1 GRUSSWORT

2 EinE ChanCE füR diE KiRChE

7 »WiR Sind OffEn füR EUCh«

9 GLaUBEn OhnE GREnzEn

16 diESSEiTS Und JEnSEiTS dER GREnzE

Herausgeber Arbeitsbereich Sendung Bereich Pastoral Erzbischöfl iches Ordinariat Postfach 04 04 06, 10062 Berlin [email protected] Verantwortlich Uta Raabe, Hermann Fränkert-Fechter Redaktion Alfred Herrmann Layout Graphicteam Köln Bonn Druck Laserline Titelfotos Oben: Palmstockbasteln in Pasewalk. Foto: Alfred Herrmann Mitte: Klaudia Wildner-Schipek in Löcknitz. Foto: Alfred Herrmann unten: Grenzüberschreitende Fronleichnamsprozession in Görlitz. Foto: Raphael Schmidt 1 KATHOLISCH IN DER -GRENZREGION

GRUSSWORT

DES ERZBISCHOFS VON BERLIN

Liebe Leserinnen und Leser, Begegnungszentrum erworben. Dort sollen folgende Aufgaben ermöglicht werden: in den Oder-Grenzregionen können wir seit Jahren eine • eine bilinguale Sonntagsmesse und andere kirchliche dynamische Bevölkerungsentwicklung beobachten, die Veranstaltungen, in keiner Prognose vorhergesehen wurde. Durch die • Familienkatechese und Religiöse Kinderwochen, europäische Integration ziehen polnische Bürger aus den • Familien- und Migrationsberatung der Caritas, boomenden Regionen wie dem Großraum auf die • zivilgesellschaftliche und kulturelle Aktivitäten, deutsche Seite der Oder, weil sie hier mit ihren Famili- • offene Jugendarbeit und Schulsozialarbeit. en gute Bedingungen für Wohnen, Bildung und Sozia- les finden. In diesem Heft sind die Erfahrungen zusammengetragen, die in der Projektstelle »Glauben ohne Grenzen« gemacht Waren die ländlichen Diasporagemeinden bis vor we- wurden. Ich danke allen, die sich in den vergangenen nigen Jahren noch vom Wegzug der jungen Leute be- zwei Jahren für das Gelingen dieses Projektes engagiert troffen, steigt nun die Zahl der Katholiken. Zum Beispiel haben: dem Bonifatiuswerk und allen, die die Aktivitä- hat sie sich in der Pfarrei St. Otto Pasewalk mittlerwei- ten vor Ort unterstützt haben: den katholischen Kir- le mehr als verdoppelt. Der Anteil der polnischen Bürger chengemeinden entlang der deutsch-polnischen Gren- beträgt dort fast 56 Prozent. ze, den Bürgermeistern und den politischen Vertretern, Der Zuzug polnischer Katholiken ist eine besondere der evangelischen Kirchengemeinde Löcknitz, den ört- Chance. Es stellt sich nun die Frage, wie die zugezoge- lichen Gemeinden, der Caritas in Vorpommern, den nen Gläubigen eine Heimat in den deutschen Pfarreien lokalen Vereinen, Schulen und Kitas und nicht zuletzt finden oder anders ausgedrückt: wie können die kleinen der Projektstellenleiterin, Frau Klaudia Wildner-Schipek. Diasporagemeinden sich für Gläubige aus volkskirch- Danken möchte ich auch dem Bischof von Görlitz, Wolf- lichen Verhältnissen öffnen? gang Ipolt, und dem Erzbischof von Stettin-Cammin, Andrzej Dzięga, für den mitbrüderlichen Austausch zur Mit Hilfe des Bonifatiuswerkes der deutschen Katho- kirchlichen Präsenz in der Grenzregion. liken konnte in Löcknitz, einer etwa 25 Kilometer von Stettin entfernten deutschen Gemeinde, die Projektstel- Als Erzbistum Berlin möchten wir allen Interessierten le »Glauben ohne Grenzen« eingerichtet werden. Diese eine geistige Heimat bereiten und gleichzeitig einen Bei- bekam die Aufgabe, Begegnungen zwischen Deutschen trag zur Entwicklung der Oder-Grenzregion leisten. Dazu und Polen zu initiieren, zweisprachige Gottesdienst- und lade ich in Respekt vor den unterschiedlichen Prägungen Seelsorgsangebote aufzubauen und besonders die Kin- und Weltanschauungen sehr herzlich ein. der und Familien in den Blick zu nehmen. Nach dem Ihr Auslaufen der Projektstelle im Januar 2019 wird das Erzbistum Berlin die Arbeit fortführen und hat dafür eine Liegenschaft in Löcknitz für ein deutsch-polnisches Dr. Heiner Koch

Erbischof Dr. Heiner Koch Foto: Wetzler 2 KATHOLISCH IN DER ODER-GRENZREGION

EinE ChanCE füR diE KiRChE

DER ZuZuG POLNISCHER FAMILIEN VERäNDERT DAS KATHOLISCHE

LEBEN IN DER ODER-GRENZREGION Text: Alfred Herrmann

»Sie müssen jetzt bitte hier mal ihren finger draufdrücken.« Kunst- voll verziert. Gesprochen wird Polnisch und Deutsch. voll windet Barbara Gischkowski den Blumendraht um den Stock und »Den Mazurek gibt es auch bei uns zu Hause«, meint Ale- befestigt Buchsbaum- und Wachholderzweige, in die gelbe federn ein- xander Schulz. Der 21-jährige Pasewalker erzählt, wie er gearbeitet sind, an dem holzstock. Jürgen-Matthias Posovszky hält kon- zweisprachig und »mit zwei Kulturen« aufgewachsen ist. zentriert das kleine Kunstwerk und drückt nun auch seinen daumen auf »Mein Vater kommt aus Deutschland, meine Mutter aus den grünen draht. »Jetzt brauchen wir noch ein paar Weidenkätzchen«, Polen.« Die polnischen Bräuche zu den kirchlichen Festen meint er und deutet auf den Tisch. sind von klein auf Teil seines Glaubenslebens. Nach einem Gebet von Pfarrer Grzegorz Mazur er- Auf der langen Tafel im Pfarrsaal von St. Otto in Pasewalk klärt Klaudia Wildner-Schipek, was in den kommenden liegen große Bündel der kleinen, weichen Frühlingsbo- zwei Stunden passiert, zunächst auf Deutsch, dann auf ten. Daneben befinden sich Sträuße von Buchsbaum, in Polnisch. Die Referentin des Projektes »Glauben ohne allen Farben lackierter Kirschbaumreisig, Wachholder- Grenzen« spricht über die Palmprozession am Palmsonn- zweige, Schüsseln mit bunten Federn und Blüten aus tag und die Tradition, aus diesem Anlass kunstvolle Palm- Papier, ein Korb mit Deko-Eiern aus Styropor. Um den stöcke zu basteln. Vor allem in Polen werde dieser Brauch Tisch drängen sich zahlreiche Kinder mit ihren Müttern vielfältig gelebt, aber es gebe ihn auch in Deutschland, und Großmüttern. Sie bedienen sich an den Basteluten- zum Beispiel im Münsterland oder in so manchen Ort- silien, Baumscheren werden herumgereicht, Klebepis- schaften in Niedersachsen und Baden-Württemberg. tolen gegriffen. Dann zeigt sie an einem fertigen Palmstock mit Buchs- Posovszky bastelt den ersten Palmstock seines Le- baum, orangenen Federn und Schleifen, Trockengras und bens. Für Gischkowski dagegen gehört dieser Brauch zum farbigen Deko-Eiern, was von den anwesenden Gemein- Ende der Fastenzeit wie das bunte Ei zu Ostern. Die pol- demitgliedern gebastelt werden kann. nische Katholikin lebt ihn bereits seit ihrer Kindheit, und »Wir möchten integrieren, unsere deutschen und heute bringt sie ihn ihrem deutschen Glaubensbruder polnischen Gemeindemitglieder zusammenführen, da- nahe. Am nächsten Morgen werden der 53-Jährige und mit sie miteinander ins Gespräch kommen«, erklärt die 65-Jährige gemeinsam mit ihren Palmstöcken im Wildner-Schipek im Anschluss, was dieser Nachmittag Palmsonntagsgottesdienst Hosanna singen und dem bezweckt. »Gelebte Bräuche bilden im Lauf des Kirchen- Einzug Jesu in Jerusalem gedenken. jahrs eine gute Möglichkeit, aufeinander zuzugehen und etwas gemeinsam zu gestalten«, ist sie überzeugt. Die BräucHE füHrEn zusammEn Bräuche wecken die Neugier und schaffen Raum, gegen- Fast 40 Frauen, Männer und Kinder sind an diesem Nach- seitig voneinander zu lernen, meint die Projektreferentin. mittag der Einladung der Pfarrei St. Otto in den Gemein- Egal ob die Fastensuppe und der Martinszug als deutsche desaal in Pasewalk gefolgt. Auf den Tischen stehen Kaf- fee und kleine Mazurki, traditionelle polnische Osterkuchen aus Mürbe- und Rührteig, dick mit Marme- Der mazurek: ein traditioneller lade oder Schokoladenkuvertüre bestrichen und kunst- polnischer Osterkuchen. Foto: Herrmann 3 KATHOLISCH IN DER ODER-GRENZREGION · EINE CHANCE FÜR DIE KIRCHE

