Kurt Hübner- Der Intendant

Seine Stationen:

Ulm- 1959-1962 - 1962-1973 - 1973-1986 1

ANHANG

1959-1986: DIE AUFFÜHRUNGEN DER INTENDANTENZEIT KURT HUBNERS

I. ULM 1959-1962

Das Ensemble

Schauspiel (Herren) Schauspiel (Damen) Oper I Operette Oper I Operette Peter Böhlke Elisabeth Botz (Herren) (Damen) Kar! Heinz Bürkel Käthe Druba Lambertus Bijnen Lisa Anders Will Court Angela Gotthardt Kari-Heinz von Eicken Helen Borbjerg Josef Gessler Friede! Heizmann Helmuth Erfurth Anita Butler Joachim Giese Hannelore Hoger George Fortune RuthConway Günter Hanke Alke Hoßfeld Jan Gabrielis Irmgard Dressler Hans-H. Hassenstein Elisabeth Karg Josef Gessler Josette Genet-Bollinger Valentin Jeker Maria-Christina Müller Peter Haage Marjorie Hall Rolf Johanning Elisabeth Orth Kar! Hauer Rita Hermann Norbert Kappen Helga Riede! J osef Kayrooz Marian Krajewska Jon Laxdall Ursula Siebert Bernd Küpper Liane Lehrer Georg von Manikowski Katharina Tüschen Bill Lucas Christine Mainka Dieter Möbius Erika Wackernagel Fritz Neugebauer Gertrud Probst Munz Sabine Werner Richard Owens Gertrud Romvary Walther Fr. Peters Fritz Peter Ursula Schade Rudolf Peschke Heinrich Reckler Ingeborg Steiner Hans Jakob Poiesz Herbert Reiter Patricia Hyde Thomas Friedhelm Ftok Heinz Röthig Eva-Maria Wolff Willi Ress Hermann Runge Hermann Schlögl Fred Straub Hermann Schober Walter Voges Alois Strempel Heinz Weigand Peter Striebeck Kar! Schurr Rainald Walter RolfWiest 2

SPIELZEIT 1959/60 das zu überwinden, was gegen die Figur des Posa, die naive Leichtgläubigkeit des Carlos Carl Maria von Weber: und gegen andere alogische Entwicklungen Der Freischütz (29. 8. 59) gesagt werden kann. Schillers Feuerodem, ML: Harald von Goertz; 1: JosefWitt; hier zum erstenmal in reine, gehämmerte B: Hansheinrich Palitzsch Verse gebändigt, überall diese Bedenklich­ keiten siegen zu Jassen, fast möchte man Friedrich Schiller: (3. 9. 59) sagen, das Stück vor den Literaturhistori­ I: Kurt Hübner; B: Wilfried Minks kern zu retten, danach stand sein Sinn. Wir sagten schon, Kurt Hübners Inter­ Daß Kurt Hübner sich für seine erste, recht esse am Don Carlos sei besonders auch dra­ eigentlich richtungweisende Inszenierung maturgisoher Art gewesen. Es ging ihm an seinerneuen Wirkungsstätte gerade den darum, die Grundkonturen klar herauszu­ Don Carlos ausgesucht hatte, jenes erste arbeiten, die verwirrenden Intrigen so ein­ •dramatische Gedicht• des aus dem bro­ fach und glaubhaft wie möglich werden zu delnden Sturm und Drang zu geläuterter Jassen, zu kürzen , ohne das Gerüst wanken Klassizität vorstoßenden jungen Schiller, zu machen oder gar nur ein mageres Gerip­ hat verschiedene Gründe. Schiller zu Ehren pe übrig zu Jassen. Wollte man die 5370 hätte es andere, leichter realisierbare Mög• Verse unangetastet lassen - es soll ja son­ lichkeiten gegeben, denn daß die Tragödie derbare Heilige geben, die so etwas anstre­ um Macht und Freiheit ein schwerer Brok­ ben - dann käme man auf eine Spieldauer ken ist für die Bühne einer mittleren Stadt, von etwa sechs Stunden, Bayreuther oder liegt auf der Hand. Sie so durchzusetzen , Oberammergauer Maß. Hübner schaffte es daß sie ohne Mißton zum Klingen kommt, in knapp dreieinhalb und war damit ist selbst für ein großes Theater ein Pro­ wesentlich kürzer als Stuttgart. blem. Auch hätte man sich in Ulm auf den Er achtete sorgsam darauf, daß der Standpunkt stellen können, mit den som­ Duktus der Verse erhalten blieb, daß sie auf merlichen Räubern in der Dona uhalle sei ihren Kern hin gesprochen, wirklich das Notwendige zum Schillerjahr getan. Ein gesprochen und weder deklamiert noch Drittes kommt hinzu: Das Staatstheater in •gesungen• wurden. Schillers Pathos hatte Stuttgart hat den Don Carlos seit einigen sich nach innen geschlagen. Daß mit neuen Monaten auf dem Spielplan. Warum also Kräften am Anfang der Spielzeit zu errei­ nicht ein anderes, kürzeres, vielleicht sogar chen, ist schon viel. Es kam dazu, daß in mehr in die Breite wirkendes Stück wäh• Gestik und Gebärde alles weggenommen len? Was das letzte angeht, so ist Hübners war, was nebensächlich und ablenkend Art, um Schwierigkeiten keinen Bogen zu schien. Fast statuarisch standen die machen. Er geht an die Grenzen unserer schwarz-weiß gewandeten Gestalten vor Kapazität, nicht um den nun einmal schwarz-weißem Grund und agierten ohne gesteckten Rahmen zu sprengen, wohl das geringste Zuviel, aber auch ohne etwa aber, um zu beweisen, was geleistet werden puppenhaft starr zu sein. kann, wenn alle Kräfte angespannt werden. Das Bühnenbild von Wilfried Minks Er kommt aus Stuttgart und hat einen Hor­ stimmt mit diesem Stilwillen vollkommen ror davor, •Provinztheater• zu machen. Daß überein. Es ist genial einfach und einfach er mit der Stuttgarter Inszenierung gleich­ genial. Vor schwarzem Grunde werden sam in Edelkonkurrenz tritt, liegt auf der hohe Stellwände, die eine gewissen Tiefe gleichen Linie. Er will seine eigene Konzep­ haben und die an Rollen hängen, so ver­ tion danebensetzen, nicht aus Dickköpfig• schoben, wie der vorzustellende Raum es keit, sondern weil er als Dramaturg aus Lei­ erforderte. Der Kreuzgang im Kloster wird denschaft vieles anders sieht und weil er auf so •konkrete• Weise ebenso sieht- (und glaubt, daß man Schiller und gerade den fühl-)bar wie der Thronsaal König Phitipps Don Carlos intensiver, straffer, wesentlicher oder das Gemach der Eboli. Ein Tisch, ein in Szene setzen kann. Als Theatermann aus Stuhl, ein Ruhebett, ein Pult genügen, den dem Blut reizte es ihn, von der Szene her Schauspielern eine Stütze zu geben. Dabei 3 wird, und das ist das Erstaunlichste, die : Maß für Maß Atmosphäre des Mißtrauens durchaus (I6. l. 60) gegenwärtig: Die offenen Wände haben Regie. ; B: Wilfried Minks Ohren. Und der Schuß aufPosa fiel ebenso aus dem unheimlichen Dunkel. wie die dro­ Peter Zadek hatte schon in Ulm eine wun­ henden Gestalten des Alba und Domingo derbare Inszenierung von Mqß für Maß daraus hervortraten. Helles und fahles erarbeitet, die diese barocke Fülle, diese Licht, geschickt gelenkt und gestreut, ist deftigen Farben des Stückes unglaublich ein weiteres KunstmitteL Auch hier wird schön herausbrachte. Die Produktion hat­ jede Farbe vermieden. Als Schlußakkord ten wir auf dieser kleinen IGitsche in Ulm tritt einzig der leuchtende Purpur des Groß• unter ungeheuren Mühen und nächtelan• inquisitors hinzu, der als hochgereckte gen Arbeiteyn der Werkstätten auf die Beine Greco-Gestalt ganz vorn an der Rampe gestellt. In Bremen inszenierte er das Stück sitzt. zum zweiten Mal. Seine Weltsicht war sehr Eine würdige Schillerehrung und ein viel pessimistischer geworden. so daß Peter Einstand für den Regisseur Kurt Hübner, den Herzog nun als eine äußerst zwielichti­ wie er sich überzeugender nicht denken ge Figur begriff- das war zum Teil schon so ließe. in Ulm, aber nicht in dieser Konsequenz. KurtFried Der Herzog stand nun als perverser Kupp­ ler da, der eine hundsgemeine Freude Leo Fall: Die Rose von Stambul (10. 9. 59) daran hatte, Menschen zu quälen und sie ML: Rudolf Mors; I: Rudolf Peschke; Belastungsproben auszusetzen, die nie­ B: Jürgen Rose mand ertragen kann - es ist aber doch in Shakespeares Stück enthalten, daß der George Farquhar: Glücksritter Mensch durch Erfahrung zu einer Läute• (OE 18. 9. 59) rung, zu einem neuen Bewußtsein kommen I: Helmut K.issel; B: Wilfried Minks kann. Kurt Hübner (1989) : Titus (3. 10. 59) ML: Cornelius Eberhardt; I: Bruno Voges; Peter Tschaikowskij: Eugen Onegin B: Wilfried Minks (6.2. 60) ML: Harald von Goertz; I: Bruno Voges; Jean Anouilh: General Quixotte oder B: Wilfried MinksfLotte Giaurringer Der verliebte Reaktionär (17. 10. 59) I: Claus Günther; B: Jürgen Rose Curt Goetz: Dr. med. Hiob Prätorius (11. 2. 60) Ruggero Leoncavallo: Der Bajazzo/ I: Rolf Johanning; B: Hartmut Schönfeld Pietro Mascagni: Cavalleria rusticana (30. 10. 59) Leo Lehmann: Der Spielverderber ML: Harald von Goertz; I: Bruno Voges; (UA 19. 2. 60) B: Hansheinrich Palitzsch I: Peter Zadek; B: Wilfried Minks \l Charles Dickens: Den Zdarov hielt Kurt Hübner haargenau Die Glocken von London (14. ll. 59) auf schmalem Grat. Er war nicht schwarz I: Günther Hanke; B: Heinz Köttel und entging auch der Gegengefahr, weiß zu sein, blieb immer Potenz und ließ hinter Emmerich Kälmän: Die Csardasfürstin dem Bonhomme den Apparatschik spüren. (31. 12. 59) Er hatte die schwerste Rolle zu bewältigen, ML: Helmut Schaal; I: Helmut K.issel; um so mehr, als ihm der Lenin des Fernse­ B: Hartmut Schönfeld hens anhing. Doch löste er sich völlig davon und war der Zdarov, der der bösen Gesten nicht bedarf, um steinkalter Sklave des 4 strengste Brecht-Traditionen hielt, aber in der Anlage die Gegebenheiten berücksich• tigte und Neues daraus entwickelte. Sehr saubere Regiearbeit, wie man sie von Palitzsch kennt, gute szenische Einfälle, bester Ensemblegeist gaben Grund genug, die Aufführung als Höhepunkt im Ulmer Theaterleben zu feiern. Die Grusehe spielte Kathaiina Tüschen, die vom kommt und getreu der Brecht­ Tradition jede Einfühlung in die Figur zu verhindern wußte. Norbert Kappen gab einen Azdak, der sich keinen Deut um Ver­ fremdungen scherte und die Herkunft der Gestalt vom Castersehen Uilenspiegel köst­ lich und erfrischend spüren ließ. ClaraMenck Der Spielverderber mit Elisabeth Karg Ludwig van Beethoven: (17. 6 . 60) Machtwahns zu sein. Glückwunsch zu die­ ML: Harald von Goertz; I: Bruno Voges; ser schauspielerischen NeueiWerbung. B: Hansheinrich Palitzsch Kurt Fried Johann Nestroy: Häuptling Abendwind Daniel-Fran~ois-Esprit Auber: (29. 6. 60) Fra Diavolo (4. 3. 60) 1: Kurt Hübner; B: Rosemarie Schickhardt ML: Rudolf Mors; 1: Rolf Johanning; B: Hartmut Schönfeld Kurt Hübner, mit Don Carlos der schwerge­ wichtigen Muse verschrieben, fand mit Fug, Jean Vauthier: Kapitän Bada (12. 3. 60) daß er die so würdig begonnene Spielzeit im 1: Peter Zadek; B: Wilfiied Minks Fliegen- und Sommergewicht a u spendeln solle, und tat also. Auch er ist Komödiant Thornton Wilder: Unsere kleine Stadt von Geblüt, und es war ihm sichtlich ein (18. 3. 60) diebischer Spaß. mit den Pappgewichten zu 1: Helmut Kissel; B: Latte Glauninger jonglieren, die ihm sein Lieblingsautor Nestroy bot. SchelmischeiWeise bot er, sein Fred Raymond: Maske in Blau (2. 4. 60) Podium-Pflege-Versprechen, die Operetten­ ML: Rudolf Mors; I: Rudolf Peschke; kräfte auf. Mehr und mehr entpuppt er sich B: Jürgen Rose als ein wahrer Ulenspiegel, der zwar für den Gemeinderat immer neue Überraschungen Rolf Liebermann: Die Schule der Frauen findet, aber a uch seine Intendantenkolle­ (14. 4. 60) gen und die gesamte westdeutsche Presse ML: Helmut Schaal; 1: Bruno Voges; damit erstaunt und geradezu konsterniert, B: Rosemarie Schickhardt daß er auf dem derzeit winzigsten und pri­ mitivsten Nudelbrett der Bundesrepublik : Der kaukasische bestes, qualitätvolles Theater macht. Kreidekreis (28. 4. 60) KurtFried 1: ; B: Hansheiniich Palitzsch

Peter Palitzsch vom Berliner Ensemble hat in Ulm das unmöglich Scheinende fertigge­ brach t - eine Inszenierung, die sich an 5

Nestroys Häuptling Abendwind, v. r.: Kurt Hübner, Hetmut Erjurth, Hannetore Hager, JosejGesster

SPIELZEIT 1960/61 William Shakespeare: Der Widerspenstigen Zähmung (l. 9. 60) Uon Jessel: Schwarzwaldmädel I: Peter Palitzsch; 8 : Wilfried Minks (24. 8. 60) ML: Friedrich Epplen; I: Rudolf Peschke; Peter Palitzsch greift bei seiner Ulmer Insze­ 8: Jürgen Rose nierung von Shakespeares Komödie The Taming ojthe Shrew auf die 1775 entstande­ ne Prosaübertragung Johann Joachim 6 Eschenburgs zurück. Die spröde Prosa des nur im geringsten an die Rampe zu spielen. Braunschweiger Literaten erlaubt, was Bau­ Sie war die entwirklichte, von den Stimmen dissins romantisierende Versübersetzung geleitete, visionäre Johanna und blieb blü• wohl unmöglich gemacht hätte: die eigenwil­ hendes Mädchen dabei, Idealfigur und lige Deutung des Verhaltens der italieni­ Weib, unberührbar durch die Glorie um ihr schen Liebesleute als merkanWe und klas­ Haupt. senkämpferische Denk- und Handlungswei­ KurtFried se. Eschenburg liefert einen skelettierten Shakespeare, den der Regisseur mit moder­ : Die Kurve (15. 10. 60) nen Erweiterungen und Regieeinfällen I: Johannes Schaaf; B: Jürgen Rose behängt. Die Verkleidungskomödie wird durch kräftiges Herausarbeiten der Rah­ Johannes. Schaafs Regie dürfte in der menhandlung zur Parabel für menschliche Zurücknahme der Aktionen, in ihrer Kon­ Wandlungsfähigkeit. Der Romanzenton des zentriertheit und im Wirksamwerden einer Originals ist unterdrückt, die poetische gewissen Symbolik den Absichten des Dimension ausgeblendet, weil Bianca nicht Autors sehr nahe kommen. Kleine Textkor­ als lyrischeGegenspielerindes Weibsteufels, rekturen haben sich als förderlich erwiesen. sondern als berechnendes, lüsternes Kätz• Die Ironie des verlogenen Alpenidylls mit chen und ihre Freier als feilschende Vertre­ den Geranien vor den Werkstattfenstern, ter einer käuflichen Bourgeoisie auftreten. einer Superkitschpostkarte im Hintergrund Petrucchio wird zum Mitgiftjäger, und der und dem scheinheilig betreuten Privatfried­ Kampf der beiden Liebenden zur Lebensbe­ hof hat Jürgen Rose richtig erfc03t. jahungzweier ursprünglicher Menschen der Gerhard Kaiser Renaissancezeit. Der mit sozialkritischen Stacheln bewehrte - und so verzeichnete - Christoph Willibald Gluck: Orpheus und Shakespeare war indes mit Katharina Tü• Eurydike (16. 10. 60) schen und Peter Neusser in den Hauptrollen ML: Harald von Goertz; geschmackvoll und sicher in Szene gesetzt. I: Ulrich Melchinger; B: Jürgen Rose Roif Michaelis Die Städtische Bühne hat durch die Wahl : Der fliegende der Oper Orpheus und Eurydike aufs neue Holländer (10. 9. 60) ihre Umsicht und Tatkraft bewiesen. Mit ML: Harald von Goertz; I: Bruno Voges; durchweg jungen, ja sehr jungen Kräften B: Werner Schachteli gelang es, diesem klassischen Werk der strengen, gemessenen Leidenschaften eine Friedrich Schiller: Die Jungfrau von lebendige Wirkung abzugewinnen, die die Orleans (24. 9. 60) Zuschauer in Staunen, ja in Bewunderung I: Kurt Hübner; B: Wilfried Minks versetzte. Ulrich Melchinger ist mit dieser Wie beim ganz anders gearteten Don Carlos Inszenierung eine Erstlingsarbeit gelungen, wurde zurückgenommen bis aufs äußerste. der nichts von Konvention und Nachah­ So sehr, daß mitunter des Flüsterns zuviel mung anhaftete. Szene für Szene lag ein und der Hörbarkeit zu wenig getan war. klarer, sinnerfüllender Entwurf zugrunde, Hübner selbst zeigte als lothringischer Rit­ der sich gleich in der ersten Szene der To­ ter und Bote Raoul die rechte Mitte, aus tenklage in einer Klarheit und Einfachheit Innen lodernd, ohne Pathos, aber mit kalter in Bewegung und Gestik umsetzt, die in Flamme. Es gelang ihm im ganzen, diese vollkommener Kongruenz mit der Musik Konzeption durchzusetzen. Vor allem seine und ihren edlen klassischen Linien stehen. Jeanne, blutjungund bühnenfrisch, mach­ Die Bühnenbilder von ,Jürgen Rose sind te sich die Intention des passionierten freie Paraphrasen dessen, was uns als grie­ Unterspielens zu eigen. Elisabeth Orth, chische Landschaft vorschwebt, ihrer Hel­ eine Inkarnation der Mutter Wessely, wie le, Offenheit, Farbe und ästhetischen Klar­ sie schöner nicht gedacht werden kann, heit. Leichtes, helles Gewölke lag über den stand so im Mittelpunkt, ohne sich auch sonnenüberfluteten Gefilden der Seligen. 7 Ohne Zimperlichkeit und Pedanterie er­ bitder Willried Minks' ließen den Verdacht stand eine Ideallandschaft in voller, unge­ einer realistisch dargebotenen Klamotte gar minderter Schönheit von Farbe und Licht. nicht erst aufkommen. In parodistischer Walther Schweizer Anlehnung an viktorianische Annoncen lärmten und liebten die Figuren zwischen Sean O'Casey: Der Rebell, der keiner Gartenzwergen und Putten, wobei Jalou­ war (21. 10. 60) sien und fahrbare Schränke ständig die 1: Peter Zadek; B: Wilfried Minks Möglichkeiten zu schnellen Umwandlun­ gen gaben- ein bunter Flitter an übermüti• Ein pralles. auch zartes, immer dichtes gen Einfällen. Stück: Die Realität ist da, aber nie dumpf Hetlmuth Karasek lastend. Noch die Tragik tanzt. Peter Zadek, der junge englische Regisseur, der seit zwei : Rigoletto (19. 12. 60) Jahren viel in Deutschland arbeitet, hatte ML: Harald von Goertz; 1: Bruno Vages; bei der Inszenierung soviel Einfälle wie Stil­ B: Wilfried Minks gefühl. Es ging im ersten Akt recht chap­ linesk zu: Helmut Erfurth (der Hausierer) Emmerich Kälmän: Gräfin Mariza agierte mit der raschen Leichtigkeit des (31. 12. 60) geborenen Komikers, Norbert Kappen zeig­ ML: Friedrich Epplen; 1: Rudolf Peschke; te sehr überlegt, wie im Dichter Davoren B: TimmZorn Rausch, Jammer und Bewußtsein wider­ streiten. Elisabeth Orth, jüngst von Mel­ Bertolt Brecht: Der gute Mensch von chinger als Johanna gefeiert. ging mit ihrer Sezuan (13. l. 61) sehr deutschen Gefühlsunbedingtheit 1: Peter Palitzsch; B: Wilfried Minks nicht ganz in der komplexeren irischen Welt auf. die Zadek sonst so überzeugend auf die Hübner griff sich Peter Palitzsch, dessen Bretter brachte. Ulmer Fassung des Kaukasischen Kreide­ Henning Rischbieter kreises bereits Theatergeschichte ist und von dem nun ein Sezuan vorliegt, der die Otto Nicolai: Die lustigen Weiber von einigermaßen schnulzige Parabel vom zwie­ Windsor (4. ll. 60) geteilten Menschen, der böse sein muß. um ML: Friedrich Epplen; 1: Bruno Vages; gut sein zu können, härtet, die Fäden strafft B: Jürgen Rose und die Handlung lokal realisiert. Letzteres freilich ist nicht ohne Gefahr, denn nach George Abbott: Wo ist Charly? einer Vorbemerkung B. B.s von 1953 gehört (25. 11. 60) die Provinz Sezuan (62,3 Millionen Einwoh­ 1: Peter Zadek; B: Wilfried Minks ner) »heute nicht m ehr zu den Orten, an Wenn die Städtische Bühne Ulm das Stück denen Menschen von Menschen ausgebeu­ auswählte, um ihrem Publikum ein Musical tet werden«. Was füglieh bezweifelt werden vorzustellen, dann vor allem deshalb, weil darf. das Korsett von Charlys unverwüstlicher Wer Palitzsch's Probenarbeit und sein Tante als Stütze des Verständnisses der Regiebuch kennt, weiß (und bewundert). ungewohnten, neuen Gattung dienen daß er ein Mann asketischer, geistiger Klar­ konnte. Die beiden Bearbeiter, Jörg Weh­ heit und Präzision ist, der alles Verschwie­ meier und Peter Zadek, verließen sich aller­ melte haßt, der den Gesamtablauf immer dings nicht auf die Bühnenwirksamkeit der vor Augen hat und der mit seinen Schau­ fortgesetzten Verkleidungen- ein Mann mit spielern und anderen Mitwirkenden die falschem Zopf, Spitzhäubchen und Strick­ bestmögliche Lösung nicht nur der einzel­ strumpf garantiert ja geradezu einen Hei­ nen Szene, sondern auch des einzelnen terkeitserfolg-. sie möbelten die alte Dame Wortes und der Geste. der Kostüme und vielmehr gründlich auf. Zadeks Regie über• Bärte, der musikalischen Interpretation drehte den vergleichsweise banalen Stoff und des Tonbands mit äußerster Gewissen­ zudem ständig zur Persiflage. Die Bühnen- haftigkeit im Sinne eines Gesamtkunst- 8 werks erarbeitet. Die Figur, was sie darstel­ Eugene Ionesco: Die Unterrichtsstun­ len soll, tut und spricht, ihre Einordnung in de/: Einakter die Fabel und ihren Sinn ist ihm alles, der (18. 4. 61) funkelnde Gag nichts. 1: Valentin Jeker; B: Wilfried Minks KurtFried (Ionesco), Jürgen Rose (Shaw)

