Golo Mann. Die Geschichte
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Zeitpunkte Tilmann Lahme, Holger Pils Golo Mann. Die Geschichte »Was für ein wunderbarer Erzähler, was für ein herr- Eine Ausstellung kann das ihre tun, um dieser For- licher Schriftsteller!« (Marion Gräfin Dönhoff) derung zu genügen. Ein Wagnis bleibt sie: Eine Lebensdarstellung in öffentlichen, aber auch inti- »Golo Mann war in den ersten drei Jahrzehnten men Dokumenten, durch die der Besucher sehr der Bundesrepublik der einzige Historiker, den nah an die Person Golo Manns herangeführt wird: man lesen konnte.« (Gustav Seibt) Um sie zu verstehen, um Werk und Wirken aus der Biografie zu erklären, ohne voyeuristisch zu sein. »Einer, dem das Leben nicht gerecht geworden ist.« Der biografische Ansatz der Ausstellung »Golo (Peter Wapnewski) Mann. Die Geschichte«, bei der zugleich das Werk im Mittelpunkt steht, die »Geschichte« als Profes- »Welches der Kinder Thomas Manns war literarisch sion und die eigene »Geschichte« des Historikers, am begabtesten?« Golo. (Marcel Reich-Ranicki) war eine grundsätzliche Entscheidung, aus zwei Gründen naheliegend. Zum einen: Äußere Krisen Golo Mann, der Historiker und Schriftsteller, der und Katastrophen, innere Krisen und Katastro- kritische und eigenständige, ja vielleicht eigenwillig phen, Brüche, Widersprüche, Kämpfe, mit sich, zu nennende politische Geist – er wäre 2009 ein- mit der Familie, mit den Umständen – all das präg- hundert Jahre alt geworden. Die publizistische te das Leben Golo Manns. Und – so jedenfalls die Feier seines Geburtstags fiel groß aus, für viele: These der Ausstellung: Es bestimmt auch sein überraschend groß. Sicher, Golo Mann war der Werk. Sowohl seine politische Publizistik, die ohne Sohn Thomas Manns, eines seiner sechs Kinder, seine Biografie kaum verständlich wäre, als auch Mitglied der Familie, die seit Jahren das Interesse das Werk des Historikers. Aus einer Biografie, die nicht nur der literarisch Interessierten auf sich nicht geradlinig verläuft, sondern einen verschlun- zieht, sondern auch des Boulevards. Im Fahrwasser genen Weg nimmt, zumal bis der wirkliche Durch- der Familie-Mann-Forschung findet die an Skanda- bruch mit der »Deutschen Geschichte des 19. und len und Küchenpsychologie interessierte Kolporta- 20. Jahrhunderts« gelingt. Spät, mit bald 50 Jahren. ge statt, der im Falle Golo Manns dann lange nur Zum anderen: Für Golo Mann war die biografische eine populäre Verkürzung blieb: Er war der ewige Erzählung eine bevorzugte Form. Sein Interesse »ungeliebte Sohn«. Das ist ja nicht ganz falsch galt nicht den anonymen Strukturen, sondern dem und es entbehrt auch nicht der Quellen – aber es in der Geschichte handelnden Menschen – in den reduzierte Golo Mann auf unzulässige Weise. großen Darstellungen Wallenstein und Friedrich Man muss zu diesen hinlänglich bekannten Quel- von Gentz wie in vielen kleineren Porträts und wie len eben weitere, neu entdeckte, hinzuziehen, um in den zusammenhängenden Geschichtsdarstellun- ein eigenständiges Golo Mann- nicht ein Sohnes- gen. Vorzugsweise galt die Sympathie dabei den porträt zu zeichnen, um mit einigen Legenden Zweiflern und Zögernden und auch den schließ- aufzuräumen. Dass er es verdient hat, steht außer lich Scheiternden, die zugleich Großes vollbracht Frage, und es stand auch im Gedenkjahr 2009 oder mindestens versucht hatten. Ihr Werk ist bei außer Frage: Überraschend war nicht nur der Golo Mann nur aus der Biografie zu verstehen. Umfang der Berichterstattung, sondern zudem die Und so ist es auch bei Golo Mann selbst. Das Brü- Qualität – die kluge und differenziert geäußerte chige und Widersprüchliche soll zur Sprache kom- Forderung, eine Neubewertung, eine Neu- und men, es soll gezeigt, es soll in der Ausstellungsdi- Wiederentdeckung des Historikers zu wagen, der daktik und -architektur nachvollziehbar gemacht den Deutschen nach dem Zweiten Weltkrieg ihre werden. Golo Manns Leben war nicht eben immer Geschichte erklärte. glücklich, aber es war reich. Diesen Reichtum gibt Dialog mit Bibliotheken 2011/2 57 Zeitpunkte es zu entdecken: Mit etwa 300 Exponaten, verteilt Schriftsteller zu sein, verließ ihn nie. Seit Salemer auf sieben Stationen, ein Drittel davon im Tagen beschäftigte sich Golo Mann leidenschaft- Original, zusammengetragen von 14 Leihgebern, lich mit Politik. In Heidelberg wurde er als Mit- auf 148 laufenden Regalmetern präsentiert, unter glied der »Sozialistischen Studentengruppe« im stützt durch wechselnden Medieneinsatz, der Golo Kampf gegen den aufkommenden Nationalsozia- Manns mediale Präsenz spiegelt, durch Lesebücher, lismus aktiv. Bald war er die Edelfeder der Grup- Fotoalben und Hörstationen. Zeitgeschichte penpublikation »Der Sozialistische Student«. Im scheint überall durch. Die Regale gestalten das Mai 1933 musste Golo Mann Deutschland