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Entscheidungsdatum 12.01.2021 Geschäftszahl

W241 2184325-1/12E W241 2184332-1/15E W241 2184327-1/9E W241 2184330-1/8E

IM NAMEN DER REPUBLI K!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. HAFNER über die Beschwerden 1.) der XXXX , geb. XXXX , 2.) des XXXX , geb. XXXX , 3.) des mj. XXXX , geb. XXXX , 4.) der mj. XXXX , geb. XXXX , beide Minderjährigen gesetzlich vertreten durch die Mutter XXXX , alle Staatsangehörigkeit , alle vertreten durch RA Mag. Dr. XXXX , gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 27.12.2017, Zahlen 16-1101616905-160044326 (ad 1.), 16-1101616709-160044318 (ad 2.), 16-1101617009- 160044342 (ad 3.) und 16-1101617107-160044355 (ad 4.), nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 05.01.2021 zu Recht:

A) I. Den Beschwerden wird stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 Asylgesetz 2005 sowie XXXX und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 in Verbindung mit § 34 Abs. 2 Asylgesetz 2005 der Status von Asylberechtigten zuerkannt.

II. Gemäß § 3 Abs. 5 Asylgesetz 2005 wird festgestellt, dass XXXX und XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

- 2 -

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Entscheidungsgründe :

1. Verfahrensgang:

1.1. Die Beschwerdeführer (in der Folge BF) XXXX (BF1), ihr Ehegatte XXXX (BF2), sowie die gemeinsamen minderjährigen Kinder XXXX (BF3), und XXXX (BF4), sind afghanische Staatsangehörige.

Die BF reisten gemeinsam mit den Eltern und dem Bruder des BF2 irregulär und schlepperunterstützt in Österreich ein und stellten am 07.11.2015 jeweils einen Antrag auf internationalen Schutz im Sinne des § 2 Abs. 1 Z 13 Asylgesetz 2005 (in der Folge AsylG).

1.2. In ihrer Erstbefragung am 25.08.2014 durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes machten die BF1 und der BF2 im Beisein eines Dolmetsch für die Sprache Dari Angaben zu ihrem Fluchtweg und brachten vor, dass sie Afghanistan wegen der schlechten Bedingungen verlassen hätten. Dort herrsche Krieg und es gäbe überall Terroranschläge.

1.3. Bei ihren Einvernahmen am 16.11.2017 vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge BFA) im Beisein eines Dolmetsch für die Sprache Dari bestätigten die BF die Richtigkeit ihrer bisher gemachten Aussagen.

In der Folge machten die BF1 und der BF2 Angaben zu ihren Lebensverhältnissen und letzten Aufenthaltsorten in Afghanistan und zu ihren Fluchtgründen.

1.4. Im Verfahren vor dem BFA legte die BF1 folgende Schriftstücke vor:

- Ärztliches Schreiben - Tazkira - Empfehlungsschreiben von der Kirche - 3 -

- Bestätigung über gemeinnützige Arbeit in einer Gemeinde - Empfehlungsschreiben – Tiroler Soziale Dienste - Teilnahmebestätigung – Deutschkurs - Spielpass für den BF3 in Kopie - Teilnahmebestätigung des BF3 - Mitteilung von der Schule den BF3 betreffend - Vier Fotos – Fußballspiel des BF3 - Bestätigung für die BF4, dass sie seit Oktober 2016 den Kindergarten besucht - Schwimmurkunde des BF3

Der BF2 legte ebenfalls diverse Integrationsunterlagen vor.

1.5. Mit im Wesentlichen gleichlautenden Bescheiden vom 27.12.2017 wies das BFA die Anträge der BF auf internationalen Schutz vom 07.11.2015 gemäß § 3 Abs. 1 in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG ab (Spruchpunkte I.), erkannte ihnen den Status von Asylberechtigten ebenso wie gemäß § 8 Abs. 1 in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG den Status von subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan nicht zu (Spruchpunkte II.) und verband diese Entscheidungen in den Spruchpunkten III. gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG in Verbindung mit § 9 BFA-VG mit Rückkehrentscheidungen gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG. Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG wurden den BF nicht erteilt. Es wurde festgestellt, dass die Abschiebung der BF nach Afghanistan gemäß § 46 FPG zulässig sei. Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise des BF 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung.

In der Bescheidbegründung traf die belangte Behörde Feststellungen zur Person der BF und zur Lage in ihrem Herkunftsstaat. Eine asylrelevante Verfolgung liege nicht vor, das Vorbringen der BF sei unglaubhaft. Sie hätten keine Verfolgung im Sinne des AsylG glaubhaft gemacht und es bestünden keine stichhaltigen Gründe gegen eine Abschiebung der BF nach Afghanistan. Im Falle der Rückkehr drohe ihnen keine Gefahr, die eine Erteilung des subsidiären Schutzes rechtfertigen würde.

Die BF würden nicht die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG erfüllen, der Erlassung von Rückkehrentscheidungen stehe ihr Recht auf Achtung des Privat- oder Familienlebens angesichts der kurzen Aufenthaltsdauer und des Fehlens von familiären oder privaten Bindungen im Inland nicht entgegen. Angesichts der abweisenden Entscheidungen über die Anträge auf internationalen Schutz ergebe sich die Zulässigkeit der - 4 -

Abschiebung der BF nach Afghanistan. Die Frist für die freiwillige Ausreise von 14 Tagen ergebe sich aus § 55 FPG, da besondere Umstände, die die BF bei der Regelung ihrer persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen hätten, nicht gegeben seien.

Beweiswürdigend führte das BFA (zusammengefasst) aus, dass die BF bezüglich ihrer behaupteten Herkunftsregion, Volks- und Staatsangehörigkeit aufgrund ihrer Sprach- und Lokalkenntnisse – im Gegensatz zu ihrem Fluchtvorbringen – glaubwürdig wären. Die Feststellungen zur Situation in Afghanistan wären glaubhaft, weil sie verlässlichen, seriösen, aktuellen und unbedenklichen Quellen entstammten, deren Inhalt schlüssig und widerspruchsfrei sei.

Zum Fluchtvorbringen führte das BFA aus, dass dieses weder glaubhaft sei noch stelle es einen asylrelevanten Grund der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) dar.

Bei der BF1 hätte „eine westliche Einstellung“ nicht erkannt werden können. Ihre Aufenthaltsdauer in Österreich gestalte sich nicht derart, dass sie der Lebensweise ihres Kulturkreises dermaßen entrückt wäre, dass für sie eine Rückkehr nicht möglich wäre. Eine konkrete, individuell gegen die BF1 gerichtete Bedrohung oder Verfolgung hätte sie nicht glaubhaft vorbringen können.

Subsidiärer Schutz wurde ihnen nicht zuerkannt, da im Falle einer Rückkehr der BF in ihren Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 oder 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder 13 zur GFK oder eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt oder im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes nicht gegeben sei.

1.6. Gegen diese Bescheide brachten die BF durch ihre gewillkürte Vertretung mit Schreiben vom 24.01.2018 fristgerecht das Rechtsmittel der Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht (in der Folge BVwG) ein.

In der Beschwerdebegründung wurde auf die Gefahr einer geschlechtsspezifischen Verfolgung der BF1 aufgrund ihrer westlichen Orientierung hingewiesen.

1.7. Das BVwG führte am 05.01.2021 eine öffentliche mündliche Verhandlung unter Beisein einer Dolmetsch für die Sprache Dari durch, zu der die BF persönlich mit ihrem gewillkürten Vertreter erschienen. Die belangte Behörde verzichtete im Vorhinein auf die Teilnahme an - 5 - der Verhandlung.

Zu Beginn der Verhandlung legten die BF ein Konvolut an Integrationsunterlagen, Empfehlungsschreiben und diverse Fotos, die die BF1 bei Freizeitaktivitäten mit anderen Familien/Österreichern zeigen, vor. Daraufhin machte die BF1 Angaben zu ihrer Lebensweise und ihrem Alltag in Afghanistan und nunmehr hier in Österreich.

2. Beweisaufnahme:

Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgeblichen Sachverhaltes wurde im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweis erhoben durch:

 Einsicht in die dem BVwG vorliegenden Verwaltungsakten des BFA, beinhaltend die Niederschriften der Erstbefragungen, der Einvernahmen vor dem BFA sowie die Beschwerden  Einsicht in Dokumentationsquellen betreffend den Herkunftsstaat der BF in den erstbehördlichen Verfahren in den Verwaltungsakten der BF  Einsichtnahme in die von den BF vor dem BFA vorgelegten Schriftstücke  Einvernahme der BF im Rahmen der öffentlichen mündlichen Verhandlung vor dem BVwG am 05.01.2021  Einsichtnahme in Feststellungen und Berichte über die allgemeine Lage im Herkunftsstaat (aktuelles Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 16.12.2020)

3. Ermittlungsergebnis (Sachverhaltsfeststellungen):

Folgende Feststellungen werden aufgrund des glaubhaft gemachten Sachverhaltes getroffen:

3.1. Zur Person der BF:

Die BF führen die Namen XXXX (BF1), XXXX (BF2), XXXX (BF3), und XXXX (BF4).

Die BF sind Staatsangehörige der Islamischen Republik Afghanistan, Angehörige der Volksgruppe der Tadschiken und bekennen sich zur schiitischen Glaubensrichtung des Islam. Die Muttersprache der BF ist Dari, darüber hinaus spricht die BF1 bereits gutes und verständliches Deutsch. Auch die restlichen BF verfügen über Deutschkenntnisse. - 6 -

3.2. Lebensumstände der BF in Afghanistan:

Die BF1 ist in Herat in Afghanistan geboren worden und im Kleinkindalter mit ihren Eltern in den Iran ausgewandert. Dort hat sie mit 17 Jahren geheiratet und ist gemeinsam mit ihrem Mann nach Afghanistan zurückgekehrt.

Die BF1 im Iran neun Jahre lang eine Schule besucht. Gelegenheit, einen Beruf zu erlernen, hat sie keine bekommen. Sie war Hausfrau und hat im Haushalt ihrer Schwiegereltern gelebt.

3.3. Flucht der BF und Lebensverhältnisse in Österreich:

3.3.1. Aufgrund der allgemeinen unsicheren Lage in Afghanistan flüchteten die BF im Jahre 2015 von Afghanistan nach Österreich.

Die BF1 hat ihr Verhalten und ihr Auftreten der neuen Kultur entsprechend verändert.

Die persönliche Haltung der BF1 über die grundsätzliche Stellung der Frau in Familie und Gesellschaft steht nunmehr im eindeutigen Widerspruch zu den in Afghanistan vorherrschenden gesellschaftlich-religiösen Zwängen, denen Frauen dort mehrheitlich unterworfen sind.

Die BF1 ist von ihrer persönlichen Wertehaltung her überwiegend an dem in Europa mehrheitlich gelebten, allgemein als „westlich“ bezeichneten Frauen- und Gesellschaftsbild (selbstbestimmt leben zu wollen) orientiert. Sie absolvierte bereits erfolgreich den Deutschkurs für A2 und besucht nunmehr weitere Deutschkurse.

Die BF1 unterhält Beziehungen zu österreichischen Familien, besucht mit diesen Feste und verfügt – auch über männliche – Bekannte und Freunde. Darüber hinaus arbeitet sie ehrenamtlich in einer Bücherei, ist Mitorganisatorin eines Frauencafés, hilft afghanischen Frauen beim Dolmetschen und betreut mittels „Dienstleistungsscheck“ stundenweise eine ältere Dame. Sie möchte in Zukunft entweder weiterhin als Betreuerin älterer Personen oder als Friseurin arbeiten. Die BF1 verfügt eigenständig über ihr Geld, geht einkaufen sowie mit ihren Kindern ins Schwimmbad und besitzt ein Handy.

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Sie ist nunmehr eine auf Eigenständigkeit bedachte Frau, die nicht mehr nach der konservativ-afghanischen Tradition lebt. Sie trägt das Haar offen und schminkt sich, die Fingernägel sind lackiert. Weiters trägt die BF1 eine Uhr und Schmuck und kleidet sich nach westlicher Mode (Hose, Schuhe mit Absätzen). Die BF1 will auch ihre Kinder frei von Zwängen erziehen und weiterhin so leben, wie sie hier in Österreich lebt. Sie lehnt die Umstände und Lebensverhältnisse für Frauen in Afghanistan ab und kann sich nicht vorstellen, nach der konservativ-afghanischen Tradition zu leben. Sie würde im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan von dem dortigen konservativen Umfeld als am westlichen Frauen- und Gesellschaftsbild orientierte Frau angesehen werden.

3.3.2. Der BF2 ist der Ehemann der BF1, und der BF3 und die BF4 sind die gemeinsamen minderjährigen Kinder. Die vom BF2 zu Beginn des Verfahrens angegebenen Fluchtgründe hat dieser in der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG nicht weiter ausgeführt bzw. thematisiert. Für den BF3 und die BF4 wurden keine über jene der BF1 hinausgehenden eigenen Fluchtgründe geltend gemacht.

Die BF leben im gemeinsamen Haushalt. Der Beschwerde der BF1 gegen den Bescheid des BFA wird mit Erkenntnis vom heutigen Tag stattgegeben, ihr gemäß § 3 Abs. 1 AsylG der Status einer Asylberechtigten zuerkannt und gleichzeitig gemäß § 3 Abs. 5 AsylG festgestellt, dass ihr damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

Im Falle des BF2, des BF3 und der BF4 liegen Familienverfahren vor.

Die BF1 ist als Mutter des BF3 und der BF4 im gegenständlichen Beschwerdeverfahren die gesetzliche Vertreterin ihrer minderjährigen Kinder, die sich mit ihrem Vorbringen – ebenso wie der BF2 – als Familienangehörige im Verfahren anschließen.

3.4. Die BF sind in Österreich strafgerichtlich unbescholten.

Es liegen keine Gründe vor, nach denen die BF von der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten auszuschließen sind.

3.5. Zur Lage im Herkunftsstaat der BF:

Auf Grundlage von aktuellen Erkenntnisquellen werden folgende entscheidungsrelevante Feststellungen zum Herkunftsstaat der BF getroffen: - 8 -

3.5.1 Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation des BFA zu Afghanistan vom 16.12.2020 (Schreibfehler teilweise korrigiert): „[...] 3 COVID-19

Letzte Änderung: 14.12.2020

Bezüglich der aktuellen Anzahl der Krankheits- und Todesfälle in den einzelnen Ländern empfiehlt die Staatendokumentation bei Interesse/Bedarf, folgende Website der WHO: https: //www.who.int/emergencies/diseases/novel-coronavirus-2019/situation-reports oder der Johns-Hopkins- Universität: https://gisanddata.maps.arcgis. com/apps/opsdashboard/index.h tml#/bda7594740fd40299423467b48e9ecf6 mit täglich aktualisierten Zahlen zu kontaktieren.

Entwicklung der COVID-19 Pandemie in Afghanistan

Der erste offizielle Fall einer COVID-19 Infektion in Afghanistan wurde am 24.02.2020 in Herat festgestellt (RW 9.2020). Laut einer vom afghanischen Gesundheitsministerium (Afghan MoPH) durchgeführten Umfrage hatten zwischen März und Juli 2020 35% der Menschen in Afghanistan Anzeichen und Symptome von COVID-19. Laut offiziellen Regierungsstatistiken wurden bis zum 02.09.2020 in Afghanistan 103.722 Menschen auf das COVID- 19-Virus getestet (IOM 23.09.2020). Offiziellen Zahlen der WHO zufolge gab es bis 16.11.2020 43.240 bestätigte COVID-19 Erkrankungen und 1.617 Tote (WHO 17.11.2020). Aufgrund begrenzter Ressourcen des öffentlichen Gesundheitswesens und der Testkapazitäten, der Testkriterien, des Mangels an Personen, die sich für Tests melden, sowie wegen des Fehlens eines nationalen Sterberegisters werden bestätigte Fälle von und Todesfälle durch COVID-19 in Afghanistan wahrscheinlich insgesamt unterrepräsentiert. Mit dem Herannahen der Wintermonate deutet der leichte Anstieg an neuen Fällen darauf hin, dass eine zweite Welle der Pandemie entweder bevorsteht oder bereits begonnen hat (UNOCHA 12.11.2020).

Maßnahmen der Regierung und der

Das afghanische Gesundheitsministerium (MoPH) hat verschiedene Maßnahmen zur Vorbereitung und Reaktion auf COVID-19 ergriffen. „Rapid Response Teams“ (RRTs) besuchen Verdachtsfälle zu Hause. Die Anzahl der aktiven RRTs ist von Provinz zu Provinz unterschiedlich, da ihre Größe und ihr Umfang von der COVID-19- Situation in der jeweiligen Provinz abhängt. Sogenannte „Fix-Teams" sind in Krankenhäusern stationiert, untersuchen verdächtige COVID-19-Patienten vor Ort und stehen in jedem öffentlichen Krankenhaus zur Verfügung. Ein weiterer Teil der COVID-19-Patienten befindet sich in häuslicher Pflege (Isolation). Allerdings ist die häusliche Pflege und Isolation für die meisten Patienten sehr schwierig bis unmöglich, da die räumlichen Lebensbedingungen in Afghanistan sehr begrenzt sind (IOM 23.09.2020). Zu den Sensibilisierungsbemühungen gehört die Verbreitung von Informationen über soziale Medien, Plakate, Flugblätter sowie die Ältesten in den Gemeinden (IOM 23.09.2020; vgl. WB 28.06.2020).

Gegenwärtig gibt es in den Städten Kabul, Herat und Mazar-e Sharif keine Ausgangssperren. Das afghanische Gesundheitsministerium hat die Menschen jedoch dazu ermutigt, einen physischen Abstand von mindestens einem Meter einzuhalten, eine Maske zu tragen, sich 20 Sekunden lang die Hände mit Wasser und Seife zu waschen und Versammlungen zu vermeiden. Hotels, Teehäuser und andere Möglichkeiten der Unterkunftnahme sind aktuell geöffnet (IOM 23.09.2020).

Die Taliban erlauben in von ihnen kontrollierten Gebieten medizinischen Helfern den Zugang im Zusammenhang mit der Bekämpfung von COVID-19 (NH 03.06.2020; vgl. Guardian 02.05.2020).

Gesundheitssystem und medizinische Versorgung

Mit Stand vom 21.09.2020 war die Zahl der COVID-19-Fälle in Afghanistan seit der höchsten Zahl der gemeldeten Fälle am 17.06.2020 kontinuierlich zurückgegangen, was zu einer Entspannung der Situation in den Krankenhäusern führte (IOM 23.09.2020), wobei Krankenhäuser und Kliniken nach wie vor über Probleme bei der Aufrechterhaltung oder Erweiterung der Kapazität ihrer Einrichtungen zur Behandlung von Patienten mit - 9 -

COVID-19 sowie bei der Aufrechterhaltung wesentlicher Gesundheitsdienste, insbesondere in Gebieten mit aktiven Konflikten berichten. Gesundheitseinrichtungen im ganzen Land berichten nach wie vor über Defizite bei persönlicher Schutzausrüstung, medizinischem Material und Geräten zur Behandlung von COVID-19 (UNOCHA 12.11.2020; vgl. AA 16.07.2020, WHO 8.2020). Auch sind die Zahlen der mit COVID-19 Infizierten zuletzt wieder leicht angestiegen (UNOCHA 12.11.2020).

In den 18 öffentlichen Krankenhäusern in Kabul gibt es insgesamt 180 Betten auf Intensivstationen. Die Provinzkrankenhäuser haben jeweils mindestens zehn Betten auf Intensivstationen. Private Krankenhäuser verfügen insgesamt über 8.000 Betten, davon wurden 800 für die Intensivpflege ausgerüstet. Sowohl in Kabul als auch in den Provinzen stehen für 10% der Betten auf der Intensivstation Beatmungsgeräte zur Verfügung. Das als Reaktion auf COVID-19 eingestellte Personal wurde zu Beginn der Pandemie von der Regierung und Organisationen geschult (IOM 23.09.2020). UNOCHA berichtet mit Verweis auf Quellen aus dem Gesundheitssektor, dass die niedrige Anzahl an Personen, die Gesundheitseinrichtungen aufsuchen, auch an der Angst der Menschen vor einer Ansteckung mit dem Virus geschuldet ist (UNOCHA 15.10.2020) wobei auch die Stigmatisierung, die mit einer Infizierung einhergeht, hierbei eine Rolle spielt (UNOCHA 12.11.2020).

Durch die COVID-19 Pandemie hat sich der Zugang der Bevölkerung zu medizinischer Behandlung verringert (AAN 01.01.2020). Dem IOM Afghanistan COVID-19 Protection Monitoring Report zufolge haben 53% der Bevölkerung nach wie vor keinen realistischen Zugang zu Gesundheitsdiensten. Ferner berichteten 23% der durch IOM Befragten, dass sie sich die gewünschten Präventivmaßnahmen, wie den Kauf von Gesichtsmasken, nicht leisten können. Etwa ein Drittel der befragten Rückkehrer berichtete, dass sie keinen Zugang zu Handwascheinrichtungen (30%) oder zu Seife/Desinfektionsmitteln (35%) haben (IOM 23.09.2020).

Sozioökonomische Auswirkungen und Arbeitsmarkt Die sozioökonomischen Auswirkungen von COVID-19 beeinflussen die Ernährungsunsicherheit, die inzwischen ein ähnliches Niveau erreicht hat wie während der Dürre von 2018 (UNOCHA 12.11.2020). In der ersten Hälfte des Jahres 2020 kam es zu einem deutlichen Anstieg der Lebensmittelpreise, die im April 2020 im Jahresvergleich um rund 17% stiegen, nachdem in den wichtigsten städtischen Zentren Grenzkontrollen und Lockdown-Maßnahmen eingeführt worden waren. Der Zugang zu Trinkwasser war jedoch nicht beeinträchtigt, da viele der Haushalte entweder über einen Brunnen im Haus verfügen oder Trinkwasser über einen zentralen Wasserverteilungskanal erhalten. Die Auswirkungen der Handelsunterbrechungen auf die Preise für grundlegende Haushaltsgüter haben bisher die Auswirkungen der niedrigeren Preise für wichtige Importe wie Öl deutlich überkompensiert. Die Preisanstiege scheinen seit April 2020 nach der Verteilung von Weizen aus strategischen Getreidereserven, der Durchsetzung von Anti-Preismanipulationsregelungen und der Wiederöffnung der Grenzen für Nahrungsmittelimporte nachgelassen zu haben (IOM 23.09.2020; vgl. WHO 7.2020), wobei gemäß dem WFP (World Food Program) zwischen März und November 2020 die Preise für einzelne Lebensmittel (Zucker, Öl, Reis ...) um 18 bis 31% gestiegen sind (UNOCHA 12.11.2020). Zusätzlich belastet die COVID-19-Krise mit einhergehender wirtschaftlicher Rezession die privaten Haushalte stark (AA 16.07.2020).

Laut einem Bericht der Weltbank zeigen die verfügbaren Indikatoren Anzeichen für eine stark schrumpfende Wirtschaft in der ersten Hälfte des Jahres 2020, was die Auswirkungen der COVID-19-Krise im Kontext der anhaltenden Unsicherheit widerspiegelt. Die Auswirkungen von COVID-19 auf den Landwirtschaftssektor waren bisher gering. Bei günstigen Witterungsbedingungen während der Aussaat wird erwartet, dass sich die Weizenproduktion nach der Dürre von 2018 weiter erholen wird. Lockdown-Maßnahmen hatten bisher nur begrenzte Auswirkungen auf die landwirtschaftliche Produktion und blieben in ländlichen Gebieten nicht durchgesetzt. Die Produktion von Obst und Nüssen für die Verarbeitung und den Export wird jedoch durch Unterbrechung der Lieferketten und Schließung der Exportwege negativ beeinflusst (IOM 23.09.2020; vgl. WB 15.07.2020).

Es gibt keine offiziellen Regierungsstatistiken, die zeigen, wie der Arbeitsmarkt durch COVID-19 beeinflusst wurde bzw. wird. Es gibt jedoch Hinweise darauf, dass die COVID-19-Pandemie erhebliche negative Auswirkungen auf die wirtschaftliche Lage in Afghanistan hat, einschließlich des Arbeitsmarktes (IOM - 10 -

23.09.2020; vgl. AA 16.07.2020). Die afghanische Regierung warnt davor, dass die Arbeitslosigkeit in Afghanistan um 40% steigen wird. Die Lockdown-Maßnahmen haben die bestehenden prekären Lebensgrundlagen in dem Maße verschärft, dass bis Juli 2020 84% der durch IOM-Befragten angaben, dass sie ohne Zugang zu außerhäuslicher Arbeit (im Falle einer Quarantäne) ihre grundlegenden Haushaltsbedürfnisse nicht länger als zwei Wochen erfüllen könnten; diese Zahl steigt auf 98% im Falle einer vierwöchigen Quarantäne (IOM 23.09.2020). Insgesamt ist die Situation vor allem für Tagelöhner sehr schwierig, da viele Wirtschaftssektoren von den Lockdown-Maßnahmen im Zusammenhang mit COVID-19 negativ betroffen sind (IOM 23.09.2020; vgl. Martin/Parto 11.2020).

Frauen und Kinder

Auch auf den Bereich Bildung hatte die COVID-19 Pandemie Auswirkungen. Die Regierung ordnete an, alle Schulen im März 2020 zu schließen (IOM 23.09.2020), und die CBE-Klassen (gemeindebasierte Bildung-Klassen) konnten erst vor kurzem wieder geöffnet werden (IPS 12.11.2020). In öffentlichen Schulen sind nur die oberen Schulklassen (für Kinder im Alter von 15 bis 18 Jahren) geöffnet. Alle Klassen der Primar- und unteren Sekundarschulen sind bis auf weiteres geschlossen (IOM 23.09.2020). Kinder (vor allem Jungen), die von den Auswirkungen der Schulschließungen im Rahmen von COVID-19 betroffen waren, sahen sich nun auch einer erhöhten Anfälligkeit gegenüber der Rekrutierung durch die Konfliktparteien ausgesetzt. Die Krise verschärft auch die bestehende Vulnerabilität von Mädchen betreffend Kinderheirat und Schwangerschaften von Minderjährigen (IPS 12.11.2020; vgl. UNAMA 10.08.2020). Die Pandemie hat auch spezifische Folgen für Frauen, insbesondere während eines Lockdowns, einschließlich eines erhöhten Maßes an häuslicher Gewalt. Frauen und Mädchen sind durch den generell geringeren Zugang zu Gesundheitseinrichtungen zusätzlich betroffen (Martins/Parto: vgl. AAN 01.10.2020). Bewegungsfreiheit

Im Zuge der COVID-19 Pandemie waren verschiedene Grenzübergänge und Straßen vorübergehend gesperrt (RFE/RL 21.08.2020; vgl. NYT 31.07.2020, IMPACCT 14.08.2020, UNOCHA 30.06.2020), wobei aktuell alle Grenzübergänge geöffnet sind (IOM 23.09.2020). Im Juli 2020 wurden auf der afghanischen Seite der Grenze mindestens 15 Zivilisten getötet, als pakistanische Streitkräfte angeblich mit schwerer Artillerie in zivile Gebiete schossen, nachdem Demonstranten auf beiden Seiten die Wiedereröffnung des Grenzübergangs gefordert hatten und es zu Zusammenstößen kam (NYT 31.07.2020).

Die internationalen Flughäfen in Kabul, Mazar-e Sharif, Kandahar und Herat werden aktuell international wie auch national angeflogen, und auch findet Flugverkehr zu nationalen Flughäfen wie jenem in Bamyan statt (Flightradar 24 18.11.2020). Derzeit verkehren Busse, Sammeltaxis und Flugzeuge zwischen den Provinzen und Städten. Die derzeitige Situation führt zu keiner Einschränkung der Bewegungsfreiheit (IOM 23.09.2020).

IOM Österreich unterstützt auch derzeit Rückkehrer im Rahmen der freiwilligen Rückkehr und Teilnahme an Reintegrationsprogrammen. Neben der Reiseorganisation bietet IOM Österreich dabei Unterstützung bei der Ausreise am Flughafen Wien Schwechat an (STDOK 14.07.2020). Mit Stand 22.09.2020, wurden im laufenden Jahr 2020 bereits 70 Teilnahmen an dem Reintegrationsprojekt Restart III akzeptiert und sind 47 Personen freiwillig nach Afghanistan zurückgekehrt - zuletzt jeweils 13 Personen im August und im September 2020 (IOM 23.09.2020). [...]

4 Politische Lage

Letzte Änderung: 14.12.2020

Afghanistan ist ein Zentralstaat mit 34 Provinzen, die in Distrikte gegliedert sind (AA 15.04.2019). Auf einer Fläche von 652.860 Quadratkilometern leben ca. 32,9 Millionen (NSIA 6.2020) bis 39 Millionen Menschen (WoM 06.10.2020).

Im Jahr 2004 wurde die neue Verfassung angenommen, die vorsieht, dass kein Gesetz gegen die Grundsätze und Bestimmungen des Islam verstoßen darf und alle Bürgerinnen und Bürger Afghanistans, Mann wie Frau, gleiche Rechte und Pflichten vor dem Gesetz haben (CoA 26.02.2004; vgl. STDOK 7.2016, Casolino 2011). - 11 -

Die Verfassung der islamischen Republik Afghanistan sieht vor, dass der Präsident der Republik direkt vom Volk gewählt wird und sein Mandat fünf Jahre beträgt (CoA 26.02.2004; vgl. Casolino 2011). Implizit schreibt die Verfassung dem Präsidenten auch die Führung der Exekutive zu (AAN 13.02.2015), und die Provinzvorsteher sowie andere wichtige Verwaltungsbeamte werden direkt vom Präsidenten ernannt und sind diesem rechenschaftspflichtig. Viele werden aufgrund persönlicher Beziehungen ausgewählt (EC 18.05.2019).

Im direkt gewählten Unterhaus der Nationalversammlung, der Wolesi Jirga (Haus des Volkes) mit 249 Sitzen, kandidieren die Abgeordneten für eine fünfjährige Amtszeit. In der Meshrano Jirga (House of Elders), dem Oberhaus mit 102 Sitzen, wählen die Provinzräte zwei Drittel der Mitglieder für eine Amtszeit von drei oder vier Jahren, und der Präsident ernennt das verbleibende Drittel für eine Amtszeit von fünf Jahren. Die Verfassung sieht die Wahl von Bezirksräten vor, die ebenfalls Mitglieder in die Meshrano Jirga entsenden würden, aber diese sind noch nicht eingerichtet worden. Zehn Sitze der Wolesi Jirga sind für die nomadische Gemeinschaft der Kutschi reserviert, darunter mindestens drei Frauen, und 65 der allgemeinen Sitze der Kammer sind für Frauen reserviert (FH 04.03.2020; vgl. USDOS 11.03.2020).

Die Sitze im Unterhaus verteilen sich proportional zur Bevölkerungszahl auf die 34 Provinzen. Verfassungsgemäß sind für Frauen 68 Sitze, für die Minderheit der Kutschi zehn Sitze und für Vertreter der Hindu- bzw. Sikh-Gemeinschaft ein Sitz reserviert (USDOS 11.03.2020; vgl. Casolino 2011).

Die Rolle des Parlaments bleibt begrenzt. Zwar beweisen die Abgeordneten mit gelegentlich kritischen Anhörungen und Abänderungen von Gesetzesentwürfen die grundsätzliche Funktionsfähigkeit des Parlaments. Zugleich werden aber verfassungsmäßige Rechte genutzt, um die Regierungsarbeit gezielt zu behindern, Personalvorschläge der Regierung zum Teil über längere Zeiträume zu blockieren und sich Zugeständnisse wohl auch finanzieller Art an einzelne Abgeordnete abkaufen zu lassen. Generell leidet die Legislative unter einem kaum entwickelten Parteiensystem und mangelnder Rechenschaftspflicht der Parlamentarier gegenüber ihren Wählern (AA 16.07.2020).

Präsidentschafts- und Parlamentswahlen

Die Präsidentschaftswahlen und Parlamentswahlen finden gemäß Verfassung alle fünf Jahre statt (USIP 11.2013). Mit dreijähriger Verzögerung fanden zuletzt am 20. und 21.10.2018 - mit Ausnahme der Provinz Ghazni - Parlamentswahlen statt (USDOS 11.03.2020). Die letzten Präsidentschaftswahlen fanden am 28.09.2019 statt (RFE/RL 20.10.2019; vgl. USDOS 11.03.2020, AA 01.10.2020).

Bei den Wahlen zur Nationalversammlung am 20. und 21.10.2018 gaben etwa 4 Millionen der registrierten 8,8 Millionen Wahlberechtigten ihre Stimme ab. Die Wahl war durch Unregelmäßigkeiten geprägt, darunter Betrug bei der Wählerregistrierung und Stimmabgabe, Einschüchterung der Wähler, und einige Wahllokale mussten wegen Bedrohung durch örtliche Machthaber schließen. Die Taliban und andere Gruppierungen behinderten die Stimmabgabe durch Drohungen und Belästigungen (USDOS 11.03.2020). Wegen Vorwürfen des Betruges und des Missmanagements erklärte Anfang Dezember 2018 die afghanische Wahlbeschwerdekommission (ECC) alle in der Provinz Kabul abgegebenen Stimmen für ungültig (RFE/RL 06.12.2018). Die beiden Wahlkommissionen einigten sich in Folge auf eine neue Methode zur Zählung der abgegebenen Stimmen (TN 12.12.2018). Die Provinzergebnisse von Kabul wurden schließlich am 14.05.2019, fast sieben Monate nach dem Wahltag, veröffentlicht. In einer Ansprache bezeichnete Präsident Ghani die Wahl als „Katastrophe“ und die beiden Wahlkommissionen als „ineffizient“ (AAN 17.05.2019).

Die ursprünglich für den 20.04.2019 vorgesehene Präsidentschaftswahl wurde mehrfach verschoben, da die Wahlbehörden auf eine landesweite Wahl so kurz nach der Parlamentswahl im Oktober 2018 nicht vorbereitet waren. Der Oberste Gerichtshof Afghanistans konnte die Herausforderungen für die Wahlkommission nachvollziehen und verlängerte die Amtszeit von Präsident Ashraf Ghani bis zu der auf den 28.09.2019 verschobenen Präsidentschaftswahl (DZ 21.04.2019). Die unabhängige afghanische Wahlkommission (Afghanistan’s Independent Election Commission) hat mehr als vier Monate nach der Präsidentschaftswahl in Afghanistan Mohammed Ashraf Ghani zum Sieger erklärt (DW 18.02.2020). Der amtierende Präsident erhielt 50,64% der Stimmen, wie die Kommission verlautbarte (DW 18.02.2020; vgl. REU 25.02.2020). Da Ghani im ersten Durchgang die Präsidentschaftswahl bereits gewonnen hat, war keine Stichwahl mehr notwendig (DW - 12 -

18.02.2020). CEO bzw. Regierungsgeschäftsführer Abdullah Abdullah kam den Resultaten zufolge auf 39,52% (DW 18.02.2020; vgl. REU 25.02.2020). Nach monatelangem erbittertem Streit um die Richtigkeit von Hunderttausenden von Stimmen waren nur noch 1,8 Millionen Wahlzettel berücksichtigt worden (DW 18.02.2020; vgl. FH 04.03.2020). Hingegen lag die Zahl der registrierten Wähler bei 9,6 Millionen. Afghanistan hat eine geschätzte Bevölkerung von 35 Millionen Einwohnern (DW 18.02.2020). Die umstrittene Entscheidungsfindung der Wahlkommissionen und deutlich verspätete Verkündung des endgültigen Wahlergebnisses der Präsidentschaftswahlen vertiefte die innenpolitische Krise, die erst Mitte Mai 2020 gelöst werden konnte. Amtsinhaber Ashraf Ghani wurde mit einer knappen Mehrheit zum Wahlsieger im ersten Urnengang erklärt. Sein wichtigster Herausforderer Abdullah Abdullah erkannte das Wahlergebnis nicht an (AA 16.07.2020), und so ließen sich am 09.03.2020 sowohl Ghani als auch Abdullah als Präsident vereidigen (NZZ 20.04.2020; vgl. TN 16.04.2020). Die daraus resultierende Regierungskrise wurde mit einem von beiden am 17.05.2020 unterzeichneten Abkommen zur gemeinsamen Regierungsbildung für beendet erklärt (AA 16.07.2020; vgl. NZZ 20.04.2020, DP 17.05.2020; vgl. TN 11.05.2020). Diese Situation hatte ebenfalls Auswirkungen auf den afghanischen Friedensprozess. Das Staatsministerium für Frieden konnte zwar im März bereits eine Verhandlungsdelegation benennen, die von den wichtigsten Akteuren akzeptiert wurde, aber erst mit dem Regierungsabkommen vom 17.05.2020 und der darin vorgesehenen Einsetzung eines Hohen Rates für Nationale Versöhnung, unter Vorsitz von Abdullah, wurde eine weitergehende Friedensarchitektur der afghanischen Regierung formal etabliert (AA 16.07.2020). Dr. Abdullah verfügt als Leiter des Nationalen Hohen Versöhnungsrates über die volle Autorität in Bezug auf Friedens- und Versöhnungsfragen, einschließlich Ernennungen in den Nationalen Hohen Versöhnungsrat und das Friedensministerium. Darüber hinaus ist Dr. Abdullah Abdullah befugt, dem Präsidenten Kandidaten für Ernennungen in den Regierungsabteilungen (Ministerien) mit 50% Anteil vorzustellen (RA KBL 12.10.2020).

Politische Parteien

Die afghanische Verfassung erlaubt die Gründung politischer Parteien, solange deren Programm nicht im Widerspruch zu den Prinzipien des Islam steht (USDOS 10.06.2020). Um den Parteien einen allgemeinen und nationalen Charakter zu verleihen, verbietet die Verfassung jeglichen Zusammenschluss in politischen Organisationen, der aufgrund von ethnischer, sprachlicher (Casolino 2011; vgl. CoA 26.01.2004) oder konfessioneller Zugehörigkeit erfolgt (Casolino 2011; vgl. CoA 26.01.2004; USDOS 20.06.2020). Auch darf keine rechtmäßig zustande gekommene Partei oder Organisation ohne rechtliche Begründung und ohne richterlichen Beschluss aufgelöst werden (CoA 26.01.2004).

Das kaum entwickelte afghanische Parteiensystem weist mit über 70 registrierten Parteien eine starke Zersplitterung auf (AA 16.07.2020). Die politischen Parteien haben ihren Platz im politischen System Afghanistans noch nicht etablieren können (DOA 17.03.2019). Die meisten dieser Gruppierungen erscheinen mehr als Machtvehikel ihrer Führungsfiguren denn als politisch-programmatisch gefestigte Parteien (AA 16.07.2020; vgl. DOA 17.03.2019). Ethnische Zugehörigkeit, persönliche Beziehungen und ad hoc geformte Koalitionen spielen traditionell eine größere Rolle als politische Organisationen (AA 16.07.2020).

Das derzeitige Wahlsystem ist personenbezogen, die Parteien können keine Kandidatenlisten erstellen, es sind keine Sitze für die Parteien reserviert, und es ist den Parteien untersagt, Fraktionen im Parlament zu gründen. Der Parteivorsitz wird nicht durch parteiinterne Abläufe bestimmt, sondern wird eher wie ein patrimoniales Erbgut gesehen, das von einer Generation an die nächste, vom Vater zum Sohn, übergeben wird. Die Menschen vertrauen den Parteien nicht, und junge, gebildete Leute sind nicht gewillt, solchen Parteien beizutreten (DOA 17.03.2019).

Friedens- und Versöhnungsprozess

Die afghanischen Regierungskräfte und die US-Amerikaner können die Taliban, die über rund 600.000 Mann verfügen, nicht besiegen. Aber auch die Aufständischen sind nicht stark genug, die Regierungstruppen zu überrennen, obwohl sie rund die Hälfte des Landes kontrollieren oder dort zumindest präsent sind. In Afghanistan herrscht fast zwei Jahrzehnte nach dem Sturz des Taliban-Regimes durch die USA eine Pattsituation (NZZ 20.04.2020). Das lang erwartete Abkommen zwischen den Vereinigten Staaten und den - 13 -

Taliban wurde Ende Februar 2020 unterzeichnet (AJ 07.05.2020; vgl. NPR 06.05.2020, EASO 8.2020) - die afghanische Regierung war an dem Abkommen weder beteiligt, noch unterzeichnete sie dieses (EASO 8.2020). Das Abkommen zwischen den Vereinigten Staaten und den Taliban enthält das Versprechen der US- Amerikaner, ihre noch rund 13.000 Armeeangehörigen in Afghanistan innerhalb von 14 Monaten abzuziehen. Auch die verbliebenen nichtamerikanischen NATO-Truppen sollen abgezogen werden (NZZ 20.04.2020; vgl. USDOS 29.02.2020; REU 06.10.2020). Der Abzug der ausländischen Truppenangehörigen, von denen die meisten Beratungs- und Ausbildungsfunktionen wahrnehmen, ist abhängig davon, ob die Taliban ihren Teil der Abmachung einhalten. Sie haben im Abkommen zugesichert, terroristischen Gruppierungen wie etwa al-Qaida, keine Zuflucht zu gewähren. Die Taliban verpflichteten sich weiter, innerhalb von zehn Tagen nach Unterzeichnung Gespräche mit einer afghanischen Delegation aufzunehmen (NZZ 20.04.2020; vgl. USDOS 29.02.2020, EASO 8.2020).

Die Taliban haben die politische Krise im Zuge der Präsidentschaftswahlen derweil als Vorwand genutzt, um den Einstieg in Verhandlungen hinauszuzögern. Sie werfen der Regierung vor, ihren Teil der am 29.02.2020 von den Taliban mit der US-Regierung geschlossenen Vereinbarung weiterhin nicht einzuhalten und setzten ihre militärische Kampagne gegen die afghanischen Sicherheitskräfte mit hoher Intensität fort. Die Zahl der Angriffe der Taliban auf staatliche Sicherheitskräfte entspricht dem Niveau der Frühjahrsoffensiven der vergangenen Jahre, auch wenn die Offensive dieses Jahr bisher nicht offiziell erklärt wurde (AA 16.07.2020; vgl. REU 06.10.2020).

Im September starteten die Friedensgespräche zwischen der afghanischen Regierung und den Taliban in Katar (REU 06.10.2020; vgl. AJ 05.10.2020, BBC 22.09.2020). Die Gewalt hat jedoch nicht nachgelassen, selbst als afghanische Unterhändler zum ersten Mal in direkte Gespräche verwickelt wurden (AJ 05.10.2020). Ein Waffenstillstand steht ganz oben auf der Liste der Regierung und der afghanischen Bevölkerung (BBC 22.09.2020; vgl. EASO 8.2020) wobei einige Analysten sagen, dass die Taliban wahrscheinlich noch keinen umfassenden Waffenstillstand vereinbaren werden, da Gewalt und Zusammenstöße mit den afghanischen Streitkräften den Aufständischen ein Druckmittel am Verhandlungstisch geben (REU 06.10.2020). Die Rechte der Frauen sind ein weiteres Brennpunktthema. Die Taliban sind wiederholt danach gefragt worden und haben wiederholt darauf bestanden, dass Frauen und Mädchen alle Rechte erhalten, die „innerhalb des Islam“ vorgesehen sind (BBC 22.09.2020). Doch bisher (Stand 10.2020) hat es keine Fortschritte gegeben, da sich die kriegführenden Seiten in Prozessen und Verfahren verzettelt haben, so diplomatische Quellen (AJ 05.10.2020). [...]

5 Sicherheitslage

Letzte Änderung: 14.12.2020

Die Sicherheitslage in Afghanistan ist nach wie vor volatil (UNGASC 17.03.2020). Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, die Provinzhauptstädte, die meisten Distriktzentren und die meisten Teile der wichtigsten Transitrouten. Mehrere Teile der wichtigsten Transitrouten sind umkämpft, wodurch Distriktzentren bedroht sind. Seit Februar 2020 haben die Taliban ein hohes Maß an Gewalt gegen die ANDSF (Afghan National Defense Security Forces) aufrechterhalten, vermeiden aber gleichzeitig Angriffe gegen um Provinzhauptstädte herum stationierte Koalitionstruppen - wahrscheinlich um das US-Taliban-Abkommen nicht zu gefährden. Unabhängig davon begann IS/ISKP im Februar 2020 (zum ersten Mal seit dem Verlust seiner Hauptfestung in der Provinz Nangarhar im November 2019), Terroranschläge gegen die ANDSF und die Koalitionstruppen durchzuführen (USDOD 01.07.2020). Die Zahl der Angriffe der Taliban auf staatliche Sicherheitskräfte entsprach dem Niveau der Frühjahrsoffensiven der vergangenen Jahre, auch wenn die Offensive dieses Jahr bisher nicht offiziell erklärt wurde (AA 16.07.2020; vgl. REU 06.10.2020).

Die Umsetzung des US-Taliban-Abkommens, angefochtene Ergebnisse der Präsidentschaftswahlen, regionale politische Spannungen zwischen den Vereinigten Staaten und dem Iran, Diskussionen über die Freilassung von Gefangenen, Krieg und die globale Gesundheitskrise COVID-19 haben laut dem Combined Security Transition Command-Afghanistan (CSTC-A) das zweite Quartal 2020 für die afghanischen Verteidigungs- und - 14 -

Sicherheitskräfte (ANDSF) zum „vielleicht komplexesten und herausforderndsten Zeitraum der letzten zwei Jahrzehnte“ gemacht (SIGAR 30.07.2020).

Der Konflikt in Afghanistan befindet sich nach wie vor in einer „strategischen Pattsituation“, die nur durch Verhandlungen zwischen der afghanischen Regierung und den Taliban gelöst werden kann (SIGAR 30.01.2020). Die afghanische Regierung führte zum ersten Mal persönliche Gespräche mit den Taliban, inhaltlich wurde über den Austausch tausender Gefangener verhandelt; bis dahin hatten die beiden Seiten sich nur per Videokonferenz unterhalten (BBC 01.04.2020). Diese Gespräche sind ein erster Schritt Richtung inner- afghanischer Verhandlungen, welche Teil eines zwischen Taliban und US-Amerikanern unterzeichneten Abkommens sind (TD 02.04.2020). Die Gespräche fanden vor dem Hintergrund anhaltender Gewalt im Land statt (BBC 01.04.2020).

Für den Berichtszeitraum 01.01.2020 - 30.09.2020 verzeichnete UNAMA 5.939 zivile Opfer. Die Gesamtzahl der Opfer unter der Zivilbevölkerung ist im Vergleich zum gleichen Zeitraum des Vorjahres um 13% zurückgegangen, das ist der niedrigste Wert seit 2012 (UNAMA 27.10.2020). Afghanistans National Security Council (NSC) zufolge nahmen die Talibanattacken im Juni 2020 deutlich zu. Gemäß NATO Resolute Support (RS) nahm die Anzahl an zivilen Opfern im zweiten Quartal 2020 um fast 60% gegenüber dem ersten Quartal und um 18% gegenüber dem zweiten Quartal des Vorjahres zu (SIGAR 30.07.2020).

Die Sicherheitslage bleibt nach wie vor volatil. Die höchste Anzahl sicherheitsrelevanter Vorfälle wurde in der südlichen Region, gefolgt von den nördlichen und östlichen Regionen, registriert, die allesamt 68% der Zwischenfälle ausmachten. Die aktivsten Konfliktregionen sind in den Provinzen Kandahar, Helmand, Nangarhar und zu finden. Entsprechend saisonalen Trends gehen die Kämpfe in den Wintermonaten – Ende 2019 und Anfang 2020 - zurück (UNGASC 17.03.2020). Die Sicherheitslage im Jahr 2019

Die geographische Verteilung aufständischer Aktivitäten innerhalb Afghanistans blieb, im Vergleich der beiden Jahre 2018 und 2019, weitgehend konstant. Im Jahr 2019 fanden auch weiterhin im Süden und Westen Afghanistans schwere Kampfhandlungen statt; feindliche Aktivitäten nahmen zu und breiteten sich in größeren Gebieten des Nordens und Ostens aus. Der Resolute Support (RS) Mission (seit 2015 die Unterstützungsmission der NATO in Afghanistan) zufolge waren für das Jahr 2019 29.083 feindliche Angriffe landesweit zu verzeichnen. Im Gegensatz dazu waren es im Jahr 2018 27.417 (SIGAR 30.01.2020). Mit einer hohen Anzahl an sicherheitsrelevanten Vorfällen - speziell in den südlichen, nördlichen und östlichen Regionen - blieb die Sicherheitslage vorerst volatil, bevor ein Zeitraum der Reduzierung der Gewalt registriert werden konnte. Die UNAMA (Hilfsmission der Vereinten Nationen in Afghanistan) registrierte für das gesamte Jahr 2019 10.392 zivile Opfer, was einem Rückgang von 5% gegenüber 2018 entspricht (UNGASC 17.03.2020). Es gab im letzten Jahr (2019) eine Vielzahl von Operationen durch die Sondereinsatzkräfte des Verteidigungsministeriums (1.860) und die Polizei (2.412) sowie hunderte von Operationen durch die Nationale Sicherheitsdirektion (RA KBL 12.10.2020).

Seit Ende des Jahres 2019 haben Angriffe durch regierungsfeindliche Elemente erheblich zugenommen. Im September 2019 fanden die afghanischen Präsidentschaftswahlen statt, in diesem Monat wurde auch die höchste Anzahl feindlicher Angriffe eines einzelnen Monats seit Juni 2012 und die höchste Anzahl effektiver feindlicher Angriffe seit Beginn der Aufzeichnung der RS-Mission im Januar 2010 registriert. Dieses Ausmaß an Gewalt setzte sich auch nach den Präsidentschaftswahlen fort, denn im Oktober 2019 wurde die zweithöchste Anzahl feindlicher Angriffe in einem Monat seit Juli 2013 dokumentiert. Betrachtet man jedoch das Jahr 2019 in dessen Gesamtheit, so waren scheinbar feindliche Angriffe, seit Anfang des Jahres, im Zuge der laufenden Friedensgespräche zurückgegangen. Nichtsdestotrotz führte ein turbulentes letztes Halbjahr zu einem Anstieg feindlicher Angriffe um 6% bzw. effektiver Angriffe um 4% gegenüber 2018 (SIGAR 30.01.2020).

Zivile Opfer

Für das Jahr 2019 registrierte die Hilfsmission der Vereinten Nationen in Afghanistan (UNAMA) als Folge des bewaffneten Konflikts 10.392 zivile Opfer (3.403 Tote und 6.989 Verletzte), was einen Rückgang um 5% - 15 - gegenüber dem Vorjahr, aber auch die niedrigste Anzahl an zivilen Opfern seit dem Jahr 2013 bedeutet. Nachdem die Anzahl der durch ISKP verursachten zivilen Opfer zurückgegangen war, konnte ein Rückgang aller zivilen Opfer registriert werden, wenngleich die Anzahl ziviler Opfer speziell durch Taliban und internationale Streitkräfte zugenommen hatte. Im Laufe des Jahres 2019 war das Gewaltniveau erheblichen Schwankungen unterworfen, was auf Erfolge und Misserfolge im Rahmen der Friedensverhandlungen zwischen Taliban und den US-Amerikanern zurückzuführen war. In der ersten Jahreshälfte 2019 kam es zu intensiven Luftangriffen durch die internationalen Streitkräfte und Suchaktionen der afghanischen Streitkräfte - insbesondere der Spezialkräfte des afghanischen Geheimdienstes NDS (National Directorate of Security Special Forces) (UNAMA 2.2020).

Aufgrund der Suchaktionen der afghanischen Streitkräfte gab es zur Jahresmitte mehr zivile Opfer durch regierungsfreundliche Truppen als durch regierungsfeindliche Truppen. Das dritte Quartal des Jahres 2019 registrierte die höchste Anzahl an zivilen Opfern seit 2009, was hauptsächlich auf verstärkte Anzahl von Angriffen durch Selbstmordattentäter und IEDs (improvisierte Sprengsätze) der regierungsfeindlichen Seite - insbesondere der Taliban - sowie auf Gewalt in Zusammenhang mit den Präsidentschaftswahlen zurückzuführen ist. Das vierte Quartal 2019 verzeichnete, im Vergleich zum Jahr 2018, eine geringere Anzahl an zivilen Opfern; wenngleich sich deren Anzahl durch Luftangriffe, Suchoperationen und IEDs seit dem Jahr 2015 auf einem Rekordniveau befand (UNAMA 2.2020). [...]

Die RS-Mission sammelt ebenfalls Informationen zu zivilen Opfern in Afghanistan, die sich gegenüber der Datensammlung der UNAMA unterscheiden, da die RS-Mission Zugang zu einem breiteren Spektrum an forensischen Daten und Quellen hat. Der RS-Mission zufolge ist im Jahr 2019 die Anzahl ziviler Opfer in den meisten Provinzen (19 von 34) im Vergleich zum Jahr 2018 gestiegen; auch haben sich die Schwerpunkte verschoben. So verzeichneten die Provinzen Kabul und Nangarhar weiterhin die höchste Anzahl ziviler Opfer. Im letzten Quartal schrieb die RS-Mission 91% ziviler Opfer regierungsfeindlichen Kräften zu (29% wurden den Taliban zugeschrieben, 11% ISKP, 4% dem Haqqani-Netzwerk und 47% unbekannten Aufständischen). 4% wurden regierungsnahen/-freundlichen Kräften zugeschrieben (3% der ANDSF und 1% den Koalitionskräften), während 5% anderen oder unbekannten Kräften zugeschrieben wurden. Diese Prozentsätze entsprechen in etwa den RS-Opferzahlen für Anfang 2019. Als Hauptursache für zivile Opfer waren weiterhin improvisierte Sprengsätze (43%), gefolgt von direktem (25%) und indirektem Beschuss (5%) verantwortlich - dies war auch schon zu Beginn des Jahres 2019 der Fall (SIGAR 30.01.2020).

Die erste Hälfte des Jahres 2020 war geprägt von schwankenden Gewaltraten, welche die Zivilbevölkerung in Afghanistan trafen. Die Vereinten Nationen dokumentierten 3.458 zivile Opfer (1.282 Tote und 2.176 Verletzte) für den Zeitraum Jänner bis Ende Juni 2020 (UNAMA 27.07.2020).

High-Profile Angriffe (HPAs)

Sowohl in den ersten fünf Monaten 2019, als auch im letzten Halbjahr 2019 führten Aufständische, Taliban und andere militante Gruppierungen insbesondere in der Hauptstadtregion weiterhin Anschläge auf hochrangige Ziele aus, um die Aufmerksamkeit der Medien auf sich zu ziehen, die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben und die Wahrnehmung einer weit verbreiteten Unsicherheit zu schaffen (USDOD 12.2019; vgl. USDOD 01.07.2020). Das Haqqani-Netzwerk führte von September bis zum Ende des Berichtszeitraums keine HPA in der Hauptstadtregion durch. Die Gesamtzahl der öffentlichkeitswirksamen Angriffe ist sowohl in Kabul als auch im ganzen Land in den letzten anderthalb Jahren stetig zurückgegangen (USDOD 12.2019). Zwischen 01.06.2019 und 31.10.2019 fanden 19 HPAs in Kabul statt (Vorjahreswert: 17) (USDOD 12.2019), landesweit betrug die Zahl 88 (USDOD 12.2019).

Öffentlichkeitswirksame Angriffe durch regierungsfeindliche Elemente setzten sich fort. Der Großteil der Anschläge richtetet sich gegen die ANDSF und die internationalen Streitkräfte; dazu zählte ein komplexer Angriff der Taliban auf den Militärflughafen Bagram im Dezember 2019. Im Februar 2020 kam es in der Provinz Nangarhar zu einem sogenannten „green-on-blue-attack“: der Angreifer trug die Uniform der afghanischen Nationalarmee und eröffnete das Feuer auf internationale Streitkräfte, dabei wurden zwei US-Soldaten und ein Soldat der afghanischen Nationalarmee getötet. Zu einem weiteren Selbstmordanschlag auf eine - 16 -

Militärakademie kam es ebenso im Februar in der Stadt Kabul; bei diesem Angriff wurden mindestens sechs Personen getötet und mehr als zehn verwundet (UNGASC 17.03.2020). Dieser Großangriff beendete mehrere Monate relativer Ruhe in der afghanischen Hauptstadt (DS 11.02.2020; vgl. UNGASC 17.03.2020). Seit Februar haben die Taliban ein hohes Maß an Gewalt gegen die ANDSF aufrechterhalten, vermeiden aber gleichzeitig Angriff gegen Koalitionstruppen um Provinzhauptstädte - wahrscheinlich um das US-Taliban-Abkommen nicht zu gefährden (USDOD 6.2020). Die Taliban setzten außerdem improvisierte Sprengkörper in Selbstmordfahrzeugen gegen Einrichtungen der ANDSF in den Provinzen Kandahar, Helmand und Balkh ein (UNGASC 17.03.2020).

Anschläge gegen Gläubige, Kultstätten und religiöse Minderheiten

Nach Unterzeichnung des Abkommens zwischen den USA und den Taliban war es bereits Anfang März 2020 zu einem ersten großen Angriff des ISKP gekommen (BBC 06.03.2020; vgl. AJ 06.03.2020). Der ISKP hatte sich an den Verhandlungen nicht beteiligt (BBC 06.03.2020) und bekannte sich zu dem Angriff auf eine Gedenkfeier eines schiitischen Führers; Schätzungen zufolge wurden dabei mindestens 32 Menschen getötet und 60 Personen verletzt (BBC 06.03.2020; vgl. AJ 06.03.2020).

Am 25.03.2020 kam es zu einem tödlichen Angriff des ISKP auf eine Gebetsstätte der Sikh (Dharamshala) in Kabul. Dabei starben 25 Menschen, acht weitere wurden verletzt (TN 26.03.2020 vgl.; BBC 25.03.2020, USDOD 6.2020). Regierungsnahe Quellen in Afghanistan machen das Haqqani-Netzwerk für diesen Angriff verantwortlich, sie werten dies als Vergeltung für die Gewalt an Muslimen in Indien (AJ 26.03.2020; vgl. TTI 26.03.2020). Am Tag nach dem Angriff auf die Gebetsstätte detonierte eine magnetische Bombe beim Krematorium der Sikh, als die Trauerfeierlichkeiten für die getöteten Sikh-Mitglieder im Gange waren. Mindestens eine Person wurde dabei verletzt (TTI 26.03.2020; vgl. NYT 26.03.2020, USDOD 6.2020). Regierungsfeindliche Gruppierungen

In Afghanistan sind unterschiedliche regierungsfeindliche Gruppierungen aktiv - insbesondere die Grenzregion zu bleibt eine Zufluchtsstätte für unterschiedliche Gruppierungen, wie Taliban, Islamischer Staat, al- Qaida, Haqqani-Netzwerk, Lashkar-e Tayyiba, Tehrik-e Taliban Pakistan, sowie Islamic Movement of Uzbekistan (USDOD 12.2019; vgl. CRS 12.02.2019) und stellt nicht nur für die beiden Länder eine Sicherheitsherausforderung dar, sondern eine Bedrohung für die gesamte regionale Sicherheit und Stabilität (USDOD 12.2019):

Taliban

Die Taliban positionieren sich selbst als Schattenregierung Afghanistans, und ihre Kommissionen und Führungsgremien entsprechen den Verwaltungsämtern und -pflichten einer typischen Regierung (EASO 8.2020c; vgl. NYT 26.05.2020). Die Taliban sind zu einer organisierten politischen Bewegung geworden, die in weiten Teilen Afghanistans eine Parallelverwaltung betreibt (EASO 8.2020c; vgl. USIP 11.2019), und haben sich zu einem lokalen Regierungsakteur im Land entwickelt, indem sie Territorium halten und damit eine gewisse Verantwortung für das Wohlergehen der lokalen Gemeinschaften übernehmen (EASO 8.2020c; vgl. USIP 4.2020). Was militärische Operationen betrifft, so handelt es sich um einen vernetzten Aufstand mit einer starken Führung an der Spitze und dezentralisierten lokalen Befehlshabern, die Ressourcen auf Distriktebene mobilisieren können (EASO 8.2020c; vgl. NYT 26.05.2020).

Das wichtigste offizielle politische Büro der Taliban befindet sich in Katar (EASO 8.2020c; vgl. UNSC 27.05.2020). Der derzeitige Taliban-Führer ist nach wie vor Haibatullah Akhundzada (REU 17.08.2019; vgl. EASO 8.2020c, UNSC 27.05.2020, AnA 28.07.2020) - Stellvertreter sind der Erste Stellvertreter Sirajuddin Jallaloudine Haqqani (Leiter des Haqqani-Netzwerks) und zwei weitere: Mullah Mohammad Yaqoob [Mullah Mohammad Yaqub Omari] (EASO 8.2020c; vgl. FP 09.06.2020) und Mullah Abdul Ghani Baradar Abdul Ahmad Turk (EASO 8.2020c; vgl. UNSC 27.05.2020).

Mitte Juni 2020 berichtete das Magazin Foreign Policy, dass Akhundzada und Jallaloudine Haqqani und andere hochrangige Taliban-Führer sich mit dem COVID-19-Virus angesteckt hätten und dass einige von ihnen möglicherweise sogar gestorben seien sowie dass Mullah Mohammad Yaqoob Taliban- und Haqqani- - 17 -

Operationen leiten würde. Die Taliban dementierten diese Berichte (EASO 8.2020c; vgl. FP 09.06.2020, RFE/RL 02.06.2020).

Die Taliban bezeichnen sich selbst als das Islamische Emirat Afghanistan (VOJ o.D.). Die Regierungsstruktur und das militärische Kommando sind in der Layha, einem Verhaltenskodex der Taliban definiert (AAN 04.07.2011), welche zuletzt 2010 veröffentlicht wurde (AAN 06.12.2018). Die Taliban sind keine monolithische Organisation (NZZ 20.04.2020); nur allzu oft werden die Taliban als eine homogene Einheit angesehen, während diese aber eine lose Zusammenballung lokaler Stammesführer, unabhängiger Warlords sowie abgekoppelter und abgeschotteter Zellen sind (BR 05.03.2020). Während der US-Taliban-Verhandlungen war die Führung der Taliban in der Lage, die Einheit innerhalb der Basis aufrechtzuerhalten, obwohl sich Spaltungen wegen des Abbruchs der Beziehungen zu Al-Qaida vertieft haben (EASO 8.2020c; vgl. UNSC 27.05.2020). Seit Mai 2020 ist eine neue Splittergruppe von hochrangigen Taliban-Dissidenten entstanden, die als Hizb-e Vulayet Islami oder Hezb-e Walayat-e Islami (Islamische Gouverneurspartei oder Islamische Vormundschaftspartei) bekannt ist (EASO 8.2020c; vgl. UNSC 27.05.2020). Die Gruppe ist gegen den US-Taliban-Vertrag und hat Verbindungen in den Iran (EASO 8.2020c; vgl. RFE/RL 09.06.2020). Eine gespaltene Führung bei der Umsetzung des US-Taliban- Abkommens und Machtkämpfe innerhalb der Organisation könnten den möglichen Friedensprozess beeinträchtigen (EASO 8.2020c; vgl. FP 09.06.2020).

Ein Bericht über die Rekrutierungspraxis der Taliban teilt die Taliban-Kämpfer in zwei Kategorien: professionelle Vollzeitkämpfer, die oft in den Madrassen rekrutiert werden, und Teilzeit-Kämpfer vor Ort, die gegenüber einem lokalen Kommandanten loyal und in die lokale Gesellschaft eingebettet sind (LI 02.06.2017).

Die Taliban rekrutieren in der Regel junge Männer aus ländlichen Gemeinden, die arbeitslos sind, eine Ausbildung in Koranschulen haben und ethnisch paschtunisch sind (EASO 8.2020c; vgl. Osman 01.06.2020). Schätzungen der aktiven Kämpfer der Taliban reichen von 40.000 bis 80.000 (EASO 8.2020c; vgl. NYT 12.09.2019) oder 55.000 bis 85.000, wobei diese Zahl durch zusätzliche Vermittler und Nicht-Kämpfer auf bis zu 100.000 ansteigt (EASO 8.2020c; vgl. NYT 26.05.2020), UNSC 27.05.2020). Obwohl die Mehrheit der Taliban immer noch Paschtunen sind, gibt es eine wachsende Minderheit an Tadschiken, Usbeken, Belutschen und sogar mehreren hundert Hazara (einschließlich Schiiten) innerhalb der Taliban (LI 23.08.2017). In einigen nördlichen Gebieten sollen die Taliban bereits überwiegend Nicht-Paschtunen sein, da sie innerhalb der lokalen Bevölkerung rekrutieren (LI 23.08.2017).

Die Taliban betreiben Trainingslager in Afghanistan. Seit Ende 2014 wurden 20 davon öffentlich zur Schau gestellt. Das Khalid bin Walid-Camp soll zwölf Ableger in acht Provinzen betreiben (Helmand, Kandahar, Ghazni, Ghor, Saripul, Faryab, Farah und Maidan Wardak). 300 Militärtrainer und Gelehrte sind dort tätig, und es soll möglich sein, in diesem Camp bis zu 2.000 Rekruten auf einmal auszubilden (LWJ 14.08.2019).

Haqqani-Netzwerk

Das seit 2012 bestehende Haqqani-Netzwerk ist eine teilautonome Organisation, Bestandteil der afghanischen Taliban, Verbündeter von al-Qaida (CRS 12.02.2019; vgl. EASO 8.2020c, UNSC 27.05.2020) und verfügt über Kontakte zu IS (RA KBL 12.10.2020; vgl. EASO 8.2020). Benannt nach dessen Begründer, Jalaluddin Haqqani (USDOS 19.09.2018; vgl. CRS 12.02.2019), einem führenden Mitglied des antisowjetischen Jihad (1979-1989) und einer wichtigen Taliban-Figur; sein Tod wurde von den Taliban im September 2018 verlautbart. Der derzeitige Leiter ist dessen Sohn Serajuddin Haqqani [auch Sirajuddin Haqqani] (EASO 8.2020c; cf. UNSC 27.05.2020).

Als gefährlichster Arm der Taliban hat das Haqqani-Netzwerk seit Jahren Angriffe in den städtischen Bereichen ausgeführt (NYT 20.08.2019) und wird für einige der tödlichsten Angriffe in Afghanistan verantwortlich gemacht (CRS 12.02.2019). Das Netzwerk ist vor allem in den südlichen und östlichen Teilen des Landes und in den Provinzen Paktika und Khost aktiv. Sie verfügen jetzt über mehr Macht als in den Vorjahren und führen mehr Operationen durch. Es gibt keine größeren Gegenmaßnahmen der afghanischen Regierung oder der Sicherheitskräfte gegen das Netzwerk (RA KBL 12.10.2020). - 18 -

Die afghanische Regierung entließ drei führende Mitglieder des Netzwerks im Zuge des Gefangenenaustausches im November 2019 (RA KBL 12.10.2020; vgl. NYT 19.11.2019, BBC 19.11.2019). Das Haqqani-Netzwerk ist an den aktuellen Friedensverhandlungen beteiligt (RA KBL 12.10.2020).

Islamischer Staat (IS/ISIS/ISIL/Daesh), Islamischer Staat Khorasan Provinz (ISKP)

Erste Berichte über den Islamischen Staat (IS, auch ISIS, ISIL oder Daesh genannt) in Afghanistan gehen auf den Sommer 2014 zurück (AAN 17.11.2014; vgl. LWJ 05.03.2015). Der IS in Afghanistan bezeichnet sich selbst als Khorasan-Zweig des IS (ISKP). Es ist aber nicht erwiesen, ob er mit dem IS im Irak und in Syrien verbunden ist oder nicht. (RA KBL 12.10.2020). Zu den Kommandanten gehörten zunächst oft unzufriedene afghanische und pakistanische Taliban (AAN 01.08.2017; vgl. LWJ 04.12.2017). Schätzungen zur Stärke des ISKP variieren zwischen 2.500 und 4.000 Kämpfern (UNSC 13.06.2019) bzw. 4.000 und 5.000 Kämpfern (EASO 8.2020). Nach US-Angaben vom Frühjahr 2019 ist ihre Zahl auf 5.000 gestiegen. Auch soll der Islamische Staat vom zahlenmäßigen Anstieg der Kämpfer in Pakistan und Usbekistan sowie von aus Syrien geflohenen Kämpfern profitieren (VOA 21.05.2019).

Der ISKP geriet in dessen Hochburgen in Ostafghanistan nachhaltig unter Druck (UNGASC 17.03.2020; vgl. RA KBL 12.10.2020), da sich jahrelang die Militäroffensiven der US-amerikanischen und afghanischen Streitkräfte auf diese konzentrierten. Auch die Taliban intensivierten in jüngster Zeit ihre Angriffe gegen den ISKP in dieser Region (SIGAR 30.01.2020). So sollen 5.000 Talibankämpfer aus der Provinz Kandahar gekommen sein, um den ISKP in Nangarhar zu bekämpfen (DW 26.02.2020; vgl. MT 27.02.2020). Im November 2019 ist die wichtigste Hochburg des islamischen Staates in Ostafghanistan zusammengebrochen (NYT 02.12.2020; vgl. SIGAR 30.01.2020), wobei über 1.400 Kämpfer und Anhänger des ISKP, darunter auch Frauen und Kinder, kapitulierten (EASO 8.2020c; vgl. UNSC 27.05.2020, UNGASC 17.03.2020). Der islamische Staat soll jedoch weiterhin in den westlichen Gebieten der Provinz Kunar präsent sein (UNGASC 17.03.2020). Die landesweite Mannstärke des ISKP hat sich seit Anfang 2019 von 3.000 Kämpfern auf zwischen 200 (EASO 8.2020c; vgl. UNSC 27.05.2020) und 300 Kämpfer reduziert (NYT 02.12.2020).

49 Angriffe werden dem ISKP im Zeitraum 08.11.2019 - 06.02.2020 zugeschrieben, im Vergleichszeitraum des Vorjahres wurden 194 Vorfälle registriert. Im Berichtszeitraum davor wurden 68 Angriffe registriert (UNGASC 17.03.2020).

Die Macht des ISKP in Afghanistan ist kleiner als jene der Taliban; auch hat er viel Territorium verloren. Der ISKP war bzw. ist nicht Teil der Friedensverhandlungen mit den USA und ist weiterhin in der Lage, tödliche Angriffe durchzuführen (BBC 25.03.2020). Aufgrund des Territoriumsverlustes ist die Rekrutierung und Planung des ISKP stark eingeschränkt (NYT 02.12.2020).

Der ISKP verurteilt die Taliban als „Abtrünnige“, die nur ethnische und/oder nationale Interessen verfolgen (CRS 12.02.2019). Die Taliban und der Islamische Staat sind verfeindet. In Afghanistan kämpfen die Taliban seit Jahren gegen den IS, dessen Ideologien und Taktiken weitaus extremer sind als jene der Taliban (WP 19.08.2019; vgl. AP 19.08.2019). Während die Taliban ihre Angriffe weitgehend auf Regierungsziele und afghanische und internationale Sicherheitskräfte beschränken (AP 19.08.2019), zielt der ISKP darauf ab, konfessionelle Gewalt in Afghanistan zu fördern, indem sich Angriffe gegen Schiiten richten (WP 19.08.2019).

Angesichts der Aufnahme von Gesprächen der Taliban mit den USA predigte der ISKP seine Mission weiterhin als eine reinere Form des Dschihad im Gegensatz zur Öffnung der Taliban für US-Gespräche (EASO 8.2020c; vgl. SaS 10.02.2020). Nach Angaben der UNO zielt ISKP darauf ab, von den Taliban und Al Qaida abtrünnige Rekruten zu gewinnen, insbesondere solche, die sich jeglichen Vereinbarungsgesprächen mit den US- amerikanischen oder afghanischen Regierungen widersetzen (EASO 8.2020c; vgl. UNSC 27.05.2020).

Am 4.4.2020 verhaftete die Nationale Sicherheitsdirektion Afghanistans (NDS) den IS-Führer in Afghanistan (RA KBL 12.10.2020; vgl. AnA 30.04.2020, HRW 06.04.2020), und laut NDS wurde das Hauptführungs- und Koordinierungsgremium des islamischen Staates eliminiert, aber die Teilnetzwerke existieren noch immer in verschiedenen Bereichen. Die Gruppe ist immer noch aktiv und führt weiterhin Angriffe durch (RA KBL 12.10.2020). - 19 -

Al-Qaida und mit ihr verbundene Gruppierungen

Al-Qaida sieht Afghanistan auch weiterhin als sichere Zufluchtsstätte für ihre Führung, basierend auf langjährigen und engen Beziehungen zu den Taliban. Beide Gruppierungen haben immer wieder öffentlich die Bedeutung ihres Bündnisses betont (UNSC 15.01.2019). Unter der Schirmherrschaft der Taliban ist al-Qaida in den letzten Jahren stärker geworden; dabei wird die Zahl der Mitglieder auf 240 geschätzt, wobei sich die meisten in den Provinzen Badakhshan, Kunar und Zabul befinden. Mentoren und al-Qaida-Kadettenführer sind oftmals in den Provinzen Helmand und Kandahar aktiv (UNSC 13.06.2019). Einer Quelle zufolge hat Al-Qaida weniger Macht als in den letzten Jahren (RA KBL 12.10.2020b). Gemäß UNO-Bericht vom Mai 2020 ist Al-Qaida in zwölf Provinzen mit 400-600 Bewaffneten verdeckt aktiv (EASO 8.2020c; vgl. UNSC 27.05.2020).

Al-Qaida will die Präsenz in der Provinz Badakhshan stärken, insbesondere im Distrikt Shighnan, der an der Grenze zu Tadschikistan liegt, aber auch in der Provinz Paktika, Distrikt Barmal, wird versucht, die Präsenz auszubauen. Des Weiteren fungieren al-Qaida-Mitglieder als Ausbilder und Religionslehrer der Taliban und ihrer Familienmitglieder (UNSC 13.06.2019).

Im Zuge des US-Taliban-Abkommen haben die Taliban zugesichert, terroristischen Gruppierungen wie etwa al- Qaida keine Zuflucht zu gewähren (NZZ 20.04.2020; vgl. USDOS 29.02.2020, EASO 8.2020). [...]

5.1. Kabul

Letzte Änderung: 14.12.2020

Die Provinz Kabul liegt im Zentrum Afghanistans (PAJ Kabul o.D.) und grenzt an Parwan und Kapisa im Norden, Laghman im Osten, Nangarhar im Südosten, Logar im Süden sowie Wardak im Westen. Provinzhauptstadt ist Kabul-Stadt (NPS Kabul o.D.). Die Provinz besteht aus den folgenden Distrikten: Bagrami, Chahar Asyab, Dehsabz, Estalef, Farza, Guldara, Kabul, Kalakan, Khak-e-Jabar, Mir Bacha Kot, Musahi, Paghman, Qara Bagh, Shakar Dara und Surubi/Surobi/Sarobi (NSIA 01.06.2020; vgl. IEC Kabul 2019). Die National Statistics and Information Authority of Afghanistan (NSIA) schätzt die Bevölkerung in Kabul im Zeitraum 2020-21 auf 4.459.463 Personen (NSIA 01.06.2020).

Kabul-Stadt - Geographie und Demographie

Kabul-Stadt ist die Hauptstadt Afghanistans und auch ein Distrikt in der Provinz Kabul. Es ist die bevölkerungsreichste Stadt Afghanistans, mit einer geschätzten Einwohnerzahl von 4.434.550 Personen für den Zeitraum 2020-21 (NSIA 01.06.2020). Die genaue Bevölkerungszahl ist jedoch umstritten, und Schätzungen reichen von 3,5 Millionen bis zu möglichen 6,5 Millionen Einwohnern (AAN 19.03.2019; vgl. IGC 13.02.2020). Laut einem Bericht expandierte die Stadt, die vor 2001 zwölf Stadtteile - auch Police Distrikts (USIP 4.2017), PDs oder Nahia genannt (AAN 19.03.2019) - zählte, aufgrund ihres signifikanten demographischen Wachstums und ihrer horizontalen Expansion auf 22 PDs (USIP 4.2017). Die Bevölkerung besteht aus Paschtunen, Tadschiken, Hazara, Usbeken, Turkmenen, Belutschen, Sikhs und Hindus (PAJ Kabul o.D.; vgl. NPS Kabul o.D.). [...]

Hauptstraßen verbinden die afghanische Hauptstadt mit dem Rest des Landes (UNOCHA 4.2014), inklusive der Ring Road (Highway 1) welche die fünf größten Städte Afghanistans - Kabul, Herat, Mazar-e Sharif, Kandahar und miteinander verbindet (USAID o.D.).

Der Highway zwischen Kabul und Kandahar gilt als unsicher (TN 07.07.2020a). Aufständische sind auf dem Highway aktiv (UNGASC 28.02.2019; vgl. UNOCHA 23.02.2020) und kontrollieren Teile der Straße, und es wurde von Straßenblockaden und Kontrollen durch Aufständische berichtet, die sich gegen Regierungsmitglieder und Sicherheitskräfte richten (LI 22.01.2020; vgl. EASO 9.2000).

Der Kabul-Jalalabad-Highway ist eine wichtige Handelsroute, die oft als „eine der gefährlichsten Straßen der Welt“ gilt (was sich auf die zahlreichen Verkehrsunfälle bezieht, die sich auf dieser Straße ereignet haben) und durch Gebiete führt, in denen Aufständische aktiv sind (TD 13.12.2015; vgl. EASO 9.2020).

Es wird berichtet, dass 20 Kilometer der Kabul-Bamyan-Autobahn, welche die Region Hazarajat mit der Hauptstadt verbindet, unter der Kontrolle der Taliban stehen (AAN 16.12.2019), und Berichten zufolge haben - 20 - die sicherheitsrelevanten Vorfälle auf der Autobahn, die Kabul mit den Provinzen Logar und Paktia verbindet, im Juli 2020 zugenommen (TN 07.07.2020a).

In Kabul-Stadt gibt es einen Flughafen, der mit Stand November 2020 für die Abwicklung von internationalen und nationalen Passagierflügen geöffnet ist (F 24 19.11.2020).

Die Stadt besteht aus drei konzentrischen Kreisen: Der erste umfasst Shahr-e Kohna, die Altstadt, Shahr-e Naw, die neue Stadt, sowie Shash Darak und Wazir Akbar Khan, wo sich viele ausländische Botschaften, ausländische Organisationen und Büros befinden. Der zweite Kreis besteht aus Stadtvierteln, die zwischen den 1950er und 1980er Jahren für die wachsende städtische Bevölkerung gebaut wurden, wie Taimani, Qala-e Fatullah, Karte Se, Karte Chahar, Karte Naw und die Microraions (sowjetische Wohngebiete). Schließlich wird der dritte Kreis, der nach 2001 entstanden ist, hauptsächlich von den „jüngsten Einwanderern“ (USIP 4.2017) (afghanische Einwanderer aus den Provinzen) bevölkert (AAN 19.03.2019), mit Ausnahme einiger hochkarätiger Wohnanlagen für VIPs (USIP 4.2017).

Was die ethnische Verteilung der Stadtbevölkerung betrifft, so ist Kabul Zielort für verschiedene ethnische, sprachliche und religiöse Gruppen, und jede von ihnen hat sich an bestimmten Orten angesiedelt, je nach der geografischen Lage ihrer Heimatprovinzen. Dies gilt für die Altstadt ebenso wie für weiter entfernte Stadtviertel, und sie wird in den ungeplanten Gebieten immer deutlicher (Noori 11.2010). In den zuletzt besiedelten Gebieten sind die Bewohner vor allem auf Qawmi-Netzwerke angewiesen, um Schutz und Arbeitsplätze zu finden sowie ihre Siedlungsbedingungen gemeinsam zu verbessern. Andererseits ist in den zentralen Bereichen der Stadt die Mobilität der Bewohner höher, und Wohnsitzwechsel sind häufiger. Dies hat eine negative Wirkung auf die sozialen Netzwerke, die sich in der oft gehörten Beschwerde manifestiert, dass man „seine Nachbarn nicht mehr kenne“ (AAN 19.03.2019). Nichtsdestotrotz ist in den Stadtvierteln, die von neu eingewanderten Menschen mit gleichem regionalem oder ethnischem Hintergrund dicht besiedelt sind, eine Art „Dorfgesellschaft“ entstanden, deren Bewohner sich kennen und direktere Verbindungen zu ihrer Herkunftsregion haben als zum Zentrum Kabuls (USIP 4.2017). Einige Beispiele für die ethnische Verteilung der Kabuler Bevölkerung sind die folgenden: Hazara haben sich hauptsächlich im westlichen Viertel Chandawal in der Innenstadt von Kabul und in Dasht-e-Barchi sowie in Karte Se am Stadtrand niedergelassen; Tadschiken bevölkern Payan Chawk, BalaChawk und Alli Mordan in der Altstadt und nördliche Teile der Peripherie wie Khairkhana; Paschtunen sind vor allem im östlichen Teil der Innenstadt Kabuls, Bala Hisar und weiter östlich und südlich der Peripherie wie in Karte Naw und Binihisar (Noori 11.2010; vgl. USIP 4.2017), aber auch in den westlichen Stadtteilen Kota-e-Sangi und Bazaar-e-Company (auch Company) ansäßig (Noori 11.2010); Hindus und Sikhs leben im Herzen der Stadt in der Hindu-Gozar- Straße (Noori 11.2010; vgl. USIP 4.2017).

Hintergrundinformationen zum Konflikt und Akteure

Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul (USDOD 01.07.2020), und alle Distrikte gelten als unter Regierungskontrolle (LWJ o.D.), dennoch finden weiterhin High-Profile-Angriffe - auch in der Hauptstadt - statt (USDOD 01.07.2020; vgl. NYTM 26.03.2020, HRW 12.05.2020), wie Angriffe auf schiitische Feiernde und einen Sikhtempel im März (USDOD 01.07.2020) sowie auf Bildungseinrichtungen wie die Universität in Kabul (GN 02.11.2020; vgl. AJ 02.11.2020) oder ein Selbstmordattentat auf eine Schule in Kabul im Oktober 2020 (HRW 26.10.2020), für die alle der Islamische Staat die Verantwortung übernahm (HRW 26.10.2020; vgl. AJ 02.11.2020, GN 02.11.2020). Den Angriff auf eine Geburtenklinik im Mai 2020 reklamierte bislang keine Gruppierung für sich (AJ 15.06.2020; vgl. AP 160.6.2020, HRW 12.05.2020), wobei die Taliban eine Verantwortung abstritten (AP 16.06.2020, vgl. HRW 12.05.2020). Bei Angriffen in Kabul kommt es oft vor, dass keine Gruppierung die Verantwortung übernimmt, oder es werden diese von nicht identifizierten bewaffneten Gruppen durchgeführt (UNAMA 7.2020; vgl. UNGASC 2.2019, EASO 9.2020).

Das USDOD beschreibt die Ziele militanter Gruppen, die in Kabul Selbstmordattentate verüben, als den Versuch, internationale Medienaufmerksamkeit zu erregen, den Eindruck einer weit verbreiteten Unsicherheit zu erzeugen und die Legitimität der afghanischen Regierung sowie das Vertrauen der Bevölkerung in die afghanischen Sicherheitskräfte zu untergraben (USDOD 23.01.2020; vgl. EASO 9.2020). Afghanische - 21 -

Regierungsgebäude und -beamte, die afghanischen Sicherheitskräfte und hochrangige internationale Institutionen, sowohl militärische als auch zivile, gelten als die Hauptziele in Kabul-Stadt (USDOS 24.06.2020; vgl. LI 22.01.2020, LIFOS 15.10.2019, EASO 9.2020).

Aufgrund öffentlichkeitswirksamer Angriffe auf Kabul-Stadt kündigte die afghanische Regierung bereits im August 2017 die Entwicklung eines neuen Sicherheitsplans für Kabul an (AAN 25.09.2017). So wurde unter anderem das Green Village errichtet, ein stark gesichertes Gelände im Osten der Stadt, in dem unter anderem Hilfsorganisationen und internationale Organisationen (RFE/RL 02.09.2019; vgl. FAZ 02.09.2019) sowie ein Wohngelände für Ausländer untergebracht sind (FAZ 02.09.2019). Die Anlage wird von afghanischen Sicherheitskräften und privaten Sicherheitsmännern schwer bewacht (AJ 03.09.2019). Die Green Zone hingegen ist ein separater Teil, der nicht unweit des Green Villages liegt. Die Green Zone ist ein stark gesicherter Teil Kabuls, in dem sich mehrere Botschaften befinden - so z.B. auch die US-amerikanische Botschaft und britische Einrichtungen (RFE/RL 02.09.2019; vgl. GN 15.07.2020) - und der von hohen Mauern umgeben ist (GN 15.07.2020).

Wie auch in anderen großen Städten Afghanistans ist Straßen-Kriminalität in Kabul ein Problem (AVA 1.2020; vgl. ArN 11.01.2020, AAN 11.02.2020, AAN 21.02.2020, TN 04.10.2020, TN 17.10.2020, TN 21.10.2020, EASO 9.2020). Im vergangenen Jahr wurden in Kabul, Herat und Mazar-e Sharif Tausende von Fällen von Straßenraub und Hausüberfällen gemeldet (ArN 11.01.2020; vgl. TN 17.10.2020. Nach einem Anstieg der Kriminalität und der Sicherheitsvorfälle in Kabul kündigte der Vizepräsident Amrullah Saleh im Oktober 2020 an, dass er auf Anordnung von Präsident Ashraf Ghani für einige Wochen die Verantwortung für die Sicherheit in Kabul übernehmen und hart gegen Kriminalität in Kabul vorgehen werde (TN 17.10.2020; vgl. AN 17.10.2020, TN 17.10.2020. Die Regierung kündigte einen Sicherheitsplan mit der Bezeichnung „Security Charter“ an, um das Sicherheitspersonal in die Gewährleistung der Sicherheit Kabuls und anderer Großstädte des Landes zu integrieren. Als Teil dieses Plans wies Präsident Ghani die Sicherheitsbehörden an, gegen schwere Verbrechen in der Stadt vorzugehen (TN 21.10.2020; vgl. TN 17.10.2020, AN 17.10.2020).

Auf Regierungsseite befindet sich die Provinz Kabul mit Ausnahme des Distrikts Surubi im Verantwortungsbereich der 111. ANA Capital Division, die unter der Leitung von türkischen Truppen und mit Kontingenten anderer Nationen der NATO-Mission Train Advise Assist Command-Capital (TAAC-C) untersteht. Der Distrikt Surubi fällt in die Zuständigkeit des 201. ANA Corps (USDOD 01.07.2020). Darüber hinaus wurde eine spezielle Krisenreaktionseinheit (Crisis Response Unit) innerhalb der afghanischen Polizei geschaffen, um Angriffe zu verhindern und auf Anschläge zu reagieren (LI 05.09.2018).

Im Distrikt Surubi wird von der Präsenz von Taliban-Kämpfern berichtet (TN 27.09.2020; vgl. GW 14.07.2020, EASO 9.2020, UNOCHA 03.02.2020). Aufgrund seiner Nähe zur Stadt Kabul und zum Salang-Pass hat der Distrikt große strategische Bedeutung (WOR 10.09.2018; vgl. TN 27.09.2020). Er gilt als unter Regierungskontrolle, wenn auch unsicher. Die Taliban fokussieren ihre Angriffe auf die Straße zwischen Surubi und Jagdalak und konnten diesen Straßenabschnitt auch kurzzeitig unter ihre Kontrolle bringen (TN 27.09.2020). Im Juli wurde über eine steigende Talibanpräsenz im Distrikt Paghman berichtet (TN 15.07.2020).

Es wird berichtet, dass der Islamische Staat in der Provinz aktiv und in der Lage ist, Angriffe durchzuführen (UNGASC 27.05.2020; vgl. EASO 9.2020). Aufgrund des anhaltenden Drucks der ANDSF (Afghan National Security Forces), die Aktivitäten des Islamischen Staates zu stören (LI 22.01.2020; vgl. UNGASC 04.02.2020, EASO 9.2020), zeigte sich die militante Gruppe jedoch nur eingeschränkt in der Lage, 2019 in Kabul öffentlichkeitswirksame Anschläge zu verüben (UNAMA 2.2020; vgl. LI 22.01.2020, WP 09.02.2020; EASO 9.2020).

Jüngste Entwicklungen und Auswirkungen auf die zivile Bevölkerung [...]

Im Jahr 2019 dokumentierte UNAMA 1.563 zivile Opfer (261 Tote und 1.302 Verletzte) in der Provinz Kabul. Dies entspricht einem Rückgang von 16% gegenüber 2018. Die Hauptursache für die Opfer waren Selbstmordangriffe, gefolgt von improvisierten Sprengkörpern (improvised explosive devices, IEDs; ohne Selbstmordattentate) und gezielten Tötungen (UNAMA 2.2020). - 22 -

Im letzten Quartal des Jahres 2019 (LI 22.01.2020) sowie in den ersten Monaten des Jahres 2020 (UNGASC 3.2020) wurden in der Hauptstadt weniger Anschläge verübt. Seit dem zweiten Quartal 2020 hat die Gewalt Berichten zufolge wieder zugenommen (NYTM 25.06.2020; vgl. UNGASC 17.06.2020, RY 30.06.2020, EASO 9.2020).

Selbstmordanschläge (NYTM 29.10.2020a, NYTM 29.10.2020c, HRW 26.10.2020, RFE/RL 04.10.2020, REU 29.04.2020) und IEDs (WP 26.02.2020, AJ 22.08.2020, NYTM 29.10.2020c, TN 04.10.2020, KP 04.06.2020) finden statt, und es wurde von gezielten Tötungen (NYTM 26.03.2020, AT 22.08.2020, TN 21.10.2020, NYTM 05.11.2020) und Angriff auf militärische Einrichtungen bzw. Sicherheitskräfte (NYTM 29.10.2020b, GN 11.02.2020, TN 22.06.2020, TN 08.07.2020, TN 06.07.2020, UNAMA 6.2020, TN 06.06.2020) sowohl in Kabul- Stadt als auch in den Distrikten der Provinz berichtet. Es gibt Berichte über Straßenblockaden und Angriffe auf Highways durch bewaffnete Gruppierungen (UNOCHA 29.01.2020, NYTM 27.02.2020).

