1

Inhalt

33. Jahrgang Nr. 3–4/2007

Aufsätze Jörn Glasenapp Vom Arbeiter zum Tänzer. Florian Kain Mechanik und Performanz in Charlie Chaplins Modellfall politischer Pression »Modern Times« 64 im öffentlich-rechtlichen Fernsehen. Warum Dieter Hildebrandts Kay Hoffmann »Notizen aus der Provinz« vom ZDF Zehn Jahre nach Breloers »Todesspiel« 71 1979 abgesetzt wurden 5

Hildegard Knoop Viel Kultur und »ein bisschen Politik«. Rezensionen Guy Walter und das Kabarettprogramm im Südwestfunk 1947–1962 19 Zur DDR-Programmgeschichtsschreibung und einem Sammelband Wolfgang Mühl-Benninghaus (Hrsg.): Drei Mal auf Anfang Forum (Knut Hickethier) 74

Leif Kramp Andreas Fickers: Millionen für das AV-Erbe 32 »Politique de la grandeur« versus »Made in « Steve Bryant (Markus Speidel) 77 Selecting TV Output for the BFI National Archive. Klaus Katz/Dietrich Leder/Ulrike Ries-Augustin The Development of u.a. (Hrsg.): New Policies and Practices 36 50 Jahre WDR. Am Puls der Zeit. 3 Bände (Bernd Semrad) 78 Verena Wiedemann Freier Zugang zur Information als Grundrecht Florian Kain: für eine moderne Gesellschaft 39 Die Geschichte des ZDF 1977 bis 1982 (Volker Lilienthal) 80 Andreas Fickers/Sonja de Leeuw »Creating Access to Europe’s Television Heritage«. Oskar Fanta: Video Active – Ein Projektbericht 44 Sehen – Raten – Lachen (Lutz Warnicke) 82 Heather L. Gumbert Mythen und Lektionen des DDR-Fernsehens. Sandra Hermes: Eine amerikanische Perspektive 52 Qualitätsmanagement in Nachrichtenredaktionen (Kristina Wied) 84 Karin Falkenberg Zum Beginn des Farbfernsehens in Deutschland vor 40 Jahren 56

Daniel Gethmann Schallspuren in der Tonschreibekunst. Zum Entstehungskontext des Phonographen 58 2 Rundfunk und Geschichte 3–4 (2007)

Karl Nikolaus Renner: Ulrike Schwab: Fernsehjournalismus Erzähltext und Spielfilm (Kristina Wied) 85 (Michael Wetzel) 95

Anna Amelina Sylvie Lindeperg: Propaganda oder Autonomie? Nuit et Brouillard Das russische Fernsehen von 1970 bis heute (Eva Hohenberger) 97 (Wolfgang Schlott) 86 Vinzenz Hediger/Patrick Vonderau (Hrsg.): Zeitschriftenrezension Filmische Mittel, industrielle Zwecke Recherche Film und Fernsehen (Julia Novak) 98 (Nicola Hochkeppel) 88 Peter Zimmermann/Kay Hoffmann (Hrsg.): Internetrezension Dokumentarfilm im Umbruch SRG SSR Timeline 1931–2007 (Eva Hohenberger) 100 (www.ideesuisse.ch) (Ursula Ganz-Blättler) 90 Martin Klimke/Joachim Scharloth (Hrsg.): 1968. Handbuch zur Kultur- und Mediengeschichte Daniel Gethmann: der Studentenbewegung Die Übertragung der Stimme (Nicolai Hannig) 101 (Alexander Badenoch) 92 Frank Bösch/Norbert Frei (Hrsg.): Andreas Weidinger: Medialisierung und Demokratie im 20. Jahrhundert Filmmusik (Sigrid Baringhorst) 102 (Helga de la Motte-Haber) 93

Wolfgang Rumpf: Music in the Air Bibliografie (Oliver Zöllner) 94 Zeitschriftenlese 96 (1.1.–31.5.2007) Daniel Hermsdorf: (Rudolf Lang) 104 Billy Wilder (Claudia Lillge) 95 Autoren der Aufsätze 3

Autoren der Aufsätze

FLORIAN KAIN, Dr. phil., geboren 1974 in Wolfs- burg, ist Redakteur Landespolitik beim »Hamburger Abendblatt«. An sein Studium der Fächer Deutsche Sprache und Literatur, Öffentliches Recht sowie Mittlere und Neuere Geschichte an der Universität Hamburg schloss sich die Dissertation zum Thema »Die Geschichte des ZDF. 1977 bis 1982« im Fach Medienkultur an. 2003 veröffentlichte er eine Unter- suchung über die medienpolitische Debatte in den 1960er Jahren (»Das Privatfernsehen, der Axel Sprin- ger Verlag und die deutsche Presse«). 2005 besuch- te Florian Kain die Journalistenschule Axel Springer. E-Mail: fl[email protected]

HILDEGARD KNOOP, geb. 1960, studierte Germa- nistik, Politikwissenschaften und Publizistik an der Westfälischen Wilhelms-Universität in Münster. Seit 1994 arbeitet sie in verschiedenen Fernseh-Redak- tionen des ehemaligen Südwestfunks bzw. heutigen Südwestrundfunks in Baden-Baden und Stuttgart, zunächst als freie Mitarbeiterin, seit 2002 als Redak- teurin der nachmittäglichen Bildungs-Sendung »Pla- net Wissen«. E-Mail: [email protected] 5

Florian Kain

Modellfall politischer Pression im öffentlich-rechtlichen Fernsehen Warum Dieter Hildebrandts »Notizen aus der Provinz« vom ZDF 1979 abgesetzt wurden

Der Beitrag analysiert unter Zugriff auf das ZDF-interne Schrifttum die Umstände, die dazu führten, dass Dieter Hildebrandts Satire-Reihe »Notizen aus der Provinz« 1979 eingestellt wurde. Was bereits von zeit- genössischen Medien als »Modellfall politischer Pression« auf das öffentlich-rechtliche Fernsehen inter- pretiert wurde, beweist die Analyse der Akten aus dem Unternehmensarchiv von Europas größter Fern- sehanstalt: Die Sendung wurde trotz guter Einschaltquoten auf Druck von Politikern der CDU/CSU vom Bildschirm verbannt, auch wenn öffentlich »programmliche Gründe« wie die vermeintliche »Überholtheit« des Konzepts angeführt wurden. Maßgeblich verantwortlich waren Programmdirektor Dieter Stolte und Intendant Karl-Günther von Hase. Die Reihe des Kabarettisten war zuvor immer wieder in die Kritik von konservativen Politikern aus den ZDF-Aufsichtsgremien geraten, unter anderem weil Hildebrandt in sei- nen Moderationen auch vor der satirischen Behandlung der gesellschaftlich aufgeheizten Atmosphäre durch den RAF-Terrorismus und der daraus resultierenden sicherheitspolitischen Debatte nicht Halt ma- chen wollte. Der Fall steht exemplarisch für das Machtverhältnis zwischen Medien und Politik in einem Zeitraum, in dem das öffentlich-rechtliche Fernsehen vor der historischen Herausforderung durch den Markteintritt kommerzieller Anbieter stand.

s war mehr als nur der Auftakt zu einer weite- für die Jahre ab 1977 nicht gesprochen werden. Es Eren -Reihe, als das ZDF im März 2007 waren scharfe Auseinandersetzungen, insbesonde- erstmals »« ausstrahlte – je- re mit Parteienvertretern im Fernseh- und im Ver- nes beim Publikum von der Premiere an akzeptierte waltungsrat, die die anstaltsinterne und die öffent- 45-minütige Format für intelligente Politsatire. Nach liche Wahrnehmung der »Notizen aus der Provinz« mehr als 26 Jahren, in denen das ZDF ohne politi- prägten und schließlich zu deren Absetzung führten. sches Kabarett im Programm ausgekommen war, Dabei spielte das gesellschaftliche Klima der spä- ließ sich von einer historischen Zäsur sprechen. Die ten 1970er Jahre in der sicherheitspolitisch ange- Verantwortlichen bewiesen Selbstironie und Gespür spannten Situation im Zuge der tödlichen Attentate für die eigene Geschichtlichkeit, indem sie bewusst der RAF-Terroristen eine entscheidende Rolle. Die den Kabarettisten Dieter Hildebrandt als ersten Gast zentralen Akteure waren Dieter Hildebrandt selbst; in die Premierensendung einluden. Hildebrandt war der Generalsekretär der hessischen CDU, Christian es gewesen, dessen Sendung »Notizen aus der Pro- Schwarz-Schilling, zugleich Vorsitzender des CDU- vinz« 1979 von Intendanz und Programmdirektion Freundeskreises im ZDF-Fernsehrat; Dieter Stol- des ZDF vom Bildschirm verbannt wurde. Seither te, damals Programmdirektor des ZDF; Peter Ger- hatte bei den Mainzern nie wieder politisches Kaba- lach als Leiter der ZDF-Hauptabteilung Unterhaltung rett in einer eigenen Sendereihe stattgefunden. Hil- und schließlich Karl-Günther von Hase, der im März debrandt war ein halbes Jahr später zum Sender 1977 nach stundenlangem Ringen vom ZDF-Fern- Freies Berlin gegangen, wo er mit dem »Scheibenwi- sehrat zum neuen Intendanten und Nachfolger von scher« eine neue kabarettistische Heimat fand. Karl Holzamer gewählt worden war.2

»Neues aus der Anstalt« galt der Fernsehkritik als Wiederbelebung einer »kompromisslos unterdrück- ten Leidenschaft«. Den Mainzern sei mit der Sen- dung »Großes gelungen«, schrieb etwa die »Süd- deutsche Zeitung«: »45 Minuten enorme Wortkraft […] einer der gehaltvollsten Kabarettabende der vergangenen deutschen Fernsehjahre.«1 Doch von einem leidenschaftlichen Verhältnis zwischen den Programmverantwortlichen der Mainzer Anstalt – 1 Vgl. Thomas Becker: Sie wollen nur spielen. In: Süddeutsche Zeitung, 1.3.2007. in der es eine eigene Redaktion für »Kabarett und 2 Vgl. hierzu: Florian Kain: Die Geschichte des ZDF 1977 bis 1982. Kleinkunst« gab – und der politischen Satire kann Geschichte des ZDF. Teil III. Baden-Baden 2007, S. 21–32. 6 Rundfunk und Geschichte 3–4 (2007)

Dieter Hildebrandt und der »Heiße Herbst« lichen Beitrag das Empfinden von vielen Zuschauern verletzt worden ist, die zum Buback-Mord nur einige Am 28. April 1977 wandte sich Dieter Stolte in einem Tage danach nicht jene Distanz haben können, die geharnischten Brief an Peter Gerlach: »Mir ist unver- sie auf eine Einbeziehung dieses Ereignisses in eine ständlich, wie es die Redaktion vertreten will, daß satirische Sendung anders als mit Verständnislosig- ein Ereignis, das erst kurz zuvor die Öffentlichkeit keit reagieren ließe.«5 zutiefst erschüttert und aufgewühlt hat, zum Anlaß für einen satirischen Beitrag genommen wird, daß Stolte war zusätzlich alarmiert durch eine Anfrage der Buback-Mord herhalten muß für Wortspielereien Christian Schwarz-Schillings, der verlangte, dass in und satirische Formulierungen, mit denen Dieter Hil- einer gemeinsamen Sitzung der Ausschüsse »Spiel debrandt den Bogen bis hin zum Thema Bücherver- und Musik« und »Politik und Zeitgeschehen« über brennungen spannt.« Es gebe zwar Geschmacksfra- die Sendung diskutiert werden müsse. Das wollte gen, über die sich streiten ließe – aber genauso gebe die ZDF-Spitze am liebsten verhindern, weshalb der es ein Feingefühl und Gespür dafür, was unter politi- Programmdirektor im Namen des Intendanten den schen Aspekten möglich oder auch nicht vertretbar Brief mit der Bitte beantwortete, die Initiative zur Ge- ist. »Ich befürchte«, so Stolte weiter, »daß es hier an staltung der Sendung zunächst »beim Haus« zu be- diesem Feingefühl und Gespür gemangelt hat.«3 Zu- lassen.6 Ein Schreiben Gerlachs, in dem der Haupt- schauerproteste hatten den ZDF-Programmdirektor abteilungsleiter seinem Vorgesetzten Stolte erklärte, im Nachhinein auf die Ausgabe der »Notizen aus der dass er dessen Kritik an der Sendung nicht teile,7 Provinz« vom 14. April 1977 aufmerksam gemacht. In veranlasste den Programmdirektor dazu, die eigene dieser Sendung hatte Dieter Hildebrandt den nur we- Position noch einmal grundsätzlich zu erörtern. Sei- nige Wochen zuvor verübten Mord an Generalbun- nes Erachtens, so schrieb er in einem neuerlichen desanwalt Siegfried Buback durch Mitglieder eines Brief an Gerlach, könne man Feingefühl und Gespür RAF-Kommandos thematisiert und dabei insbeson- nicht als vorhanden dekretieren, wenn es von einer dere auf die hysterisch angstvolle Stimmung in wei- Reihe von Zuschauern als abwesend kritisiert wur- ten Teilen der Öffentlichkeit, verbunden mit der For- de: »Es gehört nun mal zum ‚Feingefühl‘, daß es nicht derung nach schärferen Gesetzen und Maßnahmen ohne weiteres objektivierbar ist. Gerade darum be- in der Verbrechensbekämpfung, abgehoben. In der dauere ich nach wie vor, daß dieser Beitrag über un- Sendung hatte Hildebrandt wörtlich gesagt: seren Sender gegangen ist.«8 Die moralische und politische Integrität von Dieter Hildebrandt sei da- »Ich bin immer der Meinung gewesen, dass nach dem Mord an mit gar nicht angezweifelt, wohl aber die Notwendig- Generalbundesanwalt Buback etwas geschehen würde, was die keit, »sich zu diesem Thema in dieser Form, in die- Mörder beabsichtigt hatten: Ich dachte, es […] wird brodeln im ser Stunde in einem satirischen Magazin zu äußern.« Volk, die Presse wird […] kräftig nachheizen. Verantwortliche po- Auch wenn Kurt Tucholsky die Meinung vertreten litische Kreise werden ihre alten Suppen auf diesem Feuer auf- habe, dass Satire »alles« dürfe, »für uns gilt das […] wärmen […]. Ich hatte Angst, […] dass man dem Opfer eines Ver- brechens auch noch die Folgen für die Zukunft unseres Landes aufbürdet […]. Ich war fast sicher, dass […] alle diejenigen, die unsere Gesetze für ausreichend gehalten haben, auf das Motor- rad der Mörder gesetzt werden […]. Eine Demokratie ist leicht zu stürzen, wenn sie sich durch Ausnahmegesetze das Bein selbst 3 Dieter Stolte an Peter Gerlach, 28.4.1977. abhackt, auf dem sie steht. Darum […] bin ich auch nicht bereit, ZDF-Unternehmensarchiv (ZDF-UA). 5/0707. das zu glauben, was […] in unserem nächsten Beitrag ,Notizen 4 Vgl. die Umschrift: Notizen aus der Provinz – 40, 6323/1719-3705. aus der Provinz‘ zusammengetragen hat. Es wird da behauptet, ZDF-UA. 5/0381. in unserem Lande wäre man bereits wieder drauf und dran, den 5 Ebd. 6 Vgl. das Ergebnisprotokoll der Direktorensitzung vom 17.5.1977, Lesern von Büchern die Verantwortung für die Beurteilung des 4 S. 3. ZDF-UA. 3/0363. Gelesenen abzunehmen.« 7 In dem Brief hieß es u. a.: »Ich kann Ihre Befürchtungen nicht teilen […]. Hildebrandt hat mit großem Ernst die infolge des Programmdirektor Stolte fand die Sache überhaupt Mordanschlags extremen, ja fanatisch zu nennenden Reaktionen […] nicht lustig. Zwar sei es für ihn unbestritten, so Stolte zum Anlaß für satirische Betrachtungen genommen […]. Die großen Satiriker der Literaturgeschichte von Swift bis Tucholsky haben kein in seinem Brief an Gerlach weiter, dass sich ein po- Thema ausgeschlossen […]. Wir wissen, […] daß wir eine Kunstform litisches Magazin, gleich welcher Couleur, mit ent- verraten müssten, wenn wir in der permanenten Rücksichtnahme sprechender Wertung und Interpretation einem Er- auf Empfindlichkeiten […] eine viel beachtete Sendereihe eignis wie dem Buback-Mord zu widmen habe. Dies der Degeneration zum Gefälligkeitskabarett überantworten könne aber nicht gleichermaßen auch für ein satiri- würden […]. Ich empfinde es als belastend […], immer wieder Auseinandersetzungen um diese Sendereihe […] führen zu müssen.« sches Magazin gelten: »Es wird schwerlich dagegen Peter Gerlach an Dieter Stolte, 6.5.1977. ZDF-UA. 5/0381. zu argumentieren sein, daß mit diesem wenig glück- 8 Dieter Stolte an Peter Gerlach, 23.5.1977. ZDF-UA. 5/0707. Kain: Modellfall politischer Pression im öffentlich-rechtlichen Fernsehen 7 nicht. Das Fernsehen in seiner öffentlich-rechtlichen zubeschwören.« Zwar sei die Bundesrepublik sicher Struktur setzt hier eindeutige Grenzen.« Gemeinsam stark genug, um auch die Meinung eines »Herrn Hil- mit Herrn Hildebrandt sollte man die Konzeption der debrandt« zu ertragen. Doch könne man mit Fug und Sendung für 1978 überdenken, schließlich habe die Recht bezweifeln, ob ein öffentlich-rechtliches Medi- Sendezeit von 30 Minuten inzwischen »zu einem sta- um das eigene technische und finanzielle Instrumen- tuarischen und magisterhaften Gehabe des Mode- tarium in den Dienst eines Mannes stellen dürfe, »der rators geführt, das nicht selten Ausgangspunkt der unverhohlen und offen diesem Staat seinen Kampf Kritik gewesen ist.« Das neue Programmschema er- angesagt hat.« Seine Ausführungen gipfelten in der öffne am Freitag von 21.15 Uhr an einen 45-Minuten- Forderung nach einer Aufkündigung der Zusammen- Termin, der, sechs bis acht mal im Jahr praktiziert, arbeit des ZDF mit Dieter Hildebrandt: »Wenn der »eine neue Herausforderung wäre. Ich erbitte hierzu Staatsvertrag über das ZDF eine nicht bloß beliebig […] Ihre Überlegungen.«9 […] interpretierbare Worthülse werden soll, wäre das Haus gut beraten, sich von Herrn Hildebrandt, so- Doch Schwarz-Schilling, für den die Sendung des bald als rechtlich möglich, zu trennen.« SPD-nahen Kabarettisten schon länger einen Quell der Ärgernis darstellte, ließ sich ungeachtet von Streibl sah die Aufregung um Hildebrandts Sendung Stoltes eingeleiteten Bemühungen um eine inter- offenbar wie Schwarz-Schilling als willkommene Ge- ne Klärung der Angelegenheit und Überarbeitung legenheit an, den Kabarettisten durch gezielt erhöh- des Magazins nicht von seinem Plan abbringen, die ten Druck auf die Verantwortlichen vom Bildschirm als brisant empfundene Episode der »Notizen aus zu verdrängen. Erst am 29. April 1977 hatten die der Provinz« auch auf Gremienebene zu diskutie- Mitglieder des CDU-Freundeskreises im Fernsehrat ren. Er bat Detlef Spielmann, den Vorsitzenden des eine Debatte um Hildebrandts aktive Teilnahme an für satirische Sendungen zuständigen Fernsehrat- einem vermeintlich von Kommunisten organisierten Ausschusses »Spiel und Musik«, das Thema in der Kongress unter dem Motto »Frieden und Abrüstung« Sitzung am 5. August 1977 unter Beteiligung inter- initiiert. Darauf nahm auch Streibl in seinem Brief an essierter Mitglieder des – wiederum von Schwarz- den Intendanten nochmals Bezug. Der CDU-nahe Schilling selbst geleiteten – Ausschusses für Politik Karl-Günther von Hase, der insbesondere in der ers- und Zeitgeschehen auf die Tagesordnung zu set- ten Hälfte seiner fünfjährigen Amtszeit als Intendant zen, wogegen auch keine Einwände laut wurden.10 des ZDF zu politisch opportunen Entscheidungen Der CSU-Politiker Max Streibl, Bayerischer Staats- neigte, versprach Streibl in seiner Antwort, er wer- minister der Finanzen und als Vertreter seines Bun- de den Hausjustiziar Ernst Fuhr per Gutachten prü- deslandes auch Mitglied des Fernsehrats, mochte fen lassen, ob die aktive Beteiligung an solch einer das Ergebnis der Debatte gar nicht abwarten, son- Veranstaltung mit einem Engagement beim öffent- dern wandte sich noch vorher an den Intendanten, lich-rechtlichen Fernsehen vereinbart werden kön- um seiner Empörung über die Sendung, vor allem ne. Er selbst sei ohnehin skeptisch, was die Fern- aber über Dieter Hildebrandt, Luft zu verschaffen. seheignung von Programmen, wie Hildebrandt sie In einem Schreiben an den ZDF-Intendanten beton- gestalte, angehe. Grundsätzlich vertrete er aber die te er, dass die Sendung seiner Ansicht nach nur den Meinung, »daß wir der Redaktion, die sich mit Unter- »traurigen Höhepunkt in einer Kette ständiger ein- stützung eines Teils des Fernsehrats für ein satirisch- seitiger Polemik und Geschmacklosigkeit«11 darge- kabarettistisches Programm einsetzt, eine Chance stellt habe. Permanent werde in den »Notizen aus geben sollten.«12 Doch genau dieser Aspekt – dass der Provinz« unter dem Vorwand der Freiheit der es sich bei »Notizen aus der Provinz« um ein Satire- Kunst und unter Entzug der für ein öffentlich-rechtli- Magazin handelte – schien weder Max Streibl, noch ches Medium geltenden Grundsätze »der demokra- den Zuschauern, die sich beim ZDF beschwert hat- tische Rechtsstaat der Bundesrepublik in Zweifel ge- ten, wirklich klar geworden zu sein. zogen.« Streibl empörte sich: »Die Ermordung von Siegfried Buback […] wird von Herrn Hildebrandt ei- genwillig dahin umgedeutet, daß man sich auch vor dem Eventualfall schützen muß, daß der Staat zum Terroristen wird […]. Für mich ist das kein Fall harm- loser geistiger Verwirrung, sondern […] der geziel- 9 Ebd. te […] Versuch, diesen Staat ins Zwielicht zu set- 10 Vgl. die Niederschrift über die 21. Sitzung des Ausschusses für zen, ihn in die Nähe des Terror- und Unrechtsstaates Politik und Zeitgeschehen in der IV. Amtsperiode des Fernsehrats zu rücken.« Den in der Sendung gezeigten Filmbei- am 10.6.1977 in Berlin, S. 30. ZDF-UA. 1/0157. trag hielt er geradezu für ein Musterbeispiel, »durch 11 Max Streibl an Karl-Günther von Hase, 7.7.1977. ZDF-UA. 3/0430. – Die folgenden Zitate hiernach. eine scheinbar realistische Darstellung die Gefahr 12 Karl-Günther von Hases an Max Streibl, 13.7.1977. ZDF-UA. des freiheitszerstörenden Unrechtsstaates herauf- 3/0430. 8 Rundfunk und Geschichte 3–4 (2007)

Dieter Hildebrandt durfte zunächst allerdings davon zung des Staatsvertrags feststellen können, wie Die- ausgehen, auch künftig auf Sendung zu bleiben, ter Stolte berichtete. Davon abgesehen, rekurrierte denn die Teilnahme an dem von Streibl erwähnten man allgemein auf die Freiheit der Kunst und die bei Kongress konnte ihn kaum ernsthaft sein Lerchen- satirischen Programmen zwangsläufig als Stilmittel berg-Engagement kosten. Fest stand aber auch, einzusetzende Verzerrung von Sachverhalten, wes- dass die konservativen Kräfte im ZDF, ob in der Füh- halb die Sendung, so die Argumentation, auch nicht rungsetage des Fernsehunternehmens, ob in den reformiert werden müsse. Dem wurde jedoch mehr- Aufsichtsgremien, künftig noch penibler beobach- heitlich entgegen gehalten, dass die Präsentation ten würden, was der Kabarettist in seiner Sendung satirischer Programme in Anmutung eines echten fabrizierte. Jeder weitere Stein des Anstoßes konnte politischen Magazins mit anmoderierten Beiträgen deshalb einer zuviel sein. eine zu große Gefahr von Missverständnissen in sich berge. Denn das Publikum könne nicht ohne weite- Zunächst aber wurde das Konzept der »Notizen aus res erkennen, ob es sich dabei nicht doch um rea- der Provinz« nach Stoltes Beschwerde bei Peter Ger- le politische Informationen handle. Darüber hinaus, lach mit dessen Einverständnis insofern modifiziert, und das war ebenfalls Konsens, gebe es Vorgänge in als der moderierte, »häufig mit mißzuverstehenden Staat und Gesellschaft, die – insbesondere, wenn sie Meinungsbeiträgen durchsetzte Anteil«13 ab 1978 menschliche Tragödien beträfen – zur Behandlung in weniger Raum einnehmen sollte. Vorproduzierte Fil- einer solchen Sendung nicht geeignet seien.17 me sollten in den Regel sogar gar nicht mehr enthal- ten sein. Damit wollte das ZDF Dieter Hildebrandt Deshalb wurde auch kein Protest laut, als Pro- vom »Moderatoren-Pult« herunterholen, wollte es grammdirektor Dieter Stolte verkündete, er sei mit die gesamte Sendung nicht mehr als Karikatur se- Karl-Günther von Hase und Peter Gerlach überein riöser politischer Informationsmagazine erscheinen gekommen, dass in den »Notizen aus der Provinz« lassen, sondern in eine stärker komödiantisch ak- grundsätzlich ab sofort keine Beiträge mehr gezeigt zentuierte Form bringen. Das aber, so wurde betont, werden dürften, die die Terroristenszene unmittelbar solle den Kabarettisten nicht in seiner kritischen Bis- oder auch nur mittelbar thematisierten, einschließ- sigkeit beschneiden. Es gehe schlicht darum, eine lich der Maßnahmen zu deren Bekämpfung. Er selbst andere Anmutungsqualität zu kreieren und deutli- wolle Dieter Hildebrandt über diese Auflage infor- cher als bisher zum Ausdruck kommen zu lassen, mieren. Die Entscheidung sei in kooperativem Ein- dass es sich um eine Satiresendung handle und, in- vernehmen mit der Hauptredaktion Unterhaltung dem man die Zuschauer zum Lachen bringe, man- gefallen, auch wenn es vorab Meinungsverschieden- che der behandelten Themen allein hierdurch auch heiten in der Beurteilung einzelner Beiträge der Sen- etwas zu entschärfen.14 Diese Maßnahme schien zu dung gegeben habe.18 diesem Zeitpunkt ein vernünftiger Kompromiss zu sein. Sicherheitshalber ließ sich der Intendant noch Das ZDF unternahm also gar nicht erst den Ver- einmal schriftlich von Peter Gerlach darüber unter- such, die Sendung gegenüber den Kritikern zu ver- richten, welche Produktionen außer den noch aus- teidigen, sondern bemühte sich stattdessen um ei- stehenden fünf Folgen der »Notizen aus der Provinz« nen Ausgleich, der dem Konflikt, der sich auch aus bis Ende des Jahres 1977 die Mitwirkung des Kaba- dem Grundproblem der Vermischung von Realität rettisten vorsahen, um die Programme vorab prüfen und Fiktion im Fernsehen speiste, die Spitze nehmen und etwaigen Beschwerden rechtzeitig vorzubauen sollte. In Anbetracht des schwierigen gesellschaftli- zu können.15 chen Klimas nach dem Mord an Martin Buback war diese Entscheidung nachvollziehbar. Denn Dieter Auf der Sitzung des Fernsehrat-Ausschusses »Spiel Hildebrandt hatte sich mit dem Thema Terroristen- und Musik« am 5. August 1977 kam es erwartungs- bekämpfung nicht nur auf ein politisch explosives, gemäß zu einer intensiven Debatte darüber, ob der sondern auch in emotionaler Hinsicht gefährliches Buback-Beitrag tatsächlich »geschmacklos« gewe- sen war, ob er gar Richtlinien des ZDF verletzt habe und was von den in Aussicht gestellten Änderungen des Konzepts zu halten sei. Einige Mitglieder des 13 Ebd. 14 Vgl. die Niederschrift über die 14. Sitzung des Ausschusses für Aufsichtsgremiums, in dem die Mitglieder des CDU- Spiel und Musik in der IV. Amtsperiode des Fernsehrats am 5.8.1977, Freundeskreises der Zweidrittelmehrheit nahe wa- S. 10. ZDF-UA. 5/0964. ren, nahmen Dieter Hildebrandt aber in Schutz – er 15 Peter Gerlach an Karl-Günther von Hase, 20.7.1977. ZDF-UA. habe nicht gegen Vorschriften verstoßen, und über 5/0708. geschmackliche Fragen könne man endlos streiten.16 16 Vgl. die Niederschrift über die 14. Sitzung des Ausschusses für Spiel und Musik, 5.8.1977, S. 23ff. und S. 27. ZDF-UA. 5/0964.

Zumindest rechtlich war das sogar zutreffend: Der 17 Ebd., S. 26. Justiziar hatte die Sendung geprüft und keine Verlet- 18 Ebd., S. 10. Kain: Modellfall politischer Pression im öffentlich-rechtlichen Fernsehen 9

Minenfeld begeben. Fassungslosigkeit, Wut, Ohn- Dennoch wollte in Mainz deshalb niemand den macht und Mitgefühl, vor allem aber Ängste, wie be- Staatsvertrag neu auslegen, sich gar mit zweifelhaf- rechtigt oder unberechtigt sie gewesen sein moch- ten juristischen Hilfskonstruktionen eines vermeint- ten, prägten die Gefühlslage der Deutschen. Angst lich missliebigen Mitarbeiters entledigen. Dies zeig- vor weiteren Anschlägen, Angst vor einer nicht en- te auch das inzwischen fertig gewordene Gutachten den wollenden Welle der Gewalt, aber auch Angst des Justiziars über die Vereinbarkeit des ZDF-En- vor einem ausufernd starken Staat, der auf der Jagd gagements von Dieter Hildebrandt mit dessen Kon- nach den Verbrechern per Notstandsgesetzgebung gress-Auftritt. Der Intendant setzte den bayerischen unverhältnismäßig in die Grundrechte der Bürger ein- Finanzminister postwendend über den Inhalt in greift: »‚Radikalenerlaß‘ bzw. ‚Berufsverbot‘, Raster- Kenntnis. Streibl konnte damit kaum zufrieden sein: fahndung, Sympathisantenverfolgung, Verschärfung Denn das Schriftstück besagte im Kern, was eigent- der Strafgesetze waren […] Stichworte einer zuneh- lich selbstverständlich war – dass nämlich allen fest mend gereizten Öffentlichkeit.«19 Auch Mitgefühl mit angestellten und freien Mitarbeitern des ZDF im Rah- den betroffenen Familien, Trauer um die Opfer und men des Grundrechts der freien Meinungsäußerung Entsetzen über die Kaltblütigkeit der Täter wurden auch das Recht zu aktiver politischer Betätigung im vielfältig zum Ausdruck gebracht. Angesichts die- Rahmen der demokratischen Grundordnung zukom- ses aufgeheizten Konglomerats an Emotionen war me. Wie alle Bürger hätten auch die Mitarbeiter das es schon ein streitbares Unterfangen, die Morde und Recht, ihre Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu die daraufhin eingeleiteten Maßnahmen zur Festnah- äußern und zu vertreten. Sie dürften Parteimitglied- me der Täter in einer Satiresendung aufzugreifen, schaften eingehen und in der Öffentlichkeit für ihre erst recht in dieser Form. Parteien tätig werden. Andererseits, so schränkte Ernst Fuhr in seiner Stellungnahme ein, obliege dem ZDF als öffentlich-rechtlicher Rundfunkanstalt eine Wachsendes Misstrauen gleichermaßen aus Artikel 5 des Grundgesetzes ab- zuleitende politische Neutralitätspflicht. Deshalb sei Dass man Dieter Hildebrandt nun ganz verbat, das es ZDF-Mitarbeitern untersagt, sich in Wahlkampf- Thema in seiner Sendung zu behandeln, war jedoch zeiten für Parteien zu engagieren. Ein Verstoß ge- ein Indiz dafür, wie wenig man ihm noch über den gen diesen Grundsatz könne im Falle Hildebrandt je- Weg traute. Verantwortlich für diesen ohne Zwei- doch nicht festgestellt werden, da dessen Teilnahme fel zensorischen Akt war der Kabarettist indes je- am Kongress für »Frieden und Abrüstung« sich nicht doch selbst. Denn trotz aller Kritik hatte er in seiner im Rahmen eines Landtags- oder Bundestagswahl- nächsten Sendung am 28. Juli 1977 nochmals nach- kampfs abgespielt habe: »Bei Anlegung rein rechtli- gelegt und nun die Fahndungsmethoden des Bun- cher Maßstäbe liegt deshalb kein Verstoß gegen […] deskriminalamts, das alle Bürger zur Mithilfe aufge- geltende Bestimmungen vor.«21 rufen hatte, satirisch aufs Korn genommen. Nach Auffassung Dieter Stoltes, aber auch der Mehrheit Das Ergebnis der ganzen Debatte: Die Konservati- der Ausschussmitglieder konnte dies den Eindruck ven waren enttäuscht, dass es ihnen nicht gelungen erwecken, als nehme das ZDF die Bemühungen des war, Hildebrandt aus dem ZDF-Programm zu ver- Staates, Mörder zu finden, nicht ernst, als würde bannen, die Sozialdemokraten kritisierten in einem man die Hilfsbereitschaft der Menschen auch noch polemischen Artikel ihrer Partei-Zeitung »Vorwärts« ironisieren.20 Besondere Brisanz bekam der Beitrag unter der Überschrift »Jetzt wird gesägt – Dieter Hil- dadurch, dass nur zwei Tage nach dessen Ausstrah- debrandt soll entschärft werden« die im Ausschuss lung erneut ein grausamer Mord der RAF die Repub- »Spiel und Musik« bekannt gegebenen und sogleich lik erschüttert hatte: Am 30. Juli war der Frankfurter in Richtung Parteizentrale durchgesickerten Ände- Bankier Jürgen Ponto in seinem Privathaus erschos- rungen am Konzept. Das solle nämlich, so hieß es in sen worden. Der Anschlag auf den damaligen Vor- dem Beitrag, von der »satirischen und zugleich do- standsvorsitzenden der Dresdner Bank verschärf- kumentierten Kommentierung der Realität möglichst te die Atmosphäre des Entsetzens, er verbreitete weit in Richtung ‚Spaß‘ heruntergeschraubt« wer- im ganzen Land Orientierungs- und Fassungslosig- den. Die »Rechten im ZDF« hätten die »Beine von Hil- keit und ließ immer offensichtlicher werden, dass die Bundesrepublik sich in ihrer bisher schwersten Belastungsprobe befand. Alle Hoffnungen beruh- ten nun erst einmal darauf, dass durch konspira- tive Methoden – auch unter Einbeziehung der von 19 Knut Hickethier: Geschichte des deutschen Fernsehens. Hildebrandt ins Lächerliche gezogenen Mithilfe der Unter Mitarbeit von Peter Hoff, Stuttgart und Weimar 1998, S. 322. 20 Vgl. die Niederschrift über die 14. Sitzung des Ausschusses Bevölkerung – Verstecke gefunden und die Mörder für Spiel und Musik am 5.8.1977, S. 10. ZDF-UA. 5/0964. aufgegriffen werden konnten. 21 Karl-Günther von Hase an Max Streibl, 9.8.1977. ZDF-UA. 5/0708. 10 Rundfunk und Geschichte 3–4 (2007) debrandts Moderatoren-Stuhl« abgesägt und Dieter rich Albertz im Zusammenhang mit der ‚Sympathi- Stolte drifte, was die politische Farbenlehre angehe, santen-Diskussion‘ bei unserer satirischen Arbeit immer mehr vom Liberalen ins Schwarze ab.22 auszusparen.«28 Hildebrandt und zahlreiche seiner Kollegen wandten sich deshalb nun direkt in einem Brief an Karl-Günther von Hase und betonte darin, Verabredung eines neuen Konzepts dass Satire nur dann gut sein könne, »wenn sie auch in schwebende Gefahren eingreift und nicht nur bei Dass die von ethisch-moralischen und politischen schönem Wette stattfindet. Darum ist eine Tabuie- Aspekten geprägte Debatte um die aktuelle Nach- rung von Themen mit unserem Selbstverständnis richtenberichterstattung und allgemeine Programm- nicht vereinbar. Wir haben Satire nie als reine Scher- gestaltung in Zeiten des Terrorismus selbst nach der zecke betrieben, aber wir haben alle Formen von nun eingeleiteten, einstweilen zumindest geglück- ihr verwendet, eine davon kann auch engagierter ten Befriedung des Falles Dieter Hildebrandt für das Journalismus mit Phantasie sein.«29 Ergebnis dieses ZDF nicht beendet sein würde, das ahnten auch Karl persönlichen Schreibens war eine Besprechung mit Günther von Hase und seine Kollegen. Sie muss- seinen Verfassern, zu der Stolte und Gerlach Mitte ten sich darin bestätigt sehen, als Hildebrandt aber- November 1977 nach München reisten. Bei dieser mals und entgegen der Auflagen der Anstalt plante, Gelegenheit, so heißt es in dem überlieferten Ergeb- die Terrorthematik satirisch aufzubereiten – und das nisprotokoll recht gestelzt, »hatten die Teilnehmer wenige Tage nach der Entführung des Arbeitgeber- Gelegenheit, unterschiedliche Auffassungen über präsidenten Hanns Martin Schleyer durch die RAF, die Möglichkeiten und Grenzen satirischer Analyse auf die das ZDF mit zahlreichen Programmänderun- von Zeiterscheinungen auszutauschen, was nicht in gen reagierte, um die Empfindungen der Zuschau- jedem der angesprochenen Punkte zu einer Annähe- er etwa durch Gewaltdarstellungen in Krimis nicht rung der Standpunkte führte«.30 zu verletzen.23 Nachdem er Hildebrandts Drehbuch gelesen hatte, zog Unterhaltungschef Peter Gerlach Davon unabhängig aber kam es dennoch zu einem die Notbremse und entschied in Abstimmung mit Konsens über die künftige Form der Sendung – weg der ZDF-Führung, die Sendung gar nicht erst aufzu- von der Parodie des Polit-Magazins und hin zu ei- zeichnen. Der Kabarettist reagierte trotz der Vorwar- ner satirischen Sendung variablen szenischen Ge- nungen und der andauernden Kritik verständnislos wands unter weiterer Ausklammerung der Themen und wehrte sich öffentlich gegen die Tabuisierung »Terrorismus« und »Terrorismusbekämpfung«. Dazu bestimmter Themen: »Ob […] der Intendant sich mochte beigetragen haben, dass Hildebrandt zu- vorstellen kann, was uns bewegt und daß wir der vor erklärte hatte, die von ihm in der »Abendzeitung« Meinung sind, daß gerade diese Zeit eine satirische abgedruckten Äußerungen seien in einem sich an Betrachtung verlangt, das hätte ich gerne von ihm das Interview anschließenden Gespräch gefallen, gewußt«, sagte er der Münchener »Abendzeitung«.24 das eigentlich nicht für die Öffentlichkeit bestimmt Man müsse sich inzwischen fragen, ob die Fernseh- anstalten ihr Publikum für mündig halten. Sein Kolle- ge Helmut Ruge ging noch einen Schritt weiter und 22 Vgl. Jetzt wird gesägt – Dieter Hildebrandt soll entschärft werden. unterstellte »eine Kampagne, die Gewichte in den In: Vorwärts, 18.8.1977; sowie das diesbezügliche Fernschreiben Medien zugunsten der konservativen Seite zu ver- Stoltes an die Chefredaktion des »Vorwärts« vom 22.8.1977 schieben, indem man »unter dem Vorwand der Ehr- (ZDF-UA. 5/0708), in dem der Programmdirektor unter anderem furcht und Pietät versucht, alle kritischen, engagier- darauf hinwies, dass es in keiner Weise unüblich sei, nach Ausstrahlung von 43 Folgen der Reihe sich nunmehr Gedanken über 25 ten Stimmen […] auszublenden.« eine neue Präsentation zu machen. 23 Vgl. ausführlich Florian Kain: Die Geschichte des ZDF Ähnlich argumentierte der Bundesvorstand der Jung- 1977 bis 1982 (Anm. 2), S. 106–126. sozialisten, der die Absetzung ebenfalls öffentlich 24 Sigrid Hardt: Wir schreiben, nur senden tut`s keiner. 26 In: Abendzeitung, 26.10.1977. angriff. Das ZDF blieb bei seiner Linie und erklär- 25 Ebd. te, dass die geplanten Themen der Sendung nicht 26 Vgl. Jusos protestieren gegen Absetzung. geeignet gewesen seien, aktuelles Geschehen sa- In: Süddeutsche Zeitung, 29.10.1977; sowie Franz Josef Rickert: tirisch zu reflektieren.27 Tatsächlich hatte Peter Ger- Hildebrandt im Abseits. In: Bild am Sonntag, 29.10.1977. 27 Ebd. lach die Aufzeichnung der Notizen abgesagt, weil 28 Peter Gerlach an Karl-Günther von Hase, 24.10.1977. »nicht abzusehen war, welche Entwicklungen bei der ZDF-UA. 5/0382. Suche nach Dr. Schleyer bis zum Sendetermin noch 29 Dieter Hildebrandt, Jürgen Lehmann, Kurt Rittig, Helmut Ruge eintreten würden«. Und weil ihn die Weisung des In- und Klaus Peter Schreiner an Karl-Günther von Hase. ZDF-UA. tendanten erreicht hatte, »bis auf weiteres auch das 5/0382. 30 Ergebnisprotokoll der Besprechung mit Herrn Programmdirektor Thema der ‚Hexenjagd‘ auf Persönlichkeiten wie Lui- Stolte zum Thema »Notizen aus der Provinz« am 17. 11. 1977 se Rinser, Heinrich Böll, Helmut Gollwitzer und Hein- in München, 25. 11. 1977. ZDF-UA. 5/0381. Kain: Modellfall politischer Pression im öffentlich-rechtlichen Fernsehen 11 gewesen wäre. Außerdem habe er dabei keine An- Herren vom Fernsehen sich dem Staatsvertrag ver- stalt direkt ansprechen, sondern vielmehr die Ge- pflichtet fühlen, fühlen wir uns verpflichtet, in diesen samtsituation zwischen Autoren und Redaktionen Staatsvertrag hineinzubohren und ihnen klar zu ma- beschreiben wollen.31 Das war eine Entschuldigung, chen, daß sie ihren Staatsvertrag überhaupt nicht die die ZDF-Verantwortlichen offenbar akzeptieren erfüllen.« Da stehe nämlich drin, »daß […] alle, die konnten. was zu sagen haben und eine künstlerische Legiti- mation haben, […] daß sie die holen müssen. Diese Pflicht erfüllen diese Herren nicht, sie sichern sich Hildebrandt holt zum Gegenschlag aus nur ab gegen Unbill und Unverschämtheit der Im- provisation. Und das, weil sie keinen Ärger haben Kaum nach Mainz zurückgekehrt, fand der Pro- wollen. Aber nach dem Staatsvertrag sind sie dazu grammdirektor auf seinem morgendlichen Post-Sta- verpflichtet, Ärger auszutragen. Das ist ihr Job, da- pel jedoch wieder einen Brief aus Bayern vor, der ei- für werden sie bezahlt – und dafür werden sie auch gentlich an den Intendanten adressiert, von diesem pensioniert.«33 aber an Stolte weitergereicht worden war. Absen- der war wiederum Max Streibl, der sich ein weiteres Streibl sah sich nach der Lektüre dieses Interviews Mal kritisch mit der Arbeit und den öffentlichen Äu- nicht mehr in der Lage, den Optimismus der ZDF- ßerungen des Kabarettisten Dieter Hildebrandt aus- Führung in eine neue redaktionelle Konzeption der einandersetzte. Das Thema war offensichtlich immer »Notizen aus der Provinz« zu teilen: »Ich möchte mich noch nicht zur Zufriedenheit aller Beteiligten abge- nicht näher mit der von Herrn Hildebrandt […] gege- schlossen. Dies allerdings galt auch für Hildebrandt benen Begründung, daß der Sender jeden ,heran- selbst, dessen jüngst veröffentlichte Statements in kommen lassen müsse, der was zu sagen und eine der Münchner »Abendzeitung« seinen Status als künstlerische Legitimation habe‘, befassen. Für gra- personifizierter Unruhepol des ZDF-Programms ak- vierend halte ich allerdings den Vorwurf gegen die tualisierten und nicht nur Streibl, sondern auch die Spitze des ZDF, sie würde die ihr durch den Staats- Führungs-Equipe der Anstalt erneut auf den Plan rie- vertrag auferlegten Pflichten nicht erfüllen. Vielleicht fen, ja rufen mussten. sehen Sie […] unter diesem Aspekt einen Ansatz- punkt, die weitere Mitarbeit von Herrn Hildebrandt Der streitbare Kabarettist hatte in einem gemeinsa- im ZDF nochmals sorgfältig zu überprüfen.«34 Stolte men Interview mit seinem Salzburger Kollegen Wer- teilte Streibl daraufhin mit, dass er aus Drehbuch und ner Schneyder – aus Anlass der Ausstrahlung des Film des Programms einige Passagen hatte strei- gemeinsam gestalteten Bühnenprogramms »Wie chen bzw. herausschneiden lassen. Die Statements abgerissen« im ZDF – Einsichten in seine politischen in der »Abendzeitung« gingen, so vermutete der Pro- Überzeugungen gegeben, die an Deutlichkeit nichts grammdirektor, auf diesen Vorgang zurück: »Ihre Ver- zu wünschen übrig ließen und außerdem massive ärgerung haben dann die beiden Herren, wenn auch Kritik an der Leitung des ZDF geübt. So hatte er unter verklausuliert, in dem […] Interview ausgedrückt.«35 anderem für einen »wirklich verwirklichten Sozialis- Hildebrandt sei vom zuständigen Hauptredaktions- mus« plädiert und in klaren Worten die Entscheidung leiter schriftlich um Stellungnahme gebeten worden, des ZDF gegeißelt, am 26. August 1977 lediglich die habe aber nicht geantwortet, da er seinerzeit im Ur- Hälfte jener Show zu zeigen, die in ihrer vollen Länge laub gewesen sei und nun im Krankenhaus liege, von zwei Stunden ab Ende desselben Monats dann weshalb auch die nächste Sendung der »Notizen aus allabendlich die Besucher der Münchner Lach- und der Provinz« entfalle.36 Wie aus einem Brief von Ha- Schießgesellschaft live zu sehen bekommen sollten. ses an Stolte hervorgeht, hatte der Intendant ihn per- »Wir fühlen uns bei dieser einen Stunde Fernsehen sönlich darum gebeten, festzustellen, ob der Künst- so beschnitten, so eingeengt«, hatte er – wiederum ler korrekt wiedergegeben worden sei: »Eine solche der »Abendzeitung« – in den Block diktiert, sein Kol- Äußerung, wenn sie tatsächlich gefallen wäre, hielte lege Schneyder gar geschimpft: »60 Minuten – ich finde das dumm, unsittlich, metierfremd und eigent- lich empörend.«32 Dabei konnten beide in Anbetracht der internen Empörungswoge über »Notizen aus der 31 Ebd. Provinz« eigentlich fast froh sein, dass das ZDF die- 32 Allerhand auf die Parkbank gezerrt. Kabarett-Duo Hildebrandt/ se Sendung überhaupt ausgestrahlt hatte. Doch da- Schneyder präsentiert neues Programm im ZDF. In: Abendzeitung, von konnte nicht die Rede sein. Im Gegenteil: Dieter 11.8.1977. Hildebrandt, der bislang öffentlich zur Neukonzepti- 33 Ebd. on seiner Satire-Reihe geschwiegen hatte, holte nun 34 Max Streibl an Karl-Günther von Hase, 22.6.1977. ZDF-UA. 3/0181. zum Gegenschlag aus: »Mit Kabarett sind wir im- 35 Dieter Stolte an Max Streibl, 16.9.1977. ZDF-UA. 3/0181. mer mitten drin in der Zensur […]. Aber so wie die 36 Ebd. 12 Rundfunk und Geschichte 3–4 (2007) ich in der Tat für nicht akzeptabel.«37 Das aber konnte Der CDU-Medienpolitiker glaubte nicht an ein Ver- nicht mehr eindeutig geklärt werden. In den folgen- sehen. Er unterstellte dem ZDF einen Akt bewusster den Monaten wurde es vorübergehend wieder ruhi- Manipulation, wofür er die Anstalt in ihrer Gesamt- ger um die Sendung, bevor es knapp ein Jahr später heit verantwortlich machen werde, wie er dem Inten- zum nächsten Paukenschlag kam. danten wenige Stunden nach Ausstrahlung des Bei- trags schriftlich androhte. Hildebrandt habe ihn, so Schwarz-Schilling, durch die Verwendung des »nach Der Anfang vom Ende ausdrücklicher Vereinbarung mit Herrn Bresser nicht zur Ausstrahlung freigegebenen Ausschnitts« aus Anlass für eine Überprüfung – und diesmal mit Fol- dem Interview in »übler« und »unqualifizierter Wei- gen – gab es für Programmdirektor Dieter Stolte, der se« diffamiert. Damit sei »ein Punkt erreicht, der au- sich im Oktober 1978 mit einer publik gewordenen ßerhalb der Freiheit des Journalisten steht. Auf diese Beschwerde von Christian Schwarz-Schilling über Weise werden im ZDF Vereinbarungen mit dem In- Dieter Hildebrandts »Notizen aus der Provinz« aus- terviewpartner gebrochen.« Dafür verantwortlich sei einanderzusetzen hatte. In diesem Fall ging es nicht mit Hildebrandt ein »Autor, der sich selbst aktiv an allein um vermeintlich missliebige politische Inhalte der hessischen SPD-Wahlkampfzeitung ‚Zeitung am und ihre gegebenenfalls als geschmacklos empfun- Sonntag‘ beteiligt. Hier werden journalistische und dene satirische Darbietungsform, sondern um eine rechtliche Grundsätze sowie die Nichteinmischung Frage des Persönlichkeitsrechts, weshalb Rupert in den Wahlkampf durch einen Mitarbeiter des ZDF Neudeck am 20. Oktober in der »Stuttgarter Zei- in einer Weise verletzt, daß ich mich veranlasst sehe, tung« schon voraussagte, dass der Sendung nach meine sonst geübte Zurückhaltung als Mitglied des all den Querelen der vergangenen Jahre nun wohl Fernsehrats aufzugeben und in aller Öffentlichkeit tatsächlich der »Erstickungstod« bevorstehe.38 meine Empörung über dieses Verhalten Ihres Hau- ses Ausdruck verleihen muß.«39 Was war dem vorausgegangen? Hildebrandt war zu Ohren gekommen, dass Christian Schwarz-Schil- Eine erste Prüfung der Programmbeschwerde, über ling, der einer der engagiertesten Kämpfer für die deren Inhalt die Presse von Schwarz-Schilling sofort privatwirtschaftliche Öffnung des Fernsehens war, informiert worden war,40 erfolgte prompt. ZDF-Chef- dem ZDF-Nachrichtenmagazin »Heute-Journal« am redakteur Reinhard Appel konnte in Vertretung des 13. September 1978 ein Interview gegeben hatte, in verreisten Intendanten und nach Absprache mit den dem es um die Kritik der Unionsparteien am öffent- Kollegen Stolte und Fuhr nur sein »Bedauern« darü- lich-rechtlichen Rundfunk gegangen war. Der Kaba- ber kundtun, dass es zu jenem »noch nicht endgül- rettist wollte das Gespräch satirisch aufgreifen und tig geklärten Fehler beim Ausleihen des Materials« hatte sich zu diesem Zweck ein Band aus dem Wies- gekommen war, das »keinen ausreichenden Hin- badener ZDF-Sendezentrum nach München über- weis auf die erfolgten Kürzungen« enthalten habe: spielen lassen. Die dabei übermittelte Version ent- »Ich möchte mich in aller Form für das ZDF für die- hielt jedoch eine Äußerung des CDU-Politikers, die sen Fehler entschuldigen.« Da zur Aufhellung des in der Nachrichtensendung gar nicht zu sehen gewe- Sachverhalts mehrere Bereiche und Mitarbeiter be- sen war, da die Redaktion sie auf Bitte von Schwarz- fragt werden müssten, würde es bis zu einer »end- Schilling herausgeschnitten hatte. Hierbei handelte gültigen Würdigung« der Angelegenheit noch einige es sich um einen Halbsatz zum Schluss des Inter- Tage dauern.41 views, der da lautete: »Wir kriegen ja laufend Brie- fe, Berichte, Proteste.« Denn Schwarz-Schilling hat- Tatsächlich galt es zu prüfen, wer die Verantwor- te erkannt, dass er dabei keine gute Figur machte, tung für diesen Lapsus zu tragen hatte. So war Karl- zumal der Moderator Klaus Bresser ihm vor laufen- heinz Rudolph als Leiter der Hauptredaktion Aktuel- der Kamera plump entgegengehalten hatte: »Wir be- kommen auch Briefe, Berichte.« Da das aufbewahr- te Band keinen eindeutigen Sperrvermerk über den von Schwarz-Schilling nicht freigegebenen und des- 37 Karl-Günther von Hase an Dieter Stolte, 13.9.1977. ZDF-UA. halb auch nicht ausgestrahlten Satz enthalten hatte, 3/0430. 38 Rupert Neudeck: Satire in der Klemme. war der Kabarettist fälschlicherweise davon ausge- In: Stuttgarter Zeitung, 20.10.1978. gangen, auch diesen für satirische Zwecke nutzen zu 39 Fernschreiben von Christian Schwarz-Schilling an den dürfen. Hildebrandt ließ in seiner Sendung den un- Intendanten des ZDF, 29.9.1978. ZDF-UA. 3/0431. glücklich formulierten Halbsatz Schwarz-Schillings 40 Vgl. Schwarz-Schilling ist über das ZDF empört. In: Die Welt, gleich mehrfach hintereinander einblenden, wäh- 2.10.1978; Hildebrandt unter Beschuß. In: Süddeutsche Zeitung, 6.10.1978. rend er die rundfunkpolitischen Vorstellungen der 41 Fernschreiben von Reinhard Appel an Christian Schwarz- Union durch den kabarettistischen Kakao zog. Schilling, 3.10.1978. ZDF-UA. 3/0431. Kain: Modellfall politischer Pression im öffentlich-rechtlichen Fernsehen 13 les der Ansicht, dass allein die abrufende Redaktion, ZDF-Programm um ihre Mitwirkung gebetenen Per- also in diesem Fall die für die »Notizen aus der Pro- sönlichkeiten gewährleistet sein müsse. Genau die- vinz« zuständige Redaktion Unterhaltung III, für den ser ‚Vertrauensschutz‘ steht nämlich im vorliegen- Fehler gerade zu stehen habe.42 Seine Begründung: den Fall in Frage. Ohne Zweifel konnte der um eine Das Material sei weiter verwertet worden, ohne hier- Interviewäußerung angegangene Politiker in Kennt- für bei ihm, wie angeblich vorgeschrieben, eine Er- nis der geltenden Regeln des Hauses davon ausge- laubnis einzuholen. Auch vom Zentralarchiv, wo im hen, dass die von ihm für einen ganz bestimmten […] ZDF die MAZ-Bänder aufbewahrt wurden, war zu er- Informationszweck erbetene Äußerung nicht ohne fahren, dass nur mit Zustimmung des verantwortli- weiteres anderen programmlichen Zwecken zuge- chen Hauptredaktionsleiters, in diesem Falle eben führt wird.«45 Karlheinz Rudolph, solche Aufzeichnungen über- haupt benutzt werden dürften. Nun sollte ZDF-Ver- Da die Sendereihe »Notizen aus der Provinz« als fikti- waltungsdirektor Rudolf Sölch prüfen, ob das zutraf onale Programmform anzusehen sei, müsse klar von und sich auch durch eine entsprechende Anordnung einem Verstoß gegen die entsprechende Dienstan- oder Dienstanweisung nachweisen ließ.43 Wenn ja, weisung gesprochen werden, deren Sinn es im Übri- so der Tenor auf der Direktorenkonferenz, dann habe gen nicht sei, Verbote auszusprechen. In nahezu allen man es mit einer zu rügenden Regelverletzung zu früheren Fällen, in der ihn die Redaktion Unterhal- tun. Einige Tage, etliche Telefongespräche und Gut- tung III entsprechend der Vorschriften eingeschaltet achten später konkretisierte sich das Bild insofern, habe, »konnte das Programmvorhaben in der vorge- als nun herauskam, dass in einer seit sechzehn Jah- sehenen Weise verwirklicht werden. Die Überprü- ren gültigen speziellen Sonderregelung festgelegt fung kann aber u. a. auch dazu dienen, daß, wie im worden war, dass für die Herausgabe von Material vorliegenden Fall, die Veränderungen zwischen auf- aus der Hauptredaktion Aktuelles die »grundsätzli- genommenem und gesendetem Material festgestellt che Zustimmung von Herrn Rudolph gegeben sei«.44 werden.«46 Zur Erfüllung des in der Programmanord- Dies bedeutete, dass das im Programmarchiv vor- nung vorausgesetzten Tatbestands sei es im Übri- handene Material ohne förmliche Zustimmung des gen nicht notwendig, dass das Dokumentarmate- Hauptredaktionsleiters direkt an die anfordernden rial selbst entstellt oder in sich verfremdet wird. Es Redaktionen des Hauses ausgeliefert werden durfte, reiche es aus, »wenn, wie im vorliegenden Fall, Ori- was vor allem praktische Gründe hatte, die sich aus ginalausschnitte satirisch eingebettet und aufberei- der Vielzahl von Anfragen an das Programmarchiv tet werden. Im vorliegenden Fall braucht es aller- ergaben und aus dem erheblichen Zeitdruck, un- dings auf diese Frage umso weniger ankommen, als ter dem die Produktionen jeweils standen. In jedem allein durch die dreimalige Verwendung des hier in einzelnen Fall noch die Genehmigung des Hauptre- Frage stehenden Zitats inhaltlich natürlich ebenfalls daktionsleiters einzuholen, wäre eine zu große büro- eine ‚Verfremdung‘ des Originalmaterials stattfindet, kratische Erschwernis gewesen. Damit war die abru- denn der fragliche Satz wurde […] ja nur einmal ge- fende Redaktion rechtlich aber trotzdem noch nicht sprochen. Allein durch die dreimalige Wiederholung aus dem Schneider. Im Gegenteil – denn zwischen- wird sein Urheber […] Zielscheibe der Satire.«47 zeitlich hatte sich auch der ZDF-Justiziar Ernst Fuhr mit der Materie beschäftigt und kam in einem Gut- Letztlich blieb festzustellen, dass Schwarz-Schilling achten zu dem Ergebnis, dass die zuständige Re- sich zu Recht als Opfer eines »Vertrauensbruchs« daktion bei der Erstellung des Beitrags eindeutig sehen konnte, für den Hildebrandt als Autor des Bei- gegen eine andere Programmanordnung des Inten- trags aber nicht hauptverantwortlich war, sondern danten vom 14. Juli 1975 verstoßen habe, die be- die zuständige Redaktion Unterhaltung III, die das sagte, dass im Falle der Verwendung von aktuellem Band für seine Sendung im Archiv angefordert und Archivmaterial des ZDF für eine ZDF-Sendereihe, sich nicht wie erforderlich beim Justitiar rückversi- die nicht erneut dokumentarischen Zwecken diene, chert hatte, ob die Nutzung in Ordnung sei. Eines sondern die Ausschnitte in fiktive Programmformen einbette, zwingend der Justiziar einzuschalten sei: »Was immer man auch von den Motiven dieser Pro- grammanordnung halten mag, sie ist jedenfalls in- 42 Vgl. das Ergebnisprotokoll der 10.00-Uhr-Sitzung der Chefredaktion am 10.10.1978, S. 3. ZDF-UA. 3/0366. tern geltendes Recht. Ohne Zweifel hat man auch 43 Vgl. das Ergebnisprotokoll der Direktorenkonferenz am bei ihrem Erlaß gerade den Fall der Sendereihe ‚No- 11.10.1978, S. 3f. ZDF-UA. 3/0364. tizen aus der Provinz‘ im Auge gehabt. Dabei kann 44 Ergebnisprotokoll der Direktorenkonferenz am 24.10.1978, dahingestellt bleiben, ob […] bei Erlaß der Program- S. 4. ZDF-UA. 3/0364. manordnung vor allem davon ausgegangen wurde, 45 Ernst Fuhr an Reinhard Appel und Dieter Stolte, 23.10.1978. ZDF-UA. 3/938. daß das ZDF seine ‚Gastgeberpflichten‘ nicht ver- 46 Ebd. letzen dürfe, mithin ein ‚Vertrauensschutz‘ der im 47 Ebd. 14 Rundfunk und Geschichte 3–4 (2007) konkreten Vorschlags, in welcher Weise der Inten- sich auch nicht empfahl, diese etwa im Schnellver- dant oder der Programmdirektor nunmehr tätig wer- fahren und womöglich standardisiert abzufertigen. den sollen, enthielt sich der Justiziar jedoch. Das zeitliche Näherrücken der nächsten Intendan- tenwahl machte die Situation ohnehin nicht leichter. Stolte wollte sich mit Gerlach über diese Frage ver- Schließlich war zu erwarten, dass über die personel- ständigen und bat ihn um ein Gespräch,48 dessen le Zusammensetzung der ZDF-Spitze diesmal quasi Inhalt sich aus den Akten nicht rekonstruieren lässt. im Alleingang von den Mitgliedern des CDU-Freun- Fakt aber ist, dass Christian Schwarz-Schilling mit- deskreises befunden werden würde, da diese ihre tlerweile schon öffentlich ankündigte: »Eine Ent- Mehrheit dort noch einmal hatten ausbauen kön- schuldigung reicht mir nicht.«49 Er wollte die Sen- nen. Deren strategischer Kopf aber war Schwarz- dung, die ihm schon so lange ein Dorn im Auge war, Schilling, dem Stolte die Sendung nun, wie es den nun ganz aus dem Programm gekippt wissen und Anschein haben konnte, als Opfergabe darbrachte. sah hierfür, obwohl die rechtliche Beurteilung des Dabei war es natürlich im Hinblick auf die Kommu- Vorgangs einen solch drastischen Schritt nach dem nizierbarkeit dieser Entscheidung gegenüber einer Grundsatz der Verhältnismäßigkeit kaum rechtferti- kritischen Öffentlichkeit und auch gegenüber den gen konnte, auch eine realistische Chance. Deshalb Anhängern der Sendung im Fernsehrat geschickter, kam er wenige Wochen später wiederum schriftlich sich auf planerische und allgemeine programmqua- auf Karl-Günther von Hase zu, um ihm die Frage zu litative Fragen zu berufen, als hier den eigentlichen stellen, »ob Sie beabsichtigen, diese Sendung mit Vorgang, also die Nichtbeachtung einer Vorschrift ihrem ständig wiederkehrenden Anti-CDU und Anti- und die daraus resultierte Verunglimpfung Christian Bayern-Affekt auch in Zukunft fortzusetzen. Ich halte Schwarz-Schillings, begründend anzuführen. Denn es auf lange Sicht für unvertretbar.«50 Das Schreiben, dies hätte nur wieder zu neuerlichen Auseinander- dessen Inhalt dann kurz darauf mutmaßlich auch setzungen geführt. Thema auf einem Treffen des CDU-Freundeskrei- ses war,51 wurde schließlich vom Intendanten in ei- Die SPD-Zeitung »Vorwärts«, die den Kabarettis- nem Duktus beantwortet, der zwischen den Zeilen ten Hildebrandt aufgrund seiner klar zum Ausdruck diplomatisch andeutete, dass man die Sendung mit- kommenden parteipolitischen Präferenz besonders telfristig einstellen würde, und zwar aus programm- schätzte und gerne unterstützte, musste ihre Infor- lichen Gründen. Der machtvolle Medienexperte der mationen dennoch erhalten haben, denn bereits An- CDU hatte also offenbar endgültig erreicht, wofür er fang Dezember kündigte sie das Ende der »Notizen seit Jahren kämpfte – die Verbannung Dieter Hilde- aus der Provinz« in einem Artikel an – und bezeich- brandts aus dem Programm des ZDF. Denn ein kla- nenderweise verzichtete das ZDF diesmal auf die res Bekenntnis zu dessen Satiresendung hätte sich sonst übliche Gegendarstellung. Offenbar, so die anders gelesen, ganz anders als das, was der Inten- Interpretation des Partei-Organs, gehe man schon dant dem Politiker nach Rücksprache mit Stolte nun jetzt daran, »für das Jahr der Bundestagswahl alle förmlich mitteilte: »Im Jahre 1979 werden 10 Folgen sicherheitsriskanten Sendungen wegzuräumen […]. (nicht 12 wie bisher) von ‚Notizen aus der Provinz‘ Und das Sicherheitsrisiko Nummer eins im ZDF-Pro- im Programm sein. Die Produktionspläne sind noch gramm scheint für 1980 ganz sicher die Politik-Satire nicht erstellt. Bei den Beratungen des Programmdi- zu sein, derer sich der politisch ja keineswegs neu- rektors mit den Redaktionen wird jedoch zu prüfen trale Dieter Hildebrandt allmonatlich schuldig macht. sein, ob alle Sendereihen der früheren Jahre quali- Also hat man die Sendereihe im Einvernehmen mit tativ noch so gut sind, daß sie fortgesetzt werden der gesamten ZDF-Hierarchie für 1980 sterben las- können.«52 sen. Auf so lange Sicht werden Bedürfnisse […] der Zuschauer für das Programmangebot prognosti- Dies war ein Wink mit dem Zaunpfahl, denn Schwarz- ziert. Alles ist schon entschieden und es lohnt kein Schilling konnte nun davon ausgehen, dass sich Stol- Protest, auch keine Wehmut: die Termine, zu denen te mit Gerlach inzwischen doch über das Auslaufen die ‚Notizen‘ laufen sollten, sind, wie man hört, 1980 der Sendung geeinigt hatte. Tatsächlich durfte es für die Programmverantwortlichen eine angenehme Vorstellung gewesen sein, sich im Jahr der Bundes- 48 Dieter Stolte an Peter Gerlach, 25.10.1978. ZDF-UA. 5/0713. tagswahl 1980 nicht dem voraussehbaren Ärger mit 49 Zit. n. Michael Hamerla: Wieder Wirbel um Hildebrandts konservativen Politikern, den Hildebrandt ihnen be- »Notizen«. In: Rheinische Post, 11.10.1978. stimmt wieder bereit hätte, auszusetzen. Denn Be- 50 Christian Schwarz-Schilling an Karl-Günther von Hase, 6.12.1978. schwerdebriefe von Schwarz-Schilling und seinen ZDF-UA. 3/0431. Mitstreitern konnten naturgemäß nicht gerade zur 51 Vgl. die handschriftliche Notiz Stoltes »WV 14.12.78 Freundeskreis« auf ebendiesem Schreiben. Lieblingslektüre von Dieter Stolte gehören, gerade 52 Karl-Günther von Hase an Christian Schwarz-Schilling, weil deren Einfluss zum Teil beachtlich war, weshalb 15.12.1978. ZDF-UA. 3/0431. Kain: Modellfall politischer Pression im öffentlich-rechtlichen Fernsehen 15 schon für andere Projekte eingeplant. An der Ent- zen aus der Provinz« faktisch bereits besiegelt sei. scheidung ist nicht mehr zu rütteln.«53 Stolte hielt es Mutmaßlich der entscheidende Grund, warum das dennoch für ratsam, sich vor dem Plenum im Fern- ZDF sich hütete, diese Gerüchte zu bestätigen, war sehrat nicht zu tief in die Karten gucken zu lassen der Wunsch Stoltes, die Angelegenheit unbedingt und beschränkte sich – konfrontiert mit der Frage, ob nach dem von ihm beschworenen »ganz normalen die Berichterstattung des »Vorwärts« denn wirklich Vorgang« aussehen zu lassen. Das aber schien nur zutreffe – auf den Hinweis, dass für 1980 die diesbe- dann möglich, wenn man mit der Bekanntgabe der züglichen Produktionspläne noch nicht erstellt seien. Entscheidung noch so lange wartete, bis die Pla- Die in Rede stehende Sendereihe laufe Ende 1979 nungen für das nächste Programmjahr offiziell abge- sechs Jahre, und er halte es für einen normalen Vor- schlossen waren. Auch Dieter Hildebrandt hatte in- gang, nach einem solchen Zeitraum zu prüfen, ob zwischen eine Ahnung davon, wie es um die Zukunft eine Sendereihe fortgesetzt werden solle oder ob seiner Sendung bestellt war und beklagte sich ge- sie Ermüdungserscheinungen zeige. Diese Prüfung genüber Münchner Journalisten darüber, »der einzi- werde jedoch erst Anfang 1979 erfolgen.54 ge im ZDF« zu sein, »der nicht genau weiß, was mit den ‚Notizen‘ geschieht«.57

Hildebrandts Abschiedsvorstellung Unterdessen gab Peter Gerlach sogar in der Ant- und die Folgen wort auf den Beschwerdebrief eines Zuschauers aus Hamburg unumwunden zu: »Ja, es ist richtig. Ich Tatsächlich stand aber bereits fest, dass die Sen- überlege zur Zeit, ob wir mit der seit 1973 laufenden dereihe zum Jahresende auslaufen sollte. Christi- Sendereihe Ende 1979 aufhören, eine Pause machen, an Schwarz-Schilling hatte allen Grund zur Freude, um das gegenwärtige Konzept, das ich für überholt denn das bedeutete das seit langem von ihm ersehn- halte, zu überarbeiten. Ich kann Sie nicht davon ab- te Ende des Engagements von Dieter Hildebrandt halten sich einzubilden, in diesem Umstand einen beim ZDF. Dabei hatte Stolte noch am 22. Januar Gefälligkeitsakt gegenüber denjenigen zu sehen, die 1979 in einem eigens erstellten Aktenvermerk darauf nicht zu den Freunden von ‚Notizen aus der Provinz‘ beharrt, dass entgegen anderslautender Gerüchte gehören. Eines jedoch wollen Sie bitte zur Kenntnis noch keine Entscheidung über die Zukunft der Sen- nehmen, daß ich mich durch nichts und durch nie- dereihe über das Jahr 1979 hinaus getroffen wor- manden bevormunden lasse in der Wahrnehmung den sei. Innerhalb der Hauptredaktion Unterhaltung meiner Aufgaben, weder durch Sie noch durch den werde noch der Beschaffungsplan für 1980 erstellt, Intendanten noch durch die politischen Parteien.«58 im Rahmen redaktionsinterner Gespräche lege man Fakt ist aber, dass die inhaltliche Entwicklung der bis Ende April fest, welche Programme dem Pro- Sendereihe, als es zu dem Eklat mit Schwarz-Schil- grammdirektor zur Durchführung im Jahre 1980 vor- ling gekommen war, im ZDF sogar wieder positiver geschlagen werden sollen. Dabei sei es, und hier als zuvor gesehen wurde. Das Rekurrieren auf die deutete sich wieder verklausuliert an, worauf die Ent- vermeintliche Überholtheit des Konzepts durch Ger- scheidung hinauslaufen würde, ein »selbstverständ- lach, Stolte und von Hase kam aus dem Nichts, es licher und normaler Vorgang, daß bei solchen Re- hatte keinen Bezug zu den übrigen belegbaren Beur- daktionsgesprächen insbesondere die seit langem teilungen der Verantwortlichen. Im Gegenteil: Noch im Programm laufenden Serien und Reihen einer kri- auf einer Programmkonferenz am 30. Oktober 1978 tischen Würdigung unterzogen werden. ‚Notizen aus war über eine aktuelle Ausgabe der »Notizen aus der der Provinz‘ wurde im Oktober 1973 begonnen und Provinz« in einem von Stolte abgesegneten Proto- ist Ende 1979 mehr als sechs Jahre im Programm koll festgehalten worden: »Eine gelungene, amüsan- des ZDF.«55 te und geistvolle Sendung«.59 Unmittelbar zuvor hat- te der Programmdirektor in einem Schreiben an den Diejenigen, die die Notwendigkeit sähen, »zum ge- genwärtigen Zeitpunkt bereits eine Diskussion um eine mögliche redaktionelle Entscheidung gegen die 53 »Notizen« können störend wirken. Zum bevorstehenden Ende Fortführung von ‚Notizen aus der Provinz‘« auslö- (Dezember 1979) einer satirischen Sendung. In: Vorwärts, 7.12.1978. sen zu müssen, bedienten sich der Methoden, so 54 Vgl. die Niederschrift über die 3. Sitzung des Fernsehrats in der V. Amtsperiode am 15.12.1978 in Mainz, S. 24. ZDF-UA. 1/0068. hielt Stolte in seinem Aktenvermerk zur Verteidigung 55 Aktenvermerk von Dieter Stolte, 22.1.1979. ZDF-UA. 5/0714. fest, »die den Unionsparteien hinsichtlich deren an- 56 Ebd. geblicher Einflußnahme auf Rundfunk und Fernse- 57 Zit. n. Claus Morhart: Mütze auf, Tisch raus!. In: Main-Echo, hen vorgeworfen werden.«56 Doch die Aufregung un- 28.2.1979. ter den Anhängern der Hildebrandt-Sendung konnte 58 Schreiben von Peter Gerlach an Klaus Flöther, 29.1.1979. ZDF-UA, 5/0385. das nicht schmälern, weil aus verschiedenen Quel- 59 Ergebnisprotokoll der Programmkonferenz am 30.10.1978. ZDF- len zeitgleich verlautete, dass das Ende der »Noti- UA. 5/0713. 16 Rundfunk und Geschichte 3–4 (2007)