oder die österliche Speisensegnung und der weihnachtli- Sprache«, betrachtet Joachim das Miteinander von Deut- che Opłatek als polnische Traditionen – Bräuche eröffnen schen und Polen kritisch, »aber im Großen und Ganzen stets eine Gelegenheit, sich gegenseitig tiefer kennenzu- kommen wir ganz gut klar.« lernen. Wildner-Schipek nutzt sie, Brücken zwischen den etablierten deutschen Pfarreimitgliedern und den zuge- POlniscHEr zuzug lässt gEmEinDEn wacHsEn zogenen polnischen Gläubigen zu schlagen. Seit dem Eu-Betritt Polens im Jahre 2004 und dem In- »Bei uns zu Hause sind die Palmstöcke noch bun- krafttreten des Schengener Abkommens für Polen Ende ter«, betont Elżbieta Wójcik. Die ehemalige Deutschleh- 2007 hat sich die Zahl der Gläubigen der Pfarrei St. Otto rerin stammt aus Lublin und lebt seit einem Jahr in Pa- in Pasewalk von 1.020 im Jahr 2005 auf 2.250 Ende 2017 sewalk. Sie ist gemeinsam mit Magdalena Janusz und mehr als verdoppelt. Die 1.250 polnischen Katholiken bil- deren Töchtern ins Pfarrheim gekommen. »Das hier ist den mit gut 55 Prozent mittlerweile die Mehrheit in der eine gute Gelegenheit, Leute kennenzulernen.« Stolz zei- Pfarrfamilie. 2005 lebten gerade einmal 67 polnische Ka- gen die beiden Mädchen Elżbieta und Krystyna ihre tholiken – 6,6 Prozent – auf dem Pfarrgebiet. Auch die Kunstwerke, während ihre Mutter ergänzt: »Sonntags Pfarreien Prenzlau und Schwedt wachsen. So stieg die haben wir nicht immer so viel Zeit, uns nach der Messe Zahl der Katholiken in St. Maria Magdalena Prenzlau in zu unterhalten. Deshalb ist das heute eine tolle Möglich- den vergangen Jahren um fast 43 Prozent und in Maria keit.« Auch Rosemarie Joachim zeigt voll Freude ihren Himmelfahrt Schwedt um gut 18 Prozent. 43 Prozent der fertigen Palmstock. »Das ist gar nicht so leicht, wir ken- Katholiken der Pfarrei Prenzlau und 35 Prozent der Pfar- nen ja nur die einfachen Palmkätzchen«, meint die rüs- rei Schwedt stammen mittlerweile aus Polen. Der Haupt- tige 80-Jährige, »aber ich glaube, es ist mir ganz gut ge- grund: die Stadt oder auf Deutsch: Stettin. lungen, und es hat mir Spaß gemacht.« Die deutsche Katholikin aus Pasewalk kommt gerne, wenn in ihrer Pfarrei die polnischen Bräuche gelebt werden. »Es ist Palmstockbasteln in Pasewalk: »gelebte Bräuche manchmal noch etwas schwierig, Kontakt zu finden. Da bieten eine gute möglichkeit, aufeinander zu zu gehen und gibt es noch eine kleine Barriere, allein schon wegen der etwas gemeinsam zu gestalten.« Foto: Herrmann 4 KATHOLISCH IN DER ODER-GRENZREGION · EINE CHANCE FÜR DIE KIRCHE

Die polnische Hansestadt ist eine wachsende Wirt- Denn auch in (Oder) wächst die Pfarrei Heilig schaftsmetropole mit mehr als 400.000 Einwohnern. Seit Kreuz, was allerdings nicht am boomenden Stettin liegt, Jahren steigen Mieten und Wohnungspreise in Stettin sondern an der polnischen Stadt Słubice, die direkt ge- und ihren umliegenden Kleinstädten und Dörfern. Ganz genüber, auf der anderen Seite der Oder liegt und bis anders zeigt sich das Bild in den deutschen Ortschaften 1945 ein Teil Frankfurts war. Die Bürger beider Städte nut- entlang der Grenze. Dort herrscht Leerstand. Mangels Ar- zen die Möglichkeit, ihren Wohnsitz zwischen den Fluss- beit haben viele die Region verlassen. Vor allem junge pol- ufern zu wechseln. So stieg die Zahl der Katholiken auf nische Familien zieht es daher auf die deutsche Seite. deutscher Seite. Heilig Kreuz verzeichnete zwischen 2005 Günstige Wohnungsmieten und Hauspreise bieten ihnen und Ende 2017 eine Zunahme um mehr als 35 Prozent Perspektive. Sie haben sich vor allem in den Dörfern ent- von rund 3.100 auf 4.120 Gläubige. Die Zahl der Polen da- lang der zentralen Straßen und Bahnlinien niedergelas- runter nahm von 650 auf 1.520 zu. So kommen heute sen, die nach Stettin führen, wie der Autobahn A 11 oder knapp 37 Prozent der Katholiken Frankfurts aus Polen. der Bundesstraßen B 2, B 104 und B 113. Sie leben in Im Bistum Görlitz zeigt sich ein ähnliches Bild. Auch Deutschland, arbeiten aber oftmals in Polen. So auch Mar- dort steigt der Anteil der polnischen Katholiken in grenz- lena Chmielewska. Seit vier Jahren lebt sie mit ihrem nahen Pfarreien. Vor allem aber in den Städten Görlitz Mann im deutschen Plöwen. Tagsüber arbeitet die 37-jäh- und Guben. Denn ähnlich wie in Frankfurt (Oder) gibt es rige Architektin in Stettin. »Wir haben hier in Deutschland in Guben und Görlitz mit Gubin und Zgorzelec auf der ein Einfamilienhaus gekauft, weil es einfach billiger war«, anderen Seite des Flusses, diesmal der Neiße, ein direk- gibt sie zu. Mittlerweile ist Plöwen zu ihrer eigentlichen tes polnische Pendent. So besteht St. Wenzel Görlitz mitt- Heimat geworden. Sie hat Freundinnen gefunden und en- lerweile zu 32 Prozent und St. Trinitatis Guben zu 42 Pro- gagiert sich in der katholischen Gemeinde in Löcknitz. zent aus polnischen Katholiken. 2005 waren es nur knapp Insbesondere in Löcknitz zeigt sich, welche Heraus- neun Prozent in Görlitz und gut elf Prozent in Guben. forderungen und Chancen der polnische Zuzug für eine Lebten 2005 unter den 6.930 katholischen Christen von deutsche Grenzpfarrei bietet. Der Ort mit seinen knapp Görlitz 620 polnische Katholiken, sind es heute unter den 3.300 Einwohnern liegt 25 Kilometer von Stettin entfernt, 7.100 Gemeindemitgliedern 2.240 Polen. 30 Minuten mit dem Auto auf der B 104 oder 24 Minu- In Frankfurt (Oder) und Słubice sind es unter ande- ten mit dem Zug, dem RE 4. Es gibt ein deutsch-polni- rem die Europa-Universität Viadrina und das Wissen- sches Gymnasium, eine Grundschule und zwei Kitas. Fast schaftszentrum »Collegium Polonicum«, aufgrund des- die Hälfte der Katholiken der Pfarrei St. Otto Pasewalk le- sen die polnische und die deutsche Stadt ein stückweit ben mittlerweile in und um Löcknitz. zusammenwachsen. Sowohl in Guben und Gubin als auch in Görlitz und Zgorzelec ist es der Europastadtge- BEHEimatung unD intEgratiOn danke, mittels dem die Städte auf politischer und gesell- Das Erzbistum Berlin sucht daher speziell in Löcknitz nach schaftlicher Ebene ihre nach dem Zweiten Weltkrieg voll- Antworten für die gesamte Grenzregion. In Zusammen- zogene Trennung im völkerverbindenden Miteinander zu arbeit mit dem Bonifatiuswerk der deutschen Katholiken überwinden suchen. In den Europaregionen Neiße und hat es dort 2017 das Projekt »Glauben ohne Grenzen« in- Pro Europa Viadrina arbeiten die Städte und Kreise dies- itiiert. Projektreferentin Klaudia Wildner-Schipek stellt seits und jenseits der Grenze auch wirtschaftlich an ge- sich den Fragen, wie die Neubürger aus Polen in das ka- meinsamen Wegen. tholische Leben der Grenzpfarreien in Vorpommern, Bran- Das hat sich auch das Einzugsgebiet von Stettin vor- denburg und Sachsen integriert werden können, wie aus genommen, auf polnischer wie auf deutscher Seite. Mit dem Nebeneinander von deutschen und polnischen Ka- der Europaregion und Vereinen wie der »Kom- tholiken ein Miteinander werden kann. Es geht um Behei- munalgemeinschaft Europaregion Pomerania e. V.« mit matung und Integration – zwei Pole, die es zu verbinden Sitz in Löcknitz wird die Situation in der Odergrenzregi- gilt. Statt polnischer Missionen neben deutschen Pfarrei- on mit ihren Chancen und Herausforderungen politisch en, sollen Deutsche und Polen in den Grenzpfarreien eine wie wirtschaftlich von Polen und Deutschen gemeinsam gemeinsame Pfarrei-Identität entwickeln. Polnische Ka- betrachtet. Insbesondere die strukturschwache deutsche tholiken sollen sich nicht separieren, sondern in den deut- Oderseite sieht in einer Neuausrichtung auf das Wirt- schen Pfarreien heimisch werden mit ihrer Sprache, ihren schaftszentrum Stettin Chancen, vom polnischen Nach- Bräuchen und ihren Traditionen. Und deutsche Katholi- barn zu profitieren. ken sollen ihre Pfarreien öffnen für ein neues Miteinan- Auch für die katholische Kirche bieten der öffnen- der. Anhand der Situation in der Pfarrei Pasewalk entwi- de Blick hin auf Polen sowie die polnischen Zuwande- ckelt Wildner-Schipek Instrumente, die hilfreiche Ant- rer reichlich Chancen. Da ist zum einen der völkerver- worten auf diese Fragen und Herausforderungen geben bindende Gedanke, der besonders durch die katholische sollen – auch für die anderen Pfarreien entlang der Oder- Kirche und den gemeinsamen Glauben transportiert Neiße-Grenze. werden kann. Durch ein partnerschaftliches Mitein- 5 KATHOLISCH IN DER ODER-GRENZREGION · EINE CHANCE FÜR DIE KIRCHE

