Toller Rundblick: Mit einer Höhe von 1241 Metern ist der Kandel der höchste Berg im Mittleren Schwarz- wald. Er überragt die umliegenden Gipfel deutlich um bis zu 500 Meter

Von Hexen, Geistern und dem Leibhaftigen

Wie eine Festung erhebt sich der Kandel oberhalb von . Hexen sollen hier am „Blocksberg des Schwarzwalds“ seit jeher ihr Unwesen treiben. In der Walpurgisnacht 1981 haben sie wohl etwas über- trieben: Es kam zu einem gewaltigen Felssturz, erzählt Gästeführerin Rosemarie Riesterer auf einer ihrer

sagenhaften Wanderungen alliance/ROPI/Antonio Pisacreta FOTOS: mauritius images/Patrick Kunkel, picture

90 | MEIN Schwarzwald MEIN Schwarzwald | 91 Nein, das ist kein Sonnwendfeuer alpurgisnacht 1981: Mit gewaltigem Getöse Das Sonnwendfeuer auf origineller Wanderhut! dem Kandelgipfel hat kracht ein riesiger Felsvorsprung ins Tal Rosemarie Riesterer eine lange Tradition. hinunter und schreckt die Menschen auf. Am untermalt ihre Ge- Ausrichter sind in regel- W schichten gerne mit nächsten Morgen findet man im tonnenschweren Geröll mäßiger Abfolge der unterhalb des Kandelmassivs einen Hexenbesen. Was Accessoires, die sie dann passend zur Schwarzwaldverein war geschehen in jener Nacht auf den 1. Mai zur Geister- Waldkirch-Kandel, die Erzählung aus dem Naturfreunde Wald- stunde um 0.17 Uhr? Rucksack zieht kirch und der Ski-Club Das weiß Rosemarie Riesterer. Seit 23 Jahren erzählt Kandel. In diesem Jahr die Elztälerin auf Wanderungen Heimatgeschichten wird bereits das 100- und Sagen rund um die Landschaft zwischen Kandel Jährige gefeiert – die und Rohrhardsberg. An diesem Morgen trifft sie auf Jubiläumsveranstaltung ist für den 26. Juni der Passhöhe des 1241 Meter hohen Aussichtsbergs geplant eine Gruppe von rund 15 Leuten, die meisten stammen aus der Region. „Der Kandel ist für mich etwas ganz Besonderes – ein geheimnisvoller, magischer Ort“, so die 67-Jährige, die auf einem Bauernhof am Fuße des Berges aufwuchs. „Schon als Kind saß ich zur Zeit der schweren Herbststürme bei meiner Oma auf der Ofenbank, und sie erzählte mir alte Geschichten aus der Heimat. Dann rannte ich in der Dunkelheit rüber zum Elternhaus, sah, wie die Tannen sich im Sturm bogen, und konnte sämtliche Kandelgeister, von denen mir die Oma grad erzählt hatte, spüren …“ Diese Magie des Berges möchte Rosemarie auch anderen vermitteln. Zu Fuß zu Originalschauplätzen Also los: Über den Nordhang geht es auf schmalen, felsigen Pfaden hinunter zum großen Kandelfelsen, zur „Teufelskanzel“. Vor 400 Jahren war das untere Elztal einer der Schwerpunkte der Hexenverfolgung. Von 1576 bis 1632 sollen rund um den Kandel an die 90 Personen als Hexen hingerichtet worden sein, berichtet Rosemarie Bald kann man auf dem Berg auch übernachten Riesterer, die zur Untermalung ihrer Geschichten gerne mal Accessoires wie einen Hexenbesen, einen Hut oder Der 1241 Meter hohe 5 Vier Gemeinden (Waldkirch, durch den „Sägedobel“, die ein Blumensträußchen mitbringt oder – um besonders Kandel liegt zwischen Simonswald, St. Peter und erst eine Überfahrt über den authentisch zu sein – „uff Alemannisch verzellt“. Ge- Waldkirch und St. Peter. Glottertal) haben Anteil am Kandel ermöglichte, wurde richtsprotokolle von einst belegen Aussagen von Frauen, Die exponierte Lage des Kandel. Über seinen Gipfel ver- dagegen nach dem Zweiten die als Hexen verbrannt wurden. Sie erzählten von Massivs ermöglicht Weit- läuft die Grenze zwischen den Weltkrieg gebaut. Walpurgisnächten, in denen die Hexen mit dem Teufel ums Feuer tanzten, und von einer Schar Hexen, die mit blicke in den Schwarz- Landkreisen Emmendingen und Der Kandel erfreut sich bei 5 gläsernen Äxten versuchten, den Kandel aufzuhacken. wald, die Vogesen und -Hochschwarzwald. Rennradfahrern, Wanderern, Denn dem Volksglauben nach liegt im Kandelberg ein die Schweizer Alpen … Zum - und Rheintal hin wie Kletterern und Gleitschirmflie- riesiger See verborgen, und sollte er freikommen, würde auch zu den Tälern der gern großer Beliebtheit. Mit der und der Wilden Gutach hat er „Bergwelt Kandel“ bekommt steile, felsige und teilweise alpin der Gipfel im Frühjahr 2021 ein anmutende Flanken. Nur nach neues Ausflugsziel: Hier ent- Osten in Richtung St. Peter geht steht ein modernes Berghotel, Etwa 2000 Kubik- er in eine Hochebene über. ein innovativer Holzbau aus meter Gestein hatten 5 Relativ spät wurde der Kandel heimischer Weißtanne mit Res- sich 1981 beim für den Autoverkehr erschlos- taurant, Panoramaterrasse Felssturz gelöst und sen: 1934 wurde die Fahrstraße und 48 Übernachtungsplätzen, liegen noch heute unterhalb des Felsens von Waldkirch aus über den sodass man auch die Nacht Gaisfelsen bis zum Rasthaus auf dem „Berg der Kräfte“ ver- fertiggestellt. Die Straße vom bringen kann. Weitere Infos: Glottertal und von St. Peter aus www.bergwelt-kandel.de Beate Bannach (3), picture alliance/dpa/Patrick Seeger FOTOS: Beate Bannach (3), picture

