Helmuth Lohner Ehemaliger Intendant Theater in Der Josefstadt Im Gespräch Mit Isabella Schmid
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BR-ONLINE | Das Online-Angebot des Bayerischen Rundfunks http://www.br-online.de/alpha/forum/vor0305/20030523.shtml Sendung vom 23.05.2003, 20.15 Uhr Helmuth Lohner Ehemaliger Intendant Theater in der Josefstadt im Gespräch mit Isabella Schmid Schmid: Herzlich willkommen zu Alpha-Forum. Unser Gast heute ist Helmuth Lohner, Schauspieler, Regisseur und Intendant. Ich freue mich, dass Sie bei uns sind. Als Sie 1997 das Theater in der Josefstadt übernommen haben, sind damit auch ganz neue Aufgaben auf Sie zugekommen. Als Schauspieler beschäftigt man sich ja nur mit der reinen Kunst, da aber ging es nun plötzlich um Finanzen, um Verwaltung usw. Warum haben Sie gesagt, "Das tue ich mir noch einmal an"? Lohner: Nun, das kam recht plötzlich. Ich war in Hamburg und bei mir waren freie Tage immer schon verhängnisvoll: Da hat es immer schon so furchtbare Entschlüsse gegeben. Ich bin ja zeitlebens ein ziemlicher Frühaufsteher und ich ging damals ziemlich in der Früh rund um die Alster in Hamburg und dachte ein wenig nach. Plötzlich kam mir in den Sinn, dass nun alle Kollegen in meiner Generation ein Theater leiten: der Jürgen Flimm, der Peter Stein, der Klaus Peymann usw. Ich dachte mir also, dass ich das doch auch mal machen könnte. Ich hatte zu diesem Zeitpunkt bereits erfahren, dass der Otto Schenk die Josefstadt verlassen wird. Ich habe daraufhin also ein Brieflein an den Wiener Bürgermeister geschrieben, dass ich das gerne machen würde. Ich hatte diesen ganzen Brief aber am nächsten Tag schon wieder vergessen. An einem der nächsten Tage stand dann aber plötzlich am Abend nach der Vorstellung ein Blumenstrauß vor meiner Tür mit einem "Einverstanden". Geschickt hatte diesen Blumenstrauß der damalige Wiener Bürgermeister Helmut Zilk. Daraufhin bin ich nach Wien gefahren und habe dort einen Vertrag unterschrieben. Nach zwei, drei Tagen haben ich dann aber erst gemerkt, was ich mir damit angetan hatte. So lief jedenfalls das Ganze ab. Es gab in meinem Fall nicht, wie es heute üblich ist, diese Abstimmungen und Auswahlverfahren. Bei mir war das alles nicht so. Ich muss aber sagen, dass ich nicht irgendwelche Beziehungen benutzt hätte: Denn diese besonderen Beziehungen hatte ich ja gar nicht. Ich war nämlich bis dahin in Wien gar nicht zu Hause. Ich bin zwar dort geboren und habe auch schon am Burgtheater gespielt, aber Wien war zu diesem Zeitpunkt dennoch nicht mein "fester Heimatboden". Schmid: Ihr Vorgänger, Otto Schenk, hatte ein gut besuchtes Haus, aber möglicherweise in finanziellen Dingen kein sehr glückliches Händchen. Hat man daher von Ihnen erwartet, dass Sie dort zuerst einmal quasi aufräumen, Leute entlassen und billig spielen? Kamen da keine Berater zu Ihnen und haben Ihnen gesagt, wie Sie das machen müssen? Lohner: Nein, überhaupt nicht. Im Gegenteil, in finanzieller Hinsicht ist die Sache bei mir in den ersten zwei Jahren sogar noch ärger geworden: Wenn man so etwas macht, wenn man so ein Amt antritt, dann muss man doch versuchen, Träume, Theaterträume zu verwirklichen. Die Inszenierungen von Luc Bondy, Peter Stein oder Günter Krämer gingen natürlich ziemlich ins Geld, das stimmt schon, weil das eben auch mit Gästen usw. verbunden war. Man stand dann da und hatte zwar ein ausverkauftes Haus, denn die Auslastung war