William Shakespeare: Der Kaufmann Gotthold Ephraim Lessing: Emilia von Venedig (10. 2. 61) Galotti (28. 4. 61) I: Peter Zadek; B: Wilfried Minks I: Kurt Hübner; B: Wilfried Minks

gk: Welche Idee liegt Ihrer Regie zugrunde? Das Etikett •bürgerliches Trauerspiel<, das Zadek: Ich möchte die beiden Teile des die Liter;;tturgeschichte für die Emilia Ga­ Schauspiels - das Märchen und den lotti nur allzu schnell bereithält, legt das Realismus - miteinander verbinden, Mißverständnis nahe, das Stück müsse auf soweit es geht. Aufführungen des Kauf­ der Bühne auch von •bürgerlichen< Empfin­ manns von Venedig sind oft dadurch dungen getragen werden. Kurt Hübner gefährdet, daß entweder das Märchen wählte für seine Ulmer Inszenierung einen das Übergewicht hat oder aber Shylock Stil. der zeigte, daß das antike Muster für so überragt, daß bis zur Gerichtsszene Lessing mehr war als nur eine literarische kein Interesse an Porzia wach wird. Reminiszenz. Die Inszenierung versagte Ohne krasse Modernisierung versuche sich der Tränenseligkeit der Sarah Sam­ ich mich auf die Psychologie eines pson ebenso wie dem effektvollen Freiheits­ modernen Publikums einzustellen. Die pathos von Schillers Kabale und Liebe. Emi­ Gruppe der jungen Männer will ich viel lia Galotti erschien als Spiel kalter Berech­ schärfer profilieren. nungen, die in die Tragödie münden, weil gk: Wie sehen Sie Shylock? sie von Menschen mit Menschen angestellt Zadek: Man darf aus ihm keine sentimenta­ werden, die durch Welten voneinander le Figur machen. Ebenso falsch ist es, getrennt sind. Vor allem das Ende gab Hüb• ihn als eine Mischung ZWischen Clown ners Regie recht: Der Opfertod der Heidin und Bösewicht zu zeigen. Für mich wirkte nicht als konstruierte Verlegenheits­ steht im Vordergrund die Tragik eines lösung nach dem römischen Vorbild, son­ Mannes, der dazu getrieben wird, einen dern als notwendiger Ausgang. In dem Mord zu verüben. Übrigens würde ein Bühnenbild Wilfried Minks', das sich an romantisches Publikum, das Shylock den an alte Stiche gemahnenden Prunksä• recht gibt, im praktischen Leben selbst len jede Intimität versagte. konnten die eine ganz andere Haltw1g einnehmen. Antithesen des schneidenden Dialogs gk: Was reizt Sie besonders an Ihrer Auf­ unverhüllt aufeinanderprallen. Die Emilia gabe? Elisabeth Orths zeigte von Anfang an die Zadek: Das krasse Nebeneinander von Unruhe und Todesentschlossenheit, die Komödie und Tragödie, das ich als echte ihren Opfertod glaubhaft m achte. Lebensspannung empfinde. Hellmuth Karasek Gespräch in einer Probe zu Der Kaufmann von Venedig Giuseppe Verdi: Aida (12. 5. 61) ML: Harald von Goertz; I: JosefWitt; Jacques Deval: Familienpapiere (3. 3. 61) B: Jürgen Rose 1: Kar! Wesseler; B: Jürgen Rose Carl Philipp Telemann: Pimpinone/ Moliere: Scapins tolle Streiche (24. 3. 61) Wolfgang Amadeus Mozart: Bastien 1: Reinhard Spoerri; B: Kony Müller und Bastienne (10. 6. 61) ML: Helmut Schaal; I: Bruno Vages; Carl Zeller: Der Vogelhändler (7. 4. 61) B: Jürgen Rose ML: Rudolf Mors I: Rudolf Peschke; B: Jürgen Rose 9 : Die Zofen (18. 6. 61) Tübinger Studenten, die Ähnliches taten, I: Johannes Schaaf; B: Jürgen Rose wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses bestraft - obwohl es Fasching war. Heute Die dreijungen Darstellerinnen, die Johan­ schreiben wir 1961, und man wird sehen. nes Schaaf mit sicherem Gespür für das KurtFried Anschwellen, Umkippen und Zerplatzen der krankhaften Stimmungen führt, ließen sich zum guten Stil provozieren. Voran Elisabeth Orth als Claire, die sich bis zur physischen PIEL 1 9bl/6l Erschöpfung verausgabt, wenn sie in der Raserei des von triebhaften Domestikenhir­ Fred Raymond: Saison in Salzburg nen ausgebrüteten Mummenschanzes das (24. 8. 61) ' wilde Auflodern, das hektische Sich-Offen­ ML: Friedrich Epplen; I: Rudolf Peschke; baren, die schrille Dissonanz ebenso faszi­ B: Heinz Köttel/Lotte Glauninger nierend meistert wie dasjähe Ermatten, das fatalistische Abstumpfen, den Rückfall in Bertolt Brecht/: Der die Sklaverei. Nicht minder intensiv die Prozeß der Jeanne d'Arc zu Rouen 1431 Eruption der Haßliebe und der dämoni• (1.9.61) schen Begehrlichkeit bei der Solange Han­ I: Peter Palitzsch; B: Hansheinrich nelore Hogers, die während der furiosen Palitzsch Henkersvision ihre stärkste Szene formt. Daß Elisabeth Karg als •gnädige Fraw nichts Das Ulmer Theater ist an diesem Abend Gleichrangiges zu bieten hat, liegt weniger nicht in die Luft gesprengt worden - wie es an ihr als am Textbuch, das sich auf Claire­ ein besonders hitziger Verfechter der These, Solange konzentriert. Ein mit Plastikblumen Brecht solle zum gegenwärtigen Zeitpunkt üppig dekoriertes violettes Schlafgemach, nicht gespielt werden, in einem Drohbrief von Jürgen Rose entworfen, unterstützt die angekündigt hatte. Der Theaterskandal bei bemerkenswerte Inszenierung Schaafs. der westdeutschen Erstaufführung von Gerhard Kaiser Brechts Prozeß der Jeanne d'Arc zu Rauen 1431 fand nicht statt. Der starke Schlußap• (Anonym:) Das Puppenspiel vom plaus, den nicht ein einziger laut vorge­ Doktor Faust (Freilichtspiele vor dem brachter Protest trübte, widerlegte vielmehr Ulmer Schwörhof23. 6. 61) die Behauptung, daß Brecht im Augenblick I: Kurt Hübner; B: Wilfried Minks im Westen Mißverständnissen durch das Publikum ausgesetzt sei. Die ganze Umgebung des großen Podiums Diejenigen, die Brecht posthum zum auf dem Weinhof ließ Kurt Hübner beim Apologeten des Ulbricht-Staates machen Volksschauspiel vom Dr. Faust mitagieren, wollen (was er tatsächlich nie war). haben von dem man sagen kann, daß es ein wirk­ zu Begründung eines Brecht-Boykotts eine lich origineller und eigenwilliger Beitrag Verbindung zwischen der Berlin-Krise und zum Freilichttheater ist. Er hielt sich im dem Werk Brechts konstruiert. Sie besteht Schema und Grundtext seiner Bearbeitung im Fall der Jeanne d 'Arc tatsächlich. Da an die Kompilation der erhaltenen Texte, werden die Bürger von Rouen durch die strich etliche Kasperliaden und fügte, abso­ Barrieren englischer Lanzen daran gehin­ lut sinngemäß und stilgerecht, eine Anzahl dert, gegen die Teilung Frankreichs und die spitziger Anzüglichkeiten und Anspielun­ Hinrichtung der Johanna nach einem gen auf Bundes- und lokaler Ebene ein, die Schauprozeß zu demonstrieren, da fällt er dem Hanswurst in das ungewaschene nach einem Lied, das dem nahen Ende der Maul legt. Ließe sich der freilüftige Weinhof­ Fremdherrschaft gilt, der Satz: »Das singen Faust einbürgern, dann gäbe das, mit sie jetzt in beiden Frankreich, hüben und Hanswurst und Dr. Goebbels zu reden, drüben", und da sagt J ohanna dem Bischof einen alljährlichen »Stuhlgang der Seele«, von Rouen, der ein williges Werkzeug der der nicht zu verachten wäre. 1588 wurden fremden Besatzung ist: »Bischof, da wird 10 ein Tag sein, da werden die Weinbauern der ins Freie. Andere blieben, um ihren kom­ Touraine mit den Schiffern der Normandie pakten Unmut mit Geschrei, mit Gebuh zusammensitzen, und Euch wird's nicht und lauten Formulierungen des Abscheus mehr geben." Angesichts der Berliner Ereig­ kundzutun. Die meisten husteten, schlu­ nisse höchst politische Äußerungen - nur gen mit dem Taschentuch um sich, schrien besteht nicht der geringste Zweifel, gegen aber nun hinwieder »Bravo!« und waren wen sie sich richten. gesonnen, trotz Pulverdampf und Atemnot Hellmuth Karasek die deutsche Erstaufführung von Erendan Bebans Geisel zu einem Erfolg hinaufzu­ Giuseppe Verdi: Der Troubadour klatschen. Wahrlich, wir waren in einer (8. 9. 61) Schlacht! Zorn bebte von beiden Seiten. ML: Harald von Goertz; I: Bruno Voges; Die, qie im gespaltenen Publikum wider B: Hansheimich Palitzsch Behan aufstanden, haben wahrscheinlich nur das Schlimme an seinem Ton vernom­ Friedrich Schiller: Die Verschwörung men. Daß der gleiche Ton aber auch lustig, des Fiesko zu Genua (6. 10. 61) daß er von seltener Kraft, daß er da ganz I: Kurt Hübner; B: Wilfried Minks originär und mit voller Liebe zum Men­ schen, wohnt der auch in der Gosse, gesun­ Unser größter Dramatiker vor Brecht gen wird, das haben sie offenbar auf Anhieb machte gerne wallen und war dabei nicht nicht mitbekommen. Daher denn ihre gera­ bedenklich. Gift und Mord waren ihm recht, dezu wundgereizte Reaktion. sein Publikum zu fesseln, und im Fies/co Annemarie und Heinrich Böll, Speziali­ gibt es ungeheuerliche Rührszenen, die so sten für die Übertragung irischen Sangbar­ fade Limonade sind, daß sie ungenießbar keit in unsere Sprache, haben das fast wurden. Heraus damit also, und das gründ• unmöglich Scheinende möglich gemacht: lich. In Kurt Hübners Fassung ist das be­ Sie haben die meisten schwingenden Zwi­ sorgt. Unser Intendant ist ein leidenschaft­ schentöne auf deutsch gerettet. Peter licher Schiller-Verehrer, und nichts liegt Zadek hat's auf der kleinen Provisoriums­ ihm ferner, als seinem schwäbischen Wahl­ bühne (sie steht ausgerechnet in einer dichter Ungebühr anzutun. Er schneidet Mädchenschule!) so bunt und genau, so ab, was überschüssig, auf Wirkung berech­ fli eßend und gestaltenüppig inszeniert, neter Firlefanz ist, und klärt so das Muster. daß diese kleine, erste deutsche Versuchs­ Aus einer Schiller··Inszenierung zu gehen, aufführung der in London (von der vielge­ die Fäden entwirrt und klar über alles ist, rühmten Joan Littlewood) kaum nach­ solchenGenuß verschafft er seinem Publi­ stand. kum. Es war, als hätten alle auf der Szene KurtFhed einen genauen Vitalkoller weg. Die Sache ging, bis der Nebel fiel, grandios. Fast das (Anonym:) Advokat Patelin (8. 10. 61) ganze Ulmer Ensemble war im vollen, I: Johannes Schaaf; B: Wilfried Minks ansehnlichen Gange. Unrecht täte man, wollte man da kritisch unterscheiden und : Margarethe (13. 10. 61) Hervorhebungen machen, wollte man ML: Harald von Goertz; I: Bruno Voges; Unzulänglichkeiten nennen. Der Elan, mit B: Wilfried Minks dem alle in die krause Sache sprangen, war so erfreulich. Die Liebe zum Risiko teilte Brendan Behan: Die Geisel (27. 10. 61) sich so erfrischend mit. Also, da hätten wir I: Peter Zadek; B: Wilfried Minks endlich den großen Theaterskandal, nach dem seit Jahren so sehnsüchtig gerufen Am Ende hing Pulverdampf im Ulmer Par­ wurde. Das Publikum entfesselt, positiv kett. Die Bühne verschwand in Rauch­ und negativ gereizt, streitbar, aus der schwaden. Der Nachbar war nicht mehr zu Reserve gelockt und noch auf der Straße zu erkennen. Man hörte Husten statt Text. bekennefisehern Handgemenge aufgelegt. Schimpfend strebten Teile des Publikums Hoffentlich muß man es nun nicht 11 immer erst einnebeln, damit es klar und : Lucia di deutlich Stellung nimmt! Lammermoor (26. 1. 62) Friedrich Luft ML: Harald von Goertz; 1: Bruno Voges; B: Jürgen Rose Leos Janäcek: Das schlaue Füchslein (17.11.61) Heinrich von Kleist: Das Käthchen von ML: Friedrich Epplen; 1: Kurt Hübner; Heilbronn (13. 2. 62) B: Karl-Ernst Herrmann 1: Johannes Schaaf; B: Wilfried Minks

Kurt Hübners sicherer Bühneninstinkt hat Friedhelm Ptok, potz Wetter und Strahl, war ihn auch hier richtig geleitet. Das doppelte ein Graf Friedrich, dem Schwingen wuch­ Dutzend stehender, kriechender und geflü• sen, gleich dem Cherubim. Er hatte das zart gelter Menschen- und Tierwesen führt ein Ahnende, sich Durchtastende, brach in überhebendes, abwechslungsreiches, hei­ jähe Wildheit aus, kämpfte den Standes ­ ter stimmendes und auf seine Art auch dünkel in sich nieder und erfüllte endlich spannendes Leben vor. Das Menschliche, seinen Traum. Seit seinem Dunois gewann auch wo es karikierend gemeint ist, bleibt er Kraft und Stille, versteht beredt zu natürlich, das Natürliche (im Gebaren der schweigen und anrührend zu sprechen. Tiere) wirkt echt und menschlich. Es bedarf Johannes Schaaf, das deutlich zu sagen, einer starken Einfühlung und Phantasie, hat seine erste große Regie mit Glanz um dieses Gleichgewicht zu erhalten. Daß bestanden. Es war mehr als ein Gesellen­ kein harmloses Kindermärchen aus der stück, was er ablieferte. Sache wurde, dafür sorgte auch das Büh• KurtFried nenbild von Karl Ernst Herrmann. Die Tier­ perspektive verhindert ein Abgleiten ins John Millington Synge: Ein wahrer Held Niedliche. Äste, Wurzelwerk, Gräser, Blu­ (16. 3. 62) men ragen übermäßig in die Höhe. Die 1: Johannes Schaaf; B: Wilfried Minks Menschen stoßen sich an Farn und Spitz­ wegerich, wodurch eben die Verbindung Franz Lehär: Paganini (20. 3. 62) beider Welten sinnenfällig und suggestiv ML: Rudolf Mors; I: Rudolf Peschke; gegenwärtig wird. B: Karl Heinz Franke Walther Schweizer Alexander N. Ostrowskij: Der Wald William Shakespeare: Was ihr wollt (26. 4. 62) (1. 12. 61) I: Peter Zadek; B: Wilfried Minks 1: Peter Zadek; B: Wilfried Minks Wolfgang Amadeus Mozart: Die Heinrich von Kleist: Der zerbrochene Gärtnerin aus Liebe (4. 5 . 62) Krug (16. 12. 61) ML: Harald von Goertz; 1: Siegfried Munz; B: Karl-Ernst Herrmann I: Ulrich Melchinger; B: Jürgen Rose

Paul Abraham: Viktoria und ihr Husar Noch immer werden Komödien und musi­ (31. 12. 61) kalische Lustspiele aus der Zeit bis zum ML: RudolfMors; 1: RudolfPeschke; ausgehenden 18. Jahrhundert in Inszenie­ B: Karl-Ernst Herrmann rungen geboten, die man zumeist nicht anders denn als oberflächliche Nivellierun­ Curt Goetz: Der Mörder// gen bezeichnen muß. Die Schuld liegt an Die tote Tante (12. l. 62) den Inszenatoren nur insofern, als sie häu• 1: Valentin Jeker (Mörder), Peter Baum fig nicht einzugestehen wagen, daß in stili­ (Lohengrin), Norbert Kappen (Tante); stischer und aufführungspraktischer Hin­ B: Karl-Ernst Herrmann sicht bei Begriffen wie Commedia dell'arte oder gar Rokoko-Galanterie nur aus­ nahmsweise wirklich szenischer Boden zu 12 gewinnen ist. Die inszenatorischen Schwie­ Albert Lortzing: Zar und Zimmermann rigkeiten wachsen gerade bei einem Stück (l. 6. 62) wie Mozarts Gärtnerin aus Liebe ins Uner­ ML: Friedlich Epplen; I: Bruno Voges; meßliche. Mozarts Musik ist auf weite B: Karl-Ernst Herrmann Strecken noch von unschuldsvoller Naivi­ tät. Pedro Calderön de Ia Barca: Das Es war zu rühmen an der Ulmer Insze­ Festmahl des Belsazar (Freilichtspiel vor nierung, daß sich Melchinger in seiner der Wiblinger Klosterkirche 16. 6. 62) Interpretation strikt an Text und Musik I: Kurt Hübner; B: Wilfried Minks gehalten hat, ohne einen klischeeartigen Grotesk- oder Pläsanteriestil zu beschwö• Kurt Hübner hatte seinem Ulmer Abgesang ren. Sein szenischer Verstand hat ihn wie­ ganz bespnders viel Liebe und Hingabe, derholt Lösungen finden lassen, die, wie schon bei der Herstellung der Übersetzung etwa in der bedeutsamen nächtlichen Mas­ beginnend, angedeihen lassen. Auf einem kerade, überzeugend den Rahmen des Podium, das nur die nötigsten Versatzstük• sonst Üblichen verlassen haben. ke enthielt, entfaltete sich die barocke Friedrich Hammel Pracht der strahlend schönen Kostüme im hellen Licht der Scheinwerfer. Als vollends Max Frisch: Andorra (18. 5. 62) die holzbraunen Flügel des Portals sich öff• 1: Johannes Schaaf; B: Wilfried Minks neten und den Blick in den Innenraum frei­ gaben, wurde das Mysterium leibhaftig, Johannes Schaafs Inszenierung verdient und es war nicht mehr Freilicht-Theater, hohes Lob: eine knappe, prägnante Auffüh• das gespielt wurde. sondern Mysterien­ rung, intensiv, aber nicht hitzig, ohne spiel, das geschah undjeden Betrachtermit Pathos, Mätzchen und Sentimentalität. hereinnahm, der Augen hatte, solches zu Zwei Forderungen des Stückes erfüllte sehen, und Gefühl, es zu empfinden. Ein Schaaf exakt: Durch präzises Herausarbei­ Abgesang der Ära Hübner, wie er schöner, ten des Typ-Grundgestus erreichte er den eindrucksvoller und harmonischer nicht Modellcharakter; und durch die zunächst hätte sein können. Das Theater als morali­ sympathische Alltäglichkeit der Andorra­ sche Anstalt in einer anderen, gemeinver­ ner wurde ihre Gefährlichkeit um so ständlicheren Weise, als es die umfochtene erschreckender. Schaaf hat den Rotstift Geisel hatte sein können, die hiermit zwar kräftig angesetzt. Alles Überschwengliche, nicht revidiert, aber ausgeglichen wurde. in Freude wie in Anklage, fiel weg, auch die So weit, so reich, so nah und erregend ist Schlußszene mit der wahnsinnigen Bar­ die Welt des Theaters, die zu pflegen und zu blin. Barblin geht statt dessen an die Juke­ fördern uns aufgegeben ist, wenn wir nicht Box und wählt die Platte, die Andri früher - dem Hanswurst mit seinen nur materiel­ immer spielte. len Gedanken gleichen wollen. Die Aufführung wird dem Stück in KurtFried hohem Maße gerecht. Gerechter etwa als Schweikarts Münchner Aufführung, die im : Der Abstecher (20. 6. 62) Grundriß verwaschen, im Schauspieleri­ I: Peter Baum: B: Wilfried Minks schen viel zu •brillant•, will sagen, maniriert war, um den kräftigen Volkston zu treffen. Fritz Rumler 13 II. BREMEN 1962- 1973

Das Ensemble

Schauspiel (Herren) Hans Dieter Jendreyko Hans-Hartwig Rückert Schauspiel (Damen) Marcel Andre J osef Karnper Henning Rühle Susanne Amrain Hartmut Becker Herinrich Kastner Roland Schäfer, Sabine Andreas Peter Bernhardt Daniel Kasztura Fritz Schediwy Dagmar Biener RolfBecker Günter Kaufmann Wolfgang Schenck Katharina Brauren Fred Berthold Erich Keddy Kar! Scheydt Gardy Brombacher Georg Martin Bode Norbert Kentrup Hannes Schiel Barbara Buri Ulrich Bode Heinz Kersten Walter Sch111idinger Jo Bolling Herbert A. Knippenberg Wolfgang Schneider Edith Clever Martin Brandt KnutKoch Jens Schalkmann Trudik Daniel RudolfWaldemar Brem Uwe Karsten Koch Sieghold Sehröder Hille Darjes Michael König Werner Schumacher Christine Dorner Jan-Geerd Buss Hubert Kronlachner Wolfgang Schwarz Gundei Dwinger Maleolm Chisharn Volkert Kraeft Kar! Schwetter Elisabeth Ebeling Werner Dahms Pit Krüger Herbert Se bald Susanne Eggers Helmut Düvelsdorf Hans Gerd Kübel Jörg Sörensen Iris Erdmann Nikolaus Dutsch Helmut Lorin Martin Sperr Ellen Esser Ernst Ebeling Fred Maire Theo Staats Beatrice Föhr-Waldeck Buddy Elias Georg von Manikowsky Dieter Steinbrink Elfie Garden Gernot Endemann Wolf Martienzen Günther Stoll Rita Graun Helmuth Erfurth Konrad Materna Alois Strempel Mechthild Grassmann Hermann Faltis Stefan Matousch Gerd Sutter Margit Haberland Georg Fischer Thoralv Maurstad Theo Teekienburg Iris Hahnemann Joscha Fischer-Antze Kar! Meixner Manfred Trabant Trude Hajek Jochen Fölster Jan Meyer HansTügel Monika Hansen Andräs Fricsay Hans Joachim Millies, Holger Ungerer Gefion Helmke Eberhard von Gagern Bernhard Minetti Dieter Wagner lrmHermann Bruno Ganz Klaus Nägelen Hansi Waldherr Hannelore Hoger Franz Gary Christof Ne! Heinz Walter IngaHorn Volker Geissler Peter Neubauer Wolfgang Werthenbach Margaret Jahnen Jan George Günter Neutze Wilhelm Wieben Silvana Janisch Rudolf Geske Harald Nikelsky Peter von Wiese Brigitte Janner Joachim Giese Bert Oberdorfer Gerd Winter, Hanna Köhler Wolfgang Giese Klaus Ohm Erwin Wirschaz Herzlieb Kohut Vadim Glowna Hans Jürgen Ott HarryWolff Franziska Küpferle Wilfried Grimpe Konstantin Paloff Joachim Wolff Annelore Kunze Christian Günther Michael Paryla Anton Zettel Harry Hafemeier Hans Joachim Paulmann KurtZielke Sigrid Landgrebe Holger Hagen Friedhelm Ptok Petra Lang Hans Peter Hallwachs Hans Putz Edith Lechtape Hans Hals Kurt Raab Beate Lenders Kar! Heinz von Hasse! WolfRathjen Bruni Löbel Hans Heine Joachim Regelien Regine Lutz Joachim Henschke WernerRehm Christina Mainka Klaus Hentschel Willi Ress DanyMann Hans Hirschmüller Joachim Riechert Aninas Michalsky Klaus Höhne Klaus-Dieter Röhlke Hilde Mikulicz Peter Höner Jürgen Rohe Karin Mitterhauser Ulrich Hüls Ernst Rottluff Sonja Mustoff 14 Rotraut de Neve Amelie Veit Heinz Feldhoff Oper/Operette Anna Paloff Ellen Waldeck Flitz Grumann (Damen) lrmgard Paulis Eleonore Weisgerber Kar! Heinz Haag Co Iette Boky Birgit Pausch Sabine Werner Siegfried Häse Paula Bukovac Ruth Puls Gerti Wiedner Aage Haugland Deborah Cook TamaraRalis JudyWinter William Johns Grace de Ia Cruz Anne Rottenherger Christa Witsch Peter Kluczka AnniEngels Silvana Sansoni GiselaZies Georg Koch Mechthild Gessendorf Eva-lngeborg Scholz Walter Köninger Kay Griffel Annemarie Schradiek Oper I Operette Walter Koller Carolyn Heafner Christiane Sehröder (Herren) Karsten Küsters Helga Hildebrand lngeborg Spiegel Josef Arnberg Abraham Lind-Oquendo lngrid Horysa Renate Steiger Kilian Bauer Lothar Nett Hanna Kistner Hanni Stickel Caspar Bröcheler Hans Paweletz Renate Lücke Delia Maria Teichen Tito Bruno Boleslaw Pawlus Hannelore Machold Angelika Thomas Anton Oiakov Philipp Sacks lrmgard Meiners Angelika Tols Clark Dunbar Theodor Schlott Yasko Nagata Gisela Trowe Dale Düsing Hermann Schnok Lore Paul Katharina Tüschen Ernst Ebeling Hugo Sieberg Maria Sandulesco Ute Uellner Corneliu F

