In Einem Jahr Mit 13 Monden 2
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29. internationale filmfestspiele berlin 9. internationales berlin forum 22.2.-3.3. des jungen films 1979 IN EINEM JAHR MIT 13 MONDEN 2. Der Film IN EINEM JAHR MIT 13 MONDEN erzählt von den Begegnungen eines Menschen während der letzten fünf Ta• ge seines Lebens und versucht, anhand dieser Begegnungen her• Land Bundesrepublik Deutschland 1978 auszufinden, ob die Entscheidung dieses einen Menschen, dem letzten dieser Tage, dem fünften also, keinen weiteren folgen Produktion Tango Film Rainer Werner Fassbinder/ zu lassen, abzulehnen, zu verstehen wenigstens, oder vielleicht Pro-ject gar akzeptierbar ist. Filmproduktion im Filmverlag der Autoren 3. Der Film spielt in Frankfurt, einer Stadt, deren spezifische Struk• tur Biografien wie die geschilderte fast herausfordert, zumindest Regie, Buch, Kamera, aber nicht als besonders ungewöhnlich erscheinen läßt. Frank• Ausstattung, Schnitt Rainer Werner Fassbinder furt ist kein Ort des freundlichen Mittelmaßes, der Egalisierung von Gegensätzen, nicht friedlich, nicht modisch, nett, Frankfurt ist eine Stadt, wo man an jeder Straßenecke überall und ständig Mitarbeit Isolde Barth, Walter Bockmayer, den allgemeinen gesellschaftlichen Widersprüchen begegnet, zu• Milan Bor, Jo Braun, Juliane Lorenz, mindest, wenn man nicht gleich über sie stolpert, den Widersprü• Werner Lüring, Wolfgang Mund, chen, an deren Verschleierung sonst allerorten recht erfolgreich Peer Raben, Karl Scheydt, gearbeitet worden ist. Volker Spengler, Alexander Witt, Frantisek Vasek R.W. Fassbinder Darsteller Liebe — ein Wahnsinn Elvira Weishaupt Volker Spengler Von Wolfram Schütte Rote Zora Ingrid Caven Wenn ein Mann bevorzugt Frauenkleider trägt, gilt er als Transvestit; Anton Saitz Gottfried John wenn er Liebe bei Männern sucht, als Homosexueller; wenn er sich Irene Elisabeth Trissenaar operativ das Geschlecht umwandeln läßt, als Transsexueller. Wer Marie-Ann Eva Mattes sexuell eher hausbacken fixiert ist, hat Schwierigkeiten, sich da dif• J. Smolik Günter Kaufmann ferenzierend zurechtzufinden. Schwester Gudrun Lilo Pempeit Sybille Isolde Barth In Rainer Werner Fassbinders jüngstem Film IN EINEM JAHR Hacker Karl Scheydt MIT 13 MONDEN spielt der Schauspieler Volker Spengler eine Seelenfrieda Walter Bockmayer Frau, die - Elvira genannt, später auch Erwin — operativ erst eine Stadtstreicher Bob Dorsey wurde; die Liebe bei Strichjungen sucht und von ihnen verprügelt Putzfrau Ursula Lillig wird, als sie merken, daß sie kein Transvestit ist; die mit einem H.H. Brei Günther Holzapfel Mann zusammengelebt hat, der sie nun endgültig verläßt, und doch Oskar Pleitgen Janoz Bermez mit einer Frau noch verheiratet ist, von der sie eine erwachsene Hauer, Dichter Gerhard Zwerenz Tochter hat. Das sind verwickelte und komplexe Sexualverhältnisse, die dadurch Uraufführung 8. 11. 