wirklich sensationell, aber man hatte doch in finanzieller Hinsicht mit vielem nicht gerechnet. Nun geht es aber wieder seit ein paar Jahren und so bin ich in der glücklichen Lage – das ist aber kein Stolz oder so –, ein komplett schuldenfreies Theater zu übergeben. Dennoch haben wir die größtmögliche Auslastung, die überhaupt denkbar ist. Schmid: Das Theater in der Josefstadt hat ja auch viele Abonnenten und viele treue Besucher. Dennoch haben Sie bei Ihrem Antritt gesagt, dass Sie dort schon auch ein bisschen andere Sachen machen wollen: "Die Leut' müssen sich auf etwas anderes einstellen!" Es wurde dann auch zum ersten Mal Thomas Bernhard im Theater in der Josefstadt aufgeführt, ebenso wie ein Stück von Friederike Roth. Das war in der Tat etwas Neues für die Leute. Lohner: Natürlich hat es daraufhin auch Abonnementkündigungen gegeben. Aber heute ist es doch wieder so, dass eine ziemlich lange Warteliste für Abonnements besteht. Diese Liste ist natürlich nicht so lange wie bei den Wiener Philharmonikern, wo man ja auf einer Warteliste steht, bei der man an die 200 Jahre alt werden müsste, um ein Abonnement für die philharmonischen Konzerte zu bekommen. Wir haben jedenfalls eine ziemliche Warteliste. Ich bin noch verantwortlich für dieses Theater bis zum 31. August 2003 und im Grunde ist dann das Ganze für mich eigentlich erledigt. Schmid: Sie haben gesagt, dass bei dem Stück von Friederike Roth auch einige ihr Abonnement gekündigt hätten. Wie weit muss man denn da gehen? Was muss man dem Zuschauer zumuten können? Inwieweit muss da einfach auch mal etwas Neues passieren? Lohner: Dieses Stück von Friederike Roth erschien mir ziemlich logisch. Ich wollte einfach unbedingt, dass Günter Krämer in Wien inszeniert. Wir haben uns dann auf die Friederike Roth geeinigt und ich halte das noch immer für ein gutes Stück mit hervorragenden Rollen. Bei einem Theaterstück waren bei mir eh immer die Rollen das Entscheidende: Ich kann die Qualität eines Theaterstücks nicht anders bewerten als danach, dass in ihm gute Rolle für die Kollegen vorhanden sind. Ich selbst habe mich dabei natürlich immer in den Hindergrund gestellt: Ich habe mich also nie selbst besetzt, darauf kann ich stolz sein, wobei ich aber sagen muss, dass "Stolz" für mich eigentlich ein völlig fremdes Wort ist: Ich habe das daher nur als Floskel gemeint. Die Qualität eines Stückes besteht für mich jedenfalls in der Qualität der Rollen. Schmid: Inwieweit kann denn das Theater heutzutage Ihrer Meinung nach noch provozieren? Lohner: Gott sei Dank leben wir ja nicht in Zeiten, in denen man das Theater zur politischen Provokation bräuchte. Ich habe mit dem polnischen Regisseur Konrad Swinarski z. B. selbst zwei Stücke gemacht. Er sagte mir, dass es in Polen eine Zeit, eine politische Zeit, gegeben hat, in der man "Richard III." nicht hätte spielen können. Dasselbe Problem hat es ja z. B. auch im so genannten Dritten Reich gegeben, das ich selbst als Kind teilweise ja noch miterlebt habe. Auch damals war "Richard III." im Berliner Staatstheater ein großer Skandal. Die Legende sagt, dass Gustav Gründgens um das Leben des zuständigen Regisseurs – ein Großer des Theaters, nämlich Jürgen Fehling – fast auf Knien hätte bitten müssen. Solche Zeiten wollen wir doch bitte schön nicht mehr haben. Man kann aber geistig provozieren, das gibt es in der Tat. So sehr jeder Theaterabend ein Fest sein sollte, sollte er auch anregen