Buch Von Der Kunst Der Nestbeschmutzung, 2009
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Von der Kunst der Nestbeschmutzung Brigitte Lehmann, Doron Rabinovici, Sibylle Summer (Hg.) Von der Kunst der Nestbeschmutzung Dokumente gegen Ressentiment und Rassismus seit 1986 Gedruckt mit freundlicher Unterstützung des Bundesministeriums für Wissenschaft und Forschung (BMWF) sowie der Kulturabteilung der Stadt Wien (MA7), Wissenschafts- und Forschungsförderung. © Erhard Löcker GesmbH, Wien 2009 Herstellung: General Druckerei GmbH, Szeged ISBN 978-3-85409-496-8 Inhalt 9 Einleitung 12 Doron Rabinovici Aktion und Artikulation. Das Bestehen des Republikanischen Clubs 28 Kuno Knöbl Die Geschichte des Waldheim-Holzpferdes 32 Hagen Fleischer Erinnerungen an die »Causa W.« 41 Sibylle Summer und Kuno Knöbel Gespräch über einen Namen 45 Alexander Emanuely Die gedichtete Revolution des Franz Hebenstreit 54 Sibylle Summer und Mary Steinhauser Gespräch überWaldheim und die Folgen 59 Heidemarie Uhl Abschied von der Opferthese 63 Brigitte Bailer-Galanda Die Thematisierung des Widerstandes gegen das NS-Regime in Zeitgeschichte und Publizistik seit der Waldheimdebatte 70 Robert Knight »Waldheim revisited«: Historisierung, Hysterie und Schulterschluss 85 Andreas Wabl Das Unfassbare fassbar machen 88 Sophie Lillie Rückblick auf zwanzig Jahre Kunstrestitution 95 Peter Kreisky »Neues Österreich« – Ein Einblick 137 Kurt Rothschild Geht’s den (Super-)Reichen gut, geht’s den Armen schlecht 144 Heide Schmidt Verachtet mir die Politik nicht 150 Udo Jesionek Justizpolitik im politischen Kontext 161 Isolde Charim Hellers Mantel 165 Di-Tutu Bukasa Antirassismus und Antifaschismus 167 Eva Dité Die Wächterin vor dem Burgtheater 171 Elfriede Jelinek »Wir gehen jetzt hier herum …« 173 Martin Wassermair Das Ohr an den Glasfasern der Geschichte … 181 Renata Schmidtkunz Der Republikanische Club – eine Herausforderung 185 Ferdinand Lacina Eine Laudatio für Rudolf Gelbard Reden 191 Elfriede Jelinek »Die Schranken fallen« 193 Doron Rabinovici Keine Koalition mit dem Rassismus 195 Ariel Muzicant Wachsamkeit und Entschlossenheit 197 Johanna Dohnal Ein Jahr danach … 203 Dokumente 233 Fotos 261 Biografien Einleitung Die Auseinandersetzung rund um Kurt Waldheim markierte einen Wendepunkt in Österreich. Was vor über zwanzig Jahren das Land umtrieb, wirkt bis heute weiter. Über den damaligen Wahlkampf, über die antisemitischen Töne, über die verschiedenen Anschuldigungen, über den einstigen Bundespräsidenten mag im- mer noch kein Konsens erzielt worden sein, aber unstrittig ist die Bedeutung je- nes Jahres 1986 als Zäsur. Der Mythos, Österreich sei nichts als das erste Opfer Hitlers gewesen, wurde obsolet. Die österreichische Beteiligung am Nationalso- zialismus und seinen Verbrechen wurde erörtert. Mit Jörg Haider trat ein neuer chauvinistischer Populismus zutage. Die entzweite Republik wurde zum Ur- sprung zivilgesellschaftlicher Bewegung. Der Sammelband zeichnet jene Kämpfe nach, die immer noch nicht ausgefochten sind. Dabei kommen neue, teils unbe- kannte Aspekte zum Vorschein. So beschreibt etwa der international renommierte Historiker Hagen Fleischer den politischen Druck, der auf die damalige, offizi- ell