Quick viewing(Text Mode)

1968-Die Freien Walser Im Churer Rheintal

1968-Die Freien Walser Im Churer Rheintal

Untervazer Burgenverein Untervaz

Texte zur Dorfgeschichte

von Untervaz

1968

Die freien Walser im Churer Rheintal

Email: [email protected] . Weitere Texte zur Dorfgeschichte sind im Internet unter http://www.burgenverein-untervaz.ch/dorfgeschichte erhältlich. Beilagen der Jahresberichte „Anno Domini“ unter http://www.burgenverein-untervaz.ch/annodomini . - 2 -

1968 Die freien Walser im Churer Rheintal Johann Ulrich Meng Jahresbericht der Walservereinigung Graubünden. 1968. Seite 09-32.

- 3 -

Die Freien Walser in Hintervalzeina und an den Hängen des Churer Rheintales

S. 09: Einwanderung und Landnahme Über die Freien Walser in Graubünden, im Vorarlberg, Liechtenstein und Tirol ist schon viel geschrieben und gesprochen worden. Trotzdem ist das Thema noch lange nicht erschöpft. In den Archiven unserer deutschen Bündnergemeinden kommen immer wieder neue Quellen zum Vorschein, Dokumente und Aufzeichnungen, denen man bislang keine Bedeutung beimass, die aber manchmal wertvolle Ergänzungen zu Bestehendem sein können. In diesem Sinne soll das bezügliche Quellenmaterial des Trimmiser Gemeindearchivs dazu dienen, den Schleier über das Walsergebiet Hintervalzeina und am Sayser Berg etwas zu lüften.

Soweit wir über die Ansiedlung der Walser und deren Kolonisationswerk orientiert sind, haben sich «Die herkommen Lüth» durchwegs in den obern Talstufen der Flusstäler oder auf Hochterrassen der Berghänge, die von der romanischen Bevölkerung nicht bewohnt und kaum für Alpung benutzt wurden, niedergelassen. In solchen Wildenen mussten sie sich mit den ansässigen Welschen nicht teilen oder gar streiten. Das dichtbestockte Waldgebiet von Hintervalzeina auf einer Meereshöhe von 1300-1600 m bot den fremden Landsuchern grosse Vorteile. Das 12 km lange Valzeinertal war im Mittelalter nur im vorderen Teil und auch dort jedenfalls nur sehr locker von Romanen besiedelt. Im ganzen Tal sind nur wenige fremdsprachige Flur- und Bergnamen anzutreffen. Das Bündner Namenbuch und die Siegfriedkarte führen bloss: Castelun, Clavadätsch, Walplan, Schlinigross, Schlinipitschna, Zenutsch, Falsch und Fadeuer an. Anderseits sind die deutschen, ausgesprochen walserischen Flurnamen sehr zahlreich, wie wir noch hören werden.

Über die Landnahme der Walser im Valzeinertal bestehen einige Urkunden, die Gewissheit schaffen. Als eine solche Quelle ist das Domkapitelurbar aus der Zeit von 1367/75 anzusprechen. Darin heisst es:

S. 10: «Item pratum dictum Talauadatsch, situm in Vallzeinas cum pertinantis quot habet Johannes dictum Jung Walliser in feodum a capitulo pro X libr. metz.» - 4 -

Dieser junge Walliser hatte also vom Domkapitel Chur ein Erblehen inne, das Talauadatsch hiess. Wenige Jahre früher, nämlich anno 1367, hatte Egen von Strada zu Gunsten des Domkapitels Chur auf «alles das recht vordnung und ansprach, das er je gehatt oder je gehaben mocht ze dem gut haisset Talauadatsch gelegen vff Vallzenas» verzichtet. In dem Namen Talauadatsch erkennt man unschwer die spätere Benennung Clavadätsch. Dieser Name ist wohl auf Clavau-Stall, dätsch-schadhafter Bau, zurückzuführen. Nach einem Zinsrodel von 1450 ist Peter «Glafendetzer» Besitzer des Gutes Glafendetsch.

Es ist nun kaum anzunehmen, dass der erwähnte Johannes, genannt Jung- Walliser, ganz allein als Eremit in die Einsamkeit von Hintervalzeina eingewandert ist, um dort ein Erblehen zu übernehmen. Bei den Walsern war es allgemein üblich, dass sie in kleinen Gruppen von einer Wildnis Besitz nahmen, um darin zu roden, reuten und zu schwenden. Offenbar siedelten zu gleicher Zeit auch taleinwärts und vor allem am sonnigen Berghang, der noch heute Churberg he isst, und ohne Zweifel auch dem Churer Domkapitel zu eigen war, einige Walser sich an. Denn um die Mitte des 15. Jahrhunderts lebten am Churberg, der vom Talbach hinauf bis an den Bergkamm gerodet und in Kulturland verwandelt worden war, eine Anzahl Hofbauern mit ihren Familien, wie wir noch sehen werden.

Einer Urkunde aus dem Plantaarchiv zu Malans vom Jahr 1455 ist zu entnehmen, dass auch im Talgrund und auf der rechten Flusseite Walser sich angesiedelt hatten. Dieses alte Schriftstück erscheint uns inhaltlich und formell gesehen dermassen interessant, dass wir es wenigstens auszugsweise folgen lassen, es lautet:

«Wir die Nachgeburen allgemeinlieh Arm und Rich zu trymus und vff Saygus vergebend und tuond kund allermenniglichen mit diesem brif, das wir mit gueter zeitiger vorbetrachtung und mit Einwelligem Rat durch unser aller nutz und besserung willen, Recht und redlich gelyhen hand und verlyhen wissentlich in kraft dis brifs für uns und unser erben und nachkumen, den erbern (ehrbaren) lüthen mattlin. Im Boden und frena, synem Ehewyb und allen Ihren erben und nachkumen ze einem Rechten Erblehen nach Erblehensrecht unser, aller gemeinschen waid in Walplan.» - 5 -

S. 11: Flugaufnahme. Hintervalzeina: 1) Die Bodengüter, alte Walsersiedlungen. 2) Stallgüter Kalchofen. 3) Rüti. 4) Bort, das alte Walplan. 5) Schindelboden. 6) Hänslischboda. 7) Büdemji. 8) Der Churberg. 9) Stams mit der Maiensässiedlung.

- 6 -

S. 12: Hier folgt eine eingehende Lage- und Grenzbeschreibung. Dieser ist zu entnehmen, dass das Lehensgut gegen Osten an den bestehenden Grundbesitz des Mattli im Boden und gegen Mittag an die Alp Hertenegg oder Laubenzug der Gemeinde stösst. Zum Erblehensgut gehört auch ein Wassergraben, «Item ein Wassergraben von der Alp herteneck, als sie den dam gemacht haben.» Diese offene Wasserzuleitung verlief aus dem Salzgebitobel quer über den Alpsäss und versah Walplan mit dem notwendigen Tränkewasser. Der Verlauf dieses ehemaligen Grabens über das Weidegelände ist heute noch leicht erkennbar. Er spielte übrigens in einer spätern Urkunde nochmals eine bedeutsame Rolle.

Der Erblehensvertrag mit Mattli im Boden enthält ferner die einschlägigen Bestimmungen über den «Ehrschatz», das ist ein Einstandsgeld des Lehennehmers, dann die Höhe des Jahreszinses und dessen Verfall. Der «Ehrschatz» betrug fünf Pfund Schilling» gueter genehmer Churer Währschaft nuhinanhin (für alle Zukunft), ein jettliches jahr vff St. Martinstag (11. November) verfallen. Welches Jahhr derselbe Zins uff unserer lieben frowen liechtmess nit vollwerot wäre, so ist der Zins glich morndes zwyf alt verfallen, ohne alle wider Red. Und liessen Sie den zwyfalten zins deheins (dann) unvergolten anstan, so ist und sollensyn obgenannt heimsche waid samt dem vorgenamt wassergraben uns und unsern nachkumen und unser gmeind und der zwyfalt Zins ledig und los verfallen seyn ohn alle wider Red und geferd (ohne böse Hintergedanken).»

Im Jahr 1479 gewährte Trimmis- dem Walser Mattlin Strub ein Erblehen am «Saranggabach» gegen einen Ehrschatz von fünf rheinisch Gulden. Es dürfte sich dabei um eines der beiden Güter Schindelboden oder Hänslischboden gehandelt haben.

