Erst Die Fresse, Dann Die Moral Auch Als Bond-Bösewicht Wahrt Gottfried John Sein Gesicht
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KULTUR Erst die Fresse, dann die Moral Auch als Bond-Bösewicht wahrt Gottfried John sein Gesicht enn diese Nase nicht wäre, die mov, einen Satz, der bewies, daß er sich in der Privatschule der Frau Lud- bei der Oberlippe Halt sucht; seinen Part genau kannte: „Ich bin si- wig in Berlin vorstellt, da sagt die zu Wdie Augenbrauen, auf die Wai- cher, daß James Bond auch diesmal ihm, er solle sich die Haare aus der gel zu Unrecht das Copyright erhalten siegen wird.“ Stirn schneiden und die zweimal ge- hat, und dieser schiefe, fast frauliche Vielleicht hatte er sich da aber brochene Nase begradigen lassen, und Mund – dann hätte aus dem Mann viel- auch nur schon daran gewöhnt, böse die Stimme müsse natürlich auch hö- leicht noch etwas werden können. So Miene zum braven Spiel zu machen. her werden – „dann“, vertröstet sie aber blieb ihm keine Wahl: Er konnte Und gelernt, den Standard so ge- ihn, „sehen wir weiter“. nur Schauspieler werden. Denn je- konnt zu variieren, daß dem Publi- Nur er selbst konnte sich mühelos mand wie Gottfried John wird sein Ge- kum seine Gesichts-, nicht die dahin- vorstellen, „endlich die Helden zu sicht immer wie eine Bring- spielen, auf die ich innerlich schuld mit sich herum- schon so lange vorbereitet war. schleppen: Hat dieser Kerl Ich sah eben bloß nicht so aus“. das Profil, das sein Gesicht Es war, als hätte ihm seine verspricht? Physiognomie, das Riesenhafte Es ist wie eine Gleichung und Störrische an ihm, ein ande- mit mehr als drei Unbe- res, ein besonderes Leben dik- kannten – man kann auf tiert. Einer, der sich traurig vor diesem Gesicht mit den den Spiegel stellt – behaupten Augen spazierengehen, oh- Wissenschaftler – und sich zu ei- ne weiterzukommen. Des- nem Lachen zwingt, ist nach ein halb wohl haben sich ir- paar Minuten tatsächlich guter gendwann die Regisseure Dinge. Vielleicht war es mit John dieser Welt darauf geei- ähnlich: Erst war da dieses Ge- nigt, daß es hervorragend sicht – in sich falsch, aber an sich geeignet ist als Ausdruck richtig –, und dann kleckerte das des Schlechten schlechthin. passende Leben hinterher. Eine Visage, der man alles Seine Biographie ist eine An- zutraut – und das Nieder- einanderreihung von Brüchen. trächtige, das abgrundtief Er wächst als Staatsmündel in ei- Gemeine, das Verschlage- nem Heim für schwererziehbare ne sowieso. Volker Schlön- Jungen auf, wo die Fingernägel dorff allerdings wagte es, so kurz geschnitten werden, daß John in dem soeben abge- Blut fließt, und sich bei ihm das drehten Film „Der Un- Gefühl festsetzt, immer „der hold“ als warmherzigen Fremde“ zu sein. Mit 18 hat er Förster zu besetzen. die Schnauze voll und haut ab. In „Goldeneye“ aber Er geht nach Paris und verdient leiht der 53jährige John sich sein Geld als Pflastermaler. mal wieder dem Bösen sein Wenn er die Münzen, die ihm die Gesicht, dennoch vergißt Touristen für den sorgfältig ge- er nicht, sein eigenes zu CINETEXT malten Madonnen-Faltenwurf wahren. Zwar hätte er Bes- John als Bond-Schurke: Böse Miene zum braven Spiel spendieren, nicht verzockt, seres verdient, als – wie all kommt er über die Runden. Zur die anderen deutschsprachigen Schau- ter verborgenen