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Y Nº 10

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BEST OF CORPORATE PUBLISHING AWARD 2013 IN GOLD BEST OF CORPORATE PUBLISHING AWARD 2014 IN SILBER ADC WETTBEWERB 2014 IN SILBER

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Y- MAG

Nº 10

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Hier sieht unser Foto- graf über die Furggele auf die Glattalp FOTO: Stefan Zürrer

Y10_final_BZG.indd 04 19.08.14 13:51 05 LIEBE LESERIN, LIEBER LESER,

er Schwyzer ist gerne auf einem der Franz Liszt gehandelt wurde. Nach D vorderen Plätze dabei, wenn es um seinem Tode geriet er fast in Verges- seine Leistungen geht. senheit. Bis Res Marty kam.

Bestes Beispiel: Max Heinzer. Zu jeder Ausnahmeleistung Er gehört zu den Top Five beim Degen- Andreas Lukoschik gehören Vision, Ausdauer und das fechten. Weltweit. Er erzählte uns, wie er richtige Händchen. Henry F. Levy sich auf seine Wettkämpfe vorbereitet und was ihn aus Wollerau verfügt über all das und hat mit der am Fischen reizt. Stiftung BINZ39 der Stadt – und der ganzen Schweiz – ein Kunstförder-Programm der besonde- Margrit Föhn wiederum legt gerne Hand ren Art geschenkt. an ihre Wettkampf-Sense. In der Disziplin „Hand- mähen“ hat sie es bereits zweimal zur Europameis- Natürlich gibt es auch in dieser Ausgabe wieder terin gebracht. die Einführung ins Kantonesisch – heute über das „G´fergg“ – und einen Beitrag zum Brauchtum: die Spitze ist auch Alois Bruhin. Er hilft an- archaische Kraftübung des „Chatzestreble“. deren, nach oben zu kommen. In Tansania. Seit 17 Jahren. Grossartig! Und: der Viehmarkt auf dem Schwyzer Feldli – mit ganz besonderen Porträts. Ungläubiges Kopfschütteln erzeugen dagegen Fredi Clerc und seine Brigitte Bamert in Last but not least berichten wir über das Nuolen am Zürichsee. Dort produzieren sie Weine, älteste und sympathischste Gestüt Europas – den die Experten zu leisen Glücksjauchzern verleiten. Marstall Kloster Einsiedeln. Wenn man sieht, wie gut es die Pferde bei Ursi Kälin haben, möchte man In Gersau vertreibt Roger Bürgler seit glatt die Spezies wechseln. einem Jahrzehnt mit dem „Gersauer Herbst“ erfolg- reich die Melancholie des Novembers – und startet damit jetzt ins zweite Jahrzehnt. Bei all den Superlativen ist es auch schön, Zweiter zu werden. Wie es das Y Magazin erleben Einen Steinwurf entfernt wuchs der durfte: Wir haben in diesem Jahr nach der Silber- Künstler Mischa Camenzind auf. Der poetische Col- medaille des ADC auch noch den „Best of Corporate Bendix Bauer Bendix lagist lehrt heute Deutsch. Er hat die Illustrationen Publishing Award 2014“ in Silber erhalten. in dieser Ausgabe gefertigt. Ein Urgestein. Das ist die dritte Auszeichnung für unser Maga- zin innerhalb von zwei Jahren. Das lässt Freude An der gegenüberliegenden Seite des Kan- aufkommen. tons, in Lachen, wurde ein Musiker geboren, der zu Und Dank: Für die Unterstützung durch unsere

SCHERENSCHNITT: SCHERENSCHNITT: Lebzeiten auf Augenhöhe mit Richard Wagner und Sponsoren. Denn ohne sie gäbe es „Y” nicht.

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EINSIEDELN MARCH 66 „Ich setzte den Fuss in die Luft und sie trug.” 10 „I cavalli della 34 „Und ewig reizt Mischa Camenzind Madonna!” das Neue!“ – Künstler und Poet Das älteste Gestüt Europas Clerc Bamert versetzen Wein- ist auch das sympathischste experten in Verzückung KÜSSNACHT

SCHWYZ 40 Joachim Raff 74 Der Mann mit Wie der Lachner Komponist von der der Maske 18 Viehmarkt auf Musikwelt wiederentdeckt wird Max Heinzer und seine Welt dem Feldli hinter Gittern Jedes Jahr im Herbst ein 46 „Es gibt immer Muss für alle Möglichkeiten!” Alois Bruhin hilft in Tansania – 24 „Chatzestreble“ beispielhaft Die Kraft der Unteriberger WER MEHR ÜBER DEN HÖFE KANTON ERFAHREN MÖCHTE, 26 Die Doppel-Europa- BEKOMMT ES HIER: meisterin an der Sense 54 Henry F. Levy Margrit Föhn bringt Gras das Ein Porträt des Stifters von BINZ39 Fürchten bei Amt für Wirtschaft GERSAU Bahnhofstr. 15 30 „Kantonesisches” CH 6431 Schwyz Nathalie Henseler erklärt G´fergg 62 Der Herbstzeitlose Warum Roger Bürgler den „Gersauer Herbst” erfand und was daraus wurde

HERAUSGEBER: Urs Durrer, Vorsteher des Amtes für Wirtschaft, Schwyz KONZEPTION & REALISATION: Amadeus AG Verlag, Schwyz GESAMTLEITUNG & CHEFREDAKTOR: Andreas Lukoschik IMP CREATIVE DIRECTION: Reto Brunner, brunnerbekker, München ART DIRECTION: Florian Fischer, HelmutMorrison, München MITARBEITER DIESER AUSGABE: Henry F. Levy, Ursi Kälin, Hans Steinegger, Margrit Föhn, Stefan Zürrer, Fredi Clerc, Brigitte Bamert, Res Marty, Alois Bruhin, Roger Bürgler, Mischa Camenzind, RES Nathalie Henseler, Max Heinzer, Andreas Meyerhans, Benno Kälin, Franz-Xaver Risi sowie Gabriele Batlogg und Nik Oswald SCHLUSSREDAKTION: Hanjo Seißler FOTOS: Stefan Zürrer SUM ILLUSTRATIONEN: Mischa Camenzind (Porträts) und Florian Fischer (Collagen) LITHO: Sophia Plazotta, PX5, München ANSCHRIFT DER REDAKTION: Y MAG, Feldli, 6430 Schwyz DRUCK: Gutenberg Druck AG, Lachen

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Blick von der Glattalp Richtung Sali bei aufgehendem Mond FOTO: Stefan Zürrer

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Blick von Gross über den Sihlsee gegen Euthal FOTO: Stefan Zürrer

Y10_final_BZG.indd 09 19.08.14 13:51 „I CAVALLI DELLA MADONNA“

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unser grosser Schmuseteddybär!!! Dies beweist er auch immer wieder, wenn er seinen Kopf aus dem Boxenfenster hält und auf streichelnde Touristen wartet...“

Ursi Kälin ist die Frau, die auf diese Weise über ihre Pferde schreibt: Sehr menschlich, sehr freundlich und wie eine wohlwollende Leh- rerin über ihre Lieblingsschüler. Zu Lubaya fügt sie noch hinzu: „Aber sie weiss trotzdem immer, DER „MARSTALL KLOSTER EINSIEDELN” IST DAS ÄLTESTE GESTÜT EUROPAS – was sie will. Das sind die guten Pferde. Auch UND EINES DER SYMPATHISCHSTEN wenn es für jeden Reitschüler natürlich bequemer wäre, wenn die Pferde einfach nur funktionieren von Andreas Lukoschik würden. Ich sage aber jedem immer wieder, dass er respektvoll mit Tieren umgehen muss. Egal ob Kuh, Esel, Giraffe, Goldhamster oder Pferd. Und er sich unter www.marstall- dass er – wenn er etwas von diesen Lebewesen einsiedeln.ch über die be- will – mit ihnen behutsam arbeiten muss. Und sonderen Einsiedler Pferde bei Lubaya arbeitet man halt ein bisschen länger.“ informiert, dem fällt auf, in Sagt’s und macht dabei nicht den Eindruck, als ob welch angenehmer Tonlage ihr dafür die Geduld fehlte. Wdort über die Tiere geschrieben wird. Bei Arista steht da zum Beispiel: „Im Ursi Kälin ist seit nunmehr elf Jahren die Gelände ist sie sehr sicher, doch mit Chefi n im Ring ... falsch ... im Geviert. Und das ihrem Temperament eher für fortge- als Quereinsteigerin. Schon als Mädchen hat sie schrittene Reiter geeignet, welche auf hier erst das Reiten und dann die Liebe zu ihren ihr gut lernen können, nicht zu klem- „Einsiedlern“ gelernt. Trotzdem hat sie sich erst men und mit feiner Hand zu reiten.“ ziemlich spät zur Pferdefachfrau – so die Berufsbe- Und dann folgt ein Smiley . zeichnung – ausbilden lassen. Nämlich als sich die Gelegenheit bot, das Gestüt zu übernehmen. Über die Stute Lubaya ist zu lesen: „Sie hat einen grossen eigenen Es ist wohl keine Übertreibung, wenn Willen und zeigt ihn uns jeweils, man das als Herzensangelegenheit bezeichnet. wenn sie bei jeder neuen Aufgabe Denn das, was sie dort tut, ist kein Job, sondern ihr zuerst mit ‘klopfenden Hufen’ anfragt, Beruf. Wobei der bei ihr eindeutig von „Berufung“ ob sie dies jetzt auch wirklich tun kommt. Und so ist sie nicht nur die Mehrheitsak- muss – anschliessend jedoch immer tionärin, sondern vor allem auch die Seele des Ge- alles zu unserer besten Zufriedenheit stüts. Allerdings eine, die mit anpackt. Besonders erledigt.“ dann, wenn Sensibilität gepaart mit Fachwissen und Erfahrung gefragt ist. Und den Wallach Bracken schliesst man schon beim Lesen ins Das ist kein Zufall, denn irgendwie hat Herz: „Sein jugendlicher Leichtsinn sie einen sechsten Sinn für ihre Pferde. Woran das sticht vor allem noch in liegt? Schwer zu sagen. Als Beobachter hat man Der sechsjährige Fuchs Dressurprüfungen durch, den Eindruck, dass eine besondere Beziehung Kalani ist ein echter Ein- siedler: hoch talentiert, weil er überhaupt nicht zwischen ihr und den Tieren herrscht. Sie weiss sehr intelligent und ein einsehen will, warum er soo- einfach, was die Tiere brauchen. Zum Beispiel kleiner Lausbub. Durch seine Intelligenz erkennt ooooooo brav ein Programm Auslauf. er sehr schnell, bei wem absolvieren soll, aber sein er es bequemer angehen lassen kann. Aber in Charme macht das alles wie- seinem Alter darf er das. der wett!!!! Er ist und bleibt

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Ursi Kälin, die sympathi- sche und liebevolle Chefi n im Geviert des Marstalls Einsiedeln

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Zu diesem Zeitpunkt waren die Pferde des urkundlich erstmals 1064 erwähnten Marstall Kloster Einsiedeln also schon berühmt. „Ich habe mit sehr viel Kraft und Enga- gement darauf bestanden,“ sagt sie, „dass ich die Doch erst im Jahre 1589 wurden sie zum 22 Hektar Weide behalten kann. Denn Pferde sind ersten Mal systematisch und individuell registriert. Bewegungstiere. Schauen Sie sich mal an, wie die Doch vernichteten französische Revolutionsheere auf der Koppel ständig hin-und-her-laufen. Mal später die ganze Zucht. Der älteste Stutenstamm hier etwas fressen, mal dort. In der Wildnis sind – die Klima Familie – lässt sich heute dennoch sie 16 Stunden auf den Beinen. Solche Tiere kann bis ins Jahr 1858 zurückverfolgen, was in Europa man doch nicht in einen Stall „einstellen” und nur einmalig ist. nach Bedarf herausholen. Bei uns sind sie deshalb den ganzen Sommer draussen und – wann immer Für die Zucht dieser herrlichen Tiere es geht – auch in der Winterzeit. Da können sie ist diese lange „Mutterstutenlinie“ ein unschätz- sich austoben. Was sie auch gerne tun. Danach barer Vorteil. Das Ergebnis ist mehr als sehens- sind sie ganz entspannt unter ihren Reitern.“ wert: „Der „Einsiedler” ist zwischen 160 und 175 Zentimeter gross mit einem guten, stabilen Ein Erfolgsrezept ist sicherlich, dass Ursi Körperbau. Zumeist braun oder fuchsfarben mit Kälin ihre 15 gestütseigenen und 26 Pensions- originellen Abzeichen und einem verführerischen Pferde nicht zwingt, irgendetwas zu tun. „Die Augenaufschlag. Der „Einsiedler” fällt aber vor einen mögen die Dressur, andere springen gern. allem durch seinen guten Charakter auf. Es ist ein Das muss man durch Beobachtung herausfi nden ausgeglichenes Pferd mit einem grossen Herzen – und ihre Begabungen fördern. Die eben erwähnte das für seine Leute durchs Feuer geht. Es zeichnet Lubaya zum Beispiel hat bei einer Prüfung in Genf sich durch seine Vielseitigkeit und Gutmütigkeit im Freispringen den dritten Platz belegt. Von allen aus, ist geduldig, freundlich, lernwillig, gutartig, Pferden der Schweiz. Weil sie es mag. Nach dem leistungsbereit und nicht nachtragend.“ Kurzum: Springen standen dann mehrere Helfer bereit, um So muss ein Pferd sein. die Pferde wieder einzufangen, weil beim Frei- springen kein Reiter auf ihnen sitzt. Bei allen hat „Allerdings gibt es derzeit nicht mehr ge- das gut geklappt, aber nicht bei Lubaya. Die ist nug Stuten aus den Stämmen des Marstall Einsie- erst noch mal ein paar Runden durch die Halle deln, um die Zucht so aufrechtzuerhalten, wie ich gelaufen und hat sich dann zum Publikum gestellt es mir wünsche,“ sagt Ursi Kälin. „Es gibt derzeit und liess sich streicheln.“ Hier lacht Ursi Kälin. „Ja, vermutlich noch ungefähr 70 Einsiedler Stuten, die so ist sie. Eine Persönlichkeit!“ in der Zucht eingesetzt werden könnten. Für eine gesicherte Existenz bräuchte man aber zwischen Warum heissen ihre Pferde in Italien 200 und 300 Stuten. Ich werde so viel als möglich eigentlich „I cavalli della Madonna“? tun, um die wundervollen Einsiedler zu erhalten,“ sagt sie. „Aber dafür brauche ich Unterstützung.“ „Das ist eine alte Geschichte. Als der Abt des Klosters 1464 zum Papst nach Rom reiste, Pferdeinteressierte sollten sich deshalb überlegen, hatte er auch 22 Pferde dabei. Unterwegs wollten ob sie nicht ein Tier aus der Zucht des Marstall bei der abendlichen Rast die Einheimischen die Kloster Einsiedeln erstehen wollen. Dieses Gestüt legendären Pferde der schwarzen Madonna von bringt dort nicht nur herrliche Pferde dieser Einsiedeln ("i cavalli della Madonna") bewundern. Rasse hervor, sondern bietet auch sehr attraktive Die mitreisenden Edelleute und Knechte verstan- Konditionen, um diesen prachtvollen Tieren eine den dieses Interesse aber falsch und meinten, die Heimat bieten zu können. Denn es sind tatsächlich Einheimischen wollten die Pferde stehlen. Und „I cavalli della Madonna“. so entwickelte sich eine wüste Rauferei, in deren Gefolge der Abt erst die klostereigenen Raufbol- de auslösen musste, ehe es weiterging. Mit dem positiven Nebeneffekt, dass auf diese Weise das Interesse an den Einsiedler Pferden aktenkundig geworden ist.“

Y10_final_BZG.indd 14 19.08.14 13:51 „Der „Einsiedler” ist zwischen 160 und 175 Zentimeter gross mit einem guten, stabilen Körperbau. Zumeist braun oder fuchsfar- ben mit originellen Abzeichen und einem verführerischen Augen- aufschlag.“

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Die Insel Roggenburg im Lauerzersee vor den Mythen FOTO: Stefan Zürrer

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GROSSVIEH- AUSSTELLUNG AUF DEM FELDLI

FOTOS Stefan Zürrer

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inmal im Jahr fi ndet auf dem Areal „Feldli“ an der Rickenbachstrasse vis-á-vis vom Ital-Reding Haus die grosse Viehausstellung statt. Horn an Horn stehen sie aufgereiht da. EAn die tausend Tiere.