Seit Herbst 2018 haben die ANDSF-Kräfte eine konzertierte Anstrengung zur Auflösung militanter Gruppen begonnen, die im und um den Großraum Kabul herum aktiv sind (NYTM 16.01.2019; vgl. UNGASC 27.05.2020, USDOD 01.07.2020). Die ANDSF setzen gemeinsam mit einem neuen Kommando der Gemeinsamen Streitkräfte, das im Juni 2020 eingerichtet wurde (KP 04.06.2020), ihre Aktivitäten im Jahr 2020 fort. Die afghanischen Sicherheitskräfte führen Operationen gegen aufständische Gruppierungen (TN 06.05.2020, KP 06.05.2020, RFE/RL 11.05.2020, TN 11.05.2020) und kriminelle Banden (KP 18.05.2020) sowie Luftschläge (EASO 9.2020) durch und konnten hochrangige Mitglieder der Taliban und des IS festnehmen (TN 11.05.2020, KP 12.02.2020, BBC 11.05.2020), TN 11.05.2020, PAJ 26.06.2020) sowie zwei IS-Mitglieder verhaften, die angeblich Angriffe auf ein Krankenhaus und ein Medienunternehmen planten (TN 07.07.2020b). [...] 5.2. Badakhshan Letzte Änderung: 14.12.2020 Badakhshan liegt im Nordosten Afghanistans und grenzt an Tadschikistan, China und Pakistan. Die gebirgige Provinz (OP Badakhshan 01.02.2017) zählt zu den größten Provinzen Afghanistans (RFE/RL 11.04.2019). Innerhalb Afghanistans grenzt Badakhshan an die Provinzen Takhar, Panjshir und Nuristan (UNOCHA Badakhshan 19.02.2014). Badakhshan ist in die folgenden Distrikte unterteilt: Arghanj Khwah, Argo, Baharak, Darayim, Darwaz-e-Bala (Nesay), Darwaz-e-Payin (Mamay), Eshkashim, Faiz Abad, Jurm, Kishm, Khash, Khwahan, Kufab, Kohistan, Kiran wa Menjan, Raghistan, Shar-e-Buzorg, Shignan, Shiki, Shuhada, Tagab, Tashkan, Wakhan, Warduj, Yaftal-e-Sufla, Yamgan (Girwan), Yawan und Zebak (NSIA 01.06.2020; IEC Badakhshan 2019). Die Provinzhauptstadt Badakhshans ist Fayz Abad. Die National Statistics and Information Authority of Afghanistan (NSIA) schätzt die Bevölkerung in Badakhshan im Zeitraum 2020-21 auf 1,054.087 Personen (NSIA 01.06.2020). In der Provinz leben Tadschiken, Paschtunen, Usbeken, Hazara, Belutschen und Kirgisen (OP Badakhshan 01.02.2017). In Faiz Abad gibt es einen Flughafen, mit Stand Oktober 2020 besteht Linienflugverkehr von und nach Kabul (Kam Air Badakhshan o.D.). Eine Hauptverkehrsstraße verbindet Faiz Abad mit der westlich von Badakhshan gelegenen Provinz Takhar und in weiterer Folge Kunduz (LCA 29.06.2018). Im Dezember 2019 wurde eine Straße eingeweiht, welche neun Distrikte der Provinz mit der Provinzhauptstadt verbindet (PAJ 02.12.2019). Badakhshan verfügt über bedeutsame Mineralienminen, von denen manche unter der Kontrolle von Aufständischen stehen (KP 08.02.2020), bzw. kam es zu bewaffneten Konflikten um die Kontrolle von Lapislazuli-Minen in Badakhshan (AVA 25.07.2020; vgl. FP 22.09.2020; UNSC 27.05.2020; GW 05.06.2016). Hintergrundinformationen zum Konflikt und Akteure Zwischen 1996 und 2001 gehörte Badakhshan zu den wenigen Gebieten in Afghanistan, die außerhalb der Kontrolle der Taliban lagen (RFE/RL 12.02.2018; vgl. AAN 03.01.2017). Die Sicherheitslage in der Provinz hat sich jedoch verschlechtert, seit die USA ihre Offensiven 2012 beendeten und begannen, eine beträchtliche Anzahl von Truppen abzuziehen (LWJ 28.03.2020). Badakhshan zählte im Mai 2020 zu den vergleichsweise volatilen Provinzen im Nordosten Afghanistans (KP 06.05.2020; vgl. AN 21.04.2020). Die Taliban und andere militante Gruppierungen sind in der Provinz aktiv und versuchen oftmals, Angriffe gegen die Regierungstruppen durchzuführen (KP 06.05.2020). Laut dem Long War Journal werden mit Stand Ende September 2020 zwei Distrikte (Arghanj Khwah und Yamgan) von den Taliban kontrolliert, rund 20 weitere Distrikte gelten als umkämpft (LWJ o.D.; vgl. LWJ 27.07.2020). Unter anderem sind auch ausländische Kämpfer - hauptsächlich aus Tadschikistan und Usbekistan - in den Reihen der Taliban aktiv (RFE/RL 29.04.2020; vgl. AN 21.04.2020). - 23 -

Neben den Taliban operieren weitere Aufständischengruppen, wie zum Beispiel Al Qaida, das Islamic Movement of Uzbekistan (IMU) und das East Turkestan Islamic Movement (ETIM) in der Provinz (UNSC 27.05.2020; AN 21.04.2020; vgl. KN 14.12.2019). Lokale Regierungsvertreter in Badakhshan behaupten, dass der Islamische Staat (IS) im Distrikt Jurm mit Al Qaida zusammenarbeitet, und nach Angaben von Militärangehörigen in Badakhshan kooperieren auch das Ansarullah-Netzwerk, IMU und ETIM in manchen Distrikten mit Al Qaida und dem IS (AN 21.04.2020; vgl. TN 21.04.2020a).Tadschikische kriminelle Netzwerke, welche in den Drogenschmuggel aus Afghanistan nach Zentralasien involviert sind, arbeiten in Badakhshan mit Rebellengruppen zusammen (UNSC 27.05.2020). Auf Regierungsseite befindet sich Badakhshan im Verantwortungsbereich des 217. Afghan National Army (ANA) „Pamir“ Corps (USDOD 01.07.2020; PAJ 23.05.2020), das der NATO-Mission Train, Advise and Assist Command - North (TAAC-N) untersteht, welches von deutschen Streitkräften geleitet wird (USDOD 01.07.2020). Die US- amerikanischen Streitkräfte leisten in der Provinz Luftunterstützung für die afghanischen Bodentruppen und versorgen diese mit nachrichtendienstlichen Informationen (WP 18.10.2019). Jüngste Entwicklungen und Auswirkungen auf die zivile Bevölkerung [...] Im Jahr 2019 dokumentierte UNAMA106 zivile Opfer (48 Tote und 58 Verletzte) in der Provinz Badakhshan. Dies entspricht einer Steigerung von 68% gegenüber 2018. Die Hauptursache für die Opfer waren Luftangriffe, gefolgt von Kämpfen am Boden und gezielten Tötungen (UNAMA 2.2020). In den ersten drei Quartalen des Jahres 2020 zählte UNAMA 135 zivile Opfer (43 Tote, 92 Verletzte) in der Provinz, was mehr als einer Verdopplung der Anzahl an zivilen Opfern gegenüber derselben Periode im Vorjahr entspricht (UNAMA 10.2020). Die Regierungskräfte führten in Badakhshan Räumungsoperationen durch (BNA 23.08.2020; XI 15.08.2020a; PAJ 23.05.2020; KP 06.05.2020; AnA 11.04.2020; KP 20.02.2020). Die Taliban griffen Außenposten oder Kontrollpunkte der Regierungstruppen an, es kam zu direkten Kämpfen (PNA 30.09.2020; TN 26.09.2020; NYTM 24.09.2020; XI 31.08.2020; OI 13.07.2020; PAJ 23.05.2020). Ende März nahmen die Taliban das Distriktzentrum von Yamgan ein (AN 28.03.2020; RFE/RL 28.03.2020; vgl. AAN 09.04.2020). Yamgan war vergangenes Jahr von den Regierungskräften befreit worden, nachdem der Distrikt vier Jahre lang unter Aufständischenpräsenz gestanden hatte (AN 28.03.2020; vgl. UNGASC 17.06.2020). Weiters kam es zu IED- Explosionen (AVA 02.09.2020; XI 14.08.2020; AVA 06.06.2020), unter anderem auch in der Provinzhauptstadt (XI 01.09.2020). [...] 5.3. Badghis Letzte Änderung: 14.12.2020 Die Provinz Badghis liegt im Westen Afghanistans (PAJ Badghis o.D.). Die Provinzhauptstadt ist Qala-i-Naw. Badghis grenzt im Westen an die Provinzen Herat, Faryab im Osten und Ghor im Süden. Im Norden teilt sie eine internationale Grenze mit Turkmenistan. Badghis besteht aus den folgenden Distrikten: Ab Kamari, (Murghab), Ghormach, Jawand, Muqur, Qadis und Qala-i-Naw (NSIA 01.06.2020; vgl. IEC Badghis 2019). Die administrative Zugehörigkeit des Distrikts Ghormach wechselte in der Vergangenheit. Obwohl der Distrikt traditionell Teil von Badghis ist (AAN 22.02.2017), wurde er nach 2007 mitunter Faryab zugerechnet (AAN 22.02.2017; vgl. UNODC/MCN 11.2018). 2018 wurde angekündigt, dass die Verwaltungsangelegenheiten von Ghormach aus Sicherheitsgründen zurück nach Badghis transferiert würden (FRP 28.08.2018; vgl. NSIA 01.06.2020; IEC Badghis 2019). Die National Statistics and Information Authority of Afghanistan (NSIA) schätzt die Bevölkerung in Badghis im Zeitraum 2020-21 auf 549.583 Personen (NSIA 01.06.2020). Laut dem Büro des Präsidenten von Afghanistan wird Badghis hauptsächlich von Tadschiken, Paschtunen, Usbeken und Turkmenen bewohnt (OP Badghis 01.02.2017). Die strategisch wichtige Ring Road, die Kabul mit Herat verbindet, ist auf einem Abschnitt in Badghis nicht vollendet. Sie ist in der Provinz derzeit nicht asphaltiert, und alle Bemühungen, mit den Arbeiten daran zu beginnen, haben sich insbesondere aus Sicherheitsgründen verzögert (WVA 2020; vgl. SIGAR 6.2018). Es wurde von Straßenblockaden der Taliban und Räumungsoperationen der Regierungstruppen auf Straßen in Badghis berichtet (TN 06.09.2020; TN 19.08.2020a; ST 20.05.2020; TN 14.11.2019), unter anderem auch entlang der Ring Road in der Gegend von Laman (Distrikt Ab Kamari, Anmerkung (KP 14.01.2020)) (TN 19.08.2020a; TN 06.09.2020). Hintergrundinformationen zum Konflikt und Akteure Badghis war die erste Provinz Nordafghanistans, welche Ende 1996 von den Taliban besetzt wurde (AAN 22.02.2017). Nach dem Fall der Taliban herrschten mehrere einflussreiche Kriegsherren über Badghis, darunter Abdul Malik, Rashid Dostum, Juma Khan und Ismail Khan (NPS Badghis o.D.). Ende August 2020 galt die Sicherheitslage in Badghis als weiterhin angespannt (UNOCHA 02.09.2020). Die Provinz war in den letzten Jahren Schauplatz schwerer Zusammenstöße (XI 14.09.2020a) zwischen den Regierungskräften und den Taliban - 24 -

(UPI 24.04.2020). Die Distrikte Bala Murghab, Ghormach und Muqur befinden sich mit Stand Anfang Oktober 2020 unter Talibankontrolle, während Ab Kamari, Jawand, Qadis und Qala-i-Naw umkämpft sind (LWJ o.D.). Auf Regierungsseite befindet sich Badghis im Verantwortungsbereich des 207. AnA „Zafar" Corps (USDOD 01.07.2020; XI 08.08.2020), das der NATO-Mission Train, Advise and Assist Command - West (TAAC-W) untersteht, welche von italienischen Streitkräften geleitet wird (USDOD 01.07.2020). Jüngste Entwicklungen und Auswirkungen auf die zivile Bevölkerung [...] Im Jahr 2019 dokumentierte UNAMA161 zivile Opfer (77 Tote und 84 Verletzte) in der Provinz Badghis. Dies entspricht einer Steigerung von 104% gegenüber 2018. Die Hauptursache für die Opfer waren Kämpfe am Boden, gefolgt von Luftangriffen und improvisierten Sprengkörpern (improvised explosive devices, IEDs; ohne Selbstmordattentate) (UNAMA 2.2020). Es kam in der Provinz zu Kämpfen (UNOCHA 23.09.2020; UNOCHA 13.05.2020; UNOCHA 29.04.2020; BAMF 20.04.2020; BAMF 23.03.2020) zwischen den Taliban und Regierungstruppen bzw. Angriffen der Taliban auf Sicherheitsposten der Regierung (NYTM 24.09.2020; AT 16.08.2020; TKG 12.08.2020; NYTM 30.07.2020; XI 16.07.2020; KP 24.06.2020; NYTM 30.04.2020; XI 19.04.2020; AAN 08.04.2020). Z.B. im April und September 2020 geschah dies auch an den Rändern der Provinzhauptstadt (TN 24.04.2020; vgl. NYTM 30.04.2020) bzw. in Qala-i-Naw selbst (NYTM 24.09.2020). DieRegierungstruppen führten Operationen am Boden und aus der Luft durch (AT 16.08.2020; XI 16.07.2020; MENAFN 21.04.2020; PAJ 29.01.2020). Weiters kam es auch zu Vorfällen mit IEDs wie Sprengfallen an Straßenrändern (NYTM 24.09.2020; XI 14.09.2020b; NYTM 30.07.2020; UNAMA 7.2020; XI 17.02.2020) oder an Fahrzeugen montierten Bomben (VBIEDs) (KP 16.09.2020; TN 23.03.2020). [...] 5.4. Baghlan Letzte Änderung: 14.12.2020 Baghlan, das sich im Nordosten Afghanistans befindet, grenzt an die Provinzen Bamyan, Samangan, Kunduz, Takhar, Panjshir, Parwan (UNOCHA Baghlan 4.2014), und in einem sehr kleinen Abschnitt an Balkh (AIMS o.D.). Baghlan ist in die folgenden 15 Distrikte unterteilt: Andarab, Baghlan-e-Jadeed (auch bekannt als Baghlan-e- Markazi), Burka, Dahana-e-Ghuri, Deh Salah, Dushi, Firing Wa Gharu, Gozargah-e-Noor, Khinjan, Khost Wa Firing, Khwaja hejran (Jalga), Nahreen, Pul-e-Hisar, Pul-i-Khumri und Tala Wa Barfak. Die Hauptstadt der Provinz ist Pul-i-Khumri (NSIA 01.06.2020; vgl. IEC Baghlan 2019). Die National Statistics and Information Authority of Afghanistan (NSIA) schätzt die Bevölkerung in Baghlan im Zeitraum 2020-21 auf 1,014.634 Personen (NSIA 01.06.2020). Eine knappe Mehrheit der Einwohner von Baghlan sind Tadschiken, gefolgt von Paschtunen und Hazara als zweit- bzw. drittgrößte ethnische Gruppen. Außerdem leben ethnische Usbeken und Tataren in Baghlan (NPS Baghlan o.D.). Baghlan liegt an der nördlichen Strecke der Ring Road, auch als Highway 1 bekannt. Die Ring Road verbindet die Hauptstadt Kabul über den Salang-Pass mit der nordöstlichen Region Afghanistans und in weiterer Folge dem Norden des Landes mit seiner Hauptstadt Mazar-e Sharif. Bei Pul-i-Khumri zweigt jene Straße ab, welche Richtung Osten nach Kunduz, der regionalen Hauptstadt des Nordostens, und weiter über den Flusshafen von Sher Khan Bandar nach Tadschikistan führt (AAN 30.10.2019). Im September 2020 wurde berichtet, dass die Taliban an Kontrollpunkten in Baghlan Zölle auf den Warentransport zwischen Kabul und Kunduz einhoben (TN 19.09.2020) und im Juli 2020 unterbrachen Kämpfe am Stadtrand von Pul-i-Khumri den Verkehr von und nach Balkh (TN 06.07.2020). Die Sicherheit in Baghlan ist auch bedeutsam für die Energieversorgung Kabuls, da Stromleitungen aus Tadschikistan und Usbekistan durch die Provinz verlaufen. Kämpfe in Baghlan führten wiederholt zu Stromausfällen (KP 25.08.2020; KP 05.05.2020; KP 23.04.2020). Hintergrundinformationen zu Konflikt und Akteuren Baghlan gehört zu den unruhigsten Provinzen in Afghanistan, es finden immer wieder heftige Kämpfe statt, meist zwischen Taliban und Regierungstruppen (DFK 13.02.2020; vgl. KP 21.06.2020). Die Taliban ließen sich an verschiedenen Orten in der Nähe des Highway 1 und seiner nordöstlichen Abzweigung nach Kunduz nieder und schufen so die Möglichkeit, seine Nutzung bei größeren Angriffsoperationen zu unterbrechen. Dies geschah beispielsweise im September 2019 (AAN 30.10.2019), als die Taliban gleichzeitig Pul-i-Khumri und Kunduz-Stadt angriffen (AAN 11.09.2019; vgl. UNGASC 10.12.2019; AAN 30.10.2019). Weiters wird berichtet, dass der Islamische Staat (IS) in der Provinz eine kleinere Zelle unterhält (VOA 20.03.2020; vgl. TN 12.03.2020). Auf Regierungsseite befindet sich Baghlan im Verantwortungsbereich des 217. Afghan National Army (ANA) „Pamir“ Corps (USDOD 01.07.2020; BNA 31.08.2020), das der NATO-Mission Train Advise Assist Command - North (TAAC-N) untersteht, welches von deutschen Streitkräften geleitet wird (USDOD 01.07.2020). Jüngste Entwicklungen und Auswirkungen auf die zivile Bevölkerung [...] Im Jahr 2019 dokumentierte UNAMA 349 zivile Opfer (123 Tote und 226 Verletzte) in der Provinz Baghlan. Dies entspricht einer Steigerung von 34% gegenüber 2018. Die Hauptursache für die Opfer waren Kämpfe am Boden, gefolgt von gezielten Tötungen und improvisierten Sprengkörpern (improvised explosive devices, IEDs; ohne Selbstmordattentate) (UNAMA 2.2020). - 25 -

Es kam in Baghlan zu direkten Kämpfen zwischen Aufständischen und Regierungstruppen (AT 26.08.2020; UNOCHA 18.08.2020; BAMF 17.08.2020; RFE/RL 06.08.2020; UNOCHA 15.07.2020; UNOCHA 28.06.2020; BAMF 06.04.2020; RFE/RL 30.03.2020; KP 23.01.2020), Talibankämpfer versuchten, Dörfer (AT 26.08.2020) und einen Distrikt zu überrennen (XI 12.09.2020) und griffen Sicherheitsposten der Regierungstruppen an (TN 30.09.2020; NYTM 24.09.2020; NYTM 30.07.2020; NYTM 30.04.2020; AAN 08.04.2020; TN 02.02.2020; AnA 28.01.2020), unter anderem auch in der Provinzhauptstadt Pul-i-Khumri (NYTM 30.07.2020; TN 18.06.2020). Die Regierungstruppen führten Luftangriffe (AT 26.08.2020; NYTM 30.07.2020; PAJ 22.07.2020) und Räumungsoperationen durch (TN 16.07.2020; TN 01.02.2020) und und eroberten im Februar 2020 den Distrikt Gozargah-e-Noor zurück, der sich in den vergangenen fünf Monaten unter Talibankontrolle befunden hatte (TN 01.02.2020). Es kam zu Detonationen von Sprengfallen am Straßenrand (TN 05.08.2020; NYTM 30.07.2020) - auch in der Provinzhauptstadt (TN 19.08.2020b; NYTM 30.07.2020; MENAFN 28.07.2020) -, sowie versuchten Selbstmordanschlägen (UNAMA 7.2020; BNA 29.03.2020; PAJ 02.02.2020). [...] 5.5. Balkh Letzte Änderung: 14.12.2020 Balkh liegt im Norden Afghanistans und grenzt im Norden an Usbekistan, im Nordosten an Tadschikistan, im Osten an Kunduz und Baghlan, im Südosten an Samangan, im Südwesten an Sar-e Pul, im Westen an Jawzjan und im Nordwesten an Turkmenistan (UNOCHA Balkh 13.04.2014; vgl. GADM 2018). Die Provinzhauptstadt ist Mazar-e Sharif. Die Provinz ist in die folgenden Distrikte unterteilt: Balkh, Char Bolak, Char Kent, Chimtal, Dawlat Abad, Dehdadi, Kaldar, Kishindeh, Khulm, Marmul, Mazar-e Sharif, Nahri Shahi, Sholgara, Shortepa und Zari (NSIA 01.06.2020; vgl. IEC Balkh 2019). Die National Statistics and Information Authority of Afghanistan (NSIA) schätzt die Bevölkerung in Balkh im Zeitraum 2020-21 auf 1,509.183 Personen, davon geschätzte 484.492 Einwohner in Mazar-e Sharif (NSIA 01.06.2020). Balkh ist eine ethnisch vielfältige Provinz, welche von Paschtunen, Usbeken, Hazara, Tadschiken, Turkmenen, Aimaq, Belutschen, Arabern, sunnitischen Hazara (Kawshi) (PAJ Balkh o.D.; vgl. NPS Balkh o.D.) sowie Mitgliedern der kleinen ethnischen Gruppe der Magat bewohnt wird (AAN 08.07.2020). Balkh bzw. die Hauptstadt Mazar-e Sharif ist ein Import-/Exportdrehkreuz sowie ein regionales Handelszentrum (SH 16.01.2017). Die Ring Road (auch Highway 1 genannt) verbindet Balkh mit den Nachbarprovinzen Jawzjan im Westen und Kunduz im Osten sowie in weiterer Folge mit Kabul (TD 05.12.2017). Rund 30 km östlich von Mazar-e Sharif zweigt der National Highway (NH) 89 von der Ring Road Richtung Norden zum Grenzort Hairatan/Termiz ab (OSM o.D.; vgl. TD 05.12.2017). Dies ist die Haupttransitroute für Warenverkehr zwischen Afghanistan und Usbekistan (LCA 04.07.2018). Entlang des Highway 1 westlich der Stadt Balkh in Richtung der Provinz Jawzjan befindet sich der volatilste Straßenabschnitt in der Provinz Balkh, es kommt dort beinahe täglich zu sicherheitsrelevanten Vorfällen. Auch besteht auf diesem Abschnitt in der Nähe der Posten der Regierungstruppen ein erhöhtes Risiko von IEDs - nicht nur entlang des Highway 1, sondern auch auf den Regionalstraßen (STDOK 21.07.2020). In Gegenden mit Talibanpräsenz, wie zum Beispiel in den südlichen Distrikten Zari (AAN 23.05.2020), Kishindeh und Sholgara, ist das Risiko, auf Straßenkontrollen der Taliban zu stoßen, höher (STDOK 21.07.2020; vgl. TN 20.12.2019). In Mazar-e Sharif gibt es einen Flughafen mit Linienverkehr zu nationalen und internationalen Zielen (Kam Air Balkh o.D.; BFA Staatendokumentation 25.03.2019). Hintergrundinformationen zum Konflikt und Akteure Balkh zählte zu den relativ friedlichen Provinzen im Norden Afghanistans, jedoch hat sich die Sicherheitslage in den letzten Jahren in einigen ihrer abgelegenen Distrikte verschlechtert (KP 10.02.2020; STDOK 21.07.2020), da militante Taliban versuchen, in dieser wichtigen nördlichen Provinz Fuß zu fassen (KP 10.02.2020; vgl. AA 16.07.2020). Die Taliban greifen nun häufiger an und kontrollieren auch mehr Gebiete im Westen, Nordwesten und Süden der Provinz, wobei mit Stand Oktober 2019 keine städtischen Zentren unter ihrer Kontrolle standen (STDOK 21.07.2020). Anfang Oktober 2020 galt der Distrikt Dawlat Abad als unter Talibankontrolle stehend, während die Distrikte Char Bolak, Chimtal und Zari als umkämpft galten (LWJ o.D.). Mazar-e Sharif gilt als vergleichsweise sicher, jedoch fanden 2019 beinahe monatlich kleinere Anschläge mit improvisierten Sprengkörpern (improvised explosive devices, IEDs) statt, meist in der Nähe der Blauen Moschee. Ziel der Anschläge sind oftmals Sicherheitskräfte, jedoch kommt es auch zu zivilen Opfern. Wie auch in anderen großen Städten Afghanistans ist Kriminalität in Mazar-e Sharif ein Problem. Bewohner der Stadt berichteten insbesondere von bewaffneten Raubüberfällen (STDOK 21.07.2020). Im Dezember und März 2019 kam es in Mazar-e Sharif zudem zu Kämpfen zwischen Milizführern bzw. lokalen Machthabern und Regierungskräften (NYT 16.12.2019; REU 14.03.2019). Auf Regierungsseite befindet sich Balkh im Verantwortungsbereich des 209. Afghan National Army (ANA) „Shaheen“ Corps (USDOD 01.07.2020; TN 22.04.2018), das der NATO-Mission Train Advise Assist Command - North (TAAC-N) untersteht, welche von deutschen Streitkräften geleitet wird (USDOD 01.07.2020). Das - 26 -

Hauptquartier des 209. Afghan National Army (ANA) „Shaheen“ Corps befindet sich im Distrikt Dehdadi (TN 22.04.2018). Die meisten Soldaten der deutschen Bundeswehr sind in Camp Marmal stationiert (SP 07.04.2019). Weiters unterhalten die US-amerikanischen Streitkräfte eine regionale Drehscheibe in der Provinz (USDOD 01.07.2020). Jüngste Entwicklungen und Auswirkungen auf die zivile Bevölkerung [...] Im Jahr 2019 dokumentierte UNAMA 277 zivile Opfer (108 Tote und 169 Verletzte) in der Provinz Balkh. Dies entspricht einer Steigerung von 22% gegenüber 2018. Die Hauptursache für die Opfer waren Kämpfe am Boden, gefolgt von improvisierten Sprengkörpern (IEDs; ohne Selbstmordattentate) und gezielten Tötungen (UNAMA 2.2020). Im Zeitraum 01.01.-30.09.2020 dokumentierte UNAMA 553 zivile Opfer (198 Tote, 355 Verletzte) in der Provinz, was mehr als eine Verdopplung gegenüber derselben Periode im Vorjahr ist (UNAMA 10.2020). Im ersten HalbJahr 2020 war hinsichtlich der Opferzahlen die Zivilbevölkerung in den Provinzen Balkh und Kabul am stärksten vom Konflikt in Afghanistan betroffen (UNAMA 7.2020). Der UN-Generalsekretär zählte Balkh in seinen quartalsweise erscheinenden Berichten über die Sicherheitslage in Afghanistan im März und Juni 2020 zu den konfliktintensivsten Provinzen des Landes (UNGASC 17.06.2020; UNGASC 17.03.2020; vgl. LWJ 10.03.2020), und auch im September galt Balkh als eine der Provinzen mit den schwersten Talibanangriffen im Land (BAMF 07.01.2020). Es kam zu direkten Kämpfen (UNOCHA 23.09.2020; AJ 01.05.2020; DH 08.04.2020) und Angriffen der Taliban auf Distriktzentren (UNOCHA 23.07.2020; REU 01.05.2020; UNOCHA 07.01.2020) oder Sicherheitsposten (NYTM 01.10.2020; NYTM 28.08.2020; AnA 18.03.2020; XI 07.01.2020). Die Regierungskräfte führten Räumungsoperationen durch (AN 25.06.2020; MENAFN 24.03.2020; AA 18.03.2020; XI 25.01.2020). Ebenso wurde von IED-Explosionen, beispielsweise durch Sprengfallen am Straßenrand (NYTM 28.08.2020), aber auch an Fahrzeugen befestigten Sprengkörpern (vehicle-borne IEDs, VBIEDs) (TN 25.08.2020; RFE/RL 25.08.2020; vgl. NYTM 28.08.2020) sowie Selbstmordanschlägen berichtet (TN 25.08.2020; RFE/RL 25.08.2020; RFE/RL 19.09.2020). Auch in Mazar-e Sharif kam es wiederholt zu IED-Anschlägen (NYTM 01.10.2020; AN 19.09.2020; TN 01.07.2020; AP 14.01.2020; TN 04.01.2020). Zudem wurde von der Entführung (DH 08.04.2020) und Ermordung von Zivilisten in der Provinz berichtet (NYTM 01.10.2020; DH 08.04.2020). Anmerkung: Weitere Informationen zu Balkh bzw. Mazar-e Sharif - u.a. zur Sicherheitslage - können der Analyse der Staatendokumentation „Informationen zu sozioökonomischen und sicherheitsrelevanten Faktoren in der Provinz Balkh“ vom 21.07.2020 entnommen werden (STDOK 21.07.2020). [...] 5.6. Bamyan Letzte Änderung: 14.12.2020 Die Provinz Bamyan grenzt im Norden an Samangan, im Osten an Baghlan, Parwan und (Maidan) Wardak, im Süden an Ghazni und Daykundi und im Westen an Sar-e Pul und Ghor (UNOCHA Bamyan 4.2014). Sie ist in sieben Distrikte unterteilt: Bamyan, Kahmard, Panjab, Saighan, Shebar, Waras und Yakawlang. Darüber hinaus existiert noch der „temporäre“ Distrikt Yakawlang zwei (NSIA 01.06.2020; vgl. IEC Bamyan 2019). Temporäre Distrikte sind Distrikte, die nach Inkrafttreten der Verfassung im Jahr 2004 vom Präsidenten aus Sicherheits- oder anderen Gründen genehmigt, jedoch (noch) nicht vom Parlament bestätigt wurden (AAN 16.08.2018). Die Provinzhauptstadt ist Bamyan-Stadt (NSIA 01.06.2020). Die National Statistics and Information Authority of Afghanistan (NSIA) schätzt die Bevölkerung in Bamyan im Zeitraum 2020-21 auf 495.557 Personen (NSIA 01.06.2020). Bamyan gilt als die „inoffizielle Hazara-Hauptstadt“ Afghanistans (AJ 27.06.2016) und ist Teil des sogenannten Hazarajat (DFAT 18.09.2017). Nach den Hazara sind Tadschiken und Paschtunen die zweit- und drittgrößte ethnische Gruppe in Bamyan. Etwa 90% der Bewohner von Bamyan sind Schiiten (PAJ Bamyan o.D.). In Bamyan gibt es einen Flughafen mit Linienflugbetrieb von und nach Kabul (Kam AirBamyan o.D.). Am Boden kann Bamyan von Kabul aus entweder über die Fernstraße Kabul-Bamyan, über die Provinz (Maidan) Wardak oder über Parwan erreicht werden (PAJ 26.04.2015). Bamyan soll bis 2022 über die sogenannte Baghlan- Bamyan (B2B)-Straße mit dem benachbarten Baghlan verbunden werden (WB o.D.). Dies soll eine Alternative zum Salang-Pass schaffen, welche nicht nur von kleineren Fahrzeugen benutzt werden kann, wenn der Pass aufgrund der Wetterbedingungen oder Renovierungsarbeiten geschlossen ist (MoT 11.2019). Eine Straße, welche den Distrikt Yakawlang mit Dara-e-Soof in der Provinz Samangan verbinden soll, ist in Bau (AVA 20.09.2020; vgl. XI 09.01.2017). Hintergrundinformationen zum Konflikt und Akteure Bamyan gilt seit einigen Jahren als eine der sichersten Regionen des Landes und hat in den letzten Jahren keine direkten Kämpfe erlebt. Es gibt jedoch Bedenken wegen offensiver Angriffe der Taliban aus dem Distrikt Tala- wa-Barfak (Provinz Baghlan (NSIA 01.06.2020)) (KP 21.09.2020). Auf Regierungsseite befindet sich Faryab im Verantwortungsbereich des 203. Afghan National Army (ANA) „Tandar“ Corps (USDOD 01.07.2020; GS 06.09.2018), das der Task Force Southeast untersteht, welche von US- amerikanischen Streitkräften geleitet wird (USDOD 01.07.2020). - 27 -

Jüngste Entwicklungen und Auswirkungen auf die zivile Bevölkerung [...] Im Jahr 2019 dokumentierte UNAMA fünf zivile Opfer (drei Todesopfer und zwei Verletzte) in der Provinz Bamyan. Dies entspricht einem Rückgang von 29% gegenüber 2018. Hauptursache waren nicht explodierte Kampfmittel (unexploded ordnances, UXOs) bzw. Landminen (UNAMA 2.2020). Im September 2020 wurde von Talibanangriffen auf einen Sicherheitsposten der Regierungskräfte (KP 21.09.2020; KN 21.09.2020) bzw. eine Spezialeinheit der Polizei im Distrikt Shebar berichtet (KP 27.09.2020; vgl. MENAFN 27.09.2020b). Der Angriff auf den Sicherheitsposten erfolgte nach einem Besuch von Präsident Ashraf Ghani in der Provinz. Die Talibankämpfer waren aus dem benachbarten Baghlan nach Bamyan gekommen (KN 21.09.2020). Ende November 2020 detonierten zwei improvisierte Sprengsätze (imrovised explosive devices, IEDs) in Bamyan-Stadt, mindestens 17 Personen wurden getötet und über 50 weitere verletzt. Niemand bekannte sich zu der Tat, die Taliban bestritten eine Beteiligung (XI 25.11.2020; vgl. NAT 24.11.2020). Nach Angaben eines Vertreters der Sicherheitskräfte war dies der erste Angriff dieser Art in Bamyan seit dem Sturz des Taliban- Regimes im Jahr 2001 (NAT 24.11.2020). [...] 5.7. Daikundi Letzte Änderung: 14.12.2020 Daikundi liegt in der Zentralregion Hazarajat und grenzt an Ghor im Norden und Westen, Bamyan im Osten, Ghazni im Südosten, Uruzgan im Süden und Helmand im Südwesten (UNOCHA Daikundi 4.2014). Daikundi gehörte früher zur Provinz Uruzgan und ist mittlerweile eine eigenständige Provinz (PAJ 01.02.2014). Neben der Provinzhauptstadt Nili besteht Daikundi aus den folgenden Distrikten: Ishterlai, Pato, Kejran, Khedir, Kiti, Miramor, Sang-e-Takht (Sang Takht) und Shahristan (NSIA 01.06.2020; vgl. IEC Daikundi 2019). Der Distrikt Gizab/Pato wechselte in der Vergangenheit zwischen Uruzgan und Daikundi (AAN 31.10.2011). Im Juni 2018 wurde Pato ein eigenständiger Distrikt (AAN 27.01.2019). DieNational Statistics and Information Authority of Afghanistan (NSIA) führte Pato 2020 als „temporären“ Distrikt von Daikundi (NSIA 01.06.2020). „Temporäre“ Distrikte sind Distrikte, die nach Inkrafttreten der Verfassung im Jahr 2004 vom Präsidenten aus Sicherheits- oder anderen Gründen genehmigt, jedoch (noch) nicht vom Parlament bestätigt wurden (AAN 16.08.2018). Der von Hazara dominierte Distrikt Nawamish wurde auf Anordnung des Präsidenten im März 2016 vom mehrheitlich paschtunischen Distrikt Baghran in der Provinz Helmand abgespalten. Im Juni 2017 wurden die administrativen Angelegenheiten von Nawamish Daikundi zugeordnet (AAN 16.08.2018), bzw. beschloss die Regierung 2018, dass Nawamish Teil von Daikundi werden würde (Mobasher 2019). Während Zeitungsberichte vom August und Mai 2020 Nawamish zu Daikundi zählen (MENAFN 19.08.2020, XI 01.05.2020), rechnen die nationale Statistikbehörde und die unabhängige Wahlkommission (IEC) Nawamish allerdings weiterhin Helmand zu (NSIA 01.06.2020; IEC Helmand 2019). Eine Quelle berichtet, dass es sich hierbei um einen Konflikt entlang ethnischer Grenzen handelt: Während Paschtunen fordern, dass Nawamish Teil von Daikundi sein soll, sprechen sich Hazara für eine Zugehörigkeit zu Helmand aus (Mobasher 2019). Die NSIA schätzt die Bevölkerung in Daikundi im Zeitraum 2020-21 auf 516.504 Personen (NSIA 01.06.2020). Als Teil des Hazarajats (UNOCHA Daikundi 4.2014) wird Daikundi mehrheitlich von Hazara bewohnt, wobei es eine Minderheit an Paschtunen, Belutschen und Sayeds/Sadats gibt (NPS Daikundi o.D.). Daikundi ist von Bergen umgeben. Fehlende Straßeninfrastruktur und die große Entfernung zu den afghanischen Großstädten machen den Transport zu einer kostspieligen und oft riskanten Aufgabe (KN 19.05.2020). Die Provinz kann via Uruzgan oder Bamyan erreicht werden (LCA 04.07.2018), bei starkem Schneefall sind die Straßen jedoch blockiert (LCA 04.07.2018; vgl. AnA 13.02.2020). Es gibt in Daikundi einen Flughafen, der jedoch nach Angaben des Provinzgouverneurs keine Standards erfüllt und nur von kleinen Flugzeugen angeflogen werden kann (TN 06.04.2018). Von und nach Daikundi gibt es keinen Linienflugbetrieb (STDOK 25.03.2019). Hintergrundinformationen zum Konflikt und Akteure Daikundi wird als eine relativ sichere Gegend im zentralen Hochland erachtet (RFE/RL 12.07.2020; vgl. AAN 27.01.2019). Der Distrikt Kejran wurde von einer Quelle im August 2020 jedoch als einer der unsicheren Distrikte der Provinz bezeichnet (KP 31.08.2020; vgl. PAJ 25.09.2020, AVA 20.06.2020). Kejran liegt in der Nähe der volatilen Provinz Helmand (AT 29.09.2020). Auf Regierungsseite befindet sich Daikundi im Verantwortungsbereich des 205. Afghan National Army (ANA) „Atal“ Corps (USDOD 01.07.2020; KP 03.08.2019), das der NATO-Mission Train Advise Assist Command - South (TAAC-S) untersteht, welches von US-amerikanischen Streitkräften geleitet wird (USDOD 01.07.2020). Jüngste Entwicklungen und Auswirkungen auf die zivile Bevölkerung [...] Im Jahr 2019 dokumentierte UNAMA 70 zivile Opfer (44 Tote und 26 Verletzte) in der Provinz Daikundi. Dies entspricht einer Steigerung von 71% gegenüber 2018. Die Hauptursache für die Opfer waren improvisierte Sprengkörper (improvised explosive devices, lEDs; ohne Selbstmordattentate), gefolgt von Kämpfen am Boden und Luftoperationen (UNAMA 2.2020). - 28 -

In den Distrikten Kejran (NYTM 30.04.2020, PAJ 29.03.2020) und Pato fanden Angriffe der Taliban auf Sicherheitsposten der Regierungskräfte statt (NYTM 28.08.2020, NYTM 30.07.2020; vgl. RFE/RL 12.07.2020). Die Regierungskräfte führten zum Jahreswechsel 2019/2020 Räumungsoperationen in Kejran durch (DOA 02.01.2020; vgl. PAJ 27.12.2019). Im September 2020 wurde von einem Vorfall mit einer Sprengfalle am Straßenrand im Distrikt Kejran berichtet, bei welchem 15 Zivilisten getötet wurden (AT 29.09.2020, UNAMA 10.2020). Weiters kam es zu Entführungen durch die Taliban im Distrikt Kejran (KP 31.08.2020, AVA 20.06.2020; vgl. RY 21.06.2020). [...] 5.8. Farah Letzte Änderung: 14.12.2020 Die Provinz Farah liegt im Westen Afghanistans. Sie grenzt im Norden an Herat, im Nordosten an Ghor, im Südosten an Helmand und im Süden an Nimroz sowie im Westen an den Iran (UNOCHA Farah 4.2014). Die Provinz ist in elf Distrikte unterteilt: Anar Dara, Bakwa, Bala Buluk, Farah, Gulistan, Khak-i-Safed, Lash-i-Juwayn, Pur Chaman, Pushtrud, Qala-i-Kah (auch: Pusht e Koh Qala Ka (OP Farah 01.02.2017)) und Shibkoh (auch: Sheb Koh Qala Ka (OP Farah 01.02.2017)). Die Provinzhauptstadt von Farah heißt ebenfalls Farah (NSIA 01.06.2020; vgl. IEC Farah 2019). Die National Statistics and Information Authority of Afghanistan (NSIA) schätzt die Bevölkerungsanzahl in Farah im Zeitraum 2020-21 auf 563.026 Personen (NSIA 01.06.2020). Die Mehrheit der Einwohner Farahs sind Paschtunen, wobei tadschikische und kleinere Hazara-Gemeinschaften hauptsächlich auf dem Land leben (NPS Farah o.D.). Angehörige der Stämme derAylat, Mugal, Sadat, Bomodi, Aymaq, Barahawi und Belutschen leben in der Provinz (PAJ Farah o.D.). Farah verfügt über einen Flughafen mit Linienverkehr zu regionalen Zielen (KA Farah o.D.; STDOK 25.03.2019). Ein Teil der Ring Road führt durch Farah und verbindet die Provinz mit dem regionalen Zentrum Herat im Norden und den Provinzen Nimroz und Helmand im Süden bzw. Südosten (TD 05.12.2017). Grenzüberschreitender Transport und Handel mit dem Iran ist im Hafen von Abu Nasr Farahi möglich (TN 21.09.2018; vgl. IRNA 04.11.2018). Im November 2019 wurde berichtet, dass die Taliban auf einer Straße zum Grenzübergang Sprengfallen gelegt haben, um eine Umleitung des Verkehrs durch von ihnen kontrollierte Gebiete zu erzwingen und Steuern von den Fahrern einzuheben (KN 30.11.2019). Es wurde auch über Talibankontrollpunkte und Zolleinhebung auf der Route Herat-Kandahar berichtet (ST 24.01.2020). Im März 2020 blockierten die Taliban auf einem Abschnitt in Farah den Verkehr nach Herat (PAJ 19.03.2020). Farah zählt zu den Hauptanbauprovinzen von Schlafmohn (AAN 25.06.2020), wobei der Iran Hauptdestination des Opiatschmuggels aus Farah ist (UNODC 1.2020). Auch bei der Metamphetaminproduktion ist Farah eine der wichtigsten Produktionsprovinzen Afghanistans. Rund 60% der Metamphetaminlabore in den Provinzen Farah und Nimroz stehen Berichten zufolge unter Talibankontrolle (UNSC 27.05.2020). Hintergrundinformationen zum Konflikt und Akteure Farah ist eine unsichere Provinz im Westen des Landes (MENAFN 27.09.2020a; vgl. KN 20.01.2020; XI 09.06.2019). Die Taliban unterhalten eine aktive Präsenz in der Provinz (KN 20.01.2020; vgl. XI 09.06.2019; AA 16.07.2020), Farah-Stadt wurde beispielsweise 2018 und 2019 zum Ziel von Talibanangriffen (AAN 17.02.2020). Nach Einschätzungen des Long War Journal standen die Distrikte Anar Dara, Bala Buluk, Gulistan, Khak-i-Safed und Shibkoh im Oktober 2020 unter Talibankontrolle, während die Distrikte Bakwa, Farah, Pur Chaman, Pushtrud und Qala-i-Kah als umkämpft galten (LWJ o.D.; vgl. KN 20.01.2020). Farah ist wegen der Transportwege in den angrenzenden Iran von strategischem Interesse für Aufständische und regierungsnahe Akteure (AAN 07.06.2018; vgl. KN 30.11.2019), bzw. ist der Schmuggel von Waren aus und in den Iran auch für kriminelle Gruppierungen lukrativ (KN 08.10.2020; vgl. UNODC 1.2020). Es wird berichtet, dass die Taliban auf den grenzüberschreitenden Verkehr (KN 30.11.2019) wie auch auf der Strecke Herat- Kandahar Steuern einheben (ST 24.01.2020). Auf Regierungsseite befindet sich Farah im Verantwortungsbereich des 207. Afghan National Army (ANA) „Zafar“ Corps (USDOD 01.07.2020; KN 09.02.2020), das der NATO-Mission Train Advise Assist Command - West (TAAC-W) untersteht, welche von italienischen Streitkräften geleitet wird (USDOD 01.07.2020). Im August 2018 bestätigte das afghanische Verteidigungsministerium (MOD) den Einsatz von US-Spezialeinheiten zur Unterstützung bei der Ausbildung von afghanischen Streitkräften in Farah (KP 05.08.2018) [hierzu konnten allerdings keine aktuelleren Informationen gefunden werden, Anmerkung]. Jüngste Entwicklungen und Auswirkungen auf die zivile Bevölkerung [...] Im Jahr 2019 dokumentierte UNAMA 147 zivile Opfer (87 Todesopfer und 60 Verletzte) in der Provinz Farah. Dies entspricht einem Rückgang von 47% gegenüber 2018. Hauptursache waren IEDs (ohne Selbstmordanschläge), Kämpfe am Boden und Luftangriffe (UNAMA 2.2020). Es kam zu direkten Kämpfen in der Provinz (BAMF 20.04.2020), beispielsweise als die Taliban Sicherheitsposten der Regierungskräfte (NYTM 01.10.2020; MENAFN 27.09.2020a; UNAMA 6.2020; PAJ 28.05.2020; PAJ 18.05.2020; PAJ 03.05.2020; PAJ 20.03.2020) sowie eine Militärbasis der AnA angriffen (ANI 27.08.2020). Kämpfe bzw. Angriffe auf Sicherheitsposten fanden auch in Farah-Stadt statt (PAJ 28.05.2020; PAJ 18.05.2020; - 29 -

PAJ 16.04.2020). Zwischen Mitte Dezember 2019 und Ende Februar 2020 wurden 44% aller Luftangriffe im Land in den Provinzen Helmand, Kandahar und Farah durchgeführt (UNGASC 17.03.2020). Die Regierungskräfte starteten im Winter 2019/20 in Farah eine Räumungsoperation mit dem Namen „Bakhtawar“ (dt. „Glück“) (RY 13.01.2020; VOA 13.01.2020; vgl. AT 07.01.2020; KN 09.02.2020), und auch im Sommer fanden Luftangriffe statt (PAJ 31.08.2020; REU 05.06.2020). Bei den Räumungsoperationen zum Jahreswechsel 2019/20 wurde auch ein Zollhaus der Taliban zerstört (VOA 13.01.2020; vgl. AT 07.01.2020). Es kam zu Vorfällen mit lEDs, beispielsweise einer Detonation eines VBIED in Farah-Stadt (PAJ 12.08.2020) wie auch Explosionen von Sprengfallen am Straßenrand (NYTM 01.10.2020; BNA 20.07.2020; NYTM 27.02.2020). [...] 5.9. Faryab Letzte Änderung: 14.12.2020 Die Provinz Faryab grenzt im Westen und Norden an Turkmenistan, im Osten an Jawzjan und Sar-e Pul, im Süden an Ghor und im Südwesten an Badghis und liegt im Nordwesten Afghanistans (UNOCHA Faryab 4.2014). Die Provinzhauptstadt ist Maimana. Faryab umfasst die folgenden Distrikte: Almar, Andkhoy, Bilchiragh, Dawlat Abad, Gurziwan, Khani Charbagh, KhwajaSabz Posh-i Wali, Kohistan, Maimana, Pashtun Kot, Qaram Qul, Qaisar, Qurghan, Shirin Tagab (NSIA 01.06.2020; vgl. IEC Faryab 2019). Die administrative Zugehörigkeit des Distrikts Ghormach wechselte in der Vergangenheit. Obwohl der Distrikt traditionell Teil von Badghis ist (AAN 22.02.2017), wurde er nach 2007 mitunter Faryab zugerechnet (AAN 22.02.2017; vgl. UNODC/MCN 11.2018). 2018 wurde angekündigt, dass die Verwaltungsangelegenheiten von Ghormach aus Sicherheitsgründen zurück nach Badghis transferiert würden (FRP 28.08.2018; vgl. NSIA 01.06.2020; IEC Faryab 2019). Die National Statistics and Information Authority of Afghanistan (NSIA) schätzt die Bevölkerung in Faryab im Zeitraum 2020-21 auf 1.109.223 Personen (NSIA 01.06.2020). Zusammen mit Sar-e Pul ist Faryab eine der beiden Provinzen mit usbekischer Mehrheit in Afghanistan. Darüber hinaus leben in der Provinz Tadschiken/Aimaqs, Paschtunen, Hazara, Moghol und andere kleinere Ethnien (AAN 17.03.2017; vgl. PAJ Faryab o.D.), wie zum Beispiel die Magats in Andkhoy (AAN 08.07.2020). Ein Teil der Ring Road führt durch Faryab und verbindet die Provinz im Osten mit der Nachbarprovinz Jawzjan und schließlich Mazar-e Sharif in Balkh, sowie im Westen mit Badghis (TD 05.12.2017; vgl. LCA 04.07.2018). Trotz erheblicher Finanzierung seit 2005 waren im September 2017 nur rund 15% eines geplanten 233 Kilometer langen Abschnitts der Ring Road zwischen dem Distrikt Qaisar in Faryab und dem Ort Laman in Badghis fertiggestellt. SIGAR führte das Projektversagen hauptsächlich auf Sicherheitsprobleme zurück und schätzte die Aussichten auf eine zeitnahe Fertigstellung aufgrund zunehmender Unsicherheit in der Region als düster ein (SIGAR 6.2018) [zum jetzigen Zeitpunkt (11.2020) sind keine neueren Informationen zur Fertigstellung des Abschnitts bekannt, Anmerkung]. Hintergrundinformationen zum Konflikt und Akteure Faryab hat strategische Bedeutung, da es die westlichen Teile Afghanistans mit dem Norden verbindet (AAN 17.03.2017). Faryab ist eine der unsicheren Provinzen des Landes, in denen die Taliban häufig Angriffe gegen Zivilisten, Regierungsbeamte und Sicherheitskräfte durchführen (KP 11.10.2020). Nach Einschätzung des Long War Journal standen die Distrikte Bilchiragh, Kohistan, Pashtun Kot, Qaram Qul und Shirin Tagab im Oktober 2020 unter Talibankontrolle, während die Distrikte Almar, DawlatAbad, Gurziwan, KhwajaSabz Posh-i Wali, Maimana, Qaisar und Qurghan umkämpft waren (LWJ o.D.). Der Distrikt Khani Charbagh an der Grenze zu Turkmenistan galt im Juli 2020 dagegen als vergleichsweise sicher (XI 19.07.2020). Neben den Taliban sind noch weitere Gruppierungen in Faryab präsent: Das Islamic Movement of Uzbekistan (IMU) operiert in Faryab, wo sie Verbindungen zu den Splittergruppen Islamischer Jihad und Khatiba Imam al- Bukhari (KIB) unterhält (UNSC 27.05.2020). Die zentralasiatische KIB hat eine Zelle in Faryab, welche aus etwa 70 Kämpfern besteht. Die KIB beteiligt sich aktiv an den Feindseligkeiten gegen die afghanischen Regierungstruppen (UNSC 20.01.2020; vgl. LWJ 07.07.2020). Der Islamische Staat bzw. Islamische Staat Provinz Khorasan (ISKP) hat eine verdeckte Präsenz mit bis zu 25 Kämpfern in Faryab (UNSC 04.02.2020). Auf Regierungsseite befindet sich Faryab im Verantwortungsbereich des 209. Afghan National Army (ANA) „Shaheen“ Corps (USDOD 01.07.2020; vgl. NYT 14.08.2019), das der NATO-Mission Train Advise Assist Command - North (TAAC-N) untersteht, welche von deutschen Streitkräften geleitet wird (USDOD 01.07.2020). Neben den regulären Regierungstruppen gibt es in Faryab so genannte „People's Uprising Forces“ („Khezesh-e mardomi“ (AB 02.09.2020)), welche gegen die Taliban kämpfen (AVA 29.09.2020; KP 09.10.2020) und mitunter Teil der Miliz von Abdul Rashid Dostum und der Partei Jumbesh sind (NYT 04.07.2018; AB 02.09.2020; vgl. NYT 17.12.2019). Jüngste Entwicklungen und Auswirkungen auf die zivile Bevölkerung [...] Im Jahr 2019 dokumentierte UNAMA 665 zivile Opfer (199 Tote und 466 Verletzte) in der Provinz Faryab. Dies entspricht einer Steigerung von 3% gegenüber 2018. Die Hauptursache für die Opfer waren Kämpfe am Boden, gefolgt von Luftangriffen und nicht explodierten Kampfmitteln (unexploded ordnance, UXO)/Landminen - 30 -

(UNAMA 2.2020). Im ersten Halbjahr 2020 zählte UNAMA 233 zivile Opfer in der Provinz, womit Faryab zu den Provinzen mit der höchsten Anzahl an zivilen Opfern zählte (UNAMA 7.2020). UNAMA berichtete zudem, dass die Taliban im Juni 2020 in Faryab eine öffentliche Hinrichtung durchführten, was vergleichsweise selten geschieht (UNAMA 7.2020; vgl. AVA 28.06.2020). Weiters wurde berichtet, dass die Taliban in von ihnen kontrollierten Gebieten in der Provinz nun wieder vermehrt als Moralpolizei auftreten und Gesangsdarbietungen sowie Musik bei Hochzeiten und Feiern wieder weitgehend verbieten (RFE/RL 22.09.2020). Es kam zu Kämpfen und Angriffen in der Provinz (FRP 09.10.2020; UNOCHA 04.10.2020; UNOCHA 06.09.2020; UNOCHA 18.08.2020; UNOCHA 23.07.2020; BAMF 06.04.2020; BAMF 30.03.2020; BAMF 23.03.2020; BAMF 16.03.2020), als die Taliban Sicherheitsposten (NYTM 24.09.2020; NYTM 30.04.2020; RY 16.03.2020; NYTM 30.01.2020) - unter anderem auch in der Provinzhauptstadt (RY 29.09.2020; NYTM 24.09.2020) - eine Militärbasis (NYTM 30.07.2020) oder Distriktzentren angriffen (UNOCHA 23.07.2020; NYTM 30.04.2020; NYTM 30.01.2020). Die Regierungskräfte führten Operationen durch (TOI 05.09.2020; AT 31.08.2020; XI 24.05.2020), auch aus der Luft (RY 01.09.2020; XI 05.08.2020a; PAJ 02.01.2020). Weiters wurde von Vorfällen mit lEDs, wie zum Beispiel Sprengfallen am Straßenrand (NYTM 30.04.2020; TN 23.02.2020), sowie auch von gezielten Tötungen (NYTM 30.07.2020; NYTM 30.04.2020) und Entführungen berichtet (BNA 21.07.2020; NYTM 30.04.2020). [...] 5.10 Ghazni Letzte Änderung: 14.12.2020 Die Provinz Ghazni liegt im Südosten Afghanistans und grenzt an die Provinzen Bamyan und Wardak im Norden, Logar, Paktya und Paktika im Osten, Zabul im Süden und Uruzgan und Daykundi im Westen. Ghazni liegt an keiner internationalen Grenze (UNOCHA Ghazni 4.2014). Die Provinz ist in 19 Distrikte unterteilt: die Provinzhauptstadt Ghazni-Stadt sowie den Distrikten Abband, Ajristan, Andar (auch Shelgar genannt (AAN 22.05.2018)), Deh Yak, Gelan, Giro, Jaghatu, Jaghuri, Khwaja Omari, Malistan, Muqur, Nawa, Nawur, Qara Bagh, Rashidan, Waghaz, Wali Muhammad Shahid (Khugyani) und Zanakhan (NSIA 01.06.2020; vgl. IEC Ghazni 2019). Die National Statistics and Information Authority of Afghanistan (NSIA) schätzt die Bevölkerung in Ghazni im Zeitraum 2020-21 auf 1,362.504 Personen (NSIA 01.06.2020). Fast die Hälfte der Bevölkerung von Ghazni sind Paschtunen, etwas weniger als die Hälfte Hazara und rund 5% Tadschiken (NPS Ghazni o.D.; vgl. PAJ Ghazni o.D.), weiters gibt es kleinere Gruppen wie die Bayats und Sadats (PAJ Ghazni o.D.). In der Vergangenheit lebten mehrere hundert Sikh-Familien in der Stadt Ghazni. Inzwischen haben sie Ghazni weitgehend verlassen, wobei ein letzter Sikh-Bewohner der Stadt betonte, dass seine Gemeinde von den paschtunischen, tadschikischen oder Hazara-Bewohnern von Ghazni nicht verfolgt worden sei, aber die Angst, Ziel von Angriffen militanter Islamisten zu werden oder von Kriminellen entführt zu werden, sie zum Verlassen des Landes veranlasst habe (RFE/RL 23.09.2020). Die Stadt Ghazni liegt an der Ring Road, welche die Hauptstadt Kabul mit dem großen Ballungszentrum Kandahar im Süden verbindet, und auch die Straße zu Paktikas Hauptstadt Sharan zweigt in der Stadt Ghazni von der Ring Road ab, die Straße nach Paktyas Hauptstadt Gardez dagegen etwas nördlich der Stadt. Die Kontrolle über Ghazni ist daher von strategischer Bedeutung (CJ 13.08.2018). Im September 2020 waren die Hauptstraßen, die Kabul mit Ghazni, Kabul mit Bamyan, Ghazni mit Kandahar und Ghazni mit Paktika verbinden, nach wie vor unsicher, da die Zusammenstöße zwischen den Regierungskräften und Aufständischen andauerten, was die zivilen Bewegungen weiterhin beeinträchtigte (UNOCHA 27.09.2020). Die Taliban unterhalten entlang der Ring Road in Ghazni Berichten zufolge Straßenkontrollen (RFE/RL 30.10.2020, UNOCHA 6.2020, PAJ 03.03.2020, XI 29.02.2020). Hintergrundinformationen zum Konflikt und Akteure Ghazni gehörte im August 2020 zu den relativ volatilen Provinzen im Südosten Afghanistans. Taliban-Kämpfer sind in einigen der unruhigen Distrikte der Provinz aktiv, wo sie oft versuchen, terroristische Aktivitäten gegen die Regierung und Sicherheitseinrichtungen durchzuführen (KP 16.08.2020; vgl. LWJ 27.01.2020). Im Juli 2020 gaben Bewohner von Ghazni an, dass Taliban-Kämpfer bis in die Nähe des Sicherheitsgürtels um die Stadt Ghazni vorgedrungen seien und die Straßen zur Provinzhauptstadt blockiert hätten (AT 07.07.2020; vgl. LWJ 10.03.2020). Das Long War Journal schätzte im Oktober 2020 die Distrikte Ajristan, Andar, Deh Yak, Giro, Jaghatu, Nawa, Nawur, Rashidan, Waghaz, WaLI M. Shahid, und Zanakhan als unter Talibankontrolle stehend ein, während Ab Band, Gelan, Ghazni-Stadt, Jaghuri, Khwaja Omari, Malistan, Muqur und Qara Bagh als umkämpft galten (LWJ o.D.). Eine andere Quelle gab im August 2020 an, dass Andar, Deh Yak, Muqur und Qara Bagh stark umkämpft oder von den Taliban kontrolliert seien (AAN 8.2020). Einem UN-Bericht zufolge ist Al-Qaida in zwölf afghanischen Provinzen verdeckt aktiv, darunter auch in Ghazni (UNSC 27.05.2020). - 31 -

Auf Regierungsseite befindet sich Ghazni im Verantwortungsbereich des 203. Afghan National Army (ANA) „Tandar“ Corps (USDOD 01.07.2020, AAN 25.7.2018) das der Task Force Southeast untersteht, welche von US- amerikanischen Streitkräften geleitet wird (USDO0D 01.07.2020). Jüngste Entwicklungen und Auswirkungen auf die zivile Bevölkerung [...] Im Jahr 2019 dokumentierte UNAMA 673 zivile Opfer (213 Tote und 460 Verletzte) in der Provinz Ghazni. Dies entspricht einer Steigerung von 3% gegenüber 2018. Die Hauptursache für die Opfer waren Selbstmordattentate, gefolgt von improvisierten Sprengkörpern (improvised explosive devices, lEDs; ohne Selbstmordattentate) und Kämpfen am Boden (UNAMA 2.2020). Es kam zu Kämpfen in der Provinz (BAMF 17.08.2020, BAMF 20.04.2020, BAMF 30.03.2020, BAMF 19.02.2020, wobei die Taliban Sicherheitsposten, Militäreinrichtungen oder Konvoys der Regierungskräfte angriffen, und die Regierungskräfte das Feuer erwiderten (RY 24.08.2020, RFE/RL 19.02.2020, NYTM 30.07.2020, KUNA 22.07.2020, KP 12.07.2020, NYTM 27.02.2020, BAAG 02.01.2020). Im August 2020 geschah dies auch in der Provinzhauptstadt (NYTM 28.08.2020, KP 16.08.2020). Im Dezember 2019 führten die Taliban im Distrikt Qara Bagh einen Insiderangriff auf eine Einheit der neu geschaffenen AnA Territorial Force (ANA-TF) durch (NYT 14.12.2019; vgl. AAN 8.2020). Die Regierungskräfte führten Räumungsoperationen durch (KP 11.05.2020, PAJ 03.03.2020, KP 19.02.2020), XI 29.01.2020a), und im September 2020 wurde über die Stationierung von zusätzlichen Truppen in der Provinz berichtet (KP 07.09.2020). Es kam zu Vorfällen mit IEDs, wie zum Beispiel Detonationen von Sprengfallen am Straßenrand (NYTM 30.07.2020, GW 01.05.2020, NYTM 30.04.2020, RFE/RL 13.12.2019) und Explosionen von an Fahrzeugen angebrachten Bomben (VBIEDs) (HOA 24.08.2020, XI 09.08.2020; vgl. RY 18.05.2020), wobei Letzeres im Mai 2020 auch in Ghazni-Stadt geschah (VOA 18.05.2020, SAS 18.05.2020). Auch wurde von Entführungen und Tötungen durch die Taliban in Ghazni berichtet (OMCT 04.08.2020; vgl. AIHRC 05.08.2020, BAMF 27.07.2020, NYTM 27.02.2020) [...] 5.11 Ghor Letzte Änderung: 14.12.2020 Ghor, eine gebirgige und abgelegene Provinz im zentralen Hochland (RFE/RL 03.02.2020), liegt im zentralen Nordwesten Afghanistans und teilt keine internationale Grenze. Sie ist umgeben von den Provinzen Herat und Badghis im Westen, Faryab und Sar-e Pul im Norden, Bamyan und Daikundi im Osten sowie Helmand und Farah im Süden (UNOCHA Ghor 4.2014). Ghor ist in elf Distrikte unterteilt: Chighcheran (Firuzkoh), Char Sada, Dawlatyar, Duleena, Lal Wa Sarjangal, Pasaband, Saghar, Shahrak, Taywara, Tulak (NSIA 01.06.2020; vgl. IEC Ghor 2019) und Murghab (NSIA 01.06.2020). Die Provinzhauptstadt wird Firuzkoh oder Chighcheran genannt (AAN 05.02.2020). Die National Statistics and Information Authority of Afghanistan (NSIA) schätzt die Bevölkerungsanzahl in Ghor im Zeitraum 2020-21 auf 764.472 Personen (NSIA 01.06.2020). Tadschiken sind einer Quelle zufolge die größte ethnische Gruppe in Ghor, gefolgt von Hazara und einer kleinen Anzahl an Paschtunen und Usbeken (NPS Ghor o.D.). Gemäß einer anderen Quelle bilden Aimaqs die Mehrheit der Bevölkerung von Ghor (RFE/RL 19.10.2015). Die Aimaqs sind mit den Hazara verwandt, bis zu einem gewissen Grad auch mit den Tadschiken (NPS Ghor o.D.). Es besteht eine Straßenverbindung nach Herat und Kabul, wobei die Straßen in Ghor nicht asphaltiert sind und sie aufgrund der Wetterbedingungen im Winter unpassierbar sein können (LCA 04.07.2018; vgl. AAN 05.02.2020). Im Mai 2020 wurde berichtet, dass die Hauptstraße von Ghor nach Herat unzugänglich war, nachdem eine Brücke bei Kämpfen zerstört wurde (UNOCHA 13.05.2020). In der Provinzhauptstadt gibt es einen Flughafen mit innerafghanischem Linienflugbetrieb (Kam Air Ghor o.D.; vgl. STDOK 25.03.2019). Hintergrundinformationen zum Konflikt und Akteure Ghor ist eine der verarmtesten und instabilsten Gegenden des Landes. Die Macht der Provinzregierung reicht nur wenig über Firuzkoh hinaus (RFE/RL 03.02.2020; vgl. RFE/RL 24.07.2020, AAN 05.02.2020). Es gibt eine verwirrende Vielzahl von Akteuren in mehreren der neun Distrikte außerhalb des Provinzzentrums von Ghor. Zu diesen kriegführenden Akteuren gehören illegale bewaffnete Gruppen und bewaffnete kriminelle Gruppen, Taliban-Aufständische und afghanische Regierungstruppen, die oft nicht klar voneinander abgegrenzt sind (AAN 05.02.2020; vgl. AAN 07.11.2017). Das Long War Journal schätzte die Distrikte Char Sada, Dawlatyar, Pasaband, Taywara und Tulak im Oktober 2020 als umkämpft ein, während die restlichen Distrikte unter Regierungskontrolle standen und die Taliban keinen Distrikt der Provinz zur Gänze kontrollierten (LWJ o.D.). Auf Regierungsseite befindet sich Ghor im Verantwortungsbereich des 207. Afghan National Army (ANA) „Zafar“ Corps (USDOD 01.07.2020; vgl. TN 14.01.2019), das der NATO-Mission Train Advise Assist Command - West (TAAC-W) untersteht, welche von italienischen Streitkräften geleitet wird (USDOD 01.07.2020). Jüngste Entwicklungen und Auswirkungen auf die zivile Bevölkerung [...] Im Jahr 2019 dokumentierte UNAMA 77 zivile Opfer (62 Tote und 15 Verletzte) in der Provinz Ghor. Dies entspricht einer Steigerung von 20% gegenüber 2018. Die Hauptursachen für die Opfer waren gezielte oder - 32 - vorsätzliche Tötungen, gefolgt von Kämpfen am Boden und improvisierten Sprengkörpern (improvised explosive devices, IEDs; ohne Selbstmordanschläge) (UNAMA 2.2020). In den ersten drei Quartalen des Jahres 2020 verzeichnete UNAMA in Ghor mehr zivile Opfer als im selben Zeitraum des Vorjahres [UNAMA nennt in diesem Bericht bezüglich Ghor allerdings keine Zahlen, Anmerkung] (UNAMA 10.2020). Es wurde von Kämpfen in der Provinz berichtet (UNOCHA 09.08.2020, UNOCHA 15.07.2020, BAMF 08.10.2020, UNOCHA 16.04.2020, UNOCHA 05.04.2020, BAMF 30.03.2020), wobei die Taliban Distriktzentren (AN 17.08.2020, PAJ 25.06.2020) oder Sicherheitsposten der Regierung angriffen (KP 19.10.2020, RFE/RL 25.08.2020, TN 25.07.2020, RFE/RL 13.06.2020, AAN 08.04.2020, PAJ 08.10.2020, KP 16.03.2020). Im Mai 2020 griffen die Taliban auch in der Provinzhauptstadt einen Sicherheitsposten an (RFE/RL 16.05.2020). Die Regierungskräfte führten zum Jahreswechsel 2019/2020 eine große Räumungsoffensive entlang der Ghor- Herat-Fernstraße durch (AAN 08.10.2020, PAJ 30.12.2019) und eroberten im Sommer 2020 den Distrikt Murghab zurück, nachdem dieser zwei Tage zuvor von den Taliban überrannt worden war (PAJ 19.08.2020). Von weiteren Operationen oder Luftangriffen der Regierungstruppen wurde ebenfalls berichtet (XI 08.10.2020, KN 17.08.2020, XI 08.04.2020). Es kam in der Provinz zu Vorfällen mit IEDs (UNOCHA 11.10.2020, UNOCHA 06.09.2020, UNOCHA 23.08.2020, UNOCHA 23.07.2020), wie zum Beispiel Explosionen von Sprengfallen am Straßenrand (KP 30.09.2020a, KP 30.09.2020b, AAN 21.03.2020). Im Oktober 2020 detonierte ein an einem Fahrzeug angebrachter Sprengsatz (VBIED) in der Nähe eines Polizeihauptquartiers in der Provinzhauptstadt, was zu rund 16 Todesopfern und 150 Verletzten führte, die meisten davon Zivilisten (TN 19.10.2020, AJ 18.10.2020). Bei Protesten rund um die Verteilung von Lebensmitteln aufgrund der COVID-19-Pandemie kam es im Mai 2020 in Chighcheran/Firuzkoh zu gewaltsamen Zusammenstößen. Bis zu sechs Personen starben bei den Vorfällen (BBC 09.05.2020; vgl. RFE/RL 09.05.2020). Weiters wurde von Fällen von Paralleljustiz (Abhaltung von so genannten „Känguru-“ oder Scheingerichten durch Aufständische) in Ghor berichtet (TN 22.04.2020, RFE/RL 03.02.2020, TN 22.12.2019). [...] 5.12 Helmand Letzte Änderung: 14.12.2020 Die Provinz Helmand liegt im Süden Afghanistans und grenzt an die Provinzen Nimroz und Farah im Westen, Ghor und Daikundi im Norden sowie Uruzgan und Kandahar im Osten. Im Süden teilt sich Helmand eine 162 Kilometer lange Grenze mit Pakistan entlang der Durandlinie (PAJ Helmand o.D.). Helmand ist die größte Provinz Afghanistans (TD 31.05.2016) und gliedert sich in die Distrikte Baghran, Dishu, Garm Ser, Kajaki, Lashkargah, MusaQala, NadAli, Marja (ehemals Teil von NadAli (AAN 23.04.2020)), Nahr-e-Saraj, Nawa-e- Barikzayi, Nawamish, Nawzad, Rege-Khan Nishin, Sangin und Washer. Die Provinzhauptstadt von Helmand ist Lashkargah (NSIA 01.06.2020; vgl. IEC Helmand 2019). Nach Angaben des afghanischen Statistikamts (NSIA) sind Marja und Nawamish sogenannte „temporäre“ Distrikte (NSIA 01.06.2020), da sie nach Verabschiedung der Verfassung von 2004 durch den Präsidenten aus Sicherheits- oder anderen Gründen genehmigt, aber (noch) nicht vom Parlament bestätigt wurden (AAN 16.08.2018). Der von Hazara dominierte Distrikt Nawamish wurde auf Anordnung des Präsidenten im März 2016 vom mehrheitlich paschtunischen Distrikt Baghran in der Provinz Helmand abgespalten. Im Juni 2017 wurden die administrativen Angelegenheiten von Nawamish der Provinz Daikundi zugeordnet (AAN 16.08.2018), bzw. beschloss die Regierung 2018, dass Nawamish Teil von Daikundi werden würde (Mobasher 2019). 2018 wurden die Parlamentswahlen in Nawamish jedoch von Lashkargah aus durchgeführt, was Proteste im Distrikt hervorrief (AAN 16.08.2018; vgl. PAJ 29.07.2018). Zeitungsberichte vom Mai und Juli 2019 zählten Nawamish wieder zu Daikundi (RY 11.07.2019; vgl. PAJ 10.05.2019). Eine Quelle berichtet, dass es sich hierbei um einen Konflikt entlang ethnischer Grenzen handelt: Während Paschtunen fordern, dass Nawamish Teil von Daikundi sein soll, sprechen sich Hazara für eine Zugehörigkeit zu Helmand aus (Mobasher 2019). Die NSIA schätzt die Bevölkerung in Helmand im Zeitraum 2020-21 auf 1,446.230 Personen (NSIA 01.06.2020). Die Mehrheit der Einwohner von Helmand sind Paschtunen, mit einer belutschischen Minderheit im Süden an der Grenze zur pakistanischen Provinz Belutschistan (NPS Helmand o.D.) und Hazara in Nawamish im Norden (AAN 16.08.2018). Während die nördlichen Distrikte von Helmand - Baghran, Kajaki und Musa Qala - hauptsächlich von Mitgliedern des Alizai-Stammes bevölkert werden, sind die Distrikte Marja und NadAli in ihrer Zusammensetzung heterogener. Dort leben Angehörige der Nurzai, Ishaqzai, Alizai, Alekozai sowie mehrerer kleinerer Stämme. Die Ishaqzai sind angeblich einer der religiös-konservativsten Stämme in ganz Afghanistan (AAN 10.03.2016). Der verstorbene Taliban-Führer Mullah Akhtar Muhammad Mansur gehörte diesem Stamm an (AAN 10.03.2016; vgl. GN 26.12.2015). Helmand ist von geostrategischer Bedeutung (PAJ Helmand o.D.), da ein Abschnitt der Ring Road durch die Distrikte Nahr-i-Saraj, Sangin und Washer verläuft (AAN 10.03.2016), welcher das Bevölkerungszentrum Herat im Westen mit Kandahar im Osten und schließlich der Hauptstadt Kabul verbindet (TD 31.05.2016; vgl. AAN 10.03.2016). Es wird von Straßenkontrollen der Taliban und Sprengfallen entlang der Ring Road wie auch auf - 33 -

Nebenstraßen berichtet (AST 03.11.2020; vgl. RY 28.06.2020). In Lashkargah gibt es einen Regionalflughafen (Bost, BST) mit Linienflugbetrieb (Kam Air Helmand o.D.; STDOK 25.03.2019). Die Region Helmand ist der größte Opiumproduzent weltweit. Im Jahr 2019 wurden in Groß-Kandahar - wozu auch Helmand zählt - 4.920 Tonnen Opium produziert, was mehr als zwei Drittel der gesamten afghanischen Opiumproduktion des Jahres ausmacht (AAN 25.06.2020). Die zentrale Rolle der Provinz als Schlafmohnanbaugebiet trägt erheblich zu ihrer strategischen Bedeutung für die Taliban bei: Wer Helmand kontrolliert, wird mit umfangreichen Einnahmen belohnt (AREU 5.2019; vgl. N-TV 23.12.2015, GN 26.12.2015, AAN 10.03.2016). Hintergrundinformationen zum Konflikt und Akteure Die Provinz Helmand, die lange Zeit als das Kernland der Taliban galt und aufgrund der Opiumproduktion wichtig für ihre Finanzierung ist (NYT 30.08.2020; vgl. AST 03.11.2020), wird überwiegend von der aufständischen Gruppe kontrolliert, obwohl bewaffnete Machthaber und unterschiedliche Stammeszugehörigkeiten dafür sorgen, dass viele Loyalitäten und Zielsetzungen in der Region undurchsichtig sind (NYT 30.08.2020). Die Präsenz der afghanischen Regierungstruppen ist dort meist auf die Provinzhauptstadt Lashkargah und einige Dörfer beschränkt, die als Distriktzentren dienen (NYT 30.08.2020; vgl. MT 18.10.2020, AAN 23.04.2020). Einschätzungen des Long War Journal zufolge standen die Distrikte Baghran, Musa Qala, Nawzad und Sangin im Norden der Provinz und Dishu sowie Reg-e-Khan Nishin im Süden mit Stand Oktober 2020 unter Talibankontrolle, während die übrigen Distrikte als umkämpft galten (LWJ o.D.). Al-Qaida ist in Helmand verdeckt aktiv (UNSC 27.05.2020; vgl. TN 30.07.2020). Usbekische Kämpfer sind im Norden der Provinz präsent (UNSC 27.05.2020), und der Islamische Staat Khorasan Provinz (ISKP) unterhält US- Geheimdienstinformationen zufolge eine kleinere Zelle in Helmand (VOA 20.03.2020) [es konnten jedoch keine weiteren Quellen zur angeblichen ISKP-Präsenz gefunden werden, Anmerkung]. Auf Regierungsseite befindet sich Helmand im Verantwortungsbereich des 215. AnA „Maiwand“ Corps, das der Task Force Southwest untersteht, welche von US-amerikanischen Streitkräften geleitet wird (USDOD 6.2020; AAN 23.04.2020). Im Jahr 2017 wurden US-Marines wieder in Helmand stationiert, um afghanischen Regierungstruppen von Militärstützpunkten aus zu beraten und um Luftangriffe zu verstärken (LAT 15.11.2017; vgl. AAN 23.04.2020, NYTM 12.05.2020), und auch 2020 unterhalten die US-Streitkräfte ein regionales Zentrum in Helmand (USDOD 01.07.2020). Weiters führt die so genannte Kandahar Strike Force (KSF) oder NDS 03 Operationen in Helmand durch. Die Streitkraft untersteht laut Human Rights Watch zwar nominell dem afghanischen Geheimdienst National Directorate of Security (NDS), obliegt aber nicht der üblichen Befehlskette des NDS, des afghanischen Militärs oder der US-Streitkräfte. Seine Mitglieder werden größtenteils von der CIA rekrutiert, trainiert, ausgerüstet und beaufsichtigt (HRW 31.10.2019; vgl. AAN 31.10.2019). Zudem gibt es in Helmand eine Streitkraft mit dem Namen Sangorian, die aufseiten der Regierung kämpft und vom NDS unterstützt wird (TN 14.10.2020). Sie besteht aus rund 2.000 Kämpfern (SI 15.10.2020) und wurde 2016 in Helmand als verdeckte Anti-Taliban Miliz mit dem Ziel gegründet, die Taliban zu infiltrieren und von innen zu schwächen. Die Sangorian-Kämpfer sind Einheimische, Taliban-Dissidenten und ehemalige Taliban- Aufständische (JF 11.01.2019). Im Oktober 2020 wurde berichtet, dass die Sangorian auch für die Sicherheit auf dem Streckenabschnitt Helmand-Kandahar der Ring Road und im Sicherheitsgürtel von Lashkargah zuständig waren (TN 14.10.2020). Jüngste Entwicklungen und Auswirkungen auf die zivile Bevölkerung [...] Im Jahr 2019 dokumentierte UNAMA 675 zivile Opfer (284 Tote und 391 Verletzte) in der Provinz Helmand. Dies entspricht einem Rückgang von 23% gegenüber 2018. Die Hauptursache für die Opfer waren improvisierte Sprengkörper (improvised explosive devices, IEDs; ohne Selbstmordanschläge), gefolgt von Luftangriffen und Kämpfen am Boden (UNAMA 2.2020). Im Gegensatz zu den letzten Jahren gehörte die Provinz Helmand im ersten HalbJahr 2020 nicht zu den fünf Provinzen mit den meisten zivilen Opfern. UNAMA verzeichnete einen deutlichen Rückgang der zivilen Opfer in der Provinz, was hauptsächlich auf einen Rückgang der zivilen Opfer durch Luftangriffe und IEDs (ohne Selbstmordattentate) zurückzuführen ist (UNAMA 7.2020). Im Juni 2020 wurde von einem Vorfall mit rund 50 zivilen Opfern (19 Tote, 31 Verletzte) im Distrikt Sangin berichtet, bei welchem Mörsergranaten der Regierung einen belebten Markt anstelle einer Position der Taliban hinter dem Markt trafen (UNAMA 7.2020; vgl. ABC 29.06.2020). Helmand zählte 2020 zu den konfliktintensivsten Provinzen Afghanistans (UNGASC 17.06.2020; vgl. UNGASC 17.03.2020, UNGASC 18.08.2020). Es kam zu Kämpfen (BNA 02.09.2020, BNA 12.10.2020, XI 16.06.2020) und Angriffen der Taliban (PAJ 22.03.2020, LWJ 10.03.2020), beispielsweise auf Sicherheitsposten der Regierung (NYT 12.10.2020, XI 10.09.2020, TDP 04.03.2020). Die Regierungstruppen führten Operationen durch (XI 11.10.2020, PAJ 22.03.2020, AN 08.02.2020, TN 12.10.2020). Unter anderem leisteten die US-Streitkräfte durch Luftangriffe Unterstützung (TN 12.10.2020, TDP 04.03.2020). Im Oktober 2020 führten die Taliban eine Offensive auf Lashkargah durch (WP 14.10.2020; vgl. NYT 12.10.2020). Dabei fanden in der Stadt und umliegenden Gebieten mehrere Tage hindurch Kämpfe statt (TN - 34 -

14.10.2020). Unter anderem führten die US-Streitkräfte zur Unterstützung der afghanischen Streitkräfte Luftangriffe durch (MT 12.10.2020; vgl. TN 12.10.2020). Schließlich erklärten sich die Taliban bereit, ihre Operationen auszusetzen - laut den Taliban, nachdem die Amerikaner versprochen hatten, alle Luftangriffe und nächtlichen Razzien in Übereinstimmung mit dem Friedensabkommen, das die USA im Februar mit den Aufständischen unterzeichnet hatten, einzustellen (MT 18.10.2020). Im November 2020 wurden die Kämpfe in Lashkargah und benachbarten Distrikten Berichten zufolge jedoch fortgesetzt (BAMF 09.11.2020; vgl. TN 31.10.2020). Weiters wurde über Vorfälle mit IEDs berichtet, beispielsweise Explosionen von an Fahrzeugen angebrachten IEDs (VBIEDs) (KP 01.10.2020, UNI 22.07.2020, ABC 29.06.2020, GW 04.05.2020, VOA 08.02.2020) und Sprengfallen am Straßenrand (PAJ 10.10.2020, DN 29.06.2020, PAJ 25.03.2020). [...] 5.13 Herat

Letzte Änderung: 14.12.2020

Die Provinz Herat liegt im Westen Afghanistans und teilt eine internationale Grenze mit dem Iran im Westen und Turkmenistan im Norden. Weiters grenzt Herat an die Provinzen Badghis im Nordosten, Ghor im Osten und Farah im Süden (UNOCHA Herat 4.2014). Herat ist in die folgenden Distrikte unterteilt: Adraskan, Chishti Sharif, Enjil, Fersi, Ghoryan, Gulran, Guzera (Nizam-i-Shahid), Herat, Karrukh, Kohsan, Kushk (Rubat-i-Sangi), Kushk-i- Kuhna, Obe, Pashtun Zarghun, Zendahjan und die „temporären“ Distrikte Poshtko, Koh-e-Zore (Koh-e Zawar, Kozeor), Zawol und Zerko (NSIA 01.06.2020; IEC Herat 2019), die aus dem Distrikt Shindand herausgelöst wurden (AAN 03.07.2015; vgl. PAJ 01.03.2015). Ihre Schaffung wurde vom Präsidenten nach Inkrafttreten der Verfassung von 2004 aus Sicherheits- oder anderen Gründen genehmigt, während das Parlament seine Zustimmung (noch) nicht erteilt hat (AAN 16.08.2018). Die Provinzhauptstadt von Herat ist Herat-Stadt (NSIA 01.06.2020). Herat ist eine der größten Provinzen Afghanistans (PAJ Herat o.D.).

Die National Statistics and Information Authority of Afghanistan (NSIA) schätzt die Bevölkerung in der Provinz Herat im Zeitraum 2020-21 auf 2,140.662 Personen, davon 574.276 in der Provinzhauptstadt (NSIA 01.06.2020). Die wichtigsten ethnischen Gruppen in der Provinz sind Paschtunen, Tadschiken, Hazara, Turkmenen, Usbeken und Aimaqs, wobei Paschtunen in elf Grenzdistrikten die Mehrheit stellen (PAJ Herat o.D.). Herat-Stadt war historisch gesehen eine tadschikisch dominierte Enklave in einer paschtunischen Mehrheits-Provinz, die beträchtliche Hazara- und Aimaq-Minderheiten umfasst (USIP 2015). Umfangreiche Migrationsströme haben die ethnische Zusammensetzung der Stadt verändert. Der Anteil an schiitischen Hazara ist seit 2001 besonders gestiegen, da viele aus dem Iran rückgeführt oder aus den Provinzen Zentralafghanistans vertrieben wurden (AAN 03.02.2019). Der Grad an ethnischer Segregation ist in Herat heute ausgeprägt (USIP 2015; vgl. STDOK 13.06.2019).

Die Provinz ist durch die Ring Road mit anderen Großstädten verbunden (TD 05.12.2017, LCA 04.07.2018). Eine Hauptstraße führt von Herat ostwärts nach Ghor und Bamyan und weiter nach Kabul. Andere Straßen verbinden die Provinzhauptstadt mit dem afghanisch-turkmenischen Grenzübergang bei Torghundi sowie mit der afghanisch-iranischen Grenzüberquerung bei Islam Qala (LCA 04.07.2018), die einen der größten Trockenhäfen Afghanistans beherbergt (KN 11.09.2020). Die Schaffung einer weiteren Zollgrenze zum Iran ist im Distrikt Ghoryan geplant (TN 11.09.2020). Eine Eisenbahnverbindung zwischen der Stadt Herat und dem Iran, die die Grenze an diesem Punkt überqueren wird, ist derzeit im Bau (1TV 28.10.2020, TN 11.09.2020). Über Tötungen und Entführungen auf der Strecke Herat-Islam-Qala wurde berichtet (UNAMA 7.2020, KN 07.07.2020; vgl. PAJ 06.02.2020) sowie über Sprengfallen am Straßenrand (KN 07.07.2020; vgl. PAJ 06.02.2020), auch auf der Ring Road (TN 10.10.2020). Darüber hinaus gibt es Berichte über illegale Zolleinhebungen durch Aufständische sowie Polizeibeamte entlang der Strecke Herat-Kandahar (HOA 12.01.2020, PAJ 04.01.2020; vgl. NYT 01.11.2020). Ein Flughafen mit Linienflugbetrieb zu internationalen und nationalen Destinationen liegt in der unmittelbaren Nachbarschaft von Herat-Stadt (STDOK 25.11.2020; cf. Kam Air Herat o.D.).

Hintergrundinformationen zum Konflikt und Akteure Die Sicherheitslage auf Stadt- und Distriktebene unterscheidet sich voneinander. Während einige Distrikte, wie z.B. Shindand, als unsicher gelten, weil die Kontrolle zwischen der Regierung und den Taliban umkämpft ist, - 35 - kam es in Herat-Stadt in den letzten Jahren vor allem zu kriminellen Handlungen und kleineren sicherheitsrelevanten Vorfällen, jedoch nicht zu groß angelegten Angriffen oder offenen Kämpfen, die das tägliche Leben vorübergehend zum Erliegen gebracht hätten. Die sicherheitsrelevanten Vorfälle, die in letzter Zeit in der Stadt Herat gemeldet wurden, fielen meist in zwei Kategorien: gezielte Tötungen und Angriffe auf Polizeikräfte (AAN 21.04.2020; vgl. OA 20.07.2020). Darüber hinaus fanden im Juli und September 2020 (UNAMA 10.2020) sowie Oktober 2019 Angriffe statt, die sich gegen Schiiten richteten (AAN 21.04.2020). Bezüglich krimineller Handlungen wurde beispielsweise über bewaffnete Raubüberfälle und Entführungen berichtet (OA 20.07.2020, AAN 21.04.2020, AN 02.01.2020).

Je weiter man sich von der Stadt Herat (die im Januar 2019 als „sehr sicher“ galt) und ihren Nachbardistrikten in Richtung Norden, Westen und Süden entfernt, desto größer ist der Einfluss der Taliban (STDOK 13.06.2019). Pushtkoh und Zerko befanden sich im Februar 2020 einem Bericht zufolge vollständig in der Hand der Taliban (AAN 28.02.2020), während die Kontrolle der Regierung in Obe auf das Distriktzentrum beschränkt ist (AAN 08.04.2020, AAN 20.12.2019). In Shindand befindet sich angeblich das „Taliban-Hauptquartier“ von Herat (AAN 20.12.2019). Dem Long War Journal (LWJ) zufolge kontrollierten die Taliban Ende November 2020 jedoch keinen Distrikt von Herat vollständig. Mehrere Distrikte wie Adraskan, Ghoryan, Gulran, Kushk, Kushk-i-Kuhna, Obe und Shindand sind umstritten, während die Distrikte um die Stadt Herat unter der Kontrolle der Regierung stehen (LWJ o.D.; vgl. STDOK 13.06.2019).

Innerhalb der Taliban kam es nach der Bekanntmachung des Todes von Taliban-Führer Mullah Omar im Jahr 2015 zu Friktionen (SAS 02.11.2018; vgl. RUSI 16.03.2016). Mullah Rasoul, der eine versöhnlichere Haltung gegenüber der Regierung in Kabul einnahm, spaltete sich zusammen mit rund 1.000 Kämpfern von der Taliban- Hauptgruppe ab (SAS 02.11.2018). Die Rasoul-Gruppe, die mit der stillschweigenden Unterstützung der afghanischen Regierung operiert hat, kämpft mit Stand Jänner 2020 weiterhin gegen die Hauptfraktion der Taliban in Herat, wenn die Zusammenstöße zwischen den beiden Gruppen laut einer Quelle innerhalb der Rasoul-Fraktion auch nicht mehr so häufig und heftig sind wie in den vergangenen Jahren. Etwa 15 Kämpfer der Gruppe sind Anfang 2020 bei einem Drohnenangriff der USA gemeinsam mit ihrem regionalen Führer getötet worden (SAS 09.01.2020; vgl. UNSC 27.05.2020).

Während ein UN-Bericht einen Angriff in der Nähe einer schiitischen Moschee im Oktober 2019 dem Islamischen Staat Provinz Khorasan (ISKP) zuschrieb (UNGASC 10.12.2019) und ein Zeitungsartikel vom März 2020 behauptete, dass der ISKP eine Hochburg in der Provinz unterhält (VOA 20.03.2020), gab eine andere Quelle an, dass es unklar sei, ob und welche Art von Präsenz die ISKP in Herat hat. Angriffe gegen schiitische Muslime sind Teil des Modus operandi des ISKP, aber - insbesondere angesichts der Schwäche der Gruppe in Afghanistan - stellt ein Bekenntnis des ISKP zu einem bestimmten Angriff noch keinen vollständigen Beweis dafür dar, dass die Gruppe ihn wirklich begangen hat (AAN 21.04.2020). Ein Bewohner des Distrikts Obe hielt eine ISKP-Präsenz in Herat angesichts der Präsenz der Taliban z.B. im Distrikt Shindand für unwahrscheinlich (AAN 20.12.2019).

Auf Regierungsseite befindet sich Herat im Verantwortungsbereich des 207. Afghan National Army (ANA) „Zafar“ Corps (USDOD 01.07.2020; vgl. ST 02.10.2020), das der NATO-Mission Train Advise Assist Command - West (TAAC-W) untersteht, welche von italienischen Streitkräften geleitet wird (USDOD 01.07.2020).

Jüngste Entwicklungen und Auswirkungen auf die zivile Bevölkerung [...]

Im Jahr 2019 dokumentierte UNAMA 400 zivile Opfer (144 Tote und 256 Verletzte) in der Provinz Herat. Dies entspricht einer Steigerung von 54% gegenüber 2018. Die Hauptursache für die Opfer waren improvisierte Sprengkörper (improvised explosive devices, IEDs; ohne Selbstmordanschläge), gefolgt von Kämpfen am Boden und gezielten Tötungen (UNAMA 2.2020). Im Jahr 2020 wurden mehrere Fälle von zivilen Opfern aufgrund von Luftangriffen gemeldet (UNAMA 10.2020, AAN 24.02.2020, RFE/RL 22.01.2020).

Es kam in mehreren Distrikten der Provinz Herat zu Kämpfen zwischen den Regierungstruppen und den Taliban sowie zu Angriffen der Taliban auf Regierungseinrichtungen (KP 20.11.2020, NYTM 29.10.2020, PAJ 15.10.2020, NYTM 01.10.2020, KP 05.09.2020, NYTM 28.08.2020, NYTM 05.07.2020, NYTM 30.01.2020). Die Regierungstruppen führten in der Provinz Operationen durch (AN 05.09.2020, AJ 23.07.2020, XI 29.01.2020b, - 36 -

RFE/RL 22.01.2020). Darüber hinaus wurde von Explosionen von Sprengfallen am Straßenrand in verschiedenen Distrikten berichtet (KP 22.11.2020, NYTM 29.10.2020, TN 10.10.2020, NYTM 01.10.2020, NYTM 28.08.2020, TN 05.07.2020, NYTM 30.01.2020).

Vorfälle mit IEDs, wie die Detonation eines an einem Fahrzeug befestigten IEDs (VBIED) (KP 01.11.2020) einer Sprengfalle am Straßenrand (NYTM 28.08.2020) und eines weiteren IEDs passierten auch in der Stadt Herat (GW 10.11.2020; vgl. AAN 27.10.2020). Auch wurden sowohl in den Distrikten als auch der Stadt Herat gezielte Tötungen durchgeführt (NYTM 29.10.2020, NYTM 01.10.2020, NYTM 28.08.2020, NYTM 27.02.2020, NYTM 30.01.2020).

