Iwand-Vortrag Beienrode 10-2009

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Iwand-Vortrag Beienrode 10-2009 60 Jahre Haus der helfenden Hände Festrede zum Stiftungsempfang der Evangelischen Stiftung Neuerkerode im Haus der helfenden Hände in Beienrode am 19. Oktober 2009 von Landesbischof Prof. Dr. Friedrich Weber Sehr geehrte Damen und Herren, Mehrfach ist heute Abend der Name Hans-Joachim Iwand gefallen. Was hat Hans Iwand mit Beienrode zu tun? Wer war Hans-Joachim Iwand? Hans-Joachim Iwand (1899-1960), war Pastor und lutherischer Theologe der bekennenden Kirche, also jenem Teil der Kirche, der sich vom nationalsozialistischen Staat distanzierte und teilweise im Widerstand arbeitete. Nach 1945 haben diese Männer und Frauen versucht ihre Erfahrungen in die Gestaltung der neuen evangelischen Kirche in Deutschland einzubringen, maßgeblich beteiligt war dabei auch Hans-Joachim Iwand. Er war ein wichtiger Berater bei der Entwicklung einer Grundordnung für die EKD und sein Vorentwurf liegt dem Darmstädter Wort des Bruderrats der Bekennenden Kirche von 1947 zugrunde. Fast prophetisch muten in der heutigen konfessionellen Situation seine in einem Vortrag am 8. Mai 1947 in Berlin gemachten Anmerkungen zur konfessionellen Lage zwischen den Evangelischen an: „Selbstverständlich wird es Lutherische und Reformierte geben, aber beide müssen wissen, dass das Erbe ist. Das Wort Gottes, das uns heute begegnet, ist nicht konfessionelle bestimmt. Die Gemeinden begreifen den konfessionellen Kampf nicht mehr als einen Kampf um ihr Heil.“ 1 Ohne die überragende Bedeutung des Theologen Iwand, ohne seine unermüdliche Initiative und seinen Wagemut ist die Existenz des Hauses der helfenden Hände in Beienrode nicht zu verstehen. Er ist der Gründer dieses Hauses, das sein Vermächtnis in sich birgt. Einige Stichworte zu seinem Lebensweg: Geboren 1899 als Pfarrerssohn in Schlesien, Schulzeit bis zum Abitur in Görlitz, Studium der Theologie, unterbrochen durch Kriegsdienst, in Breslau und Halle, aus dem Predigerseminar in Wittenberg heraus Berufung zum Studieninspektor an das Lutherheim in Königsberg, nach der Promotion die Habilitation 1927 mit der Arbeit über „Rechtfertigung und Christusglaube“, 1934 Lehrstuhlinhaber für Neues Testament in Riga, 1935 Entzug der Lehrerlaubnis, 1936 „Reichsredeverbot“. Er wird als 1 Hans Iwand, Theologische Fragen der gegenwärtigen kirchlichen Auseinandersetzung 1 Leiter des illegalen Predigerseminars der Ostpreußischen Bekennenden Kirche in Bloestau aus Ostpreußen ausgewiesen, verhaftet und beginnt in Dortmund neu mit dem Seminar. 1938 Ausweisung aller Kandidaten des Seminars, er selbst wird wieder verhaftet. 1945 Berufung auf einen systematischen Lehrstuhl in Göttingen. Und ganz nebenbei: Iwand war Anfang der fünfziger Jahre der Wunschkandidat als Bischof in Braunschweig. Aber es soll nie zu ernsthaften Gesprächen gekommen sein. Ab 1952 ist er Professor in Bonn. Dort stirbt Iwand am 2. Mai 1960. Schon diese wenigen Stichworte zum Werdegang – wie Verhaftungen, Entzug der Lehrerlaubnis, Reichsredeverbot - machen deutlich, dass sich Iwand aus tiefer christlich- theologischer Einsicht und Überzeugung der Bekennenden Kirche im Widerstand gegen den Nationalsozialismus verpflichtet