Gross und Klein in Tracht oder „Zivil“ kommen und schauen die starken Bullen, grazilen Rinder und kräftigen Kühe, nachdem sie von den Alpen herabgekommen sind oder den Sommer über im Tal ver- bracht haben. Die Besucher lauschen den Klängen der Alp- hörner, schauen dem Handeln beim Verkauf der Tiere zu, be- trachten die Tiere und kehren am Abend in die auf dem Feld- li aufgebaute Beiz ein.

Dort geht es dann bis in die frühen Morgenstunden bei Ländlermusik und dem einen oder anderen alkoholhaltigen Getränk hoch her. Gründe zu feiern hat jeder: Der eine, weil sein Vieh von den Juroren ausgezeichnet worden ist, der andere weil er sein Vieh gut verkauft hat, ein Dritter weil er gute Rinder eingekauft hat und ein Vierter, weil er sich schon den ganzen Sommer über hoch oben auf der Alp auf diesen Abend gefreut hat.

Die Viehausstellung an sonnigen Septem- bertagen im Schwyzer Hauptort ist ein Fest für alle, bei dem der aufmerksame Beobachter erkennen kann, dass auch diese Tiere Individuen sind – mit unter- schiedlichen Eigenarten, Charakteren und Temperamenten.

Das erdet und lässt den Respekt vor der Kreatur wachsen – bei Gross und Klein.

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Die Schwyzer Autorin Gertrud Leutenegger vor brasilianischem Hintergrund

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„CHATZE STREBLE“

programm organisiert wird. Ein fester Brauch im Kalenderjahr und Alltag ist es längst nicht mehr.

UNTERIBERG PFLEGT AM „STÖCK- Umso erfreulicher, dass sich das MÄRCHT“ EIN ALTES KRAFTSPIEL, DAS BIS INS MITTELALTER ZURÜCK- Chatzestreble als eines der ältesten Kraftspiele REICHT: DAS GENICKZIEHEN. in Unteriberg erhalten hat – oder genauer gesagt 1997 wiederbelebt wurde. Es gilt mittlerweile von Hans Steinegger sogar als „einzigartig“, nachdem das traditionelle „Streblen“ an der Küssnachter Sännechilbi und am inzwischen eingestellten Schwingfest auf der ie „Neigung zu archaischen Kraftübungen“ Seebodenalp nicht mehr gepfl egt wird. soll einst zu den Eigenarten des Alpenvol- kes gezählt haben. Das Kräftemessen sei jedoch etwas derart „Kühermässiges“ ge- MITTELALTERLICHES KRAFTSPIEL wesen, dass sich meist nur Knechte und Be- Dtrunkene dazu hätten hinreissen lassen. Genannt Wenn im Schwyzer Volksmund vom Chat- wird dabei im Zusammenhang mit den Alpfesten zestreble berichtet wird, dann handelt es sich um unter anderem das Chatzestreble (Katzenstrecken). eine mundartliche Verkürzung von „Strebkatzen- ziehen“. Das war ursprünglich ein mittelalterliches Kraftspiel und im 15. und 16. Jahrhundert nicht ALTES BRAUCHTUM nur im Alpenraum, sondern auch in verschiede- nen Regionen Deutschlands und Skandinaviens Während Schwingen und Steinstossen verbreitet. Im Jahr 1524 erschien in Worms sogar längst zu nationalen Wettkämpfen aufgestiegen eine anonyme Streitschrift mit dem Titel „Die sind, taucht das Chatzestreble heute im Kanton Lutherisch Strebkatz“ – natürlich zugunsten der Schwyz vor allem unter dem Begriff „Altes Brauch- Reformation. Denn der satirische Titelholzschnitt tum“ auf. In der Regel bilden dafür die Älpler- und zeigt Martin Luther und den Papst beim Strebkat- Sennen-Kilbinen das geeignete Umfeld, wobei zenziehen, wobei Luther beim „Ziehen“ gegen den das überlieferte Wettspiel nur noch als Rahmen- Papst und seine Helfer gewinnt!

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SPIEL STRÄUBENDER KATZEN Hinter all diesen Darstellungen wollen Szenen des Kampfspiels die streitenden Parteien Das Spiel nennt sich übrigens deshalb vor dem Betreten des Gerichtshauses vor allzu Strebkatzenziehen, weil sich zwei Kontrahenten grosser Kampfeslust warnen – oder die Beklagten beim Kräftemessen wie sträubende (widerstreben- ermahnen, sich vor Gericht keine Blösse zu geben! de) Katzen gegenüber knien. Zum Kampf begeben sich die Gegenspieler auf allen vieren in Liege- stützstellung auf den Boden, die Köpfe einander CHATZESTREBLE AM STÖCKMÄRCHT zugewendet. Darauf legt der Schiedsrichter dem Duo zwei zu einem Ring zusammengeschnallte Nach diesem Landesgrenzen übergrei- Ledergurten über den Nacken. Während beide mit fenden Abstecher zu Ursprung, Verbreitung gestreckten Armen ihre Hände in den Boden stem- und Begriffen rund um das Strebkatzenziehen men, gilt es bei aufgerichtetem Kopf den Riemen nun wieder zurück in den Kanton Schwyz: 1997 mit dem Nacken zu halten und auf Kommando liessen in Unteriberg die „Fritigs-Höckler“ das „katzenbuckelig“ mit höchster Kraft den Gegner Chatzestreble im Rahmen des traditionellen Stöck- über eine Grenzmarke zu ziehen. märcht neu aufl eben. Dieses jährliche Volksfest im Spätherbst ist eine Mischung aus Warenmarkt Selten gelingt es dem Sieger, den andern und kleiner „Chilbi“ mit volkstümlicher Musik vollends – rund „drei Ellen lang“, hiess es einst in den Wirtshäusern und im Festzelt. Seit 2011 – gegen sich zu ziehen. Viel öfter verlässt den organisiert der Verein „Kultourclub Alperose“ den Schwächeren die Kraft im Nacken, er muss darum Anlass, und zwar nach wie vor mit sichtlichem den Kopf beugen, wodurch der Lederriemen aus- Erfolg, besuchen doch jeweils rund 500 und mehr klinkt und damit das Kräftespiel für ihn verloren Personen die abendlichen Wettkämpfe. ist. Die Paarungen werden wie beim Wie alten Überlieferungen aus verschie- Schwingen ermittelt, wobei in der Vorrunde zwei denen Landesregionen zu entnehmen ist, wurden Wettkämpfe zu absolvieren sind und der weitere früher anstelle von Lederriemen auch Stricke oder Verlauf nach dem Cupsystem funktioniert. Gab Tuchstreifen verwendet. Als Grenzlinie diente da es anfänglich drei Kategorien (Damen; Herren: und dort die Türschwelle zwischen zwei Türpfos- Aktive und Prominenz, darunter auch nationale ten. Eine geradezu archaische Variante bestand Schwinger), wird heute nur noch zwischen Damen darin, den Kopf des Gegners möglichst über ein und Herren unterschieden, bei den Männern auch zwischen beiden „Streblern“ brennendes Feuer zu mit Gruppenwertungen. Während bei der Katego- ziehen! Nicht genug damit: Anstatt einen Riemen rie Damen jeweils mehrheitlich Ibrigerinnen aus- oder ein Seil um den Hals zu hängen, wurde einst zumachen sind, beteiligen sich bei den Herren seit nach rauester Sitte ein Tuchstreifen zwischen den Jahren immer wieder „Strebler“ aus allen Regionen Zähnen festgebissen und so der Gegner über die des Kantons Schwyz. Und wie sich jeder Brauch Schwelle gezogen... verändert und entwickelt, so fi ndet seit 2006 auch ein Jung-Chatzerstreble statt, an dem sich jeweils am Nachmittag vorwiegend Mädchen und Knaben VIELDEUTIGE SYMBOLIK aus Unteriberg und Studen beteiligen.

Das jahrhundertealte Spiel des „Genick- So oder so ist das Chatzestreble am Ibri- ziehens“ hat sich auch in Bildern niedergeschlagen, ger Stöckmärcht ein eindrückliches Beispiel dafür, dies weniger in der Schweiz als im nahen Ausland. wie ein alter lokaler Brauch neu entdeckt und Es sind vor allem Reliefs, die einst an Rat- und wiederbelebt wurde – und 2017 bereits auf zwei Gerichtshäusern angebracht wurden, ebenso an Jahrzehnte seines Bestehens zurückblicken kann! Kirchtürmen oder Chorgestühlen. Dazu fi nden sich in Deutschland gleich mehrere eindrückliche Beispiele: Im Huldigungssaal des Rathauses zu Goslar zeigt ein Schnitzfeld sogar Wildmännchen, STREBLE AM STÖCKMÄRCHT die mehrere alte Kraftspiele ausüben, auch das IN UNTERIBERG: Streckkatzenziehen. Montag, 20. Oktober 2014

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Die Europameisterin Marg- rit Föhn in der Illustration des Gersauers Mischa

Camenzind ILLUSTRATION:

Y10_final_BZG.indd 26 19.08.14 13:52 27 rickenbachnbachh DIE DOPPEL-EUROPA-MEISTERIN MIT DER SENSE

Zum anderen wird der linke Rand be- urteilt. Denn die Strecke, die gemäht werden soll,

MARGRIT FÖHN BRINGT DEM wird am rechten Rand mit einem Seil abgesteckt, GRAS DAS FÜRCHTEN BEI! von dem aus der Mäher – oder die Mäherin – die Sense entgegen der Leserichtung, von rechts nach von Andreas Lukoschik links, durchziehen muss. Dabei zieht die rechte Hand, die Linke führt und sorgt auf diese Weise dafür, dass das bauchige ine Strecke von zwanzig Metern liegt vor ihr. Sensenblatt fast auf der Rasenfl äche aufl iegend Zwei Meter fünfzig breit. Mit mehr als einer darüber gleitet. So werden die Halme möglichst halben Million Halmen, die zwischen 20 und weit unten erwischt. 40 Zentimeter Länge dem Himmel entgegen Wichtig ist, dass das Sensenblatt über die gesamte ragen. Sie in möglichst kurzer Zeit mit der Breite von zwei Meter fünfzig des zu mähenden ESense zu mähen, ist die Aufgabe, zu der sich alle Wiesenareals ganz nach links durchgezogen wird zwei Jahre Handmäher aus Deutschland, Öster- – sodass dort kein „abgebissener Rand“ übrigbleibt. reich, der Schweiz, Slowenien, Südtirol und dem Dieses Qualitätskriterium nennt sich „Durch- Baskenland treffen – zur Europameisterschaft in schlag“. ihrer Disziplin. Zum Schluss wird der „Anwand“ bewer- Im Jahr 2011 stand Margrit Föhn vor der tet, was bedeutet, dass am Ende der Strecke – an Frage, wie sie ihre stärkste Konkurrentin – die der Wand – alles sauber gemäht worden ist oder mit 58 Sekunden sehr weit vorne lag – überholen ob den Mäher oder die Mäherin die Kräfte verlas- könne. sen haben, sodass die Arbeit nicht ordentlich zu Wer meint, es reiche, einfach schneller zu sein Ende geführt werden konnte. als die Konkurrenz, der irrt. Geschwindigkeit ist wichtig, sie wird allerdings mit einem Schlüssel Die Menge des gemähten Grases und multipliziert, der sich aus mehreren Bewertungs- die Tatsache, wie die Häufl ein – die sogenannten kriterien zusammensetzt. „Maatli“ – auf der linken Seite aussehen, ist dabei nicht von Bedeutung. Zum einen spielt die „Sauberkeit“ eine Die Qualität jedes Kriteriums wird in fünf Punk- Rolle. Also die Frage: Ist das gemähte Areal in teschritten bewertet. Null ist die beste Note. 100 Streifen, Zickzack oder sonstwie gemäht? Oder Punkte gibt es für eine Leistung, für die eine handelt es sich um eine ebene Fläche, auf der die Mäherin oder ein Mäher besser gar nicht erst stehengebliebenen Halmreste weitgehend gleich angetreten wäre. Alle drei Bewertungen werden kurz sind. zusammengezählt und mit der Mahdzeit

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multipliziert. Daraus ergibt sich die Punktezahl. Im Jahre 2017 wird im Kanton Schwyz Wer die geringste vorweisen kann, hat gewonnen. die übernächste Europameisterschaft ausgetra- gen werden. Margrit Föhn – sie ist ausrichtende Zurück zu Margrit Föhns Wettbewerb: Präsidentin des Handmähvereins Innerschweiz Schnell zu sein, spielte schon eine gewichtige Rol- – verhandelt deshalb bereits jetzt mit Bauern über le. Allerdings lagen mehr Möglichkeiten darin, in die Nutzung passender Areale. Auch um Hotels den anderen drei Kriterien besonders gut zu sein, muss sie sich kümmern. „Unsere Gäste müssen ja um Multiplikatoren zu vermeiden, die eine kurze auch untergebracht werden,“ erklärt die Präsiden- Mahdzeit vervielfacht hätten. tin. Am Ende schaffte sie es mit Bravour, fuhr die wenigsten Punkte aller Teilnehmerinnen ein und wurde zur besten Handmäherin Europas gekürt! Das Werkzeug