Intendanten sogar die Ansicht vertreten, dass die öffentlich gemachten Absetzung resigniert feststell- Anfang des Jahres erfolgte Überarbeitung der Kon- te.63 Das Ende war beschlossene Sache. Inzwischen, zeption »hin zu einer Studio-Sendung […], die die ka- und das war der ehrlichere Weg, wählte Peter Ger- barettistische Form in der formalen Gestaltung auch lach auch eine offensivere Form der Kommunikation für den Zuschauer optisch stärker deutlich macht«, und ließ sich unwidersprochen mit dem kämpferi- die Sendereihe »sich im Prinzip bewährt« habe und schen Satz zitieren, die Anstalt sei bereit, »den Vor- die Zahl der kritischen Stimmen rückläufig sei, wes- wurf von schwarzer Zensur« hinzunehmen,64 wäh- halb davon ausgegangen werden könne, »daß sich rend Gert Mechoff, Leiter der zuständigen Abteilung die Sendung heute mehr denn je im Rahmen der Unterhaltung III, gönnerhaft feststellte: »Nach so vie- Aufgabengrenzen einer öffentlich-rechtlichen Rund- len Jahren geht doch der Lack ab. Die Sendung ist funkanstalt bewegt«.60 so eng mit Hildebrandt verbunden, durch ihn ge- prägt – wir machen den Jungen ja kaputt.«65 Das half Hildebrandt allerdings nichts mehr. Genau- so wenig, wie es für sein Mainzer Engagement rele- Ein unmittelbarer Zusammenhang mit dem Schwarz- vant war, dass Peter Gerlach in einem auf den 21. Mai Schilling-Konflikt wurde auch von den Sozialdemo- 1979 datierten Exposé über satirische Sendungen im kraten nicht her- bzw. unterstellt, was deren schwa- ZDF das Ende seiner Sendung nur als kreative, der che Position in den ZDF-Aufsichtsgremien illustrierte. Regeneration gewidmete Pause von rund zwei Jah- Nur wenn aus dem bürgerlichen Lager oder der Öf- ren interpretiert wissen wollte, »um dann in neuem fentlichkeit und nicht zuletzt dem ZDF selbst zu- Gewand« wieder in Erscheinung zu treten. Schließ- sätzliche Unterstützung kam, entwickelte man im lich bedürfe »eine Kunst, die auf den Markt gezerrt SPD-Freundeskreis echten Kampfeswillen und die wird, nach 60 Sendungen eines neuen Kostüms«: Bereitschaft, einen Konflikt auszutragen.66 So aber »Die Mechanismen und der dramaturgische Ablauf kam es lediglich zu einem Briefwechsel zwischen der jeweiligen Sendungen sind bekannt, so daß Ab- dem SPD-Bundesgeschäftsführer Egon Bahr mit nutzungserscheinungen unvermeidlich sind.«61 Einer von Hase67 und zu einer Debatte im Ausschuss für solchen Gefahr aber dürfe sich ein kritisches Ma- Spiel und Musik. Dessen Zusammenkommen hat- gazin nicht aussetzen, hielt Gerlach dazu fest, frei- te Hermann Heinemann (SPD) beantragt, nachdem lich ohne diese »Abnutzungserscheinungen« genau- das Ende der »Notizen aus der Provinz« auf einem er zu erläutern. Denn was als These von Fall zu Fall von Stolte arrangierten Gespräch mit Hildebrandt, grundsätzlich durchaus zutreffend war, traf auf »No- dem -Produzenten Jürgen Lehmann und Pe- tizen aus der Provinz« nicht zu und war ein lediglich ter Gerlach am 7. Juni 1979 endgültig zwischen alle vorgeschobenes Argument – schließlich hatte die Beteiligten besiegelte Sache war. Heinemann hob Redaktion das Konzept der Sendung ja gerade zum vorrangig auf die mangelhafte Informationspolitik Jahresbeginn grundlegend, und durchaus mit Er- des Hauses ab: Vom Stil und auch von der Sache her folg, überarbeitet. Dazu kam, dass auch die ermittel- ten Zuschauerzahlen nicht als Nachweis dafür her- halten konnten, dass die Sendung vom Publikum als 60 Dieter Stolte an Karl-Günther von Hase, 30.8.1978. ZDF-UA. »verbraucht« aufgefasst wurde. Das Gegenteil war 5/0712. der Fall: Im Durchschnitt erzielten alle zehn Ausga- 61 Peter Gerlach: Ein Platz für Satire, 21.5.1979. ZDF-UA. ben 1979 am Donnerstagabend ab 20.30 Uhr eine Sonderbestand Appel. Einschaltung 26 Prozent. Dies entsprach 8,5 Millio- 62 Vgl. ZDF-Jahrbuch 1979, S. 210, 220 und 256. – 1977 schalteten nen Zuschauern, was für ein kabarettistisches Pro- demnach 9,5 und 1978 8,1 Millionen Zuschauer ein. 63 Hildebrandts »Notizen« nun endgültig abgesetzt. gramm kein schlechter Wert war und sich – sogar In: Westfälische Rundschau, 22.5.1979. mit einer leicht steigenden Tendenz – auf dem Ni- 64 Ebd. veau der in den Jahren zuvor erzielten Quoten be- 65 Ebd. wegte.62 Einem imperativen Mandat des Publikums 66 Vgl. Florian Kain: Die Geschichte des ZDF 1977 bis 1982 (Anm. 2), S. 286–311. konnte also nicht das Wort geredet werden. Dass die 67 »Falls jemand glaubt, ich sei dankbar, wenn ein Satiriker aus »Regenerationspause« schließlich ausgerechnet auf dem Geschäft gezogen wird, der häufig genug meine Partei zur das Wahljahr 1980 fallen sollte, verstärkte den Ein- Zielscheibe seiner Kritik gemacht hat, irrt er […] Ihre Mitarbeiter druck einer aus politischen Motiven getroffenen Ent- sollten noch einmal die Entscheidung überdenken, die der Sendereihe zufällig und ausgerechnet im Wahljahr 1980 ein Ende scheidung. bereiten soll. So ernst der Wahlkampf wird, politische Satire bedarf keiner Sendepause.« Schreiben von Egon Bahr an Karl-Günther Doch bei »dem stetigen Abwehrkampf war zu frucht- von Hase, 10.7.1979. ZDF-UA. 3/0432; »Einen Zusammenhang baren Überlegungen keine Zeit mehr«, wie der für die zwischen ‚Notizen aus der Provinz‘ und dem Wahljahr 1980 sehe ich »Notizen aus der Provinz« mitverantwortliche ZDF- nicht, es sei denn den, den Herr Hildebrandt durch seine Interview- Erklärungen selbst in die Öffentlichkeit gebracht hat, nämlich auch Redakteur Ulrich Harrter gegenüber der »Westfäli- 1980 aktiv in den Wahlkampf eingreifen zu wollen.« Antwortschreiben schen Rundschau« aus Anlass der Mitte Mai 1979 Karl-Günther von Hases an Egon Bahr, 13.7.1979. ZDF-UA. 5/0715. Kain: Modellfall politischer Pression im öffentlich-rechtlichen Fernsehen 17 hätte den Mitgliedern des Fernsehrats eine derarti- sungen den Ausschuss in die Diskussion einbezie- ge Entscheidung nicht via Presse bekannt gemacht hen und erst dann Entscheidungen treffen. Im weite- werden dürfen, warf er Stolte vor.68 Dieser sprach ren Verlauf des Gesprächs sah Stolte sich dann doch in seiner Replik davon, dass die Sendereihe das noch zu weitergehenden Rechtfertigungen und so- ursprünglich intendierte Ziel, nämlich mit den Mit- gar zu einer Bitte um Entschuldigung genötigt: Ihm teln des beim Zuschauer Nachdenklich- sei da etwas »durchgegangen, was nicht hätte ge- keit über allgemeine, gesellschaftlich interessieren- schehen dürfen«. Dass eine neue satirische Sen- de Fragen zu erreichen, seiner Ansicht nach verfehlt dereihe erst 1981 an den Start gehen könne, hal- habe. Stattdessen sei die vorgegebene Grundaus- te er auch selbst für bedauerlich, und es stimme, richtung mehr und mehr zugunsten einer »Philoso- dass das Programm durch den Wegfall der »No- phie der Verneinung« verlassen worden. Damit ein- tizen aus der Provinz« insgesamt farbloser werde. hergegangen sei eine thematische Verengung auf Doch bestehe auch die Chance, mit einer Neuent- die Nutzung von Kernenergie, auf Neonazismus und wicklung zu einem satirischen Magazin zu kommen, Umweltfragen sowie eine Personalisierung auf weni- das sich nach allen Seiten hin offener gebe als Hil- ge Spitzenpolitiker (Strauß, Carstens, Vogel, Leber, debrandts Sendung, die in der jahrelangen stereoty- Franke). Statt Nachdenklichkeit zu erzeugen, sei der pen Konzentration auf fünf bis sechs Persönlichkei- Konfrontation und Provokation der Vorrang gegeben ten der deutschen Politik nach seiner Überzeugung worden. Der Prozess der Meinungsbildung über die qualitativ verkümmert sei. Bereits seit zwei Jahren Zukunft der Sendung habe sich zwischen Redaktion habe man bezüglich des Problems der »Abnutzung« und Programmdirektor über mehrere Monate hinge- des Konzepts über Konsequenzen nachgedacht. Die zogen. Das Resultat dieser Überlegungen sei dann Mitglieder von »Spiel und Musik« waren schließlich nach draußen gelangt und von der Presse als voll- nur unter der Prämisse, dass die Satire als Kunst- endete Tatsache dargestellt worden, obwohl es zu form im ZDF auch weiterhin ihren Platz haben würde, diesem Zeitpunkt streng genommen noch gar keine bereit, die Diskussion ad acta zu legen. Stolte und vollendete Tatsache gewesen sei. von Hase kamen so noch einigermaßen unbescha- det aus einer für sie vergleichsweise unangenehm Doch waren es nur formale Aspekte, auf die Stolte zu verlaufenen Ausschusssitzung heraus. seiner Verteidigung abhob. Denn Fakt blieb, dass die Aufsichtsgremien nicht in den Meinungsbildungs- Und Dieter Hildebrandt? – Er brauchte sich über die prozess einbezogen wurden. Dazu war das ZDF Absetzung der Sendung nicht über Gebühr zu grä- zwar nicht verpflichtet, doch wäre es in Anbetracht men, hatte er doch bereits ein Angebot des Sen- der in der Vergangenheit intensiv geführten Debat- ders Freies Berlin für eine neue, live ausgestrahlte ten um die Sendung ein angemessener Schritt ge- Kabarett-Sendung in der Tasche, die 1980 begin- wesen, der wohl bewusst vermieden wurde, um sich nen sollte. Bei seiner ZDF-Abschiedsvorstellung am nicht einem unangenehmen Streitgespräch ausset- 22. November 1979 präsentierte sich der Kabaret- zen zu müssen, wie es nun im Ausschuss aber trotz- tist schließlich so gut aufgelegt, als wollte er die of- dem stattfand. Dabei kristallisierte sich als einer der fiziell angeführten Absetzungsgründe noch einmal Hauptpunkte der Kritik heraus, dass das ZDF nach vor allen Augen widerlegen. Die Fernseh-Kritikerin Absetzung der Sendung auf dem satirischen Sektor Ponkie schwärmte in ihrer Kolumne in der Münche- nun gar nichts mehr zu bieten haben würde. Der Lei- ner »AZ«: »Nun werden sie aber froh sein beim ZDF, tung des ZDF wurde eine aus rein politischen Moti- daß sie ihren schwer erziehbaren Nestkacker Hilde- ven getroffene Entscheidung unterstellt. Der Inten- brandt endlich los sind – obwohl der ihr bestes Ali- dant gab daraufhin zu bedenken, dass Hildebrandt bi war für jene westliche Meinungsfreiheit, zu de- es dem Hause in den vergangenen Jahren wahrlich ren Verteidigung Herr Löwenthal im ZDF-Magazin nicht immer leicht gemacht habe, man habe sich ei- immer den (Schein-)Heiligenschein aufsetzt. Aber niges bieten lassen müssen. Dennoch seien ihm be- wenn die Politiker sich das Fernsehen in eigener Re- reits konkrete Angebote für neue Engagements un- gie unter den Arm klemmen wollen, kann man die terbreitet worden; die Satire hätte auch weiter Platz Kläffer eben nicht brauchen. Zum Glück ist Hilde- im Programm. Das ZDF unterstütze keinesfalls eine brandt ein […] boshafter Kerl […]. Seine letzten ‚No- bestimmte politische Richtung. Der Programmdirek- tizen aus der Provinz‘ waren ein angemessen tücki- tor zeigte sich zunächst lediglich bereit, den Vor- scher Abschied. Die Besten der Zunft standen ihm wurf der Nichtbefassung des Ausschusses zu ak- dabei mit geziemendem Giftbiß zur Seite, um dem zeptieren, verwies ansonsten aber auf angeblich zu schwache Einschaltquoten, kritische Zuschauerpost und ähnliches mehr. Unbeschadet der Frage, wie die 68 Vgl. die Niederschrift über die 5. Sitzung des Ausschusses für formale Rechtslage aussehe, werde er in Zukunft bei Spiel und Musik in der V. Amtsperiode des Fernsehrats am 7.9.1979, Sendungen mit Reihencharakter vor Beschlussfas- S. 5. ZDF-UA. 1/0179. – Alle nachfolgenden Zitate ebenfalls hiernach. 18 Rundfunk und Geschichte 3–4 (2007) lieben ZDF zum ‚Jahr des Kindes‘ den Wechselbalg ne fast nicht mehr, ein solchermaßen abgehalfter- ‚Privatfernsehen‘ als Bastard des Hauses vor die Tür tes System gegen die Propagandisten des privaten zu legen.«69 Fernsehens zu verteidigen. Schließlich sei durchaus denkbar, dass in einem von Verlegern unterschied- »Der Spiegel« analysierte das Ende der Sendereihe lichster politischer Provenienz verantworteten TV die als »Modellfall politischer Pression und Anpassung journalistische Qualität, also der Mut zur eigenen, des ZDF«, die Geschichte um das »respektlose, prononcierten Meinung wichtiger sein würde »als höchst erfolgreiche Magazin« habe »Modellcharak- der Fernsehmodetanz um das nicht einmal goldene ter« und unterstellte einen Zusammenhang mit Stol- Proporz-Kalb«.71 tes Ambitionen auf den Intendantenstuhl.70 Dass es gerade in Anbetracht der medienpolitischen Ent- Doch erst mit der Berufung Thomas Belluts zum wicklung kontraproduktiv sein konnte, unbeque- Programmdirektor und dem Aufstieg von Markus me Sendungen wie »Notizen aus der Provinz« aus Schächter zum vierten Intendanten des ZDF im Jahr dem Programm zu verbannen, darauf verwies Hans 2002 wurde in Mainz wieder über politische Satire C. Blumenberg. Er prangerte aus Anlass von Hilde- nachgedacht. Die Ära Dieter Stoltes in der Intendanz brandts Zwangsabschied in der Wochenzeitung »Die von 1982 bis 2002 blieb ohne eigenes Kabarett-For- Zeit« die vermehrt auftretenden »Zensurskandale« mat, zu der vage in Aussicht gestellten Fortsetzung bei ARD und ZDF an: »Auf dem geraden Weg zur von »Notizen aus der Provinz« kam es nie. Dieter Hil- Endlösung der Fernsehfrage […] retten die kleinen debrandt kommentierte seine Einladung in die Pre- Ajatollahs von ARD und ZDF die allseits beschwore- mierensendung von »Neues aus der Anstalt« schließ- ne ‚Rundfunkfreiheit‘ zu Tode.« Das öffentlich-recht- lich so: »Eine gute Gelegenheit, das Staffelholz zu liche Fernsehen, beaufsichtigt von »abgehalfterten übergeben, einen Gruß weiterzuschicken.« Dazwi- Provinzpolitikern und smarten Administrationskünst- schen lagen fast dreißig Jahre Fernsehgeschichte. lern«, sei längst dabei, »seinen allerletzten Rest an moralischer und intellektueller Glaubwürdigkeit zu verspielen«. In den Chef-Etagen der Anstalten wür- den eigenwillige Meinungen und originelle Program- mideen allenfalls als »Störfaktoren im reibungslosen, von journalistischem Temperament kaum noch be- helligten Sendeablauf« Wahrnehmung finden, man- cher Intendant gar des möglichen Ärgers wegen am liebsten das Programm ganz abschaffen. Es loh-

69 Ponkie: Letzte »Notizen«. In: Abendzeitung, 24.11.1979. 70 Geschärftes Ohr. In: Der Spiegel, Nr. 47, 19.11.1979, S. 273. 71 Hans C. Blumenberg: Fernseh-Friedhof mit Gespenstern. In: Die Zeit, 22.6.1979. 19

Hildegard Knoop

Viel Kultur und »ein bisschen« Politik

Guy Walter und das Kabarettprogramm im Südwestfunk 1947–1962

Das Kabarett der 1950er Jahre in Westdeutschland wird gemeinhin mit den großen Kabarett-Ensembles wie der »Münchner Lach- und Schießgesellschaft«, den Berliner »Stachelschweinen« und dem Düssel- dorfer »Kom(m)ödchen« verbunden. Vor allem diese drei Ensembles schafften ab den späteren 1950er Jahren mit ihren Programmen den Sprung ins Massenmedium Fernsehen. Auf den Kleinkunst-Bühnen der jungen Bundesrepublik gab es jedoch eine Vielzahl weiterer Ensembles. Das Ensemble-Kabarett war die vorherrschende Form des Kabaretts bis in die 1970er Jahre hinein. Der Aufsatz geht der Frage nach, wie diese »Kabarett-Landschaft« im Hörfunk abgebildet wurde. Er untersucht das Kabarettprogramm des Südwestfunks (SWF) in den Jahren 1947 bis 1962, einem Zeitraum, in dem es an diesem Sender eine eigene Programmsparte »Kabarett« gab, verantwortet von einem Redakteur mit einer ganz besonderen Lebensgeschichte, von Guy Walter, der als Remigrant aus Frankreich nach Baden-Baden kam und das chanson-geprägte Pariser Cabaret und das Revue-Kabarett im Berlin der 1920er Jahre als Vorlieben und Vorgaben »im Gepäck« hatte.

rogrammgeschichtliche Studien zum Unterhal- ganz offensichtlich: Das Hörfunk-Kabarettprogramm Ptungsangebot sind nach wie vor Mangelware. des Südwestfunks wurde in den 1950er Jahren ge- Das gilt – trotz einiger erwähnens- und bemerkens- prägt von diesem Redakteur, der das Programm werter Arbeiten – auch für die Kabarettprogramme, kontinuierlich von 1947 bis 1962 verantwortete und die von den Rundfunksendern und -anstalten pro- der überdies als Remigrant eine im westdeutschen duziert und gesendet worden sind.1 Dabei waren die Nachkriegsrundfunk eher ungewöhnliche Biografie Kabarettprogramme nicht selten ein Stein des An- aufwies. Wie sein Kabarett-Programm aussah und stoßes, die für wütende Proteste von Hörern sorgten und zum Teil heftige politische Attacken hervorrie- fen.2 In Untersuchungen zu den Programmangebo- 1 Hingewiesen sei hier nur auf Byran T. van Sweringen: ten einzelner Rundfunkanbieter werden solche Sen- Kabarettist an der Front des Kalten Krieges. Günter Neumann und das politische Kabarett in der Programmgestaltung des Rundfunks dungen oft gar nicht oder nur kursorisch behandelt im amerikanischen Sektor Berlins (RIAS). 2., überarb. u. erg. Aufl. – etwa in der Geschichte des in der französischen Passau 1995. Zone gegründeten Südwestfunks (SWF).3 Kabarett- 2 Die politischen Reaktionen auf die Auftritte Werner Fincks geschichtliche Darstellungen wiederum rekurrieren zeichnet Peter von Rüden nach: Ein Kabarettist wird ausgeschaltet: Werner Finck und der NWDR. In: Peter von Rüden und Hans-Ulrich vor allem auf die Bühnenprogramme der Ensembles Wagner (Hrsg.): Die Geschichte des Nordwestdeutschen Rundfunks. oder auf Einzelkünstler, sodass hier systematische Hamburg 2005, S. 131–155. Untersuchungen von Kabarett im Hörfunk oder im 3 Vgl. Sabine Friedrich: Rundfunk und Besatzungsmacht. Fernsehen nicht unternommen werden. Vor diesem Organisation, Programm und Hörer des Südwestfunks 1945 bis 1949. Hintergrund entstand die vorliegende Untersuchung Baden-Baden 1991, S. 79–177; Ralf Fritze: Der Südwestfunk in der Ära Adenauer. Die Entwicklung der Rundfunkanstalt von 1949 bis zum Hörfunk-Kabarettprogramm des SWF. Sie er- 1965 unter politischem Aspekt. Baden-Baden 1992. wuchs als wissenschaftliche »Frucht« aus der Be- 4 Hildegard Knoop: Kabarett im Rundfunk. Zur Präsentation schäftigung der Autorin mit den Kabarettprogram- kabarettistischer Ensembles im Südwestfunk 1952–1962. men der 1940er bis 1960er Jahre im Rahmen der Hausarbeit zur Erlangung des Magistergrades der Phil. Fakultät (im Fach Deutsche Philologie) der Westfälischen Wilhelms- »Rückwärtsdokumentation« der Hauptabteilung Do- Universität Münster 1994. kumentation und Archive des damaligen Südwest- 5 Tonaufnahmen im Südwestfunk 1952–1968. Baden-Baden. funks, heute Südwestrundfunks.4 Dieser seinerzeit November 1990. erstellte Katalog mit Ensemble-Kabarett-Aufnahmen 6 Ein erstes Interview mit Guy Walter führte Rudolf Beck am 26. April 1984 im Auftrag der Abteilung Dokumentation und Archive der Jahre 1952 bis 1968 bildet die hauptsächliche des SWF. Die ungeschnittene und nicht sendefertige Aufnahme 5 Materialgrundlage. Ergänzt wurde sie um schriftli- befindet sich im Hörfunkarchiv des SWF (SWF-595 1129). ches Quellenmaterial, also Manuskripte, Geschäfts- Ein weiteres Gespräch führte die Verfasserin am 30. November berichte und Briefwechsel aus dem Historischen Ar- 1988; die Kassette sowie eine Abschrift des Interviews sind in ihrem chiv des Baden-Badener Senders sowie schließlich Besitz. Ergänzt und überprüft wurden Walters Ausführungen in diesen Interviews durch eine Durchsicht der Akten über Guy Walter um Interviews mit dem Gestalter des Kabarettpro- im Deutschen Kabarettarchiv, Mainz, das seinen kabarettbezogenen 6 gramms jener Jahre – mit Guy Walter. Denn eines ist Nachlass verwaltet. 20 Rundfunk und Geschichte 3–4 (2007) ob bzw. wie es sich von der Kabarett-Landschaft toren und Lehrer aus dieser Zeit sind ihm Walter auf den Kleinkunstbühnen der damaligen Bundes- Kurt Robitschek, Hellmuth Krüger, Werner Finck, Hil- republik unterschied, soll im Folgenden dargestellt de Hildebrand, Claire Waldoff und Trude Hesterberg werden. in Erinnerung; näher bekannt oder freundschaft- lich verbunden sei er mit Rudolf Nelson und dessen Frau Käthe Erlholz, Friedrich Hollaender und Blandi- Vom Cabaret-Verehrer zum ne Ebinger gewesen.9 Kabarett-Mäzen – der Remigrant Guy Walter Nachdem als Folge der Wirtschaftskrise das große Das »Sachgebiet Kabarett«, das so als Teil der Ab- Theatersterben in Berlin eingesetzt hatte, im Zuge teilung Unterhaltung am Sender in Baden-Baden dessen auch die Kroll-Oper geschlossen wurde, ausgewiesen war, wurde maßgeblich geprägt durch ging Walter 1932 zurück nach Frankfurt. Auf Wunsch einen Mann, dessen Biografie besondere Lebens- seines Vaters nahm er ein Jura-Studium auf und litt stationen aufwies. Guy Walter gehörte nämlich zu darunter »so lange […[, bis seine Eltern ihm erlaub- den wenigen redaktionellen Mitarbeitern der »ers- ten, Theater- und Literaturwissenschaften zu studie- ten Stunde« beim Südwestfunk, die als Remigranten ren«.10 In Frankfurt erlebte Walter die große franzö- ihren Dienst aufnahmen bzw. die mit den französi- sische Diseuse Yvette Guilbert bei ihrem Gastspiel schen Besatzungsbehörden nach Baden-Baden ka- im Schumann-Theater, einer Varietebühne, bei der er men.7 Walter, seit 1933 im französischen Exil, war zu bald auch als Refrainsänger engagiert war, und wo Beginn des Jahres 1946 vom Direktor der »Radiodif- er die damals für Aufsehen sorgenden Opern von fusion française« gefragt worden, ob er einen Sender Bertolt Brecht und Kurt Weill kennen lernte. Sein so der Franzosen in Deutschland mit aufbauen und ob lange ersehntes Studium konnte Guy Walter nicht er »Bönterabonde«, also »Bunte Abende« bei diesem beenden, da er bald nach der Machtergreifung durch Sender gestalten wolle. Walter sagte zu und wech- die Nationalsozialisten als Jude emigrieren muss- selte im Frühsommer 1946 zum Südwestfunk. 1947 te. Er entschied sich für Paris, traf dort im Juli 1933 wurde er französischer Staatsbürger, nachdem sei- ein und wurde von einem Flüchtlingskomitee unter nem 1937 gestellten Antrag auf Naturalisation zehn der Schirmherrschaft des Dirigenten Bruno Walter Jahre später – ironischerweise ein Jahr nach seiner zunächst mit dem Nötigsten versorgt. 1935 starb Rückkehr nach Deutschland – stattgegeben wurde. der Vater von Guy Walter in Deutschland, die Mutter übersiedelte zu ihrem Sohn nach Paris. Man lebte in Wer war Guy Walter zu diesem Zeitpunkt und wel- Hotels – eine Lebensform, die Walter 1946 bei seiner che Erfahrungen brachte er aus den Jahren des Exils Rückkehr nach Deutschland in Baden-Baden fort- mit? Guy Walter ist ein Pseudonym, das er 1933 bei setzte und die er auch in späteren Jahren in Wies- seiner Flucht vor den Nationalsozialisten und sei- baden beibehielt. ner Emigration nach Frankreich annahm. Er wurde als Walter Lindenberg am 17. März 1909 in Hamburg als Sohn eines Vertreters von Theaterzeitschriften geboren. Seine Schulzeit verbrachte er in Frankfurt 7 Sabine Friedrich nennt als leitende Mitarbeiter in diesem am Main. Schon während dieser Jahre erhielt er in Zusammenhang nur Heinrich Strobel und Gerth-Wolfgang Baruch; Darmstadt Gesangsunterricht und gab mit 16 Jahren sie hat allerdings auch falsche Vorstellungen von Guy Walters sein Debüt als Tenor. 1927 ging Walter als Regieas- Tätigkeit während des Zweiten Weltkriegs in Paris. sistent an die Kroll-Oper nach Berlin. In einem 1988 Vgl. Sabine Friedrich: Rundfunk und Besatzungsmacht (Anm. 3), S. 88 und 254. – Guy Walter wird nur in wenigen mit der Verfasserin geführten Gespräch erinnerte er rundfunkgeschichtlichen Arbeiten erwähnt, etwa bei Heinz Schröter: sich an die pulsierende Kunst-Metropole, an eine Unterhaltung für Millionen. Vom Wunschkonzert zur Schlagerparade. Inszenierung von »Figaros Hochzeit« durch Gustaf Düsseldorf und Wien 1973; in der Forschung zu Remigration und Gründgens und an Aufführungen von Offenbach- Rundfunk blieb er bislang unberücksichtigt; vgl. Marita Biller: Exilstationen. Eine empirische Untersuchung zur Emigration und Operetten durch Wolfgang Liebeneiner, bei denen Remigration deutschsprachiger Journalisten und Publizisten. er assistieren konnte. In dieser Stadt machte Wal- Münster und Hamburg 1993; Hans-Ulrich Wagner: Rückkehr in die ter schnell Bekanntschaft mit der reichen Kabaretts- Fremde? Remigranten und Rundfunk in Deutschland 1945 bis 1955. zene. Willi Schaeffers, ein bekannter Conférencier Berlin 2000. 8 Zum Kabarettprogramm des Weimarer Rundfunks vgl. Theresia und Kabarettist dieser Zeit, wurde auf den jungen Wittenbrink: Rundfunk und literarische Tradition. Mann aufmerksam und verhalf ihm zu ersten Auftrit- In: Joachim-Felix Leonhard (Hrsg.): Programmgeschichte des ten in kabarettistischen Sendungen an der Berliner Hörfunks in der Weimarer Republik. Bd. 2. München 1997, »Funkstunde«, für die der Schlagertexter Karl Wilc- S. 996–1097; speziell S. 1012–1023. zynski arbeitete.8 Von da an, so Guy Walter, habe er 9 Guy Walter im Interview mit der Verfasserin, 30.11.1988. 10 Zit. n. Reinhard Hippen: Anwalt der Kleinkünstler. fast jeden Abend im Kabarett verbracht und alle gro- Guy Walter starb in München im Alter von 83 Jahren. ßen Chansoninterpreten erlebt. Als Vorbilder, Men- In: Mainzer Allgemeine Zeitung, 17.8.1992. Knoop: Viel Kultur und »ein bisschen« Politik 21

Walter verdiente in Paris den Lebensunterhalt für sich sen Recherchen über »Persönlichkeiten im Rund- und seine Mutter vor allem als Sänger und als Lehrer funk und Fernsehen« biographische Angaben über für Interpretation: Dabei sang er tagsüber in Kirchen- seine Person machte, bezeichnete er sich als »Pro- chören und Synagogen, abends trat er in Lokalen duzent kabarettistischer, Chanson- und unterhalten- auf. Außerdem war er Mitglied des Staatlichen Rund- der Wortsendungen«.14 Er blieb dies unter verschie- funkchors und wirkte bei einigen Aufnahmen für Ra- denen Leitern der Abteilung Unterhaltung bis zum dio Cité und die Plattenfirma Polydor mit. Bei Radio 31. Juli 1962. Dann wechselte er zum neu gebildeten Cité traf er erstmals mit Pierre Ponnelle zusammen, ZDF nach Mainz. der damals Generalsekretär dieses privaten Rund- funksenders war und später Verwaltungschef bzw. ab April 1947 Sektionsleiter der Section Radio in Ba- den-Baden wurde. 1940 wurde Walter wie viele an- dere deutschstämmige Staatenlose als Arbeitssol- dat in einem Lager in der Gegend von Blois interniert, wo er gemeinsam mit anderen Insassen Kabaretta- bende veranstaltete. Nach seiner Entlassung ging er zurück in das inzwischen von den Deutschen be- setzte Paris, tauchte dort unter und lebte bis zur Be- freiung von Paris 1944 hauptsächlich von der Unter- stützung durch katholische Geistliche. Nach seinen Empfindungen und Eindrücken während der Jahre der Emigration befragt, betonte Walter, dass er bei aller Sorge um die Angehörigen in Deutschland und um die eigene Existenz doch immer auch ein inne- res Gefühl der Freiheit empfunden und die kulturel- le Vielfalt der Weltstadt Paris ausgekostet und ge- nossen habe.11 Dieses positive Resümee wirft ein bezeichnendes Licht auf den Menschen Guy Wal- ter. Die Abrechnung mit der Vergangenheit bzw. mit dem Volk oder den Menschen, die ihm diese Er- fahrungen – Emigration und Staatenlosigkeit, Exis- tenznöte sowie ein Leben in Lagerhaft und im Un- tergrund – aufgezwungen hatten, war seine Sache Abb.01: Guy Walter (Foto aus den 50er Jahren) © SWR nicht. Der Kabarettist Hanns Dieter Hüsch, einer der vielen Künstler, die Walter während seiner Tätigkeit Seinen Weggang vom Südwestfunk nach 16-jähri- beim SWF und später beim ZDF unterstützt und ge- ger Zugehörigkeit begründete Walter mit der Weige- fördert hat, betonte, dass er niemals auch nur eine rung des damaligen Intendanten Friedrich Bischoff, Spur von Ressentiment gegen die Deutschen bei ihn kabarettistische Sendungen auch für das Fern- Walter habe feststellen können.12 sehprogramm produzieren zu lassen: »Herr Walter, Kabarett ist nicht fürs Fernsehen«, habe Bischoff ge- Walter ging im Frühsommer 1946 auf das Angebot sagt;15 eine Haltung, die plausibel erscheint. Denn ei- der Franzosen ein und wechselte zum SWF: »Sie nige Jahre vorher hatte Bischoff durch seine offenbar können sich vorstellen, dass der Entschluss, nach mit Vehemenz geäußerten Bedenken gegen die Live- Deutschland zurückzugehen, begleitet war von gro- Übertragung eines Auftritts des Kabarettisten Wolf- ßen Skrupeln, aber auch von großen Hoffnungen gang Neuss bei einer Veranstaltung für die in Berlin und ich auch ein gewisses Ziel hatte: Jetzt hast Du tagenden Bundestagsabgeordneten dafür gesorgt, die Möglichkeit, der deutschen Bevölkerung zu zei- dass bei Neuss’ Auftritt Bild und Ton verschwanden gen, was sie versäumt hat in den Jahren und wie und erst wieder erschienen, als der Kabarettist die man eine bunte, gefällige Unterhaltung macht, aber Bühne verlassen hatte. Diese inszenierte ‚technische auch eventuell ein bisschen politischen Einfluss [zu] Panne‘ wurde in der Presse ausführlich kommentiert nehmen und dem Publikum Sachen zu bringen, die ihm bis jetzt verboten waren und die sie nicht hören durften. Und ich empfand das als wirkliche Aufga- 11 Guy Walter im Interview mit der Verfasserin, 30.11.1988. be.«13 Walter wurde dem Bereich Unterhaltung zu- 12 Hanns Dieter Hüsch im Interview mit der Verfasserin, 20.5.1994. geordnet, der unter der Leitung von Rudolf Förs- 13 Guy Walter im Interview mit der Verfasserin, 30.11.1988. 14 Vgl. den Briefwechsel Henckels/Walter vom 28. Mai 1960 und ter stand, einem gelernten Schauspieler. Als Walter 27. Juni 1960. SWR. HA. SWF-P07 683. 1960 dem Journalisten Wolfgang Henckels für des- 15 Guy Walter im Interview mit der Verfasserin, 30.11.1988. 22 Rundfunk und Geschichte 3–4 (2007) und sorgte für einiges Aufsehen.16 Offenbar hielt Bi- in Paris eigene Vorstellungen und Vorlieben in seine schoff den Fernsehnutzer nicht für mündig genug, Programmarbeit ein. Satire als solche erkennen und würdigen zu können. Beim ZDF übernahm Walter 1962 die »Abteilung für Kabarett, Kleinkunst, Trickfilm und Puppenspiel« in Die ersten Schwerpunkt-Setzungen der Hauptabteilung Unterhaltung, die er bis zu sei- bis 1949 – Französische Kultur nem Eintritt in den Ruhestand im April 1974 leite- und Lebensart, »Funkbrettl« sowie te. Noch einmal kehrte er danach zum Südwestfunk Förderung alterund junger Künstler zurück: In den Jahren 1974 und 1975 war er als Ver- treter der jüdischen Kultusgemeinde beigeordnetes Was die Vorgaben und Vorstellungen von franzö- Mitglied des SWF-Rundfunkrats. sischer Seite betraf, bestanden diese für Guy Wal- ter zum einen in der Vermittlung französischer Kul- In den 1970er und 1980er Jahren produzierte Guy tur, wie er sie in den Jahren seiner Emigration erlebt Walter einige Hörfunk-Beiträge für den SWF und für und erfahren hatte. Auf den Unterhaltungsbereich den Bayerischen Rundfunk, darunter 1977 die Sen- bezogen, bedeutete das Präsentationen des fran- dung »Champs-Elysees/Ecke Kurfürstendamm« zösischen Chansons, seiner Geschichte und seiner über deutsche Emigranten in Paris, in der er auch berühmtesten Interpreten, von französischer Unter- Autobiographisches verarbeitete. 1973 erhielt er für haltungsmusik, vor allem von Operetten, sowie von seine Verdienste um die Förderung des Kabaretts französischer Lebensart, die er in Hörfolgen oder den Sonderpreis des vom Mainzer »Unterhaus« ge- kleinen Szenen über Paris zu vermitteln suchte.19 stifteten Deutschen Kleinkunstpreises. Von 1975 bis Während diese Veranstaltungs- und Programmak- 1987 war er Vorsitzender des Förderkreises Deut- tivitäten der Zielsetzung, »bunte, gefällige Unterhal- sches Kabarettarchiv. Am 13. August 1992 starb tung« zu bieten, zuzuordnen sind, versuchte Walter Guy Walter 83-jährig in München, wo er nach seiner sein zweites Ziel, »ein bisschen politischen Einfluss Pensionierung gelebt hatte. zu nehmen« und damit direkter zur »rééducation« beizutragen, in den ersten Jahren durch verschie- dene »zeitsatirische« Funkkabarettreihen umzuset- Guy Walter als Programm-Macher zen.20 beim Südwestfunk – Vorgaben und Vorlieben Ein erster Versuch der Bilanzierung der Vergan- Da Guy Walter sich als »in französischen Diensten« genheit und der Wegweisung für die Zukunft ge- stehend betrachtete17 und vor allem mit der Familie schah in einer Art »Kabarett«-Oratorium mit dem Ti- Ponelle persönlichen Umgang pflegte, kannte er die tel »Die guten Willens sind. Moderne Gesänge zum französischen Vorstellungen über die Aufgaben und Lobe Gottes«.21 »Aus Hasstraum und Blutrausch er- Ziele des Rundfunks sehr genau und bemühte sich, sie in seinem Aufgabengebiet, der Unterhaltung, um- zusetzen. Auf der anderen Seite war Walter von Be- 16 Vgl. Ralf Fritze: Der Südwestfunk in der Ära Adenauer (Anm. 4), ginn an einem Stamm von deutschen Programm- S. 257f. Machern zugeordnet, die durchaus eigene, mit den 17 Walter betont dies sowohl im Interview mit Rudolf Beck Auffassungen der Franzosen nicht notwendig kolli- als auch im Interview mit der Verfasserin (Anm. 6). dierende, aber in einigen Punkten doch abweichen- 18 Vgl. Sabine Friedrich: Rundfunk und Besatzungsmacht (Anm. 3), de Vorstellungen von den Aufgaben des Rundfunks S. 92f. 19 Dazu gehörten zum Beispiel »Französisches Kabarett« hatten. Sabine Friedrich weist darauf hin, dass der (11.9.1946), die Sendereihen »Charme von Paris« (1947/48), für das Programm gesamtverantwortliche spätere »Anno 1900« (1947), Sendungen über bzw. mit Jacques Prevert, Generalintendant Friedrich Bischoff die Deutschen Edith Piaf, Maurice Chevalier (1950/51), »Von Orpheus in der im Gegensatz zu seinen französischen Vorgesetzten Unterwelt ...« Streifzug durch Offenbachs Operetten (1951), die 4-teilige Reihe »Pariser Leben« (1950) und das Funkspiel nicht als Träger, sondern als Opfer der nationalsozia- »Montmartre und die Liebe« (1951). listischen Gewaltherrschaft gesehen und aus dieser 20 Guy Walter im Interview mit der Verfasserin, 30.11.1988. Sicht heraus die »seelentherapeutische Aufgabe« 21 Eine erste, kürzere Version dieses Oratoriums mit dem Titel des Rundfunks vor der »umerzieherischen« betont »Die, die guten Willens sind. Eine Hörfolge« wurde am 2. November 18 1946 ausgestrahlt. Von dieser Version mit Texten von Erich Kästner, habe. Diesem anderen Ansatz hatte auch Guy Wal- Kurt Tucholsky und Oscar Wilde und Vertonungen von Karl Sczuka, ter spätestens nach der Übergabe des SWF in deut- Kurt Leval, Louiguy und Jerome Kern sowie einigen Negro spirituals sche Hände 1949 Rechnung zu tragen. Schließlich liegt nur das Manuskript vor. Die zweite geänderte und verlängerte brachte Walter selbst durch seine künstlerische Vor- Version, auf die hier Bezug genommen wird, ist in Teilen als bildung, seine Erfahrungen und persönlichen Be- Bandaufnahme erhalten. Sie wurde am Gründonnerstag, dem 3. April 1947 als Mitschnitt einer öffentlichen Veranstaltung ausgestrahlt gegnungen im kulturellen und künstlerischen Leben und am 8. Mai 1947 und 23. November 1947 aus jeweils gegebenem der Weimarer Republik in Berlin und in seiner Exilzeit Anlass (Jahrestag der Kapitulation bzw. Totensonntag) wiederholt. Knoop: Viel Kultur und »ein bisschen« Politik 23 wachend«, so der Titel der ersten Rezitation, von auch der SWF seine Aufgabe nun nicht mehr so sehr Scham und Schmach erfüllt und dennoch auf das in der Auseinandersetzung mit der Vergangenheit Wunder der Liebe hoffend, gedenken die Vortra- sah, sondern sich als geistiger »Aufbauhelfer« des genden durch Rezitationen ausgesuchter, zum The- neu entstehenden Staates begriff, eine Tendenz, die ma passender literarischer Texte von Erich Kästner auch mit dem Übergang des Rundfunks zu dieser über Kurt Tucholsky bis Oscar Wilde der Opfer von Zeit von französische in deutsche Hände zusam- Krieg und Unterdrückung. Die Hoffnung auf Liebe menhängen könnte. Andererseits nahmen zeitgleich und Frieden wird andererseits beschworen durch mit dem Ende der Funkkabarettreihen im Programm Anrufungen Gottes und Zitate von »Wohltätern der des SWF Programm-Mitschnitte oder Auftritte von Menschheit« wie Henri Dunant, Louis Pasteur, Al- Kabarettensembles zu. Sie übernahmen damit so- bert Schweitzer, Baden Powell und Franklin D. Roo- zusagen das zeitkritische Element im Kabarettpro- sevelt. Das Oratorium schließt mit einem in deut- gramm des Guy Walter. Da der SWF und auch Walter scher und französischer Sprache vorgebrachten eine ihrer Aufgaben in der Förderung von Kunst und leidenschaftlichen Appell gegen den Krieg: »Keine Kultur sahen, kann man dieses gehäufte Auftreten Wehrpflicht! Keine Soldaten! Seid nicht mehr dabei! auch als Hilfe im Überlebenskampf der Ensembles Nie wieder Krieg!« – einer Übernahme aus Kurt Tu- nach der Währungsreform interpretieren. Letztend- cholskys Schrift »Drei Minuten Gehör woll‘n wir von lich spielen wohl beide Aspekte eine Rolle. Euch« – sowie mit einem letzten Wort an die Jugend: »Segle im Wind derer, die guten Willens sind«. Wäh- Mit den Stichworten »Förderung« und »Hilfe« ist rend der Leiter der Section Radio, Pierre Ponelle, schließlich das dritte Anliegen Walters angespro- in seinem Vierteljahresbericht vom 2. Mai 1947 das chen, das sich vor allem durch seine Biographie er- Oratorium lobte und seine pazifistische und antimi- klärt und das – etwa mit dem Jahr 1948 einsetzend litaristische Tendenz ausdrücklich hervorhob,22 wa- – im Lauf der folgenden Jahre zu einem der Haupt- ren die Reaktionen des deutschen Publikums bei pfeiler seiner Programmgestaltung wurde: Es ging der öffentlichen Aufführung zwiespältiger. Von lau- ihm um eine Wiederbelebung der literarischen, un- tem Türenschlagen derjenigen, die aus Protest den terhaltsamen, manchmal auch frivolen Kabarettkul- Saal verließen, ist die Rede.23 Dass es unruhig war, tur, wie er sie im Berlin der 1920er Jahre erlebt hat- vermittelt auch der in Teilen erhalten gebliebene Mit- te. Dazu holte er nach und nach die »Altmeister« der schnitt der Veranstaltung. Das war einigen der Zu- Kabarettrevue wie Paul Schneider-Duncker und Ru- schauer und -hörer denn offensichtlich doch zuviel dolf Nelson sowie einige der berühmtesten Diseusen der verordneten Scham. der damaligen Zeit wie Claire Waldoff, Olga Rinneb-

In den Jahren 1947 und 1948 produzierte Walter dann seine zeitkritischen Kabarett-Reihen. Nach- weisbar, wenn auch nicht als Mitschnitt erhalten, 22 Vgl. Sabine Friedrich: Rundfunk und Besatzungsmacht (Anm. 3), sind zwei Folgen »Funkbrettl 1947«,24 ein »satirisch- S. 151. aktuelles Cabaret mit ernsten und heiteren Beiträ- 23 Vgl. die Darstellung bei Heinz Schröter: Unterhaltung für 25 Millionen (Anm. 7), S. 315. gen«, neun Folgen »Neues vom Tage«, ein »zeitsa- 24 Die beiden einstündigen Folgen liefen am Dienstag, dem 20. Mai tirisches Kabarett« und schließlich drei Folgen »In und am Dienstag, dem 8. Juli 1947, jeweils von 20.30 bis 21.30 Uhr, des Teufels Küche«,26 »das aktuelle satirische Kaba- also zur besten Sendezeit. Von der ersten Folge ist das Manuskript rett«, wie es jeweils in den Programmankündigun- erhalten. gen heißt. In diesen »Funkbrettln« haben Vergangen- 25 Die Reihe mit halbstündigen Folgen wurde zwischen 6. November 1947 und 15. Juli 1948 einmal im Monat an unterschiedlichen heits- und Gegenwartsbewältigung noch Vorrang Wochentagen zu verschiedenen Sendezeiten (fünfmal zur vor der Zukunftsgestaltung. Hierin stimmten sie mit Hauptsendezeit, d.h. zwischen 20.15 und 22.00 Uhr, viermal zur dem Kabarett der ersten Nachkriegszeit überein, in späteren Stunde ab 22.15 Uhr) ausgestrahlt. Erhalten sind hier vier dem ebenfalls die Abrechnung mit der nationalsozia- Manuskripte (Folgen 3, 5, 7 und 8). 26 Diese Reihe lief zwischen Oktober und Dezember 1948 zweimal listischen Vergangenheit und die Schilderung zeitty- donnerstags von 21.30 bis 22.00 Uhr und zum letzten Mal am 27 pischer Probleme und Zustände dominierten. Mittwoch, dem 29. Dezember 1948, um 20 Uhr. Hier fanden sich Manuskripte der letzten beiden Sendungen. Die zeitkritischen selbst produzierten Funkkabarett- 27 Vgl. Jürgen Pelzer: Kritik durch Spott. Satirische Praxis und Wirkungsprobleme im westdeutschen Kabarett (1845 bis 1974). reihen verschwanden zu Beginn des Jahres 1949 Frankfurt am Main 1985, S. 44; sowie Rainer Otto und Walter Rösler: aus dem Programm. Welche Gründe dieses Ver- Kabarettgeschichte. Abriss des deutschsprachigen Kabaretts. Berlin schwinden hatte, ist aus den Akten oder anderen 1977, S. 171. Quellen nicht mehr zu rekonstruieren. Die zeitliche 28 Vgl. Rainer Otto und Walter Rösler: Kabarettgeschichte (Anm. 27), Übereinstimmung mit dem Phänomen des »Ka- S. 172f. – Sie erklären das Kabarettsterben unter anderem damit, dass das Publikum an Vergangenheitsbewältigung nun nicht mehr 28 barettsterbens« im Gefolge der Währungsreform interessiert, sondern ganz mit Wiederaufbau und Verdrängung lässt aber zwei Vermutungen zu: Einerseits die, dass beschäftigt gewesen sei. 24 Rundfunk und Geschichte 3–4 (2007) ach und Olly Gubo vor die Mikrofone des SWF.29 Als schweizerische und israelische Kunst und Künstler. Conferenciers dieser Chansonsendungen fungierten »Besondere Aufmerksamkeit wird der Pflege des unter anderem Willi Schaeffers und Karl Wilczynski. Chansons geschenkt mit Sendungen, die aus den Zum einen entsprach es seinen eigenen künstleri- besonders reichhaltigen Beständen dieser Sparte schen Vorlieben, diesen Stil zu pflegen, »den ich so zusammengestellt werden.«34 Chansonsendungen gerne in Berlin seinerzeit erlebt habe, mit den geist- waren letztlich auch die Präsentationen der deut- reichen Cabarets und Vortragskünstlern usw.«30 An- schen Kabarettkultur der 1920er Jahre, die für Wal- dererseits konnte er sich auf diese Weise bei sei- ter vor allem eine Kabarettchansonkultur war. Zu den nen ehemaligen Entdeckern und Förderern für ihre oben genannten Künstlern, die von Walter »wieder- Hilfe revanchieren.31 Guy Walter half aber nicht nur entdeckt« wurden, kamen im Laufe der 1950er Jahre den Freunden aus alter Zeit. Ebenfalls gegen Ende unter anderem Blandine Ebinger, Trude Hesterberg, der 1940er Jahre begann seine Förderung junger Max Hansen, Eva Busch und Pamela Wedekind. Nachwuchskünstler, vor allem solcher, die sich dem Wie bedeutend dieser Aspekt im Programmschaf- Solokabarett und dem Chanson verschrieben hat- fen Walters war, zeigt die 1957 gestartete, insgesamt ten, allen voran Hanns Dieter Hüsch. Er war erstmals elfteilige Sendereihe »Deutsche Diseusen«. Eine ein- am 2. Dezember 1949 in der Sendereihe »Das gute stündige Aufzeichnung der ersten Veranstaltung, im Chanson« zu hören und wurde von da an bis Mitte Dezember 1956 mit Blandine Ebinger im Unterhal- der 1950er Jahre mit eigenen Sendungen, Beiträgen tungsstudio vor Publikum aufgenommen, wurde am zu Chansonsendungen, später auch Moderationen 28. März 1957 um 21 Uhr im ersten Programm aus- zum »Dauergast« des SWF-Kabaretts.32 gestrahlt. Es folgten Veranstaltungen mit Eva Busch und Pamela Wedekind. Ab der vierten Folge, in de- ren Mittelpunkt Trude Hesterberg stand, fanden die Guy Walters »Kabarettprogramm« öffentlichen Veranstaltungen aufgrund des hervorra- in den 1950er Jahren genden Presseechos und des großen Zuschauerin- teresses im Runden Saal des Kurhauses in Baden- In den 1950er Jahren hatten sich in der Abteilung Baden statt. Diese Sendereihe bildete den Großteil Unterhaltung des SWF unter dem Abteilungsleiter der von Walter produzierten öffentlichen Kabarett- Oskar Haaf33 neben dem großen Bereich der Unter- veranstaltungen in den 1950er Jahren und stieß auf haltungsmusik sechs Programmsparten mit ihren je- ein weit über die Grenzen des Sendegebiets reichen- weiligen »Hauptsachbearbeitern« herausgebildet – des positives öffentliches Echo. die Filmschau unter der Leitung von Hanswolfgang Bergs; die Hörerwünsche unter ihrem Leiter Horst Auch bei der Förderung junger Nachwuchskabaret- Uhse; der Jazz mit Joachim-Ernst Berendt; öffentli- tisten wurde den Einzelkünstlern mit Chansonreper- che Veranstaltungen mit Klaus Überall als Leiter; das toire der Vorzug gegeben. Zu Hanns Dieter Hüsch unterhaltende Wort mit Günter Bungert und eben gesellten sich im Laufe der 1950er Jahre unter an- das Kabarett unter seinem Leiter Guy Walter. Für derem Walter Andreas Schwarz, Melitta Berg, Kris- sein Programm blieben die drei beschriebenen in- haltlichen Schwerpunkte der ersten Jahre – die Ver- mittlung französischer Unterhaltungskultur, die Wie- derbelebung des literarischen und unterhaltenden 29 Vgl. unter anderem in der Sendereihe »Guy Walter stellt vor«, die Kabaretts der 1920er Jahre und die Zeitkritik – auch ab Samstag, dem 20. November 1948, in der Zeit zwischen 20 und in den 1950er Jahren bestimmend, genauso wie die 22 Uhr im Programm war. Sie lautete dann später auch »Horst Uhse stellt vor« oder »Willi Schaeffers stellt vor«. Selbstverpflichtung zu Traditionspflege und Nach- 30 Guy Walter im Interview mit der Verfasserin, 30.11.1988. wuchsförderung. 31 An den mäzenatischen Aspekt von Walters Tätigkeit vor allem in der Zeit nach der Währungsreform erinnert der Artikel »Geburtstags- Auch nach der Übergabe des SWF in deutsche Hän- Kabarett ... für Guy Walter«. In: Wiesbadener Kurier, 18.3.1969. Dort heißt es unter anderem: »Bei ihm trafen sich damals alle: die de war der Blick über die Grenzen, insbesondere Diseusen, Chansonetten, Kabarettisten, die die ‚braunen Jahre‘ noch nach Frankreich, charakteristisch für das SWF-Ge- einmal überstanden hatten [...]. Als die Währungsreform kam, war es samtprogramm. So präsentierte Guy Walter weiter- wieder Guy Walter, der vom Funk her seinen Kleinkunst-Freunden die hin französische Unterhaltungskultur in Porträts von Übergangszeit erleichterte.« Kabarettarchiv Mainz. LK/V/6,3. 32 In einem Brief vom 18. April 1952 an den Autor Heinz von Cramer Bühnenkünstlern wie Pierre Dudan, Yvette Guilbert spricht Walter von »unser[em] Protektionskind Hanns Dieter Hüsch«. und Edith Piaf (1954/1955) bzw. in größeren kultur- 33 Oskar Haaf war während der Zeit des Nationalsozialismus unter geschichtlichen Hörfolgen, wie etwa über die Ge- anderem Sendeleiter beim Deutschlandsender in Berlin gewesen. schichte des Moulin Rouge (1953) oder über Jacques Zu seiner Biografie vgl. Oskar Haaf: Beim Gongschlag... 2 Bde. Offenbach (1952) sowie schließlich in einer Vielzahl München 1983. 34 Guy Walter in einem Brief vom 19. Februar 1957 an die von Chansonsendungen. Die Porträts wurden erwei- Schriftstellerin Gertrud Isolani, die ihn gebeten hatte, Angaben zu tert auf internationale, also italienische, englische, seinen Aufgaben und seiner Tätigkeit zu machen. Knoop: Viel Kultur und »ein bisschen« Politik 25 tin Horn und Dieter Süverkrüp. Sie wurden charakte- rett [...] lässt [man] die bekannten Kabaretts auftre- risiert als »Einzelgänger, die sich den heute üblichen ten, ohne dass man sich dabei mit deren politischem Kabarettensembles nicht anschließen und ihren gro- Programm identifiziert.«39 Wie bereits angedeutet, ßen Vorbildern Ringelnatz, Trude Hesterberg, Ernst vertraten die Ensemblesendungen damit das zeitkri- Busch nacheifern wollen.«35 Ein weiterer Programm- tisch-politische Element im Kabarettprogramm des punkt waren eigene Studioproduktionen nach in SWF, dem man, wie die Formulierungen in den Selbst- Auftrag gegebenen Manuskripten, die »die Nöte der darstellungen offenbaren, zwar einen Platz im Pro- Zeitgenossen« glossieren.36 Sie waren die Nachfol- gramm einräumte, zu dem man aber von vorneherein ger der selbst produzierten zeitkritischen Funkkaba- auf vorsichtig-kritische Distanz ging. Ensemble-Ka- retts der 1940er Jahre, befassten sich aber vorwie- barett war nur einer von vielen Programmpunkten in gend mit allgemeinen Zeiterscheinungen wie Unrast Guy Walters Kabarettprogramm und stellte keines- und Hektik, dem Filmkitsch der 1950er Jahre, dem wegs den Schwerpunkt der Programmgestaltung Zusammenleben von Mann und Frau usw. Mal waren dar. In den Jahren 1952 bis 1962 gab es – addiert diese Themen in Spielhandlungen eingebunden, mal man die Angaben aus den Programmfahnen – insge- bestanden sie aus Aneinanderreihungen von Sze- samt nur zirka 60 Sendungen mit 20 verschiedenen nen und Chansons. Die Grenze zu den Produktio- Kabarettensembles im Programm. Dennoch wid- nen von Guy Walters Kollegen vom unterhaltenden met die Untersuchung diesem Bereich besondere Wort, Günter Bungert oder später auch Horst Uhse, Aufmerksamkeit, da in der Kabarett-Landschaft der war fließend. Sie entsprachen Walters in mehreren Bundesrepublik das Ensemble-Kabarett die bis weit Artikeln geäußerter Auffassung vom Wesen und der in die 1970er Jahre dominierende Erscheinungsform Aufgabe des Kabaretts: »Sag das Ernste mit Hu- war.40 Von Anfang an versuchten die Vertreter dieser mor, und wenn du dem Nachbar seine Schwächen neuen Form, auch im Massenmedium Hörfunk Fuß im Zerrspiegel vorhältst, schau ihm über die Schulter zu fassen. Guy Walter wiederum ließ sich auf die- und du wirst dich selbst wiederfinden.«37 se beherrschende Form nur sehr zögerlich ein – die Gründe dafür sind im Folgenden zu klären.

Kabarettensembles im Programm – die einseitige Kontaktaufnahme

In den meisten Fällen waren es die Ensembles, die mit Auftritts- oder Mitschnittwünschen an den SWF, an die Unterhaltungsabteilung oder direkt an Guy Walter herantraten.41 Die Kontaktaufnahme begann dabei üblicherweise mit einem Brief der Ensemble- leiter bzw. -leiterinnen, in dem das Ensemble kurz vorgestellt und auf Auftrittstermine im Sendegebiet des SWF, meist im Rahmen einer Tournee, aufmerk- sam gemacht wurde. Ein Beispiel bilden »Die Am-

35 Ebd. 36 Ebd. 37 Guy Walter: Dem Kabarett verschrieben. In: Hören und Sehen, 28.2.1954.

Abb. 2: Aus einem Kabarettabend des SWF 1957. 38 Guy Walter an Gertrud Isolani (Anm. 34). Von links Guy Walter, Trude Hesterberg, Andre Alexander, 39 3000 Musiktitel in der Rundfunkwoche. Die Hanns-Dieter Hüsch, Nicole Louvier (sitzend). Unterhaltungsabteilung des SWF berichtet über ihre Absichten und © SWR/W.-P. Hassenstein Ziele. In: Offenburger Tageblatt, 17.7.1957. 40 Vgl. Georg Zivier, Helmut Kotschenreuther, Volker Ludwig: Schließlich betrachtete Guy Walter als zu seinem Kabarett mit K. Siebzig Jahre große Kleinkunst. 3., erw. Aufl. Berlin Aufgabengebiet gehörend auch die Vorstellung der 1989, S. 147. »zur Zeit bestehenden reisenden Kleinkunst-Trup- 41 In den erhaltenen Briefwechseln war dies bei zehn von fünfzehn Kabarettensembles der Fall. Bei zwei weiteren Ensembles – »Die pen [...] in ihren Darbietungen«,38 die Präsentation Stachelschweine« und »Münchner Lach- und Schießgesellschaft« – von Ensemble-Kabarett also. Hier erfüllte der Rund- ist davon auszugehen, dass die Kontaktaufnahme ebenso verlief, funk sozusagen eine Chronistenpflicht: »Im Kaba- jedoch fehlen hier etliche Teile des Briefwechsels. 26 Rundfunk und Geschichte 3–4 (2007) nestierten«.42 Ihr Manager Alfred Oswald43 schrieb geführten Programms, die Studioaufnahme ohne am 9. März 1953 an den »Süddeutschen (!) Rund- Publikum und die Mitwirkung von Ensembles in öf- funk, Abt. Unterhaltung, Baden-Baden«: »Die Am- fentlichen Veranstaltungen des SWF, deren meist nestierten werden in der 2. Hälfte Mai in dem dor- gekürzte Aufzeichnungen dann im Programm aus- tigen Raum sein und könnten für Aufnahmen zur gestrahlt wurden. Live-Auftritte von Kabaretten- Verfügung stehen.«44 Walter nutzte einen der Auf- sembles gab es in den 1950er Jahren im Hörfunk- trittstermine zur Begutachtung des Ensembles und programm des SWF nicht. Auch das kann als Beleg vereinbarte dabei eine Studioaufnahme. Mit dieser für den eher vorsichtigen Umgang mit Ensembleka- Aufnahme waren »Die Amnestierten«, am Mittwoch, barett gewertet werden. dem 9. September 1953, um 22.30 Uhr über Mittel- welle (I. Programm) erstmals im Programm des SWF 1. Programm-Mitschnitte vertreten. Dem ersten »Auftritt« folgten bis 1961 sie- ben weitere Sendungen, womit »Die Amnestierten« Da Ensemblekabaretts im SWF zumeist »durchrei- zu den meist vertretenen Ensembles im Kabarett- sende Ensembles« waren, war das Verfahren des programm des SWF zählen. Dabei ging jedes neue »für beide Teile unverbindlichen Mitschnitts« der Pro- Angebot zur Zusammenarbeit wie beim ersten Mal gramme bei einem nicht vom Sender organisierten vom Ensemble bzw. bis Ende 1956 von seiner jewei- Gastspiel im »Ländle« das am häufigsten praktizier- ligen Künstlervertretung aus. Wann immer »Die Am- te in den 1950er Jahren. Dabei wurde das gesam- nestierten« im Lande waren, luden sie den SWF bzw. te Programm eines Abends mit dem Einverständnis Guy Walter zum Mitschneiden ihres Programms ein des Ensembles und des Veranstalters mitgeschnit- und boten sich für Studioaufnahmen an. Längst nicht ten. Dieses Material hörte Guy Walter danach ab und jeder angebotene Termin und jedes neue Programm stellte daraus, falls er es für »funkwirksam und für un- wurde von Seiten des SWF wahrgenommen. sere Hörer geeignet« hielt, eine meist halbstündige Sendung zusammen. Das Verfahren des unverbind- Was am Beispiel der »Amnestierten« zu Kontaktauf- lichen Mitschnitts barg vor allem für den SWF etliche nahme und Auswahl gesagt wurde, gilt in ähnlicher Vorteile. Zunächst einmal war es wesentlich kosten- Weise für fast alle Kabarettensembles, die im Laufe günstiger als eine Studioaufnahme oder gar die Or- der 1950er Jahre im Programm des SWF auftauch- ganisation einer eigenen öffentlichen Veranstaltung. ten. So gut wie nie brauchten der SWF bzw. Guy Walter selbst initiativ zu werden, sondern konnten aus der Fülle des Angebotenen auswählen. Diese Auswahl der Ensembles für das Kabarettprogramm 42 Die 1947 in Kiel als politisch-literarisches Studentenkabarett des SWF in diesen Jahren wurde zu einem Gutteil von den Philosophiestudenten Joachim Hackethal, Ernst König und Walter Niebuhr und dem Kunststudenten Jan Siefke Kunstreich von den Tourneeprogrammen der damals existie- gegründeten »Amnestierten« entwickelten sich in den 1950er Jahren renden Kabarettensembles bestimmt. Das bestätigt unter der Leitung von Hackethal zum erfolgreichsten deutschen auch der SWF-Geschäftsbericht 1957/58, in dem professionellen Tourneekabarett. Vgl. u. a. Klaus Budzinski: Das es im Tätigkeitsbericht der Abteilung Unterhaltung Kabarett. Zeitkritik – gesprochen, gesungen, gespielt – von der Jahrhundertwende bis heute. Düsseldorf 1985, S. 16f. sowie die zum Thema »Kabarett« heißt: »Und fünf durchrei- Examensarbeit von Monika Kleinholz: Das literarisch-politische sende Kabarett-Ensembles ließen ihre buntesten Fe- Kabarett »Die Amnestierten«. Sendenhorst 1977. dern auf Tonband zurück.« Wer zu bestimmten Zei- 43 Oswald war in den 1950er und 1960er Jahren einer der rührigsten ten – in den Sommermonaten beispielsweise gab es Agenten der bundesdeutschen Theater-, Variete- und Kabarettszene. nur eine sehr eingeschränkte Produktionstätigkeit – Nach den »Amnestierten«, die Anfang 1956 zunächst zu einer anderen Agentur wechselten und sich dann selbständig machten, hatte er im Sendegebiet gastierte, hatte gute Chancen, ins ab 1956 den Hamburger Kabarett- und Theaterleiter Peter Ahrweiler Programm zu kommen, wobei aber zwischen Auf- mit seinem Kabarett »rendezvous« und seinem Boulevardtheater nahme und Sendung oft eine große Zeitspanne lag. »Kleine Komödie« sowie das Mainzer Kabarett »Arche Nova« unter Aufgrund der regen Tourneetätigkeit der Ensembles Vertrag. 1958 übernahm er die Vertretung des von dem ehemaligen »rendezvous«-Mitglied Reinhold Brandes gegründeten Hamburger kann man trotz der eher als passiv zu charakterisie- Gastspiel-Cabarets »Die Schiedsrichter«. Allen genannten Kabaretts renden Haltung der Programmverantwortlichen von verschaffte er Auftritte beim SWF. Außerdem zählte Hanns Dieter einer für das Kabarett der damaligen Zeit durchaus Hüsch bis zu Oswalds Tod 1965 zu seinen Klienten. Hüsch beschreibt repräsentativen Zahl und Auswahl sprechen.45 Oswald in seinen Memoiren. Vgl. Hanns Dieter Hüsch: Du kommst auch drin vor. Gedankengänge eines fahrenden Poeten. München 1990, S. 254–258. 44 SWR. HA. SWF-PO7123. Zur Präsentation von Kabarettensembles 45 Vgl. dazu Heinz Greuls Überblick über die Kabarettlandschaft der späten 1950er und frühen 1960er Jahre »Quer durch die Landschaft« Man kann drei verschiedene »Auftrittsformen« für in Heinz Greul: Bretter, die die Zeit bedeuten. Die Kulturgeschichte des Kabaretts. 2 Bde. München 1971, S. 390–400; sowie die Kabarettensembles im Programm des SWF unter- einzelnen Namen in Klaus Budzinski: Die Muse mit der Scharfen scheiden: den Mitschnitt eines vor Publikum auf- Zunge. Vom Cabaret zum Kabarett. München 1961. Knoop: Viel Kultur und »ein bisschen« Politik 27

Man brauchte dem Ensemble keine Reisekosten zu sammenzustellen. Wir wollen jedoch in den nächs- erstatten und sparte den technischen und personel- ten Wochen versuchen, die Szenen auszuwählen, len Aufwand, den eine eigen produzierte Aufnahme die wir für funkisch vertretbar halten.«47 Neben dem erforderte. Stattdessen zahlte man dem Ensemble formal-qualitativen Aspekt, der hier mit der »Unbe- für den Fall, dass man aus dem so gewonnenen Ma- kümmertheit der Darsteller in Bezug auf Mikrotech- terial eine Sendung zusammenstellte, einen Pau- nik« umschrieben wird, klingt ein inhaltlicher Aspekt schalbetrag, der von der Länge der Sendung ab- an. »Direkte politische Anspielungen«, worunter man hing. Verzichtete man aus bestimmten Gründen auf vermutlich vor allem satirische Bezugnahmen auf ta- eine Ausstrahlung, wurde das Material gelöscht, und gespolitische Ereignisse und/oder politische Per- es fielen keine Honorarkosten an. sönlichkeiten zu verstehen hat, waren im Kabarett- programm des SWF offensichtlich nicht erwünscht. Ein weiterer Vorteil für den SWF bestand darin, dass die Auswahl der Szenen, Chansons, Conferencen, Wenn man sich die schließlich doch noch aus dem Sketche usw., aus denen die Sendung zusammen- Mitschnitt zusammengestellte halbstündige Sen- gestellt wurde, bei diesem Verfahren allein beim ver- dung mit dem »rendezvous« ansieht bzw. anhört,48 antwortlichen Redakteur, also bei Guy Walter lag. die am 12. April 1957 um 22 Uhr im Zweiten Pro- Die Ensembles wurden bei dieser Auswahl in der gramm ausgestrahlt wurde (Wiederholung im Ers- Regel nicht zu Rate gezogen, sondern erst kurz vor ten Programm am 15. Mai 1957 um 22.30 Uhr), zeigt dem Sendetermin über Länge und Inhalt der Sen- sich, dass sich die ausgewählten Szenen und Chan- dung und die Höhe des Honorars informiert und um sons tatsächlich in allgemeinerer, allegorischer oder eine Einverständniserklärung gebeten. Diese bezog literarisch eingekleideter Form mit deutscher Beam- sich dabei im Grunde nur auf das Honorar. Das Pro- tenmentalität, Methoden des Machterwerbs und der gramm eines Ensembles wurde damit zum »Roh- Machterhaltung in der Demokratie und dem allge- material«, aus dem Walter sich nach eigenen Vor- meinen, durch Krieg und Grausamkeit charakteri- stellungen das Passende aussuchte. Grundsätzlich sierten Zustand der Welt beschäftigen. Eine Ausnah- bedeutete dieses Auswahlprinzip also eine Verän- me stellt die den Abschluss bildende »Rhapsodie in derung des Gesamtprogramms, auf die die Auto- Braun« dar, in der das Ensemble vor dem »Wieder- ren und Interpreten keinen Einfluss hatten. Es ist er- hoffähigwerden« reaktionärer oder gar nationalsozi- staunlich, dass es bis auf eine Ausnahme, von der alistischer Ideologien vor allem durch die Memoiren- noch zu reden sein wird, niemals Kritik an dieser Vor- erfolge ehemaliger Nazis oder Nazisympathisanten gehensweise gegeben hat. wie Franz von Papen, Albert Kesselring, Ernst Jün- ger und Ernst von Salomon warnt. Was aber war in den Augen Guy Walters »das Pas- sende« für das Programm und die Hörer des SWF? Dass diese Nummer trotz direkter Namensnennun- Zunächst einmal mussten die Programmteile »funk- gen von Personen des öffentlichen Lebens im Pro- wirksam«, das heißt auch ohne Bild verständlich sein gramm erschien, entsprach Walters Auffassung von und ihre Pointe bewahren. Szenen oder Sketche, in den Aufgaben des Kabaretts. Denn er teilte mit ei- denen sehr stark mit visuellen Mitteln gearbeitet wur- nem Großteil der Kabaretts der damaligen Zeit das de, also mit Kostümen, Minenspiel, Gestik und Be- Hauptanliegen, vor dem Wiedererstarken reaktionä- wegungen, waren für eine Hörfunksendung nicht ge- rer, faschistischer und militaristischer Denkweisen eignet. Zu entscheiden, welche Programmelemente zu warnen, was sich in einer Vielzahl von Nummern über den Sender »kamen« und welche nicht, war niederschlug, die er aus den Programmen auswähl- aber erst nach Abhören des Programms möglich. In- te. Dennoch macht der zitierte Brief deutlich, dass sofern hatte das Verfahren des Mitschnitts und der neben formalen und qualitativen auch inhaltliche Er- Programmauswahl durchaus seine formale Berech- wägungen bei der Zusammenstellung der Sendun- tigung. Die Auswahl der Programmelemente wurde gen eine Rolle spielten. Direkte, auf die Tagespoli- jedoch nicht nur durch solche formalen oder auch tik und ihre Protagonisten bezogene Anspielungen durch qualitative Überlegungen bestimmt. In einem Brief an Alfred Oswald vom 12. September 1956, in dem es um die Verwendung des Mitschnitts eines 46 Das literarisch-politische Kabarett »rendezvous« wurde 1948 von Gastspiels des von Oswald betreuten Hamburger Peter Ahrweiler in Hamburg gegründet. Ahrweiler betrieb außerdem 46 Kabaretts »rendezvous« im Theater der Stadt Ba- seit 1953 zusätzlich das Boulevardtheater »Kleine Komödie«, das wie den-Baden ging, schrieb Walter: »Die zahlreichen di- das »rendezvous« von Alfred Oswald vertreten wurde. – Vgl. Klaus rekten politischen Anspielungen sowie eine gewisse Budzinski: Die Muse mit der Scharfen Zunge (Anm. 45), S. 209. temperamentvolle Unbekümmertheit der Darsteller 47 SWR. HA. SWF-PO7120. 48 Vgl. SWR. HA. SWF-545 0777. Das Aufnahmedatum ist hier mit in Bezug auf Mikrotechnik werden es uns nicht leicht Juli 1957 angegeben. Es handelt sich jedoch zweifelsfrei um die im machen, ein Programm aus diesen Darbietungen zu- Briefwechsel mit dem Ensemble erwähnte Sendung. 28 Rundfunk und Geschichte 3–4 (2007) gingen schon allein wegen des oft großen zeitlichen oder dessen künstlerischem Leiter die Auswahl vor- Abstands zwischen Aufnahme und Sendung nicht, nahm, was diesen zumindest potentiell ein gewisses schienen den Programmverantwortlichen aber auch Mitspracherecht eröffnete. sonst ungeeignet, über den Sender zu gehen. Es ist davon auszugehen, dass die redaktionelle Verant- Walter wandte diese Aufnahmeform denn auch bis wortung bei diesen Zusammenstellungen allein bei auf wenige Ausnahmen nur in zwei Fällen an; zum Guy Walter lag. In den Akten finden sich allerdings einen, wenn er mit dem Ensemble bzw. dessen Lei- vereinzelt Hinweise darauf, dass Guy Walters Vor- ter in besonderer Weise bekannt und vertraut war gesetzter Oskar Haaf über alle Entscheidungen in- – davon wird noch zu reden sein –; zum anderen, formiert wurde, denn er las die gesamte Korrespon- wenn es sich um Nachwuchsensembles handelte. denz seiner Mitarbeiter gegen und bekam auch alle Die »Brettlstudenten« und »Die Drehbühne«, zwei eingehende Korrespondenz der Abteilung vorge- Karlsruher Studentenkabaretts, bekamen ihre Auf- legt.49 Walter sagte dazu im Interview mit der Verfas- trittchance im Rahmen von Sendungen, die Wal- serin, in dem er im übrigen jegliche Einflussnahme ter mit einer Reihe von Nachwuchskabarettisten, in sowohl von Seiten der französischen Kontrolloffizie- der Hauptsache Solisten, im Studio produzierte.52 re in den ersten Jahren wie auch später seiner jewei- Bei diesen Aufnahmen arbeitete er mit den Solis- ligen deutschen Vorgesetzten bestritt, etwas nebu- ten und den Ensembles ihr Repertoire durch und lös: »Ich wusste genau, wie weit ich gehen konnte machte Verbesserungsvorschläge: »[...] ich [...] er- und wie weit ich gehen durfte mit den Sachen, aber munterte sie, eigene Ideen zu verwirklichen, konnte es hat nie Konflikte gegeben. Wir haben uns einan- aber rein handwerklich ihnen mitteilen, es wäre nicht der angepasst.«50 gut, wenn diese Idee schon hier kommt, sondern erst zwei Strophen später, und solche Sachen.«53 2. Studioaufnahmen mit den Ensembles

Neben dem unverbindlichen Programm-Mitschnitt gab es als zweite Aufnahmemöglichkeit für Program- me von Kabarettensembles die Studioaufnahme. 49 Dieses Verfahren war Ende 1952 von Programmdirektor Lothar Dabei wurden die Ensembles ins Studio nach Ba- Hartmann aus Unzufriedenheit mit der Abteilungsführung durch den-Baden oder nach Freiburg gebeten, um dort in Haafs Vorgänger Günter Bungert eingeführt worden, als er selbst kommissarisch die Leitung der Abteilung übernommen hatte, und Absprache mit Guy Walter einzelne Nummern, meist wurde von Haaf beibehalten. Vgl. SWR. HA. SWF-1000/52. aus ihren aktuellen Programmen, ohne Publikum zu 50 Guy Walter im Interview mit der Verfasserin, 30.11.1988. – Einen sprechen, zu singen und zu spielen. Dies war eine Konflikt hatte es damals gleichwohl gegeben, wenn auch nicht Aufnahmeform, die die Kabarettensembles favori- im Bereich des Ensemble-Kabaretts. Er betraf ausgerechnet Guy Walters »Protektionskind« Hanns Dieter Hüsch. Dieser hatte im sierten und in ihren Briefen zunächst vorschlugen; Auftrag von Walter als Kommentar zur Atomrüstungsdebatte ein sie wurde aber vom SWF in weit geringerem Um- Oratorium mit dem Titel »Carmina Urana. Drei Gesänge für Soli fang praktiziert als die Form des unverbindlichen und Chor« geschrieben, das im Dezember 1958 in Baden-Baden Mitschnitts.51 produziert wurde. Haaf hatte dieses Oratorium zwar abgesegnet, aber Sendeleiter Manfred Häberlen war es ebenso wie zwei andere Produktionen zum gleichen Thema negativ aufgefallen, so dass Die Gründe liegen auf der Hand. Eine Studioauf- dieser seine Bedenken gegenüber Haaf äußerte. Daraufhin wurden nahme war technisch, personell und zeitlich auf- die Manuskripte Programmdirektor Hartmann vorgelegt, der die wändiger als ein Programm-Mitschnitt, da sie eine Ausstrahlung des Hüsch-Werks wie auch das von einem der beiden Absprache über die aufzunehmenden Programm- anderen Autoren mit der Bemerkung ablehnte, dass es sich dabei um »aufgelockerte Leitartikel« handele, die »mit Kabarett überhaupt nummern, das Proben dieser Nummern und eine nichts zu tun« hätten (vgl. Lothar Hartmann an Oskar Haaf, 22.12.1958. technische Endbearbeitung nach der Aufnahme er- SWR. HA. P7668). Die »Carmina Urana« von Hüsch wurden 1963 als forderte. Beim Mitschnitt hingegen konnte man sich Schallplatte produziert und sind bis heute im Pläne Verlag erhältlich auf eine Mikrofonprobe kurz vor Beginn der Veran- (Pläne Nr. 89012). 51 Insgesamt vierzehn solcher Studioaufnahmen fanden im staltung und die inhaltliche und technische Endbe- Berichtszeitraum statt – neun mit dem »Kom(m)ödchen« und jeweils arbeitung beschränken. Außerdem war die Studio- eine mit den »Kleinen Vieren« (eine speziell für den SWF verfasste aufnahme von vorneherein nicht so »unverbindlich« Faschingssendung, die Ende 1952 aufgenommen und am 11. Februar wie der Mitschnitt, denn wenn man die Ensembles 1953 im Ersten Programm ausgestrahlt wurde), den »Amnestierten« (1953), den Karlsruher Nachwuchskabaretts »Die Brettlstudenten« zu einer Aufnahme bat, musste man sie auch bezah- und »Die Drehbühne« (1954 und 1956) sowie den »Stachelschweinen« len, ganz gleich, ob die Aufnahme ausgestrahlt wur- (1957). de oder nicht. Schließlich bedeutete die Notwendig- 52 »Die Brettlstudenten« wurden in der zweiten Folge der keit der vorherigen Auswahl des aufzunehmenden Sendereihe »Das junge Kabarett hat das Wort« am 2. Juni 1954 Programms, dass Walter nicht ganz so unabhängig um 22.30 Uhr mit einem Beitrag vorgestellt; die »Drehbühne« am 2. Juli 1956 um 22.30 Uhr im Rahmen der Sendung »Neue Talente im und eigenständig verfahren konnte wie bei den Mit- Kabarett des SWF«. schnitten, sondern zusammen mit dem Ensemble 53 Guy Walter im Interview mit der Verfasserin, 30.11.1988. Knoop: Viel Kultur und »ein bisschen« Politik 29