ander der (Erz-)Bistümer Berlin, Görlitz und Dresden- nun mit dem genauen Gegenteil konfrontiert. Gut 80 Meißen mit den Nachbar-(erz-)bistümern entlang der Prozent der Bewohner gehören keiner christlichen Kirche Grenze – Szczecin-Kamień, Zielona Góra-Gorzów und an. Mit drei Prozent Bevölkerungsanteil bilden katholi- Legnica – entstehen lebendige Brücken zwischen den sche Christen in der deutschen Grenzregion traditionell Menschen. eine Minderheit. Zum anderen haben über lange Jahre junge Leute So wächst zwar die Zahl der Pfarreiangehörigen auf auf der Suche nach Arbeit der deutschen Grenzregion der deutschen Seite, aber im Leben der Pfarrgemeinden den Rücken gekehrt und eine überalternde Gesellschaft spiegelt sich dieses Wachstum oft nur in sehr geringem und damit auch eine überalternde katholische Gemein- Maße wider. Viele der polnischen Katholiken fühlen sich de zurückgelassen. Dank des polnischen Zuzugs gibt es weiterhin in ihren alten Pfarreien jenseits der Grenze be- plötzlich wieder vermehrt Kinder, Jugendliche und junge heimatet. Der Gottesdienst in der Muttersprache, die ei- genen Traditionen, die volkskirchlich geprägte Frömmig- keit, all das ist für sie in wenigen Autominuten erreichbar. Die polnischen Pfarrkirchen in Dobra, Kołbaskowo und Stettin liegen oftmals näher an den deutschen Grenzdör- fern als die Pfarrorte Pasewalk, Schwedt oder Prenzlau. So ist es von Löcknitz nach Mierzyn in etwa so weit wie nach Pasewalk. Und von Mescherin, Tantow oder Gartz sind es keine fünf, zehn, 15 Kilometer bis nach Gryfino, während in die deutschen Kirchorte Schwedt, Gramzow oder Prenzlau 20 bis 40 Kilometer zurückzulegen sind. In Frankfurt, Guben und Görlitz müssen die polnischen Gläubigen nur einmal über die Brücke laufen, um in ih- rer Muttersprache und Tradition Gottesdienst zu feiern. Hinzu kommt: so mancher Zuzügler zeigt sich froh, die Verpflichtungen des katholischen Lebens in Polen hinter sich zu lassen.

EurOPastaDt görlitz/zgOrzElEc »Man muss Görlitz und Zgorzelec als Europastadt verste- hen, also als eine Stadt, was sie auch über Jahrhunderte Eltern. Das Gesicht der deutschen Grenzpfarreien zeigt hinweg war«, erklärt Norbert Joklitschke, Pfarrer von St. sich bereits deutlich verjüngt. Die Taufen nehmen zu und Wenzel, die besondere Situation der Brückenstadt Gör- auch die Anzahl der Erstkommunionkinder steigt deut- litz. ähnlich wie in Frankfurt (Oder) und Guben beein- lich in den Grenzpfarreien. Gut integriert, können die ka- flusst diese unmittelbarkeit das katholische Miteinander tholischen Christen aus Polen die deutschen Pfarreien auf beiden Seiten der Neiße und die Integration polni- durchaus beleben. und: der polnische Zuzug macht das scher Katholiken in die deutsche Pfarrei maßgeblich. katholische Leben in der gesamten Region plötzlich deut- So kann die katholische Konfession eine Brücke im lich sichtbar, insbesondere auch in der gesellschaftlichen neuen Miteinander der beiden Städte bilden, die auch Öffentlichkeit. den Gläubigen hilft, sich mit dem Glaubensleben auf der Allerdings: der Wechsel von der volkskirchlich ge- polnischen wie auf der deutschen Seite zu identifizieren. prägten Religiosität Polens – knapp 90 Prozent der Ein- Zwar leben in den drei Pfarreien von Zgorzelec so viele ka- wohner sind dort katholisch – in die Diaspora Vorpom- tholische Christen wie im gesamten Bistum Görlitz, den- merns, und Sachsens fällt vielen noch begegnen sich deutsche und polnische Kirchenge- katholischen Neubürgern nicht leicht und hemmt die In- meinden auf Augenhöhe. Viermal im Jahr treffen sich die tegration in die deutschen Grenzpfarreien. Die neuen Priester beider Städte zu einem deutsch-polnischen Kon- Mitglieder der deutschen Pfarreien kommen aus einem vent. St. Wenzel und die polnische St. Bonifatius-Gemein- Land, in dem die große Mehrheit an Gott glaubt und ihre de gehen bereits seit über zehn Jahren in der Fastenzeit Frömmigkeit mit Festen, Traditionen und Folklore selbst- gemeinsam den Kreuzweg. Alle vier Jahre ziehen die Ka- bewusst in aller Öffentlichkeit lebt. Nur wenige Kilome- tholiken von Görlitz und Zgorzelec gemeinsam mit dem ter von ihrer katholischen Heimat entfernt sehen sie sich Allerheiligsten durch die Straßen ihrer Städte in einer deutsch-polnischen Fronleichnamsprozession. Die Perspektive der einen Europastadt gelte es auch Bräuche verbinden: Jürgen-matthias Posovszky und bei der Integration polnischer Katholiken in die deutsche Barbara gischkowski beim Palmstockbasteln. Foto: Herrmann Pfarrei zu beachten, erklärt Pfarrer Joklitschke. »Die Men- 6 KATHOLISCH IN DER ODER-GRENZREGION · EINE CHANCE FÜR DIE KIRCHE