Wie oben erwähnt wurde das ausgedehnte Waldgebiet Churberg in der Zeit von 1370-1460 vollständig abgeholzt und in Weid und Wiesboden verwandelt. Die Kolonisten errichteten auf der grossen Hangfläche eine beträchtliche Zahl Stallgüter und Heimstätten, alle in offener Streusiedlung verteilt. Die Namen derselben sind bis auf den heutigen Tag erhalten geblieben. Es sind dies: Kämpfi (jedenfalls nach einem Besitzer Kämpfen benannt, dieser Walliser Geschlechtsname trat um 1550 auch in auf), Gallisch Hus, Zürsi nach einer Besitzerin Ursi benannt, Schitterberg, weiter oben am Hang Obergada, - 7 -

Fluhgada, Josagada, Chrättligada, Furkla, Höfji, Hüschi, Aegerta, Wasseregga. Im Talgrund linksufrig des Baches liegen Schindelboden, Hänslischboda, die beiden Büdemji und der Rütigada. Die als Gada bezeichneten Liegenschaften waren Stallgüter, während die Heimstätten auch ein Wohnhaus aufwiesen. Ähnlich verhielt es sich mit den Siedlungen auf der rechten Flusseite auf dem Bort und in der Nachbarschaft

S. 13: Däschersboden. Dort verteilen sich auf einer Siedlungsfläche von 1½ - 2 km 2 die Heimstätten: Rüti, Kalkofen, Däschershus, Hanschhus, Stäfischhus, Michischhus, Heimetli. Am Ort und Schluocht, letztere bis vor wenigen Jahren noch dauernd bewohnt. Jede dieser angeführten Liegenschaften umfasst Haus, Stall, Wies- und Streueland mit eigener oder zugeleiteter Tränke. Die Gebäulichkeiten stehen getrennt in der zugehörenden Liegenschaft.

Aus einigen Urkunden geht hervor, welche Familiennamen in den drei verschiedenen Siedlungsräumen ansässig waren. So werden als Bevollmächtigte der Bauern am Churberg in einem Wegrechtstreit dieser Nachbarschaft mit der Muttergemeinde Trimmis-Says in der Zeit von 1583- 1597 genannt: Bartli Rupp, Casper Rupp, Gallus Strub und Casper Däscher «abem Bort». Ferner lebten in diesem Siedlungsbereich Furkler, Joos, Schröfer war wohl der Besitzer der Liegenschaft Schröfi. Nach dem Bauer Zippert (Ableitung von Siegbert) erhielten Zipperweid, Zipperspitz und Zipperhus ihre Namen.

Den «Däscherbodenbrief» als Erblehensvertrag der Gemeinde Trimmis-Says vom Jahr 1592 mit der Nachbarschaft im Boden unterzeichneten Casper Däscher und Christen Bärtsch. An anderer Stelle werden als dortige Güterbesitzer Thöny Hartmann, Christen Mathis, Peter Roffler und J. Patt genannt, sowie der vorerwähnte Mattli im Boden. Auf dem Bort, dem frühem Walplon, wirtschafteten die Brüder Wittwen und deren Mutter «Vonwaldin».

Es ist selbstverständlich, dass ausser den genannten Geschlechtern auch noch andere in den Siedlungen Hintervalzeina gelebt haben, ohne dass man deren Namen anführte. Es ist ausser Zweifel, dass auch die im Taufregister von in der Zeit zwischen 1674 und 1720 eingetragenen Familiennamen ausser den oben genannten, Fryd, Salzgeber, Suter, Thomann, Willi, Wyss, Heinz, Hössli, Ehret, Metier und Züst in Hintervalzeina haushäblich waren. - 8 -

Carl Ulysses von Salis Marschlins führt in seiner Topographie der IV Dörfer um 1770 für Hintervalzeina 12 Familien mit gesamthaft 80 Personen an.

Haus, Stall, Gaden, Wiese, Weide und Wald Nicht weniger wissenswert und interessant als die Einwanderung und die Landnahme der Walser, ihr umfangreiches Kolonisationswerk, das Reuten, Roden, Schwenden und Stocken, muss für den Volkskundler das Wohnen und das Gemeinschaftsleben der herkommen Lüth erscheinen. Die Freien Walser unserer engern Heimat haben, getreu ihrer Art und ihrem Wesen, auch in der Bauform und Gestaltung ihrer Häuser, Hütten, Ställe, Gaden und Bargen ihre Eigenart bis auf den

S. 14: heutigen Tag bewahrt. Wie erwähnt, stehen Haus und Stall von einander getrennt an geeigneter Stelle, der Liegenschaft, Nur wo Lawinengefahr, Neigung zu Rutschung oder Sumpf die Leute zwangen, wich man von dieser Grundregel ab. Der Hauptgrund dieser Gliederung war ohne Zweifel die Vermeidung der Gefahr, dass bei einem Brand nicht beide Bauobjekte und damit die ganze Habe vernichtet wurde.

Die Bauart des Valzeiner Walserhauses ist einheitlich. Es entspricht auch im' allgemeinen dem Walserhaus anderer Talschaften, Mit Ausnahme des Kellergeschosses besteht der ganze Bau aus Holz, Ursprünglich verwendete man für sämtliche Wände Rundbalken, die «aufgetrölt» und an den Kopfenden durch das «Gwett» verbunden wurden. Zum Ausdichten der Fugen zwischen den Balkenlagen verwendete man trockenes Moos, das mit Holzkeilen eingestopft wurde und sehr gut isolierte. An den Häusern, die nach 1600 erbaut wurden, trifft man durchwegs vierkantig behauenes Balkenwerk, Die Rundhölzer wurden mit der Richtschnur und der Breitaxt bearbeitet.

Unterhalb der Fensterbänke des ersten Stockwerkes findet man meistenorts gefällige Kerbschnitzereien und als Träger der vorragenden Fenstersimse sehr schön und sauber, ausgeführte Holzkonsolen. An den Wohnhäusern der Fraktionen Says und Valtana erkennt man eingravierte Sinnsprüche. Da lesen wir z.B. Anno 1715 hat Peter Gadient und Trutta Schroffer das Haus bauen lassen. Darunter steht: Bewahr Herr Vater Seel und Leib vor Pestilenz aus Krieg und Streit und sonsten alles Unglück wende. Mithin gib dann ein seliges Ende. Auch farbige Ornamente sind im Giebeldreieck nicht selten angebracht. - 9 -

Meistens ist es die sogenannte «Lebenslinie», die aus horizontal verlaufenden S-Schleifen in weiss-roter oder blau-roter Farbe ein leuchtendes, dekoratives Band zur Darstellung bringt. An den «Übertürner» (Querbalken) des Hauseinganges aber auch an den Stalleingängen trifft man sehr häufig die Initialen des Hausbesitzers und seiner Gattin, sowie das Hauszeichen und die Jahrzahl des Bauens. Nicht selten sind auch die Querbalken über der Stuben- Nebenkammertür mit den vollen Namen der Eheleute versehen.

Das Walserhaus ist zweistockig. Auf dem ersten Boden gegen den Berghang hin liegt die meist dunkle Küche mit weitausholendem Rauchfang. Sie wird durch den Kochherd, der in neuerer Form, den offenen Herd mit der herunterhängenden Tragkette, «Hehli» genannt, ersetzt. Da die Walser in Hintervalzeina keine Maiensässe besassen, musste die Hausküche auch zur Käsebereitung dienen.

Vom «Vorhus» aus, mancherorts auch aus der Küche, tritt man in die niedrige Stube, in der der gemauerte Lehmofen an der Küchenwand beträchtlich viel Raum einnimmt. In der gegenüberliegenden Stubenecke steht der Tisch, auf zwei Seiten von Wandbänken flankiert.

S. 15: Durch eine Seitentüre gelangt man in die Neben- oder «Zuekammer», die meistens Raum für zwei Betten aufweist.

250 Jahre alte Bauernhäuser auf Says. - 10 -

Aus dem «Vorhus» führt eine stotzige Stiege nach dem zweiten Stockwerk, das in den meisten Fällen zwei Schlafkammern enthält.

Während in früheren Jahrhunderten das weitausholende Schwardach aus Langschindeln mit schweren Steinen belastet, den Stürmen und dem gewaltigen Schneedruck Widerstand leisten musste, tragen die meisten Gebäude heute ein leichteres Nageldach oder Hartbedachung.