Speziell auf die Ensembles bezogen erinnert er sich: »Sie waren alle keine Professionals. Sie haben alle nicht singen gelernt, sie haben alle nicht atmen ge- lernt, sie haben alle nicht sprechen gelernt. Und bei den Aufnahmen musste man ihnen [...] diese Sachen beibringen.«54 Dieser Stoßseufzer Guy Walters of- fenbart, dass und warum er sich mit dieser Art von Kabarett schwer tat: Für ihn war Kabarett vor allem eine in guten, das heißt pointierten und kongenial in- terpretieren Chansons gipfelnde Kunstform, deren perfekte Ausübung eine gewisse Schulung und Aus- bildung voraussetzte, die er bei den meisten Kaba- rettensembles vermisste: »Sie hatten die Gesinnung, die sie brauchten, sie haben ein gewisses Talent ge- habt, die Sachen zu bringen, aber sie haben sie nicht 55 professionell gebracht.« Abb. 3: Das Mainzer Kabarett »Arche Nova« unter Leitung von Hanns Dieter Hüsch (links) während einer Sendung im Kabarettprogramm des SWF (zirka 1958). © SWR 3. Auftritte von Ensembles in öffentlichen Veranstaltungen des SWF

Nirgendwo zeigten sich Walters Vorlieben und Vor- stellungen von dem, was Kabarett ausmache, deut- licher als in den öffentlichen Veranstaltungen, die er in den 1950er und frühen 1960er Jahren durch- führte. Denn mit diesen Veranstaltungen trat »das Kabarett« des SWF gleichsam zweimal an die Öf- fentlichkeit, einmal an den Abenden selbst und zum zweiten mit den Sendungen, die aus diesen Veran- staltungen zusammengestellt wurden. Nach allem, was bisher schon zum eher distanziert-passiven Umgang des SWF bzw. Walters mit Ensembleka- barett gesagt wurde, überrascht es nicht, dass Ka- barettensembles bei diesen öffentlichen Veranstal- tungen so gut wie nie vertreten waren. In der bereits erwähnten Veranstaltungs- und Sendereihe »Deut- Abb. 4: Guy Walter (2. von rechts) stellt zusammen mit den Kabaret- sche Diseusen« bzw. in einer Nachfolgeveranstal- tisten Germain Mueller (Le Barabli, Straßburg), Walter Morath tung »Diseusen von heute«,56 die den Schwerpunkt (Basel) und Lore Lorentz vom Düsseldorfer »Kom(m)ödchen« (von links) 1957 bei einer öffentlichen Veranstaltung des SWF die der öffentlichen Veranstaltungen in den 1950er Jah- Frage »Wem gehört der Rhein?« © SWR/W.-P. Hassenstein ren ausmachten, traten im Rahmen- oder »Vorpro- gramm« zweimal von Walter in besonderer Weise geförderte und von ihm der Rubrik »Nachwuchs« zugeordnete Ensembles auf, das Karlsruher Kaba- 57 rett »Spottvogel« und das Mainzer Kabarett »Ar- 54 Ebd. 58 che Nova«. Nur dem Altmünchner »Simpl«-En- 55 Ebd. semble und dem Düsseldorfer »Kom(m)ödchen« 56 Erster Teil eines öffentlichen Abends des SWF im Kurhaus wurde das Privileg zuteil, als Ensemble in öffentli- am 21. Mai 1959, Sendung am 18. Juni 1959 um 21.00 Uhr im Ersten Programm. Im zweiten Teil des Abends stand mit dem chen Veranstaltungen des SWF mitwirken zu dür- Operettenbuffo und ehemaligen »Kadeko«-Kabarettisten Max fen, wobei man erstere im Grunde nicht zum En- Hansen wieder ein alter Bekannter Guy Walters aus Berliner Zeiten im semblekabarett der 1950er Jahre rechnen, sondern Mittelpunkt. der Sparte »Traditionspflege« zuordnen kann. 57 Das Karlsruher »Kabarett der Optimisten« – so die Eigencharakterisierung im Briefkopf des Ensembles – übernahm in der oben erwähnten Veranstaltung »Diseusen von heute« die Zwischenansagen. 58 Das von Hanns Dieter Hüsch gemeinsam mit dem Schauspieler und Regisseur Rudolf Jürgen Bartsch gegründete Kabarett bildete in der achten Folge der »Deutschen Diseusen« das Vorprogramm zu Kate Kühl, wobei der gesamte Abend von Willi Schaeffers conferiert wurde. Öffentlicher Abend am 8. Februar 1958, Sendung am 13. März 1958. 30 Rundfunk und Geschichte 3–4 (2007)

Länge der Sendungen und Platzierung Für die Zeit von 1952 bis 1962 ließen sich vierzehn im Programm Sendungen mit dem »Kom(m)ödchen« nachweisen. Dazu kommen noch zwei Mitwirkungen des En- Die übliche Länge für eine Ensemblekabarettsen- sembles in öffentlichen Veranstaltungen des SWF. dung betrug nicht mehr als eine halbe Stunde. Das Die intensive Zusammenarbeit Guy Walters mit dem entsprach der für das Hörfunkprogramm nicht nur »Kom(m)ödchen« ist zum einen auf die enge Freund- des SWF in den 1950er Jahren charakteristischen schaft zurückzuführen, die ihn mit dem Ehepaar »Kästchenkonzeption«.59 In dieser im Vergleich zur Lorentz verband und die im Briefwechsel mit dem durchschnittlichen Länge eines Kabarettprogramms, Ensemble zum Ausdruck kommt. Außer in den of- die man wohl mit anderthalb bis zwei Stunden an- fiziellen, vom Abteilungsleiter oder dessen Stellver- setzen kann, doch recht kurzen Sendezeit konnte treter mit unterzeichneten Schreiben von Seiten des Walter nur einen »repräsentativen Querschnitt« ei- SWF duzte man sich und versicherte sich der ge- nes Programms vermitteln. Auch Kürzungen inner- genseitigen Freundschaft. Guy Walter gelang es im- halb von Programmnummern waren durchaus üb- mer wieder, Studioproduktionen für das Ensemble lich.60 Die Platzierung erfolgte – da »die künstlerische zu arrangieren, auch wenn das Ensemble zu Gast- Form des Kabaretts eine gewisse Schulung voraus- spielen nach Baden-Baden, Freiburg oder sonstigen setzt und nicht für alle Ohren bestimmt ist« – »in vor- Orten im Sendegebiet gereist war, die man ebenso gerückter Zeit«.61 Eine Zusammenstellung der für Ka- wie bei anderen Ensembles einfach hätte mitschnei- barett im Programm vorgesehenen Sendezeiten im den können. Auf diese Weise verschaffte er dem Untersuchungszeitraum sowie die Durchsicht der »Kom(m)ödchen« etliche zusätzliche Einnahmen. Programmnachweise zeigen, dass diese Ansicht tat- sächlich umgesetzt wurde: Vor 21.30 Uhr lag kein Dass Walter mit dem »Kom(m)ödchen« immer wie- Beginn einer Kabarettsendung in den Jahren zwi- der Studioaufnahmen durchführte, lag aber nicht nur schen 1951 und 1954, ab dem Jahr 1955 verscho- an seiner Freundschaft zu Kay und Lore Lorentz, ben sich die Sendezeiten noch weiter nach hinten. sondern auch daran, dass der Stil des Ensembles Kabarett wurde nicht mehr vor 22.30 Uhr gesendet, seiner eigenen Auffassung von der Kunstform Ka- in den meisten Jahren sogar nicht vor 23 Uhr. Mit barett im Ensemblebereich am meisten entsprach. der Platzierung von Kabarett zur späteren Abend- Das Ensemble pflegte, dem Credo seines künstle- stunde versuchte man, den Hörerkreis auf den Per- rischen Leiters folgend: »Je kleiner die Form, umso sonenkreis einzuschränken, den man für reif und fä- geschliffener muss sie sein«, politisch-literarisches hig genug hielt, diese Kunstform zu würdigen und Kabarett auf hohem sprachlichen und musikalischen die satirischen Spitzen richtig einzuschätzen. Dieser Niveau: »Ein Dichter darf sich einen unreinen Reim Hörerkreis und die für ihn produzierten Sendungen erlauben, ein/Textdichter nicht. Politisch-literarisch wurden in Abgrenzung vom großen Hörerpublikum ist nur durch einen Bindestrich getrennt. Politik, ohne und der leichten Wort-Unterhaltung folgenderma- in eine literarische Form gebracht zu sein, ist ein Leit- ßen beschrieben: »Er [= der Kollege vom Kabarett, artikel. Am Anfang ist der Text.«64 H.K.] hat einen viel kleineren, dafür aber ziemlich fes- ten Hörerkreis. Lauter Leute, die spät schlafen ge- Zu den Haupttextern neben Kay Lorentz selbst zähl- hen und deshalb leichter geneigt sind, zuzuhören. ten in diesen Jahren Eckart Hachfeld und Martin Außerdem ist eine Kabarett-Sendung schon etwas Morlock, zwei der sprachlich sehr genauen und stil- wie ein Plakat mit Voranzeige. Jeder kann sich un- gefähr denken, was ihn erwartet und kann einschal- 62 ten oder nicht.« 59 Zur »Kästchenkonzeption« vgl. Kurt Magnus (Hrsg.): Der Rundfunk in der Bundesrepublik Deutschland und in West-Berlin. Entwicklung, Organisation, Aufgaben, Leistung. Frankfurt am Main Ausnahme von der Regel: 1955, S. 52. 60 In den Sendemitteilungen an die Ensembles, in denen Walter für Die Zusammenarbeit Walters gewöhnlich den Zeitpunkt der Ausstrahlung, die Höhe des Honorars mit dem »Kom(m)ödchen« und die ausgewählten Programmteile nannte, finden sich zahlreiche Hinweise auf Kürzungen. Die große Ausnahme von Guy Walters allgemein 61 Guy Walter: Kabarett in Baden-Baden. Artikel der Serie »funk Bei der Arbeit«. In: Rundfunkhörer München vom 11. Oktober 1953, o. S. als wohlwollend bis kritisch-distanziert zu cha- 62 SWF-Geschäftsbericht 1955/56, S. 38–77. rakterisierenden Haltung gegenüber der in den 63 Die »kleine Literaten-, Maler- und Schauspielerbühne« wurde 1950er Jahren vorherrschenden Form von Kaba- 1947 von den Eheleuten Kay und Lore Lorentz in Düsseldorf rett war seine Zusammenarbeit mit dem Düssel- gegründet. – Zur Geschichte des »Kom(m)ödchens« vgl. u. a. Kay dorfer »Kom(m)ödchen«.63 Obwohl der »Haussen- Lorentz‘ Darstellung in Siegfried Kühls Buch »Deutsches Kabarett. Kom(m)ödchen, Die Stachelschweine, Münchner Lach- und der« des Ensembles der spätere WDR war, war es Schießgesellschaft, Die Schmiere«. Düsseldorf 1962, S. 10–12. auch beim SWF überdurchschnittlich oft zu Gast. 64 Ebd., S. 11. Knoop: Viel Kultur und »ein bisschen« Politik 31 sicheren Kabarettautoren der damaligen Zeit. Sie einen reizvollen Kontrast zu den raffinierten Vokalar- schrieben die Fabeln, Klassikerparodien, Singspiele, rangements der anderen Musiken bildet. Guy Wal- Chansons und Chöre für das »Kom(m)ödchen«, die ters Studioaufnahmen mit dem »Kom(m)ödchen« vom Hauskomponisten Emil Schuchardt und zeit- kann man als eigenständige »funkische« Präsentati- weise auch vom späteren Intendanten der Hambur- onsform von Kabarettensembles bezeichnen. gischen Staatsoper, Rolf Liebermann, vertont wur- den und das Ensemble berühmt machten. Der Konflikt mit Rudolf Rolfs Denn Zeitkritik, die sich bei diesem Ensemble wie und seiner »Schmiere« – der Vorwurf der Zensur bei den meisten anderen auch vor allem gegen das restaurative Klima in der Bundesrepublik und ge- Weniger erfreulich verlief Walters Zusammenarbeit gen die Remilitarisierung, stärker als bei den an- mit dem 1950 von Rudolf Rolfs gegründeten Frank- deren aber auch gegen Niveau- und Geschmack- furter Kabarett »Die Schmiere« mit dem Untertitel losigkeit im kulturellen Leben richtete, fand beim »Das schlechteste Theater der Welt«. Diese Zusam- »Kom(m)ödchen« mit Vorliebe in literarisch oder mu- menarbeit wurde von Rolfs später als ein Beispiel sikalisch parodistischer Einkleidung statt. Die Bei- für Zensur durch die Rundfunkanstalten angeführt.68 spiele sind zahlreich: Die Rede Marc Antons in »Ju- Rolfs hatte sich und sein Kabarett seit 1953 schon lius Caesar« von Shakespeare liefert die Vorlage für mehrmals dem SWF für ein Gastspiel angeboten, »Die Rede des Mark Anton« an die SPD-Oppositi- bevor man sich nach einem Besuch Walters in der on; das Singspiel »Deutscher Garnisonskrieg« um »Schmiere« für Ende 1958 auf einen unverbindli- die Bewerbung einer deutschen Kleinstadt als Gar- chen Mitschnitt des Programms »Juchheissa, wir nisonsstandort ist als klassisch-griechische Tragö- atmen!«69 einigte. Dieser Mitschnitt fand statt, und die inszeniert; dem Singspiel »Reinecke Fuchs« über wie gewöhnlich teilte Walter vier Monate später, am die abermalige Kanzlerkandidatur Konrad Adenau- 17. April 1959, Rolfs den 27. April 1959 als Sende- ers dient Goethes Versepos zum Vorbild. Auch die termin mit. Er brachte eine Auflistung der vorgese- Bibel wurde als Vorlage genutzt,65 und immer wieder henen, sämtlich gekürzten Beiträge für einen Sen- kommentieren Persönlichkeiten der Weltgeschich- deausschnitt von knapp 14 Minuten Dauer und bat te aktuelle Vorgänge.66 All diese Anspielungen und um eine baldige Einverständniserklärung für das an- Folien setzen ein Publikum voraus, das mit den Vor- gebotene Honorar. Was weiter geschah, bleibt zu- lagen vertraut war. Das liberale Bildungsbürgertum mindest auf Seiten des SWF im Dunkeln, da in der war das Zielpublikum des »Kom(m)ödchens«, und betreffenden Akte einige Briefe fehlen. Anscheinend es war auch das Zielpublikum des Guy Walter für sei- aber hatte sich Rolfs mit der Auswahl der Sendeaus- ne spätabendlichen Kabarettprogramme. schnitte nicht einverstanden erklärt, sondern dem SWF Zensur bezüglich der Auswahl und der Kür- Aus der persönlichen Vorliebe Walters für das zungen vorgeworfen, woraufhin man von Seiten des »Kom(m)ödchen« ist also die relativ hohe Zahl von SWF – nach Rolfs’ Darstellung – geantwortet habe: sieben Studioaufnahmen zu erklären, die zwischen »Wir zensieren natürlich nicht. Allerdings die Aus- 1952 und 1959 mit dem Ensemble entstanden. Nach wahl der Texte müssen Sie uns überlassen!«70 1959 gab es auch vom »Kom(m)ödchen« nur noch Programm-Mitschnitte. Fünf dieser Studioaufnah- men sind erhalten.67 Sie zählen zum Besten, was Guy Walter auf dem Gebiet des Ensemblekabaretts 65 So im Chanson »Der Turmbau zu Babel«, vgl. den Katalog produzierte. Die einzelnen Programmnummern – von »Tonaufnahmen im Südwestfunk 1952–1968« (Anm. 5), S. 124; und in Walter gemeinsam mit Lorentz meist aus den ak- der musikalischen Szene »Seit Adam und Eva«, vgl. ebd., S. 139. tuellen Programmen des Ensembles ausgewählt – 66 Fürst Freiherr von Metternich und Macchiavelli in der Szene werden durch kurze Conférencen oder eigenwillige »Die alten Lehrmeister«, vgl. ebd., S. 115); Galilei und Kopernikus in der Szene »Und über uns der Himmel«, vgl. ebd., S. 132). Klavierakzente verbunden bzw. voneinander abge- 67 Es sind dies die Archivnummern 545 0340, 545 0041, 545 0534, setzt. Wort- und Musikbeiträge wechseln einander 545 0014 und 545 0504 im Kabarettkatalog »Tonaufnahmen im ab. In der ruhigen Studioatmosphäre, die einen ei- Südwestfunk 1952–1968« (Anm. 5). genen, künstlichen Raum schafft, kommen die Prä- 68 Vgl. Rudolf Rolfs: ‚Hofnarren‘ dieser Demokratie? In: mobile. versuch im gespräch, H. 6, 1968, S. 14–17. zision der Stimmen bei den Chansons, den mehr- 69 Die »Schmiere« war das einzige Kabarett mit einem fast täglich stimmigen Kantaten und Chören und die stilistischen wechselnden Spielplan von verschiedenen festen Programmen, Feinheiten der Texte stärker zur Geltung als bei den die teilweise über Jahre liefen. Das war möglich, weil es kein Programm-Mitschnitten. Am Anfang oder Ende je- »Aktualitätenkabarett« war, sondern seine satirischen Attacken des dieser Programme erklingt als Erkennungs- und sich gegen allgemeine gesellschaftliche Tabus und menschliche Schwächen richteten. Vgl. Heinz Greul: Quer durch die Landschaft Markenzeichen das »Kom(m)ödchenlied«, das mit (Anm. 45), S. 388. seiner eingängigen, einstimmig gesungenen Melodie 70 Rudolf Rolfs: ‚Hofnarren‘ dieser Demokratie? (Anm. 68), S. 16. 32 Rundfunk und Geschichte 3–4 (2007)

In einem Schreiben vom 3. November 1959 bemüh- erleichterte diese Auswahl. Vielleicht war sie sogar te sich Guy Walter dann noch einmal, die ihm von deshalb die bevorzugte Erscheinungsform des west- Rolfs gemachten Vorwürfe zu entkräften, indem er deutschen Kabaretts dieser Zeit. Wenn man aber am darauf hinwies, rechtzeitig über die Sendemodalitä- Ende die Vielfalt der Themen, die in den erhalten ge- ten informiert zu haben, gab schließlich jedoch zu, bliebenen Ensemblekabarettaufnahmen behandelt dass damit »immer noch nicht das gebrochene Ver- wurden und die im Kabarettkatalog des SWF do- sprechen eingelöst worden ist, Sie zum vorherigen kumentiert sind, mit den Themen der Kabarettland- Abhören einzuladen. In diesem Punkt bleiben wir schaft der damaligen Zeit vergleicht, dann scheint in Ihrer Schuld!«71 Allem Anschein nach hatte Wal- es, dass Guy Walter trotz seiner Distanz zu dieser ter dem Kabarettisten, für den wohl schon die Zu- Form des Kabaretts kein schlechter Chronist des En- sage, nur die ausschnittweise Sendung eines von semblekabaretts gewesen ist. ihm als Einheit begriffenen Programms zuzulassen, ein weitgehendes Zugeständnis an die Bedingungen des Mediums bedeutete, entgegen der sonst gängi- gen Praxis ein Mitspracherecht bei der Auswahl zu- gesichert, diese Zusicherung jedoch nicht so ernst genommen wie Rolfs. Für den war nun deren Nicht- einhaltung gleichbedeutend mit Zensur. Auf diesen Vorwurf von Seiten Rolfs wiederum konnte Walter gar nicht anders reagieren als mit dem von Rolfs kol- portierten Satz, denn schließlich traf er bis auf die er- wähnten Ausnahmen seit jeher die Auswahl von Sze- nen ohne die Mitsprache der Ensembles – und solch einem Generalvorwurf der Zensur konnte und wollte er sich nicht aussetzen.

Fazit

Das Kabarettgesamtprogramm des SWF in den 1950er Jahren war stark geprägt durch die künst- lerischen Auffassungen und Vorlieben des verant- wortlichen Redakteurs Guy Walter. Seine besondere Aufmerksamkeit galt der Pflege einer Kabarettchan- sontradition, die er im Berlin der 1920er Jahre er- lebt hatte und die er durch die Förderung von jun- gen Nachwuchskünstlern, allen voran Hanns Dieter Hüsch, wiederzubeleben hoffte. Im Bereich des En- semblekabaretts dagegen verstand er sich weniger als Förderer denn als gewissenhafter Chronist, mit einer Ausnahme: Mit dem »Kom(m)ödchen« zusam- men schuf er eine besondere »funkische« Präsenta- tionsform von Ensemblekabarett.

Ensemblekabarett wurde von Guy Walter grundsätz- lich auszugsweise präsentiert, da die »Kästchenkon- zeption« des Hörfunkprogramms in den 1950er Jah- ren die Länge eines Kabarettprogramms auf eine halbe Stunde begrenzte. Dabei behielt sich Walter bis auf wenige Ausnahmen die Auswahl selber vor. Bis auf die Ausnahme der »Schmiere« bzw. ihres Lei- ters Rudolf Rolfs waren die Ensembles, die an Funk- auftritten aus werblichen und finanziellen Gründen immer sehr interessiert waren, mit diesem Verfah- ren auch einverstanden. Die Form des losen Num- mernkabaretts, die die vorherrschende Form des Kabaretts der 1950er Jahre war, ermöglichte bzw. 71 SWR. HA. SWF-PO7125. Knoop: Viel Kultur und »ein bisschen« Politik 33

Forum

Millionen für das AV-Erbe. wurden die Film-, Video-, Ton- und Kontext-Archiva- Das neu eröffnete National Audio-Visual lien, die sonst in Außenstellen in Landover und Jes- Conservation Center der Library of Congress sup, Maryland, Boyers, Pennsylvania, Elkwood, Vir- in Culpeper, Virginia, will Maßstäbe in Archi- ginia und Dayton, Ohio untergebracht waren, nach vierung, Restaurierung und Zugänglichkeit von Culpeper überführt. Insgesamt finden sich nun drei Bewegtbild-, Ton- und Datenmaterial setzen. Millionen Tonaufnahmen, knapp zwei Millionen Kon- textdokumente wie Filmplakate, Drehbücher oder Es ist ein Projekt der Superlative, zumal in einem in- Mikrofilm, sowie 1,2 Millionen Bewegtbildtitel an ei- stitutionellen Umfeld, das sonst unter strenger Bud- nem Ort. Etwa 35 Prozent des Baus wurden von getierung zu leiden hat: Mit Kosten von 235 Millio- der US-Regierung finanziert, die restlichen knapp nen US-Dollar, 6,3 Millionen Archivtiteln und einem 65 Prozent (155 Millionen US-Dollar) vom Packard Digitalisierungsvolumen von sieben bis acht Pe- Humanities Institute, dem philanthropischen Arm tabyte1 pro Jahr sorgt die weltweit größte Archi- von David Packard, Sohn des gleichnamigen Hew- verweiterung dieser Tage international für Aufse- lett-Packard-Mitgründers. Damit wurde das Projekt hen. Weitblick war die stärkste Antriebsfeder bei zur größten Öffentlich-Privaten Partnerschaft, die der Planung des National Audio-Visual Conservati- in den USA jemals von Regierungsseite eingegan- on Centers (NAVCC) der US-amerikanischen Libra- gen wurde. ry of Congress. Die neue Einrichtung in der Klein- stadt Culpeper im Bundesstaat Virginia, etwa 100 Der Fernseh-Sammlungsbestand der Library of Kilometer westlich von Washington, DC soll das au- Congress ist für Wissenschaftler mit historischer diovisuelle Erbe der Vereinigten Staaten für eine Zu- Forschungsperspektive von unschätzbarem Wert. kunft sichern, die angesichts der Anfälligkeit ma- Anders als im französischen Zentralarchiv Institut gnetischer Speichermaterialien ungewisser nicht National de l’Audiovsiuel (INA) wird zwar weitaus sein könnte. weniger Material erfasst, als im Äther versendet wird. Dafür findet sich ein reicher Schatz an thema- Seit der Verabschiedung des Urheberrechtsgeset- tischen und organisationsbezogenen Sammlungen zes im Jahre 1976 ist es die Aufgabe der Library wie unter anderem zu Bob Hope und Ed Sullivan so- of Congress, ein »American Television and Radio wie von Coca-Cola und den Networks NET/PBS und Archive« zu betreiben. Beheimatet innerhalb des NBC, das bereits in den 1980er Jahren 24.000 Kine- Mount Pony, wurde für das Archivzentrum eine ehe- scope-Spulen aus den 40er und 50er Jahren spen- malige Speicheranlage der US-Notenbank umge- dete. Die zum Haus gehörende Copyright-Behörde baut und erweitert. Die Überalterung von hundert- sorgt außerdem für einen steten Strom frischen Be- tausenden Magnetbändern und Filmmaterial stellt legmaterials, dessen Gesamtaufkommen auf lan- die größte US-Bibliothek vor Aufgaben, die sie an ge Sicht selbst in dem gerade bezogenen 12.500 ihrem Hauptsitz auf dem Washingtoner Capitol Hill Quadratmeter großen Gebäudekomplex nicht un- auf Dauer nicht hätte bewältig können: Nur fünf Pro- terzubringen wäre.2 Seit im Jahre 1949 mit der ers- zent des bedrohten Ton- und Videomaterials, so die ten Western-Fernsehserie »Hopalong Cassidy« der Annahme der Bibliotheksverwaltung, hätte mit den Grundstein für die nationale Copyright-Sammlung vorhandenen Mitteln bis zum Jahr 2015 bewahrt gelegt wurde, wuchs diese bis heute auf weit mehr werden können. Durch die Errichtung des NAVCC als 300.000 Sendungen an, welche häufig eine Viel- aber werde in einem zehn Jahres-Zeitraum mehr zahl von Episoden umfassen. Anders als Einrich- als die Hälfte dieser Bestände gesichert. Neben tungen wie die renommierten Walter J. Brown & Pe- den aufwendigen Konservierungsarbeiten, die zu- abody Archives oder das Paley Center for Media dem für die empfindlichen wie leicht entzündlichen (ehemals Museum of Television and Radio) selek- Nitratfilme moderne Laborbedingungen erfordern, tiert die Library of Congress aus den TV-Titeln nicht, liegt das Augenmerk auch auf der Digitalisierung sondern archiviert komplette Lauflängen. von AV-Material, um eine besser Langzeitstabilität zu gewährleisten.

Reicher Sammlungsbestand 1 Ein Petabyte entspricht eintausend Terrabyte bzw. einer Million Der Vorteil einer zusätzlichen Einrichtung liegt für Gigabyte. 2 In den Vereinigten Staaten muss jeder Copyright-Inhaber der die Library of Congress vor allem an der Zusam- Library of Congress eine Festkopie seiner Sendung übermitteln, menführung bisher versprengter Abteilungen. So sofern eine kommerzielle Auswertung geplant ist. 34 Rundfunk und Geschichte 3–4 (2007)

Ehrgeiziges Digitalisierungsprogramm Räume für den Audiotransfer enthalten vielgestalti- ges Abspielequipment, einschließlich eines Raums Das so genannte Born-Digital-Areal, das die hau- mit Wiedergabemöglichkeiten historischer Aufnah- sinterne Poststelle und vor allem die Speicherräume men, wie sie auf Wachszylindern oder magnetischen entlasten soll, sobald das Material zur Beantragung Drähten erhalten sind. Diese so genannten A1-Räu- des Copyright-Schutzes nicht mehr per Festkopie, me zeichnen sich durch ein Raum in Raum-Konzept sondern digital eingereicht wird, muss aber noch ei- aus, das eine vollständige Tonneutralität garantiert. nige Monate auf seine Inbetriebnahme warten. Der- Mithilfe der vollintegrierten Netzwerkstruktur, die ei- zeit hat die retrospektive Digitalisierung Vorrang. Für nen Zugriff auf die interne MAVIS-Datenbank5 und die Audio-Sammlungen wurde diese bereits abge- digitalisierte Inhalte im Archiv ermöglicht, können schlossen. Die umfangreichen Videobestände liegen Audio- und Videotechniker wie auch Katalog-Exper- indes noch vor der etwa 50-köpfigen Belegschaft, ten an jeglicher Arbeitsstation ihre Aufgaben wahr- die auf maximal 140 Mitarbeiter anwachsen soll. Ver- nehmen. traut wird vermehrt auf technische Hilfen: Das Robo- tersystem SAMMA (System for the Automated Mi- Vom passiven zum aktiven Akquisiteur gration of Media Assets) wird in den kommenden Jahren die 250.000 Dreiviertel-Zoll Umatic-Bänder Das Vorhaben, alljährlich bis zu acht Petabyte an di- prüfen, gegebenenfalls reinigen und schließlich in gitalisiertem Datenmaterial zu erstellen, ist ehrgeizig. digitale Speicherformate enkodieren. Nur in Fällen, Zum hohen Datenvolumen wird auch die aktive Ak- in denen die Qualitätsprüfung misslingt, soll eine so quise von Fernsehprogrammmaterial beitragen. Bis- genannte »Boutique«-Digitalisierung per Hand erfol- her agierte die Library of Congress fast ausschließlich gen. Vier SAMMA-Roboter werden rund um die Uhr passiv, indem sie dessen harrte, was zwecks Copy- parallel arbeiten und jeweils vier Bänder gleichzeitig right-Regelung eingesandt wurde – mit allen damit digitalisieren können. verbundenen Nachteilen. Denn bei weitem sind nicht alle Sendungen von Produzenten und Fernsehsen- Mike Mashon, Leiter der Bewegtbild-Abteilung der dern für eine spätere Vermarktung vorgesehen und Library of Congress,3 spricht von einem »enormen fielen damit bisher durchs Raster. Vornehmlich Lo- Fortschritt«: »Bisher waren wir es gewohnt, neben kalsendungen und Nachmittagstalkshows, Game einer Masterkopie nur auf Anfrage eine Ansichts- Shows und Sportübertragungen, aber auch Mor- kopie zu erstellen. Die Technik ist aber mittlerwei- genprogramme und sogar Seifenopern konnten so- le so weit und der Speicherplatz so günstig, dass mit nicht in die Nationalsammlung aufgenommen wir automatisch eine hochauflösende Datei und eine werden. Durch die Möglichkeiten digitaler Aufzeich- kleinere Datei zur Nutzung generieren können.« Im nungstechniken wird nun erstmals eine breite Erfas- Data-Center ist ausreichend Platz vorhanden, um sung des täglichen Sendebetriebs praktikabel. Im so Speicherkapazität nachzurüsten. Die digitalen Mas- genannten »TiVo-Raum«6 werden zunächst zwanzig, terkopien (Wave für Audio, Motion JPEG 2000 für Vi- später aber bis zu zweihundert Aufzeichnungen pa- deo) werden in einem Nearline-Speicher aufbewahrt, rallel angefertigt. Eine Auswahl wird trotzdem weiter- während die Dateien zur Nutzung (MP3 für Audio, hin nötig sein. Harte Kriterien für die Selektion gibt MPEG2 für Video) in einem Spinning-Disc-System es laut Mike Mashon jedoch nicht. Vielmehr soll von vorgehalten werden. Jeweils eine Sicherheitskopie Fall zu Fall entschieden werden: »Worauf wir uns wird zusätzlich an ein Computing Center der US-Re- konzentrieren wollen, ist die Aufnahme kompletter gierung im Norden Virginias übermittelt.

Die Ausstattung des NAVCC befindet sich aufgrund der umfangreichen Fördermittel auf dem neuesten 3 Ein Aufsatz von Mike Mashon über Anspruch und Möglichkeiten Stand der Technik. »Dieses Gebäude ist wie ein rie- des NAVCC erschien in der diesjährigen Frühjahrsausgabe des Cinema Journal: Mashon, Mike (2007): The Library of Congress siger Computer«, zeigt sich Mashon stolz. Im ers- National Audio-Visual Conservation Center. In: Cinema Journal, Vol. ten Stock der komplexen Gebäudestruktur ist die 46, Nr. 3, S. 140–142. Bewegtbildsektion untergebracht. Im zweiten Stock 4 Das Archiv umfasst über 39.500 Kilometer Nitratfilmmaterial. Das wurden die Arbeitsplätze für die Erhaltung von Ton- Kammernsystem ermöglicht eine Minimierung der Verluste im Falle eines Brandes: Nitratfilm ist leicht entflammbar und kaum löschbar, aufnahmen eingerichtet. Außerdem wurden hier 124 weshalb es auch als Sprengstoff eingestuft wird. Filmmaterial Speicherräume installiert, welche die Nitratfilmbe- auf Nitratbasis wurde in der Zeit von 1889 bis 1951 für beinah alle stände in jeweils separaten, abgeschotteten Kam- Filmproduktionen verwandt. mern bei Temperaturen von -4 bis +2 Grad Celsius 5 Informationen über das MAVIS-Datenbanksystem gibt es im Internet: http://www.mavis.biz beherbergen.4 Auf dem dritten Stockwerk befinden 6 „TiVo“ wurde in den USA zum Sammelbegriff für digitale sich die chemischen Filmlabore sowie die digitalen Festplattenrekorder, da das gleichnamige Unternehmen die Audio- und Videowerkstätten. Neun schallisolierte Marktführerschaft innehat. Forum 35

Sendetage von 0 bis 24 Uhr«, erklärt Mashon. Das Form in der Vergangenheit nur wenig genutzt wur- liefere eine wertvolle Ressource nicht nur für die den, weil sie beispielsweise schwer zu lesen sind: medienwissenschaftliche Forschung. Grund für die- So existiert eine Sammlung von NBC Master Books, ses Vorgehen ist das bisherige Fehlen von Ganzta- 7.000 Spulen Mikrofilm mit 16-mm Negativfilm, die gesaufzeichnungen von US-Fernsehprogramm. Die einen beinah minutiösen Ablauf der Sendestruktur Radioforschung hat in den USA zumindest eine ein- des Networks von 1936 bis in die späten 80er Jah- zige Aufzeichnung dieser Art zur Verfügung – von ei- re abbilden. nem Washingtoner Lokalsender aus dem Septem- ber des Jahres 1939. Trotz der nur eingeschränkten öffentlichen Bereiche des Zentrums wurde viel Aufwand für den Bau eines Die größten Lücken bei der archivischen Erfassung eigenen Theatersaals mit 206 Plätzen im Stile des von Programmmaterial liegen aber beim Lokalfern- berühmten Stanford Theaters in Palo Alto, Kalifor- sehen, da nur wenige unabhängige Institutionen wie nien betrieben. Ab voraussichtlich November 2007 das UCLA Film & Television Archive in Los Angeles sollen unter der Woche mehrere Filmvorführungen die historischen Überlieferungen einzelner regionaler und Veranstaltungen stattfinden, darunter auch Prä- TV-Angebote erfassen. Einrichtungen mit nationaler sentationen mit sensiblem Nitratfilmmaterial. Beson- Perspektive wie das Vanderbilt Television News Ar- deres Interesse gilt dabei Stummfilmen, für deren chive in Nashville, Tennessee sind aber nicht in der musikalische Begleitung ein spezielles Piano ange- Lage, bundesweit Lokalprogramme aufzuzeichnen. fertigt wurde. Damit entwirft sich die Library of Con- Die Library of Congress möchte dieses unbestellte gress mit ihren Vorführungen als stimmungsvolle Feld beackern und plant Gespräche mit Satelliten- Alternative zu alteingesessenen Einrichtungen wie betreibern wie »Direct TV«, die in einer exklusiven dem Museum of Modern Art oder dem Paley Cen- Kooperation die betreffenden Datenkanäle mit loka- ter for Media und demnächst mit neuen Häusern öff- len Sendeinhalten entschlüsselt zur Verfügung stel- nenden Institutionen wie dem Museum of Broadcas- len könnten. Bei der schier unübersichtlichen An- ting Communications in Chicago und dem Newseum zahl von lokalen Programmen wird es aber nötig sein, in Washington, DC, die ebenfalls Vorführungen von auch hier eine rigide Auswahl zu treffen. Werken aus der Film- und Fernsehgeschichte als festen Bestandteil in ihren Programmen führen. Et- Verbesserung des Zugriffs was Museumsflair kommt auch hinter den dicken Archivmauern auf, wo sich teils illustre Gerätschaf- Das NAVCC wird durch die Digitalisierungsinitiative ten aus früheren Rundfunkzeiten stapeln. In man- auch zu einer Verbesserung der Zugänglichkeit des chem Raum finden sich sogar überraschenderwei- tiefen Sammlungsbestandes beitragen. Trotz eini- se Schilder, Poster und andere Pappware aus der ger öffentlicher Programme vor Ort und der anspre- Sammlung des ehemals an der Universität von Ma- chenden Landschaftsarchitektur des als grüne An- ryland ansässigen »Advanced Television Technology lage konzipierten NAVCC7 werden wissenschaftliche Center«. Doch der museale Schein trügt: Genießen Nutzer weiterhin zum überwiegenden Teil auf ihr Re- die illustrativen Artefakte dank des überbordenden cherchematerial in den Washingtoner Lesesälen zu- Platzangebotes allenfalls gnädiges Asyl, dient die greifen. In den neuen Räumlichkeiten ist nur ein kom- Technik vielmehr als wichtiges Ersatzteillager. Ange- pakter Bereich für auswärtige Forscher vorgesehen. sichts der vorhandenen Zwei- und Ein-Zoll-Bandbe- Der Zugang zu den Sammlungen ist wie bisher nur stände steht das NAVCC vor einem großen Problem: Wissenschaftlern vorbehalten, die an einem Publi- »Uns fehlt es an Fachleuten, welche die antiquierten kationsprojekt arbeiten. Die AV-Inhalte werden, falls Abspielmaschinen reparieren oder auch nur bedie- nicht bereits digitalisiert, auf Anfrage enkodiert und nen können«, sagt Mashon – und muss trotz Millio- über Breitband-Standleitungen in die Hauptstadt nenbudget auf leidenschaftliche Techniker im Ruhe- transferiert. Rechtlich gibt es diesbezüglich keiner- stand hoffen, die ihr Wissen ehrenamtlich an junges lei Bedenken, schließlich handelt es sich bei der Ver- Personal weitergeben könnten. sendung um einen hausinternen Vorgang. Doch da- Leif Kramp, New York/Hamburg bei soll es nicht bleiben. »Was ich erreichen möchte, ist die Legalisierung der Zugriffsmöglichkeit auf un- sere Sammlungen von jedem Computer rund um die Erde», erklärt Mike Mashon. Es wäre nur ein ers- ter, kleiner Schritt, den Zugriff zunächst auf Partner- organisationen im Bildungsbereich zu beschränken, so Mashon. Dabei werden nicht allein die audiovi- 7 Über das „grüne Konzept“ des NAVCC: Cohan, Stephan M. suellen Inhalte ins Auge gefasst, sondern auch di- (2007): Why green roofs? ‚Because we can do it‘. In: Landscape gitalisierte Kontextdokumente, die in ihrer analogen Management, Vol. 46, Nr. 1, S. 30. 36 Rundfunk und Geschichte 3–4 (2007)

Selecting TV Output for the BFI lity of appointing an organisation to maintain a Na- (British Film Institute) National Archive. tional Television Archive and setting the level of the The Development broadcasters’ contributions. By recording the ma- of New Policies and Practices terial to be archived off air, we have not only ma- ximised the amount we have been able to capture, Steve Bryant, Senior Curator (Television) beim BFI but have ensured the unique value of the collection, (British Film Institute) National Archive, stellte am in that it is television as the viewer saw it, including 20. April 2007 auf der internationalen Tagung «Re- the flow of materials (programmes, interstitials, com- thinking Television Histories” in London die Überle- mercials, trailers etc) rather than TV as it was made gungen zur Archivierungspolitik seines Hauses vor. for transmission, which the companies keep in their Für »Rundfunk und Geschichte« hat der Autor eine own collections and exploit commercially. Our selec- erweiterte und überarbeitete Fassung des Referats tion policies have seen an increase in the amount we verfasst, in die er die seither in Großbritannien ge- have recorded over the years, to the point where we führte Diskussion sowie die Ergebnisse einer aka- have been capturing about 30% of the total output demischen Konsultation am 18. September 2007 in of ITV, 25% of Channel 4 and 20% of Five. This is a London einarbeitete. fairly substantial amount and has included all news bulletins, all drama, documentary and arts material, Introduction most comedy and entertainment, a lot of sport and substantial examples of everything else. Complete The theme of the paper is selection policy in the con- runs of most selected series have been taken. The text of a national archive responsible for maintaining result has been a collection larger than is now real- a record of British national television production and ly necessary and one which needs reconsideration. presentation, but constrained by financial, operatio- This is not to say mistakes were made, though the- nal, regulatory and technological considerations. We re will inevitably be some in any selection policy, but are currently altering our collecting policy to be more the method of selection was necessarily wasteful, as selective on what we take into the archive and to start programmes to be recorded had to be selected (un- to be selective about what we keep from what we al- seen) in advance of transmission and there was an ready have. The change of policy has come about in element of erring on the side of caution. For examp- the context of the renewal of our nomination as the le, if you don’t know in advance what is going to hap- statutory National Television Archive and of our use pen in »Big Brother« or Champions’ League Football, of digital recording technology. Although it could be which, inevitably, you don’t, you are going to record seen as a pragmatic response to a challenge of dimi- it all, just in case. nishing resources, it is a solution we ourselves have devised and I think it is an appropriate response to The new archiving method the current landscape of television production, pre- servation and access requirements and technologi- When our last period of nomination by Ofcom expi- cal possibilities. By the act of selection we are po- red two years ago, we entered a period of negotiati- tentially affecting the way future television histories on with the companies who were, and still are, very will be written, but I think an effective selection po- keen to see a reduction in the cost of our operation. licy will be more of a help than a hindrance to future We, on the other hand were keen to include preser- historians. The context is the archiving operation we vation work on obsolete formats in our operation and have conducted for the British commercial terrestri- expand the areas of cost covered by the contribution. al stations for the last 20 years and more, which re- We came up with a technical solution, which would quires a few words of explanation. allow for a more selective approach to the acquisi- tion of new output and would require fewer techni- Background cal staff, releasing the existing complement to work on the legacy material. Discussions reached impas- Since 1985, we have acquired output from the main se and Ofcom called in consultants to arbitrate, who commercial terrestrial channels (ITV, Channel 4 and came down on the side of our proposal. We are now Channel Five from 1997), by recording it off-trans- implementing that proposal. The essence of the new mission, to broadcast standard (for preservation) method is that we capture the complete output of and viewing standard (for access). This has been the required channels digitally (from digital terrest- funded by the broadcasters themselves, initially on rial transmission) on hard disks, to the preservation a voluntary basis, but, later, on a statutory basis un- standard required, and retain it for three weeks, du- der the terms of the Broadcasting Act of 1990 and ring which period our curatorial staff select what is the Communications Act of 2003, which gives the re- to be transferred to our preservation format (current- gulator (initially the ITC, now Ofcom) the responsibi- ly still Digital Betacam). Any material not selected Forum 37

is recorded over after three weeks. Selecting with New selection policy: outline and detail hindsight allows us to cut by about half the amount of material we select for retention. At the same time At the conference «Rethinking Television Histories” we are re-considering the materials recorded off-air in April 2007, we got some very useful feedback on onto 1” tape between 1985 and the mid nineties, ap- the recording of complete days of output from the in- plying a similar selection policy, and the technical dividual channels and how regular these should be, staff freed from the need to monitor off-air recording but the discussion on selection within genres was do the transfer work. It is an intensely practical so- necessarily truncated. At the academic consultati- lution, but one which is, I think, a positive move cul- on in September, we were able to have a much more turally also. detailed discussion and some very interesting points emerged, most of which we have incorporated in our New selection policy: rationale selection policy. The main points to emerge from the two events were: Although we had discussed it in detail and begun ■ COMPLETE DAYS OF OUTPUT: We have, for a its implementation, the consultation was a genui- long time, been making regular recordings of com- ne chance for the academic community to influence plete days of output from the channels for which our selection policy and a chance for ourselves to we are responsible. This allows us to capture chan- learn the nature of their requirements. As we are se- ges in the channel’s visual identity, scheduling flow lecting for the national collection, though, it must be and the placing of commercials, random examples remembered that potential academic use is not our of routine output and significant overseas material only selection criterion. The fundamental question is: which would not normally be part of our remit. Aca- what should the National Archive’s role be in a land- demics agree that preserving such recordings will scape where TV companies maintain their own col- be very important to future research. Randomness lections of master material for commercial exploi- is important, as is ensuring that all days of the week tation, where recording technologies are becoming are covered, especially including weekends, which increasingly cheap and where internet distribution are very different to weekday output. It seems that of recently transmitted and archive material is a gro- the optimum level of recording is one full day of each wing reality? Our answer is that we should seek to channel every three months. At the academic con- create a well-documented core collection of materi- sultation, the importance of recording blocks of pro- al, which contains items of both intrinsic and exem- gramming, especially children’s programmes and plary significance. We should take notice of the fact those presented during mornings or night-time, was that master copies of programmes exist at the com- agreed. panies and may one day devolve on us, but not be ■ NEWS: We previously recorded all the main news ruled by that fact. We should also note that cheap bulletins on each of the three channels, as we never recording technologies and internet availability are know when major stories will break. Under the new allowing institutions which previously may have re- system, we decided to select the main evening bul- lied on us and other archives for access to materi- letins every day, plus one lunchtime bulletin and, of al, particularly academic institutions, to be more in- course, all news when a very big story breaks, which dependent of that reliance by making and retaining we need to monitor. Following the academic consul- their own recordings, thus putting our preservation tation, we added the early evening news on ITV eve- role, and our ability to continue to maintain our coll- ry day as an automatic selection, on the grounds that ection by future migration, at the forefront of our ac- it is interesting to compare the treatment of stories tivity. The BFI has also recently entered a new phase, in early and late bulletins and ITV is the only chan- where the emphasis of our responsibility is placed nel which affords this possibility. Although the his- on interpreting our collections for a wider public (es- toric nature of the content of news bulletins is pro- pecially at our new South Bank facility) and our se- bably our prime concern, we recognise that most lection processes should also now be documented, academic study of news is comparative and requires so that we record not only what we have selected for the availability of a substantial amount of coverage, the collection, but why we selected it and what its especially regarding the treatment of controversial perceived significance at the moment of selection subjects like the Iraq War. The preservation and ac- was. We believe that, in the longer term and when cessibility of regional news programming, which we it comes to future migration, this information will be are unable to record, is also important for comparati- very valuable. ve study and is a problem which must be addressed, probably in collaboration with regional archives. ■ DRAMA: Major single dramas and finite drama se- rials will continue to be selected, as before. Retur- ning series in which each episode stands alone will 38 Rundfunk und Geschichte 3–4 (2007) be treated selectively, if appropriate. Critical recep- ting, highly selective policy on lifestyle programming tion, popularity, impact and the need to preserve the (property, cooking, fitness, gardening etc), though work of significant writers, directors and actors are we acknowledge the need to preserve examples of all factors to be taken into account when making the all these formats, which reflect the minutiae of mo- selection decision. This policy was accepted at the dern life. academic consultation, though there was a lengthy ■ SPORT: Whereas we used to select large amounts discussion about how to select from continuing dra- of sport, particularly high-profile sports such as foot- mas (or «soap operas”), especially the long-running ball, cricket and motor racing, our new system allows ITV hit «Coronation Street”. It was agreed that both us to be much more selective, now that we can se- random examples (to illustrate changing casts) and lect with knowledge of what happened. A good re- high-impact story lines illustrating socially signifi- cent example of a selection decision we are current- cant issues should be selected and that, in the latter ly making is how much we take of what may prove case, consecutive episodes should be retained. a highly significant Formula One season for British ■ COMEDY: Much the same criteria as apply to dra- motor sport. The performance or result is not the ma, also apply to comedy. Critical reaction is an es- only reason for selection, though. Examples of co- sential guide, as is the winning of awards. Innovative verage, of innovations, of the work of commentators work is particularly important to identify. must be kept, and there is always the chance of a ■ FACTUAL PROGRAMMING: The significance of sporting event becoming a news event (for example, the subject and its treatment are the vital factors. a riot at a football match). These are factors most li- Most major documentaries and current affairs pro- kely to be of interest to academic researchers. grammes will be selected, though we will be selecti- ■ CHILDREN’S PROGRAMMES: Examples of all ve on populist journalism, celebrity-led factual pro- children’s programmes need to be selected, with grammes, wildlife documentaries and «docusoaps”, some dramas taken in full, plus regular examples of though ensuring the retention of examples of all ty- the presentation and linking of the time allotted to pes of format. Programmes which show ways of life children’s television in the schedules on each chan- or changing locations in different parts of Britain nel. are usually selected, as are historical documenta- ■ ADVERTISING: Although we always record the ries. This approach was approved at the academic commercial breaks during our selected program- consultation. mes, we do not really have the resources to docu- ■ ARTS AND MUSIC: Arts documentaries and per- ment them. Our new system at least allows us to formances will usually be selected. A wide variety recognise, capture and document a few important of popular music will be selected, ensuring that we commercials. have examples of the work of the most significant ■ INTERACTIVE: The academic consultation raised British groups and performers. the question of how to archive the interactive televi- ■ ENTERTAINMENT: We are now being highly se- sion experience. The answer is that it is possible to lective on entertainment shows, mostly ensuring the record all the material, but not to retain the software acquisition of format examples. Thus a talent show required to re-create the experience of using it. The like The X Factor is treated very selectively, though only possibility is to record an example of somebo- capturing the appearance of winners is important, dy using an interactive service. as they may go on to be major stars. At the acade- mic consultation, the randomly selective approach We also discussed the application of our selection to quiz and game shows was endorsed, though we policy to the transfer of older material held on obso- took note of the need to select some consecutive lete formats and what differences arise from the gre- programmes from those series which have an ele- ater amount of hindsight involved. The academics ment of continuity from programme to programme, present seemed reassured that material of potenti- such as the cult hit «Deal Or No Deal”. al significance already held in the collection was un- ■ TALK SHOWS & MAGAZINE PROGRAMMES: A likely to be lost, while the prospect of some of our lot will depend on who is on or what the subjects surplus viewing copies being made available to them are, and we will be very selective in this regard. Pri- was welcomed. me time programmes are more likely to be selected than daytime ones, though there is a need for fairly Conclusions regular sampling of daytime output, especially that aimed at women. The identification of social trends Both the academics and the curators present at the and issues is also important. consultation meeting felt it had been a very useful ■ REALITY & LIFESTYLE: Our proposal to limit our exercise and one worth repeating on an annual basis. selection on formats like «Big Brother” was appro- The academics were also asked to contact the cura- ved at the academic consultation, as was our exis- tors on an individual basis if they spotted anything on Forum 39 television, which they thought particularly interesting te Meinungsspektrum unseres Landes, informieren and worth selecting, if they thought it unlikely to have über das Geschehen innerhalb und außerhalb been noticed by others. The curatorial section also Deutschlands, bilden die kulturelle Vielfalt aller Re- felt the need to repeat the exercise with representa- gionen ab und bieten einen öffentlichen Spiegel un- tives of other academic disciplines, particularly his- serer gesellschaftlichen Wirklichkeit in all ihren sozi- torians and political and social scientists, as well as alen, kulturellen und politischen Facetten. Als Faktor continuing to consult the television studies acade- tragen wir selbst durch unsere Programme zur kul- mics who had been represented in this meeting. turellen Vielfalt und zum demokratischen Dialog un- Steve Bryant, London serer Gesellschaft bei. ARD und ZDF sind also selbst Wissens- und Kulturproduzenten. Entscheidend für unsere Aufgabe ist dabei nicht nur der Umfang, son- Freier Zugang zur Information als Grundrecht dern auch die Qualität der von uns bereitgestellten für eine moderne Gesellschaft Inhalte. Unser Auftrag verlangt von uns, unsere Pro- gramme hoch professionell, sorgfältig und von Ein- Die ARD-Generalsekretärin, Dr. Verena Wiedemann, zelinteressen unabhängig für die unterschiedlichen hielt den folgenden Vortrag anlässlich der Eröffnung gesellschaftlichen Gruppen und die Gesamtheit al- des 3. Leipziger Kongresses für Information und Bi- ler Bürger aufzubereiten. Auf diese Weise gibt die bliothek im März dieses Jahres. Der Kongress stand Institution Öffentlich-rechtlicher Rundfunk eine Ga- unter dem Motto »Information und Ethik« und be- rantie für umfassende und glaubwürdige Information leuchtete dieses unter der Perspektive eines freien, und nachhaltige Qualität. Entscheidend dafür, dass fairen und gleichberechtigten Zugangs zu Informati- wir unseren Auftrag erfüllen, ist aber nicht nur die on und Wissen. Wir danken Dr. Wiedemann für das öffentlichrechtlich organisierte Produktion der Inhal- Manuskript dieses Vortrags. te selbst, sondern auch der öffentlichrechtlich or- ganisierte Zugang dazu. Und so gehört es ebenso Meine sehr geehrten Damen und Herren, konstitutiv zu unserm Auftrag, unsere Angebote frei empfangbar und für jedermann zugänglich zu ma- öffentliche Bibliotheken und öffentlich-rechtlicher chen und niemanden von unseren Inhalten auszu- Rundfunk: Nur auf den ersten Blick sind das zwei schließen. völlig getrennte Welten. Bei genauerem Hinsehen aber hatten wir schon seit jeher viel gemeinsam, und Im Falle des öffentlichrechtlichen Rundfunks wird nun, im digitalen Zeitalter, wachsen unsere Welten der freie Zugang zur Information als Grundrecht für noch enger zusammen und wir stehen vor vielen eine moderne Gesellschaft also nicht nur als frei im ähnlichen Fragen und Herausforderungen. Deshalb Sinne von frei von staatlicher Zensur verstanden, er ist es mir eine große Freude, heute vor Ihnen allen wird auch als frei im Sinne der Chancengleichheit sprechen zu dürfen, und ich möchte mich bei der und der Teilhabe aller Bürger verstanden. Die Be- BID und bei ihrer Sprecherin, Frau Lison, ganz herz- dingungen des Zugangs werden im öffentlichen In- lich für diese Einladung bedanken. Es kann uns hel- teresse vom Gesetzgeber definiert, sie werden also fen, wenn wir uns gemeinsam fragen, wie wir unse- nicht dem Markt überlassen. Das heißt in unserem rem jeweiligen Auftrag in der Wissensgesellschaft Fall, die Finanzierung von ARD und ZDF, sowohl ih- gerecht werden können, wenn wir wissen, vor wel- rer Inhalte als auch des Zugangs zu ihnen, erfolgt chen gemeinsamen Herausforderungen wir stehen, über ein öffentlichrechtlich organisiertes Solidarmo- und wenn wir in der Zukunft vielleicht sogar einige dell mit Hilfe einer sozialverträglichen Gebührenfi- gemeinsame Lösungsansätze entwickeln können. nanzierung. Sie erlaubt es, alle Inhalte frei empfang- Lassen Sie uns also zunächst danach fragen, was bar zu machen, das heißt unverschlüsselt und ohne uns von unserem Auftrag her verbindet. Das mir heu- zusätzliches Entgelt verfügbar zu stellen. Der öffent- te gestellte Thema bringt dies bereits auf den Punkt: lich-rechtliche Rundfunk ist also ein Kernelement der Uns beschäftigt dieselbe Frage: Wie sichern wir den von der Gesellschaft definierten öffentlichen Kom- freien Zugang zur Information als Grundrecht für munikationssphäre unseres Landes. eine moderne Gesellschaft? Genau dies gilt auch für die öffentlichen Bibliotheken. Alles beim öffentlichrechtlichen Rundfunk dreht sich Auch sie werden über die Solidargemeinschaft finan- um diesen freien Zugang zu Information, der für un- ziert, um ihrem öffentlichen Auftrag gerecht zu wer- sere Gesellschaft, ihren demokratischen Dialog und den, nämlich freien Zugang zur kulturellen Vielfalt un- sozialen Zusammenhalt konstitutiv ist. Es ist unser seres Landes und der Welt zu bieten und das Wissen Auftrag, so sagt es das Bundesverfassungsgericht, allen Bürgern frei zugänglich zu machen. Auch die Medium und Faktor der öffentlichen Meinungsbil- Bibliotheken stellen – in diesem Fall fremde – Inhal- dung zu sein. Als Medium vermitteln wir das gesam- te nach hohen professionellen Maßstäben zusam- 40 Rundfunk und Geschichte 3–4 (2007) men und bereiten sie so auf, dass allen Nutzerbe- lich noch räumlich beschränkten Nutzung unseres dürfnissen Rechnung getragen wird und die Qualität kulturellen Erbes und unseres gesamten Wissens- und die Verlässlichkeit des Angebots garantiert sind. reservoirs. Man könnte auch sagen, das große Ver- So sind also sowohl die öffentlichen Bibliotheken sprechen der Wissensgesellschaft ist die Chance als auch der öffentlich-rechtliche Rundfunk zwei de- auf eine wahrhaftige Demokratisierung des Wis- mokratisch legitimierte öffentliche Institutionen mit sens. der Aufgabe sicherzustellen, dass sich das Grund- recht der Menschen auf freien Zugang zu Informa- Für uns alle heute hier, für die Bibliotheken ebenso tion nicht nur im Anspruch des Einzelnen erschöpft, wie für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, stellt Informationen ungehindert käuflich zu erwerben, die sich damit die Frage, nach welchen Bedingungen wir der Markt bereit stellt. Stattdessen wird durch diese uns organisieren, damit wir unsere Inhalte in der neu- beiden öffentlichen Institutionen das Zugangsrecht en Zeit so zugänglich machen, dass das Verspre- noch qualitativ angereichert, es wird inhaltlich auf- chen der Wissensgesellschaft eingelöst wird und gefüllt, indem eine öffentliche Sphäre, eine »public die neu entstehende öffentliche Kommunikations- sphere« geschaffen wird. Sie soll den Bürgern unab- sphäre unseren Bürgern die umfassende Teilhabe hängig von den Marktgesetzen und unabhängig von am kulturellen Erbe und an unserem Wissensreser- ihrer sozialen Schicht und ihrem persönlichen Ein- voir garantiert. kommen einen umfassenden Zugang zum mensch- lichen Wissen und zu unserer kulturellen Vielfalt ga- Ausgangspunkt unserer Überlegungen muss es also rantieren. sein, dass die »public sphere« für den Zugang zu un- seren Wissensspeichern nicht mehr ausschließlich Nun verändern sich allerdings gerade die Existenz- das Bibliotheksgelände oder das ARD-Fernsehpro- bedingungen dieser »public sphere« dramatisch. Der gramm ist. Zur Public Sphere gehört inzwischen die Grund ist die Digitalisierung der Informationen. Mit Gesamtheit aller frei zugänglichen Informationen in dem Internet, mit Breitband und mit mobiler Kommu- der virtuellen Welt des Internets, in der Wissen je- nikation verändern wir unsere Kommunikationsge- derzeit und für alle zugänglich ist. In diesem virtuel- wohnheiten. Um in der digitalen Welt umfassenden len Raum entscheidet sich, ob sich die Chancen für freien Zugang zu den Angeboten unserer öffentlich- die Demokratisierung des Wissens realisieren las- rechtlichen Institutionen in dieser neuen öffentlichen sen, oder nicht. Sphäre zu garantieren, reicht es nicht mehr, die Öff- nungszeiten der Bibliotheken einzuhalten und ein Eigentlich könnten die Bibliotheken nun ihre Schät- Fernsehprogramm zu einer bestimmten Zeit auszu- ze, soweit sie digitalisiert sind, schon jetzt allen inte- strahlen. Unsere Inhalte müssen in Zukunft tatsäch- ressierten Nutzern überall und jederzeit zugänglich lich dort zugänglich sein, wo Kommunikationen unter machen. Und die ARD könnte ihre audiovisuellen den Bedingungen des 21. Jahrhunderts stattfindet. Archive öffnen und ihren Nutzern Zugang zur politi- Erinnern wir uns, es ist noch gar nicht lange her, als schen und kulturellen Geschichte Deutschlands, Eu- der Zugang zu unserem öffentlichen Wissensreser- ropas und der Welt des 20. Jahrhunderts und nun voir schon rein physisch stark begrenzt war: Um eine auch fortlaufend auch für das 21. Jahrhundert in Au- öffentliche Bibliothek nutzen zu können, mussten wir dio- und Videofiles bieten. Im deutschen Rundfunk- uns an ihren Ort begeben. Und um die Inhalte der archiv befinden sich historische Tonaufnahmen seit ARD nutzen zu können, mussten unsere Zuschau- dem 19. Jahrhundert und Rundfunkaufnahmen seit er und Zuhörer ihre Radiound Fernsehgeräte just in Beginn der Geschichte des Rundfunks in Deutsch- dem Moment eingeschaltet haben, in dem der frag- land im Jahr 1923. Die gesamte Geschichte und Kul- liche Beitrag ausgestrahlt wurde. Fernausleihe und tur des geteilten Deutschlands in Ost und West ist Videorekorder boten dann irgendwann schon etwas dort ebenfalls in audiovisuellen Zeitzeugnissen ar- mehr Flexibilität für den Zugang, aber das Grundpro- chiviert, einschließlich der Archivbestände des Hör- blem lösten sie nicht: Ein Großteil des solidarisch fi- funks und des Fernsehens der DDR. Und auch das nanzierten Wissensschatzes blieb für einen Teil der aktuelle Programm der ARD müsste sich nicht mehr Bürger aufgrund der rein physischen Barrieren un- zu einem bestimmten Ausstrahlungstermin versen- zugänglich. den. Es könnte auch nach der Sendung unseren Zu- schauerinnen und Zuschauern, unseren Hörerinnen Das kann sich, wenn wir es denn wollen, nun radi- und Hörern weiterhin überall und jederzeit im Wege kal ändern. Der aufregendste Aspekt des 21. Jahr- des Abrufs zur Verfügung stehen. hunderts im Vergleich zu den Jahrtausenden der Menschheitsgeschichte davor ist wohl die Aufhe- Aber gerade diese Chancen für die »public sphere« bung aller physischen Barrieren für den Zugang sind im Augenblick noch weitgehend Theorie. Es ist zum Wissen und die Möglichkeit einer weder zeit- noch keineswegs ausgemacht, ob es diese öffentli- Forum 41 che Sphäre mit einem demokratisch definierten und Die gleiche Gefahr, dass nämlich der freie Zugang solidarisch finanzierten freien Zugang für alle tat- zu essentiellen Informationen entgegen dem klar er- sächlich geben wird, oder ob der Zugang zu unse- kennbaren öffentlichen Interesse massiv beschränkt rem Wissen nicht weitgehend privatisiert wird und und verteuert wird, besteht auch in den elektroni- ausschließlich private Unternehmen nach kommer- schen Massenmedien. Denn auch hier beherrscht ziellen Gesichtspunkten bestimmen werden, wie die ein Oligopol global operierender Medienunterneh- Regeln des Zugangs aussehen sollen. men den Markt. Im Internet erwartet man sich von den bezahlten Abrufen, den so genannten e-Com- Werfen wir also einen Blick auf den aktuellen Dis- merce Anwendungen, hohe Renditen. Und je mehr kussionsstand beim öffentlichrechtlichen Rundfunk der Zugang zu frei empfangbaren Inhalten verknappt und bei den Bibliotheken. Der VPRT, der Verband der wird, desto höher wird die Rendite ausfallen. kommerziellen Fernsehveranstalter, fordert von der deutschen Politik und der Europäischen Kommis- Der öffentlichrechtliche Programmauftrag der ARD sion in Brüssel, ARD und ZDF zu verbieten, ihre In- zielt aber gerade darauf ab, allen Bürgern freien Zu- halte zum Abruf, als Audio- oder Video-on-Demand, gang zu allen für sie wichtigen Informationen zu ga- über Online-Portale frei zugänglich zur Verfügung rantieren. Was uns, die ARD und die BID verbindet, zu stellen. Obwohl oder gerade weil wir die wich- ist die unbedingte Verpflichtung auf die Interessen tigsten Produzenten qualitativ hochwertiger und um- unserer Nutzer, das heißt also nicht die Verpflichtung fassender audiovisueller Informationen über unser auf den »shareholder value«, sondern auf den »pu- Leben in Deutschland und unsere Beziehungen zur blic value«. Wie wir diesen »public value« unter den Welt sind, sollen unsere Programme in der digita- neuen Gegebenheiten am besten im öffentlichen In- len Welt gerade nicht frei zugänglich sein. Was die teresse verwirklichen, darüber machen wir uns ge- herkömmlichen Fernsehprogramme anbelangt, so rade intensiv Gedanken. verlangen unsere privaten Wettbewerber, dass wir diese Angebote ebenso verschlüsseln, wie sie das Sie haben vielleicht gelesen, dass das ZDF ange- mit ihren kommerziellen Fernsehkanälen und mittel- kündigt hat, in Zukunft einen Großteil seiner Fern- fristig auch mit ihren Radioprogrammen vorhaben. sehsendungen über die so genannte Mediathek al- Und für den zeitsouveränen Zugang zu unseren Pro- len Nutzern noch sieben Tage nach der Ausstrahlung grammen über Online-Medien verlangen sie, dass als Streaming-Angebot zum Abruf über das Inter- wir unsere Inhalte privaten Unternehmen zur Verfü- net zur Verfügung zu stellen. Diese Pläne firmieren gung stellen, die sie dann kommerziell vermarkten. zurzeit unter dem Stichwort des »Seven Day Catch- Die Online-Welt gehöre nicht zu unserem öffentlich- up«, weil sie, nach dem Vorbild der BBC, freien Zu- rechtlichen Programmauftrag, so das Postulat. Un- gang zu den Sendungen noch bis zu sieben Tage sere Wissensgesellschaft, so die Essenz dieser For- nach der Ausstrahlung gewähren. Und auch die ARD derungen, gehört nicht der Allgemeinheit, sondern denkt über ein ähnliches Angebot nach, denn damit dem Markt. würden wir der Chance der digitalen Wissensgesell- schaft, unser Wissen und kulturelles Erbe für den Was das allerdings unter den geltenden Bedingun- freien Zugriff in die »public sphere« einzustellen, ei- gen des Marktes für die Nutzer bedeuten würde, nen großen Schritt näher kommen. davon haben die Bibliotheken, allen voran die wis- senschaftlichen Bibliotheken, schon längst einen Aber so einfach ist es leider nicht. Denn all diese Op- Vorgeschmack erhalten. Der Sektor der wissen- tionen kosten Geld. Das »Recht der öffentlichen Zu- schaftlichen Fachverlage ist hoch konzentriert und gänglichmachung«, das mit der Ondemand Zurver- oligopolistisch strukturiert. fügungstellung von Informationen einhergeht, ist ein selbstständiges Recht der Urheber, das nicht mit Bei den wissenschaftlichen Publikationen hat die- dem Senderecht für die Ausstrahlung eines Fernseh- se Marktkonzentration zu Preissteigerungen für die programms identisch sein muss. ARD und ZDF müs- Abonnements von Fachzeitschriften von 20 Prozent sen also unter Umständen zusätzliche Rechte für pro Jahr und mehr geführt, so dass viele Universi- das Video-on-Demand erwerben. Im Falle des »Se- tätsbibliotheken in den letzten Jahren gezwungen ven Day Catch-up« ist dieses Nutzungsrecht noch so waren, selbst wichtige Fachpublikationen abzube- eng mit dem Zeitpunkt der ursprünglichen Sendung stellen. Der Marktmechanismus hat das Angebot im Fernsehen verbunden, dass man es als Teil des an verfügbarem Wissen also massiv verknappt, und Senderechts verstehen kann, das die Rundfunkan- von diesem Vorgang sind gerade diejenigen am här- stalten ohnehin erworben haben. Aber den freien Zu- testen betroffen, die genau diese Wissensschätze gang zu unseren gesamten Archiven zu ermöglichen, am dringendsten brauchen, nämlich unsere Studen- das würde sehr teuer werden, schon deshalb, weil ten und die Lehrenden. die Landesrundfunkanstalten der ARD die Rechte 42 Rundfunk und Geschichte 3–4 (2007) für den Einzelabruf an ihren älteren Produktionen gar physischen Barrieren für den Zugang zum kulturel- nicht besitzen. Denn bisher verwehrte das deutsche len Erbe und zum Wissen zu überwinden, diesen öf- Urheberrecht den Erwerb unbekannter Nutzungsar- fentlichen Raum zu privatisieren und allein den Inte- ten. Das soll sich bekanntlich erst jetzt mit dem zwei- ressen von Aktionären zu unterwerfen. ten Korb der Urheberrechtsreform ändern. Die Bibliotheken stehen vor vergleichbaren grund- Nach welchen Bedingungen sollte die ARD also Zu- sätzlichen Fragen. Auch für Sie, die Mitglieder der gang zu dem von ihr gehüteten Schatz des kultu- BID, geht es darum, die richtige Balance zwischen rellen Erbes gewähren? Sollte dies alles solidarisch der Sicherung des freien Zugangs, den Interessen von der Allgemeinheit über die Rundfunkgebühren der Urheber und den Interessen des Marktes zu fin- finanziert werden, oder sollten diese Angebote dem den. Interessant ist in diesem Zusammenhang des- freien Markt zur kommerziellen Verwertung überlas- halb die Entscheidung der Bayerischen Staatsbiblio- sen werden, wie das von den Konkurrenten gefor- thek, über eine Million urheberrechtsfreie Bücher aus dert wird? ihrem Bestand von Google einscannen und über die- se Suchmaschine frei zugänglich zu machen. Auch Dies sind Fragen von grundsätzlicher gesellschafts- die jüngste Vereinbarung, die die Bibliotheken mit politischer Natur. Wenn wir uns vor Augen halten, den Verlagen über die Einrichtung von Online-Ar- wie bedeutsam ein mit qualitativ hochwertigen, viel- beitsplätzen und über die Online-Recherchen in ih- fältigen und glaubwürdigen Inhalten ausgestatte- ren Archiven getroffen haben, ist ein Schritt im Inter- ter öffentlicher Kommunikationsraum für unser Ge- esse der Nutzer. Aber er ist wohl auch nur ein erster meinwesen und seine Entwicklungschancen in der Schritt, denn schon werden Fragen danach gestellt, Wissensgesellschaft ist, dann kann die Antwort nicht ob die Balance zwischen den Interessen der Nut- ein einfaches Schwarzweiß sein. Wenn Sie heute auf zer am freien Zugang und den Interessen der Verla- das InternetPortal der Tageschau gehen, dann kön- ge an ihren Geschäftsmodellen hier schon wirklich nen Sie sämtliche Tageschaubeiträge von heute bis ganz gelungen ist. Und im Falle der Zusammenarbeit einschließlich zum 1. Dezember 2006 abrufen. Ange- mit Google darf man auch die Frage stellen, ob es fangen hatte unser öffentliches Archiv für die Tages- im öffentlichen Interesse sachgerecht ist, als Preis schau einmal im Jahre 2000. Aber alle Beiträge von für das Scannen und den Zugang zu den Archivbe- damals bis zum 30. November letzten Jahres sind ständen sämtliche privaten Nutzerdaten für die wirt- zwischenzeitlich sukzessive wieder entfernt worden. schaftliche Verwertung für Google zur Verfügung zu Das hat viele Gründe, die Kosten für Server-Kapazi- stellen. Das gleiche muss man allerdings auch fra- täten spielen ebenso eine Rolle wie Urheberrechte gen, wenn man umgekehrt liest, dass die BBC jüngst und der Persönlichkeitsschutz. Aber richtig ist doch eine Kooperation mit YouTube eingegangen ist, bei auch, dass es ein berechtigtes öffentliches Interes- der es auch darum geht, dass sie einen Teil ihrer se am freien Zugang zu älteren Beiträgen unserer Ta- Inhalte über diese kommerzielle Plattform verbrei- gesschau gibt, und nicht nur zu ihnen, sondern auch ten will. Auch YouTube gehört zu Google, so wie zu vielen anderen unserer Inhalte. die InternetCommunity MySpace zum Medienimpe- rium von Rupert Murdoch gehört. Es gibt einen kla- Wir brauchen also Kriterien, nach denen wir ent- ren Trend: Sobald eine Internet-Plattform oder Com- scheiden können, welche Inhalte aus unseren Ar- munity eine gewisse Größe erreicht hat, steigen die chiven künftig von uns im öffentlichen Interesse für großen Medienunternehmen mit kommerziellen Ge- den freien und zeitsouveränen Zugang unserer Nut- schäftsmodellen ein. So bieten denn auch die Ma- zer zur Verfügung gestellt werden sollen. Dies sind cher der zurzeit mit über 6 Millionen registrierten grundsätzliche Fragen für unsere Gesellschaft, denn Nutzern größten Fotoblog-Community, Fotolog.com, sie werden darüber entscheiden, ob der öffentlich- ihre Idee für mehrere hundert Millionen Dollar zum rechtliche Rundfunk sein Potential erfüllen kann, ei- Verkauf an den Meistbietenden an. nen substantiellen Beitrag zu den Chancen der Wis- sensgesellschaft für alle zu erbringen. Eigentlich Aber zurück zu uns. Da noch alles so sehr im Fluss unnötig zu erwähnen, dass unsere kommerziellen ist, ist die Unsicherheit über den richtigen Weg in die Wettbewerber gegen die Mediathek des ZDF be- Zukunft für uns alle groß. Deshalb ist auch die »Open reits Sturm laufen. Access« Bewegung, die aus der Wissenschaftspu- blikation kommt, so viel versprechend und so erhel- Als Gesellschaft dürfen wir es aber nicht hinneh- lend. Zwei Bedingungen müssen erfüllt sein, damit men, dass vergleichsweise wenige Marktteilnehmer eine wissenschaftliche Publikation unter das »open für sich beanspruchen, ausgerechnet in dem histori- access« Prinzip fällt: Die Rechteinhaber erteilen al- schen Augenblick, in dem die Menschheit in die Lage len Nutzern das freie, unwiderrufliche und weltwei- versetzt wird, durch die technische Entwicklung alle te Zugangsrecht und die Erlaubnis, die Veröffentli- Forum 43 chung für jeden verantwortlichen Zweck zu kopieren, derte Inhalte auch öffentlich zugänglich sein sollten. zu benutzen, zu verteilen, zu übertragen und abzu- Nirgendwo ist dieser Grundsatz deutlicher gewor- bilden unter der Bedingung, dass die Urheberschaft den als in der überparteilichen Gesetzesinitiative im genannt wird, und sie beinhaltet das Recht, eine be- amerikanischen Senat für einen »Federal Research schränkte Anzahl gedruckter Kopien für den persön- Public Access Act«. Dieser von dem Republikaner lichen Gebrauch zu machen. John Cornyn und dem Demokraten Joe Lieberman eingebrachte Gesetzesentwurf sieht vor, dass alle Die »open access« Bewegung ist erhellend, weil sie Einrichtungen der US-Bundesregierung, deren For- zeigt, dass den Belangen der Urheber sehr wohl schungsprojekte mit mehr als 100 Millionen US-Dol- Rechnung getragen werden kann, auch wenn man lar pro Jahr gefördert werden, die Zuwendungsemp- auf die Verschlüsselung des Zugangs und die Vergü- fänger verpflichten, den freien OnlineZugang zu ihren tung durch die Nutzer verzichtet, und weil sie zeigt, Veröffentlichungen »sobald wie praktisch möglich, dass in einem solchen Modell des freien Zugangs jedoch nicht später als sechs Monate nach dem Er- durchaus auch kommerzielle Geschäftsmodelle rea- scheinen in einer »Peer-Review-Zeitschrift« zu ge- lisiert werden können, wie sie zum Beispiel der Wis- währleisten. senschaftsverlag Springer mit dem Angebot »Open Choice« verfolgt. Hier zahlen die Autoren dem Ver- Auch für den Zugang der Bürger zu den Inhalten lag für die Publikation, dafür aber wird der Inhalt von des öffentlichrechtlichen Rundfunks muss in der Springer für Nutzer kostenlos ins Netz gestellt. Die Wissensgesellschaft jedenfalls als Grundsatz gel- »open access« Bewegung ist aber auch viel verspre- ten: Inhalte, die der Bürger schon einmal über seine chend deshalb, weil sie ernst macht mit den Chan- Rundfunkgebühren bezahlt hat, müssen ihm auch cen der Wissensgesellschaft. Sie ist getragen von ohne zusätzliches Entgelt über alle relevanten Platt- der Erkenntnis, dass sich der größtmögliche gesell- formen zur Verfügung gestellt werden, also neben schaftliche Nutzen durch den größtmöglichen Zu- der Aussendung dieser Inhalte über die klassischen gang zum menschlichen Wissen einstellt. Übertragungswege auch im Wege des zeitsouve- ränen Abrufs. Bei unseren Eigenproduktionen, die Wenn wir in der ARD den freien Zugang zu unse- von unseren eigenen Mitarbeitern geschaffen wer- ren Archiven diskutieren, dann gehen unsere Überle- den, lässt sich dies am leichtesten erreichen. Die gungen allerdings noch lange nicht soweit. Uns geht Gehälter unserer Mitarbeiter werden vom Gebüh- es zunächst darum, dass unsere Inhalte überhaupt renzahler, mithin von der Allgemeinheit bezahlt. Das zeitsouverän nutzbar werden, ohne dass damit auch gleiche gilt allerdings auch für unsere Auftragspro- schon gleich das Recht zur Kopie oder zur vollstän- duktionen, jedenfalls soweit sie von uns voll finan- digen oder auszugweisen Weiterverwendung ver- ziert werden. In diesem Zusammenhang ist aller- bunden wäre. Wenn wir uns allerdings anschauen, dings leider eher eine gegenläufige Tendenz durch wie populär Ausschnitte aus den Sendungen der den Druck der Film- und Fernsehwirtschaft zu be- ARD beim jungen Publikum sind, die sie – unter Ver- obachten, nämlich die Forderung der Produzenten letzung unseres Urheberrechts – zum kostenlosen nach einem immer früheren Rückfall der Sende- Abruf in Web-Communities wie MyVideo einstellen, rechte und nach der Zurückbehaltung des Rechts dann müssen auch wir uns überlegen, ob Abmah- zur Online-Verwertung. nungen dieser Portale wegen Verletzung unserer Ur- heberrechte der richtige Weg sind, ob wir eine Wei- Der öffentlichrechtliche Rundfunk wird deshalb ei- le nur mal wegschauen und abwarten sollten, oder nen steinigen Weg vor sich haben bei dem Unter- ob wir tatsächlich auch pro-aktiv bestimmte Inhal- fangen, dem Grundsatz Gehör zu verschaffen, dass te für die legale Weiternutzung durch die Internetge- es zu einem öffentlich geförderten Inhalt auch einen meinden vorsehen sollten. Auf diese Weise könnte öffentlichen, das heißt freien Zugang geben muss. der öffentlich-rechtliche Rundfunk womöglich einen Nichtsdestotrotz müssen wir uns mit aller Kraft da- wichtigen Beitrag zum kreativen kulturellen Schaf- für einsetzen, dass es einen fairen und zukunftswei- fen und zur Wissensgenerierung durch Dritte leis- senden Ausgleich zwischen den Interessen unserer ten. Damit könnte dann eine weitere Dimension des Nutzer und denen des Marktes geben wird. »public value« des öffentlich-rechtlichen Rundfunks verbunden sein, eine weitere Dimension seines Auf- Wenn ich jetzt noch einige Minuten habe, dann las- trags, durch seine Inhalte einen spürbaren Mehrwert sen Sie mich zum Schluss noch kurz auf ein anderes für die Wissensgesellschaft zu leisten. Anliegen zu sprechen kommen, das die Bibliothe- ken und der öffentlich-rechtliche Rundfunk gemein- Aus Sicht des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ist sam haben. Ich meine das Anliegen, dass unsere ein Aspekt der Open Access Bewegung in jedem Inhalte, so sie denn einmal überhaupt frei zugäng- Fall richtungweisend, nämlich dass öffentlich geför- lich gemacht werden können, in der digitalen Welt 44 Rundfunk und Geschichte 3–4 (2007) auch auffindbar sind und als glaubwürdige, zuver- viel. Deshalb müsste dieser Dialog in Zukunft auch lässige Qualitätsangebote tatsächlich auch wahrge- noch viel breiter angelegt sein: Er müsste unsere nommen werden können. ganze Gesellschaft erfassen, denn unser aller Zu- kunft und auch die Zukunft künftiger Generationen Ansprechen möchte ich hier das von der Europäi- hängt davon ab, unter welchen Bedingungen wir an schen Kommission geförderte Projekt der European unserem kulturellen Erbe und dem gesamten Wis- Digital Library. Denn hier soll es ein zentrales Inter- sen der Menschheit in der Wissensgesellschaft par- netportal geben, das den Zugang zu den Bestän- tizipieren können. den von Bibliotheken quer durch Europa ermöglicht, Verena Wiedemann, Berlin und dabei auf Sicht zusätzlich auch noch die Ange- bote von Museen, Archiven und anderen kulturellen Einrichtungen frei zugänglich macht. Über dieses »Creating Access to Europe’s zentrale Internetportal soll also der Zugang zu den Television Heritage.« unterschiedlichsten Archivbeständen erheblich ver- VIDEO ACTIVE – Ein Projektbericht1 einfacht und gleichzeitig die Attraktivität dieser In- halte gestärkt und leichter auffindbar gemacht wer- 1. Kurze Projektskizze den. Im September 2006 startete das von der Europäi- Das Projekt ist auch von der Erkenntnis getragen, schen Kommission im Rahmen des eContentplus dass das Vertrauen der Nutzer in die Professiona- finanzierte Projekt Video Active. Ziel des auf drei lität unserer Inhalte und Angebote in Zukunft noch Jahre angelegten Vorhabens ist es, audiovisuelle stärker davon abhängen wird, dass alle öffentlichen Quellen – vornehmlich fernsehhistorisches Mate- Inhalteanbieter, also sowohl die Bibliotheken wie rial – online zugänglich auch der öffentlichrechtliche Rundfunk, starke Mar- zu machen. Als wichti- ken bleiben und dafür intensive Markenpflege be- ger Bestandteil des kul- treiben. turellen Gedächtnisses von Nationen und des Dies wird wesentlich erleichtert, wenn auf der fachli- europäischen Kulturerbes haben Fernsehprogram- chen Ebene auch eine enge Kooperation aller Betei- me bislang kaum öffentliches und nur beschränkt ligten stattfindet. Dazu gehört der gemeinsame Ein- wissenschaftliches Interesse gefunden. Das be- satz für offene Standards und die Interoperabilität scheidene Forschungsinteresse – zumindest aus der Archivsysteme. Im NetzwerkMediathekenarbei- der Perspektive der allgemeinen Geschichte – hat ten zahlreiche Archive, darunter auch das Deutsche sich zudem fast ausschließlich auf die Erforschung Rundfunkarchiv und das ARD-Hauptstadtstudio, des Fernsehens im nationalen Entwicklungskontext Filmmuseen und Landesbibliotheken bereits zusam- beschränkt2. Die Frage, welche Bedeutung dem men. Auf diesem Weg sollten wir weiterhin gemein- Fernsehen als Medium des Kulturtransfers in trans- sam voranschreiten. nationaler, globaler und europäischer Perspekti-

