Der "Turnvater" in Bewegung. Die Rezeption Friedrich Ludwig Jahns
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Der „Turnvater“ in Bewegung Die Rezeption Friedrich Ludwig Jahns zwischen 1933 und 1990. Inaugural-Dissertation zur Erlangung des Doktorgrades der Philosophie an der Ludwig-Maximilians-Universität München vorgelegt von Karoline Wellner aus Dachau 2008 Referent: Prof. Dr. Wolfram Siemann Korreferent: Prof. Dr. Hans-Michael Körner Tag der mündlichen Prüfung: 11. Februar 2008 Inhaltsverzeichnis Einleitung 5 Die Jahnrezeption im Nationalsozialismus (1933-1945) 14 1. Analyse der Quellenlage 14 1.1. Quantität 14 1.2. Autorenschaft 16 2. Der Weg zum nationalsozialistischen Jahnbild 20 2.1. Die Grundzüge der Rezeption im Kaiserreich 20 2.2. Die Grundzüge der Rezeption in der Weimarer Republik 21 2.3. Umbruch oder Kontinuität? 26 3. Rezeption Jahns in Wissenschaft und Turnerschaft 29 3.1. Von der Person Jahns 29 3.1.1. Heroisierung und Idealisierung 29 3.1.2. Der Umgang mit seinen Kritikern 33 3.1.3. Vom „Turnvater“ zum Politiker 34 3.1.4. Der Vergleich Jahn – Hitler 36 3.2. Von Jahns politischem Werk 41 3.2.1. Definition nach innen: Reich und Volkstum 41 3.2.2. Abgrenzung nach außen: Menschheit und Franzosenhass 45 3.2.3. Kultur- und sozialpolitische Elemente 47 3.2.4. Turner- und Menschenbild 53 3.2.5. Staatspolitische Elemente 59 4. Populäre Jahnrezeption und -vermittlung 63 4.1. In der politischen Rede 63 4.2. Im Konversationslexikon 71 4.3. Im Schul- und Jugendbuch 75 4.4. In der Literatur 81 Die Jahnrezeption zwischen NS und Zweistaatlichkeit (1945-1952) 90 1. Die Phase der Nullrezeption 90 2. Die Westzonen 92 3. Die Ostzone 98 Die Jahnrezeption in beiden Teilen Deutschlands (1952-1990) 103 1. Analyse der Quellenlage 103 1.1. Quantität 103 2.2. Autorenschaft 109 2. Die Rezeption Jahns in Wissenschaft und Turnerschaft 117 2.1. Von der Biographie 117 2.1.1. „Aufrührer“ oder „Erziehungshandwerker“? 117 2.1.2. „Turnvater“ oder Nachahmer? 122 2.1.3. „Sprachkünstler“ oder „Amateurgermanist“? 126 2.1.4. Fremdenhasser oder Völkerfreund? 129 2.1.5. Feminist oder Antifeminist? 136 2.1.6. Held oder Antiheld? 139 2.2. Von Werk und Handeln 147 2.2.1. Zwischen Politik und Freizeit 147 2.2.2. Zwischen Militarismus und Humanismus 155 2.2.3. Zwischen den politischen Gruppen 165 2.2.4. Zwischen Deutscher Einheit und Zweistaatlichkeit 176 2.2.5. Zwischen Nationalismus und Internationalismus 183 3. Jahnrezeption und -vermittlung in Literatur und Schule 196 3.1. Im Konversationslexikon 196 3.2. In der Literatur 204 3.3. In der Schule 215 4. In der inszenierten Öffentlichkeit 224 4.1. 100. Todestag Jahns 1952 224 4.2. 150 Jahre Turnen 1961 241 4.3. 200. Geburtstag Jahns 1978 247 Zusammenfassung 254 Abkürzungsverzeichnis 265 Quellen- und Literaturverzeichnis 266 1. Verzeichnis der ungedruckten Quellen 266 2. Verzeichnis der gedruckten Quellen 267 2.1. Quellen für die Rezeption bis 1945 267 2.2. Quellen für die Rezeption nach 1945 274 3. Literatur und Hilfsmittel 292 3.1. Bibliographien 292 3.2. Literatur 293 3.3. Nachschlagewerke 310 3.4. Internet 310 Danksagung 312 Lebenslauf 313 Einleitung 5 Einleitung In der deutschen Erinnerungskultur ist Friedrich Ludwig Jahn (11. August 1778 bis 15. Oktober 