Nun will der mähinteressierte Besucher „Es grünt so grün!“ gern eine Originalsense aus der Nähe sehen. „Kein Problem,“ sagt sie und holt zunächst den Holm – Die Schwyzer Handmäher haben zwar auf schwyzerisch Worb – und dann das Sensenblatt. nicht so viele Wörter fürs Gras wie die Inuit für den Schnee. Allerdings wissen sie, was auf sie „Das sind alles Massanfertigungen,“ sagt zukommt, wenn eine Wiese aus Klee, Löwenzahn sie. „Ich habe zum Beispiel lieber einen Worb aus oder Spitzgras besteht. Holz, der nicht so lang ist. Ich gehe nämlich beim Mähen gerne in die Knie. Dadurch bekomme ich „Klee mäht sich sehr schön, so als ob ein eine höhere Geschwindigkeit. Wenn ich mit Aus- warmes Messer durch Butter schneidet,“ erklärt dauer mähen müsste, würde ich einen längeren Margrit Föhn. „Löwenzahn ist auch sehr gut zu Worb vorziehen, weil man dadurch entspannter mähen. Aber Spitzgras,“ – das ist das Gras, dessen beim Mähen stehen kann und die Kraft sich besser Spitzen Katzen gerne abbeissen – „das ist schwe- verteilt. Ich kenne aber viele Mäher, die sich rer zu mähen.“ Was daran liege, dass es fein und einen Worb aus Aluminium anfertigen lassen.“ Es elastisch ist und sich der Bewegung des Sensen- scheint wie unter Golfern zu sein. Unter denen hat blattes anpasst, statt sich von der Klinge halbieren auch jeder seine Vorlieben und Neigungen. zu lassen. Für solch junges, elastisches Gras brau- chen Mäherinnen und Mäher deshalb besonders „Die Klinge ist mit 1,35 Meter sehr lang scharfe Sensenblätter. und zeichnet diese Sense eindeutig als Wettkampf- Für borstigeres Gras wiederum – zum Beispiel in sense aus,“ erklärt Margrit Föhn. „Ein normales sumpfi gem Gelände, wo die Halme von einer här- Sensenblatt ist zwischen 60 und 80 Zentimeter teren Hüllschicht umgeben sind – braucht es einen lang. Aber wir wollen ja in möglichst kurzer Zeit größeren Kraftaufwand beim Mähen. Dabei ist die eine maximale Mahd erreichen.“ Dichte des Grases ein wichtiger Faktor. Das heisst, es spielt eine Rolle, wie eng die Halme beieinander Hergestellt werden die Wettkampf- stehen. Dicht stehendes Gras verlangt nach einem klingen bei einem speziellen Klingenschmied in stärkerem Zug als locker stehendes. Österreich. Der sorgt dafür, dass sie einen „Bauch“ haben, also auf der dem Boden zugewandten Seite Deswegen gehen die Handmäher vor je- gewölbt sind – damit sie über den Boden gleiten, dem Wettkampf zunächst einmal ihr Areal ab und ohne hängenzubleiben. schauen, was sich ihrer Klinge jeweils in den Weg Aus dem gleichen Grund ist auch die Spitze der stellt. Sense leicht vom Boden weg nach oben gewölbt, so ist ein sauberes Gleiten im Schwung möglich. Ein guter Wettkampfveranstalter sorgt Dieser Schwung sollte immer gleichmässig deshalb an erster Stelle für ein attraktives Areal. über den Boden gleiten und nicht zum Ende der Es soll eben sein und allen Teilnehmern gleiche Schwingbewegung nach oben gezogen werden. Ob Bedingungen bieten. die oder der Mähende das gut beherrscht, lässt sich an der Mahdbahn im Nachhinein gut beurteilen.

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„Könnt Ihr auch Wildheuen?“

So weit der Wettkampf. Nun gibt es in der bergigen Innerschweiz natürlich viele Wiesen, die steile Hänge emporwachsen. Wiesen, auf die sich Wildheuer spezialisiert haben. Können die Von der Begegnung mit den Basken Grossmeister der Sense auch solche Wiesen unter hängt ein Foto bei Margrit Föhn, das sie, ihren ihre Klinge nehmen? Mann Adrian und drei Basken zeigt, die stolz ihre blinkenden Sensenblätter in die Kamera halten. Da lacht Margrit Föhn: „Genau das haben uns einige Innerschweizer gefragt und gleich dazu Handmäher treffen sich nämlich nicht gemeint, dass wir das wohl nicht fertigbringen nur zu Wettbewerben, sondern „auch so“. In würden. Wir haben daraufhin ein sehr grosses diesem Fall war das „auch so“ ein Festival in und steiles Areal in Uri bekommen, das wir heuer Andoain, einem Örtchen in der kleinsten der drei im sechsten und letzten Jahr mähen. Als das unse- baskischen Provinzen im nordwestlichen Eck des re Kritiker gesehen haben, verstummten sie. Jetzt Landes, dort wo Frankreich und Spanien eine akzeptieren sie uns auch als Wildheuer.“ gemeinsame Grenze haben. Zu dem Fest kommen alljährlich Hunderttausende. Einer der Abnehmer dieses köstlich- Die wandern durch und um den Ort und schau- würzigen Heus aus Uri war übrigens über Jahre en an verschiedenen Stationen Spezialisten der der Wildpark Goldau, der seine Tiere mit diesem Region bei ihrem Tun zu. Einige davon waren die superreinen Naturfutter verwöhnte. Handmäher aus dem Kanton Schwyz. Jawohl! Sie lieferten sich einen freundschaftlichen Schau- Mähwettkampf, der die Basken begeisterte.

Trycheln, Glocken, Der stattliche Erlös aus diesen Festivals dient übrigens dazu, den Unterricht in baskischer Lorbeerkränze Sprache an den Schulen aufrechtzuhalten. So haben die Schwyzer Margrit und Adrian Föhn An den Wänden des Wohnzimmers von geholfen, den Erhalt der baskischen Sprache zu Margrit und Adrian Föhn, in dem wir unser Ge- fördern. spräch führten, hängen neben grossen Trycheln*, die der Hausherr beim Schwingen gewonnen hat, jede Menge Lorbeerkränze. Die bekommen die Handmäher wie die Schwinger Das macht Sinn für gewonnene Wettbewerbe. Dazwischen hängen – fast ein bisschen versteckt – vier Gold-, drei Zum Schluss gibt mir Margrit Föhn einen Silber- und eine Bronzemedaille für gewonnene Hinweis mit auf den Rückweg: „Ist Ihnen schon Schweizer Meisterschaften. aufgefallen, dass das Wort „Sense” im Englischen das bezeichnet, was wir „Sinn” nennen?“ Getoppt wurden diese Medaillen allerdings im Jahre 2003, als Margrit Föhn und Über diese ironische Wegzehrung muss Armin Betschart im spanischen Baskenland beide ich schmunzeln, als ich die kurvige Strasse vom Europameistertitel gewannen. Was sie acht Jahre Föhnschen Haus auf dem Bürisberg talwärts Rich- später – 2011 – in Slowenien wiederholten. tung Rickenbach fahre.

* für Nicht-Schwyzer: Trycheln sind gewaltig grosse Glocken aus gehämmertem Blech, die – wenn sie geschüttelt werden – einen Höllenlarm machen und jeden übel gesinnten Geist auf der Stelle verjagen.

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KANTONESISCHES G’FERGG

von Nathalie Henseler

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Selten hört man das Wort noch im Kanton Schwyz. Aber hie und da, draussen bei den Bauern trifft man es noch an, das G’fergg – oder vielleicht eher noch ein G’ferggli. Mit G’fergg wird ursprünglich ein „Fuhrwerk für Perso- nen, Kutsche oder Reisewagen“ bezeichnet. Fuhrwerk, Kutsche oder Reisewagen gibt es kaum noch, aber zu transportieren gibt es noch immer viel. Und immer öf- ters wieder mit dem Handwagen, dem „G’ferggli“, das es beim Grossdetaillisten neuerdings sogar als zusam- menklappbares Modell mit Superpunkten zu ergattern gibt.

G’fergg hat die Bedeutung von „Gefährt“ und tönt auch sehr ähnlich, es ist aber eigentlich ein Substantiv, das aus dem Verb „ferggen“ entstanden ist, das so viel wie „transportieren, fortschaffen“ heisst. „Ferggen“ bein- haltet immer das Mühsame am Transportieren, das mit Umständen verbunden ist. So hört man das Wort in den letzten Jahren wieder vermehrt unter jungen Fa- milienvätern und –müttern, die unter der Woche am Abend ihre Kinder „herumferggen“ müssen: Zum Sport, Musikunterricht, ins Ballett oder zu den Jungjuuzern.

Das Verb „ferggen“ seinerseits hat seine Wurzeln im mittelhochdeutschen Verb „vertigen“, was „zum Trans- port rüsten“ heisst. In exakt dieser Bedeutung wird das Wort noch heute benutzt, wenn der Kondukteur auf dem Perron den Zug „abfertigt“, also den Schlüssel im orangefarbenen Kästchen dreht, bevor er einsteigt. Damit hat er den Zug zum Transport „gerüstet“ – und der Lokomotivführer kann losfahren.

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Die Bätzimatt bei Tuggen FOTO: Stefan Zürrer

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„UND EWIG REIZT DAS NEUE!“

Wer hätte das gedacht? Solche Schätze made in Schwyz? IN WANGEN PRODUZIEREN CLERC BAMERT WEINE, DIE EXPERTEN IN Niemand? Doch. Einer: Fredi Clerc. VERZÜCKUNG VERSETZEN Der Lachner gehört nämlich von Andreas Lukoschik zu den vom lieben Gott Beschenk- ten, die nicht nur das Neue lieben, sondern auch noch das Talent haben, ie sind nicht leicht zu fi nden, der Fredi Clerc Zauberhaftes daraus zu extrahieren. und seine Frau Brigitte Bamert. Schuld Er vertieft sich in die Dinge, um dann daran ist ihr 34 Jahre alter Hafl inger Max, das Wesentliche herauszudestillie- der damals, als sie ihn neu bekommen hat- ren, das nicht irgendeine verstiegene ten, eine Weide brauchte. So fanden sie ein Kopfgeburt ist, sondern das, was uns Skleines Anwesen im Ortsteil Nuolen von Wangen Menschen erfreut. in der schönen March, abseits vom Schuss. Und begannen dort etwas zu machen, was seinesglei- chen sucht – im Kanton Schwyz, am Zürichsee, ja in der ganzen Schweiz: Wein. Und was für einen! Animierende Eckhard Hillmann, als beschreibender Weine Kellermeister die Zunge, die Nase und das Auge des grössten Weinhandelskontors Deutschlands „Für jeden, der Wein macht,“ – Hawesko mit Namen - gerät regelmässig ins so Clercs Credo, „sollte die Animation Schwärmen, wenn er einen der Clerc Bamert- seines Weines im Vordergrund stehen. schen Tropfen auf der Zunge hat. O-Ton Hillmann Denn nur ein Wein, der animiert, zu ihren edelsüssen Weissen: „Was da aus der macht wirklich Freude und lässt sich Flasche strömt, ist der HAMMER! Da ist Euch auch gut verkaufen.“ Klar. Langwei- etwas Aussergewöhnliches gelungen, denn diesem lige Weine dienen letztlich nur der Wein können die meisten Sauternes und Barsac Alkoholaufnahme. Wer darauf scharf nicht das Wasser reichen. Das sind Trouvaillen ist, sollte auf Schnaps umsatteln. unter den Süßweinen, wie man sie nicht alle Tage fi ndet. Wer sie im Keller hat, der sollte sie hüten.“ Ein exzellentes Beispiel Der Mann weiss, wovon er spricht, denn in seinem für die animierende Wirkung seiner Keller lagern über vier Millionen Flaschen feinster Weine ist sein „Torovino“, ein Rotwein, Weine aus ganz Europa. der nach der traditionellen Methode

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Die Weingenies Brigitte Bamert und Fredi Clerc

ILLUSTRATION: aus Nuolen

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der Amarone-Erzeugung hergestellt nicht aus jedem Jahrgang machen. Dazu müssen wird. Dazu werden sorgsam ausge- die Trauben eine bestimmte Qualität haben. Die wählte und gepfl egte Trauben der erkennt nur der Weinbauer an der Rebe selbst – Sorten Blaufränkisch, Dornfelder und wenn er gut ist. Zweigelt vom Südhang des Wangener Buchberges und vom Klostergarten Und Fredi Clerc ist gut. Bei der Fassver- Uznach nach der Lese schonend und kostung der zur Zeit reifenden Weine erzählt er sehr langsam getrocknet – damit sie in seinem Keller vom edlen Restaurant „Stucki“ sich in Richtung Rosinen entwickeln. in Basel, in dem die „Köchin des Jahres 2014“ – Dabei verlieren sie alles „Grüne“ und Tanja Grandits – besondere Köstlichkeiten für ihre verfügen nicht nur über konzent- anspruchsvolle Klientel kreiert. riertere Aromen, sondern auch über reifere Gerbstoffe. Einer ihrer Gäste befragte unlängst den Sommelier, welche Weine der zum Menü empfeh- Weinnasen entdecken in len würde und gab gleich eine Einschränkung diesem tiefroten, fast an Purpur dazu: Alles ausser Schweizer Weinen sei ihm erinnernden Nektar des „Torovino“ willkommen. Der Sommelier verschwand und kre- den Duft von Kirsch- und Brombeer- denzte – ohne dass der Gast es ahnte – einen Wein konfi türe, von getrockneten Früchten, von Clerc Bamert. Daraufhin stutzte der Gast und Bourbon-Vanille und einen Hauch wollte wissen, was für einen fantastischen Tropfen edler Kräuter. er denn da auf der Zunge habe. Die Antwort: „Ei- nen Schweizer Wein!“ Darauf kaufte ihm der Gast An diesem Gewächs lässt sämtliche Clercschen Weine aus dem Keller weg. sich übrigens leicht erkennen, wie se- gensreich es ist, dass Clerc nicht nur Wie war das mit dem Propheten Oenologe, sondern auch sein eigener im eigenen Land? – Genau! Traubenproduzent ist. Weil er so die Entwicklung der Trauben sehr behut- sam und kontinuierlich verfolgen und begleiten kann. Und welche

Die Ripasso-Version Weisse hat er? des „Torovino“– wenn wir bei dem Amarone-Vergleich bleiben – heisst Zum Beispiel einen „Adonis“ von 2010. bei Clerc Bamert „Preziosa“. Während Der oben erwähnte Hillmann beschreibt ihn so: der „Pressvorgang“ für den „Torovino“ „Im Bouquet versprüht er wahren `Esprit´ mit nur ein Abtropfen der vergorenen Anklängen von Pfi rsichen, reifen, saftigen Äpfeln Maische bedeutet, ist das „übrig ge- und hintergründigen mineralischen und an edle bliebene“ Traubengut anschliessend Kräuter erinnernde Aromen. Trotz seiner Jugend bereit für eine zweite Extraktion – für beweist er im Geschmack bereits einen verblüffen- den Preziosa. Doch auch der wird nur den Tiefgang, die Harmonie und der ausgeprägte, mit Bedacht angepresst, damit keine elegante und weiche Fruchtschmelz vermeiden Bitterstoffe in den Wein geraten. Aus jeden Gedanken an Oberfl ächlichkeit.“ den Rückständen dieser Pressung macht Clerc später noch einen Grappa. Wer gerne asiatisch kocht, für den ist die Doch das ist eine andere Geschichte. 2012er „Scheurebe“ eine feine Ergänzung. Wieder Hawesko-Kellermeister Hillmann: „Schon die wun- derschön zitronengelb und intensiv schimmernde Farbe deutet beträchtliche Konzentration an und Rare Mengen erweckt hohe Erwartungen, die nach der ersten Nase mehr als nur erfüllt werden… Die Komplexi- Weine wie den „Torovino“ tät setzt sich im Mund fort und durchdringt jeden und damit den „Preziosa“ kann man Geschmacksnerv mit Eleganz, Klasse und Rasse.