Charakterzüge ver- Not wärmt er sich in der Post auf und spieler vor ihm, Gert Fröbe, Curd Jür- traut vorkamen. zeigt sein schauspielerisches Talent: gens, Klaus Maria Brandauer – erneut Eine Rolle vorwärts ist der Bond- Stundenlang täuscht er vor, eine Karte den Schurken abzugeben; aber er ist Konterpart aber nicht für John – schon zu schreiben, aus Angst vor der Kälte. das Beste, was Bond passieren konnte: zu Beginn seiner Karriere schwärmten Aber jung zu sein und ohne Plan ist Wie im klassischen Märchen hat der Kritiker von seiner „faszinierend häßli- keine Dauerbeschäftigung. Nach zwei Gute ohnehin das Sagen, deshalb muß chen Fresse“, „dieser Mischung aus Jahren macht er sich auf den Weg zu- die Rolle des Fieslings keine wirklich Jean-Paul Belmondo, Sammy Davis rück nach Deutschland. James Dean beredte sein. Viel wichtiger ist, auf der Jr. und Anthony Quinn“. ist sein Idol, und in Berlin gibt es das Leinwand einen Kopf zu zeigen, der Genauso gut erinnert sich John aber Max-Reinhardt-Seminar. Er muß nur für sich spricht. an die Zeit, als er nicht ins Bild paßte: noch vorsprechen, dann kann nichts Gottfried John war von Anfang an „Ich würde eher sagen, ich habe mich mehr schiefgehen: „Ich dachte mir, die klar, was seine Aufgabe ist. Noch vor trotz meines Gesichtes durchgesetzt.“ müssen sehen, daß ich begabt bin – das Drehbeginn sagte er, befragt nach sei- Als er mit 20 plötzlich den Wunsch ist ganz klar.“ Nichts ist klar, alles geht ner Rolle als russischer General Ouru- verspürt, Schauspieler zu werden und schief, er fällt durch die Aufnahmeprü- 178 DER SPIEGEL 51/1995 . fung, und niemand hat ein Auge für seine Begabung. „Aber man hatte mir so oft erzählt, daß etwas nicht ginge, und es ging dann doch“, sagt John. Also versucht er es mit Privatunterricht und danach in der Provinz. Er will die großen Rol- len und bekommt die kleinen – immer- hin aber so viel Gage, daß er sich einen Porsche, wie ihn auch Jimmy fährt, zu- sammensparen kann. Der steht zwar oft vor der Tür, weil der Sprit teuer ist, aber John ist schon ein Stück näher an seiner Vorstellung von dem, was ein Schauspieler sein soll. Es dauert nicht mehr lange, und er ist endlich einer. Denn in Krefeld begegnet er „einem pickligen Jungen mit zu kurzen Hosen, CINETEXT der sagte, er sei Regisseur und ob wir Szene aus „Goldeneye“*: Zurückgewonnene Manneskraft nicht was zusammen machen sollen“. Der Bursche heißt Hans Neuenfels, ist geht“, schreibt der Stern. „Ich habe da- Gefechte zugebilligt, mit denen Connery 25 und gilt nach ein paar Skandalen als mals gemerkt, daß alle anderen ver- und Moore brillieren durften: der eine, Enfant terrible der Theaterszene. In rückt sind“, sagt er und kichert. Fass- Connery, indem er schmuddlig grinste, seiner Wohnung proben sie Handkes binder schafft es, ihn zurückzuholen. bevor er seine Tatze um eine Eurasierin, „Publikumsbeschimpfung“. Rainer Werner Fassbinder, in Johns Brünette oder Blondine legte; der ande- Danach spielt er Richard III., Ma- Erinnerung „ein fettes, unartiges re, Moore, indem er blasiert die Augen- rat, Robespierre, Macbeth. Richtig be- Kind“, und Gottfried John – das ist die braue liftete, bevor er für Königin und Verbindung zwischen zwei Extremen, Vaterland inBett und Auto stieg und bra- die sich an einem Punkt treffen kön- vourös sein Champagnerglas