PIELZEIT 1962/63

Jacques Offenbach: Die Banditen Brendan Behan: Die Geisel (3. 11. 62) (5.9. 62) I: Peter Zadek; B: Wilfried Minks ML: Theodor Holterdorf; I: Dietrich Haugk; B: Günther Schneider-Siemssen Friedrich Schiller: Die Jungfrau von Orleans (24. 11. 62) Giuseppe Verdi: Don Carlos (7. 9. 62) I: Kurt Hübner; B: Wilfried Minks ML: Hans-Walter Kämpfe!; 1: Friedlich Petzold; Johann Strauß: Der Zigeunerbaron B: Günther Schneider-Siemssen (25. 11. 62) ML: Theodor Holterdorf; 1: Willi Auerbach; Wolfgang Amadeus Mozart: Die B: Manfred Miller Entführung aus dem Serail ( 11. 9 . 62) ML: Hans-Walter Kämpfe!; I: Friedlich Hans Peter Doll/Günther Fleckenstein: Petzold; B: Karl-Ernst Herrmann Die Bremer Stadtmusikanten (29. 11. 62) I: Erich Keddy; B: Manfred Miller Johann Wolfgang von Goethe: Erwin und Elmire/Johann Nestroy: Gerhart Hauptmann: Die Ratten Häuptling Abendwind (16. 9. 62) (30. 11. 62) I: Kurt Hübner; B: Karl-Ernst Herrmann I: Walter Czaschke; B: Manfred Miller

John Osborne: Luther (DE 23. 9. 62) Curt Goetz: Lohengrin/Hund im Hirn/ 1: Peter Zadek; B: Wilfried Minks Tote Tante (30. 12. 62) I: Johannes Schaaf; Arnold Wesker: Tag für Tag B: Karl-Ernst Herrmann (DE 12. 10. 62) 1: Johannes Schaaf; B: Manfred Miller 15 Friedrich Dürrenmatt: Die Physiker I: Martin Ankermann; (2. 1. 63) B: Karl-Ernst Herrmann I: Johannes Schaaf; B: Günther Schneider-Siemssen Carl Maria von Weber: Der Freischütz (30. 6. 63) William Shakespeare: ML: Hans-Walter Kämpfe!; I: Georg Wild­ Ein Sommernachtstraum (9. l. 63) hagen; B: Karl-Ernst Herrmann 1: Peter Zadek; B: Wilfried Minks

Ballettabend (12. l. 63) Ch: Jean Deroc; 'b4 B: Günther Schneider-Siemssen Giuseppe Verdi: Rigoletto (5. 9. 63) Otto Nicolai: Die lustigen Weiber von ML: Gabor Ötvös; 1: Götz Friedrich; Windsor (13. 3. 63) B: Wilfried Minks ML: Hans Georg Schäfer I: Oscar Arnold Paur; Ich suchte für Bremen einen Opernregis­ B: Karl-Ernst Herrmann seur und fuhr nach Ostberlin zu heimli­ chen Verhandlungen mit Götz Friedrich, Meredith Wilson: Music Man einem Meisterschüler Felsensteins. der (DE 16. 3. 63) mich sehr beeindruckt hatte. Seine I ML: Gareth Davies; I: Peter Zadek; stik, seine Phantasie, seine hochlebe1 B: Wilfried Minks Choreographie und nicht mehr diese: der-Rampe-stehen der Sänger. Acht a Was Hübner einmal anpackt, packt er henerregende Inszenierungen ließ er u groß an- und sei's ein theatralisches Bremen zurück. bevor er nach Kopenh Windei! ging. Da er die Gewohnheit hatte, den Horst Koegler in das sehr realistische Geschehen e betten, wurde dafür viel Extrahonorar ul Bertolt Brecht: Der kaukasische lig. Das war das einzige, was mir bei Friecl­ Kreidekreis (17. 4. 63) rich Sorgen eintrug. Für jede Handreichung 1: Peter Palitzsch; B: Wilfried Minks verlangte mein Chor Extrahonorare. Mir ging das über die Hutschnur. Ob das noch Doris Lessing: Jedem seine eigene jetzt so ist, weiß ich nicht, aber damals war Wildnis (DE 14. 5. 63) es so. 1: Peter Palitzsch; B: Wilfried Minks/ KurtHübner Manfred Miller Franz Grillparzer: Weh dem, der lügt : Turandot (18. 5. 63) (8.9.63) ML: Hans-Walter Kämpfe!;!: Werner Jacob; I: Kurt Hübner; B: Wilfried Minks B: Manfred Miller Jean-Philippe Rameau: Die Hochzeit John van Druten: Das Lied der Taube der Platäa (29. 9. 63) (19. 5. 63) ML: Hans Georg Schäfer; I: Kurt Hübner; 1: Hans Rosenhauer; B: Manfred Miller B: Karl-Ernst Herrmann

Leon Jessel: Schwarzwaldmädel Vor sieben Jahren habe ich das ebenso (30.6. 63) amüsante wie stilgeschichtlich bemerkens­ ML: Theodor Holterdorf; I: Fritz Andre werte Unikum unter Hans Rasbauds Lei­ Kracht; B: Manfred Miller tung inAix-en-Provence gehört und damals sogleich für eine deutsche Fassung plä• Brandon Thomas: Charley's Tante diert. Im Theater am Goetheplatz in Bremen (30. 6. 63) hat es sich nun in der Übersetzung des bis- 16 herigen Gründgens-Dramaturgen Robert Ich mischte mich auch musikalisch ein. Ja, Schnorr mit geradezu sensationellem auch mit dem Orchester. Zum Beispiel in Erfolg als eine Entdeckung für die moderne Bremen, wo ich ja zum Antritt in der Oper Musikbühne erwiesen. Die Bremer, nicht Die Hochzeit der Platäa von Rameau insze­ eben für überschäumenden Enthusiasmus niert habe, und das ist eines der geistvoll­ bekannt, ließen ihren Beifall am Schluß zu sten und musikalisch schönsten Musik­ Windstärke 7 anschwellen; dergleichen stücke der Welt. Dabei sagte ich zu dem kommt mindestens bei ihrem theatrali­ Kapellmeister, der schon dort war, als ich schen Klima höchst selten vor. kam, gesagt: »Mein Lieber, das geht so In Bremen wurde der spätbarocke Göt• nicht, die Musik ist doch nicht so langwei­ terspaß als »Fest- und Ballettoper« bezeich­ lig, so trocken, so ohne Esprit und Tempe­ net und von dem Generalintendanten Kurt rament.« 4nd dann habe ich ihm den Takt­ Hübner mit dem entsprechenden dekorati­ stock entrissen und gesagt: »Passen Sie auf, ven und technischen Aufwand in Szene ich mein das so!• Da war das Orchester auf­ gesetzt. Mit einem kleinen Verfremdungs­ gestört, perplex. trick wurde das Publikum auf eine elegante KurtHübner Weise in die wohl auch Kennern der helle­ nistischen Götternovellistik nicht allzu ver­ George Bernard Shaw: Candida traute Handlung eingeführt: Im Prolog (29. 9. 63) ermuntert ein Satyr bei einem Weinlesefest I: Axel Ivers; B: Manfred Miller den inmitten von Mänaden und Winzern vor seinem legendären Karren eingeschlafe­ Ann Jellicoe: Was ist an Tolen so sexy? nen •Erfinder des Theaters• Thespis, eine (DE 4. 10. 63) Komödie zu ersinnen. Mit Hilfe der bei dem I: Peter Zadek; B: Wilfried Minks Fest anwesenden GötterThalia und Momus gelingt es, den Trunkenen zu dem Spiel zu Bertolt Brecht: Der Prozeß der Jeanne veranlassen; jeder übernimmt darin eine d'Arc zu Rouen 1431 (13. 10. 63) Rolle, Thespis selbst die der in die Jahre I: Peter Palitzsch; gekommenen, halb jüngferlichen, halb B: Hansheinrich Palitzsch nymphomanen Nqjade Platäa. Das setzt in Hübners Inszenierung mit Aplomb ein- auf Es gibt außerordentlich viele Dramatisie­ einer von Karl-Ernst Herrmann mit gedreh­ rungen des Johann-Stoffes und darunter ten Säulen und variablen Himmelsprospek­ sogar einige berühmte. Von Brecht selber ten üppig dekorierten Barockbühne, über stammen allein drei: seine Johanna der die Wagen mit peitschenschwingenden Göt• Schlachthöfe, Die Gesichte der Simone tinnen rollen, während aus der Versenkung Machard und Der Prozeß der Jeanne d'Arc Platäas ramponierter Schilfpalazzo auf­ zu Rauen 1431. Ohne Frage steht unser steigt und vom Schnürboden, von fliegen­ jetzt aufgeführtes Stück in gewisser Weise den Windgeistern umgeben, Jupiter auf im Schatten der beiden vorangegangenen. goldschimmernder Wolkenbrücke herab­ Bertolt Brecht dokumentiert sich als Dich­ schwebt, stilecht von handgeschütteltem ter stärker dort als hier. Beim Stoff selber Blechdonner (wenn auch, wegen der Feuer­ aber ist es umgekehrt. Der historische Vor­ polizei, von elektrischen Blitzen) begleitet. gang eines Prozesses von weltgeschichtli­ Die Freude des Regisseurs, die Maschinerie cher Bedeutung tritt in diesem von uns auf­ des Barocktheaters einmal in ihrer ganzen geführten Werk mehr als in jeder anderen raffinierten Aufrichtigkeit vorführen zu kön• Version heraus. Auf weite Strecken ist die nen, überschlägt sich zuweilen und verliert Geschichte selbst der Autor. Uns reizt diese sich ans Detail, doch gelang die Verschmel­ Tatsache besonders, zeigt sie doch ein Ver­ zung von großer theatralischer Gala und fahren, das für das moderne Theater von buffonesker Drolerie im ganzen vorzüglich. größerer Bedeutung sein könnte, als es Ein Festspiel wurde parodiert, aber die Par­ gemeinhin der Fall ist. Brecht handhabte odie wurde selbst wieder zum Festspiel. die Möglichkeit virtuos, aus dokumentari­ K.H. Ruppel schem Material - schon durch die Art der 17 Zusammenstellung - unmittelbares Leben William Shakespeare: Held Henry entstehen zu Jassen, knappes, echtes, (nach Heinrich V.) (23. 1. 64) phrasenloses. I: Peter Zadek; B: Wilfried Minks Vor mehr als zwei Jahren erhielt unser Entschluß, dieses Stück (in Ulm!) zu spie­ Moliere: Tartuffe (6. 2. 64) len, durch die Errichtung der Mauer in Ber­ I: Bruno Hübner; B: Karl-Ernst Herrmann lin eine Bedeutung, die wir nicht vorausse­ hen konnten. Man versuchte, uns zu Thea­ : terleuten auszurufen, die die Zeichen der (14. 2 . 64) Zeit nicht begriffen hätten. Die Polemik ML: Hans-Walter Kämpfe!; schien mir damals gerade deshalb doppelt I: Götz Friedrich; B: Karl-Ernst Herrmann absurd zu sein, weil dieses Stück eine Hal­ tung vertritt, die geradezu als Protest des Johann Nestroy:' Der Talisman (3. 3. 64) Dichters Brecht gegen die Diktatur des Ul­ I: Kar! Meixner; B: Hannes Meyer bricht-Systems gewertet werden könnte. Die Anzeichen deuteten a llerdings klar dar­ Brendan Behan: Der Spaßvogel (18. 3. 64) auf hin, daß diejenigen, die uns einer I: Peter Zadek; B: Wilfried Minks instinktlosen Haltung ziehen, das Stück überhaupt nicht gelesen h a tten. Der Auf­ Ruggero Leoncavallo: Der Bajazzo ruhr mußte in sich zusammenbrechen, und (5.4.64) er tat es denn auch mit großer Geschwin­ ML: Hellmut Wuest; I: Reinhard Lehr 11111 digkeit. Es ist sehr trostvoll, sich überzeu• B: Manfred Miller gen zu dürfen, daß der hochgespielte Paro­ lendonner einiger Weniger in einer funktio­ Igor Strawinsky: Die Nachtigall (5. · nierenden Demokratie es nicht vermag, die ML: Hans Georg Schäfer; I: RolfBeck Wahrheit auf das Kreuz zu legen. B: Karl-Ernst Herrmann Kurt Hübner (im Programmheft der Bre­ mer Aufführung mit Rückblick auf die Ulmer Johann Strauß: Wiener Blut (23. 4. Aufführung, die den Brecht-Boykott zur Zeit ML: Theodor Holterdorf; I: Peter des Mauerbaus durchbrach) Steinbach; B: Karl-Ernst Herrmann

Franz Lehär: Die lustige Witwe William Shakespeare: Romeo und Julia (31. 10. 63) (26. 5. 64) ML: Theodor Holterdorf; I: Peter I: Kurt Hübner; B: Wilfried Minks Stanchina; B: Karl-Ernst Herrmann Die Aufführung bedient sich einer Textfas­ Jacques Offenbach: Hoffmanns sung »auf der Grundlage der Schlegelsehen Erzählungen (21. ll. 63) Übersetzung«. Kurt Hübner und Wilfried ML: Hans-Walter Kämpfe!; Minks haben, etwa den Prinzipien Erich I: Werner Jacob; B: Manfred Miller Frieds folgend, von Schlegel stehen lassen, was kräftig und direkt ist, ohne große Peter Ustinov: Endspurt (23. 11 . 63) Bedenklichkeit und mit unterschiedlichem I: Axel Ivers; B: Manfred Miller Gelingen aber neu übertragen, was um­ ständlich und geschraubt klingt. Die Bear­ Volker Ludwig/Kurt Hübner: beiter gehen bis zur Einbeziehung roher, Rumpsdiplumps umgangssprachlicher Wendungen, sie ha­ (27. 11. 63) ben mehr auf gedrungenen Ausdruck als I: Kurt Hübner; B: Manfred Miller/Karl­ auf den Vers geachtet. Das Ergebnis ist Ernst Herrmann theatertauglich, wenn auch nicht ohne Fehl. Henning Rischbieter James Patrick Donleavy: New Yorker Geschichten (OE 10. l. 64) I: RolfBecker; B: Wilfried Sakowitz 18 Giles Cooper: Alles in bester Ordnung Ballettabend (10. 12. 64) (DE 30. 5. 64) Ch: Richard Adama; 1: RolfBecker; B: Manfred Miller B: Karl-Ernst Herrmann

Samuel Beckett: Das letzte Band George Bernard Shaw: Helden (15. 1. 65) (6.6.64) 1: RolfBecker; B: Karl-Ernst Herrmann 1: Ralf Becker; B: A. Christian Steiof Frank Norman/Lionel Bart: Die alten Euripides: Medea (6. 6. 64) Zeiten sind vorbei (DE 24. 1. 65) 1/B: Wilfried Minks ML: Peter Starke; 1: Peter Zadek; B: Wilfried Minks Richard Wagner: Die Meistersinger von Nürnberg (17. 6. 64) Giuseppe Verdi: ML: Hans-Walter Kämpfe!; 1: Friedrich Die Macht des Schicksals (13. 2. 65) Schramm; B: Heinz Pfeiffenberger ML: Hans Wallat: 1: Götz Friedrich; B: Wilfried Minks

SPIELZEIT 1964/65 Gotthold Ephraim Lessing: Minna von Baroheim (4. 3 . 65) Wolfgang Amadeus Mozart: Cosi fan 1: Ralf Becker; B: Karl-Ernst Herrmann tutte (5. 9. 64) ML: Hermann Michael: 1: Heinz Arnold; Christian Dietrich Grabbe: Scherz, B: Karl-Ernst Herrmann Satire, Ironie und tiefere Bedeutung (7 . 3.65) Bertolt Brecht: Der aufhaltsame Auf­ I: Kai Braak; B: Thomas Richter-Forgach stieg des Arturo Ui (8. 9. 64) 1: Peter Palitzsch; B: Luciano Damiani Emmerich Kalmän: Die Csardasfürstin (12. 4. 65) Friedrich Schröder: Hochzeitsnacht im ML: Theodor Holterdorf; 1: Horst Alexander Paradies (18. 9. 64) Stelter; B: Karl-Ernst Herrmann ML: Theodor Holterdorf: 1: Kar! Heinz Haag; B: Eduard Löffler Ludwig van Beethoven: Fidelio (22. 4. 65) : Bunbury (7. 10. 64) ML: Hans Wallat; 1: Kurt Hübner; 1: Peter Zadek; B: Guy Sheppard B: Wilfried Minks

Paul Hindemith: Cardillac (5. 10. 64) Frank Wedekind: Frühlings Erwachen ML: Hans Georg Schäfer; 1: RolfBecker; (12. 4. 65) B: Karl-Ernst Herrmann 1: Peter Zadek; B: Wilfried Minks

Albert Lortzing: Zar und Zimmermann Minks und Zadek haben mit einem so küh• (28. 10. 64) nen wie einfachen Einfall die Trennung von ML: Leopold Hager; 1: Steffen Tiggeler; Bühne und Zuschauerraum zugleich auf­ B: Manfred Miller gehoben und radikal bewußt gemacht: sie lassen den Zuschauerraum während der Moliere: Der Geizige (23. 11. 64) ganzen Aufführung hell beleuchtet. Sie tun 1: Peter Zadek; B: Wilfried Minks das nicht, um den Zuschauer einzubezie­ hen ins Spiel, sondern um ihn zu schärfe• Johann Wolfgang von Goethe: Clavigo rer Beobachtung zu zwingen. Sie verwei­ (1. 12. 64) gern nicht nur den Schauspielern jene 1: Ralf Becker; B: A. Christian Steiof Dunkelheit, in der sich's leicht mogeln läßt. sondern auch dem Zuschauer den wohligen Dämmer, in den er sich so gern wegsinken 19 läßt. Er ist hier nicht mehr durch illusioni­ Carl Zeller: Der Vogelfänger (11. 9. 65) stische Mittel - durch den Wechsel des ML: Theodor Holterdorf; I: / Lichts- von den im Spiel ausgestellten Vor­ Joachim Preen; B: Karl-Ernst Herrmann gängen getrennt; vielmehr ist zwischen ihm und der Bühne nun einzig und allein eine Murray Schisgal: Liiiebe (18. 9. 65) •reale• Grenze - die Rampe. Auf sie wird er I: Ralf Becker; B: Klaus Gelhaar mit äußerster Nachdrücklichkeit verwie­ sen; jenseits beginnt der formalisierte, für William Shakespeare: (21. 9. 65) das Spiel zugerüstete Raum. Davor sitzen I: Kurt Hübner; B: Wilfried Minks Zuschauer. Es ist ein Theater. Das ist so selbstverständlich, daß wieder darauf auf­ Hübner findet für dieses Vorhaben im Fra­ merksam gemacht werden muß. grammheft treffende Worte: •Ich werde oft ErnstWendt gefragt, von welcher Konzeption ich ausgin­ ge, wenn ich den Harntet inszeniere. Ich Horst Pillau: Der Kaiser vom denke ziemlich zuversichtlich. daß wir Alexanderplatz (23. 4. 65) Shakespeare spielen. Das ist alles. Ich finde I: Erik Ode; B: Manfred Miller in dem Stück nicht viel, das durch unsere Welterfahrung überholt worden wäre.« Keith Waterhouse/Willis Hall: Nichts bleibt oberflächlich, schema­ Lügen-Billy (DE 24. 4. 65) tisch, nichts tönt bloß. Geschrien wird so I: Alfred Kirchner/Joachim Preen; gut wie nie. Das ist nicht nötig. Dieser Harn­ B: Manfred Miller let gibt sich Rechenschaft über jeden den er spricht. Er ist kein Traumtänze Garson Kanin: Die ist nicht von gestern steht fest auf der Erde. Er ist keine (30. 5. 65) denkend sich selbst zersetzt. dazu ist I: Hans Rosenhauer; B: Manfred Miller klar bei seirien Überlegungen. Er ist blinder Täter: Er hat sich ja vorher Re< 1 • 1 schaft gegeben. Keineswegs ist (oder \VJr,; I er irre. Den Wahnsinn spielt er. Ist das. was SPIELZEIT 1965/66 ihm an Tat auferlegt wurde, zu schwer füt· ihn? Man weiß es nicht, er ist ja nicht hin­ : (4. 9. 65) aufgelangt. Dies ist ein junger Mann, fast ML: Hans Wallat; I: Götz Friedrich; noch ein Knabe, von hoher Intelligenz, wil­ B: Josef Svoboda Ienskräftig, fühlsam. Er scheitert nicht an sich, sondern an der Welt, in die er gerät. Er Auf der Bühne des Bremer Theaters am ist (noch) nicht für sie zugerüstet. Er über• Goetheplatz taumeln die Zigarettenarbeite­ legt noch zu lange, zu ehrlich, zu aufmerk­ rinnen, vom kapitalistischen Frondienst sam. Er glaubt an intellektuelle Redlich­ erschöpft. in ihre kurze Pause, geben, ehe keit, an Reflexion, an denkerische Sorgfalt sie zu Zärtlichkeiten übergehen, zu erken­ vor sich selbst. nen, daß sie ausgebeutet werden. Die Regie Mit welchen Mitteln stellt Bruno Ganz läßt das Gesetz der Klasse über das der die so beschaffene Figur dar? Mit keinen Rasse triumphieren. andern als denen, die zugleich Charakteri­ In Bremen setzt der fallende Vorhang stika der Figur sind. Da verschlägt's wenig, den Schlußpunkt hinter die unausweichli­ ist vielleicht sogar förderlich, daß seine che Tragödie zweier einsamer Menschen. Sprechweise etwas Unebenes hat. ohne Mörder und Opfer sind ausgestoßen, auch jede Geläufigkeit ist. Eine Natur gibt sich der Tod erlöst nicht. allein bleiben Jose und ohne jeden Umschweif. ohne jede Verstel­ Carmen in der gleißenden Sonne zurück. lung auf den Brettern zu erkennen. Mit äußerster Schärfe wird die Konsequenz Henning Rischbieter zu Ende gedacht - bis zum bittersten Ende. Hans Otto Spinget 20