92 | MEIN Schwarzwald MEIN Schwarzwald | 93 „Wenn ich hier unterwegs bin, spüre ich ein Kribbeln“

das ganze Tal überschwemmt und alle Tiere und Men- schen müssten ertrinken. „Der Verschluss des Sees ist der Kandelfelsen hier. So hat es mir meine Oma erzählt“, erklärt Rosemarie Riesterer. „Als Kind hatte ich große Angst vor dem Kandelsee.“ 1981, als die Teufelskanzel einstürzte, erinnerten sich viele Menschen in der Gegend an die alte Sage. Noch im 20. Jahrhundert glaubten die Bauern auf den einsamen Berghöfen in der Region, dass es Hexen gibt. Wenn die Walpurgisnacht nahte, trafen die Leute Vorkehrungen, damit Hexen die Äcker oder das Vieh nicht verhexten: Der Messner läutete die hexenbannen- Die Kühe auf dem Kandel de Kirchglocke, Frauen warfen geweihte Stechpalmen lassen sich von Wanderern nicht stören. Sie grasen ins Feuer und aus geweihten Kräutern wurden Kränze friedlich weiter … geflochten und an die Haus- sowie Stalltüren gehängt, damit die Hexen nicht hineinkamen. Die Kandelhexen gibt es auch heute noch: An Fasnet tanzen die Mitglieder der Waldkircher Narrenzunft ums Feuer … Gibt’s eine wissenschaftliche Erklärung? „Gut, für den Felssturz von 1981 gibt es auch eine wissenschaftliche Erklärung“, ergänzt Rosemarie. Stän- Wandertouren am Kandel dig sammelt sich Regen- oder Schmelzwasser in den 5 Rund den Kandel: Der Josef-Seger-Weg vielen Ritzen des Felsmassivs. An den gut 140 Frosttagen führt rund um den Gipfel und ermöglicht im Jahr gefriert es zu Eis, dehnt sich dabei aus – und tolle Fernblicke. Ausgangspunkt ist die im Laufe der Zeit werden dann immer wieder Felsstücke Passhöhe. Am Kandelfelsen stoßen Wande- abgesprengt. „Aber wir wissen es ja jetzt besser“, sagt rer auf die Überreste des in der Walpurgis- die Elztälerin mit verschmitztem Lächeln. Und weiter nacht 1981 abgegangenen Felssturzes. geht die Wanderung, runter zum Fuße des großen Kan- Einkehrmöglichkeit beim Fensterli-Wirt der delfelsens, dann rauf zum kleinen Kandelfelsen und Gummenhütte. Strecke: 7 km, 230 Hm; der Thomashütte. Was für ein herrlicher Ausblick über Gehzeit: ca. 2 h. Infos: www.zweitaelerland.de das Glottertal, auf den Schlossberg sowie Freiburg und 5 Über den Damenpfad auf den Kandel: Die Erschließung des Kandels mit Wander- wegen ist in erster Linie Werk des Schwarz- waldvereins. Schon 1886 entstand der „Damenpfad“. Für den Rundweg ab Bus- haltestelle Waldkirch-Altersbach sind eine sehr gute Grundkondition und Tritt- sicherheit erforderlich. Strecke: 13 km, 1000 Hm; Gehzeit: ca. 5 h. Infos z. B. auf www.komoot.de „Der Kandel ist für mich etwas 5 Auf dem Kandelhöhenweg von Wald- ganz Besonderes – ein kirch nach St. Peter: Der Kandelhöhenweg ist eine 110 km lange Mehrtagestour von geheimnisvoller, magischer Ort “, Oberkirch nach Freiburg. Die vierte Etappe Die Elztälerin mit ihrer überquert den Namensgeber. Strecke Wandergruppe an einem sagt Tourenführerin Aussichtspunkt mit Blick (schwer): 19 km, 1091 Hm; Gehzeit: ca. 5,5 h. auf die Stadt Waldkirch Rosemarie Riesterer Infos z. B. auf www.outdooractive.com FOTOS: Beate Bannach