Kulturstaatsminister Neumann hat im Januar die- ses Jahres in einem Interview angeregt, dass unse- re Zusammenarbeit künftig noch weiter intensiviert werden sollte. Er hat den Vorschlag gemacht, dass 1 Zu den Autoren: Dr. Andreas Fickers ist Associate Professor für vergleichende Mediengeschichte an der Universität Maastricht. auch die kulturellen Schätze des öffentlich-rechtli- Sein Forschungsschwerpunkt ist die Kulturgeschichte der chen Rundfunks in einem künftigen deutschen nati- Medientechnologien. Er ist senior researcher im Rahmen des Video onalen öffentlich-rechtlichen Internetportal gemein- Active Projektes und zusammen mit Sonja de Leeuw Koordinator des sam mit den Inhalten der Bibliotheken, Museen und European Television History Networks. Sein Anschrift lautet: Faculty of Arts and Social Sciences, University of Maastricht, Grote Gracht anderen Kultureinrichtungen öffentlich frei zugäng- 90–92, Postbus 616, 6200 MD Maastricht. Tel.: 0031–43–3883320, lich gemacht werden sollten. Darüber werden wir E-mail: [email protected] gern mit ihm sprechen. Prof. dr. Sonja de Leeuw ist Professor für niederländische Fernsehgeschichte im internationalen Kontext am Institute for Media and Culture Studies der Universität Utrecht. Sie ist Spezialistin auf Ich möchte schließen mit der Erkenntnis, dass die dem Gebiet der Geschichte des Fernsehdramas in den Niederlanden. Anliegen, die wir hier gemeinsam beraten, nicht nur Sie ist Projektleiterin von Video Active. Ihre Anschrift lautet: Kromme die Bibliotheken und ARD und ZDF als Institutionen Nieuwegracht 29, 3512 HD Utrecht, Netherlands. Tel: 0031302536526, angehen. Wir sind vielmehr in diesen Fragen Sach- Fax: 0031302536167, E-mail: [email protected]. walter, Treuhänder des öffentlichen Interesses an 2 Andreas Fickers: Nationale Traditionen und internationale Trends in der Fernsehgeschichtsschreibung – eine historiographische Skizze, der Wissensgesellschaft. Und deshalb ist es gut, in: montage/av. Zeitschrift für Theorie & Geschichte audiovisueller dass wir uns heute hier austauschen. Es geht um Kommunikation, 1(2005), S. 7–28. Forum 45 ve zukommt, wurde bislang eher von Kulturanthro- pologen, Medienwissenschaftlern oder Politik- und Kommunikationswissenschaftlern problematisiert als von Historikern. Diese mangelnde geschichts- wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem ohne Zweifel wirkmächtigsten Massenmedium der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts hat aber auch praktische Ursachen. Basis des historischen Arbei- tens ist das Quellenstudium, welches sich im Fal- le der Fernsehgeschichte aus institutionellen (die meisten Fernseharchive sind so genannte Produk- tionsarchive), technischen (unterschiedliche Spei- cherformate und kaum historische Abspielapparate) und juristischen Gründen (Kopien sind aus autoren- rechtlichem Schutz kaum zu erhalten) leider sehr Für die praktische Realisierung des Projektes, das problematisch gestaltet. Genau dieser Herausfor- heißt vor allem für die Entwicklung der technischen derung fernsehhistorischer Forschung möchte sich Infrastruktur sowie den Aufbau des Internetportals, das Video Active-Projekt stellen, indem eine online sind zwei technische Partner Mitglied des Konsor- Plattform geschaffen wird, die historisches Fern- tiums: zum einen die Technische Universität Athen, sehmaterial aus elf europäischen Ländern digital zuständig für die semantische Interoperabilität der und kostenlos zugänglich macht. Aus wissenschaft- unterschiedlichen Archivdaten, zum anderen die nie- licher Sicht versteht sich das Projekt als Initiative zur derländische Firma Noterik, spezialisiert im Bereich Überwindung nationaler Fernsehhistoriographien der Entwicklung von »streaming media« in Internet- und als europäischer Anstoß zu vergleichender me- portalen. dienhistorischer Forschung. Konkret geht es um die technische und juristische Realisierung eines Inter- Die wissenschaftliche Leitung des Projektes liegt in netportals (www.videoactive.eu), auf dem letztlich den Händen des Instituts für Medien und Kultur der 10.000 Quellen zur europäischen Fernsehgeschich- Universität Utrecht (Prof. Sonja de Leeuw, in Zusam- te präsentiert werden, und der einen multilingualen menarbeit mit Ass. Prof. Andreas Fickers und Dana Thesaurus (zehn Sprachen) zur vergleichenden Re- Mustata M.A.) in Kooperation mit dem Royal Hollo- cherche bieten wird. way College der Universität London (Prof. John Ellis, in Zusammenarbeit mit Dr. Rob Turnock und Dr. Ca- 1.1 Partner und Struktur des Projekts thy Johnson). Zentrale Aufgabe der wissenschaftli- chen Partner ist die Auswahl relevanten Quellenma- Koordiniert wird Video Active vom Institut für Medi- terials sowie dessen historische Kontextualisierung. en und Kultur der Universität Utrecht (Projektleitung: Hierzu wurde eine Auswahlstrategie entwickelt, die Prof. Sonja de Leeuw) und dem Niederländischen zum Ziel hat, historisch relevantes und national oder Institut für Ton und Bild in Hilversum (Technischer medial repräsentatives Quellenmaterial zu selektie- Direktor: Johan Oomen). Zentrale Partner des Pro- ren, das in Form thematischer und chronologischer jektes sind elf Rundfunkarchive und nationale Ar- Gliederung präsentiert und vergleichend analysiert chive aus folgenden Ländern: British Broadcasting werden kann. Als Orientierung für die Quellenaus- Corporation (BBC) in Großbritannien, Danmarks wahl standen unter anderen folgenden Fragestel- Radio (DR) in Dänemark, Deutsche Welle (DW) in lungen Pate: der Bundesrepublik Deutschland, Österreichischer ■ Inwiefern fördert oder hinterfragt die Quelle unser Rundfunk (ORF) in Österreich, Radio-Télévision Bel- Verständnis der europäischen Geschichte? ge de la Communauté Francaise (RTBF) on Belgien, ■ Was lernen wir über die Bedeutung des Fernse- Televisio de Catalunya (TVC) in Spanien, Instituto hens als Medium der Identitätsstiftung und der Kon- Luce in Italien, Statens Ljud och Bildarkiv (SLBA) in struktion von Erfahrungsräumen (national und trans- Schweden, Nederlands Instituut voor Beeld en Ge- national) und kollektiven Gedächtnissen? luid (B&G) in den Niederlanden, John von Neumann ■ Repräsentiert die Quelle typische oder bedeuten- Digital Library and Multimedia Centre (NeumannKht) de Entwicklungen im Bereich der Fernsehtechnik, in Ungarn und das Hellenistic Audiovisual Archive Programmgeschichte, Programmierung, Fernsehin- in Griechenland. Zwei weitere Institutionen, Vlaams dustrie oder Fernsehkultur? Radio en Televisie (VRT) in Belgien und Footage Li- brary Moving Image Communications Ltd in Groß- Ziel des Quellenauswahlverfahrens ist es, diese all- britannien, sind seit Juni 2007 als assoziierte Part- gemeinen Fragestellungen auf thematische Einheiten ner hinzugekommen. runter zu brechen, um sie so in vergleichender Pers- 46 Rundfunk und Geschichte 3–4 (2007) pektive studieren und analysieren zu können. Resul- ganze Panorama thematischer Zugänge zu präsen- tat dieses Prozesses ist ein Themenkatalog, welcher tieren, die in Form so genannter »knowlegde based augenblicklich 50 Themenkomplexe umfasst – von articles« angeboten werden. Handelt es sich bei den A wie »agriculture« und »art« bis Y wie »youth cultu- »key note articles« somit um einführende und über- re«. Das Themenspektrum reicht von Stars bis Ko- blicksartige Darstellungen zur europäischen Fern- lonialismus, Mode bis Verbrechen, Wohnkultur bis sehgeschichte mit unterschiedlichen Schwerpunk- Immigration. Von Interesse ist dabei sowohl das Ma- ten (Technik & Industrie, Institutionen & Strukturen, terial, welches die Geschichte der Fernsehentwick- Programme & Formate, Events & Routinen, Zuschau- lung in Europa dokumentiert als auch Programme, er & Fernsehkulturen), bieten die »knowledge based welche die Geschichte Europas in breiterem Sin- articles« detaillierte Informationen zu den einzelnen ne problematisieren. Dem Medium Fernsehen ge- Themenbereichen, die im Rahmen der Selektions- recht werdend, kommen sowohl intellektuelle als strategie ausgewählt wurden. Diese können somit auch populäre Themen zur Sprache, die sich in den entweder einen allgemeinen, vergleichenden Cha- unterschiedlichen Genres und Formaten des Fern- rakter haben, oder aber konkrete Informationen zu sehens spiegeln. Zusätzlich zu den audiovisuellen einer bestimmten Sendung, einem bestimmten For- Quellen werden gescannte Photos oder schriftliche mat, einem Fernsehevent oder einem politischen Er- Dokumente präsentiert, die interessante Informatio- eignis liefern. nen zur historischen Kontextualisierung der Themen bieten. Da für die Frühzeit des Fernsehens kaum Zum anderen zielt die induktive Strategie darauf audiovisuelle Quellen existieren (erst 1958 kommt ab, gezielt konkrete fernsehhistorische Ereignisse der Videorecorder zur Aufnahme von bis dato aus- in Form von historischem Bildmaterial zu präsen- schließlich »live« ausgestrahlten Fernsehprodukti- tieren und somit die Neugierde der Portalbenut- onen langsam zum Einsatz), bilden Photographien zer zu wecken. Kontextualisierende und weiterfüh- und schriftliche Quellen (aus den Schriftarchiven der rende Informationen zu dem präsentierten Thema Fernsehinstitutionen, Programmzeitschriften, Wer- werden parallel zu dieser audiovisuellen Quelle an- bungen etc.) häufig die einzig verfügbare Quellen- geboten, um so die Einbettung in die übergeordne- grundlage für die Rekonstruktion des Fernsehalltags. ten Fragestellungen zur europäischen Fernsehge- Eine zusätzliche Problematik sind die unterschiedli- schichte zu verdeutlichen. Das Ziel von Video Active chen Bestände der beteiligten Archive. Während ei- ist damit zum einen, fernsehhistorisches Quellen- nige Archive wie beispielsweise das der BBC über material thematisch zu erschließen und einem brei- reiche Bestände von den Anfängen des Fernsehens ten Publikum online und kostenlos zur Verfügung zu bis zur Gegenwart verfügen, decken andere Insti- stellen, zum anderen aber auch die Formulierung ei- tutionen lediglich bestimmte Zeiträume oder The- ner Forschungsagenda zur vergleichenden europä- mengebiete ab. Diese chronologischen wie themati- ischen Mediengeschichtsschreibung. Letzteres ist schen Eigenheiten der jeweiligen Bestände machen nur möglich, da Video Active in enger Kooperation eine Vergleichbarkeit im Sinne vergleichender Ge- mit dem European Television History Network ar- schichtsschreibung in manchen Fällen nur einge- beitet. schränkt möglich. 2. Birth of TV und das European Television 3 Eine weitere Herausforderung neben der Selektions- History Network (ETHN) politik des Quellenmaterials bildet die Entwicklung einer entsprechenden Portalarchitektur. Neben ei- Das European Television History Network wurde ner entsprechenden Gestaltung muss diese vor al- im Oktober 2004 auf der Jahreskonferenz der FIAT/ lem die wissenschaftliche Konzeption des Projektes IFTA (Fédération Internationale des Archives de Té- reflektieren und überzeugend visualisieren. Zu die- lévision/International Federation of Television Archi- sem Zweck wurde eine semantische Hierarchie des ves) lanciert. Initiiert vom Fachbereich Theater-, Film- Portals entwickelt, welche unterschiedlichen Nutz- und Fernsehwissenschaft des Instituts für Medien ergruppen (Experten, allgemein fernsehhistorisch und Kultur der Universität Utrecht fungiert dieses Interessierte oder Neugierige, sowie Schüler und Netzwerk als kommunikative Plattform für europä- Studenten) alternative Zugänge zum Wissensbe- ische Aktivitäten im Bereich der historischen Fern- stand des Portals bietet. Dabei werden induktive und deduktive Strategien der Wissensvermittlung kom- biniert. Die deduktive Strategie zielt darauf ab, dem Nutzer mittels so genannter »key note articles« einen 3 Siehe hierzu auch Andreas Fickers/Sonja de Leeuw: Das allgemeinen Überblick zu den wichtigsten Fragestel- European Television History Network: europäische Fernsehgesch ichtsschreibung in vergleichender Perspektive, in: Medien & Zeit. lungen und Themen der europäischen Fernsehge- Kommunikation in Vergangenheit und Gegenwart, Jg. 20 (2005) Nr. 2, schichte zu verschaffen, um ihm anschließend das S. 4–11. Forum 47 sehforschung. Vorrangiges Ziel des Netzwerkes ist riert, europäische Fernsehgeschichte vor dem Hin- es, Fernseharchiven und Fernsehhistorikern eine ge- tergrund sozial- und kulturwissenschaftlicher Fra- meinsame Plattform zu bieten, um die Probleme und gestellungen zu betreiben und besonders nach der Chancen einer vergleichenden europäischen Fern- Funktion und Bedeutung des Fernsehens bei Pro- sehgeschichte zu diskutieren und konkrete For- zessen medialer Identitätskonstruktion, politischer schungsprojekte zu realisieren. Das vorrangige Ziel, Partizipation und symbolischer Sinnerzeugung zu Archive und Historiker in Dialog miteinander zu brin- fragen. gen, wurde erstmals erfolgreich im Rahmen des Birth of TV-Projektes erprobt. Birth of TV war das Resul- 2.1 Plädoyer für eine vergleichende tat eines europäischen Verbundes von fünf Fern- europäische Fernsehgeschichtsschreibung seharchiven und zwei technischen Partnern, und es stellt auf seiner Homepage (www.birth-of-tv.org) au- «Most histories of broadcasting have stayed within diovisuelles Quellenmaterial zur Frühgeschichte des national boundaries. Comparative studies have been Fernsehens der entsprechenden Teilnehmerländer few, and largely confined to discussion of structures, in Streaming-Video Technologie zur Verfügung. Zu- laws and economies. The tricky business of compa- dem bietet es eine Online-Enzyklopädie mit kurzen rative cultural studies of the media remains largely un- Überblicksartikeln zu wichtigen Themen der Früh- explored”.5 Selbst Publikationen, die den Anspruch geschichte des Fernsehens sowie eine interaktive auf eine »internationale Geschichte des Fernsehens« Zeitleiste, auf der sich die Besucher ein Bild von im Titel erheben6, entpuppen sich bei näherem Hin- den wichtigsten Etappen der europäischen Fernseh- sehen als reine Aneinanderreihung von nationalen geschichte machen können. Bereits vor der Grün- Fallstudien. Dieses Manko an vergleichenden histo- dung des European Television History Networks ha- rischen Studien wiegt umso schwerer, da diese Un- ben Forscher an verschiedenen Universitäten mit tersuchungen einen wichtigen Beitrag zur Entzaube- Birth of TV kooperiert. Das Birth of TV-Portal als rung des Fernsehens als »globalem« Medium leisten ideales Kommunikationsforum nutzend wurde der könnten. Ob in Westeuropa, Amerika, afrikanischen Homepage ein Television History Research Gate- Ländern oder ehemals kommunistischen Satelliten- way hinzugefügt4, das allen Interessierten im Be- staaten – überall spielte und spielt das Fernsehen reich der Fernsehgeschichte die Möglichkeit bietet, auch heute noch eine zentrale Rolle in der Stabili- Kontakte zu europäischen Kollegen im Bereich der sierung des nationalen Erfahrungsraumes.7 Sei es Fernsehgeschichte zu knüpfen sowie eigene For- im Bereich der Rundfunkpolitik, der Fernsehtechno- schungsinteressen und -Projekte in die Datenbank logie oder auf der Ebene der Programmgestaltung: einzuspeisen. Das Portal bietet so die Möglichkeit, überall hat und dominiert auch heute noch der nati- akademische, archivarische und private Interessen onale Bezugsrahmen die mediale Identität des Fern- im Bereich der Fernsehgeschichte bekannt zu ma- sehens. Zwar werden bestimmte Programmforma- chen, mögliche Synergien zu fördern sowie gemein- te mit Erfolg »global« vermarktet. Grundlage für den same Forschungsinteressen zu entdecken. Dieses tatsächlichen Erfolg eines Programms wie »Big Brot- Forschungsportal wurde nun auf die Homepage des her« ist aber letztlich nicht die Idee oder das Pro- Video Active-Projektes überführt. grammkonzept, sondern die erfolgreiche Überset- zung dieses Konzeptes in den jeweiligen nationalen Aus akademischer Perspektive sind das Netzwerk Kontext. In diesem Sinne bedeutet Globalisierung und dessen Internetpräsenz aus mehreren Gründen immer und vor allem die entsprechende sprachliche von Bedeutung. Zum einen leistet es eine wichtige und kulturelle Appropriation eines Medienproduktes. Funktion als Mittler zwischen den institutionell gut Inwiefern wir dann aber vom Fernsehen als »globa- organisierten Aktivitäten im Bereich der Fernsehar- lem Medium« sprechen können, sei dahin gestellt. chive (FIAT) und den disparaten, national und univer- Das Scheitern jeglicher Bemühungen zur Erzeugung sitär verstreuten Forschungsaktivitäten im Bereich einer »European imagined community« mittels des akademischer Fernsehgeschichtsschreibung. Soll- Fernsehen ist ein deutlicher Hinweis auf die proble- te sich die Idee der Netzwerkbetreiber erfüllen, kann matische Konstruktion von transnationalen media- das ETHN dazu beitragen, gegen alle Fragmentie- rungs- und Spezialisierungstrends im universitären Bereich als gemeinsamer Nenner für interdisziplinä- re Forschungen im Bereich der europäischen Fern- 4 Siehe: http://birth-of-tv.org sehgeschichte zu fungieren. Zum anderen reflek- 5 Michele Hilmes: Only Connect. A Cultural History of tiert die Initiierung des Netzwerkes die Überzeugung, Broadcasting in the United States, Belmont 2001, p. 1. dass die Fernsehgeschichtsschreibung dringend ei- 6 Antony Smith/Richard Paterson (Hrsg.): Television: An international history, New York 1998. ner vergleichenden historischen Perspektive bedarf. 7 Jérôme Bourdon: Une communauté inimaginable. L’Europe et Desweiteren ist das Vorhaben von der Idee inspi- ses politiques de l’image, in: Mots 67 (2000), S. 150–168. 48 Rundfunk und Geschichte 3–4 (2007) len Erfahrungsräumen, ja vielleicht ein Beweis für de- und 1975 von regelrechten Fernsehnationen spre- ren praktische Unmöglichkeit.8 chen kann, zum anderen fungierte es aber auch als »Fenster zur Welt« und entwickelte sich so zu einem Neben dem Fehlen geographischer Vergleichsstudi- wichtigen Akteur im Prozess der symbolischen An- en wurde bislang zudem kaum in intermedial verglei- eignung der »Welt«. chender Perspektive gearbeitet. Fernsehgeschichte im Sinne von Axel Schildt’s Konzept des »massen- Sich dem Fernsehen als Akteur im Prozess der Aus- medialen Ensembles« als ein Teil dieses Ensembles handlung politischer Partizipation und kultureller zu begreifen und entsprechende intermediale Be- Identitätsfindung zu nähern, scheint aus kulturhisto- züge zwischen Fernsehen und Film, Fernsehen und rischer Perspektive vor allem aufschlussreiche Ein- Presse, Fernsehen und Radio sowie Fernsehen und sichten für die nationalen Modernisierungsanstren- neuen Medien herausarbeiten, wäre aus medienthe- gungen in der Nachkriegszeit bereit zu stellen.13 Aber oretischer und medienhistorischer Perspektive von auch in der postkolonialen und postmodernen Ära großem Erkenntniswert.9 Ein solcher Ansatz könnte transnationaler und globaler Medienlandschaften dazu beitragen, die von Bernd Weisbrod geforder- spielt das Fernsehen weiterhin eine zentrale Rolle te Historisierung der massenmedialen Bedingungen in der medialen Konstruktion kultureller Erfahrungs- von Öffentlichkeit im 20. Jahrhundert ernsthaft an- räume.14 Das Fernsehen spiegelt wie wohl kein zwei- zugehen und damit einen wichtigen Beitrag zum his- tes Massenmedium diesen dynamischen Prozess torischen Verständnis zum komplexen Verhältnis un- kultureller Aneignung und Differenzierung. Genau terschiedlicher medialer Öffentlichkeiten im Prozess der Modernisierung zu leisten.10 8 Jérôme Bourdon: Is Television a Global Medium? A Historical Neben diesem explizit komparativen Ansatz ist die View In: Transmissions. Media, Technology, Globalization, in: T. Oren/ kulturhistorische Perspektive ein besonderes Anlie- P. Petro (Hrsg.), Rutgers University Press 2005; Andreas Fickers: National barriers for an imag(e)ined European community. The gen der Initiatoren des European Television Histo- technopolitical frames of postwar television development in Europe, ry Network. Auf das Phänomen Fernsehen bezo- in: Lennard Hoibjerg/Henrik Sondergaard (eds): European Film and gen bedeutet dies, dass es konkret um die Rolle Media Culture (Northern Lights. Film and Media Studies Yearbook und Bedeutung des Fernsehens bei der Konstruk- 2005), Museum Tusculanum Press/Copenhagen University, S. 15–35. tion oder Stabilisierung kultureller Identitäten und 9 Axel Schildt: Das Jahrhundert der Massenmedien. Ansichten zu einer künftigen Geschichte der Öffentlichkeit, in: Geschichte und neuer Formen politischer Partizipation im Sinne ei- Gesellschaft, Jg. 27 (2001) Nr. 2, S. 177–206. ner »European citizenship« geht. Ein Blick auf die eu- 10 Bernd Weisbrod: Medien als symbolische Form der ropäische Fernsehgeschichte zeigt, dass das Me- Massengesellschaft. Die medialen Bedingungen von Öffentlichkeit dium Fernsehen wie kaum ein anderes Medium als im 20. Jahrhundert, in: Historische Anthropologie, Jg. 9 (2001) Nr. 2, S. 270–283; Karl Christian Führer / Knut Hickethier / Axel Schildt: symbolischer Schauplatz der Aushandlung sozia- Öffentlichkeit – Medien – Geschichte. Konzepte der modernen ler Integration und Differenzierung gelesen werden Öffentlichkeit und Zugänge zu ihrer Erforschung, in: Archiv für kann. Dass sich die meisten europäischen Länder Sozialgeschichte, Jg. 41 (2001), S 1–38; John B. Thompson: The der Bedeutung des Fernsehens als »nationaler Sozi- Media and Modernity. A Social Theory of the Media. Cambridge 2001; 11 Jostein Gripsrud: Understanding Media Culture, London 2002. alisierungsinstanz« sehr bewusst waren, zeigt unter 11 Siehe Andreas Fickers: Radio und Fernsehen als nationale Sozial anderem die Erfolgsgeschichte des britischen »pu- isierungsinstanzen? Der Rundfunk in Deutschland und Frankreich im blic service«-Modells im gesamten europäischen Rahmen der Modernisierung im Wiederaufbau in den 1950er Jahren, Rundfunkraum. Das Fernsehen wurde in den meis- in: Hélène Miard-Delacroix/Rainer Hudemann (Hg.): Wandel und ten Ländern als adäquates Mittel zur Stabilisierung Integration. Die Pariser Verträge von 1954 im Prozess der deutsch- französischen Annäherungen der Nachkriegszeit, München 2005, der durch den Zweiten Weltkrieg in die Krise ge- S. 291–307. ratenen nationalen Identität gesehen und entspre- 12 Chris Anderson/Michael Curtin: Writing Cultural History. The chend gezielt instrumentalisiert. Es war diese sym- Challenge of Radio and Television, in: N. Brügger and S. Kolstrup bolische Funktion des Fernsehens und die damit (ed.), Media History. Theories, Methods, Analysis. Aarhus 2002, S. 15–32; Jostein Gripsrud: Television, Broadcasting, Flow: einhergehenden Hoffnungen auf neue Formen poli- Key Metaphors in TV Theory, in: C. Geraghty and D. Lusted (eds.), tischer Partizipation, die als argumentative Stütze in The Television Studies Book. London 1998, S. 17–32. der Auseinandersetzung mit den Kritikern des neu- 13 Siehe zum Beispiel Sonja de Leeuw: Hoe komen wij in Beeld? en Massenmediums vorgebracht wurde, welche auf Cultuurhistorische aspecten van de Nederlandse televisie, Utrecht 2003. die Gefahren sozialer Desintegration und Isolierung 14 Siehe zum Beispiel Chris Barker: Global Television. An 12 durch den häuslichen Medienkonsum hinwiesen. Introduction. Oxford 1997 sowie Morley, David / Robins, Kevin: Tatsächlich hat das Fernsehen eine ambivalente Rol- Spaces of Identity. Global Media, Electronic Landscapes and le im kulturellen Modernisierungsprozess der Nach- Cultural Boundaries, London 1995; Dennis McQuail: Transatlantic kriegszeit gespielt, beförderte es doch zum einen TV flow: another look at cultural cost-accounting, in: Trading Culture. GATT, European cultural policies and the transatlantic market, edited die Stabilisierung des nationalen Erfahrungsraumes, by Annemoon van Hemel, Hans Mommaas and Cas Smithuijsen, so dass man zumindest für die Zeit zwischen 1945 Amsterdam 1996, S. 111–125. Forum 49 diese Prozesse, die in unterschiedlichen Phasen mit schen Fernsehens einbeziehen: sowohl das »age je unterschiedlicher Intensität und Ausprägung ab- of scarcity«, als auch das »age of availability« und gelaufen sind, gilt es aus kulturhistorischer Perspek- das »age of plenty« (John Ellis)15. Der europäische tive zu studieren und analysieren. Die besondere He- Fernsehraum wird als ein Raum zahlreicher ineinan- rausforderung eines vergleichenden europäischen der greifender Fernsehöffentlichkeiten begriffen, die Ansatzes liegt in dem Verständnis des komplexen es sowohl in ihrer unterschiedlichen räumlichen wie Zusammenspiels unterschiedlicher Akteure und medialen Dimension zu berücksichtigen und the- Kontexte auf technischem, wirtschaftlichem, äs- matisieren gilt. Ein solch komplexes Vorhaben kann thetischem, sozialem und politischem Niveau, und nur in einem europäischen Forschungsverbund rea- dies sowohl auf nationaler wie europäischer bzw. in- lisiert werden. Das European Television History Net- ternationaler Ebene. Der strukturelle Vergleich der work und Video Active haben in diesem Sinne erste national unterschiedlichen Entstehung- und Ent- konkrete Schritte unternommen. wicklungskontexte des Fernsehens bietet erste Er- klärungsmuster dafür an, weshalb ein- und dieselbe 3. Erste Resultate des Video Active Projektes Technologie solch unterschiedliche mediale Identi- und des European Television History Networks täten hervorbringen konnte. Ein europäisches For- schungsprogramm zur Fernsehgeschichte muss 3.1 »A European Television History« diese komplexen Zusammenhänge zwischen Fern- sehen als großtechnischem System, nationaler So- Dass die Umsetzung des oben ausgeführten For- zialisierungsinstanz und Medium lokaler, regionaler, schungsagenda kein frommer Wunsch ist sondern nationaler, europäischer und globaler Öffentlichkei- konkrete Gestalt angenommen hat, belegen die ten durch systematische strukturelle und analytische Workshops des ETHN, die 2005 in Utrecht, 2006 Vergleiche beschreiben und mit Hilfe kulturtheoreti- in Madrid und 2007 in London stattgefunden ha- scher Ansätze entsprechende Interpretationsange- ben. Auf dem konstituierenden Workshop in Ut- bote formulieren. recht wurde eine Bestandsaufnahme des aktuellen Standes der Fernsehhistoriographie in Europa mit Vor dem Hintergrund der andauernden politischen dem Anliegen gekoppelt, weiße Flecken in der For- Herausforderungen in einer Europäischen Union, in schungslandschaft zu identifizieren und zukünftige der heute circa eine halbe Milliarde Menschen leben Forschungsthemen im Kontext europäischer Fern- werden, erhalten Fragen nach politischer Partizipati- sehgeschichte zu diskutieren. Aus diesem interdis- on und Citizenship, Demokratie und kultureller Iden- ziplinären und internationalen »brainstorming« ist tität eine besondere Brisanz. Die Frage, welche Rolle die Initiative hervorgegangen, gemeinsam eine eu- das Fernsehen als europäischer Identifikationsfak- ropäische Fernsehgeschichte zu schreiben, die sich tor gespielt hat und spielen wird, also inwiefern das dem Paradigma vergleichender Geschichtsschrei- Fernsehen dazu beiträgt, spezifisch europäische bung verpflichtet fühlt und oben ausgeführte Frage- Werte oder Ideen zu vermitteln, gehören nicht nur stellungen reflektiert. Nachdem ein von Andreas Fi- auf die Agenda der Europäischen Kommission, son- ckers (damals Universität Utrecht, jetzt Maastricht) dern sollten zentraler Bestandteil einer vergleichen- und Jonathan Bignell (Universität Reading, GB) ver- den europäischen Kulturgeschichte des Fernsehen fasstes »book proposal« vom Blackwell Verlag posi- sein. Der historische Blick und die Konzentration auf tiv evaluiert wurde, hat sich ein Autorenkollektiv von das wohl wirkmächtigste Medium der zweiten Hälf- 26 Fernsehhistorikern aus 16 verschiedenen Län- te des 20. Jahrhunderts können einen wichtigen Bei- dern zusammengefunden, um »A European Televi- trag zum Verständnis der komplexen politischen Ei- sion History« in gemeinsamer Arbeit zu schreiben. nigungsgeschichte Europas leisten. Die Workshops in Madrid und London standen be- reits ganz im Zeichen dieser Publikation, die in mehr- Die Initiative zur Gründung des European Televisi- facher Hinsicht als europäisches Experiment zu ver- on History Network und des Video Active Projektes stehen ist. Zum einen handelt es sich bei dem Buch gründet in der Motivation, eine gezielte akademische um ein interdisziplinäres Vorhaben, welches gezielt Auseinandersetzung mit den verschiedenen natio- medientheoretische und medienhistorische Frage- nalen Fernsehkulturen zu fördern, einen aktiven Er- stellungen miteinander verbindet. Da sich die allge- fahrungsaustausch europäischer Fernsehhistoriker, meine Geschichtswissenschaft bislang kaum mit Medienwissenschaftler und Archivare zu ermögli- dem Fernsehen als sozialem oder kulturellem Phä- chen und auf diesem Wege nationale Traditionen nomen beschäftigt hat, entspringen die bestehen- und Erfahrungen sowie europäische Gemeinsam- keiten zu entdecken sowie europäische Geschichte zu schreiben. Dieser vergleichende und integrative 15 John Ellis: Seeing Things. Television in an Age of Uncertainty, Ansatz möchte bewusst alle Phasen des europäi- London 2001. 50 Rundfunk und Geschichte 3–4 (2007) den (nationalen) Fernsehhistoriographien häufig der jekten zur Aufarbeitung und online-Zugänglichma- Feder von Medien-, Fernseh- oder Kommunikati- chung digitalisierten av-Materials beteiligt, so bei- onswissenschaftlern, die sich dem Gegenstand mit spielsweise am Projekt Teleblik (http://www.teleblik. entsprechend disziplinär geleiteten Fragestellungen nl/), das am 29. September 2007 mit dem renom- und Methoden nähern. Meistens liegt der Schwer- mierten »Prix d’Italia« in Verona ausgezeichnet wur- punkt dieser Arbeiten auf der Analyse des Fernse- de. Teleblik bietet online-Zugang zu hunderten von hens als »Text«, während eine »KonTEXTualisierung« Stunden altem Fernsehmaterial sowie den frühen – das zentrale Geschäft des Historikers – nur be- Kinonachrichten (Polygoon) für den Primär- und Se- dingt von Interesse ist. Die Kombination textueller kundärunterricht an niederländischen Schulen. Den und kontextueller Fragestellungen, Analysemetho- ohne Zweifel massivsten Vorstoß in Richtung »open den und Interpretationsmuster ist keine geringe He- access policy« hat das französische Institut National rausforderung dieses Publikationsvorhabens. In der de l’Audiovisuel (INA) gemacht. Auf dem INA-Inter- Einleitung der beiden Herausgeber werden diese netportal (www.ina.fr/) werden derzeit 300.000 audi- Fragestellungen systematisch entwickelt und dem ovisuelle Fragmente (auch komplette Sendungen) in Buch als theoretisch-methodologische Einführung einem low-resolution Format gratis zur Ansicht an- vorangestellt. geboten. Von großem Wert für medienhistorischen Unterricht in Schule und Hochschule ist die Tatsa- Zum anderen ist der Schreibprozess selbst als expe- che, dass das Material gegen geringe Bezahlung rimentell zu bezeichnen, da jedes Kapitel von einem (1–5 EUR pro Beitrag) in höherer Auflösung herunter Autorenkollektiv unter der Leitung eines »lead au- geladen werden kann. Zudem entwickelt INA derzeit thors« verfasst wird. Dem Hauptautor obliegt die Auf- eine nur für Forscher zugängliche Benutzerschnitt- gabe, dem Kapitel inhaltlich und stilistisch eine dem stelle, die wesentlich mehr Quellen erfasst als die für Gesamtaufbau des Buches verpflichtete Struktur zu das breite Publikum online geschalteten Beiträge. Es geben, während die per Kapitel variierende Anzahl bleibt zu hoffen, dass derlei Initiativen auch in ande- von Koautoren Fallstudien liefern und als Garanten ren Ländern zu entsprechenden Aktivitäten führen für die vergleichende und europäische Dimension werden. Besonders in der Bundesrepublik dominie- fungieren. Dank des vorhandenen Netzwerkes ver- ren juristische Bedenken die Debatte um die Rol- liefen die Zusammenstellung der Autorenkollektive le und den Auftrag der öffentlich-rechtlichen Rund- sowie die Identifizierung von Leitautoren reibungs- funkarchive, während der öffentliche Druck auf die los. Mittlerweile liegen alle Texte des Buches in einer »public service« Institution BBC in Großbritannien ersten Version vor, so dass mit einem Erscheinen im hier bereits zu einem Umdenken geführt hat. Sommer 2008 zu rechnen ist. Parallel zu diesen praxisbezogenen Fragestellungen 3.2 »Rethinking Television Histories« verstand sich die Konferenz auch als reflexive Platt- form für die Diskussion fernsehhistoriographischer Einem breiteren Publikum wurden die Aktivitäten des Trends und Probleme. Neben einer Anzahl von in- ETHN im Rahmen der Video Active-Konferenz »Re- spirierenden Impulsreferaten zu methodischen und thinking Television Histories« im April 2007 in London theoretischen Fragestellungen und Standortbestim- vorgestellt.16 Ziel der Konferenz neben der Propagie- mungen der Fernsehgeschichtsschreibung durch rung des Video Active-Projektes war es, den Dialog Referenten aus England (John Ellis, John Corner), zwischen Archivaren und Fernsehhistorikern weiter Israel (Jerome Bourdon) und Amerika (Michele Hil- zu stimulieren, um gemeinsam über Archivierungs- mes, William Uricchio) sowie Diskussionforen zur strategien, Selektionspolitik im Kontext des Video vergleichenden Mediengeschichtsschreibung oder Active Projektes und Fragen des Zugangs zu audio- der Konservierungspolitik von Archiven, widme- visuellem Quellenmaterial zu diskutieren. Vor allem ten sich thematisch strukturierte Sektionen bislang die Digitalisierungsmaßnahmen sowie die sich da- vernachlässigten Themen der Fernsehgeschichts- mit neu ergebenden Möglichkeiten des Online-Zu- schreibung wie beispielsweise dem Regionalfernse- griffes auf das Material standen im Mittelpunkt des hen oder der Geschichte des kommerziellen Fern- Interesses. Mehrere audiovisuelle Archive stellten sehens. Insgesamt entwickelte sich die Konferenz, ihre aktuellen Aktivitäten im Bereich der Digitalisie- welche im King’s College im Zentrum Londons statt- rung und online Präsentation historischen Quellen- fand, zu einem inspirierenden Austausch zwischen materials vor. Während die »Open Archive«-Initiative Archivaren und Fernsehhistorikern aus mehr als der BBC noch in der Planungsphase steckt, konnten aus den Niederlanden und insbesondere Frankreich konkrete Projekte vorgestellt werden. Das nationale 16 Zur Tagung siehe auch den Bericht auf der Webseite von Video Rundfunkarchiv der Niederlanden, das Instituut voor Active: http://videoactive.wordpress.com/2007/04/26/report-on- Beeld en Geluid in Hilversum, ist an mehreren Pro- conference-rethinking-television-histories/ Forum 51

20 Nationen. Ende 2008 werden in einer von Ca- Je Benutzerprofil soll eine unterschiedliche Anzahl thy Johnson und Andreas Fickers herausgegebenen an Suchfiltern angeboten werden, um die Suche ef- Sondernummer der Zeitschrift »Media History« eini- fektiv und übersichtlich zu gestalten. Eine weitere ge Beiträge der Tagung erschienen. Schwerpunkt- Herausforderung liegt in der Entwicklung einer Por- mäßig wird sich diese Nummer dem Thema verglei- talarchitektur, welche die unterschiedlichen Informa- chender Mediengeschichtsschreibung widmen. tionshierarchien flexibel miteinander verbindet. Zu Detailinformationen (z.B. im Rahmen eines »know- 4. Fazit und zukünftige Aktivitäten legde based article«) soll immer auch der Verweis auf den übergeordneten »key note article« möglich Während des ersten Projektjahres von Video Acti- gemacht werden, um dem Benutzer so eine entspre- ve konnten eine Reihe grundlegender Aufgaben be- chende historische Kontextualisierung des gesehe- wältigt werden. Im Zentrum der Aktivitäten stand die nen Materials zu bieten. Andersherum sollen auch Entwicklung einer technischen Infrastruktur zur Si- die allgemeiner gehaltenen Artikel immer Verwei- cherstellung der so genannten semantischen Intero- se zu konkreten Beispielen enthalten, so dass eine perabilität der verschiedenen Katalogisierungs- und Kombination von schriftlicher und audiovisueller In- Digitalisierungsformate der am Projekt beteiligten formation gegeben ist. Archive. Parallel zu dieser vom Team der Techni- schen Universität Athen koordinierten Aufgabe wur- Schließlich gilt es auch, das Projekt entsprechend de an der Architektur des zukünftigen Internetpor- zu popularisieren und das Potential der Webseite tals gearbeitet, sowie Fragen der Nutzerprofile und für Fach- und Laienpublikum zu demonstrieren. Ein Sicherstellung der Nachhaltigkeit des Portals dis- wichtiger Schritt in diese Richtung ist die Aufnahme kutiert. Zudem haben die Archivpartner in Zusam- von Video Active als Partner der Europäischen Digi- menarbeit mit den akademischen Partnern mit der talen Bibliothek, die sich zum Ziel gesetzt hat, be- Selektion und entsprechenden Aufbearbeitung von deutendes europäisches Kulturerbe digital und kos- historischem Fernsehmaterial begonnen, so dass tenlos zur Verfügung zu stellen. Video Active kann im Dezember 2007 eine erste Version des Portals damit einen wichtigen Beitrag zur Propagierung des mit ca. 2000 audiovisuellen Quellen online gehen audiovisuellen Kulturerbes leisten, ganz im Sinne kann. Diese wird noch nicht für das breite Publikum des eContentplus Programms der Europäischen zugänglich sein, sondern Gegenstand ausführlicher Kommission. Qualitäts- und Nutzerprofiltests unter der Leitung Andreas Fickers und Sonja de Leeuw, der BBC sein. Maastricht und Utrecht

In den verbleibenden zwei Projektjahren wird es vor allem darauf ankommen, die zur Verfügung gestell- ten Quellen durch so genannte Metadaten anzurei- chern, das heißt entsprechendes Informationsmate- rial zur historischen Kontextualisierung der Quellen zu produzieren. Dieses wird vornehmlich durch die bereits erwähnten »key note« und »knowledge based articles« geschehen, die in Kooperation mit den Mit- gliedern des European Television History Networks sowie akademischen Netzwerken aus den jeweili- gen Partnerländern entstehen werden. Zur Koordi- nierung und Qualitätssicherung der Beiträge ist ein »editorial board« unter der Leitung von Dr. Rob Tur- nock (Royal Holloway College / University of Lon- don) ins Leben gerufen worden. An dieser Stelle sei ausdrücklich die Einladung an interessierte Leser formuliert, sich an diesem Prozess zu beteiligen17.

Ein weiterer Schwerpunkt der kommenden Projekt- phase wird die Entwicklung eines benutzerfreund- lichen Portallayouts sein, in dem die unterschied- lichen Benutzerprofile sowie die Suchfunktionen definiert werden. Ziel des Portals ist es, sowohl dem 17 Bitte wenden Sie sich in Englisch an Rob Turnock (Rob. Experten als auch dem Laien die Möglichkeiten zur [email protected]) oder in Deutsch an Andreas Fickers chronologischen wie thematischen Suche zu bieten. ([email protected]) 52 Rundfunk und Geschichte 3–4 (2007)

Mythen und Lektionen des DDR-Fernsehens. welt des Naturalismus und in bekannte und gewohn- Eine amerikanische Perspektive te Formen und Handlungen zurück. Neue Program- marten, wie z.B. die Fernsehoper »Fetzers Flucht», Heather L. Gumbert ist Assistant Professor of His- oder neue Erzählweisen, wie man sie beispielswei- tory an der Virginia Polytechnic Institute and Sta- se in »Monolog für einen Taxifahrer» sieht, passten te University (Virginia Tech) in Blacksburg, Virginia. nicht mehr zu dieser neuen Politik. Die Zuschauer 2006 promovierte sie zum Thema »East German Te- konnten sich zukünftig auf eine ihnen sehr vertraute levision and the Unmaking of the Socialist Project, Welt von Unterhaltung einstellen. Durch das Fernse- 1952–1965«.1 Darin beschreibt sie die Wirkungen des hen sehen wir, dass die ideologische Ermüdung, die DDR-Fernsehens auf die politische Kultur der DDR. in den meisten wissenschaftlichen Publikationen als Aufgrund dieser Arbeit war sie im Mai dieses Jah- ein Merkmal der Honecker Zeit bezeichnet wird, ei- res Gast auf der Tagung »Aufgewickelt. Deutsches gentlich schon ein halbes Jahrzehnt zuvor einsetzte. Fernsehen Ost. Analysen, Gespräche und Beispie- Gerade diese Entwicklung hat das Fernsehen (aus le zur Programmgeschichte des DDR-Fernsehens», der Sicht der SED) zum Vorbild der anderen DDR- die vom 31. Mai – 2. Juni 2007 im Filmhaus am Pots- Medien gemacht. Das Fernsehen hat nie eine revo- damer Platz in Berlin stattfand. Der Aufsatz ist eine lutionäre Öffentlichkeit forcieren können, sondern bearbeitete Version ihres Vortrages anlässlich die- es hat jenen Sozialismus gefordert, der von einer re- ser Tagung. volutionären Legende der 1940er Jahre geprägt war. Gleichwohl wurde es zunehmend von den Werten Einleitung und Vorstellungen der bürgerlichen Welt (Nationa- lismus, Heimat, Arbeitsstolz, Familientreue) beein- In diesem kurzen Aufsatz diskutiere ich die Entste- flusst. hung und Entwicklung des Mediums Fernsehen und seine Auswirkung auf die DDR-Gesellschaft zwi- Historiographie schen 1952 und 1965. In dieser Zeit ist das Fernse- hen von einer Kuriosität zum wichtigsten Kommu- Als ich in den 1990er Jahren zum Thema DDR-Fern- nikationsmedium der DDR geworden. Wie wir alle sehen kam, war gerade die »goldene Ära» der DDR- schon wissen, gab es anfangs wenige Zuschauer Forschung im Gange. Der DDR-Staat war gestürzt, und wenig Unterstützung seitens der SED, und die und die Akten des untergegangenen Staates la- wenigen erfahrenen Fernsehmacher hatten zuerst gen den Geschichtswissenschaftlern fast vollstän- lernen müssen, wie man mit den einzigartigen Cha- dig im Bundesarchiv und anderen Archiven vor. Da- rakteristiken des Mediums umgeht, um ein eigenes tenschutz spielte kaum eine Rolle. Es war die große Fernsehen zu erschaffen. Schon fünf Jahre später Gelegenheit, die Anatomie des Staates gründlich hatte sich das Fernsehen in der Medienwelt der DDR zu studieren. In der Geschichtswissenschaft setzte als einzigartiges Medium der (visuellen) Aktualität sehr schnell die Sprache des Totalitarismus wieder differenziert. Innerhalb ein Jahrzehnts hatte es sich ein. Nicht zum ersten Mal wurde die Idee der zweiten wegen seiner zunehmenden Zuschauerzahl und des Diktatur aufgenommen, diesmal aber war sie vom erweiterten Programms auch in dieser (östlichen) westlichen, kapitalistischen Triumph im kalten Krieg Welt durchgesetzt. Es wurde dementsprechend zum verstärkt. Die ersten Studien nahmen als Ausgangs- wichtigen Instrument der SED-Politik. punkt das Argument, dass die DDR einfach kein le- gitimer Staat war. Der Forschungsschwerpunkt war Zur gleichen Zeit der Geburtsstunde des DDR-Fern- die Staatsmacht, welche die Bevölkerung so unter- sehens versuchte die SED, eine neue deutsche, so- drückte, dass sie jahrzehntelang nicht mehr in der zialistische Gesellschaft zu etablieren. Sobald sich Lage war, gegen den Staat zu protestieren oder die- das Fernsehen als ein wichtiges Medium durchge- sen sogar zu stürzen. Es war ein Schwarz/Weiß-Bild setzt hatte, war jedoch die SED konservativer ge- von Staatsmacht gegen Opposition. worden. Mit dem Mauerbau war der Versuch einer revolutionären Umwandlung des Bewusstseins, der Am Ende der 90er Jahre war die Geschichtswissen- Erwartungen und der Mentalitäten der Menschen der schaft immer noch an der These der zweiten Dik- DDR gescheitert. Jedoch wollte die Partei gleichzei- tatur interessiert, trotzdem hatte sie sich verändert. tig eine bessere Beziehung zur Bevölkerung schaf- Ansätze der Alltagsgeschichte und Sozialgeschich- fen. Die Kulturpolitik ging also in eine neue Rich- te führten in deutschen und angloamerikanischen tung: Statt Idealismus und aktivem ideologischen Engagement suchte die Partei jetzt nur nach Partei- lichkeit, passiver Zustimmung und nach der Bildung 1 Die Dissertation ist mit dem Barnes F. Lathrop Preis für die beste eines Nationalbewusstseins. Im Zuge dieser Politik Dissertation im Fach Geschichte an der University of Texas, Austin, zog sich auch das Fernsehen in die »sichere» Bilder- ausgezeichnet worden. Forum 53

Arbeiten zu neueren Erkenntnissen über die DDR- Fernsehen in einem Kapitel behandeln soll. Dieses Diktatur, die jetzt als »Erziehungsdiktatur« oder eine Kapitel ist aber von einem französisch-italienischen »Fürsorgediktatur« beschrieben wurde.2 Die Staats- Sprachwissenschaftler geschrieben, der zufällig in macht blieb zwar als Forschungsschwerpunkt er- den 90er Jahren eine deutsche Sitcom geschrie- halten, aber »die Grenzen der Diktatur« wurden er- ben hatte.7 kannt.3 Das heißt, wir verstanden immer mehr, dass die Ausübung der Staatsmacht nicht unkompliziert Mythos DDR-Fernsehen und unbedingt war. Die Idee des Eigensinns, die Alf Lüdtke erst im Zusammenhang mit dem Nationalso- Während ich meine Doktorarbeit vorbereitete, habe zialismus verbreitete, traf anscheinend auch auf die ich einige Vorstellungen vom DDR-Fernsehen ge- DDR-Geschichte zu. Studien zur Konsumgeschich- hört, die ich eher als Mythen denn als Tatsachen be- te und zu den Medien, besonders Radio und Film schreiben würde. Solche Mythen deuten auf wichti- erweiterten unser Verständnis von der Macht der ge und auch teilweise gefährliche Missverständnisse Konsumenten bzw. der Zuschauer über die Politik über das Medium Fernsehen und die Fernsehge- hinaus in die Sozialwelt, was auch ein differenzier- schichte der DDR hin. Ich sage gefährlich, weil sol- teres Bild der Beziehungen von Staat und Bevölke- che Mythen die Entstehung, Auswirkung und auch rung einführte.4 Obwohl Historiker noch von einer die gesellschaftliche Bedeutung des Fernsehens DDR-Diktatur schrieben, ließ die schärfere Sprache falsch einschätzen, und deswegen auch das gegen- des Totalitarismus allmählich nach. Heute müssen wärtigen Fernsehen missverstehen. wir die DDR nicht mehr als Ausnahme- oder Fehler- staat behandeln, sondern wir integrieren sie in die Mythos Nr. 1, aus meiner Sicht ist: Anfangs hätte Geschichte der modernen westlichen Gesellschaf- dem Fernsehen der DDR etwas gefehlt, und es habe ten. Nur so können wir mit einer gemeinsamen Ge- immer versucht, das Westfernsehen einzuholen. In schichte Nachkriegsdeutschlands beginnen. der Sicht mancher Historiker, hätten die DFF-Fern- sehmacher von Anfang an wissen sollen, wie man Zum Thema Ost-Fernsehen gibt es aber noch wenige das Fernsehen macht, denn es habe doch schon Studien in der angloamerikanischen Literatur. Haupt- ein erfolgreiches Beispiel, wie man gutes, unterhal- sächlich interessieren sich Medienwissenschaftler tendes und professionelles Fernsehen, nämlich das für das Medium, sie sind aber meistens nicht an der amerikanische Fernsehen, machen kann, gegeben. Geschichte sondern an der Gegenwart des Fernse- Wieso denn konnten die Ostdeutschen das nicht hens interessiert, und meistens am englischspra- tun? Dieses Bild von der Fernsehgeschichte ändert chigen Fernsehen, deswegen also nicht am Thema sich inzwischen. Auch wenn DDR-Fernsehmacher DDR-Fernsehen. 1976 hat John Sandford sein Buch Zugang zum amerikanischen Fernsehen gehabt hät- The Mass Media of the German-speaking Countries herausgegeben, worin er die Geschichte der Medi- en in der Bundesrepublik, der DDR und Österreich zusammengefasst hat.5 Er widmete knapp 20 Seiten 2 Hartmut Kaelbe, Jürgen Kocka and Harmut Zwahr eds., Sozialgeschichte der DDR (Stuttgart 1994). Jürgen Kocka and dem Thema Ost-Fernsehen. Seitdem ist das Fern- Dorothee Wierling, »Die Jugend als innerer Feind. Konflikte sehen mehr oder weniger ein beiläufiges Thema in in der Erziehungsdiktatur der sechziger Jahre,« der amerikanischen Forschung – es ist wichtig ge- In: Kaelbe, Kocka and Zwahr, Sozialgeschichte, S. 404–425; nug, dass man das Thema irgendwie angehen sollte, Konrad Jarausch, »Care and Coercion: The GDR as Welfare aber es bleibt eine Nebensache und wird meistens Dictatorship« in Dictatorship as Experience: towards a socio-cultural history of the GDR ed., Konrad Jarausch. New York 1999. von Filmhistorikern (nicht Fernsehwissenschaftlern) 3 Richard Bessel and Ralph Jessen, eds., Die Grenzen der gemacht. Jan Palmowski vom Kings College London Diktatur: Staat und Gesellschaft in der DDR.Göttingen 1996. schreibt gerade ein Buch über die Inszenierung und 4 Siehe z.B. Victoria de Grazia u. Ellen Furlough (Hrsg.): The Sex of Bedeutung von »Heimat» in der DDR und schreibt Things: gender and consumption in historical perspective. Berkeley 6 1996. Adelheid von Saldern u. Inge Marssolek (Hrsg.): Zuhören und dafür ein Kapitel über das Fernsehen. Wahrschein- Gehörtwerden. Tübingen 1998. Adelheid von Saldern: Entertainment, lich wird mein Buch über das Fernsehen der DDR in Gender Image and Cultivating an Audience: Radio in the GDR in the den 50er und 60er Jahren also das erste in der ame- late 1950s. In: von Saldern (Hrsg.) The Challenge of Modernity, 1890– rikanischen Forschung sein. Eine gemeinsame Ge- 1960. Ann Arbor 2002. Joshua Feinstein: The Triumph of the Ordinary: Depictions of Daily Life in the East German Cinema, 1949–1989. schichte des Fernsehens in Nachkriegdeutschland Chapel Hill 2002. ist daher noch gar kein Thema in der englischspra- 5 John Sandford: Mass Media of the German-Speaking Countries. chigen Forschung. Versuche, das Fernsehen in einer London 1976. Visual Culture des deutschen zwanzigsten Jahrhun- 6 Der Arbeitstitel lautet: »Socialist Patriotism: derts zu erörtern, sind bisher misslungen. In die- Power and Identity in the GDR, 1945–89«. 7 Thomas J.D. Armbrecht: Activism, Alterity, Alex & Ali: sem Jahr ist z.B. »Visual Culture in Twentieth Centu- Writing Germany’s First Gay Sitcom. In: Gail Finney (Hrsg.): Visual ry Germany« erschienen, welches auch das Thema Culture in Twentieth-century Germany. Bloomington Indiana 2006. 54 Rundfunk und Geschichte 3–4 (2007) ten, wäre es vielleicht ein weniger bedeutendes Bei- len wie ‚live‘ Sport, Krimis usw. ergänzt worden. Sol- spiel als wir uns einbilden. Wir wissen jetzt zum Bei- che Sendungen waren einfach, populär und entspra- spiel, dass das amerikanisches Fernsehen in den chen den Bedingungen des frühen Fernsehens. Sie ersten Jahren fast ausschließlich aus der Techno- waren keine »typisch« bundesdeutschen oder ost- logie des Empfangs besteht – das bedeutet, es deutschen Sendungen. Erst als die frühen Phasen wurde von der Vermarktung des Fernsehschranks vorbei waren, konnten die Fernsehmacher die Mög- beherrscht. Rundfunkfirmen haben Fernseher ge- lichkeiten der Bildersprache und Erzählweise erwei- baut, denn es war eine Gelegenheit nicht nur den tern oder sogar neu definieren. Rundfunkmarkt, sondern auch ein neuen Marktan- teil zu erobern. Nur langsam entwickelte sich das Mythos Nr. 3, aus meiner Sicht ist: Das DDR-Fern- Programm. Die Programme wurden in Amerika von sehen sei ein Medium gewesen, das von der SED verschiedenen Firmen hergestellt, und wurden – durchherrscht war. Die Entstehung und die unsys- parallel zu den ost- und westdeutschen Fernseh- tematische Entwicklung des DDR-Fernsehens, von programmen – in verschiedenen Frequenzabstän- der technischen Basis des Mediums und vom Pro- den gesendet. Das heißt, dass der Zuschauer mit gramm her gesehen, ähnelt der Fernsehgeschichte dem entsprechenden Empfänger das Programm ei- in anderen westlichen Ländern, wie Großbritannien ner bestimmten Firma empfangen konnte, aber nicht oder auch Amerika. (Obwohl sich das amerikanische anderer Firmen, ohne eine Frequenzumsetzer zu be- Fernsehen früher entwickelte.) Technologie, Pro- nutzen. Die Frage der Frequenzen wurde erst An- gramm und auch wie das Fernsehen die Welt prä- fang der 50er Jahre von der FCC geklärt. Im ersten sentiert hat, waren ja nicht nur vom Staat gelenkt, Jahrzehnt könnte man also das amerikanische Fern- sondern mussten ebenso mit den Erwartungen, Er- sehen als regionales Unternehmen, sogar als loka- fahrungen und Fähigkeiten von vielen Gruppen (z.B. les Unternehmen beschreiben. Das Fernsehen, das Ministerrat, Ministerium für Post und Fernmelde- aus Chicago kam, war zum Beispiel auch für Chica- wesen oder Maschinenbau, Industrie, Staatliches go bestimmt. Der große Bruch in dieser Geschichte Rundfunkkomitee, den Mitarbeitern des DFFs, und war die »I love Lucy«-Show, die das Network produ- den Zuschauer) umgehen. Ich habe mehrere Leu- zierte und an der Ostküste sendete, bevor die Show te getroffen, deren Lieblingsgeschichte des Deut- pünktlich nach L.A. geflogen wurde. Die Auswirkung schen Fernsehens Ost die Geschichte der Ochsen- dieser Show war für manche Medienwissenschaftler kopf Kampagne vom Spätsommer 1961 ist. Damals die Schaffung einer nationalen Fernsehkultur. Und sollten die Antennen der [Berliner] Häuser so umge- das war nicht vor 1954!8 dreht werden, dass niemand mehr das Westfernse- hen anschauen konnte. (Wir wissen aber, dass das Zweiter Mythos aus meiner Sicht lautet: Um das in Berlin nicht hätte gelingen können.) Trotz der Aus- Westfernsehen einzuholen, hätte das DFF einfach sagen des Staates im September 1961, der die Kam- das Westfernsehen kopiert. Das hörte ich so zum pagne als reichlich gelungen beschrieb, wissen wir Beispiel in Bezug auf die DFF Krimireihe »Blau- jetzt aus dem Bundesarchiv, dass diese Kampag- licht», die bloß eine Nachahmung des »Stahlnetz» ne wegen des Widerstandes der FDJler und auch sein soll. Es kommt aber auch vor in Bezug auf frü- der Hausbewohner fast völlig nutzlos war. Als Pro- he Quiz Shows, Familienserien wie Heute bei Krü- pagandainstrument waren die Angaben des Staats gers, und andere Sendungen wie Prisma. Der »Co- aber doch erfolgreich. pycat«-Vorwurf (und ich sehe solche Aussagen auch als Vorwürfe) zeigt, dass noch viele Wissenschaft- Mythos Nr. 4 aus meiner Sicht: Das DDR-Fernse- ler ziemlich wenig von den Anfängen des Fernse- hen wäre unwichtig (oder andererseits sehr gefähr- hens verstehen. Wenn wir die Fernsehprogramme lich gewesen), weil es ein ideologisches Lenkungs- der westlichen Länder der Anfangszeit anschauen, instrument der SED wäre, dies sei auch am Beispiel finden wir gewisse Ähnlichkeiten. Das hat mit den »Aktuelle Kamera» oder »Schwarzer Kanal» leicht Bedingungen des Mediums der frühen Jahre zu tun. zu sehen. Das Bild des DDR-Fernsehens in der Ge- In der DDR und der Bundesrepublik, der BBC in schichtswissenschaft ist immer das eines ideologi- Großbritannien und sogar den USA zum gleichen schen Lenkungsinstruments, das von der Regierung Entwicklungspunkt, haben die Fernsehmacher For- streng kontrolliert und unterdrückt war, und zu einer mate, Handlungen, Figuren und sogar ganze Kon- zeptionen für Sendereihen aus Rundfunk, Theater, Film oder Literatur ins Fernsehen »übersetzt.« (Wir können also das Fernsehen der Anfangszeit fast 8 Siehe z.B. Douglas Gomery: Rethinking Television History. als ein parasitäres Medium beschreiben.) Einfache In: Gary Edgerton u. Peter Rollins (Hrsg.) Television Histories: Shaping Collective Memory in the Media Age. Lexington Kentucky Sendungen, wie Quiz Shows mit einem Moderator 2001; William Boddy: Fifties Television. The Industry and Its Critics. sind später von »komplizierteren» Programmantei- Chicago 1990. Forum 55

Passivität der Massen führte. Sogar mehrmals ha- Noch hat das Fernsehen die Wünsche der DDR- ben mich Studenten von mir gefragt (was ich noch Staatsobrigkeiten erfüllt, das politische Engage- schlimmer finde), wofür die Sowjet-Union das DDR- ment der Zuschauer zu erwecken und es endgültig Fernsehen benutzt hätte – also was hätten die So- gegen den Westen einzunehmen. Die Fernsehrevo- wjets zur DDR-Bevölkerung gesagt (als ob die Sow- lution besteht aber aus einer Umwandlung des Be- jets das DDR-Fernsehprogramm gemacht hätten). wusstseins und Mentalitäten der in den DDR woh- Erstens hatten die Sowjets doch gar nichts mit dem nenden Menschen, die von der antifaschistischen Programm zu tun. Zweitens können wir nicht das Ge- Legende der 40er Jahre abhängig war, obwohl es samtprogramm am Beispiel zwei Sendereihen beur- immer mehr von den Werten der bürgerlichen Welt teilen. Wie wir schon von Raymond Williams wissen, geprägt wurde. Es entstand ein Sozialismus, der müssen wir vielmehr auf den »Flow« des Programms sich nicht mehr die Erwartungen der 50er Jahren achten, um das Weltbild des Gesamtprogramms zu annährte. erkennen. Das Programm hat doch Zuschauer an- gezogen: was haben sie an diesen Programm wert- Doch in den 50er Jahren hat die SED versucht, ei- voll gefunden? Zugleich müssen wir aber verstehen, nen neuen sozialistischen Menschen zu erschaffen. dass das Fernsehen nirgendwo ein un-ideologisches Schon am Ende des Jahrzehnts hätte das Fernse- Medium ist. Im Westen diente (und dient noch) das hen zu diesem sozialistischen Menschenbild beitra- Fernsehen genauso ideologischen Zielen, ob das gen können. Es zeigte eine neue Welt von sozialisti- Ziel die Anregung des Konsums und der Konsum- schen Erfolgen und kompetenten, freundlichen und wirtschaft ist, oder die Aufforderung der Politik zum hilfreichen Genossen, welchem ein Bild westlicher Antiterror-Krieg (was z. B. eigentlich die Erweiterung Korruption, Aggressivität und geistiger und materi- der Staatsmacht erfordert). eller Armut gegenübergestellt worden ist. Mit dem Mauerbau hat die SED den Versuch, eine revolu- Es gibt aber eine viel wichtigere, tiefere und dauer- tionäre Umwandlung der Erwartungen, Werte und hafte Bedeutung des Fernsehens: Das Fernsehen Mentalitäten der Bevölkerung herbeizuführen als war nicht nur eine Kiste, die man in Wohnzimmer gescheitert zugegeben. Das Fernsehen war endlich setzte und manchmal anstellte, um die Mitteilungen in der Lage, etwas völlig Neues auf dem Bildschirm der Regierung anzuhören. Es war ein Medium, des- laufen zu lassen, aber solche neue Sendungen wie sen Macht nicht im Indoktrinieren lag, sondern es lag der Fernsehoper »Fetzers Flucht» (1962) passten (und liegt noch!) an der Fähigkeit, die Weltbilder der nicht zu der neuen Politik der Partei. Die Zeit der be- Zuschauer zu beeinflussen und sogar umzuformen. wussten Verwandlung und des tiefen Engagements Das Fernsehen hat eine Bilderwelt gestaltet, wo- mit dem sozialistischen Leben war wohl vorbei. Da- durch es die Werte, die Erwartungen und das Welt- nach ist das Fernsehen dem »sicheren» Program- bild der sozialistischen Lebensweise der Zuschauer manteil der Unterhaltung, und zuverlässigen Form geformt, und auch normiert haben könnte. Es hat für und Handlungen der Fernsehdramatik gefolgt. Stü- den Zuschauer die DDR bedeutungsvoll gemacht. cke wie das mehrteilige Fernsehspiel »Dr. Schlüter» Nicht nur in der Geschichtswissenschaft, sondern oder die Unterhaltungssendung »Mit dem Herzen auch in der Fernsehgeschichte sollten wir das DDR- dabei» versprachen beliebt und auch zuverlässig zu Fernsehen nicht mehr als bloße Ausnahme behan- sein, was schon in früheren ähnlichen Fernsehstü- deln. Das wird durch weitere komparative Arbeit ge- cken bewiesen war. Obwohl solche Sendungen die klärt. Inhalte des sozialistischen Lebens berührten – so haben ausgezeichnete Leute eine neue Wohnung Schlussfolgerungen oder einen nagelneuen Trabant bekommen – sie versuchten nicht mehr das Bewusstsein der Men- Wer die Geschichte des Fernsehens in der DDR schen gründlich zu ändern. Vielmehr orientierten studiert, findet eine Revolution, obwohl es in der sie sich (bei den vorgenannten Beispielen) an der Fachliteratur bisher nie so dargestellt wurde. In der Konsumwelt des Westens, indem sie die Konsum- Geschichtswissenschaft ist die Bedeutung des gier der Zuschauer ansprachen. So war das Fernse- DDR-Fernsehens vor allem in seiner angeblich un- hen am Tod des früheren idealistischen, sogar uto- vermeidbaren Verbundenheit mit der Staatsmacht pischen Projekts, eine revolutionäre Öffentlichkeit betrachtet worden. In der Tat entspricht diese Revo- und Gesellschaft zu schaffen, beteiligt, und hat viel- lution nicht unseren (westlichen) Erwartungen: das mehr die Ideen, Werte und Gefühle einer anderen, Fernsehen hat z.B. keine große Opposition erzeugt, bürgerlichen Welt aus der Zeit vor 1945 bewahrt. auch nicht das Westfernsehen, welches angeblich Auch wenn das Fernsehen nicht mehr ein Medium jeder Ostdeutsche allabendlich angeschaut hat. Es der ideologischen Verwandlung darstellte, nahm es hat keine Welle von Forderungen nach Demokra- noch aktiv an der Entwicklung des Sozialismus teil. tie, Meinungsfreiheit und Bürgerrechten ausgelöst. Der Sozialismus der SED wurde durch die sozialis- 56 Rundfunk und Geschichte 3–4 (2007) tischen Vorstellungen der Zuschauer ergänzt; die Schwarz-Weiß-Sendung. Andererseits sollten Farb- Glückserwartungen der Menschen haben sich im fernsehempfänger auch Schwarz-Weiß-Sendungen Fernsehprogramm durchgesetzt. Die Revolution ist störungsfrei empfangen können. Es ging also um die also weitergelaufen. Schwierigkeiten der Kompatibilität und Rekompati- Heather L. Gumbert, Virginia Tech bilität. Verschiedene Gruppierungen, darunter die Senderkette CBS und der RCA-Konzern arbeiteten an eigenen, technisch jeweils völlig unterschiedli- Zum Beginn des Farbfernsehens chen Farbfernsehverfahren. Schon im Januar 1950 in Deutschland vor 40 Jahren startete CBS die erste Farbübertragung in der Hoff- nung, dass das trisequentielle System von der ame- »Vom Kinopalast zum Pantoffelkino«1 lautete der Ti- rikanischen Sendebehörde FCC als Standard über- tel der diesjährigen Sommersonderausstellung des nommen werden würde. Obwohl das CBS-System Rundfunkmuseums Fürth (Bayern). Zeitlich-inhaltli- unter anderem den schwerwiegenden Nachteil hat- cher Schlusspunkt der Ausstellung war der 25. Au- te, inkompatibel mit den bisherigen Schwarz-Weiß- gust 1967, also der Beginn des Farbfernsehens in Empfängern zu sein, wurde es von der Sendebehör- Deutschland vor 40 Jahren: »Ein kleiner Knopfdruck de ab dem 11. Oktober 1950 zum Standard der USA für Willy Brandt, ein großer Schritt in der Geschichte erklärt. Doch die Geräte waren so teuer, dass bis des Fernsehens«2, beschreibt Sascha André Micha- September 1951 gerade einmal um die 100 Fernseh- el aus heutiger Sicht diese Zäsur, und Claus Heinrich geräte im CBS-System verkauft worden waren. Um Meyer faszinieren in seinem Artikel in der »Süddeut- Gerichtsklagen enttäuschter Kunden zu vermeiden, schen Zeitung« die neuen Fernsehfarben: »Endlich zog CBS ihrerseits die bereits verkauften Farbfern- tropfte rot das Blut.«3 seher wieder zurück. Das US-amerikanische NTSC- Verfahren (National Television System Comitee) – die Zum Farbfernsehen waren bereits um die Jahrhun- Abkürzung wird ironisch mit »Never The Same Co- dertwende theoretische Vorschläge gemacht wor- lor« interpretiert – war zwar nicht weniger teuer oder den, unter anderem von Otto von Bronk, der im Jahr fehleranfällig als das CBS-System, aber es war kom- 1902 diesbezüglich ein Patent angemeldet hatte, patibel mit den Schwarz-Weiß-Fernsehempfängern, oder von Werner Flechsig, der 1938 die Schatten- die 1951 bereits in amerikanischen Wohnzimmern maskenröhre erfand, die bis heute in modifizierter flimmerten: »Durch Anwendung eines damals noch Form Bestandteil jedes Monitors mit Bildröhre ist. kaum gebräuchlichen Modulationsverfahrens ge- Doch die meisten dieser ersten Gedanken blieben lang es den amerikanischen Ingenieuren, die Farb- ohne Einfluss auf die spätere Farbfernsehtechnik.4 information im Signal unterzubringen. Und dies auch Ende des Zweiten Weltkrieges waren in den USA be- noch so genial, dass bei einem Schwarz-Weiß-Bild reits sechs Schwarz-Weiß-Fernsehsender in Betrieb, die Zusatzinformation automatisch verschwand und Kinofilme wurden zunehmend in Farbe gedreht. Als damit auch die Störung des Bildes. Bei vorhande- in den 50er Jahren die Ingenieure in Deutschland ner Farbe wurde der Informationsträger so gewählt, am Neubeginn des Schwarz-Weiß-Fernsehens ar- dass unter Ausnutzung der Trägheit des menschli- beiteten, war in den USA für die Forscher längst das chen Gesichtssinns die Störung minimal wurde.«7 Farbfernsehen Thema.5 Um den Vorsprung der USA nicht zu groß werden zu lassen, experimentierte man vor allem beim WDR. Es musste ein Bildschirm her- gestellt werden, der aus Farbtripeln der drei Grund- 1 Vom Kinopalast zum Pantoffelkino. Als Fürth Hauptstadt der Fernsehgeräteproduktion war. Sonderausstellung im komponenten Rot, Grün und Blau bestand, durch Rundfunkmuseum der Stadt Fürth, 7. Juni bis 9. September 2007. deren additive Mischung alle interessanten Farben in 2 Sascha André Michael: Ein kleiner Knopfdruck für Willy Brandt, unterschiedlicher Farbstärke erzeugbar waren, denn ein großer Schritt in der Geschichte des Fernsehens. »die Fernsehtechniker wussten kein besseres Mit- In: Rundfunk und Museum 61 (2007), S. 16–19. 3 Claus Heinrich Meyer: Endlich tropfte rot das Blut. Vor 40 Jahren tel zur Bildwiedergabe als die altvertraute Braun- begann mit einem Knopfdruck Willy Brandts das Farbfernsehen. 6 sche Röhre.« In: Süddeutsche Zeitung Jg. 63, 25./26. August 2007, S. 21. 4 Walter Bruch: Die Fernseh-Story. Ein Pionier des deutschen Die Industrie in Deutschland hielt sich in den 50er Fernsehens erzählt die Geschichte der Bildübertragungstechnik – von den Utopisten bis zum Farbfernsehen. Mit 144 Abbildungen im Jahren in Bezug auf das Farbfernsehen noch zurück, Text und 21 Abbildungen auf 8 Farbtafeln. Stuttgart 1969, S. 199. weil der Absatz von Schwarz-Weiß-Geräten florierte. 5 Walter Mayer: Wie der Fernsehempfänger unsere Wohnzimmer In den USA hingegen gab es ab 1950 einen »Farbfern- eroberte. In: Kleeblattradio 32 (2000), S. 32–41, hier S. 35. sehkrieg«. Technisch stellte sich das Problem, dass 6 Ebenda, S. 35. es bereits rund zehn Millionen Schwarz-Weiß-Fern- 7 Nach diesem Prinzip sind auch unsere heutigen Farbfernsehröhren noch aufgebaut. Walter Mayer: seher gab, dass diese aber das neue Farbfernsehsig- Wie der Fernsehempfänger unsere Wohnzimmer eroberte. nal so empfangen sollten, als handle es sich um eine In: Kleeblattradio 32 (2000), S. 32–41, hier S. 36. Forum 57