John B. Priestley: Seit Adam und Eva Versucht er es nicht oder nur mit halbem (29. 9. 65) Herzen, dann entgleitet ihm die Jugend. Ist I: Alfred Kirchner/Joachim Preen; er selber gebranntes Kind - und wer ist es B: Manfred Miller von der älteren Generation nicht-, wie schwer muß es ihm aber fallen, seine mise­ Richard Mohaupt: Die Bremer rablen Erfahrungen zu vergessen? Ist es Stadtmusikanten (3. 10. 65) nicht zuviel verlangt, jungen Menschen den : Die Kluge Glauben zu schenken, es gibt Ideale, wenn ML: Hans Georg Schäfer; I: Rolf Becker; sie bei einem selbst immer wieder erschüt• B: Karl-Ernst Herrmann tert wurden. Und muß solches Verlangen nicht im Zynismus enden? Oder im trotzi­ Giuseppe Verdi: La Traviata (28. 10. 65) gen Beharren? Es ist so schwer, Abschied ML: Hans Georg Schäfer; I: Georg Philipp; von dem zu nehmen, woran das Herz ein­ B: Karl-Ernst Herrmann mal hing. Wie schön wäre es, wenn die Idyl­ le vieler Schullesebücher erhalten bleiben Edward Albee: Wer hat Angst vor könnte, wenn Gesinnung und Haltung wei­ Virginia Woolf? (5. 11 .65) ter aus denselben Bornen flösse, die eben I: Detlof Krüger; B: Manfred Miller noch als heilkräftig galten. Wo aber jetzt dasjenige finden, das durch sein Beispiel Thomas Valentin/Robert Muller: Die die Jugend beflügelt und sie anspornt, Unberatenen (UA 26. 11. 65) ungebrochen zu empfinden, vorurteilslos I: Peter Zadek; B: Wilfried Minks zu denken? Weil es mühselig erscheint, darum aber im Angesicht der ratlosen Die Bremer Aufführung ist das Ergebnis Jugend so zu versagen, wie es am Beispiel konsequenter Zusammenarbeit von Text­ des Stückes Die Unberatenen gezeigt wird? autor, Bühnenbildner und Regisseur: •Bre• Ich wünsche, wir könnten alle aus voller mische Dramaturgie<. Sie demonstriert, Überzeugung behaupten, »so wie es hier daß Modelle kollektiver Theaterarbeit - die dargestellt wird, ist es nicht«. Wäre dem so, Beispiele von Joan Littlewoods Theatre bliebe nur ein Wunsch übrig: Möge das gute Workshop, von Planchons Theater in Vil­ Gewissen nie zur Selbstzufriedenheit verlei­ leurbanne oder Jan Grossmans Prager ten und möge niemals die Erkenntnis verlo­ Theater am Geländer - anwendbar sind ren gehen, daß auch der Stein der Weisen - auch auf unseren Bühnen. Die Aufführung besäßen wir ihn- immer aufs neue wieder­ hat die Möglichkeiten zu einem Theater, gefunden werden müßte. welches imstande wäre, uns geistig-bildli­ Kurt Hübner (im Programmhejt) ehe Erfahrungen zu vermitteln, die dem Bewußtseinsstand der zeitgenössischen Ballettabend (9. 12. 65) bildenden Kunst und einiger neuerer Filme ML: Hans Wallat; Ch: Richard Adama; entsprechen, um einen wesentlichen Schritt B: Werner Schachteli erweitert. PeterZadek Mare Camoletti: Boeing-Boeing (10. 12. 65) Eine Institution, die geschaffen wurde, um 1: Horst Loebe; B: Manfred Miller jungen Menschen- wie man zu sagen pflegt -ihr Rüstzeug für das Leben zu geben, steht James Saunders: Ein Duft von Blumen einer schönen, aber schwierigen Aufgabe (30. 12. 65) gegenüber. Ein Lehrer sollte wie ein Künst• 1: Joachim Preen; B: Klaus Gelhaar ler den Pulsschlag der Zeit erkennen und auf Entwicklungen hinweisen, bevor die all­ Wolfgang Amadeus Mozart: gemeine Legitimation der revidierten An­ (22. l. 66) schauung erfolgte. Aber geht das? Denn der ML: Hans Wallat; I: Götz Friedrich; Pädagoge unterliegt ja denselben Trägheits• B: Josef Svoboda gesetzen wie alle anderen. Es muß gehen! 21 Claus Hammel: Um neun an der ihren multimedialen Happenings, und Achterbahn (5. 3. 66) machte dadurch den Moment zum Erleb­ I: RolfBecker/Joachim Preen; nis. Da gab es keine kleinbürgerliche Bevor­ B: Rolf Becker /Manfred Miller mundung, keine schulmeisterliche Aufklä• rung und keine moralischen Appelle. Es Friedrich Schilller: Die Räuber (5. 3. 66) war wie Befreiung, Neuanfang. I: Peter Zadek; B: Wilfried Minks Wiifried Minks

Protest. Wir protestieren! Die Zadek-Insze­ Paul Lincke: Frau Luna (22. 3. 66) nierung der Räuber ist ein Nichts an Form ML: Theodor Holterdorf; I: Alfred Kirchner; und an Gestalt! Sie ist eine im höchsten B: Karl-Ernst Herrmann Grade ärgerliche Zumutung für den Beschauer. Hier wird billige Sensation um Carl Sternheim: Die Hose (17. 4. 66) der Sensationwillen gemacht. Eigentlich ist I: Kai Braak; B: Thomas Richter-Forgach jedes Wort, jede Silbe, die man darüber schreibt, zu viel: Man sollte die Sache tot­ Andre Roussin: Die kleine Hütte schweigen. Die Volksbühne Bremen möch• (30. 4. 66) te aber auch in diesem Falle Helfer des I: Alfred Kirchner; B: Klaus Gelhaar Theaters sein im Sinne des Wortes des Frankfurter Generalintendanten Hany Richard Wagner: Buckwitz: »In Zeiten, wo sich die Symptome (4. 5. 66) rückläufiger Konjunktur häufen, wird man ML: Hans Wallat; I: Klaus Dreyer; für Maßlosigkeiten auch auf dem Gebiet der B: Karl-Ernst Herrmann Kunst kein Verständnis haben. Das Experi­ ment ist wichtigstes Ingredienz des Schöp• Martin Sperr: Jagdszenen aus ferischen. Es darf aber nicht zum arrogan­ Niederbayern (UA 27. 5. 66) ten Selbstzweck werden.« I: Ralf Becker; B: Wilfried Minks Flugblatt der Bremer Volksbühne Die Jagd von Menschen auf Menschen und Die Suppendose Andy Warhals ist für mich die Zusammenrottung zu solchem Vergnü• die entschiedenste Formulierung der Pop­ gen war mir wichtig zu zeigen - die Jagdbar­ art. Dieses Bild war damals, trotzseines tri­ keit des Menschen. Das Wild wird zum vialen Motivs, von einer solchen Kraft und Jäger, der Jäger zum Wild - ganz nach Eindringlichkeit, daß es sich mir wie kaum Bedarf und Situation. Ich wollte eine ein anderes einprägte. Als ich die Suppen­ Gesellschaftsordnung aufzeigen, und darin dose zum ersten Mal sah, hatten die Deut­ erschöpft sich mein Bedürfnis an Gesell­ schen Übergewicht und fuhren Mercedes, schaftskritik. während sich die deutsche Kunst, wenn sie GeWiß, es ist unwahrscheinlich, daß die nicht abstrakt war, mit der Schuld der Nati­ Homosexuellen allgemein gesehen ihre on oder ihren sozialen Mißständen beschäf• Mütter in niederbayrischen Dörfern tigte, mit einer Ästhetik, die aus der Vor­ suchen. Es war also nicht mein Ziel, das kriegszeit stammte. Es gab keine Überein• unlösbare •Problem< der Außenseiter zu stimmung zwischen gesellschaftlicher Rea­ bewältigen, sondern den Menschen Abram lität und den Themen der Kunst. Die Kunst in Beziehung zur Umwelt zu zeigen. Homo­ war fast ohne Ausnahme entweder kon­ sexualität als Problem ist, damit stimme ich struiert und beliebig oder tiefgründig und mit jeder Kritik überein, für das Theater behutsam, in einem Fall kühles Kunstge­ unbrauchbar, da dem Publikum zum größ• werbe, im anderen sentimentaler Kitsch. ten Teiljegliche Möglichkeit fehlt, es begrei­ Der Blick des Künstlers war rückwärts fen zu könne. gerichtet. In dieses stickige graue Kulturkli­ Martin Sperr (im Programmhejt) ma knallte die Pop-art mit ihren unkonven­ tionellen, provozierend nichtssagenden Motiven, wie Suppendosen, Comics und 22 Giacomo Puccini: La Boheme (4. 6. 66) digt- diese Schweinerei! Er erklärte: Dieses ML: Hans Wallat; 1: Götz Friedrich; B: schweinische Theater mach ich nicht mehr Karl-Ernst Herrmann mit - da hatte ich auch ihn nicht mehr. KurtHübner Sophokles: Antigone ( 11. 6. 66) 1: Kurt Hübner; B: Wilfried Minks Jacques Offenbach: Die Großherzogin von Geralstein (8. 10. 66) Pierre Barillet: Die Kaktusblüte ML: Theodor Holterdorf; I: Kurt Hübner; (18. 6. 66) B: Karl-Ernst Herrmann 1: Hans Rosenhauer; B: Manfred Miller Carlo Goldoni: Trilogie der schönen Eduard Künneke: Der Vetter aus Ferienzeit (9. 10. 66) Dingsda (25. 6. 66) I: Hans Hollmann; ML: Theodor Holterdorf; 1: Alfred Kirchner; B: Thomas Richter-Forgäch B: Guy Sheppard Adolphe Adam: Giselle (26. 10. 66) ML: Hellmut Wuest; Ch: Richard Adama; B: Guy Sheppard SPIELZEIT 1966/67 Wolfgang Amadeus Mozart: Giuseppe Verdi: Der Troubadour Die Gärtnerin aus Liebe ( 1. 11. 66) (16. 9. 66) ML: Hans Georg Schäfer; I: RolfBecker; ML: Hans Wallat; 1: Ralf Becker; B: Wilfried Minks B: Wilfried Minks Gerdt von Bassewitz: Peterchens Mond­ John Osborne: Ein Patriot für mich fahrt (24. 11 . 66) (DE 21. 9. 66) I: Peter Fitzi; B: Karl-Ernst Herrmann 1: Peter Zadek; B: Wilfried Minks Lotar Olias: Prairie-Saloon (1. 12. 66) Es gab viele Probleme in Bremen, eines der ML: Graziano Mandozzi: typischen war die ständige Auseinanderset­ 1: Alfred Kirchner/Charles Lang; zung mit der Stadt. Ich wurde als Theater­ B: Manfred Miller direktor permanent von dem Kulturreferen­ ten angefeindet, der alles, was wir machten, William Shakespeare: Macbeth als unglaublich frech und heilige Werte zer­ (29. 12. 66) störend empfand. Er infiltrierte auch den I: Kurt Hübner; B: Wilfried Minks Aufsichtsrat - der sich übrigens fast aus­ schließlich aus SPD-Angehörigen zusam­ Die achtenswerten Vorzüge sind Härte, mensetzte. Uns unterstützte eigentlich nur Deutlichkeit, Sprechbarkeit. Was gespro­ der Direktor der Wasserwerke, der aber den chen wird, lenkt die Aufmerksamkeit auf Faden seiner Freundschaft abrupt durch­ den Sinn. Um diesen ist in den Proben bis schnitt, als wir Ein Patriotfür mich von John zum Äußersten gerungen worden. Die Osborne spielten. Er hatte wohl unsere Schauspieler sprechen weder Theater noch Theaterinformationen nie gelesen, und •wie im Leben<. Ihre Sätze sind zergliedert eines Tages bekam er Besuch aus Ham­ worden, ehe sie zu energiegeladenen Stük• burg, von fünfzehnjährigen Neffen und ken wieder zusammengesetzt wurden. Nichten, die er ins Theater mitnahm-wie er Selbst in den Emotionen geht der Verstand sagte, hatte er gedacht, es handelte sich um nicht aus den Fugen der Logik. Dabei heizt ein Stück über Patriotismus, vielleicht über dieser Regisseur in seinen Spielern alles an, Bismarck. Und da hüpfte auf der Bühne ein was verbrennbar ist (ich möchte sie nach junger nackter Schauspieler aus dem Bett der Aufführung nicht in der Garderobe tref­ von Hallwachs (der den Oberst Red! spielte) fen). Er fordert Kraft, Anspannung, Leiden­ -das hat diesen Mann so empört und belei- schaft; aber nichts davon ist sozusagen 23

Maske in Blau: Die Welt als Operette auf den Kopf gestellt

anonym; entscheidend ist in jeder Minute Carl Zuckmayer: Der Hauptmann von die Konzentration auf die Sache (Szene, Köpenick (16. 2. 67) Figur, Form). Gegenüber früheren Inszenie­ I: Horst Gnekow; B: Karl-Ernst Herrmann rungen Hübners zeigt diese auffallend dynamische Stufung: es gibt Bögen in piano : Nora (22. 2 . 67) oder forte als Grundgrad über weite Strek­ I: Peter Zadek; B: Guy Sheppard ken; es gibt Steigerungen auch im Tempo, Ausschwingen nach Höhepunkten, Über• Kammerballette (7. 3. 67) schneidungen und Überblendungen - Ch: Richard Adama/Heinz Weitz; B: Man­ Regie, die sich über die Energetik hinaus fred Miller zur Übersicht hochtastet und das Ganze als Form in den Griff zu bekommen sucht. Gioacchino Rossini: Der Barbier von Siegfried Melchinger Sevilla (9. 3. 67) ML: Hans Wallat;I: Manfred Scholl; B: Johann Strauß: Karl-Ernst Herrmann (26. 1. 67) ML: Hans Wallat; I: Rolf Becker; Fred Raymond: Maske in Blau (30. 3. 67) B: Wilfried Minks ML: Theodor Holterdorf; I: Alfred Kirchner I Tutte Lemkow; Frederick Knott: Warte, bis es dunkel B: Karl-Ernst Herrmann ist (12. 2. 67) I: Hartmut Gehrke; B: Wieland Heitmüller Eine wahnsinnige Arbeit. Morgens um fünf sind wir mit der Kamera schon ins Hallen- 24 bad, um Aufnahmen zu machen, wie da nur >Gehilfe• des Werkautors ist, sondern bei einer mit Anzug und Bowler von Südameri• der Umsetzung des Schriftwerkes von der ka nach Bremen schwamm, um hier aus begri.fflichen in die sinnlichfaßbare Sphäre dem Orchestergraben geangelt zu werden. durchaus schöpferische Tätigkeit entfalten Eine andere Szene war eine Schießerei auf kann, deren Eigenwert neben dem der einer Ranch, wieder in Südamerika, und die Schöpfung des Schriftwerkes anzuerkennen Darsteller rannten blitzartig aus dem Film ist. Das aber bedeutet keineswegs, wie die oder in ihn hinein, schossen von der Bühne Revision zu meinen scheint, daß der Willkür gegen die Leinwand oder umgekehrt, was des Regisseurs keine Grenzen durch die einen unglaublichen Krach erzeugte, der Urheberrechtsbefugnisse des Werkschöp­ nicht allen Leuten gefiel. Schließlich traten f ers gesetzt seien. Wird durch die Gestaltung a capella auch noch zehn Choristen auf der Au.fßlhrung das Werk in seinen wesent­ dem Orchestersteg auf, angetan wie die lichen Zügen verändert, so bedarf es hierz u Mainzer Hofsänger mit spitzen Clownshü• der Einwilligung der Urheberberechtigten, ten. Begeistert war allerdings Kurt Hübner, ohne daß es darauf ankommt, ob etwa die der im Ersten Rang heraumsprang und das Werk verändernden Regieeinfälle vom schrie: »Endlich mal was anderes in mei­ künstlerischen Standpunkt vertretbar oder nem langweiligen Theater!« gar dem Erfolg des Werkes beim Publikum Alfred Kirchner eindeutig fordertich sind. Bei einem Mei­ nungsstreit zwischen dem Autor und d em Nach mehr als dreijährigem Rechtsstreit Regisseur; in welcher Aufführungsform das durch alle Instanzen sprach der I. Zivilse­ Werk der Öffentlichkeit zugänglich zu nat des Bundesgerichtshofsam 29. 4. 1970 machen ist, ist - ganz unabhängig von ein für das Verhältnis von Regie und Werk künstlerischen Wertungsfragen - stets die bedeutsames Grundsatzurteil zu Lasten Auffassung des Autors maßgebend ... des Bremer Theaters (Aktenzeichen: I ZR 30/69); darin heißt es: Peter Shaffer: Hören Sie zu - geben Sie acht (3. 4. 67) (Zwar) hat sich immer mehr die Auffassung I: Konstantin Paloff; B: Manfred Miller durchgesetzt, daß der Regisseur nicht etwa Hartmut Gehrke: Cesare Pirelli jagt Donald Duck (7 . 4 . 67) 1: Hartmut Gehrke; B: Wieland Heitmüller BUNDESGERICHTSHO F Pierre Carlet de Marivaux: Das Spiel von IM NAMEN DES VOLKES Liebe und Zufall (9. 4 . 67)

URTEIL Verkünde! em I: Gottfried Greiffenhagen/Joachim Preen; 29. April 1970 'lierner, B: Klaus Gelhaar Justlzobersekretllr tlt Utku.oibbe.mtu in det11 Rechtsstreit. der Ceschlfuetelle Richard Strauss: Salome (18. 4 . 67) ML: Hans Wallat; I: Götz Friedrich; der Tbltater der Freien Hansestadt !lre:ten (;:~abH, vertreten durch den Generalintendanten 1\\trt HUbner und den Verwal­ B: Zimmermann tungsdirektor E. DUnnwald , Srel!len, Goet hepletz ,

Beklagten, Revil!ionl!klägerin und AnRehlußrevi aionabeklegten , Tirso de Molina: Don Gil von den - Pro:eeßbevollmächtir;ter: Rechtsanvalt Dr. Greuner - Grünen Hosen (18. 5. 67)

gegen I: Kurt Hübner; B: Wilfried Minks

die O!!ene Handelaguellaehaft in Firma Felix Bloch Erben, vertretcm durch ihre alleinver tretungsberechtigten persl;ln­ Peter Tschaikowskij: Mazeppa (8. 6. 67) llch heftenden Gesellscha!te!" Frau Johanna Wilheim-Wreede und Frau Lotte Volkmer, Ber11n 12, Ha rdenbergstraße 6, ML: Hans Wallat; I: Rolf Becker; B: Wilfried

Kläserin, Revisionsbeklagte und Minks Anschlußrevisionskltlgerin,

- Prozeßbcvoll~ehtigter: Rechtsanwalt Or . Wieczor-ek - 25 James Patrick Donleavy: Ein Gefuchtelt und gefistelt. aber getroffen: Die sonderbarer Mann (13. 6. 67) Bremer Mannschaft hat diesen Shake­ I/B: Peter Zadek speare, dessen Humanität sie nicht mehr traut. auf die Gelenkstellen seiner Fabel Adolphe Adam: Der Postillon von reduziert und diesen Rohstoff umgesetzt in Lonjumeau (29. 6. 67) eine schrille, inhumane Teenager-Welt. ML: Hans Georg Schäfer; I: Erich Geiger; Shakespeare wird wie im Zerrspiegel einer B: Karl-Ernst Herrman Jahrmarktbude verändert: Manche seiner Eigenschaften werden nun erst sichtbar; andere werden vergrößert und vergröbert; andere sind nicht mehr zu sehen. In den SPIELZEIT 1967/68 Spiegel blickt Shakespeare - heraus blickt etwas anderes: eine - Shakespeare hin, Richard Wagner: Der fliegende Shakespeare her - ungemein erregende, Holländer (12. 9. 67) aufregende, zu Streitgesprächen (und län­ ML: Hans Wallat; I: Werner Kelch; geren Artikeln) beflügelnde Aufführung. B: Manfred Miller Diese Mitternachts-Aufführung gehört nicht zum Bremer Theater-Alltag: wohl Curt Flatow: Vater einer Tochter aber ist sie Pionierarbeit, die in den Thea­ (16. 9. 67) ter-Alltag auch anderer Bühnen wirken I: Alfred Kirchner: B: Manfred Miller wird. Georg Hensel William Shakespeare/ Martin Sperr/ Burkhard Mauer: Maß für Maß (16. 9. 67) Georg Büchner: Leonce und Lena I: Peter Zadek; B: Wilfried Minks (25. 9. 67) I: Hartmut Gehrke; B: Wieland Heitmüller Auf dem Plakat steht Maß für Maß. Damit verbindet sich für den Zuschauer eine Christoph Willibald Gluck: Orpheus und gewisse Erwartung. Die wird in dieser Eurydike (26. 9. 67) Inszenierung nicht erfüllt werden. ML: Hans Heintze; I: Ralf Becker; Ich habe angefangen, eine einigerma­ B: Wilfried Minks ßen realistische Inszenierung von dem Stück zu machen. Dabei habe ich nach vier­ Ralph Benatzky: Im weißen Rößl zehn Tagen Arbeit festgestellt, daß die Vor­ (16. 10. 67) günge auf der Bühne den Vorgängen meiner ML: Theodor Holterdorf; 1: Kar! Wesseler; Fantasie nicht entsprechen. Daraufhin B: Karl-Ernst Herrmann habe ich mich entschlossen, neu anzufangen und rücksichtslos nur das zu inszenieren, Joseph Kesselring: Arsen und was von der Fantasie bestimmt wird, das, Spitzenhäubchen (4. 11. 67) was beim Lesen von Maß für Maß in der I: Joachim Preen; B: Jürgen Uhlmann Fantasie geschieht. Dieser Inszenierung liegt also kein •Stil< Friedrich Schiller: Kabale und Liebe zugrunde, keine Theorie, keine bewußte (7. 11. 67) ästhetische Haltung. Statt dessen eine sub­ I: Peter Stein; B: Jürgen Rose jektive intuitive Arbeit, von Bild zu Bild ent­ wickelt mit dem einzigen Bestreben, genau Ferdinands metaphysische Verblasenheit das auf die Bühne zu stellen, was mir bei und überhitzte Egozentrik werden wegge­ der sehr langen und detaillierten Vorarbeit räumt, als eigentliche Mitte des Stückes an dem Stück eingefallen war. erscheint die geschädigte Beziehung zweier Nicht so ängstlich- im Alltag sind wir Menschen. Die popularphilosophische und zaghaft genug. eschatologische Aufgipfelung hat Stein Peter Zadek (im Programmhejt) gestrichen, alle Sturm- und Drang-Zapplig­ keit abgestellt. Ebenso kann er auch die 26

Mozarts Hochzeit des Figaro, Regie Götz Friedrich sozialmotzige Unruhe im Stück nicht recht Fast ein psychomotorischer Vorgang: Das ernst nehmen. Er stellt fest: in Kabale und nach innen gerichtete Sprechen setzt den Liebe ist das Traurigste die Liebe. Liebe, die Körper unter Druck, von dem er sich nur in -aus was für Gründen immer, wahrschein­ Bewegung und Gebärde befreien kann. lich aus einem verquälten Absolutheits­ Botho Strauß wahn- nicht mehr eins ist mit sich, in Zwei­ fel und Verdächte auseinanderfiel, die ein Giacomo Puccini: Madame Butterfly gefährliches Prüfspiel geworden ist. Die (20. 11. 67) Gleichgültigkeit gegenüber allem, das zur ML: Hans Georg Schäfer; I: Ralf Becker; Grundspannung der rettungslosen Unbe­ B: Wilfried Minks dingtheiteil nichts beiträgt, bringt Stein dahin, daß er mancherlei kupiert, gar ver­ Thorbjörn Egner: Klaus Klettermaus kümmern läßt. und die anderen Tiere (27. 11. 67) Die Schauspieler sprechen langsam I: Charles Lang; B: Karl-Ernst Herrmann und leise, sicher manchmal zu_leise für die miserable Akustik des Bremer Hauses. John McGrath: Ereignisse beim Aber es darf hier nichts um ein Phon lauter Bewachen der Bofors-Kanone (12. 12. 67) sein. Wie die Retardation, die lastende Vor­ I: Hartmut Gehrke/Kurt Hübner; entschiedenheit, die drangvollen Pausen B: Wieland Heitmüller die Grundlage für die Zeitdimensionen die­ ser Inszenierung werden, so bestimmend Victorien Sardou: Cyprienne (22. 12. 67) wird fürs Sprechen eine nachdrückliche, I: Alfred Kirchner; B: Manfred Miller akzentuierte Leisheit der Diktion. Daran ist nichts manieriert, ganz im Gegenteil ist es Ballettabend (10. l. 68) verblüffend sinnfällig. Das ins Innere reti­ ML: Hellmut Wuest; Ch: Richard Adama; rierte Drama kann von dort aus nicht brül• B: Manfred Miller len. Da hockt es näher am Unsagbaren, als die Rodomontade in der Schiller-Sprache, Ferdinand Raimund: Der Bauer als in schlimmeren Fällen dahingeorgelt, je Millionär (3. 2. 68) glauben ließ. Introvertiertheit ist ja nicht 1: Hans Hollmann; selbstzufrieden, sie will ja gerade immer B: Karl-Ernst Herrmann aus ihrer Haut, nämlich anders werden. - 27 Michel Fermaud: Match (13. 2. 68) I: Joachim Preen; B: Manfred Miller