94 | MEIN Schwarzwald Spannende Heimatgeschichte „Solange ich fit bin, wird es meine Wanderungen geben“, sagt Natur- führerin Rosemarie Riesterer. Das Programm der 67-jährigen Elztälerin: an Originalschauplätzen spannende und geheimnisvolle Geschichten über ihre Heimat erzählen …

Mein Schwarzwald: Seit 23 Jahren erzählen Sie auf Wandertouren beinahe unglaubliche Sagen und Anekdoten. Rosemarie Riesterer: Ich erzähle Heimatgeschichten. Das möchte ich hier betonen. Also keine Märchen, Die exponierte Lage zwischen wie viele Leute glauben, und auch kaum noch Sagen. dem Elz-, Simonswälder- und Ich denke, dieser Irrtum kommt daher, dass meine Glottertal lässt das Kandel-Berg- Website „Rosemaries sagenhafte Wanderungen“ massiv wie eine Pyramide aus der heißt. umliegenden Landschaft ragen Worum geht es in den Erzählungen? Schon von ihrer Großmutter In meinen Erzählungen geht es um das karge lernte sie viele Sagen und Leben der Bergbauern, um echte Menschen wie das Geschichten des Elztals Plattewieble vom Kandel oder die Kappele-Marie kennen von der Martinskapelle und vom Rohrhardsberger Kunkel ZweiTälerLand/Patrick FOTOS: Beate Bannach, Rosemarie Riesterer, sogar bis zum Schausinsland und weiter zum Feldberg! Knecht konnte sie sich nicht wehren. Aber sie rächte sich Sepp. Auch erzähle ich über das oft einsame und Bei diesem traumhaften Panorama genießt die Gruppe auf ihre Weise und verfluchte den Forstknecht: Wenn entbehrungsreiche Leben der Hirtenkinder, die früher ein kleines Vesper und ist dann bereit für eine weitere er gestorben sei, solle sein Geist in alle Ewigkeit in den hier das Vieh hüteten. verspürte ganz stark den Wunsch, zu meinen Wur- Geschichte. Vom Kandelgeist, dem Geißenmeckerer. Wäldern umhergehen und meckern wie eine Ziege. Woher nehmen Sie die Informationen für Ihre zeln zurückzukehren und in meiner Heimat draußen 1586 sorgte der Forstknecht Nikolaus Speth in den 1599 starb Nikolaus Speth. Und seitdem, so sagt man, Geschichten? in der Natur mit Menschen unterwegs zu sein. Ich Wäldern rund um den Kandel für Recht und Ordnung. gehe die Seele dieses Mannes nachts meckernd durch Viele Geschichten habe ich aus Erzählungen erinnerte mich daran, dass mir meine Großmutter in Die Leute fürchteten ihn, weil er sehr streng war. Damals den Kandelwald. Und wehe dem, der ihn foppt! Ein Vor- meiner bäuerlichen Herkunftsfamilie und von älteren meiner Kindheit oft abends auf der Ofenbank Ge- wurde am Kandel Bergbau betrieben, es gab Eisenerz- fahre des Bauern am Reinerhof bei St. Märgen, erzählt Menschen auf den Höfen, die ich früher befragt schichten von früher erzählt hatte. So entstand die schmelzwerke, die Unmengen von Holzkohle verbrauch- die Wanderführerin, solle den Geist tatsächlich einmal habe. Inzwischen sind leider schon viele Zeitzeugen Idee, das Wandern mit dem Geschichtenerzählen ten. Und so waren die Wälder bald abgeholzt. Mühsam herausgefordert haben. Der Bauer war beim Plattensee verstorben. Ich lese alte Orts-Chroniken und bin