schen auf beiden Seiten bewegen sich so, als leben sie in einmal im Monat eine bilinguale Sonntagsmesse. Teile einer gemeinsamen Stadt. Das gilt auch für die Katholi- des Gottesdienstes wie eine Lesung, einige Fürbitten ken, die in jene Kirche zum Gottesdienst gehen, die für oder manche Lieder werden dann in Polnisch gebetet sie gut zu erreichen ist, die in der Nähe liegt, die ihnen oder gesungen. Ein anschließendes Kirchencafé lädt zur am besten gefällt. Das ist hier nicht anders, wie in jeder Begegnung von polnischen und deutschen Gemeinde- anderen größeren Stadt.« Diese Situation erfordere eine mitgliedern ein. Im September übernahm mit Pfarrer besondere Sensibilität, betont er ausdrücklich, insbeson- Peter Szczerbaniewicz ein zweisprachiger Seelsorger die dere was die Sprache betrifft. So lebt St. Wenzel den pol- Pfarrei, der die Gläubigen nun in beiden Sprachen begrü- nischen Brauch der Speisenweihe am Karsamstag, bietet ßen und neue Impulse im Miteinander von polnischen die Beichte auf Polnisch an, begleitet die Erstkommuni- und deutschen Katholiken setzen kann. onkinder und deren Eltern mit einem deutschen und ei- Die Pfarrei Pasewalk bietet bereits seit Oktober nem polnischsprachigen Seelsorger, verfasst einen zwei- 2016 in der evangelischen Dorfkirche in Löcknitz einen sprachigen Pfarrbrief. Allein die Sonntagsmesse sollte in sonntäglichen Gottesdienst in polnischer Sprache an. Viele polnische Gläubige in und um den Ort in Vorpommern sind froh, dass sie sonntags nun nicht mehr nach Polen zum Gottes- dienst fahren müssen. Die meisten leben bereits sechs oder acht Jahre auf der deut- schen Seite und haben erste Wurzeln ge- schlagen in Vereinen und örtlichen Struktu- ren. Ihre Kinder und Jugendlichen besuchen deutsche Kindergärten und Schulen und sprechen oftmals fließend Deutsch. Nun su- chen sie auch nach religiöser Beheimatung an ihrem Wohnort. Der polnischsprachige Gottesdienst mit anschließendem Kirchen- café dient ihnen als erste Anlaufadresse, um sich auch in Glaubensdingen vor Ort zu ver- netzen. An dieser Stelle setzt die Projektreferen- tin von »Glauben ohne Grenzen«, Klaudia Wildner-Schipek, mit ihrer Arbeit an, mit ge- lebten Bräuchen, mit Angeboten für Kinder einer deutsch-polnischen Brückenstadt wie Görlitz auf und ihre Mütter, mit einer großen Offenheit für neue In- Deutsch gefeiert werden, ist Joklitschke überzeugt, allen- itiativen. Die polnische Sprache dient als Brücke, um die falls mit polnischsprachigen Elementen. Er selbst kann zugezogenen Gläubigen zu erreichen, und als zentrales kein polnisch, dafür hat er zwei polnische Franziskaner- Element erster Beheimatung. So hat sich binnen kurzer patres in seinem Pastoralteam. Zeit neues gemeindliches Leben in Löcknitz entwickelt. Der Zuzug aus Polen schenkt dem Pfarrer von St. Nun gilt es, dieses durch intensive Begegnungsarbeit un- Wenzel Hoffnung für die Zukunft des katholischen Glau- ter zugezogenen und etablierten, unter polnischen und bens auch auf der deutschen Seite der Europastadt. Denn deutschen katholischen Christen im Leben der Gesamt- es sind vor allem junge Familien, deren Kinder nun mit pfarrei St. Otto Pasewalk zu verankern, und den langen der deutschen Sprache aufwachsen. So sei es völlig un- Weg hin zu einer gemeinsamen Pfarrei-Identität zu be- problematisch, Kinder- und Jugendarbeit, Religionsunter- schreiten. richt, Ministrantenarbeit oder die Religiösen Kinderwo- Das Erzbistum Berlin macht dazu mit dem Kauf von chen mit deutschen und polnischen Kindern der Pfarrei Räumlichkeiten in Löcknitz den nächsten großen Schritt. gemeinsam zu unternehmen, betont Pfarrer Joklitschke: Mit dem Löcknitzer Bären, einer ehemaligen Gaststätte, »Da ist bereits etwas zusammengewachsen.« bekommt die noch junge Gemeinde Raum für Gottes- dienst und Zukunftsarbeit. Wildner-Schipek freut sich auf mODEllPrOJEKt »glauBEn OHnE grEnzEn« den neuen Glaubensort: »Das wird eine Begegnungsstät- Seit Anfang 2017 geht das Erzbistum Berlin mit dem Pro- te für die Oder-Grenzregion«. jekt »Glauben ohne Grenzen« auf die katholischen Neu- bürger und ihre spirituellen Bedürfnisse zu. In den Pfar- reien im Oder-Grenzgebiet beginnt sich etwas zu ver- Integration ins Pfarrleben: Elżbieta Wójcik und ändern. So gibt es zum Beispiel seit März 2018 in Schwedt magdalena Janusz mit ihren Kindern. Foto: Herrmann 7 KATHOLISCH IN DER ODER-GRENZREGION

»WiR Sind OffEn füR EUCh«

KLAuDIA WILDNER-SCHIPEK SORGT SICH uM DIE INTEGRATION POLNISCHER

CHRISTEN IN DEUTSCHE PFARREIEN Text: Alfred Herrmann

»Und wie heißt das auf deutsch?« fragt Laura Lenard und hält andere Dörfer und Ortschaften gehört. Statt ein oder ein Brokkoliröschen in die Höhe. Czarek zuckt mit den Achseln, Zofia zwei Kinder gehen dieses Jahr 30 Mädchen und Jungen stimmt ein langgezogenes »Äh« an und agnieszka beginnt, sich wild in der Pfarrei zur Erstkommunion. zu melden. »Brokkoli«, ruft in diesem Moment Karolina und nimmt sich eine handvoll Spinatblätter aus der Plastikschüssel. willKOmmEnsinitiativE unD BrücKEnBau Wildner-Schipek interpretiert das Projekt »Glauben ohne Salatzeit in der Kindergruppe im Bürgerhaus Löcknitz in Grenzen« zunächst einmal als Willkommensinitiative. Vorpommern. Neun Mädchen und ein Junge sitzen fröh- »Mit unseren Angeboten zeigen wir: es gibt auch hier ka- lich um einen großen Tisch und schnippeln fleißig Gemü- tholische Kirche. Wir sind offen für euch.« Einfach gestal- se, Käse und Obst. Jeden Dienstagnachmittag öffnet Lau- tet sich das allerdings nicht. Denn die volkskirchlich ge- ra Lenard von der Caritas 6- bis 12-Jährigen aus der prägten Polen erleben in der Diaspora-Situation eine örtlichen Grundschule die Türen des angemieteten klei- neue Form des Glaubenslebens, berichtet sie. In Vorpom- nen Raums. Dann wird gebastelt, gespielt und gekocht – mern bilden katholische Christen mit drei Prozent der Be- und zwar auf Polnisch wie auch auf Deutsch. völkerung nur eine kleine Minderheit. Die Wege sind weit, Auch Klaudia Wildner-Schipek kommt aus ihrem um Gottesdienst zu feiern und Glaubensgemeinschaft Büro herüber. Zunächst hilft sie der 7-jährigen Julia, die zu erleben. rote Paprika zu zerteilen. Dann spricht sie mit den drei Zwar integrierten sich die jungen polnischen Fami- Frauen, die heute Lenard ehrenamtlich unterstützen. Sie lien im weltlichen Leben sehr schnell, so die Referentin, reden mal auf Deutsch, mal auf Polnisch über die Kom- doch zur Kirche und den deutschsprachigen Gottes- munionvorbereitung in Pasewalk, das Kirchencafé in diensten kommen sie nur spärlich. Sie nehmen lieber Löcknitz, den Religionsunterricht in Gartz. den kürzeren Weg nach Polen. »Die Muttersprache bleibt die Sprache des Herzens, in der ein Mensch am liebsten POlniscHE nEuBürgEr lassEn PfarrEiEn wacHsEn betet«, ist nicht nur sie sich bewusst. Die Pfarrei Pase- Die 39-Jährige ist Referentin des Projekts »Glauben ohne walk hat deshalb darauf reagiert und bietet seit Oktober Grenzen« des Erzbistums Berlin. Ihre Projektstelle wird 2016 in Löcknitz eine Sonntagsmesse in polnischer Spra- durch das Bonifatiuswerk der deutschen Katholiken ge- che an. Die Gottesdienstgemeinde, die sich nun Woche fördert. Denn es geht um eine besondere Herausforde- für Woche in der evangelischen Kirche trifft, wächst und rung in dieser Diaspora-Region: durch merklichen Zuzug entwickelt ein tragfähiges Eigenleben. aus Polen erleben die katholischen Kirchengemeinden Im Rahmen des Projektes »Glauben ohne Grenzen« entlang der deutsch-polnischen Grenze starken Zu- schlägt Wildner-Schipek in der Pfarrei Pasewalk Brücken wachs. Wildner-Schipek entwickelt von Löcknitz aus zwischen polnischen Zuzüglern und einheimischen Wege der Integration. Katholiken. Die Kindergruppe, das deutsch-polnische Die neuen Einwohner bringen ihren Glauben mit in die Region. So beleben junge Familien die kleine Dias- pora-Pfarrei St. Otto Pasewalk, zu der Löcknitz wie viele Klaudia wildner-schipek. Foto: Herrmann 8 KATHOLISCH IN DER ODER-GRENZREGION · »WIR SIND OFFEN FÜR EuCH«

marlena chmielewska: die architektin engagiert sich ehrenamtlich für die Kindergruppe. Foto: Herrmann

