Die Sprache Der Zweiten Republik
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Demokratiezentrum Wien Onlinequelle: www.demokratiezentrum.org Printquelle: Printquelle: Mantl, Wolfgang (Hg.): Politik in Österreich. Die Zweite Republik: Bestand und Wandel. Böhlau, Wien/Köln/Graz 1992, S. 279-298. Gerfried Sperl Die Sprache der Zweiten Republik I. Sprache und Politik Um Gottes willen, schon wieder wir, die Politiker. Natürlich. Dieses Thema betrifft die politische Sprache der Zweiten Republik und damit die Sprache der Politiker. Aber nicht nur. Denn politische Reden werden oft genug von Sekretären und Pressereferenten geschrieben, oder zumindest vorbereitet. Und die Politik wird nicht nur von Mandataren und Funktionären bestimmt, sondern auch von Bürgern, die ein Problem zur Sprache bringen, und natürlich von den Journalisten, deren Sprache ziemlich einflußreich ist. Die Presse-Sprache der Zweiten Republik aber klammern wir aus und konzentrieren uns auf Tendenzen des jeweiligen politischen Sprachgebrauchs in den verschiedenen Phasen der Zweiten Republik. In der Bundesrepublik Deutschland setzte Anfang der siebziger Jahre eine breite Diskussion über die Sprache und deren macht in der Politik ein. Die Konservativen “begriffen”, daß die Neue Linke der sechziger Jahre nicht nur neue politische “Begriffe” geschaffen hat, sondern über weite Strecken auch die politische Sprache “besetzt” hatte. Daher kam es zu einer “Instandbesetzung” jener Sprache, die – nach Meinung der Kritiker – durch ideologische Muster wie die “Hessischen Rahmenrichtlinien” verarmt und “umfunktioniert” worden war. Die erste, vehement vorgetragene, Kritik kam an der Wende zu den siebziger Jahren vom damaligen CDU-Generalsekretär Kurt H. BIEDENKOPF, der zum Widerstand aufrief. In weiteren Kreisen bekannt wurde der in den Jahren 1974/75 geführte Briefwechsel zwischen dem bayerischen Kultusminister Hans MAIER und dem Schriftsteller Heinrich BÖLL nach dem Erscheinen der “Katharina Blum”, einer Abrechnung mit der Springer-Presse. Der Disput konzentrierte sich auf einen Vortrag MAIERs, den dieser 1972 mehrmals gehalten hatte: “Aktuelle Tendenzen der politischen Sprache”. Und – im Gegenzug – auf BÖLLs Nobelpreis- Rede: “Versuch über die Vernunft der Poesie”. 1 Verweilen wir kurz bei dieser Auseinandersetzung, weil sie in Österreich zwar nicht intensiv geführt wurde, aber doch die sprachliche und politische Entwicklung beeinflußt hat. BÖLL siedelt sich sofort und geschickt in der Mitte zwischen konservativem und linkem “Vokabularismus” an – indem er “rituell angewandte Formen” der Linken ebenso kritisiert, wie jene konservative “Angst vor Emotionen”, die sich in Vokabeln wie Sozial- und Tarifpartnern, Arbeitnehmer und Arbeitgeber ausdrücke. Der Literat plädiert für die Rückbesinnung auf “arm und reich”, ein Begriffspaar, das MAIER wegen der klassenkämpferischen Aspekte beklagt. Dahinter steckt natürlich die prägende Kontroverse zwischen der evolutionären Vernunft des Karl POPPER und dem revolutionären Elan des Herbert MARCUSE 2 BÖLLs Plädoyer für Emotionen weist aber bereits in die damals erstmals auftretende, heute mächtige “alternative 1 Vgl. Süddeutsche Zeitung, 29./30. Jänner 1977. 