Anmerkung: Weitere Informationen zu Herat, einschließlich der Sicherheitslage, können der Analyse der Staatendokumentation „Afghanistan - Informationen zu sozioökonomischen Faktoren in der Provinz Herat“ vom 13.06.2019 entnommen werden (STDOK 13.06.2019). [...] 5.14 Jawzjan Letzte Änderung: 14.12.2020 Jawzjan liegt im Norden Afghanistans und grenzt im Norden an Turkmenistan, im Osten an Balkh, im Süden an Sar-e Pul und im Westen an Faryab (UNOCHA Balkh 4.2014). Die Provinz ist in die folgenden Distrikte unterteilt: Aqchah, Darzab, Faizabad, Khamyab, Khanaqa, Khwaja Dukoh, Mardyan, Mingajik, Qarqin und Qush Tepa sowie die Provinzhauptstadt Sheberghan (NSIA 01.06.2020; vgl. IEC Jawzjan 2019). Der Distrikt Darzab wurde aus Sicherheitsgründen von Faryab nach Jawzjan gegeben. Später wurde aus Darzab der zusätzliche Distrikt Qush Tepa herausgelöst (AAN 16.08.2018). Die National Statistics and Information Authority of Afghanistan (NSIA) schätzt die Bevölkerung in Jawzjan im Zeitraum 2020-21 auf 602.082 Personen (NSIA 01.06.2020). Im Jahr 2008 waren die beiden größten ethnischen Gruppen der Provinz Usbeken und Turkmenen, weiters gab es kleinere Gruppen an Paschtunen und sogenannte Araber sowie einige Tadschiken und Kuchi- Nomaden, deren Anzahl je nach Jahreszeit variiert (Larsson 11.2008). Die Ring Road verbindet die Provinzhauptstadt Jawzjans mit dem großen Ballungszentrum Mazar-e Sharif in Balkh sowie mit der westlich gelegenen Provinz Faryab (TD 05.12.2017; vgl. LCA 04.07.2018). Die Straße ist asphaltiert und kann mit allen Arten von LKWs befahren werden (ECO 2020), wobei von einem Fall berichtet wurde, wo die Taliban den Straßenbelag auf diesem Abschitt beschädigten, vermutlich um den Verkehr zu verlangsamen und Kontrollen zu erleichtern (STDOK 21.07.2020). Die Taliban errichteten auf der Ring Road zwischen Sheberghan und Mazar-e Sharif Kontrollpunkte (STDOK 21.07.2020; vgl. PAJ 07.01.2020), und Bewohner berichteten, dass Reisende auf diesem Abschnitt auch oftmals bei Kämpfen zwischen den Regierungstruppen und den Taliban festsitzen (AT 21.10.2020; vgl. PAJ 07.01.2020, AN 17.03.2020). Eine weitere Hauptstraße verbindet das benachbarte Sar-i-Pul mit der Ring Road in Sheberghan (TD 05.12.2017; vgl. LCA 04.07.2018). Mit Stand November 2020 gibt es keinen Linienflugbetrieb von und nach Jawzjan. Dieser wird über Mazar-e Sharif geführt (Kam Air Jawzjan o.D.; vgl. STDOK 25.03.2019). Jawzjan gilt als eine der strategisch wichtigen Provinzen des Landes, da sie über bedeutsame Erdgasreserven verfügt (PAJ Jawzjan o.D.; AN 16.08.2020). Hintergrundinformationen zum Konflikt und Akteure Jawzjan ist die Heimat des ehemals mächtigen usbekischen Milizführers Abdul Rashid Dostum (RFE/RL o.D.; vgl. AAN 05.08.2020; KN 15.07.2020), seine ehemaligen Milizkämpfer sind dort präsent (RFE/RL o.D.). Die Sicherheitslage in der Provinz wurde im Juni 2020 als unruhig beschrieben (XI 30.06.2020; vgl. UNOCHA 21.06.2020). Mehrere Distrikte sind mit Stand November 2020 nach Einschätzung des Long War Journal entweder umkämpft oder befinden sich unter Talibankontrolle, während die Distrikte Mardyan, Mingajik und Sheberghan von der Regierung kontrolliert werden (LWJ o.D.; vgl. STDOK 21.07.2020). Anderen Quellen zufolge waren die Distrikte Khamyab und Qarqin im April 2020 von den Regierungskräften zurückerobert worden, nachdem sie in den vergangenen zwei Jahren unter Talibankontrolle gestanden hatten (ST 23.07.2020; USDOD 01.07.2020). In der Provinz kam es in der Vergangenheit zu Auseinandersetzungen zwischen den Taliban und einer selbsternannten IS-Gruppierung (AAN 04.08.2018; SP 19.07.2018; AAN 11.11.2017). Die Taliban besiegten die IS-Kämpfer im Juli 2018, von denen sich manche daraufhin den afghanischen Sicherheitskräften ergaben (AAN 04.08.2018; vgl. UNSC 13.06.2019). Bewohner berichteten von Grausamkeiten, welche die selbsternannten IS- Kämpfer in Darzab begangen hatten, als sie den Distrikt kontrollierten (ST 13.12.2018; vgl. PAJ 20.06.2018; PAJ 17.04.2018). Das Islamic Movement of Uzbekistan (IMU) ist in Jawzjan präsent (UNSC 27.05.2020) und unterhält dort Verbindungen zu Splittergruppen wie Khatiba Imam al-Bukhari (KIB) (UNSC 27.05.2020; vgl. LWJ 07.07.2020). - 37 -

Aufseiten der Regierungstruppen befindet sich die Provinz Jawzjan in der Verantwortung des 209. Afghan National Army (ANA) „Shaheen“ Corps (USDOD 01.07.2020; KP 30.06.2020), das der NATO-Mission Train Advise Assist Command - North (TAAC-N) untersteht, welche von deutschen Streitkräften geleitet wird (USDOD 01.07.2020). Jüngste Entwicklungen und Auswirkungen auf die zivile Bevölkerung [...] Im Jahr 2019 dokumentierte UNAMA 123 zivile Opfer (29 Tote und 94 Verletzte) in der Provinz Jawzjan. Dies entspricht einem Rückgang von 33% gegenüber 2018. Die Hauptursache für die Opfer waren Kämpfe am Boden, gefolgt von nicht explodierten Kampfmitteln (unexploded ordnance, UXO), Landminen und improvisierten Sprengkörpern (improvised explosive devices, IEDs; ohne Selbstmordanschläge) (UNAMA 2.2020). Bezüglich der ersten drei Quartale des Jahres 2020 hielt UNAMA fest, dass die Anzahl der zivilen Opfer entgegen dem gesamtstaatlich verzeichneten Rückgang an zivilen Opfern in Jawzjan verglichen mit demselben Zeitraum im Vorjahr zugenommen hat [UNAMA nennt in diesem Bericht keine Zahlen zu Jawzjan, Anmerkung] (UNAMA 10.2020). Es kam in Jawzjan zu Kämpfen (UNOCHA 25.10.2020, UNOCHA 04.10.2020, UNOCHA 06.09.2020, BAMF 17.08.2020, UNOCHA 07.05.2020, UNOCHA 29.04.2020, BAMF 20.04.2020, UNOCHA 29.03.2020), wobei die Taliban Sicherheitsposten oder Militärstützpunkte der Regierungskräfte (NYTM 17.06.2020, NYTM 28.08.2020, BAMF 22.06.2020, RFE/RL 17.06.2020, NYTM 30.04.2020, PAJ 17.06.2020, NYTM 30.01.2020) und Distriktzentren angriffen (NYTM 30.04.2020) sowie einen Distrikt kampflos einnahmen (UNGASC 17.03.2020), während die Regierungstruppen Räumungsoperationen durchführten (KP 30.06.2020, PNA 20.05.2020, PAJ 12.04.2020, MENAFN 07.03.2020, BNA 04.02.2020) und Distrikte zurückeroberten (ST 23.07.2020, USDOD 01.07.2020, UNGASC 17.06.2020). Im August 2020 gab ein Vertreter des afghanischen Militärs an, dass die Sicherheitskräfte das Operationsgebiet gegen die Taliban in Jawzjan in den vergangenen zwei Monaten eingeengt hatten (ST 13.08.2020). Weiters wurde über Explosionen von Sprengfallen am Straßenrand (NYTM 28.08.2020, AT 27.07.2020, NYTM 30.01.2020) wie auch Sprengfallenfunde und kontrollierte Detonationen (BNA 27.07.2020) sowie Entführungen in der Provinz berichtet (NYTM 27.02.2020, PAJ 10.12.2019). [...] 5.15 Kandahar Letzte Änderung: 16.12.2020 Die Provinz Kandahar liegt im Süden Afghanistans und grenzt im Norden an Uruzgan und Zabul, im Westen an Helmand (UNOCHA Kandahar 4.2014), und im gesamten Süden wie auch Osten teilt sich Kandahar eine lange Grenze mit Pakistan (AAN 12.08.2019; vgl. UNOCHA Kandahar 4.2014). Kandahar ist in die folgenden Distrikte unterteilt: Arghandab, Arghistan, Daman, Ghorak, die Provinzhauptstadt Kandahar, Khakrez, Maruf, Maiwand, Miyanishin, Nesh, Panjwayee, Reg (Shiga), Shah WaLI Kot, Shorabak, Spin Boldak und Zhire (NSIA 01.06.2020; vgl. IEC Kandahar 2019) sowie die „temporären“ Distrikte Dand und Takhta Pul (NSIA 01.06.2020, AAN 16.08.2018). Temporäre Distrikte sind Verwaltungseinheiten, die nach Inkrafttreten der Verfassung 2004 vom Präsidenten aus Sicherheits- oder anderen Gründen genehmigt, aber noch nicht vom Parlament beschlossen wurden (AAN 16.08.2018). Die National Statistics and Information Authority of Afghanistan (NSIA) schätzt die Bevölkerung in der Provinz Kandahar im Zeitraum 2020-21 auf 1,399.594 Personen, von denen 632.601 in der Provinzhauptstadt leben (NSIA 01.06.2020). Paschtunen sind die mit Abstand größte Bevölkerungsgruppe Kandahars. Zudem gibt es kleinere Gruppen von Belutschen, Hazara und Tadschiken sowie anderen Ethnien, die normalerweise als Farsiwan, d.h. Farsi/Dari-Sprecher bezeichnet werden (AAN 12.08.2019; vgl. NPS Kandahar o.D.). Die Ring Road verbindet die Provinzhauptstadt Kandahar mit den großen Ballungszentren Herat und Kabul. Eine nordwärts führende Straße in Richtung Uruzgan teilt sich in Kandahar-Stadt. Auf dem Weg nach Süden verbindet eine Straße die Stadt Kandahar mit dem afghanisch-pakistanischen Grenzübergang Spin Boldak- Chaman (LCA 24.04.2019; vgl. TD 05.12.2017), einem der bedeutsamsten Grenzübergänge Afghanistans (AAN 12.08.2019; vgl. LCA 24.04.2019). Spin Boldak und Chaman sollen wichtige Schmugglerzentren sein (AAN 12.08.2019). Zwischen März und August 2020 hielt die pakistanische Regierung den Grenzübergang Spin Boldak-Chaman wegen des Ausbruchs der Coronavirus-Pandemie in Pakistan für Reisende und Pendler geschlossen (RFE/RL 21.08.2020; vgl. NYT 31.07.2020). Im Juli 2020 wurden auf der afghanischen Seite der Grenze mindestens 15 Zivilisten getötet, als pakistanische Streitkräfte angeblich schwere Artillerie in zivile Gebiete schossen, nachdem Demonstranten auf beiden Seiten die Wiedereröffnung des Grenzübergangs gefordert hatten und es zu Zusammenstößen kam (NYT 31.07.2020). Die Straßenverhältnisse sind in allen Distrikten Kandahars während der Trockenzeit im Allgemeinen gut, während die Straßen zu einigen Distrikten in der Regenzeit unpassierbar werden (LCA 24.04.2019). Andere Quellen berichten dagegen, dass die meisten Teile des Ring Road-Abschnitts Kabul-Kandahar durch Krieg und Gewalt beschädigt wurden (TN 28.09.2020; vgl. HOA 07.09.2020), und im Oktober 2020 wurde berichtet, dass die Taliban Teile der Straße Kandahar-Uruzgan (KP 01.10.2020b; PAJ 03.10.2020) und einen Abschnitt einer - 38 -

Straße in einen Distrikt absichtlich beschädigt haben (PAJ 03.10.2020). IEDs und bewaffnete Zusammenstöße können zivile Bewegungen zudem einschränken (UNOCHA 05.11.2020). Autofahrer beschwerten sich weiters über „zunehmende Erpressung“ durch die Taliban wie auch Regierungskräfte auf den Strecken Kandahar-Kabul und Kandahar-Herat (TN 17.01.2020). Kandahar City verfügt über einen internationalen Flughafen (LCA 24.04.2019, STDOK 25.03.2019), der in der Regel nationale und internationale Ziele anfliegt (Kandahar Airport o.D.). Mit Stand 09.11.2020 werden für die kommenden Wochen jedoch nur Direktflüge nach Kabul angeboten (Ariana Kandahar o.D., Kam Air Kandahar o.D., F 24 o.D.). Im Februar 2020 wurde eine Zugstrecke für den Gütertransit von der pakistanischen Hafenstadt Karachi nach Chaman und Kandahar eingeweiht (PAJ 22.02.2020). Kandahar ist eine der wichtigsten Schlafmohnanbauprovinzen Afghanistans (AAN 25.06.2020; vgl. UNODC/MCN 11.2018), wobei Bauern Armut als Hauptgrund für den Schlafmohnanbau nannten, da Schlafmohn in dem verarmten Land als einträglichste für den Verkauf bestimmte Ernte gilt. Der Schlafmohnanbau erstreckt sich in Kandahar sowohl über Gebiete, welche von den Taliban kontrolliert werden, als auch über Gebiete unter Regierungskontrolle (RFE/RL 07.05.2020). Hintergrundinformationen zum Konflikt und Akteure Kandahar ist angeblich der „Geburtsort“ der Taliban und hat daher symbolische Bedeutung für die Gruppe (ISW o.D.; vgl. AAN 12.08.2019, EC 18.05.2019). Während der Talibanherrschaft 1996-2001 lag der Sitz der Taliban in Kandahar (AAN 12.08.2019; vgl. AJ 18.07.2019), und nach ihrem Sturz im Jahr 2001 war Kandahar jener Ort, in dem sich die Taliban neu gruppierten und begannen, die NATO-Truppen zu bekämpfen (EC 18.05.2019; vgl. AJ 18.07.2019). Darüber hinaus hat Kandahar strategische Bedeutung aufgrund seiner geographischen Lage an der Grenze zur pakistanischen Provinz Belutschistan, die als sicherer Hafen der Taliban und als wichtiges Rekrutierungszentrum gilt, wie auch aufgrund der Rolle des Schlafmohnanbaus in der Provinz (LWJ 19.10.2017; vgl. REU 22.05.2018). Der einflussreiche Polizeichef General Abdul Razeq, der für relative Stabilität im Süden Afghanistans sorgte und die Taliban ab 2011 aus Teilen Kandahars vertreiben konnte, wurde im Oktober 2018 ermordet (AAN 12.08.2019). Unter Razeqs Nachfolger (und Bruder) Tadin Khan kontrollierten die Regierungskräfte im August 2019 Zentralkandahar, während die Taliban in entlegeneren Distrikten Zugewinne gemacht haben (AAN 14.08.2019), und auch im November 2020 schätzte das Long War Journal (LWJ) Distrikte im Zentrum der Provinz als unter staatlicher Kontrolle stehend ein, während Distrikte im Norden und Süden der Provinz entweder umkämpft waren oder von den Taliban kontrolliert wurden (LWJ o.D.). Im April 2020 verlautbarten Regierungsbeamte die Festnahme von mehreren hochrangigen Vertretern des Islamischen Staates Khorasan Provinz (ISKP) in Kandahar (UNSC 27.05.2020; vgl. AAN 13.05.2020), wobei unklar blieb, warum sie sich in Kandahar befunden hatten (UNSC 27.05.2020). Auf Regierungsseite befindet sich Kandahar im Verantwortungsbereich des 205. Afghan National Army (ANA) „Atal“ Corps (USDOD 01.07.2020; vgl. MENAFN 22.10.2020), das der NATO-Mission Train, Advise, and Assist Command - South (TAAC-S) untersteht, welche von US-amerikanischen Streitkräften geleitet wird (USDOD 01.07.2020). Die US-Streitkräfte unterhalten die Militärbasis Kandahar Airfield in der Provinz (NYT 01.03.2020; vgl. SAS 01.11.2020), wobei Ende August 2020 berichtet wurde, dass eine Schließung der Basis „in den kommenden Monaten“ geplant sei (NYT 30.08.2020; vgl. SAS 01.11.2020). Weiters liegt die Zentrale der so genannten Kandahar Strike Force (KSF) oder NDS 03 in Kandahar. Die Streitkraft untersteht laut Human Rights Watch zwar nominell dem afghanischen Geheimdienst National Directorate of Security (NDS), unterliegt aber nicht der üblichen Befehlskette des NDS, des afghanischen Militärs oder der US-Streitkräfte. Ihre Mitglieder werden größtenteils von der CIA rekrutiert, trainiert, ausgerüstet und beaufsichtigt (HRW 31.10.2019; vgl. AAN 31.10.2019). Jüngste Entwicklungen und Auswirkungen auf die zivile Bevölkerung [...] Im Jahr 2019 dokumentierte UNAMA 467 zivile Opfer (121 Tote und 346 Verletzte) in der Provinz Kandahar. Dies entspricht einem Rückgang von 13% gegenüber 2018. Die Hauptursache für die Opfer waren improvisierte Sprengkörper (improvised explosive devices, IEDs; ohne Selbstmordattentate), gefolgt von Selbstmordangriffen und Suchoperationen (UNAMA 2.2020). Das Jahr 2020 hindurch zählte der UN-Generalsekretär Kandahar in seinen vierteljährlich erscheinenden Berichten über die Sicherheitslage in Afghanistan zu den Provinzen mit den meisten sicherheitsrelevanten Vorfällen im Land (UNGASC 18.08.2020, UNGASC 17.06.2020, UNGASC 05.11.2020). In der Provinz kam es zu Kämpfen (UNOCHA 05.11.2020, UNOCHA 04.10.2020, UNOCHA 13.09.2020, UNOCHA 23.07.2020, UNOCHA 17.05.2020, RFE/RL 22.04.2020, BAMF 06.04.2020, BAMF 30.03.2020), wobei die Taliban Angriffe gegen Sicherheitsposten der Regierung unternahmen (NYTM 01.10.2020, NYTM 28.08.2020, NYTM 30.07.2020, TN 22.07.2020, RFE/RL 06.06.2020, NYTM 30.04.2020, AAN 21.03.2020, NYTM 30.01.2020), und die Regierungstruppen Operationen durchführten wie auch auf die Angriffe der Taliban reagierten (UNOCHA 05.11.2020, MENAFN 05.11.2020, PAJ 22.10.2020, GW 06.09.2020, NYTM 30.07.2020, KP 03.05.2020). Auch - 39 - führten die US-Streitkräfte Luftangriffe in Kandahar durch (MENAFN 31.10.2020, NYTM 30.07.2020, PAJ 05.11.2020, RFE/RL 06.06.2020). Im Herbst 2020 starteten die Taliban eine Großoffensive in der Umgebung von Kandahar-Stadt, was zu rund zehn Tage andauernden Kämpfen führte (RFE/RL 05.11.2020, TN 05.11.2020). Einem Vertreter der Armee zufolge wurden die angegriffenen Gebiete schließlich von der Taliban-Präsenz befreit (TN 05.11.2020, TN 05.11.2020). Es wurden Vorfälle mit IEDs gemeldet (UNOCHA 05.11.2020, UNOCHA 04.10.2020, NYTM 28.08.2020, UNOCHA 17.05.2020), wie z.B. Detonationen von Sprengfallen am Straßenrand (NYTM 01.10.2020, UNOCHA 13.09.2020, NYTM 28.08.2020, NYTM 30.07.2020, NYTM 30.04.2002, NYTM 27.02.2020) - auch in Kandahar-Stadt (NYTM 01.10.2020, NYTM 30.07.2020) - sowie Angriffe mit an Fahrzeugen befestigten IEDs (vehicle-borne IEDs, VBIEDs) bzw. Autobomben (AJ 28.08.2020, NYTM 28.08.2020), von denen einige von den Regierungstruppen vereitelt werden konnten (NYTM 01.10.2020, NYTM 30.07.2020). Darüber hinaus wurden mehrere gezielte Tötungen gemeldet, von denen viele in Kandahar-Stadt verübt wurden (NYTM 01.10.2020, NYTM 28.08.2020, NYTM 30.07.2020, NYTM 30.04.2020, NYTM 27.02.2020, NYTM 30.01.2020). [...] 5.16 Kapisa Letzte Änderung: 16.12.2020 Die Provinz Kapisa liegt im zentralen Osten Afghanistans, umgeben von den Provinzen Panjsher im Norden, Laghman im Osten, Kabul im Süden und Parwan im Westen (UNOCHA Kapisa 4.2014). Kapisa ist in die folgenden Distrikte unterteilt: Alasai, Hissa-e-Awali Kohistan, Hissa-e-Duwumi Kohistan, Koh Band, die Provinzhauptstadt Mahmood Raqi, Nijrab und Tagab (NSIA 01.06.2020; vgl. IEC Kapisa 2019). Die National Statistics and Information Authority ofAfghanistan (NSIA) schätzt die Bevölkerung in Kapisa im Zeitraum 2020-21 auf 488,298 Personen (NSIA 01.06.2020). Die wichtigsten ethnischen Gruppen in der Provinz sind Tadschiken, Paschtunen und Nuristani (FP 11.11.2014; vgl. NPS Kapisa o.D.), wobei die Tadschiken als größte Einzelgruppe hauptsächlich im nördlichen Teil der Provinz leben (AAN 06.04.2015). Eine Hauptstraße verbindet die Provinzhauptstadt Mahmood Raqi mit Kabul (LCA 24.04.2019). Hintergrundinformationen zum Konflikt und Akteure Kapisa ist eine kleine Provinz, und Aufständische können die Provinzhauptstadt von Kapisa und die Nachbarprovinzen leicht erreichen (AAN 24.04.2012). Es gibt eine Taliban-Präsenz in einigen der Distrikte, welche nicht vollständig unter der Kontrolle der Regierung stehen (MENAFN 19.07.2020; vgl. VOA 08.09.2020). Nach Schätzungen des Long War Journal waren die Distrikte Alasai, Nijrab und Tagab im November 2020 umkämpft, während die übrigen Distrikte unter Regierungskontrolle standen (LWJ o.D.). Nach US-Geheimdienstinformationen unterhält der Islamische Staat Khorasan Provinz (ISKP) eine kleine Zelle in Kapisa (VOA 20.03.2020; vgl. KP 21.02.2020). Auf Regierungsseite befindet sich Kapisa im Verantwortungsbereich des 201. Afghan National Army (ANA) „Selab/Silab“ Corps (USDOD 01.07.2020; vgl. PAJ 06.10.2020), das der NATO-Mission Train, Advise, and Assist Command - East (TAAC-E) untersteht, welche von US-amerikanischen und polnischen Streitkräften geleitet wird (USDOD 01.07.2020). Jüngste Entwicklungen und Auswirkungen auf die zivile Bevölkerung [...] Im Jahr 2019 dokumentierte UNAMA 124 zivile Opfer (49 Tote und 75 Verletzte) in der Provinz Kapisa. Dies entspricht einem Rückgang von 11% gegenüber 2018. Die Hauptursache für die Opfer waren Kämpfe am Boden, gefolgt von improvisierten Sprengkörpern (improvised explosive devices, IEDs; ohne Selbstmordattentate) und Luftangriffen (UNAMA 2.2020). In den ersten drei Quartalen des Jahres 2020 dokumentierte UNAMA eine Zunahme an zivilen Opfern in der Provinz [UNAMA nennt bzgl. Kapisa hierbei allerdings keine Zahlen, Anmerkung] (UNAMA 10.2020). Es wurde von Kämpfen in der Provinz berichtet (AN 19.06.2020, BAMF 06.04.2020), wobei die Taliban Sicherheitsposten der Regierung, Militärbasen und Dörfer (NYTM 29.10.2020, NYTM 18.03.2020). TKG 13.09.2020, NYTM 28.08.2020, TN 21.03.2020, PN 18.02.2020) sowie ein Distriktzentrum angriffen (NYTM 30.07.2020) und die Regierungskräfte Räumungsoperationen durchführten (OI 29.06.2020, PAJ 21.02.2020, AN 02.12.2019). Auch fanden Luftangriffe oder Drohnenschläge der US-amerikanischen Streitkräfte statt (AT 25.12.2019, XI 29.11.2019). Weiters wurde von Explosionen von Sprengfallen am Straßenrand in der Provinz berichtet (TN 08.10.2020, RY 18.03.2020). [...] 5.17 Khost Letzte Änderung: 16.12.2020 Die Provinz Khost liegt im Osten Afghanistans und grenzt im Osten an Pakistan, im Südwesten an Paktika und im Westen und Nordwesten an Paktia (UNOCHA Khost 4.2014). Khost ist in die folgenden Distrikte unterteilt: Ali Sher (Tirzayee), Baak, Gurbuz, Jaji Maidan, Khost (Matun), Manduzay (Esmayel Khil), Muza Khel, Nadir Shah Kot, Qalandar, Sabari (Yaqubi), Shamul, Spera und Tanay. Die Provinzhauptstadt von Khost ist die Stadt Khost (NSIA 01.06.2020; IEC Khost 2019). Khost ist Teil von Loya Paktya (d.h. „Groß-Paktya“), einem Gebiet, das die Provinzen Paktia, Paktika und Khost umfasst (AAN 18.07.2020). - 40 -

Die National Statistics and Information Authority of Afghanistan (NSIA) schätzt die Bevölkerung in der Provinz Khost im Zeitraum 2020-21 auf 636.522 Personen (NSIA 01.06.2020). Khost ist eine der drei großen paschtunischen Regionen Afghanistans (Ruttig 2009, 57). Während die Provinz hauptsächlich von Paschtunen bewohnt wird (TAC 20.05.2013; vgl. FP 25.02.2020), sind rund 1% der Bevölkerung Tadschiken, die gemeinsam mit verschiedenen anderen Minderheiten hauptsächlich in der Stadt Khost leben. Die Provinz wird von einer großen Anzahl an Stämmen bewohnt. Je nach Jahreszeit leben auch Kuchi und Musalyan-Nomaden in Khost (TAC 20.05.2013). Die Provinz Khost hat folgende Grenzübergänge mit Pakistan: Ghulam Khan, Babrak Tanai und Jaji Maidan (PAJ 08.07.2016; vgl. RA KBL 26.10.2019, AAN 28.01.2020), wobei Babrak Tanai und Jaji Maidan inoffizielle Grenzübergänge sind, welche von Anrainern genutzt wurden (RA KBL 26.10.2019; vgl. AAN 28.01.2020). In der Vergangenheit wurden die Grenzübergänge Ghulam Khan und Jaji Maidan aufgrund von Sicherheitsoperationen geschlossen und wieder geöffnet (PAJ 08.07.2016; vgl. AAN 28.01.2020, RA KBL 26.10.2019), und 2019 war auch Babrak Tanai geschlossen (RA KBL 26.10.2020). Der Grenzübergang in Ghulam Khan war 2020 zudem aufgrund von COVID-19-Eindämmungsmaßnahmen zeitweise geschlossen bzw. mit Einschränkungen geöffnet (IMPACCT 14.08.2020; vgl. ARNPK 21.06.2020). 2018 und 2019 kam es bei Grenzstreitigkeiten zwischen afghanischen und pakistanischen Streitkräften in Khost unter den kämpfenden Parteien wie auch der Zivilbevölkerung zu Opfern (TN 02.05.2019, PAJ 15.07.2018, PAJ 16.04.2018). Der sogenannte Khost-Gardez-Pass verbindet Khost mit dem benachbarten Paktia (SAS 20.05.2009; vgl. USAID 07.05.2020), mit Logar und schließlich Kabul (LCA 24.04.2019). Eine strategisch bedeutsame Straße führt vom Distrikt Jaji Maidan in den Distrikt Dand Patan (bzw. Dand Aw Patan) in Paktia (TN 31.03.2019). Im November 2020 wurde berichtet, dass es in letzter Zeit auf der Strecke zwischen der Stadt Khost und Kabul zu Entführungen und Ermordungen von Regierungsbeamten durch die Taliban gekommen war, während Regierungsbeamte in der Vergangenheit auf dieser Route reisen konnten (NYT 01.11.2020a; vgl. AAN 18.07.2020). Aufgrund von COVID-19-Eindämmungsmaßnahmen wurde die Strecke Khost-Gardez 2020 zeitweise geschlossen (UNOCHA 30.06.2020). Mit Stand November 2020 gibt es keinen Linienflugbetrieb von und nach Khost (Kam Air Khost o.D.; vgl. STDOK 25.03.2019). Hintergrundinformationen zum Konflikt und Akteure Im Herbst 2020 wurde Khost als eine unruhige Provinz beschrieben (FP 16.11.2020, DH 27.10.2020). 2018 gab es in der Provinz eine aktive Aufständischenbewegung, die jedoch durch starke Stammeszugehörigkeiten und kohäsive lokale Gemeinschaften etwas eingeschränkt blieb (AAN 18.08.2018). Das Haqqani-Netzwerk hat ihren Sitz in Khost (RFE/RL 07.02.2020), 2009 wurde es als die aktivste aufständische Gruppe im sogenannten Zadran- Bogen beschrieben (Ruttig 2009, 62). Die Taliban und das Haqqani-Netzwerk unterhalten enge Beziehungen: Sirajuddin J. Haqqani, der Anführer des Haqqani-Netzwerks, bekleidet auch den Posten des ersten stellvertretenden Leiters der Taliban (UNSC 27.05.2020). Das Netzwerk hält im Zadran-Bogen alle bedeutsamen Posten innerhalb der Schattenregierung der Taliban, einschließlich des Provinz-Schattengouverneurs (UNSC 13.06.2019). Al Qaida ist in Khost verdeckt aktiv (UNSC 27.05.2020, UNSC 20.01.2020), und es wird auch vermutet, dass Tehreek-i-Taliban Pakistan (TTP) in der Provinz präsent ist (JF 25.09.2020, Dawn 18.08.2020; vgl. UNSC 13.09.2019). Ein Zeitungsbericht vom September 2020 behauptete, dass der Islamische Staat Khorasan Provinz (ISKP) in der Provinz aktiv ist [es konnten hierzu jedoch keine weiteren aktuellen Informationen gefunden werden, Anmerkung] (AT 12.09.2020). Auf Regierungsseite befindet sich Khost im Verantwortungsbereich des 203. Afghan National Army (ANA) „Tandar/Thunder“ Corps (USDOD 01.07.2020, KP 25.07.2020), das der Task Force Southeast untersteht, welche von den US-Streitkräften geleitet wird (USDOD 01.07.2020). Eine Spezialeinheit namens Khost Protection Force (KPF) operiert im Osten Afghanistans (NYT 17.04.2020; vgl. FP 16.11.2020). Sie hat ihre Basis in Camp Chapman außerhalb der Stadt Khost und untersteht nicht der Befehlskette der ANDSF (HRW 31.10.2020), sondern wird nominell vom afghanischen Geheimdienst National Directorate of Security (NDS) befehligt und von der CIA sowie US-amerikanischen Militärberatern unterstützt (NYT 17.04.2020; vgl. HRW 31.10.2019, FP 16.11.2020). Der KPF wurden Verstöße wie außergerichtliche Hinrichtungen und Folter vorgeworfen [siehe auch nächster Abschnitt zu den Entwicklungen im Jahr 2020, Anmerkung] (FP 16.11.2020; vgl. NYT 17.04.2020, HRW 31.10.2019). Jüngste Entwicklungen und Auswirkungen auf die zivile Bevölkerung [...] Im Jahr 2019 dokumentierte UNAMA 197 zivile Opfer (51 Tote und 146 Verletzte) in der Provinz Khost. Dies entspricht einer Steigerung von 13% gegenüber 2018. Die Hauptursache für die Opfer waren improvisierte Sprengkörper (improvised explosive devices, IEDs; ohne Selbstmordanschläge), gefolgt von gezielten Tötungen und Kämpfen am Boden (UNAMA 2.2020). Bezüglich der ersten drei Quartale des Jahres 2020 dokumentierte UNAMA einen Anstieg der zivilen Opfer im Vergleich zum gleichen Zeitraum des Vorjahres [UNAMA nennt in diesem Bericht keine Zahlen zu Khost, Anmerkung]. UNAMA stellt ferner fest, dass die Zahl der zivilen Opfer - 41 - aufgrund von Razzien der KPF nach dem Abkommen zwischen den USA und den Taliban praktisch zum Erliegen gekommen ist (UNAMA 10.2020; vgl. AAN 27.10.2020, AAN 16.08.2020). Im Oktober 2020 sollen Mitglieder der KPF bei Razzien in der Provinz jedoch rund 14 Zivilisten getötet haben (FP 16.11.2020). In der Provinz wurde von Zusammenstößen zwischen Aufständischen und den Regierungstruppen berichtet (GW 11.09.2020, KP 25.07.2020, PAJ 08.07.2020), wobei im Oktober 2020 ein Angriff in der Provinzhauptstadt stattfand, der dem Haqqani-Netzwerk zugeschrieben wurde und die Detonation einer Autobombe (vehicle- borne IED, VBIED) sowie ein stundenlanges Feuergefecht umfasste (PAJ 27.10.2020; vgl. ARN 27.10.2020). Weitere Vorfälle mit IEDs, wie z.B. Explosionen von Sprengfallen am Straßenrand (XI 10.11.2020, NYTM 28.08.2020, KP 08.05.2020, UPI 12.09.2020; RFE/RL 17.12.2019) und VBIEDs, ereigneten sich in Khost (NYTM 01.10.2020, AT 12.09.20209; RFE/RL 12.05.2020, AJ 02.03.2020). Gezielte Tötungen oder Tötungen durch unbekannte Schützen wurden ebenfalls gemeldet (NYTM 29.10.2020, NYTM 01.10.2020, TOI 06.06.2020, AP 20.05.2020). Die Regierungstruppen führten Operationen in der Provinz durch (KP 25.07.2020, XI 10.02.2020). [...] 5.18 Kunar Letzte Änderung: 16.12.2020 Kunar liegt im Osten Afghanistans, an der afghanisch-pakistanischen Grenze. Die Provinz grenzt im Norden an Nuristan, im Osten an Pakistan (Provinz Khyber Pakhtunkhwa), im Süden an Nangarhar und im Westen an Laghman (NPS Kunar o.D.; vgl. UNOCHA Kunar 4.2014). Neben der Provinzhauptstadt Asad Abad ist die Provinz in die folgenden Distrikte unterteilt: Bar Kunar (auch Asmar), Chapa Dara, Sawkay (auch Chawkay), Dangam, Dara-e-Pech (auch Manogi), Ghazi Abad, Khas Kunar, Marawara, Narang wa Badil, Nari, Noorgal, Sar Kani, Shigal, Wata- poor und Sheltan (NSIA 01.06.2020; vgl. IEC Kunar 2019, UNOCHA Kunar 4.2014, NPS Kunar o.D., OP Kunar 01.02.2017). Sheltan ist als „temporärer Distrikt“ definiert (NSIA 01.06.2020), was bedeutet, dass seine Schaffung nach dem Inkrafttreten der Verfassung von 2004 aufgrund von Sicherheitsbedenken oder anderen Gründen vom Präsidenten beschlossen wurde, aber sein Status als Distrikt vom afghanischen Parlament noch nicht genehmigt wurde (AAN 16.08.2018). Die National Statistics and Information Authority of Afghanistan (NSIA) schätzt die Bevölkerung in Kunar im Zeitraum 2020-21 auf 499.393 Personen (NSIA 01.06.2020). Kunar wird hauptsächlich von Paschtunen bewohnt, gefolgt von Pashai und Nuristani (NPS Kunar o.D.; vgl. OP Kunar 01.02.2017). Eine Straße erster Ordnung verbindet Asad Abad mit Jalalabad im Südwesten sowie mit einem Grenzübergang zu Pakistan im Nordosten. Zusätzlich führt eine Nebenstraße von Asad Abad nach Osten zur pakistanischen Grenze. Eine weitere Straße verbindet Kunar mit Nuristan (LCA 16.07.2020). Inoffizielle, befahrbare Grenzübergänge zwischen Pakistan und Kunar gibt es in den Distrikten Sar Kani, Marawara und Nari (AAN 28.01.2020). Die Grenze zwischen Afghanistan und Pakistan wurde im 19. Jahrhundert von den Briten gezogen, wodurch die paschtunischen Stämme gespalten wurden. Die aufeinander folgenden afghanischen Regierungen haben die Legitimität dieser Teilung als offizielle Grenze, die als Durand- Linie bekannt ist, infrage gestellt. Die Bemühungen der pakistanischen Regierung, befestigte Zäune und Kontrollpunkte entlang der Grenze zu bauen, haben afghanische Regierungsvertreter und Gemeinden in der Region verärgert (NYT 31.07.2020; vgl. AN 16.07.2020, TN 08.06.2020, TRT 03.02.2020). Der Zaun trennt Familien, die auf verschiedenen Seiten der Grenze leben (TN 08.06.2020). Scharmützel und grenzüberschreitender Beschuss zwischen afghanischen und pakistanischen Streitkräften wurdenim Jahr 2020 (RJ 19.10.2020, AN 16.07.2020, TRT 03.02.2020, MENAFN 20.01.2020) und davor gemeldet (TN 08.06.2020). Im Juli 2020 starben sechs Zivilisten bei einem solchen Ereignis (AN 16.07.2020). In einigen Distrikten von Kunar werden illegal Edelsteine abgebaut. Die mit diesen Steinen erzielten Gewinne tragen Berichten zufolge zur Fortsetzung des Konflikts bei (RFE/RL 24.04.2020). Hintergrundinformationen zum Konflikt und Akteuren Kunar gehört zu den volatilen Provinzen im Osten Afghanistans, in denen Militante des Islamischen Staates Provinz Khorasan (ISKP) sowie Aufständische von Gruppen wie den Taliban und Al Qaida in einigen seiner unruhigen Distrikte eine beträchtliche Präsenz haben (KP 05.03.2020). Nach Einschätzungen des Long War Journal (LWJ) befand sich der Distrikt Chapa Dara im November 2020 unter Talibankontrolle, während die übrigen Distrikte mit Ausnahme der Provinzhauptstadt, welche unter Regierungskontrolle stand, als umkämpft galten (LWJ o.D.). Eine andere Quelle berichtet, dass sich ein Großteil des Distrikts Marawara seit neun Jahren unter Talibankontrolle befindet (WP 12.07.2020). Nach der Niederlage des ISKP in Nangarhar wurde Kunar zur verbleibenden Bastion eines geschwächten Islamischen Staats in Afghanistan (AAN 01.03.2020; vgl. UNSC 04.02.2020), obwohl er auch in dieser Provinz weiterhin Verluste zu verzeichnen hat (UNSC 04.08.2020; vgl. UNSC 27.05.2020, USDOD 01.07.2020). Schätzungen zur Stärke des ISKP in Kunar schwankten in der ersten Hälfte des Jahres 2020 zwischen 1.000 (VOA 12.05.2020, TN 08.01.2020) und 2.100 Kämpfern (UNSC 04.02.2020; vgl. UNSC 27.05.2020). Al Qaida ist in Kunar verdeckt aktiv (UNSC 27.05.2020; vgl. AT 14.03.2020). Tehrik-e-Taliban Pakistan (TTP) (UNSC 27.05.2020; - 42 - vgl. Dawn 14.02.2020), Jaish-i-Mohammed und Lashkar-e-Tayyiba sind ebenfalls in der Provinz präsent (UNSC 27.05.2020). Auf Regierungsseite befindet sich Kunar im Verantwortungsbereich des 201. Afghan National Army (ANA) „Silab“ Corps (USDOD 01.07.2020, KP 05.03.2020), das der NATO-Mission Train Advise Assist Command - East (TAAC-E) untersteht, welche von US-amerikanischen und polnischen Streitkräften geleitet wird (USDOD 01.07.2020). Jüngste Entwicklungen und Auswirkungen auf die zivile Bevölkerung [...] Im Jahr 2019 dokumentierte UNAMA 256 zivile Opfer (77 Tote und 179 Verletzte) in der Provinz Kunar. Dies entspricht einem Rückgang von 36% gegenüber 2018. Die Hauptursachen für die Opfer waren Kämpfe am Boden, gefolgt von nicht explodierten Kampfmitteln (unexploded ordnance, UXO), Landminen und gezielten Tötungen (UNAMA 2.2020). Taliban- und ISKP-Mitglieder kämpfen in Kunar sowohl gegeneinander als auch gegen die Regierungstruppen (VOA 23.12.2019; vgl. AAN 18.07.2020, VOA 20.03.2020, UNOCHA 09.03.2020). Die Taliban starteten im FrühJahr 2020 eine Offensive gegen den ISKP (VOA 20.03.2020), und auch die US-amerikanischen sowie afghanischen Regierungstruppen führten Operationen gegen den Islamischen Staat in Kunar durch (XI 05.08.2020b, VOA 20.03.2020, KP 05.03.2020, SAS 25.02.2020). Anonymen Militärvertretern zufolge halfen die US-Streitkräfte den gegen den ISKP kämpfenden Taliban, indem sie Taliban-Einheiten, die in Kämpfe gegen den ISKP verwickelt waren, nicht angriffen (VOA 20.03.2020) und strategische Luftangriffe gegen Stellungen des ISKP im Vorfeld von Angriffen der Taliban gegen diese Stellungen durchführten (WP 22.10.2020). Auch wurde im Jahr 2020 über Kämpfe zwischen Regierungstruppen und den Taliban bzw. Angriffe der Taliban auf Regierungsposten in Kunar berichtet (NYTM 01.10.2020, PAJ 22.08.2020, XI 15.08.2020b, XI 07.06.2020, GW 08.04.2020). Darüber hinaus kam es in der Provinz zu Detonationen von Sprengfallen am Straßenrand (AnA 14.10.2020, AnA 13.02.2020b) sowie eines an einem Fahrzeug angebrachten improvisierten Sprengkörpers (vehicle-borne improvised explosive device, VBIED) (NYTM 01.10.2020) und zu Entführungen (UNAMA 6.2020). [...] 5.19 Kunduz Letzte Änderung: 16.12.2020 Die Provinz Kunduz liegt im Norden Afghanistans und grenzt im Norden an Tadschikistan, im Osten an die Provinz Takhar, im Süden an die Provinz Baghlan und im Westen an die Provinz Balkh (UNOCHA Kunduz 4.2014). Die Provinzhauptstadt ist Kunduz (Stadt) (OP Kunduz 01.02.1017). Die Provinz ist in die folgenden Distrikte unterteilt: Ali Abad, Chahar Darah (Chardarah), Dasht-e-Archi, (Hazrati) Imam Sahib, Khan Abad, Kunduz und Qala-e-Zal (NSIA 01.06.2020; cf. IEC Kunduz 2019), sowie die temporären Distrikte Aqtash, Calbad (Gulbad) und Gultipa (NSIA 01.06.2020). Ihre Schaffung wurde vom Präsidenten nach Inkrafttreten der Verfassung von 2004 aus Sicherheits- oder anderen Gründen genehmigt, während das Parlament seine Zustimmung (noch) nicht erteilt hat (AAN 16.08.2018). Die National Statistics and Information Authority of Afghanistan (NSIA) schätzt die Bevölkerung in der Provinz Kunduz im Zeitraum 2020-21 auf 1,136.677 Personen, 365.529 davon in der Provinzhauptstadt (NSIA 01.06.2020). Die Bevölkerung besteht hauptsächlich aus Paschtunen, gefolgt von Usbeken, Tadschiken, Turkmenen, Hazara, Aymaq und Pashai (NPS Kunduz o.D.; vgl. OP Kunduz 01.02.2017). Strategisch wurde Kunduz als „Tor im Norden§ zu den bodenschatzreichen Provinzen und nach Zentralasien bezeichnet. Es ist ein Knotenpunkt für Transport (REU 14.09.2020) und Drogenschmuggel (REU 14.09.2020; vgl. UNSC 27.05.2020). Ein Abschnitt des asiatischen Highway AH7 führt von Kabul aus durch die Provinzen Parwan und Baghlan und verbindet die Hauptstadt mit der Provinz Kunduz und dem Grenzübergang nach Tadschikistan beim Hafen von Sher Khan (auch Sher Khan Bandar) (MoPW 16.10.2015; vgl. LCA 24.04.2019, RFE/RL 26.08.2007). Der National Highway 93 (NH93) verläuft von Kunduz ostwärts durch den Distrikt Khanabad nach Takhar und Badakhshan (MoPW 16.10.2015; vgl. UNOCHA Kunduz 4.2014, AAN 12.10.2016). In Richtung Khulm in der Provinz Balkh im Westen befindet sich ein National Highway derzeit in Bau. Es wird erwartet, dass die Wegstrecke und -zeit zwischen Kunduz und Khulm durch seine Fertigstellung erheblich verkürzt wird (GAFG 23.08.2020, GIZ 7.2019). Laut Bewohnern von Kunduz stellt die Unsicherheit auf den Landrouten in der Provinz eine große Herausforderung dar (FRP 30.09.2020; vgl. PAJ 22.06.2020). Die Strecke von Kunduz in Richtung Süden nach Baghlan wurde im Juni 2020 als „gut gepflastert und ruhig“ beschrieben, wiewohl sie teilweise durch Taliban- Territorium führt (TEL 10.06.2020). Aufständische errichten dort (TEL 10.06.2020, PAJ 22.06.2020) wie auch auf der Strecke Takhar-Kunduz Kontrollpunkte (PAJ 22.06.2020, ST 08.06.2020, AAN 21.03.2020). Der NH93 zwischen Takhar und Kunduz war zudem im Jahr 2020 wegen Kämpfen vorübergehend gesperrt (XI 06.10.2020, MENAFN 15.08.2020, ST 08.06.2020). Mit Stand November 2020 gibt es Linienflugverbindungen zwischen Kabul und Kunduz (Kam Air Kunduz o.D., FRP 30.09.2020). - 43 -

Hintergrundinformationen zum Konflikt und Akteuren Kunduz war die letzte Taliban-Hochburg vor deren Sturz 2001 (RFE/RL o.D.). Sowohl 2015 als auch 2016 kam es zu einer kurzfristigen Einnahme der Provinzhauptstadt Kunduz City durch die Taliban (UNAMA 24.02.2019) und auch Ende August 2019 nahmen die Taliban kurzzeitig Teile der Stadt ein (BAMF 02.09.2019): Keine andere Provinzhauptstadt ist von allen Seiten so nachhaltig unter Druck geraten. Die Taliban infiltrieren weiterhin ihre Außenbezirke (AAN 12.10.2020). Laut einer Quelle vom Oktober 2019 versuchen die Taliban, Kunduz-Stadt jährlich anzugreifen, um zu zeigen, dass sie dazu fähig sind (STDOK 21.07.2020). Im November 2020 schätzte das Long War Journal (LWJ) die Distrikte Aqtash, Calbad, Dasht-e-Archi, Gultipa und Khan Abad im Osten sowie Qala-e-Zal im Westen als unter Talibankontrolle stehend ein. Die übrigen Distrikte galten als umstritten (LWJ o.D.), während eine andere Quelle schätzte, dass im Oktober 2019 ganz Kunduz abseits seiner Verwaltungszentren unter der Kontrolle der Taliban stand (STDOK 21.07.2020). Al Qaida ist in der Provinz verdeckt aktiv. Darüber hinaus operiert das unter dem Kommando und der finanziellen Kontrolle der Taliban stehende Islamic Movement of Uzbekistan (IMU, manchmal auch Jundullah genannt) und auch das Eastern Turkestan Islamic Movement (ETIM) in Kunduz (UNSC 27.05.2020). Nach afghanischen Militäroperationen in Kunduz in der zweiten Hälfte des Jahres 2019 zerstreuten sich ausländische terroristische Kämpfer aus China, Pakistan, Tadschikistan, Usbekistan und anderswo in kleine Gruppen und flüchteten in andere Provinzen (UN-Sicherheitsrat 20.01.2020). 2019 wurde berichtet, dass Zellen des Islamischen Staates in Kunduz aufgetaucht seien (NYT 14.06.2019; vgl. JF 06.04.2018) [zu einer Präsenz des ISKP in Kunduz konnten jedoch keine aktuellen Informationen gefunden werden, Anmerkung]. Auf Regierungsseite befindet sich Kunduz im Verantwortungsbereich des 217. Afghan National Army (ANA) „Pamir“ Corps (USDOD 01.07.2020, TST 17.06.2020), das der NATO-Mission Train Ad- vise Assist Command - North (TAAC-N) untersteht, welche von deutschen Streitkräften geleitet wird (USDOD 01.07.2020). Ende November zog die Bundeswehr aus ihrem Stützpunkt in Kunduz ab. Die Soldaten wurden nach Mazar-e Sharif verlegt (BAMF 30.11.2020). Jüngste Entwicklungen und Auswirkungen auf die zivile Bevölkerung [...] Im Jahr 2019 dokumentierte UNAMA 492 zivile Opfer (141 Tote und 351 Verletzte) in der Provinz Kunduz. Dies entspricht einer Steigerung von 46% gegenüber 2018. Die Hauptursachen für die Opfer waren Kämpfe am Boden, gefolgt von improvisierten Sprengkörpern (improvised explosive devices, IEDs; ohne Selbstmordattentate) und Luftangriffen (UNAMA 2.2020). In der ersten Hälfte des Jahres 2020 gehörte Kunduz zu den fünf Provinzen Afghanistans, in denen die Zivilbevölkerung am stärksten von dem Konflikt betroffen war (insgesamt 205 zivile Opfer) (UNAMA 7.2020). Im September und Mai 2020 dokumentierte UNAMA den Tod mehrerer Zivilisten aufgrund von Luftangriffen der Regierungstruppen (UNAMA 10.2020, UNAMA 7.2020), und es wurde von mehreren Vorfällen mit zivilen Opfern aufgrund von Mörserbeschuss berichtet (GW 20.11.2020, RY 12.10.2020, NYTM 01.10.2020, NYTM 27.02.2020). Ende August und im Mai 2020 starteten die Taliban Offensiven gegen die Stadt Kunduz, wobei sie im August mehrere Kontrollpunkte und zwei Stützpunkte an den Hauptverkehrsstraßen in die Stadt einnahmen und im Mai Außenposten im Sicherheitsgürtel um die Stadt aus mehreren Richtungen angriffen. Unterstützt von der afghanischen Luftwaffe konnten beide Offensiven schließlich abgewehrt werden (REU 14.09.2020, NYT 19.05.2020, FR24 19.05.2020, WP 19.05.2020). Weitere Taliban-Angriffe auf Distriktzentren (XI 08.09.2020, NYTM 30.04.2020) und Sicherheitsposten in verschiedenen Distrikten wurden gemeldet (GW 03.11.2020, NYTM 29.10.2020, XI 28.09.2020, PT 20.09.2020, NYTM 28.08.2020, VOA 20.07.2020, TST 17.06.2020, NYTM 30.04.2020, NYTM 27.02.2020, GW 16.01.2020), und die Regierungstruppen führten in Kunduz Operationen und Vergeltungsschläge aus der Luft durch (XI 6.10.2020, PT 20.09.2020, MENAFN 21.08.2020, KP 17.12.2019). Es wurde über Vorfälle mit IEDs berichtet, wie z.B. Detonationen von Sprengfallen am (NYTM 29.10.2020, NYTM 01.10.2020, AJ 02.06.2020, NYTM 27.02.2020, PAJ 14.02.2020) und eines an einem Fahrzeug befestigten IEDs (vehicle-borne IED, VBIED) in Kunduz-Stadt (FR24 19.05.2020). Auch fand ein Angriff auf Sicherheitspersonal auf dem Gelände des Gouverneursgebäudes in Kunduz-Stadt statt, bei dem möglicherweise ein an einer kleinen Drohne befestigter Sprengsatz verwendet wurde (NYT 01.11.2020b; vgl. TRT 24.11.2020). Weiters wurde auch über Entführungen und Tötungen in der Provinz berichtet (NYTM 29.10.2020, NYTM 27.02.2020). [...] 5.20 Laghman Letzte Änderung: 16.12.2020 Laghman liegt im Osten Afghanistans und grenzt im Norden an die Provinzen Panjshir und Nuristan, im Osten an Kunar, im Süden an Nangarhar und im Westen an Kabul und Kapisa (NPS Laghman o.D.). Die Provinzhauptstadt ist Mehtarlam (UNOCHA Laghman 4.2014; vgl. NPS Laghman o.D., OPr Laghman 01.02.2017). Die Provinz ist in folgende Distrikte unterteilt: Alingar, Alishing, Dawlat Shah, Mehtarlam, Qarghayi, und Bad Pash (auch Bad Pakh) (NSIA 01.06.2020; vgl. IEC Laghman 2019, UNOCHA Laghman 4.2014, NPS Laghman o.D., OPr Laghman 01.02.2017). Bad Pash ist ein temporärer Distrikt (NSIA 01.06.2020). - 44 -

Die National Statistics and Information Authority of Afghanistan (NSIA) schätzt die Bevölkerung in Laghman im Zeitraum 2020/21 auf 493.488 Personen (NSIA 01.06.2020). Die Bevölkerungsmehrheit in der Provinz stellen die Paschtunen (BMC 06.03.2020; vgl. PAJ Laghman o.D., NPS Laghman o.D.), weitere Bewohner gehören tadschikischen und paschaiischen Stämmen an (PAJ Laghman o.D.; vgl. NPS Laghman o.D.). Die Provinz verfügt über ausreichend Wasser, und ein großer Teil der Bewohner lebt von der Landwirtschaft (PAJ 14.07.2020). Die Fernstraße Kabul-Jalalabad (ein Abschnitt der Asiatischen Fernstraße AH-1) führt durch den Distrikt Qarghayi, (MoPW 16.10.2015; vgl. UNOCHA Laghman 4.2014, PAJ 30.12.2019). Im Jahr 2019 wurden auf dieser Straße in der Provinz Laghman bei Verkehrsunfällen mindestens 45 Personen getötet und ca. 100 Personen verletzt (PAJ 30.12.2019). Es gibt Berichte, dass entlang der Fernstraße Kabul-Jalalabad Aufständische Konvois der Sicherheitskräfte attackieren (TN 07.07.2020). Im Distrikt Qarghayi zweigt eine Asphaltstraße in die Provinzhauptstadt Mehtarlam ab (UNOCHA Laghman 4.2014; vgl. YT 10.08.2019, YT 30.04.2019). Von Mehtarlam führt eine Straße weiter nach Nurgeram in Nuristan (UNOCHA Laghman 4.2014). Hintergrundinformationen zu Konflikt und Akteuren Die Taliban sind in Laghman aktiv (NYT 23.11.2020; vgl. Express 05.10.2020). Laghman galt, gemeinsam mit anderen Provinzen, als eine der Hochburgen des ISKP (AJ 10.06.2019; vgl. UNSC 01.02.2019). Der ISKP wurde nach Kämpfen mit den Taliban aus dem Osten der Provinz vertrieben (LI 22.01.2020), und er wurde nach den Militärschlägen im Winter 2019/Frühling 2020 für offiziell besiegt erklärt (taz 03.08.2020). Im März 2020 hat sich der ISKP in der Provinz Laghman ergeben, nachdem er von Regierungstruppen und den Taliban eingekesselt wurde (ST 23.03.2020). Dennoch gibt es weiterhin Berichte über eine Präsenz des ISKP in Laghman (Belliard 21.11.2020). Auch die pakistanische Terrorgruppe Lashkar-e Taiba (LeT) hat eine kleine Präsenz in Laghman (EFSAS 10.04.2020). Auf Regierungsseite befindet sich Laghman im Verantwortungsbereich des 201. Afghan National Army (ANA) Corps, das der NATO-Mission Train Advise Assist Command - East (TAAC-E) untersteht, welche von US- amerikanischen und polnischen Streitkräften geleitet wird (USDOD 01.07.2020). Jüngste Entwicklungen und Auswirkungen auf die Zivilbevölkerung [...] Im Jahr 2019 dokumentierte UNAMA 282 zivile Opfer (80 Tote und 202 Verletzte) in der Provinz Laghman. Dies entspricht einer Steigerung von 4% gegenüber 2018. Die Hauptursachen für Opfer waren Kämpfe am Boden, gefolgt von improvisierten Sprengkörpern (improvised explosive devices, IEDs; ohne Selbstmordattentate) und Selbstmordangriffen (UNAMA2.2020). Laghman hat einen hohen Wert bezüglich ziviler Opfer im Verhältnis zur Bevölkerung (LIFOS 07.04.2020). Im Oktober 2018 und im Jänner 2019 wurde die Provinz Laghman als eine relativ ruhige Provinz beschrieben (KP 22.01.2019; vgl. KP 01.10.2018). Im August 2020 wird von vermehrten Beschwerden über Unsicherheit aus der Bevölkerung berichtet. Der Provinzgouverneur veröffentlichte auch eine Warnung vor illegalen Bewaffneten in der Hauptstadt Mehtarlam. Zur Verbesserung der Sicherheitslage sollten zwei Militärbataillone wieder nach Laghman zurückkehren (PAJ 16.08.2020). In der Provinz werden Sicherheitsoperationen (KN 21.10.2020, GW 05.10.2020, CGVSRA 12.03.2020) und Luftschläge durch afghanische Sicherheitskräfte durchgeführt (PAJ 07.09.2020, XI 24.12.2019). Angriffe durch Aufständische auf Sicherheitskräfte oder Behördenvertreter finden statt (DjW 28.09.2020, TN 11.05.2020, GW 02.05.2020). Im Oktober 2020 kamen bei einem Sprengstoffanschlag auf den Provinzgouverneur acht Menschen ums Leben, der Gouverneur blieb unverletzt (Express 05.10.2020; vgl. GW 05.10.2020). [...] 5.21 Logar Letzte Änderung: 16.12.2020 Die Provinz Logar [auch: Lugar, Lawghar, Lowghar] liegt im Zentrum Afghanistans, etwa 65 Kilometer südlich von Kabul (PAJ Logar o.D.). Sie grenzt an die Provinzen Kabul im Norden, Nangarhar im Nordosten, Paktya im Süden und Ghazni und Wardak im Westen (NPS Logar o.D.). Ob der Distrikt Azra im Osten der Provinz direkt an Pakistan grenzt, ist unklar (AAN 18.07.2020). Unterschiedliche Quellen geben an, der Distrikt Azra habe eine ca. acht Kilometer lange, unbewachte Grenze mit der Provinz Khyber Pakhtunkhwa (EASO 1.2016, UNOCHA Logar 4.2014, TN 30.06.2019), während andere Quellen angeben, dass dies nicht so sei (AAN 18.07.2020, OSM 15.07.2020, GooM o.D.). Die Provinzhauptstadt ist Pul-e-Alam (NPS Logar o.D.; vgl. NSIA 01.06.2020). Die Provinz ist in folgende Distrikte unterteilt: Azra, Baraki Barak, Charkh, Khar War, Khushi, Mohammad Agha und Pul-e-Alam (NSIA 01.06.2020; vgl. IEC Logar 2019, UNOCHA Logar 4.2014, NPS Logar o.D.). Der Distrikt Azra wurde 2005 von Paktia an Logar übergeben (AAN 18.07.2020). Die National Statistics and Information Authority of Afghanistan (NSIA) schätzt die Bevölkerung in Logar im Zeitraum 2020/21 auf 434.374 Personen (NSIA 01.06.2020). Die Bevölkerungsmehrheit ist paschtunisch, Tadschiken und Hazaras leben ebenfalls in der Provinz (AAN 18.07.2020; vgl. NPS Logar o.D., PAJ Logar o.D.). Die Distrikte Kharwar und Azra sind vollständig paschtunisch; Charkh hat eine tadschikische Mehrheit von etwa 75%. In den übrigen Distrikten sind zwischen 20% (Pul-e Alam) und 40% (Baraki Barak, hauptsächlich im Distriktzentrum) der Bevölkerung Tadschiken. Einige dieser Tadschiken sind Schiiten. Hazara- und Sayyed- - 45 -

Gemeinschaften, die vollständig schiitisch sind, leben im Distrikt Khoshai (25% der Bevölkerung) und in kleinen Gruppen in der Provinzhauptstadt und in Baraki Barak (AAN 18.07.2020). Eine befestigte Straße (USAID 07.05.2019) führt von Kabul nach Logar und weiter nach Paktia (MoPW 16.10.2015; vgl. TN 07.07.2020) und Khost zum Grenzübergang Ghulam Khan an der afghanisch-pakistanischen Grenze (MoPW 16.10.2015; vgl. PAJ 21.08.2019, USAID 07.05.2019). Entlang des Teilstückes in der Provinz Logar, das durch die Distrikte Mohammad Agha und Pul-e-Alam führt (UNOCHA Logar 4.2014), gibt es eine starke Taliban-Präsenz (AAN 18.07.2020; vgl. SATP 16.07.2020). Die Provinz hat strategische Bedeutung für die Taliban aufgrund der Nähe zu Kabul und wegen der Nachschubrouten in die Nachbarprovinzen, die durch Logar führen (AAN 18.07.2020). Hintergrundinformationen zu Konflikt und Akteuren Die Taliban sind in der Provinz aktiv (t-online 31.07.2020) und üben Kontrolle über Teile der Provinz aus (WZ 27.11.2019; vgl. KP 13.09.2020, LWJ 07.10.2020). Charkh ist einer von drei von den Taliban kontrollierten Distrikten. Drei weitere Distrikte, darunter Baraki Barak, sind umstritten. Nur ein Distrikt, Khoshi, steht unter Regierungskontrolle (LWJ 07.10.2020). Laut Angaben der Bewohner kommt es zunehmend zu missbräuchlichem Verhalten der staatlichen Sicherheitskräfte - einschließlich der Bürgerwehren, was dazu führt, dass die Bevölkerung den Taliban mehr Sympathie entgegenbringen, was wiederum deren Präsenz in Logar weiter verstärkt (AAN 18.07.2020). Auf Regierungsseite befindet sich Logar im Verantwortungsbereich des 203. Afghan National Army (ANA) Corps, das der NATO-Mission Task Force Southeast untersteht, welche von US- amerikanischen Streitkräften geleitet wird (USDOD 01.07.2020). Jüngste Entwicklungen und Auswirkungen auf die Zivilbevölkerung [...] Im Jahr 2019 dokumentierte UNAMA 218 zivile Opfer (95 Tote und 123 Verletzte) in der Provinz Logar. Dies entspricht einer Steigerung von 52% gegenüber 2018. Die Hauptursachen für die Opfer waren Luftangriffe, gefolgt von Kämpfen am Boden und gezielten Tötungen (UNAMA 2.2020). Die Kampfhandlungen nahmen in den letzten sechs Jahren zu und erreichten 2019 ihren Höhepunkt, auch 2020 gab es zeitweise heftige Kämpfe. Keine Konfliktpartei konnte dabei die Kontrolle über das Gebiet oder die Bevölkerung wesentlich ausbauen. Logar gilt als „statisch umkämpftes“ Gebiet. Räumungsoperationen der Regierungstruppen zeigen mangelhaften Erfolg. Die Taliban haben in Logar widerstandsfähige Strukturen. Weitere Gründe für die anhaltende Unsicherheit in der gesamten Provinz sind u.a. der Kampf um die Kontrolle des Drogen- und Chromitschmuggels und die Schikanierung der Einheimischen durch die staatlichen Sicherheitskräfte. Selbst ohne klare territoriale Fortschritte scheint sich die Position der Taliban in einer solchen Situation zu verbessern (AAN 18.07.2020). Die Taliban greifen in Logar regelmäßig Regierungskräfte (AAN 18.07.2020; vgl. MENAFN (22.04.2020), XI 01.05.2020, KP 27.04.2020, Nau 16.04.2020) oder Bürgerwehren an (KP 13.09.2020). Es kommt zu Sicherheitsoperationen (KP 01.11.2020, WION 24.09.2020, GW 01.05.2020, TN 22.04.20209 und Luftangriffen (PAJ 12.08.2020, AT 19.04.2020, SHN 19.12.2019). [...] 5.22 Nangarhar Letzte Änderung: 16.12.2020 Nangarhar liegt im Osten Afghanistans, an der afghanisch-pakistanischen Grenze. Die Provinz grenzt im Norden an Laghman und Kunar, im Osten und Süden an Pakistan (Tribal Distrikts Kurram, Khyber und Mohmand der Provinz Khyber Pakhtunkhwa) und im Westen an Logar und Kabul (NPS Nangarhar o.D.a; vgl. UNOCHA 16.04.2010, UNOCHA Nangarhar 4.2014). Die Provinzhauptstadt von Nangarhar ist Jalalabad (NPS Nangarhar o.D.; vgl. OPr Nangarhar 01.02.2017). Die Provinz ist in die folgenden Distrikte unterteilt: Achin, Bati Kot, Behsud, Chaparhar, Dara- e-Nur, Deh Bala [auch bezeichnet als Haska Mena; vgl. TBIJ 13.11.2019, VOA 28.06.2019], Dur Baba, Goshta, Hesarak, Jalalabad, Kama, Khugyani, Kot, Kuzkunar, Lalpoor, Muhmand Dara, Nazyan, Pachiragam, Rodat, , Shinwar und Surkh Rud (NSIA 01.06.2020; vgl. IEC Nangarhar 2019, UNOCHA Nangarhar 4.2014, NPS Nangarhar o.D.) sowie dem temporären Distrikt Spin Ghar (NSIA 01.06.2019 vgl. IEC Nangarhar 2019). Nangarhar ist eine der am dichtest besiedelten Provinzen Afghanistans und das wirtschaftliche Zentrum der Ostregion des Landes (AREU 6.2020). Die National Statistics and Information Authority of Afghanistan (NSIA) schätzt die Bevölkerung von Nangarhar im Zeitraum 2020/21 auf 1.701.698 Personen; davon 271.867 Einwohner in der Hauptstadt Jalalabad (NSIA 01.06.2020). Die Bevölkerung besteht mehrheitlich aus Paschtunen, gefolgt von Pashai, Arabern und Tadschiken (NPS Nangarhar o.D.). Viele Mitglieder der Sikh- und Hindu-Gemeinschaft aus Jalalabad (EASO 05.08.2020) habenAfghanistan in den letzten Jahrzehnten verlassen (Wire 05.04.2020). Nach einem Angriff auf die Sikh-Gemeinschaft in Kabul im März 2020 kündigte die verbleibend Hindu- und Sikh-Gemeinschaft von Jalalabad an, vollständig in ein anderes Land zu übersiedeln (KP 04.04.2020). - 46 -

Die Straße von Kabul nach Jalalabad und weiter zum Grenzübergang Torkham mit Pakistan (Dawn 14.12.2019; vgl. MoPW 16.10.2015, Zenger 10.10.2020) ist Teil der Asiatischen Fernstraße AH-1 Tokio-Edirne (ESCAP 08.08.2019) sowie des Autobahnprojektes Peschawar-Kabul-Duschanbe (Dawn 14.12.2019) und führt durch die Distrikte Surkhrod, Jalalabad, Behsud, Rodat, Batikot, Shinwar, Muhmand Dara (UNOCHA Nangarhar 4.2014). In Pakistan soll die Strecke von Peschawar über den Khyber-Pass zur Grenze in Torkham zur Autobahn ausgebaut werden. Auf afghanischer Seite gibt es Stand Dezember 2019 jedoch keine Aktivitäten eines Ausbaus der Strecke Torkham-Kabul (Dawn 14.12.2019). Der Flughafen Jalalabad wird von der NATO militärisch (USDOD 01.07.2020; vgl. BW 12.7.2020); bei Bedarf auch zivil genutzt, vor allem während der Hadsch nach Mekka (BW 12.07.2020). Das United Nations Humanitarian Air Service (UNHAS), ein Flugbetreiber vorwiegend für Mitarbeiter humanitärer Hilfsorganisationen, der UN und Diplomaten, fliegt Jalalabad Stand Oktober 2020 zwei Mal wöchentlich von Kabul aus an (WFP/UNHAS 27.09.2020). Linienflüge durch zivile Fluggesellschaften finden Stand 13.11.2020 nicht statt (F24 13.11.2020). Ein neuer Flughafen für die zivile Nutzung soll im Gebiet von Kozkunar errichtet werden. Baubeginn für das 40 Millionen US-Dollar teure Projekt war im Juli 2020, es soll in zwei Jahren abgeschlossen sein (BW 12.07.2020). An der Fernstraße Kabul-Jalalabad attackieren Aufständische Konvois der Sicherheitskräfte (TN 07.07.2020). Im Laufe des Jahres 2019 wurden bei Verkehrsunfällen an dieser Strecke mindestens 45 Personen getötet und ca. 100 Personen verletzt (PAJ 30.12.2019). Die Grenzabfertigung in Torkham geht langsam vor sich (Zenger 10.10.2020). An den Straßen in der Provinz heben die Taliban Steuern ein (AREU 6.2020). Die gebirgige Landschaft ermöglicht auch Aufständischen unkontrollierte Grenzüberquerungen in die ehemaligen Stammesgebiete (VOA 28.06.2019; vgl. UNSC 27.05.2020). Hintergrundinformationen zu Konflikt und Akteuren Nangarhar galt als eine der ISKP-Hochburgen Afghanistans (RAND 14.09.2020; vgl. UNSC 14.05.2020). Die Stärke des ISKP insbesondere in Nangarhar und den angrenzenden östlichen Provinzen wurde 2019 auf 2.500- 4.000 Kämpfer geschätzt (UNSC 13.06.2019; vgl. UNAMA 14.05.2020). Anhaltender Druck der US- amerikanischen und afghanischen Streitkräfte (USDOD 01.07.2020; vgl. NYT 02.12.2020, SIGAR 30.01.2020, UNSC 27.05.2020, taz 14.05.2020) und der Taliban (USDOD 01.07.2020; vgl. NYT 02.12.2020, SIGAR 30.01.2020, RAND 14.09.2020, UNSC 14.05.2020, PM 23.12.2019, taz 14.05.2020) resultierten in Niederlagen des ISKP im November 2019 in Nangarhar und im März 2020 in Kunar (VOA 12.05.2020; vgl. NYT 02.12.2019; vgl. SIGAR 30.01.2020, UNSC 27.05.2020). Der ISKP musste die Kontrolle von Gebieten in Nangarhar aufgeben (USDOD 01.07.2020; vgl. UNSC 27.05.2020), verfügt aber nach wie vor über ein operatives Netzwerk in Kabul und eine Präsenz im Osten Afghanistans (VOA 12.05.2020; vgl. taz 14.05.2020). Zahlreiche hochrangige IS-Mitglieder sind nach der militärischen Niederlage nach Pakistan geflohen (AAN 01.03.2020). Sowohl die Taliban als auch die Regierungstruppen haben Gebietsgewinne erzielt. Die Regierung kontrolliert nun den größten Teil der Niederungen. Die Taliban wiederum dehnten ihre Kontrolle auf die abgelegenen, gebirgigen Gebiete der Provinz aus. Regierungstruppen kontrollieren fast vollständig zehn der 22 Distrikte Nangarhars (Behsud, Kama, Dara-ye Nur, Batikot, Kot, Shinwar, Dur Baba, Pachir wa Agam, Achin und Momand Dara). In acht weiteren Distrikten (Gushta, Spinghar, Lalpur, Nazyan, Rodad, Kuz Kunar, Deh Bala und Chaparhar) ist sie stärker vertreten als die Taliban. Die Taliban kontrollieren große Teile von vier Distrikten (Sherzad, , Hesarak und Surkhrod). Die übrigen Gebiete werden von den pakistanischen Gruppen Lashkar-e Islam, Tehrik-e Taleban Pakistan und Jabhat ul-Ahrar kontrolliert. Die zivilen Verwaltungen in den Distrikten Sherzad und Hesarak haben ihren Sitz in der Provinzhauptstadt Jalalabad, und die Sicherheitskräfte in diesen Distrikten verbleiben weitgehend in den Distriktzentren und den nahegelegenen Dörfern (AAN 01.03.2020). Während die afghanischen Streitkräfte zuvor nur für kurze Zeit Gebiete vom ISKP räumen konnten, ist es nach November 2019 gelungen, diese Gebiete zu halten und die Rückkehr von ISKP-Kämpfern zu verhindern (UNSC 27.05.2020). Al Qaida ist in Nangarhar versteckt aktiv. Auch pakistanische Aufständischengruppierungen sind in Nangarhar unter der Schirmherrschaft der Taliban präsent (UNSC 27.05.2020). In den Distrikten Achin, Khogyani und Sherzad betreiben lokale Gemeinschaften Bürgerwehren. Sie erhalten militärische und logistische Unterstützung von der NDS und den USA und spielten eine wichtige Rolle im Kampf gegen den IS (AAN 01.03.2020). In Nangarhar sind militärische Spezialeinheiten, auch als counter-terrorism pursuit teams bezeichnet, aktiv. Sie werden inoffiziell von der US Central Intelligence Agency (CIA) ausgebildet und beaufsichtigt. Ihnen werden außergerichtliche Tötungen, Massenexekutionen und Folter vorgeworfen, die straflos bleiben. Die in Nangarhar aktive Einheit wird als NDS-02 bezeichnet (HRW 31.10.2019; vgl. WIIPA 21.08.2019). Auf Regierungsseite befindet sich Nangarhar im Verantwortungsbereich des 201. Afghan National Army (ANA) Corps, das der NATO-Mission Train Advise Assist Command - East (TAAC-E) untersteht, welche von US- amerikanischen und polnischen Streitkräften geleitet wird (USDOD 01.07.2020). Internationale Kräfte haben - 47 - sich aus Teilen Nangarhars im Mai 2020 zurückgezogen und die Verantwortung der AnA übergeben (ST 05.10.2020). Jüngste Entwicklungen und Auswirkungen auf die Zivilbevölkerung [...] Im Jahr 2019 dokumentierte UNAMA 1.070 zivile Opfer (356 Tote und 714 Verletzte) in der Provinz Nangarhar. Dies entspricht einem Rückgang von 41% gegenüber 2018. Die Hauptursachen dafür waren improvisierte Sprengkörper (improvised explosive devices, IEDs; ohne Selbstmordattentate), gefolgt von Kämpfen am Boden und Selbstmordangriffen (UNAMA 2.2020). Nachdem im November 2019 von der Regierung die Zerschlagung des ISKP erklärt wurde, hat die Nationalarmee die Kontrolle über die Distrikte Spin Ghar, Achin, Haska Mina und Shinwari übernommen. Gemäß Angaben von Bewohnern hat sich die Sicherheitslage in diesen Distrikten deutlich verbessert (ST 05.10.2020; vgl. NAT 21.11.2019, Obs 03.12.2019). Berichte aus dem Distrikt Achin besagen, dass nach der Räumung vom ISKP die Infrastruktur weitgehend zerstört war und Gefahr durch Minen und Kampfmittelrückstände bestand (NAT 21.11.2019; vgl. Obs 12.2019). Nach der Räumung des Distriktes Khogyani vom ISKP durch die Taliban wurden die Gesundheitseinrichtungen wieder geöffnet (PM 23.12.2019). Im Jahr 2020 wird die Sicherheitslage in Nangarhar weiterhin als volatil bezeichnet (UNOCHA 04.11.2020, UNOCHA 02.09.2020, UNOCHA 24.06.2020, KN 10.06.2020). In Jalalabad führen die Sicherheitskräfte Operationen gegen Schläferzellen des IS durch (UNSC 27.05.2020). Angriffe in der Stadt Jalalabad, die oftmals dem IS zugeschrieben werden (ACLED 18.08.2020; vgl. RTL 05.08.2020, UNSC 05.08.2020), zeigen, dass die Gruppe immer noch in der Lage ist, komplexe Angriffe durchzuführen (ACLED 18.08.2020; vgl. UNSC 27.05.2020). Im Oktober 2020 wird von Kämpfen in den Distrikten Sherzad und Khogyani berichtet (UNOCHA 04.11.2020), UNOCHA 22.10.2020). Es kommt staatlicherseits zu Luftangriffen gegen die Taliban (ACLED 28.10.2020, PI 15.02.2020) und zu bewaffneten Zusammenstößen zwischen Sicherheitskräften und Taliban (PAJ 06.10.2020, AJ 03.10.2020, MENAFN 18.09.2020, AT 07.07.2020). Aufständische führen Angriffe auf zivile Ziele durch (BW 03.09.2020, TN 14.06.2020, NDTV 12.05.2020). [...] 5.23 Nimroz Letzte Änderung: 16.12.2020 Die Provinz Nimroz [alternative Schreibweise: Nimruz] liegt im Südwesten Afghanistans, an der Grenze zu Iran und Pakistan (PAJ Nimroz o.D.). Die Provinz grenzt im Norden an Farah, im Osten an Helmand, im Süden an Pakistan (Provinz Belutschistan) und im Westen an Iran (Provinz Sistan und Belutschistan) (NPS Nimroz o.D.; vgl. UNOCHA Nimroz 4.2014). Die Provinzhauptstadt ist Zaranj (NPS Nimroz o.D.; vgl. AREU 9.2020). Nimroz ist in die folgenden Distrikte unterteilt: Asl-e-Chakhansur, Char Burjak, Kang, Khashrod und Zaranj (NSIA 01.06.2020; vgl. UNOCHA Nimroz 4.2014, NPS Nimroz o.D., IEC Nimroz 2019). Dularam ist ein „temporärer Distrikt“ (NSIA 01.06.2020). NSIA schätzt die Bevölkerung in Nimroz im Zeitraum 2020/21 auf 183.554 Personen (NSIA 01.06.2020). Die ethnische Gruppe der Belutschen stellt mit 61% die Bevölkerungsmehrheit, 27% der Bevölkerung sind Paschtunen (PAJ Nimroz o.D.; vgl. AREU 9.2020). Weitere ethnische Gruppen in Nimroz sind Tadschiken (PAJ Nimroz o.D.; vgl. AREU 9.2020), Brahui (AREU 9.2020) und Usbeken (NPS Nimroz o.D.). Die Topographie der Provinz besteht aus flachem und meist wüstenartigem Gelände (NPS Nimroz o.D.; vgl. AREU 9.2020). Die Bevölkerung konzentriert sich vorwiegend rund um die Provinzhauptstadt Zaranj (AREU 9.2020). Nimroz ist Stand Juni 2020 immer noch von den Auswirkungen der Dürre und Überschwemmungen der Jahre 2018 und 2019 betroffen (IFRC 12.06.2020; vgl. AREU 9.2020). Der Bau des Staudammes Kamal- Khan am Fluss Helmand im Distrikt Chahar Burjak befinden sich in der Endphase. Das Projekt soll Strom erzeugen, die Bewässerung gewährleisten und gleichzeitig vor Überschwemmungen schützen (TN 07.09.2020; vgl. AN 07.01.2020). Die Ring Road (Highway One) berührt die Provinz Nimroz im Distrikt Delaram (MoPW 16.10.2015; vgl. UNOCHA Nimroz 4.2014). Eine ca. 215 km lange, von Indien ausgebaute Straße, verbindet die Ring Road bei Delaram mit dem Grenzübergang zu Iran bei Zaranj (Stadt) (MoPW 16.10.2015; vgl. UT 12.07.2020). Die Straßenverbindung ist für Warenbewegungen über den iranischen Hafen Chabahar bedeutsam (UT 12.07.2020). Diese Straße führt durch die Distrikte Khashrod, Chakhansur und Zaranj (UNOCHA Nimroz 4.2014). In Zaranj befindet sich ein Flughafen, der mit Stand November 2020 von Kam Air zwei Mal wöchentlich aus Kabul im Linienbetrieb für Passagiere angeflogen wird (KMF 10.11.2020; vgl. F24 10.11.2020). Die für 2019 geplante Fertigstellung der Gaspipeline Turkmenistan-Afghanistan-Pakistan-Indien (TAPI), von der ein Teilstück durch Nimroz führt, verzögert sich (MENAFN 01.09.2020). Es wurde eine Spezialeinheit abgestellt, um für die Sicherheit des Baues zu sorgen (XI 21.10.2019; vgl. HoA 22.10.2019). Die Provinzhauptstadt Zaranj hat sich in den letzten Jahren zu einem wichtigen internationalen Handelsknotenpunkt entwickelt Gleichzeitig haben auch die illegalen kommerziellen Aktivitäten in der Provinz zugenommen. Die politische und wirtschaftliche Situation in Nimroz wird von den angrenzenden Staaten Pakistan und Iran beeinflusst (TN 25.09.2020; vgl. AREU 9.2020, JHS 23.10.2019). Drogen aus den östlichen und - 48 - nördlichen Provinzen werden über Nimroz nach Iran und Pakistan, sowohl über offizielle als auch inoffizielle Grenzübertrittsstellen, geschmuggelt (UNODC 2.2020; vgl. AREU 9.2020, JHS 23.10.2019). Die Produktion von Methamphetamin ist in Nimroz ein bedeutender Wirtschaftszweig (UNSC 27.05.2020). Staatliche Dienstleistungen werden in der Provinz nur eingeschränkt erbracht (AREU 9.2020). Hintergrundinformationen zu Konflikt und Akteuren Nimroz hat eine niedrigere Gewaltrate verglichen mit anderen Provinzen Afghanistans, insbesondere den Provinzen im Süden und Südwesten des Landes (AREU 9.2020; vgl. JHS 23.10.2019). Zaranj gilt als relativ sichere Stadt (AREU 9.2020). Nur in den Distrikten Khashrod und Delaram kommt es zu sporadischen Aufständischenaktivitäten (JHS 23.10.2019). Al Qaida ist in der Provinz Nimroz verdeckt aktiv (UNSC 27.05.2020; vgl. VOA 10.11.2020) und kooperiert mit den Taliban gegen die staatlichen Kräfte (ST 06.08.2020; vgl. UNSC 27.05.2020). Allerdings kam es im Oktober 2020 zu einem Anstieg der Gewalt, was unter anderem damit erklärt wird, dass die Taliban in der Nachbarprovinz Helmand besiegt wurden und nun in Nimroz Angriffe durchführen (KN 10.2020). Es kommt in der Provinz außerdem zu Gewaltverbrechen im Zusammenhang mit Menschen- und Drogenhandel sowie zu Beschaffungskriminalität durch Drogenabhängige (JHS 23.10.2020). Im Bereich des Dreiländerecks Afghanistan-Iran-Pakistan bei Charburjak besteht die Gefahr von Raubüberfällen. Außerdem ist dort eine große Zahl afghanischer Sicherheitskräfte zum Schutz der Baustelle des Kama-Khan-Staudamms präsent (AREU 9.2020). Auf Regierungsseite befindet sich Nimroz im Verantwortungsbereich des 215. Afghan National Army (ANA) Corps, das der NATO-Mission Task Force Southwest untersteht, welche von US-amerikanischen Streitkräften geleitet wird (USDOD 01.07.2020). Jüngste Entwicklungen und Auswirkungen auf die Zivilbevölkerung [...] Im Jahr 2019 dokumentierte UNAMA 62 zivile Opfer (30 Tote und 32 Verletzte) in der Provinz Nimroz. Dies entspricht einem Rückgang von 24% gegenüber 2018. Die Hauptursachen dafür waren Luftangriffe, gefolgt von Kämpfen am Boden, nicht detonierte Kampfmittel (unexploded ordnance, UXO) und Landminen (UNAMA 2.2020). In der Provinz kommt es zu Operationen durch die afghanischen Sicherheitskräfte, bei denen Aufständische getötet (AT 18.01.2020) bzw. Drogenschmuggler verhaftet werden (MENAFN 18.10.2020, AT 08.06.2020). Es kommt zu bewaffneten Zusammenstößen zwischen Aufständischen und Regierungskräften (KP 24.10.2020, TN 23.10.2020, TN 20.10.2020, UNOCHA 04.12.2019). [...] 5.24 Nuristan Letzte Änderung: 16.12.2020 Nuristan [alternative Schreibweise: Nooristan] liegt im Osten Afghanistans, an der afghanisch-pakistanischen Grenze. Die Provinz grenzt im Norden an Badakhshan, im Osten an Pakistan, im Süden an Kunar und Laghman und im Westen an Panjshir (NPS Nuristan o.D.; vgl. UNOCHA Nuristan 4.2014). Die Provinzhauptstadt von Nuristan ist Paroon [, Poruns]. Die Provinz ist in die folgenden Distrikte unterteilt: Bargi Matal, Duab, Kamdesh, Mandol, Noor Gram, Paroon, Wama und Waygal (NSIA 01.06.2020; vgl. UNOCHA Nuristan 4.2014, OPr Nuristan 01.02.2017, IEC Nuristan 2019, AAN 17.11.2018). Nuristan ist gebirgig und eine der ärmsten Provinzen Afghanistans (XI 17.10.2020). Die Provinz gliedert sich in drei schwer erreichbare Täler: das Alingar-Tal im Westen, das Pech-Tal im Zentrum und das Landay Sin-Tal im Osten. (AAN 17.11.2018). Die Einrichtung eines Nationalparks wurde von der Bevölkerung unterstützt. So soll der Tourismus und die regionale Wirtschaft entwickelt werden (TN 09.06.2020; vgl. XI 17.10.2020). Außerdem soll das Einkommen der Landwirte durch den Anbau und Export von Pinienkernen nach China aufgebessert werden (XI 17.10.2020). Die National Statistics and Information Authority ofAfghanistan (NSIA) schätzt die Bevölkerung in Nuristan im Zeitraum 2020-21 auf 163.814 Personen (NSIA 01.06.2020).; diese besteht hauptsächlich aus Nuristani, gefolgt von Pashai, Paschtunen, Gujars und Tadschiken (NPS Nuristan o.D.; vgl. PAJ Nuristan o.D.). Obwohl das Volk der Nuristani vorwiegend als eine einzige ethnische Gruppe betrachtet wird, umfasst es de facto zahlreiche ethnische und subethnische Gemeinschaften, die verschiedene indo-europäische Sprachen sprechen, die manchmal unter dem Zweig der dardischen Sprachen zusammengefasst sind (AAN 17.11.2018; vgl. OI 25.05.2020). Die Straßen werden in der Regel mit kleineren Fahrzeugen (Pick-Ups) befahren. Die Straßenbeschaffenheit macht diese aufgrund der Witterungsbedingungen in den Wintermonaten (Dezember - Februar) anfällig für Überschwemmungen, Steinschläge und Schnee; die Straßen sind daher nicht durchgehend befahrbar (DLCA 24.04.2019). Von der 108 km langen Straße, die Asadabad, die Provinzhauptstadt von Kunar, mit Parun verbindet, sind 61 km unbefestigt. Die Asphaltierung von 21 km dieser Straße von Parun aus soll in drei Jahren; die der gesamten Straße innerhalb von fünf Jahren abgeschlossen sein. Gemäß Angaben der Provinzregierung vom August 2020 ist diese Straßenverbindung nun sicher (ST 05.08.2020). Hintergrundinformationen zu Konflikt und Akteuren - 49 -

Nuristan wurde 2019 als relativ volatile Provinz (KP 11.06.2019) und als Hochburg des Islamischen Staates bezeichnet (UNSC 01.02.2019). Im Mai 2020 wird von einer möglichen Präsenz des Islamischen Staates in Nuristan (RFE/RL 31.05.2020) und von verstärkten Aktivitäten der Taliban im Grenzgebiet zu Pakistan berichtet (TN 11.05.2020). Im Juni 2020 wird berichtet, dass pakistanische Terrorgruppierungen in Nuristan unter der Schirmherrschaft der Taliban aktiv seien (OI 02.06.2020; vgl. BN 26.08.2020, HAT 16.04.2020). Gemäß Angaben der Provinzregierung vom August 2020 hat sich die Sicherheitslage in der Provinz im Vergleich zu den Vorjahren deutlich verbessert (ST 05.08.2020). In Nuristan gibt es keine Einheiten der Afghan Local Police (ALP). Nuristan will jedoch im Zusammenhang mit der Einrichtung des Nationalparks ehemalige ALP-Kräfte aus den Nachbarprovinzen in eine Umweltpolizei rekrutieren. So soll illegale Abholzung und Wilderei eingedämmt werden (ST 22.10.2020). Auf Regierungsseite befindet sich Nuristan im Verantwortungsbereich des 201. Afghan National Army (ANA) Corps, das der NATO-Mission Train, Advise, and Assist Command - East (TAAC-E) untersteht, welche von US- amerikanischen und polnischen Streitkräften geleitet wird (USDOD 01.07.2020). Jüngste Entwicklungen und Auswirkungen auf die Zivilbevölkerung [...] Im Jahr 2019 dokumentierte UNAMA 22 zivile Opfer (8 Tote und 14 Verletzte) in der Provinz Nuristan. Dies entspricht einem Rückgang von 8% gegenüber 2018. Die Hauptursachen für die Opfer waren Kämpfe am Boden, gefolgt von gezielten Tötungen und improvisierten Sprengkörpern (improvised explosive devices, IEDs; ohne Selbstmordattentate) (UNAMA 2.2020). Es kommt zu Sicherheitsoperationen gegen pakistanische bewaffnete Gruppierungen nahe der Staatsgrenze (BN 26.08.2020). Bei grenzüberschreitendem Beschuss durch das pakistanische Militär kommen in Nuristan immer wieder Zivilisten zu Schaden (TN 18.07.2020). Im Juni 2020 gab es in der Provinz Kabul ein misslungenes Attentat auf den Provinzgouverneur von Nuristan (AN 21.06.2020). [...] 5.25 Paktia Letzte Änderung: 16.12.2020 Die Provinz Paktia [alternative, weniger gebräuchliche Schreibweisen: Paktya, Paktiya] befindet sich im Osten Afghanistans (NPS Paktia o.D.) und grenzt an Logar im Norden, Pakistan im Osten, Khost im Südosten, Paktika im Süden und Ghazni im Westen (UNOCHA Paktia 4.2014). Die Provinz ist in die folgenden Distrikte unterteilt: Ahmadaba, Jaji, Dand Patan, der Provinzhauptstadt Gardez, Jani Khel, Laja Ahmad Khel (oder Laja Mangel), Samkani (auch Chamkani, Tsamkani), Sayyid Karam (oder Mirzaka), Shwak, WuzaZadran und Zurmat (NSIA 01.06.2020; vgl. IEC Paktia 2019, UNOCHA Paktia 4.2014, NPS Paktiao.D., PAJ Paktia o.D.). Weiters gibt es vier temporäre Distrikte: Laja Mangel, Mirzaka, Garda Siray, Rohany Baba (NSIA 01.06.2020; vgl. IEC Paktia 2019). Die National Statistics and Information Authority of Afghanistan (NSIA) schätzt die Bevölkerung in der Provinz Paktia im Zeitraum 2020/21 auf 611.952 Personen (NSIA 01.06.2020). Die Bevölkerung besteht hauptsächlich aus Paschtunen, gefolgt von Tadschiken (NPS Paktia o.D.; vgl. OPr Paktia 01.02.2017). Eine kleine schiitische Gruppe namens Sadat (Singular: Sayyed) lebt in Khwajah Hassan, nordöstlich der Provinzhauptstadt, größtenteils konfliktfrei neben den sunnitischen (tadschikischen und paschtunischen) Gemeinschaften (AAN 18.08.2020) Eine befestigte Straße (USAID 07.05.2019) verbindet Kabul über die Provinz Logar mit der Provinzhauptstadt Gardez (MoPW 16.10.2015; vgl. TN 07.07.2020) und führt weiter durch die Distrikte Shawak und Zadran in die Provinz Khost nach Ghulam Khan an der afghanisch-pakistanischen Grenze (MoPW 16.10.2015; vgl. PAJ 21.08.2019, USAID 7.5.2019). Insbesondere entlang des Teilstückes durch die Provinz Logar gibt es eine starke Taliban-Präsenz (AAN 18.07.2020; vgl. SATP 16.07.2020). Die ebenso asphaltierte Straße Ghazni-Gardez (JIA/AADA 12.2019; vgl. MoPW 16.10.2015) wird seit der Frühjahrsoffensive 2019 von den Taliban blockiert und der gesamte Verkehr über eine ungepflasterte Straße durch Sultanbagh umgeleitet (JIA/AADA 12.2019; vgl. PAJ 03.11.2019). Hintergrundinformationen zu Konflikt und Akteuren Nach der Räumung der US-Militärbasis im März 2020 hat sich der Einflussbereich der Taliban in der Provinz vergrößert. Es kommt vermehrt zu gezielten Tötungen (WP 10.10.2020). Im Laufe des Sommers 2020 hat sich die Sicherheitslage in Paktia verschlechtert. Die Taliban haben ihre Angriffe verstärkt und mehrere lokale Verbindungsstraßen gesperrt (PAJ 01.10.2020). Jedoch ist die Provinz nicht stark umkämpft; es kommt zu kleinmaßstäbigen Angriffen, und die Taliban versuchen nicht, städtische Gebiete zu erobern, sondern konsolidieren ihre Herrschaft in bereits zuvor kontrollierten Gebieten (WP 10.10.2020). In der Provinz Paktia hat das Haqqani-Netzwerk eine starke Präsenz (LWJ 23.06.2019; vgl. TSG 29.05.2020, AnA 29.05.2020), der Distrikt Dand-e-Pathan gilt als Hochburg der Haqqanis (AnA 29.05.2020). Al-Qaida ist in ländlichen Gebieten der Provinz, unter anderem im Distrikt Jaji, präsent (ST 16.07.2020; vgl. LWJ 23.06.2019, CT 22.10.2019). Ebenfalls eine kleine Präsenz in der Provinz haben Jaish-e-Mohammad (JeM) (EFSAS 10.04.2020; vgl. BW 25.06.2020). Der Islamische Staat (ISKP) versuchte im ersten Halbjahr 2019 erfolglos, die Provinzen Paktia und Logar einzunehmen (UNSC 31.07.2019). - 50 -

Die Spezialeinheit Khost Protection Force (KPF) ist für die Zentralregierung tätig (AAN 17.08.2019). Die KPF wird vom US-amerikanischen Nachrichtendienst CIA unterstützt und ist gegenüber der Provinzregierung nicht rechenschaftspflichtig. Der KPF werden Menschenrechtsverletzungen wie außergerichtliche Tötungen, Folter und willkürliche Verhaftungen vorgeworfen (AAN 21.01.2019; vgl. TRT 20.11.2019, WOZ 07.11.2019, TRT 08.05.2019). Auf Regierungsseite befindet sich Paktia im Verantwortungsbereich des 203. Afghan National Army (ANA) Corps (USDOD 01.07.2020; vgl. WP 10.10.2020), das der Task Force Southeast angehört, die von US-Truppen geleitet wird (USDOD 01.07.2020). Im Zusammenhang mit dem Abkommen zwischen den USA und den Taliban wurde die US-Militärbasis bei Gardez im März 2020 geräumt (WP 10.10.2020). Jüngste Entwicklungen und Auswirkungen auf die Zivilbevölkerung [...] Im Jahr 2019 dokumentierte UNAMA 218 zivile Opfer (78 Tote und 140 Verletzte) in der Provinz Paktia. Dies entspricht einem Rückgang von 49% gegenüber 2018. Die Hauptursachen für die Opfer waren Kämpfe am Boden, gefolgt von gezielten Tötungen und Suchoperationen (UNAMA 2.2020). In der Provinz kommt es zu Sicherheitsoperationen (PAJ 11.02.2020, PAJ 30.01.2020, BN 25.08.2019) und Luftschlägen durch afghanische und ausländische Sicherheitskräfte (BN 10.10.2020), Qantara 05.06.2020, PAJ 12.11.2019). Bewaffnete Zusammenstöße zwischen Aufständischen und Sicherheitskräften finden statt (Garda 02.11.2020, AnA 29.05.2020, XI 16.05.2020). [...] 5.26 Paktika Letzte Änderung: 16.12.2020 Die Provinz Paktika liegt im Osten Afghanistans und grenzt im Nordwesten an Ghazni, im Norden an Paktia und Khost, im Osten an die pakistanische Provinz Khyber Pakhtunkhwa (Nord- und Süd-Wasiristan), im Süden an die pakistanische Provinz Belutschistan und im Südwesten an Zabul (UNOCHA Paktika 4.2014; vgl. NPS Paktika o.D.). Die Provinzhauptstadt ist Sharan/Sharana. Die Provinz ist in die folgenden Distrikte unterteilt: Barmal, Dila Wa Khushamand, Gomal, Giyan, Jani Khel, Mata Khan, Nika (Naka), Omna, Surobi, Sar Rawzah, Sharan, Turwo, Urgoon, Wazakhwah, Wormamay, Yahya Khel, Yosuf Khel, Zarghun Shahr (auch Khairkot) und Ziruk (NSIA 01.06.2020; vgl. IEC Paktika 2019, UNOCHA Paktika 4.2014, NPS Paktika o.D, PAJ Paktika o.D.). Gemäß Angaben auf der offiziellen Website des Büros des afghanischen Präsidenten verfügt die Provinz auch über die folgenden vier nicht offiziellen Distrikte: Shakeen, Bak Khil, Charbaran und Shakhil Abad (OPr Paktika 01.02.2018). Die National Statistics and Information Authority of Afghanistan (NSIA) schätzt die Bevölkerung in Paktika im Zeitraum 2020/21 auf 775.498 Personen (NSIA 01.06.2020). Die Bevölkerung besteht hauptsächlich aus Paschtunen mit einer tadschikischen Minderheit in den Städten Sharan und Urgoon (AAN 13.11.2018; vgl. PAJ Paktika o.D.). Eine befestigte Straße verbindet die Provinzen Ghazni und Paktika (JII/AADA 12.2019; vgl. MoPW 16.10.2015, ON 21.20.2020) und führt zur afghanisch-pakistanischen Grenze zum Grenzübergang AngoorAda (MoPW 16.10.2015; vgl. TNN 11.7.2020). Obwohl 25 km des Highways zur pakistanischen Grenze noch nicht fertiggestellt sind, wird die Straße als bedeutsame Handelsroute gesehen (MENAFN 14.09.2020). Immer wieder kommt es durch die Taliban zu temporären Sperren und sicherheitsrelevanten Vorfällen auf den Straßen der Provinz (JII/AADA 12.2019; vgl. ON 21.10.2020). Hintergrundinformationen zu Konflikt und Akteuren Die Provinz Paktika zählt zu einer Hochburg des Haqqani-Netzwerks (ASP 9.2020; vgl. TSG 24.05.2020, FE 08.06.2020, Hill 11.06.2020, LWJ 08.04.2020). Ein guter Teil der Provinz steht auch unter Kontrolle der Taliban (USIP 11.2019). Mit Hilfe der Taliban will Al-Qaida ihre Präsenz im Distrikt Barmal verstärken und arbeitet weiterhin eng mit Lashkar-e-Taiba und dem Haqqani- Netzwerk zusammen (ZM 21.02.2020; vgl. LWJ 17.06.2020). Die Khost Protection Force und die 2019 in Paktika neu entstandenen „Shaheen Forces“ sind regierungsfreundliche bewaffnete Gruppierungen, die in der Provinz Paktika aktiv sind. Diese Gruppen unterstehen nicht der Regierung, und es wurde berichtet, dass Missbrauchshandlungen, etwa gezielte Tötungen von Zivilisten, ungestraft bleiben und sie Hilfe von ausländischen Geheimdiensten erhalten (UNAMA 2.2020). Auf Regierungsseite befindet sich Paktika im Verantwortungsbereich des 203. AnA Corps, das der NATO- Mission Task Force Southeast fällt, die von US-amerikanischen Streitkräften geleitet wird (USDOD 01.07.2020). Jüngste Entwicklungen und Auswirkungen auf die Zivilbevölkerung [...] Im Jahr 2019 dokumentierte UNAMA 168 zivile Opfer (128 Tote und 40 Verletzte) in der Provinz Paktika. Dies entspricht einer Steigerung von 11% gegenüber 2018. Die Hauptursachen für die Opfer waren Suchoperationen, gefolgt von improvisierten Sprengkörpern (improvised explosive devices, IEDs; ohne Selbstmordattentate) und Luftangriffen (UNAMA 2.2020). - 51 -

Gegen Aufständische werden durch die afghanischen Sicherheitskräfte in der Provinz Sicherheitsoperationen (KP 19.05.2020; vgl. AN 16.05.2020, PAJ 19.12.2019, AT 30.11.2019) und Luftschläge durchgeführt (XI 20.01.2020; vgl. AT 22.12.2019, MENAFN 17.12.2019), und es kommt zu bewaffneten Zusammenstößen zwischen Aufständischen und Sicherheitskräften (TRT 25.9.2020; vgl. ARN 24.9.2020, HT 19.6.2020). [...] 5.27 Panjsher Letzte Änderung: 16.12.2020 Die Provinz Panjsher (auch Panjshir) liegt im Zentrum Afghanistans und grenzt im Norden an die Provinzen Baghlan und Takhar, im Nordosten an Badakhshan, im Osten an Nuristan, im Süden an Laghman und Kapisa und im Westen an Parwan (NPS Panjsher o.D.; vgl. UNODC/MCN 11.2018). Panjshir wurde 2004 von der Provinz Parwan als eigene Provinz ausgegliedert (AoN 8.2020). Die Provinzhauptstadt von Panjsher ist Bazarak. Die Provinz ist in folgende Distrikte unterteilt: Bazarak, Darah (auch Hes-e-Duwumi), Hissa-e-Awal (auch Khinj), Unaba (auch Ana- wa), Paryan, Rukha und Shutul (NSIA 01.06.2020; vgl. IEC Panjsher 2019, UNOCHA Panjsher 4.2014, PAJ Panjsher o.D., NPS Panjsher o.D.). sowie einen temporären Distrikt Ab Shar (NSIA 01.06.2020; vgl. IEC Panjsher 2019). Die National Statistics and Information Authority of Afghanistan (NSIA) schätzt die Bevölkerung in Panjsher im Zeitraum 2020/21 auf 169.962 Personen (NSIA 01.06.2020). Die Mehrheit der Bevölkerung gehört der ethnischen Gruppe der Tadschiken an (NYT 28.09.2020; vgl. AoN 8.2020). Weitere ethnische Gruppen wohnhaft in der Provinz sind Hazara, Pashai, Nuristani und Ghilzai-Paschtunen (NPS Panjsher o.D.; vgl. PAJ Panjsher o.D.). Die Provinz wird von hohen Bergen abgegrenzt und ist eine der unzugänglichsten Provinzen Afghanistans (AoN 8.2020). Von der Hauptstraße Kabul-Mazar e Sharif zweigt bei Jabulussaraj, Provinz Parwan, eine Straße nach Nordosten ab, die in die Provinz Panjsher führt. An der Provinzgrenze werden bei einem Polizeikontrollpunkt die Dokumente der Reisenden kontrolliert (AoN 8.2020). Die Entfernung zwischen Kabul und Bazarak beträgt 150 Kilometer (TS 4.3.2015). Ein Taxi von Kabul kostet ca. 45 US-Dollar (AoN 8.2020). Hintergrundinformationen zu Konflikt und Akteuren Die Provinz Panjsher führte den Widerstand gegen die Sowjetunion und gegen den TalibanAufstand in den 1980er- und 1990er-Jahren an. Die Provinz ist die Heimat des Tadschiken Ahmad Shah Massoud, des „Löwen von Panjsher“, der gegen die Sowjets kämpfte und die Nordallianz gegen die Taliban anführte (NYT 28.09.2020; vgl. AoN 8.2020). Viele Panjsheri sind über die Bemühungen der Regierung, mit den Taliban Frieden zu schließen, empört. Einige Fraktionen rufen offen zur Neugründung der Nordallianz auf, und es gibt Befürchtungen, dass die Provinz auf bewaffnetem Wege versuchen könnte, mehr Autonomie gegen den Zentralstaat zu erzwingen (NYT 28.09.2020). Viele Panjshiri haben wenig Vertrauen in die Zentralregierung und fühlen sich durch die Regierung in Kabul nicht vertreten (NYT 28.09.2020). Dennoch sind Panjsheri als Mitglieder der afghanischen politischen und militärischen Elite gut vertreten (NYT 28.09.2020; vgl. Reuters 20.01.2019, PAJ Panjsher o.D.). Die Provinz Panjsher gilt als relativ friedlich und sicher (LWJ 04.08.2019; vgl. AoN 8.2020, VOA 08.09.2020), PLM 28.09.2020). Die afghanischen Sicherheitskräfte und Bürgerwehren sind besonders aufmerksam im Distrikt Paryan, um diesen bei Bedarf bei Angriffen der Taliban aus der benachbarten Provinz Badachschan zu verteidigen (TN 02.08.2019; vgl. LWJ 04.08.2019). Auf Regierungsseite befindet sich die Provinz Panjsher im Verantwortungsbereich des 201. AnA Corps, das der NATO-Mission Task Force East untersteht, die von US-amerikanischen und polnischen Streitkräften geleitet wird (USDOD 01.07.2020). Jüngste Entwicklungen und Auswirkungen auf die Zivilbevölkerung [...] Im Jahr 2019 dokumentierte UNAMA, wie bereits im Jahr davor, keine zivilen Opfer in der Provinz Panjsher (UNAMA 22.02.2020, 24.02.2019). Erstmals im nun zwei Jahrzehnte dauernden Konflikts in Afghanistan kam es im September 2020 zu zwei Angriffen der Taliban in Panjsher (VOA 08.09.2020, AVA 08.09.2020; KP 22.09.2020, PLM 28.09.2020). Die Angriffe in den Distrikten Ab Shar (VOA 08.09.2020; vgl. AVA 08.09.2020) und Unaba (KP 22.09.2020; vgl. PLM 28.09.2020) wurden aufgrund des gemeinsamen bewaffneten Widerstandes der Bevölkerung und der Sicherheitskräfte abgewehrt (VOA 08.09.2020, AVA 08.09.2020; KP 22.09.2020, PLM 28.09.2020). Beim Vorfall in Ab Shar wurden kurzzeitig Bewohner als Geiseln genommen (VOA 08.09.2020; vgl. RIA 08.09.2020). [...] 5.28 Parwan Letzte Änderung: 16.12.2020 Parwan liegt im zentralen Teil Afghanistans. Die Provinz grenzt an Baghlan im Norden, Panjshir und Kapisa im Osten, Kabul und Wardak im Süden und Südosten und Bamyan im Westen (NPS Parwan o.D.; vgl. UNOCHA Parwan 4.2014). Die Provinz ist in die folgenden Distrikte unterteilt: Bagram, der Provinzhauptstadt Charikar, Syahgird (oder Ghurband), Jabulussaraj, Koh-e-Safi, Salang, Sayyid Khel, Shaykh Ali, Shinwari und Surkhi Parsa (NSIA 01.06.2020; vgl. UNOCHA Parwan 4.2014, OPr Parwan 01.02.2017, IEC Parwan 2019). Die National Statistics and Information Authority of Afghanistan (NSIA) schätzt die Bevölkerung in Parwan im Zeitraum - 52 -

2020/21 auf 737.700 Personen (NSIA 01.06.2020). Ethnische Gruppen in der Provinz umfassen Paschtunen, Tadschiken, Usbeken, Qizilbash, Kutschi und Hazara (NPS o.D.pw). Die Zahl der Dari-Sprecher ist etwa 2,5 mal höher als die der Paschtu-Sprecher. Die Population der Kutschi- Nomaden beträgt ca. 30.000 im Winter und ca. 2 1 120.000 im Sommer. Von den Kutschi in Parwan sind /3 Kurzstreckennomaden und /3 Fernwanderer (MoF/ADB 7.2019). Ein Abschnitt der Ring Road (MoPW 16.10.2015; vgl ESCAP 08.08.2019) führt durch die Distrikte Charikar, Jabulussaraj und Salang (UNOCHA 4.2014pw). Der auf dieser Strecke liegende 2,7 km lange Salang-Tunnel zwischen den Provinzen Parwan und Baghlan ist die einzige Straßenverbindung Kabuls mit Nordafghanistan (TN 15.09.2020; vgl. USAID 05.12.2019, DR o.D.). Die Zulaufstrecken sind in schlechtem Zustand und die Straßenerhaltungsarbeiten mangelhaft (Telegraph 10.06.2020; vgl. XI 17.09.2019, DR o.D.). Es kommt häufig zu Unfällen und zu Sperren aufgrund von Lawinenabgängen (DR o.D.; vgl. LCA 24.04.2019). Im Zuge des Trans- Hindukush Road Connectivity Project wird die Straße über den Salang-Pass mitsamt dem Tunnel bis 2022 renoviert werden (WB 4.2020). Eine weitere Hauptverbindungsstraße verbindet Parwan mit der Nachbarprovinz Bamyan und verläuft durch das Ghorband-Tal und die Distrikte Charikar, Jabalussaraj, Shinwari, Syahgird, Shaykh Ali zum Shibar-Pass (UNOCHA Parwan 4.2014; vgl. MoPW 16.10.2015, ESCAP 08.08.2019). Diese Straße ist asphaltiert und in gutem Zustand (OTWA 05.02.2020). Daran anschließend wird die derzeit unbefestigte, 152 km lange Sekundärstraße zwischen Baghlan und Bamyan (auch: B2B-Straße) asphaltiert (WB 4.2020; vgl. TN 15.09.2020) und als Ausweichroute für den Salang-Pass ausgebaut (TN 15.09.2020). Die Luftwaffenbasis Bagram, die größte NATO-Militärbasis in Afghanistan, befindet sich in der Provinz Parwan (LWJ 05.08.2018; vgl. NYT 12.01.2020, USDOD 01.07.2020). Vor 2014 resultierten 80% der Wirtschaftsleistung der Stadt Bagram aus der Luftwaffenbasis, und mehr als 3.000 lokale Arbeitnehmer waren dort beschäftigt. Aufgrund von Sicherheitsbedenken und der Reduktion der Truppenstärke wurden ab 2014 die meisten afghanischen Arbeiter durch ausländische Auftragnehmer ersetzt (NYT 12.01.2020). Hintergrundinformationen zu Konflikt und Akteuren Im Mai 2019 wurde die Provinz Parwan zu den relativ friedlichen Provinzen Afghanistans gezählt (KP 08.05.2019). Im Juni 2019 wurde berichtet, dass sich die Sicherheitslage in manchen Distrikten der Provinz in den vergangenen Jahren verschlechtert hätte (KP 12.06.2019). Für 2020 wird die Sicherheitslage in der Provinz Parwan als „nicht stabil“ bezeichnet (IFRC 08.09.2020). Aufständische, insbesondere Taliban, sind in den Distrikten Siya Gird, Shinwari, Koh e Safi und Bagram präsent (IFRC 08.09.2020). Die Präsenz der Taliban im Distrikt Koh-e-Safi wurde im Juli 2020 als zwar klein, jedoch wachsend angegeben (AAN 18.07.2020). Die Anwesenheit der Luftwaffenbasis Bagram hat gemäß Aussagen der lokalen Bevölkerung negative Auswirkungen auf die Sicherheitslage im Distrikt (NYT 12.01.2020). Es kommt zu Angriffen auf die Basis durch den Islamischen Staat (AJ 09.04.2020; vgl. USDOD 01.07.2020) und die Taliban (NYT 11.12.2019), und auch afghanische Arbeiter auf der Basis werden angegriffen (TN 17.04.2020). Auf Regierungsseite befindet sich die Provinz Parwan im Verantwortungsbereich des 201. AnA Corps, das der NATO-Mission Train Advise Assist Command - Ost (TAAC-E) untersteht, welches vorwiegend aus US- amerikanischen und polnischen Truppen besteht (USDOD 01.07.2020). Jüngste Entwicklungen und Auswirkungen auf die Zivilbevölkerung [...] Im Jahr 2019 dokumentierte UNAMA 246 zivile Opfer (65 Tote und 181 Verletzte) in der Provinz Parwan. Dies entspricht einer Steigerung von 500% gegenüber 2018. Die Hauptursachen für die Opfer waren Selbstmordangriffe, gefolgt von Kämpfen am Boden und Suchoperationen (UNAMA 2.2020). In der Provinz werden Sicherheitsoperationen (RY 04.07.2020, PAJ 28.04.2020, BN 04.02.2020) und Luftschläge durch die afghanischen Sicherheitskräfte durchgeführt (XI 30.06.2020). Auch kommt es immer wieder zu bewaffneten Zusammenstößen zwischen Aufständischen und afghanischen Streitkräften (TN 13.07.2020, ArN 29.05.2020). Es kommt zu Angriffen durch Aufständische auf Kontrollpunkte der Sicherheitskräfte entlang der Fernstraßen (IFRC 08.09.2020). [...] 5.29 Samangan Letzte Änderung: 16.12.2020 Die Provinz Samangan liegt im Norden des Landes und grenzt im Norden und Nordosten an Balkh, im Osten an Baghlan, im Süden an Bamyan und im Westen an Sar-e Pul (UNOCHA Samangan 4.2014). Die Provinzhauptstadt von Samangan ist Aybak (UNOCHA Samangan 4.2014; vgl. OPr Samangan 01.02.2017, NSIA 01.06.2019, IEC Samangan 2019, NSIA 01.07.2020); wird aber auch als [Stadt] Samangan bezeichnet (AAN 30.10.2019; vgl. NYTM 02.05.2019, WD 26.04.2020, ACCORD 09.04.2015, OSM 29.01.2020). Die Provinz ist in die folgenden Distrikte unterteilt: die Provinzhauptstadt Aybak, Dara-e-Soof-e-Payin [Unter-Dara-e-Soof], Dara-e-Soof-e-Bala [Ober- Dara-e-Soof], Feroz Nakhcheer, Hazrat-e-Sultan, Khuram Wa Sarbagh und Rui-Do-Ab (NSIA 01.06.2020; vgl. IEC Samangan 2019; UNOCHA Samangan 4.2014; OPr Samangan 01.02.2017). - 53 -