Kinderfest, der interkulturelle Begegnungstag, die zwei- von polnischen Katholiken, die auf der deutschen Sei- sprachige Religiöse Kinderwoche, das Kirchencafé – al- te leben. Soeben hat eine Gruppe aus Schwedt ange- les Initiativen, damit sich deutsche und polnische Chris- fragt, die sich einen polnisch-sprachigen Gottesdienst ten der Kirchengemeinde näher kommen. »Wir leben in wünscht. Nun fährt sie in die Stadt in , um einer deutsch-polnischen Pfarrei und entwickeln uns ab Brücken zu bauen. »Ich verstehe mich als Mediator, der jetzt gemeinsam. Da sollte man offen für Neues sein und die Bedürfnisse der Menschen in der Grenzregion wahr- sich bemühen, sich gegenseitig kennenzulernen«, be- nimmt und weitergibt.« tont Wildner-Schipek. Solche Sprach- und Kulturmittler brauche es in al- len Pfarreien entlang der Grenze, ist sie überzeugt. Ein mittlErin zwiscHEn DEn KulturEn reines Gottesdienstangebot reiche nicht, um zusam- »Ich bin zwischen den Kulturen aufgewachsen und habe menzuwachsen. Es fehle an Initiativen mitten aus dem das Gespür für beide Mentalitäten«, versteht sich die Leben, wünscht sie sich einen Aufbruch. »Es braucht da- Tochter eines deutschen Vaters und einer polnischen her Ehrenamtliche, die Menschen ein stückweit an die Mutter als Mittlerin. 18 Jahre lang arbeitete die Politolo- Hand nehmen, damit sie sich trauen, selbst Impulse zu gin bereits in Polen auf kommunaler Ebene für die setzen.« deutsch-polnische Zusammenarbeit, in Police, nördlich von Stettin. Dahingehend habe sie sich beruflich gar nicht groß verändert. »Weiterhin bin ich für die deutsch- polnische Integration zuständig, nur eben jetzt auf der Ebene der Religion.« Wildner-Schipek hat die gesamte Grenzregion bis nach Görlitz im Blick. Über die Facebook-Seite »Glauben ohne Grenzen« bekommt sie immer wieder Anfragen

mit der Kindergruppe hat laura lenard (3. v. r.) von der caritas katholische gemeinschaft vor Ort gestiftet. Die ehrenamtlichen frauen unterstützen nun auch die arbeit von Klaudia wildner-schipek (3. v. l.), weitere Brücken zwischen deutsch- und polnisch-sprachigen Katholiken in der grenzregion aufzubauen. Foto: Herrmann 9 KATHOLISCH IN DER ODER-GRENZREGION

GLaUBEn OhnE GREnzEn

EINE PROJEKTSTELLE FÜR DIE BEHEIMATuNG POLNISCHER KATHOLIKEN IN DEN

PFARREIEN DER ODER-GRENZREGION Text: Klaudia Wildner-Schipek

Löcknitz im Landkreis Vorpommern-, unweit der polni- scher Aufbruch. Das Erzbistum Berlin hat dies erkannt schen Grenze, im Oktober 2016: in der evangelischen Kirche feiern und richtete mit unterstützung des Bonifatiuswerkes katholische Christen ihren Gottesdienst. das lutherische Gotteshaus, der deutschen Katholiken eigens die Projektstelle »Glau- 1871 gebaut, ist voll besetzt. Gebetet und gesungen wird vorwiegend ben ohne Grenzen« ein. in Polnisch. denn in den vergangenen Jahren zogen zahlreiche polni- Seit dem Beitritt Polens zur Europäischen Union am sche Katholiken nach Vorpommern. Spannt man einen historischen 1. April 2004 und zum Schengener Abkommen – Weg- Bogen, zeigen sich interessante Parallelen. fall der Grenzkontrollen zum 21. Dezember 2007 – ver- zeichnet die deutsche Grenzregion an der Oder und Nei- Nach dem Zweiten Weltkrieg kamen tausende Flücht- ße einen regen Zuzug polnischer Bürger. Sie mieten und linge und Vertriebene aus Ostpreußen, Pommern, Schle- kaufen in grenznahen Dörfern und Kleinstädten preis- sien und dem Sudetenland nach Vorpommern, unter ih- günstige Wohnungen und Häuser. Die Erwachsenen ar- nen zahlreiche katholische Christen. Kurzzeitig lebten beiten zumeist in Polen, ihre Kinder besuchen in fast 100.000 Katholiken in der Region, in der sie sich seit Deutschland Kita und Schule. der eigentlich traditionell in der Minderheit Der starke Zuzug spiegelt sich auch in den katholi- befinden und in der Diaspora leben. Überall wurden in schen Pfarreien der Grenzregion wider. Denn die polni- evangelischen Dorfkirchen katholische Gottesdienste schen Neubürger sind in der Regel katholisch. Die Zahl für die entwurzelten Menschen gehalten und Religions- der Mitglieder in den Grenzpfarreien stieg daher in den unterricht gegeben. So feierten auch in der teilzerstör- vergangenen zehn Jahren erheblich. In manchen verdop- ten evangelischen Kirche in Löcknitz Katholiken 1946 pelte sie sich sogar. Das hat einen nicht unerheblichen erstmals die heilige Messe. 1949 konnte in der Friedrich- Einfluss auf das katholische Leben an der Oder-Neiße- Engels-Straße 4 eine Pfarrwohnung bezogen und 1953 Grenze und stellt die kleinen Diaspora-Gemeinden vor in diesem Haus die katholische St.-Joseph-Kapelle ge- große Herausforderungen. Denn aufgrund ihrer volks- weiht werden. In den darauffolgenden Jahren nahm auf- kirchlichen Prägung fehlt polnischen Katholiken zum ei- grund der politischen Lage die Zahl der katholischen nen oftmals das Verständnis für die Diaspora-Situation. Christen rapide ab, so dass die Kapelle aufgegeben und Zum zweiten besteht unter ihnen das Bedürfnis, ihre schließlich die katholische Gemeinde am 1. Mai 1997 mitgebrachten, ausgeprägten Traditionen zu pflegen. aufgelöst wurde. Drittens bildet für sie die Muttersprache einen zentra- Nun, genau 70 Jahre später, feiern wieder katholi- len Faktor, um den Glauben auszuleben. Denn polnische sche Christen ihren Gottesdienst in der evangelischen Christen glauben mit »dem Herzen«. Kirche in Löcknitz. Die Beweggründe, warum diese sich Daran knüpft die Arbeit der Projektstelle »Glauben auf der deutschen Seite der Odergrenzregion niederge- ohne Grenzen« an. Im Fokus steht der Aufbau von seel- lassen haben, sind heute gewiss andere. Aber wie da- mals sehnen sich die zugezogenen Katholiken auch dies- mal nach sozialer und spiritueller Integration in ihrem Evangelische Kirche und Bürgerhaus neuen Lebensumfeld. Es zeigt sich erneut ein katholi- in löcknitz. Foto: Herrmann 10 KATHOLISCH IN DER ODER-GRENZREGION · GLAuBEN OHNE GRENZEN