1852), genannt der „Turnvater“, omnipräsent. Jahn prägt die deutschen Stadt- pläne, denn mehr als 1100 Straßen tragen den Namen Friedrich Ludwig Jahns. Damit gibt es mehr Jahn- als Schillerstraßen.1 Jahndenkmäler und Jahnbüsten zieren in kaum überschau- barer Zahl2 deutschsprachige Felder und Fluren, Turnhallen und Sportplätze. Briefmarken und Poststempel tragen sein Konterfei.3 Jahns Bekanntheitsgrad basiert aber trotz der Vielzahl dieser konkreten und abstrakten Erinnerungsorte primär auf mündlicher Überlieferung: das Eponym „Turnvater“ und der populäre Turnerspruch „frisch, fromm, fröhlich, frei“4 verankern Friedrich Ludwig Jahn im kollektiven Gedächtnis. Noch heute tradieren vor allem Turn- und Sportvereine diesen „Turnvater Jahn“ im deutschsprachigen Raum. Sie generieren 5 mit ihrer Öffentlichkeitsarbeit und ihren mit Jahn bezeichneten Sportstätten und Vereinen bei 1 Ausführlich dokumentiert bei Dieter Germann: Turnvater – Pädagoge – Politiker. Zum 150. Todestag von Friedrich Ludwig Jahn (1778 bis 1852). In: Olympisches Feuer 52 (2002), Nr. 4, S. 24-27. Hier: S. 27. Laut Germann tragen insgesamt sogar über 100 000 Straßenschilder den Namen Jahns. Vgl. Ders.: Leben und Werk Friedrich Ludwig Jahn. Turnvater – Pädagoge – Politiker – eine thematische Dokumentation. O. O., o. J. 2 Eine Zusammenstellung der weltweiten Jahndenkmäler besorgte Thomas Schnitzler: Denkmäler für ‚Turnvater‘ Friedrich Ludwig Jahn. Retrospektive auf einen umstrittenen Deutschen und die Modernisierung der Körperkultur. Köln 2002. Die österreichischen Jahndenkmäler wurden von Günter Atzmanninger gesammelt. Vgl. Ders.: Ein Denkmal für Jahn. (CD-ROM). Schärding 2003. 3 Briefmarken mit Jahns Konterfei erschienen 1952 (DDR) und 1978 (DDR und BRD) sowie 2006 (Österreich). Die Zahl der Sonder- und Werbestempel der Deutschen Post mit Jahns Abbild ist noch deutlich höher. Zuletzt zeigte der Werbestempel der Deutschen Post 2001 Jahn gemeinsam mit GutsMuths als die Begründer der Gymnastik- und Turnbewegung in Deutschland. Idee, Motivauswahl und Entwurf oblagen zu Teilen der IMOS (Internationale Motivgruppen „Olympiaden und Sport“ e.V.). Vgl. Heinz Korbmann (Red.): Beiträge zur Olympia- und Sportphilatelie und zur deutschen Sportgeschichte (2001), S. 17f. 4 Die ursprüngliche Reihenfolge lautete „frisch, frei, fröhlich, fromm“ und wurde so auch von Jahn befürwortet. Gertrud Pfister: „Frisch, fromm, fröhlich, frei“. In: Etienne François, Hagen Schulze: Deutsche Erinnerungsorte II. München 2001, S. 202-219. Pfister sieht sogar den „Turnvater Jahn“ als ein wichtiges Symbol. Vgl. S. 203. Der Turnerspruch – in seiner historisch richtigen Reihenfolge – und seine Geschichte sind inzwischen ausführlich erforscht: Vgl. Ernst Erich Metzner: „Frisch, frei, fröhlich, fromm“ als artifizielles Frühzeit-Zitat in der Vorstellung F. L. Jahns. Zur Sprache, Gestalt und Geschichte des ursprünglichen Turnerwahlspruchs seit dem Mittelalter. In: Cornelia Kessler, Hans-Joachim Bartmuß (Red.): Friedrich Ludwig Jahn und die Gesellschaften der Turner – Wirkungsfelder, Verflechtungen, Gruppenpolitik. Beiträge des Jahnsymposiums von 03. bis 05. Oktober 2003 in der Friedrich-Ludwig-Jahn-Ehrenhalle in Freyburg a. d. Unstrut. Halle 2004, S. 158- 170. Und