Wolfgang Amadeus Mozart: Die Hochzeit des Figaro (27. 2. 68) ML: Hans Wallat; I: Götz Friedrich; B: Karl-Ernst Herrmann

Kammerballette (7. 3. 68) Ch: Richard Adama; B: Manfred Miller

Wilfried Minks: Gewidmet: Friedrich dem Großen (9. 3. 68) I: RolfBecker/Kurt Hübner/ Charles Lang/Burkhard MauerI Joachim Preen; B: Wilfried Minks

Michael Stewart: Hallo Dolly (1. 4. 68) ML: Graziano Mandozzi; I: Erich Geiger; Gewidmet: Friedrich dem Großen B: Karl-Ernst Herrmann

Werner Egk: Der Revisor (17. 4. 68) ML: Hans Georg Schäfer; 1: Robert H. der Meinung, daß wir diese Stücke nur ver­ Pflanz!; B: Klaus Gelhaar gegenwärtigen können, wenn wir den Punkt ermittelt haben, an dem die Wahrheit, die Jan Makarius: Das Tor der Sonne der Dichter im Auge hatte, mit einer Wahr­ (23. 4. 68) heit zur Deckung zu bringen ist, die heute I: Charles Lang; B: Manfred Miller ebenso stimmt, wie sie damals gestimmt hat. (So muß auch die Formstruktur, die Peter Shaffer: Komödie im Dunkeln ein Stück instandgesetzt hat, seine Zeit zu (10. 5. 68) überdauern, in der modernen Form enthal­ I: Joachim Preen; ten sein, die wir ihm selbstverständlich B: Jürgen Uhlmann-Völge geben müssen.) Siegtried Melchinger Carl Millöcker: Der Bettelstudent (12. 5. 68) Frederick Knott: Bei Anruf Mord ML: Theodor Holterdorf; I: Alfred Kirchner; (19. 6. 68) B: Manfred Miller 1: Hartmut Gehrke; B: Wieland Heitmüller

Peter Handke: Kaspar (26. 5. 68) 1: ; B: Manfred Miller Richard Wagner: Lohengtin (29. 6. 68) ML: Hermann Michael; I: Wolfram Dehmel; Henrik Ibsen: Peer Gynt (7. 6. 68) B: Klaus Gelhaar I: Kurt Hübner; B: Wilfried Minks

Im Gegensatz zu Brecht, der, nach marxisti­ scher Geschichtsauffassung, forderte, daß PIELUIT 1968t69 die Stücke der Klassiker •historisiert<, also von unserer Zeit weg inszeniert werden /Bertolt Brecht: Aufstieg und müßten, und in ebenso entschiedenem Fall der Stadt Mahagonny (7. 9. 68) Gegensatz zu der heute grassierenden Vor­ 1: Rolf Becker; stellung, daß man mit den alten Texten B: Lambert Maria Wintersberger umspringen könne wie mit Schrott, bin ich 28 Gaetano Donizetti: Don Pasquale Sergej Michalkow: Sombrero (3. 2. 69) (17. 9. 68) 1: Charles Lang; B: Manfred Miller ML: Hans Wallat;I: Robert H. Pflanz!; B: Jürgen Uhlmann Richard Strauss: (18. 2. 69) Terence Frisby: Ein Mädchen in der ML: Hans Wallat; 1: Robert H. Pflanz!; Suppe (27. 9. 68) B: Herbert Kirchhoff I: Charles Lang; B: Manfred Miller Franz Lehär: Paganini (6. 3. 69) William Shakespeare: Komödie der ML: Theodor Holterdorf; 1: Alfred Kirchner; Irrungen (30. 9. 68) B: Jürgen Uhlmann I: Wilfried Minks/Kurt Hübner; B: Wilfried Minks Peter Terson:' Zicke-Zacke (9. 3 . 69) I: Joa chim Preen; B: Wilfried Minks George Bernard Shaw: Frau Warrens Gewe1·be (8. 10. 68) Saul O'Hara: Heiraten ist immer ein I: Joachim Preen; B: Manfred Miller Risiko (14. 3. 69) 1: Charles Lang; B: Manfred Miller Frederick Loewe: My Fair Lady (16. 10. 68) Aristophanes: Die Frauenvolksver­ ML: Theodor Holterdorf; I: Kar! Wesseler; sammlung (29. 3. 69, wurde nach B: Karl-Ernst Herrmann Diskussion der Premiere abgesetzt)

Giuseppe Verdi: Aida (21. 11. 68) Johann Wolfgang von Goethe: Torquato ML: Hans Wallat: 1: Michael Hampe; Tasso (30. 3. 69) B: Rudolf Heinrich 1: Peter Stein; B: Wilfried Minks

Bertolt Brecht: Das Leben des Galilei Die Theaterrevolution contra Goethe fand (25. 11. 68) erfolgreich statt. Die vielberufene und viel­ I: Hans Neuenfels; B: Manfred Miller geschmähte Bremer Respektlosigkeit vor den Klassikern schlug da nun als Ehren er­ David Mercer: Beleher im Glück klärung moderner Inszenierungswillkür (29. 11. 968) exemplarisch zu Buch. 1: Joachim Preen; B: Burkhard Mauer Der Münchner Regiegast Peter Stein zerlegte den Tasso nach allen Regeln par­ Jewgenij Schwarz: Die Schneekönigin odistischer Kunst. Er zerhackstückelte den (2. 12. 68) Text, goß ihn um und um und mixte die 1: Alfred Kirchner; B: Jürgen Uhlmann Besta ndteile planvoll wieder zusammen, um zu sehen, was dahintersteckt Blanke : Der Liebhaber/Georges Komik in hehren Blankversen ergab sich, Feydeau: Lauf doch nicht splitternackt fast erwartungsgemäß. herum (14. l. 69) Doch das Verfahren sollte nicht nur die 1: Burkhard Mauer (Pinter), Alfred üblichen Rachegefühle gelangweilter Bil­ Kirchner (Feydeau); B: Manfred Miller dungskonsumenten befriedigen. Es zielte genauer auf Entlarvung der Sprache und Martin Walser: Die Zimmerschlacht ihrer jetzt erwiesen leichtfertigen, ethisch (23. l. 69) oft geradezu rigorosen Redseligkeit. Und es I: Heinz Wilhelm Schwarz; karikierte die Thematik zeitbewußt mit dem B: Manfred Miller Effekt: Ein Schöngeist im •fürstlichen« Hause bietet noch keine Gewähr für huma­ Friedrich Schiller: Don Carlos (26. 1. 69) ne Gesinnung; am Geniewesen wird die I: Kurt Hübner; B: Wilfried Minks Welt schwerlich genesen. Die Figuren zeigen es wie im Schatten- 29 kabinett der sprichwörtlich »schwanken­ Giuseppe Verdi: (7. 9. 69) den Gestalten«. Wilfried Minks hat ihm ML: Hans Wallat; I: Wolfram Dehmel; unterkühlt neubarocken Putz mitgegeben: B: Manfred Miller knallgrüne Matten auf dem Boden, zwei, drei Stilmöbel dazu. Rings reflektiert drei­ (nach Carlo viertelhoch eine Plexiglasumrandung vor Goldoni): Das Kaffeehaus (UA 10. 9 . 69) schimmernden Goldwänden das Schein­ 1: /Rainer Werner Fassbinder; werferlicht. Ein Bilderrahmen ist das Büh• B: Wilfried Minks nenportal, Goethes Büste liegt vernachläs• sigt herum. Von grandioser Schlagkraft sind Kostüm!" Daneben zieht Torquato Tasso (Bruno und Bühne von Wilfried Minks: In der ,,1 1 Ganz) eigensinnig seine Posen ab, stolziert auf schl

Igor Strawinsky: The Rake's Progress Die Schauspieler bewegen sich und (6. 5. 69) chen meist sehr langsam: Sie entlass( ML: Hans Georg Schäfer; Wörter einzeln aus dem Mund \'llie 2 I: Wolfram Dehmel; B: Manfred Miller die nicht von ihnen stammen. Une Sätze sind von Fassbinder \'lliederu Patrick Hamilton: Gaslicht (14. 5. 69) geschrieben, als seien sie Zitate, die nicht I: Joachim Preen; B: Jürgen Uhlmann von ihm stammen: unregelmäßige, meist jambische Verse, eine ironische Pseudo­ Frank Loesser: Guys and Dolls (26. 5. 69) klassik, die sich über Klassik belustigt, ML: Graziano Mandozzi; I: Alfred Kirchner; Die Liebe ist reduziert auf die Liebe zum B: Walter Ernst SchwabiErich Wonder Geld, und jede genannte Summe \'llird sofort mündlich und durch ein laufendes Licht­ Rochelle Owens: Futz (OE 7. 6. 69) band auf der Bühne umgerechnet von I: Hartmut Gehrke; B: Wilfried Minks Zechinen in Dollar, Pfund und Mark- diese Devisenwechselrechnungen sind das Leit­ Ruggero Leoncavallo: Der Bajazzo/ motiv, und dies so penetrant, daß viele Pietro Mascagni: Cavalleria rusticana Zuschauer schließlich laut mitrechneten (17. 6. 69) und durch falsche Beträge die unerschüt­ ML: Hellmut Wuest; I: Manfred Scholl; terlichen Schauspieler irritieren wollten. B: Susanne Laskus-Raschig/ Georg Hensel Manfred Miller Jan Quackenbush: Inside Out (12, 9, 69) 1/B: Alois Michael Heigl

SPIELZEIT 1969/70 Curth Flatow: Das Geld liegt auf der Bank (15. 9. 69) Paul Burkhard: Feuerwerk (5. 9. 69) I: Joachim Preen; B: Manfred Miller ML: Hans Hofmann:!: Franticek Micka; B: Vladimir Nyvlt 30 Friedrich Dürrenmatt: Play Strindberg tigkeit kommt, an der die Kraft der alten (16. 9 . 69) Stoffe sich erprobt an dem Widerstand, den I/B: Michael Hampe unsere Zeiterfahrung gegen sie mobilisiert. Das ist vielleicht das Gemeinsame der drei Bediich Smetana: Die verkaufte Braut genarmten Inszenierungen, daß unsere (10. 10. 69) Erwartungen und unsere Hoffnungen da ML: Hans Georg Schäfer; I: Alfred nicht ein statisches Gegenüber der Bühne Kirchner; B: Susanne Laskus-Raschig bleiben, sondern auf der Bühne erschei­ nen, sich artikulierend und sich klärend als Kent Anderson: Sandkastenspiele Momente des Spiels im Spiel selber. (DE 26. 10. 69) Peter Iden I: Charles Lang; B: Manfred Miller Neil Simon:• Barfuß im Park (24. 11. 69) Jacques Offenbach: Pariser Leben I: Alfred Kirchner; B: Manfred Miller (29. 10. 69) ML: Theodor Holterdorf; I: Rayrnund Vogel; Harald Fraser-Simson/Alan Alexander B: Manfred Miller Milne: Der tolle Unk von Unkenburg (DE 29. 11. 69) William Shakespeare: Der Sturm I: Charles Lang; B: Manfred Miller (19. 11. 69) I: Klaus Michael Grüber; B: Wilfried Minks Johann Kresnik: Kriegsanleitung für Die Insel des Sturm ist die Insel des Bremer jedermann (UA 18. 1. 70) Theaters, ein ästhetisch verwunschener Ch: Joharm Kresnik; B: Erich Wonder Ort, wo es sich, den Konflikten der Zeit ent­ hoben, ein wenig schlafwandlerisch selber Die absurde Vorlage bildet das Buch Der feiert, hoffentlich nicht: um in Schönheit zu totale Widerstand. Kleinkriegsanleitung für sterben. Die Tendenz zum artifiziellen Dar­ jedermann, dessen Autor, ein gewisser stellungsstil ist vorangetrieben bis in die Majorvon Dach, Angehöriger des Schweizer Sprachbehandlung hinein, gedacht war Militärs ist. Kresnik nutzt die Vorlage, um wohl an eine durchgehende Musikalisie­ aktuell über die Verstrickung von Politik rung des gesprochenen Texts: Dafür liefer­ und Waffenindustrie nachzudenken. ten die exotischen Lautmalereien, die Cali­ Scheinbar naiv anmutende Bilder von Tän• ban und Miranda, immer im Hintergrund zern, die im Volltrikot mit Holzgewehren der Bühne irgendwo in den Sand gekuhlt, hantieren, bekommen durch die Unterle­ produzieren, ein bizarres Kopfstimmen­ gung mit Texten über den aktuellen Stand Cezirpe und Gegurre, das von dem unent­ deutscher Waffenproduktion so viel Bri­ wegten Surrton der Maultrommel des mit sanz, daß ein Gastspiel in Westberlin nur nacktem, bronzefarbenem Leib ruhig ein­ unter Polizeischutz stattfinden karm. herschreitenden Artel begleitet wird, die Anja von WitzZer grundierende Klangkulisse. Botho Strauß Edward Bond: Trauer zu früh (Early morning) (DE 31. l. 70) Mit diesem Entwurf defmiert das Bremer I/B: Wilfried Minks /Burkhard Mauer Theater in diesem Jahr zum dritten Mal an einem alten Stück jenen Schattenriß einer Max Frisch: Biografie (21. 2. 70) neuen Theaterästhetik, der zuerst in Peter I: Alfred Kirchner; B: Manfred Miller Steins Tasso-Inszenierung und darm wie­ der in Rainer Werner Fassbinders Bearbei­ Franz von Schönthan/Paul von Schön• tung von Goldanis Kaffeehaus sichtbar than: Der Raub der Sabinerinnen wurde. In dieser Versuchsreihe steht der (23. 2. 70) Sturm nun als jüngster Ansatz zu einem I: Joachim Preen; B: Manfred Miller Theater, das in seinen szenischen Formu­ lierungen auf eine Plastizität, eine Bildhaf- 31 Carsten Krüger/Volker Ludwig: Maximi­ SPIELZEIT 1970/71 lian P!eiferling (5. 3. 70) 1: Wilfried Grimpe; B: Manfred Miller Giuseppe Verdi: (6. 9. 70) ML: Hermann Michael; I: Bohu mil Sergej Prokofieff: Die Liebe zu den drei Herlischka; B: Erich Wonder Orangen (8. 3 . 70) ML: Hans Georg Schäfer; Stefan Zweig/Ben Jonson: Volpone 1: Wolfram Dehmel; (10. 9. 70) B: Manfred Miller /Dirk von Bodisco 1: Charles Lang: B: Wieland Heitmü ller

August Strindberg: Fräulein Julie Peter Yeldham: Auf und davon (1 5. 9 . 'i 1)1 (25. 3 . 70) I: Joachim f reen; B: Dirk von Bodisco 1: Hans Jürgen Rapprich/ChristofNel; B: Artur Laskus/Susanne Laskus­ Martin Starkie/Nevill Coghill /Rich1 Raschig/Walter Ernst Schwab Hili/ John Hawkins: Canterbury Tal• (DE 20. 9. 70) Hai Hester/Danny Apolinar: Tut was ihr ML: Richard Hili; 1: Alfred Kirchner: wollt (DE 5. 4. 70) B: Erich Wonder ML: Graziano Mandozzi; 1: Charles Lang; B: Wieland Heitmüller Rene de Obaldia: Der Verstorbene (4. 10. 70) Keith Waterhouse/Willis Hall: Hallo, 1: Günter Vierow; B: Erich Wonder wer dort? (15. 4. 70) 1: Ralph Bernhardt; B: Manfred Miller Maureen Duffy: Rituale oder Für Dru (4. 10. 70) Wolfgang Amadeus Mozart: 1: Kurt Hübner; B: Hans Könemund Die Zauberflöte (5. 5. 70) ML: Hans Wallat: I: Michael Hampe: B: Wolfgang Amadeus Mozart: Die Manfred Miller /Dirk von Bodisco Entführung aus dem Serail (14. 10. 70) ML: Hermann Michael; 1: Wolfram Dehmel: Philip King: Ich krieg' ihn schon B: Walter Ernst Schwab (13. 5. 70) 1: Alfred Kirchner: Pierrette Bruno: Pepsie (29. 10. 70) B: Susanne Laskus-Raschig I: Charles Lang; B: Manfred Miller

Oscar Wilde/Burkhard Mauer: Lord Lope de Vega/Rainer Werner Fassbin­ Artbur Saviles Verbrechen (24. 5. 70) der: Das brennende Dorf (UA 7. 11. 70) I: Burkhard Mauer; B: Erich Wonder I: Peer Raben; B: Wilfried Minks

Gotthold Ephraim Lessing: Nathan der Johann Kresnik: PIGasUS (UA 17. 11. 70) Weise (26. 5. 70) Ch: Johann Kresnik; B: Erich Wonder 1: Kurt Hübner; B: Wilfried Minks Barbara Krauss/Kurt Hübner Giacomo Puccini: Gianni Schicchi/ (nach Wilhelm Hauff): Der kleine Muck Igor Strawinsky: Oedipus Rex (15. 6. 70) (24. 11. 70) ML: Hans Georg Schäfer; 1: Wolfram 1: Hans Gerd Kübel; Dehmel; B: Walter Ernst Schwab B: Walter Ernst Schwab

Johann Kresnik: Frühling wurd' ... Engelbert Humperdinck: Hänsel und (UA 22. 6. 70) Gretel (29. 11. 70) Ch: Johann Kresnik; B: Erich Wonder ML: Helmut lmig; I: Manfred Scholl; B: Dagmar Schauherger 32 Hans Sahl: Der Preis (DE 4. 12. 70) gen Grübers an seinem Hause zuließ und I: Joachim Preen; B: Manfred Miller stützte, spricht einmal mehr für diesen Theatermann, den ein sozialdemokrati­ Robert Anderson: Ich versteh' kein scher breiDiseher Bildungssenator so gern Wort .. . (11. 12. 70) geschaßt sehen möchte und für den in I : FrantiSek Miska; B: Vladimir Nyvlt unseren staatlich-städtischen Bühnenbe• trieben auch sonst offenbar kein Platz zu Heinar Kipphardt: Sedanfeier (10. l. 71) sein scheint. I: Alfred Kirchner; B: Manfred Miller Peter Dannenberg

Anthony Shaffer: Revanche (22. l. 71) Gary William Friedman: Ich bin ich I: Charles Lang; B: Manfred Miller (DE 24. 4. ~1 ) I: Norman Foster; B: Manfred Miller Heinrich Henkel: Eisenwichser (29. l. 71) Richard Wagner: Die Walküre (22. 5. 71) I: Hilmar Bröcker; B: Manfred Miller ML: Hermann Michael; I: Wolfram Dehmel; B: Klau s Gelhaar Marieluise Fleißer: Pioniere in Ingotstadt (UA 31. l. 71) Giulio del Torre: Aus Mangel an I: Rainer Werner Fassbinder; B: Wilfried Beweisen (5. 6. 71) Minks/Burkhard Mauer I: Rudolf Debiel; B: Manfred Miller

Benjamin Britten: Albert Herring William Shakespeare/Martin Sperr: (2. 2. 71) Die Kunst der Zähmung (UA 6. 6. 71) ML: Hellmut Wuest; I: Wolfram Dehmel; I: Kurt Hübner; B: Wilfried Minks B: Manfred Miller Der Kündigungsbrief, den Bildungssenator Witold Gombrowicz: Yvonne, Prinzessin Moritz Thape ihrem Chef Kurt Hübner vor von Burgund (6. 2. 71) ein paar Tagen überraschend ins Haus I: Wilfried Minks; B: Wilfried Minks schickte. hat die Bremer Theaterleute glücklicherweise nicht verunsichert. Unbe­ Rainer Hachfeld: Mugnog-Kinder! irrt halten sie die Bühnen der Hansestadt (18. 3. 71) auch weiterhin auf jenem risikofreudigen I: Wilfried Grimpe; B: Dirk von Bodisco progressiven Kurs, der als •Bremer Stil• bereits in die Theatergeschichte eingegan­ Georges Feydeau: Der Floh im Ohr gen ist. (24. 3. 71) Zur Überprüfung aufheutige Gültigkeit I: Kurt Hübner /Charles Lang; nahmen sich die rigorosen Bremer diesmal B: Manfred Miller die populäre Komödie Der Widerspenstigen Zähmung vor, die im kleinsten deutschen Alban Berg: (8. 4 . 71) Bundesland erstmals in der Die Kunst der ML: Hermann Michael; I: Klaus Michael Zähmung betitelten, vom klassischen Origi­ Grüber ; B: Eduardo Arroyo nallediglich Fabel, Personal und dramatur­ Die Aufführung gehörte rechtens vor ein gischen Aufbau übernehmenden Textfas­ Großstadtpublikum, das mit dem Wozzeck sung von Martin Sperr aufgeführt wurde. vertrau t ist, während hier in Bremen, wo Kurt Hübner behielt trotz des Ärgers, man ziemliche Abstinenz dem neueren den ihm die übergeordnete Behörde zur Zeit musikalischen Theater gegenüber übt, bereitet, die Nerven: Die Aufführung der Bergs Oper zuvor nie gespielt wurde, so daß Kunst der Zähmung ist eine seiner besten die Zuschauer das Werk und seine höchst Bremer Regiearbeiten überhaupt. Hübner subjektive Auslegung zugleich kennenlern­ hat konsequent auf kühle, distanzierende ten. Daß Kurt Hübners wendige Liberalität Effekte gesetzt und damit das Stück sozu­ die schockierenden Publikums-Zumutun- sagen gegen den Strich gebürstet, die 33

Die Oper Wozzeck in Doppelbesetzung: mit Sängern und mit Schauspielern

Komik der Geschichte in eine dem Publi­ kum das Lachen im Halse ersterben lassen­ de Bösartigkeit getrieben und seiner von imponierendem Kunstverstand geprägten Inszenierung durch raffiniert ins Spiel gemischte ironische Brechungen den Reiz des Artifiziellen gesichert. Jürgen Althoff

Giftgrün changierend die Wände im Prosze­ nium, von farbigen Leuchtstoffröhren illu­ miniert, eine Rampe als Spielpodest, weißer Sand auf dem Boden und- als Hintergrund und Rückwand der Szene- die ins Riesen­ hafte vergrößerte Böcklinsche ToteninseL Sie ist repräsentativ für die an der Schwel­ le ihres eigenen Todes stehende bürgerliche Kunst, ihres auf Beschaulichkeit gerichte­ ten Lebensgefühls. Mit diesem Hintergrund war ironisch (und dialektisch) ein Signal gesetzt, das Signal zu einem Abgesang auf eine sich in ihren Übersteigerungen perver­ tierende gesellschaftliche Ordnung. Sperrs Trend bei der Bearbeitung des Anprobe für Yvonne: Wiifried Minks mit Shakespeare-Stoffes ist agitatorisch ge- Mechthild Grassmann 34 meint, auch er sucht durch Übersteigerung Giacomo Puccini: Manon Lescaut zu pervertieren. Sperr tastete allerdings das (22. 6 . 71) formale Gerüst des Stückes nicht an. Er ML: Hans Georg Schäfer; I: Wolfram veränderte durch Weglassen, durch Verein­ Dehmel; B: Walter Ernst Schwab fachen, durch Akzentverlagerung zugun­ sten einer nur noch eindeutigen, beißenden Günter Demin/Johann Kresnik: Ironisierung. Oie Sprache ist salopp, weni­ Jaromir (7. 7. 71) ger verwickelt als bei Shakespeare. Sie hat Ch: Johann Kresnik; B: Erich Wonder modernen Touch, doch das auf getragene, kunstvolle Weise. Erich Emigholz SPIELZEIT 197.1/72 Peter 0. Chotjewitz/Wladimir Majakowskij: Weltmeisterschaft im Richard Strauss: (11. 9. 71) Klassenkampf (UA 20. 6. 71) ML: Hermann Michael; I: Kurt Hübner; I: Klaus Michael Grüber; 8: Willried Minks B: Erich Wonder