Die National Statistics and Information Authority of Afghanistan (NSIA) schätzt die Bevölkerung in der Provinz Samangan im Zeitraum 2020/21 auf 430.489 Personen (NSIA 01.06.2020). Ca. 65% der Bevölkerung sind Tadschiken und ca. 30% Usbeken. Weitere in der Provinz wohnhafte ethnische Gruppen sind Paschtunen, Hazara, Araber, Tataren (NPS Samangan o.D.) und Aimaq (OPr Samangan 01.02.2017). Der Abschnitt der Ring Road (Highway One) von Kabul nach Mazar-e Sharif ist asphaltiert (ACCORD 09.04.2015) und durchquert die Provinzhauptstadt Aybak (ACCORD 09.04.2015; vgl. UNOCHA Samangan 4.2014, MoPW 16.10.2015) sowie die Distrikte Khuram Wa Sarbagh und Hazrat-e-Sultan (UNOCHA Samangan 4.2014). Als Teil des Nord-Süd-Korridorprojekts wurde Stand Juli 2019 eine bestehende, 178,9 km lange Schlamm- und Schotterpiste zwischen Ya- kawlang (Provinz Bamyan) und Dara-i-Suf zu einer Hauptverkehrsstraße ausgebaut. Dies ist der letzte verbliebene, noch nicht fertiggestellte Abschnitt des Nord-Süd-Korridor-Straßenbauprojekts (NSCRP), das nach Fertigstellung als zusätzliche Verbindung zwischen Kabul und Mazar-e Sharif und auch als Ausweich- und Alternativroute für den Salang-Pass dienen wird (MoT 7.2019). Im Rahmen des Friedensabkommens zwischen den USA und den Taliban, das am 29.02.2020 in Doha unterzeichnet wurde, verpflichteten sich die Taliban, keine Angriffe auf die wichtigsten Fernstraßen durchzuführen. Im Juli 2020 kam es dennoch auf dem Straßenabschnitt Baghlan-Samangan zu massiven Angriffen der Taliban (TN 22.07.2020). Entlang der Straße, die Dara-e-Soof mit Mazar-e Sharif verbindet, erpressen Sicherheitskräfte und Taliban Geld von Durchreisenden (TN 20.12.2019, PAJ 09.12.2019), und es kommt zu Entführungen (PAJ 09.12.2019). Hintergrundinformationen zu Konflikt und Akteuren Seit Anfang 2016 meldet die Provinz vermehrt Terroranschläge, Angriffe der Taliban und Gefechte (AAN 30.10.2019). Eine Quelle zählte Samangan im April 2019 zu den volatilen Provinzen (XI 11.04.2019). Dennoch wird Samangan als sicherer betrachtet als die Nachbarprovinz Baghlan (AAN 30.10.2020; vgl. RFE/RL o.D.). Der Distrikt Dara-e Suf-e Payin wird größtenteils von den Taliban kontrolliert (AAN 30.10.2019). In diesem Distrikt versuchen die Taliban, Kohlebergwerke unter ihre Kontrolle zu bringen, und heben Steuern von der Bevölkerung ein (ST 14.04.2020; vgl. ST 18.12.2019). Bei Zusammenstößen zwischen den Taliban und Bürgerwehren kommt es zu Todesopfern auf beiden Seiten (ST 14.04.2020; vgl. Garda 08.04.2020). In den übrigen fünf Distrikten ist die Regierungspräsenz größer als die der Taliban (AAN 30.10.2019). Auf Regierungsseite befindet sich Samangan im Verantwortungsbereich des 209. ANA-Korps, das der NATO- Mission Train Advise Assist Command - North (TAAC-N) untersteht, welche von deutschen Streitkräften geleitet wird (USDOD 01.07.2020). Jüngste Entwicklungen und Auswirkungen auf die Zivilbevölkerung [...] Im Jahr 2019 dokumentierte UNAMA 45 zivile Opfer (11 Tote und 34 Verletzte) in der Provinz Samangan. Dies entspricht einem Rückgang von 2% gegenüber 2018. Die Hauptursachen für die Opfer waren Kämpfe am Boden, gefolgt von gezielten Tötungen und improvisierten Sprengkörpern (improvised explosive devices, IEDs; ohne Selbstmordattentate) (UNAMA 2.2020). In der Provinz werden Sicherheitsoperationen (z.B. ST 14.04.2020, BN 21.01.2020) und Luftschläge durchgeführt (z.B. KP 30.04.2020). Es kommt zu bewaffneten Zusammenstößen zwischen Aufständischen und Sicherheitskräften (z.B. XI 29.08.2020, KN 21.07.2020, National 14.07.2020, NYTM 30.04.2020). Unter anderem werden dabei auch Zivilisten getötet (z.B. KN 21.07.2020, ST 14.04.2020) oder entführt (HRW 30.06.2020). [...] 5.30 Sar-e Pul Letzte Änderung: 16.12.2020 Die Provinz Sar-e Pul befindet sich im Norden Afghanistans. Sie wurde 1988 als eigene Provinz von Jawzjan abgeteilt (PAJ Sar-e Pul o.D.). Sar-e Pul grenzt an die Provinzen Jawzjan im Norden, Balkh im Nordosten, Samangan im Osten, Bamyan und Ghor im Süden und Faryab im Westen (UNOCHASar-e Pul 4.2014). Die Provinz ist in die folgenden Distrikte unterteilt: Balkhab, Gosfandi, Kohistanat, Sancharak, der Provinzhauptstadt Sar-e-Pul, Sayyad und Sozma Qala (NSIA 01.06.2020; vgl. IEC Sar-e Pul 2019, UNOCHA Sar-e Pul 4.2014, OPr Sar-e Pul 01.02.2017). Die National Statistics and Information Authority of Afghanistan (NSIA) schätzt die Bevölkerung in Sar-e Pul im Zeitraum 2020/21 auf 621.002 Personen (NSIA 01.06.2020). Die Bevölkerung besteht hauptsächlich aus Usbeken (NPS Sar-e Pul o.D.; vgl. AAN 17.03.2017). Weitere ethnische Gruppen sind Hazara, Tadschiken, Paschtunen, Araber, Aimaq und Belutschen (OPr Sar-e Pul 01.02.2017). Ein ca. 51 km langer, asphaltierter National Highway verbindet die Provinzhauptstadt Sar-e- Pul mit dem nördlichen Teilstück der Ring Road (Mazar-e Sharif - Herat) bei Sheberghan, der Hauptstadt der Nachbarprovinz Jawzjan (FCC 2018; vgl. MoPW 16.10.2015; vgl. UNOCHA Sar-e Pul 4.2014). Auf dieser Stichstraße kommt es zu sicherheitsrelevanten Vorfällen wie z.B. Platzieren von Sprengfallen (BN 27.07.2020), oder Angriffen der Taliban (KN 06.06.2020, NYTM 02.01.2020). Die Taliban führen Angriffe auf Infrastruktureinrichtungen durch, z.B. auf Ölquellen in der Nähe der Stadt Sar-e Pul (ST 18.05.2020). Hintergrundinformationen zu Konflikt und Akteuren - 54 -

Neben den Taliban sind seit 2015 Kämpfer der Islamic Jihad Union (IJU; auch: Islamic Jihad Group, IJG) (AAN 07.09.2018; vgl. GS o.D.) und des Islamischen Staates in der Provinz aktiv (DP o.D.; vgl. Sputnik 22.11.2019, KN 23.10.2019). Die Taliban rekrutieren usbekische und andere nicht-paschtunische Kämpfer in der Provinz (AAN 17.03.2017). Ein schiitischer Hazara ist Taliban-Kommandant im Distrikt Balkhab (Hindu 09.05.2020). In der Provinz Sar-e Pul gibt es Stützpunkte und Ausbildungszentren für ausländische Extremisten (vor allem aus Zentralasien) und sogar Ausbildungszentren für weibliche Terroristinnen. Im Distrikt Kohistanat wird Sprengstoff für Selbstmordattentate industriell hergestellt (Sputnik 22.11.2019). Auf Regierungsseite befindet sich die Provinz Sar-e Pul im Verantwortungsbereich des 209. ANA-Korps (USDOD 01.07.2020; vgl. KP 04.08.2019), das der NATO-Mission Train Advise Assist Command-North (TAAC-N) untersteht, welches unter der Führung deutscher Streitkräfte steht (USDOD 01.07.2020). Jüngste Entwicklungen und Auswirkungen auf die Zivilbevölkerung [...] Im Jahr 2019 dokumentierte UNAMA217 zivile Opfer (48 Tote und 169 Verletzte) in der Provinz Sar-e Pul. Dies entspricht einer Steigerung von 115% gegenüber 2018. Die Hauptursachen für die Opfer waren Kämpfe am Boden, gefolgt von nicht explodierten Kampfmitteln (unexploded ordnance, UXO), Landminen und improvisierten Sprengkörpern (improvised explosive devices, IEDs; ohne Selbstmordattentate) (UNAMA 2.2020). Die Sicherheitslage in der Provinz Sar-e-Pul ist volatil (MENAFN 21.02.2020; vgl. AT 04.11.2019). In der Provinz kommt es zu Sicherheitsoperationen (BN 26.12.2019, KP 13.11.2019, RY 10.11.2019) und Luftschlägen durch die afghanischen Sicherheitskräfte (TN 28.06.2020, MENAFN 21.02.2020, KP 13.11.2019) bei denen Aufständische getötet werden (z.B TN 28.06.2020, MENAFN 21.02.2020, BN 26.12.2019, KP 13.11.2019, RY 10.11.2019). Auch kommt es zu bewaffneten Zusammenstößen oder Angriffen von Aufständischen gegen die afghanischen Sicherheitskräfte (PT 11.10.2020, AT 28.04.2020, RFE/RL 22.04.2020, KP 13.11.2019). Anfang Oktober 2020 haben in der Provinz Sar-e Pul 150 Taliban-Kämpfer die Waffen niedergelegt und sich dem Friedensprozess angeschlossen (ST 07.10.2020). [...] 5.31 Takhar Letzte Änderung: 16.12.2020 Die Provinz Takhar liegt im Nordosten Afghanistans (UNOCHA Takhar 4.2014; vgl. PAJ Takhar o.D.) und grenzt im Norden an Tadschikistan (UNOCHA Takhar 4.2014). Afghanistan kann die insgesamt 1344 km lange Staatsgrenze zu Tadschiklistan nur unzureichend sichern (A+ 05.03.2020; vgl. AsT 03.07.2020). Die Nachbarprovinzen sind im Osten Badakhshan, im Süden und Südwesten Panjshir und Baghlan und im Westen Kunduz (UNOCHA Takha 4.2014). Die Provinz ist in folgende Distrikte unterteilt: Baharak, Bangi, Chahab, Chal, Darqad, Dasht-e-Qala, Eshkamesh, Farkhar, Hazar Sumuch, Kalafgan, Khwaja Bahawuddin, Khwaja Ghar, NamakAb, Rustaq, der Provinzhauptstadt Taluqan (Taloqan), WarsAJ und Yangi Qala (IEC Takhar 2019; vgl. NSIA 01.06.2020, UNOCHA Takhar 4.2014, PAJ Takhar o.D.). Die National Statistics and Information Authority of Afghanistan (NSIA) schätzt die Bevölkerung in der Provinz Takhar im Zeitraum 2020/21 auf 1.093.092 Personen (NSIA 01.06.2020). Zwei Drittel der Bevölkerung sind Tadschiken und ein Viertel Usbeken (TakI 5.2020), weiters leben in der Provinz Paschtunen und Hazara (PAJ Takhar o.D.; vgl. NPS Takhar o.D., OPr Takhar 01.02.2017), Gujari, Paschai und Araber (OPr Takhar 01.02.2017). Eine Verbindungsstraße führt von Kunduz durch die Provinz Takhar (Distrikte Kalafgan, Taloqan und Bangi) nach Badakhshan (UNOCHA Takhar 4.2014; vgl. MoPW 16.10.2015). Die Taliban betreiben Kontrollpunkte entlang der Strecke (UNOCHA 29.04.2020, ST 06.08.2020, AAN 21.03.2020). Hintergrundinformationen zu Konflikt und Akteuren Takhar gehört zu den volatilen Provinzen in Afghanistan, in denen der Großteil der Distrikte zwischen Aufständischen und Regierungstruppen umkämpft ist (AJ 20.08.2020; vgl. AN 01.09.2020). Die Taliban heben in der Provinz Steuern von Landwirten und Wirtschaftstreibenden ein (RtP 10.11.2019; vgl. Sph 31.10.2019). Im September 2019 versuchten die Taliban, die Provinzhauptstadt Taloqan zu erobern (NO 9.2020) und haben die Kontrolle über die Distrikte Yangi Qala und Darqad erlangt (RFE/RL 10.09.2019; vgl. NO 9.2020). Im Oktober 2019 konnten die Sicherheitskräfte den Angriff auf Taloqan abwehren sowie die beiden Distrikte wieder zurückerobern (ST 15.10.2019, TO 25.10.2019). Die Drogenschmuggelroute von Afghanistan nach Tadschikistan verläuft durch die Distrikte Darqad und Khawaja Bahawuddin (RtP 10.11.2019; vgl. RY 09.06.2020, UNSC 27.05.2020). Neben den Taliban (RtP 10.11.2019; vgl. Sph 31.10.2019) sind auch die Jamaat Ansarullah Tajikistan im Drogenschmuggel aktiv (RY 09.06.2020; vgl. UNSC 27.05.2020). Grenzschutz, Regierungsbeamte und verarmte Menschen auf beiden Seiten der Grenze werden angeworben, um die Durchfuhr der Schmuggelware zu gewährleisten (RtP 10.11.2019; vgl. AsT 03.07.2020). Zellen des Islamischen Staates (Lenta 18.12.2019, VB 21.06.2020), der Islamic Jihad Union (IJU; auch Islamic Jihad Group, IJG) (CACA 03.06.2020; vgl. GS o.D.), des Islamic Movement of Uzbekistan (IMU) (UNSC - 55 -

27.05.2020) und der East Turkestan Islamic Movement (ETIM) sind in der Provinz Takhar präsent (UNSC 23.07.2020). Auf Regierungsseite befindet sich Faryab im Verantwortungsbereich des 209. ANA-Korps, das der NATO- Mission Train, Advise, and Assist Command - North (TAAC-N) untersteht, welche von deutschen Streitkräften geleitet wird (USDOD 01.07.2020). Jüngste Entwicklungen und Auswirkungen auf die Zivilbevölkerung [...] Für das Jahr 2019 dokumentierte UNAMA 192 zivile Opfer (60 Tote und 132 Verletzte) in der Provinz Takhar. Dies entspricht einer Steigerung von 70% gegenüber 2018. Die Hauptursachen für die Opfer waren Kämpfe am Boden, gefolgt von Luftangriffen und improvisierten Sprengkörpern (improvised explosive devices, IEDs; ohne Selbstmordattentate) (UNAMA 2.2020). In der Provinz werden regelmäßig Sicherheitsoperationen (AN 30.05.2020, AN 31.12.2019, BN 26.12.2019, TN 25.10.2019) und Luftschläge durchgeführt (XI 12.09.2020, AN 15.02.2020), bei denenAufständische (XI 12.09.2020, AN 15.02.2020,AN 31.12.2019, BN 23.12.2019, TN 25.10.2019) oder Kriminelle getötet werden (AN 30.05.2020). Immer wieder kommt es zu bewaffneten Zusammenstößen zwischen Aufständischen und afghanischen Sicherheitskräften, bei denen es zu Todesopfern auf beiden Seiten und bei Zivilisten kommt (AJ 20.08.2020, VEC 18.05.2020, Takl 26.12.2019, Sputnik 20.04.2020, Standard 01.01.2020, XI 25.10.2019). Bei sicherheitsrelevanten Vorfällen kommt es immer wieder auch zu zivilen Opfern (NYTM 02.07.2020, S24 18.06.2020, BN 26.12.2019, AN 02.11.2019). [...] 5.32 Uruzgan Letzte Änderung: 16.12.2020 Die Provinz Uruzgan liegt im zentralen Teil Afghanistans und ist auch unter dem Namen Rozgan oder Uruzganis bekannt (PAJ Uruzgan o.D.a). Uruzgan grenzt an die Provinzen Daikundi im Norden, Ghazni im Osten, Zabul und Kandahar im Süden und Helmand im Westen (UNOCHA Uruzgan 4.2014; vgl. PAJ Uruzgan o.D.b). Uruzgan ist in die folgenden Distrikte unterteilt: Chora, Dehraoud, Gizab, Khas Urozgan, Shahidhassas und der Provinzhauptstadt Tirinkot/Tarinkot (NSIA 01.06.2020; vgl. IEC Uruzgan 2019; UNOCHA Uruzgan 4.2014; PAJ Uruzgan o.D.b). Der Distrikt Gizab wurde um 2014 von der Provinz Daikundi an die Provinz Uruzgan abgegeben (PAJ 06.05.2018; NSIA 01.06.2020; IEC Uruzgan 2019), wobei der Distrikt Pato 2018 vom Distrikt Gizab abgetrennt und der Provinz Daikundi zugeteilt wurde (PAJ 06.05.2018; vgl. NSIA 01.06.2020; ADLT o.D.; IEC Daykundi 2019). Der Status des Distriktes Chinarto ist noch nicht offiziell („temporärer Distrikt“), er war bis max. 2018 Teil des Distriktes Chora (ADLT o.D.; vgl. NSIA 01.06.2020). Die National Statistics and Information Authority ofAfghanistan (NSIA) schätzt die Bevölkerung in Uruzgan im Zeitraum 2020/21 auf 436.079 Personen (NSIA 01.06.2020). Sie besteht hauptsächlich aus Paschtunen sowie Hazara (REU 03.11.2018; PAJ Uruzgan o.D.a) und Kuchi-Nomaden (PAJ Uruzgan o.D.a). Der Highway von Kandahar nach Uruzgan führt durch die Distrikte Chora und Tirinkot (UNOCHA Uruzgan 4.2014; vgl. MoPW 16.10.2015, IDLG 05.11.2018). Sein Ausbau wird durch Talibanaktivitäten seit Jahren verzögert (PAJ 24.03.2020), die Straße wird durch die Taliban beschädigt (KP 01.10.2010) oder blockiert (AT 23.08.2020; vgl. PAJ 24.03.2020); die Taliban legen Sprengsätze entlang der Straße und halten Reisende auf (PAJ 24.03.2020). Militärische Operationen werden durchgeführt, um die Straße von den Taliban- Aufständischen zu räumen (AT 23.08.2020; vgl. KP 07.02.2019, PAJ 01.06.2019). Im Winter kann die Straße wegen starken Schneefalls blockiert sein (IFRC 20.01.2020). Der Flughafen Tirinkot wird Stand Anfang Oktober 2020 aus Kabul von Kam Air drei Mal pro Woche mit Linienflügen für Passagiereangeflogen (Kam Air 07.10.2020; vgl. F24 07.10.2020, CHA 23.12.2019). Hintergrundinformationen zu Konflikt und Akteuren Immer wieder kommt es zu Konflikten zwischen den in der Provinz beheimateten ethnischen Gruppen der Paschtunen und Hazara (AAN 29.11.2018; vgl. REU 03.11.2018). Ende Oktober 2018 kam es im Distrikt Khas Uruzgan zu gezielten Angriffen der Taliban auf Hazara (Maley 04.03.2020; vgl. AJ 18.09.2019), was den Tod von Dutzenden Zivilisten und die Vertreibung von mindestens 500 Familien zur Folge hatte (AJ 18.09.2019). Die Taliban kontrollieren die ländlichen Gebiete der Provinz (RFE/RL 21.08.2020; vgl. PN 21.02.2019), SIGAR 30.01.2019, ARN 09.02.2020). Speziell die Provinzhauptstadt Tirinkot hat seit der Verlautbarung der Frühjahrsoffensive der Taliban im Jahr 2019 einen Anstieg an Aufständischenaktivitäten registriert (KP 24.04.2019; vgl. RFE/RL 21.08.2020, PN 21.02.2019, SIGAR 30.01.2019, ARN 09.02.2020). Die Zentralregierung hat nur geringe Kontrolle in der Provinz, so werden 80% aller Rechtsstreitigkeiten der Provinz werden von Talibangerichten entschieden (ARN 09.02.2020). U.a. im Distrikt Dehrawud verteilen und verkaufen die Taliban staatliches Land und heben Steuern ein. Die afghanische Regierung war dort in den letzten zehn Jahren nicht in der Lage, die regulären Steuern einzuheben (AAN 15.04.2020). Auf Regierungsseite befindet sich die Provinz Uruzgan in der Verantwortung des 205. ANA-Korps (USDOD 01.07.2020; vgl. KP 24.04.2019), das der NATO-Mission Train Advise Assist Command- South (TAAC-S), unter Führung von US-Streitkräften, untersteht (USDOD 01.07.2020). - 56 -

Jüngste Entwicklungen und Auswirkungen auf die Zivilbevölkerung [...] Im Jahr 2019 dokumentierte UNAMA 145 zivile Opfer (73 Tote und 72 Verletzte) in der Provinz Uruzgan. Dies entspricht einem Rückgang von 16% gegenüber 2018. Die Hauptursachen für die Opfer waren Kämpfe am Boden, gefolgt von Luftangriffen und improvisierten Sprengkörpern (improvised explosive devices, IEDs; ohne Selbstmordattentate) (UNAMA 2.2020). Im Juni 2019 wurde berichtet, dass sich die Sicherheitslage in manchen Distrikten in den vorangegangenen Monaten verschlechtert hat (KP 18.06.2019). Bewaffnete Zusammenstöße zwischen Aufständischen und Sicherheitskräften finden statt (z.B. GW 23.09.2020, SOFREP 14.09.2020, IAR 29.09.2020, GW 15.08.2020, TN 20.04.2020, AJ 04.03.2020). In der Provinz kommt es regelmäßig zu Sicherheitsoperationen (z.B. RY 16.05.2020, PAJ 16.12.2019, IF 10.11.2019), und Luftangriffen (RFE/RL 29.09.2020, XI 20.08.2020, AO 06.04.2020), bei denen Aufständische getötet (z.B. RFE/RL 29.09.2020), XI 20.08.2020, RY 16.05.2020, AO 06.04.2020, IF 10.11.2019, PAJ 16.12.2019) oder Gefangene der Taliban befreit werden (PAJ 16.12.2019, ARN 26.05.2019). [...] 5.33 (Maidan) Wardak Letzte Änderung: 16.12.2020 Die Provinz Wardak, auch bekannt als Maidan Wardak, grenzt im Norden an Parwan und Bamyan, im Osten an Kabul und Logar und im Süden und Westen an Ghazni (UNOCHA Wardak 4.2014, NPS Wardak o.D., OPr Wardak 01.02.2017). Die Provinz ist in die folgenden Distrikte unterteilt: Chak-e-Wardak, Daimir Dad, Hissa-e-awali Behsud, Jaghatu, Jalrez, Markaz-e-Behsud, Maidan Shahr, Nerkh, Sayyid Abad (NSIA 01.06.2020; vgl. IEC Wardak 2019, UNOCHA Wardak 4.2014, NPS Wardak o.D., OPr Wardak 01.02.2017). Die Provinzhauptstadt Maidan Shahr befindet sich etwa 40-50 Kilometer südwestlich von Kabul (OPr Wardak 01.02.2017; vgl. ARTE 03.04.2020). Die National Statistics and Information Authority of Afghanistan (NSIA) schätzt die Bevölkerung in Wardak im Zeitraum 2020/21 auf 637.634 Personen (NSIA 01.06.2020). Sie besteht aus Tadschiken, Paschtunen und Hazara (OPr Wardak 01.02.2017; vgl. NPS Wardak o.D.). Wardak ist aufgrund seiner strategischen Position, der Nähe zu Kabul und der Lage an wichtigen Fernstraßen eine bedeutsame Provinz (ARN 23.06.2019). Der Highway Kabul-Kandahar durchquert die Distrikte Maidan Shahr, Narkh und Saydabad (UNOCHA Wardak 4.2014). Die Taliban richten gelegentlich Kontrollpunkte an Abschnitt dieser Fernstraße in der Provinz Wardak ein (AVA 01.10.2019; vgl. UNSG 07.12.2018; vgl. PAJ 27.10.2018; AP 07.10.2018; UNAMA 11.2018). Diese Straße gilt als eine der gefährlichsten in Afghanistan. Jedoch während des dreitägigen Waffenstillstandes zu Eid-al-Firt im August 2020 kam es entlang der Straße zu keinen Zusammenstößen, und die Taliban lösten ihre Kontrollpunkte vorübergehend auf (WP 10.08.2020). Eine weitere wichtige Straße führt von Maidan Shahr durch die Distrikte Jalrez, Hesa-e Awal- e Behsud, Markaz- e Behsud zum Haji-gak-Pass und weiter nach Bamyan (UNOCHA Wardak 4.2014; vgl. AAN 16.12.2019). Der Abschnitt im Distrikt Jalrez befindet sich unter Kontrolle der Taliban (AAN 16.12.2019; vgl. KNow 25.08.2019). Die Taliban betreiben entlang dieser Straße Kontrollpunkte und heben Steuern ein (AAN 16.12.2019; vgl. KNow 25.08.2019, PAJ 05.11.2018), und es sind Fälle dokumentiert, dass Durchreisende entführt oder getötet wurden (KNow 25.08.2019; vgl. DA 11.06.2019, RY 02.06.2019); vorwiegend Hazaras (KNow 25.08.2019). Hintergrundinformationen zu Konflikt und Akteuren Wardak ist eine der am heftigsten umkämpften Provinzen Afghanistans und wird zum größten Teil von den Taliban kontrolliert (WP 10.08.2020; vgl. PBS 31.12.2019). Das Machtgleichgewicht in der Provinz Wardak blieb über Jahre hinweg relativ stabil (WP 10.08.2020). Die Sicherheitslage hat sich im Lauf des Jahres 2019 verschlechtert (KP 19.07.2019; vgl. KP 02.07.2019; DA 11.06.2019), und seit der Unterzeichnung eines Friedensabkommens zwischen den USA und den Taliban im Februar 2020 hat der Einfluss der Taliban in Wardak zugenommen (WP 10.08.2020). Polizisten, die an den Außenposten an der Grenze zwischen Regierungskontrolle und Taliban-Einfluss stationiert sind, berichten über häufige Angriffe der Aufständischen. In Bezirken, die außerhalb der Regierungskontrolle liegen, berichten Zivilisten von einem verstärkten Einsatz von Artillerie durch Regierungseinheiten (WP 10.08.2020). Auch im volatilen Distrikt Sayedabad gab es in den letzten Jahren fast täglich Kämpfe zwischen Regierungskräften und Taliban. Dort wurden, laut Angaben der Bewohner, durch Sicherheitskräfte im November 2019 rund 80 Wohnhäuser zerstört, da in der Vergangenheit gemäß Angaben der Behörden die Taliban immer wieder Wohnhäuser als Unterkünfte und Befestigungen nutzten (AN 03.11.2019). Aus Sicherheitsgründen lebt die Bürgermeisterin von Maidan Shahr, Zarifa Ghafari, in Kabul und pendelt täglich 50 km zu ihrem Amtssitz (ARTE 03.04.2020). Auf Regierungsseite befindet sich die Provinz Wardak im Verantwortungsbereich des 203. AnA Corps (USDOD 01.07.2020; vgl. KP 04.07.2019), das der Task Force Southeast unter der Leitung von US-Truppen untersteht (USDOD 01.07.2020). - 57 -

Einheiten des Nationalen Sicherheitsdirektorates (NDS), die vom US-Geheimdienst CIA unterstützt werden, führen in der Provinz Wardak nächtliche Operationen durch, wobei es Berichten zufolge zu willkürlichen Angriffen gegen Zivilisten, Hinrichtungen und anderen Menschenrechtsverletzungen kommt. Die Täter werden nicht zur Rechenschaft gezogen (FP 06.02.2020, HRW 30.10.2019 BAMF 15.07.2019). Jüngste Entwicklungen und Auswirkungen auf die Zivilbevölkerung [...] Im Jahr 2019 dokumentierte UNAMA 184 zivile Opfer (108 Tote und 76 Verletzte) in der Provinz Wardak. Dies entspricht einem Rückgang von 18% gegenüber 2018. Die Hauptursachen für die Opfer waren Kämpfe am Boden, gefolgt von Luftangriffen und Suchoperationen (UNAMA 1.2020). In der Provinz kommt es regelmäßig zu Sicherheitsoperationen (TN 18.02.2020, PAJ 24.10.2019, KP 09.08.2019; KP 06.08.2019; KP 19.07.2019; KP 02.07.2019) und Luftschlägen (PAJ 18.02.2020, PAJ 24.10.2019, NG 17.10.2019, AT 08.12.2019). Die Taliban greifen regelmäßig Kontrollpunkte, Einrichtungen oder Konvois der Sicherheitskräfte an, und es kommt zu Gefechten mit den Regierungstruppen, was zu Opfern unter den Sicherheitskräften und den Aufständischen führt (ATV 23.09.2020, WP 10.08.2020, AN 03.11.2019, GW 21.07.2020, AN 06.09.2020, IAR 21.09.2020, FRP 29.07.2019 TN 18.02.2020, PAJ 24.10.2019, NG 17.10.2019, KP 06.08.2019; KP 02.07.2019). Bei einem Angriff der Taliban auf eine Basis des NDS in der Nähe der Provinzhauptstadt Maidan Shahr wurden im Jänner 2019 über 100 Sicherheitskräfte getötet (NYT 21.01.2019; vgl. Guardian 21.01.2019, ORF 21.01.2019). [...] 5.34 Zabul Letzte Änderung: 16.12.2020 Die Provinz Zabul liegt im Süden Afghanistans und grenzt an Pakistan. Angrenzende Provinzen sind Kandahar, Uruzgan, Ghazni und Paktika. Die Provinzhauptstadt ist Qalat (früher bekannt als Qalat-i Ghilzai) (NPS Zabul o.D.). Zabul wird in folgende Distrikte unterteilt: die Provinzhauptstadt Qalat, Arghandab, Atghar, Daichopan, Kakar (auch: Khak-e Afghan), Mizan, Naw Bahar, Shah Joi, Shinkay, Shemel Zayi (Shomulzay), Tarang Wa Jaldak (auch bekannt als Shahr Safa) (NSIA 01.06.2020; vgl. IEC Zabul 2019; UNOCHA Zabul 4.2014; PAJ Zabul o.D.; OPr. Zabul o.D., AAN 05.11.2019). Die Provinz ist dünn besiedelt (Guardian 02.05.2020; vgl. RFE/RL 16.12.2018); die afghanische Statistikbehörde (NSIA) schätzt die Bevölkerung der Provinz Zabul für den Zeitraum 2019/20 auf 384.349 Personen (NSIA 01.06.2020). Der Großteil der Bewohner sind Paschtunen und Belutschen (OPr Zabul o.D.z; vgl. NPS Zabul o.D.z). Die Provinz ist auch unter „Zabalistan“ bekannt und gilt als Ursprungsort des paschtunischen Stammes (PAJ Zabul o.D.). Mehr als 170 km des Highway Kabul-Kandahar liegen in der Provinz Zabul. Der durch die Provinz führende Abschnitt ist in schlechtem Zustand (AN 23.01.2020) und führt durch die Distrikte Tarnak wa Jaldak, Qalat und Shahjoy (UNOCHA Zabul 4.2014; vgl. AAN 05.11.2019). Die Straße hat als Verbindung der Hauptstadt mit Kandahar große strategische Bedeutung und ist eine wichtige Versorgungsroute für den Süden (RFE/RL 16.12.2018; vgl. JF 06.04.2018, AN 23.01.2020), wobei die Fahrzeit für die 483 km zwischen Kabul und Kandahar sich aufgrund des schlechten Straßenzustandes von fünf auf 16 Stunden verlängert hat (AN 23.01.2020). Konfliktbezogene Sicherheitsvorfälle wie z.B. Angriffe auf Polizeiposten durch illegale bewaffnete Gruppen und Detonationen von improvisierten Sprengkörpern finden entlang der Straße durch die Provinz manchmal statt (AAN 05.11.2019; vgl. NYT 20.03.2020, SAM 05.06.2020, AN 23.01.2020), und die Taliban betreiben entlang der Straße eigene Kontrollposten (AAN 05.11.2019). Die Provinz Zabul ist gebirgig, und abseits der Fernstraße Kabul-Kandahar sind Verkehrsbewegungen schwierig. Die Straßenbedingungen sind während der trockenen Jahreszeit in allen Distrikten gut, jedoch sind die Straßen in die Distrikte Arghnadab, Daychoopan, Nwabahar, Shinkay, Shamalzai und Atghar während der Regenzeit unpassierbar. Die Erreichbarkeit der Provinz wird auch durch Schneefall im Winter negativ beeinflusst (DLCA 24.04.2019). Hintergrundinformationen zu Konflikt und Akteuren Die Provinz Zabul befindet sich entlang des konservativen Paschtunen-Gürtels. Sie hat eine historische Bedeutung für die Taliban, die ihren Kampf um die Kontrolle des Landes in den 1990er-Jahren von dort aus begonnen haben. Auch gehörte Mullah Mohammad Omar, der Gründer der Taliban-Bewegung, zum Stamm der Hotak, einem der beiden Hauptstämme der Provinz. Das Gefühl des Vergessenseins unter den Bewohnern von Zabul ist einem Bericht zufolge einer der Gründe für die starke Präsenz der Taliban in der Gegend (RFE/RL 16.12.2018; vgl. AAN 05.11.2019). Die Provinz wird zu großen Teilen von den Taliban kontrolliert (STN 20.03.2020; vgl. AAN 05.11.2019). Die Sicherheitsbedingungen in der Provinz Zabul haben sich 2019 im Vergleich zum Vorjahr verschlechtert (AAN 05.11.2019). Zabul zählt zu den relativ volatilen Provinzen im Süden Afghanistans; in der Provinz sind Aufständische in zahlreichen Distrikten aktiv und führen Angriffe auf Regierungs- und Sicherheitsinstitutionen aus, während die - 58 -

Regierungskräfte Sicherheitsoperationen durchführen (MENA FN 04.05.2020 KP 09.04.2020, STN 20.03.2020, AVA 16.03.2020, ST 26.11.2019, AAN 05.11.2019, KP 06.07.2019). Die RS-Mission registrierte im Oktober 2018 in vier Distrikten der Provinz (erhebliche) Aufständischenaktivität, während sechs Distrikte umkämpft waren und ein Distrikt unter Regierungskontrolle stand (SIGAR 30.01.2019). AAN berichtet im November 2019, dass nur ein Distrikt (Shahr-e Safa) hauptsächlich unter der Kontrolle der Regierung steht. Neun Bezirke stehen vorwiegend unter der Kontrolle der Taliban. In sieben davon ist die Regierung nur militärisch präsent, und zwei weitere, Daychopan und Kakaran, stehen vollständig unter der Kontrolle der Taliban (AAN 05.11.2019). Die Taliban haben in der Vergangenheit unter anderem in Zabul gegen ISKP-Mitglieder gekämpft (RFE/RL 02.06.2019; vgl. GoC 21.05.2019; ARN 27.06.2018). Der Islamische Staat (IS, Daesh) ist der Zentralregierung zufolge in den Distrikten in Kakaran und Daychopan präsent (AAN 05.11.2019; vgl. GoC 21.05.2019), jedoch nicht militärisch aktiv (AAN 05.11.2019; vgl. CTC 12.2018). Ein Bericht des UN-Sicherheitsrates vom Juni 2019 erwähnt keine ISKP-Präsenz in Zabul (UNSC 13.06.2019, ebenso wie ein Vertreter der Provinzverwaltung eine IS-Präsenz verneint (AAN 05.11.2019), und ein Bericht über die Aktivitäten des ISKP in Afghanistan vom Dezember 2018 registrierte im Jahr 2018 keine Anschläge des ISKP in der Provinz (CTC 12.2018). Laut UN-Sicherheitsrat sind in der Provinz Zabul Al-Qaida und Kämpfer der Islamistischen Bewegung Usbekistans präsent (UNSC 27.05.2020). Im Jahr 2019 erlaubten die Taliban erstmals die Wiedereröffnung der Schulen in den nördlichen Bezirken der Provinz, darunter Day Chopan, Khaki Afghan und Arghandab. Dies scheint ein Resultat lokaler Initiativen zu sein, in denen örtliche Anführer überzeugt wurden, dass die Öffnung der Schulen auch in ihrem Interesse ist (USIP 19.11.2019). Die Taliban erlauben in den von ihnen kontrollierten Gebieten der Provinz Zabul medizinischen Helfern den Zugang im Zusammenhang mit der Bekämpfung von COVID-19 (NH 03.06.2020; vgl. Guardian 02.05.2020). Die Provinz Zabul liegt in der Verantwortung des 205. ANA-Corps (USDOD 01.07.2020; KP 06.07.2019), das unter die NATO-Mission Train Advise Assist Command-South (TAAC-S), angeführt von US-Kräften, fällt (USDOD 01.07.2020). Jüngste Entwicklungen und Auswirkungen auf die Zivilbevölkerung [...] Im Jahr 2019 dokumentierte UNAMA 496 zivile Opfer (142 Tote und 354 Verletzte) in der Provinz Zabul. Dies entspricht einer Steigerung von 69% gegenüber 2018. Die Hauptursache für die Opfer waren Kämpfe am Boden, gefolgt von Selbstmordangriffen und Luftangriffen (UNAMA 2.2020). In der Provinz Zabul kommt es regelmäßig zu Sicherheitsoperationen (AVA 16.03.2020, ST 26.11.2019), KP 06.07.2019) und Luftschlägen (AN 10.11.2019, Express 29.05.2020, MoD 04.09.2020, KW 26.09.2020). Dabei werden unter anderem Aufständische getötet (ST 26.11.2019, KP 06.07.2019; MoD 04.09.2020, AVA 16.03.2020). Außerdem kommt es zu bewaffneten Zusammenstößen zwischen Aufständischen und afghanischen Sicherheitskräften (MENAFN 04.05.2020, KP 09.04.2020), STN 20.03.2020, AVA 16.03.2020). Bei einem Luftschlag wurde, gemäß Angaben des Afghanischen Verteidigungsministeriums, im November 2019 im Bezirk Shinkay ein wichtiger Taliban-Kommandant getötet (AN 10.11.2019). [...] 5.35. Erreichbarkeit Letzte Änderung: 16.12.2020 Die Infrastruktur bleibt ein kritischer Faktor für Afghanistan, trotz der seit 2002 erreichten Infrastrukturinvestitionen und -optimierungen (TD 05.12.2017). Seit dem Fall der Taliban wurde das afghanische Verkehrswesen in städtischen und ländlichen Gebieten grundlegend erneuert. Beachtenswert ist die Vollendung der „Ring Road“, welche Zentrum und Peripherie des Landes sowie die Peripherie mit den Nachbarländern verbindet (TD 26.01.2018). Investitionen in ein integriertes Verkehrsnetzwerk werden systematisch geplant und umgesetzt. Dies beinhaltet beispielsweise Entwicklungen im Bereich des Schienenverkehrs und im Straßenbau (z.B. Vervollständigung und Instandhaltung der Kabul Ring Road, des Salang-Tunnels, des Lapis Lazuli Korridors etc.) (STDOK 4.2018; vgl. TD 05.12.2017), aber auch Investitionen aus dem Ausland zur Verbesserung und zum Ausbau des Straßennetzes und der Verkehrswege (STDOK 4.2018; vgl. USAID o.D.a, WB 17.01.2020, ESRI 13.04.2020, ArN 11.11.2020, TD 08.01.2019, TN 25.05.2019, CWO 26.08.2019). Seit 2017 arbeiten die Weltbank und der Treuhandfonds für den Wiederaufbau Afghanistans mit dem afghanischen Ministerium für ländliche Rehabilitation und Entwicklung und dem Ministerium für öffentliche Arbeiten zusammen und haben in diesem Zeitraum mehr als 2.200 Kilometer neue Straßen gebaut und mehr als 6.000 Kilometer bestehender Straßen modernisiert und instandgehalten (WB 17.01.2020; vgl. ESRI 13.04.2020, USADI o.D.a). Jährlich sterben Hunderte von Menschen bei Verkehrsunfällen auf Straßen im ganzen Land - vor allem durch unbefestigte Straßen, überhöhte Geschwindigkeit und Unachtsamkeit (GIZ 7.2019; vgl. AT 23.11.2019, PAJ 12.12.2019, ABC News 01.10.2020). Die Präsenz von Aufständischen, Zusammenstöße zwischen diesen und den afghanischen Sicherheitskräften, sowie die Gefahr von Straßenraub und Entführungen entlang einiger - 59 -

Straßenabschnitte beeinflussen die Sicherheit auf den afghanischen Straßen, unter anderem auch auf den Highway 1 (Ring Road) (USDOS 24.06.2020; vgl. EASO 9.2020). Einige Beispiele dafür sind die Straßenabschnitte Kabul-Kandahar (TN 17.01.2020; vgl. ST 24.04.2019), Herat-Kandahar (TN 17.01.2020; cf. PAJ News 05.01.2019 Kunduz-Takhhar (KP 20.08.2018; vgl. CBS News 20.08.2019) und Ghazni-Paktika (AAN 30.12.2019). Ring Road [...] Die Ring Road, auch bekannt als Highway One, ist eine Straße, die das Landesinnere ringförmig umgibt (HP 09.10.2015; vgl. FES 2015) und Teil des 3.360 Kilometer langen Hauptverkehrsstraßenprojekts, das 16 Provinzen und Großstädte wie Kabul, Mazar, Herat, Ghazni und Jalalabad miteinander verbindet (STDOK 4.2018; vgl. TN 09.12.2017, USAID n.d.a). Trotz der Ankündigung von Präsident Ghani aus dem Jahr 2015, die Ring Road in neun Monaten fertigzustellen, sind einzelne Teilstücke weiterhin unbefestigt, darunter ein ca. 150 km langes Teilstück zwischen Badghis und Faryab (SIGAR 15.07.2018). Die fehlenden 151 Kilometer sollen künftig den Distrikt Qaisar (Provinz Faryab, Anmerkung) mit Dar-e Bum (Provinz Badghis, Anmerkung) verbinden; dieses Straßenstück ist der letzte Teil der 2.200 km langen Straße. Im November 2020 sind die Arbeiten an diesem Teil der Ring Road noch im Gange, wenn auch nur zögerlich, weil Hindernisse wie Unsicherheit, mangelnde Kooperation der lokalen Bevölkerung, mangelnde Leistung der zuständigen Behörden und Unterauftragnehmer es schwierig machen, den Zeitpunkt der Fertigstellung des Projekts abzuschätzen (RA KBL 20.11.2020). Mitte September 2017 gewährte die Islamische Entwicklungsbank (IDB) der afghanischen Regierung ein langfristiges Darlehen in Höhe von 74 Millionen US-Dollar für den Bau der Kabuler Ring Road, die sich über 95 km erstrecken soll; die Straße soll innerhalb von fünf Jahren gebaut werden (TKT 25.09.2017). Im August 2019 kündigte der Saudi Fund for Development (SFD) an, 48 Millionen USD in ein Projekt zur Ring Road in Kabul zu investieren (CWO 26.08.2019; vgl. AVA 26.07.2020). Abschnitt Kandahar - Kabul - Herat Die Ring Road verbindet wichtige afghanische Städte wie Kabul, Herat, Kandahar und Mazar-e Sharif (TD 12.04.2018). Sie erstreckt sich südlich von Kabul und ist die Hauptverbindung zwischen der Hauptstadt und der großen südlichen Stadt Kandahar (REU 13.10.2015). Der Kandahar-Kabul-Teil der Ring Road erstreckt sich vom östlichen und südöstlichen Teil Kandahars über die Provinz Zabul nach Ghazni in Richtung Kabul, während die Ring Road westlich von Kandahar nach Gereshk in Helmand und Delaram in Nimroz verläuft (ISW o.D.). Der Abschnitt zwischen Kabul und Herat umfasst 1.400 km (IWPR 26.03.2018). Die an die Ring-Road anknüpfende 218 km lange Zaranj-Dilram-Autobahn (Provinz Nimroz, Anmerkung), auch „Route 606“ genannt, soll zukünftig Afghanistan mit Chabahar im Iran verbinden (AD 15.08.2017; vgl. TET 09.08.2017, TD 24.05.2017). Anrainer beschweren sich über den schlechten Zustand des Abschnitts Kandahar-Kabul-Herat (TN 14.03.2018). Ursachen dafür sind die mangelnde Instandhaltung und ständige Angriffe durch Aufständische (IWPR 26.03.2018). Die meisten Teile der Autobahn Kabul-Kandahar sind durch Angriffe und Gewalt beschädigt (TN 28.09.2020; vgl. HOA 07.09.2020). Abschnitt Baghlan-Balkh Die Baghlan-Balkh-Autobahn ist Teil der Ring Road und verbindet den Norden mit dem Westen des Landes. Sie gilt als eine unabdingbare Transitroute zwischen der Hauptstadt der Provinz Baghlan, Pul-e Khumri, und den nordwestlichen Provinzen Samangan, Balkh, Jawjzan, Sar-e Pul und Faryab (AAN 15.08.2016). Salang Tunnel/Salang Korridor Der Salang-Korridor gilt als Vorzeigeobjekt des Kalten Krieges und wurde im Jahr 1964 zum ersten Mal eröffnet (TD 21.10.2015). Er ist die einzige direkte Verbindung zwischen der Hauptstadt Kabul und dem Norden des Landes (WP 22.01.2018; TD 21.10.2015). Der Salang-Tunnel, durch den über 80% des Nord-Süd-Handels Afghanistans verläuft (USAID n.d.b.), ist 2,7 km (1,7 Meilen) lang. Er wurde ursprünglich für eine Tagesnutzung von 1.000 - 2.000 Fahrzeuge gebaut. Heute befahren ihn jedoch täglich über 10.000 Transportmittel, was den Bedarf an Instandhaltungsarbeiten erhöht (WP 22.01.2018). Der Bau der Umspannstation des Salang-Tunnels wurde am 15.10.2019 abgeschlossen und kompensiert den Verbrauch von einer Million Liter Dieselkraftstoff pro Jahr, die bis dahin für den Betrieb der Generatoren des Tunnels erforderlich waren (USAID n.d.b; vgl. PAJ 19.12.2019). Durch das von der Weltbank finanzierte Trans-Hindukush Road Connectivity Project soll bis 2022 u.a. der Salang-Korridor dank einer Förderung von 55 Millionen USD renoviert werden (WB o.D.; vgl. TN 15.09.2020, TN 01.09.2018, RW 06.07.2017). In Juni 2018 kündigte das Ministerium für öffentliche Arbeiten (Ministry of Public Works - MoPW) an, dass die technischen und geologischen Untersuchungen sowie der Entwurf des neuen Salang-Tunnels gegen Ende 2019 abgeschlossen sein werden (TN 18.06.2018). Im September kündigte das Ministerium für öffentliche Arbeit an, dass die Arbeiten an den ersten 10 km des Salang-Passes begonnen hätten (TN 01.09.2018). - 60 -

Weitere Highways Gardez-Khost-Highway (NH08) Der Gardez-Khost-Highway, auch „G-K-Highway“ genannt, ist 101,2 km lang (USAID 07.11.2016; vgl. PAJ 15.12.2015) und verbindet die Provinzhauptstadt der Provinz Paktia, Gardez, mit Khost City, der Provinzhauptstadt von Khost (PAJ 15.12.2015). Sie verbindet aber auch Ostafghanistan mit dem Ghulam-Khan- Highway in Pakistan. Mitte Dezember 2015 wurde der sanierte Gardez-Khost-Highway eröffnet. Ebenso wurden 410 kleine Brücken und 25 km Schutzwände auf dieser Autobahn errichtet (PAJ 15.12.2015; vgl. USAID 07.11.2016). Grand Trunk Road - Highway Jalalabad-Peshawar / Pak-Afghan-Highway Die Grand Trunk Road, auch bekannt als „G.T. Road“, ist die älteste, längste und bekannteste Straße des indischen Subkontinentes (GS o.D.; vgl. Doaks o.D., Dawn 30.12.2018; EIPB 2006). Die über 2.500 km lange Route beginnt in der bangladeschischen Stadt Chittagong, verläuft über Delhi in Indien, Lahore und Peshawar in Pakistan, den Khyber Pass an der afghanisch-pakistanischen Grenze und endet in Kabul (Samaa 09.08.2017; vgl. Scroll 04.05.2018, EIPB 2006). Der Khyber-Pass erstreckt sich über 53 km durch das Safed-Koh-Gebirge und ist eine der wichtigsten Verbindungen zwischen Afghanistan und Pakistan; er verbindet Kabul mit Peshawar (EB 30.03.2017; vgl. BL o.D., NG o.D.). Der Torkham-Peshawar Highway verbindet Jalalabad mit Peshawar in Pakistan, über die afghanische Grenzstadt Torkham in der Provinz Nangarhar. Sie ist eine der am stärksten befahrenen Straßen Afghanistans. Der afghanische Teil der Straße besteht aus zwei Abschnitten: der 76 km langen Torkham-Jalalabad-Straße und die Jalalabad-Kabul-Verbindung, die sich über 155 km erstreckt (ET 27.10.2016). Die Straße, die auch als „Pak- Afghan Highway“ bekannt ist, wird als Wirtschaftsroute zwischen Pakistan, Afghanistan, Usbekistan, Tadschikistan und den südasiatischen Ländern genutzt (ET 07.03.2016; vgl. PCQ o.D.). Baghlan-Bamyan-Highway Das Baghlan-Bamyan-Straßenbauprojekt ist Teil des von der Weltbank finanzierten Trans-Hindukusch- Straßenverbindungsprojekts. Die Doshi-Bamiyan-Straße verbindet die Provinz Bamyan in Zentralafghanistan mit der Provinz Baghlan in Nordafghanistan als Alternative zum Salang-Pass, der einzigen Route, die Kabul mit dem Norden des Landes verbindet. Nach Angaben des Ministeriums für öffentliche Arbeiten wurde ein chinesisches Unternehmen mit den Arbeiten an dem Projekt beauftragt (TN 15.09.2020; vgl. WB 03.11.2020). Im Juni 2020 hat die Bank über 100 Millionen Dollar des 170-Millionen-Dollar-Projekts annulliert, um den Hilfsfonds COVID-19 der afghanischen Regierung zu unterstützen, sagte jedoch, die Annullierung sei vorübergehend und werde die laufenden Bauaufträge nicht beeinträchtigen (TN 15.09.2020; vgl. WB 03.11.2020). Die Bauarbeiten sind erst zu 20% abgeschlossen und wurden im Juni 2020 wegen der COVID-19- Pandemie und ihrer Auswirkungen gestoppt (USDOS 24.06.2020; vgl. AT 24.06.2020). Im September 2020 wurde die Regierung wegen einer Verzögerung der Bauarbeiten für das Projekt kritisiert. Nach Angaben des Ministeriums für öffentliche Arbeiten verzögerte sich die Umsetzung des Projekts aufgrund fehlender Mittel (TN 15.09.2020). Abschnitte Kabul-Bamyan und Bamyan-Mazar-e Sharif Am 29.08.2016 wurde die Straße Kabul-Bamyan eingeweiht. Das von der italienischen Agentur für Entwicklung finanzierte Straßenprojekt sollte die Verbindung zwischen Kabul und Bamyan erleichtern und den wirtschaftlichen Aufschwung in der Region fördern. Durch die neu errichtete Straße beträgt die Reisezeit von Kabul nach Bamyan zweieinhalb Stunden (Farnesina 29.08.2016). Ausgeführt durch ein chinesisches Unternehmen, wurde der Startschuss zur Weiterführung des Projektes „Dare-e-Sof and Yakawlang Road“ gegeben. In der ersten, bereits beendeten Phase, wurde Mazar-e Sharif mit dem Distrikt Yakawlang in der Provinz Bamyan durch eine Straße verbunden. Der zweite Teil dieses Projektes, eine 178 km lange Straße, die durch mehr als 37 Dörfer verlaufen soll, wird den Distrikt Dare-e-Sof in der Provinz Samangan mit dem Distrikt Yakawlang verbinden; angedacht ist eine dritte Phase - dabei sollen die Provinzen Bamyan und Kandahar durch eine 550 km lange Straße verbunden werden (XI 09.01.2017). Im September 2018 wurde ein Vertrag zur Instandhaltung von 45 km Straße von Yakawlang nach Sighnan in der Provinz Bamiyan unterzeichnet (PAJ 04.09.2018). Transportwesen Das Transportwesen in Afghanistan gilt als „verhältnismäßig gut“. Es gibt einige regelmäßige Busverbindungen innerhalb Kabuls und in die wichtigsten Großstädte Afghanistans (IE o.D.). Die Kernfrage bleibt nach wie vor die Sicherheit (IWPR 26.03.2018). Es existieren einige nationale Busunternehmen, welche Mazar-e Sharif, Kabul, Herat, Jalalabad und Bamiyan miteinander verbinden; Beispiele dafür sind Bazarak Panjshir, Herat Bus, Khawak Panjshir, Ahmad Shah Baba Abdali (vertrauliche Quelle 14.05.2018; vgl. IWPR 26.03.2018). Aus Bequemlichkeit bevorzugen Reisende, die es sich leisten können, die Nutzung von Gemeinschaftstaxis nach Mazar-e Sharif, Kabul, Herat, Jalalabad und Bamiyan (vertrauliche Quelle 14.05.2018). [...] - 61 -

Beispiele für Busverbindungen Kabul-Stadt Der Mangel an Bussen insbesondere während der Stoßzeit in Kabul-Stadt ist eine Herausforderung für die afghanische Regierung. Im Laufe der Jahre wurde versucht, dieses Problem zu lösen, indem Indien dem Transportsystem in Kabul hunderte Busse zur Verfügung stellte (TD 08.01.2019). Auch wird gemäß Aussagen des Bürgermeisters von Kabul ein Projekt zur Einrichtung eines Metro-Bus- Dienstes, auch Bus Rapid Transit genannt, in Kabul-Stadt geplant. Die erste Strecke soll 8 km abdecken und Deh Afghana mit Sara-e-Shamali verbinden, während die zweite Route vom Baraki Platz bis Deh Afghana über Kote Sangi und Deh Mazang verlaufen soll. Insgesamt sollen 111 km innerhalb der Stadt durch den Metro- Bus-Dienst abgedeckt werden (KP 12.09.2017; vgl. TN 15.06.2017). Im Juli 2018 gab ein Sprecher der Stadt Kabul an, dass die Planungsphase des Projektes bald beendet würde und es zu Verzögerungen gekommen sei (TN 08.07.2018). Mit Stand November 2020 sind nur wenige Kilometer Straße asphaltiert, und es werden keine regelmäßigen Arbeiten durchgeführt. Weder wurden bisher Busse angeschafft, noch werden im Rahmen dieses Projekts Dienstleistungen erbracht (RA KBL 20.11.2020). Mazar-e Sharif Es gibt einige Busverbindungen zwischen Mazar-e Sharif und Kabul. Bis zu 50 unterschiedliche Unternehmen bieten 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche, Fahrten von und nach Kabul an. Ausführende Busunternehmen sind beispielsweise Bazarak Panjshir Bus, Hesarak Panjshir Bus, Jawid Bus, Khorshid Bus und Jabal Seraj Bus. Die Preise pro Passagier liegen zwischen 400 und 1.000 Afghani und hängen stark vom Komfort im Bus ab. So kann man zum Beispiel in einem Bus der Marke Mercedes Benz mit Toiletten, Kühlschränken und Internet reisen. Busreisen gelten als relativ günstig (STDOK 4.2018).

Ahmad Shah Baba Abdali Bus Service Gemäß einem Sprecher des Verkehrsministeriums gehörte das Busunternehmen Ahmad Shah Baba Abdali im Jahr 2017 zu den führenden Transportunternehmen des Landes. In den letzten Jahren war das Busunternehmen in zahlreiche Verkehrsunfälle auf der Kandahar-Kabul-Herat-Route involviert. Einem Bericht von IWPR zufolge wurden von verschiedenen Quellen zu hohe Geschwindigkeit, Drogenkonsum der Fahrer, Angst vor Angriffen und die schlechten Straßenbedingungen als Gründe für die hohe Anzahl an Verkehrsunfällen angeführt (IWPR 26.03.2018). Laut einem offiziellen Vertreter der Firma ist Ahmad Shah Baba Abdali das größte Busunternehmen Afghanistans. Die Busse dieser Firma transportieren Passagiere von Kandahar nach Kabul, Helmand, Nimroz, Herat und in andere Provinzen (PAJ 18.03.2015). [...] Flugverbindungen [...] Die im folgenden Abschnitt beispielhaft angeführten Flugverbindungen basieren auf Online Flugplänen, auf die über eine Tracking-Site (Flightradar 24) zugegriffen wurde und betreffen den Zeitraum von 10.11.2020 bis 17.12.2020. Es ist möglich, dass zu einem späteren Zeitpunkt Destinationen bzw. Flüge hinzukommen oder hier angeführte wegfallen. Internationale Flughäfen in Afghanistan In Afghanistan gibt es insgesmt vier internationale Flughäfen; alle vier werden für militärische und zivile Flugdienste genutzt (LIFOS 23.01.2018). Trotz jahrelanger Konflikte verzeichnet die afghanische Luftfahrtindustrie einen zahlenmäßigen Anstieg ihrer wettbewerbsfähigen Flugrouten. Daraus folgt ein erleichterter Zugang zu Flügen für die afghanische Bevölkerung. Die heimischen Flugdienste sehen sich mit einer wachsenden Konkurrenz durch verschiedene Flugunternehmen konfrontiert. Flugrouten wie Kabul-Herat und Kabul-Kandahar, die früher ausschließlich von ArianaAfghan Airlines angeboten wurden, werden nun auch von internationalen Fluggesellschaften abgedeckt (AG 03.11.2017). Internationaler Flughafen Hamid Karzai [Internationaler Flughafen Kabul] Ehemals bekannt als internationaler Flughafen Kabul, wurde er im Jahr 2014 in „Internationaler Flughafen Hamid Karzai“ umbenannt. Er liegt 16 km außerhalb des Stadtzentrums von Kabul. In den letzten Jahren wurde der Flughafen erweitert und modernisiert. Ein neues internationales Terminal wurde hinzugefügt, und das alte Terminal wird nun für nationale Flüge benutzt (HKA o.D.). Nationale (Kam Air, ArianaAir) und internationale Fluggesellschaften (z.B. Air India, Air Arabia, Fly Dubai ...) bieten internationale Flüge von der Türkei, Indien, Aserbaidschan, Usbekistan, Pakistan, Saudi-Arabien, Kuwait, Iran, den Vereinigten Arabischen Emiraten und China nach Kabul an (F 24 13.11.2020, F 24 10.12.2020). Innerstaatlich gehen Flüge von und nach Kabul (durch Kam Air bzw. ArianaAfghan Airlines) zu den Flughäfen von Kandahar, Bost (Helmand, nahe Lashkargah), Zaranj, Kunduz, Farah, Herat, Mazar-e Sharif, Maimana, Bamian, Faizabad, Chighcheran und Tarinkot (F 24 13.11.2020, F 24 10.12.2020). Internationaler Flughafen Mazar-e Sharif Im Jahr 2013 wurde der internationale Maulana Jalaluddin Balkhi Flughafen in Mazar-e Sharif, der Hauptstadt der Provinz Balkh, eröffnet (PAJ 09.06.2013). Nachdem der Flughafen Mazar-e Sharif derzeit die Anforderungen eines erhöhten Personen- und Frachtverkehrsaufkommens nicht erfüllt, ist es notwendig, den Flughafen nach - 62 - internationalen Standards auszubauen, inklusive entsprechender Einrichtungen der Luftraumüberwachung und der Flugverkehrskontrolle. Die afghanische Regierung will dieses Projekt gemeinsam mit der deutschen Bundesregierung und finanzieller Unterstützung des ADFD (Abu Dhabi Fund for Development) angehen. Langfristig soll der Flughafen als internationaler Verkehrsknotenpunkt zwischen Europa und Asien die wirtschaftliche Entwicklung der Region entscheidend verbessern (STDOK 4.2018). National Airlines (Kam Air, ArianaAir) bieten internationale Flüge von Russland, Indien und Iran nach Mazar-e Sharif an (F 24 13.11.2020, F 24 10.12.2020). Innerstaatlich gehen Flüge von und nach Mazar-e Sharif (durch Kam Air bzw. ArianaAfghan Airlines) zu den Flughäfen von Kabul und Maimana (F 24 13.11.2020, F 24 10.12.2020). Internationaler Flughafen Kandahar Der internationale Flughafen Kandahar befindet sich 16 km von Kandahar-Stadt entfernt und ist einer der größten Flughäfen des Landes (MB o.D.). Ein Teil des Flughafens steht den internationalen Streitkräften zur Verfügung. Eine separate Militärbasis für einen Teil des afghanischen Heeres ist dort ebenso zu finden wie Gebäude für Firmen (LCA 05.01.2018). ArianaAir und internationale Fluggesellschaften (z.B. Air India, Air Arabia, Fly Dubai ...) bieten internationale Flüge von Indien, Pakistan, Saudi-Arabien, Iran und den Vereinigten Arabischen Emiraten nach Kandarhar an (F 24 13.11.2020, F 24 10.12.2020). Innerstaatlich gehen Flüge von und nach Kandahar (durch Kam Air bzw. Ariana Afghan Airlines) zum Flughafen nach Kabul (F 24 13.11.2020, F 24 10.12.2020). Internationaler Flughafen Herat Der Flughafen Herat befindet sich etwa 10 km südlich von Herat-Stadt entfernt. Derzeit werden auf dem Flughafen jährlich etwa 350.000 Passagiere abgefertigt, und die Verwaltung des Flughafens sowie die Instandhaltung des Flugplatzes werden von den NATO-Streitkräften unter italienischem Kommando durchgeführt (Tech o.D.). Nationale Airlines (Kam Air und Ariana Air) fliegen Herat international aus Iran an (F 24 13.11.2020, F 24 10.12.2020). Innerstaatlich gehen Flüge von und nach Herat (durch Kam Air bzw. Ariana Afghan Airlines) zu den Flughäfen nach Kabul, Maimana und Chighcheran (F 24 13.11.2020, F 24 10.12.2020). Zugverbindungen In Afghanistan existieren insgesamt drei Zugverbindungen: Eine Linie verläuft entlang der nördlichen Grenze zu Usbekistan (von Hairatan nach Mazar-e Sharif, Anmerkung), und zwei kurze Strecken verbinden Serhetabat in Turkmenistan mit Torghundi (in der Provinz Herat, Anmerkung) und Aqina (in der Provinz Faryab, Anmerkung) in Afghanistan (RoA 25.02.2018; vgl. RoA o.D., RFE/RL 29.11.2016; vgl. vertrauliche Quelle 16.05.2018). Alle drei Zugverbindungen sind für den Transport von Fracht gedacht, wobei sie prinzipiell auch Passagiere transportieren könnten (vertrauliche Quelle 16.05.2018), wobei es in Afghanistan nach wie vor keine Eisenbahn- oder Schienenverbindung für den Personentransport gibt. Es gibt Pläne, dies zu ändern, aber es wird nicht erwartet, dass dies in naher Zukunft geschieht (RA KBL 20.11.2020). Die afghanischen Machthaber lehnten lange Zeit den Bau von Eisenbahnen in Afghanistan ab, aus Angst, ausländische Mächte könnten ihre Unabhängigkeit gefährden (RoA o.D.). Im Laufe der letzten Jahre fanden verschiedene Treffen zwischen Repräsentanten Afghanistans und seiner Nachbarstaaten u.a. zur Förderung und Vertiefung bestehender Projekte zur Implementierung von Zugverbindungen wie dem Five-Nation Railway Corridor und dem Afghanistan Rail Network statt (TD 26.01.2018). Das „Five-Nation Railway Corridor Project“ soll China mit dem Iran verbinden und Kirgisistan, Tadschikistan und Afghanistan über eine Länge von insgesamt 2.100 km durchqueren. Mehr als 1.000 km des Eisenbahnkorridors werden durch die afghanischen Provinzen Herat, Badghis, Faryab, Jawzjan, Balkh und Kunduz verlaufen (TN 14.02.2018). Der Afghanistan Rail Network Plan (ANRP) hat das Ziel, den Transport in den Bereichen Landwirtschaft, Fertigung, Bergbau und anderen Branchen zu fördern. Die Bauarbeiten zur Errichtung einer Eisenbahnverbindung zwischen der iranischen Stadt Khaf und dem afghanischen Herat sind im Gange (RoA 23.01.2018). Im November 2017 wurde zwischen Afghanistan und weiteren fünf Staaten das sogenannte Lapislazuli-Korridor-Abkommen unterzeichnet, das u.a. den Bau von Eisenbahnverbindungen im Land vorsieht (SIGAR 4.2018). Der Lapis Lazuli-Korridor, der Straßen, Eisenbahn- und Seewege umfasst, die von Afghanistan nach Turkmenistan, Aserbaidschan und Georgien führen, bevor sie das Schwarze Meer in die Türkei und schließlich nach Europa überqueren, wurde im Dezember 2018 eröffnet (CGTN 14.12.2018). Ein weiteres Projekt das „China-India-Plus“ hat das Ziel, mithilfe von Indien und China die Eisenbahnverbindung zwischen Afghanistan und Usbekistan auszubauen. Das Ziel für Usbekistan ist es hierbei, über Afghanistan und Iran Zugang zum persischen Golf zu erhalten (CGTN 10.10.2018; vgl. Indian Today 16.10.2018). [...] 6 Rechtsschutz / Justizwesen - 63 -

Letzte Änderung: 16.12.2020 Gemäß Artikel 116 der Verfassung ist die Justiz ein unabhängiges Organ der Islamischen Republik Afghanistan. Die Judikative besteht aus dem Obersten Gerichtshof (Stera Mahkama, Anmerkung), den Berufungsgerichten und den Hauptgerichten, deren Gewalten gesetzlich geregelt sind (Casolino 2011; vgl. CoA 26.01.2004). In islamischen Rechtsfragen lässt sich der Präsident von hochrangigen Rechtsgelehrten des Ulema-Rates (Afghan Ulama Council - AUC) beraten (USDOS 10.06.2020). Dieser Ulema-Rat ist eine von der Regierung unabhängige Körperschaft, die aus rund 2.500 sunnitischen und schiitischen Rechtsgelehrten besteht (REU 24.11.2018). Das afghanische Justizwesen beruht sowohl auf dem islamischen [Anmerkung: Scharia] als auch auf dem nationalen Recht; letzteres wurzelt in den deutschen und ägyptischen Systemen (APE 3.2017). Die rechtliche Praxis in Afghanistan ist komplex: Einerseits sieht die Verfassung das Gesetzlichkeitsprinzip und die Wahrung der völkerrechtlichen Abkommen – einschließlich Menschenrechtsverträge - vor, andererseits formuliert sie einen unwiderruflichen Scharia-Vorbehalt. Ein Beispiel dieser Komplexität ist das neue Strafgesetzbuch, das am 15.02.2018 in Kraft getreten ist (APE 3.2017; vgl. UNAMA 22.02.2018, EASO 7.2020). Die Organe der afghanischen Rechtsprechung sind durch die Verfassung dazu ermächtigt, sowohl das formelle als auch das islamische Recht anzuwenden (APE 3.2017). Obwohl das islamische Gesetz in Afghanistan üblicherweise akzeptiert wird, stehen traditionelle Praktiken nicht immer mit diesem in Einklang; oft werden die Bestimmungen des islamischen Rechts zugunsten des Gewohnheitsrechts missachtet, welches den Konsens innerhalb der Gemeinschaft aufrechterhalten soll (USIP 3.2015). Viele Streitigkeiten, die von Landdisputen bis hin zu kriminellen Handlungen reichen, werden außerhalb des formellen Gerichtssystems in informellen Institutionen wie örtlichen Jirgas und Shuras beigelegt (EASO 7.2020, vgl. USDOS 11.03.2020). Unter den religiösen Führern in Afghanistan bestehen weiterhin tiefgreifende Auffassungsunterschiede darüber, wie das islamische Recht tatsächlich zu einer Reihe von rechtlichen Angelegenheiten steht (USIP 3.2015). Nach Artikel 3 der Verfassung darf kein Gesetz des Landes gegen die Lehren und Vorschriften der „Religion des Islams“ verstoßen (CoA 26.01.2004; vgl. AA 16.07.2020; vgl. EASO 7.2020). Die von Afghanistan ratifizierten internationalen Verträge und Konventionen wie auch die nationalen Gesetze stehen damit unter Islam- Vorbehalt. Eine Hierarchie der Normen ist nicht gegeben, sodass nicht festgelegt ist, welches Gesetz in Fällen des Konflikts zwischen traditionellem, islamischem Recht und seinen verschiedenen Ausprägungen einerseits und der Verfassung und dem internationalen Recht andererseits zur Anwendung kommt. Diese Unklarheit und das Fehlen einer Autoritätsinstanz zur einheitlichen Interpretation der Verfassung führen teilweise zur willkürlichen Rechtsanwendung (AA 16.07.2020; vgl. EASO 7.2020). Wenn keine klar definierte Rechtssetzung angewendet werden kann, setzen Richter und lokale Shuras das Gewohnheitsrecht durch, was oft zu einer Diskriminierung von Frauen führt. Es gibt einen Mangel an qualifiziertem Justizpersonal, und manche lokale und Provinzbehörden, darunter auch Richter, haben nur geringe Ausbildung und fundieren ihre Urteile auf ihrer persönlichen Interpretation der Scharia, ohne das staatliche Recht, Stammesrecht oder örtliche Gepflogenheiten zu respektieren. Diese Praktiken führen oft zu Entscheidungen, die Frauen diskriminieren (USDOS 11.03.2020). Trotz erheblicher Fortschritte in der formellen Justiz Afghanistan, bemüht sich das Land auch weiterhin um die Bereitstellung zugänglicher und gesamtheitlicher Leistungen; weit verbreitete Korruption sowie Versäumnisse vor allem in den ländlichen Gebieten gehören zu den größten Herausforderungen (CR 6.2018). Auch ist das Justizsystem weitgehend ineffektiv und wird durch Drohungen, Befangenheit, politische Einflussnahme und weit verbreitete Korruption beeinflusst (USDOS 11.03.2020; vgl. AA 16.07.2020, FH 04.03.2020). Rechtsstaatliche (Verfahrens-)Prinzipien, sofern überhaupt reguliert, werden nicht konsequent angewandt (AA 16.07.2020). Dem Gesetz nach gilt für alle Bürgerinnen und Bürger die Unschuldsvermutung, und Angeklagte haben das Recht, beim Prozess anwesend zu sein und Rechtsmittel einzulegen; jedoch werden diese Rechte nicht immer respektiert. Obwohl die Verfassung das Recht auf öffentliche Prozesse vorsieht, finden nur in einigen Provinzen solche öffentlichen Prozesse statt. Auch verlangt das Gesetz von Richtern eine Vorankündigung von fünf Tagen vor einer Verhandlung. Nicht alle Richter folgen diesen Vorgaben, und viele Bürger beschweren sich über Gerichtsverfahren, die sich oft über Jahre hinziehen. Beschuldigte werden von der Staatsanwaltschaft selten rechtzeitig über die gegen sie erhobenen Anklagen informiert. Die Beschuldigten sind dazu berechtigt - sofern es die Ressourcen erlauben -, sich auf öffentliche Kosten von einem Pflichtverteidiger vertreten und beraten zu lassen; jedoch wird dieses Recht aufgrund eines Mangels an Strafverteidigern uneinheitlich umgesetzt. Dem Justizsystem fehlen die Kapazitäten, um die große Zahl an neuen oder veränderten Gesetzen zu absorbieren. Der Zugang zu Gesetzestexten wurde verbessert, jedoch werden durch die schlechte Zugänglichkeit immer noch einige Richter und Staatsanwälte in ihrer Arbeit behindert (USDOS 11.03.2020). Richter - 64 -

Das Justizsystem leidet unter einem Mangel an Richtern - insbesondere in unsicheren Gebieten; weswegen viele Fälle durch informelle, traditionelle Mediation entschieden werden (USDOS 11.03.2020). Die Unsicherheit im ländlichen Raum behindert eine Justizreform, jedoch ist die Unfähigkeit des Staates, eine effektive und transparente Gerichtsbarkeit herzustellen, ein wichtiger Grund für die Unsicherheit im Land (CR 11.08.2018). Die Rechtsprechung durch unzureichend ausgebildete Richter (FH 04.03.2020; vgl. USDOS 11.03.2020) basiert in vielen Regionen auf einer Mischung aus verschiedenen Gesetzesmaterien (FH 04.03.2020). Ein Mangel an Richterinnen - insbesondere außerhalb von Kabul - schränkt den Zugang von Frauen zum Justizsystem ein, da kulturelle Normen es Frauen verbieten, mit männlichen Beamten zu tun zu haben (USDOS 11.03.2020). Nichtsdestotrotz sind in Afghanistan 257 Richterinnen tätig (das sind 13% der Richterschaft) (USDOS 11.03.2020). Der Großteil von ihnen arbeitet in Kabul; aber auch in anderen Provinzen wie in Herat, Balkh, Takhar und Baghlan (FMF 18.04.2019). Sowohl Angeklagte als auch deren Rechtsanwälte haben das Recht, vor den Verhandlungen Beweise und Dokumente im Zusammenhang mit den Verfahren zu prüfen. Nichtsdestotrotz sind Gerichtsdokumente trotz des Ersuchens der Verteidiger vor der Verhandlung oft nicht zur Prüfung verfügbar (USDOS 11.03.2020). Richter und Anwälte erhalten oft Drohungen oder Bestechungen von örtlichen Machthabern oder bewaffneten Gruppen (FH 04.03.2020). Die Richterschaft zeigt sich respektvoller und toleranter gegenüber Strafverteidigern, jedoch kommt es immer wieder zu Übergriffen auf und Bedrohung von Strafverteidigern durch die Staatsanwaltschaft oder andere Dienststellen der Exekutive (USDOS 11.03.2020). Anklage und Verhandlungen weisen eine Reihe von Schwächen auf: dazu zählen das Fehlen einer angemessenen Vertretung, übermäßige Abhängigkeit von unverifizierten Zeugenaussagen, ein Mangel an zuverlässigen forensischen Beweisen, willkürliche Entscheidungen sowie Gerichtsentscheidungen, die nicht veröffentlicht werden (FH 04.03.2020). Einflussnahme durch Verfahrensbeteiligte oder Unbeteiligte sowie Zahlung von Bestechungsgeldern verhindern Entscheidungen nach rechtsstaatlichen Grundsätzen in weiten Teilen des Justizsystems. Personen in Machtpositionen können sich meistens der strafrechtlichen Verfolgung entziehen (AA 16.07.2020) - es gibt eine tief verwurzelte Kultur der Straflosigkeit in der politischen und militärischen Elite des Landes (FH 04.03.2020). Im Juni 2016 wurde auf Grundlage eines Präsidialdekrets das „Anti-Corruption Justice Center“ (ACJC) eingerichtet, um gegen korrupte Minister, Richter und Gouverneure vorzugehen (AJO 10.10.2017). Der afghanische Generalprokurator Farid Hamidi engagiert sich landesweit für den Aufbau des gesellschaftlichen Vertrauens in das öffentliche Justizwesen (ATL 09.03.2017; vgl. TN 22.04.2019). Das Anti-Corruption Justice Center (ACJC), eine unabhängige Korruptionsbekämpfungsbehörde, die für die strafrechtliche Verfolgung von Korruptionsfällen auf hoher Ebene zuständig ist, verhandelte von seiner Gründung im Jahr 2016 bis Mitte Mai 2019 57 Fälle mit 223 Angeklagten vor seiner Prozesskammer und 52 Fälle mit 173 Angeklagten vor seiner Berufungskammer (USDOS 11.03.2020; vgl. USDOS 13.03.2019). Das ACJC wurde im Jahr 2019 stark dadurch gebunden, dass dort auch die Aufarbeitung der Parlamentswahlen und entsprechende Gerichtsverfahren gegen Mitglieder der Wahlkommission erfolgten (AA 16.07.2020). 6.1. Alternative Rechtsprechungssysteme Letzte Änderung: 16.12.2020 In Afghanistan werden viele Streitigkeiten, die von Uneinigkeiten über Landbesitz über Land bis hin zu kriminellen Handlungen reichen, außerhalb des formellen Gerichtssystems in informellen Institutionen wie den örtlichen Jirgas und Shuras (beratschlagende Versammlungen, normalerweise von Männern, die von der Gemeinde nominiert werden) beigelegt. Die Bestrafung basiert weitgehend auf dem Konzept der Vergeltung, und die Art der Bestrafung kann sehr unterschiedlich sein, aber in der Regel wird sie in einer Weise entschieden, die dem entspricht, was sich der Täter gegenüber dem Opfer zuschulden hat kommen lassen (Rahmi o.D.; vgl. EASO 7.2020, USDOS 11.03.2020). Das formelle Justizsystem ist in urbanen Zentren stärker ausgeprägt, wo es näher an der Zentralregierung ist, jedoch schwächer in ländlichen Gebieten (USDOS 11.03.2020). In den Großstädten entschieden die Gerichte in Strafverfahren auch weiterhin im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben. Zivilrechtsfälle werden oft durch informelle Systeme wie beispielsweise staatliche Mediation über das Huquq-Büro des Justizministeriums oder durch Verhandlungen zwischen den Streitparteien beigelegt: diese Mediationen werden von Gerichtspersonal oder privaten Rechtsanwälten geführt. Nachdem das formelle Rechtssystem in ländlichen Gebieten oft nicht vorhanden ist (USDOS 11.03.2020; vgl. EASO 7.2020), nutzen Bewohner des ländlichen Raumes die lokale Rechtsschlichtungsmechanismen Jirgas und Shuras häufiger als die städtische Bevölkerung (AF 02.12.2019; vgl. USDOS 11.03.2020; vgl. FH 04.03.2020), wo eine Mischung aus Varianten des staatlichen Rechts und der Scharia (islamisches Recht) angewandt wird (FH 04.03.2020). Es kommt insbesondere in paschtunischen Siedlungsräumen weiter auch zu traditionellen Formen privater Strafjustiz, bis hin zu Blutfehden (AA 16.07.2020). Informelle Justizmechanismen werden von vielen Personen auch wegen ihrer schnelleren und meist weniger kostenintensiven Tätigkeit bevorzugt (AF 02.12.2019). Der Großteil der Bevölkerung hat, unabhängig von der Zugehörigkeit zu einer bestimmten ethnischen, sozialen oder religiösen Gruppe, kein Vertrauen in die - 65 - afghanischen Sicherheitskräfte und die Justizorgane. Diese werden als korrupt und zum Teil auch gefährlich wahrgenommen, weshalb ihre Hilfe in Notfällen oft nicht in Anspruch genommen wird (AA 16.07.2020; vgl. AF 02.12.2019). Die Taliban haben ihr eigenes Rechtswesen in den Gebieten unter ihrer Kontrolle eingerichtet (FH 04.03.2020). Sie tun die afghanische Verfassung als ein vom Westen kopiertes und einer muslimischen Gesellschaft aufgezwungenes, nicht auf den Prinzipien des Islam gegründetes Produkt ab (AAN 09.04.2019; vgl EASO 7.2020). Die Gerichte der Taliban sind bei einigen Afghanen auch über die Grenzen der von den Taliban kontrollierten Gebiete hinaus beliebt (HPG 5.2020; EASO 7.2020). So berichten Bewohner in Logar über das Gerichtssystem der Gruppierung, dass es eine bessere, schnellere und weniger korrupte Justiz biete als staatliche Gerichte. In zunehmendem Maße wenden sich Menschen an die Taliban, um Eigentums- und Familienstreitigkeiten beizulegen, da Richter und Staatsanwälte oft Bestechungsgelder verlangen (CBC 24.12.2018; vgl. EASO 7.2020). Viele Talibankommandanten sprechen willkürliche Bestrafungen ohne Berücksichtigung des Taliban‘schen Rechtssystems aus (FH 04.03.2020; vgl. EASO 7.2020). Jedoch gibt es höchstwahrscheinlich Bestrafungen für diese Kommandanten, wenn die Anführer davon erfahren. Die Taliban haben nur geringe Möglichkeiten, willkürliche Bestrafungen zu verhindern, jedoch ein System der Bestrafung, wenn diese Dinge bekannt werden (ODI 6.2018). Auch andere nicht-staatliche Gruppen setzen ein paralleles, auf der Scharia basierendes Rechtssystem um. Bestrafungen beinhalten Exekution und Verstümmelung (USDOS 11.03.2020; vgl. AA 16.07.2020, EASO 7.2020). Jedoch besteht bei der Nutzung informeller Justizmechanismen oft keine Wahlfreiheit. Viele Frauen, die Gewaltverbrechen an die staatlichen Behörden melden wollen, werden gezwungen, die informellen Systeme zu nutzen. Dies führt häufig dazu, dass die Täter ungestraft bleiben und die Frauen weiterhin Gefahren ausgesetzt sind (AF 02.12.2019). In der Gesellschaft der Paschtunen wird das Paschtunwali zur Regelung aller gesellschaftlichen und internen Angelegenheiten der Gemeinschaft als zentrale Autorität herangezogen, so wie sie sich in den Vorschriften des Paschtunwali manifestiert. Dieses sind die Folgenden: Melmastiya (Gastfreundschaft), Nang (Ehre), Nanawatai (Abbitte leisten), Ghairat (Würde) usw. Die gesellschaftlichen Institutionen wie die Jirga (Ältestenversammlung zur Lösung von Streitigkeiten), Maraka (Ältestenrat zur Lösung kleinerer Probleme) usw. stellen demokratische Strukturen dar. Desgleichen gibt es für Rechtsangelegenheiten eine Justiz in Form der Jirga (alternative Streitbeilegung), Tigah (Waffenruhe), Nogha (Strafzahlung) usw. Auch eine Exekutive ist vorgesehen in Form der Lashkar (Bürgermiliz), Tsalwashtees (Friedenskräfte), Cheegha (Aufruf zum Handeln) und Ähnliches (STDOK 7.2016). Anmerkung: für mehr Informationen zum Paschtunwali siehe das Dossier der Staatendokumentation; zugänglich laut untenstehender Quellenangabe. [...] 7 Sicherheitsbehörden

Letzte Änderung: 16.12.2020

Die afghanischen nationalen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte (ANDSF - Afghan National Defense and Security Forces) umfassen militärische, polizeiliche und andere Sicherheitskräfte (CIA 14.10.2020).

Drei Ministerien verantworten die Sicherheit in Afghanistan: Das afghanische Innenministerium (Afghanistan’s Ministry of Interior - MoI), das Verteidigungsministerium (Ministry of Defense - MoD) und der afghanische Geheimdienst (NDS). Das Innenministerium ist primär für die interne Ordnung zuständig, dazu zählt auch die ANP (Afghan National Police) und die ALP (Afghan Local Police). Die ANA (Afghanische Nationalarmee) untersteht dem Verteidigungsministerium und ist für die externe Sicherheit zuständig, ihre primäre Aufgabe ist jedoch die Bekämpfung der Aufständischen innerhalb Afghanistans. Das National Directorate of Security (NDS) fungiert als Geheimdienst und ist auch für die Untersuchung von Kriminalfällen zuständig, welche die nationale Sicherheit betreffen. Die Ermittlungsabteilung des NDS betreibt ein Untersuchungsgefängnis in Kabul (USDOS 11.03.2020). Die afghanischen Sicherheitskräfte werden teilweise von US-amerikanischen bzw. Koalitionskräften unterstützt (USDOD 01.07.2020).

Die Truppenstärke der ANDSF ist seit Jänner 2015 stetig gesunken. Aber eine genaue Zählung des afghanischen Militär- und Polizeipersonals war schon immer schwierig. Der Rückgang an Personal wird allerdings auf die Einführung eines neuen Systems zur Gehaltsauszahlung zurückgeführt, welches die Zahlung von Gehältern an nichtexistierende Soldaten verhindern soll (SIGAR 30.01.2010; vgl. SIGAR 30.07.2020; NYT 12.08.2019; vgl. - 66 -

SIGAR 30.07.2020). Gewisse Daten wie z.B. die Truppenstärke einzelner Einheiten werden teilweise nicht mehr publiziert (USDOD 30.01.2020).

Die Anzahl der in der ANDSF dienenden Frauen hat sich erhöht (USDOD 01.07.2020). Nichtsdestotrotz bestehen nach wie vor strukturelle und kulturelle Herausforderungen, um Frauen in die ANDSF und die afghanische Gesellschaft zu integrieren (USDOD 12.2019).

Afghanische Nationalarmee (ANA)

Die ANA ist für die externe Sicherheit verantwortlich, dennoch besteht ihre Hauptaufgabe darin, den Aufstand im Land zu bekämpfen (USDOS 11.03.2020). Soldaten, welche die ANA am Ende des vertraglich vereinbarten Dienstes verlassen, sind für etwa ein Viertel des Rückgangs der Mannstärke verantwortlich. Die Gefechtsverluste machen nur einen kleinen Prozentsatz der monatlichen Verluste aus und sind im Berichtszeitraum im Vergleich zu früheren Perioden deutlich zurückgegangen (USDOD 01.07.2020). im Jahr 2018 kündigte Präsident Ghani die Etablierung einer neuen territorialen Eingreiftruppe der Afghanischen Nationalen Armee (ANATF) an. Jede Kompanie (Tolai) besteht aus Soldaten aus einem bestimmten Distrikt, wird aber von Offizieren von außerhalb dieses Distrikts geführt, die bereits in der regulären ANA dienen oder in der ANA-Reserve sind. Ziel ist es, dass die Territoriale Truppe schließlich 36.000 Mann stark ist (AB 15.01.2020; vgl. AB 01.07.2020).

Afghan National Police (ANP) und Afghan Local Police (ALP)

Die ANP gewährleistet die zivile Ordnung und bekämpft Korruption sowie die Produktion und den Schmuggel von Drogen. Auch ist sie verantwortlich für die Sicherheit Einzelner und der Gemeinschaft sowie den Schutz gesetzlicher Rechte und Freiheiten. Obwohl die ANP mit und an der Seite der ANA im Kampf gegen die Aufständischen arbeiten, fehlt es der ANP an Ausbildung und Ausrüstung für traditionelle Aufstandsbekämpfungstaktiken. Das Langzeitziel der ANP ist nach wie vor, sich zu einem traditionellen Polizeiapparat zu wandeln (USDOD 01.07.2020).

Dem Innenministerium (MoI) unterstehen die vier Teileinheiten der ANP: Afghanische Uniformierte Polizei (AUP), Polizei für Öffentliche Sicherheit (PSP, beinhaltet Teile der ehemaligen Afghanischen Polizei für Nationale Zivile Ordnung, ANCOP), Afghan Border Police (ABP), Kriminalpolizei (AACP), Afghan Local Police (ALP), und Afghan Public Protection Force (APPF). Das Innenministerium beaufsichtigt darüber hinaus drei Spezialeinheiten des Polizeigeneralkommandanten (GCPSU), sowie die Polizei zur Drogenbekämpfung (CNPA).

Die ANP rekrutiert lokal in 34 Rekrutierungsstationen in den Provinzen. Die neuen Rekruten werden zur Polizeiausbildung in eines der zehn regionalen Ausbildungszentren entsandt. Die Polizeiausbildung besteht im Allgemeinen aus einem 8- bis 12-wöchigen Ausbildungskurs. Neben der elementaren Polizeiausbildung mangelt es der ANP an einem institutionalisierten Programm zur Entwicklung von Führungskräften - sowohl auf Distrikt- als auch auf lokaler Ebene (USDOD 12.2019).

Die ALP untersteht dem Innenministerium, der Personalstand wird jedoch nicht den ANDSF zugerechnet (USDOD 01.07.2020; vgl. SIGAR 30.04.2019). Eine Rekrutierungskampagne, die sich auf den Zuwachs weiblicher Rekruten konzentrierte, führte zu positiven Ergebnissen.

Zwischen Juni und September 2019 traten zusätzlich 138 Frauen ihren Dienst bei der ANP an (USDOD 12.2019).