Zu Beginn der 60er Jahre prognostizierten Verkaufs- den 70er Jahren gab es wesentliche Verbesserun- strategen in Deutschland eine Sättigungsgrenze für gen. Zunehmend wurden Transistoren eingesetzt, Schwarz-Weiß-Geräte für Ende der 60er Jahre.8 Tat- weil entsprechende Typen mehr und mehr verfüg- sächlich sanken ab 1966 die Verkaufszahlen. Die bar waren. Schwarz-Weiß-Fernsehgeräteproduktion muss- te gedrosselt werden. Farbiges Fernsehen war die Doch prompt erwies sich das Farbfernsehen nicht willkommene und geplante Weiterentwicklung, um auf Anhieb als der Verkaufsschlager, mit dem man die Umsatzzahlen wieder steigen zu lassen. Die Be- gerechnet hatte. Mit rund 2.500 Mark waren die neu- denken der Programmmacher, dass die hohen Kos- en Geräte verhältnismäßig teuer, besonders, da die ten für die Einführung des Farbfernsehens in keinem Rundfunkanstalten zu diesem Zeitpunkt nur wenige Verhältnis zum zusätzlichen Informationsgehalt und Sendungen in Farbe ausstrahlten. Vertreter der In- dem künstlerischen Wert der Farbe stehen würden, dustrie forderten die Erhöhung des Anteils an Farb- fanden weder bei den technischen Direktoren der sendungen, und die Rundfunkanstalten entsprachen Rundfunkanstalten noch bei den Vertretern der In- zunehmend diesem Wunsch. Der Anteil von Farbsen- dustrie Gehör.9 Die Techniker gingen sogar soweit, dungen wurde innerhalb eines Jahres mehr als ver- den »wirtschaftlichen Überlegungen der Empfänger- doppelt, von 28 Prozent 1969 auf 60 Prozent 1970.16 industrie [...] eine entscheidende Rolle bei der Erör- Anfang der 70er Jahre ließen zwei sportliche Gro- terung des Einführungstermins für das Farbfernse- ßereignisse den Absatz von Farbfernsehern sprung- hen«10 zuzubilligen. Und die Wünsche der Industrie haft ansteigen: die Olympischen Spiele in München waren klar: Die Einführung des Farbfernsehens sollte 1972 und die Fußballweltmeisterschaft 1974. In den während der Funkausstellung in Berlin 1967 durch- drei Jahren zwischen 1971 und 1974 verfünffachte geführt werden. sich insgesamt die Zahl der Farbfernseher in Privat- haushalten. Doch bei den Farbfernsehgeräten war Dabei ging es der deutschen Industrie um die Ein- es wie bei den Schwarz-Weiß-Empfängern – es war führung des Farbfernsehens in ganz Europa – und vorauszusehen, wann die Sättigungsgrenze erreicht zwar nach dem von Walter Bruch entwickelten PAL- sein würde, wann der Höhepunkt der Verkaufszah- Verfahren (Phase Alternating Line).11 Der Telefunken- len überschritten wäre. Dieser Punkt war Ende der Ingenieur Bruch hatte seine Mitbewerber NTSC und 70er Jahre erreicht, und wurde für die deutsche In- SECAM (Séquentielle couleur avec mémoire) genau dustrie umso schmerzhafter, weil nun auch japa- studiert und war mit der Absicht an die Arbeit gegan- nische Unternehmen begannen, in den deutschen gen, aus den Fehlern der anderen Systeme zu lernen. Markt einzusteigen. Dementsprechend wurde PAL von allen Methoden Karin Falkenberg, Fürth (Bayern) die ausgereifteste, da sie die bei NTSC oder SECAM auftretenden Qualitätsverluste oder Farbverzerrun- gen vermied.12

In Frankreich wurde das SECAM-Konzept staatlich unterstützt und ab dem Frühjahr 1965 war klar, dass auch in der Sowjetunion, in den Ostblockstaaten und in der DDR SECAM eingeführt werden würde. Die Unterstützer des PAL-Systems jedoch gewan- nen nach und nach die Mehrheit in Westeuropa.13 Am 25. August 1967 eröffnete Willy Brandt dann die Berliner Funkausstellung mit der Ankündigung, dass 8 Konrad Dussel: Deutsche Rundfunkgeschichte. Eine Einführung. das Farbfernsehen in Deutschland auf dem PAL-Sys- Konstanz 1999, S. 235f. tem basierte. Technisch kompliziert war es nach wie 9 Ebenda, S. 236. 10 Jürgen Overhoff: Farbe für Fernsehen und Wirtschaft. vor, denn »für die Bildröhrenlieferanten war die Farbe In: RuG Jg. 11 (1985/86), S. 324–340, hier S. S. 331. eine gewaltige Herausforderung, auch wirtschaftlich, 11 Walter Mayer: Wie der Fernsehempfänger unsere Wohnzimmer denn die weitaus kompliziertere Farbröhre war be- eroberte. In: Kleeblattradio 32 (2000), S. 32–41, hier S. 36. trächtlich teurer und verlangte ständige Anpassung 12 Sascha André Michael: Ein kleiner Knopfdruck für Willy Brandt, 14 ein großer Schritt in der Geschichte des Fernsehens. In: Rundfunk an die Marktwünsche.« Und: Die ersten Farbfern- und Museum 61 (2007), S. 16–19, hier S. 18. sehgeräte hatten einen hohen Leistungsverbrauch 13 Ebenda, S. 18f. mit starker Wärmeentwicklung, denn sie waren fast 14 Karl Tetzner: Das Herzstück des Fernsehempfängers ist das nur mit Röhren bestückt. Außerdem hing die Bild- Display. In: Rundfunk und Museum 54 (2005), S. 27–31, hier S. 28. qualität vom Aufstellungsort ab. Äußere Magnetfel- 15 Walter Mayer: Wie der Fernsehempfänger unsere Wohnzimmer eroberte. In: Kleeblattradio 32 (2000), S. 32–41, hier S. 36. der machten sich bei der Farbwiedergabe bemerk- 16 Konrad Dussel: Deutsche Rundfunkgeschichte. Eine Einführung. 15 bar, »man brauchte oft den Fachmann«. Aber in Konstanz 1999, S. 237. 58 Rundfunk und Geschichte 3–4 (2007)

Schallspuren in der Tonschreibekunst. fort gekündigt; allerdings sucht Edison künftig mit Zum Entstehungskontext des Phonographen seiner Vorstellungskraft nur mehr nach technischen Lösungen für eine verbesserte Empfangsqualität. Gegen Ende seiner fünf bewegten Berufsjahre als Statt also weiterhin einen Sinn in Pressemeldungen Telegraphist macht sich Thomas Alva Edison am 1. zu erzeugen, die in den Telegraphendrähten ver- August 1866 nach New Orleans auf, um von dort rauscht sind, verbleibt er nicht länger in einer Logik aus nach Brasilien auszuwandern. Er hat – wie es der Bedeutung, sondern wechselt die Seite von der damals für junge Telegraphisten üblich ist – seine Zeichen- zur Signalanalyse. Hier macht er sich dar- Dienste von einer der rasch wachsenden nordame- an, die Kernidee einer experimentellen Forschungs- rikanischen Städte zur nächsten weiterziehend an- methode abzuwandeln, die zum ersten Mal auch Si- geboten und dabei zahlreiche Stationen und ihre gnifikanten der Stimme jenseits der Schriftzeichen technischen Probleme kennengelernt.1 Die Nacht- dadurch erzeugt hat, dass sie Gesprochenes wie dienste am Telegraphen verbringt er häufig mit prak- jede andere akustische und physikalische Schwin- tischen Übungen, um seine eigenhändige Übermitt- gung aufzeichnet. lungsgeschwindigkeit im Morsecode zu erhöhen. In der Absicht, beruflich voranzukommen und aktu- Während seiner Telegraphendienste ist Edison näm- elle Pressenachrichten in Schnelltelegraphie nicht lich aufgefallen, dass viele Kommunikationsproble- nur empfangen, sondern auch versenden zu kön- me aus unterschiedlichen Übertragungsgeschwin- nen, eignet er sich die dazu nötigen Fähigkeiten digkeiten der Telegraphen-Nachrichten resultieren. selbst an. Als Nebeneffekt der telegraphischen Fin- Seine technische Lösung dieses operativen Pro- gerübungen kennt er sich im Tagesgeschehen der blems besteht bei seiner ersten Erfindung aus dem amerikanischen Politik bestens aus; an einem Wen- Jahre 1867 in der Speicherung der Nachrichten durch depunkt seiner Karriere kommt er sogar auf den Ge- einen Morseschreiber, der die Signale empfangen, danken, dieses Wissen in einer recht unkonventionel- auf einem bewegten Papierstreifen aufzeichnen und len Strategie zur Bekämpfung der technisch äußerst zeitversetzt in anderen Geschwindigkeiten erneut schlechten Übertragungsqualität der Telegramme senden kann.4 Daraus entwickelt sich sein erst zehn zu nutzen. Nachdem er nämlich den Plan zur Emig- Jahre später patentierter automatischer Telegraph. ration nach Brasilien gemeinsam mit zwei befreun- Das Vorhaben, dieses Gerät auch als ein Aufnah- deten Telegraphisten kurzfristig aufgeben muss, weil megerät für das soeben erfundene Telephon wei- ihr Schiff zur Überfahrt von New Orleans aus wegen ter entwickeln zu können, verbleibt zu Beginn in der dortiger Unruhen nicht zur Verfügung steht, kehrt apparativen Logik der Morseschreiber, deren Auf- Edison in die Stadt Louisville zurück. Während sei- zeichnungsmechanismus von Edison jedoch grund- ne beiden Reisegefährten statt nach Brasilien auf ei- sätzlich reversibel gestaltet wird, um die aufgezeich- nem Dampfer nach Vera Cruz landen und dort ange- neten Signale auch weiterleiten zu können. Da seine kommen an Gelbfieber sterben, erhält Edison seine weitere Erfindertätigkeit inhaltlich und strukturell erste Anstellung als Schnelltelegraphist für Presse- auf seinen Forschungen zum Telegraphen basiert, meldungen, bei der er die häufigen Empfangsstörun- nimmt es nicht wunder, dass schließlich auch der gen und daraus resultierende unvollständige Mittei- Phonograph – anfangs als ein telephonisches Zu- lungen mit den Mitteln der Phantasie bekämpft: »I satzgerät zur Aufnahme der Nachrichten konzipiert – was in a much better position than most operators analog zu den Problemen im öffentlichen Gebrauch to call on my imagination to supply missing words & des Telegraphen etwaige telephonische Empfangs- sentences which frequent in those days with old rot- störungen aufzeichnen soll, um aus der akustischen ten wires badly insulated especially on stormy nights Dokumentation womöglich doch noch Information – on these nights I had to supply in some cases 1/5 zu generieren. Vorgesehen ist sogar, dass professio- of the whole matter – pure guessing but I seldom got nelle Telephonisten von den Stimmaufnahmen dann caught except once.«2 Abschriften an die jeweiligen Auftraggeber des te-

Bei dem einen Mal, als er bei der kreativen Ergänzung einer Zeitungsmeldung erwischt wird, die er wegen eines Gewittersturms nur unvollständig empfangen 1 Vgl. Edwin Gabler: The American Telegrapher: A Social History, hat, handelt es sich um eine politische Versamm- 1860–1900. New Brunswick 1988. lung, deren Wahlen am Abend zuvor verschoben 2 Thomas A. Edison: The Papers of Thomas A. Edison, Bd. 1: wurden, während Edison das Wahlergebnis bereits The Making of an Inventor, February 1847–June 1873, hrsg. von Reese zu kennen glaubt und seiner empfangenen Nach- V. Jenkins. Baltimore – London 1989, S. 657. richt anfügt.3 Trotz dieser Verminderung des Signal- 3 »I filled in a paragraph about the convention & how the vote went as I was sure it would but the next day I learned that instead of there Rausch-Verhältnisses mit narrativen Mitteln wird er being a vote the convention had adjourned one day.« Ebenda, S. 658. vom Herausgeber des »Louisville Journal« nicht so- 4 Vgl. Paul Israel: Edison. A Life of Invention. New York 1998, S. 26f. Forum 59 lephonischen Nachrichtenverkehrs übermitteln und nographen bilden;10 der Apparat gibt jedoch zwei in Zweifelsfällen eben den akustischen Beleg ihres Tage zuvor bereits an ihn gerichtete Fragen verstö- Empfangs heranziehen können. Insofern orientiert rend deutlich wieder. Er funktioniert also, was Edison sich die Erfindung des Phonographen am Entwurf- und seine Mitarbeiter in Menlo Park zutiefst beun- sprinzip des automatischen Telegraphen: Während ruhigt: »I never was so taken back in my life. Every- Edison nämlich mit seinem Mechaniker Charles Bat- body was astonished. I was always afraid of things chelor an Telephonmembranen mit Mundstücken ar- that worked the first time.«11 Am 7. Dezember 1877 beitet, deren Schwingungen mit den Fingern spür- stellt Edison schließlich die Apparatur im Büro des bar sind, schlägt er vor, diese durch eine Vorrichtung »Scientific American« in New York erstmals öffent- in der Membranmitte auf Wachspapier aufzuzeich- lich vor und erstaunt die Redakteure mit der Durch- nen. Nach seinem Grundprinzip der Reversibilität sage, dass es ihm, dem Phonographen, gut gehe.12 folgert Edison: »,It would give us back talking when Die Zeitungen reagieren bis Anfang des Jahres 1878 we pulled the paper through the second time‘ – [...] enthusiastisch auf das neue Verfahren der Tonspei- Mr Edison sat down and putting his mouth to the cherung, das eine Vergänglichkeit des Klangs Ge- mouthpiece delivered one of our favorite stereoty- schichte werden lässt. Auch Edison erkennt in der ped sentences used in experimenting on the tele- euphorischen Medienresonanz in diesem Jahr die phone ,Mary had a little lamb‘ whilst I pulled the pa- enormen Marktchancen seines Apparats: »this is my per through – We looked at the strip and noticed the baby and I expect it to grow up to be a big feller and irregular marks, then we put it in again and I pulled it support me in my old age.«13 through as nearly at the same speed as I had pulled it in the first place and we got ,ary ad elll am‘ some- Bezogen auf die apparative Realisierung hegt Edison thing that was not fine talking, but the shape of it diese Hoffnungen mit guten Gründen, doch ein ers- was there«.5 ter Entwurf, um Schall aufzuzeichnen und wiederzu- geben, stammt bereits vom französischen Literaten Das innerhalb einer Stunde in der Werkstatt gefertig- und Erfinder Charles Cros. Am 30. April 1877 depo- te Modell bestätigt die prinzipielle Richtigkeit seiner Entwurfshypothese.6 Edison konzipiert den Phono- graphen vorderhand als Zusatzgerät zu Bells Tele- phon und benennt ihn daher in seiner berühmten, 5 Charles Batchelor: The Invention of the Phonograph. In: Thomas A. Edison: The Papers of Thomas A. Edison, Bd. 3: Menlo Park. ersten technischen Notiz im Labortagebuch vom 18. The Early Years, April 1876–December 1877, hrsg. von Reese V. Juli 1877 als »Speaking Telegraph«: »Just tried expe- Jenkins. Baltimore – London 1906/1994, S. 698–700, hier S. 699. riment with a diaphragm having an embossing point 6 Vgl. Paul Israel: Telegraphy and Edison’s Invention Factory. & held against parafin paper moving rapidly the spkg In: William S. Pretzer: Working at Inventing: Thomas Edison and the Menlo Park Experience. Dearborn, Mich. 1989, S. 66–83, hier S. 72f. vibrations are indented nicely & theres no doubt that 7 Thomas A. Edison 1994: Eintrag vom 18. Juli 1877, S. 444. I shall be able to store up & reproduce automatically 8 So benennt er die noch sehr an den automatischen Telegraphen at any future time the human voice perfectly.«7 erinnernde Apparatur am 12. August 1877 erstmals als Phonograph, den er mit einem Papierband zur Tonaufnahme konzipiert und am 7. September 1877 in einer unveröffentlichten Presseerklärung Nach dieser erstaunlichen Feststellung legt Edison beschreibt. Vgl. Ebenda, S. 494, 533. Offensichtlich scheint ihm seine seine Idee beiseite und beschäftigt sich weiterhin Idee aber im September 1877 noch nicht ausgereift genug, um sie mit Verbesserungen des Telephons, in deren Kon- öffentlich vorzustellen, wie auch die patentrechtliche Registrierung text sie entstanden ist. Während der nächsten fünf einer bereits öffentlich beschriebenen Erfindung nicht einfacher wird. Monate kommt er nur sporadisch auf das im Som- 9 Thomas A. Edison 1994: Eintrag im Labortagebuch von Charles Batchelor am 4. Dezember 1877, S. 656f. mer 1877 erfundene Verfahren der Tonspeicherung 10 Vgl. Thomas A. Edison 1918/1994: Brief vom 14. August 1918, 8 zurück. Anfang November ändert er schließlich die bezeugt von seinen Mitarbeitern C. B. Hanford, H. A. Altengarten und Aufnahme auf Paraffin-Papierstreifen in einen mit C. Bottomford, zit. nach Walter L. Welch & Brodbeck Stenzel Burt, Zinnfolie umgebenen Zylinder, von dessen Entwurfs- Leah: From Tinfoil to Stereo. The Acoustic Years of the Recording Industry 1877–1929. Gainesville 1994, S. 16. zeichnung der Mechaniker John Kruesi Anfang De- 11 Thomas A. Edison 1994, S. 696. zember 1877 in knapp sechs Tagen auftragsgemäß 12 »Thomas A. Edison recently came into this office, placed a little einen ersten Prototyp des Zylinderphonographen machine on our desk, turned a crank, and the machine inquired fertigstellt. Am 4. Dezember 1877 notiert Edisons as to our health, asked how we liked the phonograph, informed us that it was very well, and bid us a cordial good night.« Anonym (1877): technischer Assistent Charles Batchelor in seinem The Talking Phonograph. In: Scientific American, Bd. 37 (22. Labortagebuch zum Fortschritt der von ihm über- Dezember 1877), S. 384. wachten Konstruktion: »The machine [...] works well 13 Thomas A. Edison zit. nach: William Croffut: The Papa of the and the plain ,How do you get that‘ comes very plain- Phonograph. An Afternoon with Edison, the Inventor of the Talking ly.«9 Edison liegt viel an der Feststellung, dass seine Machines. In: New York Daily Graphic, vom 2. April 1878. Zit. nach: Thomas A. Edison: The Papers of Thomas A. Edison, Bd. 4: Stimme und das Kinderlied »Mary had a little lamb« The Wizard of Menlo Park 1878, hrsg. von Robert A. Rosenberg. am 6. Dezember 1877 die ersten Inhalte des Pho- Baltimore – London 1998, S. 213–220, hier S. 216. 60 Rundfunk und Geschichte 3–4 (2007) niert er in der Pariser Akademie der Wissenschaf- für die Verzögerungen bei der weiteren Entwicklung ten sein Konzept: »Procédé d’enregistrement et de des Phonographen nach seiner Erfindung im Juli reproduction des phénomènes perçus par l’ouïe,« 1877, denn Edisons Arbeiten an einer Verbesserung in dem er vorschlägt, die Spur einer vibrierenden des Telephons haben schlicht Vorrang. Den Phono- Membran auf einer berußten Scheibe aufzunehmen graphen beschreibt er daher als eine reine und ein- und sich dieser Spur ebenfalls zur Wiedergabe des fache Erfindung, die auf einer zufälligen Entdeckung Klangs zu bedienen.14 Das technische Problem sei- mittels Analogieschluss im Kontext seiner Arbeiten nes Paléophones besteht darin, die Spur des Schalls zur Verbesserung des Telephons beruhe, die wie- nicht nur graphisch auf der rotierenden Scheibe fest- derum auf seinen Arbeiten zur Aufzeichnung und er- zuhalten, sondern mittels eines photochemischen neuten Übertragung von Telegraphensignalen auf- Verfahrens auf einer Stahlscheibe so einzuprägen, ruhen.20 Damit liegt nahe, dass der Phonograph mit dass eine erhabene Linie entsteht. Diese soll dann den Ohren erfunden wurde, denn die Einschreibung ein Metallstift abtasten und seine Schwingungen von Stimmen auf bewegten Oberflächen war lange an die Membran übertragen, die sie erneut hörbar vor Edison bekannt. Auf die technische Möglichkeit macht: »Dans ces conditions, cette membrane sera einer Reversibilität dieses Prozesses weisen ihn die animée, non plus par l’air vibrant, mais par le tracé Geräusche hin, die bei der Sendung der aufgezeich- commandant l’index à pointe, d’impulsions exacte- neten Signale des automatischen Telegraphen im ment pareilles, en durées et en intensités, à celles Labor entstehen, wenn dessen Laufgeschwindigkeit que la membrane d’enregistrement avait subies.«15 geändert wird: »In manipulating this machine I found Aus der Spur des Klangs entwickelt der von Cros that when the cylinder carrying the indented paper konzipierte – aber nicht gebaute – Apparat also wie- was turned with great swiftness, it gave off a hum- derum der Dauer und Intensität der Aufnahme ent- ming noise from the indentations – a musical, rhyth- sprechende hörbare Schwingungen. In diesem Sin- mic sound resembling that of human talk heard in- ne attackiert das Paléophone wie der Phonograph distinctly.«21 das Monopol der Speicherung von Aussagen, wie es vordem das Schreiben besessen hatte. Ihre Schall- Einmal als »Epochenschwelle«22 benannt, lässt sich spuren sind nämlich »schlechterdings nicht zu en- am Phonographen paradigmatisch für eine genea- codieren.«16 logische Konzeption technischer Mediengeschich- te erkennen, dass dessen Entstehung keineswegs Dass sowohl Edisons als auch Cros’ Entwurf die verkürzt auf eine ,monotone Finalität‘ (Foucault) be- Spuren des Schalls jenseits der Schrift als Aus- gangspunkt wählen, ist ein wichtiger Hinweis darauf, dass ihre Konzeption innerhalb eines allgemeine- 14 »En général, mon procédé consiste à obtenir le tracé du va-et- ren Forschungskontextes aufblitzt. Während Edison vient d’une membrane vibrante et à servir de ce tracè pour reproduire seine Erfindung gleich mehrere Monate beiseite legt, le même va-et-vient, avec ses relations intrinsèques de durèes et beschränkt sich Cros ganz auf eine Papiermaschine, d’intensités, sur la même membrane ou sur une autre, appropriée à also nur auf die Konzeption, ohne sie auszuführen. rendre les sons et bruits qui résultent de cette série de mouvements.« Charles Cros 1877: Procéde d’enregistrement et de reproduction Entsteht der Phonograph somit gleichsam beiläufig, des Phénomènes perçus par l’ouie. In: Comptes Rendus de la rückt die zentrale medienhistorische Fragestellung Academie des Sciences, Bd. 85, S. 1082–1083, hier S. 1082. Der Brief nach seinem Entstehungskontext in den Vorder- an die Academie des Sciences stammt vom 16. April 1877, wurde am grund, die sich dezidiert als »Gegensatz zur Suche 30. April 1877 übergeben und in der Sitzung des 3. Dezember 1877 nach dem ,Ursprung‘«17 versteht, in deren Kontext verlesen. 15 Ebenda, S. 1083. in der technikhistorischen Literatur angesichts des 16 Friedrich Kittler: Grammophon Film Typewriter. Berlin 1986, S. 12. Phonographen vielmehr prioritäre Erfinder- und da- 17 Michel Foucault: Nietzsche, die Genealogie, die Historie. In: mit zumeist Patentstreitigkeiten mittels nationaler Ders.: Dits et Ecrits. Schriften, Bd. 2, hrsg. von Daniel Defert und Wertungsmaßstäbe ausgetragen werden. Ebenfalls François Ewald. Frankfurt/M. 1971/2002, S. 166–191, hier S. 167. 18 Vgl. Andre Millard: The Phonograph: A Case Study. auf den Ursprung einer linearen Genese gerichtet, In: Ders.: Edison and the Business of Innovation. Baltimore 1993, irrt die Frage, ob es sich beim Phonographen denn S. 63–87, hier S. 63. nun um eine Erfindung oder eher um eine Entde- 19 E. J. Edwards: Unsolved Problems that Edison is Studying. ckung handelt, in der Antwort, die sie erwartet.18 Viel- In: Scientific American, Bd. 69 (8. Juli 1893), S. 25. 20 Bei der Feier seines 46. Geburtstags erklärt Edison: mehr weist bereits Edisons Selbstverständnis seiner The Phonograph »was an invention pure and simple. No suggestion Tätigkeit der Forschung eine andere Richtung: »I am of it, so far as I know, had ever been made; and it was a discovery only a professional inventor. My studies and experi- made by accident, while experimenting upon another invention, that ments have been conducted entirely with the object led to the development of the phonograph.« Ebenda. of inventing that which will have commercial utili- 21 Thomas A. Edison: The Perfected Phonograph. In: North American Review, Bd. 146 (Januar–Juni 1888), S. 641–650, 19 ty.« Die oberste Maxime des Handelns, kommerzi- hier S. 643. ellen Nutzen zu erzielen, bildet denn auch den Grund 22 Friedrich Kittler 1986, S. 10. Forum 61 antwortet werden kann oder gar durch eine schlich- determiniert, als ein zentraler Faktor in den Fokus te Übertragung naturphilosophischer oder physika- kulturwissenschaftlicher Medienforschung: Wer- lischer Experimentalapparaturen auf unterhaltende den vom Phonographen nämlich »Sinnesdaten zum Zwecke erklärbar und deshalb medienwissenschaft- erstenmal speicherbar gemacht«, so gilt die Auf- lich ganz zu vernachlässigen wäre. Technische Me- merksamkeit fürderhin den Operationen der techni- dien besitzen zwar zumeist eine umfangreiche elek- schen Medien selbst als »Speicher, die akustische trotechnische oder experimentalphysiologische und optische Daten in ihrem Zeitfluss selber fest- Vorgeschichte, allerdings sind im Hinblick auf die halten und wiedergeben können.«25 Auditive Tech- medienhistorische Frage nach ihrem Entstehungs- nologien der Tonaufzeichnung verursachen in die- kontext gerade die Phasen der Übergänge und Brü- sem Zusammenhang »die wahrscheinlich radikalste che von Interesse, an denen zum einen neue Medi- aller sensorischen Reorganisationen der vergange- en konzeptionell gedacht werden, zum anderen als nen zwei Jahrhunderte«.26 Drei Prozesse treten bei Apparatur ihr Publikum konstituieren oder sich in ih- ihrer Analyse in der Vordergrund: Der Phonograph ren Formen wandeln. Insofern bietet der am 7. De- trennt den Körper von der Stimme, den Klang von zember 1877 erstmalig öffentlich vorgeführte Pho- der Geräuschquelle und die Mitteilung von der Zeit, nograph, der an diesem Tag bereits in eine zweite, in der sie geschieht. Eine Beschreibung dieser weit- experimentelle, nicht determinierte Phase der Aus- reichenden Konsequenzen der Tonspeicherung fin- formung seines medientechnischen Potentials ein- det sich bereits in einem Brief von Edisons Mitarbei- tritt, weiterhin einen spannenden Einblick in medi- ter für Pressekontakte, Edward H. Johnson, an den enwissenschaftliche Grundsatzfragen: in die nach »Scientific American« vom 17. November 1877, mit der Frühzeit technischer Medien, die nach ihrer Ana- dem Edisons Erfindung des Phonographen erstmals lyse, sowie die Frage, unter welchen Perspektiven öffentlich bekannt wird: »A speech delivered into the der Phonograph für die zeitgenössische Medienfor- mouthpiece of this apparatus may fifty years hence schung relevant ist. Dass alle diese Fragen mitein- – long after the original speaker is dead – be repro- ander zusammenhängen, verdeutlicht der Umstand, duced audibly to an audience with sufficient fidelity dass die medienwissenschaftliche Kehre innerhalb to make the voice easily recognizable by those who der Geisteswissenschaften in den 80er Jahren star- were familiar with the original.«27 Edisons erstes Axi- ke Impulse von einer Neubewertung des Phonogra- om des gerade begonnenen Phonographen-Zeital- phen erfahren hat. Nach der Hundertjahrfeier seiner ters lautet daher: »all that is vocal survives.«28 Indem Erfindung wieder in den Schall- und Technikarchi- der Phonograph jedes Geräusch und jeden Klang ven ruhend, eröffnet sich am Phonographen näm- in ihrer zeitlichen Sequenz aufzeichnen und fünfzig lich eine über die Spezialforschung zu Einzelmedien Jahre später wiedergeben kann, macht er darüber weit hinausgehende Perspektive: Er wird paradig- hinaus die Zeit selbst speicherbar und erfindet ge- matisch für technische Medien in Hinsicht auf ihre wissermaßen die Chronophonographie. Im engeren Umwälzungen der Schriftkultur neu in den Blick ge- (namentlichen) Sinne schreibt er Schall; durch seine nommen und speziell auf seine revolutionäre Rolle Operationen wird dem körperlos gewordenen Klang bei der »Auslöschung der buchstäblichen Ordnung« eine neue, dauerhafte Existenz im Phonogrammar- hin befragt: »Als am 6. Dezember 1877 in Edisons chiv gewährt. Ein Jahr nach seiner Erfindung be- Zentrallabor in Menlo Park die erste Sprechma- nennt Edison dementsprechend folgende essenti- schine der Welt hergestellt und damit der Anfang in elle Eigenarten des Phonographen: »1. The captivity der rasenden Entwicklung der Maschinen zur Auf- of all manner of sound-waves heretofore designated nahme, Speicherung und Wiedergabe von Schal- as ,fugitive‘, and their permanent retention. 2. Their lereignissen gemacht wird, ist mit einem Schlage reproduction with all their original characteristics at speicherbar, was Schrift als Medium jenes beson- deren Wissens verschweigt, um es als Stimme Got- tes, Stimme des Dichter-Autors oder als phänome- nologische Stimme die toten Buchstaben beseelen 23 Wolfgang Scherer: Babbelogik. Sound und die Auslöschung der 23 zu lassen.« Am Phonographen wird deutlich, dass buchstäblichen Ordnung. Frankfurt/M. 1983, S. 6. Kulturtheorie sich als Medientheorie zu denken gibt, 24 Friedrich Kittler: Aufschreibesysteme 1800/1900. München 1987, seit technische Medien reale optische und akusti- S. 235. 25 Friedrich Kittler 1986, S. 10. sche Ereignisse aufzeichnen: »Zum wahrhaft ersten 26 Vgl. John Durham Peters: Helmholtz und Edison. Zur Endlichkeit Mal hört Schreiben auf, mit serieller Datenspeiche- der Stimme. In: Friedrich Kittler, Thomas Macho und Sigrid Weigel rung synonym zu sein. Zur symbolischen Fixierung (Hrsg.): Zwischen Rauschen und Offenbarung. Zur Kultur- und von Symbolischem tritt die technische Aufzeich- Mediengeschichte der Stimme. Berlin 2002, S. 291–312, hier S. 292. nung von Realem in Konkurrenz.«24 Angesichts des 27 Edward H. Johnson: Letter to the Editor of the Scientific American. In: Scientific American, vom 17. November 1877, zit. nach Phonographen gerät so die Materialität technischer Thomas A. Edison 1994, S. 615–618, hier S. 616. Medien, die deren Inhalte oder Rezeptionsformen 28 Thomas A. Edison, zit. nach: William Croffut 1878, S. 218. 62 Rundfunk und Geschichte 3–4 (2007) will, without the presence or consent of the original die signifikante Transformation ermöglicht, nach der source, and after the lapse of any period of time.«29 eine »undulated line« den anderen Zustand eines Klangs bilden kann. Zu dessen Aufzeichnung sieht Mit dem Phonographen beginnt daher »eine Tech- Young eine Trommel vor, deren Oberfläche entweder nisierung von Information«,30 er steht als Tonschrei- mit Papier oder mit Wachs überzogen wird und die ber in einer langen Entwicklungsreihe technischer zu einem Instrument für die Messung von Schwin- Medien zur Aufzeichnung von Sinnesdaten, kann al- gungsphänomenen gehört, die dem menschlichen lerdings nicht vollständig aus dieser Vorgeschichte Auge zuvor unsichtbar blieben. Sein »Chronome- erklärt werden. Vielmehr fehlt Edison nach eigenen ter« kann Schwingungen von 1/1000 Sekunde auf- Worten ein apparatives Konzept, das rückblickend zeichnen, so dass durch die Messgenauigkeit an so nahe gelegen hat und von Cros zuvor bereits for- den graphischen Zeichen ablesbar wird, wie viele muliert wurde, bis zum Moment seiner Konstruktion. Schwingungen eine Klaviersaite bspw. pro Sekun- Auch Alexander Graham Bell bedauert angesichts de exakt ausführt. Young beschreibt die Tromme- des Phonographen mit dem Ausdruck des Erstau- loberfläche seiner Apparatur wie folgt: »Its surface, nens, »that I could possibly have let this invention slip being smooth, may be covered either with paper or through my fingers when I consider how my thoughts with wax, and a pencil or a point of metal may be have been directed to this subject for so many ye- pressed against it by a fine spring, so as to descri- ars past. So nearly did I come to the idea that I had be always a spiral line on the barrel, […] [b]y means stated again & again in my public lectures the fun- of this instrument we may measure, without difficulty, damental principles of the Phonograph. In showing the frequency of the vibrations of sounding bodies, to an audience the tracings produced by the Phon- by connecting them with a point, which will descri- autograph I had said if the motions indicated by the be an undulated path on the roller.«35 curves could be produced mechanically in any way the sounds would be audible.«31 Der Phonograph Die apparative Registrierung von Schwingungsphä- gibt sich insofern eingebettet in eine übergreifende nomenen dieses Instruments bezeichnet Young als Forschungsfragestellung nach der genaueren Beo- »Spuren, die einen korrekten Index der jeweiligen bachtung von Bewegungsphänomenen jeder Art zu Bewegungen in der Zeit aufzeichnen«. Aus dieser denken, in deren Fortgang die graphische Metho- Feststellung ergibt sich die besondere Eignung der de in einer Genealogie der exakten Messmethoden graphischen Methode für die Messung akustischer entwickelt wird: Bezogen auf akustische Phänome- Phänomene zur Frequenzbestimmung sowie allge- ne ist es um das Jahr 1800 längst üblich, auch den mein als Methode, um das Leben zu schreiben.36 In Schall als Bewegung zu definieren, wie es etwa der diesem Sinne stellen fortan die Schallschwingun- britische Naturphilosoph Thomas Young in seinen gen der Stimme nur mehr eines der vielen messba- berühmten Vorlesungen »Lectures on Natural Philo- ren Bewegungsphänomene des menschlichen Kör- sophy and the Mechanical Arts« formuliert: »Sound pers dar. is a motion capable of affecting the ear with the sen- sation peculiar to the organ.«32 Young referiert da- mit den zeitgenössischen Wissensstand, um daraus 29 Thomas A. Edison 1878: The Phonograph and Its Future. auf der bedeutungsvollen Spur der Bewegung ein In: North American Review, Bd. 126 (Mai–Juni 1878), S. 527–536, wissenschaftshistorisch relevantes, universales For- hier S. 530. schungsinstrument zur Aufzeichnung und Visualisie- 30 Friedrich Kittler 1986, S. 4. rung flüchtiger Phänomene zu entwickeln:33 »The si- 31 Alexander Graham Bell: Brief an Gardiner Hubbard vom 18. März 1878. In: Thomas A. Edison 1998, S. 185–188, hier S. 185. tuation of a particle at any time may be represented 32 Thomas Young: A Course of Lectures on Natural Philosophy and by supposing it to mark its path, on a surface sliding the Mechanical Arts. Bd. 1, (Lecture XXXI: On the Propagation of uniformly along in a transverse direction. Thus, if we Sound). London 1807, S. 369–377, hier S. 367. fix a small pencil in a vibrating rod, and draw a sheet 33 In einem umfassenden Sinne entwirft dann der französische Physiologe Etienne-Jules Marey die graphische Methode als of paper along, against the point of the pencil, an un- zentrales Instrument experimenteller Forschung. Vgl. Etienne-Jules dulated line will be marked on the paper, and will cor- Marey: La méthode graphique dans les sciences experimentales et rectly represent the progress of the vibration. Whate- principalement en physiologie et en médicine. Paris 1881. ver the nature of the sound transmitted through any 34 Thomas Young 1807, S. 369. 35 Thomas Young 1807, (Lecture XVII: On Timekeepers), S. 191. medium may be, it may be shown that the path thus 36 Zur Einführung und Entwicklung der graphischen Methode described will also indicate the situation of the diffe- seit Carl Ludwigs Kymographen aus dem Jahre 1847 vgl. Soraya rent particles at any one time.«34 de Chadarevian: Die ,Methode der Kurven‘ in der Physiologie zwischen 1850 und 1900. In: Michael Hagner: Ansichten der Young stellt sich in einer mechanischen Analogie Wissenschaftsgeschichte. Frankfurt/M. 2001, S. 161–188; zu dessen Vorgeschichte vgl. Hebbel E. Hoff / L. A. Geddes: Graphic vor, dass die Spur der Schallbewegung über einen Registration before Ludwig: The Antecedents of the Kymograph. In: kontinuierlichen Partikelstrom erzielt wird, der erst Isis, Bd. 50, Nr. 159 (März 1959), S. 5–21. Forum 63

Ein physikalisches Standardwerk zur Wellenlehre, zur Frequenzanalyse einzusetzen. Nachdem Weber das auf experimentellen Studien zur Optik und Akus- die Differenz zwischen Bewegungen und Empfin- tik beruht, wird vom Leipziger Physiker Wilhelm We- dungen als zentrales Thema der Akustik beschrie- ber – noch in seiner Studienzeit – gemeinsam mit ben hat,41 kann er auf die nach seiner Wellenlehre seinem älteren Bruder Ernst Heinrich Weber erarbei- entscheidende Frage, wie man einer »erfahrungs- tet.37 Ihre Experimente zeigen deutlich, dass Schwin- mäßigen Bestimmung und Vergleichung der Wellen- gungsphänomene häufig »einen einzigen gemein- zahl größere Zuverlässigkeit und Präcision verschaf- schaftlichen verworrenen Gesammteindruck auf fen kann,« eine neue Lösung angeben: »Während die besonders hierzu organisirte Sinnorgane unseres Wellen selbst schnell vorübergehen, können doch Körpers« machen und dadurch die Ursache bilden optische Erscheinungen hervorgebracht werden, »von eigenthümlichen Empfindungen, die uns keine die einige Zeit dauern und in Ruhe beobachtet wer- Vorstellung von den kleinen und schnellen Schwin- den können: [...] Bewegt man eine schwingende Fe- gungen verschaffen, durch die die Empfindungen der, oder die Schneide eines Messers, dicht über veranlasst werden. So veranlassen die schnellen Un- eine Platte hinweg, so dass sie dieselbe bei jeder dulationen der Materie die Empfindung des Schalls Hinschwingung berührt, so wird sie, wenn die Ober- und seiner Modifikationen, der Töne, und die Seele fläche der Platte weich ist, nach jeder Berührung ei- ist sich des wahren Vorgangs bei der Wahrnehmung nen Eindruck in der Platte zurücklassen. Misst man der Töne so wenig bewusst, dass man sich der Mu- den Abstand dieser Eindrücke von einander, und di- sik lange gefreut haben kann, ohne zu wissen, dass vidirt ihn mit dem Raume, den die schwingende Fe- es Erzitterungen der Körper sind, die uns dieses Ver- der mit gleichmäßiger Geschwindigkeit in einer Se- gnügen verschaffen.«38 Sinneswahrnehmungen be- cunde zurücklegt, so giebt der erhaltene Bruch die reiten Vergnügen, kommen den ,wahren Vorgängen‘ Dauer einer Doppelschwingung in Theilen einer Se- allerdings nur selten wirklich näher. In dem Maße, cunde an.«42 wie sich zwischen Naturphänomenen und unserem sinnlichen Erkenntnisvermögen ein Illusionsverhält- Ein ähnliches Prinzip führt der »Vibrograph« von Jean nis zu erkennen gibt, werden die Sinnesorgane aus Marie Constant Duhamel vor, der bereits auf einem den Verfahren naturwissenschaftlicher Erkenntnis- sich drehenden Zylinder Töne schreibt und vom Pa- bildung ausgeschlossen. Hören wie Sehen wird an riser Konstrukteur für akustische Instrumente, Ru- Apparaturen delegiert, die durch Manipulation der dolph König, zu einem Aufzeichnungsgerät weiter Zeitachse wahrnehmbare Sinnesdaten prozessieren, entwickelt wird, das auf berußtem Papier auf einem denn die Schwingungen sind »zu klein, und werden Messingzylinder Klänge und deren Schwingungs- zu schnell vollbracht, oder schreiten zu schnell fort, dauer mittels eines Elektromagneten aufzeichnet. um noch Eindrücke auf unsere Sinne zu machen, die Zahlreiche weitere dieser Apparaturen werden in die Seele deutlich voneinander unterscheiden, und Physiologie, Akustik und Physik entwickelt, sie kop- so jede einzelne Schwingung oder Welle in ihrem peln zunehmend experimentelle Erkenntnisse an ih- ganzen Vorgange wahrnehmen könnte.«39 ren Nachweis durch die graphische Methode. So stellt Édouard Léon Scott de Martinville im Jahre Bereits im Jahre 1825 beschreiben Wilhelm und 1857 seinen bekannten Phonautographen an der Pa- Ernst Heinrich Weber die sinnliche Naturwahrneh- riser Akademie der Wissenschaften vor, der zu dem mung nicht länger als ein erkenntnistheoretisches, Stichel und der Membran Youngs noch einen sich sondern vielmehr als ein entwicklungsphysiologi- drehenden, mit Rußpapier bespannten Zylinder hin- sches Thema, in dessen Kontext es eben zu den Ei- zufügt, um gesprochene Sprache in graphische Auf- gentümlichkeiten der Naturphänomene gehört, dass sie »in gewissen Sinnorganen durch den verworre- nen Eindruck mehrerer Schwingungen eigenthümli- che Empfindungen hervorrufen, und dadurch Bedin- 37 Vgl. Ernst Heinrich Weber / Wilhelm Weber: Wellenlehre, 40 auf Experimente gegründet, oder über die Wellen tropfbarer gungen der Möglichkeit gewisser Sinne werden«. Flüssigkeiten mit Anwendung auf die Schall- und Licht-Wellen. In: Die »Wellenlehre« führt bereits zahlreiche Graphen Wilhelm Weber: Werke Bd. 5. Berlin 1825/1893. der jeweilig untersuchten Phänomene als Belege an, 38 Ernst Heinrich Weber / Wilhelm Weber 1825/1893, S. 17. während Wilhelm Weber das Prinzip der apparativ 39 Ebenda. 40 Ebenda, S. 18. visualisierten Erkenntnis von Schwingungsphäno- 41 »Wir haben es aber in der Akustik nicht blos mit Bewegungen menen einige Jahre später in seinen Phonautogra- (sey es unseres Hörorgans selbst, oder der dasselbe umgebenden phen integriert, der nach Youngs Prinzip einen Stift Körper), sondern auch mit Empfindungen zu thun, – und gerade die an einem schwingenden (tönenden) Körper anbringt Relationen zwischen beiden wollen wir kennen lernen.« Wilhelm – einer Stimmgabel beispielsweise, um auf einer be- Weber: Akustik. In: Encyclopädie der gesammten musikalischen Wissenschaften oder Universal-Lexicon der Tonkunst, hrsg. von rußten und kontinuierlich bewegten Platte Schwin- Gustav Schilling, Bd. 1, Stuttgart 1835, S. 99–119, hier S. 100. gungskurven aufzuzeichnen und so die Tonschrift 42 Ebenda, S. 111. 64 Rundfunk und Geschichte 3–4 (2007) zeichnungen zu verwandeln. Dabei geht es Scott nen Eindruck mehrerer Schwingungen« nicht länger um eine »Sténographie naturelle«, eine automecha- nur mittels »optischer Erscheinungen« analysieren nische Wandlung der Worte in ihre naturnotwendi- zu können, sondern vielmehr das analytische Hören gen Zeichen, während sein Apparat Schallspuren im Zeitalter technischer Medien als Mittel der For- vor jeder Schrift aufzeichnet. So geht auch Edison schung zu rehabilitieren: Vom Akustisch-Unbewuss- von dem Gedanken aus, »that the sound-waves set ten erfahren wir erst durch den Phonographen, in going by a human voice might be so directed as to dessen Vernehmen erneut handgreiflich wird, »dass trace an impression upon some solid substance,« 43 an die Stelle eines vom Menschen mit Bewusstsein allerdings konzipiert er diesen Analysevorgang als durchwirkten Raums ein unbewusst durchwirkter reversibel: Da sich die Schallspuren der aufgezeich- tritt.«47 neten Daten abtasten lassen, kann jeder Klang aus Daniel Gethmann, Graz seiner Aufzeichnung reproduziert werden. Dadurch entsteht im Unterschied zu den früheren Apparaten zur graphischen Schallaufzeichnung ein akustisches Vom Arbeiter zum Tänzer. Forschungsinstrument zur Soundanalyse, das auch Mechanik und Performanz in Charlie Chaplins vom Ohr nicht wahrgenommene Klänge aufzeichnet. »Modern Times« Insofern konstituiert der Phonograph aus der expe- Eine komiktheoretische Neusichtung rimentellen Beobachtung, die überhaupt erst zu sei- mit Bergson und Bazin ner Erfindung geführt hat – »Tonhöhe als abhängi- 44 ge Variable der Laufgeschwindigkeit« anzusehen 1. »Überleben angesichts der Goliaths dieser Welt« – ein neues Verfahren der auditiven Erkenntnisge- winnung: »[W]e are now able to register all sorts of »Motive«, lesen wir in Siegfried Kracauers »Theo- sound and all articulate utterance – even to the ligh- rie des Films«, »sind dann filmgemäß, wenn sie mit test shades and variations of the voice – in lines or der einen oder anderen Eigenschaft des Films iden- dots which are an absolute equivalent for the emis- tisch sind oder aus ihr hervorwachsen.«1 Unter an- sion of sound by the lips; so that, through this con- derem für das David-Goliath-Motiv könne dies gel- trivance, we can cause these lines and dots to give ten, das in Kracauers materialen und hochgradig forth again the sound of the voice, of music and all normativen Ästhetik als ein inhaltliches Korrelat ei- other sounds recorded by them, whether audible or nes kinematografischen Verfahrens begriffen wird: inaudible […], and can then raise the pitch until we der Nahaufnahme. Während Letztere nämlich deut- hear a reproduction from them. Similarly, vibrations lich mache, »daß das Kleine alles andere als unwe- above the highest rate audible to the ear can be re- sentlich ist, daß es an Wucht die großen Dinge und corded on the phonograph and then reproduced by Ereignisse, die das Auge fesseln, zu erreichen, ja zu lowering the pitch, until we actually hear the record überbieten vermag«, demonstriere die Geschichte of those inaudible pulsations.«45 von David und Goliath, daß Größe und Stärke einan- der nicht direkt proportional sind; daß im Gegenteil Aufgrund dieser über die bloße Aufnahme und Wie- das vermeintlich Kleine und Schwache prahlerischer dergabe des Klangs weit hinausgehenden Eigen- Größe oft überlegen ist.«2 schaft bemerkt Edison zum epistemologischen Stel- lenwert des Phonographen: »In fact, the phonograph Es verwundert nicht, dass der Autor im direkten will do, and does at this moment accomplish, the Anschluss daran auf Chaplins Tramp zu sprechen same thing in respect of conversation which instan- kommt, der ihm offenbar als die filmische David-Fi- taneous photography does for moving objects«.46 gur schlechthin gilt. Ihr eindrucksvollster Charakter- Wo die Moment- und in ihrer Nachfolge die Chrono- zug sei, so heißt es, »ein wahrhaft ununterdrückba- photographie rasche Bewegungssequenzen in ihrer res Talent zum Überleben angesichts der Goliaths zeitlichen Abfolge überhaupt erst sichtbar werden dieser Welt«3 – ein Talent, das dem Tramp wieder und lässt, macht der Phonograph erstmals die Zeit hör- wieder attestiert wurde, zuletzt von Joan Mellen und bar und ermöglicht dadurch, die »eigenthümlichen Empfindungen hervorgerufen durch den verworre-

1 Siegfried Kracauer: Theorie des Films: Die Errettung der äußeren Wirklichkeit. Frankfurt/M. 1985 (11960), S. 356. 43 Thomas A. Edison 1888, S. 642. 2 Ebenda, S. 366. 44 Friedrich Kittler 1986, S. 46. 3 Ebenda. Vgl. auch Joan Mellen, die die David-Goliath-Geschichte 45 Thomas A. Edison 1888, S. 642. als »mythic underpinning of all of Chaplin‘s films« apostrophiert. 46 Thomas A. Edison 1888, S. 648. Joan Mellen: Modern Times. London 2006, S. 7. Dass die Predigt des 47 Walter Benjamin: Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen sich als Pfarrer ausgebenden Charlie in »The Pilgrim« (1923) dem Reproduzierbarkeit. (3. Fassung). In: Ders.: Gesammelte Schriften, biblischen Kampf gewidmet ist, soll an dieser Stelle nicht unerwähnt Bd. I. 2: Abhandlungen. Frankfurt/M. 1974, S. 471–508, hier S. 500. bleiben. Forum 65

Thomas Koebner. Erstere hebt die »endless capaci- zu wird sich eines komiktheoretischen Ansatzes be- ty for survival«4 der Chaplinschen Figur hervor, Ko- dient, der auf den ersten Blick antiquiert anmuten ebner hingegen spricht von »de[m] ungeachtet aller mag, und zwar insofern, als er Überlegungen auf- Widrigkeiten Unversehrte[n] und Unversehrbare[n], nimmt und weiterführt, die bereits auf das Jahr 1948 de[m] Unverwüstliche[n] und Unverwundbare[n], datieren, deren beachtliche Weitsicht allerdings von de[m] ewig Überlebende[n]«,5 wobei er diesen nicht der Chaplin-Forschung – soweit ich sehe – bislang zuletzt über einen eng geführten Vergleich mit Buster noch nicht zur Kenntnis genommen wurde. Sie stam- Keatons Helden näher charakterisiert; und zwar als men von André Bazin, der Chaplins Kunst bekannt- jemanden, der nicht, wie Buster, die Zustimmung der lich über die Maßen schätzte, »The Pilgrim« gar zu Macht bzw. soziale Anerkennung zu gewinnen und den zehn besten Filmen aller Zeiten zählte.8 sich der etablierten Gesellschaft anzupassen sucht, sondern stattdessen immer wieder offen zu ihr auf 2. Bazin und Bergson Konfrontationskurs geht – als Nonkonformist par ex- cellence und Herr seiner selbst, für den Assimilati- Folgt man Bazin, so schlägt sich die für den Tramp on keine Handlungsoption darstellt. Diese durchaus charakteristische Autonomie gegenüber dem Zugriff heroisch zu nennende Verweigerungshaltung sei es, der Gesellschaft und ihrer Normen, Rituale und Ab- die den Tramp letzten Endes zum Verlierer, genauer: laufsroutinen in jeder seiner Handlungen nieder; be- zum Verlierer der Moderne werden lasse. sonders augenfällig aber im Dinggebrauch, der im- mer wieder hochgradig unorthodoxe Züge annimmt Man wird sich schwer dabei tun, die grundsätzliche – man denke hier nur an die Straßenlaterne aus »Easy Stichhaltigkeit von Koebners – freilich nicht eben Street« (1917), die als Narkosemaske zweckentfrem- neuen – These zu leugnen, welche ihre eindringlichs- det wird, um einen Gegner außer Gefecht zu set- te Bestätigung möglicherweise mit »Modern Times« zen, oder aber den Lampenschirm aus »The Ad- (1936), dem letzten Tramp-Film, erfährt. Vor dessen venturer« (1917), mittels dessen sich Charlie in eine Produktion, so gab sein Regisseur in einem Inter- Stehlampe verwandelt, wodurch er seine Verfolger view zu Protokoll, habe er sich gefragt, »what would täuscht.9 Doch trete, so Bazin, das Außenseitertum happen to the progress of the mechanical age if one des Tramps auch in der eigenwilligen Mechanik zu- person decided to act like a bull in a china shop ... tage, die sich von Zeit zu Zeit in seinen Bewegungen I decided it would make a good story to take a litt- einnistet und dazu führt, dass sich diese auf komi- le man and make him thumb his nose at all the re- sche Weise von den Anforderungen der Wirklichkeit cognized rules and conventions.«6 Recht subtil wird dissoziieren. Um Letzteres zu exemplifizieren, erin- ebendies bereits in der polemischen Eingangsmon- nert Bazin an eine Szene aus »Easy Street«, in der tage des Films angedeutet: Unmissverständlich an der Protagonist von einem hünenhaften Raufbold, Eisenstein geschult, setzt sie die zur Arbeit strömen- einem Paradebeispiel jener oben angesprochenen den Massen mit Schafen gleich,7 wobei das eine »Goliaths dieser Welt«, durch ein Zimmer gejagt wird, schwarze Tier, das sich inmitten seiner weißen Art- wobei ein in der Raummitte stehendes Bett die bei- genossen ausmachen lässt, auf den Protagonisten den Kontrahenten voneinander trennt: »Dann folgt vorausweist, dem es im Laufe der Handlung zu kei- eine Reihe von Täuschungsmanövern, in deren Ver- ner Zeit gelingen wird, sich in die modernen Arbeits- lauf jeder auf seiner Seite des Bettes hin und her abläufe einzufügen, der sich stattdessen immerfort läuft. Nach einer Weile hat Charlie sich trotz der fort- als schwarzes Schaf unter seinen Kollegen erwei- bestehenden Gefahr so an diese provisorische Ver- sen wird – ob im Varieté, wo er andere Kellner samt Tablett zu Fall bringt und anschließend eine gebra- tene Ente, anstatt sie dem Gast zu servieren, an ei- 4 Ebenda, S. 14. nem Kronleuchter aufspießt; ob auf der Werft, wo er 5 Thomas Koebner: Vom Kunststück des Überlebens: ein noch im Bau befindliches Schiff vom Stapel lau- Vermischte Beobachtungen zu den Filmen von Chaplin und Keaton. In: Ders. (Hrsg.): Chaplin – Keaton: Verlierer und Gewinner der fen lässt und dadurch versenkt, oder aber in der Fa- Moderne. München 2006, S. 9–36, hier: S. 24. brik, die er durch einen Maschinensturm ganz eige- 6 Zitiert nach Julian Smith: Chaplin. Boston 1984, S. 98. ner Art ins Chaos stürzt. 7 An dieser Stelle sei angemerkt, dass Chaplin seinen Film ursprünglich »The Masses« betiteln wollte, von diesem Vorhaben aber schließlich Abstand nahm, nicht zuletzt um den gegen ihn Was diesem Maschinensturm vorangeht und wie er mit schöner Regelmäßigkeit ins Feld geführten Vorwürfen, er stünde im Einzelnen abläuft, soll im vorliegenden Beitrag en dem Kommunismus nahe, nicht zusätzlich Nahrung zu geben. Vgl. détail diskutiert werden, wobei es mir zentral dar- hierzu vor allen Dingen Mellen: Modern Times, S. 26–27, aber auch um geht, über die Beschäftigung mit dem einzelnen Kenneth S. Lynn: Charlie Chaplin and His Times. New York 1997, S. 368. Werk den in der filmwissenschaftlichen Forschung 8 Vgl. André Bazin: Was ist Film? Berlin 2004 (11975), S. 417. 9 Vgl. hierzu André Bazin: Charlie Chaplin. (urspr. 1948) noch immer einigermaßen verwischten Konturen der In: Wilfried Wiegand (Hrsg.): Über Chaplin. Zürich 1978, S. 136–148, Körperkomik zusätzliche Schärfe zu verleihen. Hier- hier: S. 137–138. 66 Rundfunk und Geschichte 3–4 (2007) teidigungstaktik gewöhnt, daß er, statt seine Bewe- Bergsons Worte in Rechnung gestellt, kann es kaum gungen nach denen seines Gegners auszurichten, überraschen, dass der Philosoph bereits so man- schließlich auf seiner Seite unabhängig hin und her ches Mal als komiktheoretischer Gewährsmann be- läuft, als sei dieses Verhalten in sich selbst ausrei- müht wurde, wenn es an die Diskussion von »Modern chend, um jede künftige Gefahr abzuwehren. Natür- Times« und speziell dessen Fabrik- bzw. Fließbands- lich braucht der andere Mann, wie blöd er auch sein zenen ging. Über generalisierende, allein das Offen- mag, nichts weiter zu tun, als seinen Rhythmus um- sichtliche benennende Statements kam man dabei zustellen, um Charlie geradewegs in seine Arme lau- aber freilich bislang nicht hinaus. So belässt es Ken- fen zu lassen.«10 neth S. Lynn bei dem Hinweis, in der Fabrik gebe Charlie »a textbook example«14 der Bergsonschen Mustergültig zeige die Szene, so fährt der Filmkritiker Mechanisierungsthese ab, während Vittorio Hösle fort, dass im Gegensatz zum ,normalen‘, sozial inte- Chaplins Film kurzerhand (und ohne tiefer gehende grierten Menschen, der sein Handeln auf die jeweili- Begründung) superlativisch als »die Bergsonschs- gen Wirklichkeitsansprüchen fortwährend abstimmt te aller Komödien« apostrophiert, deren »überwälti- und auf Veränderungen flexibel reagiert, Charlie gende Komik [...] der Unterwerfung eines lebendigen dazu neigt, Letzteren mit Verhaltensweisen zu be- Menschen unter die Mechanismen von Maschinen gegnen, die für bereits zurückliegende Situationen und der Industriegesellschaft im allgemeinen, [...] geeignet waren, ihre operationale Tauglichkeit mit- also der Verdinglichung einer Person [entstammt].«15 tlerweile aber verloren haben, das heißt, den einmal Implizit profiliert dies auch Karlheinz Stierle, wenn- eingeschlagenen Weg konsequent fortzusetzen, ob- gleich seine Auseinandersetzung mit »Modern Ti- gleich ihn ein Hindernis zwischenzeitlich unbegeh- mes« letzten Endes vor allen Dingen dazu dient, die bar hat werden lassen. Es ließe sich folglich von ei- eigene These von der Komik des fremdbestimm- ner Tendenz zur Starre bzw. Trägheit sprechen, in der ten Handelns zu veranschaulichen – eine These, die Bazin nichts Geringeres als »Charlies Erbsünde, sei- Stierle in expliziter Absetzung von Bergson entfal- ne dauernde Versuchung«11 ausmacht. tet: Wenn Letzterer das Komische als etwas Mecha- nisches definiert, welches »als Kruste über Leben- So überzeugend Bazins Einlassungen auch sein digem«16 wirksam werde, dann mache er sich einer mögen, so bemerkenswert ist es, dass in ihnen unzulässigen Verabsolutierung schuldig, denn, so Henri Bergson mit keinem Wort Erwähnung findet. führt Stierle aus, »[n]icht jede, einem Lebendigen Schließlich stehen die komiktheoretischen Überle- auferlegte Mechanik ist komisch, sondern nur eine gungen, die dieser in seiner 1900 erschienenen Ab- ,Mechanik‘, die als fremdbestimmte, einer Hand- handlung »Das Lachen« vorlegt, der Argumentation lungsintention zuwiderlaufende sinnfällig wird.«17 des Filmkritikers überaus nahe; ja, es ist nicht über- Folglich sei denn auch der am Fließband stehende trieben, Bazins Darstellung und Interpretation der Charlie, wiewohl er mechanisch agiere, noch nicht »Easy Street«-Szene als ganz und gar Bergsonsch komisch. Dies werde er erst, wenn er die ganz und zu bezeichnen. Man betrachte zum Vergleich Berg- gar internalisierten Bewegungen auch situations- sons Ausführungen zur Wirkung der viel bemühten abstrakt nach vollendeter Arbeit fortsetzt. Auf die- komischen ,Urszene‘ von dem Mann, der die Stra- se Weise werde »die Komik der Fremdbestimmtheit ße entlanggeht und plötzlich über einen Stein stol- gleichsam aus ihrer Latenz gehoben.«18 pert. Das Malheur geschieht, führt der Philosoph aus, weil »aus mangelnder Gelenkigkeit, Zerstreut- heit oder Widerspenstigkeit des Körpers [...] nach 10 Ebenda, S. 144. dem Gesetz der Trägheit die Muskeln ihre frühere 11 Ebenda, S. 145. Bewegungstätigkeit fortgesetzt [haben], während 12 Henri Bergson: Das Lachen. Meisenheim am Glan 1948 (11900), die veränderten Umstände es anders geboten.«12 S. 11. Mit anderen Worten: Wie der verfolgte Charlie hat 13 Ebenda, S. 21. Etwas weiter unten greift Bergson diese These erneut auf, wenn er konstatiert: »Das Komische ist die Seite im es der Mann an Elastizität und Geschmeidigkeit ver- Menschen, mit der er einer Sache ähnelt, die Ansicht menschlicher missen lassen, ist er zum Opfer eines in ihm stur wei- Vorgänge, die durch ihre eigenartige Starrheit schlechtweg terarbeitenden Mechanismus geworden, wodurch eine Imitation des Mechanismus, des Automatismus, kurz der er selbst uns als ein solcher erschien. Und eben unlebendigen Bewegung darstellt.« Ebenda, S. 50. 14 Lynn 1997, S. 373. hierin gründe die Lächerlichkeit seines Sturzes, so 15 Vittorio Hösle: Woody Allen: Versuch über das Komische. Bergson, dessen berühmtes Axiom zur Körperko- München 2005 (12000), S. 32. mik an dieser Stelle noch einmal zitiert sei: »Stel- 16 Bergson 1948, S. 26. Vgl. auch ebenda, S. 31 und 35. lungen, Gebärden und Bewegungen des mensch- 17 Karlheinz Stierle: Komik der Handlung, Komik der lichen Körpers sind in dem Maße komisch, als uns Sprachhandlung, Komik der Komödie. In: Wolfgang Preisendanz und Rainer Warning (Hrsg.): Das Komische. München 1976, S. 237–268, dieser Körper dabei an einen bloßen Mechanismus hier: S. 239. 13 erinnert.« 18 Ebenda. Forum 67

Fraglich ist nun allerdings, ob nicht auch Stierle aus. Es gilt ihm, wie es bei Theodor Barisch äußerst seinerseits verallgemeinert, wenn er allein die als treffend heißt, als ein gesellschaftlicher »Habt-Acht- fremdbestimmt und intentionskonträr erkennbare Ruf«.23 Das Bergsonsche Lachen, so lässt sich re- Mechanik als komisch bezeichnet. Denn ist nicht sümieren, ist ein Verlachen, das nicht, wie etwa bei die Wiederholung des immer gleichen Handgriffes Thomas Hobbes, im Dienste der Selbstaffirmation, am Fließband sehr wohl schon moderat – also nicht sondern der sozialen Reibungslosigkeit steht. nur latent – komisch, da wir ihre unnatürliche, dem ,lebendigen Leben‘ widersprechende Starre nicht Wendet man sich vor der Folie dieser These den Fa- übersehen können? Muss man Hösle nicht zustim- brikszenen von »Modern Times« zu, so wird schnell men, wenn er erklärt, der preußische Stechschritt offenkundig, dass sich deren satirischer Impetus – sei bereits an sich lächerlich, weil er in all seiner Chaplin galt sein Film als »satire on the factory sys- Mechanik so offensichtlich im Gegensatz zur na- tem«24 – über weite Strecken nicht direkt, sondern türlichen und damit vernünftigen Bewegung steht vermittelt entfaltet. Schließlich lachen wir, zumal am (»es ist nicht vernünftig, sich zu weigern, die Knie Anfang, zunächst einmal über den Protagonisten, zu beugen, da sie ein wesentliches Organ der Fort- der sich innerhalb des Fabriksystems, kaum dass bewegung sind.«19)? Müssen wir demnach nicht im wir ihn zu Gesicht bekommen, als Fremdkörper, als Gegensatz zu Stierle eher von einer stufenweisen Reibungen verursachender Sonderling im Bergson- Steigerung der Komik sprechen, das heißt, von einer schen Sinne, zu erkennen gibt: Er ist es, der sich Komik, die sich zwar in vollem Maße erst dann ent- als starr und unflexibel erweist, der in der Mittags- faltet, wenn sich die Mechanik als absichtsdissonant pause nicht ,umzuschalten‘ vermag und die Knöp- offenbart, die aber sehr wohl zuvor bereits vorhan- fe am Rock der sich bückenden Sekretärin mit sei- den ist? – Fragen, die einen Teilabschnitt des theo- nen Schraubenschlüsseln ,festzieht‘, um kurz darauf, retischen Horizonts aufspannen, vor dem sich die noch immer mechanisch zuckend, die Suppe seines nun folgende Auseinandersetzung mit den Fabriks- Kollegen zu verschütten. Damit liefert er das Bild ei- zenen aus »Modern Times« positioniert. Der Dialog nes dysfunktionalen Automaten, das zwar Bergsons zwischen Chaplins Kunst und Bergsons Theorie wird Ausführungen zur mechanischen Körperkomik voll- entsprechend noch ein wenig fortgesetzt, was, so ist auf bestätigt, hingegen in Konflikt zu stehen scheint zu hoffen, der Erhellung beider dient. mit einer ob ihrer Prägnanz immer wieder zitierten Aussage Chaplins zu »Modern Times«, laut derer 3. Vom Arbeiter...