2 Revolution oder Reform. Herbert Marcuse und Karl Popper. Eine Konfrontation. München 1971 1 Autor/Autorin: Gerfried Sperl • Titel: Die Sprache der Zweiten Republik Printquelle: Mantl, Wolfgang (Hg.): Politik in Österreich. Die Zweite Republik: Bestand und Wandel. Böhlau, Wien/Köln/Graz 1992, S. 279-298 • Onlinequelle: www.demokratiezentrum.org Demokratiezentrum Wien Onlinequelle: www.demokratiezentrum.org Printquelle: Printquelle: Mantl, Wolfgang (Hg.): Politik in Österreich. Die Zweite Republik: Bestand und Wandel. Böhlau, Wien/Köln/Graz 1992, S. 279-298. Politik” und in die Strukturen jener Jugendbewegung, die – wie bei den Zürcher Unruhen – der “etablierten Politik” zuviel Kälte und zuwenig Sinnlichkeit und Gefühl 3 vorwarf. MAIER hat Angst vor “polarisierenden, militanten, parteiischen Neubildungen”, BÖLL vor einer “totalen Versachlichung”, die “Phantasie, Poesie” einem “detailgenauen Logikkalkül” und damit der Computersprache unterordne. Wenngleich man sich nicht in den “poetischen Staat” (NOVALIS) verirren könne, so müsse doch die politische Brisanz der Dichtung gegenüber der “Realgesinnung” (WERFEL) verteidigt werden. Diese Klärung der Positionen ist deshalb so wichtig, weil damit auf ein Phänomen hingewiesen wurde, das durch die verkürzte Darbietung der humanistischen Bildung zu wenigen bewußt ist. Vor dem Entstehen der Massenmedien, vor allem aber im klassischen Griechenland hatte das literarische Wort hohes politisches Gewicht. Weil Kritik nicht über die Medien vervielfältigt werden konnte, fand sie im Theater statt. Später: Wer etwa Roman und Theater von BULGAKOW über den Herrn MOLIERE kennt, der weiß um die starke Wechselwirkung zwischen politischer und literarischer Sprache. Warum entfaltete sich diese Diskussion in Österreich nicht? Der erste Punkt: Die Zweite Republik hat keine Tradition einer literarisch-politischen Auseinandersetzung. Es gibt sie nur im ganz persönlichen, im religiösen und partiell im Fäkal-Bereich 4, oder wenn einzelne Politiker glauben, das “gesunde Volksempfinden” verteidigen zu müssen. Im übrigen ist die Literatur eher ein Lieferant für Versatzstücke politischer Reden. Aber auch die Literatur selbst attackiert zuwenig, vereinzelte Angriffe werden selten erwidert. 5 Die meisten Schriftsteller konzentrieren sich auf ihr Opus, greifen in die aktuelle Diskussion jedoch nicht ein. Der zweite Punkt: Nach den Wahlniederlagen der Jahre 1970 und 1971 war die ÖVP wohl zu schwach, um die “Sprache” zur Sprache zu bringen, die Ära KLAUS hatte kein Umfeld geschaffen, in dem Intellektuelle eine solche Debatte eröffnen hätten wollen. Sie – die ÖVP – hat in den Todesjahren der Großen Koalition nicht begriffen, daß man auf längere Sicht nur dann mehrheitsfähig ist, wenn man eine politische Kultur entwickelt, die Dissidenten ernst nimmt. Gerade dies vermochte die SPÖ unter der Führung Bruno KREISKYs sehr rasch, wobei ihr klimatisch Günter NENNINGs “Neues Forum” zu Hilfe kam. Ähnlich – aber schon seit Beginn der sechziger Jahre – die steirische Volkspartei. Sie kapselte sich von den neuen künstlerischen Tendenzen nicht ab, pflegte literarische Sprachmuster über den damaligen 3 Nicht zu verwechseln mit “Gefühl” in Verbindung mit “Geschmack” – Politik also als ästhetisches Verfahren. Vgl. Josef HASLINGER, Politik der Gefühle. Ein Essay über Österreich. Neuwied/Rhein 1987 4 Zu erinnern ist: An die Konflikte um die Wiener Aktionisten, an die Auseinandersetzung zwischen Josef TAUS und Peter TURRINI, sowie an die ACHTERNBUSCH-Affäre (die mit alten Reibereien um den “steirischen herbst” zusammenhing). 