Verblüffend immerhin bleibt Majakowskijs Selten genug tritt der Bremer Generalintf"n­ szenischer Ausgangspunkt: »Oberhalb des dant Kurt Hübner ans Regiepult der Oper. Nordpols, etwas außerhalb der Erde, wo die Tut er es, dann darf man gewiß sein, r <~f) Welt mit dem Pol auf dem Weltall ruht und (wie in seinen Schauspielinszenierun!' •r 1 seitlich von zwei Walrössern gestützt wer­ die Konvention unbemüht bleibt - in dt r den muß ... treffen sich die Überlebenden Konzeption wie im Detail. Seine Elelctra zur einiger Hochkulturen.« In Bremen benen­ Spielzeiteröffnung machte keine Ausnall­ nen Masken die Figuren eindeutig: Mao me. Schon das Bild ist ungewöhnlich: kein und Nixon, Papst Paul, der Schah von Per­ Mykene, keine archaischen Mauern, kein sien und Indira Gandhi sowie weitere Palast, dafür eine breite Dachterrasse; •Großunternehmer• lassen ebenfalls anwe­ gerahmt von nächtlich-violetten Zypressen sende Volksvertreter Knute und Verach­ und schmutzig-dunklem Marmor führt der tung spüren. Sie zwingen das Proletariat schütter bewachsene Weg hinauf zu zwei zum Bau einer Arche, auf der ein Klassen­ Säulen, auf denen aasgierige Geier hocken kampf ausbricht. Die großkopferte Brut, Der Blick schweift hinüber zu einer schwar­ gelegentlich mit Sozialismus und Kommu­ zen Toteninsel in Böcklins Manier, ruhend nismus kokettierend und paktierend. unter einem Himmel, zwischen dessen springt über die Klinge, während die •Unrei­ grauen Wolkenhaufen bedrohliche rote nen•, die Arbeitenden, der Weisung des Agi­ Flecken nisten. tators Jesus folgen: »Geht hin! Ergreift die Himmel und Wasser verschwinden im Welt mit allem Reichtum und herrscht Mittelteil des Werkes. Denn bei Hübnervoll• allein! Ihr sollt euch nicht unterwerfen, die zieht sich das Drama zwischen Abend und Erde soll euch untertan sein!« Über Himmel Morgen. Oie Übergänge zwischen Hell und und Hölle stürmen die Proletarier hinaus Dunkel, Nacht und Licht, die nach Hof­ und direkt ins Paradies der Arbeiter, in die mannsthals eigenen Worten das Wesen der Kommune: »Aufbricht der Heerbann der Elektra ausmachen und in der Musik auch Verdammten! Kette und Kerker sind zer­ deutlich genug vorgezeichnet sind, dienen schellt. Dankbar dem Werkvolk, dem ent­ als logisch konsequente, zudem span­ flammten, jauchzt heute die befreite Welt.« nungsfördernde Mittel. Mehr noch: Die Auf­ Zweifellos hat sich Kurt Hübner mit die­ führung wirkt wie ein Alptraum, reich an ser Inszenierung des Strehler-Assistenten gespenstischen Begebenheiten und Augen­ Grüber und seines Bühnenbildners Wil­ blicken lyrischen Gefühls. fried Minks eine weitere Laus in den Pelz Wie in der Szene Elektra-Aegisfu das gesetzt. Zumal im Text Bremer Zustände Rondohafte der Musik sichtbaren Aus­ deutlich benannt werden. druck fand. so glückte Hübner immer wie­ Hans-Eberhard Lex der die detailgetreue Übertragung des pla- 35 stischen Partiturbildes in szenische Aktio­ nen. Dabei folgte er dem immer erneut und immer heftiger gespannten Bogen bis zum mänadischen Freudentotentanz: ein Wie­ gen und Taumeln, Triumphieren und plötz• liches Zusammensacken. Simon Neubauer

Manos Hadjidakis: Ein Mädchen aus Piräus (16. 9. 71) ML: Graziano Mandozzi; I: Joachim Preen/Spyros Paitakis; B: Erich Wonder

William Shakespeare: King Lear (24. 9. 71) I: Hans-Georg Behr; B: Manfred Miller Wiifried Minks und Rainer Werner Dieter Forte: Martin Luther & Thomas Fassbinder Münzer (29. 9. 71) I: Charles Lang; B: Manfred Miller men, und da hat das Theater dann miti Eugene Labiche: Das Glück zu dritt gen. (12. 10. 71) Das hat dann dazu geführt, daß wir I/B: Alfred Kirchner /Günter die Dramaturgie von Schwanensee Vierow /Erwin Wirschaz kommen umgestaltet haben. Ich Schwanensee AG gemacht mit Yaak Giuseppe Verdi: (19. 10. 71) sunke. Wir haben gezeigt, daß die Sch· ML: Hellmut Wuest; I: Wolfram Dehmel; keine Schwäne mehr sind, sondern Fa B: Walter Ernst Schwab arbeiterinnen, und daß jeder einen Pri tanzen darf, wie er will. Das waren ! Jean-Bernard Luc/Jean-Pierre Conty: und wichtige Nebenerscheinungen, n Wann heiraten Sie meine Frau? der sogenannten Kulturrevolution. (6. 11. 71) Johann Kresnik I: Joachim Preen; B: Manfred Miller

Mit Schwanensee AG setzen wir die 1 Heinrich von Kleist: Der zerbrochene PIGasUSbegonnene Reihe der Bremer'l'h'l' Krug (9. 11. 71) ballette fort. Dier Zusatz •AG< verweis! :1 u I: Kurt Hübner; B: Wilfried Minks die Kulturindustrie, in deren Rahmen ·wi.l ' arbeiten. Johann Kresnik: Schwanensee AG Yaak Karsunke (UA 19. 11. 71) Ch: Johann Kresnik; B: Manfred Miller Ottfried Preußler: Der Räuber Hotzenplatz (28. 11. 71) 1968 war ja ein Aufbruch nicht nur in der I: Manfred Scholl; B: Dagmar Schauherger Kultur. Man hat sich gegen die Eltern gewehrt, gegen die nationalsozialistische Rainer Werner Fassbinder: Bremer Erziehung, gegen die vielen Übrigbleiber, ob Freiheit (10. 12. 71) das Lehrer waren oder der Ministerpräsi• I: Rainer Werner Fassbinder; dent Filbinger. Man wollte die einfach weg­ B: Wilfried Minks haben, man wollte sich befreien von den Eltern damals. Dann ging es gegen Viet­ In Bremen, wo Fassbinder seine Bremer nam, gegen die Atombombe, gegen die Not­ Freiheit selber inszenierte, waren die Ver­ standsgesetze. Es kam ziemlich viel zusam- brechen nur ein Ausdruck dafür, daß es 36

Die ganze Bühne ein Flüge[-jürJulius Cäsar

andere Ausdrucksmöglichkeiten nicht gibt. Cole Porter: Küss mich, Kätchen Mit anderen Worten: Das Stück formulierte (19. 1. 72) sich hier vorab außerhalb der Sprache, in ML: Peter Janssens; I: Heinrich Koch; gestisch und optisch sichtbar gemachten B: Manfred Miller Abhängigkeiten, in einer •Sprache<, in der der Körper mehr wußte, als die Lippen aus­ Georg Friedrich Händel: Julius Cäsar sprechen konnten. (6.2. 72) Hellmuth Karasek ML: Hermann Michael; 1: Klaus Michael Grüber; B: Wilfried Minks Marc-Gilbert Sauvajon: Tchao (18. 12. 71) Ein Publikumsskandal wie zu Peter Zadeks I: Peter Ries; B: Manfred Miller besten Zeiten, wieder vorgetragen von Leu­ ten, die das Bremer Theater, seinen Inten­ Albert Lortzing: Der Wildschütz (1. 1. 72) danten Kurt Hübner vor allen zu identifizie­ ML: Helmut lmig; 1: Wolfgang Bücker; ren glauben als Bürgerschreck. Nur dieses B: Manfred Miller Mal in der Oper. Als am Sonntag in Händels Julius Cäsar Cleopatra in Ketten gelegt, ihre Francis Veber: Der Kontrakt (15. 1. 72) Trauer und Verzweiflung in dunkel raunen­ 1: Charles Lang; B: Erich Wonder de Rezitative kleidete, knallten die Türen, andere verärgerte Opernfreunde klatschten dazu heftig Beifall, man härte brüllen 11Hüb- 37 ner raus!«, die Oper kam kurze Zeit nicht die ich bisher sah. Die Striche im TexT von der Stelle, szenische Details wurden betreffen bezeichnenderweise vor allem den höhnisch verlacht und auf Listen, die am Restbestand an politischer Debatte. Ausgang eigentlich dafür ausgelegt waren, Henning Rischbieter für Hübners Bleiben den Rücken zu dek­ ken, stand nun, in rüden Worten, das Avery Hopwood: Der Mustergatte genaue Gegenteil. (16. 3. 72) Das ist Publikumsreaktion im doppelt I: Joachim Preen; B: Manfred Miller erschreckenden Sinn: Einmal haben diese Leute offenbar nach wie vor, nach zehn Jacques Offenbach: Hoffmanns Jahren Hübner also, immer noch kein Erzählungen (31. 3. 72) Zutrauen gefaßt zu einem Intendanten, der ML: Helmut Imig; I: Wolfgang Dehmel; ungezählten Begabungen Arbeitsräume im B: Maja Lemcke Apparat frei gekämpft hat. Dann ist - das hängt damit zusammen- das angestamm­ Alonso Alegria: Die Überquerung te Opernpublikum, sind die Stimmfetischi­ des Niagara-Falls (21. 4 . 72) sten immer noch nicht bereit, Opernpro­ I: Reinhard Papula; duktion als dialektisches Vorhaben zu B: Manfred Miller akzeptieren. Es gilt das alles oder nichts, im Sinne von festgefügten Geschmacksurtei­ Jerome Kern: Show Boat (25. 4. 72) len, die totale Identifikation oder Ableh­ ML: Theodor Holterdorf; I: Manfred Sc nung. Die Inszenierungen müssen mit tra­ B: Manfred Miller ditionellen Vorstellungen identisch sein; der Betrieb treibt das ästhetische Mittel Helmut Walbert: Um den Turm heru leicht in die Konvention. (13. 5. 72) Jens Wendland I: Charles Lang; B: Manfred Miller

Rainer Hachfeld/Volker Ludwig: Leos Janäcek: Jenufa (20. 5. 72) Stokkerlok und Millipilli (7. 2. 72) ML: Hermann Michael; I: Wolfram Deh I: Wilfried Grimpe/Roland Schäfer; B: Erich Wonder B: Manfred Miller William Shakespeare: Was ihr wollt Friedrich Schiller: Maria Stuart (7. 3. 72) (16. 6. 72) I/B: Wilfried Minks I: Alfred Kirchner; B: Erich Wonder

Der Bühnenbildner, der einstmals Realität auftheatergemäße Weise ins Theater holte, indem er die Bühne als Realität nahm - er >PIELlEIT 1912/73 setzt jetzt die Bühne als irrealen Kunst­ raum. Er besetzt sie mit Zitaten aus der Giuseppe Verdi: Rigoletto (9. 9. 72) Kunstgeschichte: aus Spätgotik, Manieris­ ML: Hermann Michael; I: Walter Eichner: mus, Surrealismus. B: Manfred Miller Die Bedenkenlosigkeit, mit der von Emotion und Pathetik erfüllte Details aus August Strindberg: den Zusammenhängen von katholischer Die Gespenstersonate (10. 9 . 72) religiöser Sinnlichkeit gelöst und als auto­ I: Kurt Hübner; B: Christian Göbl nome Wirkungsmittel verbraucht werden - sie entspricht allerdings dem Schillersehen Franz Lehär: Die lustige Witwe (14. 9. 72) dramatischen Wirkungswillen und seinem ML: Hermann Emmerling; I: Günter Kalkül. Minks' Maria Stuart, so befremdlich Vierow/Johann Kresnik; B: Christian Göbl sie sich für ein traditionelles Schillerver- ständnis ausnehmen mag, ist •werktreuer< Peter Weiss: Hölderlin (26. 9. 72) als alle Inszenierungen des fatalen Stücks, I: Charles Lang; B: Christian Göbl 38 Claude Magnier: Herminie (28. 9. 72) man, Bernstein an Zappa, Kiesinger an l: Günter Vierow; B: Manfred Miller Ravel, und Heinos Lied »Wie ist die Welt so stille« wird von Babygeplärr zerhackt und in Charles Gounod: Margarethe (31. 10. 72) eine Fußballreportage übergeleitet. Darauf ML: Hermann Emmerling; setzt Kresnik die disparatesten Situati.o­ I: Wolfram Dehmel; B: Maja Lemcke nen. Er mischt Wienerwald-Idylle mit Tele­ show, kontrastiert Projektionen aus einer Alan Ayckbourn: Halbe Wahrheiten Hähnchenschlachterei mit einem sanft­ (9. 11. 72) erotischen Pas de deux, spielt mit Tüchern. l: Harald Nikelsky I Erwin Wirschaz; Fahnen und einem Kruzifix aus Schaum­ B: Manfred Miller stoff, läßt ein Mädchen einem Krüppel mit der Fahne clje Krücken wegschlagen und William Shakespeare: Troilus und das Ensemble mit Warenpaketen kopulie­ Cressida (18. 11. 72) ren. Auf eine Rolle vorwärts folgen klassi­ l: Kurt Hübner; B: Wilfried Minks sche double tours. auf Kriechformation ''J gymnastische Übungen oder revuemäßil • Kurt Hübner liest das Stück einerseits Hüpfen und Beineschlenkern. genauer, andererseits zögernder als Leinin­ Kresnik hat mit den Traktaten sein t ger u nd Neuenfels. Seine Interpretation lang vermutlich bestes Werk geschaff beachtet den Völkerkrieg, den Zusammen­ eine schöne, lockere, äußerst unterhalt prall wirtschaftlicher und machtpolitischer me, bissige politische Tanzrevue, die : Interessen zwischen der griechischen dem Weg zu einem gesellschaftlich relev; Union und der kleinasiatischen Kolonie, sie teren Ballett einen guten Schritt vo1 erkennt die politische Argumentationsfä• bedeutet. higkeit des Ulysses und die moralische Jochen Schmidt Hektars, vor allem enthält sie den- im Ver­ gleich dreier Lesarten - stärksten Hinweis Roger Vitrac/Jean Anouilh: Victor oder auf die Zentralstellung der Liebesgeschich­ Die Kinder an der Macht ( 17. 1. 73) te von Troilus und Cressida als Shake- I: Günter Vierow; B: Dagmar Schauherger speares grausamster Beweisführung für seine Welt-Anschauung. Ken Campbell: Fazz und Zwoo (22. l. 73) Wi1he1m Ste.ffens I: Karl-Heinz Wenzel; B: Annette Ganders

Astrid Lindgren: Pippi Langstrumpf Johann Nestroy: Das Mädl aus der (29. 11. 72) Vorstadt (25. 1. 73) I: Manfred Scholl; B: Maja Lemcke 1: Hanns Menninger; B: Manfred Miller

Gaetano Donizetti: Der Liebestrank Wolfgang Amadeus Mozart: Cosi fan (1. l. 73) tutte (10. 2. 73) ML: Hellmut Wuest; I: Wolfram Dehmel; ML: Hermann Michael; 1: Manfred Scholl: B: Anette Schad B: Maja Lemcke

Johann Kresnik: Traktate (UA 10. l. 973) Christopher Hampton: Der Menschen­ Ch: Johann Kresnik; B: Manfred Miller freund (28. 2. 73) I: Peter Ries; B: Manfred Miller Bremens Ballettchef Johann Kresnik be­ zeichnet die Traktate nicht als ein Ballett, Friedrich Schiller: Die Verschwörung sondern als »choreographisches Theater« - des Fiesko zu Genua (6. 3. 73) was meint, daß die Bewegung kein Selbst­ 1: Peer Raben; B: Christian Göbl zweck ist, sondern derTanz nur dazu dient, Inhalte zu vermitteln; nicht der Stil, die In­ Irmgard Keun: Das kunstseidene halte sind es, auf die es Kresnik ankommt. Mädchen (UA 18. 3 . 73) Die Musikcollage reiht Mahler an Good- l: Charles Lang; B: Dagmar Schauherger 39 Richard Wagner: Tannhäuser (25. 3. 73) den Stuhl, das Mikrofon und ein frisches ML: Hermann Michael; I: Wolfram Dehmel; Band, um es zu besprechen. Er bellt sein B: Erich Wonder Diktat mit hoher Stimme, doch hält es ibn nicht lange auf dem Stuhl - das Mikrofon Fran~roise Dorin: Oh, diese Männer wie ein Schnulzensänger in der Hand. das (13. 4. 73) Kabel hinter sich herziehend und werfe nd , I: Erwin Wirschaz/Harald Nikelsky; tanzt er sich dreißig Jahre zurück, und rni t B: Manfred Miller den Armen rudernd, mit den Füßen stamp­ fend, brüllt er: ••Einmal war nicht genug für Ernst Toller: Der entfesselte Wotan dich!«- es ist die lauteste Stelle der Auffüh­ (28.4. 73) rung: die Bitterkeit des damals versäumtei L I: Günter Vierow; B: Wilfried Minks Glücks. Er schleudert die Spule weg, die e1 Samuel Beckett: Das letzte Band besprochen hat, er will sich nicht (24. 5. 73) äußern, er will nur noch hören. Er sr I/B: Klaus Michael Grüber das alte Tonband ein mit dem Mäd( dem Nachen und dem Schilf- die glücl< Minetti umkreist seine frühere Existenz­ Stelle im unbegriffenen Leben, und sü schicht, als sei sie abgelöst wie eine Schlan­ hört er sich ganz im Sitzen an: offenen I genhaut, mit tänzelnden Schritten, und des, Kontrollhaltung, lauschend. wenn er sich an diesen dreißigJahrejünge• Mund schnappt lautlos nach Luft, er ren Krapp erinnert, so mit dem ganzen Kör• ab, der Vorhang öffnet sich über der t per. Minettis Krapp steht, geht, läuft, Hinterbühne, und dort wird dieser Ii schlendert, tänzelt, tanzt, hockt, liegt, zur Silhouette und verschwindet- nie kriecht, und nur selten sitzt er. Dunkeln, sondern im gleißenden Lieh Wenn Minettis Krapp die glückliche Georg Hensel Stelle im unbegriffenen Leben sucht, das Mädchen im Nachen, »mein Gesicht in Harold Pinter: Die Geburtstagsfeier ihren Brüsten und meine Hand auf ihr«, ist (l. 6. 73) er schräg an den Tisch gelehnt, die Knie I: Peter Ries; B: Christian Göbl gebeugt, und wenn sich der Nachen der Erinnerung bewegt, sitzt er in der Hocke, Ferdinand Bruckner: Krankheit der wippt in den Knien, bis er umfällt, hinge­ Jugend (8. 6 . 73) streckt vom Glücke: ••Nie erlebte ich solche I: Peer Raben; B: Dagmar Schauherger Stille.« Jetzt erst - nach einer Stunde -läuft er nach hinten und holt von der Hinterbühne 40 111. BERLI N 1973- 1986