Eine bauliche Besonderheit, die mit dem Seelenleben und dem Brauchtum der früheren Walserbevölkerung aufs engste verbunden war, bildete der sog. «Seelenbalken». Er ist an verschiedenen Häusern in Hintervalzeina, aber auch auf Says und Valtana anzutreffen. Er besteht aus einer kleinen viereckigen Luke von ungefähr 20 auf 25 cm, die aus dem Balkenwerk der südlichen Schlafkammer im zweiten Stock ausgespart wurde und mit einem Schiebebrett verschlossen werden konnte. Zu gewöhnlichen Zeiten blieb diese fensterartige Öffnung verschlossen. In der Sterbestunde eines Hausbewohners wurde der Schieber geöffnet, damit die Seele des Sterbenden ungehindert den Weg ins Jenseits finde. Diese eigenartige Auffassung über die Trennung

S. 16: von Seele und Leib in örtlichem Sinne ist auch in andern Walsergebieten, vor allem im Hochtal Avers und in der Landschaft Davos beachtet worden.

Auch die Stallgebäude der Valzeiner Walser wurden aus Holz errichtet. Während der Unterbau als Stallraum zur Unterbringung der Viehbestände aus solidgefügten Balken meist zwei Abteilungen hatte, diente der Obergaden zur Aufnahme der Heuvorräte. Diese Viehställe ermöglichten, durchwegs im gleichen Ausmass erstellt, die Aufnahme von 12 bis 15 Haupt Grossvieh und ausserdem die Haltung von einer kleinen Herde Schafen und Ziegen. Die Walser in Hintervalzeina waren also keineswegs Grossbauern. Auf abgelegenen Wiesen, die als Magerwiesen nur einmal gemäht, aber auch nicht gedüngt wurden, baute man kleine Heuschober, Barga genannt. Der im Sommer eingelagerte Heuertrag wurde dann im Winter mit dem Schlitten zu den Viehställen befördert.

Obwohl ganz Hintervalzeina südwärts der Siedlung Clavadätsch und der Kämpfischlucht territorial zu Trimmis-Says gehörte, besassen die Walser an deren Alpen kein Nutzungsrecht. Eine Anzahl Grundbesitzer am Churberg waren durch Erbgang und Kauf in den Besitz von Alprechten zuhinterst im - 11 -

Furnertal Farnetza gelangt. In der Mitte des 15. Jahrhunderts wurde diesen Leuten durch die Muttergemeinde Trimmis-Says ein Alpwegrecht über Laubenzug-Katschlag-Stelli mit gewissen Einschränkungen eingeräumt. Im Laufe der Zeit vermehrten die Churberger ihre Alprechte. Trimmis fühlte sich durch den vermehrten Durchtrieb der Viehbestände über seine Alpen als geschädigt. Dadurch entstand ein Rechtsstreit, der volle 14 Jahre andauerte und endlich dann durch ein bestelltes Schiedsgericht beseitigt wurde. Dabei wurde die mehr als hundert Jahre früher erteilte Wegrechtsbewilligung «konfirmiert». Die Churberger wurden aber verpflichtet, folgende Bestimmungen einzuhalten:

1. «Es sollen die Kläger ab Valzeina nur mit 14 Kühen und einem Pfarrstier Weg und Steg haben. Um mit mehr Vieh zu fahren, müssen sie sich mit denen von Trimmis noch besonders vergleichen, zwar gütiglich und ohngefährlich.

2. Möge man ihnen an sicherem Ort ungefährlich Weg und Steg zeigen und geben.

3. Sollen sie für jedes Hopt Vieh drei Kreuzer bezahlen, nur der Pfarrstier möge frei passieren. Die von Trimmis sollen einen Gaumer senden, welchem die Churberger die drei Kreuzer per Hopt geben sollen.

4. Sollen diese schuldig sein, bei guter Tagzeit zu fahren, zu drei Haupt Vieh einen erwachsenen zu verwenden, damit das Vieh desto minder schade.

S. 17: 5. Sollen die von Trimmis auf dem Bödemli einen Gatter machen und die von Churberg ihn erhalten, gut schliessen und hüten.»

Das waren sehr exakte, peinliche und kleinliche Einschränkungen, bei welchen man das Recht bis auf die Spitze getrieben hat. Dieses schiedsgerichtliche Urteil kam am 8. Juli 1597 zum Abschluss. Die übrigen Walser in Hintervalzeina besassen keine Alpen im üblichen Sinn, sondern bloss zu ihren Gütern gehörende Weiden, wo sie die Viehbestände sömmerten. Es kam deshalb nicht von ungefähr, dass der Wald in der Nähe der Siedlungen dauernd zurückgedrängt und das gewonnene Land in Weidegrund verwandelt wurde. Selbst in dem erst spät um 1592 abgeschlossenen Erblehensvertrag der Gemeinde Trimmis-Says mit der Nachbarschaft Däschersboden werden die dortigen Bauern ermächtigt, den Wald zu roden mit Ausnahme «da wo Wald in den Bann geschlagen ist». - 12 -

Misträdig mit Kreuzspeichenrädern.

Die Gelände- und Flurnamen Brand, Bränd, Rüti, Rütigada, Chorarüti, Schwendi, Gschwenti Böde, In de Stöck bringen deutlich zum Ausdruck, dass die Walser dauernd bestrebt waren, ihr Weide- und Wiesland zu vergrössern und auszudehnen. Dieser Raubbau am Wald führte soweit, dass die Walser in ihren Siedlungen nicht mehr genügend Bauholz vorfanden, um ihre Gebäulichkeiten zu unterhalten. Um «Stöss und Gespännigkeiten» mit den

S. 18: Walsern inskünftig zu vermeiden, wurde eine Streitfrage, die Benützung der Wälder im Alptal betreffend, am 16. Juli 1583 vor das Hochgericht der IV Dörfer gebracht. Dieses entschied unter anderem:

«Es mögen die von Valzeina für ihren Bedarf aus den Wäldern Brennholz nehmen, und das Gefällte alles wegführen, was am kleineren Ort ein Gmünd (ein bestimmtes Mass von einem Schuh «Munddicke» ist ungefährlich, damit die Wälder weniger verdeckt werden. Um Schindel und Zimmerholz sollen sie (die Valzeiner Walser) die von Trimmis begrüssen, diese sollen dann schuldig sein, ihnen es an einem Ort zu erlauben, wo es von dannen gebracht werden kann. Doch in den Bannwäldern soll keine Part Holz fällen. Auch sollen die Valzainer von Geörgi (23. April) bis hl. Kreuztag im Herbst (14. September) kein Holz von dannen führen.»

Auf Grund dieses Gerichtsentscheides erwuchs ein Servitut, das heute noch seine Gültigkeit besitzt. Noch heute sind die getrennten Gemeinden Trimmis und Says verpflichtet den Gebäudebesitzern des damaligen Walsergebietes - 13 -

Hintervalzeina sämtliches notwendige Bauholz für Unterhalt und Neuerstellung ohne jegliche Entschädigung stehend im Wald zuzuweisen, obschon die Fraktion Hintervalzeina schon mehr als ein Jahrhundert lang Vordervalzeina im Kreis Seewis angeschlossen ist.

Ernährung und Lebensweise der Valzeiner Walser Es ist nicht gar leicht, sich ein zuverlässiges Bild von der Ernährung und von der Bekleidung, ferner vom Wirtschaften der Walser in ihren abgelegenen Siedlungen von Hintervalzeina zu schaffen, da einschlägige Aufzeichnungen über diese Belange fehlen. Anderseits bestehen Hinweise, Überlieferungen, die gewisse Rückschlüsse ermöglichen. Vor allem steht fest, dass die Walser in unserem Untersuchungsgebiet Viehhalter und Viehzüchter waren, ohne Grossbauern zu sein. Immerhin mussten sie doch ansehnliche Tierbestände an Gross- und Schmalvieh wintern und sömmern, um aus dem anfallenden Ertrag ihre Familien schlecht und recht durchs Leben zu bringen. Zufolge der Höhenlage und den klimatischen Voraussetzungen kam einzig der Ertrag aus dem Wiesbau und der Tierhaltung für Selbstversorgung in Frage. Das Sömmerungsvieh, das nicht für Zuchtzwecke und anderen Eigenbedarf zurückbehalten wurde, konnte und sollte verkauft werden, denn die Zinsen mussten in Geld bezahlt werden. Mit dem kräftigen Bergheu war es möglich, die für die Schlachtung bestimmten Tiere ohne Kraftfutter zu mästen. Die schlachtreifen Tiere konnten die Besitzer zwar nicht einfach jeden Montag Morgen in eine Fleischfabrik abliefern, wie das heute der Fall ist. Aber es gab andernorts, allerdings

S. 19: mühsam erreichbare Märkte. Von den Furner Bauern ist bekannt, dass sie Schlachttiere auf den Märkten im Tal unten für billiges Geld kauften um diese dann bei guter Fütterung und Pflege schlachtreif zu machen und wieder zu verkaufen. In der Kulturgeschichte von J. Andreas von Sprecher wird erzählt, dass jahrhundertelang der Export von Bündnervieh auf die Märkte von Oberitalien eine grosse wirtschaftliche Bedeutung hatte und viel Bargeld ins Land brachte.