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Solo ein Hochgenuss, begleitet aber auch asiatische Gerichte vorzüglich.“ Warum die Zeit

Wem das alles zu poetisch ist und wer mit schlechten sich fragt, warum bei solchen Beschreibungen nie zu lesen ist, dass die Weine nach Trauben schme- Weinen cken, dem sei ganz schlicht gesagt, dass Clerc Bamerts Weine kleine Aromabomben sind, höchst vertrödeln? animierend – und jede verarbeitete Traube wert. In anderen Regionen der Welt sichern sich Königshäuser die besten Tropfen ihres Reiches für den Clercs eigenen Genuss. Im tief-demokrati- schen Ur-Kanton Schwyz kann jeder- Prickel-Lust mann diese Kreszenzen erwerben. Das könnte allerdings schnell ein Das Ehepaar Clerc Bamert produziert Ende fi nden, wenn sich herumgespro- übrigens noch eine ganze Menge anderer Köst- chen hat, um welche Spitzenqualität lichkeiten – mal mit mehr Volumenprozenten, mal es bei diesem Geheimtipp geht. mit weniger. Und einige mit einer feinen Perlage Denn Clerc Bamerts übersicht- – ganz klassisch nach der Methode des alten liche Bestände sind schnell Mönchs Dom Perignon. „Denn,“ so Ferdi Clerc „ich verkauft. liebe Champagner,“ und dabei umspielt seine feine Weinnase ein leichtes Strahlen: „Schaumwein ist Dabei ist mit 36 für mich etwas Frivoles.“ Franken pro Flasche der Ri- passo „Preziosa“ auf den ersten Bei dieser Einstellung macht er natür- Blick ein stolzer Preis. Vergleicht lich nicht einfach irgendeinen Schaumwein. Nein. man aber das Produkt mit einem Seiner muss schon besonders animierend sein. Discount-angebot, dann ver- Dazu hat er zuerst einmal nach dem innovativen steht man nach dem ersten Kick in der Herstellung geforscht, um die Qualität Schluck den Unterschied zu erzielen, die er will. Er fand sie in der „immobi- zu diesem Sensationstrop- lisierten Hefe“. Das ist Hefe, die in winzig kleinen fen aus dem Hause Clerc Alginat-Kügelchen eingeschlossen ist und sich Bamert. deshalb nicht beliebig ausdehnen kann. Ihr Vorteil: Sie kann durch ihren Einschluss keine Trübung Wer übrigens – im abgeben, während sie den Zucker im Wein in Alko- wahren Sinn des Wortes – hol und CO2 umbaut. „preis-günstig“ einkaufen will, der Ohne Trübung müssen Clercs Schaumweinfl a- versuche, einen „Doina“ von 2003 zu schen natürlich auch nicht aufs Rüttelpult, werden bekommen. Mit 75 Franken für die 50 aber ansonsten genau so weiter verarbeitet wie cl Flasche ist dieser portweinartige beim alten Dom Perignon: Also Degorgieren Tropfen ... geradezu geschenkt. (Hefeentfernung), Zusetzen der Dosage und dann Verkorken. Falls Sie so großmütig sein sollten, diesen „Vin doux naturel“, Weil alles immer nur so gut sein kann, der zehn Jahre lang im Fass gereift wie die Grundelemente es waren, hat sich Fredi ist, mit anderen teilen zu wollen, Clerc als Basis des Schaumweins für eine Symbio- dann laden Sie dazu nur Kenner ein. se von Seyval blanc und Scheurebe entschlossen. Und trinken Sie ihn in genussvoller Andacht. Sie werden sehen: Es öffnet Seinen Namen trägt das Endprodukt die- sich für einen Moment der Himmel ses Herstellungsprozesses übrigens sehr zurecht: für Sie und gewährt Ihnen einen Blick „Flirt“. ins Paradies.

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UND WOO BEKOMMT MAN Weingut Clerc Bamert DIESE WEINE? Rüteli im Buobental Nur bei ihm direkt, sonst würde 8855 Wangen (SZ) mancher Händler vielleicht nicht Tel.: 055 440 41 46 der Versuchung widerstehen kön- nen, die Preise hochzutreiben: www.clercbamert.ch

Y10_final_BZG_2208.indd 39 22.08.14 10:10 40 lachen JOACHIM

ER WAR EINER DER GANZ GROSSEN DER MUSIKWELT – UND IST TROTZDEM EINER, DER NACH SEINEM TOD FAST IN VERGESSENHEIT GERIET. RAFF

von Andreas Lukoschik

ei Joachim Raff muss man sich heute die beantworten kann: Im Jahre 1872 Frage stellen: War er wirklich ein so grosser wurde Joachim Raff gleichzeitig mit Komponist? Wieso geriet er dann in der Musik- Richard Wagner und Franz Liszt welt dermassen in Vergessenheit? Und vor zum Ehrenmitglied der New Yorker allem: Warum? Philharmoniker gewählt! BEiner, der das weiss, lebt einen Steinwurf von Daran sehen Sie: Er wurde von seinen Joachim Raffs Geburtsort Lachen entfernt. Von Beruf Zeitgenossen auf Augenhöhe mit die- ist er zwar Berufs- und Laufbahnberater, doch liegt sen beiden Titanen der Musik gesehen Res Marty das Leben und Wirken des Komponisten – also nicht von irgendwelchen Hinter- Joachim Raff seit frühen Jugendtagen am Herzen. wäldlern, sondern im weit entfernten Zeit seines Lebens hat er gesammelt, was er über New York. Auch damals schon ein Raff fi nden konnte, und schon in jungen Jahren weltweites Zentrum der Kultur. war ihm klar: Wenn ich einmal in Richtung Pension gehen werde, dann schreibe ich ein Buch über ihn. ? Aber wie konnte er dann in Verges- Das hat er jetzt wahr gemacht. senheit geraten? Liszt und Wagner sind doch bis heute uns allen präsent. Nach sechs Jahren intensiver Recherche ist es fertig geworden und gerade erschienen: Marty ist ! Das liegt an seiner Person ebenso es gelungen, damit das Standardwerk über Joseph wie am musikhistorischen Umfeld. Joachim Raff zu verfassen. ? An seiner Person? Res Marty ist also der richtige Mann, mit dem man über das Phänomen Raff sprechen kann. ! Er war ein sehr eigenwilliger Mensch, der wissenschaftlich orien- tiert war und im Gegensatz zu Künst- ? Herr Marty, gleich zu Anfang die lern wie Liszt und Wagner keinerlei Frage: War Raff tatsächlich so eine narzisstische Gelüste zur Selbstdar- grosse Nummer in der Musikwelt stellung pfl egte. Denken Sie an all die oder machen wir ihn nur dazu, weil Affären, die Wagner hatte, den Staub, wir gerne einen von uns als grossen den seine politischen Handlungen Musiker sehen möchten? aufwirbelten. Oder an Liszt, der sich medial dramatisch-mystisch in Szene ! Eine gute Frage, die man nüchtern setzte. All das war Raff fremd.

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Der Berufs- und Laufbahn- berater Res Marty, Autor des neuen Standardwerkes

ILLUSTRATION: über Joachim Raff

Y10_final_BZG.indd 41 19.08.14 13:53 Ich habe bei meinen umfangreichen Recherchen alle damals relevanten Musikzeitschriften durchgearbeitet: Raff erscheint nicht ein einziges Mal in den – heute würden wir es so nennen – „Klatschspalten”. Andererseits hatte er sich oftmals mit der Presse angelegt, weil er – aus seiner Sicht – ungerecht kritisiert wurde. Er wollte deshalb nichts mit der Presse zu tun haben und die Retourkut- sche war natürlich, dass die Presse auch nichts von ihm wissen wollte.

? Das erste Opfer der Medien- gesellschaft!

! Das kann man so sagen. In seiner Art wirkte er oft sehr spröde, weil ihm als Schweizer die höfi schen Umgangsfor- men an deutschen Königshöfen völlig fremd waren. Dann kam für ihn als ba- sisdemokratisch orientierten Schwyzer das quasi angeborene Misstrauen gegen alle Obrigkeiten hinzu. Und all das in einer Zeit – er lebte ja von 1822 bis 1882, als in den 30er und 40er Jahren des Jahrhunderts die Nationen geschaffen wurden.

? Wie hat er es überhaupt geschafft, so aufzusteigen?

! Sein treuester Freund war der Dirigent Hans von Bülow. Das ist der Mann, dem Richard Wagner dessen Frau Cosima ausgespannt hatte...

? Aha! Da kann man sich vorstellen, dass von Bülow lieber mit einem seriö- sen Mann und Künstler wie Joachim Raff befreundet war als mit dem Frauenhel- den Wagner.

! Ja. Hans von Bülow war Raffs stärks- ter Förderer, sozusagen die einzige Lobby, die er hatte. Er hat später als Dirigent in ganz Europa und auch in Übersee, eigentlich überall wo er auftrat, Raff-Werke aufgeführt. Einerseits aus Freundschaft, andererseits weil Raff im neunzehnten Jahrhundert zu den meist aufgeführten Komponisten gehörte. Er war ausgesprochen beliebt!

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? Aber daraus hat er nichts gemacht? „Interessant ist, dass das, was ! Nicht in dem Sinne, dass er sich zu einem „Star“ aufgebaut hätte – wie eben Liszt oder das Ver- man ihm damals vorwarf, heute marktungsgenie Wagner. Raff hat zum Beispiel nie gern bei Malern Porträt gesessen. Er nutzte auch als genau das entdeckt wird, nicht das noch relativ neue Medium Fotografi e – im Gegensatz zu Wagner. Auch verkaufte er die was es auch damals schon Notenblätter nicht, die er für seine Kompositionen handschriftlich geschrieben hatte, sondern über- war: Sein eigener Weg. Und liess sie den Verlagen einfach so. Kostenlos. Andere Künstler haben solche Elemente für den man erkennt heute, wie genial Kult um sich herum weidlich genutzt, haben sich eine Lobby aufgebaut, die sie gestützt und hinaus er damals die Tradition mit der in die Musikwelt getragen haben. All das hat Raff nicht gemacht – weil er keinen Wert darauf legte. Moderne verbunden hat.“

? Ein bisschen weltfremd. Oder?

! Seine Tochter Helene nannte es einmal „welt- ? Wie konnte Raff eigentlich überhaupt so weit scheue Sprödigkeit”. emporsteigen?

? Und musikalisch? Wo stand er da? ! Es war in der Tat ein kometenhafter Aufstieg: Im Kollegi in Schwyz war er einer der besten ! Er war ein grosser Anhänger der Traditionen Schüler. Deshalb wurde er zum Dolmetscher des und fühlte sich der Klassik verpfl ichtet. Felix päpstlichen Nuntius, der damals vorübergehend in Mendelssohn-Bartholdy förderte Raff denn auch Schwyz lebte – und erhielt wenig später (er kompo- gerne und mit tiefer Überzeugung. Gleichzeitig nierte damals schon fl eissig) eine Stelle als Lehrer war Raff aber auch von den Melodien der damals in . als „Neudeutsche Schule“ bezeichneten Komponis- Einige Förderer von Raff schickten seine Noten an ten Liszt, Wagner und Berlioz begeistert. Deshalb Felix Mendelssohn-Bartholdy, der ihm ein brillan- versuchte er die Brücke zwischen beiden musikali- tes Zeugnis ausstellte und ihm empfahl, Berufs- schen Strömungen zu schlagen. musiker zu werden. Daraufhin kündigte Raff seine Aber dieser Versuch wurde ihm nicht positiv Stelle, ging nach Zürich – und war stehenden angerechnet. Die Konservativen hielten ihn für Fusses obdachlos. Er hatte wohl zu sehr auf die einen „Neudeutschen“, und diese – auch als Expertise von Mendelssohn-Bartholdy gesetzt, ver- „Zukunftsmusiker“ beschriebenen – meinten, diente aber nichts. So musste er auf dem Platzspitz Raff sei eigentlich ein Konservativer, der nicht übernachten und seine Zukunft sah nicht gut aus. wisse, was er wolle. Doch störte ihn das nicht.