Die Schauspieler FaulAdler Peter Doering Siegfried Grönig Thomas Kasten Anselm Alberty Sabi Dorr Bernd Grosser Günther Kaufmann Peter Anseistetter Jürgen Draeger Max Grothusen Franz Keller Claus-Uii Bader Kari-Heinz Drähn Wolfgang Gruner Joachim Kemmer Pit Bajorat Herbert Dubrow Alexandre Guini PeterKern Hanns Otto Ball George Duval Manfred Günther Siegfried Kernen Wolfgang Bathke Hans-Eckart Eckhardt Godwin Guobacka Wolfgang Bauer Otto Edelmann Boris Guradz~ Hans Klaus Sebastian Baur Werner Eggenhafer Matthias Habich Burghart Klaußner Helmuth Bautzmann Christoph Eichhorn Nikolaus Haenel Klaus Knittel Andreas Becker Werner Eichhorn Harry Hafemeier Stephan Koch Friedlich Georg Buddy Elias Richard Haller Uwe-Karsten Kocl 1 Beckhaus Helmut Erfurth Hans W. Hamacher Wolfram Koch Hubertus Bengsch Gunter Fährmann NickHändel Thomas Köhler Franz Blauensteiner Hermann Faltis Erich Harrsen Christian Kohlun Bliese Joachim Benno Felling Ulrich Haß Friedrich Koland< Ulrich von Bock Reinhard Firchow 0. E. Hasse Erhard Kölsch Franz Boehm Günter Fischer Benno Hattesen Ernst Konarek Karlheinz Böhm Titus Fischer-Fels Ullrich Haupt Boris Koneczny Toni Böhm Peter Fitz Arno E. Hausen Hans-Peter Korff UweBohm Guido Föhrweißer Eberhard Heimann Jens Korn Peter Bongartz Dietrich Frauboes Ferdinand Held-Magney Lajos Kovacs Jürgen Born Erik Frey Uwe Helfrich Heinrich Kraus Dieter Borsehe Thomas Frey Hannes Hellmann Werner Kreindl Günter Bothur Peter Fricke Hans Helwig Fred Kretzer Rudolf Brand Andräs Fricsay Günther Hennemann Randolf Kronberg Martin Brandt Daniel Friedrich Toni Herbert Franz-Otto Krüger Horst Breitenfeld Rain er Friedrichsen Ralf Herforth Hans Gerd Kübel Gottfried Breitfuß Uwe Friedlichsen Wolfgang Hieke Jochen Kuh! Fred Buchalsky Hans-Jürgen Frintrop Helmut Hildebrand Ulrich Kuhlmann 0. A. Buck Matthias Fuchs Hans Hinrich Konrad Kuhn Manuel Bullinger Jörg Gade Hans Hirschmüller Gerd Kunath Mathias Burczyk Niecola Gallino Klaus-Dieter Hoffmann Peter Kybart Gert Burkard Franz Gary Klaus Höhne Günter Lamprechl Hans-Werner Peter Gavajda Will Hollers Dieter Laser Bussinger Jan George JörgHolm Curt Lauermann Peter Chatel Werner Gerber Peter Höner Richard Lauffen Roberto Ciulli Gerhard Giesecke Andreas Hosang Hermann Lause Rudi Clasen Hannes Gillming Kar! Höss Joachim Lautenbach Wolfgang Condrus Heinrich Giskes Ulrich Huber Manuel Lebrecht Klaus Dahlen Frank Glaubrecht Bruno Hübner Dennis Bauer Werner Dahms Vadim Glowna KurtHübner Friedhelm Lehmann Bruno Dallansky Rainer Goernemann Ernst Jacobi Peter Lerchbaumer Dirk Dautzenberg Walter Gottschow Malte Jaeger Fritz Lichtenhahn Gerd David Christoph Gottwald Hannes Jaenicke Heinz Lieven Michael Deckner Roman Gottwald Kurt Jaggberg Jakob Likhtman Michael Degen Klaus-PeterGrap Eduard Linkers Hans Diehl Alexander Grill Harald Juhnke Erik von Loewis Robert Dietl Herbert Grönemeyer Holger Kass Ralph Lothar 41 Josef Loubeck Klaus Pohl Franz Schaiheitlin Fritz Tillmann Andrew Lucas Klaus-Dieter Pohl Ralf Schermuly Albert Tisal Andy Lucas Andreas Poppe Peter Schiff Christian Toberentz Werner Lustig Erich Parernski Wolf Schilhab Hermann Treusch Helmfried von Lüttichau Friedrich-Kar! Henning Schlüter Heinz Trixner Kurt Lutz Praetorius Olaf Schmidt Georg Tryphon Hans Mactin Volker Prechtel Willl Schmitt Walter Tschernich Hans Mahnke Dieter Prochnow Christian Schneller Max Volkert Martens Herbert Propst Sascha Scholl Stefan Viering Rain er Martens Johannes Pump Rene Schönenherger Thorsten Voges Hans Martin Hans-Jürgen Purrte Jürgen Schornagel Rüdiger Vogler Ulrich Matschoß Christian Quadflieg Michael A. ~chotten- Charles Hans Vof Dietrich Mattausch Will Quadflieg berg Nikol Voigtländer Boris Mattern Christoph Quest Hugo Sehrader Markus Völlenkle Volkert Matzen Kurt Raab Ernst Sehröder Gottfried Vollmer Martin May Peer Raben Jochen Schroeder Karl-Heinz Vosge: Karl-Heinz Meienburg Michael Rasche Alexander Wagne Heinz Meier Anton Rattinger George Schulz Axel Wagner Manfred Meihöfer Stefan Reck Kar! Schulz Friedrich Michael Günter Meincke Frank Redieß Wolfgang Schumacher Jürgen Wallraff Krikor Mellkyan Christian Red! Matthias Schuster Tomoya Watanab AntonMell Willi Ress Manfred Schuppli Eberhard Wechse Rudolf Meurer Wolf Richards Johannes Schwarz Hans Wehr! Wilhelm Meyer llja Richter Bernd Seebacher Herbert Weissbac Kare! Militzer Ralph Richter Kar! Sibold Günther Werner Bernhard Minetti Ronald Richter Stefan-Dan Sloboda Marcel Werner RolfMöbius Lutz Riede! Klaus-Dieter Söder Charly Wesseler William Mockridge Gerhard Riedmann Stanislaus Solotar Stefan Wieland Kurt Mühlhardt Walter Riss Adolph Spalinger Peter von Wiese Karl-Heinz Müller Christian Rode Kar! Spanner Ulrich WildgrubeJ Roger Murbach Peter Roggisch Rainer Will Norbert Muzzulini Volker Roos Martin Sperr Erwin Wirschatz Justus Neumann Martin Rosen Helmut Stauss Hans-Jürgen Wo! Niko Michael von Raspatt Franz-Georg Stegers Stuart Wolfe Rudolf Nimbach Brian Roters Klaus Steiger Thomas Wolff BertNorden Claude-Oliver Rudolph Sigfrit Steiner Engelbert von Rainer Rudolph OliverStritzel Hans Wyprächtiger Nordhausen Salome Franz Suhrada Hajo Zörner Uwe-Jens Pape Otto Sander Hubert Suschka Bruno Zumelli Martin Peter Heribert Sasse Günter Tabor Mark Zurmühle Friedlich Plate Peter Sattmann Michael Tanneberger Rudolf Platte Wolfram Schaerf OttoTausig 42 Die Schauspielerinnen Kerstin de Ahna Marina Genschow Elisabeth Schwarz UschiAlexa Christirre Gerlach Christel Mayer Libgart Schwarz Dagmar Altrichter Gerda Gmelin Susanne Meierhafer Armelatte Sees Susanne Altschul Gabfiele Graca Gerda Meissner Hanna Seiffert ClaudiaAmm Jutta Graeb Stefanie Meurer Heide Sirnon Ilse Bahrs April Hailer Anina Michalski Jutta Sivert Doris Baldini Gustl Halenke Anita Mickl Klaramaria Skala Helga Ballhaus Edelgard Hansen Brigitte Mira Helga Sloop Monika Barth Monika Hansen Magdalena Montezuma Christirre Sohn Veronika Bayer Ada Hecht Barbara Morawitcz Krista Stad! er Nora Bendig Nicole Heesters Georgia Möwe Sinaida Stanley Ulla Berkewicz Inge Herbrecht Annelotte Much Renate Steiger Christa Berndl lrm Hermann Uta Müller-Frank Corinna Stein Antje Berneker Hendrike Heyse Karin Mumm Elisabeth von Stepand1 Christirre Bessler Jutta Hoffmann Lieselatte Natusius Brigitte Stockmann Julia Biedermann Hannelore Hager Latte Neumayer Lena Stolze Maria Bill Nina Hager Elvira Neustädtl Brigitte Strohbauer Monica Bleibtreu Melanie Horeschovsky Rotraut de Neve Katharina Thaibach Uschi Bour Patricia Hyzdal Thea Thiele Kathaiina Brauren Käte Jaenicke Ruth Olafsdottir Angelika Thomas Gisela-Hedy Bretting Brigitte Janner Dagmar Papula Olga von Togni Andrea Brix llona Januschewski Zazie de Paris Cordula Trantow Rose Brotherton Beate Jensen Edda Pastor Susanne Tremper Claudia Brunnert Gretel Jochmann Philine Peters-Arnolds Angela Suddecke Hansi Jochmann Barbara Petritsch Helene Tschiemer Verena Buss Sabine Kaack Carmen Plate Katharina Tüschen Janet Calvert Tarnara Kafka Franziska Ponitz Ute Uellner Margit Carstensen Friedertka Kammer Christine Prober Ellen Umlauf Margot Clasen Johanna Kari-Lory Elisabeth Rath Hilde Volk Madeleine Clivana Brigitte Karner Marion Reck Erika Wackernagel Donna Cohn Inge Keller Ebba Reiter Eisa Weier Erika Dannhoff Pola Kinski Anouschka Renzi Prudence Weir ConnyDiem Claire Kluthe Ilse Ritter Karin Werner Nina Dittbrenner Hanna Köhler Helga Roloff Dorothea Wieck Christirre Dorner lmogen Kogge Armeliese Römer Elisabeth Wiedemann MonikaDrux Gabriele Kopietz Karen Roschild Eva Will-Garden Therese Dürrenherger Beate Kopp Elfriede Rückert Ulla Willinck Elisabeth Ebeling Ute Koska KatjaRupe Sofie Engelke Gordana Kossanoviä Henriette Salomon Martha Winklmayr EllenEsser Maria Krahn Tana Schanzara Susanna Wisten Gisela Fackeldey Maria Krasna ImmySchell Christirre Wodetzky Friede! Falke Helga Krauss Maria Schell Elfi Wolf Karina Fallenstein Elisabeth Kreuzer Ria Schindler Michaela Wolko Hendrikje Fitz KarirrKunde Katrin Schlegel Inge Wollfberg Veronika Fitz Elfriede Kuzmany Sandra Schmidke Rose! Zech Christirre Flegel Regine Lamster Lili Schoenborn Ingeborg Ziemendorf Maria Frauenlob Helga Lehner Klara Schramm Barbara Frey Regina Lemnitz Hildegard Schroedter Beatrice Frey EvaLissa Eva Schuckardt EnziFuchs Sona MacDonald Armemarie Schüler Marketta Gasper Marie-Luise Marjan Charlotte Schwab 43

SPIELZEIT 1973/74 Margit: Vielleicht ist es eher so, daß all e William Shakespeare: Macbeth erwarten, daß sie ein Kind kliegt. (12. 10. 73) Karlheinz Böhm: Ja, das ist sicher ein I. Kurt Hübner; B: Chiistian Göbl unterschwelliges Moment bei der Tante, Tesman und Brack. Edmond Rostand: Cyrano von Bergerac Margit: Ein reines Unterdrückungsmo• (20. 11. 73) ment. I/B: Wilfiied Minks Rainer: Die Haltung der Leute zu dem Kind ist unterschiedlich. Für Tesman wäre Henrik Ibsen: Hedda Gabler (21. 12. 73) ein Kind das Tollste, die totale Um 'c:t· I: Rainer Werner Fassbinder; B: Kurt drückung von Hedda. Raab/Rainer Werner Fassbinder Gespräch in der Probenzeit

Margit Carstensen: Eigentlich habe ich erst Federico Garcia Lorca: Mariana Pin• seit der Regie von Ingmar Bergman Indi­ (9.2. 74) zien für die Schwangerschaft von Hedda 1/B: Wilflied Minks gefunden. Rainer Werner Fassbinder: Ein Kind würde Carlo Goldoni: Der Diener zweier Ht für sie bedeuten, daß sie das Spiel auf (8. 3. 74) der ganzen Linie verloren hat, die Frei­ 1: Roberto Ciulli; B: Gralf-Edzard Habl heit, ein Spiel zu spielen.

Links Eva Mattes (Frau Elvsted}, Margit Carstensen (Hedda Gabler) 44

Eiszeit: O.E. Hasse (Knut Hamsun}, Ulrich Wildgruber (Oswald)

Tennessee Williams: Endstation Sehn­ langer Zeit noch nicht möglich gewesen, sucht (11. 7. 74) weil es dauernd Tabus verletzt hätte. Ich I: Charles Lang; B: Dagmar Schauherger war sehr glücklich, daß das Publikum gelacht hat, weil es über 1ypisch Jüdisches gelacht hat. Ich finde Philosemitismus - in einem schlimmen Sinne - genauso gefähr• SPIEHEll 1974/75 lich wie Antisemitismus -jetzt immer vom deutschen Standpunkt aus. Solange das Tankred Dorst: Eiszeit (10. 9. 74) ganz Besondere dieses Volkes und dieser I: Peter Zadek; B: Götz Loepelmann Rasse so im Vordergrund steht, daß man immer eine besondere •Schaltung• braucht, Peter Shaffer: Equus (21. 11. 7 4) um sich mit ihm auseinanderzusetzen. so I. Kurt Hübner; B: Kurt Hübner I lange sind wir mit der Bewältigung der Ver­ Burkhard Mauer gangenheit nicht fertig. Helmut Käutner Jean-Claude Grumberg: Dreyfus (22. l. 75) Edoardo de Filippo: Samstag Sonntag I/B: Helmut Käutner Montag (25. 3. 75) I/B: Filippo Sanjust Das Stück gibt Gelegenheit, dem Publikum zu zeigen, daß wir heute schon wieder in der William Shakespeare: Romeo und Julia Lage sind und sein sollten, uns mit dem (23. 6 . 75) Problem des Judentums, mit dem rassi­ I: Kurt Hübner; B: Götz Loepelmann schen, unbefangen zu beschäftigen. Viel­ leicht wäre ein solches Stück vor nicht allzu 45 SPIELZEIT 1975/76 Saufen wacker und tapfer durch das l. - Weltkrieg-Bühnengeschehen kämpft. Ernst Moliere: Schule der Frauen (8. 10. 75) Konarek als Schwejk, verschmitzt, listig I: Kurt Hübner: B: Hans Kleber und seinem Oberleutnant Lukasch (Heri­ bert Sasse) rührend treu ergeben, ist, wenn Brendan Behan: Die Geisel (22. 11. 75) man ihn läßt. schon eine handlungsbestim­ I: Peter Zadek; B: Wilfried Minks mende Figur, und in den wenigen stillen Momenten der Aufführung fragt sich der Christa Winsloe: Mädchen in Uniform Betrachter, ob es mit weniger AufWand nicht (5 .3. 76) vielleicht einleuchtender geworden wäre. I: Hartmut Gehrke; B. Johannes Schütz Isabella Link-Herskovics

Johann Nestroy: Höllenangst (23. 4. 76) Wolfgang Deichsel: Loch im Kopp I: Kurt Hübner; B: Götz Loepelmann (19. 3. 77) I: Kurt Hübner; B: Eberhard Matthies

Tirso de Molina/Knut Boeser: Don t SPIELZEIT 1976/77 von den grünen Hosen (4. 6. 77) I/B: Hans Gratzer Heinrich von Kleist: Das Käthchen von Heilbronn (28. 9. 76) Die Volksbühne, eingezwängt zwischer I: Kurt Hübner; B: Eberhard Matthies manenter Unterfinanzierul)g und Wünschen des Vereins, dem sie •gehör1 Christian Kohlund spielt die im Grunde in der letzten Spielzeit jene Art von •\ vom Blatt unspielbare Rolle des Ritters vom theater<, die Kurt Hübner als Lösun Strahl. Er kann Kleists vertrackte Wunder­ eine im Grunde falsche, weil über passagen männlich zitieren. Er ist ritter­ Theaterkonstruktion ansieht, ehre1 lich. Da horcht man natürlich auf, ist man vertreten und im Fall des von Hans Gr lange Strecken glücklich. und seiner Wiener Truppe einstudi In der Titelrolle: Susanne AltschuL Don Gil von den grünen Hosen sogar E Auch ihr gelingt die naive Faszination der und erfolgreich zugleich. Käthchen-Gestalt. Sie rührt, wird aber rüh­ Roland H. Wiegenstein rend oder gar niedlich nie. Sie steht fest in der Figur, ist noch ganz ohne Routine, aber sicher und auf eine interessante Weise robust. Auch sie kann die klaren Schachtel­ •PIELZEIT 1977!78 sätze dieser Zaubersprache durchaus ver­ lauten. Da staunt man wieder. Es gibt also Gerhart Hauptmann: Die Ratten noch Talente. (1. 10. 77) Friedrich Luft I: Rudolf Noelte; B: Walter Dörfler

Jaroslav Hasek: Schwejk (15. l. 77) Dieser Abend in der Freien Volksbühne zu I: Kar! Paryla; B: Otto Franz Reihs Berlin wird Folgen haben. Rudolf Noelte dürfte mit dieser Inszenierung der Ratten so Man kann Kar! Paryla nicht vorwerfen, daß etwas wie eine neue Ägide, einen n euen zu wenig auf der Bühne geschieht, eher, Schub für einen weiteren Durchlauf der daß ein •Zuviel< bedauerlicherweise die Hauptmannstücke eingeleitet haben. Anstrengung allzu deutlich vor Augen Wie bringt Noelte dieses Glück der führt, mit der hier ans Werk gegangen Erneuerung zustande? Indem er den wurde. Das gilt auch für das zahlenmäßig Schauspieler voll wieder einsetzt in seine große Schauspieleraufgebot der Offiziere, Rechte. Er läßt die Rollen, von denen dies Soldaten und Zivilbevölkerung, das sich Berliner Kasernenstück krabbelt und wim­ mit Strammstehen, Platzpatronen und melt, ausspielen. Er läßt Schauspieler-Per- 46 sönlichkeiten leuchten und atmen. Kein Mime sonst - hier dagegen stellte er das, Drtll. Inszenatorische Bevormundung ist was an Erfahrung und Sicherheit in sol­ nicht zu bemerken. Er läßt seine Spieler chem Vorgehen auch erworben wird, in den spielen. Und es stellt sich herrlich heraus, Dienst der Figur. Denn auch in den Bon­ daß wir immer noch Spieler haben, die den mots, lronien und Zynismen Jasons ließ magischen Akt der Verwandlung leisten Degen noch die Selbstverletzung. in den können. Noelte hat sie gefunden. Grimassen noch die Leidenschaft mitwirk­ Der Rezensent, will er nicht u ngerecht sam werden. Er agierte bühnenherrschend, werden, müßte den ganzen Zettel der elegant noch im Hinken und im Lümmeln, Gestalten lobend mit Ausrufezeichen der aber doch nicht selbstzweckhaft, sondern Bewunderung versehen. Nicht nur, daß Will auch er im Dienste der Figur. Quadflieg sicher der beste, komischste und Henniqg Rischbieter fragwürdigste Hassenreuter ist. den man je erlebte, er prägt eine Schmierantenfigur mit Christian Dietrich Grabbe: Scherz, wunderbar kühlen, intelligenten, mit total Satire, Ironie und tiefere Bedeutung unverschmierten Mittein. Man lacht dau­ (l. 5 . 78) ernd. Und er bricht einem das Herz, stän• I: Friedrich Beyer; B: Eberhard Matthies dig. Ein eitler Mensch in Not. Nicht nur, daß Cordula Trantow, das verirrte Muttertier, die proletarische Niobe mit scheinbar ganz einfachen Mitteln spielt SPIELZEIT 1978/79 und erfüllt. Erst denkt man noch: Die ist ja viel zu jung! Das steht ihr noch nicht zu. Dario Fo: Bezahlt wird nicht! (19. 9. 78) Dann erspielt sie gerade aus dieser Jugend I/B: Roland Schäfer alle vitalen Verirrungen und Krankheiten, alle kranke Not an der Mütterlichkeit. Man Anton Tschechow: Platonow (16. 12. 78) staunt. Man genießt. I: ; B: Uwe Oelkers Das geht bis in die Chargen. Alle sind gewogen. Niemand ist un~eres Interesses Henrik Ibsen: Die Wildente (17. 2. 79) für zu leicht befunden. Alle leuchten, stöh• I: RudolfNoelte; B: H. W. Lennewelt nen, lachen, irren. Um jeden, auch den scheinbar verwerflichsten, bildet sich Hier wird, was im Buche steht, nur bis zur Hauptmanns heimlicher Heiligenschein der letzten, grausig-komischen Konsequenz Menschlichkeit. Sein alter Schicksalskos­ ausgespielt. Noelte verfährt, auch in der mos ist endlich wieder in ausgleichender Tragikomödie, mit jenem Ernst, der eher Bewegung. der Tragödie als der schnell wirksamen Friedrich Luft Komödie zugewandt ist. So scheint sich das Stück auf diese kon­ Gotthold Ephraim Lessing: Nathan der sequente Weise neu zu öffnen. Es gewinnt Weise (3. 12. 77) eine schier unerträgliche Entsetzlichkeit. I: Kurt Hübner; B: Eberhard Matthies Die alten Regeln der klassischen Tragödie, deren letzter Vollstrecker lbsen ja in Wahr­ Reinhard Baumgart: Jettehen Geberts heit war, gelten: Jeder hat recht auf seine Geschichte (UA 4. 3. 78) Weise. Und weil er recht hat, muß es so I: Horst Zank!; B: Hans Kleber schlimm, wie es im tiefsten Grunde ist, füg• lieh werden. Daß Glownas Schauspielkunst auch noch Da ist keine Figur verzogen oder insze­ im scheinbar Dumpfen und Stumpfen Teil­ natorisch falsch gehätschelt. Jede Spielfi­ nahme, Schmerz, aber auch Hochmut aus­ gur spielt ihr Recht vor. Keiner werden drückt, ist vielleicht von meinen Kollegen Fransen angesetzt. Werner Kreindl gibt den Kritikern übersehen worden, weil Michael faulen Kopp von Fotografen nicht in jener Degen, der Jason-Darsteller, gradvon der Jämmerlichkeit, die ihm andere Regisseure anderen Seite kommt: eher ein routinierter anhaften. Kreindl ist jämmerlich. Aber er ist 47

Platonow mit dem Pferdedieb Ossip auf dem Tisch: Klaus Poht

es ständig aus Unschuld oder Not. Er will Noelte läßt keine der Stückpersonen den nur sein Glück, auch wenn das Illusion ist. erhobenen Zeigefinger tragen. Hier iiTen Noelte verwarnt auch die Figur des jun­ alle. Alle sind faule Köppe, falsch lebend. gen, irrigen Weltverbesserers Gregers Werle Aber der •Gerechte< unter ihnen ist der nicht unziemlich. Er setzt sie nicht herab. Ungerechteste von allen. Das wird erwiesen Peter Fricke spielt diesen großen Prinzi­ am Text. Es wird nie voreilig demonstriert. pienreiter mit einer blauäugig ernsthaften Also: wieder eine Noeltesche Neuentdek­ Milde. Gerade dadurch gewinnt diese Figur kung eines nahen Klassikers mit sicher ihre Schrecklichkeit. Rudolf Platte, als der sehr konservativen, stücktreuen, grandios alte, längst erniedrigte und tief getretene spielerischen Mitteln. Ekdal, darf die schlurfende Studie einer Friedrich Luft schon vollendeten Anpassung geben. Platte ist grandios in seiner ärmlichen Leidens­ Der wahre Vorgang, den die Akteure auf der kraft. großmächtig ausholenden Bühne nur Veronika Fitz, als des armseligen Le­ abschreiten, findet zwischen dem Regis­ benslügners und Fotografen Frau, holt eine seur und dem Autor als Meta-Theater statt. sanfte, neue Kraft aus dieser Rolle der gro­ Dabei wird sichtbar. daß die Bürgerlichkeit ßen, kleinen Sünderin. Erik von Loewen mit ihren signifikanten Begriffen von Ehre und Hans Wyprächtiger, als die beiden aus­ und Moral und, herauf oder herunter. von geflippten Männer der Geistlichkeit und des Ansehen und KaiTiere genauso wie mit versoffenen Ärztestandes, sie bleiben, so ihren familiären Lebensformen ein ur­ bizarr sie geführt sind, doch Figuren der schöpferischer Ausdruck für die menschli­ Ehrlichkeit. Sie kriegen hier ihr Recht. che Unendlichkeit ist. die wir der Einfach­ heit halber •Seele< nennen und die Ibsen in 48 der Wildente anschaulich als »Tiefe des Meeres« umschreibt. Wie Noelte Ibsens Milieuwirklichkeit als Umschreibung der Seelenwirklichkeit frei­ legt, entdeckt er uns das Pathos seines eige­ nen Theaters: auf diesem Schauplatz wird dem Realismus so kompromißlos die Plati­ tüde ausgetrieben, als ginge es ums Leben. Sibylle Wirsing