den zu verbinden. versuchte man, sie wieder aufzuforsten. Zu jener Zeit in der Dämmerung unterwegs und übermütig rief er Heimatforschern hier sehr dankbar für viele Hin- Was bedeutet für Sie Heimat? schickten die Bauern aber auch Rinder, Schweine und den Geißenmeckerer, er solle doch kommen, wenn er weise und Geschichten. Außerdem habe ich inzwi- Meine erste und unvergessliche Heimat war Heim- Ziegen in den Wald zum Weiden. Die Tiere fraßen die etwas wolle. Plötzlich brauste ein Sturmwind durch die schen eine reiche Bibliothek mit Literatur, die eck am Fuße des Kandels, wo ich meine Kindheit jungen Pflanzentriebe. Damit der Wald eine Chance Baumwipfel, und alle Tannen hinter ihm knickten um für meine Wanderungen interessant sein könnte. und Jugend auf unserem Bauernhof verbrachte. hatte zu wachsen, wurde die Viehhaltung verboten. Und wie Streichhölzer. Der Bauer rannte voller Panik den Und wie kamen Sie auf die Idee, solche Wenn ich im Elztal unterwegs bin und mich mit den es war die Aufgabe von Forstknecht Nikolaus Speth, Berg hinunter. Und am nächsten Morgen? Da war alles, Wanderungen anzubieten? Einheimischen auf den Höfen im Dialekt unterhalte, zu kontrollieren, ob das Verbot auch eingehalten wurde. als sei nichts geschehen. War es ein Spuk? Nachdem meine beiden Söhne größer waren, verspüre ich ein warmes Heimat- und Zugehörig- „Man weiß es nicht“, beendet Rosemarie Riesterer wollte ich nicht mehr in meinen Beruf als Auslands- keitsgefühl, meine tiefe Verwurzelung mit den Ein Geist, der meckert wie eine Ziege die Geschichte. Und wie die Kandelhexen gibt es den korrespondentin und Übersetzerin zurück, sondern Menschen und der Landschaft. Wenn ich aus dem Viele Bergbauern hatten oft nur ein oder zwei Geißen, Geißenmeckerer bis zum heutigen Tag: Die Narrenzunft Urlaub nach Hause fahre und von Weitem das von deren Milch sie sich ernährten, um zu überleben. Es Johlia vom Vögelestei Gutach läuft an Fasnet im origi- Kandelmassiv sehe, weiß ich, dass ich bald daheim blieb ihnen nichts anderes übrig, als die Tiere heimlich nalgetreuen historischen Gewand des Geißenmeckerers. Rosemarie als Kind bin und nirgendwo anders leben möchte. zu halten. Der unerbittliche Knecht schlich sich nachts „Wie g’agt, er isch au hid noch om Kandel underwegs, mit ihrer Großmutter, an die Berghütten und meckerte wie eine Geiß: „Mäh, also pass uff. Aber mir sin jo rechtzittig zruck, also der „Ruth-Bieri“ mäh.“ Antwortete die Geiß ihm, wusste er Bescheid – bruche ihr kei Ongscht ho“, so Riesterer. Und da ist es (1879–1963) INFO Seit mehr als 20 Jahren bietet Rosemarie Riesterer und nahm den Bauern die Tiere weg. Zum Verhängnis wieder, dieses verschmitzte Lächeln. geführte Wanderungen an und erzählt dabei Geschichten. wurde ihm eine alte Frau: Die besaß außer einer Geiß BEATE BANNACH Termine, Kontakt und Anmeldung unter: nichts mehr. Und die sollte sie nun abgeben. Gegen den www.rosemaries-sagenhafte-wanderungen.de

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