wusste. Geistig verbunden war er den Theologen Karl Barth, Martin Niemöller, Dietrich Bonhoeffer, um nur einige Namen zu nennen. Sie alle haben zunächst geahnt und bald gewusst, dass sich mit dem Starkwerden des Nationalsozialismus in Deutschland nicht Versöhnung sondern Feindschaft, nicht Friede sondern Krieg ankündigten. Sie haben miterlebt, dass die Wahrheit und die Achtung vor dem anderen Menschen mit Füßen getreten wurden. Und sie haben dies als einen elementaren Angriff auf das Gott-Sein Gottes und auf sein Liebesgebot begriffen. Dies wird in einer Predigt Iwands vom 13.6.1942, in der er das erste Gebot auf dem Hintergrund der reformatorischen Entdeckung des „Allein“ – Christus allein, der Glaube allein – auslegte, deutlich: „Wer an ihn glaubt, muß das 'Allein' glauben und bekennen. Darum geht der Kampf, nicht außerhalb, sondern gerade innerhalb der Kirche, im Alten, wie im Neuen Bund, … . Es gibt kein Ja zu Gott ohne ein Nein zu den Götzen, und je gewisser das Ja, desto klarer das Nein.“ 2 Auch Iwand hatte erlitten, welche Folgen es hat, wenn sogar in der Kirche bekannt wurde: „Wie jedem Volk, so hat auch unserem Volk der ewige Gott ein arteigenes Gesetz eingeschaffen. Es gewann Gestalt in dem Führer Adolf Hitler und in dem von ihm geformten nationalsozialistischen Staat. Dieses Gesetz spricht zu uns in der aus Blut und Boden erwachsenen Geschichte unseres Volks. Die Treue zu diesem Gesetz fordert von uns den Kampf für Ehre und Freiheit.“ 3 Die Götzen sind erkannt, sie heißen: Führerkult, Blut und Boden, Kampf für Ehre und Freiheit. 2 Jürgen Seim, Hans Joachim Iwand. Eine Biografie, Gütersloh 1099, 274 3 Aus den Richtlinien der Kirchenbewegung Deutscher Christen in Thüringen. Zitiert in: Lesebuch für den Religionsunterricht, Stuttgart 1996, 156f 2 Iwand hat mit anderen in dieser Zeit nach dem gesucht, was christlich als Wahrheit zu bekennen ist, verbunden mit der Frage einer am Evangelium orientierten politischen Existenz des Christen. Dies alles prägte seinen Lebensweg im „Kirchenkampf“ während der Diktatur des sog. Dritten Reiches und anschließend bestimmte es ihn in der Mitwirkung an der Neuorientierung der Kirche wie des Staates nach dem 8. Mai 1945. Was es heißt, als Christ zu leben, das hatte er an Luthers Schriften und im Bibelstudium neu wiederentdeckt. Sein Blick wurde geschärft für menschliches Bestreben, das sich das absolute Recht nimmt, mit der Macht des Wollens und Könnens nach eigenen Vorstellungen die Welt zu gestalten und nicht nach Gott zu fragen. Iwand sieht, was dieser Wille zur Macht bewirkt: unsäglich viele Tote und Umgebrachte, die Grausamkeiten der Rache, der Strom der aus dem Osten Vertriebenen in das verbliebene, zerstörte Gebiet Deutschlands, entwurzelte und in Verzweiflung gestürzte Menschen, die nur zu oft als Fremde und als noch zusätzliche Last empfunden wurden. Hinzu kommt die Anfechtung derer, die in Ostpreußen der bekennenden Kirche treu geblieben waren und nun sich geschlagen erfuhren. Mit ihnen war Iwand ja eng verbunden, so auch jetzt mit ihrer Not. Wo und wie kann für Heimatlose in der Fremde so etwas wie Heimat entstehen? Diese Frage trieb ihn um. Bereits im Sommer 1945 beschreibt er in einem Rundbrief die Aufgabenstellung: Ein Hilfswerk für die Not leidenden ostpreußischen Brüder und deren Familien zu gründen und „Fürsorge für die Familien der Brüder, deren Familienväter nicht hier sind, weil sie gefallen sind, gefangen oder in Ostpreußen verblieben.