Bekanntermaßen zeigt sich Bergson bei seiner Be- 19 Hösle 2005, S. 32. – Selbstredend – und dies wissen natürlich schäftigung mit dem Komischen wie kaum ein an- sowohl Bergson und Stierle als auch Hösle – hängt die Wahrnehmung der Komik eines Phänomens letztlich von den Rezipienten ab, die derer um die Bestimmung der sozialen Funktion des dessen Lächerlichkeit erkennen können, dies aber keineswegs Lachens bemüht. Hierbei weist er es als ein »Er- müssen. Individual- und kollektivpsychologische Dispositionen ziehungsmittel«20 der Gesellschaft aus, mithilfe des- spielen in diesem Zusammenhang eine entscheidende Rolle, sen sie denjenigen zur Räson ruft, welcher starr und was sich anhand der Komik des Stechschrittes hervorragend veranschaulichen lässt. Die deutsche Bevölkerung wird mechanisch seinen Weg geht, also die vom (gesell- beispielsweise im ‚Dritten Reich‘ nicht allzu oft über ihn gelacht schaftlichen) Leben eingeforderte Elastizität und haben, so dass eine Parodie desselben, wie wir sie etwa in Roberto Gespanntheit bzw. Flexibilität vermissen lässt. »Die Benignis Holocaustkomödie »La Vita è bella« (1997) finden, die Gesellschaft«, so der Philosoph, »zwingt jedes ih- Wirkung, die sie heute auf das Gros (auch) der Deutschen ausübt, rer Glieder auf seine Umgebung aufzumerken, sich schwerlich hätte entfalten können. 20 Bergson 1948, S. 107. nach ihr zu richten und nicht sich in seinem Cha- 21 Ebenda, S. 75. Etwas weiter unten heißt es: »Das Lachen aber rakter wie in einem festen Turme einzumauern. Und hat gerade die Aufgabe, jeden Versuch einer Absonderung zu deshalb läßt sie über jedem, wenn auch nicht die An- unterdrücken. Es ist seine Funktion, jede Starrheit in Geschmeidigkeit drohung einer Strafe, so doch die Aussicht auf eine zu verwandeln, jeden Sonderling der Gesellschaft zurückzugewinnen, alle Ecken abzurunden.« Ebenda, S. 97; vgl. zudem ebenda, S. Demütigung schweben, die, obschon sie sehr leicht 50, 72ff. und 107. Vgl. in diesem Kontext auch Helmuth Plessner. ist, nichtsdestoweniger gefürchtet wird. Das ist die Ihm zufolge begreife Bergson das Komische als einen durch das Funktion des Lachens.«21 Ganz im Gegensatz etwa Lachen zu ahndenden »Verstoß gegen das Grundprinzip des zu Michael Bachtin, der das Lachen als eine potenzi- Zusammenlebens.« Helmuth Plessner: Lachen und Weinen: Eine Untersuchung der Grenzen menschlichen Verhaltens. (urspr. 1941) In: ell ordnungsgefährdende Macht profiliert, die, ihrem Ders., Gesammelte Schriften VII: Ausdruck und menschliche Natur. Wesen nach aufrührerisch und antihierarchisch, eta- Frankfurt/M. 1982, S. 201–387, hier: S. 292. blierte Autoritäten und kanonisierte Werte heraus- 22 Vgl. hier insbesondere Michael Bachtin: Rabelais und seine Welt: fordert, indem sie sie parodiert, invertiert, profaniert Volkskultur als Gegenkultur. Frankfurt/M. 1995 (11965). und degradiert,22 stellt es Bergson somit, überspitzt 23 Theodor Barisch: Henri Bergson und das Problem des Komischen. In: Hans Werner Seiffert (Hrsg.): Beiträge zur deutschen formuliert, als ein Quertreiber einschüchterndes und nordischen Literatur. Berlin 1958, S. 377–391, hier: S. 382. Kontrollinstrument bzw. Sozialisationsvehikel her- 24 Zitiert nach Mellen 2006, S. 27. 68 Rundfunk und Geschichte 3–4 (2007)

Charlie und das sich später mit ihm verbündende kolbenhalter, mehr und mehr außer Rand und Band Waisenmädchen »the only two live spirits in a world geraten, hält er sich strikt an das ihm verordnete of automatons«25 seien. Freilich löst sich der ver- Programm, verrichtet er provozierend langsam und meintliche Widerspruch problemlos auf, fällt es uns stur seinen Dienst, als liefe alles nach Plan. Und so doch nicht eben schwer, die Inversionsrhetorik, mit säubert er die Lippen des Protagonisten auch dann, der der Film arbeitet, zu deuten. Entsprechend er- nachdem diesem die Suppe anstatt in den Mund auf kennen wir, dass es gerade die (sich zuweilen eben Brust und Schoß gekippt wurde. Erst ganz am Ende auch in einem automatenhaften Verhalten äußern- schließt er sich der offenen Aggression der anderen de) Unfähigkeit Charlies, sich mit der unmenschli- Maschinenteile an, indem er Charlie harte Schläge chen Arbeit und ihren Bedingungen zu arrangieren, ins mittlerweile tortenverschmierte Gesicht versetzt ist, die ihn als Menschen bzw. »live spirit« ausweist – Letzteres eine offensichtliche Hommage Chaplins und von den anderen, mit dem Fabriksystem offen- an seine Zeit bei Keystone und ihre furiosen Torten- bar gut auskommenden und damit ihre Automaten- schlachten. haftigkeit implizit unter Beweis stellenden Arbeitern unterscheidet. Überspitzt formuliert: Nicht zuletzt Wie eng Chaplin gerade in der Fabriksequenz die dadurch, dass sich Charlie als einziger zeitweilig wie einzelnen Handlungsteile motivisch miteinander ver- ein Automat verhält, zeigt er an, dass er als Einziger zahnt, offenbart sich einmal mehr kurz nach Charlies kein solcher ist. essmaschineller Tortur; und zwar in jener berühm- ten Szene, in der der Held ins gewaltige Räderwerk Insofern ist es nur zu verständlich, dass es zu Pro- der Maschine gerät, nachdem er sich, durch die fort- blemen kommt, als ausgerechnet er, das schwarze währenden Temposteigerungen um den Verstand Schaf im Produktionsprozess, als Versuchskanin- gebracht, in maßlosem Diensteifer – er ist zu kei- chen für die Vorführung von »Bellows‘ Feeding Ma- nem Zeitpunkt ein bewusst handelnder Revolutio- chine« auserkoren wird. Ohne Frage darf die ent- när! – auf das Fließband geworfen hat. Erneut kommt sprechende Szene als eine der fulminantesten jener das Inkorporationsmotiv zum Einsatz, diesmal indes in »Modern Times«, aber natürlich auch in Chap- in umgekehrter Form, ist es doch jetzt der zuvor von lins gesamtem Œuvre so zahlreichen Szenen gel- der Maschine gefütterte Charlie, der die Maschine ten, in denen (nicht selten kuriose) Speisen bzw. die füttert, wobei er selbst als deren ,Nahrung‘ dient, er (ebenfalls nicht selten kuriose) Nahrungsaufnah- sich also gewissermaßen selbst verfüttert.30 me im Zentrum stehen.26 Außer Zweifel steht zudem, dass die Maschine wie kaum ein anderes Objekt in der Filmgeschichte über das Attribut »tückisch« nä- her charakterisiert zu werden verdient, womit vor allen Dingen ihr Eigenleben, genauer: ihr gerade- 25 Zitiert nach ebenda, S. 28. zu boshaft wirkender, gegen den Helden gerichte- 26 »Food«, schreibt Gerald Mast, »is to Modern Times what money ter Akteurstatus profiliert wäre.27 Letzterer offenbart is to City Lights or The Gold Rush.« Gerald Mast: The Comic Mind: sich spätestens im kompletten ,Ausrasten‘ der Ma- Comedy and the Movies. Chicago 1979 (11973), S. 111. Ähnliches lesen wir bei Mellen: »Nowhere in Chaplin’s films is eating more schine, die mit der ,Menschlichkeit‘ Charlies, seinem persistent in the plot than in Modern Times.« Mellen 2006, S. 58. wesensmäßigen Abstand zur Automatisierung, au- Zum Motivkomplex »Essen« in Chaplins Gesamtwerk vgl. die – freilich genscheinlich nicht klarkommt.28 Stattdessen unter- einigermaßen oberflächlich bleibende – Überblicksdarstellung von zieht sie ihn einer Strafaktion sondergleichen – Lynn Jay Boyer: Cry Food: The Use of Food as a Comic Motif in the Films of spricht von »a high-tech, supremely funny update of Charlie Chaplin. In: Paul Loukides und Linda K. Fuller (Hrsg.): Beyond the Stars III: The Material World in American Popular Film. Bowling 29 slapstick sadism« –, die unter anderem beinhaltet, Green 1993, S. 24–37. dass er nahezu Tischtennisball-große Schrauben- 27 Vgl. hierzu Hans J. Wulff: »Wenn man von der Tücke des Objekts muttern schlucken muss; eine zweifelsohne passen- spricht, spricht man [...] auch davon, daß es sich verhält wie ein de ,Folter‘ für jemanden, dem kurz zuvor durch die eigener Akteur, der es auf den Protagonisten abgesehen hat.« Hans J. Wulff: Tücke des Objekts. In: Lexikon der Filmbegriffe http:// monotone Fließbandarbeit, also letztlich ebenfalls www.bender-verlag.de/lexikon/suche2.php?Suchbegriff=t%FCcke& durch eine Maschine, ein mechanischer Schraub- Eintrag=Term&anzahl=10&Suche=Suche [23.6.2007]. Krampf zwangsverinnerlicht wurde. Dass sich die 28 Vgl. hierzu auch Tom Nissley: Intimate and Authentic Economies: unerhörte Komik der Szene wiederum zu einem gu- The American Self-Made Man from Douglass to Chaplin. New York 2003, S. 164. ten Teil über Bergsons Mechanisierungsthese er- 29 Lynn 1997, S. 373. klären lässt, zeigt in augenfälligster Form aber ohne 30 Später wird der Protagonist noch einmal in der Rolle des Frage der Mundwischer, bei dem wir abermals jene Fütterers in Erscheinung treten, wenn er in der zweiten, erheblich Tendenz zur Wirklichkeitsdissoziation beobachten kürzeren Fabriksequenz im letzten Drittel des Films seinem im können, die bereits der verfolgte Charlie in »Easy Räderwerk einer weiteren Maschine gefangenen Chef das Essen anreicht. Vgl. in diesem Zusammenhang auch Jörn Glasenapp: Street« erkennen ließ: Während nämlich die ande- Moderne Zeiten. In: Heinz-B. Heller und Matthias Steinle (Hrsg.): ren Gadgets der Maschine, allen voran der Mais- Filmgenres: Komödie. Stuttgart 2005, S. 158–161, hier: S. 161. Forum 69

nen, als eine Tricksterfigur, die durch ihre Kunst über grobe Gewalt triumphiert. Durch elegante, mit mäd- chenhaftem Gesichtsausdruck präsentierte kleine Tanzeinlagen am Rande bringt Chaplin ein fremdes Element in die holzschnittartige Welt des Slapsticks ein, als unkalkulierbare Irritation für die anderen. Die Eleganz und Leichtfüßigkeit seiner Zwischeneinla- gen zwingen die diversen Grobiane der Slapstick- welt zum Innehalten – zumindest kurzfristig.«34

Namentlich auf »The Floorwalker« (1916), Chaplins erste Mutual-Produktion, sei in diesem Zusammen- hang hingewiesen, in der Charlie seinen Antagonis- Abb. 1: »Modern Times«: ten, einen korrupten Kaufhauschef von mächtiger Charlie verfüttert sich selbst an die maschinelle ‚Unterwelt‘. Statur, durch ein virtuoses Ballettintermezzo sicht- Bildquelle: Deutsches Filminstitut – DIF, Frankfurt. lich aus dem Konzept bringt. Freilich geht der Held »Gibt es eine pointiertere Übersetzung für die Er- nach einer gewissen Zeit derart in seiner, wie es kenntnis, dass der Mensch von dieser unbarmher- scheint, voller Lust dargebotenen Performance auf, zigen Technik und gnadenlosen Produktion zermah- dass er die Gefahr, in der er schwebt, zur Gänze len wird?«,31 betont Koebner, rhetorisch fragend, das aus den Augen verliert. Und so nutzt der Gegner nicht zu übersehende sozialsatirische Moment der schließlich die theatrale Schlussgeste Charlies, um Szene,32 die innerhalb der Fabriksequenz eine ein- diesen mit einem heftigen Fausthieb ins Gesicht zu deutige Wende markiert. Denn Charlie, dessen Auf- Boden zu strecken. Erneut haben wir es folglich mit enthalt im Innern der Maschine nur wenige Augen- einem, wenn auch in diesem Falle nicht eben mecha- blicke währt, hat sich, wie es sich für jemanden, der nisch wirkenden, Selbst-Fremdsetzen Charlies von der ,Unterwelt‘ einen Besuch abgestattet hat, ge- der Wirklichkeit zu tun, wobei natürlich schon der hört, verändert: Vom Arbeiter ist er zum Tänzer ge- Tanz an sich – ganz im Gegensatz zum Hin-und-Her- worden. Die Implikationen dieser Transformation und Rennen in »Easy Street« – in merkwürdiger Weise si- die Konsequenzen, die sich aus ihr ergeben, werden tuationsabstrakt bzw. -inadäquat daherkommt und uns im Folgenden Abschnitt beschäftigen. aus dem vorangegangenen Geschehen alles andere als flüssig hervorzugehen scheint. Denn wer kommt 4. ...zum Tänzer schon auf die Idee zu tanzen, wenn ihm Prügel droht? Unübersehbar tritt hier also für einen kurzen Während der Dreharbeiten von »The Cure« (1917) Moment – die Szene dauert nur wenige Sekunden – erhielt Chaplin unter anderem Besuch von dem le- die referentielle Funktion des Tanzes als Element in- gendären russischen Tänzer Waslaw Nijinski. »Your nerhalb einer Handlung gegenüber der performati- comedy is balletique, you are a dancer«,33 beglück- ven Funktion des Tanzes als Vollzug einer Handlung wünschte der Film- und speziell Chaplinfilmbegeis- eindeutig in den Hintergrund.35 Anders gesagt: Was terte den einstigen Bühnenkünstler, dessen Karri- zählt, ist die Tatsache, dass getanzt wird, das heißt, erebeginn bekanntlich aufs Engste mit dem Tanz die gleichsam an ein imaginäres Publikum gerichte- verbunden war: Bereits mit acht Jahren war er Mit- glied einer clog dancer-Truppe, den Eight Lancas- hire Lads, und mit zwölf Jahren verdiente er sich 31 Koebner 2006, S. 24. sein Geld unter anderem mit dem Geben von Tanz- 32 Ihr wird seitens der Forschung darüber hinaus oftmals eine stunden. Dass sich sein diesbezügliches Talent spä- auf mediale Selbstbezüglichkeit abzielende Bedeutungsdimension ter auch auf der Leinwand niederschlug, vermag attestiert, was gerechtfertigt sei durch die in der Tat kaum zu leugnenden visuellen Affinitäten, die das Räderwerk zu einem kaum zu verwundern, und so finden sich schon in die Filmprojektor unterhält. Vgl. hierzu etwa Lynn 1997, S. 374, Smith Handlungsverläufe der frühen, fast vollständig vom 1984, S. 99 sowie Nissley 2003, S. 165. Slapstick dominierten Filme immer wieder Tanzein- 33 Zitiert nach Charles Chaplin: My Autobiography. New York 1964, lagen des Tramps integriert. Freilich erreichen sie S. 192. 34 Susanne Marschall: Tänzer – Turner – Träumer: Charlie Chaplin zunächst, so Susanne Marschall, »lediglich den Sta- und Buster Keaton. In: Thomas Koebner (Hrsg.): Chaplin – Keaton: tus eines komischen Aperçus, das den zarten, ge- Verlierer und Gewinner der Moderne. München 2006, S. 37–57, lenkigen Mann vor den tumben Raufbolden als den hier: S. 44–45. Intelligenteren, Gewitzteren auszeichnet: Chaplins 35 Vgl. in diesem Zusammenhang Erika Fischer-Lichte: Grenzgänge tänzerische Begabung lässt seine Figuren wie komi- und Tauschhandel: Auf dem Wege zu einer performativen Kultur. (urspr. 1998) In: Uwe Wirth (Hrsg.): Performanz: Zwischen sche Varianten des intelligenten Helden Odysseus Sprachphilosophie und Kulturwissenschaften. Frankfurt am Main unter archaischen Zyklopen und Monstren erschei- 2002, S. 277–300, pass. 70 Rundfunk und Geschichte 3–4 (2007) te Performance, durch die sich das enge Hinterzim- vertierte Neuauflage der von Bazin diskutierten Sze- mer, in dem die Auseinandersetzung zwischen Char- ne aus »Easy Street« verstanden werden kann. Ist lie und seinem Gegner stattfindet, kurzfristig in eine es dort der verfolgte Charlie, der sich »eine Art me- Ballettbühne zu verwandeln scheint. chanischen Krampf zu[zieht]«,38 also zum Opfer der Selbstmechanisierung wird, so fungiert er hier als Nicht zuletzt der Performanz-Überschuss der be- Mechanisator seiner Verfolger, und zwar, indem er schriebenen Szene ist es, der ihre nahe Verwandt- wieder und wieder durch Hebel-Umlegen das zu- schaft mit dem zwanzig Jahre später entstandenen vor gestoppte Fließband in Gang setzt und dadurch Maschinensturm aus »Modern Times« unterstreicht. die ihm hinterher stürmenden Arbeiter zurück auf Letzterer wird in Form einer ebenso virtuosen wie ihre Posten treibt. Einmal mehr brilliert Charlie so- raumgreifenden Balletteinlage ins Werk gesetzt, de- mit mit einem ausgesprochen eigenwilligen Dingge- ren symbolischer Bedeutungsgehalt sich dem Zu- brauch, der in seiner Unorthodoxie darüber hinaus schauer sogleich vermittelt. Zusammenfassen ließe eine viel sagende Verkehrung des Dominanzverhält- er sich wie folgt: Der Befreiung aus dem Räderwerk nisses innerhalb der Mensch-Maschine-Dyade an- der Maschine schließt sich unmittelbar die Freiset- zeigt. Schließlich macht sich der Protagonist, der zung des gegen die Mechanisierung aufbegehren- noch vor kurzem vom Fließband versklavt worden den Individuums an. Diese Freisetzung wiederum war, dieses nun seinerseits untertan – um weiter tan- findet ihren sinnfälligen Ausdruck in den höchst ge- zen und dadurch seiner Befreiung Ausdruck verlei- schmeidigen Bewegungen des zum Tänzer mutier- hen zu können, wie es scheint. Die Mechanik, genau- ten Protagonisten, dem bald schon die gesamte Fa- er: die maschinell bewirkte Fremdmechanisierung brikhalle als Bühne dient, wobei sein enormes, zuvor wird demnach, wenn man so will, in den Dienst der durch die Mechanisierung komplett unterdrück- eigenen Performanz gestellt, mit der der Held, pa- tes Talent in Sachen Raumaneignung und -beherr- thetisch ausgedrückt, die Fahne des Humanen in- schung aufs Spektakulärste zum Tragen kommt. mitten des Areals des Inhumanen hochhält.

Doch nicht nur zu seinem vorherigen Selbst setzt ihn 5. Schluss seine eindrucksvoll destruktive Ballettperformance bzw. sein, wie Marschall schreibt, »getanzte[r] Aus- Charlies Maschinensturm, so triumphal er strecken- bruch aus dem unmenschlichen Zwangssystem«36 weise auch anmuten mag, währt nicht eben lange: in scharfen Kontrast, sondern auch zu den ande- Schon bald erklingt die Sirene des herannahenden ren Arbeitern, die Charlie dadurch, dass er ihre Na- Krankenwagens, der den geistig verwirrten Hel- sen mit Schraubenschlüsseln traktiert oder aber ihre den in die Irrenanstalt abtransportiert. Eine Abblen- Gesichter mittels einer Ölkanne schwärzt, an ihre de folgt, womit der erste, ohne Frage berühmteste oben bereits angesprochene Automatenhaftigkeit (und letztlich wohl auch gelungenste) Abschnitt von erinnert. »Modern Times« sein Ende findet. In formalästheti- scher Hinsicht außerordentlich homogen, bildet die- ser zugleich Kulminationspunkt und summa der me- chanisierungsbasierten Körperkomik Chaplins und lädt – dies sollte auf den vorangegangenen Seiten deutlich geworden sein – wie kaum eine andere Se- quenz der Filmgeschichte zu einer komiktheoreti- schen Betrachtung im Sinne Bazins und Bergsons ein. Ja, man ist versucht zu behaupten, Letzterer hätte, gesetzt den Fall, »Das Lachen« wäre nicht schon wenige Jahre nach der Geburtsstunde des Films, sondern erst nach der Uraufführung von Cha- plins Komödie geschrieben worden, deren Fabriks- Abb. 2: »Modern Times«: Charlie ‚markiert‘ einen ‚Funktionär‘ mit zenen zur Veranschaulichung seiner Argumentation der Ölkanne. Bildquelle: Deutsches Filminstitut – DIF, Frankfurt und Thesen bemüht. Jörn Glasenapp, Köln Keine Frage: Begreift man den Funktionär mit Vi- lém Flusser als einen »in Funktion der Apparate handelnde[n] Mensch[en]«,37 so dürfen Charlies Kol- legen allesamt getrost als Funktionäre in Reinform bezeichnet werden. Ebendies wird natürlich vor al- 36 Marschall 2006, S. 51. 37 Vilém Flusser: Für eine Philosophie der Fotografie. Göttingen len Dingen in der letzten Fließbandszene augenfällig, 1999 (11983), S. 75. die in gewisser Weise als komplexere und zudem in- 38 Bazin 1978, S. 144. Forum 71

Zehn Jahre nach Breloers »Todesspiel«. so: »Heinrich Breloers Arbeitsmethode der Docu- Das Doku-Drama bleibt der fiction ist gerade dem RAF-Thema besonders an- Maßstab zur filmischen Behandlung gemessen. Denn auch nach 30 Jahren gleicht die des »Deutschen Herbstes« Rekonstruktion der Ereignisse noch immer einem Puzzle-Spiel mit vielen fehlenden Teilen. Und auf Der 30. Jahrestag des »Deutschen Herbstes«1 war eben diese Weise eines Puzzles nähert sich Bre- einmal mehr Anlass für zahlreiche Dokumentarfilme loer in einer Mischung aus Abstraktion und Einfüh- und Reportagen insbesondere im öffentlich-recht- lung den dramatischen Wochen des sogenannten lichen Fernsehen, das immer stärker auf Ereignis- ,Deutschen Herbstes‘: Aus Interviews, Eigenrecher- se und Events zu setzen scheint. Dies war vor zehn che, Originalmaterial und vielerlei Dokumenten fügt Jahren nicht viel anders: »RAF-Revivals ohne Ende. er ein Bild zusammen, das zeigt, wie es gewesen Auch hier scheint die heftige Medienkonkurrenz statt sein könnte.«6 Vielfalt eher Monotonie zu erzeugen. 20 Jahre deut- scher Herbst, also gibt es massenweise Rückblicke Allerdings zeichnet das »Todesspiel« ein vollständi- auf den deutschen Herbst.«2 Die Sender überbo- ges Bild und lässt wenige Fragen offen. Es war mit ten und überbieten sich vor allem darin, möglichst einem Budget von über 7 Millionen DM – davon steu- als Erste die Sendungen zum Thema auszustrahlen. erte die Filmstiftung NRW 2,5 Millionen DM bei – ei- Um neue Inhalte, Perspektiven oder Analysen ging nes der ambitioniertesten Projekte für die ARD. Die und geht es nicht zentral, sondern man bleibt sehr Initiative kam vom Produzenten Ulrich Lenze vom dicht an der Geschichte der Terrorakte, ihrer Vorbe- Cinecentrum, der den Stoff eigentlich mit dem ZDF reitung, der Reaktion des Staates und am Leiden der realisieren wollte, sich dann jedoch für eine Zusam- Beteiligten. Nicht einmal Interviews mit Hinterblie- menarbeit mit Heinrich Breloer entschied, der bereits benen sind also etwas fundamental Neues. Zur Ge- einige Doku-Dramen zur politischen Zeitgeschichte schichte der RAF können sie in der Regel wenig bei- realisiert hatte wie »Kampfname Willy Brandt« (1984), steuern. Auch die Dokumentationen über ehemalige »Die Staatskanzlei« (1989) zur Barschel-Affäre, »Kol- Terroristen zeigen in erster Linie naive Idealisten, bei lege Otto« (1991) zur Coop-Affäre und »Wehner – Die denen man sich fragt, wie sie zu einer solch kaltblü- unerzählte Geschichte« (1992). Das Doku-Drama ar- tigen Brutalität fähig sein konnten. Eine Ausnahme beitet mit der Verknüpfung von dokumentarischen in der thematischen Behandlung war der Zweitei- Aufnahmen, Zeitzeugeninterviews und inszenierten ler »Die RAF«3, den Stefan Aust und Helmar Büchel Sequenzen. Obwohl es vereinzelt Beispiele im deut- von Spiegel TV im Auftrag des NDR für die ARD schen Fernsehen der 60er und 70er Jahre gibt, wur- produzierten. Er machte deutlich, über welch aus- de es ähnlich wie andere Mischformen (Dokusoap, geklügeltes Kommunikationssystem die einsitzen- Doku-Fiction, Living History) in den 90er Jahren vor den Terroristen in Stammheim verfügten. Aust und allem in England entwickelt.7 Büchel äußerten den Verdacht, dass Baader & Co während der Schleyer-Entführung abgehört wurden Die frühen Filme von Breloer wie auch seine jüngsten und der Staat ihre Selbstmorde zumindest billigend Werke zur Familie Mann oder Albert Speer erzielten in Kauf nahm. Der ehemalige RAF-Terrorist Peter- meist sensationelle Einschaltquoten, was ihre Kate- Jürgen Boock, der es schon in den Vorjahren ver- stand, sich in den Medien zu inszenieren und des- sen Glaubwürdigkeit oft in Frage gestellt wurde, war 1 Dieser Begriff hat sich für die Ereignisse im Herbst 1977 ihr wichtigster Augenzeuge und nannte erstmals die durchgesetzt und hat seinen Ursprung in dem 1978 veröffentlichten Kompilationsfilm »Deutschland im Herbst«, in dem Autoren des Namen der Terroristen, die Hanns Martin Schleyer neuen deutschen Films zum Teil relativ hilflos versuchen, zu den erschossen haben sollen. Der damalige Regierungs- Ereignissen Position Stellung zu beziehen. sprecher Klaus Bölling kritisierte die Rolle und Funk- 2 Rainer Stephan: In der Mitte entspringt der Terror. tion von Boock in einem Kommentar in der «Süd- In: Süddeutsche Zeitung, 8.11.1997, S. 19. 4 3 Erstausstrahlung: ARD Das Erste, Teil I 9.9.2007, 21.45 Uhr; Teil II deutschen Zeitung« heftig. Dort erhob Christopher 10.9.2007, 20.15 Uhr. Keil bereits zwei Tage vorher den Vorwurf der Cross- 4 Klaus Bölling: Gut im Geschäft.Gedanken über Promotion.5 Peter-Jürgen Boock. In: Süddeutsche Zeitung, 13.9.2007, S. 15. 5 Christopher Keil: Herbstmeister. Cross Promotion beim Thema RAF zwischen »Spiegel« und dem NDR. In: Süddeutsche Zeitung, Das wichtigste Fernsehstück zum «Deutschen 11.9.2007, S. 17. Herbst« bleibt Heinrich Breloers Zweiteiler »Todes- 6 Pressemitteilung ARD Das Erste: Aus aktuellem Anlass im spiel«, dessen wiederholte Ausstrahlung in der ARD Ersten: Heinrich Breloers »Das Todesspiel« am 11. und 13. Mai im konsequenterweise von November auf Mai 2007 Programm. Quelle: http://presseportal.de/story.htx?firmaid=6694 vorgezogen wurde, um im Rennen der Sender mal (26.4.2007). 7 Im Detail dazu: Derek Paget: No other way to tell it. Dramadoc/ wieder die Nase vorn zu haben. ARD-Programmdi- docudrama on television. Manchester 1998; Richard Kilborn, John rektor Günter Struve begründete die Vorverlegung Izod: An Introduction to Television Documentary. Manchester 1997. 72 Rundfunk und Geschichte 3–4 (2007) gorisierung als Fernsehereignisse rechtfertigt. Den litikers Peter Lorenz und die anschließende Freilas- ersten Teil von »Todesspiel« verfolgten bei der Erst- sung einiger Terroristen, den Überfall auf die Bot- ausstrahlung 4,82 Mio. Zuschauer, den zweiten Teil schaft in Stockholm sowie die NS-Vergangenheit sahen 5,3 Mio. »Als bemerkenswert stufte die ARD- von Schleyer ein. Medienforschung ein, dass der größte Marktanteil mit 20,4 Prozent in der Gruppe der 14- bis 29-jäh- Der zweite Teil »Entführt die Landshut« stellt die Gei- rigen Zuschauer erreicht worden sei, die den ,deut- selnahme der Lufthansa-Maschine »Landshut«, ihre schen Herbst‘ und die Entführung des Arbeitgeber- Odyssee sowie die klaustrophobischen Erfahrungen präsidenten Schleyer nicht bewusst erlebt hat.«8 Das und Ängste der 86 Passagiere in den Mittelpunkt, Doku-Drama wurde mit Preisen überschüttet wie die tagelang um ihr Leben fürchten mussten. Paral- dem Goldenen Löwen, Goldener Kamera, Telestar, lel dazu verfolgt der zweite Teil weiterhin die Akteure Bayerischen Fernsehpreis, Bambi und dem DAG- der Schleyer-Entführung. Gezeigt wird die Befreiung Fernsehpreis in Gold. der Passagiere durch die GSG 9, der anschließen- Breloer ist in Deutschland der anerkannte Spezia- de Selbstmord der Häftlinge in Stammheim, die Er- list für das Doku-Drama – er »wird gemeinhin als schießung Schleyers und seine Beerdigung, bei der filmischer Ethnograph Deutschlands«9 bezeichnet. Bundeskanzler Helmut Schmidt, der nicht auf die Den Film »Todesspiel« bezeichnete Breloer als letz- Forderungen der Terroristen eingegangen ist, mit der te Chance, »ein paar Wahrheitsanker zu werfen«.10 Familie Schleyer konfrontiert wird. Breloer gelingt Für das »Todesspiel« recherchierte Breloer minutiös es, die verschiedenen Quellen geschickt miteinan- und sprach mit vielen Zeitzeugen. Seine Mischung der verschmelzen zu lassen, die Konflikte und Span- aus Zeitzeugeninterviews und nachinszenierten Se- nungen in diesen Tagen herauszuarbeiten und den quenzen mit Originalaufnahmen von Ereignissen Mythos der RAF, die sich selbst als Widerstands- oder Dokumenten orientiert sich dabei stark an den gruppe bezeichnete, die sich einem faschistoiden Ergebnissen von Breloers Recherchen, die er in der Polizeistaat entgegenstellt, zu entzaubern. gleichnamigen »dokumentarischen Erzählung«11 veröffentlichte und die sich in der Regel belegen »Ein Meisterwerk, ganz ohne Zweifel. Ein Höhepunkt lassen. Dies unterscheidet ihn von anderen Regis- der Fernsehgeschichte, maßstabsetzend. Ein Stück seuren, deren Darstellungen manchmal zu phanta- Geschichtsschreibung, nein, Geschichtsvergegen- siegeleitet sind. wärtigung, Geschichtsdurchdringung, das die Mög- lichkeiten der Historikerzunft souverän überschrei- Der erste Teil »Volksgefängnis« beschäftigt sich mit tet. Eine Tragödie. Ja, eine Tragödie, die alles hat, der Schleyerentführung. Die ersten acht Minuten alles hervorruft, im gebannten Zuschauer hervor- sind szenisch gestaltet und zeigen die Ereignisse bringt, was das antike Drama im Schauspiel konzen- am 5. September 1977; die Ankunft von Schleyer trierte«, jubelte Klaus Podak in der Süddeutschen am Flughafen und die Fahrt durch die Stadt in einer Zeitung12; ähnliche Kritiken erschienen in fast allen Parallelmontage mit der Vorbereitung der RAF-Ter- Blättern. Fundamentale Kritik äußerte Oliver Tolmein roristen auf den Überfall in der Vinzenz-Statz-Stra- in der »Konkret«, vor allem an der Inszenierung der ße. Durch einen quer stehenden Wagen wird die Ko- Selbstmorde in Stammheim, die der offiziellen Versi- lonne des Arbeitergeberpräsidenten gestoppt, sein on der Staatsanwaltschaft folgt. »Bis ins Detail folgt Fahrer und die drei begleitenden Polizisten wer- er ihrer fast zwanzig Jahre alten Version, die mit dem den innerhalb weniger Minuten kaltblütig erschos- Abschluß des Todesermittlungsverfahrens im April sen. Schleyer wird in einem VW-Bus abtranspor- festgelegt wurde. Wie der ermittelnde Staatsanwalt tiert und der Wagen bald gewechselt. Erst danach umgeht auch der vermittelnde Regisseur Breloer alle sieht man das dokumentarische Material vom Tat- offenen Fragen, verdeckt die Widersprüche und ver- ort, das sich als Bild der Geschichte der Bundes- schweigt die groben ,Fehler‘ bei der Spurenunter- republik in viele Köpfe eingebrannt hat, ebenso die Bilder von Schleyer vor dem RAF-Symbol, das in den kommenden Wochen in aktualisierten Versio- nen das Bild der Entführung symbolisieren wird. Das 8 dpa: Vielgesehen, hochgelobt. Begeisterte Reaktionen auf Doku-Drama konzentriert sich auf drei Handlungsor- Heinrich Breloers »Todesspiel«. In: Süddeutsche Zeitung, 27.6.1997, S. 24. te: das »Volksgefängnis« und den Umgang der Ter- 9 Arnold Hohmann: Ein Irrgarten mit vielen Gefängnissen. roristen mit Schleyer, den Krisenstab und schließ- In: Süddeutsche Zeitung, 4.10.1996, S. 20. lich Stammheim. Denn fast die gesamten Aktionen 10 Jan Weiler: Spiel mir den Film vom Tod. In: Süddeutsche Zeitung, der so genannten zweiten Generation der RAF gal- 19.6.1997, S. 3. ten der Befreiung der einsitzenden Terroristen. Kur- 11 Heinrich Breloer: Todesspiel. Von der Schleyer-Entführung bis Mogadischu. Kiepenheuer: Köln 1997. ze Rückblenden gehen auf die Studentenunruhen, 12 Klaus Podak: Triumph einer Tragödie. In: Süddeutsche Zeitung, die Aktionen der RAF, die Entführung des CDU-Po- 26.6.1997, S. 17. Forum 73 suchung.«13 Tolmein kritisiert die Unterschlagung reaktion des Staates im Nachgang dieser Ereignisse. von kriminaltechnischen Gutachten, die gegen ei- Denn das gesellschaftliche Klima verschärfte sich, nen Selbstmord von Andreas Baader sprechen. Die plötzlich wurde jeder verdächtig, der sich nicht ganz einzige Überlebende von Stammheim Irmgard Möl- staatskonform verhielt oder den üblichen Normen ler, die bis heute14 von einem Komplott der Geheim- nicht entsprach. Die Bevölkerung wurde durch die dienste und der Ermordung ihrer Genossen ausgeht, umfangreiche Fahndungstätigkeit und die Raster- wurde von Breloer nicht interviewt und – was noch fahndung des BKA-Präsidenten Horst Herold regel- schwerer wiegt – ihr Name aus der originalen Ra- recht terrorisiert und die Medien stark kontrolliert. diomeldung herausgeschnitten. Der Hergang des Dies war ebenso wie die linke Propaganda von »Iso- Geschehens in dieser Nacht in Stammheim bleibt lationsfolter« und Vergleichen mit der NS-Diktatur bis heute ebenso im Dunkeln wie die genauen To- ein treibendes Moment für die RAF bei der Rekru- deszeitpunkte. »Die Interviewpassagen, die, drama- tierung neuer Sympathisanten. Welche Bedeutung tisch ausgeleuchtet, in Nahaufnahme Zeitzeugen ins die harte Reaktion des Staates bei der Verfolgung Wohnzimmer holen, sind charakteristisch für Brelo- einiger Terroristen auf die Beziehung zu ihren Bür- ers Film. Sie stellen Nähe her und suggerieren Au- gern und ihr Vertrauen in den Staat hatte, wurde thentizität, verfälschen aber die Wirklichkeit, weil sie als zentraler Aspekt bisher im und vom Fernsehen den Zusammenhang ausblenden, in dem die Ak- nicht umfassend behandelt. Am ehesten angespro- teure gehandelt haben und in dem sie sich heute le- chen wurden solche Aspekte in Andres Veiels Do- gitimieren«,15 kritisiert Tolmein in der Tradition von kumentationen »Die Überlebenden« (1996) und dem Brecht. mit dem Europäischen Dokumentarfilmpreis ausge- zeichneten »Black Box BRD« (2001)19, in dem Veiel Trotzdem ist »Todesspiel« der wichtigste Film zum die Ermordung Alfred Herrhausens, des Vorstands- »Deutschen Herbst« hinsichtlich der Akribie der Re- sprechers der Deutschen Bank, kontrastiert mit dem cherche, der Veranschaulichung der damaligen Er- Lebenslauf des RAF-Terroristen Wolfgang Grams. eignisse, jedoch auch was sein Budget und seine Kay Hoffmann, Stuttgart Wirkung als eines der Fernsehereignisse des Jahres angeht. Bei der Besetzung der Rollen achtete Brelo- er auf eine Ähnlichkeit der Schauspieler mit den re- alen Figuren wie z.B. Hans Brenner als Hanns Mar- tin Schleyer, Manfred Zapatka als Helmut Schmidt oder Dieter Mann als Horst Herold. Der Vorwurf, die Spielszenen würden ein dramatisierendes Potential bergen, »das einer objektivierten Vermittlung vorfil- mischer Realität, wie sie im Dokumentarfilm ange- strebt wird, entgegensteht«, wie er von Andrea Nol- te und Ulrich Schulte geäußert wurde16, übersieht, dass bei vielen Ereignissen keine Kamera dabei war und sie nicht gezeigt werden können, wenn sie nicht nachgestellt werden. Dies machten die zahlreichen Programme zum „Deutschen Herbst“ deutlich, die sich alle desselben Material bedienten. 13 Oliver Tolmein: Schmidteinander. Vor Heinrich Breloers Fernsehfilm »Todesspiel« sind die Deutschen zu einer einigen Welche Bedeutung das Genre Doku-Drama inzwi- großen Familie zugewachsen – mit einer ins Tragische gesäuberten schen hat, kann man auch daran ablesen, dass Geschichte. In: Konkret, 8/1997, S. 46. die 12-teilige DVD-Edition der Wochenzeitung »Die 14 Klaus Stern, Jörg Herrmann: Andreas Baader. Das Leben eines 17 Staatsfeindes. München 2007, S. 292. Zeit« zu deutschen „Schicksalsstunden“ überwie- 15 Oliver Tolmein: Schmidteinander. Vor Heinrich Breloers gend Doku-Dramen und nur ein paar Dokumentar- Fernsehfilm »Todesspiel« sind die Deutschen zu einer einigen filme veröffentlicht. Die Fiktionalisierung und das großen Familie zugewachsen – mit einer ins Tragische gesäuberten Re-Enactment historischer Ereignisse nehmen im Geschichte. In: Konkret, 8/1997, S. 46. Fernsehen deutlich zu, wie auch eine Studie des Me- 16 Andrea Nolte, Ulrich Schulte: »Ein wahres Todesspiel«. Der 18 Deutsche Herbst – Zeitgeschichte zwischen Fakt und Fiktion. In: dienpublizisten Fritz Wolf gezeigt hat. polis, 4/2006, S. 13. 17 Die Zeit Dokumentation Deutschland: Schicksalsstunden. (www. Doch Breloer konzentriert sich in »Todesspiel«, zeit.de). Dazu gehören auch beide Teile vom »Todesspiel«. ebenso wie die aktuellen Beiträge zum »Deutschen 18 Fritz Wolf: Alles Doku – oder was? Über die Ausdifferenzierung Herbst«, auf die terroristischen Akte und die direk- des Dokumentarischen im Fernsehen. Düsseldorf 2003. 19 Dazu erschien auch ein gleichnamiges Buch mit Details der te Reaktion des Staates. Was dabei völlig vernach- umfassenden Recherchen. Andres Veiel: Black Box BRD. Stuttgart, lässigt wird, sind die Konsequenzen aus der Über- München 2002. 74 Rundfunk und Geschichte 3–4 (2007)

Rezensionen

Aktenstudium, Sendungsanalyse gen liegen. Den Hauptteil des Buches bilden wissen- und Zeitzeugenbefragung – Zur schaftliche Beiträge von Autoren, die entweder mit DDR-Programmgeschichtsschreibung der Forschergruppe verbunden sind oder die von au- und einem Sammelband ßen hinzukommend zu einem Segment der Anfangs- geschichte beigetragen haben. Entstanden ist ein Wolfgang Mühl-Benninghaus (Hrsg.) Sammelband, der vor allem vergleichend Ost- und Drei Mal auf Anfang. Westentwicklungen in den Blick nimmt. Fernsehunterhaltung in Deutschland Berlin: Vistas 2006, 380 Seiten. Am wichtigsten ist der Beitrag von Mühl-Bennighaus selbst über das kulturelle Verständnis von Unterhal- Mit Hochdruck wird gegenwärtig in Berlin, Potsdam, tung seit dem 19. Jahrhundert, weil er hier weit aus- Halle und Leipzig an der Erarbeitung der DDR-Pro- holt und es nicht bei bloßen Definitionen von Fernse- grammgeschichte gearbeitet. Eine zusammenhän- hunterhaltung belässt, sondern die unterschiedlichen gende Gesamtdarstellung ist für 2008 angekündigt, Bewertungen der Unterhaltung darstellt und jeweils eine Tagung der von der DFG finanzierten Forscher- kontextualisiert, vom 19. Jahrhundert aus über das gruppe hat Ende Mai/Anfang Juni im Film- und Fern- Kaiserreich, die Weimarer Republik, die NS-Zeit bis sehmuseum in Berlin Ergebnisse vorgestellt. Es geht in die 50er Jahre der Bundesrepublik und der DDR. hier weniger um eine Bewertung, sondern eher da- Hier werden Wertungskontinuitäten über die Jah- rum, wie in der Pogrammgeschichtsschreibung mit re hinweg sichtbar. Damit werden zentrale kulturelle den ganz unterschiedlichen Quellenmaterialien um- Dispositionen herausgearbeitet, auf denen dann die gegangen wird. Zum einen mit der Analyse einzel- Fernsehunterhaltung aufsitzt. Legitimationsdiskurse ner Sendungen (die Sichtung der gesendeten Fern- über die Fernsehunterhaltung werden vor dem Hin- sehprogramme in toto verbietet sich von selbst, ist tergrund dieser Prämissen in ihren tiefer liegenden auch theoretisch gar nicht möglich, weil nur noch ein Argumentationen plausibel und in Wertungen ver- Bruchteil überliefert ist), zum anderen mit dem Studi- ständlich. um der Akten aus den Schriftgutarchiven der Rund- funkanstalten, mit den Kritiken und schriftlichen Re- Die Darstellung der NS-Geschichte, die nicht im ei- zeptionsdokumenten, schließlich mit der Befragung gentlichen Sinne eine Unterhaltungsgeschichte ist, von Zeitzeugen. sondern eine Gesamtdarstellung des Fernsehens vor 1945 versucht, ist nicht ohne Problematik. Antje Gerade die DDR-Programmgeschichtsschreibung Buddes zusammenfassende Analyse leidet darun- arbeitet in großem Umfang mit der Befragung von ter, dass Budde offenbar weder Programmzeitschrif- Zeitzeugen, zum einen weil öffentliche Debatten ten studiert, noch sich detaillierter auf die Produk- über das Fernsehen in der DDR kontrovers nicht tionsumstände des NS-Fernsehens eingelassen ausgetragen wurden, das Sendeunternehmen als hat. Sie zitiert im Wesentlichen aus den vorliegen- Machtbereich stark nach außen abgeschottet war den Studien zum NS-Fernsehen, von Winkers um- und auch Rezeptionsdokumente (z.B. der Fernseh- fangreicher Arbeit (in der allerdings die Programm- kritik) zumeist politisch gelenkt waren. geschichte zu kurz kommt) über die etwas dubiose populäre Darstellung von Heiko Zeutschner bis hin I. zu Fernsehdokumentationen über die Zeit und eine Wolfgang Mühl-Benninghaus hat im Kontext der »Spiegel«-Dokumentation, die selbst wiederum nur Arbeit der Forschergruppe im Jahre 2005 eine Art Tertiärdarstellungen liefern. Zahlreiche Darstellun- Zwischenbericht über die Fernsehunterhaltung in gen kennt Budde offenbar nicht, vor allem den von Deutschland vorgelegt, mit dem er versucht, sender- William Uricchio herausgegebenen Sammelband und systemübergreifend für das NS-Fernsehen, das über die Anfänge des NS-Fernsehens von 1991, bundesdeutsche und das DDR-Fernsehen Baustei- in dem vieles genauer und erklärender dargestellt ne für eine gemeinsame deutsche Fernsehunterhal- wird. Manche Formulierungen von Budde sind nur tungs-Programmgeschichte bereitzustellen. »Drei dadurch zu erklären, dass bei der Lektüre kein tiefe- Mal auf Anfang« meint, dass es drei unterschiedli- res Verständnis über die Zusammenhänge entstand. che Anfänge, zum einem 1935 in der NS-Zeit, dann Etwa wenn es heißt: »Der private Massenkonsum 1948 in der Bundesrepublik und nur wenig später scheiterte jedoch zunächst an den viel zu hohen An- auch in der DDR, gegeben hat. An ihnen kann man schaffungskosten« (S.53). Der hier angesprochene sehr genau zeigen, worin die Besonderheiten vor al- private Massenkonsum kam vor allem deshalb nicht lem der Zeitzeugen-Interviews und ihrer Verarbeitun- zustande, weil anfangs keine Geräte dafür gebaut Rezensionen 75 wurden, sondern erst ab 1939, und deren Herstel- sehens Anschaulichkeit und Farbigkeit, zeigen, dass lung wurde mit Kriegsbeginn sofort gestoppt. Von es hier immer auch um Menschen geht, die ihre ei- den Preisen dieser Geräte war nach 1935 noch kei- gene Geschichte haben. Ganz ohne die Darstellung ne Rede, eben weil es keine Geräte gab. Zahlreiche von Strukturen, den konkreten Bezug auf Sendun- ähnliche Ungereimtheiten lassen sich in Buddes Bei- gen geht es jedoch auch nicht, will die Programm- trag finden. Entscheidender als solche Schwächen geschichte nicht zur Anekdotensammlung verkom- ist jedoch, dass sie ihre Darstellung der Unterhaltung men. Hier kommt es dann auf eine kluge Vernetzung im NS-Fernsehen nicht wirklich konturiert. Wie die beider Ebenen, der Strukturanalyse und der autobi- Sendungen aussahen, was für ein Verständnis von ografischen Erinnerung an. Unterhaltung dahinter stand (nicht nur die üblichen Goebbels-Formulierungen zur Unterhaltung als Pro- Die Zeitzeugen sind oft dort problematisch, wo sie paganda), wäre interessant gewesen zu erfahren. selbst Entwicklungen schildern, Sachzusammen- hänge aus ihrer Erinnerung berichten, quantitati- Die weiteren Beiträge über die Fernsehunterhaltung ve Angaben machen. Da solche Angaben zumeist sind vor allem deshalb fundierter, weil sie in der Re- nachprüfbar sind, und die subjektive Erinnerung oft gel auf einer breiten Basis selbst recherchierten Ma- daneben liegt, ist also hier das Erinnerte jeweils ge- terials beruhen und die Autoren deshalb souveräner nauer zu differenzieren – wenn die Differenz zum und natürlich sicherer mit ihrem Gegenstand umge- Schriftmaterial nicht bewusst thematisiert werden hen können. Sie können zumeist auch Einsichten in kann. Deutlich wird dies z.B. bei der Behandlung bislang wenig bekannte Programmbereiche liefern. der NS-Zeit. Nachprüfbar ist doch, ob es 20, 25 oder Gerd Hallenbergers Analyse der Fernsehunterhal- 30 Fernsehstuben gegeben hat, ob in ihnen 20, 30 tungssendungen schildert die entstehenden Formen oder 50 Leute Platz hatten, ob eine oder zwei Groß- der Unterhaltung, aus dem Varieté, aus der ameri- projektionen existierten und in welcher Zeit es sie kanischen Show und kann hier mit zahlreichen neu- gab usw. en Details aufwarten, auch dort, wo er sich mit dem DDR-Fernsehen beschäftigt. Hier werden nun wirk- Dann erwartet man, dass die Zeitzeugeninterviews lich Bausteine für eine umfassende Programmge- auch Wissen vermitteln, das es in dieser Form sonst schichte der Fernsehunterhaltung geliefert. nicht gibt. Die bloße Wiederholung des ohnehin be- kannten Wissens ist dann überflüssig. Die Darstel- Gleiches gilt, wenn auch aufgrund der unterschied- lung von Heinz Riek beispielsweise: Seine Erinne- lich umfassenden Erschließung der jeweiligen Sen- rungen an die NS-Zeit und das NWDR-Fernsehen dungen in variierender Weise, ebenso für die Beiträ- in Berlin ab1951 hat er seit 1955 mehrfach erzählt ge von Nicola Hochkeppel (Unterhaltungsmagazine), (z.B. in den ‚Fernseh-Informationen‘). Gerade bei Dieter Wiedemann (Kinderfernsehen), Stefanie Krü- ihm bedarf vieles korrigierender Ergänzungen, ins- ger/Alexandra Pfeil-Schneider (Jugendfernsehen), besondere die immer noch vorhandene systemati- Harald Keller (Nachwuchsförderung durch das Fern- sche Ausblendung des politischen Charakters des sehen), Lutz Warnicke (Sportfernsehen) und noch NS-Fernsehens erfordert zumindest relativierende einmal Gerd Hallenberger (Rateshows). Ergänzungen. Fazit also: Angaben von Zeitzeugen müssen an dem schriftlich fixierten Wissen, an Ak- II. ten, sonstigen Materialien überprüft werden, wobei Der Band experimentiert mit dem Abdruck von Inter- die Aktenlage nicht unbedingt recht haben muss. views mit Zeitzeugen, aber auch mit Medienwissen- Hier ist die analytische Reflexion und Überprüfung schaftlern, wobei Letztere ihre Analysen nur in eine des Medienhistorikers gefragt. Gesprächsform bringen. Diese Interviews werden zwischen die Analysen gesetzt. Das erscheint pro- Die Erinnerungen der geschätzten Andrea Brunnen- blematisch, weil der Textstatus jeweils ein ganz ver- Wagenführ sind als Erinnerungen sehr aufschluss- schiedener ist. reich, und zwar dort, wo sie aus eigenem Erleben berichtet. (Faszinierend ist das Foto aus dem Wa- Sehr deutlich lässt sich an den Interviews erkennen, genführ-Wohnzimmer, in dem der Fernsehpublizist wann Zeitzeugen etwas Neues bringen: immer dann, Kurt Wagenführ vor dem Fernsehen zu sehen ist, No- wenn sie Innensichten der Fernsehproduktion schil- tizen machend, aus denen offenbar sein berühmtes dern, subjektive Erlebnisse, die es in dieser Form in ‚Fernseh-Tagebuch‘ entstand; die Zeitzeugin sitzt den schriftlichen und audiovisuellen Quellen so nicht mit ihrem Sohn im Hintergrund und gemeinsam wird gibt, häufig auch nicht geben kann. Etwa wenn die das Familienleben dem jungen Medium Fernsehen Macher von ihren persönlichen Anfängen beim Fern- geopfert). Für die Programmgeschichte ist die Zeit- sehen berichten. Die oft anekdotischen Darstellun- zeugin Brunnen-Wagenführ jedoch dort überfordert, gen geben einem dargestellten Zustand des Fern- wo es um die Darstellung von allgemeinen Entwick- 76 Rundfunk und Geschichte 3–4 (2007) lungen geht, etwa wenn Sie etwas über die Rolle schon gar nicht neutrale oder gar ,objektive‘ Darstel- der Alliierten beim Aufbau des Fernsehens berich- lung eines Sachverhalts wiedergeben. Hier sind die ten soll, hier gibt es aufgrund der bekannten Akten Zeitzeugen von unschätzbarem Wert, aber auch hier fundiertere Angaben. Diese könnte sie – wenn sie gilt die notwendige historiografische Überprüfung. sich schriftlich geäußert hätte – vielleicht auch lie- Gleichwohl ist auch hier der Wert der Erinnerungen fern, aber in einem Gespräch können von ihr ad hoc der Programmmacher sehr unterschiedlich. keine umfassenden Darstellungen oder Erklärungen erbracht werden. Der Kinderfernsehmacher Peter Bosse vermag z.B. sehr präzise darstellen, wie auf der programmbezo- Die Erinnerungen der Zeitzeugen sind immer Erinne- genen Ebene gearbeitet wurde, auch wo Besonder- rungen aus heutiger Sicht, d.h. das Erzählte ist über- heiten bestanden. Doch auch hier, wenn er z.B. von formt durch die Lebensgeschichte, durch ein häufi- einer die Eigenaktivität der Kinder fördernden Kin- ges Erzählen der Geschichten, aber auch durch ein derfernseh-Konzeption spricht, ist in den Schriftgut- – nicht immer bewusstes – Vergessen von Einzel- unterlagen nachzusehen, ob es dafür zeitgenössi- heiten, besonderen Umständen, vor allem auch der sche Unterlagen, Pläne etc. gibt, und es ist an den Rahmenbedingungen, oft werden auch unliebsame Sendungen nachzuprüfen, ob sich diese Konzeptio- Erlebnisse verdrängt. nen in den Produktionen niedergeschlagen haben. Es kann ja durchaus sein, dass hier eine medienpä- Wenn Fernseharbeit in der Anfangszeit als große dagogische Debatte, die erst im Nachhinein geführt Freiheit, als Experiment gesehen wurde, dann oft wurde, die Erinnerungen überlagert hat und jetzt für deshalb, weil die politischen Rahmenbedingungen eine frühere Phase als gegeben angesetzt wird. schlicht vergessen und verdrängt wurden. So spielt in den Erinnerungen aus der NS-Zeit der ideologische Auch die Bewertungen, die Zeitzeugen von anderen Charakter bestimmter Sendungen, spielen auch die Personen liefern, sind immer als subjektive Sichten Parteizugehörigkeit der Sich-Erinnernden (auch bei einzuschätzen – und als solche in einer Programm- Riek) heute in der Regel keine Rolle mehr. Die Erin- geschichte zu markieren. Sie sind dort überzeugend, nerungen sind also subjektiv (wie auch anders), aber wo sie sich mit konkreten Erinnerungen verbinden, damit zwangsläufig auch einseitig. Ihnen ist – aus wo sie einen bestimmten Aspekt veranschaulichen. historiografischer Sicht – ebenso wenig blindes Ver- Wenn Chris Howland etwa Peter Frankenfeld lobt trauen zu schenken wie den zeitgenössischen Akten, (S. 273), bringen diese allgemeinen Einschätzun- die zwar dichter an der Entstehungszeit sind, aber gen wenige neue Informationen; wenn Dieter Pröt- nicht aus historiografischer Sicht verfasst wurden, tel vom SWF-Intendanten Friedrich Bischoff behaup- sondern um intentional in Entscheidungssituationen tet, er »war von keiner Muse geküsst« (S. 294), hätte etwas zu bewirken. Damit vertreten sie auch einen dies relativiert werden müssen. Bischoff hielt offen- jeweiligen Interessenstandpunkt und argumentieren bar wenig von einer bestimmten Form der Unterhal- im Bericht von Entwicklungen oft zweckbezogen. tung (für die Pröttel stand); Bischoff fühlte sich als Häufig hängt die Informationsdichte von den schon Autor und Rundfunkmacher (schon in den 20er Jah- vorhandenen Informationen der Fragenden ab, auch ren) eher der Hochkultur verpflichtet und wollte aus davon, wie differenziert sie nachfragen, ob sie den dieser Position heraus nach 1945 Fernsehprogramm Sachverhalt, den sie erfragen, schon aus anderen machen. Bischoff gilt gerade als einer der Autoren- Quellen kennen oder doch zumindest einschätzen Intendanten der Nachkriegszeit. Wenn Pröttels Ein- können. Auch ist die Darstellungskompetenz der Be- schätzung als Wertung von Bischoff innerhalb einer fragten von unterschiedlicher Qualität. Diese wird programmgeschichtlichen Darstellung unkommen- vor allem dort sichtbar, wo die Befragten Sendun- tiert bleibt, kann sich daraus ein falsches Bild erge- gen beschreiben, Grundkonstellation herausarbei- ben. ten. Diese sind wichtig für die Programmgeschichte, müssen jedoch in der historischen Reflexion mit an- Bei den Zeitzeugen ist also über die subjektive Sicht deren Konstellationen im Programm in Verbindung der Erinnerung hinaus die Herstellung intersubjek- gesetzt werden. tiver Relationen, vor allem aber auch eine Überprü- fung der Konzepte mit den Sendungen zu leisten. Nun gilt gerade auch für die Erforschung des DDR- Es muss nachgesehen werden, ob die behaupte- Fernsehens die Einbeziehung von Zeitzeugen als ten Intentionen in den Programmen noch heute (und notwendig, weil die internen Akten, die offiziellen damit aus einer anderen historisch differenten Per- Verlautbarungen, die publizistischen Darstellungen, spektive) erkennbar sind. Deshalb gehören die his- ja selbst die Kritiken in den Zeitungen und Zeitschrif- torische Distanz und die prüfende Skepsis weiterhin ten in der Regel einem parteipolitischen Kampfauf- zu den Grundbedingungen des Programmgeschich- trag dienten und deshalb keine umfassende und te-Schreibens. Rezensionen 77

Für die Programmgeschichtsschreibung selbst be- Andreas Fickers deutet dies: Die Zeitzeugen-Interviews sind immer »Politique de la grandeur« versus nur Material. Ihre Aussagen und Informationen müs- »Made in Germany«. sen eingeordnet, gegenrecherchiert werden. Dort, Politische Kulturgeschichte der Technik wo sie Sachaussagen machen, muss kontrolliert am Beispiel der PAL-SECAM-Kontroverse werden, ob die Fakten stimmen, wo sie Bewertungen (= Pariser Historische Studien, Band 78) vornehmen, müssen sie eingeordnet werden. Dazu München: Oldenbourg Wissenschaftsverlag 2007, gehört auch, dass die Sich-Erinnernden ja selbst 436 Seiten. eine Rolle innerhalb des jeweiligen Mediensystems gespielt haben. Und diese Rolle ist nicht immer die In der Reihe der »Pariser Historische Studien« beim gerechtere und einzig richtige gewesen – nur weil die Oldenbourg Verlag erschien dieses Jahr die lang er- Sich-Erinnernden die anderen überlebt haben. wartete Dissertation von Andreas Fickers. Ein erster Blick in die Literaturliste lässt den Leser erkennen, Die Zeitzeugenaussagen müssen auch – das ver- dass die Publikation keineswegs auf dem Stand von langt schon die Ökonomie der Mittel in der Darstel- 2001 (dem Zeitpunkt der Abgabe) stehen blieb, son- lung der Programmgeschichte – auf ihren Kern kon- dern erweitert und aktualisiert wurde. Fickers ver- zentriert werden. Die wesentlichen Aussagen sind sucht in seiner Arbeit einen Dreisprung, indem er herauszunehmen und vieles, was der Gesprächs- Technikgeschichte, Wirtschaftsgeschichte und Poli- situation, den Eigenheiten der Sich-Erinnernden ge- tikgeschichte miteinander verwebt. Treffend formu- schuldet ist, muss fortfallen. Widersprüche müssen liert er dieses Vorhaben im Titel als eine politische geklärt werden. Kulturgeschichte der Technik. Ziel dieses Drei- schritts ist es, Interpretationen dafür zu finden, war- III. um es in Europa nie zu einem einheitlichen Farbfern- Der Autor ist also aus der Programmgeschichts- sehstandard kam, sondern zwei Systeme, eben PAL schreibung nicht zu entlassen. Er muss alles Materi- und SECAM, in ständiger Konkurrenz um das bes- al zusammentragen, daraus eine einheitliche, mög- sere System bestanden bzw. bestehen. lichst widerspruchsfreie Darstellung erzeugen, er – und nur er – ist der Erzähler der Programmge- Das Buch umfasst sechs Hauptkapitel, wobei das schichte. sechste das Quellen- und Literaturverzeichnis ent- hält. Im ersten Kapitel gibt der Autor einen sehr Der Band von Mühl-Benninghaus demonstriert – ge- umfangreichen Überblick über den aktuellen For- rade weil er die Bausteine so offen ausstellt –, wie schungsstand, der jedoch nicht nur die Literatur zur unterschiedliche Lesbarkeiten des Programms, der technischen Entwicklung des Farbfernsehens auf- Programmproduktion und -rezeption durch die Er- greift, sondern eben auch die politikhistorische, innerungen vorhanden sind, wie disparat selbst die wirtschaftshistorische und rundfunkhistorische Li- Erinnerungen der Zeitzeugen sind und dass es der teratur. Die weitere Struktur des Bandes gibt der be- synthetisierenden, Erklärungen erzeugenden Kraft sagte Dreischritt vor. Seiner These folgend, betreibt eines Autors bedarf. Dies anschaulich gemacht zu Fickers die Auseinandersetzung um das Farbfern- haben und gleichzeitig auch die Materialien als Bau- sehen auf den drei Feldern Technik, Wirtschaft und steine sichtbar gemacht zu haben, ist ein Verdienst Politik (er benutzt den französischen Begriff »terrain« dieses Bandes. Darüber hinaus zeigt er die Prämis- und folgt damit Dominique Pestre und Yves Cohen sen einer übergreifenden nationalen Fernsehunter- in ihrem technikhistorischen Ansatz). Jedes dieser haltungsgeschichte – und dies ist nicht wenig. Die Felder erhält ein Kapitel. Dabei betrachtet er weitest- Bausteine sind also erkennbar – die Programmge- gehend, wie der Titel vermuten lässt, die Auseinan- schichte der Unterhaltung fehlt jedoch noch. dersetzung zwischen Frankreich und Deutschland, Knut Hickethier, Hamburg wobei Fickers auch die ganz Entwicklung innerhalb des europäischen Rahmens berücksichtigt.

Fickers führt jeweils sehr ausführlich in die »terrains« ein und gibt einen überaus kohärenten Einblick in die Kontroverse. So wird beispielsweise im wirtschaftli- chen »terrain« die Entwicklung des Farbfernsehens unter den Vorzeichen des deutschen »Wirtschafts- wunders« und der »Modernisation à la française« betrachtet. Ebenso stellt Fickers die Besonderheiten der länderspezifischen Wirtschaftssysteme vor und betrachtet deren Auswirkungen auf die Durchset- 78 Rundfunk und Geschichte 3–4 (2007) zung des Farbfernsehens. Diese Kontextualisierung Klaus Katz/Dietrich Leder/Ulrike Ries-Augustin findet auch in den beiden anderen »terrains« statt, u.a. (Hrsg.) sodass es dem Leser nicht schwer fällt, ein Ver- 50 Jahre WDR. Am Puls der Zeit. 3 Bände. ständnis für die technischen, wirtschaftlichen oder Köln: Kiepenheuer&Witsch 2005, ca. 1300 Seiten. gar politischen Entscheidungen der beiden Länder in Band 1: Die Vorläufer 1924–1955; dieser Zeit zu entwickeln. In seinem abschließenden Band 2: Der Sender: Weltweit nah dran 1956–198; Kapitel zeigt Fickers mehrere Interpretationsmög- Band 3: Der Sender im Wettbewerb 1985–2005 lichkeiten der vorher zusammengetragenen Daten auf. Dabei unterscheidet er zwischen klassischen In- Gemeinhin wird das »Gewicht« einer Veröffentli- terpretationsversuchen und ergänzenden Interpreta- chung nach der Güte ihres Inhalts und dem Niveau tionsangeboten. der Darstellung bemessen. Dem Hinweis eines Bei- trägers zu dieser eindrucksvollen Sammelpublika- Andreas Fickers fachliche Wurzeln liegen in der tion ist es jedoch zu verdanken, dass der Blick des Technikgeschichte und so ist auch sein theoreti- Rezensenten zunächst auf die Waage gelenkt wur- scher Zugang geprägt, sei es in der Verwendung de. Und dieser – erste – Blick macht staunen: Ein des »terrain«-Begriffs, seinen Verweisen auf die Gewicht von stattlichen vier Kilogramm verweist be- SCOT (Social Construction Of Technology)-Theo- reits auf Umfang und Aufmachung des vorliegen- rie oder auf den französischen Soziologen Bruno den Werkes. Latour. Fickers erweitert diese Theorien zu seinem Ansatz der politischen Kulturgeschichte der Tech- »Am Puls der Zeit« lautet der Titel der dreibändigen nik und vergisst darüber auch nicht, technisch ge- Geschichte des Westdeutschen Rundfunks, die an- naue Beschreibungen der beiden Systeme und de- lässlich des 50. Geburtstags des Senders bei Kie- ren gemeinsamem Vorläufer NTSC zu liefern. Dies penheuer & Witsch erschienen ist – die »erste sys- gelingt ihm auf sehr eindrückliche Weise. Fickers Ar- tematische Darstellung« seiner Geschichte, wie es beit zeichnet sich zusätzlich durch ihre sehr große in den Bänden heißt. Und das bleibt kein leeres Ver- Quellenbasis aus, die auf einer umfangreichen Lite- sprechen, liefert doch die entlang der Zeitachse ge- raturliste, aber vor allem auf Interviews und viel Ar- ordnete Darstellung eine Fülle von Daten, Fakten und chivmaterial beruht. Beispielhaft sei hier nur die gute Anekdoten. Aufarbeitung des Walter Bruch-Nachlasses im Deut- schen Museum genannt. Zusammengetragen, systematisiert und aufbereitet wurden diese Bausteine zur WDR-Geschichte von ei- Mit seiner methodischen Herangehensweise schafft nem Herausgeberkreis unter Vorsitz von Klaus Katz. es Fickers, Mythen zu widerlegen und Vorstellun- Die Wissenschaftler Günther Schulz, Dietrich Leder gen von einer determinierten Technik aufzulösen. und Ulrich Pätzold und die WDR-Mitarbeiterinnen Auf die von ihm selbst auferlegte Frage nach nati- Petra Witting-Nöthen und Ulrike Ries-Augustin wag- onalen Technikstilen versucht er leider nur am Ende ten sich an die Aufgabe, ein vorderhand journalisti- überblicksartig einzugehen, diese Gedanken hätten sches Werk aus der Taufe zu heben, das lesefreund- mehr Platz verdient. Insgesamt sind die Ergebnisse lich sein sollte und gleichzeitig wissenschaftlichen zur PAL-SECAM-Kontroverse aber sehr gut herge- Kriterien standhält. Umgesetzt wurde dieses Pro- leitet und einleuchtend. Selten wurde das Netzwerk jekt gemeinsam mit 30 Autorinnen und Autoren, die von handelnden Akteuren auf so anschauliche und die thematische Bandbreite aufgrund ihrer beruflich- präzise Weise beschrieben wie in dem vorliegenden wissenschaftlichen Verortung abdecken konnten. So Buch. Ein Wermutstropfen bleiben die vielen franzö- gesellen sich zu journalistischen Beiträgern, oftmals sischen Zitate, die an keiner Stelle übersetzt werden, »Insidern« aus und um den WDR, auch prononcierte und damit bleibt manche Quelle für den Leser mit Rundfunkhistoriker – genannt seien etwa Ansgar Dil- geringen Französischkenntnissen leider verschlos- ler, Knut Hickethier und Hans-Ulrich Wagner. sen. Das dürfte jedoch nicht verhindern, dass Fi- ckers Buch zu einem Standardwerk der Fernsehge- Mit der Festmachung dieses Jubiläums wird an den schichte wird. Sendebeginn des »neuen«, selbstständigen West- Markus Speidel, München deutschen Rundfunk Köln gedacht, der ab 1. Janu- ar 1956 nicht mehr dem NWDR-Verbund angehörte. Gleichwohl konnte die Kölner Landesrundfunkan- stalt zu dieser Zeit schon auf eine über 30 Jahre währende Vorgeschichte zurückblicken, die 1924 ihren Anfang nahm, als im Juli die Westdeutsche Funkstunde AG (WEFAG) in Münster auf Sendung ging. Die WEFAG war damit eine von acht regiona- Rezensionen 79 len Rundfunkgesellschaften. Nachdem die »Kölner die Zahl der Anmeldungen stetig, sodass 1932 mit Zone« 1926 von den Besatzungsmächten geräumt 817.000 Teilnehmern 19 Prozent aller deutschen und damit auch vom Verbot jeglicher Sende- und Rundfunkteilnehmer im Sendegebiet der WERAG Empfangsanlagen befreit war, zog der Sender in sei- lebten. ne heutige Heimatstadt Köln um und stufte die übri- gen Standorte Münster, Dortmund und Elberfeld zu Ein umfangreiches Kapitel behandelt die Gleich- Nebenstellen herab. Aus der Westdeutschen Funk- schaltung des Rundfunks zur Zeit des Nationalso- stunde AG wurde die Westdeutsche Rundfunk AG zialismus, den systematischen Austausch des Per- (WERAG). sonals und die Repressalien des NS-Regimes. Ab Anfang der 30er Jahre agitierten die Nationalsozi- Auch diese historischen Entwicklungsprozesse des alisten gegen die WERAG, vor allem über ihr Gau- Westdeutschen Rundfunks sind nun in der dreibän- blatt »Westdeutscher Beobachter«. Ziel der Angriffe digen Geschichte des WDR nachzulesen. Denn er- war meist der Intendant Ernst Hardt, ehe dieser vom freulicherweise hat sich der verantwortliche Her- strammen Nationalsozialisten Heinrich Glasmeier im ausgeberkreis dazu entschlossen, nicht nur die April 1933 ersetzt wurde. vergangenen fünf Dekaden aufzuarbeiten, son- dern auch die Vorgeschichte des Kölner Senders in Die Programmgeschichtsschreibung stand in die- das etwa 1300 Seiten starke Werk mit einzubezie- sem ersten Band freilich vor veritablen Quellenpro- hen. Die Autoren konnten sich dabei auf eine Fül- blemen, sodass die Rekonstruktion des Programms le von Einzeluntersuchungen stützen, insbesondere mithilfe der regionalen Programmzeitschrift »(Die) auf die von Walter Först herausgegebenen »Anna- WERAG«, der Programmkritiken in der überregiona- len« sowie die von Joachim-Felix Leonhard edierte len Rundfunkpresse und vereinzelter Manuskripte »Programmgeschichte des Rundfunks in der Wei- in Nachlässen vorgenommen werden musste. He- marer Republik«. Darüber hinaus wurden auch bis- rauszulesen ist etwa, dass die WERAG vergleichs- her ungenutzte Quellen des Historischen Archivs weise stark auf leichte Unterhaltung setzte, aber des WDR und vieler weiterer Stadt- und Landesar- auch dem Bildungsbereich eine besondere Auf- chive erschlossen. Hier verdeutlichen sich die zen- merksamkeit zuteil wurde. Gewiss ist auch, dass tralen Erkenntnisperspektiven dieses Projekts: Die der spätere »Reichssender« mit 1,4 Millionen ange- Geschichte des WDR ist keine bloße Struktur- und meldeten Haushalten nach Hamburg nicht nur der Institutionengeschichte, sondern auch Sozialge- zweitgrößte deutsche Sender war, sondern auch schichte und vor allem Programmgeschichte. Die- dem Trend zur Trivialisierung des Programms Vor- se stellt in allen drei Bänden einen Schwerpunkt schub leistete. Den Hörern wurde im Verlauf der dar, wird sowohl mit den politischen Rahmenbedin- 30er Jahre ein immer breiteres Musikprogramm ge- gungen als auch mit den organisatorischen, tech- boten, das Abendprogramm wurde »leichter«, an- nischen und personellen Entwicklungen im WDR in spruchsvolle Inhalte in das Spät- und Nachtpro- Beziehung gesetzt. Ergänzt werden diese Darstel- gramm verdrängt. lungen durch mehrere Dutzend großzügige Port- räts prägender Persönlichkeiten des WDR. Darunter Das letzte große Kapitel des ersten Bandes widmet sind alle Intendanten, viele Journalisten, aber auch sich dem »Neuanfang« nach dem Ende des Zweiten in der breiten Öffentlichkeit weniger bekannte Ge- Weltkriegs. Hier wird deutlich, dass die britischen stalter des Rundfunks: Technische Direktoren, Pro- Besatzer bei der Neuorganisation des Kölner Funk- grammkoordinatoren, Musikverantwortliche. Eine hauses zunächst auf personelle Kontinuität setzten große Zahl an Zeitzeugeninterviews verstärkt diese und der Re-Integrationsprozess alter Nazi-Eliten in Innensicht zusätzlich. höhere Positionen im Gegensatz zur Presse eher verhalten geschah. Band 1 (»Die Vorläufer«) ist dem Zeitraum von 1924 bis 1955 gewidmet und wird durch eine Darstellung Band 2 (»Der Sender: Weltweit nah dran«) beginnt der Rundfunkentwicklung in Deutschland eingelei- mit dem Gründungsjahr des WDR und behandelt tet, darauf aufbauend werden vor allem die Aufbau- die Jahre 1956 bis 1984, somit jenen Abschnitt, in phase in der Weimarer Republik sowie die Zeit des dem das öffentlich-rechtliche Monopol noch nahezu Nationalsozialismus näher betrachtet. unangetastet blieb. Thematisiert werden das »stür- mische Wachstum« des Fernsehens und die damit Schon in der Gründungszeit zeichnete sich die Be- verbundene Neuorientierung des Hörfunks. Ver- deutung der WERAG ab, Ende des Jahres 1927 anschaulicht werden u.a. der Aufbau des Fernse- konnte sie bereits auf rund eine halbe Million Teil- hens, die Konflikte im Verlauf der »68er-Bewegung« nehmer verweisen, nur Berlin hatte zu dieser Zeit und die Entfaltung der Radio- und Fernsehprogram- mehr Hörer. Ähnlich wie bei anderen Sendern stieg me bis 1985. In diesem Band wird eine »Erfolgsge- 80 Rundfunk und Geschichte 3–4 (2007) schichte« nachgezeichnet, steht doch neben dem schaftlich-kritische denn journalistisch-unterhalt- Hörfunk bereits das Fernsehen im Mittelpunkt der same Aufarbeitung der Anstaltsgeschichte hinweg. Historie. Zurückgeführt wird diese Erfolgsgeschichte Für Kommunikationshistoriker ist die »gewichtige« vor allem auf die gelungene Symbiose aus seriösem, WDR-Geschichte jedenfalls ein Gewinn in der Bibli- investigativem Journalismus und attraktivem Unter- othek. haltungsprogramm. Auch die rundfunkpolitischen Bernd Semrad, Wien und technischen Entwicklungen sowie die Verknüp- fung der WDR-Identität mit dem Bundesland Nor- drhein-Westfalen finden hier ihre Berücksichtigung. Florian Kain Die Geschichte des ZDF 1977 bis 1982. Band 3 (1985–2005) wagt schließlich den Brücken- Geschichte des ZDF Teil III schlag zur Gegenwart. Mit dem Titel »Der Sender im Baden-Baden: Nomos 2007, 499 Seiten. Wettbewerb« wird die folgenreiche Zäsur der Du- alisierung des deutschen Rundfunksystems ver- Mit seiner Hamburger Dissertation hat Florian Kain deutlicht. In der Konkurrenzsituation mit privaten, den dritten Teil einer Geschichte des ZDF vorgelegt. kommerziellen Anbietern galt es, Struktur und Pro- Vorangegangen waren die Arbeiten von Klaus Weh- gramm des WDR an die neuen Bedingungen an- meier (1979) und Nicole Prüsse (1997). Kain nun hat zupassen. So werden hier auch manche Paradig- einen relativ engen Zeitabschnitt von sechs Jah- menwechsel angedeutet: Der öffentlich-rechtliche ren (1977 bis 1982) medienhistorisch rekonstruiert. Rundfunk stößt an die Grenzen seiner (Programm- Trotz der vielen Arbeit, die noch zu tun bleibt (ein )Angebotserweiterung und unternehmerischen Ent- Vierteljahrhundert Sendergeschichte harrt der kriti- wicklungsmöglichkeiten, was vor allem der immer schen Nachzeichnung), kann man festhalten, dass stärker gefährdeten Finanzierung eines öffentlich- Kain wie kein Zweiter die kurze Phase in der Ge- rechtlichen Senders aus den Rundfunkgebühren ge- schichte der Fernsehanstalt der Länder mit Akri- schuldet ist. bie und Universalität, d.h. klarem Blick für das mul- tifaktorielle Bezugssystem, in dem sich der Prozess Als Fazit lässt sich formulieren, dass dem Heraus- Fernsehen vollzieht, beschrieben hat. Politik und geberkreis eine informative, detailreiche, unterhalt- Programm, Personen und Finanzen, Technik und same und vor allem repräsentative WDR-Geschichte Wettbewerb – alle diese Bedingungsfaktoren wer- gelungen ist. Großen Respekt ringt die organisato- den von ihm thematisiert und, wo nötig, zueinander rische Leistung dieses Projekts ab: Ein Autorenor- in Relation gesetzt. chester von 35 Frauen und Männern zu dirigieren, dies zu einem harmonischen Ganzen zusammenzu- Für die gewaltige Arbeit, die hinter diesen 499 Sei- fügen und dem Publikum dann auch noch so aufzu- ten steckt, konnte der Forscher sehr freizügig das bereiten, dass es nicht von der Fülle der Information Unternehmensarchiv des ZDF nutzen. Transparenz erschlagen wird, sondern vielmehr die Orientierung und Toleranz des Senders gingen soweit, dass Kain aufgrund eines funktionierenden Leitsystems nie zu aus den internen Akten sogar heikle Personalan- verlieren droht – das ist angesichts der eingangs gelegenheiten namentlich zitieren kann, bei denen skizzierten Kennzahlen keine Selbstverständlich- die 30-jährige Schutzfrist noch nicht abgelaufen ist keit. (so ein Vorgang von 1978). ZDF-Intendant Markus Schächter hat zudem die Drucklegung des volumi- 1300 reich illustrierte Seiten sind durch übersicht- nösen Buches (mit zahlreichen Bildtafeln) finanzi- liche Sach- und Personenregister, Quellen- und Li- ell unterstützt. Man darf Kain abnehmen, dass der teraturverzeichnisse erschlossen sowie – selbst- Sender keinen inhaltlichen Einfluss auf die publizier- verständlich – mit Hinweisen zur Verortung der ten Ergebnisse der Forschung nahm. Denn sie fallen Autorinnen und Autoren versehen. »Am Puls der Zeit« in manchem sehr kritisch aus. ist nicht bloß Sendergeschichte, sondern ein wert- voller Beitrag zur deutschen Rundfunkgeschichte, Das gilt etwa für Kains distanzierte, klarsichtige Wer- mithin zu einer Kommunikationsgeschichte des öf- tung der Rolle Karl-Günther von Hases, der von 1977 fentlich-rechtlichen Rundfunks. Die drei Bände las- bis 1982 ein eher schwacher Intendant war: Anfangs sen sich gut als Nachschlagewerk verwenden, sind zu willfährig gegen die Begehrlichkeiten seiner eige- eine Struktur-, Sozial- und vor allem Programmge- nen Partei, der CDU, gelang ihm während der gan- schichte des WDR – nicht zu unterschätzen und bei- zen sechs Jahre keine echte Aneignung der nötigen spielhaft für andere Sendergeschichten ist der reich- Fachkunde des Fernsehgeschäfts. Als dann 1982 haltige Fundus von Hunderten von Sendungen, die Dieter Stolte das Intendantenamt übernahm (und erwähnt oder näher vorgestellt werden. Dieser Cha- es 20 Jahre lang behalten sollte), kam schlussend- rakter tröstet insgesamt über die weniger wissen- lich derjenige ans Ruder, der als Programmdirektor Rezensionen 81 schon seit langem der eigentliche Manager der Fern- Journalismus gewandert [...]«.1 Voß zog damit das sehanstalt und ihrer programmlichen Behauptung im Vor-Urteil in Zweifel, das ZDF sei stets eher den Kon- heraufziehenden Wettbewerb gewesen war. servativen zugeneigt gewesen.