sorglichen Angeboten für zugezogene polnische Katho- Himmelfahrt besitzt einen polnischen Hintergrund. Fol- liken und zwar in Kooperation mit den örtlichen Pfarrei- gend wurde das Gemeindeleben durch deutsch-polni- en, dem Caritasverband im Erzbistum Berlin und den sche Aktivitäten bereichert. Es wurden bilinguale Gottes- Lehrkräften für Katholische Religion. Wichtig ist, die Be- dienste gefeiert und deutsch-polnische Kirchencafés dürfnisse der Zugezogenen besser kennenzulernen und etabliert. Es gab einen deutsch-polnischen Kreuzweg so- das Miteinander in der Grenzregion zu stärken. Denn das wie eine traditionelle polnische Speisensegnung zu Os- Erzbistum Berlin steht für Vielfalt an Traditionen und tern. In der Pfarrei St. Maria Magdalena in Prenzlau mit Kulturen. Über 35 Prozent der katholischen Christen im einem Anteil von fast 43 Prozent polnischer Katholiken Erzbistum bringen einen Migrationshintergrund mit ist die Bereitschaft der hauptamtlichen Akteure in Sa- und kommen aus zahlreichen Ländern weltweit. Die chen Integrationsförderung hoch. Allerdings müssen Pfarreien definieren sich daher weder nach nationalen, noch Wege gefunden werden, um die Menschen zu er- ethnischen noch sozialen Vorgaben. Alle gehören dazu. reichen und zu begleiten. Deshalb werden für Zugezogene Angebote organisiert, Im Juni 2018 nahm die Projektstelle »Glauben ohne um ihnen ein Stück soziale und kirchliche Heimat näher Grenzen« Frankfurt (Oder) näher in den Blick. Die Stadt zu bringen. mit knapp 59.000 Einwohnern ist von der polnischen Stadt Słubice nur durch eine Brücke getrennt. Zahlrei- KatHOliscHE PfarrEiEn in DEr ODEr-grEnzrEgiOn che Kooperationsformen werden gelebt und nicht ohne Die Schaffung von Willkommensinitiativen, die Entwick- Grund nimmt man die Städte als Einheit »Słubfurt« lung einer Aufsuchenden-Pastoral in der Odergrenzregi- wahr. Gut 1.500 Mitglieder der katholischen Pfarrei Hei- on sowie die Vernetzung von Standorten in Vorpommern, lig Kreuz und damit fast 37 Prozent stammen aus Po- Brandenburg und über Bistumsgrenzen hinweg, an de- len. Obwohl die Situation in der Pfarrei zwischen Resig- nen der Zuzug polnischer Katholiken spürbar ist, gehö- nation und Aufbruch oszilliert, gibt es doch zahlreiche ren zu den Zielsetzungen der Arbeit der Projektstelle Lichtblicke einer guten Kooperation. Nennenswert ist »Glauben ohne Grenzen«. die Zusammenarbeit der Ökumenischen Studierenden- So gelang es Anfang 2018, über soziale Netzwerke gemeinde an der Europa-Universität Viadrina in Frank- und die Präsenz auf Facebook den Kontakt zu polnischen furt (Oder) mit der katholischen Studierendengemeinde Christen im Raum Schwedt aufzubauen. Gut 35 Prozent Parakletos in Słubice sowie die Arbeit des Studien- und der katholischen Christen der dortigen Pfarrei Mariä Gästehauses »Hedwig von Schlesien«. Bewährt haben 11 KATHOLISCH IN DER ODER-GRENZREGION · GLAuBEN OHNE GRENZEN

sich die Treffen innerhalb des Cafés International, das austauscH unD intEgratiOn im PastOralEn zweisprachige Weihnachtsliedersingen, Fronleichnam raum HOPPEnwalDE/PasEwalK in Słubice, der ökumenische Pfingstmontag, die gemein- Das Leben in deutsch-polnischen Pfarreien wird vom same Feier des Franziskustages oder der ökumenische Miteinander geprägt. Voraussetzung dabei ist aller- Kreuzweg. dings die Offenheit für das gegenseitige Kennenler- Bereits im September 2017 führte der Weg der Pro- nen und für neue Impulse. In der Pfarrei St. Otto Pase- jektstelle »Glauben ohne Grenzen« auf Einladung von walk bestimmt in der Regel der jeweilige Standort der Bischof und Generalvikar in das Bistum Görlitz, um De- Flächenpfarrei den Alltag. Das polnische Glaubensle- kane und den Priesterrat zu Integrationsmaßnahmen zu ben dominiert zum Beispiel in Löcknitz, das traditionel- beraten. Dabei wurden Ansätze für die Einbindung pol- le Glaubensleben einer deutschen Diaspora-Gemein- nischer Christen erarbeitet. Denn auch hier zeigt sich, de dominiert in Hoppenwalde und . Der Wunsch wie der polnische Zuzug die katholischen Grenzpfarrei- nach einem Mehr an gemeinsamem Gemeindeleben en verändert. stellt beide Gruppen vor große Herausforderungen, un- Als Sitz der Projektstelle »Glauben ohne Grenzen« ter anderem bedingt durch die unterschiedliche Alters- wurde allerdings bewusst die Gemeinde Löcknitz ge- struktur und die unterschiedliche Form, den eigenen wählt. Die Ortschaft zählt 3.241 Einwohner, wovon 575 Glauben auszuleben. Allerdings können Aktionen rund polnische Staatsbürger sind, sprich 17,7 Prozent der Ein- um das Kirchenjahr und gemeinsame Veranstaltungen wohner. Das deutsch-polnische Miteinander prägt das das Kennenlernen untereinander fördern. So bieten gesellschaftliche Leben. Es gibt in Löcknitz unter ande- zum Beispiel von polnischen Katholiken mitgebrachte rem eine deutsch-polnische Kindertagesstätte, ein Bräuche sowie von deutschen Katholiken gelebte Tra- deutsch-polnisches Gymnasium und einen von ditionen die Möglichkeit, neue Impulse im Gemeinde- wegen berufenen Präventionsrat mit deutsch-polnischer leben zu setzen. Sie besitzen großes Potential für mehr Arbeitsgruppe. Der Ort liegt im Pastoralen Raum Hop- Miteinander zwischen deutschen und polnischen Ge- penwalde/Pasewalk. Von dessen rund 3.190 katholi- meindemitgliedern. schen Christen haben 43 Prozent der Mitglieder eine pol- In der Pfarrei St. Otto Pasewalk forcierte der pol- nische Herkunft, so dass hier verschiedene Instrumente nischsprachige Pfarrer Grzegorz Mazur in den letzten der Begegnung und Integration von der Projektstelle Jahren das deutsch-polnische Miteinander. So finden sich »Glauben ohne Grenzen« entwickelt werden konnten. in allen Sonntagsgottesdiensten polnische und deutsche Elemente wieder. Je nach Standort dient entweder Pol- nisch oder Deutsch als leitende Gottesdienstsprache. In allen Pfarrgremien sind auch Christen polnischer Her- kunft vertreten. Polnische Traditionen haben sich mitt- lerweile fest etabliert wie der »Opłatek« in der Weih- nachtszeit, der bereits seit zehn Jahren in Pasewalk begangen wird. Auch in der Pfarrei Mariä Himmelfahrt in Hoppenwalde wurde mit dem polnisch-sprachigen Pfarrer Marek Malesa und einem polnisch-sprachigen Ka- plan der Grundstein für ein tiefes Miteinander in der Kir- chengemeinde gelegt. Es haben sich polnische Traditio- nen etabliert. Der Mutter-Kind-Kreis ist zweisprachig und zahlreiche deutsch-polnische Konzerte bereichern das Gemeindeleben. Die Pfarreien Pasewalk und Hoppenwalde befinden sich gemeinsam als Pastoraler Raum in der Entwick- lungsphase des Prozesses »Wo Glauben Raum gewinnt« und damit auf dem Weg zu einer gemeinsamen Pfarrei. Das nun erarbeitete Pastoralkonzept für die künftige Pfarrei trägt der, aufgrund des Zuzugs, neuen pastoralen Situation besonders Rechnung. Zudem zeigen sich be- reits erste Ansätze in der Pastoral wie die gemeinsame Erstkommunionvorbereitung, gemeinsame Nikolausfei- Deutsch-polnische, ern und Krippenbasteln oder der deutsch-polnische ökumenische rKw auf Weltgebetstag der Frauen. der Burg löcknitz. Die Projektstelle »Glauben ohne Grenzen« und Foto: Wildner-Schipek die von der Caritas im Erzbistum Berlin eingerichtete 12 KATHOLISCH IN DER ODER-GRENZREGION · GLAuBEN OHNE GRENZEN