Interessant ist, dass das, was man ihm Als er eines Tages erfuhr, dass Franz damals vorwarf, heute als genau das entdeckt Liszt ein Konzert in Basel geben würde, machte er wird, was es auch damals schon war: Sein eigener sich auf den Weg dorthin. Und weil er kein Geld Weg. Und man erkennt heute, wie genial er damals hatte, geschah das zu Fuss. die Tradition mit der Moderne verbunden hat. Natürlich kam er – bei der Entfernung kein Wun- Der amerikanische Musikwissenschaftler Avro- der – zu spät zum Konzert. Doch in der Pause sah hom Leichling hat einmal über Raff gesagt: „Das ihn Liszts Sekretär Beloni, sprach mit ihm und Paradoxon seiner Allgegenwart in den Konzert- fragte den Maestro, ob dieser junge Musiker, der programmen der 1860er bis 1880er Jahre, dem extra zu Fuss aus Zürich gekommen wäre, nicht ein völliger Verlust seiner Reputation und das doch noch in den Saal kommen könne. Liszt liess Verschwinden aus den Konzertsälen folgte, ist bis ihn ganz unkompliziert auf der Bühne unweit des heute eines der ungeheuerlichsten Beispiele von Flügels Platz nehmen, damit er zumindest den Musikpolitik der schlechtesten Sorte.” zweiten Teil des Konzerts hören konnte. Danach

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unterhielt er sich noch ein wenig mit ihm, merkte, ! Durch meinen Vater, der Raffs Musik sehr was in Raff steckte und engagierte ihn vom Fleck geschätzt hat. Ich selbst habe auch eine Gesangs- weg als seinen Assistenten. ausbildung am Musikkonservatorium genossen, Zwei Tage später kehrte Raff mit Liszt nach Zürich ehe ich mich dann für die Psychologie entschie- zurück und wohnte – im Baur au Lac. Und so ging den habe. Mein Vater hatte schon recht früh die es weiter. Er wurde empfohlen und weitergereicht, Joachim-Raff-Gesellschaft gegründet und so lag er lernte wie besessen alles, was ihm wichtig und das Thema sozusagen in der Familie. Deshalb war richtig erschien. Schliesslich begleitete er Liszt mir klar, dass ich eines Tages dieses Buch schrei- nach Weimar, wo der Hofkapellmeister wurde und ben werde. Raff bat, seine Kompositionen zu orchestrieren – weil Liszt das nicht so richtig konnte. In Weimar traf er die Creme de la Creme der dama- Dafür hat Res Marty zu Recherchezwe- ligen Kulturwelt und verkehrte mit ihr auf Augen- cken unter Einsatz bedeutender privater Mittel höhe. Später hielt ihn Peter Iljitsch Tschaikowskij ein einzigartiges Archiv an Originalhandschriften, zum Beispiel für einen viel grösseren Komponisten Bildern, Erstausgaben und Autographen aus aller als Brahms und Wagner. Welt zusammengetragen. Bis nach Argentinien rei- Dennoch brachte es ihm nicht viel ein, weil er – chen die Fäden, die er gesponnen hat und zu einem ganz der Sache verschrieben – immer sagte, was faszinierenden Muster über Joseph Joachim Raff er dachte. Er war der erste, der zum Beispiel die verwoben hat. Sollte ein Musikwissenschaftler einer antisemitischen Motive im Werk Richard Wagners Universität diese Zeilen lesen, dann sei ihm hiermit aufzeigte. Auch das ist etwas, das erst heute gesagt, dass Res Marty ein Raff-Archiv hat, das deutlich wird. jeder Universität zur Ehre gereichen würde. Zum Schluss will der Besucher wissen: Kurzum: Seine Erkenntnisse und Mei- nungen trug Raff zwar nicht unbedingt grob vor – aber auch keineswegs feinfühlig. Eher nüch- ? Können wir Schwyzer Leser etwas aus dem tern und sachlich. Viele hielten ihn deshalb für Leben des Joachim Raff lernen? arrogant. Clara Schumann zum Beispiel, die Raff später – als Direktor des Hochschen Konservatori- ! Ja, wir Schwyzer sollten einfach ein bisschen ums – als erste Frau an eine Hochschule berief. diplomatischer werden. Dann steht uns die Welt Ja, so war er, der Joachim Raff! Widersprüchlich, noch offener als jetzt schon. (Sagt´s und lacht mit genial und wenig geschäftstüchtig. Und so geriet seinem melodischen Bariton, dass es den Besucher er in Vergessenheit. ansteckt.)

? Das hört sich an wie ein Leben für ein Filmdrehbuch. Res Martys Buch „Joachim Raff“ kostet 69 Franken und ist voller Details und herrlicher ! Absolut. Ankedoten, die keineswegs nur Musikwissenschaft- ler interessieren, so unterhaltsam und spannend ist ? Ein musikalisch-kompositorisches Genie wird das Leben dieses Schwyzers – von dem Schwyzer Res ausgegraben und wiederentdeckt. Ein musikge- Marty geschrieben. schichtliches Troja?

! Man könnte es so sehen. Ein Beweis dafür sind die vielen CDs, die von grossen Künstlern in den BIBLIOGRAFISCHE ANGABEN: letzten 30 Jahren aufgenommen wurden: Dietrich Res Marty, Joachim Raff, eine reich Fischer Dieskau, Sir Neville Mariner und die Aca- bebilderte Biografi e, 2014 im Verlag demy of St. Martin in the Fields oder Michel Ponti ‚MP Bildung, Beratung und Verlag und die Hamburger Symphoniker – um nur einige AG‘ erschienen. zu nennen. Zu beziehen unter:

? Wie sind denn Sie selbst auf Joachim Raff [email protected] gekommen?

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„ES GIBT IMMER MÖGLICHKEITEN!“

und Material waren zuvor schon dorthin trans- portiert worden. Doch dann musste der Kollege aus gesundheitlichen Gründen passen. „Da habe ich mir gesagt: Das kann doch nicht sein, dass ich ... SAGT ALOIS BRUHIN AUS schon so weit bin und jetzt aufhören soll. Deshalb ALTENDORF, DER IN TANSANIA habe ich dort unten Kontakt zu einer Schwester MEHRERE HILFSPROJEKTE GEGRÜNDET HAT UND UNTER- aus Deutschland aufgenommen und weiterge- STÜTZT macht.“

von Andreas Lukoschik Das ist 18 Jahre her und wenn man sich – im Kopf schnell nachrechnend – klarmacht, dass man einem 81-Jährigen gegenüber sitzt, n einem Alter, in dem andere sich darauf vor- dann klappt zunächst einmal der Unterkiefer bereiten, die Vorzüge des Pensionärslebens zu nach unten. Denn die Zeit scheint an Alois Bruhin geniessen, begann Alois Bruhin sich mit dem weitgehend spurlos vorbeigegangen zu sein. Das Gedanken anzufreunden, noch einmal richtig ist verblüffend, beweist aber die Richtigkeit des Gas zu geben. Mit 63 Jahren – nachdem er Satzes, dass das, was man gerne tut, einen jung Iseine „A. Bruhin AG“ in Altendorf verkauft hatte erhält. – erinnerte er sich an seine Kindheit, als Missio- nare aus Afrika im Heimaturlaub waren und von Sozial engagiert ist er übrigens seit jeher, „schwarzen Menschen“ erzählten. Damals begann der Alois Bruhin: „Wenn wir ein gutes Jahr in der in ihm der Gedanke zu wachsen, irgendwann ein- Firma hatten, dann ging immer etwas an andere, mal hinauszugehen und diesen Menschen etwas die das mehr brauchten als wir. Man hat zwar zurückzugeben. Den Wunsch wollte und konnte er immer irgendwelche Sorgen in seinem Leben, aber jetzt in die Tat umsetzen. letztlich geht es uns doch allen gut. Deshalb wollte ich davon ein bisschen was abgeben.“ „Das war in meinem Leben immer so: Wenn ich mir etwas in den Kopf gesetzt hatte, Aus dem „bisschen“ sind inzwischen dann habe ich das auch durchgezogen,“ sagt er fünf grosse Projekte geworden. Was nicht immer mit leisem Schmunzeln. Mit einem Berufskollegen einfach war. In den Weiten Afrikas ist zwar vieles reiste er zum ersten Mal nach Tansania, um dort möglich, aber eine präzise Planung inklusive eine Werkstatt für Jugendliche im Bereich Leder- geordneter Buchführung gehört nicht unbedingt und Stoffverarbeitung aufzubauen. Werkzeuge dazu.

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Alois Bruhin - der umtriebige Helfer in schwierigen

ILLUSTRATION: Entwicklungsfragen

Y10_final_BZG.indd 47 19.08.14 13:53 Y10_final_BZG.indd 48 hier Sonnenkollektoren Deswegen installieren sie immer. aber in Afrika scheint Sonne weht. Wind wenn pumpen, Wasser nur kann Windrad Ein 19.08.14 13:53

ILLUSTRATION: Florian Fischer 49

„Ich habe deshalb Kontakt Und: „Wir haben dort zusammen mit den zu einigen Schweizern, die dort leben ‘Weissen Schwestern’ aus Köln ein Laborgebäude und für mich immer wieder einige für das kleine Spital errichtet und das Spital mit Dinge kontrollieren. Ausserdem arbei- zwei Solaranlagen ausgestattet. Jetzt können te ich viel und gerne mit kirchlichen dort kleinere Unfälle versorgt werden, Geburten Organisationen zusammen, die vor stattfi nden und Malaria und Lungenentzündungen Ort sind. Und schliesslich gibt es ei- behandelt werden. Beides ist besonders während nige Grundsätze, die ich für mich von der Regenzeit ein grosses Problem. Wir haben ein Anfang an festgelegt habe. Dazu ge- Spitalauto anschaffen können und ein Gästehaus hört, nicht einfach Geld zu schicken. für Angehörige gebaut. Das darf man natürlich Jedes Projekt schaue ich mir erst alles nicht mit Schweizer Standards vergleichen, einmal sehr genau an, danach wird es aber es funktioniert alles und tut den Menschen in kleine Planungsschritte zerlegt, die gut.“ fi nanziellen Aspekte werden durch- dacht und erst dann wird das Ganze Drei- bis viermal im Jahr reist Bruhin in kleinen Geldbeträgen fi nanziert. auf eigene Kosten hinunter, kontrolliert, plant und Wenn dann dort unten etwas schief schaut nach dem Rechten. „Wichtig ist mir, dass geht, ist nicht all zu viel verloren.“ kein Rappen von gespendetem Geld in Verwaltung oder solche Dinge fl iesst. Das fi nanzie- ren wir alles selbst!“ Da ergibt eins das andere. Zur Zeit „Das darf man wird ein Hostel für über 100 Kinder gebaut, in dem Primarschülerinnen natürlich alles und -schülern Unterkunft und Verpfl e- gung während der Schulzeit angebo- nicht mit Schweizer ten wird. In Arusha, der Provinzhaupt- stadt der Region Arusha im Nordosten Standards vergleichen, Tansanias, ist eine Schule mit zehn Klassenzimmern, Nebenräumen, aber es funktioniert Toiletten und Schulküche im Bau. Acht Klassenzimmer sind bereits bezogen. alles und tut den In denen lernen schon jetzt fünf- bis sechshundert Schülerinnen und Menschen gut.“ Schüler. Darüber hinaus hat er für die Schule einen Brunnen bohren lassen, der mit einer Solarpumpe das Wasser In Mwanga, einer kleinen aus 90 Metern Tiefe ans Tageslicht pumpt. Die Provinzstadt im Norden von Tansania, Schule wird von Schwestern der Diözese betrieben. hat er auf diese Weise eine Wasser- pumpanlage instandsetzen lassen, die Viele seiner Projekte laufen, seit er sie mit einem Windrad betrieben wurde. vor vielen Jahren hat Wirklichkeit werden lassen. Sie litt darunter, dass oft nicht genug Dadurch erfahren die Menschen dort Kontinuität Wind wehte. Das hiess: Kein Wind, und Sicherheit. Wobei auch Nachhaltigkeit ein kein Wasser. wichtiger Aspekt bei solcher Hilfe ist. Ohne sie bliebe alles ein Strohfeuer, das nur für kurze Zeit „Wir haben sie durch eine auffl ackert – und dann erlischt. Deshalb hat Alois Solaranlage und mit einer knapp Bruhin vor Jahren eine Stiftung gegründet, an 1000 Meter langen Wasserleitung die Erbschaften und Spenden fl iessen können. Sie ergänzt. So müssen die Frauen das entscheidet, wo und wie geholfen wird, wobei er Wasser nicht mehr auf dem Kopf die bei der Auswahl streng ist. ganze Strecke tragen, sondern kön- nen im Dorf bleiben und sich um ihre „Manchmal zu streng,“ sagt er mit einem Häuser und Felder kümmern.” Lachen in den Augen. „Wissen Sie, es ist oft so,

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dass viele glauben, jeder Weisse habe die Taschen voller Geld. Und da braucht man nur zu wünschen und dann wird das alles wahr. Ein Massai hat mir einmal gesagt, er brauche Kühe und Ziegen, ich möge sie ihm beschaffen. Da habe ich ihn ange- lacht und gesagt, dass ich das nicht tun könne. Er hat zurückgelacht und damit war das Thema erledigt. Gefragt haben wollte er zumindest.“

An dieser Stelle muss Alois Bruhin lachen: „So sind sie. Aber das gehört zu der Hilfe, die wir ihnen bringen – zu lernen, dass die Lösung nicht Wünsche sind, auf deren Erfüllung man hofft, sondern dass Probleme und Lösungswe- ge analysiert und in kleine Schritte zerlegt werden müssen, um sie danach Schritt für Schritt selbst gehen zu können.“

Damit das immer besser und häufi ger gelingt, hat er in Katesh, einem Ort in der Region Arusha, eine Handwerkerschule bauen lassen, in die Jungen und Mädchen nach der Primarschule gehen können. Und für die sie 200 Franken Schul- geld im Jahr zahlen müssen. Das ist eine Grössen- ordnung, die sie schaffen können, weil sie dort auch wohnen und verpfl egt werden. Denn: „Was nichts kostet, ist nichts wert“. Auf diese Weise ist die Ausbildung kein Almosen, sie „verdienen“ sie sich.

„Sie sind stolz auf die von ihnen erreichte Leistung,“ erklärt Alois Bruhin. Stolz auf Erreich- tes zu sein, sei ein guter Lehrmeister, der in ihnen einen Keimling wachsen lasse, der nach „mehr” strebe. „Deshalb bekommen sie am Ende der drei- jährigen Ausbildung auch ein Zertifi kat – für sich als Auszeichnung, aber auch für die Betriebe, in denen sie dann arbeiten werden.“

Zur Zeit steht ein Computerlehrgang in einer der Schulen an. Doch eben mal 15 Computer anzuschaffen, wie es sich einige erhoffen, das gibt es mit Alois Bruhin nicht. „Drei müssen erstmal genügen und dann schauen wir, was sie damit erreichen.“

Wer behauptet, ein Einzelner könne in Die Handwerkerschule, dieser Welt nichts bewegen, sollte Kontakt zu die durch Bruhins Hilfe Bruhin aufnehmen. Der hat bewiesen, dass da sehr gebaut, und der Kranken- wagen, der angeschafft viel geht! werden konnte Wer statt zu Weihnachten, Grusskarten an seine Kunden zu verschicken, Alois Bruhins Arbeit un- terstützen will, der fi ndet das Spendenkonto unter www.hilfswerk-bassotu.ch

Y10_final_BZG.indd 50 19.08.14 13:53 „Stolz auf Erreichtes zu sein, sei ein guter Lehrmeister“

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Der Frauenwinkel bei Pfäffi kon im Morgenlicht FOTO: Stefan Zürrer

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Kinder kamen in Pfl egefamilien, er jedoch hatte das Glück, dass seine Mutter rechtzeitig fl iehen konnte. Ein weiterer Glücksfall war der grosse Londoner Bankier Siegmund G. Warburg, der der völlig mittellosen Familie half und die Ausbildung des jungen Henry fi nanzierte. HENRY F. „Wie ich später herausfand, war ich eines von vielen Kindern,“ sagt Henry Levy heute noch mit gros- sem Respekt über die Grosszügigkeit dieses Freundes der Familie.