Der Seewiser Landammann Salzgeber erzählt in seinen «Lebenserinnerungen» wie er in den Jahren 1780/1790 mit Dorfgenossen drüben im Calfeusental auf den ausgedehnten Alpen «ganze Tierhaben» vor der Alpentladung aufkaufte - 14 -

und diese dann über Luzisteig, Feldkirch durchs Illtal hinein auf den grossen Markt zu Schruns führte und dort verkaufte. Es dürfte wohl auch vorgekommen sein, dass Viehaufkäufer im Valzeinertal ihre Geschäfte machten, oder dass die Walser ihre überzähligen Tiere auf die Märkte in den Talgemeinden trieben.

Die Ernährung der Familien war zum grossen Teil auf die Tierhaltung angewiesen. Diese versorgte die Leute mit Milch, mit den Milchprodukten Käse, Butter und Zieger, sie lieferte ferner tierische Fette und Fleischwaren verschiedener Art. Vielleicht ermöglichte auch die freie Jagd gelegentlich der Hausfrau, den Erezhafen mit «Grüefleisch an d'Heli z'heicha», denn der Jagdtierbestand war nachgewiesenermassen bedeutend grösser als heute, da viel bessere und weittragendere Gewehre dem Jäger zur Verfügung stehen. Der Valzeiner Dorfchronik von Anton Heinz entnehmen wir, dass im Kreisgebiet in der Zeit von 1798 bis 1848 Abschussprämien für 47 Bären, 24 Luchse und 7 Wölfe ausgerichtet wurden. Ein derartig grosser Raubwildbestand konnte aber nur vorkommen, wenn das übrige Jagdwild zahlreich war.

Dass der Speisezettel der Walserfamilien wenige Raritäten aufweisen konnte, ist leicht verständlich. Da kein Feldbau mit Getreide und Ackerfrüchten im Hochtal möglich war, musste das notwendige Mehl, aber auch Früchte und Dörrobst aus dem Tal herauf besorgt werden. Nachdem der Kartoffelanbau «im Land», gemeint ist damit das Churer-Rheintal, von Marschlins aus gefördert wurde, wird nach den berüchtigten Hungerjahren von 1770/71 «d'Herbira» auch an günstigen Lagen Im Boden, In der Schluocht und anderswo angepflanzt worden sein. Im Däschersboden, im Clavadätsch versuchte man den «Chriesbom» heimisch zu machen. Ein vernachlässigter Vertreter dieser Art hat sich trotz Winterstürmen und Frühlingsfrost auf 1250 m Meereshöhe in seiner Heimaterde im Boden verkrampft, behauptet.

S. 20: Die Abwanderung aus dem Alptal Die Geschichte der Freien Walser zeigt, dass die Siedlungen, die sie in ausdauernder Rodungsarbeit schufen, in wenigen Jahrzehnten für ihre kinderreichen Familien zu klein und zu eng wurden, auch wenn sie, wie wir gehört haben, den Wald immer wieder schonungslos zur Gewinnung von - 15 -

Weide- und Wiesland, zurückdrängten. Die sich in den meisten Walsersiedlungen einstellende Übervölkerung, war schuld daran, dass besonders jüngere Leute zum Wanderstecken griffen, um anderswo ein Erblehen zu übernehmen. Dabei kam nicht bloss der intensive, unbeugsame Lebenswille, sondern ebenso sehr die angeborene Wanderfreudigkeit der Walliser und Walser zum Ausdruck. Diese Eigenschaften haben viel dazu beigetragen, dass der Standortwechsel mit vielen unliebsamen Begleitumständen für die Abwandernden zur Selbstverständlichkeit wurde. Den meisten Ziehenden kamen überdies die angestammten und aus dem Mutterland durch die Vorfahren mitgebrachten bekannten Walserrechte zu Hilfe. Die Freien Walser genossen das Recht der freien Erbleihe. Sie konnten also ein vererbbares Lehen übernehmen, ohne von jemand eine Bewilligung einholen zu müssen. Laut Walserrecht konnten sie aber auch jeden Erblehensvertrag auflösen, das Lehensgut verlassen und anderswo ein solches übernehmen, ohne vom Lehensherrn gehindert zu werden, denn «sie waren von keinem nachjagenden Herrn verfolgt». Die Walser konnten ihrerseits über das Erblehensgut frei verfügen, konnten es verkaufen, vertauschen oder verpfänden und vor allem vererben. So lange das Lehen den ausgemachten Zins einbrachte, konnte der Lehensherr keine Rückforderung geltend machen. Im Lehensbrief der Landschaft Davos, ausgestellt durch Graf Hugo von Werdenberg und dessen Vettern Johannes und Donat von Vaz, dat. vom 31. August 1289, kommt diese allgemein gültige Wendung mit folgenden Worten unmissverständlich zum Ausdruck:

«Dasselbige guet söllend si ewiglich besizen, und wenn si iren Zinss verrichtend, so sind si frey und habend mit niemand nüt zu schaffen.» Dem jungen unverheirateten Walser bot sich aber noch ein anderer Vorteil aus seiner Stammeszugehörigkeit. Ging ein solcher nämlich mit der Tochter eines eingesessenen Hörigen eine «Mischehe» ein, so «folgten die Nachkommen derselben der besseren Hand» und wurden frei wie ihr Erzeuger, wenn die Mutter auch leibeseigen war. Diese sichtbare Begünstigung der Freien Walser wurde zwar nicht überall in dieser Form angewendet. Bei den Walsern im Prättigau war der Begriff der «bessern Hand» zu deren Gunsten üblich. Zum Mindesten ist erwiesen, dass gar mancher Jungwalser in der romanischen Dorfsiedlung Says «zhengert ging» und dort seine «Spusa» fand. Daraus entwickelte - 16 -

S. 21: sich eine eigentliche Heirats-Tradition, die heute noch zum Ausdruck kommt, indem Valzeiner und Furner Burschen mit Vorliebe auf Says auf Brautschau gehen, während jene ab Says umgekehrt ihre Liebste von «dänet hären holend». Wenn wir die Kirchenbücher durchblättern, finden wir diese Feststellung einwandfrei bestätigt.

Damit haben wir ein oft gewähltes Abwanderungsziel angedeutet. Bevor wir die jungen Zuwanderer über das Stamsjoch aber begleiten, muss noch über Says und dessen Vergangenheit als romanische Dorfsiedlung zum bessern Verständnis nachgeholt werden.

Links oben Stamsjoch, darunter Says, zwischen den Tobeln Valtana, rechts Talein, am Fuss des Berges Trimmis-Dorf.

Der Ortsname Says tritt urkundlich erstmals im Kaufvertrag des Bistums Chur, die Molinära, das Schloss Aspermont, die Alp «Senutsch- (aus dem Jahr 1258) betreffend, auf. Dort werden zusätzlich als Hörige des frühern Besitzers «etlich viel Lüth uff Saes und Trimmis gesessen» erwähnt. Die Bergsiedlung Says war eine Fraktion zu Trimmis gehörend wie Hintervalzeina, und die Hofsiedlungen Valtana und Talein. Eine beträchtliche Anzahl romanische Flur- und Geländenamen, die sich am ganzen dreifach gegliederten Berghang bis an den Grat hinauf verteilen, deuten an, dass dieser von Romanen besiedelt war. Die zahlreichen romanischen Familiennamen, die dort auftraten und noch um 1500 genannt werden, vervollständigen das Bild einer welschen Dorfgemeinschaft. Es lebten dort: Bavier, Buvier, Bun Buschan, - 17 -

S. 22: Carol, Joch, Letsch, Maier, Gudenz, Gadent, Gadient, Padrutt, Prudiel und Schamun. Die heutigen Siedlungen Valtana und Obersays hatten ursprünglich ausgesprochen romanischen Charakter. Die ersten Zuwanderer aus Hintervalzeina fanden deshalb am Sayser Berg zum grössten Teil romanische Bevölkerung vor.