Resolute Support Mission

Die „Resolute Support Mission“ ist eine von der NATO geführte Mission, die mit 01.01.2015 ins Leben gerufen wurde. Hauptsächlich konzentriert sie sich auf Ausbildungs-, Beratungs- und Unterstützungsaktivitäten auf ministerieller und Behördenebene sowie in höheren Rängen der Armee und Polizei (NATO 02.03.2020). Die Personalstärke der Resolute Support Mission beträgt ca. 16.000 Mann (NATO 02.03.2020; vgl. RAKBL 12.10.2020b) durch 39 NATO-Mitglieder und andere Partner. Das Hauptquartier befindet sich in Kabul/Bagram mit vier weiteren Niederlassungen in Mazar-e Sharif im Norden, Herat im Westen, Kandahar im Süden und Laghman im Osten (NATO 02.03.2020). [...] 8 Folter und unmenschliche Behandlung - 67 -

Letzte Änderung: 16.12.2020 Laut der afghanischen Verfassung (Artikel 29) sowie dem Strafgesetzbuch (Penal Code) und dem afghanischen Strafverfahrensrecht (Criminal Procedure Code) ist Folter verboten (AA 16.07.2020; vgl. CoA 26.01.2004; EASO 7.2020). Auch ist Afghanistan Vertragsstaat der vier Genfer Abkommen von 1949, des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte (ICCPR) sowie des römischen Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs (ICC) (UNAMA 4.2019. Die Regierung erzielt Fortschritte bei der Verringerung der Folter in einigen Haftanstalten, versäumt es jedoch, Mitglieder der Sicherheitskräfte und prominente politische Persönlichkeiten für Misshandlungen, einschließlich sexueller Übergriffe, zur Rechenschaft zu ziehen (HRW 14.01.2020). Die Verfassung und das Gesetz verbieten solche Praktiken, dennoch gibt es zahlreiche Berichte über Misshandlung durch Regierungsbeamte, Sicherheitskräfte, Mitarbeiter von Haftanstalten und Polizisten. Berichten von NGOs zufolge wenden die Sicherheitskräfte auch weiterhin übermäßige Gewalt an; dazu zählen unter anderem auch Folter und Misshandlung von Zivilisten (USDOS 11.03.2020). Obwohl es Fortschritte gab, ist Folter in afghanischen Haftanstalten weiterhin verbreitet (AA 16.07.2020; vgl. UNAMA 4.2019). Rund ein Drittel der Personen, die im Zusammenhang mit dem bewaffneten Konflikt in Afghanistan festgenommen wurden, sind gemäß einem Bericht der UNAMA von Folter betroffen (UNAMA 4.2019). Es gibt dagegen keine Berichte über Folter in Haftanstalten, die der Kontrolle des General Directorate for Prison and Detention Centres des afghanischen Innenministeriums unterliegen. Trotz gesetzlicher Regelung erhalten Inhaftierte nur selten rechtlichen Beistand durch einen Strafverteidiger (AA 16.07.2020). Der Anteil der Personen, die über Folter berichteten, ist in den vergangenen Jahren leicht gesunken (USDOS 11.03.2020; vgl. HRW 14.01.2020). Auch existieren große Unterschiede abhängig von der geografischen Lage der Haftanstalt: Während bei einer Befragung durch UNAMA durchschnittlich von rund 31% der Befragten (45 Häftlinge) in ANP-Anstalten von Folter oder schlechter Behandlung berichtet wurde (wenngleich dies ein Rückgang zum Vorjahreswert ist, der 45% betrug), so gaben 77% der Befragten (22 Häftlinge) aus einer ANP- Anstalt in Kandahar an, gefoltert und schlecht behandelt zu werden. Anstalten des NDS in Kandahar und Herat konnten erwähnenswerte Verbesserungen vorweisen, während die Behandlung von Häftlingen in den Provinzen Kabul, Khost und Samangan auch weiterhin besorgniserregend war (UNAMA 4.2019; vgl. HRW 14.01.2020). Die afghanische Regierung hat Kontrollmechanismen eingeführt, um Fälle von Folter verfolgen und verhindern zu können. Allerdings sind diese weder beim NDS (National Directorate of Security) noch bei der afghanischen Polizei durchsetzungsfähig. Daher erfolgt eine Sanktionierung groben Fehlverhaltens durch Mitarbeiter der Sicherheitsbehörden bisher nur selten (AA 16.07.2020; vgl. HRW 17.01.2019). Die Rechenschaftspflicht der Sicherheitskräfte für Folter und Missbrauch ist schwach, intransparent und wird selten durchgesetzt. Eine unabhängige Beobachtung durch die Justiz bei Ermittlungen oder Fehlverhalten ist eingeschränkt bis inexistent. Mitglieder der ANP (Afghan National Police) und ALP (Afghan Local Police) sind sich ihrer Verantwortung weitgehend nicht bewusst und unwissend gegenüber den Rechten von Verdächtigen (USDOS 11.03.2020). Das Gesetz sieht Entschädigungszahlungen für die Opfer von Folter vor, jedoch ist die Barriere für einen Beweis der Folter sehr hoch. Für eine Entschädigungszahlung ist der Nachweis von physischen Anzeichen von Folter am Körper eines Inhaftierten notwendig (UNAMA 4.2019). [...] 9 Korruption Letzte Änderung: 16.12.2020 Mit einer Bewertung von 16 Punkten (von 100 möglichen Punkten – 0 = highly corrupt und 100 = very clean), belegt Afghanistan auf dem Korruptionswahrnehmungsindex für 2018 vonTransparency International von 180 untersuchten Ländern den 173. Platz, was eine Verschlechterung um einen Rang im Vergleich zum Jahr davor darstellt (TI 23.01.2020; vgl. TI 29.01.2019). Einer Umfrage aus dem Jahr 2019 zufolge betrachten 81,5% der befragten 15.000 Afghaninnen und Afghanen die Korruption als ein Hauptproblem des Landes. Diesbezüglich gab es keine Änderung zum Vorjahr (AF 02.12.2020). Das Gesetz sieht strafrechtliche Sanktionen für öffentliche Korruption vor. Die Regierung setzt dieses Gesetz jedoch nicht effektiv um. Einerseits wird von öffentlich Bediensteten berichtet, die regelmäßig und ungestraft in korrupte Praktiken involviert sind. Andererseits gibt es Korruptionsfälle, die erfolgreich vor Gericht gebracht wurden. Berichte deuten an, dass Korruption innerhalb der Gesellschaft endemisch ist - Geldflüsse von Militär, internationalen Gebern und aus dem Drogenhandel verstärken das Problem. Ansäßige Geschäftsleute beschweren sich über Regierungsaufträge, die routinemäßig aufgrund von Bestechung oder Günstlingswirtschaft zu bestimmten Unternehmen gelenkt werden (USDOS 11.03.2020). Innerhalb des afghanischen Staatshaushaltes werden insbesondere folgende Hauptquellen von Korruption genannt: Korruption bei der Beschaffung von Gütern, Korruption bei den Staatseinnahmen - vor allem durch die Zollabteilungen des Finanzministeriums - und Korruption bei der Vergabe von Staatsaufträgen. Darüber hinaus kommt es auch zu Korruption bei der Bereitstellung von Leistungen des Staates. Eine Quelle berichtet, - 68 - dass zur Ausstellung einer Tazkira oder eines Führerscheins, aber auch bei der Bezahlung von Steuern und Abgaben Bestechungsgelder fällig werden (Najimi 2018). Auch im Justizsystem ist Korruption weit verbreitet (USDOS 11.03.2020; vgl. AA 16.07.2020), insbesondere im Strafrecht und bei der Anordnung von Haftentlassungen (USDOS 11.03.2020). Trotz der sensiblen Sicherheitslage berichtet der Oberste Gerichtshof von einigen Fortschritten bei der Implementierung des Reformplans im Gerichtswesen. Der Oberste Gerichtshof berichtete auch von einer besseren Koordinierung innerhalb des Justizsektors (u.a. Justiz- und Innenministerium, Staatsanwaltschaft, etc.) (UNAMA 5.2019). Es wird auch von illegaler Aneignung von Land durch staatliche und private Akteure berichtet. In den meisten Fällen haben Unternehmen illegal Grundstücksnachweise von korrupten Beamten erhalten und diese dann an nichtsahnende Interessenten verkauft, welche später strafverfolgt wurden. In anderen Berichten wird angedeutet, Regierungsbeamte hätten Land ohne Kompensation konfisziert, mit der Intention, dieses gegen Verträge oder politische Gefälligkeiten einzutauschen. Es gibt Berichte über Provinzregierungen, die ebenso illegal Land ohne Gerichtsverfahren oder Kompensation konfiszierten, um öffentliche Gebäude/Anlagen zu bauen (USDOS 11.03.2020). Korruption findet in vielen Bereichen des öffentlichen Lebens statt (AA 16.07.2020 vgl. USDOS 11.03.2020). Berichten zufolge gehen Beamte oft ungestraft korrupten Praktiken nach (USDOS 11.03.2020). Es kam jedoch in den vergangenen Jahren zu leichten Verbesserungen bei der Wahrnehmung der Rechenschaftspflicht in der öffentlichen Verwaltung (USDOS 11.03.2020; vgl. UNAMA 5.2019). Am 10.10.2018 wurden zwei Gesetze in Kraft gesetzt, das Gesetz zum Schutz von Informanten und das Gesetz zur Bekämpfung der Verwaltungskorruption. Obwohl beide Gesetze strenge Maßnahmen zur Bekämpfung der Korruption vorsehen, ist die Durchsetzung nicht wirksam, und Korruption besteht nach wie vor in allen Regierungsabteilungen (RA KBL 12.10.2020b). Das Anti-Corruption Justice Center (ACJC), eine unabhängige Korruptionsbekämpfungsbehörde, die für die strafrechtliche Verfolgung von Korruptionsfällen auf hoher Ebene zuständig ist (USDOS 13.03.2019), verhandelte seit seiner Gründung im Jahr 2016 bis Mitte Mai (Anmerkung: 2019) in 57 Fällen 223 Angeklagte vor seiner Prozesskammer und 173 Angeklagte in 52 Fällen vor seiner Berufungskammer (USDOS 11.03.2020). Laut UNAMA blieb die Zahl der Angeklagten, deren Fälle in Abwesenheit verhandelt wurden, mit 20% hoch. Die Zahl der Fälle ist seit 2017 zurückgegangen, und der Rang der Angeklagten ist generell gesunken, während die vom Gericht angeordneten Beträge für Entschädigung, Restitution und Beschlagnahme geringfügig gestiegen sind (USDOS 11.03.2020). [...] 10 NGOs und Menschenrechtsaktivisten Letzte Änderung: 16.12.2020 Die afghanische Zivilgesellschaft spielt eine wichtige Rolle, speziell in den städtischen Regionen, wo tausende Kultur-, Wohlfahrts- und Sportvereinigungen mit wenig Einschränkung durch Behörden tätig sind (FH 04.03.2020). Nationale und internationale Menschenrechtsgruppen arbeiten generell ohne Einschränkungen durch die Regierung (USDOS 11.03.2020) und zudem stellen nationale und internationale NGOs 90% der primären, sekundären und tertiären medizinischen Versorgung in Afghanistan (AA 16.07.2020). Die Zivilgesellschaft Afghanistans ist tief verwurzelt, mit traditionellen lokalen Räten namens Shuras oder Jirgas, die auf informeller (nicht registrierter) Basis auf Dorf- oder Stammesebene tätig sind - in der Regel, um die Interessen einer Gemeinschaft gegenüber anderen Teilen der Gesellschaft zu vertreten. Die Verfassung garantiert das Recht, Nichtregierungsorganisationen (NGOs) zu gründen, und sowohl der gesetzliche Rahmen als auch die nationalen Behörden unterstützen zivilgesellschaftliche Gruppen relativ stark. Auf nationaler Gesetzgebung beruhend, existieren in Afghanistan zwei Hauptkategorien von registrierten NGOs und Vereinen. Registriert sind etwa 4.102 (Stand 11.2019) NGOs sowie 2.513 Vereine (CoF 11.2019). Die meisten NGOs finanzieren sich nicht durch Spenden oder Aktivitäten in Afghanistan, sondern sind von internationalen Geldgebern abhängig (Najimi 2018). Lokale NGOs müssen sich beim Wirtschaftsministerium (Ministry of Economy, MoEc) registrieren, ausländische NGOs bei MoEC und dem Außenministerium (Ministry of Foreign Affairs). Daneben gibt es noch Vereine bzw. zivilgesellschaftliche Organisationen („civic organizations“), die sich beim Justizministerium (Ministry of Justice) registrieren müssen (Najimi 2018; vgl. ICNL 13.04.2019). NGOs untersuchen und veröffentlichen ihre Ergebnisse über Menschenrechtsfälle, und Regierungsbeamte sind einigermaßen kooperativ und reagieren auf ihre Ansichten (USDOS 11.03.2020; vgl. FH 04.03.2020). Menschenrechtsaktivisten äußern sich weiterhin besorgt über Regierungsakteure, welche Menschenrechtsverletzungen verüben (USDOS 11.03.2020). Korruption in den Behörden und bürokratische Meldepflichten behindern in manchen Fällen die Aktivitäten der NGOs (FH 04.03.2020). Afghanische Mitarbeiter von nationalen und internationalen Hilfsorganisationen sind Ziel von Anschlägen regierungsfeindlicher Gruppen (AA 16.07.2020). Humanitäre Organisationen und Entwicklungsorganisationen müssen bei Projekten in den Distrikten die Gemeinschaften und Ältesten informieren und eine Erlaubnis - 69 - einholen. Wenn solche Sensibilisierungsmaßnahmen nicht durchgeführt werden, kann es zu Spannungen kommen, und Organisationen sind mit Missachtung konfrontiert (STDOK 13.06.2019). Die Taliban haben ihre eigenen Schattenbeamten, manche von ihnen arbeiten direkt mit der Regierung zusammen. Die Taliban sind aktiv und besuchen regelmäßig Büros der NGOs. Berichtet wurde, dass Taliban in Kandahar, aber auch in anderen Regionen des Landes, im Frühling 2018 anfingen, Entminungsorganisationen und NGOs nach einer Registrierung bei ihren eigenen NGO-Kommissionen zu fragen; auch sollten sie diese über die Finanzierungsdetails ihrer NGO-Projekte informieren. Manche NGO-Mitarbeiter geben an, die Vorgaben der Taliban seien leichter zu erfüllen als jene von korrupten Regierungsbeamten (CBC 24.12.2018; vgl. STDOK 13.06.2019). Jedoch stellt die Tatsache, dass die Taliban sich als die legitimen Herrscher in Afghanistan betrachten, eine Herausforderung dar, da sie in den von ihnen kontrollierten Gebieten Steuern verlangen. Großteils sind es im medizinischen Bereich tätige Organisationen, welche in Gebieten unter Taliban-Einfluss agieren (STDOK 13.06.2019). [...] 11 Wehrdienst und Rekrutierungen durch verschiedene Akteure Letzte Änderung: 16.12.2020 In Afghanistan gibt es keine Wehrpflicht. Das vorgeschriebene Mindestalter für die freiwillige Meldung beträgt 18 Jahre (CIA 07.05.2019; vgl. AA 16.07.2020). Da die Tätigkeit als Soldat oder Polizist für den großen Teil der jungen männlichen Bevölkerung eine der wenigen Verdienstmöglichkeiten darstellt, besteht grundsätzlich kein Anlass für Zwangsrekrutierungen zu staatlichen Sicherheitskräften. Aufgrund der sehr hohen Ausfallsquote werden etwaige „Deserteure“ nach Rückkehr wieder von den ANDSF aufgenommen. In einigen Fällen wurden Angehörige der ANDSF, die im Rahmen von Kampfhandlungen durch die Taliban gefangen genommen wurden, unter der Voraussetzung wieder freigelassen, nicht zu den ANDSF zurückzukehren (AA 16.07.2020). Gemäß dem afghanischen Militärstrafgesetzbuch (Afghanistan Penal Code on Military Crimes) von 2008 wird eine Abwesenheit von mehr als 24 Stunden als unerlaubt definiert (absent without official leave, AWOL) (DFJP/SEM 31.03.2017). Fahnenflucht und unerlaubtes Wegbleiben vom Arbeitsplatz im Militär-und Polizeibereich kommen häufig vor und können mit bis zu fünf Jahren Haft, in besonders schweren Fällen mit bis zu 15 Jahren Haft bestraft werden, wobei keine Fälle bekannt sind, in denen es zu einer strafrechtlichen Verurteilung oder disziplinarischen Maßnahmen gekommen ist (AA 16.07.2020). In der Praxis werden Fälle von Desertion in Afghanistan nicht strafrechtlich verfolgt, insbesondere wenn die desertierten Personen innerhalb Afghanistans ausgebildet wurden (RA KBL 06.03.2019; vgl. DFJP/SEM 31.03.2017). Unerlaubtes Fernbleiben vom Dienst bzw. Desertion wird gemäß Artikel 10 Anhang 1 des Militärstrafgesetzbuchs nicht bestraft, wenn die Abwesenheit weniger als ein Jahr. Eine Abwesenheit von mehr als einem Jahr kann mit sechs Monaten Freiheitsentzug oder einer Geldstrafe von 20.000 AFN (ca. 237 Euro) bestraft werden (RA KBL 21.10.2020). Die permanente Desertion ist mit einer Haftstrafe von zwei bis fünf Jahren bedroht. Bei Desertionen während einer Sondermission beträgt die maximale Haftstrafe zwischen fünf und fünfzehn Jahren (DFJP/SEM 31.03.2017). Für Offiziere, in deren Ausbildung der Staat mehr Ressourcen investiert hat, gelten bei unerlaubter Abwesenheit oder Desertion strengere Regeln. Gemäß Artikel 52 des Dienstrechts für Offiziere, Leutnants und Wachtmeister werden unerlaubte Abwesenheiten von weniger als 30 Tagen geringfügig bestraft, beispielsweise durch Lohnabzug oder andere Disziplinierungsmaßnahmen. Eine unerlaubte Abwesenheit von mehr als 30 Tagen wird gemäß dieser Bestimmung strafrechtlich verfolgt. So müssen Offiziere, die zur Ausbildung ins Ausland entsandt wurden und dort verbleiben, mit Strafmaßnahmen rechnen. Die Bestimmungen sehen Kompensationszahlungen nach der Rückkehr oder durch einen Bürgen vor (RA KBL 06.03.2019). Im Jahr 2016 wurde ein Soldat wegen Desertion in erster Instanz zu fünfzehn Jahren Haft verurteilt; Berichten zufolge wurde dies zu einem Medienfall, was u.a. auf die Seltenheit solcher Verurteilungen hinweist und auf die Absicht schließen lässt, ein Exempel zu statuieren (DFJP/SEM 31.03.2017). 11.1 Rekrutierung durch regierungsfeindliche Gruppierungen Letzte Änderung: 16.12.2020 UNAMA dokumentierte glaubwürdige Vorwürfe über die Rekrutierung von 26 Buben im Alter zwischen 12 und 17 Jahren durch regierungsfeindliche Gruppen (darunter pakistanische Taliban, afghanische Taliban und IS) im ersten HalbJahr 2019. Drei Buben wurden von regierungsnahen bewaffneten Gruppen und Sicherheitskräften als Leibwächter, als Waffenträger, für Patrouillen, für sexuelle Zwecke oder für alle vier Zwecke eingesetzt. In einzelnen Fällen wurden Kinder insbesondere in den südlichen Provinzen als Selbstmordattentäter, menschliche Schutzschilde oder Bombenleger eingesetzt (USDOS 11.03.2020; vgl. UNAMA 7.2020). Obwohl die Taliban eine interne Richtlinie haben, keine Kinder zu rekrutieren, gibt es Hinweise auf Kinderrekrutierungen, insbesondere postpubertärer Buben (EASO 6.2018). Die Taliban wenden, laut Berichten von NGOs und UN, Täuschung, Geldzusagen, falsche religiöse Zusammenhänge oder Zwang an, um Kinder zu Selbstmordattentaten zu bewegen (USDOS 11.03.2020; vgl. EASO 6.2018, DAI/CNRR 10.2016), teilweise - 70 - werden die Kinder zur Ausbildung nach Pakistan gebracht (EASO 6.2018). Im Jahr 2019 waren es laut UNAMA insgesamt 64 Jungen vor allem im Norden des Landes, welche durch die Taliban sowie durch afghanische Sicherheitskräfte rekrutiert wurden (UNAMA 7.2020; vgl. AA 16.07.2020). Während die afghanischen nationalen Sicherheitskräfte bei der Verhinderung der Rekrutierung von Kindern Fortschritte gemacht haben, gibt der Einsatz von Kindern durch die afghanische Lokalpolizei und in geringerem Maße durch die afghanische Nationalpolizei weiterhin Anlass zur Sorge (UNAMA 7.2020). Taliban Es besteht relativer Konsens darüber, wie die Rekrutierung für die Streitkräfte der Taliban erfolgt: sie läuft hauptsächlich über bestehende traditionelle Netzwerke und organisierte Aktivitäten im Zusammenhang mit religiösen Institutionen. Layha, der Verhaltenskodex der Taliban, enthält einige Bestimmungen über verschiedene Formen der Einladung sowie Bestimmungen, wie sich die Kader verhalten sollen, um Menschen zu gewinnen und Sympathien aufzubauen. Eines der Sonderkomitees der Quetta Schura (Anmerkung: militante afghanische Organisation der Taliban mit Basis in Quetta /Pakistan) ist für die Rekrutierung verantwortlich (LI 29.06.2017). Die UNAMA hat Fälle der Rekrutierung und des Einsatzes von Kindern durch die Taliban dokumentiert, um IEDs (Improvised Explosive Devices) zu platzieren, Sprengstoff zu transportieren, bei der Sammlung nachrichtendienstlicher Erkenntnisse zu helfen und Selbstmordattentate zu verüben, wobei auch positive Schritte von der Taliban-Kommission für die Verhütung ziviler Opfer und Beschwerden unternommen wurden, um Fälle von Rekrutierung und Einsatz von Kindern zu untersuchen und korrigierend einzugreifen (UNAMA 7.2020). In Gebieten, in denen regierungsfeindliche Gruppen Kontrolle ausüben, gibt es eine Vielzahl an Methoden, um Kämpfer zu rekrutieren, darunter auch solche, die auf Zwang basieren (DAI/CNRR 10.2016), wobei der Begriff Zwangsrekrutierung von Quellen unterschiedlich interpretiert und Informationen zur Rekrutierung unterschiedlich kategorisiert werden (LI 29.06.2017). Grundsätzlich haben die Taliban keinen Mangel an freiwilligen Rekruten und machen nur in Ausnahmefällen von Zwangsrekrutierung Gebrauch. Druck und Zwang, den Taliban beizutreten, sind jedoch nicht immer gewalttätig (EASO 6.2018). Landinfo versteht Zwang im Zusammenhang mit Rekrutierung dahingehend, dass jemand, der sich einer Mobilisierung widersetzt, speziellen Zwangsmaßnahmen und Übergriffen (zumeist körperlicher Bestrafung) durch den Rekrutierer ausgesetzt ist. Die Zwangsmaßnahmen können auch andere schwerwiegende Maßnahmen beinhalten und gegen Dritte, beispielsweise Familienmitglieder, gerichtet sein. Auch wenn jemand keinen Drohungen oder körperlichen Übergriffen ausgesetzt ist, können Faktoren wie Armut, kulturelle Gegebenheiten und Ausgrenzung die Unterscheidung zwischen freiwilliger und zwangsweiser Beteiligung zum Verschwimmen bringen (LI 29.06.2017). Sympathisanten der Taliban sind Einzelpersonen und Gruppen, vielfach junge, desillusionierte Männer. Ihre Motive sind der Wunsch nach Rache und Heldentum, gepaart mit religiösen und wirtschaftlichen Gründen. Sie fühlen sich nicht zwingend den zentralen Werten der Taliban verpflichtet. Die meisten haben das Vertrauen in das Staatsbildungsprojekt verloren und glauben nicht länger, dass es möglich ist, ein sicheres und stabiles Afghanistan zu schaffen. Viele schließen sich den Aufständischen aus Angst oder Frustration über die Übergriffe auf die Zivilbevölkerung an. Armut, Hoffnungslosigkeit und fehlende Zukunftsperspektiven sind die wesentlichen Erklärungsgründe (LI 29.06.2017). Vor einigen Jahren waren Mittel wie Pamphlete, DVDs und Zeitschriften bis hin zu Radio, Telefon und web- basierter Verbreitung wichtige Instrumente des Propagandaapparats. Internet und soziale Medien wie Twitter, Blogs und Facebook haben sich in den letzten Jahren zu sehr wichtigen Foren und Kanälen für die Verbreitung der Botschaft dieser Bewegung entwickelt, sie dienen auch als Instrument für die Anwerbung. Über die sozialen Medien können die Taliban mit Sympathisanten und potenziellen Rekruten Kontakt aufnehmen. Die Taliban haben verstanden, dass ohne soziale Medien kein Krieg gewonnen werden kann. Sie haben ein umfangreiches Kommunikations- und Mediennetzwerk für Propaganda und Rekrutierung aufgebaut. Zusätzlich unternehmen die Taliban persönlich und direkt Versuche, die Menschen von ihrer Ideologie und Weltanschauung zu überzeugen, damit sie die Bewegung unterstützen. Ein Gutteil dieser Aktivitäten läuft über religiöse Netzwerke (LI 29.06.2017). Die Entscheidung, Rekruten zu mobilisieren, wird von den Familienoberhäuptern, Stammesältesten und Gemeindevorstehern getroffen. Dadurch wird dies nicht als Zwangsrekrutierung wahrgenommen, da die Entscheidungen der Anführer als legitim und akzeptabel gesehen werden. Personen, die sich dem widersetzen, gehen ein Risiko ein, dass sie oder ihre Familien bestraft oder getötet werden (DAI/CNRR 10.2016; vgl. EASO 6.2018), wenngleich die Taliban nachsichtiger als der ISKP seien und lokale Entscheidungen eher akzeptieren würden (TST 22.08.2019). Andererseits wird berichtet, dass es in Gebieten, die von den Taliban kontrolliert werden oder in denen die Taliban stark präsent sind, de facto unmöglich ist, offenen Widerstand gegen die Bewegung zu leisten. Die - 71 -

örtlichen Gemeinschaften haben sich der Lokalverwaltung durch die Taliban zu fügen. Oppositionelle sehen sich gezwungen, sich äußerst bedeckt zu halten oder das Gebiet zu verlassen. Die Gruppe der Stammesältesten ist gezielten Tötungen ausgesetzt. Landinfo vermutet, dass dies vor allem regierungsfreundliche Stammesälteste betrifft, die gegen die Taliban oder andere aufständische Gruppen sind (LI 29.06.2017). Es gibt Berichte von Übergriffen auf Stämme oder Gemeinschaften, die den Taliban Unterstützung und die Versorgung mit Kämpfern verweigert haben. Gleichzeitig sind die militärischen Einheiten der Taliban in den Gebieten, in welchen sie operieren, von der Unterstützung durch die Bevölkerung abhängig. Wenn es auch Stimmen gibt, die meinen, dass die Taliban im Gegensatz zu früher nunmehr vermehrt auf die Wünsche und Bedürfnisse der Gemeinschaften Rücksicht nehmen würden, wenn bei einem Angriff oder drohenden Angriff auf eine örtliche Gemeinschaft Kämpfer vor Ort mobilisiert werden müssen, mag es schwierig sein, sich zu entziehen (LI 29.06.2017). Die erweiterte Familie kann angeblich auch eine Zahlung leisten, anstatt Rekruten zu stellen. Diese Praktiken implizieren, dass es die ärmsten Familien sind, die Kämpfer stellen, da sie keine Mittel haben, um sich freizukaufen. Es ist bekannt, dass - wenn Familienmitglieder in den Sicherheitskräften dienen - die Familie möglicherweise unter Druck steht, die betreffende Person zu einem Seitenwechsel zu bewegen. Der Grund dafür liegt in der Strategie der Taliban, Personen mit militärischem Hintergrund anzuwerben, die Waffen, Uniformen und Wissen über den Feind einbringen. Es kann aber auch Personen treffen, die über Knowhow und Qualifikationen verfügen, welche die Taliban im Gefechtsfeld benötigen, etwa für die Reparatur von Waffen (LI 29.06.2017). Islamischer Staat (IS) Lokale Ältere, die in den Grenzprovinzen Kunar und Nangarhar leben, berichten von ISKP Kräften, die nach wie vor die Bewohner in Dörfern unter ihrer Kontrolle terrorisieren und Buben zwangsrekrutieren, sowie Mädchen vom Schulbesuch abhalten (WP 20.08.2019; vgl. TST 21.08.2019). Von Kunar wurde berichtet, dass auch Männer zwangsrekrutiert und jene getötet wurden, die dies verweigert hätten (TST 22.08.2019). In Gebieten unter Kontrolle des IS wird Druck auf die Gemeinden ausgeübt, den IS voll zu unterstützen (EASO 6.2018). Andere Gruppierungen Auch schiitische Organisationen rekrutieren unter Afghanen, wie z.B. die Fatemiyoun Division, eine Kampftruppe, die vorwiegend aus afghanischen schiitischen Hazara besteht. Die Rekrutierung erfolgt durch die Iranischen Revolutionsgarden im Iran unter der afghanischen Flüchtlingspopulation; die Rekruten werden nach der Ausbildung zum Kampf nach Syrien geschickt. Es gibt Berichte, dass sich in einem Hazara-Viertel im Westen Kabuls ein Rekrutierungszentrum der Fatemiyoun befindet. Es werden auch Jugendliche ab 14 Jahren rekrutiert (DW 05.05.2018). Anmerkung: Ausführliche Informationen zu Rekrutierung der Taliban, können der Analyse von Landinfo vom 29.06.2017 (LI 29.06.2017) entnommen werden. [...] 12 Allgemeine Menschenrechtslage Letzte Änderung: 16.12.2020 Im Bereich der Menschenrechte hat Afghanistan unter schwierigen Umständen Fortschritte gemacht. Eine selbstbewusste neue Generation von Afghaninnen und Afghanen engagiert sich politisch, kulturell und sozial und verleiht der Zivilgesellschaft eine starke Stimme. Diese Fortschritte erreichen aber nicht alle Landesteile und sind außerhalb der Städte auch gegen willkürliche Entscheidungen von Amtsträgern und Gerichten sowie Einflussnahme örtlicher Machteliten nur schwer durchzusetzen. Afghanistan wurde 2017 erstmals zum Mitglied des Menschenrechtsrats der Vereinten Nationen für den Zeitraum 01.01.2018 - 31.12.2020 gewählt (AA 16.07.2020). Die Menschenrechte haben in Afghanistan eine klare gesetzliche Grundlage. Die 2004 verabschiedete afghanische Verfassung enthält einen umfassenden Grundrechtekatalog (AA 167.2020; vgl. CoA 261.2004). Darüber hinaus hat Afghanistan die meisten der einschlägigen völkerrechtlichen Verträge - zum Teil mit Vorbehalten - unterzeichnet und/oder ratifiziert. Die afghanische Regierung ist jedoch nicht in der Lage, die Menschenrechte vollumfänglich umzusetzen und zu gewährleisten (AA 16.07.2020). Korruption und begrenzte Kapazitäten schränken den Zugang der Bürger zu Justiz in Bezug auf Verfassungs- und Menschenrechtsverletzungen ein (USDOS 11.03.2020). In der Praxis werden politische Rechte und Bürgerrechte durch Gewalt, Korruption, Nepotismus und fehlerbehaftete Wahlen eingeschränkt (FH 04.03.2020). Beschwerden gegen Menschenrechtsverletzungen können an die Afghan Independent Human Rights Commission (AIHRC) gemeldet werden, welche die Fälle nach einer Sichtung zur weiteren Bearbeitung an die Staatsanwaltschaft übermittelt. Einige Bürgerinnen berichten von Regierungsbeamten, die sexuelle Gefälligkeiten als Gegenleistung verlangen, wenn Frauen sich mit der Bitte um Dienstleistungen an Regierungseinrichtungen wenden. Die gemäß Verfassung eingesetzte AIHRC bekämpft Menschenrechtsverletzungen. Sie erhält nur minimale staatliche Mittel und stützt sich fast ausschließlich auf - 72 - internationale Geldgeber. Innerhalb der Wolesi Jirga beschäftigen sich drei Arbeitsgruppen mit Menschenrechtsverletzungen: der Ausschuss für Geschlechterfragen, Zivilgesellschaft und Menschenrechte; das Komitee für Drogenbekämpfung, Rauschmittel und ethischen Missbrauch sowie der Jusitz-, Verwaltungsreform- und Antikorruptionsausschuss (USDOS 11.03.2020). Präsident Ghani hat am 12.05.2018 eine Verordnung unterzeichnet, wonach ein unabhängiger Ombudsmann für Angelegenheiten des Präsidenten eingerichtet werden soll (SIGAR 5.2018). AIHRC entwickelte in Kooperation mit den Ministerien für Verteidigung und Inneres ein Ombudsmannprogramm, durch welches Polizeigewalt gemeldet werden kann (USDOD 12.2018; vgl. UNAMA 4.2019). Die Einrichtung dieses Ombudsmannprogramms wurde für 31.12.2018 angekündigt (SIGAR 5.2018), aber bisher noch nicht finanziert und umgesetzt (USDOD 12.2018). Menschenrechtsverteidiger werden immer wieder sowohl von staatlichen als auch nicht-staatlichen Akteuren angegriffen; sie werden bedroht, eingeschüchtert, festgenommen und getötet. Maßnahmen, um Menschenrechtsverteidiger zu schützen, waren zum einen inadäquat, zum anderen wurden Misshandlungen gegen selbige selten untersucht (AI 30.01.2020). Die weit verbreitete Missachtung der Rechtsstaatlichkeit sowie die Straflosigkeit für Amtsträger, die Menschenrechte verletzen, stellen ernsthafte Probleme dar. Zu den bedeutendsten Menschenrechtsproblemen zählen außergerichtliche Tötungen, Verschwindenlassen, Folter, willkürliche Verhaftungen und Inhaftierungen, Unterdrückung von Kritik an Amtsträgern durch strafrechtliche Verfolgung von Kritikern im Rahmen der Verleumdungs-Gesetzgebung, Korruption, fehlende Rechenschaftspflicht und Ermittlungen in Fällen von Gewalt gegen Frauen, sexueller Missbrauch von Kindern durch Sicherheitskräfte, Gewalt durch Sicherheitskräfte gegen Mitglieder der LGBTI-Gemeinschaft sowie Gewalt gegen Journalisten (USDOS 11.03.2020). Mit Unterstützung der United Nations Assistance Mission in Afghanistan (UNAMA) und des Office of the High Commissioner for Human Rights (OHCHR) arbeitet die afghanische Regierung an der Förderung von Rechtsstaatlichkeit, der Rechte von Frauen, Kindern, Binnenflüchtlingen und Flüchtlingen sowie Rechenschaftspflicht (UNHRC 21.02.2018). Im Dezember 2018 würdigte UNAMA die Fortschritte Afghanistans auf dem Gebiet der Menschenrechte, insbesondere unter den Herausforderungen des laufenden bewaffneten Konfliktes und der fragilen Sicherheitslage. Die UN arbeitet weiterhin eng mit Afghanistan zusammen, um ein Justizsystem zu schaffen, das die Gesetzesreformen, die Verfassungsrechte der Frauen und die Unterbindung von Gewalt gegen Frauen voll umsetzen kann (UNAMA 10.12.2018). [...] 13 Meinungs- und Pressefreiheit Letzte Änderung: 16.12.2020 Die Presse- und Meinungsfreiheit ist in Artikel 34 der afghanischen Verfassung verankert (CoA 27.01.2004; vgl. USDOS 11.03.2020). Afghanistan hat einen lebhaften Mediensektor mit zahlreichen Druckmedien sowie Radio- und Fernsehkanälen, die insgesamt ein großes Spektrum an Meinungen - in der Regel unzensiert - darstellen. Es existieren unabhängige, privatwirtschaftliche Medienunternehmen sowie ein staatlicher Rundfunk und Medien-Sender, hinter denen spezifische politische Interessen stehen (FH 04.03.2020; vgl. AA 16.07.2020). Einem Regierungsbericht zufolge existieren 113 TV-Stationen, 257 Radiosender und 80 Zeitungen in Afghanistan (AA 16.07.2020). Die Freiheiten sind in einem Maß verwirklicht, das grundsätzlich im regionalen Vergleich positiv hervorsticht (AA 16.07.2020), wenngleich diese wegen Sicherheitserwägungen, einer konservativen Medienpolitik seitens des Staates und religiösen Forderungen eingeschränkt werden (USDOS 11.03.2020; vgl. AA 16.07.2020). Jedoch übernehmen afghanische Medienvertreter politische Verantwortung und gehen Risiken ein, um Missstände anzuprangern, während Journalisten die wachsende Kontrolle des Staates über die Berichterstattung sowie eine Behinderung von Recherchearbeit der Regierungsmitglieder beklagen (AA 16.07.2020). Print- und Online- Medien unabhängige Zeitschriften, Newsletter, Zeitungen und Websites veröffentlichen auch weiterhin und kritisieren die Regierung offen (USDOS 11.03.2020). Afghanistan rangiert im World Press Freedom Index 2020 auf Platz 122 von 180 untersuchten Staaten; dies stellt eine Verschlechterung von einem Platz im Vergleich zum Vorjahr und drei Plätzen im Vergleich zum Jahr 2018 dar (RSF 2020). Die Regierung unterstützt öffentlich die Medienfreiheit und arbeitet mit Initiativen zusammen, um Sicherheitsbedrohungen für die Medien entgegenzuwirken. Unabhängige Medien sind aktiv und äußern eine Vielzahl von Ansichten. Die Umsetzung des Gesetzes über den Zugang zu Informationen ist nach wie vor uneinheitlich, und die Medien berichten über ein ständiges Versagen der Regierung bei der Erfüllung der Anforderungen des Gesetzes. Regierungsbeamte schränken den Zugang der Medien zu Regierungsinformationen oft ein oder ignorieren einfach Anfragen. Journalisten beklagen sich über Beamte, die sich auf nationale Interessen berufen, um der Informationspflicht nicht nachkommen zu müssen (USDOS 11.03.2020). Es gibt Bedenken, dass Gewalt und Instabilität die Sicherheit der Journalisten gefährden könnten. Laut RSF (Reporter ohne Grenzen) zählt Afghanistan zu den weltweit gefährlichsten Staaten für Journalisten (RSF o.D. b; - 73 - vgl. AA 16.07.2020, TN 21.04.2020). Das Afghan Journalist Safety Committee (AJSC) berichtet von drei Journalist/innen, die in den ersten sechs Monaten des Jahres 2019 getötet wurden. Außerdem wurden 45 Vorfälle von Gewalt gegen Journalisten registriert; dies beinhaltet Tötungen, Misshandlung und Erniedrigung, Einschüchterung und Inhaftierung von Journalisten. Dies bedeutet einen Rückgang von 50% gegenüber dem ersten Halbjahr 2018 (USDOS 11.03.2020). Es existieren Berichte, wonach staatliche Behörden zeitweise Druck, Verordnungen und Drohungen einsetzen, um Kritiker zum Schweigen zu bringen. Die regelmäßige Kritik an der Zentralregierung verläuft allgemein frei von Einschränkungen. Beanstandungen an der Provinzregierung in Gebieten, wo lokale Beamte und Machtträger erheblichen Einfluss und Autorität haben, werden stärker eingeschränkt. Dies betrifft sowohl Privatpersonen als auch journalistisch tätige Personen. Bestimmte politische und ethnische Gruppierungen, inklusive derjenigen, die von ehemaligen Mudschahedin-Anführern geleitet werden, besitzen zahlreiche Mediensender und kontrollieren die Inhalte auf Provinzebene. In einigen Provinzen ist die Medienpräsenz eingeschränkt (USDOS 11.03.2020; vgl. AA 16.07.2020). Das Massenmediengesetz und das Strafgesetzbuch sehen Gefängnis- und Geldstrafen für Verleumdung vor. Manchmal benutzen staatliche Behörden das Diffamierungsverbot als Vorwand, um Kritik an Regierungsbeamten zu unterdrücken (USDOS 11.03.2020). Aufgrund der hohen Analphabetismusrate bevorzugen die meisten Bürger Fernsehen und Radio gegenüber Print- oder Online-Medien (USDOS 11.03.2020). Ein größerer Prozentsatz der Bevölkerung - auch in abgelegenen Provinzen - hat Zugang zu Radio (USDOS 11.03.2020). Kriegsherren, Politiker, Taliban- Sympathisanten und Regierungsvertreter werden in Fernsehdebatten, Radiosendungen und in sozialen Medien offen herausgefordert (F24 21.05.2019). Wie weit die Medienfreiheit in Afghanistan gekommen ist, zeigt beispielsweise eine kürzlich im Fernsehen übertragene Nachrichtendebatte, in der traumatisierte Zivilisten zumindest versuchen können, mächtige Männer zur Rechenschaft zu ziehen - live vor der Kamera. Von dieser Möglichkeit machte eine Zivilistin Gebrauch, als sie vor dem „Schlächter von Kabul“ - Gulbuddin Hekmatyar - stand und ihn fragte, ob er sich für seine mutmaßlichen Kriegsverbrechen entschuldigen möchte (F24 21.05.2019). Journalisten berichten über Gewaltandrohungen und Belästigungen wegen des innerstaatlichen Konfliktes durch Politiker, Sicherheitsbeamte und andere Machthaber. Beamte und Privatpersonen setzen Gewaltandrohungen ein, um unabhängige und oppositionsnahe Journalisten einzuschüchtern, insbesondere solche, die über Straflosigkeit, Kriminalität und Korruption durch lokale Machthaber berichten. Auch die Taliban greifen weiterhin Medienorganisationen an. Einige Reporter vermeiden Kritik an Aufständischen und bestimmten Nachbarländern aus Angst vor einer Vergeltung durch die Taliban. In unsicheren Gegenden nötigen aufständische Gruppierungen Mediengesellschaften zu Beschränkungen bei der Ausstrahlung von Ankündigungen der Sicherheitskräfte, Unterhaltungsprogrammen, Musik und Aussagen von Frauen (USDOS 11.03.2020). Internet und Mobiltelefonie Eine schnelle Verbreitung von Mobiltelefonen, Internet und sozialen Medien hat vielen Bürgern einen besseren Zugang zu unterschiedlichen Ansichten und Informationen ermöglicht (USDOS 11.03.2020). Es gibt Mobiltelefone in 90% der afghanischen Haushalte wobei sich oft mehrere Personen eines teilen (DFJP/SEM 30.06.2020). Der Zugang zum Internet wird von staatlicher Seite nicht eingeschränkt, und es gibt keine Berichte zu Überwachung privater Online-Kommunikation ohne rechtliche Genehmigung (USDOS 11.03.2020). Die Internetnutzung bleibt aufgrund hoher Preise, fehlender lokaler Inhalte und des Analphabetismus relativ gering (USDOS 11.03.2020). Medien und Aktivisten nutzen routinemäßig soziale Medien, um über politische Entwicklungen zu diskutieren; beispielsweise ist Facebook in städtischen Gebieten weit verbreitet. Die Taliban nutzten das Internet und die sozialen Medien, um ihre Botschaften zu verbreiten (USDOS 11.03.2020). Internetseiten mit nach afghanischem Verständnis unmoralischen oder pornografischen Inhalten sind gesperrt. Darunter fallen tatsächlich pornografische Seiten ebenso wie Webangebote für homo-, bi-, inter- oder transsexuelle User und Kennenlernportale bis hin zu Verkaufsseiten mit Alkoholangebot (AA 16.07.2020). Im Laufe des Jahres 2019 gab es viele Berichte über Versuche der Taliban, den Zugang zu Informationen einzuschränken, oft durch die Zerstörung oder Abschaltung von Telekommunikationsantennen und anderen Geräten (USDOS 11.03.2020). Fünf GSM-Betreiber decken zwei Drittel der bevölkerungsreichsten Gebiete ab. Ungefähr jeder zweite Einwohner hat im Jahr 2020 eine aktive SIM-Karte. Weniger als einer von zehn Nutzern geht mit einem Mobiltelefon ins Internet (DFJP/SEM 30.06.2020). In Gebieten unter Talibankontrolle werden den Mobilfunkanbietern Vorgaben gemacht, wann das Netzwerk zur Verfügung gestellt werden darf; häufig müssen die Netze nach Einbruch der Dunkelheit abgeschaltet - 74 - werden (DFJP/SEM 30.06.2020; vgl. ODI 21.06.2018). Die Mobilfunkbetreiber kommen den Anweisungen in der Regel nach, da in den vergangenen Jahren teure Infrastruktur zerstört und Ingenieure und Angestellte angegriffen und getötet wurden, wenn Anweisungen der Aufständischen nicht befolgt worden sind (AN 21.04.2018). Der regierungsnahe Mobiltelefonanbieter Salam ist in den von Taliban kontrollierten Gebieten gesperrt. Die Taliban kontrollieren Handys nach Salam-SIM-Karten. Sollte man mit einer solchen SIM-Karte erwischt werden, wird die Karte wahrscheinlich zerstört und deren Besitzer geschlagen (ODI 21.06.2018; vgl. ST 04.09.2020). [...] 14 Versammlungsfreiheit Letzte Änderung: 16.12.2020 Die afghanische Verfassung garantiert das Recht auf Versammlungsfreiheit (Artikel 36) (CoA 26.01.2004; vgl. FH 04.03.2020, AA 16.07.2020). Im Allgemeinen respektiert die Regierung das Recht der Bürgerinnen und Bürger, friedlich zu demonstrieren (USDOS 11.03.2020). In der Praxis gibt es jedoch - von Region zu Region unterschiedlich - einige Einschränkungen (FH 04.03.2020; vgl. USDOS 11.03.2020). Es gibt regelmäßig genehmigte sowie spontane Demonstrationen (AA 16.07.2020). Im Jänner 2018 stimmte das Parlament gegen ein Präsidialdekret, das der Polizei weitreichende Befugnisse zum Unterbinden von Demonstrationen gegeben hätte (FH 04.02.2019; vgl. AI 22.02.2018; USDOS 11.03.2020). Trotz erheblicher Anstrengungen ist die Regierung nicht immer in der Lage, die Sicherheit der Teilnehmer zu gewährleisten (AA 16.07.2020). So kam es bei größeren Demonstrationen wiederholt zu tödlichen Zwischenfällen (AA 02.09.2019; vgl. FH 04.02.2019). Manchmal schießt die Polizei mit scharfer Munition, um Demonstrationen zu zerstreuen (FH 04.03.2020; vgl. USDOS 11.03.2020). Am 11.05.2020 sowie am 12.06.2020 kam es in den Provinzen Herat und Kabul zu je einer Demonstration gegen die iranische Regierung im Zusammenhang mit dem Tod afghanischer Bürger an der afghanisch- iranischen Grenze. Die Demonstrationen waren friedlich, und auch Frauen nahmen daran teil. Im Jahr 2019 gab es einige Demonstrationen von Anhängern Dr. Abdullahs in Kabul und einigen nördlichen Provinzen im Zusammenhang mit der behaupteten Korruption im Zusammenhang mit den Wahlen durch das Team von Dr. Ghani (RA KBL 12.10.2020). Proteste sind auch anfällig für Angriffe des IS und der Taliban. Im September 2019 wurden 26 Menschen, die an einer Wahlkampfansprache von Präsident Ghani in der Provinz Parwan teilnahmen, bei einem Selbstmordattentat getötet. Öffentliche Demonstrationen haben in den letzten Jahren nachgelassen, was vorwiegend auf die Geschichte der Angriffe gegen sie, insbesondere durch den IS, zurückzuführen ist (FH 04.03.2020). 14.1 Vereinigungsfreiheit, Opposition Letzte Änderung: 16.12.2020 Die afghanische Verfassung erlaubt in Artikel 35 die Gründung von Vereinen bei Einhaltung der gesetzlichen Bestimmungen (AA 16.07.2020; vgl. CoA 27.01.2004, USDOS 11.03.2020), und dieses Recht wird von staatlicher Seite normalerweise respektiert (USDOS 11.03.2020; vgl. FH 04.03.2020). Zivilgesellschaftliche Gruppen spielen besonders im städtischen Raum eine wichtige Rolle, wo Tausende von Vereinen für Kultur, Wohlfahrt und Sport mit nur geringer Einmischung durch die Behörden tätig sind (FH 04.03.2020). Gemäß Gesetz von 2009 müssen sich politische Parteien beim Justizministerium (MoJ) registrieren (AA 16.07.2020; vgl. CoA 27.01.2004). Dafür müssen sie nachweisen, dass sie den Zielen und Werten des Islam und der Verfassung verpflichtet sind (AA 16.07.2020; vgl. USDOS 11.03.2020) sowie Organisationsstrukturen und Finanzen offenlegen (AA 16.07.2020). Dieses Gesetz verbietet Regierungsmitarbeiter/innen von Sicherheits- und Justizinstitutionen, insbesondere des Obersten Gerichtshofs, der Generalstaatsanwaltschaft, des Innenministeriums, des Verteidigungsministeriums und dem Geheimdienst (NDS), während ihrer Beschäftigung bei der Regierung Mitglied bei politischen Parteien zu sein. Mitarbeiter/innen, die sich nicht an die Bestimmungen halten, können entlassen werden (USDOS 11.03.2020). Ferner dürfen afghanische Parteien und Organisationen nicht von ausländischen Parteien oder ausländischer Finanzierung abhängig sein (AA 16.07.2020). In den letzten Jahren wurden die Anforderungen zur Registrierung erhöht: So muss eine Partei mindestens 10.000 Mitglieder vorweisen und lokale Büros in mindestens 20 Provinzen eröffnen (RA KBL 12.10.2020b; vgl. AA 02.09.2019, USDOS 20.04.2018). Die Gründungsmitglieder müssen afghanische Staatsbürger, mindestens 25 Jahre und strafrechtlich unbescholten sein (RA KBL 12.10.2020b). Opposition Regierung und Opposition sind in Afghanistan nicht ohne weiteres voneinander zu trennen. Kriterien wie Ethnie und Stammeszugehörigkeit spielen eine wichtigere Rolle als ideologische Aspekte. Politische Allianzen werden schnell geschlossen, gehen aber ebenso schnell wieder auseinander. Die Regierung der Nationalen Einheit (National Unity Government, NUG) wird regelmäßig aus verschiedenen Lagern scharf kritisiert. Auch - 75 -

Mitglieder der Regierung kritisieren diese zum Teil öffentlich, ohne mit Sanktionen rechnen zu müssen. Auf lokaler Ebene gibt es allerdings Berichte von Übergriffen bis hin zur Verhaftung durch lokale Polizeieinheiten nach Kritik an lokalen Machthabern (AA 16.07.2020). Zahlreiche Oppositionsführer und -parteien nehmen an Wahlen teil. Aufgrund des wiederkehrenden Problems des Wahlbetrugs ist jedoch nicht sicher, dass sich eine Unterstützung durch die Bevölkerung in einen Wahlerfolg umsetzt (FH 04.02.2019; vgl. USIP 02.11.2017). Oppositionspolitiker werfen der Regierung vor, sie zu unterminieren und stattdessen Rivalen zu fördern (FH 04.02.2019). Seit 2001 haben sich zuvor islamistisch-militärische Fraktionen, kommunistische Organisationen, ethno- nationalistische Gruppen und zivilgesellschaftliche Gruppen in politische Parteien gewandelt. Diese repräsentieren einen vielgestaltigen Querschnitt der politischen Landschaft und haben sich in den letzten Jahren zu gefestigten Institutionen entwickelt. Jedoch ist keine von ihnen eine weltanschauliche Organisation oder dient der Wählermobilisierung, wie es für Parteien in reiferen Demokratien üblich ist (USIP 3.2015; vgl. AAN 06.05.2018). Eine Diskriminierung oder Strafverfolgung aufgrund exilpolitischer Aktivitäten nach Rückkehr aus dem Ausland ist nicht anzunehmen. Präsident Ashraf Ghani selbst verbrachte die Zeit der Bürgerkriege und der Taliban- Herrschaft in den 1990er-Jahren weitgehend im pakistanischen und US-amerikanischen Exil (AA 16.07.2020). Gulbuddin Hekmatyar kehrte nach einem Friedensabkommen mit der Regierung im Jahr 2017 nach Afghanistan zurück (BBC 04.05.2017) und war mittlerweile sogar Präsidentschaftskandidat (TN 07.08.2019). [...] 15 Haftbedingungen Letzte Änderung: 16.12.2020 Gefängnisse, Jugendrehabilitationszentren und andere Haftanstalten werden von unterschiedlichen Organisationen verwaltet: Das General Directorate of Prisons and Detention Centers (GDPDC), ein Teil des Innenministeriums (MoI), ist verantwortlich für alle zivil geführten Gefängnisse, sowohl für weibliche als auch männliche Häftlinge, inklusive des nationalen Gefängniskomplexes in Pul-e Charkhi. Das MoI und das Juvenile Rehabilitation Directorate (JRD) sind verantwortlich für alle Jugendrehabilitationszentren und Zivilhaftanstalten. Das National Directorate of Security (NDS), ist verantwortlich für Kurzzeit-Haftanstalten auf Provinz- und Distriktebene, die in der Regel mit den jeweiligen Hauptquartieren zusammenarbeiten. Das Verteidigungsministerium betreibt die Nationalen Haftanstalten Afghanistans in Parwan (USDOS 11.03.2020). Glaubwürdigen Berichten zufolge verwalten regierungstreue lokale Machthaber, mächtige Personen in den Sicherheitskräften und Mitglieder der ANDSF private Gefängnisse, in denen Gefangene misshandelt werden (USDOS 11.03.2020; vgl. FH 04.02.2019). Lokale Gefängnisse und Haftanstalten haben nicht immer getrennte Einrichtungen für weibliche Gefangene; auch herrscht ein Mangel an separaten Einrichtungen für Untersuchungs- und Strafhäftlinge (USDOS 11.03.2020). Überbelegung ist weiterhin ein ernstes, verbreitetes Problem: Gemäß den empfohlenen Standards des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (ICRC) sind 28 von 34 Gefängnissen für Männer stark überbelegt. Im Pul-e Charkhi-Gefängnis, der größten Vollzugsanstalt des Landes, befinden sich 13.453 Gefangene, darunter u.a. Kinder von inhaftierten Müttern, was die Aufnahmekapazität der Anlage um 58% übersteigt (USDOS 11.03.2020). Die Haftbedingungen in Afghanistan entsprechen nicht den internationalen Standards. Es gibt Berichte über Misshandlungen in Gefängnissen (AA 16.07.2020). Ein Recht für Häftlinge auf Gesundheitsdienste und medizinische Untersuchungen zu Beginn der Unterbringung existiert (UNAMA 4.2019). Der Zugang zu Nahrung, Trinkwasser, sanitären Anlagen, Heizung, Lüftung, Beleuchtung und medizinischer Versorgung in den Gefängnissen ist landesweit unterschiedlich und im Allgemeinen unzureichend (USDOS 11.03.2020; vgl. HRW 14.01.2020). Das Budget für das nationale Ernährungsprogramm von Häftlingen des GDPDC ist sehr limitiert. Daher müssen Familienangehörige oft für die notwendige ergänzende Nahrung aufkommen (USDOS 11.03.2020). Als Folge der schlechten Haftbedingungen sind psychische Gesundheitsprobleme weit verbreitet (UNAMA 4.2019). Vor allem Frauen und Kinder werden in Haft häufig Opfer von Misshandlungen. Schätzungen zufolge leben über 300 Kinder in afghanischen Gefängnissen, ohne selbst eine Straftat begangen zu haben. Ab einem Alter von fünf Jahren ist es möglich, die Kinder in ein Heim zu transferieren. Allerdings gibt es diese Heime nicht in jeder Provinz. Die wenigen existierenden Heime sind überfüllt (AA 16.07.2020; vgl. USDOS 11.03.2020). In einigen Fällen werden Frauen in Gefängnissen untergebracht, um sie vor Gewalt seitens ihrer Familienmitglieder zu beschützen, wenn die Unterbringung in Frauenhäusern nicht möglich ist (USDOS 11.03.2020). Folter von Inhaftierten durch die Sicherheitskräfte ist verbreitet (FH 04.02.2019). Gemäß einer zweijährigen Studie in den Jahren 2017 und 2018 berichten Häftlinge im Gewahrsam der AN-DSF über Folter und Misshandlung (31,9% statt 39%) (UNAMA 4.2019; vgl. HRW 14.01.2020). Im Gewahrsam des NDS gab es einen deutlichen Rückgang bei der Anzahl gefolterter bzw. misshandelter Personen (19,4% statt 29%). Deutlich - 76 - reduziert hat sich die Anzahl der durch die ANP gefolterten und misshandelten Personen (31,2% statt 45%) (UNAMA 4.2019). Willkürliche Festnahmen und Inhaftierungen sind gesetzlich verboten; trotzdem stellen beide Praktiken ernsthafte Probleme dar. Häufig werden Personen in Haft genommen, ohne die rechtlichen Prozeduren zu beachten, obwohl das Delikt nicht im Strafgesetz definiert ist oder ohne dass die Behörde eine entsprechende Befugnis hätte (USDOS 11.03.2020). In staatlichen Gefängnissen werden Verdächtige oft lange über die gesetzliche Frist von 72 Stunden hinaus festgehalten, ohne einem Staatsanwalt oder Richter vorgeführt zu werden. Inhaftierte erhalten trotz gesetzlicher Regelung nur selten rechtlichen Beistand durch einen Strafverteidiger (AA 16.07.2020; vgl. USDOS 11.03.2020). Das im Februar 2018 in Kraft getretene Strafgesetz führte für Erwachsene Alternativen zur Haft ein. Gerichte setzen das neue Gesetz normalerweise um, bei Justizmitarbeitern und in der Öffentlichkeit ist Wissen über die neuen Gesetze jedoch nicht weit verbreitet (USDOS 11.03.2020). Häftlinge sind gesetzlich dazu berechtigt, bis zu 20 Tage das Gefängnis zu verlassen, um Familienbesuche abzustatten; jedoch setzen zahlreiche Justizvollzugsanstalten diese Vorschriften nicht um. Des Weiteren ist die Zielgruppe des Gesetzes nicht klar definiert (USDOS 11.03.2020). Durch die Unabhängige Afghanische Menschenrechtskommission (AIHRC), Vereinte Nationen, Rotes Kreuz sowie durch die NATO Mission Resolute Support werden Haftanstalten kontrolliert. Gelegentlich gibt es Schwierigkeiten, wenn Observationsteams unangekündigt erscheinen. In der Regel müssen die Organisationen ein bis zwei Tage vor dem Besuch einen formellen Brief schreiben. NDS verbietet Observationsteams die Mitnahme von Kameras oder Aufnahmegeräten in die von ihnen geführten Haftanstalten, wodurch die Observationsteams Schwierigkeiten haben, Anzeichen von Missbrauch korrekt zu dokumentieren. NDS hat einen Beauftragten für Menschenrechte in ihren Haftanstalten (USDOS 11.03.2020). Strafverfolgung von Minderjährigen Nach dem afghanischen Jugendstrafrecht sollte die Haft für Minderjährige „der letzte Ausweg sein und so kurz wie möglich dauern“. Gemäß Berichten haben Minderjährige in Jugendrehabilitationszentren im ganzen Land keinen Zugang zu ausreichender Nahrung, Gesundheitsversorgung und Bildung. Für inhaftierte Kinder gilt häufig nicht die Unschuldsvermutung, ihnen wird das Recht, die gegen sie erhobenen Vorwürfe zu kennen, wie auch ein Zugang zu Verteidigern und der Schutz vor Selbstbeschuldigung verweigert. Das Gesetz sieht die Schaffung einer speziellen Jugendpolizei, von Staatsanwaltschaften und Gerichten vor. Aufgrund begrenzter Ressourcen arbeiten spezielle Jugendgerichte nur in sechs Provinzen (Kabul, Herat, Balkh, Kandahar, Nangarhar und Kunduz). Andernorts werden Fälle, welche Minderjährige betrafen, vor den allgemeinen Gerichten verhandelt (USDOS 11.03.2020). Die Sicherheitskräfte halten Kinder in Jugendstrafanstalten des Justizministeriums fest, mit Ausnahme einer Gruppe von Kindern, welche wegen nationaler Sicherheitsvergehen verhaftet wurde und in einer Haftanstalt in Parwan verbleibt (USDOS 11.03.2020). Einige der Minderjährigen im Strafrechtssystem sind eher Opfer von Verbrechen als Täter. In Ermangelung ausreichender Unterkünfte halten die Behörden misshandelte Buben fest und verlegen sie in Jugendrehabilitationszentren, weil sie nicht zu ihren Familien zurückkehren können und anderswo keine Unterkünfte verfügbar sind (USDOS 11.03.2020). Weiterführende Informationen zu Folter in Haftanstalten können dem Kapitel. „Folter und unmenschliche Behandlung“ entnommen werden. [...] 16 Todesstrafe

Letzte Änderung: 16.12.2020

Die Todesstrafe ist in der Verfassung und im Strafgesetzbuch für besonders schwerwiegende Delikte vorgesehen (AA 16.07.2020). Das neue Strafgesetzbuch, das am 15.02.2018 in Kraft getreten ist, hat die Anzahl der mit Todesstrafe bedrohten Verbrechen von 54 auf 14 Delikte reduziert (EASO 7.2020). Vorgesehen ist die Todesstrafe für Delikte wie Genozid, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen, Angriff gegen den Staat, Mord und Zündung von Sprengladungen, Entführungen bzw. Straßenraub mit tödlicher Folge, Gruppenvergewaltigung von Frauen u.a. (MoJ 15.05.2017: Artikel 170). Die Todesstrafe wird vom zuständigen Gericht ausgesprochen und vom Präsidenten genehmigt (MoJ 15.05.2017: Artikel 169). Sie wird durch Erhängen ausgeführt (AI 4.2020; vgl. AA 16.07.2020). Unter dem Einfluss der Scharia hingegen droht die Todesstrafe auch bei anderen Delikten (z.B. Blasphemie, Apostasie, Ehebruch sog. „Zina“, Straßenraub). In der afghanischen Bevölkerung trifft diese Form der Bestrafung und Abschreckung auf eine tief verwurzelte - 77 -

Unterstützung. Dies liegt nicht zuletzt auch an einem als korrupt und unzuverlässig geltenden Gefängnissystem und der Tatsache, dass Verurteilte durch Zahlungen freikommen können (AA 16.07.2020).

Obwohl Präsident Ghani sich zwischenzeitlich positiv zu einem möglichen Moratorium zur Todesstrafe geäußert hat und Gesetzesvorhaben auf dem Weg sind, welche eine Umwandlung der Todesstrafe in eine lebenslange Freiheitsstrafe vorsehen, ist davon auszugehen, dass weiterhin Todesurteile vollstreckt werden (AA 16.07.2020), wobei tatsächliche Hinrichtungen seit 2001 selten geworden sind (DFAT 27.06.2019; vgl. EASO 7.2020). Im Jahr 2019 wurden 14 Personen in Afghanistan zum Tode verurteilt, jedoch niemand hingerichtet (AI 4.2020; vgl. UNGA 16.01.2020, EASO 7.2020).

Zu Jahresende 2019 sollen sich jedoch etwa 700 Menschen in der Todeszelle befinden, darunter etwa 100, die wegen Verbrechen gegen die innere und äußere Sicherheit verurteilt wurden. Im Laufe des Jahres setzte ein 2018 innerhalb des Büros des Generalstaatsanwalts eingerichteter Sonderausschuss die Überwachung von Todesstraffällen fort. Von den insgesamt 102 Fällen, die er prüfte, führten 25 zur Bestätigung der Todesstrafe, 26 zu Empfehlungen für eine Umwandlung und 51 zur Aufhebung der Verurteilungen (AI 4.2020). Mit Stand Juli 2020 sind in Afghanistan ca. 700 Menschen zum Tode verurteilt (AA 16.07.2020). [...] 17 Religionsfreiheit Letzte Änderung: 16.12.2020 Etwa 99% der afghanischen Bevölkerung sind Muslime. Die Sunniten werden auf 80 bis 89,7% und die Schiiten auf 10 bis 19% der Gesamtbevölkerung geschätzt (CIA 06.10.2020; vgl. AA 16.07.2020). Andere Glaubensgemeinschaften wie die der Sikhs, Hindus, Baha'i und Christen machen weniger als 1% der Bevölkerung aus (AA 16.07.2020; vgl. CIA 06.10.2020, USDOS 10.06.2020). Genaue Angaben zur Größe der christlichen Gemeinschaft sind nicht vorhanden (USDOS 10.06.2020). In Kabul lebt auch weiterhin der einzige jüdische Mann in Afghanistan (UP 16.08.2019; vgl. BBC 11.04.2019). Die muslimische Gemeinschaft der Ahmadi schätzt, dass sie landesweit 450 Anhänger hat, gegenüber 600 im Jahr 2017 (USDOS 10.06.2020). Laut Verfassung ist der Islam die Staatsreligion Afghanistans. Anhänger anderer Religionen sind frei, ihren Glauben im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften auszuüben (USDOS 10.06.2020; vgl. FH 04.03.2020). Ausländische Christen und einige wenige Afghanen, die originäre Christen und nicht vom Islam konvertiert sind, werden normal und fair behandelt. Es gibt kleine Unterschiede zwischen Stadt und Land. In den ländlichen Gesellschaften ist man tendenziell feindseliger (RA KBL 10.06.2020). Für christliche Afghanen gibt es keine Möglichkeit der Religionsausübung außerhalb des häuslichen Rahmens (AA 16.07.2020; vgl. USCIRF 4.2020, USDOS 10.06.2020), da es keine öffentlich zugänglichen Kirchen im Land gibt (USDOS 10.06.2020; vgl. AA 16.07.2020). Einzelne christliche Andachtsstätten befinden sich in ausländischen Militärbasen. Die einzige legale christliche Kirche im Land befindet sich am Gelände der italienischen Botschaft in Kabul (RA KBL 10.06.2020). Die afghanischen Behörden erlaubten die Errichtung dieser katholischen Kapelle unter der Bedingung, dass sie ausschließlich ausländischen Christen diene und jegliche Missionierung vermieden werde (KatM KBL 08.11.2017). Gemäß hanafitischer Rechtsprechung ist Missionierung illegal; Christen berichten, die öffentliche Meinung stehe ihnen und der Missionierung weiterhin feindselig gegenüber (USDOS 10.06.2020). Die Abkehr vom Islam gilt als Apostasie, die nach der Scharia strafbewehrt ist (USDOS 10.06.2020; vgl. AA 16.07.2020). Wie in den vergangenen fünf Jahren gab es keine Berichte über staatliche Verfolgungen wegen Blasphemie oder Apostasie; jedoch berichten Personen, die vom Islam konvertieren, dass sie weiterhin die Annullierung ihrer Ehen, die Ablehnung durch ihre Familien und Gemeinschaften, den Verlust ihres Arbeitsplatzes und möglicherweise die Todesstrafe riskieren (USDOS 10.06.2020). Das Gesetz verbietet die Produktion und Veröffentlichung von Werken, die gegen die Prinzipien des Islam oder gegen andere Religionen verstoßen (USDOS 10.06.2020). Das neue Strafgesetzbuch 2017, welches im Februar 2018 in Kraft getreten ist (USDOS 10.06.2020; vgl. ICRC o.D.), sieht Strafen für verbale und körperliche Angriffe auf Anhänger jedweder Religion und Strafen für Beleidigungen oder Verzerrungen gegen den Islam vor (USDOS 10.06.2020). Das Zivil- und Strafrecht basiert auf der Verfassung; laut dieser müssen Gerichte die verfassungsrechtlichen Bestimmungen sowie das Gesetz bei ihren Entscheidungen berücksichtigen. In Fällen, in denen weder die Verfassung noch das Straf- oder Zivilgesetzbuch einen bestimmten Rahmen vorgeben, können Gerichte laut Verfassung die sunnitische Rechtsprechung der hanafitischen Rechtsschule innerhalb des durch die Verfassung vorgegeben Rahmens anwenden, um Recht zu sprechen. Die Verfassung erlaubt es den Gerichten auch, das schiitische Recht in jenen Fällen anzuwenden, in denen schiitische Personen beteiligt sind. Nicht-Muslime dürfen in Angelegenheiten, die die Scharia-Rechtsprechung erfordern, nicht aussagen. Die Verfassung erwähnt keine eigenen Gesetze für Nicht-Muslime. Vertreter nicht-muslimischer religiöser Minderheiten, darunter Sikhs - 78 - und Hindus, berichten über ein Muster der Diskriminierung auf allen Ebenen des Justizsystems (USDOS 10.06.2020). Anmerkung: Zu Konversion, Apostasie und Blasphemie siehe die jeweiligen Unterkapitel des Kapitels Religionsfreiheit Die Religionsfreiheit hat sich seit 2001 zwar verbessert, jedoch wird diese noch immer durch Gewalt und Drangsalierung gegenüber religiösen Minderheiten und reformerischen Muslimen behindert (FH 04.03.2020; vgl. USDOS 10.06.2020). Wegen konservativer sozialer Einstellungen und Intoleranz sowie der Unfähigkeit oder Unwilligkeit der Sicherheitskräfte, individuelle Freiheiten zu verteidigen, sind Personen, die mutmaßlich gegen religiöse und soziale Normen verstoßen, vulnerabel für Misshandlung (FH 04.03.2020). Mitglieder der Taliban und des Islamischen Staates (IS) töten und verfolgen weiterhin Mitglieder religiöser Minderheiten aufgrund ihres Glaubens oder ihrer Beziehungen zur Regierung (USDOS 10.06.2020; vgl. FH 04.03.2020). Da Religion und Ethnie oft eng miteinander verbunden sind, ist es schwierig, einen Vorfall ausschließlich durch die religiöse Zugehörigkeit zu begründen (USDOS 10.06.2020). Ein Muslim darf eine nicht-muslimische Frau heiraten, aber die Frau muss konvertieren, sofern sie nicht Anhängerin einer anderen abrahamitischen Religion (Christentum oder Judentum) ist. Einer Muslima ist es nicht erlaubt, einen nicht-muslimischen Mann zu heiraten. Konvertiten vom Islam riskieren die Annullierung ihrer Ehe (USDOS 10.06.2020). Ehen zwischen zwei Nicht-Muslimen sind gültig (USE o.D.). Die nationalen Identitätsausweise beinhalten Informationen über das Religionsbekenntnis. Das Bekenntnis zum Islam wird für den Erwerb der Staatsbürgerschaft nicht benötigt. Religiöse Gemeinschaften sind gesetzlich nicht dazu verpflichtet, sich registrieren zu lassen (USDOS 10.06.2020). Laut Verfassung soll der Staat einen einheitlichen Lehrplan, der auf den Bestimmungen des Islam basiert, gestalten und umsetzen; auch sollen Religionskurse auf Grundlage der islamischen Strömungen innerhalb des Landes entwickelt werden. Der nationale Bildungsplan enthält Inhalte, die für Schulen entwickelt wurden, in denen die Mehrheiten entweder schiitisch oder sunnitisch sind; ebenso konzentrieren sich die Schulbücher auf gewaltfreie islamische Bestimmungen und Prinzipien. Der Bildungsplan beinhaltet Islamkurse, nicht aber Kurse für andere Religionen. Für Nicht-Muslime an öffentlichen Schulen ist es nicht erforderlich, am Islamunterricht teilzunehmen (USDOS 10.06.2020). 17.1 Schiiten Letzte Änderung: 16.12.2020 DerAnteil schiitischer Muslime an der Bevölkerung wird auf 10 bis 19% geschätzt (CIA 06.10.2020; vgl. AA 16.07.2020). Zuverlässige Zahlen zur Größe der schiitischen Gemeinschaft sind nicht verfügbar und werden vom Statistikamt nicht erfasst. Gemäß Gemeindeleitern sind die Schiiten Afghanistans mehrheitlich Jafari- Schiiten (Zwölfer-Schiiten), 90% von ihnen gehören zur ethnischen Gruppe der Hazara. Unter den Schiiten gibt es auch Ismailiten (USDOS 10.06.2020). Auseinandersetzungen zwischen Sunniten und Schiiten sind in Afghanistan selten (AA 16.07.2020). Beobachtern zufolge ist die Diskriminierung der schiitischen Minderheit durch die sunnitische Mehrheit zurückgegangen; dennoch existieren Berichte zu lokalen Diskriminierungsfällen. Gemäß Zahlen von UNAMA gab es im Jahr 2019 10 Fälle konfessionell motivierter Gewalt gegen Schiiten, die 485 zivile Opfer forderten (117 Tote und 368 Verletzte), was einem Rückgang von 35% gegenüber 2018 entspricht, als es 19 Fälle gab, die 747 zivile Opfer forderten (233 Tote und 524 Verletzte). Der Islamische Staat Khorasan Provinz (ISKP) bekannte sich zu sieben der zehn Vorfälle und gab an, dass diese auf die religiöse Minderheit der schiitischen Muslime ausgerichtet waren (USDOS 10.06.2020). In den Jahren 2016, 2017 und 2018 wurden durch den Islamischen Staat (IS) und die Taliban 51 terroristische Angriffe auf Glaubensstätten und religiöse Anführer der Schiiten bzw. Hazara durchgeführt (FH 04.02.2019; vgl. USDOS 21.06.2019, CRS 01.05.2019). Die schiitische Hazara-Gemeinschaft bezeichnet die Sicherheitsvorkehrungen der Regierung in den von Schiiten dominierten Gebieten als unzureichend. Die afghanische Regierung bemüht sich erneut um die Lösung von Sicherheitsproblemen im schiitischen Gebiet Shia Hazara Dasht-e Barchi im Westen Kabuls, das im Laufe des Jahres Ziel größerer Angriffe war, und kündigte Pläne zur Verstärkung der Präsenz der afghanischen nationalen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte (ANDSF) an. Nach Angaben der schiitischen Gemeinschaft gab es trotz der Pläne keine Aufstockung der ANDSF-Kräfte; es wurde jedoch angemerkt, dass die Regierung Waffen direkt an die Wachen der schiitischen Moscheen in Gebieten verteilt habe, die als mögliche Angriffsziel angesehen werden (USDOS 10.06.2020). Die politische Repräsentation und die Beteiligung an den nationalen Institutionen seitens der traditionell marginalisierten schiitischen Minderheit, der hauptsächlich ethnische Hazara angehören, ist seit 2001 gestiegen (FH 04.03.2020). Obwohl einige schiitische Muslime höhere Regierungsposten bekleiden, behaupten Mitglieder der schiitischen Minderheit, dass die Anzahl dieser Stellen die demografischen Verhältnisse des Landes nicht reflektiert. Vertreter der Sunniten hingegen geben an, dass Schiiten im Vergleich zur - 79 -

Bevölkerungszahl in den Behörden überrepräsentiert seien. Einige Mitglieder der ismailitischen Gemeinschaft beanstanden die vermeintliche Vorenthaltung von politischen Posten; wenngleich vier Parlamentssitze für Ismailiten reserviert sind (USDOS 10.06.2020). Im Ulema-Rat, der nationalen Versammlung von Religionsgelehrten, die u.a. dem Präsidenten in der Festlegung neuer Gesetze und Rechtsprechung beisteht, beträgt die Quote der schiitischen Muslime 25 bis 30% (AB 08.09.2020; vgl. USIP 14.06.2018, AA 02.09.2019). Des Weiteren tagen regelmäßig rechtliche, konstitutionelle und menschenrechtliche Kommissionen, welche aus Mitgliedern der sunnitischen und schiitischen Gemeinschaften bestehen und von der Regierung unterstützt werden, um die interkonfessionelle Schlichtung zu fördern (USDOS 10.06.2020). Das afghanische Ministry of Hajj and Religious Affairs (MOHRA) erlaubt sowohl Sunniten als auch Schiiten, Pilgerfahrten zu unternehmen (USDOS 10.06.2020). Anmerkung der Staatendokumentation: Weiterführende Informationen zu Angriffen auf schiitische Glaubensstätten, Veranstaltungen und Moscheen können dem Kapitel Sicherheitslage samt Unterkapiteln entnommen werden. Weiterführende Informationen zur mehrheitlich schiitischen Volksgruppe der Hazara finden sich im Kapitel Relevante ethnische Minderheiten im Unterkapitel Hazara. 17.2 Sikhs und Hindus Letzte Änderung: 16.12.2020 Die Gemeinschaft der Sikhs und Hindus schätzte 2019 ihre Größe in Afghanistan auf ca. 550 Personen, die anderen verließen Afghanistan im Laufe der Jahre. Im Jahr 2018 hatte sie noch 700 und im Jahr 2017 1.300 Personen umfasst (USDOS 10.06.2020). Noch vor einigen Jahrzehnten lebten einige Hunderttausend Hindus und Sikhs in Afghanistan (AJ 01.01.2017; vgl. AIIA 11.07.2018). Eine sich verschlechternde wirtschaftliche Lage der Gemeinschaften, erhöhte Sicherheitsbedenken sowie fehlender Zugang zum Arbeitsmarkt waren laut Sikh- Führern Hauptgrund einer verstärkten Emigration (USDOS 10.06.2020). Hindus und Sikhs leben im 1. Kabuler Stadtbezirk im Stadtteil Hindu Gozar (AAN 19.03.2019) sowie in den Provinzen Nangarhar und Ghazni. Es gibt zwei aktive Gurudwaras (Gebetsstätten der Sikhs) in Kabul und vier Hindu-Tempel landesweit, davon zwei in Kabul sowie je einen in Jalalabad und Helmand (AA 16.07.2020). Berichten zufolge werden Hindus und Sikhs von großen Teilen der muslimischen Bevölkerung als Außenseiter betrachtet (AA 16.07.2020). Sie sind verbalen Übergriffen, Diskriminierung und Belästigung ausgesetzt, können jedoch ihren Glauben öffentlich ausüben. Quellen zufolge sind Hindus weniger gefährdet als Sikhs; der Grund dafür ist das Fehlen sichtbarer charakteristischer Merkmale (z.B. Kopfbedeckung) bei den Hindus (USDOS 10.06.2020). Sikhs sind zurückhaltend bei der Begehung religiöser Feste, um keine Aufmerksamkeit zu erregen, und der Staat hat nur eingeschränkte Möglichkeiten, die Gemeinschaft vor alltäglichem sozialem Druck zu schützen. Der afghanische Staat verhält sich den in Afghanistan verbliebenen Sikhs gegenüber nicht feindlich (AIIA 11.07.2018). Staatliche Diskriminierung gibt es nicht, auch wenn der Weg in öffentliche Ämter für Hindus und Sikhs schon aufgrund fehlender Patronagenetzwerke schwierig ist (AA 16.07.2020). Trotz gesellschaftlicher Diskriminierung bekleiden Mitglieder dieser Gemeinschaften weiterhin Regierungsposten. Ein Sitz im Unterhaus ist für einen Vertreter der Hindu- und Sikh-Gemeinschaft reserviert (USDOS 10.06.2020). Dieser Sitz wird zurzeit durch Narender Singh bekleidet (AB 19.03.2019; vgl. RY 06.04.2019). Hindus und Sikhs vermeiden nach eigenen Angaben, Landstreitigkeiten über Gerichte beizulegen, da sie Angst vor Vergeltungsaktionen haben. Sie regeln Streitfälle mittels Gemeinschaftsversammlungen oder Mediation (USDOS 10.06.2020). Hindus und Sikhs geben an, dass ihre Kinder in öffentlichen Schulen gehänselt und belästigt werden, manchmal bis zu dem Punkt, dass die Eltern sie aus dem Unterricht nehmen (USDOS 10.06.2020). Hindus und Sikhs berichten weiterhin von Störungen während ihrer traditionellen Feuerbestattungen durch Anrainer ihrer Kremationsstätte (shamshan). Obwohl sie während der Einäscherungszeremonien die Regierung um Unterstützung für die Sicherheit bittet und diese auch erhält, sieht sich die Gemeinde weiterhin Protesten und Gewaltandrohungen ausgesetzt, die sie an der Ausübung der heiligen Praxis hindern (USDOS 10.06.2020; vgl. AIIA 11.07.2018). 17.3 Baha’i Letzte Änderung: 16.12.2020 Im Jahr 1966 entstand die erste Baha‘i-Gemeinde in Kabul. Viele ihrer Anhänger wurden während der Taliban- Herrschaft verhaftet oder mussten das Land verlassen. Inzwischen sind einige von ihnen nach Afghanistan zurückgekehrt (AA 16.07.2020). Es existieren keine verlässlichen Schätzungen zur Größe der Baha‘i- Gemeinschaft (USDOS 10.06.2020). UNHCR schätzte ihre Zahl 2013 landesweit auf 2.000 Personen (AA 16.07.2020). Die Gemeinschaft der Baha‘i ist hauptsächlich in Kabul ansäßig, mit wenigen Mitgliedern in Kandahar (USDOS 10.06.2020). - 80 -

Im Mai 2007 befand das Generaldirektorat für Fatwas, dass der Glaube der Baha’i eine Abweichung vom Islam und eine Form der Blasphemie sei. Auch wurden alle Muslime, die den Baha’i-Glauben annehmen, zu Abtrünnigen erklärt (USDOS 10.06.2020; vgl. AA 16.07.2020). Sie gelten somit als Ungläubige, nicht jedoch als Konvertiten und werden keines Vergehens angeklagt. Strafverfolgung wegen Blasphemie wird nicht berichtet (USDOS 10.06.2020; vgl. AA 16.07.2020). 17.4 Apostasie, Blasphemie, Konversion Letzte Änderung: 16.12.2020 Glaubensfreiheit, die auch eine freie Religionswahl beinhaltet, gilt in Afghanistan de facto nur eingeschränkt. Die Abkehr vom Islam (Apostasie) wird nach der Scharia als Verbrechen betrachtet, auf das die Todesstrafe steht (FH 04.03.2020; vgl AA 16.07.2020, USDOS 10.06.2020). Afghanische Christen sind in den meisten Fällen vom Islam zum Christentum konvertiert. Neben der drohenden strafrechtlichen Verfolgung werden Konvertiten in der Gesellschaft ausgegrenzt und zum Teil angegriffen (AA 16.07.2020). Bei der Konversion vom Islam zum Christentum wird in erster Linie nicht das Christentum als problematisch gesehen, sondern die Abkehr vom und der Austritt aus dem Islam (LIFOS 21.12.2017). Jeder Konvertit soll laut islamischer Rechtsprechung drei Tage Zeit bekommen, um seinen Konfessionswechsel zu widerrufen. Sollte es zu keinem Widerruf kommen, gilt Enthauptung als angemessene Strafe für Männer, während Frauen mit lebenslanger Haft bedroht werden. Ein Richter kann eine mildere Strafe verhängen, wenn Zweifel an der Apostasie bestehen. Auch kann die Regierung das Eigentum des/der Abtrünnigen konfiszieren und dessen/deren Erbrecht einschränken. Des Weiteren ist gemäß hanafitischer Rechtsprechung Missionierung illegal. Dasselbe gilt für Blasphemie, die in der hanafitischen Rechtsprechung unter die Kapitalverbrechen fällt (USDOS 10.06.2020) und auch nach dem neuen Strafgesetzbuch unter der Bezeichnung „religionsbeleidigende Verbrechen“ verboten ist (MoJ 15.05.2017: Artikel 323). Wie in den vergangenen fünf Jahren gab es keine Berichte über staatliche Verfolgungen wegen Blasphemie oder Apostasie (USDOS 10.06.2020; AA 16.07.2020); jedoch berichten Personen, die vom Islam konvertierten, dass sie weiterhin die Annullierung ihrer Ehen, die Ablehnung durch ihre Familien und Gemeinschaften, den Verlust ihres Arbeitsplatzes und möglicherweise die Todesstrafe riskieren (USDOS 10.06.2020) Die afghanische Regierung scheint kein Interesse daran zu haben, negative Reaktionen oder Druck hervorzurufen (LIFOS 21.12.2017; vgl. RA KBL 10.06.2020) - weder vom konservativen Teil der afghanischen Gesellschaft, noch von den liberalen internationalen Kräften, die solche Fälle verfolgt haben (LIFOS 21.12.2017). Es kann jedoch einzelne Lokalpolitiker geben, die streng gegen mutmaßliche Apostaten vorgehen, und es kann auch im Interesse einzelner Politiker sein, Fälle von Konversion oder Blasphemie für ihre eigenen Ziele auszunutzen (LIFOS 21.12.2017). Allein der Verdacht, jemand könnte zum Christentum konvertiert sein, kann der Organisation Open Doors zufolge dazu führen, dass diese Person bedroht oder angegriffen wird (AA 16.07.2020). Die afghanische Gesellschaft hat generell eine sehr geringe Toleranz gegenüber Menschen, die als den Islam beleidigend oder zurückweisend wahrgenommen werden (LIFOS 21.12.2017; vgl. FH 04.03.2020). Obwohl es auch säkulare Bevölkerungsgruppen gibt, sind Personen, die der Apostasie beschuldigt werden, Reaktionen von Familie, Gemeinschaften oder in einzelnen Gebieten von Aufständischen ausgesetzt, aber eher nicht von staatlichen Akteuren (LIFOS 21.12.2017). Wegen konservativer sozialer Einstellungen und Intoleranz sowie der Unfähigkeit oder Unwilligkeit der Sicherheitskräfte, individuelle Freiheiten zu verteidigen, sind Personen, die mutmaßlich gegen religiöse und soziale Normen verstoßen, vulnerabel für Misshandlung (FH 04.03.2020). Abtrünnige haben Zugang zu staatlichen Leistungen; es existiert kein Gesetz, Präzedenzfall oder Gewohnheiten, die Leistungen für Abtrünnige durch den Staat aufheben oder einschränken. Sofern sie nicht verurteilt und frei sind, können sie Leistungen der Behörden in Anspruch nehmen (RA KBL 10.06.2020). [...] 18 Relevante ethnische Minderheiten Letzte Änderung: 16.12.2020 In Afghanistan leben laut Schätzungen zwischen 32 und 36 Millionen Menschen (NSIA 6.2020; vgl. CIA 06.10.2020). Zuverlässige statistische Angaben zu den Ethnien Afghanistans und zu den verschiedenen Sprachen existieren nicht (STDOK 7.2016; vgl. CIA 06.10.2020). Schätzungen zufolge sind: 40 bis 42% Paschtunen, 27 bis 30% Tadschiken, 9 bis 10% Hazara, 9% Usbeken, ca. 4% Aimaken, 3% Turkmenen und 2% Belutschen. Weiters leben in Afghanistan eine große Zahl an kleinen und kleinsten Völkern und Stämmen, die Sprachen aus unterschiedlichsten Sprachfamilien sprechen (GIZ 4.2019; vgl. CIA 2012, AA 16.07.2020). Artikel 4 der Verfassung Afghanistans besagt: „Die Nation Afghanistans besteht aus den Völkerschaften der Paschtunen, Tadschiken, Hazara, Usbeken, Turkmenen, Belutschen, Paschai, Nuristani, Aimak, Araber, Kirgisen, Qizilbasch, Gojar, Brahui und anderen Völkerschaften. Das Wort „Afghane“ wird für jeden Staatsbürger der Nation Afghanistans verwendet“ (STDOK 7.2016). Die afghanische Verfassung schützt sämtliche ethnischen Minderheiten. Neben den offiziellen Landessprachen Dari und Paschtu wird in der Verfassung (Artikel 16) sechs weiteren Sprachen ein offizieller Status in jenen Gebieten eingeräumt, wo die Mehrheit der Bevölkerung (auch) - 81 - eine dieser Sprachen spricht: Usbekisch, Turkmenisch, Belutschisch, Pashai, Nuristani und Pamiri (AA 02.09.2019). Es gibt keine Hinweise, dass bestimmte soziale Gruppen ausgeschlossen werden. Keine Gesetze verhindern die Teilnahme der Minderheiten am politischen Leben. Nichtsdestotrotz beschweren sich unterschiedliche ethnische Gruppen, keinen Zugang zu staatlicher Anstellung in Provinzen zu haben, in denen sie eine Minderheit darstellen (USDOS 11.03.2020). Der Gleichheitsgrundsatz ist in der afghanischen Verfassung rechtlich verankert, wird allerdings in der gesellschaftlichen Praxis immer wieder konterkariert. Soziale Diskriminierung und Ausgrenzung anderer ethnischer Gruppen und Religionen im Alltag bestehen fort und werden nicht zuverlässig durch staatliche Gegenmaßnahmen verhindert (AA 16.07.2020). Ethnische Spannungen zwischen unterschiedlichen Gruppen resultierten weiterhin in Konflikten und Tötungen (USDOS 11.03.2020). 18.1 Paschtunen Letzte Änderung: 16.12.2020 Ethnische Paschtunen sind mit ca. 40% der Gesamtbevölkerung die größte Ethnie Afghanistans. Sie sprechen Paschtu/; als Verkehrssprache sprechen viele auch Dari. Sie sind sunnitische Muslime (MRG o.D.e). Die Paschtunen haben viele Sitze in beiden Häusern des Parlaments - jedoch nicht mehr als 50% der Gesamtsitze (USDOS 11.03.2020). Die Paschtunen sind im nationalen Durchschnitt mit etwa 44% in der Afghan National Army (ANA) und derAfghan National Police (ANP) repräsentiert (BI 29.09.2017). Paschtunen siedeln in einem halbmondförmigen Gebiet, das sich von Nordwestafghanistan über den gesamten Süden und die Gebiete östlich von Kabul bis in den Nordwesten Pakistans erstreckt. Kleinere Gruppen sind über das gesamte Land verstreut, auch im Norden des Landes, wo Paschtunen Ende des 19. Jahrhunderts speziell angesiedelt wurden und sich seitdem auch selbst angesiedelt haben (STDOK 7.2016). Grundlage des paschtunischen Selbstverständnisses sind ihre genealogischen Überlieferungen und die darauf beruhende Stammesstruktur. Eng mit der Stammesstruktur verbunden ist ein komplexes System von Wertvorstellungen und Verhaltensrichtlinien, die häufig unter dem Namen Passhtunwali zusammengefasst werden (STDOK 7.2016; vgl. NYT 10.06.2019) und die besagen, dass es für einen Paschtunen nicht ausreicht, Paschtu zu sprechen, sondern dass man auch die Regeln dieses Ehren- und Verhaltenskodex befolgen muss. Die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Stammlinienverband bedeutet viele Verpflichtungen, aber auch Rechte, weshalb sich solche Verbände als Solidaritätsgruppen verstehen lassen (STDOK 7.2016). Die Taliban sind eine vorwiegend paschtunische Bewegung (BBC 26.05.2016; vgl. RFE/RL 13.11.2018, EASO 9.2016, AAN 4.2011), werden aber nicht als nationalistische Bewegung gesehen (EASO 9.2016). Die Taliban rekrutieren auch aus anderen ethnischen Gruppen (RFE/RL 13.11.2018; vgl. AAN 4.2011, EASO 9.2016). Die Unterstützung der Taliban durch paschtunische Stämme ist oftmals in der Marginalisierung einzelner Stämme durch die Regierung und im Konkurrenzverhalten oder der Rivalität zwischen unterschiedlichen Stämmen begründet (EASO 9.2016). Anmerkung: Ausführliche Informationen zu Paschtunen und dem PaschtunwaLI können dem Dossier der Staatendokumentation (7.2016) entnommen werden. 18.2 Tadschiken Letzte Änderung: 16.12.2020 Die Volksgruppe der Tadschiken ist die zweitgrößte Volksgruppe in Afghanistan (MRG o.D.d; vgl. RFE/RL 09.08.2019) und hat einen deutlichen politischen Einfluss im Land (MRG o.D.d). Sie machen etwa 27 bis 30% der afghanischen Bevölkerung aus (GIZ 4.2019; vgl. MRG o.D.d). Außerhalb der tadschikischen Kerngebiete in Nordafghanistan (Provinzen Badakhshan, Takhar, Baghlan, Parwan, Kapisa und Kabul) bilden Tadschiken in weiten Teilen des Landes ethnische Inseln, namentlich in den größeren Städten. In der Hauptstadt Kabul sind sie knapp in der Mehrheit (GIZ 4.2019). Als rein sesshaftes Volk kennen die Tadschiken im Gegensatz zu den Paschtunen keine Stammesorganisation (GIZ 4.2019; vgl. MRG o.D.d). Heute werden unter dem Terminus täjik „Tadschike“ fast alle Dari/Persisch sprechenden Personen Afghanistans, mit Ausnahme der Hazara, zusammengefasst (STDOK 7.2016). Tadschiken dominierten die „Nordallianz“, eine politisch-militärische Koalition, welche die Taliban bekämpfte und nach dem Fall der Taliban die international anerkannte Regierung Afghanistans bildete. Tadschiken sind in zahlreichen politischen Organisationen und Parteien, die dominanteste davon ist die Jamiat-e Islami, vertreten (MRG o.D.d). Die Tadschiken sind im nationalen Durchschnitt mit etwa 25% in der Afghan National Army (ANA) und der Afghan National Police (ANP) repräsentiert (BI 29.09.2017). 18.3 Hazara Letzte Änderung: 16.12.2020 Die schiitische Minderheit der Hazara macht etwa 9 bis 10% der Bevölkerung aus (GIZ 4.2019; vgl. MRG o.D.c.). Die Hazara besiedelten traditionell das Bergland in Zentralafghanistan, das sich zwischen Kabul im Osten und Herat im Westen erstreckt; der Hazaradjat [zentrales Hochland] umfasst die Provinzen Bamyan, Ghazni, - 82 -

Daikundi und den Westen der Provinz (Maidan) Wardak sowie Teile der Provinzen Ghor, Uruzgan, Parwan, Samangan, Baghlan, Balkh, Badghis, und Sar-e Pul. Jahrzehntelange Kriege und schwierige Lebensbedingungen haben viele Hazara aus ihrer Heimatregion in die afghanischen Städte, insbesondere nach Kabul, getrieben (STDOK 7.2016). Viele Hazara leben unter anderem in Stadtvierteln im Westen der Stadt Kabul, insbesondere in Kart-e Se, Dasht-e Barchi sowie in den Stadtteilen Kart-e Chahar, Deh Buri, Afshar und Kart-e Mamurin (AAN 19.03.2019). Wichtiges Merkmal der ethnischen Identität der Hazara ist ihr ethnisch-asiatisches Erscheinungsbild (STDOK 7.2016). Ethnische Hazara sind mehrheitlich Zwölfer-Schiiten (STDOK 7.2016; vgl. MRG o.D.c), auch bekannt als Jafari Schiiten (USDOS 10.07.2020). Eine Minderheit der Hazara, die vor allem im nordöstlichen Teil des Hazaradjat lebt, ist ismailitisch (STDOK 7.2016). Ismailitische Muslime, die vor allem, aber nicht ausschließlich, Hazara sind (GS 21.08.2012), leben hauptsächlich in Kabul sowie den zentralen und nördlichen Provinzen Afghanistans (USDOS 10.07.2020). Die Lage der Hazara, die während der Taliban-Herrschaft besonders verfolgt waren, hat sich grundsätzlich verbessert (AA 16.07.2020; vgl. FH 04.03.2020), und Hazara bekleiden inzwischen auch prominente Stellen in der Regierung und im öffentlichen Leben, sind jedoch in der öffentlichen Verwaltung nach wie vor unterrepräsentiert (AA 16.07.2020). Hazara werden am Arbeitsmarkt diskriminiert. Soziale Diskriminierung gegen schiitische Hazara, basierend auf Klasse, Ethnie oder religiösen Ansichten, finden ihre Fortsetzung in Erpressung (illegale Steuern), Zwangsrekrutierung, Zwangsarbeit, physischer Misshandlung und Inhaftierung (USDOS 11.03.2020). Nichtsdestotrotz genießt die traditionell marginalisierte schiitische muslimische Minderheit, zu der die meisten ethnischen Hazara gehören, seit 2001 eine zunehmende politische Repräsentation und Beteiligung an nationalen Institutionen (FH 04.03.2020; vgl. WP 21.03.2018). Die Hazara-Gemeinschaft/Gesellschaft ist traditionell strukturiert und basiert auf der Kernfamilie bzw. dem Clan (STDOK 7.2016; vgl. MRG o.D.c). Sollte der dem Haushalt vorstehende Mann versterben, wird die Witwe Haushaltsvorständin, bis der älteste Sohn volljährig ist (MRG o.D.c). Es bestehen keine sozialen und politischen Stammesstrukturen (STDOK 7.2016). Hazara neigen sowohl in ihren sozialen, als auch politischen Ansichten dazu, liberal zu sein, was im Gegensatz zu den Ansichten sunnitischer Militanter steht (WP 21.03.2018). Berichten zufolge halten Angriffe durch den ISKP (Islamischer Staat Khorasan Provinz) und andere aufständische Gruppierungen auf spezifische religiöse und ethno-religiöse Gruppen - inklusive der schiitischen Hazara - an (USDOS 10.07.2020). Im Laufe des Jahres 2019 setzte der ISKP Angriffe gegen schiitische (vorwiegend Hazara) Gemeinschaften fort. Beispielsweise griff der ISKP einen Hochzeitssaal in einem vorwiegend schiitischen Hazara-Viertel in Kabul an; dabei wurden 91 Personen getötet, darunter 15 Kinder und weitere 143 Personen verletzt (USDOS 11.03.2020; vgl. STDOK 10.2020). Zwar waren unter den Getöteten auch Hazara, die meisten Opfer waren aber Nicht- Hazara-Schiiten und Sunniten. Der ISKP nannte ein religiöses Motiv für den Angriff (USDOS 11.03.2020). Das von schiitischen Hazara bewohnte Gebiet Dasht-e Barchi in Westkabul ist immer wieder Ziel von Angriffen. Die Regierung hat Pläne zur Verstärkung der Präsenz der afghanischen Sicherheitskräfte verlautbart. Nach Angaben der schiitischen Gemeinschaft gab es trotz der Pläne keine Aufstockung der ANDSF-Kräfte; sie sagten jedoch, dass die Regierung Waffen direkt an die Wächter der schiitischen Moscheen in Gebieten verteilte (USDOS 10.07.2020). Angriffe werden auch als Vergeltung gegen mutmaßliche schiitische Unterstützung der iranischen Aktivitäten in Syrien durchgeführt (MEI 10.2018; vgl. WP 21.03.2018). In Randgebieten des Hazaradjat kommt es immer wieder zu Spannungen und teilweise gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Nomaden und sesshaften Landwirten, oftmals Hazara (AREU 1.2018). Die Hazara sind im nationalen Durchschnitt mit etwa 10% in der Afghan National Army und der Afghan National Police repräsentiert (BI 29.09.2017). NGOs berichten, dass Polizeibeamte, die der Hazara-Gemeinschaft angehören, öfter als andere Ethnien in unsicheren Gebieten eingesetzt werden oder im Innenministerium an symbolische Positionen ohne Kompetenzen befördert werden (USDOS 11.03.2020). Anmerkung: Ausführliche Informationen zu Angriffen auf schiitische Glaubensstätten sind dem Kapitel Sicherheitslage zu entnehmen; ausführlichere Informationen zu den Hazara können dem Dossier der Staatendokumentation (7.2016) entnommen werden. Informationen zur religiösen Gruppe der Schiiten, die auch andere Volksgruppen umfasst, können dem Unterkapitel „Schiiten“ entnommen werden. 18.4 Usbeken Letzte Änderung: 16.12.2020 Die usbekische Minderheit ist die viertgrößte Minderheit Afghanistans und umfasst etwa 9% der Gesamtbevölkerung (GIZ 4.2019; vgl. MRG o.D.b). Usbeken sind Sunniten und leben vorwiegend im Norden des Landes, wo sie gemeinsam mit den Turkmenen den größten Teil des landwirtschaftlich genutzten Bodens kontrollieren (MRG o.D.b). Sie siedeln sowohl im ländlichen Raum als auch in urbanen Zentren (Mazar-e Sharif, Kabul, Kandahar, Lashkargah u.a.), wo ihre Wirtschafts- und Lebensformen kaum Unterschiede zu Dari- - 83 - sprachigen Gruppen aufweisen. In den Städten und in vielen ländlichen Gegenden beherrschen Usbeken neben dem Usbekischen in der Regel auch Dari auf nahezu muttersprachlichem Niveau. Heiratsbeziehungen zwischen Usbeken und Tadschiken sind keine Seltenheit (STDOK 7.2016). Abdul Rashid Dostum ist der Anführer der usbekischen Minderheit in Afghanistan. Der ehemalige Warlord und einer der Anführer der Nordallianz (MRG o.D.d; vgl. FAZ 19.11.2001) ist inzwischen Erster Vizepräsident Afghanistans und befand sich von Mai 2017 bis Juli 2018 im Exil in der Türkei (SP 22.07.2018). Er kehrte 2018 nach Afghanistan zurück und unterstütze bei der Präsidentschaftswahl 2019 Ghanis Rivalen Abdullah. Als Teil des Abkommens zwischen Ghani und Abdullah wurde er zum Marshall befördert (WZ 15.07.2020). Die usbekische Minderheit ist im nationalen Durchschnitt mit etwa 8% in der Afghan National Army und der Afghan National Police repräsentiert (BI 29.09.2017). 18.5 Kutschi, Nomaden Letzte Änderung: 16.12.2020 Ethnisch gesehen ist der Großteil der Kutschi paschtunisch (TD 19.04.2019; vgl. MRG o.D.a, AA 16.07.2020) und stammt vorwiegend aus dem Süden und Osten Afghanistans (MRG o.D.a). Sie sind eher eine soziale Gruppe, obwohl sie einige Charakteristiken einer eigenen ethnischen Gruppe aufweisen. Während des Taliban-Regimes wurden viele Kutschi in den usbekisch und tadschikisch dominierten Gebieten im Nordwesten des Landes sesshaft. Die größte Kutschi-Population findet sich in der Wüste im Süden des Landes (Registan) (MRG o.D.a). Viele Kutschi leben in informellen Siedlungen am Stadtrand von Kabul (MDG o.D.a; vgl. AAN 19.03.2019). Ein Großteil der Nomaden zieht während des Sommers in Richtung der Weideflächen des Hazarajat (zentrales Hochland) (AREU 1.2018; vgl. GIZ 4.2019). Nur mehr wenige tausend Personen führen ein Leben als nomadische Viehhirten (MRG o.D.a; vgl. AREU 1.2018). Kutschi leiden in besonderem Maße unter den ungeklärten Boden- und Wasserrechten. Dies schließt die illegale Landnahme durch mächtige Personen ein - mangels funktionierenden Katasterwesens in Afghanistan ein häufiges und alle Volksgruppen betreffendes Problem (AA 16.07.2020; vgl. AREU 1.2018). Traditionell waren die Kutschi eine nomadische Gemeinschaft; jahrzehntelange Konflikte und Dürre haben verstärkt dazu geführt, dass die afghanischen Kutschi ihren traditionellen Lebensstil aufgaben und sich in festen Siedlungsgebieten niedergelassen haben. Manche Kutschi haben ihr Vieh verloren und haben versucht, sich dauerhaft und auch temporär in nicht-regulierten Gebieten niederzulassen (TD 19.04.2019; vgl. AREU 1.2018; vgl. GIZ 4.2019), was zu Konflikten mit Anwohnern und Kommandanten aufgrund von Landbesitz und Wasserzugang führte (TD 19.04.2019; vgl. AREU 1.2018). Konflikte basieren u.a. auf der Blockade der Zugangswege zu den Weiden durch die sesshafte Bevölkerung, da das durchziehende Vieh landwirtschaftliche Flächen beschädigt; oder auch auf der Übernahme von Weideland der Nomaden durch die sesshafte Dorfbevölkerung zur eigenen Beweidung, Kultivierung oder Bebauung. Ebenso entstehen Konflikte durch das Bevölkerungswachstum, wodurch frühere Weidegebiete der Nomaden vermehrt verbaut werden, insbesondere im Nahbereich größerer Städte (AREU 1.2018). Staatliche Institutionen haben nur geringen Einfluss in ländlichen Gebieten - selbst in Gebieten unter Regierungskontrolle -, um bei einer Konfliktlösung zu vermitteln (AREU 12.2018). Die Regierung verfügt mit dem unabhängigen Direktorium für die Angelegenheiten der Kutschi über eine eigene Organisationseinheit, welche die Angelegenheiten der Kutschi behandelt (MRG o.D.a; vgl. AREU 12.2018). Dieses Direktorium möchte jedoch bei Konflikten zwischen Nomaden und sesshafter Bevölkerung nicht direkt vermitteln, da es als parteiisch wahrgenommen werden würde. Bei Konfliktlösungen werden von der Regierung in der Regel lokale Akteure als Mediatoren eingesetzt, die ebenfalls von den Streitparteien als befangen angesehen werden (AREU 12.2018). Kutschi sind benachteiligt beim Zugang zu Bildung, Gesundheit und Arbeit (ACFF 11.2.2018; vgl. MRG o.D.a). Angehörige der Nomadenstämme sind aufgrund bürokratischer Hindernisse dem Risiko der (faktischen) Staatenlosigkeit ausgesetzt (AA 16.07.2020; vgl. MRG o.D.a). Sie gelten aufgrund ihres nomadischen Lebensstils als Außenseiter (AA 16.07.2020). Kutschi berichten über erzwungene Sesshaftmachungen durch die Regierung. Da viele sesshafte Kutschi unter prekären Bedingungen in informellen Siedlungen am Rande der Großstädte leben, werden sie zunehmend negativ wahrgenommen, was deren sozialen Status im Land weiter unterminiert (MRG o.D.a). Nomaden werden öfter als andere Gruppen auf bloßen Verdacht hin einer Straftat bezichtigt und verhaftet, sind aber oft auch rasch wieder auf freiem Fuß (AA 16.07.2020). Der afghanischen Verfassung zufolge ist die Regierung verpflichtet, den Kutschi Land für die permanente Nutzung zur Verfügung zu stellen und ihre Integration in besiedelten Gebieten zu fördern (RFE/RL 18.09.2015). Die Verfassung sieht vor, dass der Staat Maßnahmen für die Verbesserung der Lebensgrundlagen von Nomaden ergreift. Einzelne Kutschi sind als Parlamentsabgeordnete oder durch politische und administrative Ämter Teil der Führungselite Afghanistans. Auch Staatspräsident Ghani wird der Bevölkerungsgruppe der Kutschi zugerechnet (AA 16.07.2020). Zehn Sitze im Unterhaus der Nationalversammlung sind für die Kutschi- Minderheit reserviert, und vom Präsidenten müssen zwei Kutschi zu Mitgliedern für das Oberhaus ernannt - 84 - werden (USDOS 11.03.2020; vgl. AA 16.07.2020). Diese Sitze werden jedoch in der Regel von sesshaften Kutschi eingenommen, wodurch die Interessen der erst kürzlich sesshaft gewordenen, in informellen Siedlungen lebenden oder semi-nomadischen Kutschi weitgehend vernachlässigt werden (MRG o.D.a). Die COVID-19 Krise hat auch Auswirkungen auf die Kutschi-Nomaden. Wegen des Lockdowns und der Schließung der Hauptmärkte haben sie nur ein geringes Einkommen, und es gibt nur noch wenige Orte, an denen sie Handel treiben können, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen (UNifeed 26.06.2020; vgl. IFAD 29.06.2020). In den Gebieten Nangarhar und Logar zum Beispiel bekommen die Kuchi 40% weniger pro Lamm im Vergleich zu vor der Pandemie. Die Regierung und Hilfsorganisationen unterstützen die Kutschi im Rahmen des fortlaufenden Community Livestock and Agriculture Project (CLAP) mit veterinärmedizinischen Leistungen und bilden 100 Kutschi in Basiskenntnissen der Veterinärmedizin aus und informieren während der COVID-19 Pandemie die einzelnen Stämme durch Kampagnen, um das Bewusstsein für die Krankheit zu steigern (IFAD 29.06.2020). [...] 19 Relevante Bevölkerungsgruppen Letzte Änderung: 16.12.2020 19.1 Frauen Letzte Änderung: 16.12.2020 Anmerkung: Ausführliche Informationen zur Lage der Frauen in Herat können der Analyse der Staatendokumentation vom 13.06.2019 entnommen werden (Abschnitt 6, abrufbar unter https://www.ecoi.net/en/file/local/2010507/AFGH_ANALYSE_Herat_2019_06_13.pdf). Weitere Informationen zum Thema Frauen in Afghanistan können der Analyse der Staatendokumentation „Gesellschaftliche Einstellung zu Frauen in Afghanistan“ vom 25.06.2020, abrufbar unter https://www.ecoi.net/en/document/2032387.html, entnommen werden. Artikel 22 der afghanischen Verfassung besagt, dass jegliche Form von Benachteiligung oder Bevorzugung unter den Bürgern Afghanistans verboten ist. Die Bürger Afghanistans, sowohl Frauen als auch Männer, haben vor dem Gesetz gleiche Rechte und Pflichten (CoA 26.01.2004). Afghanistan verpflichtet sich in seiner Verfassung durch die Ratifizierung internationaler Konventionen und durch nationale Gesetze, die Gleichberechtigung und Rechte von Frauen zu achten und zu stärken. In der Praxis mangelt es jedoch oftmals an der Umsetzung dieser Rechte (AA 16.07.2020). Nach wie vor gilt Afghanistan als eines der weltweit gefährlichsten Länder für Frauen (REU 26.06.2018). Während sich die Situation der Frauen seit dem Ende der Taliban-Herrschaft insgesamt ein wenig verbessert hat (HRW 30.06.2020; vgl. STDOK 25.06.2020, AA 16.07.2020), können sie ihre gesetzlichen Rechte innerhalb der konservativ-islamischen, durch Stammestraditionen geprägten afghanischen Gesellschaft oft nur eingeschränkt verwirklichen. Viele Frauen sind sich ihrer in der Verfassung garantierten und auch gewisser vom Islam vorgegebenen Rechte nicht bewusst (AA 16.07.2020; vgl.: REU 02.12.2019, STDOK 25.06.2020). Eine Verteidigung ihrer Rechte ist in einem Land, in dem die Justiz stark konservativ-traditionell geprägt und überwiegend von männlichen Richtern oder traditionellen Stammesstrukturen bestimmt wird, nur in eingeschränktem Maße möglich. Staatliche Akteure aller drei Gewalten sind häufig nicht in der Lage oder aufgrund tradierter Wertevorstellungen nicht gewillt, Frauenrechte zu schützen. Gesetze zum Schutz und zur Förderung der Rechte von Frauen werden nur langsam umgesetzt. Das Personenstandsgesetz enthält diskriminierende Vorschriften für Frauen, insbesondere in Bezug auf Heirat, Erbschaft und Bewegungsfreiheit (AA 16.07.2020; vgl. STDOK 25.06.2020). Seit dem Fall der Taliban wurden jedoch langsam Fortschritte in dieser Hinsicht erreicht, welche hauptsächlich in urbanen Zentren wie z.B. Herat-Stadt zu sehen sind. Das Stadt-Land-Gefälle und die Sicherheitslage sind zwei Faktoren, welche u.a. in Bezug auf Frauenrechte eine wichtige Rolle spielen. Einem leitenden Mitarbeiter einer in Herat tätigen Frauenrechtsorganisation zufolge kann die Lage der Frauen innerhalb der Stadt nicht mit den Lebensbedingungen der Bewohnerinnen ländlicher Teile der Provinz verglichen werden. Daher muss die Lage von Frauen in Bezug auf das jeweilige Gebiet betrachtet werden. Die Lage der Frau stellt sich in ländlichen Gegenden, wo regierungsfeindliche Gruppierungen aktiv sind und die Sicherheitslage volatil ist, anders dar als z.B. in Herat-Stadt (STDOK 13.06.2019). In der Provinzhauptstadt Mazar-e Sharif und den angrenzenden Distrikten sind die Lebensumstände verglichen mit anderen Landesteilen gut. Hier gibt es Frauen, welche sich frei bewegen, studieren oder arbeiten können und auch selbst entscheiden dürfen, ob sie heiraten oder nicht. Es gibt aber auch in Mazar-e Sharif Frauen, deren Familien dies nicht erlauben (STDOK 21.07.2020). Die afghanische Regierung wird von den Vereinten Nationen (UN) als ehrlicher und engagierter Partner im Kampf gegen Gewalt an Frauen beschrieben (EASO 12.2017; vgl. STDOK 4.2018, UNAMA/OHCHR 5.2018), der sich bemüht, Gewalt gegen Frauen - beispielsweise Ermordung, Prügel, Verstümmelung, Kinderheirat und weitere schädliche Praktiken - zu kriminalisieren und Maßnahmen zur Rechenschaftspflicht festzulegen (UNAMA/OHCHR 5.2018). Jedoch ist sexuelle Belästigung in Afghanistan, speziell innerhalb der afghanischen - 85 -