Die stärksten Kapitel des Buches sind die über die Wie es wirklich war, dies kann Kain letztlich nicht auf- allmähliche Ausbootung des Kabarettisten Dieter Hil- klären. Seine Arbeit ist verdienstvoll auch so. Mögli- debrandt, das vorsichtige Verhalten des ZDF in der cherweise hat sich durch die intensive Nutzung des Phase des »Deutschen Herbstes«, über die Ausein- Unternehmensarchivs, dessen überlieferte Akten ja andersetzungen um Gerhard Löwenthal (»rechts«) stets von »Hierarchen« zusammengestellt wurden, und das Jugendmagazin »Direkt« (»links«), aber auch auch eine gewisse Oberperspektive in der wissen- jenes über die komplizierte Produktionsgeschichte schaftlichen Beschreibung durchgesetzt. Was er- der Kempowski-Verfilmung »Ein Kapitel für sich« von lebten die Redakteure? Was wollten sie, welchen – Eberhard Fechner. internen und externen – Widerständen begegneten sie? Antworten auf solche Fragen hätte man eher in Was Kain aus den Akten immer wieder entgegen Zeitzeugeninterviews finden können. Diese Methode schlug und sich nun wie ein rot-schwarzer Faden hat Kain, soweit aus den Quellennachweisen ables- durch das Buch zieht, sind die Interventionen von bar, aber nur in einem einzigen Fall genutzt, indem Politikern, vorzugsweise aus dem Fernsehrat her- er nämlich Reinhard Appel (Chefredakteur von 1976 aus. Zu nennen ist der CSU-Politiker und spätere bis 1988) interviewte. Dies muss man – Forschungs- bayerische Ministerpräsident Max Streibl, der frühe- ökonomie hin oder her – als bei weitem zu wenig be- re CDU-Vorsitzende (und langjährige ZDF-Verwal- urteilen. tungsratsvorsitzende) Helmut Kohl sowie Christian Schwarz-Schilling, der nicht müde wurde, unreflek- Noch eine Fehlstelle muss bemerkt werden: Zwar tiert gegen die angebliche »schulmeisterliche Arro- hatte die Rolle Leo Kirchs als Filmlieferant des ZDF ganz der Medienbeherrscher« (S. 259) zu Felde zu ihren prekären Höhepunkt Mitte der 70er Jahre – ziehen und als späterer Bundespostminister im Ka- also vor dem von Kain beschriebenen Zeitraum – binett Kohl die Verkabelung Deutschlands und damit schon überschritten. Dennoch erscheint es nicht neue Konkurrenz auch für das ZDF vorantrieb. Auch realistisch, dass Kirch späterhin keinerlei nennens- auf der anderen Seite des politischen Spektrums werte Spuren mehr in der Programmeinkaufspoli- zeigte man sich enttäuscht, wenn ZDF-Journalis- tik des ZDF unter Regie von Dieter Stolte hinterlas- ten auf parteiliche Erwartungen nicht eingegangen sen haben soll. waren. Willy Brandt etwa ließ dem damaligen ZDF- Chefredakteur Reinhard Appel 1981 ausrichten, er Kain hatte sich andere Schwerpunkte gesetzt, woll- frage sich: »Lohnt es sich eigentlich, für diese Brü- te vor allem die programmlichen Hervorbringungen der auf die Barrikaden zu gehen?« (S. 430) des ZDF – von der Entstehung des »heute journals« über die Etablierung einer Erfolgsshow wie »Wetten Die Vielzahl der von Kain ausgegrabenen Politikerin- dass…« bis hin zu fiktionalen Serien wie »Der Alte« – terventionen verführt den Leser zu einer eindeutigen dokumentieren und würdigen. Dies ist ihm gelungen. Schuldzuschreibung. Offen bleibt jedoch die Fra- Methodisch hat er es durch Nutzung der zeitgenös- ge, ob die Journalisten und sonstigen (fiktionalen) sischen Fernsehkritik als Quelle geleistet. Das ist le- Programmverantwortlichen des ZDF den Dreinreden gitim und sorgt für Plastizität (wo sich doch die au- wirklich immer widerstanden haben. Denn die Ver- diovisuelle Anschauung in einem Druckmedium wie pflichtung der Senderarbeit auf Konsens, die Inten- dem Buch mit einigen Standfotos begnügen muss). dant von Hase 1977 in einer Rede vornahm – »Fern- An einigen Stellen aber wurden Referat und Zitat sehen soll das soziale Bindegewebe in unserem Volk aus den Fernsehkritiken zu ZDF-Sendungen quanti- stärken« (S. 94) –, dieser Auftrag, Konsens zu stif- tativ etwas übertrieben, so man sich fragte, ob dies ten, hat das ZDF-Programm schon immer über weite ein Geschichtsbuch über das ZDF oder eines über Strecken bestimmt und tut es noch heute. Ein – pro- die willkürlichen Geschmacksurteile deutscher Kri- blematischer – Aspekt davon ist es, den Politikern tik sei. eher ein Forum zu bieten, als ihnen kompetent zu widersprechen. Und um das Bild nochmals zu diffe- Doch sind dies eher nebensächliche Einwendungen, renzieren, zu komplizieren: Der frühere SWR-Inten- die die große Leistung Florian Kains nicht schmälern dant Peter Voß, ZDF-Redakteur von 1971 bis 1993, können. Fernsehgeschichte ist immer ein sehr kom- hat jüngst in einem epd-Interview eine Vorherrschaft plexer Prozess aus subjektiven und objektiven Fak- linker Redakteure im ZDF behauptet: »So war der Zeitgeist. Das war ja damals meine Chance, meine Marktlücke. Vergröbert gesagt: Die APO war in den 1 In: epd medien 33/07, S. 8. 82 Rundfunk und Geschichte 3–4 (2007) toren, aus flüchtigen Wirkungen und bleibenden Fol- Das Gros des Buches bilden dann auch die Inhalts- gen. Kain hat diese Gemengelage sehr genau und beschreibungen und Darstellungen der Sendekon- übrigens auch sehr lesbar nachgezeichnet – mit er- zepte und Spielverläufe zu den einzelnen Quiz- und kennbarem Bemühen sowohl um kritische Distanz Spielsendungen. Der Detailreichtum dieser Ausfüh- als auch um Fairness. rungen ist beachtenswert, führt gleichwohl in seiner Volker Lilienthal, Wiesbaden deskriptiven Aufbereitung mit den darin eingebunde- nen zahlreichen Angaben zur Programmplatzierung, zu Senderhythmus, Akteurskonstellationen und vie- Oskar Fanta len anderen formalen und inhaltlichen Kriterien stre- Sehen – Raten – Lachen? ckenweise zu Längen. Die Unmengen an – zugege- Quiz- und Spielsendungen im Fernsehen der DDR ben im medienwissenschaftliche Sinne manifesten (= Berliner Beiträge zur Mediengeschichte, Band 2) – Daten zu den ca. 40 näher vorgestellten Quiz- und Berlin: Weißensee Verlag 2006, 253 Seiten. Spielsendereihen (zu denen noch einmal mindestens genauso viele in den zusammenfassenden Textpas- 2003 war im Weißensee Verlag als erster Band der sagen hinzukommen) werden selbst dem aufmerk- »Berliner Beiträge zur Mediengeschichte« Uwe Brei- samen Leser schnell zu viel. Andererseits tun sich tenborns „Wie lachte der Bär“? erschienen.1 Die- markante Lücken auf. So hätte man sich mehr Hin- se Aufarbeitung der Unterhaltungssendungen des tergrundinformationen zu vom Autor mehrmals be- DDR-Fernsehen hatte Oskar Fanta seinerzeit zu tonten Personen wie Hans Georg Ponesky und sei- Recht als Pionierleistung gerühmt. Nun legte der nem Kollektiv gewünscht, die entscheidend bei der ehemalige Rezensent im Sommer letzten Jahres mit Entwicklung neuer Quiz- und Spielsendungen mit- »Sehen – Raten – Lachen« selbst den zweiten Band gewirkt haben. dieser Schriftenreihe vor, der sich nun zentrierter mit den Quiz- und Spielsendungen aus den Adlersho- Während Breitenborn in seinem Buch eine Zuord- fer Fernsehstudios auseinandersetzt. Im Gegensatz nung nach bestimmten Themenkomplexen wie zur zeitlichen Eingrenzung von Breitenborn auf die Sport, sozialistische Staatengemeinschaft oder Ar- 1950er und 1960er Jahre schafft Fanta mit seinem beitswelt bei der Erfassung der Unterhaltungssen- Buch einen Überblick über den gesamten Zeitraum dungen vornahm und damit auf inhaltliche Schwer- des Bestehens des DDR-Fernsehens von 1952 bis punkte aufmerksam zu machen verstand, geht Fanta 1990. dagegen streng chronologisch vor. Eine kurze the- matische Bündelung der zahlreichen Sendekonzep- Bei erster Durchsicht scheinen sich die Themen und te leistet erst das letzte zusammenfassende Kapitel. Zielstellungen dieser beiden Bücher mehr als nur zu Tendenzen, die er mit dieser Vorgehensweise unter ergänzen, und so ist die Vorgehensweise von Fan- Berücksichtigung der politischen Entwicklung in der ta der Breitenborns nicht unähnlich. Auch bei ihm DDR aufzeigen will (s. dazu weiter unten), gehen in geht es zuallererst um eine bisher nicht geleistete diesen Einzelausführungen verloren. Es ist anzuneh- chronologische Erfassung und inhaltliche Beschrei- men, dass die meisten Leser, die das Buch zur Hand bung der wichtigsten Fernsehproduktionen eines nehmen, sich deshalb für eine punktuelle Lesestra- bestimmten Programmsegments des DDR-Fernse- tegie entscheiden werden und sich insbesondere hens, nämlich der Quiz- und Spielsendungen. Über- den Kapiteln und den darin vorgestellten Sendungen schneidungen und viele Verweise auf den Vorgän- widmen, mit denen sie persönliche (Rezeptions-)Er- gerband bleiben da nicht aus und unterstreichen den innerungen verbinden. zeitweiligen Eindruck des Lesers, hier bereits Pu- bliziertes noch einmal vorzufinden. Doch durch die Die chronologische Vorgehensweise resultiert aus zeitliche Erweiterung und thematische Modifizierung dem Bestreben Fantas, für die Entstehung und Ent- seines Untersuchungsfeldes erbringt Fanta einen wicklung dieser Programmformen innerhalb der weiteren wichtigen und auch eigenständigen Beitrag DDR-Fernsehgeschichte auch eine gesellschafts- bei der Erarbeitung einer Programmgeschichte des historische Kontextualisierung zu leisten. Um die (ost)deutschen Fernsehens. Es kann nicht oft genug DDR-spezifischen Ausprägungen bei diesen inter- betont werden, dass dazu eben auch eine sorgfältige national gängigen TV-Formaten deutlich werden zu »historische Bestandsaufnahme« des bisher gesen- lassen und sie anschließend einer erklärenden Kri- deten audio-visuellen Materials gehört, die erst ein- tik zu unterziehen, verweist er auf den zentralen Be- mal geleistet werden muss. Allein für diese mühsame quantitative Arbeit, die eine umfassende Sichtung der noch vorhandenen schriftlichen (Archiv-)Quellen 1 Uwe Breitenborn: Wie lachte der Bär? Systematik, Funktionalität und der erhalten gebliebenen Sendemitschnitte be- und thematische Segmentierung von unterhaltenden nonfiktionalen inhaltete, gebührt Oskar Fanta Anerkennung. Programmformen im Deutschen Fernsehfunk bis 1969. Berlin 2003. Rezensionen 83 griff der sozialistischen Unterhaltung. Dass er aber den. Mit dem Machtwechsel von Ulbricht zu Hone- bei dessen Herleitung zuvorderst auf die Ergebnisse cker zu Beginn der 70er Jahre spielte »der Auftrag« einer Arbeit von Wolfgang Mühl-Benninghaus (»Un- in der Regel nicht mehr die entscheidende Rolle terhaltung und Entspannung«) verweist, die kurio- bei der Konzeptionierung neuer Quiz- und Spiel- serweise noch gar nicht erschienen ist, erscheint zu- formate. Unterhaltung wurde jetzt mehr in seiner mindest dem Rezensenten als nicht gebräuchlich. ursächlichen Bedeutung als Form der Zerstreuung Eine weitergehende Überprüfung der dieser Arbeit zelebriert, um einerseits von den immer offenbarer entlehnten Thesen und Ansätze kann deshalb nicht werdenden Problemen der DDR-Gesellschaft abzu- geleistet werden. Dies ist umso bedenklicher, weil für lenken, andererseits aber auch der Unterhaltungs- die theoretische Einbindung und Begründung sei- offensive des westdeutschen Fernsehens begeg- ner weiteren methodischen Vorgehensweise dieser nen zu können. Text immer wieder herangezogen und ausgiebig zi- tiert wird. Auch wenn Fantas Argumentationsführung bezüg- lich des Verhältnisses von inhaltlicher Ausrichtung Danach war die »Funktion« von Unterhaltung in der bestimmter Quizsendungen im DDR-Fernsehen und DDR aus einem besonderen sozialistischen Freizeit- dem Entwicklungsstand der DDR-Gesellschaft in begriff abgeleitet (S. 25). In dessen Verständnis stell- sich gesehen sehr schlüssig erscheint, sollte klar ten die Freizeit und die darin aufgehobene Unter- sein, dass Orientierungen auf die gesellschaftliche haltung keinen gegensätzlichen Möglichkeitsraum Wirklichkeit kein ursächliches DDR-Fernsehphäno- zum Pflichtbereich Arbeit dar, der vollkommen sub- men beschreiben oder gar eine Wesenheit sozia- jektiv und rein spielerisch ausgestaltet werden soll- listischer Unterhaltungskunst darstellen. Auch die te, sondern beide bildeten eine dialektische Einheit. BRD-Fernsehgeschichte der 50er Jahre war da- Dementsprechend war die sozialistische Unterhal- durch gekennzeichnet, dass sie »Unterhaltung mit tung nicht als individuelle Wirklichkeitsflucht aus den ernstem Unterton« verfolgte und deren Quiz- und gesellschaftlichen Gegebenheiten gedacht, sondern Gameshows vorrangig Bildungsabsichten hatten. sollte mit künstlerischen Mitteln zur Wirklichkeits- Fanta beschreibt dieses zur selben Zeit auch in den auseinandersetzung und -gestaltung auffordern, DDR-Fernsehshows gepflegte Kriterium unter Be- was mit besonderen inhaltlichen und formalen An- zug auf Mühl-Benninghaus als Wesensart der sozia- forderungen an diese verbunden ist. Deshalb wurde listischen Unterhaltungskunst. Genauso spiegelten in der DDR in der Regel von »Unterhaltungskunst« mehrere Quiz- und Spielsendungen der westdeut- gesprochen. schen Fernsehanstalten politische Entwicklungen und damit erhoffte gesellschaftliche Auswirkungen Zur Veranschaulichung dieser ideologischen Deu- wider bzw. fanden dort ihren thematischen Kern (z. tung von Unterhaltung entwirft Fanta eine »soziokul- B. »Einer wird gewinnen« und »Spiel ohne Grenzen« turelle und politisch-ökonomische Chronologie des mit deutlichem Bezug auf den anlaufenden Prozess Fernsehens der DDR« (S. 14), die aber mehr eine der europäischen Einigung). grundsätzliche Entwicklung des Staates DDR dar- stellt und sich vorrangig an den Ergebnissen von Eine solche Relativierung der richtig erkannten In- Klaus Schroeder und André Steiner2 orientiert. Für strumentalisierung von Spiel- und Unterhaltungs- die zeitliche Segmentierung seiner Untersuchung, formaten für politische oder gesellschaftliche Zwe- aus der sich gleichzeitig die Kapitelfolge des Buches cke im DDR-Fernsehen wird in dem Band von Oskar ergibt, übernimmt Fanta die programmgeschichtli- Fanta nicht deutlich genug vollzogen. Fernsehen che Periodisierung des DDR-Fernsehens von Peter als »kulturelles Forum« wird an allen Orten dieser Hoff3, die er dann jeweils mit den wichtigsten politi- Welt unabhängig vom jeweiligen Gesellschaftssys- schen Daten der DDR-Geschichte einleitet. tem auf die sie umgebende kulturellen und sozia- len Wirklichkeiten Bezug nehmen und deren nor- Auf diese Art versucht Fanta, die (geschichtlichen) mative Wertekataloge (mit)repräsentieren (müssen), Ursachen und Bedingungen herauszustreichen, die will es in seinen Aussagen von der gesellschaftli- zu den mitunter sehr auffälligen Ausrichtungen be- chen Öffentlichkeit verstanden und angenommen stimmter Quiz- und Spielshowformate auf politische werden. Die Frage ist, welche Machtsphären diese und gesellschaftliche Zwecke geführt haben und die der Autor zu Recht im SED-geführten Staats- sozialismus der DDR begründet sieht. Dies gilt vor allem für die 50er und 60er Jahre, als sich vieler- 2 Klaus Schroeder: Der SED-Staat. Partei, Staat und Gesellschaft. lei Quiz- und Spielshows ganz bestimmten politi- München 1998; André Steiner: Von Plan zu Plan: eine Wirtschaftsgeschichte der DDR. München 2004. schen Ereignissen verpflichtet fühlten oder gleich 3 Knut Hickethier [unter Mitarbeit von Peter Hoff ]: Geschichte des zu Trägern ideologischer Kampagnen gemacht wur- deutschen Fernsehens. Stuttgart 1998. 84 Rundfunk und Geschichte 3–4 (2007)

Wirklichkeiten durchziehen und wer die normativen taloge von Kriterien journalistischer Qualität erörtert Wertekataloge bestimmt. Die Unterscheidung liegt und deren Stärken und Schwächen diskutiert. Als seitens der DDR im zentralistischen Staatsaufbau, Kondensat ihrer Reflexionen schlägt Hermes vor, hinter dem das staatliche und politische Monopol die Faktoren, die die Bewertung journalistischer einer kommunistischen Partei stand, und einem fö- Qualität bestimmen, mittels W-Fragen zu ermitteln: deralen System in der BRD, in dem die realisierten Wer bewertet was anhand welcher Kriterien und wa- Sendeideen in der Regel nicht vom Willen einer po- rum? Und: Worauf bezieht sich die Bewertung? litischen Partei abhingen bzw. in direkter Beziehung zu politischen Kampagnen standen, sondern das Ihre eigene Studie verortet Hermes an der Schnitt- Fernsehen staatsfern agierte und deshalb eigenver- stelle von Redaktionsforschung in der Tradition antwortlich auf soziale, kulturelle Bedürfnisse und Manfred Rühls und dem wirtschaftswissenschaft- gesellschaftliche Entwicklungen reagieren konnte. lichen Qualitätsmanagementkonzept Total-Qua- lity-Management (TQM) samt dessen Prinzipien Ungeachtet dieses Kritikpunkts ist Oskar Fanta ein Ganzheitlichkeit, Prozesshaftigkeit, Kontrollmög- medienhistorisch fundiertes Werk gelungen, das lichkeiten/Messbarkeit, Kundenorientierung, Mit- umfassend und detailliert aufklärt über Werdung und arbeiterorientierung und Gesellschaftsorientierung. Entwicklung eines wichtigen Programmsegments im Im Mittelpunkt der empirischen Analyse stehen Pro- DDR-Fernsehen. Für eine programmgeschichtliche zesse und Strukturen redaktioneller Arbeit, in denen Erforschung des deutschen Fernsehens stellt die- journalistische Inhalte entstehen. Hermes rückt so- ses Buch einen weiteren wichtigen Baustein zur Ver- wohl journalistisch-handwerkliche Programme (u.a. fügung. Recherche, Themenauswahl, Gegenlesen) als auch Lutz Warnicke, Potsdam Programme redaktionellen Managements wie Per- sonalmanagement und redaktionelles Marketing in den Blick. Ziel ist es, die Bedeutung von Instrumen- Sandra Hermes ten journalistischen Qualitätsmanagements im re- Qualitätsmanagement daktionellen Alltag deutscher Nachrichtenredakti- in Nachrichtenredaktionen. onen zu ergründen. Dazu hat sie Anfang 2004 eine Köln: Herbert von Halem Verlag 2006, standardisierte Befragung redaktionell Verantwort- 384 Seiten. licher aller tagesaktuell arbeitenden Nachrichtenre- daktionen in Deutschland durchgeführt – mit einer Kommunikationswissenschaftliche Forschungsar- erfreulichen Rücklaufquote von 48,5 Prozent. beiten zur Qualität und Qualitätssicherung im Jour- nalismus stoßen häufig auf wenig Resonanz in der Hermes kommt insgesamt zu dem Ergebnis, dass Praxis. Sandra Hermes hat mit ihrer Dissertation die Mehrheit der deutschen Nachrichtenredaktio- an der Universität Hamburg eine Studie vorgelegt, nen keine bewusste Qualitätsmanagementstrategie die explizit den Anspruch verfolgt »praktische An- einsetzt und von einer ganzheitlichen Qualitätskul- regungen für redaktionelles Qualitätsmanagement« tur noch weit entfernt ist. Dabei setzt der finanzi- (S. 24) zu liefern und auf diese Weise selbst einen ell und personell nach wie vor relativ gut ausgestat- Beitrag zur journalistischen Qualitätssicherung zu tete öffentlich-rechtliche Rundfunk TQM-Prinzipien leisten. Dabei geht sie von einem funktional-multidi- am umfangreichsten um. Im Detail wird deutlich, mensionalen Qualitätsbegriff aus. Nach diesem Ver- dass auch Redaktionen, die sich nicht zu bewussten ständnis gibt es nicht nur eine, sondern viele Quali- Qualitätsmanagementkonzepten bekennen, durch- täten: »Jedem Medientyp, jedem Publikationsorgan aus bereits Elemente eines solchen Konzepts an- und jeder Darstellungsform werden […] in Abhän- wenden: So geben immerhin rund 70 Prozent der gigkeit zu ihrer Funktion und zur anvisierten Ziel- Befragten an, dass ihre Redaktion spezielle Quali- gruppe eigene Qualitätskriterien und -ziele zuge- tätsziele formuliert hat (z. B. mündliche oder schrift- standen.« (S. 18) liche Vereinbarung, Leitbild oder Stylebook). Aller- dings reichen nur etwa zwei Drittel derjenigen, bei Hermes bettet ihre Studie in einen ausführlichen und denen ein solches Leitbild vorhanden ist, dieses an zugleich kritischen Überblick über einschlägige the- ihre freien Mitarbeiter weiter. Sie verschenken laut oretische und empirische Arbeiten zur Qualität im Hermes so die Chance, ihren »freien Mitarbeitern Journalismus ein, die sie in Anlehnung an Siegfried auf diesem simplen Weg ein konsistentes Bild der Weischenbergs »Zwiebel-Modell« entlang der Ebe- redaktionellen Ziele zu vermitteln« (S. 249) und dies nen Medienakteure, Medienaussagen, Medieninsti- obwohl der Anteil an freien Mitarbeitern in vielen tutionen und Mediensysteme systematisiert. Als be- deutschen Redaktionen hoch und die Qualität ih- sonders instruktiv erweist sich dabei der Abschnitt rer Arbeit bedeutsam für die Qualität des journalis- zur Medieninhaltsforschung, in dem sie mehrere Ka- tischen Produkts sei. Rezensionen 85

Zu den Instrumenten des Personalmanagements zung zur sozialwissenschaftlich geprägten Journa- im Rahmen der Aus- und Weiterbildung in Redak- lismusforschung. tionen zählt nach Hermes auch das Volontariat. Dessen Stellenwert liest sie an der Betreuungssi- Im ersten Abschnitt geht es um Begriffsklärungen. Im tuation der Berufsanfänger ab – und diese sei »we- Mittelpunkt stehen die Begriffe Journalismus, Medi- nig befriedigend« (S. 256). Nur in rund 40 Prozent en und Kommunikation, denen sich Renner nähert, der Redaktionen steht ein Volontärsvater zur Ver- indem er vorliegende Erkenntnisse resümiert und fügung, ansonsten sind Redaktionsleiter bzw. CvD diskutiert. Instruktiv für die Journalismusforschung (ca. 45 Prozent) oder »alle« (ca. 35 Prozent) zustän- ist dabei, dass der Autor durch die Einbeziehung von dig, sodass Hermes aufgrund von Zeitmangel und sprach- und textwissenschaftlichen Konzepten De- fehlender Verbindlichkeit eine angemessene Be- siderate identifiziert – etwa in Bezug auf die sprach- treuung und Ausbildung bezweifelt. In Bezug auf lichen Aspekte des Journalismus (vgl. S. 29 f.) oder das journalistische Handwerk zeigt die Studie u.a., die Relevanz der Gestaltung journalistischer Texte dass in rund 76 Prozent der Redaktionen regelmä- bei der Verbreitung von Themen (vgl. 31 f.). ßig gegengelesen wird; in einem Viertel zählt die Korrektur durch eine weitere Person jedoch nicht Kritisch setzt sich Renner mit der »Zeitung als Para- zur redaktionellen Routine. In vier von zehn Online- digma des Journalismus« (S. 38) auseinander – ge- Redaktionen wird sogar erst nach der Veröffentli- meint ist damit, dass sich die gängigen Definitionen chung gegengelesen, was Hermes als »grob fahr- des Journalismus direkt oder indirekt an der Zei- lässig« (S. 304) einstuft. tung orientieren, dem Medium, mit dem der Jour- nalismus entstanden ist. Renner appelliert jedoch, Neben den exemplarisch genannten Befunden hat Journalismus als eine Form von Medienkommuni- die Untersuchung von Hermes noch zahlreiche an- kation anzusehen, die an kein spezifisches Medium dere interessante empirische Ergebnisse hervorge- (Print, Radio, Fernsehen und Internet) gebunden ist bracht, die die Autorin samt theoretischen Überle- und die sich – in Anlehnung an die institutionalisier- gungen in einen Ideenkatalog einfließen lässt, der ten Makroformen der Kommunikation von Siegfried nützliche Ratschläge für die journalistische Praxis J. Schmidt und Guido Zurstiege – von anderen Kom- enthält. munikationsgattungen, die ebenfalls in den Medien vorzufinden sind (Werbung, Public Relations, Lite- Alles in allem: Sandra Hermes hat ein sehr gut lesba- ratur etc.), durch konstitutive Merkmale unterschei- res Buch vorgelegt, das zahlreiche Anregungen für det: aktuell, authentisch, nicht-interessengebun- die weitere Erforschung journalistischer Qualität bie- den. Dass diese Definition keine neuen Merkmale tet – wie für die Qualitätssicherung im Journalismus zur Begriffsbestimmung des Journalismus anführt, selbst. Sie wird ihrem Anspruch gerecht. erkennt Renner selbst und verweist auf den aus sei- Kristina Wied, Bamberg ner Sicht entscheidenden Unterschied: die Gleich- wertigkeit dieser Faktoren. Demgegenüber würden systemtheoretisch begründete Definitionen Journa- Karl Nikolaus Renner lismus »letztlich mithilfe des einstelligen Prädikats Fernsehjournalismus. >aktuell<« bestimmen und die weiteren Merkmale Entwurf einer Theorie des Journalismus »als >Bedeutungsdimensionen< des kommunikativen Handelns des zentralen Begriffs >aktuell<« (S. 56) verstehen, Konstanz: UVK Verlagsgesellschaft 2007, so seine Argumentation. Dieser Aktualitätsbegriff sei 522 Seiten. überdehnt (vgl. S. 57).

Es stimmt, die sozialwissenschaftlich ausgerichtete Im zweiten Abschnitt entwickelt Renner ein Modell Journalismusforschung hat sich bislang kaum theo- der Face-to-Face-Kommunikation, das sich aus drei retisch mit dem Fernsehjournalismus auseinander- Faktorenbündeln zusammensetzt: 1.) den Zeichen, gesetzt. Auch das journalistische Handwerk selbst die als Kommunikationswerkzeuge betrachtet wer- befindet sich sicherlich nicht im Mittelpunkt des In- den, 2.) den elementaren kommunikativen Handlun- teresses der Journalismusforschung. Ausgehend gen, die Sprecher und Hörer mit diesen Werkzeugen von diesen Defiziten befasst sich Karl Nikolaus Ren- ausführen und 3.) den Kooperationsbeziehungen ner theoretisch mit der Frage, »wie sich journalisti- von Sprecher und Hörer. Im Zentrum steht dabei sches Handwerk verändert, wenn der Journalismus das Konzept des kommunikativen Handelns, nach von der Zeitung in das Fernsehen wandert« (S. 13) – dem Kommunikation als soziales Handeln mit Hil- und macht so einen ersten Schritt, diese Lücken zu fe von Zeichen verstanden wird. Renner sieht dies schließen. Dazu stellt er zeichen-, text- und medi- als Ausgangspunkt für eine interdisziplinär angeleg- enwissenschaftliche Überlegungen an – als Ergän- te Journalistik (vgl. S. 101). Vor diesem Hintergrund 86 Rundfunk und Geschichte 3–4 (2007) beschäftigt er sich u.a. mit der Zeichentheorie und Anna Amelina der Sprechakttheorie. Propaganda oder Autonomie? Das russische Fernsehen von 1970 bis heute Im dritten Abschnitt geht es um Transformationen (=bibliotheca eurasica, Band 4) von Face-to-Face-Kommunikation. Es wird bspw. Bielefeld: transcript verlag 2006, 338 Seiten. thematisiert, welche Auswirkungen es für das kom- munikative Handeln hat, wenn mediale Zeichenkör- Mediensoziologische Studien zur gesellschaftlichen per wie Schrift, Fotos oder bewegte Bilder anstel- Funktion des Fernsehens in der Sowjetunion wa- le von gesprochener Sprache verwendet werden ren bis zu Beginn der 90er Jahre zum Scheitern ver- und wenn viele statt nur zwei Menschen miteinan- urteilt. Erst der unmittelbare Zugang zu den medi- der kommunizieren. alen Institutionen während der Perestroika-Phase, die Kooperation mit Fernsehinstitutionen in den 90er Im vierten Abschnitt konzentriert sich Renner auf Jahren sowie die Auswertung medienwissenschaft- den Fernsehjournalismus und erläutert, wie das Me- licher Untersuchungen an russischen Universitäten dium Fernsehen und die Kommunikationsgattung ermöglichten auch westlichen Medienforschern in- Journalismus zusammenhängen. Ausgangspunkt ist tensive Studien. Die an der Universität Bielefeld tä- das Fernsehen als technisches Medium und Bilder- tige Soziologin Anna Amelina konnte in ihrer Unter- medium, das bewegte Bilder ebenso verwendet wie suchung unter der Leitfrage »Wie läuft der mediale Töne, Musik, gesprochene und geschriebene Spra- Wandel im neuen Russland ab?« auf eine beträchtli- che und das er als »semiotisches Amalgam« (S. 395) che Zahl solcher fundierter Arbeiten zu diesem The- bezeichnet. Renner identifiziert drei »Submedien des ma zurückgreifen.1 In ihrer aus zwei grundlegenden Fernsehens« (S. 428): den Film, das Sprechfernse- Teilen bestehenden Studie entwickelt sie zunächst hen und die Live-Ereignis-Übertragung, die sich in ein Ausdifferenzierungskonzept der modernen Mas- der Herstellung fernsehjournalistischer Beiträge un- senmedien im Hinblick auf die Umbruchprozesse in terscheiden. Zum Schluss thematisiert Renner die Russland zwischen 1986 und 2005. Danach widmet Veränderungen des Journalismus durch das Fern- sich Amelina der soziologischen Rekonstruktion die- sehen: medienspezifische Ausdifferenzierungen im ses Ausdifferenzierungsprozesses am Beispiel des Bereich der Struktur des Journalismus und Verän- Fernsehens, das sie als das wichtigste Massenme- derungen der journalistischen Beiträge. dium bezeichnet.

Leider verschwindet in dem umfangreichen Werk Für die Untersuchung des Wandlungsprozesses des das Ausgangsziel – den Fernsehjournalismus zu ver- sowjetischen bzw. russischen Fernsehens von 1970 stehen – manchmal etwas aus dem Blickfeld, ob- bis heute operiert Amelina mit zwei medialen Kom- wohl der Autor dies eigentlich vermeiden wollte (vgl. munikationstypen: »Propagandakommunikation« S. 16). Dagegen ist es immer dann besonders infor- und »modernes Funktionssystem der Massenme- mativ und überzeugend, wenn Renner die Brücke dien«. Während im ersten Typus »das Publikum [...] zwischen Theorie und dem praktischen Journalis- den Produktionsinstanzen von Propaganda hierar- mus im Allgemeinen (z. B. in Bezug auf die journa- chisch untergeordnet [ist]« (S. 16), besitzt der zwei- listischen Darstellungsformen, vgl. S. 334 ff.) bzw. te Typus die Fähigkeit, »sich auf der Grundlage eines dem Fernsehjournalismus im Speziellen (etwa durch binären Codes und autopoietischer Geschlossen- immer mal wieder eingeflochtenen Analysen eines heit« (S. 17) zu reproduzieren. In diesem System, Fernsehbeitrags bzw. das gesamte Kapitel Fernseh- das durch Themenoffenheit gekennzeichnet ist, ord- journalismus) schlägt. nen sich die Rezipienten den Produktionsinstanzen nicht unter. Die beiden Kommunikationstypen bilden Karl Nikolaus Renner hat mit diesem Buch einen Ent- sich laut Amelina in unterschiedlich strukturierten wurf zur Theorie des Fernsehjournalismus vorgelegt, Gesellschaftsformen aus. »Während in der Organi- der Ansätze unterschiedlicher Wissenschaftsdiszi- sationsgesellschaft der Sowjetunion die Propagan- plinen instruktiv miteinander verknüpft. Er hat da- da die Konstruktion gesellschaftlicher Wirklichkeit mit erstens die Grundlage für weitere theoretische übernahm, realisiert in der funktional differenzierten Arbeiten zum Fernsehjournalismus erarbeitet. Zwei- Gesellschaft [des Westens] das System der Mas- tens lassen sich auf dieser Basis empirische Ar- senmedien die Herstellung mehrerer Wirklichkeiten.« beiten zum Fernsehjournalismus durchführen, die (S. 17) dessen Mehrdimensionalität angemessen berück- sichtigen. Kristina Wied, Bamberg

1 Verzeichnis der deutsch- und englischsprachigen sowie russischsprachigen Literatur, S. 317–333. Rezensionen 87

Ausgehend von der These, dass »nach Beginn der gen, Werbung, Kommerzialisierung herausbildeten Perestroika die Organisationsgesellschaft zuneh- und die Aufhebung der hierarchischen Unterordnung mend durch [ihre] funktionale Differenzierung abge- unter den Staat erfolgte. In der dritten Phase findet löst wird« (S. 17), die sich durch die Herausbildung die Ausdifferenzierung der Public Relations zum in- von Teilsystemen ohne hierarchische Verhältnis- formellen Bereich innerhalb des russischen Fernse- se zueinander auszeichnet, untersucht Amelina die hens statt. Der nach Abschluss der Präsidentenwahl strukturelle Ebene des Medienwandels in Russland. 1996 einsetzende Medienkrieg dient, wie die Aus- Dabei unterscheidet sie zwischen drei Typen me- wertung der Experteninterviews verdeutlicht, dem dialer Kommunikation unter Berücksichtigung der »Schlagabtausch der gegnerischen Seiten mit Me- methodischen Trennung zwischen Produktions- und dienberichten, die negative Informationen über Kon- Rezeptionsstrukturen: Propaganda, das sich ausdif- kurrenten beinhalten« (S. 255). Die daraus gewon- ferenzierende System der Massenmedien mit seinen nene Erkenntnis, dass »Medienkrieg [...] eine Form einzelnen Funktionssystemen und Public Relations. der informellen PR [ist[« (S. 255), legt Amelina der Anschließend modelliert die Autorin das Konzept ausführlichen Darstellung der Parlaments- und Prä- der massenmedialen Ausdifferenzierung als einen sidentenwahlen 1999/2000 zugrunde, die mit dem Prozess, der »durch endogene Bedingungen (mas- Amtsantritt von Wladimir Putin auch die vierte Pha- senmediale Globalisierungsprozesse) und exogene se einleitete. Unter der Überschrift »Konkurrenz zwi- Bedingungen (Erosion parteilicher Kontrollmecha- schen autopoietischen Massenmedien, informel- nismen, Entstehung massenmedialer Märkte) ange- len Public Relations und der Propaganda« zeichnet trieben« (S. 18) wird. Amelina den partiellen Rückfall in die hierarchische Unterordnung der Fernsehorganisationen unter den Der zweite Teil dieser methodisch ausgefeilten Un- Staat bei gleichzeitiger Bewahrung des informellen tersuchung ist der soziologischen Rekonstruktion Medienbereiches nach. In dieser vierten Phase, so der massenmedialen Ausdifferenzierung im neu- Amelina, »hören die Medienkriege auf« (S. 273), weil en Russland gewidmet. Sie erfolgt auf der Grundla- sich innerhalb des politischen Systems die Zentrali- ge der analysierten Sekundärliteratur und durch die sierungstendenzen verstärkten. Auch wenn die Me- Auswertung von Experteninterviews mit Vertretern dienlandschaft nach wie vor durch die Pluralisie- des russischen Fernsehens. Gegenstand der Analy- rung der Medienorganisationen gekennzeichnet ist, se sind die zentralen Fernsehsender der Russischen zeichne sich dennoch die Teilmonopolisierung des Föderativen Republik, die auf Grund ihrer Reichweite Fernsehens nach einer Reihe von inszenierten Ver- große Teile der Regionen erreichen. Um den Wand- boten privater Fernsehsender (NTV, TV-6, TVS) ab. lungsprozess abzubilden, konstruiert Amelina ent- Der Druck auf die redaktionelle Linie in Fernsehsen- sprechende Duale (wie z.B. Zentralisierung versus dern mit staatlichem Anteil (ORT, RTR, TVZ) wird funktionale Differenzierung), die den Übergang von verstärkt; Zensur und andere Kontrollmechanismen einem zum anderen Pol fixieren und mögliche ent- wie auch die physische Vernichtung von widerstän- stehende neue Strukturen (wie z.B. autonome Or- digen Journalisten prägen darüber hinaus die me- ganisationen) benennen. Die Ausdifferenzierungs- diale Landschaft um 2005/2006. Dabei ist festzu- prozesse der Massenmedien werden in fünf Phasen halten, dass die interviewten Journalisten meist von unterteilt: Vorphase (1970–1985), 1. Phase (1986– einer diffusen Unterdrückung unterschiedlicher Mei- 1991), 2. Phase (1991–1995), 3. Phase (1995–2000), nungspositionen sprechen. 4. Phase (ab 2000). Das Ergebnis dieser bislang fundiertesten deutsch- Für die Vorphase (1970–1985) wählt Amelina den Be- sprachigen Studie zur russischen Fernsehmedi- griff »Quasi-Massenmedien«, die ihre soziale Rea- en-Landschaft signalisiert somit eine starke Irrita- lität durch die Kontrollmechanismen des kommu- tion der autopoietischen Massenmedien, die ihren nistischen Parteiapparates konstruierten. In diesem Ausdruck »in der Einführung der Selbstzensur auf Abschnitt kann Amelina u. a. auf eine umfassende individueller und organisationeller Ebene sowie in Untersuchung des Sowjetfernsehens in der frühen der Beeinträchtigung der journalistischen Entschei- Perestroika zurückgreifen2, die leider nicht im Litera- dungskriterien [findet]« (S. 300). turverzeichnis aufgelistet ist. Die spannende Phase zwischen 1986 und 1991 zeichnet sich durch die Auf- Trotz dieser regressiven Tendenz bleibt die Autorin lösung von Gosteleradio und die Auflösung des Zen- gelassen: die Dominanz der autopoietischen Mas- tralfernsehens aus, ein Prozess, in dem ungeach- senmedien sei weiterhin gegeben, »weil die Propa- tet dessen die staatliche Zensur bis 1990 wirkte. Die zweite Phase brachte die Trennung des russischen

Fernsehens auf der Organisationsebene, wobei sich 2 Monika Müller: Zwischen Zensur und Zäsur. Sowjetisches wesentliche Merkmale wie Unterhaltungssendun- Fernsehen unter Gorbatschow. Wiesbaden 2001. 88 Rundfunk und Geschichte 3–4 (2007) gandaelemente bis jetzt nur im Nachrichtenteil vor- tailaufnahmen sowie Filmstills gesammelt. Die äuße- handen sind« (S. 301). ren Spalten rechts und links sind den Bild- und Quel- lenangaben, weiterführenden Informationen – oder Diese forschungsintensive Studie, zu Recht als beste eigenen Notizen vorbehalten. Dissertation an der Universität Bielefeld 2005 gewür- digt, zeichnet sich durch methodische Transparenz Das rund 70-seitige Heft ist in insgesamt sechs Ka- und durch empirische Absicherung von Aussagen tegorien unterteilt. Der Fokus liegt dabei auf Film, aus, wenngleich festzuhalten ist, dass gewisse Re- Fernsehen und ein bisschen Internet für die neu- dundanzen (in der Wiederholung von Thesen und en Medien. Neben Serviceangeboten wie Veranstal- dargestellten Prozessen) wie auch kleine Inkonse- tungs-, Projekt- und Archivhinweisen (Kurz notiert) quenzen in der Transkription von Namen (etwa im finden sich auf den Nachbetrachtet-Seiten Rezensi- Wechsel zwischen wissenschaftlicher und Dude- onen zu DVD- und Buchveröffentlichungen, Ausstel- numschrift) den Leseprozess beeinträchtigen. lungskommentare sowie Tagungsberichte. Hier wer- Wolfgang Schlott, Bremen den eigene Symposien und Kolloquien angemessen angekündigt und in der folgenden Ausgabe umfas- send besprochen. Unter Fundstücke wurden bislang »Recherche Film und Fernsehen«. ausschließlich textile Themen, etwa die Modellklei- Die neue Zeitschrift der Deutschen Kinemathek der von Christian Dior in der Marlene Dietrich Collec- ... frisch und neu und mit Bedeutung auch gefällig! tion Berlin oder der Mantel von »Tatort«-Kommissar Markowitz behandelt. Ob das System hat, bleibt ab- Bereits zum zweiten Mal in diesem Jahr erschien zuwarten. Jede Nummer der RFF behandelt einen ei- Anfang Oktober »Recherche Film und Fernsehen« genen thematischen Schwerpunkt. Mit dem Titelthe- (RFF), die neue Zeitschrift der Deutschen Kinema- ma »Nachspiel DDR« warf die erste Ausgabe vom thek – Museum für Film und Fernsehen. Auf rund April 2007 ein Schlaglicht auf die untergegangene 70 Seiten werden informativ, kenntnisreich und un- DDR in Filmen, Fernsehen und Alltagskultur. Die Re- terhaltsam sowohl die Arbeitsschwerpunkte als daktion bewies ein glückliches bzw. kenntnisreiches auch ergänzende Themenangebote des Hauses am Händchen mit der Auswahl ihrer Autoren, die bis auf Potsdamer Platz veröffentlicht. Eine ausgesprochen einige wenige Ausnahmen fachkundige und schreib- schöne und ansprechende Publikation ist dem He- freudige Texte beisteuerten. Zuweilen scheinen Auf- rausgeber und künstlerischem Direktor Rainer Ro- sätze kaum redigiert und noch im rohen Zustand, ther, seiner Redaktion – bestehend aus dem Film- was dem Umstand der ersten Ausgabe geschuldet historiker Michael Esser, dem Publizisten Ralph Eue sein kann. Das aktuelle Heft »Medien: Kompetenz und der Redakteurin Karin Herbst-Meßlinger – so- – Konsum – Vermittlung« beschäftigt sich mit dem wie Justus Oehler von Pentagram Design hiermit ureigenen Programmauftrag des Museums, indem gelungen. es Strategien, Fähigkeiten und Verantwortung in der Mediennutzung thematisiert. Mit einem Anteil von Der programmatische Titel »Recherche Film und rund 60 Prozent an der gesamten Ausgabe dominiert Fernsehen« weist in mehrfacher Hinsicht auf die um- der jeweilige Themenschwerpunkt deutlich. Dieser fassenden Veränderungen in der Stiftung Deutsche Eindruck verstärkt sich in dem zweiten Heft, da der Kinemathek hin. Mit dem Direktoren-Wechsel und Gastessay aus der Feder des Filmtheoretikers Alan der Erweiterung des Filmmuseums um den Bereich Bergala stammt, der die Sektion Kino des nationa- Fernsehen im Jahr 2006 wurde zuletzt auch das Cor- len französischen Schulfilmprogramms »Les arts à porate Design erneuert. Nahezu dreißig Jahre prägte l’école« (»Die Künste an die Schule«) leitet. Warum Volker Noth das visuelle Erscheinungsbild der Insti- der Aufsatz eines Hochschulprofessors, der sich seit tution. Die neue »Identity« wurde von Justus Oehler Jahren für die Filmvermittlung einsetzt, nicht im Rah- entwickelt. Nach dem neuen Logo, Poster und Ein- men des Titelthemas präsentiert wird, erschließt sich ladungen gestaltet er nun auch die halbjährlich er- dem Leser nicht. Insgesamt bleibt das Ordnungs- scheinende Zeitschrift RFF. Sie ist schick und mutet prinzip der verschiedenen Rubriken noch unklar. Ihre recht edel an. Ihr großzügiges Layout gibt den Tex- Verschiebung, Umbenennung und Überarbeitung ist ten Raum und lässt die Bilder wirken. Dabei werden allerdings in vollem Gange. Auf den vorletzten Seiten viele Fotos jenseits der üblichen Pressebilder veröf- erinnert die Rubrik Abschied an bedeutende Film- fentlicht und verstärkt Illustrationen eingesetzt. (Lei- schaffende (etwa Danièle Huillet in der April-Ausga- der ohne Credit.) Im Heft dominieren cremig-braune be) oder an Institutionen wie die abgewickelte Film- und bronzene Töne. Ein farblich abgesetzter Balken redaktion des WDR. Dabei handelt es sich nicht um im Kopf der Seite dient als laufende Galerie. Hier klassische Nachrufe, sondern um klug gesetzte Re- werden die Gesprächspartner im Bild personalisiert, miniszenzen persönlicher oder politischer Art. Gut Zitate gehighlightet oder auch Dreharbeiten und De- beraten war die Redaktion, im zweiten Heft auf die Rezensionen 89 regulären Nachrufe zu verzichten. Die Latte lag hoch, knapp ein Jahr nach dem Amtsantritt von Rainer Ro- da die vorangegangene Zeitschrift der Deutschen ther und der von langer Hand vorbereiteten Erweite- Kinemathek, »FilmGeschichte«, ihnen stets große rung des Museums nun die neue Publikation vorliegt, Bedeutung – auch durch die Wahl der prominen- kann in dieser Traditionslinie als Etappenziel gelesen ten Verfassern – eingeräumt hatte. Aber hätte man werden: Angekommen! im Oktober 2007 weitere Nachrufe auf Michelange- lo Antonioni und Ingmar Bergmann lesen mögen? Die übrigen real-existierenden Filmmuseen in Ohne eine Würdigung der beiden Meisterregisseure Deutschland geben keine eigenständigen Zeitschrif- wäre ein derartiges Vorhaben jedoch unvollständig ten heraus. Allein das Münchener Filmmuseum enga- gewesen. Deshalb war es konsequent, es nicht zu giert sich mit seinem rund 100-Seiten starken halb- tun, und den Platz für eine profunde Bearbeitung der jährlich erscheinenden Programmheft, welches den Schwerpunktthemen zu nutzen. In Zukunft wird sich Vereins-Mitgliedern und Interessenten auf Wunsch die charmante TV-Resistenz der Redaktion wohl le- zugeschickt wird. Hinzuweisen ist in diesem Zu- gen und ein Arrangement mit dem umkämpften und sammenhang jedoch auf die Zeitschrift »Hamburger wackelnden Leitmedium Fernsehen treffen, wie sich Flimmern«. Das offizielle Mitgliederorgan des Film- in der zweiten Nummer bereits abzeichnet. Die zu- und Fernsehmuseum Hamburg e.V. erscheint ein bis künftigen Titelthemen, angekündigt sind »Das Jahr zwei Mal im Jahr. Die Zeitschrift beschäftigt sich vor- 1968« und »Olympia«, lassen jedenfalls eine stärke- nehmlich mit der regionalen Medienlandschaft, -his- re Einbeziehung des Fernsehens vermuten. torie und Filmtechnik. Dem Verein jedoch fehlt das Haus. Als virtuelles Museum präsentieren die Ham- Der etappenreiche Weg der Stiftung Deutsche Kine- burger ihre Sammlung bis auf wenige Ausnahmen im mathek zum heutigen Museum für Film und Fernse- Internet (http://www.filmmuseum-hamburg.de). hen lässt sich am Wandel ihres Periodikums anschau- lich aufzeigen. Im Juli 1991 begrüßte der langjährige Im Gegensatz zu den klassischen Mitgliedszeit- Direktor Hans Helmut Prinzler seine Leser erstmals schriften bzw. Vereinsinformationen zielt »Recher- im »SDK-Newsletter« mit »Berichte und Neuigkei- che Film und Fernsehen« über die reine Präsentation ten aus der Stiftung Deutsche Kinemathek«. Auf und den eigentlichen Tätigkeitsbereich des Trägers knapp vierzig Seiten nahm er nicht nur eine öffent- hinaus. Natürlich wird die Publikation immer im Be- liche Positionsbestimmung der Institution vor, son- reich Special-Interests angesiedelt sein. Zeitgleich dern präsentierte Filmemacher, Bücher sowie Ver- transportiert sie popkulturelle Inhalte auf hohem äs- anstaltungen. Die kostenlose Hausmitteilung an die thetischen Niveau. Leider ist RFF momentan nur in SDK-Mitglieder wollte er in Form eines regelmäßigen sehr ausgesuchten Fachbuchhandlungen zu finden. Briefes verstanden wissen. Bis zu seinem Abschied Als Einzelheft kostet das unterhaltsame Fachma- 2006 erschien das Heft mindestens einmal im Jahr. gazin aus dem renommierten Bertz+Fischer-Verlag Mit dem Zwischenumzug vom Deutschlandhaus in acht Euro. Aller Voraussicht nach wird die ambitio- die Heerstraße – in der Warteschleife für das Film- nierte und respektable Abo-Zeitschrift ihren Weg in haus am Potsdamer Platz – bekam der »Newslet- gut sortierte Bibliotheken und Cineasten-Haushalte ter« 1996 den sprechenden Namen »FilmGeschich- finden. Durch ihr attraktives Erscheinungsbild und te«. Ein Jahr später wurde das Titelblatt überarbeitet den hohen Lesekomfort könnte sie sicherlich auch und die Zeitschrift auch für Nicht-Mitglieder in Buch- nicht nachfragende Käufer erreichen, wenn sie über handlungen zum Kauf angeboten. (Zeitgleich präsen- den Museums-Shop hinaus erhältlich wäre. So aber tierte die Kinemathek sich übrigens auch im Internet spiegelt ihr Distributionsdilemma auch das Grund- und schränkte die Buchpublikationen ein.) Die rund problem des Museums wider: Nur wer die Zeitschrift 110-Seiten starken Hefte kosteten zehn DM, behan- bereits kennt, interessiert sich auch für sie. Analog delten schwerpunktmäßig ausgewählte Regisseure, dazu finden in das Museum für Film und Fernsehen stellten Filmbücher vor – teils bis zu 47 Annotationen fast ausschließlich vorbereitete Besucher ihren Weg. pro Ausgabe! –, informierten über Filmwissenschaft Die gemeine Laufkundschaft vom Potsdamer Platz und behandelten Ausstellungen in fremden Muse- kauft keine Eintrittskarten oder »Museums-Magazi- en. Im Jahr 2000 erfolgte der endgültige Umzug an ne«. Wenn sie nur wüssten, was ihnen entgeht. den Potsdamer Platz. Die Kinemathek gab sich den Nicola Hochkeppel, Potsdam neuen Namen »Filmmuseum Berlin« und veränder- te zugleich ihr Erscheinungsbild. Das jahrzehntealte Logo der Kamera wurde durch ein »M« ersetzt (M = wie Museum, Marlene, Metropolis und der Filmtitel). Mit neuem Layout, anderer Schrift und in kleinerem Format begleitete die Zeitschrift Hans Helmut Prinz- ler rund sechs Jahre später in den Ruhestand. Dass 90 Rundfunk und Geschichte 3–4 (2007)

Internet-Rezension ternehmenseinheiten und vermittelt nach Sachdos- SRG SSR Timeline 1931–2007 siers geordnete Einsichten in, wie es heißt, »mehr (www.ideesuisse.ch) als 75 Jahre Radio- und Fernsehgeschichte«. Auch wenn die Timeline genau dieses nicht leistet – feh- Seit 1999 führt die Schweizerische Radio- und Fern- len doch neben Dossiers zu »Kunst und Unter- sehgesellschaft SRG in ihrem Namen den Zusatz haltung« vorderhand ausgerechnet Dossiers zur »idée suisse«. Der volle Name der Institution lautet »Radio- und Fernsehgeschichte« sowie »Medien- also SRG SSR idée suisse – damit soll zum einen geschichte« allgemein – handelt es sich um ein mit an die historische »Klammerfunktion« des (auf na- Umsicht betriebenes, von historischer und audiovi- tionaler Ebene nach wie vor monopolistisch auftre- sueller Fachkenntnis zeugendes Projekt sekundä- tenden) nationalen Rundfunkanbieters erinnert wer- rer Datenaufbereitung. So bietet das, was sich in den, der vier Sprach- und Kulturregionen symbolisch übersichtlicher Weise hinter Dossiertiteln wie »Politik zu verbinden trachtete. Auf der anderen Seite findet und Staat«, »Die Schweiz in der Welt« oder »Gesell- der Slogan de facto auch als übergreifende Corpora- schaftliche Debatten« (um nur einige wenige zu nen- te Identity der unter dem SRG-Dach zusammenge- nen) verbirgt, einen höchst anschaulichen Einblick in schlossenen Radio- und Fernsehunternehmen der die Landesgeschichte und verdient die Bezeichnung verschiedenen Landesregionen Verwendung. Insge- eines »multimedialen Fundus für alle, die sich für die samt sind es sieben Unternehmen: Schweizer Fern- Geschichte der Schweiz interessieren«. sehen SF, Schweizer Radio DRS, Télévision Suisse Romande TSR, Radio de la Suisse Romande RSR, Ein bekanntes Problem von historisch orientierten Radiotelevisione svizzera di lingua italiana, Radio Te- »Archivsites« von Radio- und Fernsehunternehmen levision Rumantscha RTR – und Swissinfo, die Inter- ist deren Kurzsichtigkeit. Zum einen soll, was über net-Plattform für Schweizerinnen und Schweizer im Jahrzehnte für den Eigenbedarf (hauptsächlich der Ausland, die das frühere Schweizer Radio Internati- Nachrichtensendungen und vertiefenden Magazine) onal SRI abgelöst hat.1 abgelegt und annotiert wurde, plötzlich einer spezi- alisierten oder auch breiten Öffentlichkeit zur Ver- Wer »Idée Suisse« googelt, stößt unter diesem ur- fügung stehen. Zum anderen fehlen gemeinhin die heberrechtlich geschützten Titel nicht etwa auf die Mittel, mit der genügenden Sorgfalt abzuklären, was SRG, sondern auf eine schweizerische Gesellschaft denn nun dieser heterogenen Öffentlichkeit tatsäch- für Ideen- und Innovationsmanagement (vgl. www. lich nützt, über kurz oder lang. Wenn es dann auf idee-suisse.ch), die sich den groß geschriebenen den entsprechenden Websites zu einer eher zufällig Namen partout nicht abkaufen lassen wollte, damals anmutenden Ballung von »Archivperlen« kommt, ist vor acht Jahren. Deswegen ist es bloß eine schwei- das zwar symptomatisch für den Wunsch, Gutes im zerisch bescheidene, kleine »idée suisse«, die in der Sinne des »service public« zu tun (und einen Mehr- SRG den Ton angibt – wobei es böse französisch- wert für die Gebührenzahlenden zu schaffen), ver- sprachige Zungen geben soll, die anstelle der offi- weist aber auch deutlich auf die Schwierigkeit, eine ziellen Nomenklatur (in diesem Fall »SSR idée su- nachhaltige Politik für die breit propagierte Öffnung isse«) den etwas gar pessimistisch angehauchten der Unternehmensarchive zu entwickeln. Letzteres Umkehrschluss »SSR suicidée« vorziehen. gilt insbesondere für die über die ganze Schweiz ge- streuten Archive des nationalen Schweizer Rund- Wie auch immer: Wer den geradlinigen Weg ein- funkanbieters, die dem föderalistischen Geist ent- schlägt und im Browser-Fenster www.ideesuisse. sprechend keinem zentralen Aufbewahrungsdiktat ch (ohne Bindestrich) eingibt, landet auf einer Web- gehorchten und noch nicht einmal einheitliche Kata- site, die diesem Namen – und gleichzeitig dem Kon- logsysteme entwickelten. Man kann sich die Schwie- zept, welches sich hinter dem programmatischen rigkeiten vorstellen, die der (sowohl interne wie ex- »SRG SSR idée suisse« versteckt – alle Ehre macht. terne) Wunsch nach einer vermehrten Vernetzung Zu ihrem 75-jährigen Jubiläum im Jahr 2006 hat sich der Archivbestände im Zeitalter der Digitalisierung nämlich die – nennen wir sie der Einfachheit hal- mit sich brachte. ber »SRG« – ihren Landsleuten und sich selbst eine »multimediale Chronik der Schweiz« zum Geschenk Die Heterogenität des in den einzelnen Landesteilen gemacht, die seither laufend aktualisiert und ergänzt gehorteten Archivmaterials – die sich auf den Web- wird und auch tatsächlich mehr als einen flüchtigen Blick verdient.

Die SRG SSR Timeline 1931–2007 (wie der volle Pro- 1 Hier finden sich vor allem die aktuellen News-Bulletins, nach Sprachen sortiert; im englischsprachigen Teil aber auch etwa ein jekttitel lautet) speist sich aus den audiovisuellen Video mit einem »Rösti recipe« und eines, welches das Geheimnis Archiven der sieben der SRG angegliederten Un- von »handmade chocolate« zu lüften verspricht. Rezensionen 91 sites der einzelnen Unternehmenseinheiten immer Schweizer Zeitzeugen des Zweiten Weltkrieges), sei wieder als Nachteil erweist, weil keine einheitliche nur am Rande erwähnt. Die Möglichkeit, neue Links Struktur auszumachen ist, weil kaum Links zu den vorzuschlagen, lädt hier vor allem Historiker, aber Sites der anderen Unternehmenseinheiten bestehen auch andere interessierte Kreise explizit zur Mitar- und gänzlich unterschiedliche Konzepte der Aus- beit ein. wahl und des Zugangs zum Tragen kommen – hat in der »Timeline« eine durchaus adäquate Umsetzung, Understatement zeichnet die SRG-Timeline auch in wenn nicht sogar die Quadratur des Kreises gefun- anderer Hinsicht aus: Erst ganz zuletzt findet sich den, indem ähnlich wie beim internationalen Archiv- auf jeder Seite links unten ein versteckter Hinweis projekt »Birth of TV« (vgl. www.birth-of-tv.org), Ton- »Ideesuisse.ch im Unterricht«. Dahinter verbirgt sich und Bilddokumente in vier verschiedenen Sprachen eine Fülle an Materialien für den Schulunterricht, in- zu ein- und demselben Thema zur Verfügung gestellt klusive didaktisch aufbereiteter Pdf-Broschüren und werden. Und: Es wird eine hinreichende Kontextua- weiterer interner wie externer Links bis hin zum Me- lisierung insofern betrieben, als der Name des Ra- dienpädagogik-Angebot des Museums für Kommu- dio- und Fernsehprogramms und das Sendedatum nikation in Bern.4 genannt werden, ein ausführlicher Text zur Einbet- tung des jeweiligen Materials mitgeliefert wird (in al- Dazu ist nachzutragen, dass die SRG (oder, um das len vier Landessprachen, inklusive Rumantsch!) und Kind nochmals beim vollen Namen zu nennen, die – besonders verdienstvoll – Verweise zu vertiefenden SRG SSR idée suisse) dabei ist, neue multimedia- Quellen (wie etwa dem online zugänglichen Histori- le Projekte im Kultur- und Bildungsbereich zusam- schen Lexikon der Schweiz, aktuellen und histori- men mit den staatlichen Bildungsinstitutionen aus schen Rechtsquellen oder Zeitungsartikeln etwa der der Taufe zu heben. Die Stichworte lauten hier ei- »Neuen Zürcher Zeitung«) bestehen. Was man sich nerseits »Pacte audiovisuel« (dieses schon länger hier allenfalls noch wünschen könnte, wäre die Sen- bestehende Förderungsprogramm für einheimische dezeit des jeweiligen Audio- oder Videoclips – und Kino- und Fernsehfilme ist neuerdings auf den Web- vor allem die aktuelle Archivnummer, unter welcher sites aller Fernseh-Unternehmenseinheiten mit ei- eine Kopie in besserer Auflösung für bestimmte Un- nem Pay-per-View-Angebot vertreten) sowie »Pacte terrichts- oder Forschungszwecke bestellt werden multimédia«. Im letzteren Fall handelt es sich um eine könnte.2 intensivierte Zusammenarbeit zwischen Schweizer Bundesbehörden und der SRG mit dem Ziel, multi- Die einzigen Kritikpunkte betreffen die durchaus mediale, laufend aktualisierte Bildungsangebote für noch ausbaubare Vielfalt an Themenkreisen, wobei den Schulunterricht auf allen Stufen zur Verfügung wie gesagt vor allem die Binnenschau in die Ge- zu stellen, die in gewisser Weise für die Redimensi- schichte der SRG nachzutragen wäre. Anzuneh- onierung bzw. den Wegfall der einstigen Schulfern- men ist, dass sich hier schlicht noch kein Konsens sehsendungen entschädigen sollen. Es scheint, als über das Hörens- und Sehenswerte – und die Art sei dieses Projekt in Ansätzen bereits im Rahmen der der Darstellung – hat finden lassen, was immerhin SRG SSR Timeline 1931–2007 bzw. www.ideesuis- Hoffnungen für die Zukunft weckt. Weil übergrei- se.ch bzw. bei dieser schönen Idee einer »multimedi- fende Dossiers etwa zu Kunst, Literatur und unter- alen Chronik der Schweiz« (die einheitliche Nomen- haltenden Themen fehlen, sind einige der schöns- klatur im Sinne einer Corporate identity fehlt noch) ten »Perlen« dieser Materialsammlung eher durch realisiert und harrt lediglich des Ausbaus. Zufall zu entdecken: Wer unter »Politik und Staat« Ursula Ganz-Blättler, Lugano weiterklickt zu »Im Zweiten Weltkrieg. Zwischen An- passung und Widerstand« (oder, alternativ: von der Rubrik »Alltagsleben« her weiterklickt zu »Alltagsle- 2 Zur Problematik der online zugänglichen Archivquellen vgl. etwa ben und Aktivdienst«) wird endlich beim Weiterscrol- Memoriav (Hrsg.): Gehört – gesehen. Das audiovisuelle Erbe und die Wissenschaft. Baden 2007. len belohnt durch einen Ausschnitt aus der Radio- 3 Vgl. www.uek.ch/de/schlussbericht/Publikationen/ sendung »Spasspartout« vom 19. Dezember 1984, Zusammenfassungen/17fluechtlinge.htm. Ein anderer Link zum der dem Cabaret Cornichon gewidmet ist und eine selben Thema führt nach www.swissworld.org – der Link war integrale Fassung des gleichzeitig tieftraurigen und allerdings gerade nicht in Betrieb beim Besuch am 17. Oktober. 4 Zum Stichwort »Oral history« schließlich noch ein letzter Hinweis, hochaktuellen Liedes »Mensch ohne Pass« von Max der vorerst nur die Archivsite des Deutschschweizer Radios DRS Werner Lenz aus dem Jahr 1934 enthält. Dass auch betrifft: Am 17. September 2005 feierte das Informationsmagazin hier wieder weiterführende Links zu nationalen For- »Echo der Zeit« seinen 60. Geburtstag und feierte dies mit der schungsprojekten wie etwa dem Bergier-Bericht (zur Einrichtung eines Wiki-Projektes analog zur Online-Enzyklopädie Flüchtlingspolitk der Schweiz zur Zeit des National- Wikipedia. Unter dem Stichwort »DRSWiki« sind sowohl (ältere) Hörer wie auch ehemalige Mitarbeiter eingeladen, ihre Erinnerungen mit 3 sozialismus) bestehen, aber auch zu »L’histoire c’est den Hörern von heute zu teilen. Ein Experiment, zu dem es heißt, man moi« (einem Oral-history-Angebot mit Aussagen von sei »gespannt«, wie es sich entwickelt. 92 Rundfunk und Geschichte 3–4 (2007)

Daniel Gethmann Die drei weiteren Kapitel zeigen dann, wie diese Die Übertragung der Stimme. Trennung von Körper und Stimme in den Rundfunk Vor- und Frühgeschichte aufgenommen und mit dem Medium technisch wei- des Sprechens im Radio ter entwickelt wurde. Diese Kapitel verlaufen mehr Zürich: Diaphanes Verlag, 208 Seiten. oder weniger chronologisch, von der frühen techni- schen Entwicklung und Institutionalisierung des Ra- Die Technik und der Klang gehören zu den schnellst- dios bis in die 20er Jahre, von der Anpassung der wachsenden und meist versprechenden Feldern der Stimme an das neue Medium zur Zeit der Weimarer Kultur- und Mediengeschichte. Die kulturell ausge- Republik bis letztlich zum Versuch, unter dem Natio- richtete Technikgeschichte, nun mehr oder weni- nalsozialismus eine Rundfunkwissenschaft zu grün- ger befreit von der Determinus-Debatte, gibt Ein- den. In der ersten Phase schildert Gethmann die sicht in komplexe Entwicklungsprozesse von Medien »Verschriftlichung der Rede« aufgrund des Zwangs und Gesellschaft, während historische Studien zum zur Kontrolle des gesendeten Inhaltes, was die Spre- Sound neue Möglichkeiten eröffnen zu verstehen, cher dann wiederum durch ein freies und natürliches wie Menschen die Welt wahrgenommen haben. Der Sprechen zu tarnen hatten. Das folgende Kapitel be- Kulturwissenschaftler Daniel Gethmann greift bei- schreibt die Erfahrungen von Sprechern im Rund- de dieser Strömungen in seiner Studie zur Vor- und funk und die Folgen für die Eignung der Radiostim- Frühgeschichte der Radiostimme auf. Er beginnt be- men. Erst durch die Entwicklung von Aufnahmen auf wusst nicht mit der bekannten Form des Rundfunks, Draht und Band Anfang der 30er Jahre lernten Spre- die sich Ende der 20er Jahre durchgesetzt hat, mit cher, meist zu ihrem großen Entsetzen, ihre eigenen staatlich gesicherten Sendemonopolen und Emp- Stimmen kennen. Gethmann schildert, wie die ers- fang durch Lautsprecher im privaten Raum. Statt- ten Sprecher im Rundfunk lernten, im Umgang mit dessen betrachtet Gethmann die längere Geschichte dieser zugleich fremden und eigenen Stimme, sich der immer neu konzipierten Koppelung von Stimmen mit ,den Ohren eines Anderen‘ zu hören und da- und Medien, die zurück ins 17. Jahrhundert reicht. durch eine eigene, aber auch besondere Stimme für Diese Entwicklung verfolgt Gethmann bis in die NS- den Rundfunk zu entwickeln. Im letzten Kapitel über Zeit und den II. Weltkrieg in Deutschland. Diese län- die NS-Rundfunkwissenschaft (und ihre Vorgänger) gere Geschichte der medialisierten Stimme basiert zeigt Gethmann unter anderem, wie in der NS-Rund- auf der »Prämisse, dass die Übergänge von akusti- funktheorie der Wert der Radiostimme als Essenz schen, physiologischen und physikalischen Diskur- des Volkes die Bedeutung der gesprochenen Worte sen in mediale Effekte ungeordnet, zufällig und dis- völlig verdrängte. parat verlaufen« (S. 46). Diese Besprechung kann nur wenige Beispiele nen- Nach einem kurzen Vorwort betrachtet Gethmann nen und kaum die Fülle der vorliegenden Studie diese lange, ungeordnete Geschichte der Rund- gerecht werden. Tatsächlich ist es Gethmann auf funkstimme in fünf Kapiteln. Die ersten zwei Kapi- knapp 183 Seiten gelungen, sowohl gut leserlich als tel sind der so genannten »Vorgeschichte« gewid- auch sehr detailliert, seinem Bemühen nachzukom- met und skizzieren zwei verschiedene technische men, den ungeordneten, zufälligen und oft dispara- Entwicklungslinien, die lange vor dem Rundfunk ten Verlauf des komplexen Verhältnisses zwischen Möglichkeiten boten, Stimmen physikalisch oder Stimme und Medium darzustellen. Das Buch bietet räumlich von ihren Erzeugern zu entfernen. Im ers- wenige rote Faden, die durch alle Kapitel hindurch- ten Kapitel geht es um Sprechmaschinen, die nach gehen und kommt auch nicht zu einem allgemeinen Erforschungen am menschlichen Körper versuch- Schluss: es hört einfach auf. Ein solches Ende stört ten, menschliche Stimmen künstlich zu erzeugen – hier nicht, obwohl man sich nach den vielen fließen- oft mit erstaunlich großem Erfolg. Im nächsten Ka- den Übergängen, etwa zwischen der Weimarer und pitel geht es um verschiedene Versuche, mittels NS-Zeit, gewünscht hätte, dass Gethmann hier zur Röhre oder festen Körpern, Stimmen in die Ferne nächstfolgenden politischen Zäsur übergeleitet hät- zu bringen, bis zur Erfindung des Telefons. Diese te. Zudem fasst sich Gethmann an manchen Stel- »Vorgeschichte« bietet ein wahrhaftes Kabinett der len doch ein bisschen zu kurz und geht auf wichtige Raritäten, womit Gethmann zeigt, dass die Über- Themen nicht ein, die seine Darstellung noch kom- tragung der Stimme durch das Radio erst denkbar plexer gemacht hätten. Zum einen geht es meist um geworden ist durch technische Entwicklungen in ernsthaft sprechende und viel weniger um unterhal- Bereichen, die gerade nichts mit der Erfindung des tende und/oder singende Stimmen (letztere schließt Rundfunks zu tun hatten. Der Rundfunk habe sich der Untertitel des Buches bereits aus) ohne, dass mehr oder weniger »dieser bereits erfolgten radika- Gethmann diese Beschränkung deutlich macht oder len Trennung von Körper und Stimme« (S. 85) be- begründet. Sicher resultiert dieses Vorgehen zum dient. Teil auch daraus, dass die meisten ernsthaften Ge- Rezensionen 93 danken auch über ernsthafte Stimmen gemacht wur- Layout schon weitgehende dem Endprodukt. Nicht den. Aber gerade die Diskurse über die Stimmsor- so ohne weiteres ist Weidinger zuzustimmen, wenn ten, die nicht so leicht in die großen Theorien passen, er beim Einsatz instrumentaler Filmmusik für die Ver- wären in Gethmanns Betrachtung interessant ge- wendung eines Orchestrators plädiert. Gewiss ist wesen. Eine ähnliche (und eng verwandte) Lücke in dies für den Komponisten zeitsparend. Bedenkens- der Analyse ist die Frage zum Geschlecht der Stim- wert erscheint jedoch im Hinblick auf die klangliche me: Hier ist fast ausschließlich von männlichen Stim- Ausgestaltung von Filmen beispielsweise, dass En- men die Rede. Nicht zuletzt aufgrund der These von nio Morricone, der u.a. die Filmmusik zu »Spiel mir Kate Laceys, dass weibliche Stimmen in den frühen das Lied vom Tod« (Italien,1968) komponierte, diese Jahren als unpassend für den deutschen Rundfunk Hollywoodpraxis, auch die Angebote, in Hollywood galten, privat-plaudernd »weibliche« Sprechstile da- zu arbeiten, strikt abgelehnt hat, weil ihm die Instru- gegen sehr wichtig für die Entwicklung von (auch mentation als einer der wichtigsten Bestandteile der männlichen) Radiostimme waren,1 müssten solche Filmmusik erschien. Fragen etwas zentraler stehen. Gethmann spricht solche Fragen aber nur flüchtig an (S. 143–144) und Weitere Schritte im Produktionsprozess werden bei erwähnt beispielsweise die wachsende Rolle weibli- Weidinger nach dem kurzen Abriss zum Material be- cher Sprecher vor allem als Stimme der Heimatfront sprochen, u.a. die Zusammenarbeit des Teams. Es überhaupt nicht. Das vorliegende Buch schließt sol- folgen Kapitel, die die Rahmenbedingungen zum che Fragen jedoch nicht aus, sondern regt sie an Gegenstand haben, wie das Budget, das zur Ver- und bietet eine breite Basis, um sie weiter zu ent- fügung stehen muss, die Vertragsgestaltung oder wickeln. die Anmeldung bei der Verwertungsgesellschaft der Alexander Badenoch, Eindhoven musikalischen Rechte, der sogenannten GEMA. Ge- nau und instruktiv ist all dies von Weidinger abge- handelt, selbst der Bogen zur Anmeldung bei der Andreas Weidinger GEMA ist abgedruckt. Filmmusik. Konstanz: UVK 2006, 175 Seiten. Muss man aus dem Titel der Publikationsreihe »Pra- xis Film« erschließen, dass hier ganz andere Aspek- Die vorliegende Band »Filmmusik« ist das Buch eines te im Zentrum stehen, als man sie normalerweise un- Praktikers, das er zu Recht als »Praxisbuch« (S. 11) ter dem Stichwort »Filmmusik« erwartet? Es handelt bezeichnet. Es ist ein Kompendium für Studenten, sich nur am Rande um eine Studie zu einem musi- die den Beruf des Filmkomponisten ergreifen wol- kalischen Genre, sondern eher um ein Propädeuti- len. Mit einigen Kapiteln wendet es sich auch an kum für zukünftige Filmkomponisten. Lediglich ein- Filmschaffende allgemein. Erste Informationen die- gangs ist ein kleines Kapitel vorangestellt, das die nen dazu zu zeigen, wie ein Regisseur zur Wahl ei- von Hansjörg Pauli einmal in seinem Buch zur Mu- nes Komponisten kommt, verbunden mit Hinweisen, sik im Stummfilm entwickelten drei Kategorien des wie beispielsweise Redakteure bei der Einschätzung Verhältnisses von Musik und Film auflistet. Viel in- von Demomaterial vorgehen sollten. Spätestens mit teressanter sind die Nebenbemerkungen, die den dem Rohschnitt müsse, so Weidinger, der Kompo- Autor als professionellen Filmkomponisten auswei- nist feststehen, da nach dem Feinschnitt eines Films sen. So schreibt er beispielsweise, dass wenn in ei- die Spottingsession mit den wichtigsten Personen ner Actionszene viele Explosionen zu hören sind, der Filmproduktion stattfinde. Regisseur, Cutter, der Komponist versuchen müsse, den mittleren Fre- Music Editor und Komponist sollten anwesend sein, quenzbereich auszusparen (S. 44). Wahrscheinlich um auch zeitlich genau festzulegen, welche Stellen erfolgt dieser Ratschlag deshalb, weil anderenfalls Musik brauchen und was die Musik aussagen soll. etwas komponiert würde, was durch Krach ohnehin Es folgt in Weidingers Buch ein kurzer Überblick völlig verdeckt ist. Ein anderes Beispiel sei noch ge- über das musikalische Material: Melodie, Harmonie, nannt, das die Bedeutung von Melodien betrifft. Sie Rhythmus, Tempo, Instrumentation und MIDI Lay- binde, so Weidinger, die Aufmerksamkeit des Zu- out. Letzteres bedeutet eine Simulation der Kompo- schauers sehr stark und werden daher fast immer sition auf elektronischer Basis. Ist die Filmmusik ins- bewusst wahrgenommen (S. 68). Leider sind solche gesamt Computer generiert, dann entsprich dieses Nebenbemerkungen selten. Sie entsprechen aller- dings auch nicht der Intention dieses »Praxisbuchs«. Es hätte ihm vielleicht doch ein Untertitel gut getan, der sein Sujet und damit seine Zielgruppe konkret umschreibt. Denn sein Adressat ist nicht der Lieb-

1 Kate Lacey: Feminine Frequencies: Gender, German Radio and haber von Filmmusik. Ihm kann allerdings das Glos- the Public Sphere 1923–1945. Ann Arbor 1997, S. 193–220. sar nützlich sein, wenn er sich für den Fachjargon in- 94 Rundfunk und Geschichte 3–4 (2007) teressiert. Er erfährt dort u.a., dass ein Temp-Track gewöhnt hat, wird der Leser belohnt mit vielen in- die vorläufige musikalische Gestaltung durch irgend- teressanten Details und einer erfrischenden Sicht welche CDs ist, ehe noch die eigentliche Filmmusik auf muffige Verhältnisse. Auch Rumpfs empirischer komponiert wird. Teil – eine qualitativ orientierte schriftliche Befra- Helga de la Motte-Haber, Berlin gung von neun Musikredakteuren und Moderato- ren einschlägiger Sender, die als Zeitzeugen fungie- ren – ist mit seiner etwas unorthodoxen Auflistung Wolfgang Rumpf von Kurzstatements zu den 23 gestellten Fragen ge- Music in the Air. wöhnungsbedürftig, aber als Quelle nicht uninter- AFN, BFBS, Ö3, Radio Luxemburg und essant. Es gelingt Rumpf hier vor allem, die Mikro- die Radiokultur in Deutschland ebene der individuellen Programmentscheidungen (= Reihe: Medien: Forschung und differenziert und »rund« herauszuarbeiten. Viele der Wissenschaft, Band 14) Befragten waren mit den alternativen Angeboten der Berlin: Lit-Verlag 2007, 224 Seiten. »exterritorialen« Soldatensender American Forces Network (AFN) und British Forces Broadcasting Ser- Wolfgang Rumpf, Musik- und Medienwissenschaft- vice (BFBS) sozialisiert worden oder arbeiteten beim ler und leitender Musikredakteur bei Radio Bremen, kommerziellen Radio Luxemburg (RTL). Als zeithis- widmet sich einem kulturhistorisch bedeutsamen, torischer Kontext entsteht sehr deutlich das Bild ei- aber in der Forschung unterbelichteten Thema. Auf ner allmählichen Ablösung des klassisch-elitären den Punkt gebracht lautet die Frage: Wie kam die und letztlich bevormundenden Bildungsauftrags der Popmusik ins deutsche Radio? Der Untertitel seines ARD, in dem Popmusik weitgehend als »minderwer- Buches deutet bereits an, dass dies ein Prozess war, tig« erschien, durch den Dienstleistungsauftrag der der zu einem beträchtlichen Teil von der Rezeption formatierten »Servicewellen«, in denen Popmusik als ausländischer Sender angestoßen wurde. Der Le- Mittel zur Publikumsbindung eine strategische Posi- ser ahnt wohl, dass viele ARD-Sender sich schwer tion einnahm. Dies war nicht zuletzt auch notwen- taten mit jugendorientierter Innovation – damals in dig geworden wegen des Erfolgs von AFN, BFBS, den 60er und 70er Jahren, als die »Poprevolution« Ö3 vom Österreichischen Rundfunk oder eben von begann und ihren ersten Höhepunkt hatte. Englisch- RTL bei deutschen Hörerschaften. Insgesamt war sprachige Popmusik (Beat, Rock ’n’ Roll usw.) war dieser Wandel, so macht Rumpf in seinem differen- lange Außenseitermusik.1 Rumpf verwendet als Hy- zierten Fazit deutlich, Resultat eines Generations- pothese gar den Ausdruck »ARD-Pop-Tabu« und be- wechsels beim Personal (S. 189), der zugleich mit schreibt den keineswegs komplikationslosen Weg Einstellungsänderungen in der Gesellschaft insge- vom »aufklärerisch-elitären Radio« alter Prägung zur samt zusammenhing – Stichwort »1968«.2 Das Buch »dienstleistungsorientierten Servicewelle«. Sein Be- bietet viele Hinweise auf die damit auch zusammen- trachtungszeitraum reicht von 1965 bis 1975. hängende Verfestigung der (pop-)kulturellen Westo- rientierung der noch jungen Bundesrepublik. Rumpf unternimmt implizit den Versuch, den Wan- Oliver Zöllner, Stuttgart del, den der deutsche Hörfunk im Untersuchungs- zeitraum zweifelsohne durchgemacht hat, auf der Mikro-, Meso- und Makroebene nachzuzeichnen. Also: Wie verhielten sich einzelne Programmma- cher? Wie entstanden Entscheidungen in Redakti- onen und Sendeanstalten? Und was waren die ge- sellschaftlichen Rahmenbedingungen hierfür? Das Vorgehen des Autors zur Beantwortung dieses Er- kenntnisinteresses hat den Rezensenten zunächst etwas ratlos gemacht. Es mischen sich Rumpfs persönliche Erinnerungen als Zeitzeuge (der Autor ist Jahrgang 1952) und einige Literaturzitate, wo- 1 Eine interessante Beschreibung dazu findet sich bei Handke am bei nicht ganz klar wird, welcher Systematik sie fol- Beispiel des Westdeutschen Rundfunks: »1970 gab es eine Sendung Pop-Revolution, samstags abends auf WDR 2 zwischen 18.30 und gen. Diese Darstellung wirkt eher assoziativ als ana- 19.30 Uhr. Dieser Freiraum von einer Stunde wurde den ,Spinnern‘ lytisch, vor allem sehr plakativ. Rumpf schreibt in in der Abteilung Musik gewährt. Vorher war Popmusik solcher Art jedem Fall mit Herzblut. Die einzelnen Kapitel des in den Redaktionsstuben waschkörbeweise aussortiert worden.« Buchs (zu einzelnen Sendern, Sendungen und Hin- (Silvia Handke: Präsenz und Dynamik regionaler Musikkulturen in den tergründen) sind oft sehr kurz und wirken mitunter Sendekonzepten des WDR-Hörfunks. Kassel 1997, S. 118). 2 Eine implizite Bestätigung liefert aus ARD-Sicht Gert Haedecke: seltsam unverbunden. Wenn man sich allerdings Radio-Renaissance. In: ARD-Jahrbuch 89, 21. Jg., Hamburg 1989, an Rumpfs zudem kompliziert anmutende Stilistik S. 103–104. Rezensionen 95