schwenkte. nen, ohne sich zu verbiegen. Neun Dazu ist jetzt keine Zeit mehr. Aber kompromißlose Filme, darunter „Die vielleicht ist der Grundfehler ein ande- Ehe der Maria Braun“, „Berlin Alex- rer: In der rasanten Eingangsszene an ei- anderplatz“ und „Lili Marleen“, ma- nem gewaltigen Staudamm irgendwo in chen sie zusammen, daneben ein paar der riesigen Sowjetunion (sie existiert im Theaterstücke am Frankfurter TAT. Vorspann noch) betätigt sich James Zwischendurch dreht John mit Billy Bond als Bungee-Springer an langem Wilder und Hans W. Geissendörfer. Gummiseil. In einer atemraubenden Über das Verhältnis zwischen Rein- Perspektive wird gezeigt, wie Bond in hold, seiner Rolle in „Berlin Alexan- den Abgrund stürzt, eine Harpune in den derplatz“, und der Hauptfigur Franz Felsen schießt und sich abzuseilen be- Biberkopf sagt John: „Sie waren ganz ginnt. verschieden, aber jeder war das Alter So weit, so James-Bond-gemäß. Doch ego des anderen. Das war wohl genau kurz darauf werden 007 und sein Kumpel der Punkt, der Fassbinder faszinierte: 006 von den Russen geschnappt. 006 Das Gute und das Böse und daß das im wird, scheinbar, getötet. 007 kann flie- Grunde ein und dasselbe ist.“ hen. Und im Auto jagt er über eine Piste Johns Alter ego stirbt 1982 an einer einem Flugzeug hinterher. Erwischt es Überdosis Kokain. „Ich habe immer nicht mehr, bevor es über einer Riesen- WDR damit gerechnet“, erzählt John, „und schlucht entschwebt. Da wirft sich Bond John in „Acht Stunden . .“ (1972) Rainer selbst auch. Denn er wollte im- im freien Fall dem Flugzeug hinterher. Trotz des Gesichts durchgesetzt mer das intensivste, nie das abgesi- Und wie Superman oder Batman kann er chertste Leben.“ fliegen. kannt, so berühmt, daß ihn der Bürger Es bleibt John nichts anderes übrig, Die Lust, so etwas im Trick zeigen zu auf der Straße um Rat in allen Lebens- als sich weiter darum zu kümmern, daß können, hat das Filmteam wohl zu dieser fragen bittet, wird er aber erst durch das Leben unsicher bleibt. „Keine Ah- Szene verführt. Aber in Wahrheit ist sie seine Filmrollen: als „Jaider, der einsa- nung, was ich nächstes Jahr mache. das traurige Ende der Bond-Figur. Der me Jäger“ und 1972 als Werkzeugma- Das hat mich nie interessiert. Ich habe überlebte zwar auch in den bisherigen cher Jochen in Fassbinders Fernsehse- in so vielen verschiedenen Leben ge- Filmen alles, ob blond oder braun, ob La- rie „Acht Stunden sind kein Tag“. lebt und weiß, das jedes so aussieht, als serstrahl oder Maschinenpistole. Aber er Als er anfängt, sich in „dieser Rolle wäre es das scheinbar richtige.“ Und er tat es nach den strapazierten Gesetzen zu verhalten“ und die schulterklopfen- wird auch längst begriffen haben, daß der Wahrscheinlichkeit und den Regeln de Vereinnahmung des Publikums zu sein Gesicht für so viele verschiedene der Physik. hassen, zieht John es vor, unbehelligt Leben das einzig Wahre ist – schließ- Jetzt, da er von Anfang an fliegen und ruhig und von der Stütze zu leben. lich hat jeder das Gesicht, das er sich kann, ist er ein Comic-Held geworden. Er will Schauspieler sein, kein Selbst- verdient hat. Und somit ist er, allen Anstrengungen darsteller. „Der Star, der stempeln Anuschka Roshani zum Trotz, aus der Zeit gefallen. Y * Mit Pierce Brosnan und Famke Janssen. DER SPIEGEL 51/1995 179.