Die Abwanderung aus dem Alptal erfolgte nicht als Exodus in einem Schub, im Gegenteil. Es besteht Gewissheit, dass der Standortwechsel sporadisch auf einen Zeitraum von mehr als einhundert Jahren verteilt sich vollzog.

Die in Trimmis-Dorf Wohnsitz nehmenden Valzeiner Walser kamen zur Hauptsache vom Churberg herüber. Es waren dies: Plazidus Däscher, Christen Joos, Rudolf Furkler, Hans Gratler, Peter Schrofer und Andreas Va-Wald. Alle diese Namen finden wir im Amtsleuteverzeichnis von Trimmis als öffentliche Funktionäre im Zeitraum zwischen 1510-1530. Sie waren offenbar schon zur Zeit der vorausgehenden Jahrhundertwende hier «hushäblich» geworden. Ganz ähnlich waren die Verhältnisse oben am Sayser Berg. Alle uns in Hintervalzeina schon bekannt gewordenen Familiennamen mit Ausnahme von Strub waren von 1550 an dort begütert. Wir nennen: Bärtsch, Däscher, Hartmann, Mathis, Meng, Rieder, Rupp, Sprecher, Schrofer, Va-Wald und Zippert. Aus andern Walsersiedlungen waren am Berg im Laufe der Zeit zugewandert: Allemann, Burger, Göpfert (Ableitung aus Gottfried), Fux, Müller und Schmid. Das Geschlecht Gaudenz in romanischer Form Gudenz und Gadent, sowie Maier waren die einzigen aus früherer Zeit stammenden Familiennamen. Auf der isolierten Bergterrasse Talein waren die Burger, Fux, Hemmi und Taleiner sitzend.

Die Abwanderung aus Hintervalzeina erfolgte aber nicht bloss über das Stamsjoch hinüber ins Rheintal. Einzelne Sippen zogen bloss über die Fraktionsgrenze hinaus nach Vordervalzeina, andere nahmen Wohnsitz am Seewiser Berg. Als während des letzt-verflossenen Jahrhunderts die Agenten von grossen Schiffsgesellschaften unsere Berggemeinden «heimsuchten», wählten einige Familien den weiten Weg in eine ungewisse Zukunft im viel gepriesenen Amerika. Die Zuwanderer am Sayser Berg hatten ohne Zweifel einen guten Tausch gemacht. Nicht bloss, dass ihnen ihre neue Heimat mit den günstigen klimatischen Verhältnissen und veränderten wirtschaftlichen Voraussetzungen gesichertere Lebensbedingungen bot, die verlassenen - 18 -

Heimstätten lagen in erreichbarer Nähe, um sie als Stallgüter weiterhin zu bewirtschaften. So kam es, dass die meisten Bauern von Says drüben in der alten Heimat Liegenschaftsbesitzer blieben. Diese Besitzesverhältnisse sind erst in den letzten Jahrzehnten zum Teil geändert worden, in einer Zeit, da Nachfrage für Bergliegenschaften zufolge der Motorisierung und Rationalisierung sich dauernd vermindert hat.

S. 23: Sprache und Kultur Überall da, wo die Walser unter sich eine Gemeinschaft bilden, pflegen sie ungewollt ihre Eigenart. Diese kommt besonders in ihrer ererbten Mundart zum Ausdruck. Auf Says hat sich dieses Erbstück in auffallender Weise gesund erhalten. Als sie als «herkommend Lüth» am Berg Wohnsitz nahmen, waren sie gegenüber der einheimischen romanischen Bevölkerung recht bald in der Mehrheit, so dass sie keinen Grund hatten, sich an jene sprachlich anzupassen, wie das zum Beispiel bei den in die Herrschaft abgewanderten Stürviser-Walsern der Fall war. Deren Mundart wurde vom Rheintaler bzw. Herrschäftler Dialekt verwischt. Der Walsermundart am Sayser Berg schlossen sich mit der Zeit auch später von anderswo Zugezogene an, so dass man hier von einer eigentlichen Sprachinsel reden kann. Aber nicht bloss in der dortigen Umgangssprache kommt dies zum Ausdruck. Die neuen Generationen schufen am Berg eine neue Nomenklatur. Neben den alten romanischen Flur- und Geländenamen wuchsen gleichsam aus dem Boden heraus neue Bezeichnungen, die ausgesprochen walserischen Charakter besitzen. Als Bestätigung führen wir eine Reihe solcher an: Uf der Letzi, Ufern Stutz, z'Walrigada, Bim Spitzacher, Im Feld, Bi Jannlisch-Hus, Ufem Boda, Bi der Würza, Im Bawald, Uf da Wäsma, Bim Lerch, Im Stieg, Ufem Usluag, Im Fuxawichel, An der Oxagassa, Bim Rütland, Uf Ruppata Boda, In de Brünst etc. u.a.m. Selbst die Häuser haben ihren eigenen Namen. Da heisst ein Haus Bim Rohr, ein anderes Bi der höha Stega, Ufern Platz, Im Wiehel. Uf der Egga, Bim Althus usw.

Wer mit einem älteren Sayser ins Gespräch kommt, könnte sich leicht nach Valzeina oder nach versetzt fühlen. Und wenn man Dr. Christian Caflischs Mundartproben, wie er solche in seinen Bändchen «Ds Eenisch Bratig» und «Ds Nanisch Schgäfli» in etwas eigenwilliger Form angewendet - 19 -

hat, liest oder den Autor sprechen hört, kann sich leicht der Täuschung hingeben, die alten Churbergler oder jene ab Däschersboden seien wieder wach geworden, um am Sayser Berg ein Sprachenreservat einzurichten. (Vergleiche Mundartprobe «Van derta»)

Wir wollen froh sein, dass in unserer verflachenden, hektischen Zeit, die für Überlieferung und Tradition weder Sinn noch Musse aufbringt, anderseits einfache Menschen in der Dorfgemeinschaft an erhaltungswürdigem Kulturgut, und wenn es nur die herkömmliche Sprache ist, unverbrüchlich festhalten. Dies ist hier am Sayser Berg, wo urchiges Walsertum selbst auf romanischem Untergrund erfreulich gedeiht, der Fall.

S. 24: Auflösung des früheren Gemeindeverbandes Trimmis-Says- Hintervalzeina Wie oben bereits angedeutet wurde, verteilte sich das alte, sehr ausgedehnte Territorialgebiet Trimmis auf eine grosse Grundfläche, die aus Talebene, Berghängen, Töbeln, Schluchten, Gratlinien, Wiesland, Weiden und Wäldern sich zusammensetzte und eine sehr coupierte Landschaft darstellte. Diese mannigfaltigen geographischen Gegebenheiten wirkten sich zu allen Zeiten auf das Zusammenleben der Bewohner, auf die Nutzung und die Bewirtschaftung sowie auf die Verwaltung des gesamten Gemeindegebietes erschwerend aus. Aus einer Anzahl von Aktenstücken des Gemeindearchives geht deutlich hervor, dass sich zwischen der Muttergemeinde und den Fraktionen immer wieder Reibungsflächen bildeten, wobei der eine oder der andere Gemeindeteil sich benachteiligt fühlte. So beklagten sich z.B. die Walser über dem Berg darüber, dass sie in bezug auf die Einnahmen aus Jahrgeldern und Konventionen fremder Fürstenhöfe, ferner aus Einkünften aus dem Verkauf der Veltlinerämter unbillig berücksichtigt würden. Sie machten offenbar berechtigterweise Anspruch auf ihren Anteil aus Steuergeldern und Steuerwein der Herrschäftler-Untertanen. Nach ihrem Schnitzrodel und Verteilungsschlüssel glaubten sie Anspruch auf 10 Viertel, also etwa 900 l des kostbaren Nasses erheben zu können. Unter solchen Voraussetzungen lohnte es sich schon in Trimmis «uf der Stuba», dem dortigen Rathaus, vorstellig zu werden. Es wurde bereits erwähnt, dass die Walser, solange sie noch im Alptal lebten, an den Gemeindealpen keinen Anteil hatten. Ebenso waren sie von der - 20 -

Nutzung gerodeten Gemeindelandes im Tal ausgeschlossen. Anderseits kam die Muttergemeinde, wie oben bereits erwähnt wurde, den Erblehensnehmern mit der Abgabe von Bau- und Brennholz ohne jegliche Vergütung für alle Zeiten weitgehend entgegen.