1978 noch verwirrender und irritierender werden, daß sie der Film erst nach und nach durch mündliche Erzählungen, durch Sprachrück• blenden klärt. Kindheit und Jugend als männliches Waisenkind in Format 35 mm, Farbe, 1 : 1.66 einem Kloster, erste Liebe und Heirat, Schlachterberuf und Ge• Länge 129 Minuten schlechtsumwandlung aus Liebe zu einem Mann, der sie verachtet: ein Leben, „durch Liebe ans Kreuz geschlagen" —: daß Fassbinder die Vorgeschichten Elviras in diese letzten fünf Lebenstage seiner Heldin hineinzitiert — das mag mancher, der „für klare Verhältnis• Zu diesem Film se" ist, als dramaturgischen Fauxpas ansehen. Ich aber nicht. Schon liest man (in der 'Zeit'), es würde hier mehr geredet als in irgendei• 1. Jedes 7. Jahr ist ein Jahr des Mondes. nem anderen Fassbinder-Film (was stimmt), „aber der Schwall der Besonders Menschen, deren Dasein hauptsächlich von ihren Ge• Wörter besitzt keine Bedeutung mehr", was jedoch nicht stimmt. fühlen bestimmt ist, haben in diesen Mondjahren verstärkt un• Denn was Fassbinder, der hier mit Originalton gedreht hat (wenig ter Depressionen zu leiden, was gleichermaßen, nur etwas weni• nachsynchronisierte), mit der Trennung von Bild und Ton in die• ger ausgeprägt, auch für Jahre mit 13 Neumonden gilt. Und sem Film für sich entwickelt hat, geht weit und entschieden über wenn ein Mondjahr gleichzeitig ein Jahr mit 12 Neumonden das hinaus, was bei ihm früher üblich war. In keinem seiner Filme ist, kommt es oft zu persönlichen Katastrophen. Im 20. Jahr• hat er der Sprache und in keinem dem Ton mehr Aufmerksamkeit, hundert sind es 6 Jahre, die von dieser gefährlichen Konstella• mehr Bedeutsamkeit, auch mehr Phantasie zugewandt wie gerade tion bestimmt sind — eines davon ist das Jahr 1978. Davor wa• in seinem jüngsten, der insgesamt (auch büdlich, farbüch) poly• ren es die Jahre 1908, 1929, 1943 und 1957. Nach 1978 wird phoner gearbeitet ist als jeder frühere - Despair - Eine Reise ins das Jahr 1992 noch einmal das Dasein Vieler gefährden. Licht eingeschlossen. Schließlich hat er nicht allein, wie schon zuvor,das Drehbuch ge• dens fixiert, beginnt Elvira im Off, von ihrem früheren Beruf, ihrer schrieben und Regie geführt, sondern er war auch zum ersten• ersten Liebe und Ehe zu erzählen, um sich dann, als Probe dessen, mal sein eigener Kameramann, sein Ausstatter, hat die subtilen was sie bei einem späteren Geliebten, der Schauspieler war, aufge• Farbvaleurs des Films bestimmt, und die Rolle Walter Bockmay• schnappt hat, in das delirierende Toben des letzten Tasso-Monologs ers synchronisiert und ist kurz zu sehen und zu hören auf einem hineinzusteigern. Ein langer Augenblick, in dem der Film wie in sich Video-Interview. Drehbeginn und Ende (24. Juli und 28. August, selbst kreist, nur noch Schrei und Verzweiflung ist. nebenbei: Goethes Geburtstag) liegen als Datumsangaben unter Wo immer Elvira, auf ihrer fünftägigen Reise ans Ende der Nacht, den ersten und letzten Bildem des Films: ein Stück persönlicher Halt sucht oder macht, trifft sie auf Kälte, Einsamkeit und Wahn• Arbeit, eine Spanne Leben, aus einem Intimen Journal. sinn, auf Brutalität, Gewalt und Terror in einem Breughelschen Daß Fassbinder sich in diesen Stoff hineingeworfen hat, wie zu• Ausmaß. Sei es in der spiegelnden roten Hölle des Spielsalons, wo vor nur in Satansbraten, Faustrecht der Freiheit und in die Epi• die krachenden und knallenden Geräusche der Kriegsspiel- und Au- sode aus Deutschland im Herbst, ist evident; aber zugleich hat torenn-Automaten ihren suchenden Wunsch nach einem Liebhaber er das