok

Illustration: Svjetlan Junaković