5 Der einzige “angriffige” Dichter war eigentlich Thomas BERNHARD. Wie die Beschlagnahme seines Buches “Holzfällen” zeigte, ging es auch hier nicht eigentlich um politische Grundsätze, sondern um österreichische Tabus (“Eine Erregung”). “Politische” Schriftsteller sind zweifellos Peter TURRINI, Elfriede JELINEK und Michael SCHARANG. – Vgl. Michael SCHARANG: Das Wunder Österreich. Oder wie sich ein Land immer besser und dabei immer schlechter wird. Wien 1989 2 Autor/Autorin: Gerfried Sperl • Titel: Die Sprache der Zweiten Republik Printquelle: Mantl, Wolfgang (Hg.): Politik in Österreich. Die Zweite Republik: Bestand und Wandel. Böhlau, Wien/Köln/Graz 1992, S. 279-298 • Onlinequelle: www.demokratiezentrum.org Demokratiezentrum Wien Onlinequelle: www.demokratiezentrum.org Printquelle: Printquelle: Mantl, Wolfgang (Hg.): Politik in Österreich. Die Zweite Republik: Bestand und Wandel. Böhlau, Wien/Köln/Graz 1992, S. 279-298. Kulturreferenten Hanns KOREN und hatte somit keinen Grund, die “Besetzung von Begriffen” durch andere zu beklagen. 6 II. Unterscheidungen Um das gestellte Thema genauer fassen zu können, die Bedeutung der Sprache im österreichischen Kontext zu erklären und somit auch die Ausstrahlung der deutschen Thematik, sind Unterscheidungen nötig, die in zeitliche und strukturelle Phänomene münden. 1. Gruppenmerkmale der Sprache a) Die Sprache der Herrschenden b) Die Sprache des Aufbegehrens c) Die Sprache der Subkultur 2. Die Sprache politischer Phasen a) Die Sprache des Wiederaufbaus b) Die Sprache der neuen Identität c) Die Sprache der Gesellschaftskritik d) Die Sprache des Aufschwungs e) Die Sprache der Skepsis und Einschränkung f) Die Sprache des neuen Populismus 3. Symbol- und Körpersprache a) Die Krawattengeneration b) Die färbige Vielfalt c) Die Pullover-Politik Die Sprache der Herrschenden. Sie ist natürlich kein spezifisch österreichisches Phänomen und letztlich nicht rational begründbar: “Das Ziel der Menschenbeeinflussung, das in der Politik so oft im Vordergrund steht, ist in vielen Situationen nicht allein mit rationaler und sachlicher Argumentation erreichbar”, schreibt der Grazer Ideologiekritiker Kurt SALAMUN 7, und bedient sich statt ideologischer Muster zunehmend der Möglichkeiten der Werbung. Im österreichischen Zusammenhang interessieren uns zwei Strategien, die erfolgreich sein konnten, weil sie vermutlich mit den Gefühlen und dem Bewußtsein einer Mehrheit übereinstimmten. Erfolgreich war in der Ära RAAB die Strategie der Identifikation, weil Julius RAAB Baumeister war und dieser Beruf mit der Aufbau-Gesinnung zusammenfiel.8 Ganz anders die Ära KREISKY. Seine Ausflüge in die Weltpolitik und in die Literatur spiegelten die Öffnung der sechziger Jahre (KENNEDY, JOHANNES XXIII.) und brachten die Renaissance des “Österreichischen” zum Ausdruck. Dazu kam KREISKYs völlig unverkrampftes Verhältnis zu den Medien und zum 6 Beim Begräbnis