Regierung, im Präsidentenpalast sowie anderen Regierungsinstitutionen, sowohl national als auch international zu Themen regelmäßiger Diskussionen geworden (STDOK 25.6.2020; vgl. AT 6.11.2019). Aus unterschiedlichen Regierungsbüros berichten seit Mai 2019 vermehrt afghanische Frauen von sexueller Belästigung durch männliche Kollegen und hochrangige Personen (STDOK 25.06.2020; vgl. RY 01.08.2019, BBC 10.07.2019). Die afghanische Regierung hat die erste Phase des nationalen Aktionsplans (NAP) zur Umsetzung der UN- Resolution 1325 (aus dem Jahr 2000) des UN-Sicherheitsrates implementiert; dies führte zu einer stärkeren Vertretung von Frauen in öffentlichen Einrichtungen, wie z.B. dem Hohen Friedensrat. Gemäß Artikel 83 und 84 sind Maßnahmen für die Teilnahme von Frauen im Ober- und Unterhaus des Parlamentes vorsehen (WILFPFA 7.2019). Unter anderem hat die afghanische Regierung das nationale Schwerpunktprogramm „Women’s Economic Em- powerment“ gestartet. Um Gewalt und Diskriminierung gegen Frauen zu bekämpfen, hat die Regierung in Afghanistan die Position eines stellvertretenden Generalstaatsanwalts geschaffen, der für die Beseitigung von Gewalt gegen Frauen und Kinder zuständig ist. Es wurden Kommissionen gegen Belästigung in allen Ministerien eingerichtet. Des Weiteren hat der Oberste Gerichtshof eine spezielle Abteilung geschaffen, um Fälle von Gewalt gegen Frauen zu überprüfen. Darüber hinaus waren in mehr als 20 Provinzen Sondergerichte zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen tätig (UNGA 28.02.2019). So hat die afghanische Regierung unter anderem gemeinsam mit der internationalen Gemeinschaft verschiedene Projekte zur Reduzierung der Geschlechterungleichheit gestartet. Das Projekt „Enhancing Gender Equality and Mainstreaming in Afghanistan“ (EGEMA) beispielsweise ist ein Gemeinschaftsprojekt der afghanischen Regierung und des UNDP (United Nations Development Program) Afghanistan und hat den Hauptzweck, das Ministerium für Frauenrechte (MoWA) zu stärken. Es läuft von Mai 2016 bis Dezember 2020 (UNDP o.D). Im Zuge der Friedensverhandlungen (siehe Abschnitt 1) bekannten sich die Taliban zu jenen Frauenrechten (STDOK 25.06.2020; vgl. BBC 27.02.2020, BP 31.08.2020, TN 31.05.2019, Taz 06.02.2019); die im Islam vorgesehen sind, wie zu lernen, zu studieren und sich den Ehemann selbst auszuwählen. Zugleich kritisierten sie, dass „im Namen der Frauenrechte“ Unmoral verbreitet und afghanische Werte untergraben würden (Taz 06.02.2019). Die Taliban haben während ihres Regimes afghanischen Frauen und Mädchen Regeln aufoktroyiert, die auf ihren extremistischen Interpretationen des Islam beruhen, und die ihnen ihre Rechte - einschließlich des Rechts auf Schulbesuch und Arbeit - vorenthalten und Gewalt gegen sie gerechtfertigt haben (USAT 03.09.2019). Die afghanischen Frauen sind jedoch ob der Verhandlungen mit den Taliban besorgt und fürchten um ihre mühsam erkämpften Rechte (BP 31.08.2020; vgl. WP 12.09.2020). Eine jener vier Frauen, die an den Verhandlungen mit den Taliban teilnehmen, glaubt nicht, dass sich die Taliban-Kämpfer, die an der Frontlinie stehen, geändert hätten (BP 31.08.2020). Restriktive Einstellung und Gewalt gegenüber Frauen betreffen jedoch nicht nur Gegenden, welche unter Taliban-Herrschaft stehen, sondern hängen grundsätzlich mit der Tatsache zusammen, dass die afghanische Gesellschaft zum Großteil sehr konservativ ist. Gewalt gegenüber Frauen ist sehr oft auch innerhalb der Familien gebräuchlich. So kann bezüglich der Behandlung von Frauen insbesondere in ländlichen Gebieten grundsätzlich kein großer Unterschied zwischen den Taliban und der Bevölkerung verzeichnet werden. In den Städten hingegen ist die Situation ganz anders (STDOK 13.06.2019; vgl. STDOK 25.06.2020). Das afghanische Frauenministerium dokumentierte innerhalb eines Jahres (November 2018 – November 2019) 6.449 Fälle von Gewalt und Missbrauch gegen Frauen. Der Großteil dieser Fälle wurde in den Provinzen Kabul, Herat, Kandahar und Balkh registriert. Dem Frauenministerium zufolge wurden rund 2.886 Fälle an Ermittlungsbehörden und Gerichte weitergeleitet, 456 Frauen bekamen Anwälte zugewiesen, und 682 Fälle wurden durch Mediation zwischen den Parteien gelöst. Außerdem wurden 2.425 Fälle an Organisationen weitergeleitet, die sich für Frauenrechte einsetzen (STDOK 25.06.2020; vgl. RFE/RL 25.11.2019). Im Vergleich dazu registrierte die AIHRC (Afghanistan Independent Human Rights Commission) für den Untersuchungsraum 2019 4.693 Vorfälle und für 2018 4.329 Vorfälle (AIHCR 23.03.2020; vgl. STDOK 25.06.2020). Ein hohes Maß an Gewalt gegen Frauen ist auf verschiedene Faktoren zurückzuführen, wie z.B. die Sensibilisierung der Frauen für ihre Menschenrechte und die Reaktion auf häusliche Gewalt, ein geringes öffentliches Bewusstsein für die Rechte der Frauen, eine schwache Rechtsstaatlichkeit und die Ausbreitung von Unsicherheit in verschiedenen Teilen des Landes (AIHRC 23.03.2020). Weibliche Genitalverstümmelung ist in Afghanistan nicht üblich (AA 16.07.2020). Bildung für Mädchen Seit 2001 haben Millionen Mädchen, denen unter den Taliban die Bildung verwehrt wurde, Schulbildung erhalten (HRW 30.06.2020; vgl. KUR 17.12.2019, STDOK 25.06.2020), Bildung afghanischer Mädchen sowie die Stärkung afghanischer Frauen ist seitdem ein Schwerpunkt internationaler Bemühungen (STDOK 25.06.2020; vgl. REU 02.12.2019). Auf nationaler Ebene hat das afghanische Bildungsministerium im Februar 2019 eine Bildungsrichtlinie eingeführt, um Frauen und Mädchen den Zugang zu Bildung zu erleichtern sowie die Analphabetenrate zu reduzieren (STDOK 25.06.2020; vgl.: OI 03.12.2019, AT 06.11.2019). Die größten Probleme bei Bildung für Mädchen beinhalten Armut, frühe Heirat und Zwangsverheiratung, Unsicherheit, - 86 - fehlende familiäre Unterstützung sowie Mangel an Lehrerinnen und nahegelegenen Schulen (USDOS 11.03.2020; vgl. UNICEF 8.2020). Untersuchungen von Human Rights Watch (HRW) und anderen belegen eine steigende Nachfrage nach Bildung in Afghanistan, einschließlich einer wachsenden Akzeptanz in vielen Teilen des Landes, dass Mädchen die Schule besuchen sollten. NGOs, die „gemeindebasierte Bildung“ unterstützen - Schulen, die sich in Häusern in den Gemeinden der Schülerinnen und Schüler befinden -, waren oft erfolgreicher, wenn es darum ging, Mädchen den Schulbesuch in Gegenden zu ermöglichen, in denen sie aufgrund von Unsicherheit, familiärem Widerstand und Gemeindeeinschränkungen nicht in der Lage gewesen wären, staatliche Schulen zu besuchen. Doch das Versäumnis der Regierung, diese Schulen in das staatliche Bildungssystem zu integrieren, hat in Verbindung mit der uneinheitlichen Finanzierung dieser Schulen dazu geführt, dass vielen Mädchen die Bildung vorenthalten wurde (HRW 30.06.2020). Aufgrund des anhaltenden Konflikts und der sich verschlechternden Sicherheitslage wurden bis Ende 2018 mehr als 1.000 Schulen geschlossen. Zwischen 2018 und 2019 gab es einen Anstieg der Angriffe auf Schulen und Schulpersonal um 45% (UNICEF 8.2020). Ein Grund für die Zunahme von Angriffen auf Schulen ist, dass Schulen als Wählerregistrierungs- und Wahlzentren für die Parlamentswahlen 2018 genutzt wurden (UNICEF 27.05.2019). Von den rund 5.000 Örtlichkeiten, die als Wahlzentren dienten, waren etwa 50% Schulen (UNICEF 2019). Schätzungen zufolge sind etwa 3,7 Millionen Kinder im Alter von 7 bis 17 Jahren, also fast die Hälfte aller schulpflichtigen Kinder, nicht in der Schule - Mädchen machen dabei 60% aus (UNICEF 27.05.2019), in manchen abgelegenen Gegenden sogar 85% (UNICEF 2019). 2018 ist diese Zahl zum ersten Mal seit dem Jahr 2002 wieder gestiegen (UNICEF 27.05.2019). Geschlechternormen führen dazu, dass die Ausbildung der Buben in vielen Familien gegenüber der Ausbildung der Mädchen prioritär gesehen wird, bzw. dass die Ausbildung der Mädchen als unerwünscht gilt oder nur für einige Jahre vor der Pubertät als akzeptabel gesehen wird (HRW 17.10.2017). Jedoch sind auch hier landesweit Unterschiede festzustellen (BBW 28.08.2019): Beispielsweise waren Mädchen unter der Taliban-Herrschaft auf Heim und Haus beschränkt - speziell in ländlichen Gegenden wie jene in Bamyan. Eine Quelle berichtet von einer Schule in Bamyan, die vor allem von Mädchen besucht wird. Dort werden Mädchen von den Eltern beim Schulbesuch manchmal den Buben vorgezogen, da die Buben bei der Feldarbeit oder im Elternhaus aushelfen müssen. In besagtem Fall existieren sogar gemischte Klassen (NYT 27.06.2019). Aufgrund der Geschlechtertrennung darf es eigentlich keine gemischten Klassen geben. In ländlichen Gebieten kommt es oft vor, dass Mädchen nach der vierten oder fünften Klasse die Schule abbrechen müssen, weil die Zahl der Schülerinnen zu gering ist. Grund für das Abnehmen der Anzahl an Schülerinnen ist u.a. die schlechte Sicherheitslage in einigen Distrikten. Statistiken des afghanischen Bildungsministeriums zufolge war Herat mit Stand November 2018 beispielsweise die einzige Provinz in Afghanistan, wo die Schulbesuchsrate der Mädchen höher war (53%) als die der Burschen (47%). Ein leitender Mitarbeiter einer u.a. im Westen Afghanistans tätigen NGO erklärt die höhere Schulbesuchsrate damit, dass in der konservativen afghanischen Gesellschaft, wo die Bewegungsfreiheit der Frau außerhalb des Hauses beschränkt bleibt, Mädchen zumindest durch den Schulbesuch die Möglichkeit haben, ein Sozialleben zu führen und das Haus zu verlassen. Aber auch in einer Provinz wie Herat missbilligen traditionelle Dorfälteste und konservative Gemeinschaften in manchen Distrikten den Schulbesuch von Mädchen. So kommt es manchmal vor, dass in bestimmten Gebäuden Unterrichtsschichten für Mädchen eingerichtet sind, die von den Schülerinnen jedoch nicht besucht werden (STDOK 13.06.2019). Auch wenn die Führungselite der Taliban erklärt hat, dass Schulen kein Angriffsziel mehr seien (LI 16.05.2018), kam es zu Angriffen auf Mädchenschulen, sowie Schülerinnen und Lehrerinnen durch die Taliban und andere bewaffnete Gruppen (NYT 21.05.2019; UNAMA 24.04.2019; PAJ 16.04.2019; PAJ 15.04.2019; PAJ 31.01.2019; HRW 17.10.2017). Solche Angriffe zerstören nicht nur wertvolle Infrastruktur, sondern schrecken auch langanhaltend eine große Zahl von Eltern ab, ihre Töchter zur Schule zu schicken (HRW 17.10.2017). Vertreter der Provinzregierung und Dorfälteste legten nach Vorfällen in der Provinz Farah nahe, dass Angriffe auf Mädchenschulen eine Spaltung innerhalb der Taliban offenbaren: Während viele Zivilbehörden der Taliban eine Ausbildung für Mädchen tolerieren, lehnen manche Militärkommandanten dies ab (NYT 21.05.2019). Obwohl die Taliban offiziell erklären, dass sie nicht mehr gegen die Bildung von Mädchen sind, gestatten nur sehr wenige Taliban-Beamte Mädchen tatsächlich den Schulbesuch nach der Pubertät. Andere gestatten Mädchenschulen überhaupt nicht. Diese Ungereimtheiten führen zu Misstrauen in der Bevölkerung. Beispielsweise haben Taliban in mehreren Bezirken von Kunduz den Betrieb von Mädchen-Grundschulen zugelassen und in einigen Fällen Mädchen und jungen Frauen erlaubt, in von der Regierung kontrollierte Gebiete zu reisen, um dort höhere Schulen und Universitäten zu besuchen. Im Gegensatz dazu gibt es in einigen von den Taliban kontrollierten Bezirken in der Provinz Helmand keine funktionierenden Grundschulen für Mädchen, geschweige denn weiterführende Schulen - einige dieser ländlichen Bezirke hatten keine funktionierenden Mädchenschulen, selbst als sie unter Regierungskontrolle standen. Ihre inkonsistente - 87 -

Herangehensweise an Mädchenschulen spiegelt die unterschiedlichen Ansichten der Taliban-Kommandeure in den Provinzen, ihre Stellung in der militärischen Kommandohierarchie der Taliban und ihre Beziehung zu den lokalen Gemeinschaften wider. In einigen Distrikten hat die lokale Nachfrage nach Bildung die Taliban- Behörden überzeugt oder gezwungen, einen flexibleren Ansatz zu wählen (HRW 30.06.2020). Der Zugang zu öffentlicher Hochschulbildung ist wettbewerbsintensiv: Studenten müssen eine öffentliche Aufnahmeprüfung - Kankor - ablegen. Für diese Prüfung gibt es Vorbereitungskurse, mit den Schwerpunkten Mathematik und Naturwissenschaften, die oft kostspielig sind und in der Regel außerhalb der Schulen angeboten werden. Unter den konservativen kulturellen Normen, die die Mobilität von Frauen in Afghanistan einschränken, können Studentinnen in der Regel nicht an diesen Kursen teilnehmen, und afghanische Familien ziehen es oft vor, in die Ausbildung ihrer Söhne zu investieren, sodass den Töchtern die Ressourcen für eine Ausbildung fehlen (AF 13.02.2019). Um diese Aufnahmeprüfung zu bestehen, werden Bewerberinnen von unterschiedlichen Stellen unterstützt. Eine Hilfsorganisation hat beispielsweise bislang Vorbereitungsmaterialien und -aktivitäten für 70.000 Studentinnen zur Verfügung gestellt. Auch wurden Aktivitäten direkt in den Unterricht an den Schulen integriert, um der mangelnden Bereitschaft von Eltern, ihre Töchter in Privatkurse zu schicken, zu entgegnen (AF 13.02.2019). Es gibt akutell (Stand Oktober 2020) 424.621 Studenten an den öffentlichen und privaten Universitäten Afghanistans. Davon sind 118.893 (28%) weiblich. Im Jahr 2020 haben 61.000 Frauen die Zulassungsprüfung für das Universitätsstudium bestanden (RA KBL 12.10.2020a). Die Anzahl weiblicher Studierender hat sich an öffentlichen Universitäten in Afghanistan aus unterschiedlichen Gründen seit 2015 erhöht: [...] Beispielsweise wurden im Rahmen von Initiativen des Ministeriums für höhere Bildung sichere Transportmöglichkeiten für Studenten zu und von den Universitäten zur Verfügung gestellt. Etwa 1.000 Studentinnen konnten dieses Service in den Provinzen Herat, Jawzjan, Kabul, Kunar und Kunduz genießen. Das sind jene Provinzen, in denen sichere und verlässliche Transportmöglichkeiten aufgrund fehlender öffentlicher Verkehrsmittel und der Sicherheitslage dringend benötigt werden. Auch sollen mehr studentische Wohnmöglichkeiten für Frauen an Universitäten zur Verfügung gestellt werden; das Ministerium für höhere Bildung plant, an fünf Universitäten Studentenwohnheime zu errichten. In zwei Provinzen - Bamyan und Kunar - sollen sie im Jahr 2019 fertiggestellt werden. Das Ministerium für höhere Bildung unterstützt Frauen auch finanziell. Zum einen haben im Jahr 2018 100 Frauen Stipendien erhalten, des Weiteren wurden 41 Frauen zum Studieren ins Ausland entsandt und 65 weitere werden ihren Masterabschluss 2018 mithilfe des Higher Education Development Programms erreichen (WB 06.11.2018). Im Mai 2016 eröffnete in Kabul der Moraa Educational Complex, die erste Privatuniversität für Frauen in Afghanistan mit einer Kapazität von 960 Studentinnen (MED o.D.). Im Herbst 2015 eröffnete an der Universität Kabul der Masterlehrgang für „Frauen- und Genderstudies“ (KP 18.10.2015; vgl. EN 25.10.2018; Najimi 2018). Die ersten Absolventinnen und Absolventen haben bereits im Jahr 2017 das Studium abgeschlossen (UNDP 07.11.2017). Anmerkung: Weitergehende Informationen zum Bildungswesen in Afghanistan können dem Kapitel „Schulbildung in Afghanistan“, Unterkapitel „Kinder“ entnommen werden. Berufstätigkeit von Frauen Das Gesetz sieht die Gleichstellung von Mann und Frau im Beruf vor, sagt jedoch nichts zu gleicher Bezahlung bei gleicher Arbeit. Das Gesetz untersagt Eingriffe in das Recht von Frauen auf Arbeit; dennoch werden diese beim Zugang zu Beschäftigung und Anstellungsbedingungen diskriminiert (USDOS 11.03.2020). Viele afghanische Männer teilen die Ansicht, Frauen sollen das Haus nicht verlassen, geschweige denn politisch aktiv sein (STDOK 25.06.2020, vgl. WS 02.12.2019). Die Akzeptanz der Berufstätigkeit von Frauen variiert je nach Region und ethnischer bzw. Stammeszugehörigkeit (AA 16.07.2020; vgl. BBW 28.08.2019). Die städtische Bevölkerung hat kaum ein Problem mit der Berufstätigkeit ihrer Ehefrauen oder Töchter. In den meisten ländlichen Gemeinschaften sind konservative Einstellungen nach wie vor präsent, und viele Frauen gehen aus Furcht vor sozialer Ächtung keiner Arbeit außerhalb des Hauses nach (STDOK 4.2018). In den meisten Teilen Afghanistans ist es Tradition, dass Frauen und Mädchen selten außerhalb des Hauses gesehen oder gehört werden sollten (BBC 06.09.2019). Die Erwerbsbeteiligung von Frauen hat sich auf 27% erhöht (UNGA 03.04.2019). Erfolgreiche afghanische Frauen arbeiten als Juristinnen, Filmemacherinnen, Pädagoginnen und in anderen Berufen (STDOK 25.06.2020; vgl. OI 03.12.2019). Ob Frauen berufstätig sind oder nicht, hängt vor allem vom Verhalten ihrer Familien wie auch ihrem Ausbildungsniveau ab. Neben dem allgemeinen Mangel an Arbeitsmöglichkeiten aufgrund der Arbeitsmarktlage und Jobvoraussetzungen, welche Frauen aufgrund der historischen Benachteiligung bei der - 88 -

Ausbildung von Mädchen schwerer erfüllen können als Männer, sind es vor allem kulturelle Hindernisse, die als Problemfelder gelten und Frauen von einer (bezahlten) Arbeitstätigkeit abhalten (STDOK 21.07.2020). Frauen berichten weiterhin, mit Missgunst konfrontiert zu sein, wenn sie nach beruflicher oder finanzieller Unabhängigkeit streben - sei es von konservativen Familienmitgliedern, Hardlinern islamischer Gruppierungen (STDOK 25.06.2020; vgl. REU 20.05.2019) oder gewöhnlichen afghanischen Männern (STDOK 25.06.2020; vgl. WS 26.11.2019). Für das Jahr 2020 wurde der Anteil der arbeitenden Frauen von der Weltbank mit 22,8% angegeben (WB 21.06.2020). Bemühungen der afghanischen Regierung, Schlüsselpositionen mit Frauen zu besetzen und damit deren Präsenz zu erhöhen, halten weiter an (KP 24.03.2019). So ist die afghanische Regierung seit dem Jahr 2014 bemüht, den Anteil von Frauen in der Regierung von 22% auf 30% zu erhöhen (USAID 24.07.2019). Frauen besetzen innerhalb der afghanischen Regierung und Spitzenverwaltung beispielsweise folgende Positionen: elf stellvertretende Ministerinnen, drei Ministerinnen und fünf Botschafterinnen. Nicht alle erachten diese Veränderungen als positiv - manche suggerieren, Präsident Ghanis Ernennungen seien symbolisch und die Kandidatinnen unerfahren oder dass ihnen die notwendigen Kompetenzen fehlen würden (RFE/RL 06.12.2018). Im Rahmen einer Ausbildung für Beamte des öffentlichen Dienstes sollen Frauen mit den notwendigen Kompetenzen und Fähigkeiten ausgestattet werden, um ihren Dienst in der afghanischen Verwaltung erfolgreich antreten zu können. Ab dem Jahr 2015 und bis 2020 sollen mehr als 3.000 Frauen in einem einjährigen Programm für ihren Posten in der Verwaltung ausgebildet werden. Mit Stand Juli 2019 haben 2.800 Frauen das Programm absolviert. 900 neue Mitarbeiterinnen sind in Kabul, Balkh, Kandahar, Herat und Nangarhar in den Dienst aufgenommen worden (USAID 24.07.2019). Viele Frauen werden von der Familie unter Druck gesetzt, nicht arbeiten zu gehen (USDOS 11.03.2020); traditionell wird der Mann als Ernährer der Familie betrachtet, während Frauen Tätigkeiten im Haushalt verrichten. Dies bedeutet für die Frauen eine gewisse Sicherheit, macht sie allerdings auch wirtschaftlich abhängig - was insbesondere bei einem Partnerverlust zum Problem wird (Najimi 2018). Auch werden bei der Anstellung Männer bevorzugt. Es ist schwieriger für ältere und verheiratete Frauen, Arbeit zu finden, als für junge alleinstehende. Berufstätige Frauen berichten über Beleidigungen, sexuelle Belästigung, fehlende Fahrgelegenheiten und fehlende Kinderbetreuungseinrichtungen. Auch wird von Diskriminierung beim Gehalt berichtet (USDOS 11.03.2020). Das hohe Ausmaß an sexueller Belästigung am Arbeitsplatz ist ein Grund, warum Familien ihren weiblichen Mitgliedern eine Arbeitstätigkeit außerhalb des Hauses oder ein Studium nicht erlauben (STDOK 21.07.2020). Mittlerweile wurden landesweit mehr als 1.000 Unternehmen von Frauen gegründet, die sie selbst auch leiten. Die im Jahr 2017 gegründete afghanischen Gewerbebehörde „Women’s Chamber of Commerce and Industry“ zählt mittlerweile 850 von Frauen geführten Unternehmen zu ihren Mitgliedern (STDOK 25.06.2020; vgl. OI 03.12.2019). Die First MicroFinance Bank (FMFB-A), eine Tochter der Aga Khan Agency for Microfinance, bietet Finanzdienstleistungen und Mikrokredite primär für Frauen (STDOK 4.2018; vgl. FMFB o.D.a) und hat 39 Niederlassungen in 14 Provinzen (FMFB o.D.b). Politische Partizipation und Öffentlichkeit Die politische Partizipation von Frauen ist in ihren Grundstrukturen rechtlich verankert und hat sich deutlich verbessert. So sieht die afghanische Verfassung Frauenquoten für das Zweikammerparlament vor: Ein Drittel der 102 Sitze im Oberhaus (Meshrano Jirga) werden durch den Präsidenten vergeben; von diesem Drittel des Oberhauses sind gemäß Verfassung 50% für Frauen bestimmt. Im Unterhaus (Wolesi Jirga) sind 68 der 250 Sitze für Parlamentarierinnen reserviert (AA 16.07.2020; vgl. USDOS 11.03.2020). Bei den Wahlen zum Unterhaus (Wolesi Jirga) im Oktober 2018 traten landesweit 417 Kandidatinnen an (MBZ 07.03.2019); insgesamt vertreten 79 Frauen 33 Provinzen (AAN 17.05.2019). Das per Präsidialdekret erlassene Wahlgesetz sieht eine Frauenquote von mindestens 25% in den Provinz- (AA 16.07.2020), Distrikt- und Dorfräten vor. Bis zum Ende des Jahres 2019 war dies in keinem Distrikt- oder Dorfrat der Fall (USDOS 13.03.2019). Zudem sind mindestens zwei von sieben Sitzen in der Unabhängigen Wahlkommission (Independent Electoral Commission, IEC) für Frauen vorgesehen. Die Independent Administrative Reform and Civil Service Commission (IARCSC) hat sich die Erhöhung des Frauenanteils im öffentlichen Dienst von 22% auf 24% für das Jahr 2019 und 26% im Jahr 2020 zum Ziel gesetzt (AA 16.07.2020). Traditionelle gesellschaftliche Praktiken schränken die Teilnahme von Frauen in der Politik und bei Aktivitäten außerhalb des Hauses und der Gemeinschaft ein; wie z.B. die Notwendigkeit eines männlichen Begleiters oder einer Erlaubnis, um zu arbeiten. Frauen, die politisch aktiv sind, sind auch weiterhin mit Gewalt konfrontiert und Angriffsziele der Taliban und anderer Aufständischengruppen. Dies, gemeinsam mit einem Rückstand an Bildung und Erfahrung, führt dazu, dass die Zentralregierung männlich dominiert ist (USDOS 11.03.2020). Frauen sind nur selten in laufende Friedensverhandlungen integriert. Die Verhandlungen in Moskau im Februar 2019 waren eine Ausnahme, als zwei Frauen als Mitglieder der inoffiziellen Regierungsdelegation mit den Taliban verhandelten (TD 27.05.2019). Bei der Loya Jirga im Mai 2019 waren 30% der Delegierten Frauen. - 89 -

Einige von ihnen gaben jedoch an, dass sie ignoriert, marginalisiert und bevormundet wurden (NYT 03.05.2019; vgl. STDOK 25.06.2020). Beispiele für Frauen außerhalb der Politik, die in der Öffentlichkeit stehen, sind die folgenden: In der Provinz Kunduz existiert ein Radiosender - Radio Roshani - nur für Frauen. In der Vergangenheit wurde sowohl die Produzentin bzw. Gründerin mehrmals von den Taliban bedroht, als auch der Radiosender selbst angegriffen. Durch das Radio werden Frauen über ihre Rechte informiert; Frauen können während der Sendung Fragen zu Frauenrechten stellen. Eines der häufigsten Probleme von Frauen in Kunduz sind gemäß einem Bericht Probleme in polygamen Ehen (BBC 06.09.2019). Zan TV, der einizige afghanische Sender nur für Frauen, wurde im Jahr 2017 gegründet. Bei Zan-TV werden Frauen ausgebildet, um alle Jobs im Journalismusbereich auszuüben. Der Gründer des TV-Senders sagt, dass sein Ziel eine zu 80-85% weibliche Belegschaft ist; denn Männer werden auch benötigt, um zu zeigen, dass eine Zusammenarbeit zwischen Männern und Frauen möglich ist. Wie andere Journalistinnen und Journalisten werden auch die Damen von Zan-TV bedroht und beleidigt (BBC 19.04.2019). Anmerkung: Informationen zu Frauen in NGOs, den Medien und den afghanischen Sicherheitskräften können den Kapiteln „NGOs und Menschenrechtsaktivisten“, „Meinungs- und Pressefreiheit“ und „Sicherheitsbehörden“ entnommen werden. Strafverfolgung und rechtliche Unterstützung Der Großteil der gemeldeten Fälle von Gewalt an Frauen stammt aus häuslicher Gewalt (US- DOD 6.2019). Häusliche Gewalt wird Berichten zufolge vor Gericht nicht als legitimer Grund für eine Scheidung angesehen (STDOK 21.07.2020). Viele Gewaltfälle gelangen nicht vor Gericht, sondern werden durch Mediation oder Verweis auf traditionelle Streitbeilegungsformen (Shura/Schura und Jirgas) verhandelt. Traditionelle Streitbeilegung führt oft dazu, dass Frauen ihre Rechte, sowohl im Strafrecht als auch im zivilrechtlichen Bereich wie z. B. im Erbrecht, nicht gesetzeskonform zugesprochen werden. Viele Frauen werden aufgefordert, den „Familienfrieden“ durch Rückkehrzu ihrem Ehemann wiederherzustellen (AA 16.07.2020). Im Fall einer Scheidung wird häufig die Frau als alleinige Schuldige angesehen. Auch ist es verpönt, Probleme außerhalb der Familie vor Gericht zu lösen (STDOK 21.07.2020). Für Frauen, die nicht zu ihren Familien zurückkehren können, werden in einigen Fällen vom Ministerium für Frauenangelegenheiten und nicht-staatlichen Akteuren Ehen arrangiert (USDOS 11.03.2020). Um Frauen und Kinder, die Opfer von häuslicher Gewalt wurden, zu unterstützen, hat das Innenministerium (Mol) im Jahr 2014 landesweit Family Response Units (FRU) eingerichtet. Manche dieser FRUs sind mit Fachleuten wie Psychologen und Sozialarbeitern besetzt, welche die Opfer befragen und aufklären und ihre physische sowie psychische medizinische Behandlung überwachen. Ziel des Mol ist es, für alle FRUs eine weibliche Leiterin, eine zusätzliche weibliche Polizistin sowie einen Sicherheitsmann bereitzustellen (USDOD 6.2019). Einige FRUs haben keinen permanent zugewiesenen männlichen Polizisten, und es gibt Verzögerungen bei der Besetzung der Dienstposten in den FRUs (USDOD 12.2018). Gesellschaftlicher Widerstand erschwert es den FRUs, Verbrechen geschlechtsspezifischer Gewalt, Zwangsheirat und Menschenhandel anzuzeigen (USDOD 12.2019). Es existieren Projekte zur Verbesserung des Rechtszugangs von Frauen. Es besteht beispielsweise ein Netzwerk aus Vertreterinnen der Zivilgesellschaft, welches Fälle aufspürt, bei denen Personen Rechtsbeistand benötigen. Das Programm richtet sich nicht ausschließlich an Frauen, unterstützt diese aber auch bei Rechtsproblemen mittels Fürsprache und der Vermittlung von Rechtsbeiständen. So wurde beispielsweise für eine Frau, welche aufgrund verschiedener Vorwürfe im Gefängnis saß, eine Rechtsvertretung bereitgestellt. EVAW-Gesetz und neues Strafgesetzbuch Das Lawon Elimination ofViolence against Women (EVAW-Gesetz) wurde durch ein Präsidialdekret im Jahr 2009 eingeführt und ist eine wichtige Grundlage für den Kampf gegen Gewalt an Frauen und beinhaltet auch die weit verbreitete häusliche Gewalt. Das EVAW sowie Ergänzungen im Strafgesetzbuch werden jedoch nur unzureichend umgesetzt (AA 16.07.2020). Das für afghanische Verhältnisse progressive Gesetz beinhaltet eine weite Definition von Gewaltverbrechen gegen Frauen, darunter auch Belästigung, und behandelt erstmals in der Rechtsgeschichte Afghanistans auch Früh- und Zwangsheiraten sowie Polygamie (AAN 29.05.2018). Das EVAW-Gesetz wurde im Jahr 2018 im Zuge eines Präsdialdekrets erweitert und kriminalisiert 22 Taten als Gewalt gegen Frauen. Dazu zählen: Vergewaltigung; Körperverletzung oder Prügel, Zwangsheirat, Erniedrigung, Einschüchterung, und Entzug von Erbschaft. Das neue Strafgesetzbuch kriminalisiert sowohl die Vergewaltigung von Frauen als auch Männern - das Gesetz sieht dabei eine Mindeststrafe von fünf bis 16 Jahren für Vergewaltigung vor, und bis zu 20 Jahre oder mehr, wenn erschwerende Umstände vorliegen. Sollte die Tat zum Tod des Opfers führen, so ist für den Täter die Todesstrafe vorgesehen. Im neuen Strafgesetzbuch wird explizit die Vergewaltigung Minderjähriger kriminalisiert, auch wird damit erstmals die strafrechtliche Verfolgung von Vergewaltigungsopfern wegen Zina (Sex außerhalb der Ehe) verboten (USDOS 11.03.2020). - 90 -

Unter dem EVAW-Gesetz muss der Staat Verbrechen untersuchen und verfolgen - auch dann, wenn die Frau die Beschwerde nicht einreichen kann bzw. diese zurückzieht. Dieselben Taten werden auch im neuen afghanischen Strafgesetzbuch kriminalisiert (UNAMA/OHCHR 5.2018; vgl. AAN 29.05.2018). Das Gesetz sieht außerdem die Möglichkeit von Entschädigungszahlungen für die Opfer vor (AI 28.08.2019). Die Behörden setzen diese Gesetze nicht immer vollständig durch; obwohl die Regierung gewisse Angelegenheiten, die unter EVAW fallen, auch über die EVAW-Strafverfolgungseinheiten umsetzt Einem UN- Bericht zufolge, dem eine eineinhalbjährige Studie (8.2015 - 12.2017) mit 1.826 Personen (Mediatoren, Repräsentanten von EVAW-Institutionen) vorausgegangen war, werden Ehrenmorde und andere schwere Straftaten von EVAW-Institutionen und NGOs oftmals an Mediationen oder andere traditionelle Schlichtungssysteme verwiesen (UNAMA/OHCHR 5.2018; vgl. AAN 29.05.2018). Frauenhäuser Weibliche Opfer von häuslicher Gewalt, Vergewaltigungen oder Zwangsehen sind meist auf Schutzmöglichkeiten außerhalb der Familie angewiesen, da die Familie oft (mit-)ursächlich für die Notlage ist. Landesweit gibt es in den großen Städten Frauenhäuser, deren Angebot sehr oft in Anspruch genommen wird. Manche Frauen finden vorübergehend Zuflucht, andere wiederum verbringen dort viele Jahre (AA 16.07.2020). Es gibt 27 – 28 Frauenhäuser (USDOS 11.03.2020) in Afghanistan unter dem MOWA (Ministry of Women Affairs) und der AIHRC (Afghanistan Independent Human Rights Commission), die vom Staat und von NGOs betrieben werden (RA KBL 12.10.2020a). Frauenhäuser sind in der afghanischen Gesellschaft höchst umstritten, da immer wieder Gerüchte gestreut werden, diese Häuser seien Orte für „unmoralische Handlungen“ und die Frauen in Wahrheit Prostituierte. Sind Frauen erst einmal im Frauenhaus untergekommen, ist es für sie sehr schwer, danach wieder in ein Leben außerhalb zurückzufinden. Für Frauen, die auf Dauer weder zu ihren Familien noch zu ihren Ehemännern zurückkehren können, hat man in Afghanistan bisher keine Lösung gefunden. Generell ist in Afghanistan das Prinzip eines individuellen Lebens weitgehend unbekannt (AA 16.07.2020). Dass Frauen selbst in Städten wie Mazar-e Sharif völlig alleine leben, ist nur schwer vorstellbar (STDOK 16.07.2020). Auch unverheiratete Erwachsene leben in der Regel im Familienverband. Für Frauen ist ein alleinstehendes Leben außerhalb des Familienverbandes kaum möglich und wird gemeinhin als unvorstellbar oder gänzlich unbekannt beschrieben (AA 16.07.2020). Oftmals versuchen Väter, ihre Töchter aus den Frauenhäusern zu holen und sie in Beziehungen zurückzudrängen, aus denen sie geflohen sind, oder Ehen mit älteren Männern oder den Vergewaltigern zu arrangieren (NYT 17.03.2018). Auch das Ministerium für Frauenangelegenheiten arrangiert manchmal Ehen für Frauen, die nicht zu ihren Familien zurückkehren können (USDOS 11.03.2020). Nach UN-Angaben aus dem Jahr 2017 werden neben den Frauenhäusern auch 17 Family Guidance Centers (FGCs) von zivilgesellschaftlichen Organisationen betrieben, wo Frauen bis zu einer Woche unterkommen können, bis eine längerfristige Lösung gefunden wurde oder sie nach Hause zurückkehren. Frauen aus ländlichen Gebieten ist es logistisch allerdings nur selten möglich, eigenständig ein Frauenhaus oder FGC zu erreichen (AA 16.07.2020). Die EVAW-Institutionen und andere Einrichtungen, die Gewaltmeldungen annehmen und für die Schlichtung zuständig sind, bringen die Gewaltopfer während des Verfahrens oft in Schutzhäuser (z.B. Frauenhäuser), nachdem die Familie und das Opfer konsultiert wurden (UNAMA/OHCHR 5.2018). Es gibt in allen 34 Provinzen EVAW-Ermittlungseinrichtungen und in mindestens 22 Provinzen EVAW-Gerichtsabteilungen an den Haupt- und den Berufungsgerichten (USDOS 11.03.2020). In manchen Fällen werden Frauen inhaftiert, wenn sie Verbrechen, die gegen sie begangen wurden, anzeigen. Manchmal, wenn die Unterbringung in Frauenhäusern nicht möglich ist, werden Frauen in Schutzhaft genommen, um sie vor Gewalt seitens ihrer Familienmitglieder zu beschützen. Die Schutzzentren für Frauen sind insbesondere in den Großstädten manchmal überlastet, und die Notunterkünfte sind im Westen, Zentrum und Norden des Landes konzentriert. Es kommt auch vor, dass Frauen stellvertretend für männliche Verwandte inhaftiert werden, um den Delinquenten unter Druck zu setzen, sich den Behörden zu stellen (USDOS 11.03.2020). Sexualisierte und geschlechtsspezifische Gewalt Sexualisierte und geschlechtsspezifische Gewalt ist, unabhängig von der Ethnie, weitverbreitet und kaum dokumentiert (AA 16.07.2020; vgl. AI 30.01.2020). Von den im Jahre 2019 4.693 durch AIHRC dokumentierten Fällen von Gewalt gegen Frauen waren 194 (4,1%) sexueller Gewalt zuzuschreiben (AIHRC 23.03.2020). Gewalttaten gegen Frauen und Mädchen finden zu über 90% innerhalb der Familienstrukturen statt. Die Gewalttaten reichen von Körperverletzung und Misshandlung über Zwangsehen bis hin zu Vergewaltigung und Mord (AA 16.07.2020). Ehrenmorde an Frauen werden typischerweise von einem männlichen Familien- oder Stammesmitglied verübt (STDOK 03.07.2014) und kommen auch weiterhin vor (USDOS 11.03.2020). Afghanische Expertinnen und Experten sind der Meinung, dass die Zahl der Mordfälle an Frauen und Mädchen viel höher ist, da sie normalerweise nicht zur Anzeige gebracht werden (UNAMA 5.2018). - 91 -

Zwangsheirat und Verheiratung von Mädchen unter 16 Jahren sind noch weit verbreitet (AA 16.07.2020; vgl. USDOS 11.03.2020, MBZ 07.03.2019, 20 minutes 28.11.2018), wobei die Datenlage hierzu sehr schlecht ist (AA 16.07.2020). Als Mindestalter für Vermählungen definiert das Zivilgesetz Afghanistans für Mädchen 16 Jahre (15 Jahre, wenn dies von einem Elternteil bzw. einem Vormund und dem Gericht erlaubt wird) und für Burschen 18 Jahre (USDOS 11.03.2020; vgl. AA 16.07.2020). Dem Gesetz zufolge muss vor der Eheschließung nachgewiesen werden, dass die Braut das gesetzliche Alter für die Eheschließung erreicht, jedoch besitzt nur ein kleiner Teil der Bevölkerung Geburtsurkunden (USDOS 11.03.2020). In der Praxis wird das Alter, in dem Buben und Mädchen heiraten können, auf der Grundlage der Pubertät festgelegt. Das verhindert, dass Mädchen vor dem Alter von fünfzehn Jahren heiraten. Aufgrund der fehlenden Registrierung von Ehen wird die Ehe von Kindern kaum überwacht (MBZ 07.03.2019). Auch haben Mädchen, die nicht zur Schule gehen, ein erhöhtes Risiko, verheiratet zu werden (MBZ 07.03.2019). Gemäß dem EVAW-Gesetz werden Personen, die Zwangsehen bzw. Frühverheiratung arrangieren, für mindestens zwei Jahre inhaftiert; jedoch ist die Durchsetzung dieses Gesetzes limitiert (USDOS 11.03.2020). Nach Untersuchungen von UNICEF und dem afghanischen Ministerium für Arbeit und Soziales wurde in den letzten fünf Jahren die Anzahl der Kinderehen um 10% reduziert. Die Zahl ist jedoch weiterhin hoch: In 42% der Haushalte ist mindestens eine Person unter 18 Jahren verheiratet (MBZ 07.03.2019). Mahr ist eine Art Morgengabe, deren Ursprung sich im Koran findet. Es handelt sich um einen Geldbetrag, den der Bräutigam der Braut geben muss. Dies ist in Afghanistan weit verbreitet (MoLSAMD/UNICEF 7.2018), insbesondere im ländlichen Raum (WAW o.D.) und sollte nicht mit dem Brautpreis (Walwar auf Pashto und Toyana/Sherbaha auf Dari) verwechselt werden. Der Brautpreis ist eine Zahlung, die an den Vater der Braut ergeht, während Mahr ein finanzielles Versprechen des Bräutigams an seine Frau ist. Dem islamischem Recht (Sharia) zufolge haben Frauen, die einen Ehevertrag abschließen, einen Anspruch auf Mahr, damit sie und ihre Kinder im Falle einer Scheidung oder Tod des Ehegatten (finanziell) abgesichert sind. Der hanafitischen Rechtsprechung zufolge darf eine Frau die Mahr nach eigenem Ermessen nutzen - das heißt, sie kann diese auch zurückgeben oder mit ihrem Mann oder ihrer Großfamilie teilen. Befragungen in Gemeinschaften zufolge wird die Mahr fast nie so umgesetzt, wie dies in der islamischen Rechtsprechung vorgeschrieben ist - selbst dann, wenn die betroffenen Personen das Heiratsgesetz, in dem die Mahr festgehalten ist, kennen (AAN 25.10.2016). Entgegen dem islamischen Recht erhält in der Regel nicht die Braut, sondern ihre Familie das Geld. Familien mit geringem Einkommen neigen daher dazu, ihre Töchter bereits in jungen Jahren zu verheiraten, da die Morgengabe für jüngere Mädchen in der Regel höher ist (MoLSAMD/UNICEF 7.2018). Oft sind die Männer deutlich älter und haben schon andere Ehefrauen (WAW o.D.). Die Praktiken des Badal (Vergeltung) und Ba‘ad/Swara (die Praxis der Streitschlichtung, bei der die Familie des Täters ein Mädchen an die Familie des Opfers verkauft) (STDOK 7.2016) sind stark von den wirtschaftlichen Bedingungen getrieben und tief mit den sozialen Traditionen verwurzelt (MoLSAMD/UNICEF 7.2018). Das Gesetz kriminalisiert Zwangs-, Minderjährigen- und Ba’ad-Ehen sowie die Einmischung in das Recht der Frau, ihren Ehepartner zu wählen. NGOs berichten von Fällen, in denen Ba’ad nach wie vor praktiziert wird, oft in abgelegenen Provinzen. Die Praxis des Brautaustauschs zwischen Familien wurde nicht kriminalisiert und blieb weit verbreitet. (USDOS 11.03.2020; vgl. WAW o.D.). Durch einen Brauttausch im Sinne von Badal sollen hohe Kosten für beide Familien niedrig gehalten werden (MoLSAMD/UNICEF 7.2018). Wenn die Familie oder eine Jirga diese Entscheidung trifft, müssen sich die betroffenen Frauen oder Mädchen fügen (EASO 12.2017). Familienplanung und Verhütung Das Recht auf Familienplanung wird von wenigen Frauen genutzt. Auch wenn der weit überwiegende Teil der afghanischen Frauen Kenntnisse über Verhütungsmethoden hat, nutzen nur etwa 22% (überwiegend in den Städten und gebildeteren Schichten) die entsprechenden Möglichkeiten (AA 16.07.2020; vgl. UNPF 17.07.2018). Dem Afghanistan Demographic and Health Survey zufolge würden etwa 25% aller Frauen gerne Familienplanung betreiben (UNPF 17.07.2018). Dem Strafgesetzbuch zufolge ist das Verteilen von Kondomen zulässig, jedoch beschränkte die Regierung die Verbreitung nur auf verheiratete Paare (USDOS 11.03.2020). Das Gesundheitsministerium bietet Sensibilisierungsmaßnahmen u.a. für Frauen und verteilt Arzneimittel (Pille). In Herat-Stadt und den umliegenden Distrikten steigt die Zustimmung dafür, und es gibt Frauen, welche die Pille verwenden; in den ländlichen Gebieten hingegen stoßen solche Maßnahmen meistens auf Unverständnis und werden nicht akzeptiert. Internationale NGOs und das Gesundheitsministerium bieten hauptsächlich in den Geburtenabteilungen der Krankenhäuser Aufklärungskampagnen durch Familienplanungsberater an (STDOK 13.06.2019). Ein von den US-Amerikanern initiiertes Programm, welches im Zeitraum von 1.2015 bis 1.2020 (RB KBL 20.10.2020) lief, USAID’s Helping Mothers and Children Thrive (HEMAYAT), zielte darauf ab, den Zugang und die Verwendung von Verhütungsmitteln, Mütter-, Neugeborenen- und Kindergesundheitsdienstleistungen zu erhöhen. Ein weiteres Ziel war, das Zuweisungssystem auf Provinzebene zu verbessern. Allein durch die - 92 -

Ausbildung und die Bereitstellung von Ausrüstung konnten 25 Hebammenzentren in den Provinzen Balkh, Herat und Kandahar etabliert werden. Viele Frauen gebären Kinder bereits in sehr jungem Alter (AA 16.07.2020). Frühe und Kinderheiraten und eine hohe Fertilitätsrate mit geringen Abständen zwischen den Geburten tragen zu einer sehr hohen Müttersterblichkeit [Anmerkung: Tod einer Frau während der Schwangerschaft bis 42 Tage nach Schwangerschaftsende] bei. Diese ist mit 638 Todesfällen pro 100.000 Lebendgeburten die höchste in der Region (UNICEF 8.2020; zum Vergleich Österreich: 4). Es gibt keine Berichte zu Zwangsabtreibungen oder unfreiwilligen Sterilisierungen (USDOS 11.03.2020). Reisefreiheit von Frauen Diesbezüglich bewegen sich die Aussagen der Quellen innerhalb einer gewissen Bandbreite. Die Reisefreiheit von Frauen ohne männliche Begleitung ist durch die sozialen Normen definitiv eingeschränkt (USDOS 11.03.2020; vgl. STDOK 25.06.2020, STDOK 4.2018, MBZ 07.03.2019, STDOK 13.06.2019). Die einen Quellen formulieren, dass Frauen sich grundsätzlich, abgesehen von großen Städten wie Kabul, Herat oder Mazar-e Sharif, nicht ohne einen männlichen Begleiter in der Öffentlichkeit bewegen können. Es gelten strenge soziale Anforderungen an ihr äußeres Erscheinungsbild in der Öffentlichkeit, deren Einhaltung sie jedoch nicht zuverlässig vor sexueller Belästigung schützt (AA 16.07.2020; vgl. STDOK 25.06.2020, MBZ 07.03.2019, STDOK 13.06.2019). Nach Aussage einer NGO-Vertreterin hingegen kann sie selbst in unsichere Gegenden reisen, solange sie lokale Kleidungsvorschriften einhält (z.B. Tragen einer Burqa) und sie die lokale Sprache kennt. In der Stadt Mazar-e Sharif wird das Tragen des Hijab nicht so streng gehandhabt wie in den umliegenden Gegenden oder in anderen Provinzen (STDOK 4.2018). Generell hängt das Ausmaß an Bewegungs- und Entscheidungsfreiheit der Frauen unter anderem vom Wohnort, der Einstellung ihrer Familien, der Sicherheitslage und dem Bildungsgrad ab (STDOK 21.07.2020). In ländlichen Gebieten und Gebieten unter Kontrolle von regierungsfeindlichen Gruppierungen werden Frauen, die soziale Normen missachten, beispielsweise durch das Nicht-Tragen eines Kopftuches oder einer Burka, bedroht und diskriminiert (MBZ 07.03.2019). Nur wenige Frauen in Afghanistan fahren Auto. In Städten und Dörfern werden Frauen hinter dem Steuer angefeindet, etwa von Gemeindevorständen, Talibansympathisanten oder gar Familienmitgliedern. Die Hauptstadt Kabul ist landesweit einer der wenigen Orte, wo autofahrende Frauen zu sehen sind (STDOK 4.2018; vgl. STDOK 13.06.2019). Es gibt in Mazar-e Sharif eine Fahrschule für Frauen. In rund drei Jahren haben dort ca. 500 Frauen einen Führerschein gemacht, was von der DoWA (Departments of Women’s Affairs) unterstützt wird (STDOK 21.07.2020). 19.2 Kinder Letzte Änderung: 16.12.2020 Die Situation der Kinder hat sich in den vergangenen Jahren insgesamt verbessert. So werden mittlerweile rund zwei Drittel aller Kinder eingeschult. Von den ca. acht Millionen Schulkindern sind rund drei Millionen Mädchen. Der Anteil der Mädchen nimmt jedoch mit fortschreitender Klassen- und Bildungsstufe ab. Den geringsten Anteil findet man im Süden und Südwesten des Landes (Helmand, Uruzgan, Zabul und Paktika). UNAMA zählte 2019 874 getötete und 2.275 verletzte Kinder (3% Anstieg im Vergleich zu 2018), dies entspricht 30% aller zivilen Opfer (AA 16.07.2020). Die afghanische Bevölkerung ist eine der jüngsten und am schnellsten wachsenden der Welt - mit rund 47% der Bevölkerung (27,5 Millionen Afghanen) unter 25 Jahren und 46% (11,7 Millionen Kinder) unter 15 Jahren (UNFPA 18.12.2018; vgl. NSIA 01.06.2020). Das Durchschnittsalter liegt in Afghanistan bei 18,4 Jahren (WoM 06.10.2020), und die Volljährigkeit beginnt mit dem 18. Geburtstag (AA 16.07.2020). Das Familienleben gilt als Schnittstelle für Fürsorge und Schutz. Armut, schlechte Familiendynamik und der Verlust wichtiger Familienmitglieder können das familiäre Umfeld für Kinder stark beeinflussen. Die afghanische Gesellschaft ist patriarchal (ältere Männer treffen die Entscheidungen), patrilinear (ein Kind gehört der Familie des Vaters an) und patrilokal (ein Mädchen zieht nach der Heirat in den Haushalt des Mannes). Die wichtigste soziale und ökonomische Einheit ist die erweiterte Familie, wobei soziale Veränderungen, welche mit Vertreibung und Verstädterung verbunden sind, den Einfluss der Familie etwas zurückgedrängt haben. Zuhause und Familie sind private Bereiche. Das Familienleben findet hinter schützenden Mauern statt, welche allerdings auch familiäre Probleme vor der Öffentlichkeit verbergen (Ventevogel et al. 2013). Schulbildung in Afghanistan Der Schulbesuch ist in Afghanistan bis zum Abschluss der Unterstufe der Sekundarschule (d.h. nach sechs Jahren Grundschule und drei Jahren Sekundärbildung) verpflichtend (USDOS 11.03.2020; vgl. IOM 2019). Laut Verfassung haben alle afghanischen Staatsbürger das Recht auf Bildung. Ob ein Kind tatsächlich in der Schule eingeschrieben wird, hängt vom Bildungsstand der Familie ab. Bildung wird vom Staat bis zum Hochschulabschluss in staatlichen Bildungseinrichtungen kostenlos zur Verfügung gestellt. Das - 93 -

Bildungsministerium hat aber keine ausreichenden Ressourcen, um die Bedürfnisse für ganz Afghanistan abzudecken (STDOK 4.2018). In Afghanistan existieren zwei Bildungssysteme parallel zueinander. Für den Religionsunterricht sind die Mullahs in den Moscheen zuständig, während die Regierung für den kostenlosen akademischen Unterricht an den staatlichen Schulen sorgt. Von sechs bis zehn Jahren besuchen die Schülerinnen und Schüler Grundschulen, in denen sie die Grundlagen des Lesens, Schreibens, Rechnens und ihrer nationalen Kultur erlernen. Es folgen drei Jahre Mittelschule. Am Ende der Phase müssen die Schülerinnen und Schüler eine Prüfung ablegen, wenn sie ihre Schulbildung fortsetzen wollen. In der Sekundarschule haben die Schüler die Wahl, entweder drei Jahre lang eine akademische Laufbahn fortzusetzen, die vielleicht zur Universität führen könnte, oder stattdessen Fächer wie angewandte Landwirtschaft, Luftfahrt, Kunst, Handel und Lehrerausbildung zu studieren. Beide Studiengänge schließen mit einer „Bachelor“-Prüfung ab (IOM 2019). Kinder können in Afghanistan öffentliche, private oder religiöse Schulen besuchen (EASO 4.2018). Der Unterricht in öffentlichen Bildungseinrichtungen von der Grundschule bis einschließlich der Universität ist kostenlos. Nur private Schulen und Universitäten erheben Studiengebühren (IOM 2019). Die Regierung versorgt die Schüler mit Schulbüchern. Jedoch sind das Budget und die Anzahl der Bücher meistens nicht ausreichend; auch wird das Unterrichtsmaterial oft zu spät zugestellt: z.B. vier Monate nach Unterrichtsbeginn. Aus diesen Gründen gibt es in Afghanistan einen Schwarzmarkt für Bücher, wo Familien kopierte Versionen der Schulbücher erwerben können. Der Staat versucht vergebens, dies zu verhindern. Die Regierung bietet weder Stipendien an, noch stellt sie Schulmaterialien für ärmere Familien zur Verfügung. In besonders verarmten Gebieten verteilen Organisationen wie UNICEF Schulmaterialien. Solche Hilfsaktionen betreffen allerdings nur die ländlichen Gebiete und auch dort ist das Ausmaß nicht ausreichend: in der Regel werden zwischen 80 und 100 Schulen versorgt. Einige private Schulen vergeben Stipendien, z.B. die Afghan-Turk Schule. Meistens handelt es sich hierbei um Leistungsstipendien für Schüler von der siebten bis zur zwölften Klasse. Jedes Jahr werden zwischen 100 und 150 Stipendien je nach Kapazität der Schule vergeben (STDOK 13.06.2019). Laut UNICEF wird in Afghanistan 3,7 Millionen Kindern im Alter zwischen 7 und 17 Jahren die Schulbildung vorenthalten, 60% von ihnen sind Mädchen (UNICEF 23.08.2020). Gemäß Schätzungen der CSO besuchten im Zeitraum 2016-17 landesweit 56,1% der Kinder im Grundschulalter eine Grundschule (CSO 2018; vgl. STDOK 10.2020). Es existieren allerdings erhebliche Unterschiede hinsichtlich des Geschlechts und Wohnorts: Während 77,5% der Buben in urbanen Gebieten und 66% in ländlichen Gebieten eine Grundschule besuchten, waren es bei den Mädchen 45,5% im städtischen Raum und 40,3% auf dem Land. Nur schätzungsweise 6,6% der Angehörigen der nomadischen Gruppe der Kuchi im Grundschulalter besuchten im Zeitraum 2016-17 eine Grundschule (10% der Buben und 2,5% der Mädchen). Im Bereich der sekundären und tertiären Schulbildung (Mittelschule/höhere Schule, bzw. Universität) sind die Schulbesuchsraten in allen genannten Gruppen niedriger (CSO 2018). Die Schulbesuchsrate unter Buben aus Rückkehrerfamilien liegt bei 55%, während es bei den Mädchen nur 30% sind. Unter den Binnenvertriebenen (internally displaced persons, IDPs) besuchen 64% der Buben und 42% der Mädchen eine Schule (UNHCR 5.2018). Damit beispielsweise Kinder von Binnenvertriebenen und speziell von Rückkehrern aus Pakistan auch die Möglichkeit zum Schulbesuch haben, arbeitet das Norwegian Refugee Council (NRC) mit dem afghanischen Bildungsministerium zusammen, um Schulen mit Unterrichtsmaterialien zu unterstützen und die Kapazitäten in diesen Institutionen zu erweitern (STDOK 4.2018). Als Gründe für die niedrigen Schulbesuchsraten werden insbesondere bei Mädchen kulturelle Gegebenheiten, wahrgenommene oder tatsächliche Unsicherheit und die Distanz bis zur nächsten Schule genannt. Für alle Kinder ist Armut neben Wohnort, Geschlecht und etwaigen Behinderungen ein bestimmender Faktor für den Schulbesuch oder -abbruch bzw. Nichteintritt (EASO 4.2019; vgl. USDOS 11.03.2020, UNICEF 23.08.2020). Kinder mit psychischen Problemen, Angehörige von ethnischen oder religiösen Minderheiten, unterschiedlichem linguistischem Hintergrund, Bewohner von Slums, Straßenkinder, Kinder von saisonal migrierenden Familien, Flüchtlinge und Binnenvertriebene gehen einer Studie zufolge überproportional oft nicht zur Schule. Ebenso wirkt sich Kinderarbeit negativ auf den Bildungsverlauf der betroffenen Kinder aus (EASO 4.2019). Neben der Qualität der Ausbildung ist die niedrige Schuleintrittsrate ein Hauptproblem des afghanischen Bildungssystems (EASO 4.2019), auch wird von Mängeln hinsichtlich der Infrastruktur der Schulen - beispielsweise bei der Strom- und Wasserversorgung sowie den Sanitäranlagen (SIGAR 2.2018; SIGAR 3.2017) - bzw. fehlenden Schulgebäuden berichtet (SIGAR 30.01.2019). Die Gelder für die Instandhaltung der Schulen sind sehr gering, und so werden diese oft von den Eltern zur Verfügung gestellt, oder internationale Organisationen wie UNICEF führen Wartungsarbeiten bzw. Reparaturen durch. In einigen Fällen, z.B. wenn das Schulgebäude zu klein und die Zahl der Schüler zu groß ist, wird der Unterricht in Zelten durchgeführt. Hierbei stellen die Wetterbedingungen oft eine Herausforderung dar: Herat ist z.B. oft starken Winden ausgesetzt, dadurch sind Zelte dort nicht als Unterrichtsstätten geeignet. Bezüglich der Schulzeit wird Afghanistan in - 94 -

„kalte“ und „warme“ Provinzen aufgeteilt: In ersteren schließen die Schulen mangels Heizmöglichkeiten im Winter, und in letzteren wird der Unterricht wegen der hohen Temperaturen im Sommer unterbrochen (STDOK 13.06.2019). Auch wird Korruption als ein Problem des afghanischen Bildungssektors genannt (HRW 30.06.2020). Lehrer sind oftmals unterqualifiziert und das Lernumfeld für die Kinder inadäquat. Die Anzahl der Lehrer korreliert zudem nicht mit der Anzahl an Schülern und ist regional ungleich verteilt (EASO 4.2019). Es besteht der Verdacht, dass Lehrposten aufgrund von Nepotismus und Bestechung vergeben werden (SIGAR 30.01.2019). Insbesondere in den Provinzen wird der Lehrberuf aufgrund der niedrigen Bezahlung und der Sicherheitsrisiken als wenig attraktiv wahrgenommen (EASO 4.2019). Mitte März schloss die Regierung Afghanistans unter anderem Schulen, um die Ausbreitung von COVID-19 zu verhindern. Diese Maßnahmen waren zwar notwendig, um die Bevölkerung vor der Ausbreitung des Virus zu schützen, haben jedoch dazu geführt, dass der Zugang von Kindern zu Bildung gestört wurde und Eltern, Erziehungsberechtigte und Betreuer unter neuen Belastungen zu leiden hatten. Die wirtschaftlichen Härten, die mit den Sperrmaßnahmen verbunden sind, erhöhen den Druck auf die Kinder, Geld für ihre Familien zu verdienen, insbesondere wenn sie nicht in der Schule sind, was sie anfälliger für Rekrutierungen macht (UNAMA 10.08.2020). Sicherheitsaspekte Aufgrund des anhaltenden Konflikts und der sich verschlechternden Sicherheitslage wurden bis Ende 2018 mehr als 1.000 Schulen geschlossen. Zwischen 2018 und 2019 gab es einen Anstieg der Angriffe auf Schulen und Schulpersonal um 45% (UNICEF 23.08.2020). Ein Grund für die Zunahme von Angriffen auf Schulen ist, dass Schulen als Wählerregistrierungsund Wahlzentren für die Parlamentswahlen 2018 genutzt wurden (UNICEF 27.05.2019). Die unsichere Lage führt dazu, dass viele Eltern ihre Kinder aus Angst um ihre Sicherheit nicht in die Schule schicken. Die afghanische Regierung hat jedoch mit der Verabschiedung des ersten Kinderschutzgesetzes des Landes, das vollständig mit der Konvention über die Rechte des Kindes in Einklang steht, durch einen Präsidialerlass immensen politischen Willen zum Schutz der afghanischen Kinder gezeigt (UNICEF 23.08.2020). Auch wenn die Führungselite der Taliban erklärt hat, dass Schulen kein Angriffsziel mehr seien (LI 16.05.2018), kam es zu Angriffen auf Mädchenschulen, sowie Schülerinnen und Lehrerinnen durch die Taliban und andere bewaffnete Gruppen (NYT 21.05.2019; UNAMA 24.04.2019; PAJ 16.04.2019; PAJ 15.04.2019; UNAMA 24.02.2019; PAJ 31.01.2019; HRW 17.10.2017). Insbesondere in den von Taliban kontrollierten Gebieten schränken gewalttätige Angriffe auf Schüler/innen, insbesondere auf Mädchen, den Zugang zur Bildung ein. Taliban und andere Aufständische bedrohen und greifen Schulbeamte, Lehrer/innen und Student/innen, insbesondere Mädchen, an; auch wurden sowohl Buben- als auch Mädchenschulen niedergebrannt (USDOS 11.03.2020). Nach Vorfällen in der Provinz Farah legten Vertreter der Provinzregierung und Dorfälteste nahe, dass die Angriffe auf Mädchenschulen eine Spaltung innerhalb der Taliban offenbaren: Während viele Zivilbehörden der Taliban eine Ausbildung für Mädchen tolerieren, lehnen manche Militärkommandanten der Taliban dies ab (NYT 21.05.2019). Kinderarbeit Afghanistan hat die UN-Kinderrechtskonvention ratifiziert. Kinderarbeit ist in Afghanistan somit offiziell verboten. Dennoch haben im Jahr 2014 laut AIHRC (Children’s Situation Summary Report vom 14.12.2014) 51,8% der Kinder auf die ein oder andere Weise gearbeitet (AA 16.07.2020). Viele Familien, insbesondere die von Frauen geführten, sind auf die Einkünfte, die ihre Kinder erwirtschaften, angewiesen (AA 16.07.2020; vgl. ILO 2018). Daher ist eine konsequente Umsetzung des Kinderarbeitsverbots schwierig. Es gibt Programme, die es Kindern erlauben sollen, neben der Arbeit eine Schulausbildung zu absolvieren. Auch ein maximaler Stundensatz und Maßnahmen zum Arbeitsschutz (wie z.B. das Tragen einer Schutzmaske beim Teppichknüpfen) sind gesetzlich geregelt. Der Regierung fehlt es allerdings an durchsetzungsfähigen Überprüfungsmechanismen dieser gesetzlichen Regelungen. 6,5 Millionen Kinder gelten als Gefahren ausgesetzt. Viele Kinder sind unterernährt. Straßenkinder gehören zu den am wenigsten geschützten Gruppen Afghanistans und sind jeglicher Form von Missbrauch und Zwang ausgesetzt (AA 16.07.2020). Trotz Verbesserungen mangelt es nach wie vor an einer wirksamen Regelung zur Verhinderung von Kinderarbeit. Nach afghanischem Recht ist das Mindestalter für eine Erwerbstätigkeit 18 Jahre, jedoch können Kinder zwischen 15 und 17 Jahren arbeiten, wenn „die Arbeit nicht schädlich ist, weniger als 35 Stunden pro Woche beträgt und eine Form der Berufsausbildung darstellt“. Kinder unter 14 Jahren dürfen nicht arbeiten (EASO 4.2019). Gemäß einer Studie aus dem Jahr 2018 sind insbesondere zwei Faktoren zentral: 1.) ob eine Familie intakt ist, oder bedeutsame Ernährer der Familie (Väter) fehlen; 2.) ist auch die Haltung der Familien, insbesondere der Eltern, gegenüber Kinderarbeit und Bildung von Bedeutung (APPRO 4.2018). - 95 -

CSO schätzte den Anteil der arbeitenden Kinder gemäß der Definition von Kinderarbeit der International Labour Organization (ILO) unter den fünf- bis 17-Jährigen im Zeitraum 2013-14 auf 26,5%. Gemäß der Definition von Kinderarbeit durch UNICEF waren nach CSO-Schätzung im selben Zeitraum 29,4% der 5- bis 17- Jährigen in Kinderarbeit involviert, wobei UNICEF - anders als ILO - auch Tätigkeiten im Haushalt berücksichtigt. Bei beiden Definitionen von Kinderarbeit lag der Anteil der arbeitenden Buben (ILO: 32,7%; UNICEF: 34,1%) über jenem der Mädchen (ILO: 19,6%; UNICEF: 24,2%). Kinderarbeit ist unter IDPs weiter verbreitet als in anderen Bevölkerungsschichten (NRC 27.09.2018). Arbeitsgesetze sind meist unbekannt, und Vergehen werden oftmals nicht sanktioniert. Arbeitende Kinder sind besonders gefährdet, Gewalt oder sexuellen Missbrauch zu erleiden. Dies kann durch den Arbeitgeber, aber auch durch andere Personen geschehen. Für Kinder, welche ungeschützt im öffentlichen Raum arbeiten, besteht beispielsweise ein erhöhtes Risiko von Entführungen, sexuellen Übergriffen und in manchen Fällen auch Tötungen (APPRO 4.2018). Neben Kinderarbeit, welche ausschließlich dem Gelderwerb dient, existieren in Afghanistan auch Beschäftigungsverhältnisse von Kindern, welche sich an einem Lehrmodell orientieren. Eltern geben ihre Kinder dabei bei einem Arbeitgeber in die Lehre, um dem Kind das Erlernen eines Berufs zu ermöglichen. Gemäß einer Studie aus dem Jahr 2018 erfüllen viele Arbeitgeber ihre Pflichten gegenüber den Kindern und behandeln diese entsprechend, jedoch können Arbeitgeber bei Vergehen gegenüber den Kindern kaum zur Rechenschaft gezogen werden (APPRO 4.2018). Beobachtungen verschiedener Organisationen, darunter IOM, Weltbank, UNICEF und ILO, deuten darauf hin, dass Kinderarbeit während der COVID-19-Krise für viele Familien zu einem Bewältigungsmechanismus geworden ist. Während der Abriegelung blieben Schulen geschlossen, was die Situation für die Kinder verschlechtert und sie zwingt, Vollzeit zu arbeiten (IOM 23.09.2020; vgl. UNICEF 12.06.2020). In Koordination mit dem Afghanistan Protection Cluster (APC) führte IOM 1.659 Haushaltsbefragungen bei undokumentierten Rückkehrern durch, um die Auswirkungen von COVID-19 auf das Umfeld des Schutzes in elf Provinzen zu untersuchen. Vorläufige Ergebnisse weisen auf eine Zunahme der Kinderarbeit an einigen Orten hin: Ghor und Sar-i-Pul waren die Provinzen mit den höchsten Raten, die im Juni 2020 ihren Höchststand erreichten (mit 81% bzw. 63%) (IOM 23.09.2020; vgl. GPC 05.05.2020). Waisenhäuser Die Lebensbedingungen in afghanischen Waisenhäusern sind schlecht. Laut NGOs sind bis zu 80% der 4- bis 18- Jährigen in den Waisenhäusern keine Waisen, sondern Kinder, deren Familien nicht für ihre Verpflegung, Unterkunft oder Bildung sorgen können. Kinder in Waisenhäusern berichteten von psychischem, physischem und sexuellem Missbrauch, manchmal werden sie auch zu Opfern von Menschenschmuggel. Sie haben keinen regelmäßigen Zugang zu Wasser, Heizung im Winter, Sanitäranlagen innerhalb des Hauses, Gesundheitsleistungen, Freizeiteinrichtungen oder Bildung (USDOS 11.03.2020). Sexueller Missbrauch und körperliche Züchtigung von Kindern In weiten Teilen Afghanistans bleibt der sexuelle Missbrauch von Kindern und Jugendlichen ein großes Problem. Das Thema ist gesellschaftlich tabuisiert und wird gewöhnlich unter dem Deckmantel kultureller Gepflogenheiten verschwiegen oder verharmlost. UNAMA konnte 2019 acht Fälle von sexueller Gewalt gegen Minderjährige überprüfen und dokumentieren. Ein Großteil der Täter hat keinerlei Unrechtsbewusstsein (AA 16.07.2020). Obwohl gesetzlich verboten, bleibt die körperliche Bestrafung in Schulen, Rehabilitationszentren und anderen öffentlichen Einrichtungen weit verbreitet (USDOS 11.03.2020; vgl. APPRO 4.2018, UNSC 29.03.2019). Dem afghanischen Strafgesetzbuch zufolge stehen Kindesmissbrauch und -vernachlässigung unter Strafe. Körperliche oder geistige Züchtigung sowie Misshandlung eines Kindes können wie folgt bestraft werden: eine Geldstrafe von 10.000 Afghanis (rund 130 USD) bis zu einem Jahr Gefängnis, vorausgesetzt das Kind erleidet keine schweren Verletzungen oder Behinderung. Die Verurteilung wegen Gefährdung des Lebens eines Kindes wird mit einer Strafe von ein bis zwei Jahren Gefängnis oder einer Geldstrafe von 60.000 bis 120.000 Afghanis (ca. 800 bis 1.600 USD) in bar geahndet (USDOS 11.03.2020). Die afghanische Polizei war im Jahr 2018 nur begrenzt zur Bekämpfung von Sexualverbrechen fähig, teilweise aufgrund der niedrigen Anzahl von Frauen in der Polizei (rund 1.8% der Kräfte). Im Jahr 2018 dokumentierte die UNAMA in dieser Hinsicht 37 Fälle von sexueller Gewalt gegen Frauen und Mädchen. Fünf Vergewaltigungen und eine Zwangsheirat wurden von UNAMA bestätigt, welche von Konfliktparteien begangen wurden - unter anderem von Mitgliedern der Taliban sowie einer weiteren nicht identifizierten Person einer regierungsfeindlichen Gruppierung. In fünf von sechs Fällen wurden die Angeklagten von den Behörden belangt und verurteilt. UNAMA hat auch zwei Fälle von sexueller Gewalt gegen Buben durch Mitglieder der afghanischen Nationalpolizei überprüft; in einem Fall handelte es sich um Bacha Bazi (sog. „Tanzjungen“ auch „Knabenspiel“) (UNSC 29.03.2019). Berichten zufolge schlug die Polizei Minderjährige und missbrauchte sie sexuell. Minderjährige, welche sich in Missbrauchsfällen an die Polizei wandten, berichteten von weiteren Belästigungen durch Exekutivbeamte - - 96 - insbesondere bei Fällen von Bacha Bazi; und hielten die Minderjährige davon ab, Vergehen zu melden (USDOS 11.03.2020). Es wird von sexuellen Übergriffen durch die Streitkräfte, der Afghan Local Police (ALP) und Afghan National Police (ANP) berichtet (HRC 28.01.2019; vgl. UNSC 29.03.2019; SIGAR 18.01.2018). Bacha Bazi Eine in Afghanistan praktizierte Form der Kinderprostitution ist Bacha Bazi, was in der afghanischen Gesellschaft in Bezug auf Jungen nicht als homosexueller Akt erachtet und als Teil der gesellschaftlichen Norm empfunden wird (AA 16.07.2020). Bacha Bazi ist eine Praxis, bei der Buben von reichen oder mächtigen Männern zur Unterhaltung, insbesondere Tanz und sexuellen Handlungen, ausgebeutet werden (UNAMA 24.02.2019, vgl. UNAMA 7.2020). In weiten Teilen Afghanistans bleibt der sexuelle Missbrauch von Kindern und Jugendlichen ein großes Problem. Das Thema ist gesellschaftlich tabuisiert und wird gewöhnlich unter dem Deckmantel kultureller Gepflogenheiten verschwiegen oder verharmlost. Es wird von einer hohen Dunkelziffer ausgegangen, da die Mehrheit der Vorfälle nicht angezeigt wird. UNAMA konnte in den ersten sechs Monaten des Jahres 2019 aufgrund der mit dem Thema verbundenen gesellschaftlichen Befindlichkeiten lediglich vier Fälle von sexueller Gewalt gegen Minderjährige überprüfen und dokumentieren. Ein Großteil der Täter hat keinerlei Unrechtsbewusstsein. Geschlechtsverkehr mit Minderjährigen ist durch das afghanische Gesetz unter Strafe gestellt, die strafrechtliche Verfolgung scheint nur in Einzelfällen stattzufinden (AA 16.07.2020; vgl. UNAMA 24.02.2019). Mit einer Ergänzung zum Strafgesetz, die am 14.02.2018 in Kraft trat, wurde die Bacha Bazi-Praxis erstmalig explizit unter Strafe gestellt (AA 16.07.2020). Das Anheuern von Bacha Bazi wird nun durch das revidierte Strafgesetzbuch als Straftat definiert und im Artikel 653 mit Strafe bedroht (MoJ 15.05.2017). Aber auch hier verläuft die Durchsetzung des Gesetzes nur schleppend, und Straflosigkeit der Täter ist weiterhin verbreitet. Missbrauchte Jungen und ihre Familien werden oft von ihrer sozialen Umgebung ausgeschlossen und stigmatisiert; eine polizeiliche Aufklärung findet nicht statt (AA 16.07.2020). Üblicherweise sind die Buben zwischen zehn und 18 Jahren alt (SBS 20.12.2016); viele von ihnen werden weggegeben, sobald sie erste Anzeichen eines Bartes haben (SBS 21.12.2016). Viele der Buben wurden entführt, manchmal werden sie auch von ihren Familien aufgrund von Armut an die Täter verkauft (SBS 20.12.2016; vgl. AA 16.07.2020). Rekrutierung Minderjähriger Das Problem der Rekrutierung von Kindern, einschließlich Zwangsrekrutierung sowie Entführungen und sexueller Missbrauch von Minderjährigen durch regierungsfeindliche Gruppen, Milizen oder afghanische Sicherheitskräfte, besteht weiter fort (AA 16.07.2020). Im ersten HalbJahr 2020 konnte UNAMA die Rekrutierung von 23 Jungen verifizieren, wobei 22 davon im Nordosten und einer im Osten des Landes rekrutiert wurden (UNAMA 10.08.2020). Im Jahr 2019 waren es laut UNAMA insgesamt 64 Jungen, die vor allem im Norden des Landes durch die Taliban sowie durch afghanische Sicherheitskräfte rekrutiert wurden (AA 16.07.2020). Die UNO verifizierte im Jahr 2018 die Rekrutierung und den Einsatz von 45 Buben sowie einem Mädchen - einige von ihnen wurden bereits im Alter von acht Jahren rekrutiert; sie sollten kämpfen, improvisierte Sprengkörper bauen, Selbstmordanschläge ausführen usw., wurden aber auch Opfer sexueller Ausbeutung. In diesem Zusammenhang wurden mindestens 22 Buben getötet. 67% dieser Verstöße, gegen insgesamt 31 Kinder, wurden bewaffneten Gruppierungen zugeschrieben, wie z.B. der Teherik-e Taliban Pakistan, den Taliban, dem ISKP und einer weiteren nicht identifizierten bewaffneten Gruppe. 15 Kinder wurden von der ALP, der ANP und regierungsnahen Milizen rekrutiert und eingesetzt (UNGASC 20.06.2019). In Bezug auf die afghanischen Sicherheitskräfte ist die Rekrutierung von Minderjährigen zum einen auf fehlende Mechanismen zur Überprüfung des Alters von Rekruten zurückzuführen. Zum anderen setzt sich die Praxis einiger Distrikt-Kommandeure fort, die formale Rekrutierungsvorschriften bewusst umgehen, um Minderjährige in die Sicherheitskräfte einzugliedern - zum Teil, um sich an ihnen sexuell zu vergehen. Die afghanische Regierung bemüht sich, diese Art von Rekrutierung zu unterbinden und hat die Rekrutierung Minderjähriger mittels Präsidialdekret unter Strafe gestellt. Das Dekret ist am 02.02.2015 in Kraft getreten, die Umsetzung verläuft schleppend. Die Rekrutierung und der Einsatz von Kindern durch die afghanischen Sicherheitskräfte ist deutlich zurückgegangen. Die von der Regierung ergriffenen Maßnahmen zum besseren Schutz der vom bewaffneten Konflikt betroffenen Kinder beinhaltet unter anderem auch Schutzeinheiten für Kinder in den afghanischen nationalen Polizeirekrutierungszentren, die inzwischen in allen 34 Provinzen existieren (UNGASC 20.06.2019). Laut UNAMA zeigen die sog. „Child Protection Units“ der ANP Rekrutierungszentren erste Erfolge und haben dazu geführt, dass 2019 bei über 400 Minderjährigen der Rekrutierungsprozess rechtzeitig unterbunden wurde (AA 16.07.2020; vgl. UNICEF 23.08.2020). Im Jahr 2019 wurden 266 Kindersoldaten aus bewaffneten Oppositionsgruppen freigelassen oder befreit und bei der Wiedereingliederung unterstützt (UNICEF 23.08.2020). Anmerkung: Informationen über die Strafverfolgung von Kindern finden sich in Kapitel „Haftbedingungen“. 19.3 Sexuelle Orientierung und Genderidentität - 97 -

Letzte Änderung: 16.12.2020 Das afghanische Strafgesetzbuch verbietet einvernehmlichen Geschlechtsverkehr zwischen zwei Angehörigen desselben Geschlechtes (USDOS 11.03.2020; vgl. FH 04.03.2020, MoJ 15.05.2017: Artikel 645, 649). Der Geschlechtsverkehr zwischen Männern ist eine Straftat, die - laut afghanischem Strafgesetzbuch, Artikel 646 - mit einer Freiheitsstrafe von bis zu zwei Jahren, Geschlechtsverkehr zwischen Frauen mit einer Freiheitsstrafe von bis zu einem Jahr, geahndet wird (USDOS 11.03.2020; vgl. SFH 30.04.2020). Die afghanische Verfassung kennt kein Verbot der Diskriminierung aufgrund sexueller Orientierung (AA 16.07.2020; vgl. USDOS 11.03.2020). Entsprechende Forderungen im Rahmen des Universal Periodic Review (UPR)-Verfahrens im Jänner 2014 in Genf, gleichgeschlechtliche Paare zu schützen und nicht zu diskriminieren, wies die afghanische Vertretung (als eine der wenigen nicht akzeptierten Forderungen) zurück. Beim UPR Afghanistans im Januar 2019 standen LGBTTI nicht auf der Agenda. Bisexuelle und homosexuelle Orientierung sowie transsexuelles Leben werden von der breiten Gesellschaft abgelehnt und können daher nicht in der Öffentlichkeit gelebt werden (AA 16.07.2020). Laut Artikel 247 des afghanischen Strafgesetzbuchs werden neben außerehelichem Geschlechtsverkehr auch solche Sexualpraktiken, die üblicherweise mit männlicher Homosexualität in Verbindung gebracht werden, mit langjähriger Haftstrafe sanktioniert. Neben der sozialen Ächtung von Bisexuellen, Homosexuellen und Transsexuellen verstärken Bestimmungen und Auslegung des islamischen Rechts (der Scharia, die z.T. von noch konservativeren vorislamischen Stammestraditionen beeinflusst wird) mit Androhungen von Strafen bis hin zur Todesstrafe den Druck auf die Betroffenen. Organisationen, die sich für den Schutz der sexuellen Orientierung einsetzen, arbeiten im Untergrund (AA 16.07.2020). Homosexualität wird weithin tabuisiert (USDOS 11.03.2020; vgl. SFH 30.04.2020) und als unanständig betrachtet. Mitglieder der LGBTI-Gemeinschaft haben keinen Zugang zu bestimmten gesundheitlichen Dienstleistungen und können wegen ihrer sexuellen Orientierung ihre Arbeit verlieren. LGBTI-Personen berichten, dass sie weiterhin mit Verhaftungen durch Sicherheitskräfte und Diskriminierung sowie Übergriffen und Vergewaltigungen durch die Gesellschaft im Allgemeinen konfrontiert sind (USDOS 11.03.2020). Eine systematische Verfolgung durch staatliche Organe kann nicht nachgewiesen werden, was allerdings an der vollkommenen Tabuisierung des Themas liegt. Es wird jedoch von gewalttätigen Übergriffen bis hin zu Vergewaltigungen homosexueller Männer durch die afghanische Polizei berichtet. Vor allem aufgrund der starken Geschlechtertrennung kommt es immer wieder zu freiwilligen oder erzwungenen homosexuellen Handlungen zwischen heterosexuellen Männern (AA 16.07.2020; vgl SFH 30.04.2020). Unter der Scharia ist bereits die Annäherung des äußeren Erscheinungsbilds, etwa durch Kleidung, an das andere Geschlecht verboten. Die Scharia verbietet daher auch die Änderung des Vornamens und der Geschlechtszugehörigkeit transsexueller Personen (AA 16.07.2020). Es gibt nur wenige spezifische Informationen über Transgender oder Intersex-Personen in Afghanistan (DFAT 27.06.2019; vgl. SFH 30.04.2020). Gespräche über Sexualität, sexuelle Bedürfnisse und sexuelle Probleme sind in der afghanischen Gesellschaft kein akzeptiertes Gesprächsthema (EASO 12.2017; vgl. Bamik 7.2018), und dieses Thema wird geheim gehalten. Zwischen Ehepartnern wird ein solches Gespräch als negativ, beschämend und böse betrachtet. Afghanische Eltern schämen sich, mit ihrem Nachwuchs über Sexualität zu sprechen, und an afghanischen Schulen wird keine Sexualkunde unterrichtet (Bamik 7.2018). Es besteht eine niedrige soziale Toleranz gegenüber Personen mit einer sexuellen Orientierung oder Genderidentität außerhalb der erwarteten Normen der Heterosexualität. Ein solches Bekenntnis ist ein soziales Tabu und wird als unislamisch betrachtet (EASO 12.2017). Es wird auch über „Ehrenmorde“ an tatsächlichen oder vermeintlichen LGBTQI-Personen durch Familienmitglieder berichtet. Oftmals reicht das Gerücht oder die Beschuldigung, um Betroffene in Gefahr zu bringen (SFH 30.04.2020; vgl. AI 05.02.2018). Es existieren zahlreiche traditionelle Praktiken, die zwar nicht offiziell anerkannt sind, jedoch teilweise im Stillen geduldet werden. Beispiele dafür sind die Bacha Push und Bacha Bazi. Bacha Push sind junge Mädchen, die sich als Jungen ausgeben, um eine bestimmte Bildung genießen zu können, alleine außer Haus zu gehen oder Geld für die sohn- oder vaterlose Familie zu verdienen (AA 16.07.2020). Bacha Bazi sind Buben oder transsexuelle Kinder, die sexuellem Missbrauch und/oder dem Zwang, bei öffentlichen oder privaten Ereignissen zu tanzen, ausgesetzt sind (MoJ 15.05.2017: Artikel 653). Bei den Bacha Push handelt es sich i.d.R. nicht um eine transsexuelle, sondern eine indirekt gesellschaftlich bedingte Lebensweise. Bei Entdeckung droht Verfolgung durch konservative oder religiöse Kreise, da ein Mädchen bestimmte Geschlechtergrenzen überschritten und sich in Männerkreisen bewegt hat (AA 16.07.2020; vgl. Corboz 17.06.2019, NG 02.03.2018). Meist erfolgt das Ausgeben der Mädchen als Buben mit der Unterstützung der Familie, beispielsweise weil es in der Familie keinen Sohn gibt (Corbez 17.06.2019). Mit Erreichen der Pubertät kehren die meisten Bacha Push zurück zu ihrem Leben als Mädchen (NG 02.03.2018). - 98 -

Anmerkung: Informationen zum gesellschaftlichen und strafrechtlichen Umgang mit Bacha Bazi finden sich im Unterkapitel „Kinder“. [...] 20 Bewegungsfreiheit

Letzte Änderung: 16.12.2020

Das Gesetz garantiert interne Bewegungsfreiheit, Auslandsreisen, Emigration und Rückkehr. Die Regierung respektierte diese Rechte im Allgemeinen (USDOS 11.03.2020) [Anmerkung: siehe dazu auch Artikel 39 der afghanischen Verfassung (CoA 26.01.2004; vgl. FH 04.02.2019)]. Afghanen dürfen sich formell im Land frei bewegen und niederlassen. Als zentrale Hürde für die Bewegungsfreiheit werden Sicherheitsbedenken genannt. Besonders betroffen ist das Reisen auf dem Landweg (AA 16.07.2020). Dazu beigetragen hat ein Anstieg von illegalen Kontrollpunkten und Überfällen auf Überlandstraßen (AA 16.07.2020; vgl. USDOS 11.03.2020, FH 04.02.2019). In bestimmten Gebieten machen Gewalt durch Aufständische, Landminen und improvisierte Sprengfallen (IEDs) das Reisen besonders gefährlich, speziell in der Nacht (FH 04.02.2019). Auch schränken gesellschaftliche Sitten die Bewegungsfreiheit von Frauen ohne männliche Begleitung ein (USDOS 11.03.2020; vgl. STDOK 6.2020).

Die Ausweichmöglichkeiten für diskriminierte, bedrohte oder verfolgte Personen hängen maßgeblich vom Grad ihrer sozialen Verwurzelung, ihrer Ethnie und ihrer finanziellen Lage ab. Die sozialen Netzwerke vor Ort und deren Auffangmöglichkeiten spielen eine zentrale Rolle für den Aufbau einer Existenz und die Sicherheit am neuen Aufenthaltsort. Für eine Unterstützung seitens der Familie kommt es auch darauf an, welche politische und religiöse Überzeugung den jeweiligen Heimatort dominiert. Für Frauen ist es kaum möglich, ohne familiäre Einbindung in andere Regionen auszuweichen. Durch die hohe soziale Kontrolle ist gerade im ländlichen Raum keine, aber auch in den Städten kaum Anonymität zu erwarten (AA 16.07.2020).

Die Stadt Kabul ist in den letzten Jahrzehnten rasant gewachsen und ethnisch gesehen vielfältig. Neuankömmlinge aus den Provinzen tendieren dazu, sich in Gegenden niederzulassen, wo sie ein gewisses Maß an Unterstützung ihrer Gemeinschaft erwarten können (sofern sie solche Kontakte haben) oder sich in jenem Stadtteil niederzulassen, der für sie am praktischsten sie ist, da viele von ihnen - zumindest anfangs - regelmäßig zurück in ihre Heimatprovinzen pendeln. Die Auswirkungen neuer Bewohner auf die Stadt sind schwer zu evaluieren. Bewohner der zentralen Stadtbereiche neigen zu öfteren Wohnortwechseln, um näher bei ihrer Arbeitsstätte zu wohnen oder um wirtschaftlichen Möglichkeiten und sicherheitsrelevanten Trends zu folgen. Diese ständigen Wohnortwechsel haben einen störenden Effekt auf soziale Netzwerke, was sich oftmals in der Beschwerde bemerkbar macht „man kenne seine Nachbarn nicht mehr“ (AAN 19.03.2019).

Auch in größeren Städten erfolgt in der Regel eine Ansiedlung innerhalb von ethnisch geprägten Netzwerken und Wohnbezirken. Die Absorptionsfähigkeit der genutzten Ausweichmöglichkeiten, vor allem im Umfeld größerer Städte, ist durch die hohe Zahl der Binnenvertriebenen und der Rückkehrer aus dem Iran und Pakistan bereits stark in Anspruch genommen. Dies schlägt sich sowohl in einem Anstieg der Lebenshaltungskosten als auch in einem erschwerten Zugang zum Arbeitsmarkt nieder (AA 16.07.2020).

Es gibt internationale Flughäfen in Kabul, Herat, Kandahar und Mazar-e Sharif, bedeutende Flughäfen für den Inlandsverkehr außerdem in Ghazni, Nangharhar, Khost, Kunduz und Helmand sowie eine Vielzahl an regionalen und lokalen Flugplätzen. Es gibt keinen öffentlichen Schienenpersonenverkehr (AA 02.09.2019).

Anmerkung: Informationen zur aktuellen Lage betreffend der COVID-19 Krise im Zusammenhang mit Flugverbindungen bzw. Bewegungsfreiheit finden sich in dem Kapitel „Länderspezifische Anmerkungen“.

20.1 Meldewesen

Letzte Änderung: 16.12.2020

Afghanistan hat kein zentrales Bevölkerungsregister, ebenso wenig „gelbe Seiten“ oder Datenbanken mit Telefonnummerneinträgen (EASO 2.2018; vgl. STODK 13.06.2019). Auch muss sich ein Neuankömmling bei Ankunft nicht in dem neuen Ort registrieren. Die Gemeinschafts- bzw. Bezirksältesten führen kein Personenstandsregister, die Regierung registriert jedoch Rückkehrer (STDOK 13.06.2019). Durch die hohe - 99 - soziale Kontrolle ist gerade im ländlichen Raum keine, aber auch in den Städten kaum Anonymität zu erwarten (AA 16.07.2020).

Da es in der Vergangenheit zu Fällen kam, bei denen Wohnungen zur Vorbereitung von terroristischen oder kriminellen Taten verwendet wurden, müssen nun insbesondere in Kabul, aber auch in Mazar-e Sharif unter Umständen beispielsweise in Stadtzentren gewisse Melde- und Ausweisvorgaben beim Mieten einer Wohnung oder eines Hauses erfüllt werden (STDOK 21.07.2020). Es ist gesetzlich vorgeschrieben, dass sich Mieter wie auch Vermieter beim Abschluss einer Mietvereinbarung mit einem Identitätsnachweis ausweisen, was jedoch nicht immer eingehalten wird. In Gebieten ohne hohes Sicherheitsrisiko ist es oftmals möglich, ohne einen Identitätsnachweis oder eine Registrierung bei der Polizei eine Wohnung zu mieten. Dies hängt allerdings auch vom Vertrauen des Vermieters in den potenziellen Mieter ab (STDOK 21.07.2020; vgl. RA KBL 05.04.2020). [...]

21 IDPs und Flüchtlinge

Letzte Änderung: 16.12.2020

Im Jahresverlauf 2019 verstärkten sich Migrationsbewegungen innerhalb des Landes aufgrund des bewaffneten Konfliktes und einer historischen Dürre. UNHCR berichtet für den Zeitraum 01.01. - 06.11.2019 380.289 Personen, die aufgrund des bewaffneten Konfliktes zu Binnenvertriebenen (IDPs, internally displaced persons) wurden (USDOS 11.03.2020). Mit Stand 09.08.2020 wurden 115.070 Menschen aufgrund des Konflikts zu IDPs - wofür landesweite Kämpfe zwischen nichtstaatlichen Akteuren und den nationalen afghanischen Sicherheitskräften verantwortlich waren (UNOCHA 12.08.2020). Die genaue Zahl der IDPs lässt sich jedoch nicht genau eruieren, zumal viele in abgelegenen Regionen oder in städtischen Slums Zuflucht suchen bzw. in Gebieten leben, die von aufständischen Gruppen kontrolliert werden und daher nicht erfasst werden können (STDOK 10.2020). Die meisten IDPs stammen aus unsicheren ländlichen Ortschaften und kleinen Städten und suchen nach relativ besseren Sicherheitsbedingungen sowie Regierungsdienstleistungen in größeren Gemeinden und Städten innerhalb derselben Provinz. In allen 34 Provinzen werden IDPs aufgenommen (USDOS 11.03.2020).

Die Mehrheit der Binnenflüchtlinge lebt, ähnlich wie Rückkehrer aus Pakistan und Iran, in Flüchtlingslagern, angemieteten Unterkünften oder bei Gastfamilien. Die Bedingungen sind prekär. Der Zugang zu Gesundheitsversorgung, Bildung und wirtschaftlicher Teilhabe ist stark eingeschränkt. Der hohe Konkurrenzdruck führt oft zu Konflikten. 75% der Binnenflüchtlinge sind auf humanitäre Hilfe angewiesen (AA 16.07.2020).

Der begrenzte Zugang zu humanitären Hilfeleistungen führt zu Verzögerungen bei der Identifizierung, Einschätzung und zeitnahen Unterstützung von Binnenvertriebenen. Diesen fehlt weiterhin Zugang zu grundlegendem Schutz, einschließlich der persönlichen und physischen Sicherheit sowie Unterkunft (USDOS 11.03.2020).

IDPs sind in den Möglichkeiten eingeschränkt, ihren Lebensunterhalt zu erwirtschaften. Oft kommt es nach der ersten Binnenvertreibung zu einer weiteren Binnenwanderung. Vor allem binnenvertriebene Familien mit einem weiblichen Haushaltsvorstand haben oft Schwierigkeiten, grundlegende Dienstleistungen zu erhalten, weil sie keine Identitätsdokumente besitzen (USDOS 11.03.2020).

Die afghanische Regierung kooperiert mit UNHCR, IOM und anderen humanitären Organisationen, um IDPs, Flüchtlingen, Rückkehrern und anderen betroffenen Personen Schutz und Unterstützung zu bieten. Die Unterstützungsfähigkeit der afghanischen Regierung bezüglich vulnerabler Personen - inklusive Rückkehrern aus Pakistan und Iran - ist beschränkt und auf die Hilfe durch die internationale Gemeinschaft angewiesen (USDOS 11.03.2020).

Durch die Dürre wurden in der ersten Hälfte des Jahres 2018 mehr als 260.000 Menschen aus den Provinzen Badghis, Daikundi, Herat und Ghor zu IDPs (UNOCHA 20.10.2018), zahlreiche Menschen verließen auch ihre Heimatprovinzen Jawzjan und Farah (STDOK 13.06.2019). Die meisten von ihnen kamen in Lager in den Städten Herat oder Qala-e-Naw (Badghis). Die Lager werden täglich mit Wasser und Lebensmitteln beliefert, und es - 100 - werden Zelte, Notunterkünfte, Hygiene-, Gesundheits- und Nahrungsdienste zur Verfügung gestellt (UNOCHA 22.07.2019). Im Jahr 2018 sind im Westen Afghanistans aufgrund der Dürre ca. 19 Siedlungen für Binnenvertriebene entstanden, der Großteil davon ca. 20-25 km von Herat-Stadt entfernt. Vertriebene Personen siedelten sich hauptsächlich in Stadtrandgebieten an, um sich in der Stadt Zugang zu Dienstleistungen (die in den Siedlungen, welche grundsätzlich auf leeren Feldern entstanden, nicht vorhanden sind) und dem Arbeitsmarkt zu verschaffen. In der Stadt kam es zu Demonstrationen von Bewohnern, welche die Binnenvertriebenen bezichtigten, ihnen die Arbeitsplätze wegzunehmen. Das gestiegene Angebot an billigen Arbeitskräften drückte den Tageslohn von 6-8 USD auf 2-3 USD (STDOK 13.06.2019).