auf der Archiv eines Lebens, verweisen auf die vorgängige Flucht vor dem Hitler-Regime verlassen. »Jetzt ist Recherche genauso, wie auf die Arbeit des Histori- die Familie das Einzige, was mir geblieben ist; das kers. Leichte Materialien, Kartons und Ordner im kann nicht gut gehen«, notierte er am 3. Juni 1933 Archivregal, zeigen Golo Mann als einen Rast- und in sein Tagebuch. Ruhelosen, als Unbehausten in jedem Sinne, das Nach untätigen Monaten mit der Familie im fran- Transitorische, Vorläufige der Lebensstationen, die zösischen Badeort Sanary-sur-mer erhielt Golo Wendungen in diesem Leben. Mann im Herbst 1933 eine Stelle als Lektor an Golo (eigentlich Angelus Gottfried Thomas) Mann einer Hochschule in St. Cloud bei Paris. Einige wurde am 27. März 1909 als drittes Kind von Katia Artikel konnte er in der von Klaus Mann heraus- und Thomas Mann in München geboren. Er war gegebenen Exilzeitschrift »Die Sammlung« veröf- ein Sonderling und Außenseiter, fühlte sich in der fentlichen, etwa eine regelmäßige »Politische Chro- Familie zurückgesetzt und wenig geliebt, wuchs nik«. 1935 wurde Golo Mann Lektor an der Uni- allerdings mit seinen Geschwistern in einer intel- versität Rennes – doch bald war klar, dass sich ihm lektuell anregenden Umgebung auf. in Frankreich keine dauerhafte Perspektive bot. 1922 blieb er in der Untertertia des renommierten 1936 ausgebürgert, nahm er die tschechische Staats- Wilhelmsgymnasiums in München sitzen. Ab 1923 bürgerschaft an. Er studierte kurzzeitig in Prag, um besuchte er das reformpädagogische Internat Lehrer zu werden. Bereits im Sommer 1937 gab er Schloss Salem am Bodensee. Hier blühte er auf, das Studium auf und zog ins Elternhaus, nun in spielte leidenschaftlich Theater (unter anderem der Schweiz nahe Zürich. Er assistierte seinem Schillers »Wallenstein«) und konnte auch seine Onkel Heinrich und seinem Vater und konnte schulischen Leistungen verbessern. Probleme gab regelmäßig in der von Thomas Mann herausgege- es dennoch: Golo Mann, der sich früh bereits als benen Kulturzeitschrift »Mass und Wert« publizie- Sozialist verstand, rebellierte gegen den national- ren. Die leidenschaftliche Beschäftigung mit der konservativen Geist des Internats. Schließlich politischen Lage in Europa führte zur Abkehr vom wurde in Salem entdeckt, dass Golo Mann homo- Sozialismus – auch historische Studien hatten hier- sexuell war. Man versuchte, ihn mithilfe eines an ihren Anteil: Golo Mann begann eine Biografie Psychiaters zu »heilen«. des Publizisten und Napoleon-Gegners Friedrich Nach dem Abitur 1927 studierte er Philosophie, von Gentz. 1942 fertiggestellt, konnte sie erst nach Geschichte und Altphilologie in München, Berlin, dem Krieg erscheinen. 1939 wurde Golo Mann Paris und Heidelberg, wo Golo Mann 1932 mit Redakteur bei »Mass und Wert« in Zürich, während einer Arbeit über Hegel von Karl Jaspers promo- der Rest seiner Familie bereits in die USA emigriert viert wurde – er war damit für viele Jahre das ein- war. Nach dem deutschen Überfall auf Frankreich zige Mitglied der Familie Thomas Manns, das wollte er sich freiwillig einer tschechischen Legion einen akademischen Abschluss vorweisen konnte. anschließen, wurde aber in französischen Lagern In der Familie hatte er nun seinen Platz als »Gelehr- interniert. Im Herbst 1940 gelang die Flucht über ter« gefunden. Und dennoch lockte auch ihn das Spanien und Portugal in die USA. Ohne berufliche Künstlertum: 1928 veröffentlichte Golo Mann Perspektive lebte Golo Mann erneut überwiegend unter Pseudonym eine stark autobiografisch gefärb- im Elternhaus in Kalifornien. 1942 erhielt er eine te Novelle – eines seiner Lebensgeheimnisse. Trotz Stelle als Dozent an einem College in Michigan. des Wegs in die Wissenschaft: Die Sehnsucht, ein 1943 zur US Army eingezogen, versetzte man ihn 58 Dialog mit Bibliotheken 2011/2 Zeitpunkte bald nach London, wo er für den amerikanischen Ebenfalls 1958 übernahm er in Münster eine Gast- Sender ABSiE Radioreden schrieb und sprach, die professur. 1960 folgte er einem Ruf auf eine Pro- nach Deutschland gesendet wurden. Nach Ende fessur für Politische Wissenschaft nach Stuttgart, des Krieges half er beim Aufbau von Radio Frank- eine Art Rückkehr, wenn auch von Bedenken furt. Im Herbst 1946 ging in die USA zurück. begleitet. Man gehe in Deutschland, schrieb er Viele Jahre konnte sich Golo Mann nicht zur Rück- einem Freund, »auf einer Erde, auf der die Dinge kehr nach Deutschland entschließen. Auf die USA ganz schön und fett wachsen; aber der Boden, das, als neue Heimat wollte er sich aber auch nicht end- was darunter ist, ist unheimlich […].« Bereits 1963 gültig einlassen (»wo ich nichts sein kann als ein legte Golo Mann die Professur nieder, Folge einer wohlgenährter Graeculus«). Er unterrichtete seit depressiven Krise und des Wunsches, wieder zum 1947 als Professor