Daniel Hermsdorf ters (Fenster, Sprache, Tausch und Verwechslung, Billy Wilder. Drogen, Expressionismus, Wasser, Rauchen, Mas- Filme-Motive-Kontroverses ken und Köpfe, Verschwörungstheorie, die Zahl Drei, Bochum: Paragon Verlag 2006, 290 Seiten. Deutsche Geschichte, Temperatur, Psychoanalyse) vorbehalten. Diese Einzelmotive werden additiv auf- Das Anliegen der Dissertation von Daniel Hermsdorf geführt und in der konkreten Auseinandersetzung ist kein leichtes. Sie forciert, ganz und gar dem von mit den Filmen sukzessive durchkonjugiert. Ins- manchem zu Unrecht als obsolet betrachteten »au- besondere in den mit den Überschriften »Fenster« teur«-Ansatz verpflichtet, die Begegnung mit einem (S. 201–205), »Tausch und Verwechslung« (S. 207– als Meister des komischen Fachs geltenden Regis- 220) sowie »Psychoanalyse« (S. 263–269) versehe- seur und versucht, neue Perspektiven und Blickwin- nen Unterkapiteln sind dabei nicht nur theoretisch kel auf ein Werk zu eröffnen, das in der westlichen fundierte, sondern auch nuancenreiche Interpreta- Filmgeschichte Klassikerstatus genießt. Die Rede mente zu finden. ist von Billy Wilder, dessen Regiekunst – und zwar pünktlich zu seinem 100. Geburtstag im Jahr 2006 In ihrem Gesamteindruck wirkt die Arbeit von Herms- – in Hermsdorfs Studie zum Gegenstand einer Neu- dorf flott, in mancherlei Hinsicht leider auch ein we- besichtigung wird. Um eine Wiederbelebung gängi- nig flüchtig geschrieben. So wird eine Sichtung der ger Vorstellungen und Verortungen, die sich mit dem internationalen Forschungsliteratur weitgehend ver- Filmschaffen Wilders in der Regel verbinden (Wilder nachlässigt, was den reinen Informationswert der als Komödiengenie, Wilder als Zeichner fein geschlif- Studie erheblich einschränkt.1 Auch wirkt sich der fener und zutiefst humaner Figurenportraits), geht es Verzicht auf die Präzisierung definitorischer Setzun- Hermsdorf indes nicht. Vielmehr lenkt der Autor sein gen im Hinblick auf die Klarheit der Argumentation Augenmerk gerade auf jene »andere[n] Filmtexte«, nicht eben günstig aus, wie dies zum Beispiel die sehr die den »ulkigen, burlesken Komödien und den stil- weit gefasste Verwendung des Motivbegriffs belegt. sicheren Kriminalgeschichten« (S. 9) auf einer sub- Andererseits gefällt der flüssige, hier und da ins feuil- textuellen Ebene eingeschrieben und in durchaus letonistische tendierende Stil, der Hermsdorfs Buch ähnlicher Weise wie die genannten Genrerahmen als zu einem gut lesbaren »page turner« macht, was sei- thematische Klammern zu verstehen sind. ne Einsetzbarkeit für den universitären Seminarge- brauch zweifellos begünstigen dürfte. Hermsdorf interessiert sich dabei speziell für den As- Claudia Lillge, Paderborn pekt der Selbstreferenzialität, das heißt für Momente der filmischen Diegese, in denen sich das Medium mitsamt seinen sinnstiftenden und ökonomischen Ulrike Schwab Dimensionen selbst bespiegelt und mit Hilfe derer Erzähltext und Spielfilm. nicht selten einer Skepsis gegenüber den ästheti- Zur Ästhetik und Analyse der Filmadaption. schen Möglichkeiten und kulturellen Funktionen der (= Reihe: Geschichte, Zukunft, Kommunikation: Kinematografie Ausdruck verliehen wird. Auf diese Untersuchungen zur europäischen Weise konturiert Hermsdorf eine Facette des Wilder- Medienforschung, Band 4) schen Filmœuvres, die durchaus Signifikanz besitzt Berlin: LIT-Verlag 2006, 400 Seiten. und daher Beachtung verdient. Strukturell gliedert sich Hermsdorfs Buch in zwei Hauptblöcke, wobei Der Film ist mediengeschichtlich nicht nur zum Kon- den Leser im ersten Teil zunächst Synopsen aller 26 kurrenzunternehmen der Literatur geworden, son- Wilder-Filme erwarten. Wiewohl ein solch primär in- dern in dieser Nachfolge auch der früheren Dar- haltlich gehaltenes Vorgehen für eine wissenschaft- stellungsform gegenüber abhängig geblieben. Man liche, sprich: an den vorinformierten Leser adres- kann viel über das Ende der »Gutenberg-Galaxis« sierte Monografie eher ungewöhnlich anmutet und spekulieren, letztlich macht schon die Entwicklung die Wiedergabe von Filmplots letztendlich mit gutem der Filmwissenschaft im Schoße der Theaterwissen- Grund in den Zuständigkeitsbereich von Filmlexika schaft deutlich, dass trotz aller technischen Zäsu- fällt, lässt sich über Hermsdorfs Einzeldarstellungen ren eine ästhetische Verbindlichkeit verbleibt. Die- sagen, dass sie immer wieder bemerkenswerte Deu- se kommt auf der stofflichen Ebene besonders zum tungsvignetten bieten. Letztere gehen über eine rein Tragen, wenn man sich dem populären Genre des inhaltliche Rekapitulation der Filme hinaus und stim- Spielfilms zuwendet und speziell der Adaption oder men den Leser schon vor dem systematischen Zu- griff auf das dicht gesponnene Netzwerk situativer und thematischer Äquivalenzen in Wilders Filmar- 1 Allein die Bibliografie der »Modern Language Association« beiten ein. Der zweite Großabschnitt ist schließlich nennt über 80 Beiträge zu Wilder, Hermsdorf hingegen erwähnt in der Erarbeitung und Exploration eines Motivregis- seinem Literaturverzeichnis gerade einmal acht Monografien. 96 Rundfunk und Geschichte 3–4 (2007)

Adaptation literarischer Werke im Kinoformat. Die- richte zur Forschungslage harsch mit den vorlie- ses Thema ist nicht nur generell für das Verhältnis genden Arbeiten ins Gericht. So werden z. B. eine von textuellen und audiovisuellen Medien primär, wirklich gründliche Aufarbeitung der Adaptionsthe- sondern hat im aktuellen Kontext der Diskussion von matik ebenso wie methodologische Reflexionen zu Intermedialität und erst recht nach der Konjunktur filmischen Produktionsbedingungen in Verbindung des sogenannten Visual Turn eine paradigmatische mit ästhetischen Aspekten vermisst. Ulrike Schwab Funktion eingenommen. ist zweifellos auf Vollständigkeit der thematischen Aspekte bedacht und berührt auch an mehreren In diesem Sinne siedelt sich die Untersuchung von Stellen die gerade für Adaptionsfragen neuralgische Ulrike Schwab in einem überdeterminierten Diskus- Problematik der Autorschaft bzw. des Autorenfilms. sionsfeld an, das sich zugleich angesichts der digi- Aussagen der Art, es könne »auch der Verfasser ei- talen Revolution mit ihrer rasanten Veränderung der ner intermedialen ,Textart‘ [...] den herkömmlichen Bildverfahren immer wieder neu bestimmen muss. Autorenbegriff für sich beanspruchen, solange ein Die Studie, die nach einem eingehenden medien- spezieller Autorenbegriff für Gemeinschaftskunst theoretischen Vergleich literarischer und filmischer noch nicht etabliert ist«, sind aber nicht nur nicht Erzähltechniken zwei Beispiele einer filmischen Ad- auf der Höhe der Diskussion, sondern ontologisie- aption von literarischen Vorbildern näher behan- ren auch die diskursgeschichtliche Figur des Autors delt, nämlich von Graham Greenes »The Fallen Idol« zur festen Instanz einer Produktionslogik. und von Theodor Fontanes »Effi Briest«, nimmt ihren Ausgang von einer Bestimmung der grundlegenden Überhaupt irritieren drei Momente bei der Lektü- Begriffe der Information und der Kommunikation. Auf re der vorliegenden Studie, nämlich die unhinter- diese Weise solle eine strikt medientheoretische Ver- fragte Gleichsetzung des Verhältnisses von litera- gleichsebene zwischen Buch und Kino erreicht wer- rischer Erzählung und filmischer Inszenierung mit den, um von den Gemeinsamkeiten aus die Merkma- informellen und kommunikativen Medienprozessen, le des Übergangs zu analysieren. Den Horizont bildet sodann die daraus sicherlich folgende Wiederho- dabei eine allgemeine Kulturtheorie: »Medien spei- lung des naiven Gegensatzschemas von der fingie- chern und transferieren Wissen. Technische Medien renden Literaturproduktion und der getreuen Wirk- erweitern die natürlichen Fähigkeiten des Menschen lichkeitsaufzeichnung des optischen Mediums und zur Kodierung, Sammlung, Übertragung und Wahr- schließlich die Ausblendung bestimmter, gerade für nehmung von Informationen. Durch diese Funktion die Transkription von Texten in Bilder relevanter The- sind sie untrennbarer Bestandteil und notwendige orien von Zeichenstrukturen. Immer wiederkehren- Bedingung der Entwicklung von Kultur.« (S. 2) de Aussagen wie die, dass das kinematografische System »Direktinformation« erzeuge, als ginge es Der entsprechende, seit Entwicklung des Buch- im Film um den frisch gepressten Saft einer realen drucks sich etablierende Typus von Literatur wird so Welt, gehen nicht nur unkritisch am medialen Pro- auf »wahres Wissen« verpflichtet, die Kinematografie zess konstruktiver Erzeugung von Information aus auf »Reproduktion der äußeren Wirklichkeit«, ja Letz- Daten vorbei, sondern unterschlagen auch die Dif- terer gelänge es sogar, »Bewegung und Ereignisse ferenz zwischen der Dokumentation von Faktischem unmittelbar zu dokumentieren und die ,ferne‘ Um- und der poetischen Imagination von Möglichem – welt in ,realer‘ Repräsentation herbeizuholen.« (S. und zwar in beiden Medien. Was aber den Unter- 3) Diese Auffassung wird in der Folge durch die ver- schied oder die Veränderung im Adaptieren betrifft, schiedensten Kultur-, Kunst-, Sprach-, Literatur- und so wäre es sinnvoller gewesen, sich auch mit Theori- Medientheorien unterfüttert, wobei der epistemolo- en der Übersetzung (etwa ausgehend von Benjamin) gisch-kognitive Ansatz unvermittelt auf ästhetische zu beschäftigen oder Eisensteins direkte Beschäfti- Gegenstände übergeht, um sodann vom Verhältnis gung mit dem chinesischen Schriftsystem und den zwischen Erzählung und Spielfilm zu sprechen. Sol- japanischen Haikus1 als Grundlage für sein Monta- che Kontextwechsel lassen sich mehrfach beobach- geprinzip zu diskutieren. So bleibt Schwabs Arbeit ten, etwa wenn Panofskys Begriff der »inneren Mate- eine verdienstvolle Fleißarbeit, die auch bei den Bei- rialität« des Films in das vielversprechende Konzept spielen der Verfilmungen der genannten literarischen einer »inneren Medialität« umformuliert wird, ohne Stoffe durch Carol Reed, Wolfgang Luderer und Rai- jedoch diese quid pro quo eigens zu diskutieren. ner Werner Fassbinder viel Material zusammenträgt, Gleichermaßen richtet die Argumentationsfolge ein aber wenig inspirierte und inspirierende Gedanken wahres Potpourri von Theorieansätzen an, das von psychologischen Rezeptionsuntersuchungen über sprachwissenschaftliche Erzähltheorien bis hin zu praktischen Überlegungen zur Visualisierung filmi- 1 Japanische Gedichtform, die aus drei Zeilen mit 17 Silben schen Erzählens reicht. Zwischendurch gehen Be- besteht. Rezensionen 97 bietet, die oft in banalen Feststellungen enden wie: Dass Olga manches zu spät erkannt hat, verbindet »Folglich trifft ein Filmemacher, der ein Adaptions- sie mit Clio, jener Göttin der Geschichte, der die Au- projekt realisiert, Umsetzungsentscheidungen, die torin, Historikerin und Filmwissenschaftlerin an der den Spielfilm gegenüber dem Roman geändert er- Universität Paris 3 schon einmal ein Buch gewidmet scheinen lassen.« (S. 39) Wer hätte das aber nicht hat2. Ja, auch die Geschichtsschreibung kommt im- schon vorher gewusst! mer zu spät, und die Melancholie, die manche His- Michael Wetzel, Bonn toriker deshalb ergreift und die auch dieses Buch durchzieht, prägt ebenso den Film von Resnais. Ei- gentlich war »Nacht und Nebel« ein Auftragsfilm, mit Sylvie Lindeperg dem die Kämpfer der Resistance, die in deutschen Nuit et Brouillard. Lagern waren, geehrt werden sollten. Doch nach Un film dans l’histoire gründlicher Recherche musste diese Perspektive Paris: Odile Jacob 2007, 288 Seiten. einer anderen weichen. Unter der Regie von Alain Resnais wurde das nationale Anliegen zu einer Be- »Nacht und Nebel« von Alain Resnais ist einer der standsaufnahme der conditio humana. Als hätte er frühesten Filme über die Konzentrations- lager. Ob- den berühmten Satz von Primo Levi gekannt: Es ist wohl er inzwischen mehr als 50 Jahre alt ist, ist sei- passiert, es kann jederzeit wieder passieren. Ma- ne Wirkungsmacht geblieben. Sie verdankt sich ei- chen wir uns nichts vor. Der Schluss des Films zeigt nem ästhetischen Konzept der Reduktion, das jeder Aufnahmen der Briten aus Bergen-Belsen: Die Lei- Generation ihre eigenen Erfahrungen gestattet, aller chen werden verscharrt, die Schädel aufgereiht, unserer Kenntnis der Archiv-Bilder zum Trotz. Das dann sieht man wieder kurz in Farbe das Gelände Kind im Warschauer Ghetto, die Züge der im Lager von Auschwitz und hört jenen Text, der uns daran er- Ankommenden, die Haufen von Brillen und Haaren, innert, dass die Täter noch unter uns sind, dass »wir« die Aufnahmen der Alliierten nach der Befreiung, die zwar glauben möchten, der Rassismus sei über- Öfen von Topf & Söhne und die Bagger in Bergen- wunden, dass sich aber, nur weil die Wiese wieder Belsen – wir wissen alles, wir haben alles schon in wächst, vielleicht doch nichts verändert hat: Es kann anderen Filmen und im Fernsehen gesehen. Trotz- wieder geschehen. dem bleibt »Nacht und Nebel« ein Film, an den man sich »nicht gewöhnt, weil der Filmemacher das was Dass wir uns aber genau deshalb immer wieder er- er zeigt, beurteilt, und weil er durch die Art, wie er innern müssen, war für Alain Resnais ebenso zentra- es zeigt, selbst beurteilt wird«1. Und der französi- les Anliegen wie für alle seine Mitarbeiter; neben den sche Filmkritiker Serge Daney schrieb, »Nacht und Historikern wie eben Olga Wormser waren dies vor Nebel« sei kein »schöner«, sondern ein »richtiger« allem Hans Eisler, der die Musik komponierte, und Film. (S. 240) Jean Cayrol, der den Kommentar verfasste. Beide waren, so schreibt Lindeperg, vom Archivmaterial so Über diesen »richtigen« Film ist in diesem Frühjahr überwältigt, dass sie bei der Adaption ihrer Beiträge in Frankreich ein Buch erschienen, eine Film-Biogra- an die filmische Form Hilfe benötigten. Cayrol erhielt fie. Es erzählt zum einen die Genese des Films und die Hilfe von Chris Marker, der den Text an die Mon- zum anderen von seiner Rezeption. Gerahmt aber tage anpasste, bevor Cayrol ihn erneut überarbeite- wird es von der Geschichte und dem Gedenken an te, Eisler suchte Trost im Cognac und nahm Zuflucht eine Historikerin, die zur Entstehung des Films un- zum eigenen Werk. Für eine deutsche Übersetzung endlich viel beigetragen hat, die aber auch das Pech des Kommentars schlug er noch Brecht und Weigel hatte, über die Thematik ihres Lebens gestolpert zu vor. Jean Cayrol dagegen, französischer Schriftstel- sein. In ihrer 1968 eingereichten Dissertation über ler, präferierte einen Dichter, Paul Celan, und setz- das System der Konzentrationslager hat sie sich ge- te sich durch. täuscht, weil sie glaubte, Gaskammern habe es nur in den Lagern im Osten gegeben und nicht im Wes- Mit der Analyse der Übersetzung dieses Komment- ten; danach hat sie sich ausgerechnet mit Robert artextes ist der Leser schon mitten in der Geschich- Faurisson eingelassen, einem bekannten französi- te der Rezeption des Films. Sie wird bestimmt von schen »Negationisten«, der die Gaskammern leug- zahlreichen, divergenten Lesarten und Fragestel- nete. Das hat sie Sympathien gekostet und ihre wis- lungen zwischen Politik, Geschichtsschreibung, senschaftliche Arbeit angreifbar gemacht. Sie war nationalhistorischer Didaktik und Cinephilie und eine Frau, die es immer mit den Opfern gehalten und dennoch ein Machtspiel verloren hat. Sie bestimmt das Buch wie eine melodramatische Figur: die His- 1 Jacques Rivette, zitiert nach Lindeperg, S. 239. torikerin Olga Wormser, mit deren Geschichte es be- 2 Sylvie Lindeperg: Clio de 5 à 7. Les actualités filmées ginnt und endet. de la Liberation. Paris 2000. 98 Rundfunk und Geschichte 3–4 (2007) erstreckt sich über den Einsatz des Films im Eich- Vinzenz Hediger/Patrick Vonderau (Hrsg.) mann-Prozess bis zu seiner exploitativen Umar- Filmische Mittel, industrielle Zwecke. beitung etwa im amerikanischen Fernsehen. Dass Das Werk des Industriefilms die nationalen Wahrnehmungen des Films abhän- Berlin: Vorwerk 8 2007, 350 Seiten. gig sind von den jeweils gültigen Formen staatlicher Geschichtspolitik zeigt sich im internationalen Ver- In diesem Buch finden Sie weit mehr, als der sachli- gleich, wie er hier in der Kontrastierung von Japan, che Titel verspricht. Es bietet Erkundungen auf kaum Polen, USA und natürlich vor allem der zwei deut- erforschtem Terrain, Einblicke in unbekannte Bild- schen Staaten möglich wird. Nach einer Intervention welten und unglaubliche Geschichten – von Män- westdeutscher Vertreter wird »Nacht und Nebel« im nern »mit Hirn, Hemdsärmeligkeit und Nerven; ehr- April 1956 aus dem Wettbewerbsprogramm in Can- liche Männer, die große Dinge in großem Stil tun« nes zurückgezogen, dann aber doch in einer Son- (S. 322), so der Industriefilmproduzent George L. dervorführung gezeigt. Der Film wird im Bundestag Cox, dessen Zeitungsbeitrag von 1914 zur Rolle des debattiert und bei der Berlinale, ebenfalls in einer Industriefilms dem Band als trefflicher Epilog ange- Sondervorführung gezeigt. Umfragen bei Zuschau- hängt ist. Ein Hersteller von Industriefilmen hatte es ern in München und Westberlin führen schließlich damals, laut Cox, mit fünf Faktoren zu tun, den fünf zur Freigabe und der Celan’schen Übersetzung des »M«: mit finanziellen Mitteln, Materialien, Maschine- Kommentars. Die Vorführungen im Westen bleiben rie, Märkten und Menschen – »von den Fünfen das, allerdings Filmclubs und Organisationen vorbehal- was am schwierigsten zu bekommen ist, am aufwen- ten, eine größere kommerzielle Auswertung findet digsten zu handhaben und am wertvollsten« (S. 322). vorerst nicht statt. Ob Cox auch für die drei »A«, an denen sich die Au- toren des Buches fast durchgängig abarbeiten, Pate Auch in der DDR interessiert man sich für »Nacht stand, bleibt offen. Sie fragen, in wessen Auftrag, und Nebel«, nicht aber für den vorliegenden deut- aus welchem Anlass und für welche Adressaten ein schen Text. Mit der Begründung, dieser sei nicht Film umgesetzt wurde. Der Medienwissenschaftler »werkgetreu«, lässt die DEFA eine andere Überset- Thomas Elsässer hat diese Untersuchungsmetho- zung anfertigen, die zwar dem Rhythmus der Mon- de für den Gebrauchsfilm definiert, um »den Hori- tage kaum angepasst ist, sich aber in das staatliche zont der herkömmlichen Textanalyse einzelner Filme Antifaschismus-Programm besser fügt. zu erweitern« (S. 23). Anhand dieses Gerüsts lassen sich aufschlussreiche Mikroanalysen entwickeln. Von den 50er Jahren bis heute zeichnet das Buch die Dazu bedarf es jedoch eines Archivbestands, der historische Karriere von »Nacht und Nebel« exemp- zum einen zugänglich ist, zum anderen Akten oder larisch nach. Dass der Film großartig ist, bleibt dabei Vermerke über Auftragserteilung und Aufführungs- immer vorausgesetzt. Sogar historische Ungenau- kontexte enthält. Da firmeninterne Archive eher sel- igkeiten verzeiht die Historikerin; sie seien dem Er- ten kontinuierlich gepflegt und nach wissenschaftli- kenntnisstand der Entstehungszeit geschuldet und chen Standards betreut werden, mangelt es häufig minderten nicht den Wert des Films. Wie aber genau an aussagekräftigen Dokumenten. Es bleibt oft nur seine Produktion sich abgespielt hat, wie die bei- der Film selbst als Untersuchungsgegenstand und den deutschen Fassungen entstanden sind, wie die nicht immer lässt sich an ihm ablesen, ob es sich französische Filmkritik sich geäußert hat, wie »Nacht um einen Messe-, Schulungs- oder Imagefilm han- und Nebel« schließlich zum »tragbaren Erinnerungs- delt. Obwohl die Archivlage für die Analyse evident ort« wurde, den der sozialistische Kulturminister Jac- ist, verweisen leider nicht alle Autoren auf den jewei- ques Lang jeder französischen Schule in Kopie ver- ligen Stand der Überlieferung. Notizen darüber, wo, ordnete, das interessiert sie. Und trotz Kenntnis aller in welcher Form und welchem Zustand die Filme zugänglichen Quellen (der entsprechende Anhang und dazugehörige Materialien archiviert sind, wären wurde dem Leser zuliebe ausschließlich im Internet durchgängig für die weiterführende Forschung nütz- veröffentlicht) hat Lindeperg einen lesbaren, ja, einen lich gewesen. Es darf spekuliert werden, ob der eine poetischen Text geschrieben, der in der Person von oder andere Autor sein Wissen darüber vielleicht gar Olga Wormser einfühlbar macht, welche Bedeutung nicht preisgeben wollte. und zugleich Vergeblichkeit hinter jedem historisch- memorativen Anliegen steckt. Zugleich hat sie eine Die Herausgeber betonen in der Einleitung, dass sie historische Studie vorgelegt, die die Filmbiografie mit ihrer Publikation von den »bekannten filmwis- exemplarisch als Methode film- und zeithistorischer senschaftlichen Pfaden zunächst einmal abweichen Forschung etabliert und somit darauf aufmerksam und statt nach Kunstwert und Autorenschaft nach macht, wie untrennbar der Zusammenhang von Me- dem Gebrauchswert und den Zielen des filmischen dien und Geschichte für die Neuzeit ist. Auftrages fragen« (S. 9). Lange blieb der Industrie- Eva Hohenberger, Bochum film von der Wissenschaft so gut wie unbeachtet; Rezensionen 99 wurde er in den Blick genommen, so – laut Hedi- Unternehmen selbst gedreht. Die Imagefilmproduk- ger und Vonderau – haben »die traditionellen An- tion fiel dagegen den Werbeagenturen zu. Das Fa- sätze der Filmwissenschaft versagt« (S. 12). Die Au- zit: Die Blütezeit des Industriefilms ist definitiv vor- toren und Herausgeber haben aus dieser Not eine bei. Dabei wurde ihm einst viel zugetraut: »Millionen Tugend gemacht und eröffnen in ihrem Band eine von Menschen suchen mit seiner Hilfe ihre techni- Art »Versuchsfeld«. Sie nähern sich der »flüchtigen sierte Umwelt zu begreifen und ihren eigenen Platz Gattung« (S. 21) interdisziplinär und mit unterschied- darin zu erkennen«, so der Autor und ehemalige Lei- lichen methodischen Zugängen. Dabei vertreten sie ter der AEG-PR-Abteilung Friedrich Mörtzsch 1959 die These, dass sich der Gebrauchsfilm in besonde- (S. 12). Welch bedeutende Rolle Auftragsfilme tat- rer Weise eignet, »filmhistorische und filmtheoreti- sächlich gespielt haben, zeigen vier Studien, die den sche Betrachtungsweisen zu erproben, die sich von Zusammenhang von Urbanität, Architektur, Industrie den etablierten Methodologien einer primär an natio- und Film untersuchen. Hervorzuheben sind hier ins- nalen Autorenfilmen interessierten Filmwissenschaft besondere die Beiträge von Petr Szcepanik über die ablösen und sich im weiteren Horizont einer Eng- tschechische Schuhfirma Bat’a sowie von Malte Ha- führung von Medien- und Wissensgeschichte ver- gener über Zeiss in Jena. In beiden Fällen geht es um orten« (S. 12). den Aufbau eines Firmenimperiums; hinter beiden Erfolgsgeschichten stehen eben jene »großen Män- Der Einstieg in solch unerforschtes Gebiet erfolgt ner«, die ihre Vision mit Ehrgeiz, Innovationsgeist – sinnfälligerweise über eine Begriffsdefinition: Was ist und mit Hilfe des Industriefilms – konsequent in die ein Industriefilm? Fast jeder zweite Autor des Ban- Tat umgesetzt haben. Die Firma Zeiss nutzte das des bemüht sich um eine Antwort, wobei verständli- Medium, um die Einzigartigkeit und Funktionsweise cherweise Dopplungen auftreten. Die Redundanzen ihrer Produkte bekannt zu machen; im Mittelpunkt sind der Tatsache geschuldet, dass die Publikation standen die Visualisierung von eigentlich unsichtba- insgesamt zwanzig Skripte einer vorangegangenen ren Vorgängen (z.B. die Funktionsweise eines Mikro- Tagung zusammenführt (2004 in Bochum). Das be- skops) sowie die mediale Vermittlung ihres Schlüs- dingt Wiederholungen, aber auch Schwankungen in sels zum Erfolg: der Präzisionsarbeit. Jan Bat’a ging Qualität, Stil und Sachkenntnis. Maßstäbe setzen die mehr als einen Schritt weiter: Er baute seine Fabrik in Beiträge von Hediger und Vonderau. Ihre Überlegun- Zlin mit Hilfe eines ganzen Medien-Netzwerks zu ei- gen zu Begrifflichkeit und Stil sind einschlägig und nem weltumspannenden Konzern aus. Genutzt wur- präzise. Zu den drei »A« fügen sie die drei »R« hin- den alle verfügbaren Arten medialer Kommunikati- zu, um die betriebliche Funktion des Industriefilms on – nicht nur zur Bewerbung der Produkte, sondern zu beschreiben: Record (Herstellung und Bereitstel- auch zur internen Steuerung der Mitarbeiter. Nur ei- lung eines institutionellen Gedächtnisses), Rhetoric nes der vielen schier unglaublichen Beispiele des (Herbeiführung von Kooperationsbereitschaft sei- medialen Tatendrangs sei hier genannt: 1934 ließ tens der Mitarbeiter wie der Öffentlichkeit) und Rati- Jan Bat’a spezielle Vorführräume einrichten, in de- onalization (Optimierung von Abläufen der Produkti- nen die Besucher der Bat’a-Geschäfte während der on und Administration)« (S. 26). Die drei »R« stellen Pediküre Industrie- und Werbefilme schauen konn- dabei keine Gattungsbegriffe dar, sondern sie »be- ten. zeichnen bestimmte relationale Gefüge im Feld der industriellen Organisation, in deren Zusammenhang Das in der vorliegenden Publikation vorgestellte, der Film Verwendung findet« (S. 31). Wie differenziert breite Spektrum von Gebrauchsfilmen lässt erah- die Kontexte sind, zeigen die Analysen von Filmen, nen, dass in den Firmenarchiven wohl noch einige die der Durchsetzung konkreter unternehmerischer Entdeckungen zu machen sind. Weitere Forschun- Ziele dienten: darunter Management-Schulungsfil- gen können auf der internationalen Arbeitsbibliogra- me aus den 1940er und 1950er Jahren, Videos des fie zum Industriefilm aufbauen, die den Aufsätzen amerikanischen Bell-Konzerns zur Integration von angehängt ist. Minderheiten oder Werksbesichtigungsfilme des Julia Novak, Berlin Volkswagenkonzerns.

Erhellende Einblicke in die Praxis der Gebrauchs- filmproduktion liefert ein Interview mit Stefan Engel- kamp, der bis Mitte der 1990er Jahre Filme für die Großindustrie herstellte. Ende der 1980er Jahre, so berichtet Engelkamp, verlagerte sich der Schwer- punkt von Imagefilmen hin zu »Betriebsanleitun- gen«. Diese Schulungsfilme zur firmeninternen Nut- zung werden inzwischen oft kostengünstig von den 100 Rundfunk und Geschichte 3–4 (2007)

Peter Zimmermann/Kay Hoffmann (Hrsg.) Kapitel drei widmet sich dem Dokumentarfilm im Dokumentarfilm im Umbruch. Kino. Ein einleitendes Zahlenwerk (Klaus Stanjek) Kino-Fernsehen-Neue Medien attestiert dem Genre dann beachtliche Zuschauer- (= Reihe Close Up. Schriften aus dem Haus zahlen, wenn die Filme Schauwerte bedienen, mit des Dokumentarfilms, Band 19) vielen Kopien auf den Markt kommen und ein in- Konstanz: UVK 2006, 325 Seiten. teressantes Thema behandeln. Das entsprechende Ranking zeigt mehrfach Michael Moore und Tierfilme Der vorliegende Band ist anlässlich des 15-jährigen wie »Nomaden der Lüfte« und »Die Reise der Pingu- Bestehens des Hauses des Dokumentarfilms (HdF) ine«. Im nächsten Text ist bereits von einem »Boom« in Stuttgart erschienen, und hat sich zum Ziel ge- des Dokumentarfilms im Kino die Rede, den der Au- setzt, die Lage des Dokumentarfilms in Deutschland tor (Herbert Spaich) auf den Rückzug des Fernse- »heute« zu beschreiben. Nach einleitenden Lobre- hens und eine »Krise« des amerikanischen Spielfilms den auf das eigene Haus werden mit Ökonomie und zurückführt, um sodann den Blick zurück in die Ge- Technik jene Parameter in den Blick genommen, die schichte zu richten und zu zeigen, wie schwer es Do- die historische Entwicklung des Genres so entschei- kumentarfilme im Kino immer schon hatten. dend prägen, dass man ab den 90er Jahren von ei- ner Art »Umbruch« sprechen kann. Ihnen widmet Kapitel vier schließlich nimmt die technologischen sich der erste Teil des Bandes, der von einem fakten- Möglichkeiten der Zukunft in den Blick; einmal geht reichen Text Jan Lingemanns über die Produktions- es, recht dokumentarfilmunspezifisch (Kay Kirch- bedingungen und Marktchancen deutscher Doku- mann), um die Digitalisierung der Projektion im Kino, mentarfilme eröffnet wird. Lingemann sondiert das dann um die Möglichkeiten des Internets und die Lager der Produzenten, in dem eine große Anzahl entsprechenden Bemühungen der Standesvertre- kleiner Produktionsfirmen mit wenigen Großprodu- tung AG Dok, auf Grundlage der p2p-Technologien zenten um ein stagnierendes Budget konkurriert. alternative Vertriebswege zu erschließen. Dass das Auf der Abnehmerseite dominiert das Fernsehen, so einfach nicht ist, darauf verweist Thomas Frickels das unter den Bedingungen der Medienkonkurrenz Artikel in Kapitel drei: Aufgrund der abgegebenen auf eine »Aufmerksamkeitsökonomie« setzt, die mit Rechte haben die Dokumentaristen vielfach nichts, starren Formatvorgaben Zuschauer an die Sender was sie im Internet überhaupt anbieten könnten. binden soll. Insgesamt konstatiert Lingemann eine angespannte Marktsituation und appelliert an die Mit dieser Feststellung könnte der Band seine Auf- Medienpolitik, die Produzenten vor allem im Fern- gabe eigentlich erfüllt haben, doch mit dem Abdruck sehen mit Recherchehonoraren und besserer Rech- eines Vortrags zur »Camcorder Revolution« wurde teauswertung zu stärken. Herausgeber Kay Hoff- ihm noch aufgebürdet, von der Tagungstätigkeit des mann nimmt Lingemanns Befunde auf und ergänzt HdF Zeugnis abzulegen, und die zum Abschluss fol- sie durch Überlegungen zum technologischen Wan- genden Statements von Filmemachern sowie Ran- del, der auf Themen und Ästhetik dokumentarischer kings von preisgekrönten deutschen Dokumentar- Filme durchschlägt. Nach Hoffmann zeitigt die Digi- filmen sollen wohl die nationale Gemeinschaft der talisierung eine Aufwertung der Postproduktion, die Dokumentaristen bei Laune halten. einerseits zu Eingriffen in Archivmaterialien führt, an- dererseits zu Produktionen über noch »bilderlose« Am wirklichen Ende ist der Spagat zwischen Lob- Epochen. Beides, so Hoffmann, lasse die ohnehin hudelei auf die eigene Institution, Kritik am öffent- unklare Grenze zwischen Dokumentar- und Spielfil- lich-rechtlichen Fernsehen sowie Rücksichtnahme men weiter verschwimmen. auf die unterstellte Klientel der deutschen Doku- mentaristen leider schief gegangen, und man ist ge- Das zweite Kapitel kritisiert 80 Seiten lang das öf- neigt, die redundante Zusammenstellung nicht im- fentlich-rechtliche Fernsehen und ermüdet mit einer mer aussagekräftiger Texte für die adäquate Füllung Mischung aus Altbekanntem und journalistischen des Begriffs »Sammelband« zu halten. Die Wieder- Platituden wie der Kritik an der »Boulevardisierung«. holung bekannter Tatsachen sowie die Politik der Fritz Wolf kompiliert in zwei Artikeln wesentliche Be- Standesvertreter, sich unentwegt am potenziellen funde seiner 2003 erschienenen Studie über »die Auftraggeber des öffentlich-rechtlichen Fernsehens Ausdifferenzierung des Dokumentarischen im Fern- abzuarbeiten, sind zwischen den Deckeln einer ge- sehen«, auf die sich auch andere Autoren beziehen, bühren- wie steuerfinanzierten Publikation einer ge- Rainer Braun kritisiert eine zunehmend konformisti- bühren- wie steuerfinanzierten Organisation Teil des sche Politik der Gebühren finanzierten Sender, Gun- Selbsterhalts eben jenes Systems, gegen das man ther Herbst erklärt allen noch einmal die Quote und so forsch anschreiben lässt. Die Herausgeber kön- Thomas Hoeren bemängelt den fehlenden rechtli- nen, wie die Schriftenreihe »Close Up« bisher erwie- chen Ideenschutz. sen hat, sicherlich mehr. Doch das Korsett der eige- Rezensionen 101 nen Institution hat sie offenbar nicht gelassen. Das testbewegungen und der Öffentlichkeit als Kommu- ist gerade für einen Jubiläumsband bedauerlich. nikationsraum behandelt. Hervorzuheben ist hier Eva Hohenberger, Bochum vor allem der Beitrag von Dorothee Liehr, die in die- sem Zusammenhang die gegenseitige Nutzbarma- chung von Medien und sozialen Bewegungen the- Martin Klimke/Joachim Scharloth (Hrsg.) oretisch-methodisch ausleuchtet. Dabei weist sie 1968. auf die in der Tat in historischen Untersuchungen Handbuch zur Kultur- und Mediengeschichte oft vernachlässigte Konstruktivität der Medieninhal- der Studentenbewegung te im täglichen Weltaneignungsprozess hin und plä- Stuttgart, Weimar: J. B. Metzler 2007, 323 Seiten. diert zu Recht für eine stärkere Historisierung medi- aler Wirklichkeitskonstruktionen. Auch die von Liehr Die Auseinandersetzungen mit »1968« als Chiffre für vorgestellten Analysekategorien zur Erforschung die Protestbewegungen Ende der 60er Jahre und der wechselseitigen Instrumentalisierung von sozi- den damit eng verknüpften gesellschaftlichen Wand- alen Bewegungen und Massenmedien, die sich bei- lungsprozessen weiteten sich in den letzten Jahren spielsweise an der Gatekeeper- oder Agenda-Set- kontinuierlich von den Feuilletons und den Retros- ting-Forschung orientieren, überzeugen. Allerdings pektiven der Beteiligten auf die wissenschaftliche wirkt Liehrs Perspektive, die oftmals nur die Protes- Forschung aus. Neben die üblichen Sondernum- tierenden als Akteure in den Blick nimmt, die ihre mern und -serien vieler Zeitungen und Zeitschrif- Ziele mithilfe der Massenmedien zu verwirklichen ten, die zu unterschiedlichen Jährungen erscheinen, suchten, mitunter etwas einseitig. Denn oft waren ist inzwischen eine ganze Reihe von Forschungsar- es einzelne Journalisten, die durch ihre Themenset- beiten, Bibliografien und Quellensammlungen ge- zung erst bestimmte Konflikte salonfähig machten treten. Die für die Dynamisierung der Protestbewe- und dies bevor sich Protestbewegungen, wie bei- gungen so wichtigen Massenmedien Rundfunk und spielsweise im Fall der Anti-Atomkraft-Bewegung, Presse wurden dagegen nur selten einer systemati- überhaupt konstituiert und Medienstrategien entwi- schen Analyse unterzogen. Mit dem Sammelband, ckelt hatten. den jetzt Martin Klimke und Joachim Scharloth vor- legen, ist die wissenschaftliche Auseinandersetzung Im zweiten Kapitel »Performanz und Subversion« mit »68« jedoch in der Kultur- und Mediengeschich- wird die Studentenbewegung der 60er Jahre in ei- te angekommen. nem Spannungsverhältnis zwischen Antiritualismus und Ritualismus verortet. Joachim Scharloth unter- In ihrer Einleitung stellen Klimke und Scharloth zu- sucht beispielsweise in seinem Beitrag die allseits nächst aus kulturwissenschaftlicher Perspektive bekannte »Moabiter Seifenoper«, den Prozess der fest, dass sich die Historisierung der 68er-Bewe- Berliner Justiz gegen Rainer Langhans und Fritz Teu- gung nicht in einer auf politische und gesellschaft- fel, auf »performative Techniken der Kritik symboli- liche Wandlungsprozesse fokussierten Analyse er- scher Ordnung« (S. 75). Dabei macht er vor allem die schöpfen sollte. Die Entwicklungen und Wirkungen Inszenierung des Scheiterns kommunikativer Rituale der Bewegung seien ebenso als ein »Generator neu- seitens der Protestierenden deutlich, die darauf ab- er Ausdrucksformen und alternativer Symbolsyste- zielte, Instanzen gesellschaftlicher Ordnung – in die- me« in den Blick zu nehmen, womit vor allem »Pro- sem Fall der Richter – ihrer rituellen Würde zu berau- testpraktiken, Lebensstile und Habitus« (S. 1) in den ben. Die Stärken der Beiträge in diesem Kapitel, die Vordergrund rücken. Daher sind es in der medien- sich unter anderem noch mit dem »Straßentheater geschichtlichen Perspektive des Bandes nicht un- als Protestform« (Kraus) oder der »Transnationalen bedingt mediale Darstellungsformen, sondern eher Zirkulation kultureller Praktiken« (Klimke) auseinan- visuelle Codes sowie deren Verbreitung und Trans- dersetzen, liegen demzufolge nicht etwa in der Erfor- formation, die von übergeordnetem Interesse sind. In schung neuen Quellenmaterials, sondern eher in ei- diesem Sinne steht in einem Großteil der 25 Beiträ- ner neuen Perspektive, die kulturwissenschaftliche ge der performative Charakter der gesamten Bewe- Deutungsmuster in die Zeitgeschichte einliest. gung sowie dessen Intensivierung durch die Medien im Mittelpunkt der Analysen. Dass allerdings bei die- In den Kapiteln drei und vier stehen schließlich »Neue ser hohen Anzahl an Aufsätzen ein Beitrag fehlt, der kulturelle Praktiken« und »Gewaltdiskurse« im Vor- sich etwa unter den Prämissen einer »Visual Histo- dergrund der einzelnen Beiträger. Begrüßenswert ist ry« mit den Bildwelten um »68« auseinandersetzt, ist hier vor allem, dass endlich auch die (Rock-)Musik etwas unverständlich. ihren wichtigen Platz in der Erforschung der Protes- tereignisse um 1968 bekommen hat. So widmen sich Im ersten Kapitel »Medien und Öffentlichkeit« wer- Lorenz Durrer und Beate Kutschke in ihren Aufsätzen den zunächst die Interdependenzen zwischen Pro- sowohl der Rockmusik als auch der musikalischen 102 Rundfunk und Geschichte 3–4 (2007)

Avantgarde. Deutlich wird hier, dass Deutungsmus- als parallel verlaufende und interdependente Prozes- ter und Gedankengut der »68er« sogar bis in den se der Modernisierung versteht. Diese gegenseitige »Neue-Musik«-Bereich hinein diffundierten. Gewiss Beeinflussung von Medien und Politik wird als Teil ei- konnte die Avantgarde-Musik dabei nicht als Multip- ner umfassenden »Medialisierung«, eines Prozesses likator des linksintellektuellen Zeitgeistes fungieren, der »wechselseitigen Stimulierung von Medien- und so aber doch die Ubiquität der kulturellen Transfor- Gesellschaftsentwicklung« und einer zunehmenden mation symbolisieren. »Selbstbeobachtung der Gesellschaft durch die Me- dien« (S. 11f.) gefasst. Die Folgen dieses Prozes- Während nun also die Beiträge durch ihre inhaltliche ses für die Politikentwicklung werden als ambivalent Konsistenz und vielfach durch ihre methodisch-the- und gegenläufig interpretiert: Einerseits führen me- oretischen Perspektiven zu überzeugen vermögen, dientechnologische Entwicklungen, wie die Einfüh- liegen die Schwächen des Bandes auf der Formebe- rung und Verbreitung von Radio, Kino und Fernse- ne. So ist beispielsweise jedem der 25 Beiträge (aus- hen zu Schüben der gesellschaftlichen Politisierung, genommen dem Interview mit Rainer Langhans) eine andererseits bedeutet Politisierung nicht unbedingt mehrseitige Bibliografie angefügt, die immer wieder auch Demokratisierung der Gesellschaft, sondern – aufgrund der thematischen Nähe der vielen Auf- kann, wie die Mediennutzung in der NS-Zeit deut- sätze – dieselben Werke aufführt. Oft wiederholen lich zeigt, auch zur Entdemokratisierung beitragen. sich auch in einzelnen Beiträgen die zum Thema hin- Diese Ambivalenzen resultieren, so eine übergreifen- führenden Bemerkungen. Auffallend ist ebenso die de These der Beiträge, aus den Formaten der Medi- Kürze vieler Beiträge, die dem Aufbau einer fundier- en selbst. Welche politischen Wirkungen Prozesse ten Argumentationsstruktur nicht unbedingt zuträg- medialen Wandels wie die Einführung von Massen- lich ist. Etwas weniger Aufsätze und Bibliografien zeitungen, von Fernsehen oder Meinungsumfragen zugunsten längerer Beiträge hätten somit sicherlich konkret entfalten, hängt von den konkreten zeithis- dafür gesorgt, dass die formale Anlage des Bandes torischen politischen und kulturellen Kontexten ab den klugen Inhalten des Handbuches ebenbürtig ge- und wird in einzelnen Fallstudien anschaulich her- wesen wäre. ausgearbeitet. Nicolai Hannig, Bochum Im Gegensatz zur im »Strukturwandel der Öffentlich- keit« von Jürgen Habermas vertretenen These eines Frank Bösch/Norbert Frei (Hrsg.) mit der Auflagensteigerung von Printmedien einher- Medialisierung und Demokratie gehenden Verfalls bürgerlicher Öffentlichkeit zeigt im 20. Jahrhundert. Frank Bösch, dass die Entwicklung einer Massen- (= Reihe: Beiträge zur Geschichte presse im Kaiserreich die Demokratisierung beför- des 20. Jahrhunderts, Band 5) derte, indem sie die Teilhabe an politischer Kommu- Göttingen: Wallstein Verlag 2006, 279 Seiten. nikation erweiterte, zu einer stärkeren Transparenz des Reichstags beitrug, durch die Förderung sozio- »Ambivalenz der Medialisierung«, so der Titel der kultureller Milieus die Grundlagen für die Formierung Einführung von Frank Bösch und Norbert Frei zu moderner Parteien legte und eine umfassende staat- einer für Medien- und Zeithistoriker interessanten liche Kontrolle des Pressewesens erschwerte. Zusammenstellung von acht Beiträgen zur Unter- suchung des Zusammenhangs zwischen Medien- Demgegenüber offenbart eine Inhaltsanalyse der wandel und Demokratieentwicklung in Deutschland. Boulevard- und Massenpresse in den 1920er und Die Forschungsarbeiten, die auf einem Workshop an 1930er Jahren die Demokratie schädigenden Poten- der Ruhr-Universität Bochum und im Rahmen des ziale der Presse. Die gesellschaftliche und politische Historikertages 2004 vorgetragen wurden, konzent- Desintegration der Weimarer Republik, so die zen- rieren sich vor allem auf die Zeit nach 1945, wobei ein trale These von Bernhard Fulda, sei durch die aufla- Schwergewicht auf den 1960er Jahren liegt. gensteigernde Ausrichtung an konflikthaltigen Nach- richten gestärkt und nicht im Sinne einer integrativen In kulturpessimistischen Zeitdiagnosen wird Me- Medienwirkung abgeschwächt worden. dienwandel primär unter Aspekten des Zerfalls li- beraler Öffentlichkeit und der Transformation des Matthias Weiss gibt einen guten Überblick über die Verhältnisses zwischen Politik und Medien zuguns- Medien- und Informationspolitik der Adenauer-Re- ten einer »Mediokratie« (Thomas Meyer), einer die gierungen. Sein Beitrag enthält zwar für den sach- Grundlagen der liberalen Demokratie zunehmend kundigen Leser wenig neue Informationen, inter- erodierenden Medienherrschaft, interpretiert. Da- essant ist jedoch die Interpretation der in mancher gegen setzen die Herausgeber dieses Sammelban- Hinsicht durchaus Züge von Propaganda tragenden des eine Deutung, die Medien- und Politikwandel Regierungs-PR als therapeutische Selbstbeschrei- Rezensionen 103 bung einer Post-Volksgemeinschaft mit kontrapro- duktiven Folgen.

Inwiefern neue Sendeformate zur Entwicklung einer demokratischen Diskurskultur beitragen können, er- läutert Monika Boll am Beispiel des Kulturradios in der Nachkriegszeit.

Anja Kruke belegt am Beispiel der politischen In- strumentalisierung von Meinungsumfragen in der frühen Bundesrepublik, wie neue Formen der ge- sellschaftlichen Selbstbeschreibung Struktur und Handeln der politischen Klasse prägten. Anschau- lich dokumentiert sie am Beispiel der SPD, wie sich infolge von Meinungsumfragen das Verhältnis zwi- schen Parteien, Medien und Wählern änderte und Politik nicht, wie häufig angenommen, weniger de- mokratisch, sondern »responsiver« wurde. Die Par- teien entwickelten neue Deutungsmuster und neue Formen der Wähleransprache, wie z.B. Hausbesu- che, um neue Wählergruppen zu gewinnen. Auch in der katholischen Kirche verlief der Prozess der Aus- weitung von Mitgliederpartizipation in den 1960er Jahren parallel zur Entwicklung neuer Medienforma- te, wie Benjamin Ziemann am Beispiel der katholi- schen Wochenzeitung »Publik« erläutert. Meike Vo- gel illustriert am Beispiel der Berichterstattung über die Ereignisse des 2. Juni 1968, dass das Fernse- hen gegensätzliche Demokratievorstellungen kom- munizierte, indem es einerseits dem staatsoffiziellen Besuchsritual folgte und andererseits die gleichzei- tig stattfindenden Protestereignisse kommunizier- te. Thomas Mergel belegt in seiner Untersuchung der Repräsentation von Bürgern in deutschen Wahl- werbespots, dass die seit den 90er Jahren zu ver- zeichnende Aufwertung der Zivilgesellschaft im po- litischen Diskurs keine Entsprechung findet in der »Bildpolitik« der Spots.

Zu Recht fordern die Herausgeber eine genaue- re Untersuchung der Rolle der Medien, ihrer Inhal- te wie Produktions- und Rezeptionsbedingungen in der Politik- und Kulturgeschichtsschreibung. Die im Band versammelten Beiträge tragen zu dem ge- forderten Perspektivenwechsel sinnvoll bei. Weite- re Fallstudien wären wünschenswert. Kritisch an- zumerken ist, dass keiner der Aufsätze die Folgen der Einführung und Verbreitung digitaler Medien für die politische Kommunikation thematisiert. Als Me- dium der Konvergenz von differenten Medienforma- ten wäre die Hypothese der demokratiebezogenen Ambivalenz der sogenannten neuen Medien insbe- sondere hinsichtlich der politischen Bedeutung der Netzkommunikation zu erforschen. Sigrid Baringhorst, Siegen 104

Bibliografie

Zeitschriftenlese 96 (1. 1.– 31. 5. 2007)

ANGERMANN, KLAUS: Ein Urgestein des ZDF- FILK, CHRISTIAN: Auf der Suche nach einer Be- Sports : eine Würdigung zum 80. Geburtstag von stimmung des Radios. Zeitgenössische Hörfunkbe- Willi Krämer. In: ZDF Kontakt. 2007. H. 1, S. 43. schreibungen zwischen 1928 und 1948. In: Fernseh- Informationen. Jg. 58. 2007. H. 2, S. 21–23. BERNOLD, MONIKA: Geschichtsproduktion und mediale Selbstreflexivität im Fernsehen. In: Filmi- FILMER, WERNER: Ein Kerl für alle Fälle. Fritz Pleit- sche Gedächtnisse: Geschichte – Archiv – Riss / gen: nach fast 45 WDR-Jahren im Ruhestand. In: Frank Stern; Julia B. Köhne u.a. (Hrsg.) Wien 2007. epd medien. 2007. H. 25, S. 3–5. S. 136–154. Am Beispiel vor allem des ORF. Virtuelle Ge- FISCHER, JÖRG-UWE: »Überraschen werden sie schichtsbilder im Fernsehen des 21. Jahrhunderts uns nicht«: Militärpolitik und Image-Werbung für die TV-Archiv und Geschichtsproduktion, Geschichte NVA im DDR-Fernsehen. In: Info 7: Medien – Archive im Fernsehen und/als Geschichte des Fernsehens. – Information. Jg. 21. 2006. H. 3, S. 204–207.

BILKE, JÖRG BERNHARD: Ein Meister der »Infor- GLEIM, BERNHARD: Liebe im September. Alten- mationsliteratur«: Nachruf auf Klaus Poche (1927– bilder im Unterhaltungsfernsehen. In: epd medien. 2007). In: Deutschland-Archiv. Jg. 40. 20067. H. 2. 2007. H. 5, S. 5–9. S. 213–214. Ausgehend von derzeitigen Darstellungen des Al- Nachruf auf den Schriftsteller, Film- und Fern- ters und der Alten im Fernsehen (z.B. in der dreitei- sehdrehbuchautor unter Berücksichtigung der DDR- ligen Dokufiction »2030 – Aufstand der Alten« des Thematik in seinem Werk. ZDF) gibt der Autor einen programmgeschichtlichen Überblick zum Wandel des Altersbildes im (Unter- BOELTE, HANS-HEINER: Erinnerung an einen Me- haltungs-) Fernsehen. dienbischof: zum Tod von Hermann Josef Spital. In: Communicatio socialis. Jg. 40. 2007. H. 1. S. 75–77. HARTEL, GABY, FRANK KASPAR: Die Welt und das Der Trierer Bischof (1981–2001) war von 1989 bis geschlossene Kästchen: Stimmen aus dem Radio 2001 Vorsitzender der Publizistischen Kommission und über das Radio. In: Phonorama: eine Kulturge- der Deutschen Bischofskonferenz. schichte der Stimme als Medium / Hrsg. von Brigit- te Felderer. Berlin 2004, S. 133–144. BÖSCH, FRANK: Film, NS-Vergangenheit und Ge- Zur Theorie der Radiostimme in den 1920er und schichtswissenschaft: von »Holocaust« zu »Der Un- 1930er Jahren. tergang«. In: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte. Jg. 55. 2007. H. 1. S. 1–32. HEBERLING, CONRAD: Schöne heile Welt: der Sie- Über aktuelle deutsche Kino- und Fernsehfilme geszug der Telenovela als Utopie der Rettung. In: TV zum Themenbereich Drittes Reich, Nationalsozialis- Diskurs. Jg. 11. 2007. H. 1 (39), S. 86–91. mus, Hitler unter dem Aspekt der kollektiven Erinne- rung, ausgehend von der Fernsehserie »Holocaust« HERRMANN, GÜNTER, HANS-PETER HILLIG: Ein (1977). Gründervater. Erinnerung an Prof. Dr. Hans Brack, den ersten Verwaltungsdirektor. In: WDR print. Nr. BUSSEMER, THYMIAN: Paul Felix Lazarsfeld und 372. 2007, S. 17. die Etablierung der Kommunikationsforschung als Anlässlich seines 100. Geburtstags am 2. April empirische Sozialwissenschaft. In: Medien & Kommu- 2007. nikationswissenschaft. Jg. 55. 2007. H. 1, S. 80–100. HÖMBERG, WALTER: Vordenker der ARD. Zum 80. EPPING-JÄGER, CORNELIA: Embedded voices: Geburtstag von Dietrich Schwarzkopf. In: Funkkor- Stimmpolitiken des Nationalsozialismus. In: Phon- respondenz. 2007. H. 14/15, S. 3–6. orama: eine Kulturgeschichte der Stimme als Me- Dietrich Schwarzkopf, 1962 bis 1966 Leiter des dium / Hrsg. Von Brigitte Felderer. Berlin 2004, S. Bonner Büros des Deutschlandfunks in Köln, 1966 145–157. Programmdirektor Fernsehen beim Norddeutschen Über die Instrumentalisierung der Stimme und Rundfunk, 1974 Stellvertretender Intendant, 1978– der Massenrede im Hörfunk im Nationalsozialis- 1992 Programmdirektor Deutsches Fernsehen. mus. Bibliografie 105

HOLMES, SU: ,The question is – is it all worth kno- KOLESCH, DORIS: ARTAUD: Die Überschreitung wing?‘: the cultural circulation of the early British der Stimme. In: Phonorama: eine Kulturgeschichte quiz show. In: Media, culture and society Vol. 29. der Stimme als Medium / Hrsg. von Brigitte Felderer. 2007. Nr. 1, S. 53–74. Berlin 2004, S. 187–198. Zur Geschichte des Fernsehquiz’ in Großbritanni- Über Antonin Artauds Hörspiel »Schluss mit dem en unter den Aspekten Bildung und Wissen. Gottesgericht« (1947) im Rahmen seines »Theaters der Grausamkeit«. HUBERT, HEINZ-JOSEF: »Ich bin ein Öffentlich- Rechtlicher«. In: WDR print. Nr. 372. 2007, S. 14–16. KRAWITZ, RAINER: Wolf Bierbach †. In und für im- Referiertes Interview mit dem scheidenden WDR- mer à jour. In: WDR print. Nr. 372. 2007, S. 17. Intendanten Fritz Pleitgen über seine Rundfunkzeit Nachruf auf den Leiter der WDR-Landesredakti- und über seine neue Aufgabe als Vorsitzender der on Hörfunk (1986–2003). Geschäftsführung für die »Ruhr 2010«. LANGENBUCHER, WOLFGANG R.: Walter A. Mahle HUBERT, HEINZ-JOSEF: Das Vorbild. Dieter Tho- 65 Jahre. In: Publizistik. Jg. 52. 2007. H. 1, S. 80–81. ma, der WDR-Journalist, der in NRW wohl zu den be- Kommunikationswissenschaftler, geb. 2. Februar kanntesten Radiomännern gezählt werden kann, hat 1942, 1972–1976 Geschäftsführer der AfK, Arbeits- am 11. April [2007] seinen 80. Geburtstag im Kreis gemeinschaft für Kommunikationsforschung, Hrsg. seiner Familie und Freunde gefeiert: der MiMa-Erfin- der AfK- bzw. AKM-Studien. der. In: WDR print. Nr. 373. 2007, S. 13. LEDER, DIETRICH: Als das Wünschen fast geholfen JAEGER, ROLAND: Werbedienst für den Deutschen hätte. Das Fernsehjahr 2006 in 10 Analysen, 10 Bil- Werkbund: Der Verlag Hermann Reckendorf, Berlin. dern und 10 Begriffen. In: Funkkorrespondenz. 2007. In: Aus dem Antiquariat: Zeitschrift für Antiquare und H. 1, S. 1–31. Büchersammler. 2007. H. 1, S. 3–22. Unter besonderer Berücksichtigung der rund- LEDER, DIETRICH: Er ging, wie er war. Des Inten- funkpublizistischen Aktivitäten des Verlags, vor al- danten Gespür für die Macht: Fritz Pleitgen und der lem auf dem Gebiet der Rundfunk- und Programm- WDR. In: Funkkorrespondenz. 2007. H. 14/15, S. 9– zeitschriften wie »Die Sendung«, »Der Empfang«, 10. »Deutsche Welle«, »Fernsehen« (später »Fernsehen und Tonfilm«) und ab 1932 »Berlin hört und sieht«. LESCHKE, RAINER: Medien – ein loser Begriff: zur wissenschaftshistorischen Konstruktion eines Be- KEMP, WOLFGANG: »Mein Krieg mit Deutschland«: griffskonzepts. In: Navigationen: Zeitschrift für Me- P.G. Wodehouse und seine Ansprachen im deut- dien- und Kulturwissenschaften. Jg. 7. 2007. H. 1, schen Rundfunk 1941. In: Merkur. Jg. 61. 2007. H. 1 S. 219–229. (693), S. 36–50. Der englische Unterhaltungsschriftsteller Pel- LIETZ, THOMAS, REBEKKA HONEIT, STEFAN RAU- ham Grenville Wodehouse, 1881–1975, 1940 von den HUT: Die Rundfunknutzung Jugendlicher in der DDR, Deutschen in Frankreich gefangen genommen und In: Jahrbuch für Kommunikationsgeschichte. Hrsg. in mehreren Internierungslagern inhaftiert, sprach im von Holger Böning; Arnulf Kutsch; Rudolf Stöber. Bd. Sommer 1941 fünf Sendungen über den Deutschen 8. 2006, S. 194–219. Kurzwellensender für englische und amerikanische Hörer über sein Leben in deutscher Haft. Die Tatsa- LINZER, MARTIN: Nach Brechts Prinzipien: zum Tod che, diese Sendungen gemacht zu haben und ihr un- von Egon Monk (1927–2007). In: Theater der Zeit: terhaltsamer Stil trugen ihm in England den Vorwurf Zeitschrift für Politik und Theater Jg. 62. 2007. H. 4, ein, er habe sich für die Auslandspropaganda der S. 72. Nazis missbrauchen lassen. Egon Monk, Fernsehspiel/-filmautor und -Regis- seur, 1960–1968 Leiter des NDR-Fernsehspiels. KLOPP, TINA: Der Ohrenmensch. Zum 100. Ge- burtstag von Hörspielautor Günter Eich. In: epd me- LÖBLICH, MARIA: German ,Publizistikwissenschaft‘ dien. 2007. H. 8, S. 7–9. and its shift from a humanistic to an empirical so- cial scientific discipline: Elisabeth Noelle-Neumann, KÖRNER, TORSTEN: Der zärtliche Rebell. Götz Emil Dovifat and the ,Publizistik‘ debate. In: Euro- George und »Schimanski« – ein Jubiläum. In: Funk- pean journal of communication. Vol. 22. 2007. Nr. 1, korrespondenz. 2007. H. 16, S. 21–27. S. 69–88. Zur Debatte um die Themen, Metho- Zum 25-jährigen »Dienstjubiläum« der Medienfi- den und Aufgabenstellungen der Publizistik-/ Kom- gur »Schimanski« (»Tatort«, »Schimanski«). munikationswissenschaft in den 1960er Jahren in 106 Rundfunk und Geschichte 3–4 (2007)

Deutschland, ausgetragen vor allem in der Zeit- kerung und des internationalen Publikums über den schrift »Publizistik«. Eichmann-Prozess 1961.

LÜKE, REINHARD: Papstwahl und Quoten-Fischer. PLEITGEN, FRITZ: Freigeist mit Lust am Wider- Durchaus eine Erfolgsgeschichte: Phoenix besteht spruch. Nach 14 Jahren als SWF/SWR-Intendant 10 Jahre. Führend bei Dokumentationen. In: Funk- scheidet Peter Voß Ende April [2007] aus dem Amt. korrespondenz. 2007. H. 14/15, S. 18. In: Doppelpfeil: das Unternehmensmagazin des Südwestrundfunks. 2007. H. 2, S. 18–23. MAIER, HANS: Adenauer in der Nachkriegspublizis- tik: auf den Spuren (über die Rezeption des ersten PLEITGEN, FRITZ: »…ich wollte immer auch Jour- Bundeskanzlers) in Presse und Hörfunk. In: Die poli- nalist sein.« Interview. In: WDR print. Nr. 369. 2007, tische Meinung. Jg. 52. 2007. H. 447, S. 71–76. S. 3, 6. Bilanz der politischen Diskussionssendung der MEYEN, MICHAEL, KATJA SCHWER: Credibility of ARD aus Anlass seines Ausscheidens als Moderator media offerings in centrally controlled media sys- des »Presseclubs« nach 13 Jahren. tems: a qualitative study based on the example of East Germany. In: Media, culture and society Vol. 29. PROSS, CAROLINE: Blindheit als Einsicht: Beob- 2007. Nr 2, S. 284–303. achtungen zur Medienästhetik des frühen deutschen Zur Glaubwürdigkeit der Massenmedien in der Hörspiels. In: Deutsche Vierteljahrsschrift für Lite- DDR, bezogen auf die DDR- und Westmedien, be- raturwissenschaft und Geistesgeschichte. Jg. 81. sonders die Westprogramme des Rundfunks (vor 2007. H. 1, S. 91–108. allem des Fernsehens) mit einer auf dem Glaub- würdigkeitsfaktor basierenden Typologie der DDR- PRÜMM, KARL: Ein politischer Fernseh-Erzähler. Mediennutzer. Nachwirkendes Vorbild – zum Tod von Egon Monk. In: epd medien. 2007. H. 18, S. 8–9. MEYER-KALKUS, REINHART: Literatur für Stim- Egon Monk (1927–2007), Fernsehspiel/-filmautor me und Ohr. In: Phonorama: eine Kulturgeschichte und -Regisseur, 1960–1968 Leiter des NDR-Fern- der Stimme als Medium / Hrsg. von Brigitte Felderer. sehspiels. Berlin 2004, S. 173–186. Über Literatur, Literatur- und Dichterlesungen in RAFF, FRITZ: ARD den richtigen Weg in die Zukunft Hörfunk und Fernsehen. gewiesen. Zum 80. Geburtstag von Prof. Dr. Diet- rich Schwarzkopf. In: Fernseh-Informationen. Jg. 58. NAEGELE, MANFRED: »Zum Sehen geboren, zum 2007. H. 3, S. 7–8. Drehen bestellt.« Justus Pankau. Zur Person. In: Dietrich Schwarzkopf, 1962 bis 1966 Leiter des Doppelpfeil: das Unternehmensmagazin des Süd- Bonner Büros des Deutschlandfunks in Köln, 1966 westrundfunks. 2007. H. 1, S. 26–27. Programmdirektor Fernsehen beim Norddeutschen Porträt des ehemaligen SWR-Kameramanns Rundfunk, 1974 Stellvertretender Intendant, 1978– (1954–1988). 1992 Programmdirektor Deutsches Fernsehen.

NIX, SEBASTIAN: Frankreichs internationaler Nach- RIDDER, MICHAEL: Jede Menge Dementis. Das richtensender: ein politisches Projekt mit Zukunft? Medienjahr 2006 im Rückspiegel. In: epd medien. In: Frankreich-Jahrbuch 2006: Politik und Kommu- 2007. H. 1, S. 3–6. nikation / Hrsg.: Deutsch-Französisches Institut in Verbindung mit Frank Baasner u.a. Wiesbaden 2007, RISCHBIETER, HENNING: Der erste, der ging: Zum S. 99–126. Tod des Brecht-Schülers und Fernseh-Pioniers Egon Zum Start (Dezember 2006) des internationa- Monk, der für wenige Monate auch einmal das Deut- len französischen Nachrichtenkanals France 24 als sche Schauspielhaus Hamburg leitete: hartnäckige Antwort auf CNN und BBC World. Mit einem Rück- Redlichkeit. In: Theater heute. Jg. 48. 2007. H. 4, S. 71. blick auf die frühen Konzepte (Chaine francaise d‘information internationale, CFII). SAUR, KARL-OTTO: Philosoph im Intendantenamt. Zum Tod von Karl Holzamer. In: Fernseh-Informatio- PINCHEVSKI, AMID, TAMAR LIEBES, ORA HER- nen. Jg. 58. 2007. H. 1, S. 15–16. MAN: Eichmann on the air: radio and the making of Nachruf auf den ZDF-Gründungsintendanten an historical trial. In: Historical journal of film, radio Karl Holzamer (1962–1977). and television. Vol. 27. 2007. Nr. 1, S. 1–25. Über den Hörfunk (Kol Jisrael) als wichtigstes SCHMITZ, WOLFGANG: Der Kölner Dom im Rund- Medium für die Information der israelischen Bevöl- funk: Spuren früher Medienaktivitäten in und um den Bibliografie 107

Kölner Dom. In: Kölner Domblatt. F. 71. 2006. Köln tion als ARD-Programmdirektor (Programmdirektor 2006, S. 249–262. Deutsches Fernsehen, 1978–1992). Zur kirchlichen Rundfunkarbeit und zur Darstel- lung der Kirche, insbesondere der Ereignisse im STOLTE, DIETER: In jeder Phase er selbst. Zur Ver- und um den Kölner Dom im Rundfunk der Weima- abschiedung von SWR-Intendant Peter Voß. In: rer Republik unter besonderer Berücksichtigung der Funkkorrespondenz. 2007. H. 19, S. 5–8. WERAG. THEORETISCHE PERSPEKTIVEN zur Kommunikati- SCHWERING, GREGOR: Datenlage und Theorie: onsgeschichte : [4 Beiträge] / Red.: Wolfgang Duch- Brechts und Enzensbergers Modelle: Stichworte zu kowitsch; Bernd Semrad; In: Medien & Zeit. Jg. 22. einer Re-Lektüre der ,Radiotheorie‘ und des ,Bau- 2007. H. 1, S. 1–60. kastens‘. In: Navigationen: Zeitschrift für Medien- Beiträge zu Theorien, Ansätzen und Methoden und Kulturwissenschaften. Jg. 7. 2007. H. 1, S. 95– der Kommunikationsgeschichte. 119. HORST PÖTTKER: Brauchen wir noch (Kommuni- kations-)Geschichte? Plädoyer für ein altes Fach mit SEUL, STEPHANIE: Europa im Wettstreit der Pro- neuem Zuschnitt. pagandisten: Entwürfe für ein besseres Nachkrieg- SUSANNE KINNEBROCK: Kommunikationsge- seuropa in der britischen Deutschlandpropaganda schichte und Geschlecht. Perspektivische Implika- als Antwort auf Hitlers »Neuordnung Europas« 1940– tionen der Frauen- und Geschlechtergeschichte für 1941. In: Jahrbuch für Kommunikationsgeschichte. die historische Kommunikationsforschung. Hrsg. von Holger Böning; Arnulf Kutsch; Rudolf Stö- RAINER GRIES: Kulturgeschichte des Kommunizie- ber. Bd. 8. 2006, S. 108–161. rens. Konjunktionen, Konjunkturen und Konnektivi- Der Aufsatz untersucht die Wechselbeziehung täten. zwischen der nationalsozialistischen und britischen KURT IMHOF: Permanente Aufklärung. Über den Politik und Propaganda für eine neue europäische Wandel der öffentlichen Wissensvermittlung in der Nachkriegsordnung in den Jahren 1940 und 1941. Moderne. Der Schwerpunkt der Untersuchung liegt dabei auf der britischen Propaganda gegenüber der deut- THULL, MARTIN: Anwalt mündiger Medienkonsu- schen Bevölkerung, die über den Deutschen Dienst menten. Zum Tod von »Medienbischof« Hermann der BBC und durch die von der Royal Air Force über Josef Spital. In: Funkkorrespondenz. 2007. H. 2/3, Deutschland abgeworfenen Flugblätter verbreitet S. 6. wurde. Der Trierer Bischof (1981–2001) war von 1989 bis 2001 Vorsitzender der Publizistischen Kommission SICHTERMANN, BARBARA: »Was guckst du, du der Deutschen Bischofskonferenz. Opfer?« Das Fernsehjahr 2006 im Rückblick. In: epd medien. 2007. H. 2, S. 6–11. VIEWEG, CHRISTINE: »Wie schön, dass du gebo- ren bist …« Zehn Jahre öffentlich-rechtlicher Kin- SIEPMANN, RALF: Höhenflug. Gegen den Main- derkanal. In: Fernseh-Informationen. Jg. 58. 2007. stream: zehn Jahre Phoenix. In: epd medien. 2007. H. 1, S. 17–19. H. 26/27, S. 3–5. VOSS, PETER: »Harter Knochen.« Ein Interview (Vol- SMULYAN, SUSAN: Live from Waikiki: colonialism, ker Lilienthal) mit dem scheidenden SWR-Intendan- race, and radio in Hawaii, 1934–1963. In: Historical ten Peter Voß. In: epd medien. 2007. H. 33, S. 3–12. journal of film, radio and television. Vol. 27. 2007. Nr. Rückblick auf seine Jahre beim ZDF, beim SWF 1, S. 63–75. bzw. SWR und in der ARD.

STOLTE, DIETER: Ein außergewöhnlicher Mensch. VOSS, PETER: Manchmal hitzig, meistens fröhlich. Zum Tod von Karl Holzamer. In: Funkkorrespondenz. Interview (Philippe Ressing) mit dem scheidenden 2007. H. 17, S. 3. SWR-Intendanten Peter Voß. In: Funkkorrespon- Nachruf auf den ZDF-Gründungsintendanten denz. 2007. H. 17, S. 4–9. Karl Holzamer. WAGNER, HANS-ULRICH: Werbung für einen gu- STOLTE, DIETER: Die Fülle des Lebens. Rede ten Zweck?: heftige Debatte um »Reklamefunk« in beim ARD-Empfang zum 80. Geburtstag von Diet- den Nachkriegsjahren (NWDR-Geschichte. T. 6). In: rich Schwarzkopf. In: Funkkorrespondenz. 2007. H. Fernseh-Informationen. Jg. 58. 2007. H. 1, S. 31–35. 14/15, S. 6–8. Kommentierte Dokumente zur Geschichte des Unter besonderer Berücksichtigung seiner Funk- NWDR. Zu einem frühen Fall programmintegrierter 108 Rundfunk und Geschichte 3–4 (2007)

Werbung und die Debatte um den Grundsatz der Trennung von Werbung und Programm am Beispiel eines NWDR-Hörfunkunterhaltungsprogramms aus dem Kölner Funkhaus, dem »Frohen Samstagnach- mittag« vom 16. Juli 1949 mit einer Lotterie für ein Wohnungsbauprogramm, in das zur Erhöhung der Einnahmen »für einen guten Zweck« offene Werbung eingebaut und durch den Moderator Just Scheu ver- kauft wurde.

WICK, KLAUDIA: Fernsehen essen Wirklichkeit. »Die Fussbroichs« und der Boom des »Reality-TV«. In: epd medien. 2007. H. 6, S. 5–10. Beitrag aus: Wick, Klaudia: »Ein Herz und eine Seele – Wie das Fernsehen Familie spielt.« Freiburg 2007.

WICK, KLAUDIA: Griechische TV-Tragödien. Zum Tode des Erfolgsautors Herbert Reinecker. In: epd medien. 2007. H. 10/11, S. 3–4. Über Herbert Reineckers Krimiserien »Der Alte« und »Derrick«.

WOLF, FRITZ: Der Reiz der Langsamkeit. Zum 70. Geburtstag des Dokumentarfilmers Hans-Dieter Grabe. In: epd medien. 2007. H. 17, S. 5–7. Hans-Dieter Grabe (geb. 1937) war der letzte fest- angestellte Dokumentarfilmer des ZDF.

ZDF-GRÜNDUNGSINTENDANT Karl Holzamer ge- storben. Im Alter von 100 Jahren. In: epd medien. 2007. H. 32, S. 10–11. Zusammenfassung erster Stellungnahmen und Würdigungen.

Rudolf Lang, Köln