Weiterführende Informationen zu Dürre und Überschwemmungen können Abschnitt Grundversorgung entnommen werden.

Flüchtlinge in Afghanistan

Die afghanische Regierung hat noch keinen Entwurf für ein nationales Flüchtlings- oder Asylgesetz verabschiedet. Die Regierung arbeitet mit UNHCR, der Internationalen Organisation für Migration (IOM) und anderen humanitären Organisationen zusammen, um Binnenvertriebenen, Flüchtlingen, rückkehrenden Flüchtlingen und anderen Betroffenen Schutz und Hilfe zu gewähren. Auch registriert und koordiniert UNHCR den Schutz von ca. 500 Flüchtlingen in Städten. Afghanistan beherbergt etwa 76.000 pakistanische Flüchtlinge, die 2014 aus Pakistan geflohen sind; UNHCR registrierte etwa 41.000 Flüchtlinge in der Provinz Khost und verifizierte mehr als 35.000 Flüchtlinge in der Provinz Paktika (USDOS 11.03.2020; vgl. UNHCR 25.02.2019). [...]

22 Grundversorgung

Letzte Änderung: 16.12.2020

Afghanistan ist nach wie vor eines der ärmsten Länder der Welt (AA 16.07.2020; AF 2018). Die Grundversorgung ist für große Teile der Bevölkerung eine tägliche Herausforderung, dies gilt in besonderem Maße für Rückkehrer. Diese bereits prekäre Lage hat sich seit März 2020 durch die Covid-19-Pandemie stetig weiter verschärft. UNOCHA erwartet, dass 2020 bis zu 14 Millionen Menschen (2019: 6,3 Millionen Menschen) auf humanitäre Hilfe (u.a. Unterkunft, Nahrung, sauberem Trinkwasser und medizinischer Versorgung) angewiesen sein werden (AA 16.07.2020). Laut einer IPC-Analyse vom April wird die Zahl der Menschen, die in Afghanistan unter akuter Ernährungsunsicherheit der Stufe 4 der Emergency-IPC leiden, im Zeitraum Juni- November 2020 voraussichtlich von 3,3 Millionen auf fast 4 Millionen ansteigen (USAID 12.06.2020).

Trotz Unterstützung der internationalen Gemeinschaft, erheblicher Anstrengungen der afghanischen Regierung und kontinuierlicher Fortschritte belegte Afghanistan 2018 lediglich Platz 170 von 189 des Human Development Index (UNDP o.D.). In humanitären Geberkreisen wird von einer Armutsrate von 80% ausgegangen. Auch die Weltbank prognostiziert einen weiteren Anstieg ihrer Rate von 55% aus dem Jahr 2016, da das Wirtschaftswachstum durch die hohen Geburtenraten absorbiert wird. Zusätzlich belastet die COVID-19- Krise mit einhergehender wirtschaftlicher Rezession die privaten Haushalte stark. Das Gefälle zwischen urbanen Zentren und ländlichen Gebieten bleibt eklatant. Außerhalb der Hauptstadt Kabul und der Provinzhauptstädte gibt es vielerorts nur unzureichende Infrastruktur für Energie, Trinkwasser und Transport (AA 16.07.2020). Während in ländlichen Gebieten bis zu 60% der Bevölkerung unter der Armutsgrenze leben (STDOK 10.2020; vgl. CSO 2018), leben in urbanen Gebieten rund 41,6% unter der nationalen Armutsgrenze (STDOK 21.07.2020; vgl. NSIA 2019).

Die afghanische Wirtschaft ist stark von internationalen Hilfsgeldern abhängig. Das Budget zur Entwicklungshilfe und Teile des operativen Budgets stammen aus internationalen Hilfsgeldern (AF 2018; vgl. WB 7.2019). Jedoch konnte die afghanische Regierung seit der Fiskalkrise des Jahres 2014 ihre Einnahmen deutlich steigern (USIP 15.08.2019; vgl. WB 7.2019).

Die afghanische Wirtschaft stützt sich hauptsächlich auf den informellen Sektor (einschließlich illegaler Aktivitäten), der 80 bis 90 % der gesamten Wirtschaftstätigkeit ausmacht und weitgehend das tatsächliche Einkommen der afghanischen Haushalte bestimmt (ILO 5.2012; vgl. ACCORD 7.12.2018). Lebensgrundlage für rund 80% der Bevölkerung ist die Landwirtschaft (FAO 23.11.2018; vgl. Haider/Kumar 2018), wobei der - 101 - landwirtschaftliche Sektor gemäß Prognosen der Weltbank im Jahr 2019 einen Anteil von 18,7% am Bruttoinlandsprodukt (BIP) hat (Industrie: 24,1%, tertiärer Sektor: 53,1%; WB 7.2019). 45% aller Beschäftigen arbeiten im Agrarsektor, 20% sind im Dienstleistungsbereich tätig (STDOK 10.2020; vgl. CSO 2018).

Afghanistan erlebte von 2007 bis 2012 ein beispielloses Wirtschaftswachstum. Während die Gewinne dieses Wachstums stark konzentriert waren, kam es in diesem Zeitraum zu Fortschritten in den Bereichen Gesundheit und Bildung. Seit 2014 verzeichnet die afghanische Wirtschaft ein langsames Wachstum (im Zeitraum 2014- 2017 durchschnittlich 2,3%, 2003-2013: 9%) was mit dem Rückzug der internationalen Sicherheitskräfte, der damit einhergehenden Kürzung der internationalen Zuschüsse und einer sich verschlechternden Sicherheitslage in Verbindung gebracht wird (WB 8.2018; vgl. STDOK 10.2020). Im Jahr 2018 betrug die Wachstumsrate 1,8%. Das langsame Wachstum wird auf zwei Faktoren zurückgeführt: einerseits hatte die schwere Dürre im Jahr 2018 negative Auswirkungen auf die Landwirtschaft, andererseits verringerte sich das Vertrauen der Unternehmer und Investoren. Das Wirtschaftswachstum konnte sich zuletzt aufgrund der besseren Witterungsbedingungen für die Landwirtschaft erholen und lag 2019 laut Weltbank-Schätzungen bei 2,9%. Für 2020 geht die Weltbank Covid-19-bedingt von einer Rezession (bis zu 8% BIP) aus (AA 16.07.2020; vgl. WB 4.2020).

Arbeitsmarkt

Die Schaffung von Arbeitsplätzen bleibt eine zentrale Herausforderung für Afghanistan (AA 16.07.2020; vgl. STDOK 10.2020) Er ist durch eine niedrige Erwerbsquote, hohe Arbeitslosigkeit sowie Unterbeschäftigung und prekäre Arbeitsverhältnisse charakterisiert (STDOK 10.2020; vgl. Ahmend 2018; CSO 2018). Nach Angaben der Weltbank ist die Arbeitslosenquote innerhalb der erwerbsfähigen Bevölkerung in den letzten Jahren zwar gesunken, bleibt aber auf hohem Niveau und dürfte wegen der Covid-19-Pandemie wieder steigen (AA 16.07.2020), auch wenn es keine offiziellen Regierungsstatistiken über die Auswirkungen der Pandemie auf den Arbeitsmarkt gibt (IOM 23.09.2020). Schätzungen zufolge sind rund 67% der Bevölkerung unter 25 Jahren alt (NSIA 01.06.2020; vgl. STDOK 10.2020). Am Arbeitsmarkt müssten jährlich geschätzte 400.000 neue Arbeitsplätze geschaffen werden, um Neuankömmlinge in den Arbeitsmarkt integrieren zu können (STDOK 4.2018). Somit treten jedes Jahr sehr viele junge Afghanen in den Arbeitsmarkt ein, während die Beschäftigungsmöglichkeiten aufgrund unzureichender Entwicklungsressourcen und mangelnder Sicherheit nicht mit dem Bevölkerungswachstum Schritt halten können (WB 8.2018; vgl. STDOK 10.2020, CSO 2018). In Anbetracht von fehlendem Wirtschaftswachstum und eingeschränktem Budget für öffentliche Ausgaben stellt dies eine gewaltige Herausforderung dar. Letzten Schätzungen zufolge sind 1,9 Millionen Afghan/innen arbeitslos - Frauen und Jugendliche haben am meisten mit dieser Jobkrise zu kämpfen. Jugendarbeitslosigkeit ist ein komplexes Phänomen mit starken Unterschieden im städtischen und ländlichen Bereich. Schätzungen zufolge sind 877.000 Jugendliche arbeitslos; zwei Drittel von ihnen sind junge Männer (ca. 500.000) (STDOK 4.2018; vgl. CSO 2018).

Der afghanische Arbeitsmarkt ist durch eine starke Dominanz des Agrarsektors, eine Unterrepräsentation von Frauen und relativ wenigen Möglichkeiten für junge Menschen gekennzeichnet. Es gibt einen großen Anteil an Selbständigen und mithelfenden Familienangehörigen, was auf das hohe Maß an Informalität des Arbeitsmarktes hinweist, welches mit der Bedeutung des Agrarsektors in der Wirtschaft einhergeht (CSO 08.06.2017). Im Rahmen einer Befragung an 15.012 Personen gaben rund 36% der befragten Erwerbstätigen an, in der Landwirtschaft tätig zu sein (AF 2018).

Bei der Arbeitssuche spielen persönliche Kontakte eine wichtige Rolle. Ohne Netzwerke ist die Arbeitssuche schwierig. (STDOK 21.07.2020; vgl. STDOK 13.06.2020, STDOK 4.2018). Bei Ausschreibung einer Stelle in einem Unternehmen gibt es in der Regel eine sehr hohe Anzahl an Bewerbungen, und durch persönliche Kontakte und Empfehlungen wird mitunter Einfluss und Druck auf den Arbeitgeber ausgeübt (STDOK 13.06.2019). Eine im Jahr 2012 von der ILO durchgeführte Studie über die Beschäftigungsverhältnisse in Afghanistan bestätigt, dass Arbeitgeber persönliche Beziehungen und Netzwerke höher bewerten als formelle Qualifikationen. Analysen der norwegischen COI-Einheit Landinfo zufolge gibt es keine Hinweise darüber, dass sich die Situation seit 2012 geändert hätte (STDOK 4.2018). - 102 -

In Afghanistan existiert keine finanzielle oder sonstige Unterstützung bei Arbeitslosigkeit (CSO 2018; vgl. IOM 23.09.2020). Lediglich beratende Unterstützung wird vom Ministerium für Arbeit und soziale Belange (MoLSAMD) und der NGO ACBAR angeboten; dabei soll der persönliche Lebenslauf zur Beratung mitgebracht werden. Auch Rückkehrende haben dazu Zugang - als Voraussetzung gilt hierfür die afghanische Staatsbürgerschaft. Für das Anmeldeverfahren sind das Ministerium für Arbeit und soziale Belange und die NGO ACBAR zuständig; Rückkehrende sollten auch hier ihren Lebenslauf an eine der Organisationen weiterleiten, woraufhin sie informiert werden, inwiefern Arbeitsmöglichkeiten zum Bewerbungszeitpunkt zur Verfügung stehen. Unter Leitung des Bildungsministeriums bieten staatliche Schulen und private Berufsschulen Ausbildungen an (STDOK 4.2018).

Neben einer mangelnden Arbeitsplatzqualität ist auch die große Anzahl an Personen im wirtschaftlich abhängigen Alter (insbes. Kinder) ein wesentlicher Armutsfaktor (CSO 2018; vgl. Haider/Kumar 2018): Die Notwendigkeit, das Einkommen von Erwerbstätigen mit einer großen Anzahl von Haushaltsmitgliedern zu teilen, führt oft dazu, dass die Armutsgrenze unterschritten wird, selbst wenn Arbeitsplätze eine angemessene Bezahlung bieten würden. Ebenso korreliert ein Mangel an Bildung mit Armut, wobei ein niedriges Bildungsniveau und Analphabetismus immer noch weit verbreitet sind (CSO 2018).

Während Frauen am afghanischen Arbeitsmarkt eine nur untergeordnete Rolle spielen, so stellen sie jedoch im Agrasektor 33% und im Textilbereich 65% der Arbeitskräfte (STDOK 10.2020; vgl. CSO 2018).

Wirtschaft und Versorgungslage in den Städten Herat, Kabul und Mazar-e Sharif Kabul

Die Wirtschaft der Provinz Kabul hat einen weitgehend städtischen Charakter, wobei die wirtschaftlich aktive Bevölkerung in Beschäftigungsfeldern, wie dem Handel, Dienstleistungen oder einfachen Berufen tätig ist (CSO 08.06.2017). Kabul-Stadt hat einen hohen Anteil an Lohnarbeitern, während Selbständigkeit im Vergleich zu den ländlichen Gebieten Afghanistans weniger verbreitet ist (USIP 10.04.2017). Zu den wichtigsten Arbeitgebern in Kabul gehört der Dienstleistungssektor, darunter auch die öffentliche Verwaltung (CSO 08.06.2017). Die Gehälter sind in Kabul im Allgemeinen höher als in anderen Provinzen, insbesondere für diejenigen, welche für ausländische Organisationen arbeiten (USIP 10.04.2017). Kabul ist das wichtigste Handels- und Beschäftigungszentrum Afghanistans und hat ein größeres Einzugsgebiet in den Provinzen Parwan, Logar und Wardak. Menschen aus kleinen Dörfern pendeln täglich oder wöchentlich nach Kabul, um landwirtschaftliche Produkte zu handeln oder als Wachen, Hausangestellte oder Lohnarbeiter zu arbeiten (USIP 10.04.2017).

Ergebnisse einer Studie ergaben, dass Kabul unter den untersuchten Provinzen den geringsten Anteil an Arbeitsplätzen im Agrarsektor hat, dafür eine dynamischere Wirtschaft mit einem geringeren Anteil an Arbeitssuchenden, Selbständigen und Familienarbeitern. Die besten (Arbeits-) Möglichkeiten für Junge existieren in Kabul. Trotz der niedrigeren Erwerbsquoten ist der Frauenanteil in hoch qualifizierten Berufen in Kabul am größten (49,6%). In der Provinz Ghor hingegen ist der traditionelle Agrarsektor bei weitem der größte Arbeitgeber, während es hier sehr wenige Möglichkeiten (Jobs und Ausbildung) für Kinder, Jugendliche und Frauen gibt (CSO 08.06.2019).

Der durchschnittliche Verdienst eines ungelernten Tageslöhners in Afghanistan variiert zwischen 100 AFN und 400 AFN pro Tag (STDOK 21.07.2020; RA KBL 04.01.2020).

Herat

Der Einschätzung einer in Afghanistan tätigen internationalen NGO zufolge gehört Herat zu den „bessergestellten“ und „sichereren Provinzen“ Afghanistans und weist historisch im Vergleich mit anderen Teilen des Landes wirtschaftlich und sicherheitstechnisch relativ gute Bedingungen auf (STDOK 13.06.2019). Aufgrund der sehr jungen Bevölkerung ist der Anteil der Personen im erwerbsfähigen Alter in Herat - wie auch in anderen afghanischen Städten - vergleichsweise klein. Erwerbstätige müssen also eine große Anzahl an von ihnen abhängigen Personen versorgen. Hinzu kommt, dass die Hälfte der arbeitenden Bevölkerung in Herat Tagelöhner sind, welche Schwankungen auf dem Arbeitsmarkt in besonderem Ausmaß ausgesetzt sind (USIP 02.04.2015). - 103 -

Die Herater Wirtschaft bietet seit langem Arbeitsmöglichkeiten im Handel, darunter den Import und Export von Waren mit dem benachbarten Iran (GOIRA 2015; vgl. EASO 4.2019, WB/NSIA 9.2018), wie auch Bergbau und Produktion (EASO 4.2019). Die Industrie der kleinen und mittelständischen Unternehmen (KMUs) ist insbesondere im Handwerksbereich und in der Seiden- und Teppichproduktion gut entwickelt (GOIRA 2015; vgl. EASO 4.2019). Manche alten Handwerksberufe (Teppichknüpfereien, Glasbläsereien, die Herstellung von Stickereien) haben es geschafft zu überleben, während sich auch bestimmte moderne Industrien entwickelt haben (z.B. Lebensmittelverarbeitung und Verpackung) (EASO 4.2019). Die Arbeitsplätze sind allerdings von der volatilen Sicherheitslage bedroht (insbesondere Entführungen von Geschäftsleuten oder deren Angehörigen durch kriminelle Netzwerke, im stillen Einverständnis mit der Polizei). Als weitere Probleme werden Stromknappheit, bzw. -ausfälle, Schwierigkeiten, mit iranischen oder anderen ausländischen Importen zu konkurrieren, und eine steigende Arbeitslosigkeit genannt (EASO 4.2019).

Mazar-e Sharif

Mazar-e Sharif und die Provinz Balkh sind historisch betrachtet das wirtschaftliche und politische Zentrum der Nordregion Afghanistans. Mazar-e Sharif profitierte dabei von seiner geografischen Lage, einer vergleichsweise effektiven Verwaltung und einer relativ guten Sicherheitslage (STDOK 21.07.2020; vgl. GOIRA 2015). Mazar-e Sharif gilt als Industriezentrum mit großen Fertigungsbetrieben und einer Vielzahl von kleinen und mittleren Unternehmen, welche Kunsthandwerk und Teppiche anbieten (GOIRA 2015). Balkh ist landwirtschaftlich eine der produktivsten Regionen Afghanistans, wobei Landwirtschaft und Viehzucht die Distrikte der Provinz dominieren (STDOK 21.07.2020; vgl. MIC 2018). Die Arbeitsmarktsituation ist auch In Mazar-e Sharif eine der größten Herausforderungen. Auf Stellenausschreibungen melden sich innerhalb einer kurzen Zeitspanne sehr viele Bewerber, und ohne Kontakte ist es schwer, einen Arbeitsplatz zu finden. In den Distrikten ist die Anzahl der Arbeitslosen hoch. Die meisten Arbeitssuchenden begeben sich nach Mazar-e Sharif, um Arbeit zu finden (STDOK 21.07.2020).

In Mazar-e Sharif stehen zahlreiche Wohnungen zur Verfügung. Auch eine Person, die in Mazar-e Sharif keine Familie hat, sollte in der Lage sein, dort Wohnraum zu finden. Des Weiteren gibt es in Mazar-e Sharif eine Anzahl von Hotels sowie Gast- oder Teehäusern, welche unter anderem von Tagelöhnern zur Übernachtung benutzt werden (STDOK 21.07.2020).

Dürre und Überschwemmungen

Während der Wintersaat von Dezember 2017 bis Februar 2018 gab es in Afghanistan eine ausgedehnte Zeit der Trockenheit. Diese hatte primär Auswirkungen auf den Agrarsektor mit Verlusten bei Viehbeständen (STDOK 10.2020; vgl. STDOK 21.07.2020, STDOK 13.06.2019, Accord 26.05.2020) und verschlechterte die Situation für die von Lebensmittelunsicherheit geprägte Bevölkerung weiter und hatte zerstörerische Auswirkungen auf die wirtschaftlichen Existenzgrundlagen, was wiederum zu Binnenflucht führte und es den Binnenvertriebenen mittelfristig erschwert, sich wirtschaftlich zu erholen sowie die Grundbedürfnisse selbständig zu decken (FAO 23.11.2018; vgl. AJ 12.08.2018).

Günstige Regenfälle im Frühling und beinahe normale Temperaturen hatten 2019 die Weidebedingungen wieder verbessert. Da sich viele Haushalte noch von der Dürre des Jahres 2018 erholen mussten, galt die Ernährungslage für viele Haushalte im Zeitraum 10.2019-1.2020 weiterhin als „angespannt“ bis „krisenhaft“ (FEWS NET 8.2019).

Im März 2019 fanden in Afghanistan Überschwemmungen statt, welche Schätzungen zufolge Auswirkungen auf mehr als 120.000 Personen in 14 Provinzen hatten. Sturzfluten Ende März 2019 hatten insbesondere für die Bevölkerung in den Provinzen Balkh und Herat schlimme Auswirkungen (WHO 3.2019; vgl. STDOK 21.07.2020). Unter anderem waren von den Überschwemmungen auch Menschen betroffen, die zuvor von der Dürre vertrieben worden waren (GN 06.03.2019).

Günstige Wetterbedingungen während der Pflanzsaison 2020 lassen eine weitere Erholung der Weizenproduktion von der Dürre 2018 erwarten. COVID-19 bedingte Sperrmaßnahmen hatten bisher nur - 104 - begrenzte Auswirkungen auf die landwirtschaftliche Produktion, da sie in ländlichen Gebieten nicht durchgesetzt werden konnten (IOM 21.07.2020).

Lebensmittelunsicherheit

Einer Befragung aus dem Jahr 2016/2017 an rund 155.000 Personen zufolge (Afghan Living Condition Survey - ALCS) sind rund 45% oder 13 Millionen Menschen in Afghanistan von anhaltender oder vorübergehender Lebensmittelunsicherheit betroffen (CSO 2018; vgl. USAID 0.D., wobei der Anteil der Betroffenen im Osten, Norden und Nordosten am höchsten ist (CSO 2018). Gegenüber dem Zeitraum 2011-12 ist ihr Anteil bei einem Ausgangsniveau von 30% um 15 Prozentpunkte gestiegen (CSO 2018). Nach Angaben der FAO sind weiterhin etwa 13,5 Millionen Menschen in Afghanistan mit einer schweren akuten Ernährungsunsicherheit konfrontiert (FAO o.D).

2018 gaben rund 30% der 15.012 Befragten an, dass sich die Qualität ihrer Ernährung verschlechtert hat, während rund 17% von einer Verbesserung sprachen und die Situation für rund 53% gleichblieb. Im Jahr 2018 lag der Anteil der Personen, welche angaben, dass sich ihre Ernährungssituation verschlechtert habe, im Westen des Landes über dem Anteil in ganz Afghanistan. Beispielsweise die Provinz Badghiswar hiervon einer Dürre betroffen (AF 2018).

Die COVID-19-Krise führte in der ersten Hälfte des Jahres 2020 zu einem deutlichen Anstieg der Lebensmittelpreise. Die Preise scheinen seit April 2020, nach Verteilung von Weizen aus strategischen Getreidereserven, Durchsetzung von Anti-Preismanipulations-Regelungen und der Wiederöffnung der Grenzen für Lebensmittelimporte, wieder gesunken zu sein (IOM 23.09.2020).

Bank- und Finanzwesen

Nach einer Zeit mit begrenzten Bankdienstleistungen entstehen im Finanzsektor in Afghanistan schnell mehr und mehr kommerzielle Banken und Leistungen. Die kommerziellen Angebote der Zentralbank gehen mit steigender Kapazität des Finanzsektors zurück. Es ist mittlerweile auch relativ einfach, in Afghanistan ein Bankkonto zu eröffnen. Die Bank wird dabei nach Folgendem fragen: Ausweisdokument (Tazkira), zwei Passfotos und 1.000 bis 5.000 AFN als Mindestkapital für das Bankkonto. Bis heute sind mehr als ein Dutzend Banken im Land aktiv: unter anderem die Afghanistan International Bank, Azizi Bank, Arian Bank, oder The First Microfinance Bank, Ghazanfar Bank, Maiwand Bank, Bakhtar Bank (IOM 2018).

Hawala-System

Über Jahrhunderte hat sich eine Form des Geldaustausches entwickelt, welche Hawala genannt wird. Dieses System, welches auf gegenseitigem Vertrauen basiert, funktioniert schnell, zuverlässig und günstig. Spezielle Dokumente sind nicht notwendig, und der Geldtransfer ist weltweit möglich. Hawala wird von den unterschiedlichsten Kundengruppen in Anspruch genommen: Gastarbeiter, die ihren Lohn in die Heimat transferieren wollen, große Unternehmen und Hilfsorganisationen bzw. NGOs, aber auch Terrororganisationen (WKO 2.2017; vgl. WB 2003; FA 07.09.2016).

Das System funktioniert folgendermaßen: Person A übergibt ihrem Hawaladar (X) das Geld, z.B. 10.000 Euro und nennt ihm ein Passwort. Daraufhin teilt die Person A der Person B, die das Geld bekommen soll, das Passwort mit. Der Hawaladar (X) teilt das Passwort ebenfalls seinem Empfänger-Hawaladar (M) mit. Jetzt kann die Person B einfach zu ihrem Hawaladar (M) gehen. Wenn sie ihm das Passwort nennt, bekommt sie das Geld, z.B. in Afghani, ausbezahlt (WKO 2.2017; vgl. WB 2003).

So ist es möglich, auch größere Geldsummen sicher und schnell zu überweisen. Um etwa eine Summe von Peshawar, Dubai oder London nach Kabul zu überweisen, benötigt man sechs bis zwölf Stunden. Sind Sender und Empfänger bei ihren Hawaladaren anwesend, kann die Transaktion binnen Minuten abgewickelt werden. Kosten dafür belaufen sich auf ca. 1-2%, hängen aber sehr stark vom Verhandlungsgeschick, den Währungen, der Transaktionssumme, der Vertrauensposition zwischen Kunde und Hawaladar und nicht zuletzt von der Sicherheitssituation in Kabul ab. Die meisten Transaktionen gehen in Afghanistan von der Hauptstadt Kabul aus, weil es dort auch am meisten Hawaladare gibt. Hawaladare bieten aber nicht nur Überweisungen an, - 105 - sondern eine ganze Auswahl an finanziellen und nicht-finanziellen Leistungen in lokalen, regionalen und internationalen Märkten. Beispiele für das finanzielle Angebot sind Geldwechsel, Spendentransfer, Mikro- Kredite, Tradefinance oder die Möglichkeit, Geld anzusparen. Als nichtmonetäre Leistungen können Hawaladare Fax- oder Telefondienste oder eine Internetverbindung anbieten (WKO 2.2017; vgl. WB 2003).

22.1 Sozialbeihilfen, wohlfahrtsstaatliche Leistungen und Versicherungen

Letzte Änderung: 16.12.2020

Afghanistan ist von einem Wohlfahrtsstaat weit entfernt, und Afghanen rechnen in der Regel nicht mit Unterstützung durch öffentliche Behörden. Verschiedene Netzwerke ersetzen und kompensieren den schwachen staatlichen Apparat. Das gilt besonders für ländliche Gebiete, wo die Regierung in einigen Gebieten völlig abwesend ist. So sind zum Beispiel die Netzwerke - und nicht der Staat - von kritischer Bedeutung für die Sicherheit, den Schutz, die Unterstützung und Betreuung schutzbedürftiger Menschen (STDOK 4.2018).

Der afghanische Staat gewährt seinen Bürgern kostenfreie Bildung und Gesundheitsleistungen, darüber hinaus sind keine Sozialleistungen vorgesehen (BAMF/IOM 2018; vgl. EC 18.05.2019). Ein Sozialversicherungs- oder Pensionssystem gibt es, von einigen Ausnahmen abgesehen (z.B. Armee und Polizei), nicht (SEM 20.06.2017; vgl. BDA 18.12.2018). Es gibt kein öffentliches Krankenversicherungssystem. Ein eingeschränktes Angebot an privaten Krankenversicherungen existiert, jedoch sind die Gebühren für die Mehrheit der afghanischen Bevölkerung zu hoch (BDA 18.12.2018).

Ein Pensionssystem ist nur im öffentlichen Sektor etabliert (BAMF/IOM 2018). Der zu pensionierende Staatsbedienstete erhält die Pension jährlich auf ein Bankkonto überwiesen. Die Pension eines Regierungsbeamten kann von seinen Familienmitgliedern geerbt werden (STDOK 4.2018). Berichten zufolge arbeitet die afghanische Regierung an der Schaffung eines Pensionssystems im Privatsektor (IWPR 06.07.2018). Private Unternehmen können für ihre Angestellten Pensionskonten einführen, müssen das aber nicht. Manche Arbeitgeber zahlen ihren Angestellten Abfertigungen, welche die Angestellten sich nach einem gewissen Zeitraum ausbezahlen lassen können (STDOK 4.2018). Die weitgehende Informalität der afghanischen Wirtschaft bedeutet, dass die Mehrheit der Arbeitskräfte nicht in den Genuss von Pensionen oder Sozialbeihilfen kommt (ILO 5.2012). Die International Labour Organization (ILO) berichtet, dass im Jahr 2010 rund 10% der afghanischen Bevölkerung im pensionsfähigen Alter eine Pension erhielten (ILO 2017).

Für Bedienstete des öffentlichen Sektors gibt es neben einer Alterspension finanzielle Unterstützung im Falle von Invalidität aufgrund einer Verletzung während des Dienstes, wie auch Witwenpensionen und Zulagen bei Armut oder im Fall von Arbeitslosigkeit (BDA 18.12.2018).

Das afghanische Arbeits- und Sozialministerium (MoLSAMD) bietet ad hoc Maßnahmen für einzelne Gruppen, wie zum Beispiel Familienangehörige von Märtyrern und Kriegsverwundete, oder Lebensmittelhilfe für von Dürre betroffene Personen, jedoch keine groß angelegten Programme zur Bekämpfung von Armut (STDOK 13.06.2019).

Unterstützungsprogramm - das Citizens' Charter Afghanistan Project (CCAP)

Im Rahmen des zehn Jahre andauernden „Citizens’ Charter National Priority Program“ (TN 18.01.2018) wurde im Jahr 2016 das Citizens’ Charter Afghanistan Project ins Leben gerufen. Es zielt darauf ab, die Armut in teilnehmenden Gemeinschaften zu reduzieren und den Lebensstandard zu verbessern, indem die Kerninfrastruktur und soziale Leistungen durch Community Development Councils (CDCs) gestärkt werden. Das CCAP soll Entwicklungsprojekte unterschiedlicher Ministerien umsetzen und zu einem größeren Nutzen für die betroffenen Gemeinschaften führen (WB 10.10.2016; vgl. ARTF o.D. WB 06.12.2019, AAN 31.05.2020). Das CCAP ist das erste interministerielle und sektorübergreifende Prioritätenprogramm, in dem Ministerien im Rahmen eines strukturierten Ansatzes gemeinsam an einem Projekt arbeiten. Folgende Ministerien sind hauptsächlich in dieses Projekt involviert: MRRD (Ministry of Rural Rehabilitation and Development), MoE (Ministry of Education), MoPH (Ministry of Public Health) und MAIL (Ministry of Agriculture, Irrigation & Livestock) (ARTF o.D.). - 106 -

Ziel des Projektes war es von Anfang an, 3,4 Millionen Menschen den Zugang zu sauberem Trinkwasser zu ermöglichen, die Qualität von Dienstleistung in den Bereichen Gesundheit, Bildung, ländliche Straßen und Elektrizität zu verbessern sowie die Zufriedenheit der Bürger mit der Regierung und das Vertrauen in selbige zu steigern. Außerdem sollten vulnerable Personen - Frauen, Binnenvertriebene, behinderte und arme Menschen - besser integriert werden (WB 10.10.2016; vgl. AAN 31.05.2020). Alleine im Jahr 2016 konnten 9,3 Millionen Afghanen von den Projekten profitieren (TN 23.11.2017). Es wird jedoch berichtet, dass die Aktivitäten des Projektes in einigen Gemeinden hinter dem Zeitplan zurückbleiben, weil das MRRD (Ministerium für ländliche Rehabilitation und Entwicklung) keinen Zugang hat oder unterbesetzt ist. NGO Mitarbeiter berichten außerdem, dass sie 10% der finanziellen Mittel als Steuer an die Taliban abgeben mussten (AAN 31.05.2020).

Im Rahmen des CCAP wurden auch Sensibilisierungskampagnen betreffend COVID-19 in ländlichen Gebieten durchgeführt. Bis Juni 2020 wurden Treffen mit Ratsmitgliedern und Mullahs in etwa 12.000 Gemeinden in 124 Bezirken in ganz Afghanistan abgehalten (WB 28.06.2020).

Anmerkung: Weitergehende Informationen zum Gesundheitssystem Afghanistans befinden sich im Kapitel Medizinische Versorgung. [...] 23 Medizinische Versorgung Letzte Änderung: 16.12.2020 Seit 2002 hat sich die medizinische Versorgung in Afghanistan stark verbessert, dennoch bleibt sie im regionalen Vergleich zurück (AA 16.07.2020). Nach den Prognosen des Afghanistan Humanitarian Needs Overview 2020 werden etwa 3,7 Millionen Menschen aufgrund von Konflikten, Naturkatastrophen und Vertreibungen medizinische Nothilfe benötigen (UNOCHA 17.12.2019; vgl. WHO 8.2020). Die Lebenserwartung ist in Afghanistan von 50 Jahren im Jahr 1990 auf 64 im Jahr 2018 gestiegen (WB o.D.a.; vgl. WHO 4.2018). Im Jahr 2018 gab es 3.135 funktionierende medizinische Institutionen in ganz Afghanistan, und 87% der Bevölkerung wohnten nicht weiter als zwei Stunden von einer solchen Einrichtung entfernt (WHO 12.2018). Vor allem in den Bereichen Mütter- und Kindersterblichkeit kam es zu erheblichen Verbesserungen (AA 16.07.2020). Eine weitere Quelle spricht von 641 Krankenhäusern bzw. Gesundheitseinrichtungen in Afghanistan, wobei 181 davon öffentliche und 460 private Krankenhäuser sind. Die genaue Anzahl der Gesundheitseinrichtungen in den einzelnen Provinzen ist nicht bekannt (RA KBL 20.10.2020) Der afghanischen Verfassung zufolge hat der Staat kostenlos medizinische Vorsorge, ärztliche Behandlung und medizinische Einrichtungen für alle Staatsbürger zur Verfügung zu stellen. Außerdem fördert der Staat die Errichtung und Ausweitung medizinischer Leistungen und Gesundheitszentren (STDOK 4.2018; vgl. CoA 2004, AA 16.07.2020). Eine begrenzte Anzahl staatlicher Krankenhäuser in Afghanistan bietet kostenfreie medizinische Versorgung an. Die Voraussetzung zur kostenfreien Behandlung ist der Nachweis der afghanischen Staatsbürgerschaft mittels Personalausweis bzw. Tazkira. Alle Staatsbürger haben dort Zugang zu medizinischer Versorgung und Medikamenten (STDOK 4.2018). Eine medizinische Versorgung in rein staatlicher Verantwortung findet jedoch kaum bis gar nicht statt. Insbesondere im Zuge der Covid-19-Pandemie zeigten sich Unterfinanzierung und Unterentwicklung des öffentlichen Gesundheitssystems, das bei Vorsorge (Schutzausstattung), Diagnose (Tests) sowie medizinischer Versorgung von Erkrankten akute Defizite aufweist. Die Verfügbarkeit und Qualität der Grundbehandlung ist durch Mangel an gut ausgebildeten Ärzten, Ärztinnen und Assistenzpersonal (v.a. Hebammen), mangelnde Verfügbarkeit von Medikamenten, schlechtes Management sowie schlechte Infrastruktur begrenzt. Dazu kommt das starke Misstrauen der Bevölkerung in die staatlich finanzierte medizinische Versorgung. Die Qualität der Kliniken variiert stark. Es gibt praktisch keine Qualitätskontrollen (AA 16.07.2020; vgl. WHO 8.2020). Die medizinische Versorgung in großen Städten und auf Provinzlevel ist sichergestellt, auf Ebene von Distrikten und in Dörfern sind Einrichtungen hingegen oft weniger gut ausgerüstet, und es kann schwer sein, Spezialisten zu finden. Vielfach arbeiten dort Krankenpflegerinnen anstelle von Ärztinnen, um grundlegende Versorgung sicherzustellen und in komplizierten Fällen an Provinzkrankenhäuser zu überweisen. Operationseingriffe können in der Regel nur auf Provinzlevel oder höher vorgenommen werden; auf Distriktebene sind nur erste Hilfe und kleinere Operationen möglich. Auch dies gilt allerdings nicht für das gesamte Land, da in Distrikten mit guter Sicherheitslage in der Regel mehr und bessere Leistungen angeboten werden können als in unsicheren Gegenden (IOM 2018; vgl. BDA 18.12.2018). Zahlreiche Staatsbürger begeben sich für medizinische Behandlungen - auch bei kleineren Eingriffen - ins Ausland. Dies ist beispielsweise in Pakistan vergleichsweise einfach und zumindest für die Mittelklasse erschwinglich (BDA 18.12.2018). Die wenigen staatlichen Krankenhäuser bieten kostenlose Behandlungen an, dennoch kommt es manchmal zu einem Mangel an Medikamenten. Deshalb werden Patienten an private Apotheken verwiesen, um diverse Medikamente selbst zu kaufen. Untersuchungen und Laborleistungen sind in den staatlichen Krankenhäusern - 107 - generell kostenlos (IOM 2018). Gemäß Daten aus dem Jahr 2017 waren 76% der in Afghanistan getätigten Gesundheitsausgaben sogenannte „Out-of-pocket“-Zahlungen durch Patienten (WB o.D.b). Berichten von UNOCHA zufolge haben rund 10 Millionen Menschen in Afghanistan keinen oder nur eingeschränkten Zugang zu medizinischer Grundversorgung. Viele Afghanen suchen, wenn möglich, privat geführte Krankenhäuser und Kliniken auf. Die Kosten von Diagnose und Behandlung dort variieren stark und müssen von den Patienten selbst getragen werden. Daher ist die Qualität der Gesundheitsbehandlung stark einkommensabhängig (AA 16.07.2020). Berichten zufolge können Patienten in manchen öffentlichen Krankenhäusern aufgefordert werden, für Medikamente, ärztliche Leistungen, Laboruntersuchungen und stationäre Behandlungen zu bezahlen. Medikamente sind auf jedem afghanischen Markt erwerbbar, die Preise variieren je nach Marke und Qualität des Produktes. Die Kosten für Medikamente in staatlichen Krankenhäusern weichen vom lokalen Marktpreis ab. Privatkrankenhäuser gibt es zumeist in größeren Städten wie Kabul, Jalalabad, Mazar-e Sharif, Herat und Kandahar. Die Behandlungskosten in diesen Einrichtungen variieren (STDOK 4.2018). 90% der medizinischen Versorgung in Afghanistan werden nicht direkt vom Staat zur Verfügung gestellt, sondern von nationalen und internationalen NGOs, die über ein Vertragssystem beauftragt werden. Über dieses Vertragssystem wird sowohl primäre, als auch sekundäre und tertiäre medizinische Versorgung zur Verfügung gestellt. Allerdings mangelt es an Investitionen in medizinische Infrastruktur. Der Bauzustand vieler Kliniken ist schlecht. Während in den Städten ein ausreichendes Netz von Krankenhäusern und Kliniken besteht, ist es in den ländlichen Gebieten für viele Afghanen schwierig, eine Klinik oder ein Krankenhaus zu erreichen (AA 16.07.2020). Um die Gesundheitsversorgung der afghanischen Bevölkerung in den nördlichen Provinzen nachhaltig zu verbessern, zielen Vorhaben im Rahmen des zivilen Wiederaufbaus auch auf den Ausbau eines adäquaten Gesundheitssystems ab - mit moderner Krankenhausinfrastruktur, Krankenhausmanagementsystemen sowie qualifiziertem Personal. Zwischen 2009 und 2018 wurden insgesamt 65 Krankenhäuser und Gesundheitseinrichtungen gebaut oder renoviert. Neben verbesserten diagnostischen Methoden kommen auch innovative Technologien wie z.B. Telemedizin zum Einsatz (STDOK 4.2018). Innerhalb des Jahres 2019 wurde Gesundheitszentren im ganzen Land gebaut sowie Unterprojekte unter dem Projekt der Weltbank „SEHATMANDI" implementiert (RA KBL 20.10.2020). Das Entwicklungsziel des SEHATMANDI-Projekts für Afghanistan besteht darin, die Nutzung und Qualität der Gesundheits-, Ernährungs- und Familienplanungsdienste zu verbessern. Das Projekt besteht aus drei Komponenten. Die erste Komponente, die Verbesserung der Leistungserbringung, dient der Finanzierung leistungsbezogener Verträge zur Bereitstellung des Basispakets von Gesundheitsdiensten (BPHS) und des wesentlichen Pakets von Krankenhausdienstleistungen (EPHS) in 31 Provinzen. Die zweite Komponente, die Stärkung des Gesundheitssystems und seiner Leistung, wird einen systematischen organisierten Ansatz unterstützen, der darauf abzielt, im Gesundheitsministerium (MOPH) und bei den Interessengruppen eine Kultur des Leistungsmanagements zu etablieren. Die dritte Komponente, die Stärkung der Nachfrage und der Rechenschaftspflicht der Gemeinschaft für wichtige Gesundheitsdienste, wird eine Reihe von Aktivitäten finanzieren, die von Kommunikationskampagnen zur Steigerung des allgemeinen Bewusstseins für Gesundheitsrechte wie auch für spezifische Gesundheitsverhaltensweisen reichen, um das MOPH und die Leistungserbringer dabei zu unterstützen, besser auf die Gesundheitsbedürfnisse der Gemeinschaft einzugehen (WB o.D.c.). Im Rahmen eines MoU (Memorandum of Understanding) zwischen dem Gesundheitsministerium und drei indischen Privatunternehmen am 16.06.2020 im Wert von 12,5 Millionen Dollar wurde der Bau von zwei Gesundheitszentren und einer pharmazeutischen Fabrik in Afghanistan vereinbart. Außerdem wurden im vergangenen Jahr die Vereinbarungen für den Bau eines Gesundheitszentrums in Kabul und 53 Gesundheitszentren in den Provinzen Kandahar und Helmand unterzeichnet. Darüber hinaus übernahm Aga Khan Health Services (AKHS) als Teilprojekt im Rahmen des nationalen Projekts (SEHATMANDI) im Februar 2019 die Verwaltung der Gesundheitseinrichtungen in den Provinzen Bamyan und Badakhshan bis Juni 2021 auf der Grundlage einer leistungsabhängigen Bezahlung. Im Januar 2019 erhielt das Schwedische Komitee für Afghanistan (SCA) den neuen SEHATMANDI-Vertrag zur Durchführung von Interventionen des Basispakets der Gesundheitsdienste (BPHS) und des Essential Package of Health Services (EPHS) in der afghanischen Provinz Wardak bis zum 30.06.2021 (RA KBL 20.10.2020). Auch die Sicherheitslage hat erhebliche Auswirkungen auf die medizinische Versorgung. WHO und USAID zählten 2019 insgesamt 275 Angriffe auf Gesundheitseinrichtungen, die zu Schließungen der Einrichtungen führten. Nur 34 Einrichtungen konnten zwischenzeitlich wieder öffnen. 2019 kamen es zu 20 Tötungen, 31 Verwundungen und 31 Entführungen an medizinischem Personal. Dieser Trend setzt sich 2020 fort (AA 16.07.2020). So gab es zwischen Jänner und August 2020 30 Angriffe auf Gesundheitseinrichtungen (WHO 8.2020). - 108 -

Zugangsbedingungen für Frauen Vor allem in den Bereichen Mütter- und Kindersterblichkeit kam es zu erheblichen Verbesserungen. Im Bereich Säuglingssterblichkeit hat Afghanistan aber weiterhin die weltweit dritthöchste Sterblichkeitsrate (AA 16.07.2020). Afghanistan bleibt damit einer der gefährlichsten Geburtsorte der Welt (MS o.D.). Geburten finden zunehmend in medizinischen Einrichtungen, bzw. unter Betreuung von ausgebildetem medizinischem Personal statt, und auch die Nachversorgung nach Geburten hat zugenommen. Während die Mehrheit der Frauen im städtischen Raum bei der Geburt durch geschultes Personal betreut wird, trifft dies in ländlichen Gebieten allerdings immer noch auf weniger als die Hälfte der Geburten zu (NSIA 2018). Frauen sind beim Zugang zur Gesundheitsversorgung mit spezifischen Problemen konfrontiert, darunter beispielsweise einem geringen Wissen über Gesundheitsprobleme, einer niedrigen Alphabetisierungsrate (AAN 02.12.2014), Einschränkungen in ihrer Bewegungsfreiheit und einem beschränkten Zugang zu finanziellen Mitteln (AAN 02.12.2014; vgl. UNOCHA 17.12.2019, STDOK 13.06.2019). Verbote von medizinischen Untersuchungen von Patientinnen durch männliches medizinisches Personal wirken sich aufgrund des niedrigeren Anteils von Frauen in medizinischen Berufen negativ auf den Zugang von Frauen zu medizinischen Leistungen aus (UNOCHA 17.12.2019). Gemäß afghanischen Gesellschaftsnormen sollten Frauen von Ärztinnen untersucht werden. Es kommt somit zu Einschränkungen bei der Gesundheitsversorgung von Frauen, wenn keine Ärztinnen verfügbar sind. Manche Frauen konsultieren in den Dörfern oder Distrikten allerdings unter Umständen auch Ärzte. Einschränkungen bei der Bewegungsfreiheit wirken sich auch auf den Zugang zur Gesundheitsversorgung aus: In Gebieten unter Talibankontrolle ist es für Frauen unter Umständen nicht möglich, zum Arzt zu gelangen (STDOK 21.07.2020). Afghanistan gehört zu den wenigen Ländern, in welchen die Selbstmordrate von Frauen höher ist als die von Männern. Die weite Verbreitung psychischer Erkrankungen unter Frauen wird von Experten mit den rigiden kulturellen Einschränkungen, welchen Frauen unterworfen sind und welche ihr Leben weitgehend auf das eigene Heim beschränken, in Verbindung gebracht (BDA 18.12.2018). Medizinische Versorgung in der Städten Kabul, Herat und Mazar-e Sharif Kabul: Das Rahman Mina Hospital im Kabuler Bezirk Kart-e-Naw (Police District (PD) 8), wurde renoviert. Das Krankenhaus versorgt rund 130.000 Personen in seiner Umgebung und verfügt über 30 Betten. Pro Tag wird es von rund 900 Patienten besucht. Das staatliche Jamhoriat Hospital in Kabul verfügt über eine Kapazität von 350 Betten (RA KBL 20.10.2020) Der größte Teil der Notfallmedizin in Kabul wird von der italienischen NGO Emergency angeboten. Emergency führt spezialisierte Notfallbehandlungen durch, welche die staatlichen allgemeinmedizinischen Einrichtungen nicht anbieten können, und behandelt sowohl die lokale Bevölkerung als auch Patienten, welche von außerhalb Kabuls kommen (Emergency o.D.; vgl. WHO 4.2018). Mit 20.10.2020 ist die NGO immer noch in Betrieb (RB KBL 20.10.2020). Herat: Das Jebrael-Gesundheitszentrum im Nordwesten der Stadt Herat bietet für rund 60.000 Menschen im dicht besiedelten Gebiet mit durchschnittlich 300 Besuchern pro Tag grundlegende Gesundheitsdienste an, von denen die meisten die Impf- und allgemeinen ambulanten Einheiten aufsuchen (WB 01.11.2016). Laut dem Provinzdirektor für Gesundheit in Herat verfügte die Stadt im April 2017 über 65 private Gesundheitskliniken (TN 07.04.2017) unter anderem das staatliche Herat Regional Hospital (RA KBL 20.10.2020). Die Anwohner von Herat beklagen jedoch, dass „viele private Gesundheitszentren die Gesundheitsversorgung in ein Unternehmen umgewandelt haben.“ Auch wird die geringe Qualität der Medikamente, fehlende Behandlungsmöglichkeiten und die Fähigkeit der Ärzte, Krankheiten richtig zu diagnostizieren, kritisiert. Infolgedessen entscheidet sich eine Reihe von Heratis für eine Behandlung im Ausland (TN 07.04.2017). Mazar-e Sharif: In der Stadt Mazar-e Sharif gibt es zwischen 10 und 15 Krankenhäuser; dazu zählen sowohl private als auch öffentliche Anstalten. In Mazar-e Sharif existieren mehr private als öffentliche Krankenhäuser. Private Krankenhäuser sind sehr teuer; jede Nacht ist kostenpflichtig. Zusätzlich existieren etwa 30-50 medizinische Gesundheitskliniken; 20% dieser Gesundheitskliniken finanzieren sich selbst, während 80% öffentlich finanziert sind (STDOK 4.2018). Das Regionalkrankenhaus Balkh ist die tragende Säule medizinischer Dienstleistungen in Nordafghanistan; selbst aus angrenzenden Provinzen werden Patienten in dieses Krankenhaus überwiesen. Für das durch einen Brand zerstörte Hauptgebäude des Regionalkrankenhauses Balkh im Zentrum von Mazar-e Sharif wurde ein neuer Gebäudekomplex mit 360 Betten, 21 Intensivpflegeplätzen, sieben Operationssälen und Einrichtungen für Notaufnahme, Röntgen- und Labordiagnostik sowie telemedizinischer Ausrüstung errichtet. Zusätzlich kommt dem Krankenhaus als akademisches Lehrkrankenhaus mit einer angeschlossenen Krankenpflege- und Hebammenschule eine Schlüsselrolle bei der Ausbildung des medizinischen und pflegerischen Nachwuchses zu. Die Universität Freiburg (Deutschland) und die Mashhad Universität (Iran) sind Ausbildungspartner dieses - 109 -

Krankenhauses (STDOK 4.2018; vgl. RA KBL 20.10.2020). Balkh gehörte bei einer Erhebung von 2016/2017 zu den Provinzen mit dem höchsten Anteil an Frauen, welche einen Zugang zu Gesundheitseinrichtungen haben (CSO 2018). Weitere Beispiele für staatliche Krankenhäuser im Hinblick auf die Anzahl der Betten in anderen Provinzen: Nangarhar: General Hospital of Public Health (550 Betten) (RA KBL 20.10.2020) • Kandahar: Mirwais Nika Hospital (350 Betten) (RA KBL 20.10.2020) • Helmand: Bast Hospital (250 Betten) (RA KBL 20.10.2020) • Bamiyan: Bamiyan Central Hospital (140 Betten) (RA KBL 20.10.2020) • Parwan: Parwan 100 Beds Public Hospital (100 Betten) (RA KBL 20.10.2020) Es folgt eine Liste einiger Kontaktdaten staatlicher Krankenhäuser: • Ali Abad Krankenhaus: Kart-e Sakhi, Jamal Mina, Kabul University Road, Kabul, Tel.: +93 (0)20 2510 355 (RA KBL 20.10.2020) • Antani Krankenhaus für Infektionskrankheiten: Salang Watt, District 2, Kabul, Tel.: +93 (0)20 2201 372 (LN o.D.; vgl. RA KBL 20.10.2020) • Ataturk Kinderkrankenhaus: BehildAliabaad (in der Nähe von der Kabul University), District 3, Kabul, Tel.: +93 (0)75 2001893 / +93 (0)20 250 0312 (LN o.D.; vgl. RA KBL 20.10.2020) • Indira Ghandi Children Hospital: Wazir Akbar Khan, Kabul. Tel.: 020-230-2282 (IOM 2018; AT 17.9.2015, RA KBL 20.10.2020 • Istiqlal/Esteqlal Krankenhaus: District 6, Kabul, Tel.: +93 (0)20 2500674 (LN o.D.; vgl. RA KBL 20.10.2020) • Ibne Sina Notfallkrankenhaus: Pull Artal, District 1, Kabul, Tel.: +93 (0)202100359 (LN o.D.; vgl. RA KBL 20.10.2020) • Jamhoriat Krankenhaus: Former Ministry of Interior Road, Sidarat Square, District 2, Kabul Tel: +93 (0)20 220 1373/1375 (RA KBL 20.20.2020) • Karte Sae Mental Hospital: Karte sae Serahi Allaudding, PD-6, Tel.: +93(0)20 2500342 (RA KBL 20.10.2020) • Malalai Maternity Hospital: Malalai Watt, Shahre Naw, Kabul, Tel.: +93(0)20 2201 377 (LN o.D.; vgl. RA KBL 20.10.2020) • Noor Eye Krankenhaus: Cinema Pamir, Kabul, Tel.: +93 (0)20 2100 446 (LN o.D.; vgl. IAM o.D., RA KBL 20.10.2020) • Rabia-i-Balki Maternity Hospital: Frosh Gah, District 2, Kabul, Tel.: +93(0)20 2104508, +93(0)799321007 (RA KBL 20.10.2020) • Wazir Akbar Khan Krankenhaus: Wazir Akbar Khan, Kabul, Tel.: ++93(0)20 230 1360 (RA KBL 20.10.2020) • Herat Regionalkrankenhaus: Khaja Ali Movafaq Rd, Herat (PAJ 3.8.2017; vgl. RA KBL 20.10.2020) • Mirwais Nika Krankenhaus in Kandahar, Tel.: +93 (0)79 146 4237 (ICRC 28.1.2018; vgl. ICRC 3.2.2017, RA KBL 20.10.2020) Es gibt zahlreiche private Kliniken, die auf verschiedene medizinische Fachbereiche spezialisiert sind. Es folgt eine Liste einiger Kontaktdaten privater Gesundheitseinrichtungen: • Amiri Krankenhaus: Red Crescent, 5 h Phase, Qragha Road, Kabul, Tel.: +93 (0)20 256 3555 (IOM 5.2.2018; vgl. RA KBL 20.10.2020) • Sayed Jamaluding Psychiatric Hospital, Khoshal Mina section 1, Tel.: 93 799 128,737 (IOM 2018; vgl. IOM 2019, RA KBL 20.10.2020) • Shfakhanh Maljoy Frdos/Ferdows: Chahr Qala-e-Chahardihi Road, Kabul, Tel.: +93 (0)70 017 3124 (Cybo o.D.; vgl. RA KBL 20.10.2020) • Khair Khwa Medical Complex: Qala Najar Ha, Kabul, Tel.: +93 (0)72 988 0850 (KMC o.D.; vgl. RA KBL 20.10.2020) • DK - German Medical Diagnostic Center: Ansari Square, 3d Street, Shahr-e Nau, Kabul, Tel.: +93 (0)70 606 0141 (MK o.D.; vgl. RA KBL 20.10.2020) • French Medical Institute for Mothers and Children: Hinter der Kabul University, Aliabad, Kabul, Tel.: +93(0)79 107 0000 (RA KBL 20.10.2020) • Loqmah Hakim: Bagh-e Azadi Ave, Herat, Tel.: +93(0)799 40 4000 (RA KBL 20.10.2020) • Alemi Krankenhaus: Mazar-e Sharif (STDOK Staatendokumentation 4.2018; vgl. RA KBL 20.10.2020) Anmerkung: Zur medizinischen Versorgung bei psychischen Erkrankungen s. auch Kapitel 21.1 Psychische Erkrankungen. COVID-19 Laut einer vom afghanischen Gesundheitsministerium (Afghan MoPH) durchgeführten Umfrage hatten mit Juli 2020 35% der Menschen in Afghanistan seit März 2020 Anzeichen und Symptome von COVID-19 (IOM 23.09.2020). Nach offiziellen Zahlen der Johns-Hopkins-Universität waren mit 22.09.2020 39.074 Personen - 110 - positiv auf COVID-19 getestet worden (IOM 23.09.2020; vgl. JHU 22.09.2020). Bis 02.09.2020 wurden insgesamt 103.722 Tests durchgeführt (IOM 23.09.2020). Einige der Regional- und Provinzkrankenhäuser in den Großstädten wurden im Hinblick auf COVID 19 mit Test- und Quarantäneeinrichtungen ausgestattet. Menschen mit Anzeichen von COVID-19 werden getestet und die schwer Infizierten im Krankenhaus in Behandlung genommen. Die Kapazität solcher Krankenhäuser ist jedoch aufgrund fehlender Ausrüstung begrenzt. In den anderen Provinzen schicken die Gesundheitszentren, die nicht über entsprechende Einrichtungen verfügen, die Testproben in die Hauptstadt und geben die Ergebnisse nach sechs bis zehn Tagen bekannt. Im Großteil der Krankenhäuser werden nur grundlegende Anweisungen und Maßnahmen empfohlen, es gibt keine zwingenden Vorschriften, und selbst die Infizierten erfahren nur grundlegende und normale Behandlung (RA KBL 20.10.2020). 23.1 Psychische Erkrankungen Letzte Änderung: 16.12.2020 Innerhalb der afghanischen Bevölkerung leiden viele Menschen an unterschiedlichen psychischen Erkrankungen. Die afghanische Regierung ist sich der Problematik bewusst und hat mentale Gesundheit als Schwerpunkt gesetzt, doch der Fortschritt ist schleppend und die Leistungen außerhalb Kabuls dürftig (STDOK 4.2018). Gemäß der „Nationalen Strategie für psychische Gesundheit 2019-2023“ erhalten weniger als 10% der Bevölkerung die für die Behandlung ihrer psychischen Erkrankungen erforderlichen medizinischen Leistungen (MoPH o.D.; vgl. AOVA 01.10.2020, HRW 07.10.2019) und nur ein psychosozialer Berater steht für je 46.000 Menschen zur Verfügung (MoPH o.D.; vgl. HRW 07.10.2019). Das Ziel der „Nationalen Strategie für psychische Gesundheit 2019-2023“, die vom Ministerium für öffentliche Gesundheit (MoPH) entwickelt wurde, ist es, sich der psychischen Erkrankungen in der afghanischen Gesellschaft anzunehmen und durch diese Strategie qualitativ hochwertige psychische und psychosoziale Versorgung und Dienste für alle Bürgerinnen und Bürger bereitzustellen, wobei der Schwerpunkt auf den psychischen Gesundheitsbedürfnissen der armen, unterversorgten, benachteiligten und gefährdeten Bevölkerungsgruppen liegt. Diese Dienste werden evidenzbasiert und gemeinwesenorientiert sein und werden auf allen Versorgungsebenen von qualifiziertem und motiviertem Personal erbracht sowie dem Zeitplan nach in allen Provinzen umgesetzt (MoPH o.D.; vgl. RA KBL 20.10.2020). In der afghanischen Gesellschaft werden Menschen mit körperlichen oder psychischen Behinderungen als schutzbedürftig betrachtet. Sie sind Teil der Familie und werden - genauso wie Kranke und Alte - gepflegt. Daher müssen körperlich und geistig Behinderte sowie Opfer von Missbrauch eine starke familiäre und gesellschaftliche Unterstützung sicherstellen (STDOK 4.2018). Die Behandlung von psychischen Erkrankungen - insbesondere Kriegstraumata - findet, abgesehen von einzelnen Projekten von NGOs, nach wie vor nicht in ausreichendem Maße statt. Es gibt keine formelle Aus- oder Weiterbildung zur Behandlung psychischer Erkrankungen (AA 16.07.2020). Neben Problemen beim Zugang zu Behandlungen bei psychischen Erkrankungen, bzw. dem Mangel an spezialisierter Gesundheitsversorgung, sind falsche Vorstellungen der Bevölkerung über psychische Erkrankungen ein wesentliches Problem (BDA 18.12.2018). Psychische Erkrankungen sind in Afghanistan hoch stigmatisiert (AA 16.07.2020, vgl. BDA 18.12.2018). Die Infrastruktur für die Bedürfnisse mentaler Gesundheit entwickelt sich langsam; so existieren z.B. in Mazar-e Sharif ein privates neuropsychiatrisches Krankenhaus (Alemi Hospital) und ein öffentliches psychiatrisches Krankenhaus. In Kabul existiert eine weitere psychiatrische Klinik (STDOK 4.2018). Zwar sieht das Basic Package of Health Services (BPHS) psychosoziale Beratungsstellen innerhalb der Gemeindegesundheitszentren vor, jedoch ist die Versorgung der Bevölkerung mit psychiatrischen oder psychosozialen Diensten aufgrund des Mangels an ausgebildeten Psychiatern, Psychologen, psychiatrisch ausgebildeten Krankenschwestern und Sozialarbeitern schwierig. Die WHO geht davon aus, dass in ganz Afghanistan im öffentlichen, wie auch privaten Sektor insgesamt 320 Spitäler existieren, an welche sich Personen mit psychischen Problemen wenden können (BDA 18.12.2018). Wie auch in anderen Krankenhäusern Afghanistans ist eine Unterbringung im Kabuler Krankenhaus von Patienten grundsätzlich nur möglich, wenn sie durch Familienangehörige oder Bekannte mit Nahrungsmitteln, Kleidung und Hygieneartikeln versorgt werden (AA 16.07.2020). So werden Patienten bei stationärer Behandlung in psychiatrischen Krankenhäusern in Afghanistan nur in Begleitung eines Verwandten aufgenommen. Der Verwandte muss sich um den Patienten kümmern und für diesen beispielsweise Medikamente und Nahrungsmittel kaufen. Zudem muss der Angehörige den Patienten gegebenenfalls vor anderen Patienten beschützen, oder im umgekehrten Fall bei aggressivem Verhalten des Verwandten die übrigen Patienten schützen. Die Begleitung durch ein Familienmitglied ist in allen psychiatrischen Einrichtungen Afghanistans aufgrund der allgemeinen Ressourcenknappheit bei der Pflege der Patienten notwendig. Aus diesem Grund werden Personen ohne einen Angehörigen selbst in Notfällen in psychiatrischen Krankenhäusern nicht stationär aufgenommen (IOM 24.04.2019). - 111 -

Die Internationale Psycho-Soziale Organisation (IPSO) bietet Menschen in Kabul Beratungsdienste zu psychosozialen und psychischen Gesundheitsfragen an (IPSO o.D.; vgl. RA KBL 20.10.2020), und Peace of Mind Afghanistan ist eine nationale Kampagne zur Sensibilisierung für psychische Gesundheit, die Botschaften und Instrumente zum psychischen Wohlbefinden verbreitet (PoMA o.D.; vgl. RA KBL 20.10.2020). In folgenden Krankenhäusern kann man außerdem Therapien bei Persönlichkeits- und Stressstörungen erhalten: Mazar-e -Sharif Regional Hospital: Darwazi Balkh; in Herat das Regional Hospital und in Kabul das Karte Sae Mental Hospital. Wie bereits erwähnt gibt es ein privates psychiatrisches Krankenhaus in Kabul, aber keine spezialisierten privaten Krankenhäuser in Herat oder Mazar-e Sharif. Dort gibt es lediglich Neuropsychiater in einigen privaten Krankenhäusern (wie dem Luqman Hakim Private Hospital), die sich um diese Art von Patienten tagsüber kümmern (IOM 26.04.2019). In Mazare-e Sharif existieren z.B. ein privates neuropsychiatrisches Krankenhaus (Alemi Hospital) und ein öffentliches psychiatrisches Krankenhaus (STDOK 4.2018). Anmerkung: Weiterführende Informationen können unter anderem dem FFM Bericht Afghanistan 4.2018 und der Analyse Herat 13.06.2019 entnommen werden. [...] 24 Rückkehr

Letzte Änderung: 16.12.2020

In den letzten zehn Jahren sind Millionen von Migranten und Flüchtlingen nach Afghanistan zurückgekehrt. Während der Großteil der Rückkehrer aus den Nachbarländern Iran und Pakistan kommt, sinken die Anerkennungsquoten für Afghanen im Asylbereich in der Europäischen Union, und die Zahl derer, die freiwillig, unterstützt und zwangsweise nach Afghanistan zurückkehren, nimmt zu (MMC 1.2019). Die schnelle Ausbreitung des COVID-19 Virus in Afghanistan hat starke Auswirkungen auf die Vulnerablen unter der afghanischen Bevölkerung, einschließlich der Rückkehrer, da sie nur begrenzten Zugang zu grundlegenden Dienstleistungen, insbesondere zur Gesundheitsversorgung, haben und zudem aufgrund der landesweiten Abriegelung Einkommens- und Existenzverluste hinnehmen müssen (IOM 07.05.2020).

Von 01.01.2020 bis 12.09.2020 sind 527.546 undokumentierter Afghanen aus Iran (523.196) und Pakistan (4.350) nach Afghanistan zurückgekehrt - in der Woche vom 06.09.2020 bis 12.09.2020 waren es ca. 21.500 undokumentierte Rückkehrer (UNHCR 17.09.2020). Im gesamten Jahr 2018 kehrten, im Vergleich dazu, aus den beiden Ländern insgesamt 805.850 nach Afghanistan zurück: 773.125 (laut AA 775.000) aus Iran und 32.725 (laut AA 46.000) aus Pakistan (IOM 05.01.2019, vgl. AA 16.07.2020). Die Anzahl der seit 01.01.2020 bis 31.07.2020 von IOM unterstützten Rückkehrer aus Iran (53.595) und Pakistan (1.731) beläuft sich auf 55.326 (IOM 29.08.2020).

Die freiwillige Rückkehr nach Afghanistan ist aktuell (Stand 24.09.2020) über den Luftweg möglich. Es gibt internationale Flüge nach Kabul, Mazar-e Sharif und Kandahar (IOM 23.09.2020; vgl. Flightradar 24.09.2020). Es sei darauf hingewiesen, dass diese Flugverbindungen unzuverlässig sind - in Zeiten einer Pandemie können Flüge gestrichen oder verschoben werden (IOM 23.09.2020).

Seit 12.08.2020 ist der Spin Boldak Grenzübergang an der pakistanischen Grenze sieben Tage in der Woche für Fußgänger und Lastkraftwagen geöffnet (UNHCR 12.09.2020). Der pakistanische Grenzübergang in Torkham ist montags und dienstags für Rückkehrbewegungen nach Afghanistan und zusätzlich am Samstag für undokumentierte Rückkehrer und andere Fußgänger geöffnet (UNHCR 12.09.2020).

Die Wiedervereinigung mit der Familie wird meist zu Beginn von Rückkehrern als positiv empfunden und ist von großer Wichtigkeit im Hinblick auf eine erfolgreiche Reintegration (MMC 1.2019; vgl. IOM KBL 30.04.2020, Reach 10.2017). Ohne familiäre Netzwerke kann es sehr schwer sein, sich selbst zu erhalten, da in Afghanistan vieles von sozialen Netzwerken abhängig ist. Eine Person ohne familiäres Netzwerk ist jedoch die Ausnahme, und einige wenige Personen verfügen über keine Familienmitglieder in Afghanistan, da diese entweder nach Iran, Pakistan oder weiter nach Europa migrierten (IOM KBL 30.04.2020; vgl. Seefar 7.2018). Der Reintegrationsprozess der Rückkehrer ist oft durch einen schlechten psychosozialen Zustand charakterisiert. Viele Rückkehrer sind weniger selbsterhaltungsfähig als die meisten anderen Afghanen. Rückkehrerinnen sind von diesen Problemen im Besonderen betroffen (MMC 1.2019). - 112 -

Auch wenn scheinbar kein koordinierter Mechanismus existiert, der garantiert, dass alle Rückkehrer die Unterstützung erhalten, die sie benötigen, und dass eine umfassende Überprüfung stattfindet, können Personen, die freiwillig oder zwangsweise nach Afghanistan zurückgekehrt sind, dennoch verschiedene Unterstützungsformen in Anspruch nehmen (STDOK 4.2018; vgl. STDOK 14.07.2020; IOM AUT 23.01.2020). Für Rückkehrer leisten UNHCR und IOM in der ersten Zeit Unterstützung. Bei der Anschlussunterstützung ist die Transition von humanitärer Hilfe hin zu Entwicklungszusammenarbeit nicht immer lückenlos. Wegen der hohen Fluktuation im Land und der notwendigen Zeit der Hilfsorganisationen, sich darauf einzustellen, ist Hilfe nicht immer sofort dort verfügbar, wo Rückkehrer sich niederlassen. UNHCR beklagt zudem, dass sich viele Rückkehrer in Gebieten befinden, die für Hilfsorganisationen aufgrund der Sicherheitslage nicht erreichbar sind (AA 16.07.2020).

Soziale, ethnische und familiäre Netzwerke sind für einen Rückkehrer unentbehrlich (IOM KBL 30.04.2020; vgl. MMC 1.2019, Reach 10.2017). Der Großteil der nach Afghanistan zurückkehrenden Personen verfügt über ein familiäres Netzwerk (STDOK 13.06.2019, IOM KBL 30.04.2020), auf das in der Regel zurückgegriffen wird. Wegen der schlechten wirtschaftlichen Lage, den ohnehin großen Familienverbänden und individuellen Faktoren ist diese Unterstützung jedoch meistens nur temporär und nicht immer gesichert (STDOK 13.06.2019). Neben der Familie als zentrale Stütze der afghanischen Gesellschaft kommen noch weitere wichtige Netzwerke zum Tragen, wie z.B. der Stamm, der Clan und die lokale Gemeinschaft. Diese basieren auf Zugehörigkeit zu einer Ethnie, Religion oder anderen beruflichen Netzwerken (Kollegen, Mitstudierende etc.) sowie politische Netzwerke usw. Die unterschiedlichen Netzwerke haben verschiedene Aufgaben und unterschiedliche Einflüsse - auch unterscheidet sich die Rolle der Netzwerke zwischen den ländlichen und städtischen Gebieten. Ein Netzwerk ist für das Überleben in Afghanistan wichtig. So sind manche Rückkehrer auf soziale Netzwerke angewiesen, wenn es ihnen nicht möglich ist, auf das familiäre Netz zurückzugreifen. Ein Mangel an Netzwerken stellt eine der größten Herausforderungen für Rückkehrer dar, was möglicherweise zu einem neuerlichen Verlassen des Landes führen könnte. Die Rolle sozialer Netzwerke - der Familie, der Freunde und der Bekannten - ist für junge Rückkehrer besonders ausschlaggebend, um sich an das Leben in Afghanistan anzupassen. Sollten diese Netzwerke im Einzelfall schwach ausgeprägt sein, kann die Unterstützung verschiedener Organisationen und Institutionen in Afghanistan in Anspruch genommen werden (STDOK 4.2018).

Rückkehrer aus dem Iran und aus Pakistan, die oft über Jahrzehnte in den Nachbarländern gelebt haben und zum Teil dort geboren wurden, sind in der Regel als solche erkennbar. Offensichtlich sind sprachliche Barrieren, von denen vor allem Rückkehrer aus dem Iran betroffen sind, weil sie Farsi (die iranische Landessprache) oder Dari (die afghanische Landessprache) mit iranischem Akzent sprechen. Zudem können fehlende Vertrautheit mit kulturellen Besonderheiten und sozialen Normen die Integration und Existenzgründung erschweren. Das Bestehen sozialer und familiärer Netzwerke am Ankunftsort nimmt auch hierbei eine zentrale Rolle ein. Über diese können die genannten Integrationshemmnisse abgefedert werden, indem die erforderlichen Fähigkeiten etwa im Umgang mit lokalen Behörden sowie sozial erwünschtes Verhalten vermittelt werden und für die Vertrauenswürdigkeit der Rückkehrer gebürgt wird (AA 16.07.2020). UNHCR verzeichnete jedoch nicht viele Fälle von Diskriminierung afghanischer Rückkehrer aus dem Iran und Pakistan aufgrund ihres Status als Rückkehrer. Fast ein Viertel der afghanischen Bevölkerung besteht aus Rückkehrern. Diskriminierung beruht in Afghanistan großteils auf ethnischen und religiösen Faktoren sowie auf dem Konflikt (STDOK 13.06.2019).

Rückkehrer aus Europa oder dem westlichen Ausland werden von der afghanischen Gesellschaft häufig misstrauisch wahrgenommen. Dem deutschen Auswärtigen Amt sind jedoch keine Fälle bekannt, in denen Rückkehrer nachweislich aufgrund ihres Aufenthalts in Europa Opfer von Gewalttaten wurden (AA 16.07.2020) und auch IOM Kabul sind keine solchen Vorkommnisse bekannt (IOM KBL 30.04.2020) Andere Quellen geben jedoch an, dass es zu tätlichen Angriffen auf Rückkehrer gekommen sein soll (STDOK 10.2020; vgl. Seefar 7.2018), wobei dies auch im Zusammenhang mit einem fehlenden Netzwerk vor Ort gesehen wird (Seefar 7.2018). UNHCR berichtet von Fällen zwangsrückgeführter Personen aus Europa, die von religiösen Extremisten bezichtigt werden, verwestlicht zu sein; viele werden der Spionage verdächtigt. Auch glaubt man, Rückkehrer aus Europa wären reich und sie würden die Gastgebergemeinschaft ausnutzen. Wenn ein Rückkehrer mit im - 113 -

Ausland erlangten Fähigkeiten und Kenntnissen zurückkommt, stehen ihm mehr Arbeitsmöglichkeiten zur Verfügung als den übrigen Afghanen, was bei der hohen Arbeitslosigkeit zu Spannungen innerhalb der Gemeinschaft führen kann (STDOK 13.06.2019).

Haben die Rückkehrer lange Zeit im Ausland gelebt oder haben sie zusammen mit der gesamten Familie Afghanistan verlassen, ist es wahrscheinlich, dass lokale Netzwerke nicht mehr existieren oder der Zugang zu diesen erheblich eingeschränkt ist. Dies kann die Reintegration stark erschweren. Der Mangel an Arbeitsplätzen stellt für den Großteil der Rückkehrer die größte Schwierigkeit dar. Fähigkeiten, die sich Rückkehrer/innen im Ausland angeeignet haben, können eine wichtige Rolle bei der Arbeitsplatzsuche spielen (STDOK 21.07.2020; vgl. STDOK 13.06.2020, STDOK 4.2018). Der Zugang zum Arbeitsmarkt hängt maßgeblich von lokalen Netzwerken ab (AA 16.07.2020; vgl. IOM KBL 30.04.2020, STDOK 10.2020). Die afghanische Regierung kooperiert mit UNHCR, IOM und anderen humanitären Organisationen, um IDPs, Flüchtlingen, rückkehrenden Flüchtlingen und anderen betroffenen Personen Schutz und Unterstützung zu bieten. Die Fähigkeit der afghanischen Regierung, vulnerable Personen einschließlich Rückkehrer aus Pakistan und dem Iran zu unterstützen, bleibt begrenzt und ist weiterhin von der Hilfe der internationalen Gemeinschaft abhängig (USDOS 11.03.2020). Moscheen unterstützen in der Regel nur besonders vulnerable Personen und für eine begrenzte Zeit. Für Afghanen, die im Iran geboren oder aufgewachsen sind und keine Familie in Afghanistan haben, ist die Situation problematisch. Deshalb versuchen sie in der Regel, so bald wie möglich wieder in den Iran zurückzukehren (STDOK 13.06.2019).

Viele afghanische Rückkehrer werden de-facto IDPs, weil die Konfliktsituation sowie das Fehlen an gemeinschaftlichen Netzwerken sie daran hindert, in ihre Heimatorte zurückzukehren (UNOCHA 12.2018). Trotz offenem Werben für Rückkehr sind essenzielle Dienstleistungen wie Bildung und Gesundheit in den grenznahen Provinzen nicht auf einen Massenzuzug vorbereitet (AAN 31.01.2018). Viele Rückkehrer leben in informellen Siedlungen, selbstgebauten Unterkünften oder gemieteten Wohnungen. Die meisten Rückkehrer im Osten des Landes leben in überbelegten Unterkünften und sind von fehlenden Möglichkeiten zum Bestreiten des Lebensunterhaltes betroffen (UNOCHA 12.2018).

Eine Reihe unterschiedlicher Organisationen ist für Rückkehrer und Binnenvertriebene (IDP) in Afghanistan zuständig (STDOK 4.2018). Rückkehrer/innen erhalten Unterstützung von der afghanischen Regierung, den Ländern, aus denen sie zurückkehren, und internationalen Organisationen (z.B. IOM) sowie lokalen Nichtregierungsorganisationen (NGOs). Es gibt keine dezidiert staatlichen Unterbringungen für Rückkehrer (STDOK 4.2018; vgl. Asylos 8.2017).

Unterstützung von Rückkehrer/innen durch die afghanische Regierung

Neue politische Rahmenbedingungen für Rückkehrer und IDPs sehen bei der Reintegration unter anderem auch die individuelle finanzielle Unterstützung als einen Ansatz der „whole of community“ vor. Demnach sollen Unterstützungen nicht nur einzelnen zugutekommen, sondern auch den Gemeinschaften, in denen sie sich niederlassen. Die Rahmenbedingungen sehen eine Grundstücksvergabe vor, jedoch gilt dieses System als anfällig für Korruption und Missmanagement. Es ist nicht bekannt, wie viele Rückkehrer aus Europa Grundstücke von der afghanischen Regierung erhalten haben und zu welchen Bedingungen (STDOK 4.2018).

Die Regierung Afghanistans bemüht sich gemeinsam mit internationalen Unterstützern, Land an Rückkehrer zu vergeben. Gemäß dem 2005 verabschiedeten Land Allocation Scheme (LAS) sollten Rückkehrer und IDPs Baugrundstücke erhalten. Die bedürftigsten Fälle sollten prioritär behandelt werden (Kandiwal 9.2018; vgl. UNHCR 3.2020). Jedoch fanden mehrere Studien Probleme bezüglich Korruption und fehlender Transparenz im Vergabeprozess (Kandiwal 9.2018; vgl. UNAMA 3.2015, AAN 29.03.2016, WB/UNHCR 20.09.2017). Um den Prozess der Landzuweisung zu beginnen, müssen die Rückkehrer einen Antrag in ihrer Heimatprovinz stellen. Wenn dort kein staatliches Land zur Vergabe zur Verfügung steht, muss der Antrag in einer Nachbarprovinz gestellt werden. Danach muss bewiesen werden, dass der Antragsteller bzw. die nächste Familie tatsächlich kein Land besitzt. Dies geschieht aufgrund persönlicher Einschätzung eines Verbindungsmannes und nicht aufgrund von Dokumenten. Hier ist Korruption ein Problem. Je einflussreicher ein Antragsteller ist, desto schneller bekommt er Land zugewiesen (Kandiwal 9.2018). Des Weiteren wurden ein fehlender Zugang zu - 114 -

Infrastruktur und Dienstleistungen wie auch eine weite Entfernung der Parzellen von Erwerbsmöglichkeiten kritisiert. IDPs und Rückkehrer ohne Dokumente sind von der Vergabe von Land ausgeschlossen (IDMC/NRC 2.2014; vgl. Kandiwal 9.2018).

Die afghanische Regierung hat 2017 mit der Umsetzung des Aktionsplans für Flüchtlinge und Binnenflüchtlinge begonnen. Ein neues, transparenteres Verfahren zur Landvergabe an Rückkehrer läuft als Pilotvorhaben an, kann aber noch nicht flächendeckend umgesetzt werden. Erste Landstücke wurden identifiziert, die Registrierung von Begünstigten hat begonnen (AA 16.07.2020).

Anmerkung: Ausführlichere Informationen können dem FFM-Bericht Afghanistan 4.2018 entnommen werden.

Unterstützung durch IOM

Die internationale Organisation für Migration (IOM - International Organization for Migration) unterstützt mit diversen Projekten die freiwillige Rückkehr und Reintegration von Rückkehrern nach Afghanistan. In Bezug auf die Art und Höhe der Unterstützungsleistung muss zwischen unterstützter freiwilliger und zwangsweiser Rückkehr unterschieden werden (STDOK 14.07.2020; vgl. IOM AUT 23.01.2020; STDOK 13.06.2019; STDOK 4.2018). Im Rahmen der unterstützten freiwilligen Rückkehr kann Unterstützung entweder nur für die Rückkehr (Reise) oder nach erfolgreicher Aufnahme in ein Reintegrationsprojekt auch bei der Wiedereingliederung geleistet werden (STDOK 14.07.2020; vgl. IOM AUT 23.01.2020).

IOM Österreich unterstützt auch derzeit Rückkehrer im Rahmen der freiwilligen Rückkehr. Aufgrund des stark reduzierten Flugbetriebs ist die Rückkehr seit April 2020 nur in sehr wenige Länder tatsächlich möglich. Neben der Reiseorganisation bietet IOM Österreich dabei Unterstützung bei der Ausreise am Flughafen Wien Schwechat an (STDOK 14.07.2020).

Anmerkungen: Informationen von IOM zufolge sind IOM-Rückkehrprojekte mit Stand 22.09.2020 auch weiterhin in Afghanistan operativ, können aber aufgrund der COVID-19 Pandemie kurzfristigen Änderungen unterworfen sein (IOM 23.09.2020).

Mit 01.01.2020 startete das durch den AMIF der Europäischen Union und das österreichische Bundesministerium für Inneres kofinanzierte Reintegrationsprojekt RESTART III. Im Unterschied zu den beiden Vorprojekten RESTART und RESTART II steht dieses Projekt ausschließlich Rückkehrern aus Afghanistan zur Verfügung. RESTART III ist wie das Vorgängerprojekt auf drei Jahre, nämlich bis 31.12.2022, ausgerichtet und verfügt über eine Kapazität von 400 Personen. Für alle diese 400 Personen ist neben Beratung und Information - in Österreich sowie in Afghanistan - sowohl die Bargeldunterstützung in der Höhe von 500 Euro wie auch die Unterstützung durch Sachleistungen in der Höhe von 2.800 Euro geplant (STDOK 14.07.2020; vgl. IOM AUT 23.01.2020).

Die Teilnahme am Reintegrationsprojekt von IOM ist an einige (organisatorische) Voraussetzungen gebunden. So stellen Interessenten an einer unterstützen freiwilligen Rückkehr zunächst einen entsprechenden Antrag bei einer den österreichischen Rückkehrberatungseinrichtungen - dem VMÖ (Verein Menschenrechte Österreich) oder der Caritas bzw. in Kärnten auch beim Amt der Kärntner Landesregierung. Die jeweilige Rückkehrberatungsorganisation prüft dann basierend auf einem Kriterienkatalog des BMI, ob die Anforderungen für die Teilnahme durch die Antragssteller erfüllt werden. Für Reintegrationsprojekte ist durch das BMI festgelegt, dass nur Personen an dem Projekt teilnehmen können, die einen dreimonatigen Aufenthalt in Österreich vorweisen können. Es wird hier jedoch auf mögliche Ausnahmen hingewiesen, wie zum Beispiel bei Personen, die im Rahmen der Dublin-Regelung nach Österreich rücküberstellten werden. Des Weiteren sieht die BMI-Regelung vor, dass nur eine Person pro Kernfamilie die Unterstützungsleistungen erhalten kann (STDOK 14.07.2020; vgl. IOM AUT 23.01.2020). Im Anschluss unterstützt die jeweilige Rückkehrberatungseinrichtung den Interessenten beim Antrag auf Kostenübernahme für die freiwillige Rückkehr. Wenn die Teilnahme an dem Reintegrationsprojekt ebenso gewünscht ist, so ist ein zusätzlicher Antrag auf Bewilligung des Reintegrationsprojektes zu stellen. Kommt es in weiterer Folge zu einer Zustimmung des Antrags seitens des BMI, wird ab diesem Zeitpunkt IOM involviert (STDOK 14.07.2020; vgl. IOM AUT 23.01.2020). - 115 -

[Anmerkung: Es besteht auch die Möglichkeit, jederzeit einen Antrag auf freiwillige Rückkehr zu stellen, auch ohne Teilnahme an dem Projekt. Eine Mitarbeiterin von IOM Österreich weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass es hier keine Trennung zwischen freiwilligen und unterstützten Rückkehrern gibt. Grundsätzlich spricht man von unterstützter freiwilliger Rückkehr, und zusätzlich gibt es die Reintegrationsunterstützung bei Projektteilnahme. (IOM AUT 23.01.2020; vgl. STDOK 14.07.2020)]

Neben Beratung und Vorabinformationen ist IOM für die Flugbuchung verantwortlich und unterstützt die Projektteilnehmer auch bei den Abflugmodalitäten. Flüge gehen in der Regel nach Kabul, können auf Wunsch jedoch auch direkt nach Mazar-e Sharif gehen [Anmerkung: Unter Umgehung von Kabul]. Die Reise nach Herat beispielsweise findet in der Regel auf dem Luftweg über Kabul statt (IOM KBL 26.11.2018). Die österreichischen Mitarbeiter unterstützen die Projektteilnehmer beim Einchecken, der Sicherheitskontrolle, der Passkontrolle und begleiten sie bis zum Abflug-Terminal (STDOK 14.07.2020). Teilnehmer am Reintegrationsprojekt RESTART III von IOM landen in der Regel (zunächst) in der afghanischen Hauptstadt Kabul. Dort werden sie von den örtlichen IOM-Mitarbeitern direkt nach Verlassen des Flugzeuges empfangen und bei den Ein- bzw. Weiterreiseformalitäten unterstützt. An den Flughäfen anderer Städte wie Mazar-e Sharif, Kandahar oder Herat gibt es keine derartige Ausnahmeregelung (STDOK 14.07.2020; vgl. IOM KBL 26.11.2018; IOM AUT 23.01.2020).

RESTART sowie die Folgeprojekte RESTART II und RESTART III unterscheiden sich nur minimal voneinander. So ist beispielsweise die Höhe der Barzahlung und auch die Unterstützung durch Sachleistungen gleichgeblieben, wobei im ersten RESTART Projekt und in der ersten Hälfte von RESTART II nur 2.500 Euro in Sachleistung investiert wurden und die restlichen 300 Euro für Wohnbedürfnisse, Kinderbetreuung oder zusätzlich für Bildung zur Verfügung standen. Dies wurde im Verlauf von RESTART II geändert, und es ist nun auch in RESTART III der Fall, sodass die gesamte Summe für eine einkommensgenerierende Tätigkeit verwendet werden kann (STDOK 14.07.2020; vgl. IOM AUT 27.03.2020).

Im Zuge der COVID-19 Pandemie befinden sich IOM-Mitarbeiter in Afghanistan teilweise im Home-Office. Rückkehrer können jedoch weiterhin IOM-Büros kontaktieren, werden jedoch gebeten, persönliche Besuche in IOM-Räumlichkeiten auf ein Minimum zu reduzieren und stattdessen über Telefon oder andere online Tools zu kommunizieren. Virtuelle Beratung wird für Projektteilnehmer sowohl in Afghanistan wie auch in Österreich angeboten (IOM 23.09.2020). Nach Angaben von IOM kann es bei der Entwicklung der einzelnen Projekte aktuell aufgrund der Pandemie zu Verzögerungen und langsamen Entwicklungen kommen (IOM 23.09.2020). Es wird zudem verstärkt auf Banküberweisungen gesetzt, wobei die Projektteilnehmer entsprechend informiert werden. Zur raschen Eröffnung eines Bankkontos müssen ein gültiges Identitätsdokument (z.B.: Tazkira) vorgelegt und verschiedene Formulare (je nach Bank oder Vertretern der jeweiligen Communities) ausgefüllt und unterzeichnet werden. Überweisungen innerhalb derselben Bank können in wenigen Minuten durchgeführt werden. Bei anderen Banken kann die Überweisung mehrere Tage in Anspruch nehmen. Ein Bankkonto kann von allen Personen, auch jenen, die keine persönlichen Kontakte in Afghanistan haben, eröffnet werden (IOM 10.2020).

Mit Stand 22.09.2020 wurden im laufenden Jahr 2020 bereits 70 Teilnahmen akzeptiert im Rahmen des Restart III Projektes und sind im Zuge des Projektes 47 Personen freiwillig nach Afghanistan zurückgekehrt - zuletzt jeweils 13 Personen im August und im September 2020 (IOM 23.09.2020). Mit ihnen als auch mit potenziellen Projektteilnehmern, welche sich noch in Österreich befinden, steht IOM Österreich in Kontakt und bietet Beratung/Information über virtuelle Kommunikationswege an (IOM AUT 18.05.2020).

IOM-RADA

IOM hat mit finanzieller Unterstützung der Europäischen Union das Projekt „RADA“ (Reintegration Assistance and Development in Afghanistan) entwickelt. (STDOK 14.07.2020; vgl. IOM 05.11.2019).

Innerhalb dieses Projektes gibt es eine kleine Komponente (PARA - Post Arrival Reception Assistance), die sich speziell an zwangsweise rückgeführte Personen wendet. Der Leistungsumfang ist stark limitiert und nicht mit einer Reintegrationsunterstützung vergleichbar. Die Unterstützung umfasst einen kurzen medical check (unmittelbare medizinische Bedürfnisse) und die Auszahlung einer Bargeldunterstützung in der Höhe von - 116 -

12.500 Afghani (rund 140 EUR) zur Deckung unmittelbarer, dringender Bedürfnisse (temporäre Unterkunft, Weiterreise, etc.). Diese ist jedoch nur für Rückkehrer zugänglich, die über den internationalen Flughafen von Kabul reisen (STDOK 14.07.2020; vgl. IOM AUT 23.01.2020, IOM 23.09.2020).

Wohnungen

In Kabul und im Umland sowie in anderen Städten steht eine große Anzahl an Häusern und Wohnungen zur Verfügung. Die Kosten in Kabul-City sind jedoch höher als in den Vororten oder in den anderen Provinzen. Private Immobilienhändler in den Städten bieten Informationen zu Mietpreisen für Häuser und Wohnungen an. Die Miete für eine Wohnung liegt zwischen 300 USD und 500 USD. Die Lebenshaltungskosten pro Monat belaufen sich auf bis zu 400 USD (Stand 2019) für jemanden mit gehobenem Lebensstandard. Diese Preise gelten für den zentral gelegenen Teil der Stadt Kabul, wo Einrichtungen und Dienstleistungen wie Sicherheit, Wasserversorgung, Schulen, Kliniken und Elektrizität verfügbar sind. In ländlichen Gebieten können sowohl die Mietkosten als auch die Lebenshaltungskosten um mehr als 50% sinken.

Betriebs- und Nebenkosten wie Wasser und Strom kosten in der Regel nicht mehr als 40 USD pro Monat. Abhängig vom Verbrauch können die Kosten allerdings höher sein (IOM 2019).

Wohnungszuschüsse für sozial Benachteiligte oder Mittellose existieren in Afghanistan nicht (IOM 2018).

Anmerkung: Weitere Informationen zur Unterstützung von Rückkehrern durch IOM können der Analyse Herat 2019 und dem FFM Bericht Afghanistan 2018 sowie der Analyse zum IOM- Reintegrationsprojekt Restart III vom 14.07.2020 entnommen werden. [...]

24.1 Unbegleitete Minderjährige Flüchtlinge (UMF)

Letzte Änderung: 16.12.2020

Mit dem Begriff „unbegleitete Minderjährige“ werden Personen bezeichnet, die unter 18 Jahre alt sind bzw. das nationale Volljährigkeitsalter nicht erreicht haben und getrennt von ihren Eltern bzw. ohne die Obhut eines Vormundes leben (MPI 11.2017). Quellen zufolge entscheidet meist der weitere Familienkreis, ein minderjähriges Familienmitglied nach Europa zu schicken (EASO 2.2018), wobei Minderjährige oft selbst zu den „Entscheidungsträgern“ werden, eine mögliche Migration ansprechen und schließlich ihre Familie davon überzeugen (Hall 19.07.2020). Ohne familiäre Unterstützung wäre es dem Minderjährigen meistens gar nicht möglich, die Reise nach Europa anzutreten; dies ist eine wichtige Netzwerkentscheidung, die u.a. die Finanzen der Familie belastet. Jedoch gibt es auch Fälle, in denen der Minderjährige unabhängig von seiner Familie beschließt, das Land zu verlassen und nach Europa zu reisen. Meist sind dies junge Leute aus gebildeten, wohlhabenden Familien. Dies wird oft durch den Kontakt zu Freunden und Bekannten im Ausland gefördert, die über soziale Medien ein idealisiertes Bild der Lebensbedingungen in Europa vermitteln (EASO 2.2018).

Eine von der norwegischen COI-Einheit Landinfo zitierte Analystin des AAN (Afghanistan Analysts Network), legt dar, dass Familien in Afghanistan in der Regel den Kontakt zu ihrem nach Europa ausgewanderten Familienmitglied halten und genau Bescheid wissen, wo sich die Person aufhält und wie es ihr in Europa ergeht. Dieser Faktor wird in Asylinterviews meist heruntergespielt, und viele Migranten, vor allem Minderjährige, sind instruiert zu behaupten, sie hätten keine lebenden Verwandten mehr oder jeglichen Kontakt zu diesen verloren (STDOK 4.2018).

Die genaue Zahl der nach Afghanistan zurückkehrenden Minderjähriger, sowohl unbegleitet, von den Eltern getrennt oder gemeinsam mit ihrer Familie, kann von staatlichen Behörden nicht angegeben werden (STC 16.10.2018). Ca. 58% der Rückkehrer nach Afghanistan sind unter 18 Jahre alt (UKHO 4.2018). Der größte Teil rückkehrender Minderjähriger sind Buben (STC 16.10.2018). Schätzungen von IOM zufolge hat sich die Anzahl der nach Afghanistan zurückgekehrten UMF von 2.110 im Jahr 2015 auf 4.419 im Jahr 2017 verdoppelt (IOM/UNHCR 28.02.2018).

Das Ministerium für Arbeit, Soziales, Märtyrer und Behinderte (MoLSAMD) und das Ministerium für Flüchtlinge und Repatriierung (MoRR) bemühen sich, ein Unterstützungssystem für rückkehrende Minderjährige einzuführen. Die Verantwortung für rückkehrende UMF ist zwischen diesen beiden Ministerien aufgeteilt. - 117 -

Beide Ministerien haben unzureichende Mittel und Informationen. Trotz gut entwickelten rechtlichen Rahmenbedingungen für Minderjährige gibt es keine spezifischen Richtlinien oder Anordnungen für ihre Rückkehr und Reintegration (STC 16.10.2018). Die Möglichkeiten der Regierung, vulnerable Personen - viele von ihnen unbegleitete Minderjährige - zu helfen, sind begrenzt, und die Regierung ist dabei auf die Hilfe der internationalen Gemeinschaft angewiesen (USDOS 11.02.2020).

UMF sind bei Rückkehr vulnerabel, auch bei vorhandener familiärer Unterstützung (Oxfam 1.2018). Eine Nachbetreuung für Familien von rückkehrenden UMF ist praktisch nicht existent (STC 16.10.2018), und es gibt keine auf UMF spezialisierten Reintegrationsprogramme (UKHO 4.2018). IOM legt im Rahmen des Reintegrationsprojektes Restart III ein besonderes Augenmerk auf u.a. unbegleitete Minderjährige. Nehmen diese an freiwilligen Rückkehr- oder Integrationsprojekten von IOM teil, muss gewährleistet sein, dass diese im Herkunftsland durch eine Bezugsperson empfangen werden, die sich auch faktisch um den Minderjährigen kümmern muss. Ebenso notwendig ist eine enge Zusammenarbeit mit dem Jugendwohlfahrtsträger bzw. dem jeweiligen Erziehungsberechtigten bzw. Vormund in Österreich, und das Primat des Kindeswohls ist zu jedem Zeitpunkt sicherzustellen (STDOK 14.07.2020).

Eine größere Anzahl an unbegleiteten Minderjährigen ist auf der Suche nach Arbeit in den Iran, nach Pakistan, Europa und in urbane Zentren innerhalb Afghanistans migriert; viele von ihnen nutzten dafür Schlepperdienste (MPI 11.2017; vgl. USDOS 25.06.2020). [...]

25 Dokumente

Letzte Änderung: 16.12.2020

Das Personenstands- und Beurkundungswesen in Afghanistan weist gravierende Mängel auf und stellt aufgrund der Infrastruktur, der langen Kriege, der wenig ausgebildeten Behördenmitarbeiter und weitverbreiteter Korruption ein Problem dar. Von der inhaltlichen Richtigkeit formell echter Urkunden kann nicht in jedem Fall ausgegangen werden. Personenstandsurkunden werden oft erst viele Jahre später, ohne adäquaten Nachweis und sehr häufig auf Basis von Aussagen mitgebrachter Zeugen, nachträglich ausgestellt. Gefälligkeitsbescheinigungen und/oder Gefälligkeitsaussagen kommen sehr häufig vor (AA 16.07.2020). Sämtliche Urkunden in Afghanistan sind problemlos gegen finanzielle Zuwendungen oder aus Gefälligkeit erhältlich (ÖB 28.11.2018; vgl. AG DFAT 27.06.2019).

Des Weiteren kommen verfahrensangepasste Dokumente häufig vor. Im Visumverfahren werden teilweise gefälschte Einladungen oder Arbeitsbescheinigungen vorgelegt. Medienberichten zufolge sollen insbesondere seit den Parlamentswahlen 2018 zahlreiche gefälschte Tazkiras [Anmerkung: nationale Personalausweise] im Rahmen der Wählerregistrierung in Umlauf sein (AA 16.07.2020). Personenstands- und weitere von Gerichten ausgestellte Urkunden werden zentral vom Afghan State Printing House (SUKUK) ausgestellt (ÖB 28.11.2018).

Auf Grundlage bestimmter Informationen können echte Dokumente ausgestellt werden. Dafür notwendige unterstützende Formen der Dokumentation wie etwa Schul-, Studien- oder Bankunterlagen können leicht gefälscht werden. Dieser Faktor stellt sich besonders problematisch dar, wenn es sich bei dem primären Dokument um eine Tazkira handelt, welche zur Erlangung anderer Formen der Identifizierung verwendet wird. Es besteht ein Risiko, dass echte, aber betrügerisch erworbene Tazkiras zur Erlangung von Reisepässen verwendet werden (AG DFAT 27.06.2019).

Die Vertretung der Bundesrepublik Deutschland hat das Legalisationsverfahren von öffentlichen Urkunden aus Afghanistan wegen der fehlenden Urkundensicherheit eingestellt (DVA 08.01.2019).

Tazkira

Eine Tazkira wird nur afghanischen Staatsangehörigen nach Registrierung und dadurch erfolgtem Nachweis der Abstammung von einem Afghanen ausgestellt. In der Regel erfolgt der Nachweis der Abstammung durch die Vorlage der Tazkira eines Verwandten 1. Grades oder durch Zeugenerklärungen in Afghanistan (AA 16.07.2020). Einer Quelle zufolge können Frauen Tazkiras und Pässe für sich und ihre Kinder ohne die Anwesenheit eines männlichen Zeugen beantragen (RA KBL 09.05.2018). In einem Bericht der afghanischen - 118 -

Regierung vom April 2019 über die Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention findet sich die Information, dass für die Ausstellung einer Tazkira die Zeugenaussagen von zwei Personen nötig seien, die Inhaber von Tazkira seien. Darüber hinaus müsse die Identität des Antragstellers von lokalen Behörden bestätigt werden (Accord 15.06.2020). Eine andere Quelle weist darauf hin, dass man bei Beantragung einer Tazkira eine Geburtsurkunde vorweisen müsse, allerdings sei es nach wie vor so, dass die Mehrheit der Afghanen nicht im Besitz einer solchen sei. Wenn keine Geburtsurkunde vorgewiesen werden kann, sei es erforderlich, die Tazkira eines männlichen Familienmitglieds väterlicherseits (Vater, Bruder, Onkel oder Cousin) vorzuweisen (LI 22.05.2019; vgl. Accord 15.06.2020). Will jemand sich beispielsweise in Kabul eine Tazkira ausstellen lassen und kann seine Identität nicht beweisen, so muss diese Person in das Heimatgebiet ihres Vaters oder Großvaters zurückkehren. Dort kann versucht werden, einen Identitätsnachweis vonseiten des lokalen Dorfvorstehers zu erhalten. Dieser kann dann bei den örtlichen Behörden eingereicht werden, die auf dessen Grundlage eine Tazkira ausstellen (Accord 15.06.2020).