eingesetzte »Waldheim - Historikerkommission«, der er selbst angehörte, aus- geübt wurde. Die Historikerinnen Brigitte Bailer-Galanda, Heidemarie Uhl und Sophie Lillie thematisieren die Veränderungen in den zeitgeschichtlichen Debatten über Wider- stand und Formen der Erinnerung, sowie über die nach wie vor bestehenden De- fizite bei der Restitution. Robert Knight und Doron Rabinovici berichten als Historiker, die zu Zeitzeu- gen und Akteuren wurden, über die abwehrenden Reaktionen der politischen und medialen Öffentlichkeit. Ins Zentrum des Blicks gerät hierbei der Republikanische Club – Neues Österreich, der damals entstanden ist und zu einem Fokus für neue zivilgesellschaftliche Bewegungen wurde. Die ersten Aktivitäten des Republikanischen Clubs – Neues Österreich wur- den von einem hölzernen trojanischen Pferd, dessen Entwurf von Alfred Hrdlicka stammt, begleitet. Kuno Knöbl, der die Idee zum Waldheim-Holzpferd hatte, be- schreibt in seinem Essay die Entstehungsgeschichte dieses sichtbaren Zeichens des Verdrängens und Vergessens. Alexander Emanuely stellt die Namensgebung des Cafe-Restaurants »Heben- streit«, das dem Republikanischen Club räumlich angeschlossen ist, in die Tradi- tion der Anfänge der republikanischen Ideen im 18. Jahrhunderts, im Zuge der Aufklärung in Österreich. 10 Einleitung Wie Peter Kreiskys Beitrag kompakt darlegt, reicht das Spektrum des Engage- ments und der in den Clubräumlichkeiten diskutierten Themen weit über die Be- trachtung und Einschätzung der aktuellen zeithistorischen Geschehnisse hinaus. Udo Jesionek zeichnet die gesellschaftspolitischen Implikationen von Justizpoli- tik in unterschiedlichen politischen Kontexten nach. Kurt Rothschilds Essay zeigt ökonomische Zusammenhänge auf, die wieder an Aktualität gewinnen. Heide Schmidt und Renata Schmidtkunz beschäftigen sich mit dem Spannungsfeld von Politik und Zivilgesellschaft. Isolde Charim beschreibt den Republikanischen Club als Ort, der in bestimm- ten Momenten des zivilgesellschaftlichen Unbehagens zum Kristallisationspunkt von politischen Aktionen wird. Als konkretes Beispiel einer der Aktionen rund um die schwarz-blaue Regierungsbildung im Jahre 2000 beschreibt Eva Dité die Auf- stellung der »Wächterin« vor dem Burgtheater. Elfriede Jelinek hielt bei dieser Ver- anstaltung eine Rede, die hier erstmals veröffentlicht wird. Andreas Wabl erinnert sich in einem persönlich gehaltenen Beitrag an eine po- litische Aktion gegen das Vergessen im Parlament. Ferdinand Lacinas Laudatio anlässlich der ersten Verleihung des vom Republi- kanischen Club gestifteten Rudolf Gelbard-Preises »für Aufklärung gegen Antise- mitismus und Faschismus« im Juli 2008 ist ebenfalls im Buch enthalten. Martin Wassermair diskutiert neue Formen von Aktion und Widerstand durch das Medium Internet. So ist in diesem Buch aufgezeichnet, wie die Debatte rund um die nazistische Vergangenheit, wie rechtsextremer Populismus, Antisemitismus und Rassismus die Politik in Österreich bis heute prägt und wohl noch einige Zeit bestimmen wird. Hier wird aber ebenso geschildert, wie im Kampf gegen die Praxis des Totschwei- gens, gegen das Leugnen geschichtlicher Verwicklungen und gegen den Fortbe- stand des Unrechts neue Bewegungen entstanden