Projektstelle »Caritas rund um den Kirchturm« – diese legte er ihnen die Hände auf und segnete sie« (10,16) mündete 2018 in das Projekt »Den Glauben behalten« – begleitete die Kinder durch den Familiengottesdienst schufen seit 2016 darüber hinaus weitere Begegnungs- und das bunte Tagesprogramm. möglichkeiten. So findet einmal im Monat ein Kirchenca- Im Rahmen der bundesweiten Interkulturellen Wo- fé im Bürgerhaus Löcknitz statt, zudem gibt es einen wö- che organisierte die Projektstelle »Glauben ohne Gren- chentlichen Kindertreff und zahlreiche Veranstaltungen, zen« am 01. Oktober 2017 ein Fest auf dem Gelände der die die Integration im gesellschaftlichen und kirchlichen Burg Löcknitz. unter dem Motto »Löcknitz Zukunft. Ein Kontext fördern. Auch der Austausch über Traditionen Fest. Eine Region. Viele Ideen« bezeugten Polen und Deut- und Bräuche dient diesem Ziel, wie das Ausschmücken sche, katholische und evangelische Christen, konfessio- von Osterkörbchen 2017 oder das gemeinsame Palm- nell ungebundene und interessierte Bürger ihre Bereit- basteln und Fastenessen in der Fastenzeit 2018 in Pa- schaft und Offenheit für die kulturelle und religiöse sewalk. Vielfalt in dieser Region. Zu den Gästen zählten unter an- Zur Förderung der Integration polnischer und deut- derem Lokalpolitiker wie der örtliche Bürgermeister und scher Kinder und Familien innerhalb des Pastoralen Rau- seine Amtskollegen aus Pasewalk, Plöwen und dem pol- mes fand am 1. Juli 2017 das erste deutsch-polnische nischen Police. Den Festgottesdienst zelebrierten ge- Kinderfest in Viereck statt. Ziel war es, den Jüngsten Ge- meinsam der Erzbischof von Stettin-Cammin, Andrzej meinschaft zu ermöglichen sowie Eltern, Großeltern und Dzięga, und der Erzbischof von Berlin, Heiner Koch. Erz- Verwandten Raum für Gespräche zu bieten. Bereits die bischof Koch predigte über die Aufgabe des Pastoralen Vorbereitungen zum Fest förderten den Austausch zwi- Raums Hoppenwalde/Pasewalk als Ort des Lernens für schen haupt- und ehrenamtlichen Helfern sowie den das Leben in Gemeinschaft. Er erinnerte an die heilige Eltern. Hedwig als Brückenbauerin zwischen Polen und Deut- Der Tag, zu dem zahlreiche Kinder aus Löcknitz, Pa- schen. In seinem Grußwort verglich Erzbischof Dzięga die sewalk und Viereck kamen, begann mit dem Einüben Grenzregion mit einem Herzen, welches lebt und arbei- deutscher und polnischer Lieder für den bilingualen Got- tet. Die Oder bezeichnete er als »Autobahn eines pulsie- tesdienst. Der Pfarrer versinnbildlichte in seiner Predigt renden Herzens«. ganz im Sinne des Tagesmotto »Ob groß oder klein, je- der kann heilig sein – Taki duży, taki mały może Świętym wEgwEisEr im öKumEniscHEn mitEinanDEr być«, dass auch ein Kind durch seine Taten und sein Ver- In den Sommerferien 2017 fand erstmals eine deutsch- halten, durch Hilfsbereitschaft und Nächstenliebe die polnische, ökumenische Religiöse Kinderwoche (RKW) Gemeinschaft und das Miteinander stärken kann. auf der Burg Löcknitz statt. 29 deutsche und polnische Deutsch-polnisches Essen und eine religiöse Schnitzel- Kinder zwischen sechs und zwölf Jahren aus Löcknitz, Pa- jagd brachten die Kinder näher zusammen. Das zweite sewalk und Umgebung trafen sich, um, wie es in der deutsch-polnische Kinderfest fand am 25. August 2018 Charta Oecumenica heißt, »die geistlichen Gaben der in Hoppenwalde statt. Das Motto aus dem Markusevan- verschiedenen christlichen Traditionen zu erkennen, von- gelium »Und er nahm die Kinder in seine Arme; dann einander zu lernen und sich so beschenken zu lassen«. Das Konzept für die auf fünf Tage angelegte Veranstal- tung wurde anhand der überregionalen RKW-Materiali- en 2017 zum Thema »Miteinander zum Geschenk« aus- gearbeitet. Vormittags absolvierten die Kinder jeweils eine katechetische Einheit, die abwechselnd vom katho- lischen Pfarrer von St. Otto Pasewalk, Grzegorz Mazur, und der evangelischen Pastorin von Löcknitz, Helga Warnke, geleitet wurden. Sie befassten sich mit den The- men »Geburtstag« und »Namenstag«, mit Höhepunkten und Traditionen des »Kirchenjahrs« und Vorbildern christlichen Engagements. Nachmittags entdeckten die Kinder die umgebung und hatten Zeit zum Spielen. Sie bekamen eine Einführung in die Kräuterkunde durch die Volkssolidarität - e. V., besuchten die Feu- erwache Löcknitz, entdeckten im Burgturm Ritter mit

Ein fest im rahmen der interkulturellen woche: stettins Erzbischof Dziega (l.) und Erzbischof Koch feierten dazu in löcknitz gemeinsam die messe. Foto: Angela Kröll 13 KATHOLISCH IN DER ODER-GRENZREGION · GLAuBEN OHNE GRENZEN

Kleidung und Waffen aus dem 13. und 14. Jahrhundert lisiert und weisen national und kulturell ganz unter- und gingen baden. schiedliche Identitäten auf. Für den Außenstehenden tre- Wie gut das Erleben von Kirche als Ort ankam, spie- ten meist nur die Vorteile des Zuzuges im Vordergrund, gelte sich in den Anmeldungen für die zweite deutsch- wie der Wunsch nach einem »besseren Leben« oder polnische, ökumenische Religiöse Kinderwoche wider. günstiger Wohnraum. Meist unbemerkt bleiben die un- Kinder aus Pasewalk, , Hoppenwalde, Uecker- sicherheiten, die Sprachhürden und die Sehnsucht nach münde, Löcknitz und umgebung meldeten sich für die Zugehörigkeit, Gleichwertigkeit und Spiritualität. Zielset- fünftägige RKW im Juli 2018 an. Insgesamt 64 Mitwir- zung des Projektes »Glauben ohne Grenzen« ist daher die kende – Kinder zwischen sechs und zwölf Jahren, Jugend- Förderung eines Miteinanders über Grenzen hinweg und liche, hauptamtliche und ehrenamtliche Helfer – sangen, die Vernetzung von Menschen in Fragen ihres Glaubens tanzten, spielten, bastelten eine Woche lang auf dem Ge- und ihres Lebens. Deshalb ist es wichtig Zugezogene in lände des Burgturms Löcknitz. Als Grundlage dienten er- das Leben der Pfarrei zu integrieren und es mit ihnen ge- neut die allgemeinen RKW-Materialien 2018 und ihr Leit- meinsam zu gestalten. thema »Komm, freu dich mit uns«. Genauso wichtig ist jedoch auch ihre soziale Integ- ration. Deshalb gibt es seitens öffentlicher Einrichtungen KircHE scHlägt BrücKEn in DiE gEsEllscHaft zahlreiche Angebote wie zum Beispiel Beratungsstellen Um die religiöse Beheimatung von katholischen Christen und Sprachkurse. Die Zusammenarbeit mit dem aus Polen in deutschen Pfarreien zu unterstützen, ist es zentral, sich im öffentlichen Bereich mit lokalen Akteu- ren zu vernetzen. Menschen, die sich im Ausland eine Die evangelische Kirche in löcknitz während der heiligen messe neue Existenz aufbauen, sind religiös verschieden sozia- mit den beiden katholischen Bischöfen. Foto: Angela Kröll 14 KATHOLISCH IN DER ODER-GRENZREGION · GLAuBEN OHNE GRENZEN

Kirche zur Stärkung der Region beizutra- gen. Somit war die Projektstelle »Glau- ben ohne Grenzen« beim Tag der Vereine sowie bei der »Leistungsschau – Messe für Vorpommern« in Pasewalk vertreten. Zum 3. Ökumenischen Kirchentag Vor- pommern in Greifswald gestaltete sie gemeinsam mit der Caritas einen Stand. Zum 500. Reformationsjubiläum betei- ligte sie sich in der Pasewalker Bibliothek bei der Veranstaltung Lieblingsgeschich- ten aus der Bibel. Sie weckte in verschiedensten Gre- mien das Interesse und so konnte sie ihre Arbeit vielerorts vorstellen unter an- derem bei der 68. Mitgliederversamm- lung des Bonifatiuswerkes in , im Januar 2018 bei der Mitgliederversamm- lung der Arbeitsgemeinschaft Christli- cher Kirchen in Mecklenburg-Vorpom- mern (ACK MV) und beim Diözesanrat des Erzbistums Berlin. Im März besuch- ten Auszubildende des Erzbischöfli- chen Ordinariats Löcknitz und im Juni wurde auf einer Fachtagung in Berlin die deutsch-polnische, ökumenische Religi- öse Kinderwoche als Werkzeug einer interkulturellen Katechese vorgestellt. Darüber hinaus entstanden zahlreiche Beiträge in Presse, Funk und Fernsehen über das Geschehen vor Ort. Mit der Reihe »Mit Kindern Religi- on entdecken« startete die Projektstelle »Glauben ohne Grenzen« zur Osterzeit Löcknitz-, dem berufenen Präventionsrat und der 2017 eine Initiative für Kindertagesstätten zu religiösen deutsch-polnischen AG, lokalen Vereinen und Initiativen Festen im Jahreskreis. Sie folgt dem Grundgedanken, trägt mittlerweile Früchte. Auch das Angebot der Caritas dass Kinder explizit ihr Umfeld wahrnehmen und Fragen im Erzbistum Berlin richtet sein Augenmerk auf polni- stellen. Ihnen sollten die Antworten zum Thema Religion sche Familien. Die eigens zwischen 2016 und 2018 ein- nicht vorenthalten werden, schon allein weil das Chris- gerichtete Projektstelle »Caritas rund um den Kirchturm« tentum Teil ihrer eigenen Kultur ist. Die Feste, die wir in initiierte Kindernachmittage und begleitete polnische der Kirche feiern, kehren wie die Jahreszeiten immer wie- Zuzügler bei Behördengängen. Diese Arbeit wird jetzt im der. Weihnachten, Ostern oder Pfingsten sind kirchliche Rahmen des Caritas-Projektes »Den Glauben behalten« Feste die daher »zwangsweise« zum Thema in der Fami- fortgeführt. Zudem möchte die Caritas in Löcknitz ihr Be- lie, der Kindertageseinrichtung werden, weil die Kinder ratungsangebot ausbauen. unweigerlich darauf stoßen. In einer solch säkularen Umgebung, in Vorpom- Der erste Projekttag »Mit Kindern Religion entde- mern gehören nur gut 20 Prozent einer christlichen cken« wurde für Vorschulkinder der KITA Randow-Spat- Konfession oder einer anderen Religion an, ist es wich- zen Löcknitz vorbereitet. Im April 2017 besuchten 15 Kin- tig durch die Präsenz von pastoraler und diakonischer der die Projektstelle »Glauben ohne Grenzen« im Bür- gerhaus Löcknitz. Sie konnten spielerisch und mit allen Sinnen die Schöpfung Gottes erleben und viel über Kir- »löcknitz zukunft. Ein fest. Eine region. viele ideen«: chen- und Kalenderjahr sowie zu Themen rund ums Os- unter diesem Motto organisierte die Projektstelle terfest erfahren. Dabei half ein kleiner Frühlingsgarten, »glauben ohne grenzen« ein fest der Kulturen. die bildliche Vermittlung der Schöpfung und die Körper- Fotos: Angela Kröll übung Samenkorn. 15 KATHOLISCH IN DER ODER-GRENZREGION · GLAuBEN OHNE GRENZEN