zur Diskussion: So weit soll man also provozieren, zur günstigen wie zur negativen Stellungnahme. Ein Theaterabend soll verschiedene Meinungen provozieren und nicht nur eine. Ich selbst kann davon ja ein Lied singen: Ich habe in meinem ganzen Schauspielerleben eigentlich nie durchgängig gleichmäßig gute Kritiken erhalten. Oft war es so, dass ich gleichzeitig verdammt und geküsst wurde. Der eine Kritiker wollte mich am liebsten in den nächsten Mistkübel werfen, während mich der andere auf einen Sockel gestellt hat. So war es bei mir immer. Aber das hat mich nie gegrämt: Ich habe nie verlangt, dass mich alle gerne haben müssen. Vor dieser Hochmütigkeit habe ich mich also selbst bewahrt. Schmid: Wenn es nach einem Stück noch Diskussionen gibt, dann ist das für einen Intendanten doch eigentlich toll, oder? Lohner: Ja, ja, wenn Sie diese Art von Provokation meinen. Aber politisch provozieren kann man doch heute gar nicht mehr. Es gibt natürlich schon auch heute noch Länder, in denen das möglich und notwendig ist. Es gibt heutzutage natürlich schon auch einige, die ihr Provokationsbedürfnis damit stillen, dass sie sich meinetwegen über Religionen lustig machen oder die verschiedenen Religionen zu provozieren versuchen usw. Aber das ist doch auch nichts Neues. Schmid: Ist das Theater daher Ihrer Meinung nach bei uns unpolitisch? Lohner: Das Theater ist immer politisch: Es gibt kein unpolitisches Theater. Es wird auch immer politisch sein. Nehmen Sie als Beispiel jemanden wie Bertolt Brecht: Er hat nie ein so politisches Lied geschrieben wie z. B. dieses bayerische Volkslied, in dem von der "Patrona Bavariae" gesungen wird. So etwas ist viel politischer gewesen als jegliche politische Provokation von Brecht. Schmid: Sie selbst sind ja in Ottakring geboren, in einem Arbeiterviertel in Wien, und haben dann dort an der Arbeiterhochschule die Matura, also das Abitur gemacht. Lohner: Na ja, das ist doch kein Verdienst, um Gottes Willen. Schmid: Würden Sie sagen, dass Sie dieses Viertel, diese Herkunft geprägt hat, dass Sie das auch politisch geprägt hat? Lohner: Nun ja, ich komme aus einer Familie, in der der Vater Sozialdemokrat und in der die Mutter Sozialdemokratin gewesen ist. Wie sie den Krieg und die Zeit des Nationalsozialismus gemeistert haben, weiß ich nicht. Auf jeden Fall haben sie diese Zeit überlebt. Mein Vater allerdings nicht sehr lange. Aber ich kann mir ehrlich gesagt keine andere Ideologie vorstellen, die mich durch mein Leben begleitet hätte. Ich war mein Leben lang mehr oder weniger – so weit ich ihn verstanden habe – ein Kantianer. Ich habe natürlich auch Karl Jaspers verehrt, wie es sich für unseren Beruf gehört. Den nötigen Pessimismus fürs Leben habe ich von Schopenhauer bezogen. Ich hatte jedenfalls nie Probleme mit meiner Herkunft – höchstens zeitweise. Man wird ja durch das Leben begleitet von blödsinnigen Sätzen und kommt dann im Laufe dieses Lebens immer mehr darauf, dass die Dummheit eigentlich keine Grenzen hat. Eine der wichtigsten Erkenntnisse des Lebens besteht darin, dass man genau mit dieser Dummheit immer zu rechnen hat. Alles Kluge ist dann nur noch eine große Überraschung. Schmid: Sie haben gesagt, dass Ihre Eltern im Krieg sehr gelitten haben: Ihr Vater kam dann ja auch sehr krank aus dem Krieg zurück. Schien es irgendwie vermessen, dass der Sohn dann Schauspieler werden will? Lohner: Ich hatte bei meinen Eltern nie Probleme damit.