sind. So ist der Band zu einem Logbuch zivilgesellschaftlicher Auseinandersetzung geworden. Das Vorhaben, ein Buch herauszubringen, entstand 2006, anlässlich des Fes- tes zum 20- jährigen Bestehen des Republikanischen Clubs – Neues Österreich. Kuno Knöbl und Sibylle Summer trafen sich in Folge in diversen Wiener Cafe- häusern mit AktivistInnen, FreundInnen und WegbegleiterInnen des Republikani- schen Clubs (Jacqueline Csuss, Gerti Worel, Silvio Lehmann, Peter Kreisky, Alex- ander Emanuely, Edith Saurer, Andrea Kuntzl), führten zahlreiche Gespräche (u.a. mit Barbara Prammer, Mary Steinhauser, Friedrun Huemer, Rudolf Scholten, Ge- org Hoffmann-Ostenhof, Ruth Wodak, und Ruth Beckermann) und erstellten zu- Einleitung 11 nächst ein Konzept, das eine mehrbändige Enzyklopädie über das Zeitgeschehen Österreichs der letzten Jahrzehnte zur Folge gehabt hätte. In einem zweiten Anlauf reduzierte das Redaktionsteam das Konzept auf das Ausmaß eines Taschenbuches. Brigitte Lehmann und Sibylle Summer sammelten beharrlich die Beiträge, erwar- tungsgemäß zog sich die Abgabe der Texte in die Länge. Neben dem Dank an die Autorinnen und Autoren dieses Sammelbandes, gilt unser besonderer Dank auch Isabell Bickel, Jacqueline Csuss, Gerti Worel, Peter Bettelheim, Andrea Mautz, Michael Kollmer und Alexander Lellek, die durch ih- ren Einsatz zum Entstehen dieses Buches beigetragen haben. Das Redaktionsteam: Brigitte Lehmann, Doron Rabinovici und Sibylle Summer Aktion und Artikulation Das Bestehen des Republikanischen Clubs Doron Rabinovici Unversehens war einer zum Symptom geworden. Plötzlich wurde der Kandidat zum Kainsmal eines Landes, das der Papst eben noch als Insel der Seligen be- weihräuchert hatte, das aber nun zur Quarantänestation für grassierende Selbstver- gessenheit und für epidemischen Gedächtnisschwund zu verkommen schien. An- derswo hatten die Nachkommen im Jahr achtundsechzig den Eltern unangenehme Fragen gestellt, hatten wissen wollen, weshalb sie zu den Verbrechen geschwiegen und dem Regime nicht widerstanden hatten, doch hierzulande war jede Kritik der Jungen ungehört verhallt. Die Alten erklärten, sie hätten nichts getan, und wäh- rend diese Aussage, nichts getan zu haben, andernorts bereits als Selbstbezichti- gung verstanden worden wäre, als Bekenntnis eigener Unterlassungsschuld, als Ge- ständnis, gegenüber den Morden untätig geblieben zu sein, ging sie hierzulande als Rechtfertigung und Freispruch durch, ja, als Beleg für die These, nichts gewe- sen zu sein als das erste Opfer Hitlers. Jahrzehntelang hatten Ruhe und ein Kirch- hofsfriede geherrscht, doch Mitte der Achtziger änderte sich dies. Es war nun, als wäre jeder Lüge ein unsichtbares Ablaufdatum eingezeichnet, und was vorgestern noch bekömmlich schien und bloß ein Problem von Gusto und Geschmack, wurde plötzlich ranzig und verdorben. Nicht nur in Österreich, in der ganzen Welt war in Bewegung geraten, was bisher bleiern und ehern gewirkt hatte. Bereits Ende der Siebziger war von einer Krise des Stahls gesprochen worden. Die britischen Gewerkschaften verloren ihre Macht, nach der Niederlage im Bergarbeiterstreik. Während riesige Minen und Metallfabriken geschlossen wurden, erzielten winzige Mikrochips die kolossalsten