In der Mitte des 18. Jahrhunderts, da man allerorten Volksschulen einrichtete, sahen sich die Leute von Hintervalzeina vor eine neue, für sie besonders nicht leichte Aufgabe gestellt. Der Überlieferung nach sollen die Walserbuben und Mädchen zeitweise in einem Bauernhaus im Boden und auch im Büdemji von schreibkundigen Anwohnern in die Schreibkunst eingeführt worden sein. Man kann sich aber leicht vorstellen, dass dabei ein recht lückenhafter Unterricht zur Anwendung kam. Auf Grund einer Vereinbarung aus dem Jahre 1726 wurde den Walsereltern gestattet, ihre Kinder nach Vordervalzeina zur Schule zu schicken. Daraus ergaben sich für diese anderthalbstündige Schulwege, die an die kleinen Leute in dem schneereichen Tal recht grosse körperliche Anforderungen stellten.

Kirchlich waren die Wals er in Hintervalzeina schon je mit dem

S. 25: Dörfchen verbunden gewesen. Alle die Erschwerungen und Unzukömmlichkeiten, die die Zugehörigkeit Trimmis-Says stets zur Folge hatten, lassen es durchaus als verständlich erscheinen, dass die Hintervalzeinerwalser immer auf eine Trennung von der Muttergemeinde und auf einen Anschluss an Vordervalzeina bedacht waren. Es mussten aber noch mancherlei Hindernisse beseitigt werden, bis dann der Grosse Rat auf Antrag der Kantonsregierung der Loslösung der Fraktion Hintervalzeina von Trimmis- Says zustimmte und diese der Gemeinde Valzeina angliederte. Der Kanton musste sich verpflichten, durch Ausrichtung einer namhaften Morgengabe an Valzeina den Anschluss zu erleichtern. Das geschah im Jahr 1851.

Auch Says wurde selbständig Die Abtrennung von Hintervalzeina aus dem Gemeindeverband gab den Walsern am Sayser Berg Grund und Beispiel, sich ebenfalls von Trimmis-Dorf unabhängig zu machen. Ein erster Schritt in dieser Richtung war zwar schon im Jahr 1512 mit der Aufteilung des gemeinsamen Alpbesitzes erfolgt, als man diesen in drei Terzen aufteilte, wobei man der Talgemeinde die beiden rechtsufrigen Alpen Falsch und Laubenzug und Says die Alp Zenutsch links - 21 -

vom Saranggabach liegend zuteilte. Damit war auch eine Ausscheidung des Waldes im Alpgebiet verbunden. .Aber trotzdem ergaben sich zwischen Trimmis-Dorf und Berg immer wieder Späne und Stösse, obwohl die Representantsverhältnisse in Verwaltung und Gericht verfassungsmässig genau umschrieben waren. Schon um die Mitte des vorigen Jahrhunderts hatte Says seine Selbständigkeit durch den Bau zweier Schulhäuschen, eines davon auf Obersays und das andere in der Nachbarschaft Valtana errichtet, bekundet. Ebenso wurden die Lehrkräfte aus gemeindeeigenen Mitteln bestritten. Die Trennungsabsichten der Sayser Stimmberechtigten standen jahrzehntelang im Vordergrund ihrer Bestrebungen und beschäftigten in gleichem Masse auch die kantonalen Behörden. Nach einem erneuten Anlauf im Jahre 1878 lösten der Regierungs- und Grosse Rat den gordischen Knoten, den allerlei grundsätzliche Fragen, materielle Überlegungen und verschiedene Hindernisse geknüpft hatten. Immerhin vergingen noch annähernd 3 Jahre, bis sich die neue selbständige Gemeinde am Berg ihrer Souveränität erfreuen konnte. Die kirchlichen Verhältnisse wurden von dieser Selbständigmachung nicht berührt. Für die Erhaltung der walserischen Eigenart, besonders auf dem Gebiet der Sprache, des Brauchtums und der Überlieferung hat sich die Trennung erhaltend und konservierend ausgewirkt, und das ist gut und erfreulich. J. U. Meng

S. 26: Van derta Sprachprobe in alter Sayser Mundart v von Dr. Christ. Caflisch

Vam mi r Mammasch Siita naaher binni de schoon noch a Sayser und drfür hanna-mi de au und dannid lütschel.

We di Ggleerten i ds Vatterlandsch Maarchä naa däm Gmeindli ummer- grüblend und middam Zugspiagel- naam Chilchatura van däm Dörfi ummerggüggslend, de chamma-na de Figga büüta, schi findends nid.

Sajis, seitma und nid nun Sais. As schmückatschi iran Aggslatola under denna drji Sajiserchöpf asoo hilb as Baaholz zuahi, dassma gwüss nia as Uuliab bij chan und mag. Wannan as d schiin Namma hed, weis dn eim niemmert z säga, Und notten is'smer, ij hej da ds Gspori. - 22 -

D Sajiser sind da i Vilm auw nid sövl fortschrittlachi wia ätten ir Naachpuure, amal di Trimmiser, waa da mid zAlpfaara schoon eda ettlicha Jaarhunderti Plümpa ghan händ, ... amaal, we-nid am Vee, sa notta an da Häls.

We da d'Sajiser au kein eiga Chilchabüacher ghan händ und noch händ, sa händsch dan-notten ir Bürgerbuach und wüssend wol, wäär da daa zuachi ghöört und wäär minder. Van derta sind au d Rupp waa da etz z Trimmis nun noch as ds letscht Plettli am Bomm aherlampend. Au d Meng sind z Sajis daheimat gsin und die Patt und Fawääld. Ueber dr grossa Ggumpa dännet, z Amerikaa, heds da van allerhand Sajisergschlächter, schier Habawiisch. He- nusa-de, as muas da dert dännet auw ättas rächt Lüüt han. Drum sindsch da deichi dür. Säälb will-ni gseid han. Jaa, vamma Sajiser Zacharias Schrofer, waa da ga Holland in die frönda Diensten ist, heds grad as chleis Häbli z Nymwegen dunne. Au die Burger va Valtana und d Hämmi händ gen Trimmis aabgstellt. Ds meischt heds Häärtmig z Sajis, hüttigschtagsch. Dära va Valzeina und äbä Sajiser. Was da vam aalta Stamma Lüüt noch ummer sind, sind alls Walserlüüt.

Aber eda denna sind z Sajis Ramantscha gsin. Ma ghöörts da Näme aan, wa da vil Wisa und Bäärga händ. Waa's da hütt im Dörfji im Wiichel heisst, da hedma's früejer d Buwiergassa gnamsat und in da Wiichelgärtli sij schiirziitds Buwierhus gstanda.

I weis, ma hed da schoon van da Sajiser gseid, es siijendi hebig Tondara, woolhabend Lüüt. As sind huusli Lüüt, das söll und tarf gseid sin. Aber hebig- huusli und giitig sin und tua ist zwejerlei Tuan. As sind da trüü, guetmüet und guethäärzig Bäärglüüt. -

S. 27: Aber schi bruuchend kein Gglogga und kein Chlepfa und kein Plümpa zam ir Woolteet im Land umerzlüüta, as-wes s dan ds Breemi? güengi.

We d asmaaldsch in eini vun denna Puurastuba iin chust, de muast dan an Ggugg an d Obertürner und an da Täferchranz tuan. De chast dan allerhand gseen und rläbä, we ds Häärz drzua hest.

Und wed-dan an di Türr chlopfist, de chunts dr weili aggäga: «Ja, commet in Gotschnama nun inner.» Und we-dan iingeigeischt, sa hest da nun «Goggrüazi» zsägä und de töönts dr weili zruck: «Gottanki, willkomma.» Und we-d dan im Hüüschi gnächtigat hest und am Morget zan da Lüüten iin in d - 23 -

Stuba chust, de säg d jaa weili: «Guata Tag gäbni Gott» und handcheerum hest zruck: «Gottanki, wool gschech-ter auw.» Und we's zam spiisla geid, de ghörst dan eismaalasch: «Goggsägnis, Goggsägnätärs» und diz gid druf: «Gottanki, Vrgäältsgott.» Und we's dan aabetsch zam Ggliger geid, wünscht man anandra: Guatnacht-gäbi-Gott», und überchuund zruck als: «Willsgott-un-tierau.» Und wed-da gaar im Döörfji daheim at bist und eim bi'r Letzi an d Liichwach gaan taarfst, de chast da Wägselwoort ghöören und gän, daa d weischt, wia as ma daa über da Tood uus daheimat ist und dran sinnet. Daa hajobna und nid nun dobna, da hajännet und nid nun ättä dännet.