früher ders. bereits im Deutschen Turnen: „Frisch - Fromm - Fröhlich - Frei“. Zur Entstehung und zum Verständnis des deutschen Turnerwahlspruchs und Turnerwahrzeichens, In: Deutsches Turnen (1990), Hft. 3, S. 26-29. Ebenso gut sind die anderen von Pfister genannten Turnersymbole erforscht: Lothar Wieser: „Mit Brudergruß und Handschlag“ Zur Geschichte politischer Symbolik in der deutschen Turnbewegung, In: Sozial- und Zeitgeschichte des Sports 7 (1993) Hft. 1, 29-38. Vgl. Lothar Wieser: Sinnbilder und Farben der deutschen Turnbewegung im 19. Jahrhundert. Symbole: bildhafter Ausdruck gemeinschaftlicher Ideale. In: Cornelia Kessler, Hans-Joachim Bartmuß (Red.): Friedrich Ludwig Jahn und die Gesellschaften der Turner – Wirkungsfelder, Verflechtungen, Gruppenpolitik. Beiträge des Jahnsymposiums vom 03. bis 05. Oktober 2003 in der Friedrich-Ludwig-Jahn-Ehrenhalle in Freyburg a. d. Unstrut. Halle 2004, S. 145-157. 5 So auch in Österreich, siehe Günter Atzmanninger: Dr. Dr. h.c. Friedrich Ludwig Jahn. Eine Serie von Bundesdietwart Günter Atzmanninger. http://www.oetb.at/jahn/jahn_folge_01-10.pdf (6.9.2007) Einleitung 6 immer neuen Generationen von Kindern und Jugendlichen die kollektive Erinnerung6 an Jahn im Sinne einer emotionalen, biographischen und gegenwartsbezogenen Beziehung zum Turn- vater. Damit pflegen sie eine Tradition, die über ein Jahrhundert vor ihnen erfunden wurde: Jahn als Vater, Ursprung und Verbindung der Turner und – seit späterer Zeit – auch der Sportler. Ziel dieser Arbeit ist es zu untersuchen, wie das Bild von Friedrich Ludwig Jahn zwischen der Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 und der Wiedervereinigung 1990 in Deutschland verändert, erweitert oder eingeengt wurde. Die neue Welle der Selbstreflexion in der Geschichtswissenschaft über die Historiographie des Nationalsozialismus (NS), die vom Historikertag 1998 und dem von Winfried Schulze herausgegebenen Sammelband7 ausgelöst wurde, lässt eine solche Untersuchung über den Zeitraum zwischen 1933 und 1945 besonders zeitgemäß und aktuell erscheinen.8 Auch in der Zeit nach 1945 bleibt die Jahnrezeption spannend: zum einen durch die Frage nach der Aufarbeitung der national- sozialistischen Deutungstraditionen, zum anderen durch die deutsche Zweitstaatlichkeit. Daraus ergeben sich synchrone Vergleichsmöglichkeiten zwischen den Staaten und die Möglichkeit zur diachronen Gegenüberstellung mit dem totalitären Regime des National- sozialismus. Zeitlich gesehen möchte die vorliegende Arbeit damit an die Reinhard Sprengers9 anknüpfen. Teile der Fragestellung Sprengers nach der Modernität und Antimodernität in der Jahnrezeption werden dabei aufgegriffen. Die Vorgehensweise ist jedoch gänzlich anders: Die Arbeit ist nicht nach den verschiedenen Autoren und Rezeptionskreisen gegliedert, vielmehr wird die Rezeption der Person Jahn und seines Werkes analytisch untersucht.10 Dabei wird zwischen der Rezeption in der Wissenschaft und Turnerschaft und nicht genuin geschichtswissenschaftlichen Medien, wie der politischen Rede, dem Lexikon, dem Schul- 6 Zur Verbindung von kollektivem Gedächtnis und persönlicher Erinnerung durch Emotion vgl. Etienne François, Hagen Schulze: Einleitung. In: Dies. (Hrsg.): Deutsche Erinnerungsorte.