Warburgs Unterstützung war dem jungen Heinz, der seinen LEVY Namen in England in „Henry“ änder- te, Pfl icht und Ansporn. Er begann mit nur 16 Jahren das Studium der Naturwissenschaften. Nicht nur der Name „Henry“ ist ihm ... HAT MIT SEINER STIFTUNG BINZ39 ZUM INTERNATIONALEN ERFOLG aus dieser Zeit geblieben. Er strahlt SCHWEIZER KÜNSTLER MASSGEBLICH noch heute das Flair eines kultivierten BEIGETRAGEN. englischen Gentleman mit sehr viel Charme und einem guten Humor aus. von Andreas Lukoschik Nach einer vielseitigen Karriere als Unternehmer in England s gibt Leute, die sagen, Berlin sei deshalb siedelte Henry F. Levy 1957 in die eine aufregende Stadt, weil viele junge Schweiz über. Dort war er zunächst Künstler aus aller Welt dort wohnen könnten. Geschäftsführer und später Eigentü- E Der Grund dafür liege in den niedrigen Mie- mer der „Czuka AG“. Doch „Schuster ten Berlins. Henry F. Levy fasst das so zusammen: bleib bei deinen Leisten!“ war nie die „Kunst braucht Raum und Raum braucht Kunst“. Devise Levys. Dazu war er zu neugie- Er meint damit nicht allein, dass Künstler Ateli- rig und hatte viel zuviel Energie. ers brauchen – also Räume, in denen sie arbeiten Nachdem er das Geschäft mit mo- können – , sondern auch, dass Städte und Quar- dischen und preiswerten Schuhen, tiere durch Künstler lebendiger – anders gesagt bei denen er zeitweise auch für das menschlicher – werden. Dass das nicht nur graue Design verantwortlich zeichnete, Theorie ist, sondern konkret organisiert werden zwanzig Jahre geführt und dann kann, hat er vor Jahren in London erfahren. Aller- erfolgreich verkauft hatte, realisierte dings nicht auf einer Reise, sondern weil er dort er für sich einen Kindheitstraum: Er gelebt hat. kaufte einen landwirtschaftlichen Be- trieb in Kent. Seiner alten englischen Heimat.

Was für eine Biografi e! Auch dort wirtschaftete er so erfolgreich, dass der Betrieb nicht Henry F. Levy - damals noch Heinz F. nur höchst profi tabel war, sondern Levy und Jahrgang 1927 - fl oh im Jahr 1938 in ei- alsbald so viel Zeit frass, dass seine nem der Kindertransporte vor den Nazis aus seiner Vorstellung vom idyllischen Leben auf Heimatstadt Köln nach England. Die meisten dieser dem Land nicht in die Tat umzusetzen

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Henry F. Levy, wie ihn Mischa Camenzind sieht - als Albert Einstein der

ILLUSTRATION: Schweizer Kunstszene

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war. Ausserdem musste er feststellen, dass er irgendwie zu einem normalen englischen „country gentleman“ geworden war. Was ihm überhaupt nicht gefi el. Er wollte etwas anderes sein und machen.

Was für eine Familie

Und der Gesellschaft etwas zurückgeben. So wie seine Geschwister: Seine ältere Schwester war wesentlich an der Gründung von Amnesty In- ternational beteiligt. Sein ebenfalls älterer Bruder hatte für das CERN in Genf wichtige technologi- sche Entwicklungen vorangetrieben.

Henrys Thema war einerseits immer schon das unternehmerische Wirken gewesen – und andererseits die Kunst. Deshalb beschloss er, sich erneut zu verändern. Er verkaufte den landwirtschaftlichen Betrieb, kehrte in die Schweiz zurück und setzte in die Tat um, was er zuvor in London bei der Stiftung SPACE kennenge- lernt hatte: Er stellte Künstlern Atelierräume zur Verfügung. Theoretisch. Denn in der Praxis stellte sich heraus, dass das schwierig war. Ehe er Ateliers zur Ver- fügung stellen konnte, musste er sie nämlich erst einmal anmieten. Da waren aber die bürgerlichen Zürcher dagegen, denn die wollten keine Künstler in ihren Häusern haben.

So sei das für eine – ihm zu lange dau- ernde – Zeit geblieben. „Bis ich auf den kunstinte- ressierten Bauunternehmer Rolf Piller traf,“ sagt er und kann sich ein charmantes Lächeln nicht verkneifen. „Von ihm habe ich 500 Quadratme- ter Gewerberäume in der Binzstrasse 39 mieten können. Daraus haben wir acht Ateliers und einen Ausstellungsraum gemacht. Die Künstler bekamen die Ateliers zwar für zwei Jahre gratis, mussten aber einen kleinen Beitrag abgeben – für die Ausstellungsorganisation.“

Diese Arbeit ist von Die Kosten für die Ateliers trug die von dem amerikanischen Levy gegründete Stiftung, die alsbald den Namen Künstler Joe Egan Henry F. Levy verehrt der Atelieranschrift bekam: BINZ39. Kurze Zeit worden später kamen weitere Ateliers am Sihlquai hinzu. Diese Ateliers begründeten die Kunstszene, die jetzt am Sihlquai blüht. Als Levy mit seinen Künstlern dort einzog, boomte dort vor allem der Strassenstrich.

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Künstler dort wohnen und arbeiten konnten und einmal am Tag im Hotel gratis Essen bekamen. Ausserdem räumte er mir das Vorkaufsrecht für das Kurmittelhaus ein.“

„Als das Hotel zwei Jahre später in Konkurs ging, entschloss ich mich, das Kurmittelhaus tatsäch- lich zu kaufen. Auch wenn es keine gratis Mahlzeiten mehr im Hotel gab.“ Und wieder zeigt er dieses schelmisch charmante Lächeln. „Wir beschlossen stattdessen, dass jeder Künstler inklusive Kurator – also ich – an einem Abend für alle kochen musste. Das war die beste Entschei- dung überhaupt. Denn das wichtigste des Atelierlebens hat am Abend beim gemeinsamen Essen stattgefunden. Dabei war für mich sehr interessant zu sehen: Konkurrenz in der künstle- rischen Arbeit gab es nie, aber beim Kochen, da wollte jeder der Beste sein.“

Dann fügt er wieder lächelnd hinzu: „Wenn man mit Bei Henry Levy hängen nur Arbeiten, mit einer solchen Gruppe die Zeit eines denen er eine bestimmte Sommers verbringt, lernt man sehr Erinnerung verbindet. Diese Arbeit stammt von viel über Kunst, über Menschen, über dem Schweizer Gottfried die Gesellschaft überhaupt. Denn Honegger. 95 Prozent aller Künstler haben einen soliden Beruf erlernt – nur die wirtschaftlich erfolgreichen leben von Es ging bald aufwärts mit dem, was sie später mit der Kunst Levys Kunstprojekten. Er mietete ein verdienen. Die meisten machen Kunst, Atelier in New York und konnte wenig weil sie es müssen. Aus einem inne- später mit einem Künstleraustausch- ren Drang.“ projekt beginnen: Amerikanische Alle drei Arbeiten auf Künstler kamen für ein Jahr nach dieser Doppelseite hängen Zürich, Schweizer Künstler gingen für bei den Levy´s zusammen an einer Wand. Diese ein Jahr nach New York. Ein ähnlicher ist von Thomas Virnich, Austausch wurde wenig später mit einem Deutschen, der in Madrid möglich. der Schweiz lebt. Dann bot sich die Möglichkeit, das Kurmittelhaus des Parkhotels in Scuol zu nutzen. „Ich fuhr dort hinauf und verhandelte mit dem Eigentümer. Der wollte dort oben einen Kunstbe- trieb haben, weil er dafür den fünften Stern für sein Hotel bekommen wollte. Wir einigten uns darauf, dass unsere

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Das Projekt Scuol ist inzwischen selbst- „Jeder gute Künstler ver- ständig und von der Stiftung BINZ39 unabhängig sucht, eine Sprache für das zu fi nden, – und läuft immer noch ausgezeichnet. was er ausdrücken will. Nimmt man Im Jahr 1990, als der eiserne Vorhang gefallen ihm diesen Inhalt, indem man ihn der war, wollte das Bundesamt für Kultur in Bern Kommunikation mit dem Betrachter einen Austausch mit Künstlern aus dem ehemali- beraubt, macht man ihn mundtot und gen Ostblock in Gang setzen. Man wandte sich an degradiert seine Arbeit zur `Sache´.“ jemanden, der sich mit diesem Thema auskann- te – Henry F. Levy. Der ergriff die Gelegenheit. Vor zehn Jahren hat er sich Gemeinsam gründeten sie den Verein ARTEST aus der Stiftung zurückgezogen. Das – Levy wurde dessen erster Präsident. Wie gesagt: „Kind“ war inzwischen gross genug, Der Mann war Unternehmer und hatte Power. um selber laufen zu können – und die Stiftung ist seitdem so aufgestellt, So entstanden in Zusammenarbeit mit dass sie noch zwanzig Jahre weiter anderen Stiftungen Ateliers in Moskau, Prag, existieren kann. Die Organisation hat Budapest, Kiew, Sofi a und Krakau. Schweizer inzwischen seine Frau Lucia Coray Künstler gingen in diese Städte, Künstler aus übernommen, die selbst als Künst- diesen Ländern kamen nach Zürich. lerin arbeitet und Teil der Atelierge- meinschaft ist. Privat wohnen beide in einer herrli- chen Wohnung in Wollerau. „Nicht Viele Ateliers aus steuerlichen Gründen,“ sagt er mit seinem schelmischen Lächeln, In den 31 Jahren seit der Stiftungsgrün- „denn dazu müsste man sehr reich dung entwickelten sich verschiedene Areale in Zü- sein, damit sich die Steuerersparnisse rich, wo die Stiftung BINZ39 zu unterschiedlichen mit den hohen Preisen in Wollerau Konditionen 32 Ateliers anbietet. Mehr als 500 ausgleichen. Sondern deshalb – dabei Künstler sind seitdem dort ein- und ausgegangen. weist er, wie um seine Aussage zu Sie konnten ihre Arbeit in der Atmosphäre der bekräftigen, mit einer Handbewegung Ateliers und im Austausch mit anderen Künstlern auf die 180 Grad Zürichsee, die sich weiter entwickeln. vor der Fensterfront dieser Hangwoh- nung ausbreiten. Dieses riesige „Bild“ In der Liste fi nden sich Namen wie der ändert sich 24 Stunden am Tag. des Schwyzers Ugo Rondinone, der des Schaff- hausers Olaf Breuning und der des Zürchers Urs Fischer, aber auch der der Solothurnerin Susan Hodel und der des Bulgaren Nedko Solakov. „Kunst kann man Dazu sagt Henry F. Levy: „Ich wollte nie verstehen!“ immer den künstlerischen Prozess fördern. Ob jemand später Erfolg am Markt hatte, war und ist Vis-a-vis hängen an den für unsere Arbeit nicht wichtig.“ Wänden seiner lichten Wohnung viele Bilder. Aber nicht wie in einem Mu- An dieser Stelle wandelt sich die Stim- seum, wo nach kunstgeschichtlichen mung des charmanten Gentleman Levy. Er wird Kriterien gesammelt wird, sondern nicht nur ernst, sondern regelrecht streng: „Ich bei ihm geht es expressiv und ganz kenne Leute, die kaufen in den Ateliers von Künst- subjektiv zu. Er hat zu jeder Arbeit lern Arbeiten, die sie gar nicht hängen können, eine Beziehung, weiss eine Ge- weil sie viel zu gross sind. Das kommt dann in schichte dazu zu erzählen, kennt die eine Kiste und ab ins Lager. In dem Moment aber, Künstler aus der Begegnung. Dieser in dem Kunst in ein Lager kommt, ist es keine persönliche Zugang ist der einzige, Kunst mehr, sondern Ware.“ den er gelten lässt: „Kunst kann man sowieso nie verstehen,“ sagt er und

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lässt eine spannungsvolle Pause. „Man muss sie fühlen!“

Wie schrieb doch der Geheimrat aus Weimar in seinem „Faust“:

„Wenn ihr's nicht fühlt, ihr werdet's nicht erjagen, Wenn es nicht aus der Seele dringt Und mit urkräftigem Behagen Die Herzen aller Hörer zwingt.

Sitzt ihr nur immer! leimt zusammen, Braut ein Ragout von andrer Schmaus Und blast die kümmerlichen Flammen Aus eurem Aschenhäuschen 'raus!

Bewundrung von Kindern und Affen, Wenn euch danach der Gaumen steht - Doch werdet ihr nie Herz zu Herzen schaffen, Wenn es euch nicht von Herzen geht.“

Henry F. Levy hat – anders als Banker und Finanzjongleure – Diese Arbeit widmete der Schweizer Künstler Marc Zürich reicher gemacht. Leidenschaft- Bundi Henry F. Levy und licher. Widersprüchlicher. Lebenswer- seiner Frau ter. Als Dank hat ihn die Stadt mit dem Preis für aussergewöhnliche kul- turelle Verdienste geehrt. Das war im Jahr 2013, nachdem der Fernsehfi lm 2004 für das Programm „Sternstunde Kunst“ über Levys Leben produziert worden war. Dieses „Danke!“ der Stadt Zürich freut ihn sehr.

Als er das sagt, schaut Henry F. Levy von seinem Adlerhorst in Wollerau über den Zürichsee, ein kleines Glas Schweizer Weisswein in der Hand und lächelt. Und der Be- sucher ahnt, dass das „F.“ in seinem Namen nicht zufällig für „Felix“ steht.

„Felix“ – Glücksnatur und Glücksbringer in einem!