Ar schwiizerischa Landesustellig anna 1914 z Bärä ist dr grööscht Bomm a Llerch gsin, au wwirm a Sajiser hnd a'r Schützawäältmeisterschaft anna 1925 ist dr best Stutzerschütz au wirm a Sajiser gsin, ds Platzjoosi. Dass'rs wüsset: Van derta. Roorchrista

Zugspiagel Fernrohr eda ettlicha vor vielen hilb ieblich eda denna früher Uuliab Unliebsames Breemi Viehausstellung Gspori Spur Letzi Todesfall

S. 28: Die Walser am Mastrilser Calanda Während die Walser in den meisten Hochtälern, in welchen sie sich niederliessen, unbebautes Land antrafen, wurde ihnen am Calanda von den dortigen Feudalherrschaften bereits erschlossener Grundbesitz als Erblehen überlassen. Von einer derartigen protektierten Landnahme berichtet einlässlich eine Urkunde im Untervazer Archiv, datiert am 23. November 1436. Dem darin ausgeführten Lehensvertrag zwischen Ritter Albrecht Thumben von Neuenburg und den Brüdern Uly, Conrad, Claus und deren Vetter Oschwalden, alle von Islen, ist zu entnehmen, dass diese (Wortlaut der Urkunde) «zu einem rechten Erblehen ufgenommen und bestanden haben das Guet, das gelegen ist ennet dem Rin allernegst, das da stosst einhalb an der Knaben Guet Talana und anderhalb an den Hof Fryus und das Guet und die Wiesen genampt Vallätscha, das da gehört zue dem Guet Islen und das Guet, das man nembt Pracasigin und das ein Wis ist und auch gehöret zue dem Guet Islen, und den Hof Traniers, zwüschen Pednal und dem Berg Munt, und die Wisen darob genampt Aniuz, das willand ein Höfle war.» - 24 -

«Und handt uns vorgenempte dreyen Erben und Nachkummen dieselben vorgemelten Stuckh und Güeter mit aller Zuegehörd, als vor ischt bescheiden, verlyhen, ymmer zue einem rechten Erblehen, für ihn und all seyn Erben mit solcher Gedingten und Bescheidenheit, dass wür und unser Erben, der vorgenampt Oschwald sin Erben und unser aller Nachkummen dem Herr Albrecht Thumben, seinen Erben und Nachkummen järlich je uff St. Martinis abent richten und geben solln achtundvierzig Werth Käs und acht Schäfel Maikorn, old aber darnach in den nächsten vierzehn Tagen unverzüglich geben ohn all Gefehrd. Wa wür das nit täten, dass wir ihnen alles Jährlich nit richtend, als jetz bescheiden ist, so soll jhmen und seinen Erben und Nachkummen die obgenannt Stuckh Güeter mit aller Zuebehörd ohn die Wisen Pinsigg zinsfällig worden sind, zue rechtem Eigen verfallen, ohn Menigliche Widerred.»

Vorstehendem Lehensvertrag ist weiter zu entnehmen, dass das nämliche Gut Isla schon im Jahr 1373 als Erblehen «vom Hansen von Stürvis, des Jäcklis Suhn und Andreasen von Stürvis, des Witwen Suhn» bewirtschaftet wurde. Wie lange diese beiden im Besitze dieses Lehens waren, und ob dasselbe durch Zinsverfall oder durch Rückkauf an die Thumben zurückkam, geht aus vorstehendem Dokument nicht hervor. (NB. 48 Wert Käs = 100 kg, 8 Scheffel Korn = zirka 750 kg.)

Dass die Walser am Calanda in der zweiten Hälfte des XIV. Jahrhunderts aufgetreten sind, geht auch aus einer Eintragung im Necrologium

S. 29: curiensis hervor. Dieser ist zu entnehmen, dass der 1408 verstorbene Friederich Thumb von Neuenburg dem Hochstift von Chur seinen Hof «curtim suam dictum Mont, situm in monte villa Vatz inferioris ... » schenkt, «quam curtim Nicolaus et Bertsch dicti Walser fraters colunt et in feodum perpetuum possident et manu tenent pro annuo census scilicet XXIV caseorum mercedis et bynarorum putry persolvendo».

Zu deutsch: «Sein Hof genannt Mont gelegen am Berg der Gemeinde Untervaz, welcher Hof Niclaus und Bertsch (dicti) genannt Walser, Gebrüder bebauen und auf immer besitzen und behalten als Eigentum, für einen Jahres Zins von 24 Wert Käs und 12 Binner Butter (ca. 36 kg). - 25 -

Der erwähnte Hof monte ist ohne Zweifel identisch mit der heute Munt benannten Lokalität im mittleren Teil des Calandahanges zwischen Untervaz und Mastrils gelegen.

Die Hanglagen und die verschiedenen Terrassen am Calanda und das St. Margrethen-Tälchen westlich vom Pizalun waren ein bevorzugtes Gebiet für andernorts abwandernde Walser. Anderseits machten aber auch dort bereits sesshafte Walsersippen von ihrem Recht der Freizügigkeit immer wieder Gebrauch. So verkauften um 1493 Hänsli Battänier und Margreth Sutter ihr Erblehen St. Margrethen. Ersterer folgte der Spur seiner Sippenverwandten, die bereits 1424 ein Erblehen auf Sevils aus den Händen des Haldensteiner Schlossherrn Peter von Grifensee übernommen hatten.

Neben einer beträchtlichen Zahl romanischer Flurnamen, die den Beweis erbringen, dass der ganze Berghang vom Rhein aufwärts bis an den Grat von Romanen einst bewohnt war, oder zum mindesten in irgend einer Form wirtschaftlich genutzt wurde, begegnen wir anderseits aber auch einer Reihe Lokalbezeichnungen, die mit ziemlicher Sicherheit von deutschsprachigen Anwohnern walserischer Herkunft geschaffen wurden. Es sind vertreten: Abedweid, Balma, Bärafalla, Birchhölzli, Chilchabühel, Fuxahalda, Fürkli, Hennaboda, Dürrtanna, Schlüechtli, Stockrüti, Suregg, Tanzboda, Tüchla, Nussloch u.a.m.

Mastrils, noch im 16. Jahrhundert Pustrils oder auch Punstrils genannt, gehörte bis um die Mitte des letzten Jahrhunderts politisch zur Talgemeinde Zizers und stand bis zum Bau der Tardisbruck 1529 allein durch den Vazer Rheinübergang oberhalb der Neuenburg in direkter Verbindung mit der Muttergemeinde. Am «Berg», wie die Rheintaler Mastrils nennen, hatten verschiedene Grundherrschaften ausgedehnten Besitz, so das Kloster Pfäfers, das Hochstift Chur, die Thumben auf Neuenburg und die Salis Marschlins. Im Laufe der Zeit siedelten sich verschiedene Walsersippen aus dem Prättigau, ab Stürvis und wohl auch von anderswoher an. Es waren dies die Bandli, Bäder, Danuser,

S. 30: diese offenbar ab Danusa am Furnerberg stammend, dann Nigg, Patönier, Reidt, Gadient, Flütsch, Sutter, Stock und Winkler. Obwohl Mastrils bloss eine Nachbarschaft von Zizers war, bildeten die dortigen Bauern eine eigene Genossenschaf mit Alpbesitz am Vazer Calanda. - 26 -

Der Mastrilser Berg weist ausgesprochene Streusiedlung auf mit etwa 20 Gehöften und 2 Gruppensiedlungen. Nur um die beiden Kirchen herum entstanden im Laufe der Zeit dorfähnliche Wohngebiete.

Auch für die zugewanderten Wals er am Mastrilser Berg ergaben sich zwangsläufig Umstellung und Anpassung an neue Betriebsformen und Lebensführung. Vor allem büssten sie in sprachlicher Hinsicht ihre Eigenart ein, wie das übrigens auch bei den Walsern auf Stürvis nach ihrer Abwanderung ins Land, gemeint die Ortschaften in der Herrschaft, der Fall war. Die Bauformen am «Berg» weichen von jenen in Hinter-Valzeina und Says wesentlich ab. Von einem eigentlichen Walserhaus dort zu reden, wäre auf alle Fälle irreführend, denn was wir schlechthin in Bünden als besonderes Walserhaus ansprechen, ist ja in Wirklichkeit das verbreitete Gotthardhaus, das in allen westlichen und östlichen Talschaften am Rhein, an der Plessur, an der Landquart und am Landwasser mit gewissen Abweichungen verbreitet ist.