Im Advent 2017 besuchten zum zweiten Projekttag Partnerschaften entwickelt und bewährt. Der Wunsch »Mit Kindern Religion entdecken« an zwei Tagen 60 nach religiöser Beheimatung bleibt allerdings oft uner- Kindergartenkinder die Projektstelle »Glauben ohne füllt. Das Erzbistum Berlin versucht mit einem innovati- Grenzen« und die evangelische Kirche in Löcknitz. Die ven pastoralen Konzept und dem Pilotprojekt »Glauben Einführung in den christlichen Jahreskreis und die ge- ohne Grenzen«, diesem Wunsch nachzugehen. Um eine meinsame Nacherzählung der Weihnachtsgeschichte binationale Gemeinschaft zu stärken, braucht es geplan- standen im Mittelpunkt. Die evangelische Pastorin Hel- te Maßnahmen, um Gleichgesinnte zu treffen, mit ihnen ga Wanke führte durch ihre Kirche, damit die Kinder Gottesdienste zu feiern, sich auszutauschen und ge- mehr über die freudige Erwartung auf die Geburt Jesu meinsam Freude am Glauben zu haben. und die damit verbundenen geheimnisvollen Symbole Am Standort Löcknitz findet zukünftig der Glaube und Zeichen erfahren. »wortwörtlich« Raum. Die räumlichen Kapazitäten im Kirchliche Feste wie Ostern, Pfingsten, Nikolaus Bürgerhaus Löcknitz halten dem Bedarf nicht stand um oder Weihnachten sind Ereignisse, an denen einem Re- entsprechende pastorale Angebote zu unterbreiten und ligion im Alltag begegnet. Die eigentlichen Inhalte der die Integration voranzutreiben. Deshalb wird in naher Zu- Feste sind allerdings durch kommerzielle Interessen und kunft die Begegnungsstätte Oder-Grenzregion ins Leben dekorative Akzente oftmals kaum zu erkennen. Gleich- berufen. Der Integrationsansatz des Erzbistums Berlin wohl bieten aber diese Feste die Chance, einmal inne- geht damit über den liturgischen Aspekt hinaus. Mit dem zuhalten und sich gemeinsam mit Kindern auf die ur- Kauf einer Immobilie in Nachbarschaft zum Schulcam- sprünglichen Aussagen der Feste einzulassen. Das An- pus sollen nicht nur kirchliche, sondern auch gesell- zünden von Kerzen, das Vorlesen biblischer Geschichten schaftliche Aktivitäten etabliert werden. Die Grenzregi- und das Sprechen über Bräuche und Traditionen können on befindet sich im Wandel und deshalb sollte man die aus Konsumfesten ein Mehr machen. So ist es von Vor- Gegenwart unter ganz neuen Formen entdecken und ge- teil, dass auch 2018 die Projekttage »Mit Kindern Reli- meinsam gestalten. Hier in dieser Region, unter diesen gion entdecken« fortgeführt werden konnten. Menschen ist die Kirche gefragt. Hier geben wir durch unser Handeln Auskunft über unsere Hoffnung. Ein BlicK in DiE zuKunft Seit geraumer Zeit ziehen zahlreiche Polen auf die deut- sche Seite der Odergrenzregion. In vielen Bereichen des Das fest half, grenzen zu überwinden gesellschaftlichen Lebens haben sich Strukturen und und sich näherzukommen. Foto: Ulf Albrecht 16 KATHOLISCH IN DER ODER-GRENZREGION diESSEiTS Und JEnSEiTS dER GREnzE

1

Swinemünde

Pastorale Räume Hoppenwalde im Erzbistum Berlin:

2 1 – Greifswald

Pasewalk 2 Hoppenwalde – Pasewalk

3 Prenzlau – Templin – Schwedt Löcknitz szczecin (stettin) ErzBistum 4 Berlin-Buch – Bernau – Eberswalde

HamBurg 5 Frankfurt (Oder) – Buckow- Prenzlau Tantow Müncheberg – Fürstenwalde Gryfino ErzBistum

3 szczEcin-KamiEŃ Pfarreien, Kirchorte und Ortschaften im Erzbistum Berlin Schwedt Angermünde Pfarreien und Kirchorte im Bistum Görlitz Chojna Pfarreien im Bistum Dresden / Meißen

Ortschaften und Städte in Polen

Eberswalde Autobahnen

4 Siekierki Schnellstraßen / Landstraßen

Bahnlinien Kostrzyn nad Odrą (Küstrin) Brücken

Berlin 5 Frankfurt (Oder) Slubice

ErzBistum Cybinka Bistum

BErlin Eisenhüttenstadt ziElOna gÓra- Neuzelle gOrzÓw

Guben Gubin

Cottbus Brody Bistum Bistum görlitz Döbern Sorau Łęknica Weißwasser Bad Muskau

Gozdnica Bistum Rothenburg o. L. lEgnica Niesky

Görlitz Zgorzelec Dresden

Ostritz Bistum Bogatynia DrEsDEn-mEissEn Zittau Sieniawka 17 KATHOLISCH IN DER ODER-GRENZREGION · DIESSEITS uND JENSEITS DER GRENZE

Viereck Police Pasewalk

Dobra

Plöwen Mierzyn Löcknitz szczecin (stettin)

Prenzlau Kołbaskowo Penkun Tantow

Mescherin Gryfino

Gramzow Gartz

Schwedt Angermünde

Chojna

ERzBiSTUM BERLin Zahlen vom 31.08.2018 Eberswalde – St. Peter und Paul: Katholiken gesamt: 2.242 heringsdorf – Stella Maris: Polnische Katholiken: 413 Katholiken gesamt: 1.141 Prozentualer Anteil: 18,42 % Polnische Katholiken: 216 Prozentualer Anteil: 18,93 % frankfurt (Oder) – heilig Kreuz: Katholiken gesamt: 4.118 hoppenwalde – Mariä himmelfahrt: Polnische Katholiken: 1.518 Katholiken gesamt: 1.013 Prozentualer Anteil: 36,86 % Polnische Katholiken: 169 Prozentualer Anteil: 16,68 % BiSTUM GöRLiTz Zahlen vom 31.12.2017

Pasewalk – St. Otto: Guben: Katholiken gesamt: 2.254 Katholiken gesamt: 1.192 Polnische Katholiken: 1.255 Polnische Katholiken: 500 Prozentualer Anteil: 55,68 % Prozentualer Anteil: 41,9%

Prenzlau – St. Maria Magdalena: Weißwasser: Katholiken gesamt: 1.811 Katholiken gesamt: 1.158 Polnische Katholiken: 777 Polnische Katholiken: 272 Prozentualer Anteil: 42,9 % Prozentualer Anteil: 23,5 %

Schwedt – Mariä himmelfahrt: Görlitz: Katholiken gesamt: 2.031 Katholiken gesamt: 7.090 Polnische Katholiken: 714 Polnische Katholiken: 2.237 Prozentualer Anteil: 35,16 % Prozentualer Anteil: 31,55 %