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Blick vom Raddampfer Schiller auf dem Vierwaldstättersee Richtung Gersau FOTO: Stefan Zürrer

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gersau

Y10_final_BZG.indd 61 19.08.14 13:54 62 gersau DER HERBSTZEITLOSE

„Ich leide an chronischem Optimismus,“ sagt er und lacht strahlend. „Nein, im Ernst, meine Freude an den Künsten habe ich schon als kleiner Bub gehabt. Das hat sich dann weiter entwickelt. EINE BEGEGNUNG MIT DEM ERFINDER DES „GERSAUER HERBST”: Mit sechzehn habe ich das erste Open Air mitorga- ROGER BÜRGLER nisiert. Dann habe ich lange Zeit als Journalist mit Vorliebe für kulturelle Themen gearbeitet. Da war von Andreas Lukoschik ich auch sehr viel im Ausland – allein acht Jahre in Wien, wo es mich immer noch regelmässig hinzieht. Und die Begeisterung für Musik, Theater, igentlich wollte er nur etwas gegen die Wort und Film nimmt auch nach langer Zeit der übliche Novemberdepression unternehmen. Arbeit daran nicht ab.“ Nach einer kurzen Pause Und dann ist das dabei herausgekommen: schiebt er mit seinem blitzenden Lachen nach: „Sie Elf Jahre „Gersauer Herbst”. Bis jetzt. Und wird eher mehr!” ein Ende ist nicht abzusehen. Roger Bürgler Esei Dank. Das muss man wirklich, denn er hat Seit zehn Jahren steckt er die Besucher im ersten Jahrzehnt die Marke „Gersauer Herbst” seines Festivals damit an. Wie? Dadurch, dass er nicht nur etabliert, sondern vor allem auch durch- in manchem, worin andere die Nachteile sehen, die gehalten, dass aus noch einem Schweizer Musik- Vorteile entdeckt. Und sie ausbaut. Festival der „Gersauer Herbst“ wurde. „Der Saal hier im Alten Rathaus ist ja Wie beschreibt er diese Marke? eher klein. Wenn die Künstler ihn zum ersten Mal sehen, ist die erste Reaktion meist: ‘Oh, ist der „Der ‘Gersauer Herbst’ ist für Kulturin- aber klein’ und die zweite: ‘Wow, das könnte cool teressierte, die sich überraschen lassen wollen. werden!’ Unsere Bühne ist wirklich nur zwei Meter Ganz klar. Die meisten Leute, die zu uns kommen, fünfzig tief, dann kommen schon die Knie der schätzen genau das: Sie werden überrascht.“ Damit ersten Reihe. Platz ist höchstens für 100 Personen. sind wir auch gleich beim Selbstverständnis von Allerhöchstens. Aber diese Nähe hat was. Nicht Roger Bürglers Veranstaltungsunternehmen nur für das Publikum. Auch und gerade für die kulturwerk.ch. Über ihm steht nämlich die Kern- Künstler. Die sitzen vor einer zum Greifen nahen aussage: „Unser oberster Leitsatz ist, Menschen zu Wand der Aufmerksamkeit. Solche Möglichkeiten überraschen und zu begeistern!“ der Begegnung zwischen Künstler und Publikum sind selten. Und beide haben etwas davon.“ Wenn Wer ihm beim Reden zuschaut, weiss, die Stimmung stimmt. woher dieser Leitsatz stammt. Der Mann ist das beste Beispiel dafür, Begeisterung zu erleben und Damit das gelingt, muss sie zuerst weiterzugeben. Woher hat er das? einmal bei den Künstlern vorhanden sein. Denn

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Oben links: die Band Chica Torpedos (15.11.) Oben rechts: Redwood (Auftritt 20.11.) Unten: das Duo Famous October (21.11.) Florian Fischer ILLUSTRATION: ILLUSTRATION:

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von ihnen muss der Funke überspringen. Deshalb Apropos Unabhängigkeit. Wie schafft er sorgt Roger Bürgler im Vorfeld dafür, dass sich es, so ein Festival wirtschaftlich zu stemmen? seine Künstler wohlfühlen. „Da muss man ganz klar sagen: Von „Das Drumherum ist sehr wichtig für die Seiten der Privatwirtschaft gäbe es unser Festival Atmosphäre. Bei uns wohnen unsere Künstler in ohne die Schwyzer Kantonalbank und die Victorin- einem guten Hotel, wir helfen ihnen beim Aufbau ox nicht – und es sähe auch bei anderen Kulturpro- und gehen dann erst mal fein mit ihnen essen. jekten im Kanton eher düster aus. Deswegen bin Meist in denselben Restaurants, wo auch unsere ich sehr dankbar, dass es diese beiden großzügi- Gäste sind. Das gibt dem Ganzen etwas Familiä- gen Sponsoren bei uns gibt. Zusammen mit der res, wo sich auch die Künstler aufgehoben fühlen. Kulturförderung von Kanton und Bezirk, ein, zwei Diese angenehme Backstage-Atmosphäre spricht Stiftungen und den Ticketverkäufen kann das sich übrigens viel schneller in der Szene rum als Festival fi nanziert werden.“ dass wir nur kleine Gagen zahlen können. Wegen dieser `Magic Moments´ zwischen Künstlern und Was wird es denn an Überraschungen ihrem Publikum kommen übrigens auch grosse im Programm des ersten Jahres vom `zweiten Namen gern zu uns. Und das ist für mich als Ver- Jahrzehnt Gersauer Herbst´ geben? anstalter ein schönes Gefühl – diese gegenseitige Wertschätzung.“ „Wir eröffnen mit der in der Innerschweiz verwurzelten Band Rumpus, die Ländler mit Jazz Ist er eigentlich schon und kubanischen Rhythmen mischt. Und wir en- Ehrenbürger von Gersau? den mit Stefanie Heinzmann, die ich als die erfolg- reichste Sängerin der Schweiz bezeichnen würde „Im Sommer diesen Jahres wurde der die in der Schweiz breiteren Publikum durch ihre erste lebende Zeitgenosse zum Ehrenbürger von Jurorentätigkeit in der TV-Sendung „The Voice of Gersau ernannt: Dr. Albert Müller. Er hat das Switzerland“ bekannt wurde. Dazwischen gibt es Buch `Gersau – Unikum der Schweizer Geschichte` Blues vom neuen „Ten Years After“-Sänger- und geschrieben. Da muss ich wohl – wenn überhaupt – Gitarristen Marcus Bonfanti, Erzähltes von der noch sehr lange warten.“ Sagt´s und lacht. DRS3-Legende Reeto von Gunten, Gitarre & Cello von Sarah Bowman & Coal, die Zürcher Kult-Band Als gebürtiger Schwyzer und begeister- Redwood, Richard Koechli & die Blues Roots ter Gersauer kann Roger Bürgler möglicherweise Company und Anna Kaenzig, die einige Kritiker erklären, ob es einen Unterschied gibt zwischen bereits mit Norah Jones vergleichen. Und dann Schwyzern und Gersauern, die nur gute fünfzehn natürlich unsere Nachwuchsplattform mit ganz Kilometer Autostrasse voneinander trennt? jungen Talenten aus der Zentralschweiz. Da wer- den einige Ohren Augen machen.“ „Ja natürlich,“ sagt er und hat auch gleich eine griffi ge Erklärung parat: „Der Schwyzer hat Auf wen freut er sich am meisten? eine nicht unsympathische Art, überheblich zu sein. Denn: der Kantonshauptort ist halt der Chef „Auf die Chica Torpedos. Die sind so des Kantons. Der Gersauer dagegen hat die nicht originell, so witzig, so hochmusikalisch, so unsympathische Art, auf Autoritäten zu pfeifen. anders. Toll.“ Und das gefällt mir. Je länger je lieber. Das spürt man in Kleinigkeiten des Alltags überall. Auch Und wieder perlt diese Begeisterung wenn diese politische Unabhängigkeit der „Freien hoch. Da wird selbst ein hartgesottener Berichter- Republik Gersau” bald zweihundert Jahre vorbei statter neugierig. Aber Roger Bürgler ist eben ein ist, ist sie immer noch in den Köpfen vorhanden. Kommunikationsfachmann, der weiss, wie man Und wird von der Topographie geradezu unter- das macht. Und wie man sich als Angesprochener stützt. Diese Bucht, in der der Ort liegt, die Rigi dabei nicht überrumpelt, sondern ausgesprochen Scheidegg und die Hohfl ueh im Rücken und vor wohlfühlt. uns der See – das ist wie eine riesige Burg. So etwas fördert das unabhängige Denken!“ www.kulturwerk.ch

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Der Illustrator dieser Ausgabe:

Mischa Cemenzind ILLUSTRATION:

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„ICH SETZTE

MISCHA CAMENZIND, DER ILLUSTRATOR DIESER AUSGABE, DEN FUSS BEHERRSCHT FARBE UND RAUM EBENSO

von Andreas Lukoschik

IN DIE LUFT, uf dem Tisch liegt das Buch „Seifenbaum und Wolkenbrot“. Es präsentiert eine Ausstellung im Park der Villa Flora in Gersau. Mit ihr haben Mischa Camenzind und 20 andere Künstler den Park in einen poetischen Kunst- UND SIE Araum verwandelt. Allein dieser kurze Hinweis enthält bereits einige Schlüsselbegriffe des Camenzindschen Schaffens – Poesie, Kunst und Raum. TRUG.“ Beginnen wir mit der Poesie.

? Wie kommen Sie zu den Titeln Ihrer Arbeiten?

! „Wolkenbrot“ habe ich als Kind immer zu dem Sonntagszopf – also dem Brot – gesagt. Weil es aussieht wie eine Wolke. Und Seifenbäume gibt es wirklich. Beides sind schöne Wörter.

? Sie mögen schöne Wörter. Oder? „Denkkratzer und Wolkenräume“ heissen ihre Arbeiten aus New York. „Weiss das Schaf vom Wolf in seinem Pelz?“, „Rasender Stillstand“ – das sind poetische Titel.

! Ja, ich liebe Poesie. Ich lese viel – meist Gedich- te. Hilde Domin mag ich zum Beispiel sehr: „Ich setzte meinen Fuss in die Luft, und sie trug.” Oder Erich Kästner: „Einsam bist du sehr alleine – und am schlimmsten ist die Einsamkeit zu zweit.” Mit 16 Jahren hatte ich den Film „The Doors” zum ersten Mal gesehen. Dieser Film war für mein Le- ben sehr wichtig. Die Hauptperson – Jim Morrison – hat Gedichte geschrieben und das hat irgend- etwas in mir gelöst. Danach habe ich begonnen, Gedichte zu schreiben.

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"Aufruhr in der Dämmerung" aus der Serie "Bastelbilder" Camenzind dazu: "Für mich sind Collagen eine Art visuelles, energeti- sches Diktiergerät in dem ich meinen Inhalten schnell, spontan und direkt Gestalt geben kann."

? Mögen Sie das Leben? bei einem Zahnarzt installiert ist.

! Ich? (Und dann aus tiefem Herzen) ! Die Idee dabei war, dass man beim Zahnarzt Ja sehr! Für die ganze Welt bin ich nicht immer an die leere Decke starren muss und eher skeptisch. Aber für mich selber – weil man nichts sieht – sich auf den vielleicht bin ich Optimist. auftretenden Schmerz konzentriert, sondern dort oben Fragen sieht, über die man stattdessen ? Es schwingt viel Humor in Ihren nachdenkt. Arbeiten mit, – wenn ich mir „Was ist Ich fi nde, Humor macht das Leben schöner. Wir eigentlich aus Walter Tell geworden?” Schwyzer haben einen speziellen Humor. Sehr anschaue. Eine Arbeit, die an der trocken und gleichzeitig ein bisschen anarchis- Decke über dem Behandlungsstuhl tisch. Das mag ich sehr. Wir haben es nicht gern,

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deine Leute selbst suchen. Und dazu musste ich in die Stadt. Das haben die Menschen in Gersau, die mir wichtig waren und sind, verstanden. Was alle anderen denken, ist mir egal.

? Haben Sie eigentlich einen Gale- risten?

! Zur Zeit nicht. (Zögert, denkt nach.) Das ist zuallererst meine Entschei- dung. Denn dabei investiert jemand in mich und der will sein Geld wieder zurückbekommen – plus Gewinn. Das ist Business. Also muss man produ- zieren. Ich weiss nicht, ob ich zur Zeit in diese Maschinerie hinein möchte. Andererseits wäre das ein schöner Vertrauensbeweis, wenn ein Galerist käme, der mich fördern würde. Das würde mir gefallen. Und im konkre- ten Fall würde ich schauen, wie wir das hinbekommen könnten.

? „Wäre ich Galerist,” denkt sich der Interviewer, „würde ich ihn mir schnappen!” Und wovon leben Sie, wenn ich das mal so direkt fragen darf?

! Ich lehre Deutsch an einer Sprach- schule. Ich bin gern Lehrer. Das macht mir Freude.

? Wie Kafka, der als Versicherungs- angestellter sein Brot verdiente? Oder wie E.T.A. Hoffmann, der im Staatsdienst tätig war?

! Mein Traumberuf als Jugendlicher war eigentlich ganz was anderes: Ich wenn uns jemand sagt, wir müssten etwas so oder wollte Filme machen. Aber irgendwie so machen. Da sagt sich jeder: Ich mach’s, wie ich wurde nichts daraus. Dann habe ich es will. Früher habe ich in Gersau versucht, Leute das Steuerrad rumgedreht und bin zu ändern. aufs Lehrerseminar in Rickenbach gegangen. An der Sprachschule bin Was heisst zu ändern? Sie vielleicht zu ich jetzt seit acht Jahren. ein bisschen Kunst und Kultur zu bewegen und Ich habe Deutsch gern. Es ist eine ihre Fantasie anzukurbeln. Weil ich es auch nicht sehr schöne Sprache. Außerdem ist gern hab, wenn mir andere sagen, ich müsse die Sprachschule sehr fl exibel in der meine Kunst so oder so machen, habe ich mir Terminplanung. Und so kann ich bei- gesagt: Du kannst diese Menschen nicht ändern des tun – Lehrer sein und trotzdem und das musst du auch nicht. Du musst dir einfach meine Kunstprojekte verfolgen.

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Kunst machen ist auch sehr lacht dabei nicht fortwährend glücklich vor sich einsam. Ich bin ein widersprüchlicher hin. So zu arbeiten geht natürlich nicht, wenn man Mensch. Manchmal bin ich sehr gerne ‘nebenher’ noch Schule gibt. Ich war deshalb un- allein in meinem Atelier. Und dann längst für eine Woche im Tessin. Da gibt es dann bin ich wieder gerne unter Menschen nichts anderes, kein Handy, kein Computer, nichts. und lerne dort Leute aus der ganzen Dann bin ich ganz und ausschliesslich in meinem Welt kennen. Kunstwerk drin. Vor sieben Jahren hatte ich einen total schönen, ? Wie ist das, wenn Sie in ihrem riesigen Raum gefunden – einen alten Weinkel- Atelier arbeiten? ler. Die Wände waren sieben Meter hoch und 15 Meter breit und ich habe mich dort unten für drei ! Beim Zeichnen, Malen, Collagieren Wochen eingebunkert. Ich war jeden Tag zwölf läuft bei mir Musik und es gibt keinen Stunden unten. Es war eine wunderbare Arbeit, Anfang und kein Ende. Da strömt es über alle Wände. Aber am Schluss mussten die aus mir heraus. Da komme ich dann Wände wieder weiss sein. in so einen Flow hinein und sehe nur Natürlich denkt man sich, warum mache ich das? noch Farben. Auch wenn ich danach Aber es geht um die Erfahrung. Meine Erfahrung. aus dem Atelier komme. Überall nur Ich mache Kunst, weil ich es muss und weil es für Farben und Linien. Ich kann dann gar mich wichtig ist. (Er lächelt dabei.) nicht mit anderen Menschen reden.