Private, Persönliche, das manche darin erschnüffeln möch• zerfetzen, sei es bei dem Psychoanalytiker 'Seelen-Frieda', der nur ten (als sei heute nur noch der nackte Naturalismus einer Erfah• den eigenen Alpträumen nachspürt; oder bei einem Besuch in dem rung, die doch allemal solipsistisch ist, 'relevant', und nicht, was Kloster, in dem Erwin als Waise aufwuchs. Wenn die Schwester an• einer daraus ästhetisch, d.h. vermittelnd zu machen verstand) —; setzt, Elvira die Geschichte von Erwins ehrloser und herzloser Mut• Fassbinder hat seine persönliche Betroffenheit produktiv über• ter zu erzählen — übrigens ganz im Stil einer der Erzählungen Alexai setzt in eine ästhetische Radikalität. Nicht die Story ist radikal, der Kluges —, geht der Ton wieder ins Off, und die Kamera folgt dei diese fünf letzten Tage einer Krankheit, die Liebe heißt, und de• umherwandernden Schwester in langen horizontalen Einstellungen, ren einzige Remedur, inmitten einer Hölle, Selbstmord bedeutet. die den protokollarisch-nüchternen Gang zur verschütteten Vergan• Denn das war schon der Stoff, aus dem das realistische Melodram genheit in ein kaltes Ritual fassen. Faustrecht der Freiheit gemacht war. Radikal ist IN EINEM Aber es wird hier nicht nur so anhaltend gesprochen, weil es Fass• JAHR MIT 13 MONDEN durch die ästhetische Konsequenz, binder wichtig ist, so viele Informationen in seine Bilder einzufüh• mit der Fassbinder die Monstrosität, die Zwittrigkeit seiner Haupt• ren, sondern weil es ihm offenbar nicht mehr genügt, wie noch in figur auf das ganze Klima des Films, auf die dichte, irisierende, Despair, die Allseitigkeit der schrecklichen Empfindung, die er von schillernde Kombinatorik aller seiner Teile ausdehnt, sie davon der Welt hat, bloß optisch, allein durch komplexe Spiegelungen und erfassen läßt. In der Multivalenz, einem Hermetismus assoziativer durch das Raffinement seiner Mise-en-scene darzustellen, sondern Fülle, liegt die Modernität, die poetische Kraft dieses Werkes — auch den Ton, Sprache und Sprechen als Vertiefung, Intensivierung von der riskanten, faszinierenden schauspielerischen Gradwande• Pathetisierung der Bilder zu verwenden. rung Spenglers als Elvira einmal ganz abgesehen. Je mehr ihm die Wirklichkeit unseres Lebens als ein Erfaßbares, Schwankend ist der Boden der Wirklichkeit, auf dem sich Elvira Durchschaubares und Veränderbares aus dem Blick schwindet — und die anderen Personen bewegen. Er habe es schon längst auf• und Frankfurt erscheint ihm, wie schon Kluge, Geißendörfer und gegeben, danach zu fragen, was die wirkliche Wirklichkeit sei, me• Rosa von Praunheim als Metropolis des modernen deutschen Le• ditiert 'Seelenfrieda' (Walter Bockmayer mit der Stimme Fassbin• bensschreckens, in dem zerstörte, kaltgestellte Menschen hausen wi> ders) inmitten seiner nur von Kerzen erleuchteten Wohnhöhle, die Lemuren, von Haß verzerrt und Todeswünschen verzehrt, oder her• er seit Wochen nicht mehr verlassen hat. Daß der Zuschauer & risch, zynisch, regressiv wie der Bauspekulant Anton Saitz, der vor -hörer in eine Bebenzone geführt werden soll, die mit Louis Mal• langer Zeit durch eine hingeworfene Bemerkung Erwin dazu brach• les Black Moon (und Peter Zadeks irrwitzigen Theaterveranstal•