Kinder unter sieben Jahren sind von der Pflicht befreit, persönlich zu erscheinen, um sich eine Tazkira ausstellen zu lassen. Eine Geburtsurkunde wird als Nachweis akzeptiert. Sollte eine solche nicht vorhanden sein, sind zwei Zeugen erforderlich. Bis das Kind 18 Jahre alt ist, ist für die Ausstellung der Tazkira die Zustimmung des Vaters erforderlich (Accord 15.06.2020).

In der Tazkira sind Informationen zu Vater und Großvater, jedoch nicht zur Mutter enthalten. Erst seit ca. 2014 gibt es die Möglichkeit, eine Birth Registration Card zu beantragen, in der ein konkretes Geburtsdatum und die Mutter eines Kindes genannt wird. Diese kann aber auch jederzeit nachträglich für Personen ausgestellt werden, die vor 2014 geboren wurden. Es kann davon ausgegangen werden, dass die Ausstellung daher ohne weitere Prüfung vorgenommen wird (AA 16.07.2020). Das afghanische Bevölkerungsgesetz von 2014 beinhaltet u.a. Regelungen zur Bürgerregistrierung. Gemäß Artikel 9 des Gesetzes sollen Tazkiras zum Zwecke des Identitätsnachweises und der Bevölkerungsregistrierung ausgestellt werden (NLB/NA 2014). Eine Tazkira wird benötigt, um sich als Wähler registrieren zu lassen. Erstmals in der Geschichte des Landes wurden für die Parlamentswahlen 2018 wahlberechtigte Bürger für ein bestimmtes Wahllokal registriert. Die Bestätigung der Registrierung als Wähler, die auf der Tazkira angebracht wird, beinhaltet Informationen zum Wohnort (Provinz und Distrikt) sowie zum Wahllokal. Die soziale Gruppe der Kutschi ist nicht an ein fixes Wahllokal gebunden (AAN 27.05.2018).

Tazkiras können sowohl in der Hauptstadt Kabul als auch dem jeweiligen Geburtsort in Afghanistan, nicht jedoch von afghanischen Auslandsvertretungen ausgestellt werden, sodass es vorkommen kann, dass eine Person mehrere echte Tazkiras mit unterschiedlichen Daten besitzt (AA 16.07.2020). Tazkiras können zwar nicht von afghanischen Auslandsvertretungen ausgestellt, jedoch über eine afghanische Auslandsvertretung beim afghanischen Innenministerium beantragt werden (AA 16.07.2020; vgl. AFB BER 22.10.2018). Der Antragsteller muss in diesem Fall im nächstgelegenen afghanischen Konsulat einen Termin vereinbaren und eine Kopie der Tazkira von Vater oder Geschwistern sowie ein ausgefülltes und unterschriebenes Antragsformular vorlegen. Das Konsulat schickt einen scan des Formulars an die Abteilung für Bevölkerungsentwicklung in Afghanistan. Das Original des Antragsformulars muss vom Antragsteller nach Afghanistan geschickt und von einem Vertreter persönlich bei der Abteilung für Bevölkerungsstatistik eingereicht werden. Nach einem internen Prozess in der Abteilung für Bevölkerungsstatistik wird die Tazkira innerhalb von 1-3 Monaten ausgestellt und dem Vertreter übergeben. Dieser kann die Tazkira dann dem Antragsteller zusenden (RA KBL 12.10.2020a; vgl. AFB BER 22.10.2018).

Eintragungen in der Tazkira sind oft ungenau. Geburtsdaten werden häufig lediglich in Form von „Alter im Jahr der Beantragung“, z. B. „17 Jahre im Jahr 20xx“ erfasst, genauere Geburtsdaten werden selten erfasst und wenn, dann meist geschätzt (AA 02.09.2019). Insgesamt sind in Afghanistan sechs Tazkira-Varianten im Umlauf (AAN 22.02.2018). Es gibt keine einheitlichen Druckverfahren oder Sicherheitsmerkmale für die Tazkira in A4- Format. Im Februar 2018 wurde die e-Tazkira (elektronischer Personalausweis) mit der symbolischen Beantragung u.a. durch Präsident Ghani gestartet (AAN 22.02.2018). Seit 03.05.2018 werden e-Tazkiras (auch - 119 - electronic Tazkira) in Form einer Chipkarte ausgestellt, die Einführung läuft jedoch nur sehr schleppend (AA 16.07.2020).

Die Vorlage einer Tazkira ist Voraussetzung für die Ausstellung eines Reisepasses. Seit Ausstellung maschinenlesbarer Reisepässe im Jahr 2014 muss bei Passbeantragung ein Familienname bestimmt werden. Die Bestimmung erfolgt ohne rechtliche Grundlage und ohne Dokumentation. Die Angaben, insbesondere Namen und Geburtsdatum, in Tazkira und Reisepass einer Person stimmen daher häufig nicht miteinander überein (AA 16.07.2020). Einige afghanische Bürger, insbesondere Frauen im ländlichen Raum, besitzen keine Tazkira (AAN 27.05.2018). [...]“

3.5.2. Zur Situation der Frauen in Afghanistan:

„19 Relevante Bevölkerungsgruppen Letzte Änderung: 16.12.2020

19.1 Frauen Letzte Änderung: 16.12.2020 Anmerkung: Ausführliche Informationen zur Lage der Frauen in Herat können der Analyse der Staatendokumentation vom 13.06.2019 entnommen werden (Abschnitt 6, abrufbar unter https://www.ecoi.net/en/file/local/2010507/AFGH_ANALYSE_Herat_2019_06_13.pdf). Weitere Informationen zum Thema Frauen in Afghanistan können der Analyse der Staatendokumentation „Gesellschaftliche Einstellung zu Frauen in Afghanistan“ vom 25.06.2020, abrufbar unter https://www.ecoi.net/en/document/2032387.html, entnommen werden.

Artikel 22 der afghanischen Verfassung besagt, dass jegliche Form von Benachteiligung oder Bevorzugung unter den Bürgern Afghanistans verboten ist. Die Bürger Afghanistans, sowohl Frauen als auch Männer, haben vor dem Gesetz gleiche Rechte und Pflichten (CoA 26.01.2004). Afghanistan verpflichtet sich in seiner Verfassung durch die Ratifizierung internationaler Konventionen und durch nationale Gesetze, die Gleichberechtigung und Rechte von Frauen zu achten und zu stärken. In der Praxis mangelt es jedoch oftmals an der Umsetzung dieser Rechte (AA 16.07.2020). Nach wie vor gilt Afghanistan als eines der weltweit gefährlichsten Länder für Frauen (REU 26.06.2018). Während sich die Situation der Frauen seit dem Ende der Taliban-Herrschaft insgesamt ein wenig verbessert hat (HRW 30.06.2020; vgl. STDOK 25.06.2020, AA 16.07.2020), können sie ihre gesetzlichen Rechte innerhalb der konservativ-islamischen, durch Stammestraditionen geprägten afghanischen Gesellschaft oft nur eingeschränkt verwirklichen. Viele Frauen sind sich ihrer in der Verfassung garantierten und auch gewisser vom Islam vorgegebenen Rechte nicht bewusst (AA 16.07.2020; vgl.: REU 02.12.2019, STDOK 25.06.2020). Eine Verteidigung ihrer Rechte ist in einem Land, in dem die Justiz stark konservativ-traditionell geprägt und überwiegend von männlichen Richtern oder traditionellen Stammesstrukturen bestimmt wird, nur in eingeschränktem Maße möglich. Staatliche Akteure aller drei Gewalten sind häufig nicht in der Lage oder aufgrund tradierter Wertevorstellungen nicht gewillt, Frauenrechte zu schützen. Gesetze zum Schutz und zur Förderung der Rechte von Frauen werden nur langsam umgesetzt. Das Personenstandsgesetz enthält diskriminierende Vorschriften für Frauen, insbesondere in Bezug auf Heirat, Erbschaft und Bewegungsfreiheit (AA 16.07.2020; vgl. STDOK 25.06.2020). Seit dem Fall der Taliban wurden jedoch langsam Fortschritte in dieser Hinsicht erreicht, welche hauptsächlich in urbanen Zentren wie z.B. Herat-Stadt zu sehen sind. Das Stadt-Land-Gefälle und die Sicherheitslage sind zwei Faktoren, welche u.a. in Bezug auf Frauenrechte eine wichtige Rolle spielen. Einem leitenden Mitarbeiter einer in Herat tätigen Frauenrechtsorganisation zufolge kann die Lage der Frauen innerhalb der Stadt nicht mit den Lebensbedingungen der Bewohnerinnen ländlicher Teile der Provinz verglichen werden. Daher muss die Lage von Frauen in Bezug auf das jeweilige Gebiet betrachtet werden. Die Lage der Frau stellt sich in ländlichen Gegenden, wo regierungsfeindliche Gruppierungen aktiv sind und die Sicherheitslage volatil ist, anders dar als z.B. in Herat-Stadt (STDOK 13.06.2019). In der Provinzhauptstadt Mazar-e Sharif und den angrenzenden Distrikten sind die Lebensumstände verglichen mit anderen Landesteilen gut. Hier gibt es Frauen, welche sich frei bewegen, studieren oder arbeiten können und auch selbst entscheiden dürfen, ob sie heiraten oder nicht. Es gibt aber auch in Mazar-e Sharif Frauen, deren Familien dies nicht erlauben (STDOK 21.07.2020). Die afghanische Regierung wird von den Vereinten Nationen (UN) als ehrlicher und engagierter Partner im - 120 -

Kampf gegen Gewalt an Frauen beschrieben (EASO 12.2017; vgl. STDOK 4.2018, UNAMA/OHCHR 5.2018), der sich bemüht, Gewalt gegen Frauen - beispielsweise Ermordung, Prügel, Verstümmelung, Kinderheirat und weitere schädliche Praktiken - zu kriminalisieren und Maßnahmen zur Rechenschaftspflicht festzulegen (UNAMA/OHCHR 5.2018). Jedoch ist sexuelle Belästigung in Afghanistan, speziell innerhalb der afghanischen Regierung, im Präsidentenpalast sowie anderen Regierungsinstitutionen, sowohl national als auch international zu Themen regelmäßiger Diskussionen geworden (STDOK 25.6.2020; vgl. AT 6.11.2019). Aus unterschiedlichen Regierungsbüros berichten seit Mai 2019 vermehrt afghanische Frauen von sexueller Belästigung durch männliche Kollegen und hochrangige Personen (STDOK 25.06.2020; vgl. RY 01.08.2019, BBC 10.07.2019). Die afghanische Regierung hat die erste Phase des nationalen Aktionsplans (NAP) zur Umsetzung der UN- Resolution 1325 (aus dem Jahr 2000) des UN-Sicherheitsrates implementiert; dies führte zu einer stärkeren Vertretung von Frauen in öffentlichen Einrichtungen, wie z.B. dem Hohen Friedensrat. Gemäß Artikel 83 und 84 sind Maßnahmen für die Teilnahme von Frauen im Ober- und Unterhaus des Parlamentes vorsehen (WILFPFA 7.2019). Unter anderem hat die afghanische Regierung das nationale Schwerpunktprogramm „Women’s Economic Em- powerment“ gestartet. Um Gewalt und Diskriminierung gegen Frauen zu bekämpfen, hat die Regierung in Afghanistan die Position eines stellvertretenden Generalstaatsanwalts geschaffen, der für die Beseitigung von Gewalt gegen Frauen und Kinder zuständig ist. Es wurden Kommissionen gegen Belästigung in allen Ministerien eingerichtet. Des Weiteren hat der Oberste Gerichtshof eine spezielle Abteilung geschaffen, um Fälle von Gewalt gegen Frauen zu überprüfen. Darüber hinaus waren in mehr als 20 Provinzen Sondergerichte zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen tätig (UNGA 28.02.2019). So hat die afghanische Regierung unter anderem gemeinsam mit der internationalen Gemeinschaft verschiedene Projekte zur Reduzierung der Geschlechterungleichheit gestartet. Das Projekt „Enhancing Gender Equality and Mainstreaming in Afghanistan“ (EGEMA) beispielsweise ist ein Gemeinschaftsprojekt der afghanischen Regierung und des UNDP (United Nations Development Program) Afghanistan und hat den Hauptzweck, das Ministerium für Frauenrechte (MoWA) zu stärken. Es läuft von Mai 2016 bis Dezember 2020 (UNDP o.D). Im Zuge der Friedensverhandlungen (siehe Abschnitt 1) bekannten sich die Taliban zu jenen Frauenrechten (STDOK 25.06.2020; vgl. BBC 27.02.2020, BP 31.08.2020, TN 31.05.2019, Taz 06.02.2019); die im Islam vorgesehen sind, wie zu lernen, zu studieren und sich den Ehemann selbst auszuwählen. Zugleich kritisierten sie, dass „im Namen der Frauenrechte“ Unmoral verbreitet und afghanische Werte untergraben würden (Taz 06.02.2019). Die Taliban haben während ihres Regimes afghanischen Frauen und Mädchen Regeln aufoktroyiert, die auf ihren extremistischen Interpretationen des Islam beruhen, und die ihnen ihre Rechte - einschließlich des Rechts auf Schulbesuch und Arbeit - vorenthalten und Gewalt gegen sie gerechtfertigt haben (USAT 03.09.2019). Die afghanischen Frauen sind jedoch ob der Verhandlungen mit den Taliban besorgt und fürchten um ihre mühsam erkämpften Rechte (BP 31.08.2020; vgl. WP 12.09.2020). Eine jener vier Frauen, die an den Verhandlungen mit den Taliban teilnehmen, glaubt nicht, dass sich die Taliban-Kämpfer, die an der Frontlinie stehen, geändert hätten (BP 31.08.2020). Restriktive Einstellung und Gewalt gegenüber Frauen betreffen jedoch nicht nur Gegenden, welche unter Taliban-Herrschaft stehen, sondern hängen grundsätzlich mit der Tatsache zusammen, dass die afghanische Gesellschaft zum Großteil sehr konservativ ist. Gewalt gegenüber Frauen ist sehr oft auch innerhalb der Familien gebräuchlich. So kann bezüglich der Behandlung von Frauen insbesondere in ländlichen Gebieten grundsätzlich kein großer Unterschied zwischen den Taliban und der Bevölkerung verzeichnet werden. In den Städten hingegen ist die Situation ganz anders (STDOK 13.06.2019; vgl. STDOK 25.06.2020). Das afghanische Frauenministerium dokumentierte innerhalb eines Jahres (November 2018 – November 2019) 6.449 Fälle von Gewalt und Missbrauch gegen Frauen. Der Großteil dieser Fälle wurde in den Provinzen Kabul, Herat, Kandahar und Balkh registriert. Dem Frauenministerium zufolge wurden rund 2.886 Fälle an Ermittlungsbehörden und Gerichte weitergeleitet, 456 Frauen bekamen Anwälte zugewiesen, und 682 Fälle wurden durch Mediation zwischen den Parteien gelöst. Außerdem wurden 2.425 Fälle an Organisationen weitergeleitet, die sich für Frauenrechte einsetzen (STDOK 25.06.2020; vgl. RFE/RL 25.11.2019). Im Vergleich dazu registrierte die AIHRC (Afghanistan Independent Human Rights Commission) für den Untersuchungsraum 2019 4.693 Vorfälle und für 2018 4.329 Vorfälle (AIHCR 23.03.2020; vgl. STDOK 25.06.2020). Ein hohes Maß an Gewalt gegen Frauen ist auf verschiedene Faktoren zurückzuführen, wie z.B. die Sensibilisierung der Frauen für ihre Menschenrechte und die Reaktion auf häusliche Gewalt, ein geringes öffentliches Bewusstsein für die Rechte der Frauen, eine schwache Rechtsstaatlichkeit und die Ausbreitung von Unsicherheit in verschiedenen Teilen des Landes (AIHRC 23.03.2020). Weibliche Genitalverstümmelung ist in Afghanistan nicht üblich (AA 16.07.2020).

Bildung für Mädchen Seit 2001 haben Millionen Mädchen, denen unter den Taliban die Bildung verwehrt wurde, Schulbildung erhalten (HRW 30.06.2020; vgl. KUR 17.12.2019, STDOK 25.06.2020), Bildung afghanischer Mädchen sowie die - 121 -

Stärkung afghanischer Frauen ist seitdem ein Schwerpunkt internationaler Bemühungen (STDOK 25.06.2020; vgl. REU 02.12.2019). Auf nationaler Ebene hat das afghanische Bildungsministerium im Februar 2019 eine Bildungsrichtlinie eingeführt, um Frauen und Mädchen den Zugang zu Bildung zu erleichtern sowie die Analphabetenrate zu reduzieren (STDOK 25.06.2020; vgl.: OI 03.12.2019, AT 06.11.2019). Die größten Probleme bei Bildung für Mädchen beinhalten Armut, frühe Heirat und Zwangsverheiratung, Unsicherheit, fehlende familiäre Unterstützung sowie Mangel an Lehrerinnen und nahegelegenen Schulen (USDOS 11.03.2020; vgl. UNICEF 8.2020). Untersuchungen von Human Rights Watch (HRW) und anderen belegen eine steigende Nachfrage nach Bildung in Afghanistan, einschließlich einer wachsenden Akzeptanz in vielen Teilen des Landes, dass Mädchen die Schule besuchen sollten. NGOs, die „gemeindebasierte Bildung“ unterstützen - Schulen, die sich in Häusern in den Gemeinden der Schülerinnen und Schüler befinden -, waren oft erfolgreicher, wenn es darum ging, Mädchen den Schulbesuch in Gegenden zu ermöglichen, in denen sie aufgrund von Unsicherheit, familiärem Widerstand und Gemeindeeinschränkungen nicht in der Lage gewesen wären, staatliche Schulen zu besuchen. Doch das Versäumnis der Regierung, diese Schulen in das staatliche Bildungssystem zu integrieren, hat in Verbindung mit der uneinheitlichen Finanzierung dieser Schulen dazu geführt, dass vielen Mädchen die Bildung vorenthalten wurde (HRW 30.06.2020). Aufgrund des anhaltenden Konflikts und der sich verschlechternden Sicherheitslage wurden bis Ende 2018 mehr als 1.000 Schulen geschlossen. Zwischen 2018 und 2019 gab es einen Anstieg der Angriffe auf Schulen und Schulpersonal um 45% (UNICEF 8.2020). Ein Grund für die Zunahme von Angriffen auf Schulen ist, dass Schulen als Wählerregistrierungs- und Wahlzentren für die Parlamentswahlen 2018 genutzt wurden (UNICEF 27.05.2019). Von den rund 5.000 Örtlichkeiten, die als Wahlzentren dienten, waren etwa 50% Schulen (UNICEF 2019). Schätzungen zufolge sind etwa 3,7 Millionen Kinder im Alter von 7 bis 17 Jahren, also fast die Hälfte aller schulpflichtigen Kinder, nicht in der Schule - Mädchen machen dabei 60% aus (UNICEF 27.05.2019), in manchen abgelegenen Gegenden sogar 85% (UNICEF 2019). 2018 ist diese Zahl zum ersten Mal seit dem Jahr 2002 wieder gestiegen (UNICEF 27.05.2019). Geschlechternormen führen dazu, dass die Ausbildung der Buben in vielen Familien gegenüber der Ausbildung der Mädchen prioritär gesehen wird, bzw. dass die Ausbildung der Mädchen als unerwünscht gilt oder nur für einige Jahre vor der Pubertät als akzeptabel gesehen wird (HRW 17.10.2017). Jedoch sind auch hier landesweit Unterschiede festzustellen (BBW 28.08.2019): Beispielsweise waren Mädchen unter der Taliban-Herrschaft auf Heim und Haus beschränkt - speziell in ländlichen Gegenden wie jene in Bamyan. Eine Quelle berichtet von einer Schule in Bamyan, die vor allem von Mädchen besucht wird. Dort werden Mädchen von den Eltern beim Schulbesuch manchmal den Buben vorgezogen, da die Buben bei der Feldarbeit oder im Elternhaus aushelfen müssen. In besagtem Fall existieren sogar gemischte Klassen (NYT 27.06.2019). Aufgrund der Geschlechtertrennung darf es eigentlich keine gemischten Klassen geben. In ländlichen Gebieten kommt es oft vor, dass Mädchen nach der vierten oder fünften Klasse die Schule abbrechen müssen, weil die Zahl der Schülerinnen zu gering ist. Grund für das Abnehmen der Anzahl an Schülerinnen ist u.a. die schlechte Sicherheitslage in einigen Distrikten. Statistiken des afghanischen Bildungsministeriums zufolge war Herat mit Stand November 2018 beispielsweise die einzige Provinz in Afghanistan, wo die Schulbesuchsrate der Mädchen höher war (53%) als die der Burschen (47%). Ein leitender Mitarbeiter einer u.a. im Westen Afghanistans tätigen NGO erklärt die höhere Schulbesuchsrate damit, dass in der konservativen afghanischen Gesellschaft, wo die Bewegungsfreiheit der Frau außerhalb des Hauses beschränkt bleibt, Mädchen zumindest durch den Schulbesuch die Möglichkeit haben, ein Sozialleben zu führen und das Haus zu verlassen. Aber auch in einer Provinz wie Herat missbilligen traditionelle Dorfälteste und konservative Gemeinschaften in manchen Distrikten den Schulbesuch von Mädchen. So kommt es manchmal vor, dass in bestimmten Gebäuden Unterrichtsschichten für Mädchen eingerichtet sind, die von den Schülerinnen jedoch nicht besucht werden (STDOK 13.06.2019). Auch wenn die Führungselite der Taliban erklärt hat, dass Schulen kein Angriffsziel mehr seien (LI 16.05.2018), kam es zu Angriffen auf Mädchenschulen, sowie Schülerinnen und Lehrerinnen durch die Taliban und andere bewaffnete Gruppen (NYT 21.05.2019; UNAMA 24.04.2019; PAJ 16.04.2019; PAJ 15.04.2019; PAJ 31.01.2019; HRW 17.10.2017). Solche Angriffe zerstören nicht nur wertvolle Infrastruktur, sondern schrecken auch langanhaltend eine große Zahl von Eltern ab, ihre Töchter zur Schule zu schicken (HRW 17.10.2017). Vertreter der Provinzregierung und Dorfälteste legten nach Vorfällen in der Provinz Farah nahe, dass Angriffe auf Mädchenschulen eine Spaltung innerhalb der Taliban offenbaren: Während viele Zivilbehörden der Taliban eine Ausbildung für Mädchen tolerieren, lehnen manche Militärkommandanten dies ab (NYT 21.05.2019). Obwohl die Taliban offiziell erklären, dass sie nicht mehr gegen die Bildung von Mädchen sind, gestatten nur sehr wenige Taliban-Beamte Mädchen tatsächlich den Schulbesuch nach der Pubertät. Andere gestatten Mädchenschulen überhaupt nicht. Diese Ungereimtheiten führen zu Misstrauen in der Bevölkerung. Beispielsweise haben Taliban in mehreren Bezirken von Kunduz den Betrieb von Mädchen-Grundschulen - 122 - zugelassen und in einigen Fällen Mädchen und jungen Frauen erlaubt, in von der Regierung kontrollierte Gebiete zu reisen, um dort höhere Schulen und Universitäten zu besuchen. Im Gegensatz dazu gibt es in einigen von den Taliban kontrollierten Bezirken in der Provinz Helmand keine funktionierenden Grundschulen für Mädchen, geschweige denn weiterführende Schulen - einige dieser ländlichen Bezirke hatten keine funktionierenden Mädchenschulen, selbst als sie unter Regierungskontrolle standen. Ihre inkonsistente Herangehensweise an Mädchenschulen spiegelt die unterschiedlichen Ansichten der Taliban-Kommandeure in den Provinzen, ihre Stellung in der militärischen Kommandohierarchie der Taliban und ihre Beziehung zu den lokalen Gemeinschaften wider. In einigen Distrikten hat die lokale Nachfrage nach Bildung die Taliban- Behörden überzeugt oder gezwungen, einen flexibleren Ansatz zu wählen (HRW 30.06.2020). Der Zugang zu öffentlicher Hochschulbildung ist wettbewerbsintensiv: Studenten müssen eine öffentliche Aufnahmeprüfung - Kankor - ablegen. Für diese Prüfung gibt es Vorbereitungskurse, mit den Schwerpunkten Mathematik und Naturwissenschaften, die oft kostspielig sind und in der Regel außerhalb der Schulen angeboten werden. Unter den konservativen kulturellen Normen, die die Mobilität von Frauen in Afghanistan einschränken, können Studentinnen in der Regel nicht an diesen Kursen teilnehmen, und afghanische Familien ziehen es oft vor, in die Ausbildung ihrer Söhne zu investieren, sodass den Töchtern die Ressourcen für eine Ausbildung fehlen (AF 13.02.2019). Um diese Aufnahmeprüfung zu bestehen, werden Bewerberinnen von unterschiedlichen Stellen unterstützt. Eine Hilfsorganisation hat beispielsweise bislang Vorbereitungsmaterialien und -aktivitäten für 70.000 Studentinnen zur Verfügung gestellt. Auch wurden Aktivitäten direkt in den Unterricht an den Schulen integriert, um der mangelnden Bereitschaft von Eltern, ihre Töchter in Privatkurse zu schicken, zu entgegnen (AF 13.02.2019). Es gibt akutell (Stand Oktober 2020) 424.621 Studenten an den öffentlichen und privaten Universitäten Afghanistans. Davon sind 118.893 (28%) weiblich. Im Jahr 2020 haben 61.000 Frauen die Zulassungsprüfung für das Universitätsstudium bestanden (RA KBL 12.10.2020a). Die Anzahl weiblicher Studierender hat sich an öffentlichen Universitäten in Afghanistan aus unterschiedlichen Gründen seit 2015 erhöht: [...] Beispielsweise wurden im Rahmen von Initiativen des Ministeriums für höhere Bildung sichere Transportmöglichkeiten für Studenten zu und von den Universitäten zur Verfügung gestellt. Etwa 1.000 Studentinnen konnten dieses Service in den Provinzen Herat, Jawzjan, Kabul, Kunar und Kunduz genießen. Das sind jene Provinzen, in denen sichere und verlässliche Transportmöglichkeiten aufgrund fehlender öffentlicher Verkehrsmittel und der Sicherheitslage dringend benötigt werden. Auch sollen mehr studentische Wohnmöglichkeiten für Frauen an Universitäten zur Verfügung gestellt werden; das Ministerium für höhere Bildung plant, an fünf Universitäten Studentenwohnheime zu errichten. In zwei Provinzen - Bamyan und Kunar - sollen sie im Jahr 2019 fertiggestellt werden. Das Ministerium für höhere Bildung unterstützt Frauen auch finanziell. Zum einen haben im Jahr 2018 100 Frauen Stipendien erhalten, des Weiteren wurden 41 Frauen zum Studieren ins Ausland entsandt und 65 weitere werden ihren Masterabschluss 2018 mithilfe des Higher Education Development Programms erreichen (WB 06.11.2018). Im Mai 2016 eröffnete in Kabul der Moraa Educational Complex, die erste Privatuniversität für Frauen in Afghanistan mit einer Kapazität von 960 Studentinnen (MED o.D.). Im Herbst 2015 eröffnete an der Universität Kabul der Masterlehrgang für „Frauen- und Genderstudies“ (KP 18.10.2015; vgl. EN 25.10.2018; Najimi 2018). Die ersten Absolventinnen und Absolventen haben bereits im Jahr 2017 das Studium abgeschlossen (UNDP 07.11.2017). Anmerkung: Weitergehende Informationen zum Bildungswesen in Afghanistan können dem Kapitel „Schulbildung in Afghanistan“, Unterkapitel „Kinder“ entnommen werden. Berufstätigkeit von Frauen Das Gesetz sieht die Gleichstellung von Mann und Frau im Beruf vor, sagt jedoch nichts zu gleicher Bezahlung bei gleicher Arbeit. Das Gesetz untersagt Eingriffe in das Recht von Frauen auf Arbeit; dennoch werden diese beim Zugang zu Beschäftigung und Anstellungsbedingungen diskriminiert (USDOS 11.03.2020). Viele afghanische Männer teilen die Ansicht, Frauen sollen das Haus nicht verlassen, geschweige denn politisch aktiv sein (STDOK 25.06.2020, vgl. WS 02.12.2019). Die Akzeptanz der Berufstätigkeit von Frauen variiert je nach Region und ethnischer bzw. Stammeszugehörigkeit (AA 16.07.2020; vgl. BBW 28.08.2019). Die städtische Bevölkerung hat kaum ein Problem mit der Berufstätigkeit ihrer Ehefrauen oder Töchter. In den meisten ländlichen Gemeinschaften sind konservative Einstellungen nach wie vor präsent, und viele Frauen gehen aus Furcht vor sozialer Ächtung keiner Arbeit außerhalb des Hauses nach (STDOK 4.2018). In den meisten Teilen Afghanistans ist es Tradition, dass Frauen und Mädchen selten außerhalb des Hauses gesehen oder gehört werden sollten (BBC 06.09.2019). - 123 -

Die Erwerbsbeteiligung von Frauen hat sich auf 27% erhöht (UNGA 03.04.2019). Erfolgreiche afghanische Frauen arbeiten als Juristinnen, Filmemacherinnen, Pädagoginnen und in anderen Berufen (STDOK 25.06.2020; vgl. OI 03.12.2019). Ob Frauen berufstätig sind oder nicht, hängt vor allem vom Verhalten ihrer Familien wie auch ihrem Ausbildungsniveau ab. Neben dem allgemeinen Mangel an Arbeitsmöglichkeiten aufgrund der Arbeitsmarktlage und Jobvoraussetzungen, welche Frauen aufgrund der historischen Benachteiligung bei der Ausbildung von Mädchen schwerer erfüllen können als Männer, sind es vor allem kulturelle Hindernisse, die als Problemfelder gelten und Frauen von einer (bezahlten) Arbeitstätigkeit abhalten (STDOK 21.07.2020). Frauen berichten weiterhin, mit Missgunst konfrontiert zu sein, wenn sie nach beruflicher oder finanzieller Unabhängigkeit streben - sei es von konservativen Familienmitgliedern, Hardlinern islamischer Gruppierungen (STDOK 25.06.2020; vgl. REU 20.05.2019) oder gewöhnlichen afghanischen Männern (STDOK 25.06.2020; vgl. WS 26.11.2019). Für das Jahr 2020 wurde der Anteil der arbeitenden Frauen von der Weltbank mit 22,8% angegeben (WB 21.06.2020). Bemühungen der afghanischen Regierung, Schlüsselpositionen mit Frauen zu besetzen und damit deren Präsenz zu erhöhen, halten weiter an (KP 24.03.2019). So ist die afghanische Regierung seit dem Jahr 2014 bemüht, den Anteil von Frauen in der Regierung von 22% auf 30% zu erhöhen (USAID 24.07.2019). Frauen besetzen innerhalb der afghanischen Regierung und Spitzenverwaltung beispielsweise folgende Positionen: elf stellvertretende Ministerinnen, drei Ministerinnen und fünf Botschafterinnen. Nicht alle erachten diese Veränderungen als positiv - manche suggerieren, Präsident Ghanis Ernennungen seien symbolisch und die Kandidatinnen unerfahren oder dass ihnen die notwendigen Kompetenzen fehlen würden (RFE/RL 06.12.2018). Im Rahmen einer Ausbildung für Beamte des öffentlichen Dienstes sollen Frauen mit den notwendigen Kompetenzen und Fähigkeiten ausgestattet werden, um ihren Dienst in der afghanischen Verwaltung erfolgreich antreten zu können. Ab dem Jahr 2015 und bis 2020 sollen mehr als 3.000 Frauen in einem einjährigen Programm für ihren Posten in der Verwaltung ausgebildet werden. Mit Stand Juli 2019 haben 2.800 Frauen das Programm absolviert. 900 neue Mitarbeiterinnen sind in Kabul, Balkh, Kandahar, Herat und Nangarhar in den Dienst aufgenommen worden (USAID 24.07.2019). Viele Frauen werden von der Familie unter Druck gesetzt, nicht arbeiten zu gehen (USDOS 11.03.2020); traditionell wird der Mann als Ernährer der Familie betrachtet, während Frauen Tätigkeiten im Haushalt verrichten. Dies bedeutet für die Frauen eine gewisse Sicherheit, macht sie allerdings auch wirtschaftlich abhängig - was insbesondere bei einem Partnerverlust zum Problem wird (Najimi 2018). Auch werden bei der Anstellung Männer bevorzugt. Es ist schwieriger für ältere und verheiratete Frauen, Arbeit zu finden, als für junge alleinstehende. Berufstätige Frauen berichten über Beleidigungen, sexuelle Belästigung, fehlende Fahrgelegenheiten und fehlende Kinderbetreuungseinrichtungen. Auch wird von Diskriminierung beim Gehalt berichtet (USDOS 11.03.2020). Das hohe Ausmaß an sexueller Belästigung am Arbeitsplatz ist ein Grund, warum Familien ihren weiblichen Mitgliedern eine Arbeitstätigkeit außerhalb des Hauses oder ein Studium nicht erlauben (STDOK 21.07.2020). Mittlerweile wurden landesweit mehr als 1.000 Unternehmen von Frauen gegründet, die sie selbst auch leiten. Die im Jahr 2017 gegründete afghanischen Gewerbebehörde „Women’s Chamber of Commerce and Industry“ zählt mittlerweile 850 von Frauen geführten Unternehmen zu ihren Mitgliedern (STDOK 25.06.2020; vgl. OI 03.12.2019). Die First MicroFinance Bank (FMFB-A), eine Tochter der Aga Khan Agency for Microfinance, bietet Finanzdienstleistungen und Mikrokredite primär für Frauen (STDOK 4.2018; vgl. FMFB o.D.a) und hat 39 Niederlassungen in 14 Provinzen (FMFB o.D.b).

Politische Partizipation und Öffentlichkeit Die politische Partizipation von Frauen ist in ihren Grundstrukturen rechtlich verankert und hat sich deutlich verbessert. So sieht die afghanische Verfassung Frauenquoten für das Zweikammerparlament vor: Ein Drittel der 102 Sitze im Oberhaus (Meshrano Jirga) werden durch den Präsidenten vergeben; von diesem Drittel des Oberhauses sind gemäß Verfassung 50% für Frauen bestimmt. Im Unterhaus (Wolesi Jirga) sind 68 der 250 Sitze für Parlamentarierinnen reserviert (AA 16.07.2020; vgl. USDOS 11.03.2020). Bei den Wahlen zum Unterhaus (Wolesi Jirga) im Oktober 2018 traten landesweit 417 Kandidatinnen an (MBZ 07.03.2019); insgesamt vertreten 79 Frauen 33 Provinzen (AAN 17.05.2019). Das per Präsidialdekret erlassene Wahlgesetz sieht eine Frauenquote von mindestens 25% in den Provinz- (AA 16.07.2020), Distrikt- und Dorfräten vor. Bis zum Ende des Jahres 2019 war dies in keinem Distrikt- oder Dorfrat der Fall (USDOS 13.03.2019). Zudem sind mindestens zwei von sieben Sitzen in der Unabhängigen Wahlkommission (Independent Electoral Commission, IEC) für Frauen vorgesehen. Die Independent Administrative Reform and Civil Service Commission (IARCSC) hat sich die Erhöhung des Frauenanteils im öffentlichen Dienst von 22% auf 24% für das Jahr 2019 und 26% im Jahr 2020 zum Ziel gesetzt (AA 16.07.2020). Traditionelle gesellschaftliche Praktiken schränken die Teilnahme von Frauen in der Politik und bei Aktivitäten außerhalb des Hauses und der Gemeinschaft ein; wie z.B. die Notwendigkeit eines männlichen Begleiters oder - 124 - einer Erlaubnis, um zu arbeiten. Frauen, die politisch aktiv sind, sind auch weiterhin mit Gewalt konfrontiert und Angriffsziele der Taliban und anderer Aufständischengruppen. Dies, gemeinsam mit einem Rückstand an Bildung und Erfahrung, führt dazu, dass die Zentralregierung männlich dominiert ist (USDOS 11.03.2020). Frauen sind nur selten in laufende Friedensverhandlungen integriert. Die Verhandlungen in Moskau im Februar 2019 waren eine Ausnahme, als zwei Frauen als Mitglieder der inoffiziellen Regierungsdelegation mit den Taliban verhandelten (TD 27.05.2019). Bei der Loya Jirga im Mai 2019 waren 30% der Delegierten Frauen. Einige von ihnen gaben jedoch an, dass sie ignoriert, marginalisiert und bevormundet wurden (NYT 03.05.2019; vgl. STDOK 25.06.2020). Beispiele für Frauen außerhalb der Politik, die in der Öffentlichkeit stehen, sind die folgenden: In der Provinz Kunduz existiert ein Radiosender - Radio Roshani - nur für Frauen. In der Vergangenheit wurde sowohl die Produzentin bzw. Gründerin mehrmals von den Taliban bedroht, als auch der Radiosender selbst angegriffen. Durch das Radio werden Frauen über ihre Rechte informiert; Frauen können während der Sendung Fragen zu Frauenrechten stellen. Eines der häufigsten Probleme von Frauen in Kunduz sind gemäß einem Bericht Probleme in polygamen Ehen (BBC 06.09.2019). Zan TV, der einizige afghanische Sender nur für Frauen, wurde im Jahr 2017 gegründet. Bei Zan-TV werden Frauen ausgebildet, um alle Jobs im Journalismusbereich auszuüben. Der Gründer des TV-Senders sagt, dass sein Ziel eine zu 80-85% weibliche Belegschaft ist; denn Männer werden auch benötigt, um zu zeigen, dass eine Zusammenarbeit zwischen Männern und Frauen möglich ist. Wie andere Journalistinnen und Journalisten werden auch die Damen von Zan-TV bedroht und beleidigt (BBC 19.04.2019). Anmerkung: Informationen zu Frauen in NGOs, den Medien und den afghanischen Sicherheitskräften können den Kapiteln „NGOs und Menschenrechtsaktivisten“, „Meinungs- und Pressefreiheit“ und „Sicherheitsbehörden“ entnommen werden. Strafverfolgung und rechtliche Unterstützung Der Großteil der gemeldeten Fälle von Gewalt an Frauen stammt aus häuslicher Gewalt (US- DOD 6.2019). Häusliche Gewalt wird Berichten zufolge vor Gericht nicht als legitimer Grund für eine Scheidung angesehen (STDOK 21.07.2020). Viele Gewaltfälle gelangen nicht vor Gericht, sondern werden durch Mediation oder Verweis auf traditionelle Streitbeilegungsformen (Shura/Schura und Jirgas) verhandelt. Traditionelle Streitbeilegung führt oft dazu, dass Frauen ihre Rechte, sowohl im Strafrecht als auch im zivilrechtlichen Bereich wie z. B. im Erbrecht, nicht gesetzeskonform zugesprochen werden. Viele Frauen werden aufgefordert, den „Familienfrieden“ durch Rückkehrzu ihrem Ehemann wiederherzustellen (AA 16.07.2020). Im Fall einer Scheidung wird häufig die Frau als alleinige Schuldige angesehen. Auch ist es verpönt, Probleme außerhalb der Familie vor Gericht zu lösen (STDOK 21.07.2020). Für Frauen, die nicht zu ihren Familien zurückkehren können, werden in einigen Fällen vom Ministerium für Frauenangelegenheiten und nicht-staatlichen Akteuren Ehen arrangiert (USDOS 11.03.2020). Um Frauen und Kinder, die Opfer von häuslicher Gewalt wurden, zu unterstützen, hat das Innenministerium (Mol) im Jahr 2014 landesweit Family Response Units (FRU) eingerichtet. Manche dieser FRUs sind mit Fachleuten wie Psychologen und Sozialarbeitern besetzt, welche die Opfer befragen und aufklären und ihre physische sowie psychische medizinische Behandlung überwachen. Ziel des Mol ist es, für alle FRUs eine weibliche Leiterin, eine zusätzliche weibliche Polizistin sowie einen Sicherheitsmann bereitzustellen (USDOD 6.2019). Einige FRUs haben keinen permanent zugewiesenen männlichen Polizisten, und es gibt Verzögerungen bei der Besetzung der Dienstposten in den FRUs (USDOD 12.2018). Gesellschaftlicher Widerstand erschwert es den FRUs, Verbrechen geschlechtsspezifischer Gewalt, Zwangsheirat und Menschenhandel anzuzeigen (USDOD 12.2019). Es existieren Projekte zur Verbesserung des Rechtszugangs von Frauen. Es besteht beispielsweise ein Netzwerk aus Vertreterinnen der Zivilgesellschaft, welches Fälle aufspürt, bei denen Personen Rechtsbeistand benötigen. Das Programm richtet sich nicht ausschließlich an Frauen, unterstützt diese aber auch bei Rechtsproblemen mittels Fürsprache und der Vermittlung von Rechtsbeiständen. So wurde beispielsweise für eine Frau, welche aufgrund verschiedener Vorwürfe im Gefängnis saß, eine Rechtsvertretung bereitgestellt.

EVAW-Gesetz und neues Strafgesetzbuch Das Lawon Elimination ofViolence against Women (EVAW-Gesetz) wurde durch ein Präsidialdekret im Jahr 2009 eingeführt und ist eine wichtige Grundlage für den Kampf gegen Gewalt an Frauen und beinhaltet auch die weit verbreitete häusliche Gewalt. Das EVAW sowie Ergänzungen im Strafgesetzbuch werden jedoch nur unzureichend umgesetzt (AA 16.07.2020). Das für afghanische Verhältnisse progressive Gesetz beinhaltet eine weite Definition von Gewaltverbrechen gegen Frauen, darunter auch Belästigung, und behandelt erstmals in der Rechtsgeschichte Afghanistans auch Früh- und Zwangsheiraten sowie Polygamie (AAN 29.05.2018). Das EVAW-Gesetz wurde im Jahr 2018 im Zuge eines Präsdialdekrets erweitert und kriminalisiert 22 Taten als Gewalt gegen Frauen. Dazu zählen: Vergewaltigung; Körperverletzung oder Prügel, Zwangsheirat, Erniedrigung, - 125 -

Einschüchterung, und Entzug von Erbschaft. Das neue Strafgesetzbuch kriminalisiert sowohl die Vergewaltigung von Frauen als auch Männern - das Gesetz sieht dabei eine Mindeststrafe von fünf bis 16 Jahren für Vergewaltigung vor, und bis zu 20 Jahre oder mehr, wenn erschwerende Umstände vorliegen. Sollte die Tat zum Tod des Opfers führen, so ist für den Täter die Todesstrafe vorgesehen. Im neuen Strafgesetzbuch wird explizit die Vergewaltigung Minderjähriger kriminalisiert, auch wird damit erstmals die strafrechtliche Verfolgung von Vergewaltigungsopfern wegen Zina (Sex außerhalb der Ehe) verboten (USDOS 11.03.2020). Unter dem EVAW-Gesetz muss der Staat Verbrechen untersuchen und verfolgen - auch dann, wenn die Frau die Beschwerde nicht einreichen kann bzw. diese zurückzieht. Dieselben Taten werden auch im neuen afghanischen Strafgesetzbuch kriminalisiert (UNAMA/OHCHR 5.2018; vgl. AAN 29.05.2018). Das Gesetz sieht außerdem die Möglichkeit von Entschädigungszahlungen für die Opfer vor (AI 28.08.2019). Die Behörden setzen diese Gesetze nicht immer vollständig durch; obwohl die Regierung gewisse Angelegenheiten, die unter EVAW fallen, auch über die EVAW-Strafverfolgungseinheiten umsetzt Einem UN- Bericht zufolge, dem eine eineinhalbjährige Studie (8.2015 - 12.2017) mit 1.826 Personen (Mediatoren, Repräsentanten von EVAW-Institutionen) vorausgegangen war, werden Ehrenmorde und andere schwere Straftaten von EVAW-Institutionen und NGOs oftmals an Mediationen oder andere traditionelle Schlichtungssysteme verwiesen (UNAMA/OHCHR 5.2018; vgl. AAN 29.05.2018).

Frauenhäuser Weibliche Opfer von häuslicher Gewalt, Vergewaltigungen oder Zwangsehen sind meist auf Schutzmöglichkeiten außerhalb der Familie angewiesen, da die Familie oft (mit-)ursächlich für die Notlage ist. Landesweit gibt es in den großen Städten Frauenhäuser, deren Angebot sehr oft in Anspruch genommen wird. Manche Frauen finden vorübergehend Zuflucht, andere wiederum verbringen dort viele Jahre (AA 16.07.2020). Es gibt 27 – 28 Frauenhäuser (USDOS 11.03.2020) in Afghanistan unter dem MOWA (Ministry of Women Affairs) und der AIHRC (Afghanistan Independent Human Rights Commission), die vom Staat und von NGOs betrieben werden (RA KBL 12.10.2020a). Frauenhäuser sind in der afghanischen Gesellschaft höchst umstritten, da immer wieder Gerüchte gestreut werden, diese Häuser seien Orte für „unmoralische Handlungen“ und die Frauen in Wahrheit Prostituierte. Sind Frauen erst einmal im Frauenhaus untergekommen, ist es für sie sehr schwer, danach wieder in ein Leben außerhalb zurückzufinden. Für Frauen, die auf Dauer weder zu ihren Familien noch zu ihren Ehemännern zurückkehren können, hat man in Afghanistan bisher keine Lösung gefunden. Generell ist in Afghanistan das Prinzip eines individuellen Lebens weitgehend unbekannt (AA 16.07.2020). Dass Frauen selbst in Städten wie Mazar-e Sharif völlig alleine leben, ist nur schwer vorstellbar (STDOK 16.07.2020). Auch unverheiratete Erwachsene leben in der Regel im Familienverband. Für Frauen ist ein alleinstehendes Leben außerhalb des Familienverbandes kaum möglich und wird gemeinhin als unvorstellbar oder gänzlich unbekannt beschrieben (AA 16.07.2020). Oftmals versuchen Väter, ihre Töchter aus den Frauenhäusern zu holen und sie in Beziehungen zurückzudrängen, aus denen sie geflohen sind, oder Ehen mit älteren Männern oder den Vergewaltigern zu arrangieren (NYT 17.03.2018). Auch das Ministerium für Frauenangelegenheiten arrangiert manchmal Ehen für Frauen, die nicht zu ihren Familien zurückkehren können (USDOS 11.03.2020). Nach UN-Angaben aus dem Jahr 2017 werden neben den Frauenhäusern auch 17 Family Guidance Centers (FGCs) von zivilgesellschaftlichen Organisationen betrieben, wo Frauen bis zu einer Woche unterkommen können, bis eine längerfristige Lösung gefunden wurde oder sie nach Hause zurückkehren. Frauen aus ländlichen Gebieten ist es logistisch allerdings nur selten möglich, eigenständig ein Frauenhaus oder FGC zu erreichen (AA 16.07.2020). Die EVAW-Institutionen und andere Einrichtungen, die Gewaltmeldungen annehmen und für die Schlichtung zuständig sind, bringen die Gewaltopfer während des Verfahrens oft in Schutzhäuser (z.B. Frauenhäuser), nachdem die Familie und das Opfer konsultiert wurden (UNAMA/OHCHR 5.2018). Es gibt in allen 34 Provinzen EVAW-Ermittlungseinrichtungen und in mindestens 22 Provinzen EVAW-Gerichtsabteilungen an den Haupt- und den Berufungsgerichten (USDOS 11.03.2020). In manchen Fällen werden Frauen inhaftiert, wenn sie Verbrechen, die gegen sie begangen wurden, anzeigen. Manchmal, wenn die Unterbringung in Frauenhäusern nicht möglich ist, werden Frauen in Schutzhaft genommen, um sie vor Gewalt seitens ihrer Familienmitglieder zu beschützen. Die Schutzzentren für Frauen sind insbesondere in den Großstädten manchmal überlastet, und die Notunterkünfte sind im Westen, Zentrum und Norden des Landes konzentriert. Es kommt auch vor, dass Frauen stellvertretend für männliche Verwandte inhaftiert werden, um den Delinquenten unter Druck zu setzen, sich den Behörden zu stellen (USDOS 11.03.2020).

Sexualisierte und geschlechtsspezifische Gewalt Sexualisierte und geschlechtsspezifische Gewalt ist, unabhängig von der Ethnie, weitverbreitet und kaum - 126 - dokumentiert (AA 16.07.2020; vgl. AI 30.01.2020). Von den im Jahre 2019 4.693 durch AIHRC dokumentierten Fällen von Gewalt gegen Frauen waren 194 (4,1%) sexueller Gewalt zuzuschreiben (AIHRC 23.03.2020). Gewalttaten gegen Frauen und Mädchen finden zu über 90% innerhalb der Familienstrukturen statt. Die Gewalttaten reichen von Körperverletzung und Misshandlung über Zwangsehen bis hin zu Vergewaltigung und Mord (AA 16.07.2020). Ehrenmorde an Frauen werden typischerweise von einem männlichen Familien- oder Stammesmitglied verübt (STDOK 03.07.2014) und kommen auch weiterhin vor (USDOS 11.03.2020). Afghanische Expertinnen und Experten sind der Meinung, dass die Zahl der Mordfälle an Frauen und Mädchen viel höher ist, da sie normalerweise nicht zur Anzeige gebracht werden (UNAMA 5.2018). Zwangsheirat und Verheiratung von Mädchen unter 16 Jahren sind noch weit verbreitet (AA 16.07.2020; vgl. USDOS 11.03.2020, MBZ 07.03.2019, 20 minutes 28.11.2018), wobei die Datenlage hierzu sehr schlecht ist (AA 16.07.2020). Als Mindestalter für Vermählungen definiert das Zivilgesetz Afghanistans für Mädchen 16 Jahre (15 Jahre, wenn dies von einem Elternteil bzw. einem Vormund und dem Gericht erlaubt wird) und für Burschen 18 Jahre (USDOS 11.03.2020; vgl. AA 16.07.2020). Dem Gesetz zufolge muss vor der Eheschließung nachgewiesen werden, dass die Braut das gesetzliche Alter für die Eheschließung erreicht, jedoch besitzt nur ein kleiner Teil der Bevölkerung Geburtsurkunden (USDOS 11.03.2020). In der Praxis wird das Alter, in dem Buben und Mädchen heiraten können, auf der Grundlage der Pubertät festgelegt. Das verhindert, dass Mädchen vor dem Alter von fünfzehn Jahren heiraten. Aufgrund der fehlenden Registrierung von Ehen wird die Ehe von Kindern kaum überwacht (MBZ 07.03.2019). Auch haben Mädchen, die nicht zur Schule gehen, ein erhöhtes Risiko, verheiratet zu werden (MBZ 07.03.2019). Gemäß dem EVAW-Gesetz werden Personen, die Zwangsehen bzw. Frühverheiratung arrangieren, für mindestens zwei Jahre inhaftiert; jedoch ist die Durchsetzung dieses Gesetzes limitiert (USDOS 11.03.2020). Nach Untersuchungen von UNICEF und dem afghanischen Ministerium für Arbeit und Soziales wurde in den letzten fünf Jahren die Anzahl der Kinderehen um 10% reduziert. Die Zahl ist jedoch weiterhin hoch: In 42% der Haushalte ist mindestens eine Person unter 18 Jahren verheiratet (MBZ 07.03.2019). Mahr ist eine Art Morgengabe, deren Ursprung sich im Koran findet. Es handelt sich um einen Geldbetrag, den der Bräutigam der Braut geben muss. Dies ist in Afghanistan weit verbreitet (MoLSAMD/UNICEF 7.2018), insbesondere im ländlichen Raum (WAW o.D.) und sollte nicht mit dem Brautpreis (Walwar auf Pashto und Toyana/Sherbaha auf Dari) verwechselt werden. Der Brautpreis ist eine Zahlung, die an den Vater der Braut ergeht, während Mahr ein finanzielles Versprechen des Bräutigams an seine Frau ist. Dem islamischem Recht (Sharia) zufolge haben Frauen, die einen Ehevertrag abschließen, einen Anspruch auf Mahr, damit sie und ihre Kinder im Falle einer Scheidung oder Tod des Ehegatten (finanziell) abgesichert sind. Der hanafitischen Rechtsprechung zufolge darf eine Frau die Mahr nach eigenem Ermessen nutzen - das heißt, sie kann diese auch zurückgeben oder mit ihrem Mann oder ihrer Großfamilie teilen. Befragungen in Gemeinschaften zufolge wird die Mahr fast nie so umgesetzt, wie dies in der islamischen Rechtsprechung vorgeschrieben ist - selbst dann, wenn die betroffenen Personen das Heiratsgesetz, in dem die Mahr festgehalten ist, kennen (AAN 25.10.2016). Entgegen dem islamischen Recht erhält in der Regel nicht die Braut, sondern ihre Familie das Geld. Familien mit geringem Einkommen neigen daher dazu, ihre Töchter bereits in jungen Jahren zu verheiraten, da die Morgengabe für jüngere Mädchen in der Regel höher ist (MoLSAMD/UNICEF 7.2018). Oft sind die Männer deutlich älter und haben schon andere Ehefrauen (WAW o.D.). Die Praktiken des Badal (Vergeltung) und Ba‘ad/Swara (die Praxis der Streitschlichtung, bei der die Familie des Täters ein Mädchen an die Familie des Opfers verkauft) (STDOK 7.2016) sind stark von den wirtschaftlichen Bedingungen getrieben und tief mit den sozialen Traditionen verwurzelt (MoLSAMD/UNICEF 7.2018). Das Gesetz kriminalisiert Zwangs-, Minderjährigen- und Ba’ad-Ehen sowie die Einmischung in das Recht der Frau, ihren Ehepartner zu wählen. NGOs berichten von Fällen, in denen Ba’ad nach wie vor praktiziert wird, oft in abgelegenen Provinzen. Die Praxis des Brautaustauschs zwischen Familien wurde nicht kriminalisiert und blieb weit verbreitet. (USDOS 11.03.2020; vgl. WAW o.D.). Durch einen Brauttausch im Sinne von Badal sollen hohe Kosten für beide Familien niedrig gehalten werden (MoLSAMD/UNICEF 7.2018). Wenn die Familie oder eine Jirga diese Entscheidung trifft, müssen sich die betroffenen Frauen oder Mädchen fügen (EASO 12.2017).

Familienplanung und Verhütung Das Recht auf Familienplanung wird von wenigen Frauen genutzt. Auch wenn der weit überwiegende Teil der afghanischen Frauen Kenntnisse über Verhütungsmethoden hat, nutzen nur etwa 22% (überwiegend in den Städten und gebildeteren Schichten) die entsprechenden Möglichkeiten (AA 16.07.2020; vgl. UNPF 17.07.2018). Dem Afghanistan Demographic and Health Survey zufolge würden etwa 25% aller Frauen gerne Familienplanung betreiben (UNPF 17.07.2018). Dem Strafgesetzbuch zufolge ist das Verteilen von Kondomen zulässig, jedoch beschränkte die Regierung die Verbreitung nur auf verheiratete Paare (USDOS 11.03.2020). Das Gesundheitsministerium bietet Sensibilisierungsmaßnahmen u.a. für Frauen und verteilt Arzneimittel (Pille). In Herat-Stadt und den umliegenden Distrikten steigt die Zustimmung dafür, und es gibt Frauen, welche - 127 - die Pille verwenden; in den ländlichen Gebieten hingegen stoßen solche Maßnahmen meistens auf Unverständnis und werden nicht akzeptiert. Internationale NGOs und das Gesundheitsministerium bieten hauptsächlich in den Geburtenabteilungen der Krankenhäuser Aufklärungskampagnen durch Familienplanungsberater an (STDOK 13.06.2019). Ein von den US-Amerikanern initiiertes Programm, welches im Zeitraum von 1.2015 bis 1.2020 (RB KBL 20.10.2020) lief, USAID’s Helping Mothers and Children Thrive (HEMAYAT), zielte darauf ab, den Zugang und die Verwendung von Verhütungsmitteln, Mütter-, Neugeborenen- und Kindergesundheitsdienstleistungen zu erhöhen. Ein weiteres Ziel war, das Zuweisungssystem auf Provinzebene zu verbessern. Allein durch die Ausbildung und die Bereitstellung von Ausrüstung konnten 25 Hebammenzentren in den Provinzen Balkh, Herat und Kandahar etabliert werden. Viele Frauen gebären Kinder bereits in sehr jungem Alter (AA 16.07.2020). Frühe und Kinderheiraten und eine hohe Fertilitätsrate mit geringen Abständen zwischen den Geburten tragen zu einer sehr hohen Müttersterblichkeit [Anmerkung: Tod einer Frau während der Schwangerschaft bis 42 Tage nach Schwangerschaftsende] bei. Diese ist mit 638 Todesfällen pro 100.000 Lebendgeburten die höchste in der Region (UNICEF 8.2020; zum Vergleich Österreich: 4). Es gibt keine Berichte zu Zwangsabtreibungen oder unfreiwilligen Sterilisierungen (USDOS 11.03.2020).

Reisefreiheit von Frauen Diesbezüglich bewegen sich die Aussagen der Quellen innerhalb einer gewissen Bandbreite. Die Reisefreiheit von Frauen ohne männliche Begleitung ist durch die sozialen Normen definitiv eingeschränkt (USDOS 11.03.2020; vgl. STDOK 25.06.2020, STDOK 4.2018, MBZ 07.03.2019, STDOK 13.06.2019). Die einen Quellen formulieren, dass Frauen sich grundsätzlich, abgesehen von großen Städten wie Kabul, Herat oder Mazar-e Sharif, nicht ohne einen männlichen Begleiter in der Öffentlichkeit bewegen können. Es gelten strenge soziale Anforderungen an ihr äußeres Erscheinungsbild in der Öffentlichkeit, deren Einhaltung sie jedoch nicht zuverlässig vor sexueller Belästigung schützt (AA 16.07.2020; vgl. STDOK 25.06.2020, MBZ 07.03.2019, STDOK 13.06.2019). Nach Aussage einer NGO-Vertreterin hingegen kann sie selbst in unsichere Gegenden reisen, solange sie lokale Kleidungsvorschriften einhält (z.B. Tragen einer Burqa) und sie die lokale Sprache kennt. In der Stadt Mazar-e Sharif wird das Tragen des Hijab nicht so streng gehandhabt wie in den umliegenden Gegenden oder in anderen Provinzen (STDOK 4.2018). Generell hängt das Ausmaß an Bewegungs- und Entscheidungsfreiheit der Frauen unter anderem vom Wohnort, der Einstellung ihrer Familien, der Sicherheitslage und dem Bildungsgrad ab (STDOK 21.07.2020). In ländlichen Gebieten und Gebieten unter Kontrolle von regierungsfeindlichen Gruppierungen werden Frauen, die soziale Normen missachten, beispielsweise durch das Nicht-Tragen eines Kopftuches oder einer Burka, bedroht und diskriminiert (MBZ 07.03.2019). Nur wenige Frauen in Afghanistan fahren Auto. In Städten und Dörfern werden Frauen hinter dem Steuer angefeindet, etwa von Gemeindevorständen, Talibansympathisanten oder gar Familienmitgliedern. Die Hauptstadt Kabul ist landesweit einer der wenigen Orte, wo autofahrende Frauen zu sehen sind (STDOK 4.2018; vgl. STDOK 13.06.2019). Es gibt in Mazar-e Sharif eine Fahrschule für Frauen. In rund drei Jahren haben dort ca. 500 Frauen einen Führerschein gemacht, was von der DoWA (Departments of Women’s Affairs) unterstützt wird (STDOK 21.07.2020).“

4. Beweiswürdigung:

Der Beweiswürdigung liegen folgende maßgebende Erwägungen zugrunde:

Der Verfahrensgang ergibt sich aus den zur gegenständlichen Rechtssache vorliegenden Verfahrensakten des BFA und des BVwG.

4.1. Zur Person der BF:

- 128 -

4.1.1. Die Feststellungen zur Identität der BF ergeben sich aus ihren Angaben vor dem BFA und im Beschwerdeverfahren sowie in der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG.

Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit und Herkunft, insbesondere zu ihrer Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit sowie zu den Lebensumständen der BF, stützen sich auf die diesbezüglich glaubhaften Angaben der BF im Verfahren vor dem BFA und in der Beschwerde sowie in der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG sowie auf die Kenntnis und Verwendung der Sprache Dari sowie die Kenntnis der geografischen Gegebenheiten Afghanistans.

Die Identität der BF steht mit für das Verfahren ausreichender Sicherheit fest.

4.2. Zu den Fluchtgründen der BF:

4.2.1. Das Vorbringen der BF1 zu ihrer Furcht vor Verfolgung im Fall der Rückkehr nach Afghanistan war in ganzheitlicher Würdigung der Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, insbesondere auch im Hinblick auf die vorliegenden herkunftsstaatsbezogenen Erkenntnisquellen, insgesamt als glaubhaft zu beurteilen.

Die BF1 hat im Wesentlichen übereinstimmend, plausibel und schlüssig dargelegt, dass sie ihr bisheriges Leben in Afghanistan verbracht hat und dort keine Möglichkeit einer Berufsausbildung oder freien Berufsausübung hatte.

Sie dürfte im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan kein ausreichend frei bestimmtes Leben führen und in der Öffentlichkeit ohne Erfüllung bestimmter Bekleidungsvorschriften nicht verkehren. Es steht nunmehr die nach außen hin auch erkennbare persönliche Wertehaltung zu der in der afghanischen Gesellschaft vorherrschenden konservativ-restriktiven Wertehaltung hinsichtlich der Rolle und Stellung von Frauen im Widerspruch. Die persönliche und nach außen offen dargelegte Wertehaltung der BF1 an ein würdiges Leben als Frau steht zu der in Afghanistan weiterhin vorherrschenden Situation für Frauen im Gegensatz. Auch das äußere Erscheinungsbild der BF1 in der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG war ein dahingehendes Indiz.

In einer Gesamtschau der Angaben der BF1 im gesamten Verlauf des Verfahrens und aus den dargelegten Erwägungen erscheint das Vorbringen der BF1 zu ihrer Furcht vor Verfolgung in Afghanistan insgesamt als glaubhaft. Es ist daher davon auszugehen, dass der BF1 im Fall der - 129 -

Rückkehr nach Afghanistan mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus asylrelevanten Gründen drohen würde und die staatlichen Einrichtungen Afghanistans nicht in der Lage sein würden, der BF1 vor dieser Verfolgung im ausreichenden Maß Schutz zu bieten.

4.2.2. Der BF2 hat weitere, darüber hinausgehende Fluchtgründe in der mündlichen Beschwerdeverhandlung nicht mehr weiter thematisiert bzw. aufrechterhalten.

Die Angehörigeneigenschaft sowie das Zusammenleben im gemeinsamen Haushalt mit der BF1 wurden durch den BF2 glaubhaft gemacht (Inhalte der Verwaltungsakten, Melderegister).

Für den BF3 wurden keine eigenen asylrelevanten Fluchtgründe geltend gemacht.

4.3. Zur Lage im Herkunftsstaat der BF:

Die diesem Erkenntnis zugrundegelegten Länderfeststellungen (siehe oben Punkt 3.5.) gründen sich auf Berichte verschiedener anerkannter und teilweise vor Ort agierender staatlicher und nichtstaatlicher Institutionen und Personen, die in ihren Aussagen ein übereinstimmendes und schlüssiges Gesamtbild der Situation in Afghanistan ergeben. Angesichts der Seriosität der angeführten Erkenntnisquellen und der Plausibilität der überwiegend übereinstimmenden Aussagen besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln.

Die Feststellungen zur Situation (von Frauen) in Afghanistan beruhen u.a. auf das in die Beschwerdeverhandlung eingebrachte Länderinformationsblatt, das in seinen Aussagen ein übereinstimmendes, schlüssiges Gesamtbild der Situation (der Frauen) in Afghanistan ergibt.

Die Parteien haben diese Feststellungen nicht bestritten.

5. Rechtliche Beurteilung:

5.1. Anzuwendendes Recht:

- 130 -

Gegenständlich sind die Verfahrensbestimmungen des AVG, des BFA-VG, des VwGVG und jene im AsylG enthaltenen sowie die materiellen Bestimmungen des AsylG in der geltenden Fassung samt jenen Normen, auf welche das AsylG verweist, anzuwenden.

Mit 01.01.2006 ist das Bundesgesetz über die Gewährung von Asyl in Kraft getreten (AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 in der geltenden Fassung) und ist auf die ab diesem Zeitpunkt gestellten Anträge auf internationalen Schutz, sohin auch auf den vorliegenden, anzuwenden.

Gemäß § 6 Bundesverwaltungsgerichtsgesetz – BVwGG, BGBl. I Nr. 10/2013 in der geltenden Fassung, entscheidet das BVwG durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Gegenständlich liegt somit Einzelrichterzuständigkeit vor.

Gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 des BFA-Verfahrensgesetzes (BFA-VG), BGBl. I Nr. 87/2012 in der geltenden Fassung, entscheidet über Beschwerden gegen Entscheidungen (Bescheide) des BFA das BVwG.

Gemäß § 27 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, soweit es nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der Behörde gegeben findet, den angefochtenen Bescheid, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt und die angefochtene Weisung auf Grund der Beschwerde (§ 9 Abs. 1 Z 3 und 4) oder auf Grund der Erklärung über den Umfang der Anfechtung (§ 9 Abs. 3) zu überprüfen.

Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.

Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn 1. der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder 2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

- 131 -

Gemäß § 15 AsylG hat der Asylwerber am Verfahren nach diesem Bundesgesetz mitzuwirken und insbesondere ohne unnötigen Aufschub seinen Antrag zu begründen und alle zur Begründung des Antrags auf internationalen Schutz erforderlichen Anhaltspunkte über Nachfrage wahrheitsgemäß darzulegen.

Gemäß § 18 AsylG hat die Behörde in allen Stadien des Verfahrens von Amts wegen darauf hinzuwirken, dass die für die Entscheidung erheblichen Angaben gemacht oder lückenhafte Angaben über die zur Begründung des Antrages geltend gemachten Umstände vervollständigt, die Bescheinigungsmittel für die Angaben bezeichnet oder die angebotenen Bescheinigungsmittel ergänzt und überhaupt alle Aufschlüsse gegeben werden, welche zur Begründung des Antrages notwendig erscheinen. Erforderlichenfalls sind Bescheinigungsmittel auch von Amts wegen beizuschaffen.

Familienverfahren:

Gemäß § 34 Abs. 1 Z 3 AsylG gilt der Antrag eines Familienangehörigen eines Asylwerbers auf internationalen Schutz als „Antrag auf Gewährung desselben Schutzes“. Die Behörde hat gemäß § 34 Abs. 4 AsylG Anträge von Familienangehörigen eines Asylwerbers gesondert zu prüfen; die Verfahren sind „unter einem“ zu führen, und es erhalten alle Familienangehörigen den gleichen Schutzumfang. Entweder ist der Status des Asylberechtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wobei die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten vorgeht, es sei denn, alle Anträge wären als unzulässig zurückzuweisen oder abzuweisen. Jeder Asylwerber erhält einen gesonderten Bescheid.

Wird gegen eine zurückweisende oder abweisende Entscheidung im Familienverfahren auch nur von einem betroffenen Familienmitglied Beschwerde erhoben, gilt diese gemäß § 16 Abs. 3 BFA-VG auch als Beschwerde gegen die die anderen Familienangehörigen betreffenden Entscheidungen; keine dieser Entscheidungen ist dann der Rechtskraft zugänglich.

Gemäß § 2 Abs. 1 Z 22 AsylG ist „Familienangehöriger“, wer Elternteil eines minderjährigen Kindes, Ehegatte oder zum Zeitpunkt der Antragstellung minderjähriges lediges Kind eines Asylwerbers oder eines Fremden ist, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten zuerkannt wurde, sofern die Ehe bei Ehegatten bereits vor der Einreise des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten bestanden hat.

- 132 -

Aus der Wendung in § 34 Abs. 4 zweiter Satz AsylG, Familienverfahren seien „unter einem“ zu führen, ist abzuleiten, dass diese – jedenfalls in der hier vorliegenden Konstellation – von derselben Behörde zu führen sind. Demgemäß gehen die Materialien zum AsylG 2005 davon aus, dass Ziel der Bestimmungen des § 34 AsylG sei, Familienangehörigen den gleichen Schutz zu gewähren, ohne ihnen ein Verfahren im Einzelfall zu verwehren. Wenn einem Familienmitglied der Status eines Asylberechtigten zuerkannt werde, solle „dieser allen anderen Familienmitgliedern – im Falle von offenen Verfahren zur gleichen Zeit von der gleichen Behörde – zuerkannt werden“ (Erläuterungen zur RV, 952 BlgNR XXII. GP; vgl. zu § 10 Abs. 5 AsylG 1997 – bezogen auf die Frage der Zulassung – auch VwGH 18.10.2005, 2005/01/0402).

5.2. Rechtlich folgt daraus:

Zu Spruchteil A):

5.2.1. Die gegenständlichen und zulässigen Beschwerden wurden rechtzeitig beim BFA eingebracht und sind nach Vorlage am 24.01.2018 beim BVwG eingegangen. Die Verfahren wurden am 01.07.2020 der gegenständlichen Gerichtsabteilung zugeteilt. Da in den maßgeblichen gesetzlichen Bestimmungen eine Senatszuständigkeit nicht vorgesehen ist, obliegt in der gegenständlichen Rechtssache die Entscheidung dem nach der jeweils geltenden Geschäftsverteilung des BVwG zuständigen Einzelrichter.

5.2.2. Es liegt ein Familienverfahren gemäß § 34 AsylG vor.

5.2.3. Zu den Beschwerden:

Dem Vorbringen in den Beschwerden war im Ergebnis Erfolg beschieden.

5.2.4. Zu § 3 AsylG (Spruchpunkte I. der angefochtenen Bescheide):

Gemäß § 3 AsylG ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, soweit dieser Antrag nicht wegen Drittstaatssicherheit oder Zuständigkeit eines anderen Staates zurückzuweisen ist und glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 55/1955, in der Fassung des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 78/1974 (in der Folge GFK) droht - 133 -

(vgl. auch die Verfolgungsdefinition in § 2 Abs. 1 Z 11 AsylG, die auf Art. 9 der Statusrichtlinie (Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13.12.2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes; Neufassung) verweist.

Gemäß § 3 Abs. 3 AsylG ist der Asylantrag bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen, wenn dem Fremden eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 AsylG) offensteht oder wenn er einen Asylausschlussgrund (§ 6 AsylG) gesetzt hat.

Flüchtling im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 der GFK ist, wer sich „aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.“

Zentraler Aspekt dieses Flüchtlingsbegriffs der GFK ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Wohlbegründet kann eine Furcht nur dann sein, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers und unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist (vgl. z.B. VwGH 22.12.1999, 99/01/0334; VwGH 21.12.2000, 2000/01/0131; VwGH 25.01.2001, 2001/20/0011; VwGH 28.05.2009, 2008/19/1031). Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation (aus Konventionsgründen) fürchten würde.

Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH 21.12.2000, 2000/01/0131; VwGH 25.01.2001, 2001/20/011; VwGH 28.05.2009, 2008/19/1031). Für eine „wohlbegründete Furcht vor Verfolgung“ ist es nicht erforderlich, - 134 - dass bereits Verfolgungshandlungen gesetzt worden sind; sie ist vielmehr bereits dann anzunehmen, wenn solche Handlungen zu befürchten sind (VwGH 26.02.1997, 95/01/0454; VwGH 09.04.1997, 95/01/0555), denn die Verfolgungsgefahr – Bezugspunkt der Furcht vor Verfolgung – bezieht sich nicht auf vergangene Ereignisse (vgl. VwGH 18.04.1996, 95/20/0239; vgl. auch VwGH 16.02.2000, 99/01/097), sondern erfordert eine Prognose.

Verfolgungshandlungen, die in der Vergangenheit gesetzt worden sind, können im Rahmen dieser Prognose ein wesentliches Indiz für eine Verfolgungsgefahr sein (vgl. dazu VwGH 09.03.1999, 98/01/0318). Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in einem der Gründe haben, welche Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK nennt (VwGH 09.09.1993, 93/01/0284; VwGH 15.03.2001, 99720/0128); sie muss Ursache dafür sein, dass sich der Asylwerber außerhalb seines Heimatlandes bzw. des Landes seines vorherigen Aufenthaltes befindet. Die Verfolgungsgefahr muss dem Heimatstaat bzw. dem Staat des letzten gewöhnlichen Aufenthaltes zurechenbar sein (VwGH 16.06.1994, 94/19/0183; VwGH 18.02.1999, 98/20/0468). Relevant kann aber nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr sein; sie muss vorliegen, wenn der Asylbescheid erlassen wird; auf diesen Zeitpunkt hat die Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus den genannten Gründen zu befürchten habe (vgl. VwGH 09.03.1999, 98/01/0318; VwGH 19.10.2000, 98/20/0233).

Von einer mangelnden Schutzfähigkeit des Staates kann nicht bereits dann gesprochen werden, wenn der Staat nicht in der Lage ist, seine Bürger gegen jedwede Übergriffe seitens Dritter präventiv zu schützen. Es ist erforderlich, dass der Schutz generell infolge Fehlens einer nicht funktionierenden Staatsgewalt nicht gewährleistet wird (vgl. VwGH 01.06.1994, 94/18/0263; VwGH 01.02.1995, 94/18/0731). Die mangelnde Schutzfähigkeit hat jedoch nicht zur Voraussetzung, dass überhaupt keine Staatsgewalt besteht – diesfalls wäre fraglich, ob von der Existenz eines Staates gesprochen werden kann –, die ihren Bürgern Schutz bietet. Es kommt vielmehr darauf an, ob in dem relevanten Bereich des Schutzes der Staatsangehörigen vor Übergriffen durch Dritte aus den in der GFK genannten Gründen eine ausreichende Machtausübung durch den Staat möglich ist. Mithin kann eine von dritter Seite ausgehende Verfolgung nur dann zur Asylgewährung führen, wenn sie von staatlichen Stellen infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abgewendet werden kann (VwGH 22.03.2000, 99/01/0256).

Verfolgungsgefahr kann nicht ausschließlich aus individuell gegenüber dem Einzelnen gesetzten Einzelverfolgungsmaßnahmen abgeleitet werden, vielmehr kann sie auch darin - 135 - begründet sein, dass regelmäßig Maßnahmen zielgerichtet gegen Dritte gesetzt werden, und zwar wegen einer Eigenschaft, die der Betreffende mit diesen Personen teilt, sodass die begründete Annahme besteht, (auch) er könnte unabhängig von individuellen Momenten solchen Maßnahmen ausgesetzt sein (VwGH 09.03.1999, 98/01/0370; VwGH 22.10.2002, 2000/01/0322).

Die Voraussetzungen der GFK sind nur bei jenem Flüchtling gegeben, der im gesamten Staatsgebiet seines Heimatlandes keinen ausreichenden Schutz vor der konkreten Verfolgung findet (VwGH 08.10.1980, VwSlg. 10.255 A). Steht dem Asylwerber die Einreise in Landesteile seines Heimatstaates offen, in denen er frei von Furcht leben kann, und ist ihm dies zumutbar, so bedarf er des asylrechtlichen Schutzes nicht; in diesem Fall liegt eine sog. „inländische Fluchtalternative“ vor. Der Begriff „inländische Fluchtalternative“ trägt dem Umstand Rechnung, dass sich die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK, wenn sie die Flüchtlingseigenschaft begründen soll, auf das gesamte Staatsgebiet des Heimatstaates des Asylwerbers beziehen muss (VwGH 08.09.1999, 98/01/0503 und 98/01/0648).

Grundlegende politische Veränderungen in dem Staat, aus dem der Asylwerber aus wohlbegründeter Furcht vor asylrelevanter Verfolgung geflüchtet zu sein behauptet, können die Annahme begründen, dass der Anlass für die Furcht vor Verfolgung nicht (mehr) länger bestehe. Allerdings reicht eine bloße – möglicherweise vorübergehende – Veränderung der Umstände, die für die Furcht des betreffenden Flüchtlings vor Verfolgung mitbestimmend waren, jedoch keine wesentliche Veränderung der Umstände im Sinne des Art. 1 Abschnitt C Z 5 GFK mit sich brachten, nicht aus, um diese zum Tragen zu bringen (VwGH 21.01.1999, 98/20/0399; VwGH 03.05.2000, 99/01/0359).

Innerstaatliche Flucht- bzw. Schutzalternative:

Wenn Asylsuchende in bestimmten Landesteilen vor Verfolgung sicher sind und ihnen insoweit auch zumutbar ist, den Schutz ihres Herkunftsstaates in Anspruch zu nehmen, bedürfen sie nicht des Schutzes durch Asyl (vgl. z.B. VwGH 24.03.1999, 98/01/0352 mwN; VwGH 15.03.2001, 99/20/0036; VwGH 15.03.2001, 99/20/0134). Damit ist nicht das Erfordernis einer landesweiten Verfolgung gemeint, sondern vielmehr, dass sich die asylrelevante Verfolgungsgefahr für den Betroffenen – mangels zumutbarer Ausweichmöglichkeit innerhalb des Herkunftsstaates – im gesamten Herkunftsstaat auswirken muss (VwGH 09.11.2004, 2003/01/0534). Das Zumutbarkeitskalkül, das dem - 136 -

Konzept einer „inländischen Flucht- oder Schutzalternative“ (VwGH 09.11.2004, 2003/01/0534) innewohnt, setzt daher voraus, dass der Asylwerber dort nicht in eine ausweglose Lage gerät, zumal da auch wirtschaftliche Benachteiligungen dann asylrelevant sein können, wenn sie jede Existenzgrundlage entziehen (VwGH 08.09.1999, 98/01/0614, VwGH 29.03.2001, 2000/20/0539).

5.2.4.1. Asylgewährung an die BF1:

Auf Grund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens und des festgestellten Sachverhaltes ergibt sich, dass die behauptete Furcht der BF1, in ihrem Herkunftsstaat Afghanistan mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit aus den in der GFK genannten Gründen verfolgt zu werden, begründet ist:

Ein in seiner Intensität asylrelevanter Eingriff in die vom Staat zu schützende Sphäre des Einzelnen führt dann zur Flüchtlingseigenschaft, wenn er an einem in Art. 1 Abschnitt A Z 2 der GFK festgelegten Grund, nämlich die Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politische Gesinnung anknüpft.

Die BF1 hat mit ihrem Vorbringen – insbesondere in der mündlichen Verhandlung vor dem erkennenden Gericht – glaubhaft dargelegt, dass sie auf Grund ihrer persönlichen Weiterentwicklung (nachdem sie nun erstmals die Möglichkeit zum Erleben gesellschaftlicher Freiheit hatte) und ihrer nunmehr nach außen hin erkennbaren persönlichen Wertehaltung im Fall der Rückkehr nach Afghanistan mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung ausgesetzt sein würde.

Das von der persönlichen Wertehaltung der BF1 überwiegend getragene (und als westlich bezeichnete) Frauen- und Gesellschaftsbild – selbstbestimmt leben zu wollen – steht im Gegensatz zu der in Afghanistan immer noch vorherrschenden und durch bizarre gesellschaftliche und politisch-religiöse Zwänge gekennzeichneten Lebensweise.

Im Fall ihrer Rückkehr nach Afghanistan wäre die BF1 als Frau mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit massiven Einschränkungen und Diskriminierungen ausgesetzt.

Den getroffenen Feststellungen zufolge ist dieses Risiko sowohl als generelle, die afghanischen Frauen betreffende Gefährdung zu sehen (Risiko, Opfer einer Vergewaltigung oder eines sonstigen Übergriffs bzw. Verbrechens zu werden) als auch als spezifische - 137 -

Gefährdung, bei non-konformem Verhalten (das heißt bei Verstößen gegen gesellschaftliche Normen wie beispielsweise Bekleidungsvorschriften) einer „Bestrafung“ ausgesetzt zu sein. Aus beiden Aspekten resultierend wäre die BF1 im Fall ihrer Rückkehr nach Afghanistan mit einer Situation konfrontiert, in der sie in der Ausübung grundlegender Menschenrechte beeinträchtigt wäre.

Diese Situation ist auch durch die Aufnahme einer Bestimmung in der Verfassung von Afghanistan über die Gleichheit von Mann und Frau vor dem Gesetz nicht beseitigt, da die praktische Handhabung dieser Vorschrift noch nicht abzusehen ist und überdies im Verfassungsdokument an anderer Stelle vorgesehen ist, dass kein Gesetz gegen den Glauben und die Vorschriften des Islam verstoßen dürfe, was als Rechtfertigung traditionell gesellschaftlicher Vorstellungen über die Rolle der Frau herangezogen werden könnte.

Im Jahr 2009 wurde das Gesetz zur Eliminierung von Gewalt gegen Frauen (EVAW – law) durch Präsidialdekret verabschiedet. Es ist das erste Gesetz in Afghanistan, das Gewalt gegen Frauen kriminalisiert. Verboten werden etwa Kinderheirat, Zwangsheirat, Menschenhandel für diese Zwecke, erzwungene Selbstverbrennung, Vergewaltigung und 16 weitere Gewalthandlungen. Der politische Wille, das Gesetz umzusetzen, und demzufolge seine tatsächliche Anwendung, ist jedoch begrenzt. Teile der Öffentlichkeit und religiöse Kreise erachten das Gesetz als unislamisch, es fehlt ihm an sozialer Legitimität, und es wurde nie vom afghanischen Parlament abgesegnet (wenngleich dies keinen unüblichen Vorgang darstellt). De facto existiert Gewalt gegen Frauen weiterhin in verschiedenen Formen, die auch vielfach dokumentiert sind.

Zwar stellen diese Umstände bzw. diese zu erwartenden Diskriminierungen nicht notwendigerweise Eingriffe von staatlicher und damit von „offizieller“ Seite dar, zumal sie von der gegenwärtigen afghanischen Regierung nicht angeordnet sind. Da das Asylrecht als Ausgleich für fehlenden staatlichen Schutz konzipiert ist (VwGH 13.11.2001, 2000/01/0098), kommt es aber nicht darauf an, ob die Verfolgungsgefahr vom Staat bzw. von Trägern der Staatsgewalt oder von Privatpersonen (zB. von Teilen der lokalen Bevölkerung) ausgeht, sondern vielmehr darauf, ob im Hinblick auf eine bestehende Verfolgungsgefahr ausreichender Schutz besteht (vgl. dazu VwGH 16.04.2002, 99/20/0483; VwGH 14.10.1998, 98/01/0262). Nach der Rechtsprechung des VwGH ist zur Feststellung, ob ein solcher ausreichender Schutz vorliegt – wie ganz allgemein bei der Prüfung des Vorliegens von wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung – ein „Wahrscheinlichkeitskalkül“ heranzuziehen (z.B. VwGH 22.03.2000, 99/01/0256). - 138 -

Im Hinblick auf die derzeit vorliegenden herkunftsstaatsbezogenen Erkenntnisquellen zur aktuellen Lage von Frauen in Afghanistan haben sich keine ausreichenden Anhaltspunkte dahingehend ergeben, dass alle afghanischen Frauen gleichermaßen bloß auf Grund ihres gemeinsamen Merkmals der Geschlechtszugehörigkeit und ohne Hinzutreten weiterer konkreter und individueller Eigenschaften im Fall ihrer Rückkehr mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Gefahr laufen, im gesamten Staatsgebiet Afghanistans, insbesondere auch in der Hauptstadt Kabul, einer systematischen asylrelevanten (Gruppen-)Verfolgung ausgesetzt zu sein. Die Intensität von solchen Einschränkungen und Diskriminierungen kann bei Hinzutreten weiterer maßgeblicher individueller Umstände, insbesondere einer diesen traditionellen und durch eine konservativ-religiöse Auslegung geprägten gesellschaftlichen Zwängen nach außen hin offen widerstrebenden Wertehaltung einer Frau, jedoch Asylrelevanz erreichen.

Für die BF1 wirkt sich die derzeitige Situation in Afghanistan so aus, dass sie im Fall einer Rückkehr einem Klima ständiger latenter Bedrohung, struktureller Gewalt und unmittelbarer Einschränkungen und durch das Bestehen dieser Situation einer Reihe von Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt sein könnte. Am Beispiel der die Frauen und Mädchen betreffenden Einschränkungen der Bewegungsfreiheit wird anschaulich, dass afghanische Frauen de facto eine Verletzung in grundlegenden Rechten zu gewärtigen haben. Es bestehen nach wie vor gesellschaftliche Normen dahingehend, dass Frauen sich nur bei Vorliegen bestimmter Gründe alleine außerhalb ihres Wohnraumes bewegen sollen. Widrigenfalls haben Frauen mit Beschimpfungen und Bedrohungen zu rechnen bzw. sind der Gefahr willkürlicher Übergriffe ausgesetzt. Einer afghanischen Frau ist es daher auch derzeit meist nicht möglich, sich ungehindert und sicher in der Öffentlichkeit zu bewegen.

Es ist zu prüfen, ob es der BF1 möglich wäre, angesichts des sie betreffenden Sicherheitsrisikos ausreichenden Schutz im Herkunftsstaat in Anspruch zu nehmen bzw. ob der Eintritt des zu befürchtenden Risikos – trotz Bestehens von Schutzmechanismen im Herkunftsstaat – wahrscheinlich ist:

Im vorliegenden Fall ist nicht hervorgekommen, dass es der afghanischen Zentralregierung möglich wäre, für die umfassende Gewährleistung grundlegender Rechte und Freiheiten hinsichtlich der Bevölkerungsgruppe der afghanischen Frauen in allen Teilen des Staatsgebietes Sorge zu tragen, der afghanische Staat kommt somit seinen Schutzpflichten hinsichtlich dieser Bevölkerungsgruppe nicht nach. In Afghanistan besteht derzeit weder ein - 139 - diesbezüglich funktionierender Polizei- oder Justizapparat, noch ist davon auszugehen, dass der tatsächliche Machtbereich der gegenwärtigen Regierung über die Grenzen der Hauptstadt reicht. Den aktuellen Feststellungen zufolge ist weiters nicht davon auszugehen, dass im Wirkungsbereich einzelner lokaler Machthaber effektive Mechanismen zur Verhinderung von Übergriffen und Einschränkungen gegenüber Frauen bestünden. Vielmehr liegt gegenteilig ein derartiges Vorgehen gegenüber Frauen teilweise ganz im Sinne der lokalen Machthaber. Ausgehend davon kann die BF1 nicht damit rechnen, dass sie angesichts des sie als Frau betreffenden Risikos, Opfer von Übergriffen und Einschränkungen zu werden, ausreichenden Schutz im Herkunftsstaat finden kann.

Angesichts der dargestellten Umstände ist im Fall der BF1 daher davon auszugehen, dass sie in Afghanistan den Eintritt eines – asylrelevante Intensität erreichenden – Nachteiles aus der befürchteten Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten hat.

Die Verfolgung aus dem Grund der politischen Gesinnung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 der GFK liegt in jenen Fällen vor, in denen der ungerechtfertigte Eingriff an die politische Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung der betroffenen Person anknüpft.

Zur Begründung asylrechtlich relevanter Verfolgung kommt es nicht darauf an, ob der Asylwerber selbst die politische Gesinnung teilt, die ihm von den Behörden des Heimatstaates unterstellt wird, sondern lediglich darauf, ob die Verfolgungsmaßnahmen auf eine dem Asylwerber eigene bestimmte politische Gesinnung zurückgeführt werden (VwGH 30.09.1997, 96/01/0871). Für die Annahme einer asylrechtlich relevanten Verfolgung aus Gründen der politischen Gesinnung reicht es, dass eine staatsfeindliche politische Gesinnung zumindest unterstellt wird und die Aussicht auf ein faires staatliches Verfahren zur Entkräftung dieser Unterstellung nicht zu erwarten ist (VwGH 12.09.2002, 2001/20/0310; VwGH 25.11.1999, 98/20/0357). Als politisch kann alles qualifiziert werden, was für den Staat, für die Gestaltung bzw. Erhaltung der Ordnung des Gemeinwesens und des geordneten Zusammenlebens der menschlichen Individuen in der Gemeinschaft von Bedeutung ist (VwGH 12.09.2002, 2001/20/0310).

Gemäß Art. 10 Abs. 1 lit. e der sogenannten Statusrichtlinie 2004/83/EG (in der aktuell geltenden Neufassung der Statusrichtlinie 2011/95/EU, ABl. 2011 L 337/9, diesbezüglich inhaltlich unverändert) ist unter dem Begriff der politischen Überzeugung insbesondere zu verstehen, dass der Antragsteller in einer Angelegenheit, die die in Art. 6 genannten potenziellen Verfolger sowie deren Politiken oder Verfahren betrifft, eine Meinung, - 140 -

Grundhaltung oder Überzeugung vertritt, wobei es unerheblich ist, ob der Antragsteller auf Grund dieser Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung tätig geworden ist.

Gemäß Art. 10 Abs. 2 Statusrichtlinie ist es bei der Bewertung der Frage, ob die Furcht eines Antragstellers vor Verfolgung begründet ist, unerheblich, ob der Antragsteller tatsächlich die Merkmale der Rasse oder die religiösen, nationalen, sozialen oder politischen Merkmale aufweist, die zur Verfolgung führen, sofern ihm diese Merkmale von seinem Verfolger zugeschrieben werden.

Bei der „Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe“ gemäß Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK handelt es sich um einen Auffangtatbestand, der sich in weiten Bereichen mit den Gründen Rasse, Religion und Nationalität überschneidet, jedoch weiter gefasst ist als diese (VwGH 20.10.1999, 99/01/0197).

Generell wird eine soziale Gruppe durch Merkmale konstituiert, die der Disposition der betreffenden Personen entzogen sind, beispielsweise das Geschlecht. Frauen stellen beispielsweise eine „besondere soziale Gruppe“ im Sinne der GFK dar (vgl. etwa Köfner/Nicolaus, Grundlagen des Asylrechts in der Bundesrepublik Deutschland, Band II [1986] 456). So bestimmen die Absätze 77 bis 79 des UNCHR-Handbuches über Verfahren und Kriterien zur Feststellung der Flüchtlingseigenschaft vom September 1979 (Neuauflage: UNCHR Österreich, Dezember 2003): „[Abs. 77.] In einer ‚bestimmten sozialen Gruppe’ befinden sich normalerweise Personen mit ähnlichem Hintergrund, Gewohnheiten oder sozialer Stellung. Macht jemand Furcht vor Verfolgung aus diesem Grunde geltend, so könnte er häufig ebenso gut Furcht vor Verfolgung aus Gründen der Zugehörigkeit zu einer Rasse, Religion oder Nationalität anführen. [Abs. 78.] Die Zugehörigkeit zu einer solchen sozialen Gruppe kann Anlass zur Verfolgung sein, wenn kein Vertrauen in die Loyalität der Gruppe der Regierung gegenüber besteht, oder auch wenn die politische Ausrichtung, das Vorleben oder die wirtschaftliche Tätigkeit der Mitglieder der Gruppe oder auch schon allein die Existenz der Gruppe an sich als Hindernis für die Politik der Regierung angesehen werden. [Abs. 79] Die Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe wird an sich allein noch nicht ausreichen, um die Forderung nach Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft zu begründen. Es kann jedoch besondere Umstände geben, unter denen die bloße Zugehörigkeit ein ausreichender Grund für die Furcht vor Verfolgung sein kann.“

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Gemäß Art. 10 Abs. 1 lit. d der Statusrichtlinie 2004/83/EG (in der Neufassung 2011/95/EU diesbezüglich unverändert) gilt eine Gruppe insbesondere als eine bestimmte soziale Gruppe, wenn • die Mitglieder dieser Gruppe angeborene Merkmale oder einen Hintergrund, der nicht verändert werden kann, gemein haben, oder Merkmale oder eine Glaubensüberzeugung teilen, die so bedeutsam für die Identität oder das Gewissen sind, dass der Betreffende nicht gezwungen werden sollte, auf sie zu verzichten, und • die Gruppe in dem betreffenden Land eine deutlich abgegrenzte Identität hat, da sie von der sie umgebenden Gesellschaft als andersartig betrachtet wird.

Je nach den Gegebenheiten im Herkunftsland kann als eine soziale Gruppe auch eine Gruppe gelten, die sich auf das gemeinsame Merkmal der sexuellen Ausrichtung gründet. Als sexuelle Ausrichtung dürfen keine Handlungen verstanden werden, die nach dem nationalen Recht der Mitgliedstaaten als strafbar gelten; geschlechterbezogene Aspekte können berücksichtigt werden, rechtfertigen aber für sich allein genommen noch nicht die Annahme, dass dieser Artikel anwendbar ist.

Im gegenständlichen Fall ist festzuhalten, dass die der BF1 im Fall der Rückkehr nach Afghanistan drohende Situation als Frau und auf Grund der von ihrer inneren Wertehaltung getragenen und nach außen hin erkennbaren überwiegenden Orientierung am westlichen Frauen- und Gesellschaftsbild – insbesondere ihrem Wunsch, selbstbestimmt leben zu können – gemäß ihrer Persönlichkeitsentwicklung im Laufe ihres Aufenthaltes in Österreich in ihrer Gesamtheit von asylrelevanter Intensität ist.

Die BF1 wäre in ihrem Herkunftsstaat ganz ohne jegliche gesellschaftliche oder staatliche Unterstützung nicht oder nur unter nicht zumutbaren Verhältnissen in der Lage, sich selbst in einem ihre ausreichende Existenzgrundlage sichernden Ausmaß zu versorgen. Zudem würde die BF1 in ihrem Herkunftsstaat mit hoher Wahrscheinlichkeit keine Möglichkeit vorfinden, hinreichende medizinische Behandlung in Anspruch nehmen zu können, da es zu wenige weibliche Ärztinnen gibt und die Inanspruchnahme eines männlichen Arztes durch eine Frau nicht sichergestellt ist. Weiters wäre ihre Grundversorgung angesichts der grundsätzlich eingeschränkten Bewegungsfreiheit der Frauen in Afghanistan nicht gewährleistet.

Sie wäre überdies Eingriffen in ihre physische und psychische Integrität ausgesetzt. Dies zeigt auch die festgestellte aktuelle komplexe Lage in Afghanistan, dass sich Verfolgungsmuster nicht nur als direkte, zielgerichtete Verfolgung durch einen konkreten Verfolger darstellen, - 142 - sondern auch als eine diffuse Situation, in der missliebige, „fortschrittliche“ bzw. den traditionellen Werten sich nicht unterwerfende Personen jederzeit damit rechnen müssen, von verschiedenen Verfolgern in willkürlicher und unvorhersehbarer Weise belangt zu werden.

Im Fall der BF1 liegt somit das oben dargestellte Verfolgungsrisiko in ihrer politischen Gesinnung als einer überwiegend am westlichen Frauen- und Gesellschaftsbild orientierten Frau, die selbstbestimmt leben möchte, und in ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe, nämlich der Gruppe der am westlichen Frauen- und Gesellschaftsbild orientierten afghanischen Frauen, vor (vgl. dazu VwGH 16.04.2002, 99/20/0483; VwGH 20.06.2002, 99/20/0172).

Aufgrund der persönlichen Situation der BF1 steht ihr auch die Möglichkeit der Zufluchtnahme in einem anderen Teil Afghanistans derzeit ebenfalls nicht offen.

Zusammenfassend ist festzuhalten, dass sich die BF1 aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen ihrer politischen Gesinnung (Orientierung an dem als „westlich“ zu bezeichnenden Frauen- und Gesellschaftsbild) und ihrer Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der von dieser Gesinnung überzeugten afghanischen Frauen, die selbstbestimmt leben möchten, außerhalb Afghanistans befindet und im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in ihren Herkunftsstaat zurückzukehren.

Da weder eine innerstaatliche Fluchtalternative besteht, noch ein in Art. 1 Abschnitt C oder F der GFK genannter Endigungs- und Asylausschlussgrund hervorgekommen ist, war der Beschwerde der BF1 stattzugeben und ihr gemäß § 3 Abs. 1 AsylG der Status der Asylberechtigten zuzuerkennen.

Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG war die Entscheidung über die Zuerkennung des Status der Asylberechtigten mit der Feststellung zu verbinden, dass der Fremden damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

5.2.4.2. Der BF2 ist der Ehemann, der BF3 der bei der Asylantragsstellung noch minderjährige Sohn der BF1, welcher mit Erkenntnis mit heutigem Datum der Status der Asylberechtigten zuerkannt wird, nachdem sie gegen den abweisenden Bescheid des BFA Beschwerde erhoben hatte.

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Der BF2 und der BF3 sind daher Familienangehörige einer Fremden, der der Status einer Asylberechtigten zuerkannt worden ist, im Sinne des § 2 Abs. 1 Z 22 in Verbindung mit § 34 Abs. 2 AsylG.

Zwischen den BF besteht ein aufrechtes Familienleben im Sinne des Art. 8 EMRK, sodass dem BF2 und dem BF3 im Familienverfahren der Status von Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 in Verbindung mit § 34 Abs. 2 AsylG zuzuerkennen war.

Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG war die Entscheidung über die Zuerkennung des Status von Asylberechtigten mit der Feststellung zu verbinden, dass den Fremden damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

Zu Spruchteil B):

Gemäß § 25a Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG), BGBl. Nr. 10/1985 in der geltenden Fassung, hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision gegen die gegenständliche Entscheidung ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des VwGH (wie auch des VfGH) zur sozialen Gruppe der Frauen aus Afghanistan, die „westlich orientiert“ sind (selbstbestimmt leben wollen) ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des VwGH auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen.

Dass Frauen, die der sozialen Gruppe der afghanischen Frauen angehören, die selbstbestimmt leben wollen („westliche Orientierung“) Asyl zuzuerkennen ist, entspricht der langjährigen Judikatur der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind somit weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden, noch im Verfahren vor dem BVwG hervorgekommen, zumal im vorliegenden Fall vornehmlich die Klärung von Sachverhaltsfragen maßgeblich für die zu treffende Entscheidung war. - 144 -

Die oben in der rechtlichen Beurteilung angeführte Judikatur des VwGH ist zwar zum Teil zu früheren Rechtslagen ergangen, sie ist jedoch nach Ansicht des erkennenden Gerichts auf die inhaltlich weitestgehend gleichlautenden Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage unverändert übertragbar.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.