? Wie gehen Sie bei den Arbeiten im Raum vor? Ist das eher geplant-analy- Landkarten tisch oder auch assoziativ-erzählend? zum Spielen ! Bei den grossen Wandzeichnungen habe ich ein paar Anhaltspunkte und ? Ein zentrales Thema in Ihrem Werk sind „Orte“. dann geschieht es einfach. In einem Was ist für Sie ein Ort? Ein geografi sch-physischer fortwährenden Prozess. Ich kann das Raum oder ein gedachter Punkt. nicht im Voraus planen. Anders ist es bei konzeptionellen ! Es kann alles sein. Mich faszinieren Landkarten. Arbeiten, Ausstellungen oder Objek- Mit denen kann man super spielen, sie verändern. ten. Da ist dann alles durchdacht und Meine grossen Wandarbeiten sind für mich auch vorgeplant. Landkarten – natürlich anders als normale Land- karten. Aber in beiden sind Zeichen und Zahlen ? Und dieser Prozess ist ein sehr und Linien und Farbfl ächen und Wörter. beglückender Moment – wenn es da so strömt? ? Im Eingangsbereich Ihrer Wohnung hängt eine Weltkarte, auf der Sie jede Menge Orte markiert ! Nein, eigentlich nicht. Am besten haben, an denen Sie schon waren...... , Hongkong, bin ich eigentlich, wenn ich richtig New York, ... Salvador da Bahia in Brasilien. Was wütend bin. Deswegen ist es auch gut, hat Sie gerade dorthin geführt? dass ich dabei alleine bin. Aber inzwi- schen kenne ich mich und weiss, dass ! Ich hatte dort eine Freundin. Damals war ich je- ich mich durch diese Emotionen hin- des Jahr eine längere Zeit zu allen Jahreszeiten in durchwühlen muss. Und irgendwann, Salvador und habe gearbeitet, meistens geschrie- wenn die Arbeit stimmt und sie ben und gezeichnet. Eine sehr faszinierende Stadt gelingt, dann kommt dieses Glücks- mit einer ungeheuren Energie. gefühl. Aber am Anfang steht bei mir der Kampf. Mit mir, der Sache, dem ? Sie waren dann vier Monate in New York. Durch Material, den Farben. Da ist nicht im- ein Stipendium des Kantons Schwyz für junge mer alles Harmonie. Aber was soll’s? Künstler.... Ein Sportler muss auch trainieren und

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DER KANTON SCHWYZ HAT MISCHA CAMENZIND GEFÖRDERT – durch ein Stipendium in New York und im Dezember 2013 durch einen Werk- beitrag zur Realisierung einer Arbeit. Wer mehr über ihn erfahren will:

www.mischacamenzind.ch

GeknoteteGknotete AtAtlasseitenlasseiten aus der Serie "Allgemeinplätze"

verreisen ! ... ja, das war absolut faszinierend. Weil mein „EINEN heisst auch zurückkommen Thema ja Orte sind, habe ich jede Woche einen Ort beschrieben – Montauk, Brooklyn, Staten an sich Island – und diese Texte wurden dann im Boten ATLANTIK das ausgefranste glätten der Urschweiz abgedruckt. Das war sowohl eine Arbeit als Künstler als auch eine Art Rückgabe an “ die poren lüften den Kanton Schwyz, der es mir ermöglicht hatte, LEGEN fett-lösen in New York zu arbeiten. Ich habe an den Rückmel- dungen aus dem Kanton gemerkt, dass ich viele zwischen dürfen und müssen mit meinen Texten erreichen konnte. Das war eine einen atlantik legen schöne Erfahrung.

den stecker ziehn ? Sie haben eine grosse Bandbreite – Zeichnen, glühwurm werden Malen, Collagen, Video und Schreiben....

! Ja. Ich fi nde das Leben – mit Orten, Frauen, Begegnungen.... – viel zu spannend, als dass ich mich auf eine Technik beschränken wollte. Auch, wenn es manchmal schwierig ist. Ich mag das Arbeiten mit meinen Händen. Ausschneiden, kleben, zeichnen, Holzlatten zusammennageln, dreckig werden. Ich arbeite gerne so ganz konkret. Wie gesagt, ich bin am besten, wenn ich wütend bin. Und bei diesem Kampf muss ich den direkten Kontakt mit dem Material haben. Da muss ich schaffen – und nicht nur mit dem Kopf arbeiten wie am Computer.

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Von Merlischachen über den Küssnachtersee Richtung Greppen und Alpen FOTO: Stefan Zürrer

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Y10_final_BZG.indd 73 19.08.14 13:54 74 immensee DER MANN MIT DER MASKE

absteigen kann,“ sagt er heute. Eine Perspektive, die ihm nicht gefällt: „Ich bin lieber Jäger als Gejagter!“

MAX HEINZER UND SEINE WELT HINTER GITTERN Wer ihn bei den Vorbereitungen zu sei- nen Wettkämpfen beobachten kann, erkennt, dass von Andreas Lukoschik das für ihn kein leicht dahingesagter Spruch ist. Exzellent organisiert bereitet er sich pickelhart auf jeden Wettkampf vor. s gibt Menschen, die behaupten, das Fernse- Das beginnt bereits im Detail am Wettkampf- hen habe keinen besonders grossen Einfl uss morgen. Muss er um sieben Uhr aufstehen, stellt auf Kinder und Jugendliche. Das mag für er sich den Wecker auf 7:01. „Wenn hinter dem einige von ihnen stimmen. Für den damals Doppelpunkt 00 stünde, wäre das nichts. 02 geht sechsjährigen Max Heinzer waren die auch nicht – der Zweite ist der erste Verlierer. 03 EPiratenfi lme am Sonntagnachmittag jedoch das geht bedingt, denn der dritte Platz ist zumindest Grösste. Wenn die Guten mit den Bösen um die Bronze, deshalb ist der zweite Weckruf auf 7:03 Vorherrschaft fochten, dann wurde das anschlies- gestellt.“ send im elterlichen Garten mit dem zweieinhalb Jahre älteren Bruder nachgespielt und ausge- Zwei Minuten Zeit zum endgültigen fochten. Irgendwann in jener Zeit sei in ihm der Aufwachen! Für reaktionsschnelle Fechter ist das Entschluss gereift – so Max Heinzer bei seiner offenbar eine Ewigkeit. Rede zum 1. August 2013 – „der beste Fechter in Dann geht´s zum Anziehen. Alles hat er am der Welt zu werden“. Vorabend zurechtgelegt und jedes Mal zieht er das gleiche wie bei jedem Wettkampf an. Stück für Einundzwanzig Jahre später stimmt Stück. Es wird dasselbe zum Frühstück gegessen, das. Mal mehr, mal weniger – weil auch bei den dasselbe getrunken, immer dasselbe gemacht. Wie Fechtern ein weltweites Wettbewerbskarussell bei jedem Wettkampf. Warum? „Weil ich vorher ständige Neuberechnungen und Umplatzierungen keine Entscheidungen treffen will. Das lenkt mich erzwingt. Unbestritten aber ist, dass Max Heinzer ab. Ich fokussiere alle meine Energie auf den Wett- aus Immensee weltweit zu den Top Five der Fech- kampf. Alles andere blende ich durch die regel- ter gezählt wird. Und, dass das auch noch lange so mässige Wiederkehr des Immerselben aus.“ bleiben wird. Denn der Mann hat den Willen zum Sieg. Nicht einmal. Nicht zweimal. Und auch nicht Dann geht es zum Wettkampfplatz. Auch dreimal. Sondern immer. dort pfl egt er die immer gleichen, erfolgreichen Rituale: eineinhalb Stunden vorher das Auf- Eine Zeitlang war er auf Platz 1 der wärmtraining, wozu auch ein fünfzehnminütiges Weltrangliste abonniert – und fühlte sich da oben Einstossen mit dem Degen gehört. Das übt er mit gar nicht besonders wohl. „Weil man danach nur seinem Coach oder anderen Sparringspartnern,

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Fecht-Titan und Ex-Pirat

ILLUSTRATION: Max Heinzer

Y10_final_BZG.indd 75 19.08.14 13:54 Y10_final_BZG.indd 76 Wettkampfs – Stopp. Erholung. –Stopp. Erholung. Wettkampfs Wenn endlich das Signal zum Kampf kommt, geht kommt, Kampf zum Signal Wenn das endlich Wachwerden“. Darauf folgt ein markerschütternder markerschütternder ein Wachwerden“. folgt Darauf Trinken. Trinken. Max Heinzer auf die Planche – das ist die Bezeich- die ist –das Planche die auf Heinzer Max was er nicht besonders mag. mag. er besonders nicht was Umzug in den Callroom. Dort trifft er trifft Dort den Callroom. in Umzug 30 Minuten vorm Beginn des des Beginn vorm 30 Minuten jede Ablenkung aus sich herausbrüllt. Womit er sich aus herausbrüllt. Ablenkung jede „Nach diesem Schrei werde ich ganz ganz ich werde Schrei diesem „Nach lässt das wichtigste Ritual folgen: Er verpasst verpasst Er folgen: Ritual wichtigste das lässt –und Sportfechten im Fechtbahn die für nung ist kein Tunnelblick, weil man dabei Dinge ausser Dinge dabei man Tunnelblick, weil kein ist Das fokussieren. zu meinen Gegner auf noch nur mich ich beginne abund von mir fällt Alles ruhig. einschüchtert. Gegner manchen um seine Reaktions- seine um Schrei, mit dem er alle Nervosität, alle Zweifel, alle Nervosität, dem er alle mit Schrei, auf seine Gegner. Mit denen redet er aber nicht be- nicht er aber denen Mit redet Gegner. seine auf allem, was nicht mein Gegner ist.“ ist.“ Gegner mein nicht was allem, eher Ausblenden ist Es ein von acht kann. lassen schnelligkeit zu wecken. wecken. zu schnelligkeit sonders viel. Auch wenn jetzt das Warten beginnt, beginnt, Warten das Auch jetzt wenn sonders viel. sich eine Ohrfeige rechts und eine links – „zum –„zum links eine und rechts Ohrfeige sich eine ww ER F w. WER MEHR ÜBER IHN IHN ÜBER MEHR WER A HR maxheinzer.c NW EN IL L : h immensee 76 1.78 Meter Körperlänge eher klein. Seine Gegner Gegner Seine klein. eher 1.78 Körperlänge Meter Und wieder der Schrei – wenn alles gut gegangen gegangen gut alles –wenn der Schrei Und wieder Kommando: „Allez!“ Kommando: Halse – oder richtiger gesagt von der Kevlarwes- gesagt –oderrichtiger Halse vom gut Reichweite der sie sich mit ihn haben, Drei mal drei Minuten in maximaler Konzentration Konzentration maximaler in Minuten drei mal Drei Das bedeutet vor allem, dass sie eine grössere grössere sie eine dass vor bedeutet allem, Das Für einen Fechter ist Max Heinzer mit mit Heinzer Fechter einen Max ist Für fi Das ist. Zum Spannungsabbau. Zum ist. messen im Schnitt 1,85 Meter Schnitt 1,90 bis messen im Meter. und mit Reaktionsleistungen auf höchstem Niveau höchstem auf Reaktionsleistungen mit und te – halten können. Max Heinzer muss deren Heinzer Max können. te –halten auf der Armbrust. Ausgelöst wird sie durch das das sie durch Ausgelöst wird der Armbrust. auf entscheiden: Sieg oder Niederlage. Niederlage. oder Sieg entscheiden: dadurch so hochgespannt wie der Bolzen der Bolzen wie sohochgespannt dadurch cht nicht ihn an sichtsschutzes. Seine Energie wird wird Energie Seine sichtsschutzes. das feine Gitter seines Ge- seines Gitter feine das Welt des Wettkampfs durch durch Welt Wettkampfs des Maske auf und sieht und die auf Maske Dann setzt er sich die er sich die setzt Dann 19.08.14 13:54

ILLUSTRATION: Florian Fischer 77

Reichweite anderweitig unterlaufen. Da erweist es das „Mythen Center“. „Das hat mir echt Spass sich als Vorteil, dass er den Fechtsport mit dem gemacht“; sagt er nicht ohne einen gewissen Stolz. Florett begonnen hat. Bei dem lernt man nämlich, Denn so wie seine Sponsoren für ihn einstehen, nicht an der Waffe des Gegners vorbeizukommen, will er auch ein guter Partner für sie sein. sondern sie mit geschickten Manövern aus der Stossrichtung zu lenken. Genau das macht Heinzer auch beim Degenfech- ten – erfolgreich: Seiner Kondition gemäss geht Das andere „F“ er dabei sehr athletisch vor, hat viele Manöver und Finten parat, mit denen er den Degen seines – Fischen Gegenübers wegschlagen kann, um danach zuzu- stossen. „Es gibt Fechter, die vielleicht zwei oder Bei all dem braucht’s natürlich einen Aus- drei Angriffsvarianten parat haben. Ich habe mir gleich. Den fi ndet Max seit Kindertagen auf dem aus verschiedenen Schulen einen ganzen Satz an- Zugersee – beim Fischen. Durch seinen Heimatort geeignet und auch noch ein paar Eigenkreationen. Immensee hat er einen natürlichen Heimvorteil, Das ergibt eine sehr individuelle Mischung, die für den er nutzt, wann immer es sein eng getakteter viele meiner Gegner undurchsichtig ist.“ Trainings- und Wettkampfkalender zulässt.

Getroffen werden können beim Degen- „Da fahre ich allein oder mit Kollegen fechten alle Körperteile – von Kopf bis Fuss. Das raus und dann gehts nicht mehr ums Fechten. setzt nicht nur eine athletische Physis, sondern Sondern ums andere F – das Fischen.“ Und weil er auch ein schnelles Auge voraus. Wohin schaut er offenbar alles, was er macht, am liebsten erfolg- also durch das Gitter seiner Maske, um bei diesem reich tut, hat er unlängst eine weitere Trouvaille rasend schnellen Sport seine Gegner schlagen zu an Land gezogen – eine 85 Zentimeter lange können? Seeforelle. Das besondere daran ist nicht allein die Grösse: Kapitale Seeforellen sind sehr vorsichtige „Es gibt Fechter, die schauen auf die Bei- Räuber, die sich selten dem Ufer nähern und sich ne, andere auf die Arme. Ich schaue immer auf die meist in grösseren Tiefen aufhalten. Klinge des Gegners. Ich versuche durch ständige Bewegung jeweils nur kurz nahe zum Gegner zu Was macht er mit seinen Fängen? Er kommen. Wenn der Moment gekommen ist, schla- bereitet sie selbst zu. Sein Lieblingsessen sind ge ich mit meinem Degen die Klinge des Gegners frische Egli-Filets nach diesem Rezept: aus der Gefahrenzone und steche zu. Einem Laien mein Fechten zu erklären, ist nicht ganz einfach,” sagt er mit nachsichtigem Lächeln. Und fährt fort: „Die meisten haben zwar eine grössere Reichweite, aber ich bin schneller, habe eine bessere Kondition und mehr Kraft. Damit mache ich die Reichweite wett.“

Das stimmt. Die Erfolge sprechen für sich: 12 Siege im Weltcup (7 mal Einzel, 5 mal Team), 3 mal Team-Europameister, 3 mal 1. Filets unter kaltem Wasser abspülen EM-Einzelmedaille – und der Hattrick – 3 mal 2. Gut trocken tupfen (Haushaltspapier) nacheinander den Grandprix Bern. Das hat noch 3. Nach Belieben salzen und pfeffern keiner vor ihm geschafft. Max Heinzer ist also 4. Im Mehl einmal wenden bereits jetzt – mit 27 Jahren – in die Geschichte 5. Kochbutter in einer beschichteten des Fechtsports eingegangen. Und als ob das Bratpfanne heiss werden lassen nicht genug wäre, hat er an der Universität Basel 6. Beide Seiten der Filets cirka während seiner Karriere als Profi -Fechter seinen 1-2 Minuten goldbraun braten Bachelor in Sportwissenschaften gemacht. 7. Flüssige Butter über die Filets träufeln. Inzwischen hat er sogar Erfahrungen als Dar- 8. Servieren – mit oder ohne Degen. steller in TV-Spots gemacht. Für seinen Sponsor,

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