Friedrich Schiller: Kabele und Liebe (4.5. 79) I/B: Wilfried Minks

SPIELZEIT 1919/80

Emil Rosenow: Kater Lampe (11. 9. 79) I: Ulrich Heising; B: Franz Koppendorfer

Regisseur Heising hat die beiden Elemente, Uwe Friedrichsen (Oronte), Ulrich das Realistische und überbrodelnde Wildgruber (Atceste) Komik, fabelhaft genau ausbalanciert, und so auf diese Komödie mit einer kongenialen Inszenierung geantwortet. sie reagieren auf Kritik empfindlich. Ehe es losgeht, saust eine rote Katze Und äußert man sich ehrlich und spon­ über Franz Koppendorfers schönes Büh• tan, nenbild. Kinder spielen Katz und Maus, zerbricht man immer nur viel Porzellan. weiße Tücher kommen herunter und Mir zeigte erst vor lcurzem mein Verle­ umgrenzen das Amts- und Schlafzimmer ger- von Gletzenbichler, auf dessen schräger er ist sehr eitel, wenn auch sonst inte­ Ebene bei wechselndem Interieur bis zum ger- Ende balanciert wird. Das •Schnelle• über• ein etwas sonderbares Manuskript. wältigt die Figuren gewissermaßen von hin­ Ich sah sofort: Das hat er selbst getippt. ten, es kommt nicht aus der Sprache, die Ich habe mich geweigert, es zu lesen. Sprache muß über Stock und Stein mit, Ich sagte: »Lyrik schreibt man nicht auf dahin wo die Wut schon längst ist. Spesen. Caroline Neubaur Was? Bei dem Reingewinn, den Sie erzielen, Hans Magnus Enzensberger: Molieres da wollen Sie auch noch den Dichter Menschenfeind (UA l. 12. 79) spielen?« I: Peter Zadek; B: Daniel Spoerri Oronte Das Beispiel ist mir völlig unverständ• Oronte lich. Sie sagen nichts, Alceste? Sie sollten Sie weichen aus! Jetzt sagen Sie mir sich endlich, zu einem klaren offnen Wort bequemen. was Sie von meiner Arbeit halten! Nur keine Sorge! Ich bin hart im Nehmen. Aleeste Aleeste Nichts! In diesem Punkt sind die Autoren kind­ Ausjeder Zeile des unsäglichen lich: Gedichts, 49

das Sie verbrochen haben, dringt ein wechseln ähnlich. Der einzige, allerdings Mief, entscheidende Unterschied: Enzensbergers derart verschwitzt, und dumpf, und nur allzu bekannte Gesichter lösen keine intensiv, gemischten Gefühle mehr aus, eigentlich nach Subkultur und alten Unterhosen, gar keine Gefühle, zieht man die Schaden­ daß man Sie Ihren Humphrey-Bogart­ freude ab. Posen Benjamin Henrichs und Ihrem Badewasser überläßt, und Sie von Stund an meidet wie die Peter Weiss: Die Ermittlung (8. 3. 80) Pest. I: Thomas Schulte-Michels; Das ist die einzige »Hoffnung«, die noch B: Susanne Thaler bleibt, wenn einer so verlogene Sachen Was der Autor Peter Weiss 1965 dem Frank­ schreibt. furter Auschwitz-Prozeß entnahm, es quä­ Moment! Noch eins. Damit Sie ja nicht lend sachlich in Worte fassend, gibt sich denken, hier nun als triviale Unterhaltung aus: also ich wollte Sie, Oronte, persönlich krän• im Stil extremer Unangemessenheit. Tin­ ken. geltangel, wo von unvorstellbaren Verbre­ Im Gegenteil, was Sie und Ihresgleichen chen die Rede ist. so schamlos in die Schreibmaschine lai­ Die Deportation und die Rampe, die chen, Selektion, der Tod im Gas, das Experiment gilt heute allgemein als Poesie. mit Phenol, die Folter, die Verbrennungs­ öfen - und während daran in Verhör und Je genauer ich meinen Moliere studierte, Bericht erinnert wird, sitzt man an kleinen desto mehr Echos stellten sich ein. Auf Tischchen, den Sekt vor sich (aber niemand Schritt und Tritt begegneten mir, in Mün• trinkt, fast niemand) und hört arroganten chen, , Düsseldorf, Reaktionen, Herrschaften in hellen Smokings oderüber• Mechanismen, Verkehrsformen, die denen kandidelten Abendkleidern auf dem Lauf­ der Komödie bis ins Detail glichen. Deshalb steg zu. war ich ja so überrascht, seine Figuren am Dazu muß aber auch gesagt werden. Steuer ihres BMW wiederzufinden. Diese daß es seit langem keine Aufführung gab, plötzliche Evidenz führte zu einer grundle­ die derart ernsthaft, gewissenhaft nicht nur genden Umkehr meiner Optik als Überset• das Medium Theater reflektiert hat, son­ zer. dern auch im einzelnen gearbeitet ist: Die Ich begriff, daß die höfischen und feu­ acht Schauspieler, abwechselnd Kläger, dalen Elemente der Handlung bloße Ver­ Zeugen oder Angeklagte, schließen in jedem kleidungen sind; und mit einem Schlag ver­ Moment den Gedanken aus, sich in Effekt stand ich, was mich an den Aufführungen, verrannt zu haben. Es muß im Gegenteil die ich gesehen hatte, ungeachtet ihrer ganz ungewöhnlich viel Kraft gekostet Qualitäten, von Herzen angewidert hatte: haben, bei solchen Szenen an sich zu h a l­ all diese Stellwände und Perücken, diese ten. Tabatieren und Spitzenjabots, denen man Wenn getanzt wird zwischen jedem auf den ersten Blick ansieht, daß sie pene­ •Gesang<, jeder Schreckensnummer, wenn trante Kopien eines Originals sind, das nie gelacht, geschmust oder auch ein bißch en und nimmer existiert haben kann - schiere gejammert, geweint wird dabei, ist der Konventionen einer trägen Nachwelt. Mechanismus von Verdrängung und Ver­ Hans Magnus Enzensberger harmlosung wie kaum je zuvor getroffen im Theater, sind wir betroffen wie nur sehr sel­ Das kaum Glaubliche gelingt: die Aktuali­ ten von unserem Verhältnis zur Vergangen­ sierung eines alten Stückes ohne Krampf. heit. In Enzensbergers Komödie sehen Molieres Dietmar N. Schmidt Figuren plötzlich den hypochondrischen Intellektuellen von Botho Strauß zum Ver- 50

Sechs Personen suchen einen Autor, rechts Kurt Hübner als Theaterdirektor

Oscar Wilde: Bunbury (26. 4. 80) Rolf Hochhuth: Ärztinnen (26. 11. 80) I: Peter Zadek; B: Götz Loepelmann I: Kurt Hübner; B: Thomas Richter-Forgach

Rolf Hochhuths schriftstellerisches Bemü­ SPIELZEH 1980/81 hen um die dramatische Kunst wird wohl niemals nachlassen. Aber jedes neue Stück Gotthold Ephraim Lessing: Emilia von ihm muß aufgeführt werden, damit er, Galotti (19. 9. 80) der Enthüller, Entlarver, Sündenforscher, I: Andrea Breth; B: Michel G. Peter nicht sagen kann, die Theater verweigerten sich der Wahrheit. Mit seinem neuen Stück Vor der Premiere in der Freien Volksbühne Ärztinnen will er diesmal keine bekannte Berlin hingen 54 Emilia-Galotti-Porträts im Persönlichkeit denunzieren, sondern die Foyer, am Ende der En-suite-Aufführungen gesamte Pharmaindustrie und die von ihr sollen es ebenso viele kaputte sein, denn: korrumpierten Ärzte. Pro Vorstellung zerstört der Maler Conti auf Annemarie Weber der Bühne davon eines. Diesen Künstler am Hof von Guastalla spielt der Kreuzherger : Sechs Personen Maler Salome, ein Erotomane, hervorgetre­ suchen einen Autor (21. 3. 81) ten in der Berliner Ausstellung •Heftige I: Klaus Michael Grüber; B: Titina Maselli Malerei< , ein Sänger auch mit eigener Band namens •Geile Tiere<. Fürs Theater ließ er Ich möchte hier schreiben, daß es an der sich senkrecht in der Kinnmitte ein strich­ Berliner Volksbühne jeden Abend (außer dünnes Bärtchen stehen. er ist kahlköpfig• Montag) eine geniale Aufführung zu sehen und im übrigen durchaus zu loben, weil er gibt, daß die Vorstellung um 19 Uhr 30 mit heller Stimme wortverständlich spricht beginnt und gut zwei Stunden später zu und sich auch ansehnlich zu bewegen weiß. Ende ist. Ich möchte noch sagen: Man kann Jürgen Beckelmann alles hören, alles sehen, und es lohnt sich 51 sogar, eine Reise von Westdeutschland zu unternehmen. Einigen Kritikern möchte ich auch ein­ mal nahelegen, sich ein Talent der Voraus­ sehung anzueignen, damit es nicht mehr ins Schema paßt, zu sagen, daß die großen Sachen immer zu spät bemerkt werden. Das geht in der Malerei, in der Literatur, aber bei einer so ephemeren Kunst wie dem Theater ist das natürlich tragisch. Der Miß• erfolg einer Aufführung, die nur in wenigen Köpfen weiter existiert und sich da auch wieder verändert, könnte dazu führen, daß sich eine bestimmte Art, diesen Beruf auf­ zufassen (wie es zum Beispiel der Regisseur Klaus Michael Grüber tut), niemals durch­ setzen kann. Außerdem -um jetzt etwas über diesen Abend zu erzählen - ist es eine sehr unter­ haltsame Angelegenheit, inszeniert und gespielt mit viel Humor und großem Pathos. Katja Rupe (Elmire}, Friedrich-Karl R Nicht etwas für die Wüste oder einen nicht rius (Tartujfe}, unterm Tisch Peter bewohnten Planeten, sondern für Zuschau­ er im Parkett und bald auch auf den Rän• Brombacher (Organ) gen. Der •normale Zuschauer< wird in eine Theaterwelt hineingeführt, wie er sich immer gewünscht hat, einmal in seinem PIHZfiT 1981/82 Leben hinter den Kulissen zu schnüffeln, und ist enttäuscht, daß er bei Pirandello wie William Shakespeare: bei Grüber in eine doch noch ganz andere Der Widerspenstigen Zähmung [3. 9 . 81) Landschaft geführt wird: eine Art ontologi­ I: Peter Zadek; B: Horst Sagert sche Gegend, wo ein Haufen Menschen ums Daseien [Noch-Dasein) kämpft, ein Kampf, Moliere: Tartuffe (14. 12. 81) bei dem das Spielen für Atmen und Fressen 1/B: Kurt Hübner steht. Grüberund seine Truppe haben da viel Am 14. Dezember folgte nach mehrfachen über diese Art Staunen erzählt, über Pro­ Verschiebungen des Premierentermins bleme der Authentizität, über die Fragen, Molieres TaTtuffe in einer von Kurt Hübner was das ist: Spielen, Darstellen? Sie haben kurzfrtstig übernommenen Inszenierung, dafür Bilder, Töne, Konstellationen, Licht­ die ursprünglich Arie Zinger vorbereitet stimmungen erfunden, die nach all den hatte. Der Intendant, eine völlige Unver­ Torturen der Desillusionierung einen nicht ständlichkeit der Konzeption für das Publi­ mehr erwarteten Zauber schaffen, unend­ kum befürchtend, hatte eingegrtffen. In den lich viele Momente, die Theater atemberau ­ wenigen Tagen seiner Übernahme, die ver­ bend schön machen. bunden war mit der Umbesetzung mehrerer Ist eine solche Auseinandersetzung Rollen, gelang es jedoch nicht. die neuen nicht vielleicht unentbehrlicher für unser Intentionen so deutlich zu machen, daß die Theater als das Suchen nach Motiven Kritik zu überzeugen war. Die dadurch ent­ woanders, als das fortwährende Fliehen standenen schlechten Kritiken hielten von einer Hemisphäre in die andere, und zunächst viele Kassenkäufer und Mitglie­ nur ja nicht in die Problematik des eigenen der vom Besuch ab. Da Hübner jedoch an Tuns und Daseins? der Inszenierung weiterarbeitete und bei LucBondy einer Presseaufführung nach einigen 52

Wochen ein sehr respektables Ergebnis vor­ man diesen Monolog, dieses Monodrama so zeigen konnte, das auch Kritiker zur Revisi­ in diesem Jahrhundert nicht mehr erleben on ihres ersten Urteils veranlaßte, gewann wird. diese Aufführung namentlich unter der Was erst als Sakrileg an der Dichtung Mitgliedschaft viele Freunde. erscheinen mochte, erschien nun als das Günter Schulz Sakrarium Fausts. Goethe-Faust? Es war das Bild eines mühseligen Lebens, begriffen Johann Wolfgang von Goethe: Faust am Ende seines letzten Aktes. Von fern war (22. 3. 82) das Drama erinnert. aber es war ganz auf I: Klaus Michael Grüber; B: Gilles Aillaud sein Inbild gebracht- und damit auch ganz entzogen jenen zwanzig Jahre lang von Klaus Michael Grüber, einer der sensibel­ Regisseuren wie Koch, Henrichs, Stroux, sten. phantasiebegabtesten Regisseure Schröder, Lindtberg, Buckwitz bis zu Beyer, noch heute, schickte mich auf den Kurfür• Peymann, Heyme und Hollmann vorgetra­ stendamm, das Gretchen für seinen Faust genen Versuchen, das herrliche Gedicht in zu entdecken. Er wollte die tödlichen Kon­ seiner Farbigkeit nachzubilden. sequenzen des Egomanen im goetheschen Günther Rühle Weltgleichnis unerbittlich ins Bewußtsein setzen. Dieses Mädchen von der Straße, das Lieber Michael, lieber Herr Minetti, lieber wir fanden, hatte die Ausstrahlung der Peter Fitz, Unberührtheit, die Grüber suchte und die ich habe gestern bei meiner großen auch Goethe selbst vorgeschwebt haben Bewunderung für die Schönheit der Insze­ muß: Nina Dittbrenner brauchte den Text nierung und der großen Bewunderung quasi nur aufzusagen, und schon war sie dafür rnit großem Erschrecken festgestellt, da, die riesenhafte Diskrepanz zwischen daß ja außerordentlich viel unverständlich Faust und ihr: der ganze grausame Antago­ bleibt. nismus, der in die Tragödie führt. Dazu Daß Du, Michael, das nicht sehr gut Minettis Faust, sehr alt und halb verknö• merkst, auch Ellen nicht, weil Ihr den Text chert, und der Mephisto von Peter Fitz, sei­ schon im Unterbewußtsein habt, ist klar, nes Sieges sicher und darüber fast schon daß Sie, Minetti, meinten, man habe ja in resignierend. Sechs Personen auch alles verstanden, KurtHübner obwohl sehr leise gesprochen wurde, ist ja nicht verwunderlich, wenn man in den Zum Selbstmord-Monolog kommt Minetti, ersten vier Reihen sitzt, aber das sind keine der eben noch Goethes Gestalt assoziieren Äußerungen, die mich in irgendeiner Weise ließ, hinter dem Vorhang hervor, einen beruhigen können. Totenschädel in der Hand, und beginnt mit Jeder von denjenigen, ob Petra, Ober­ ihm das freundliche Zwiegespräch, als sähe meit, Thorau oder ich, die neu hineinka­ er dem Tod ins Auge wie Hamlet. Und wie er men, waren entzückt und gleichzeitig ver­ den Schädel in der einen Hand wiegt und in zweifelt, weil sie so wenig verstanden. Der der anderen die Giftphiole, steht er da wie Beweis, den ich gestern anführte, wie Sie, Becketts Krapp. Minetti, zum Regiepult sagten •Das kann Minetti spielt den Zerreibungsprozeß, Ellen ja nachher aufschreiben«, und Sie in und in der gefurchten Landschaft seines einem Ton sprachen, der sogar etwas stär• Gesichts wechseln die Lichter und die ker war als der normale Ton, in dem Sie den Schatten, die Energien und die Schwächen, Faust sprechen, und Grüber •Was« rief, weil die Dämmerungen und die Erleuchtungen. es ein Text war, den er ja nicht kannte, und Es kämpft der alte Mime mit dem denken­ Sie dann in einer für das Pult verständli• den Schauspieler, und wo immer dieser chen Weise den Satz wiederholten, das war Faust später wieder auf seinen großen ein sehr lebendiges Beispiel für das Kardi­ Lebensmonolog trifft, nachdem die lange nalproblem, woran das Zu-leise-Sein liegt Introspektion beendet ist, gewinnt er Kraft und was auf uns zukommen wird. und szenische Gewalt, und man weiß, daß Bei Ihnen, Peter Fitz, ist, da Sie sehr 53 flüssig sprechen, fast nichts zu verstehen. gemacht, dort aber schon fast zur Selbst­ Ich mag nicht besonders gut hören können, verständlichkeit wurde: den Text neu zu denn ich bin ein 65jähriger Mann, aber denken, ihn umzustellen und einzustrei­ wenn meine jungen Mitarbeiter fast genau­ chen, sich ihm respektlos und kritisch, so wenig hören, dann ist das ein alarmie­ phantasievoll und sehr subjektiv zu rendes Zeichen. Wenn in dieser Aufführung nähern. nach kurzer Zeit »Lauter. lauter« gerufen So läßt sich Ciulli, dem Gralf-Edzard wird, dann ist das nicht aufzufangen wie in Habben ein tiefes. schwarz ausgeschlage­ Sechs Personen. nes, von schlierenden Plastikvorhängen Das Publikum mag bei der Nina Ditt­ fast diagonal durchzogenes Bühnenbild brenner Verständnis dafür haben. wenn gebaut hat, auf den vordergründigen (Büro• außerordentlich wenig von ihr- im Gesang und Pen.sionszimmer-)Realismus des so gut wie gar nichts - verstehbar ist. Ich Weiss'schen Texts nicht ein, sondern hebt hoffe es. Vielleicht. Aber bei den Profischau­ ihn, von (Verdi-)Musik begleitet, ins sun·ea­ spielern wird weder Publikum noch Kritik listische Melodram und schließlich in die das mitmachen, was ich hier zu meinem kalt-groteske Maskerade. großen Kummer so bemängeln muß. Andreas Rossmann Ich kann keine Ausrede gelten lassen wie etwa »Dann sollen die doch besser zuhö• ren«. Ich habe versucht, mit äußerster Anstrengung zuzuhören und muß von mir SPIELZEIT 1983/84 sagen, daß es mich ungeheuer anstrengte. aber daß es mir trotzdem nicht gelang, so zu William Shakespeare: Komödie der verstehen, wie es notwendig ist. um zu Irrungen (2. 9. 83) begreifen. Alle die wunderbaren Feinheiten, 1/B: Werner Schroeter alle die ungewöhnlichen Erfindungen sind auf das Allerhöchste gefährdet, ich sage es Botho Strauß: Bekannte Gesichter, noch einmal. Wir müssen uns dessen gemischte Gefühle (25. 10. 83) bewußt sein und etwas dagegen unterneh­ I: Fred Berndt; B: Raimund Bauer men. Grüße Kurt Hübner Fred Berndt hat in seiner Inszenierung vor 20. März 1982 allem diesen Balanceakt zwischen drinn.en und draußen, zwischen der künstlichen Hermetik der Freundschaft und der imme1· schon vorhandenen Brüchigkeit der Bezie­ SPIELZEIT 1982/8l hungen untereinander herausgestellt: Die Schauspieler entdecken zukünftige offene Ferdinand Bruckner: Elisabeth von Fremdheit im scheinbar zutraulichen Ver­ England (18. 9. 82) halten. Die Hotelhalle, in der der I. Akt, und 1: RudolfNoelte; B: Walter Dörfler den Tanzsaal, in dem der II. Akt spielt, hat Raimund Bauer als detailgenaue Kopien : Über allen Gipfeln jener Hotels mit 50er-Jahre-Interieur ist Ruh (18. l. 83) gebaut, die einst als Sommerfrische dienten I: Kurt Hübner; B: Raimund Bauer und heute allenfalls als Ort rückwärtsge• wandter Sehnsucht nach Ordnung und Peter Weiss: Der neue Prozeß Geborgenheit taugen - grad die rechte, (DE 25. 3. 83) ariheimelnd-abstoßende Kulisse für 1: Roberio Ciulli; B: Gra!f-Edzard Habben gemischte Gefühle. Die Schauspieler sind durchweg so typgerecht besetzt, daß man Der Regisseur Roberio Ciulli wagt da, mitunter den Eindruck hatte: »Das spielt unterstützt von seinem Dramaturgen Hel­ sich von selbst.« mut Schäfer, etwas mit einem neuen Stück, Michael Merschmeier was bislang vor allem mit Klassikern 54

Ghetto mit Ernst Jacobi links und Michael Degen

Drandon Thomas: Charley's Tante Überlebenden und makaber farbenfroher (22. 12. 83) Fundus für die Komödianten. Das Stück, 1: Kurt Hübner; B: Barbara Quandt das sie aufführen: die List des Überlebens, die Lust, der Wunsch zu leben, die Intensi­ Wolfgang Deichsel: Zappzarapp tät des Lebens, den Tod vor Augen. (25.3. 84) Mar[een Stoesse[ 1/B: Fred Berndt

Angelo Beolco, gen. Ruzante: La Moscheta (DE 1. 6. 84) SPIELZEIT 1984/65 1: Roberto Ciulli; B: Gralf-Edzard Habben Ivan Turgenev: Ein Monat auf dem Joshua Sobol: Ghetto (DE 12. 6. 84) Lande (20. 11. 84) 1: Peter Zadek; B: Johannes Grützke 1: Fred Berndt; B: Raimund Bauer

Eine makaber-theatralische Situation, in Anton Tschechow: Die Möwe (21. 12. 84) der Realität und Bühne ineinander und am 1: Augusto Fernandes; Ende tödlich verschwimmen, eine gespen­ B: Santiaga del Corral stisch-komödiantische Situation, als deren Real-Metapher ein riesiger bunter Kleider­ John Hopkins: Verlorene Zeit berg wie ein Koloß die Bühne beherrscht: (DE 28. 1. 85) ständig anwesende Erinnerung an die 1: Peter Zadek; B: John Gunter Gemordeten, an noch geschehende Verbre­ chen, frivoler Hilfsfonds für die fröstelnd 55

Jürgen Uter: Nur keine Panik ( 11. 3 . 85) vorlaut und diskret, und vor allen Dingen I: Ilja Richter /Kurt Hübner; B: Ilja Richter durchsetzt mit den Mitteln Gesang, Spra­ che und Tanz, mit optischen und akusti­ James Joyce: Verbannte (27. 4. 85)I schen Signalen höchster Inkohärenz aus I: Hans Neuenfeis; B: Elich Wonder Lust am Paradox und seinen zwittrtgen Fol­ gen, eine Reim- und Klangbeschwörung, Hans Neuenfels' Einstand als Regisseur an eine Sehnsucht n ach Verständnis, Verzau­ der Freien Volksbühne Berlin hat dem Haus berung und Aufklärung, eine kolossale eine Aufführung beschert, die ihm Ehre Anstrengung um Leichtigkeit, ein gewaltsa­ macht, auch wenn sie im einzelnen anfecht­ mer Versuch, glücklich zu sein. bar ist: Verbannte, das einzige Theaterstück Hans Neuerifels (im Programmhejt) von James Joyce, wird hier auf eine die Grenzen des Kammerspiels ausweitende John Hopkins: Diese Geschichte von Weise interpretiert. Der Vordergrundrealis­ Ihnen (20. 3 . 86) mus der Dialoge zwischen Menschen, die in I: Peter Löscher; B: Peter Pabst Liebe und Freundschaft, aber auch in Eifer­ sucht miteinander verbunden sind, soll Roland Topor: Leonardo hat's gew1U' t durchsichtig werden für den Einblick in tie­ (31. 5. 86) fere Dimensionen, in Seelenlandschaften, I: Karl-Dirk Schmidt; B: Daniel Spoen die zugleich die äußere Welt widerspiegeln. Die schäumende, blauweiß gischtende See, Calderön de Ia Barca: Leben ist Trat der im Abendrot erglühende Himmel: Am (2. 7.86) Ende werden sie abgelöst von einem Wol­ I. Kurt Hübner; B: Daniel Spoerli kenmeer, in dessen erregten Formen sich der nackte Körper einer Frau abzeichnet, Kurt Hübner ist an der politischen E tx I "I' · überlebensgroß. von keinem Mann zu errei­ weniger gelegen als an der umfassenden chen, geschweige denn zu besitzen. Melancholie. Sie gibt den Ton an. An ihr hat Günther Crack die Textfassung, die eine Gemeinschaftsar·­ beit des Regisseurs mit Ellen Hammer ist. Bertolt Brecht: Herr Puntila und sein literarisch und dramaturgisch Maß genom .. Knecht Matti (31. 7. 85) men . Die Inszenierung an der Freien Volks .. I: Peter Fitz; B: Klaus Hellenstein bühne stellt sich als eine nächtliche Refle­ xion über die Einsamkeit und Fremdheit zwischen den Menschen dar. Das letzte große VerwirrspieL das im ba rocken Welt­ SPIELZEIT 1985/86 theater auf Shakespeare gefolgt ist, dient ihr dazu, die Unverbundenheit zu demon­ Frank Wedekind: Franziska (13. 12. 85) stlieren. I: Hans Neuenfels; B: Paul Lerchbaumer/ Von einer Wiederbelebung der barok­ Kathartna Peichl ken Behauptung, das Leben sei Traum, rückt die Inszenierung ab, indem sie auf Wenn ich aufschreibe, was mir spontan ein­ das Spektakel der Mittel verzichtet. In den fällt, komme ich auf Folgendes: ein Mär• Gesichtern, die zum Schluß eine gute oder chen für Erwachsene, ein theatralischer böse Miene zum bösen oder guten Spiel Essay, eine Paraphrase über Faust, eine machen, steht geschlieben, daß man sich Reise durch Zeit, Raum und Literatur, ein nichts vormachen soll. Das Leben, und sei Zitat aus Pathos und Tiivialität, ein Konglo­ es Theater, ist kein großes Los. merat aus plivater Erfahrung und Weltent­ Sibylle Wirsing wurf, aus Haltung und Eingeständnis, aus Reizbarkeit und Progression, ein Abenteuer am Ende des Lebens, dem neugiertgen Enkel erzählt, eine Collage köstlich und banal, zeitbezogen und allgemeingültig, 56

Leben ist Traum: Ulrich Kuhtmann rechts und Martin Wuttke

Quelle: Dietmar N. Schmidt: Kurt Hübner - Von der Leidenschaft eines Theatermenschen Leipzig, 2006