Zusammenfassend kann darauf hingewiesen werden, dass die Ansiedlung der Walser am Mastrilser Berg im Sinne und Willen der Grundherrschaften und offensichtlich in grösseren und kleineren Zeitabständen, getrennt, erfolgt ist.

Die Walser am Haldensteiner Calanda Professor Dr. Mathis Berger hat an der letztjährigen Generalversammlung der Bündner Walservereinigung die Zuhörer mit einem erschöpfenden Vortrag über die Walser in der alten Herrschaft Haldenstein vertraut gemacht. Die Unterlagen für diese geschichtliche Orientierung sind im Jahresbericht des Vorstandes 1937 in einer wertvollen Publikation veröffentlicht worden. Es erscheint uns deshalb als überflüssig, darauf nochmals einzutreten, und wir begnügen uns damit, auf die erwähnte Arbeit hinzuweisen.

Was aus den ehemaligen Walsersiedlungen am Haldensteiner Calanda geworden ist, wird auch aus dem vor wenigen Jahren veröffentlichten Heimatbuch von Haldenstein, das unter dem Titel «Geschichte der Gemeinde und Freiherrschaft Haldenstein» von alt Grenzwachtkdt Major Georg Lütscher verfasst wurde, ersichtlich. Den Seiten 137-139 der umfangreichen Broschüre ist zu entnehmen, dass die ehemalige Hofsiedlung Sevils im Jahr 1424 als Erblehen an die drei Brüder Hans, Dietrich und Joosen Batänier übergegangen - 27 -

war und später nach diesen Lehensnehmern Batänien genannt wurde. Diese Nachbarschaft

S. 31: besteht als Dauersiedlung seit 100 Jahren nicht mehr. Anno 1868 schlossen sich die damaligen Besitzer der dortigen Güter zu einer Korporation aus 19 Lösern oder Stössen zusammen, die sich auf 8 Teilhaber verteilten. Seither werden die Güter als Vorwinterungen bewirtschaftet.

Kirchlich und politisch war Batänien nie selbständig, sondern gehörte als Fraktion zur Herrschaft Haldenstein und später zur souveränen gleichnamigen Gemeinde. Als letzter Dauersiedler lebte auf Batänien Martin Schwarz mit seiner Familie. Nach der Abwanderung dieser letzten «Batänier» im Sinne ihres Herkommens-Namens, bezogen diese Bergler im Dorf unten Wohnsitz.

Auffallend ist, dass die walserischen Flur- und Ortsnamen mit jenen von Hintervalzeina und Says verschiedenes gemein haben. So entnehmen wir den Flurkarten beider Siedlungsgebiete die Benennungen Rütigaden, Gädemli, Büdemli bzw. Büdemji.

Die Walsersiedlung Jux Wir beschliessen unseren Rundgang durch die rheintalischen Walsersiedlungen mit einer kurzen Würdigung der Kolonie auf Jux. Prof. Dr. Hans Plattner hat in der Januarnummer des Jahrganges 1944 BMB die Geschichte dieser isolierten Walsersiedlung eingehend behandelt. Wir möchten in diesem Zusammenhang nicht unterlassen, auf die sehr wertvolle Publikation mit Nachdruck hinzuweisen.

Der Bergname Jux hat lateinischen Ursprung und geht auf die Form Jugum, was zu deutsch Joch bedeutet, zurück. Romanisch müsste es Giufs heissen. Die Später daraus abgewandelten Formen sind Jugs, Juchs und endlich Jux.

Der kleine vorstehende Terrassenberg, durch zwei Töbel vom Haupthang seitwärts getrennt, liegt im Gemeindebann von Domat/Ems auf einer Höhe von 1350-1400 m. Das ganze Gelände gleicht in seiner Grundform der Kulturfläche einem Kehljoch, wie solche von den Bauern der Taldörfer bis in die Gegenwart für ihre Gespanne benützt wurden.

Trotzdem über Jux viele Aufzeichnungen bestehen, geben keine derselben nähere Auskunft über den Zeitpunkt der Besiedlung. Es darf aber trotzdem mit - 28 -

ziemlicher Sicherheit angenommen werden, dass diese im Laufe des 14. Jahrhunderts erfolgte. Man geht wohl kaum fehl, wenn man annimmt, dass die «herkommend Lüth» aus einer benachbarten Kolonie im Churwaldner Tal oder aus dem Raum Praden-Tschiertschen sich auf Jux eingefunden haben. Auf alle Fälle ist das Geschlecht Prader unter den Lehenleuten von Jux vertreten.

Die Gemeinde Domat/Ems hatte offenbar an der abgelegenen, durch Töbel und Steilhänge isolierten Wildnis kein grosses Interesse,

S. 32: eigene Leute dort oben anzusiedeln. Es bestanden deshalb für die landsuchenden Walser auch keine grossen Hindernisse, die überwaldete Berghöhe für ihre Siedlungszwecke nutzbar zu machen.

Jux wird in den spätem Quellen immer wieder als Hof angeführt. Zu diesem gehörten Weidrechte für 20 Stück Grossvieh. Auf Jux bestanden 5 Einzelhöfe in Streusiedlung verteilt. Jeder derselben war durch einen Weid- oder Triebweg mit der Allmein und der am Berg oben sich ausdehnenden Alp verbunden. Nach einem Kartenbild aus dem 17. Jahrhundert zuschliessen, war der erschlossene Kulturboden stark parzelliert. Heute sind nur mehr die Ruinen der ehemaligen Hofstätten im Gelände zu erkennen.

Im Jahr 1530 gelangte der Hof Jux durch Verkauf der Gemeinde Domat/Ems an Peter von Juffs, mit allem Zubehör und Rechtsame an der Alp mit 20 Kuhrechten um die Summe von 60 rheinischen Gulden. Um 1590 waren der erwähnte Christian Prader und sein Eheweib Ursula Kessler alleinige Besitzer des Hofes. Dieser war durch den Kauf von 1530 offenbar zu teuer erstanden worden, denn alle späteren Besitzer trugen schwer an der Belastung, so dass es oft zu Verpfändungen kam. Als Pfandobjekt kam Jux nacheinander an die Gläubiger: Hauptmann Ambrosi Gugelberg, von Moos, ferner Bürgermeister Schwarz, an Podestat Pelizari in Langwies. an eine Familie Planta und P. Janett. Als Hofbauern lebten ausser den oben genannten die Walsersippen Giger, Roffler, Walser und Held auf Jux.

Aus dem wiederholten Wechsel im Besitzesverhältnis könnte man schliessen, dass Jux wirtschaftlich und ökonomisch ungenügende Voraussetzungen für Dauersiedlung bot. Es bestanden dort zwar fruchtbare Wiesen, Ackerland, Gärten und etwas Obstwachs. Anderseits war der Zugang recht beschwerlich, und es bedeutete den jeweiligen Hofbewohnern Mühe, die Wegverhältnisse in - 29 -

gangbarem Zustand zu unterhalten. Trotz etwelchen Vorzügen durch Höhenlage und klimatischen Verhältnissen begünstigt, liess sich auch auf Jux die Abwanderung der Hofleute nicht aufhalten. So erlebte diese walserische Nachbarschaft das gleiche Schicksal vieler anderer Siedlungen und Wohngebiete der «herkommend Lüth». Der Walserhof Jux verwandelte sich vor einem Jahrhundert aus der einstigen kleinen Siedlung zur Gadenstatt und Vorwinterung und schliesslich zur Alp. Die ehemaligen Behausungen sind verschwunden und deuten, durch überwuchertes, zerfallenes Mauerwerk kaum mehr erkennbar, an, dass dort jahrhundertelang einfache Menschen mit grossem Fleiss und unter vielen Entbehrungen Sommer und Winter gewerkt und gewirkt haben, dabei ein bescheidenes Leben führten im Kampfe gegen die Härten der Natur, der Wildnis und Vereinsamung zum Trotz. J. U. Meng

Internet-Bearbeitung: K. J. Version 11/2012 ------