“ Das Motiv für sein Engagement war tief in seiner Überzeugung und Theologie verankert. Sein Blick für die Lage der Menschen war geschärft durch die lutherische Theologie des Kreuzes. Sie wird zum Angelpunkt seiner Orientierung, seines Denkens und Handelns in der schweren Situation. Deren Kern besagt: Gottes Herrschaft ist keine Macht der Gewalt wie sie vom Nationalsozialismus als neue Auferstehung des deutschen Volkes propagiert wurde, sondern die Macht gerade der Ohnmacht. Das zeigt das Kreuz. Aber gerade im Kreuz ist Gott auf verborgene Weise wirksam als die Wahrheit, die nicht zerstört, sondern den Menschen für sich gewinnen will, die retten, heilen, versöhnen will, was der Mensch so unversöhnlich zerstört. Die Theologie des Kreuzes will in unser Leben eingezeichnet werden. Denn „so kann man immer nur beides zugleich finden: Gott, den wirklichen Gott, der der Herr meines ganzen Lebens ist, und die Wirklichkeit dieses Lebens selbst ins seiner ganzen tiefen Rätselhaftigkeit. Das tiefste und schwerste Rätsel ist in uns selbst, im Menschen.“ 4 Indem beides zusammenkommt, die Erkenntnis Gottes und die Selbsterkenntnis und indem verstanden wird, dass Gott gerade in seinem Leiden ganz Gott und zugleich Mensch ist und bei den je 4 Seim, a.a.O., 584 3 einzelnen Menschen ist, empfängt der Mensch die Gelassenheit und die Kraft sein Geschick zu tragen und seine Welt zu friedlich gestalten. Damit hat Iwand getröstet, Mut gemacht und Hilfe organisiert. Das ist der Geist der Geburtsstunde des Hauses der helfenden Hände. Es gilt, im Leiden den Geist der Versöhnung und des Friedens in Taten wirksam werden zu lassen. Wie die Not eine doppelte ist, die innere geistige Not der Verzweiflung und die äußere der Mittellosigkeit durch Verlust von allem Hab und Gut, so muss auch die Hilfe beide Dimensionen aufgreifen. 1947 wird Iwand zum Vorsitzenden des „Hilfskomitees der evangelischen Deutschen aus Ostpreußen“ gewählt, dessen Aufgabe die Linderung der geistigen Not ist. Die Linderung der äußeren Not wurde in den Jahren 1946-1949 aus der Wohnung der Familie Iwand in Göttingen geleistet. Hier sammelten sich die Hilfsgüter, die an die Not Leidenden weitergeleitet wurden. Iwand sieht von Anfang an, dass die Vertriebenen für die geistige Heimat kein Büro, sondern eine lebendige Mitte, ein Haus benötigen, in dem die über die Lande zerstreuten Flüchtlinge zusammenkommen können, wo die geistige Erbauung durch Konzentration auf das Wort Gottes geschieht und wo Hilfe für die vielen Nöte gegeben werden kann. Gesucht wurde also eine „Zentrale für das ostpreußische Hilfswerk“. 1948 wurde Iwand das Gut Beienrode als dieser Ort angeboten. 1949 wird es gepachtet und nach vielen Schwierigkeiten gelingt 1951 der Erwerb des ganzen Komplexes mit dem dazugehörigen Land. Von Anfang an legt Iwand großen Wert darauf, dass das Haus der helfenden Hände sich allein aus Spenden aufbaut, um nicht in institutionelle Abhängigkeiten zu kommen – ein Erbe der Erfahrungen aus dem Kampf der bekennenden Kirche.
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