BR-ONLINE | Das Online-Angebot Des Bayerischen Rundfunks
Total Page:16
File Type:pdf, Size:1020Kb
Sendung vom 23.5.2012, 21.00 Uhr Dieter Hildebrandt Autor und Kabarettist im Gespräch mit Dr. Johannes Grotzky Grotzky: Herzlich willkommen zum alpha-Forum. Unser heutiger Gast ist Kabarettist, Schauspieler, Buchautor und stand weit über ein halbes Jahrhundert auf der Bühne. Herzlich willkommen, Dieter Hildebrandt. Hildebrandt: Guten Tag. Grotzky: Sie sind Mitte 80, gehen rüstig auf die 90 zu und sind immer noch, wie Sie mir vorhin erzählt haben, 140, 150 Tage im Jahr auf der Bühne. Wie erklären Sie Ihren Enkelkindern, was Sie da eigentlich machen, und vor allem, warum Sie das als alter Opa noch machen? Hildebrandt: Da täuschen Sie sich in meinen Enkelkindern. Meine Enkelkinder sind 16, 14 und 12 Jahre alt und sind bereits bei mir in der Vorstellung gewesen. Sie haben all das, worüber ich rede, gewusst. Sie haben auch richtig gelacht, obwohl doch der Zugang zur Satire und zur Ironie angeblich erst so mit Mitte 20 irgendwie funktioniert. Bei ihnen funktioniert das bereits in diesem Alter. Das scheint an den Genen zu liegen. Das haben sie aber nicht von mir, sondern von meinem Vater. Die Enkelkinder fragen mich also keineswegs, warum ich das mache, sondern sagen: "Das musst du machen!" Grotzky: Haben sich das Ihre Eltern eigentlich auch so vorgestellt, als Sie ein junger Kabarettist waren? Haben Ihre Eltern auch gesagt: "Ja, das ist der Weg, den du gehen musst!"? Hildebrandt: Nein, mein Vater hat mich ganz anders gesehen. Er hat mich als Großbauern gesehen, und zwar in dem Großbauernbetrieb, den er gegründet hatte in Niederschlesien: mit Kartoffel- und Roggenanbau, denn etwas anderes ist dort gar nicht gewachsen. Wenn nicht das, dann sah er mich als Rechtsanwalt oder als in der Volkswirtschaft tätig. Heute würde man sagen, er hätte gewollt, dass ich BWL oder VWL studiere. Er sah mich also in einem Beruf, in dem man etwas wird, in dem man befördert wird, in dem man auch eine andere Lebensqualität besitzt als als herumstreunender Dichter oder als armer Schauspieler usw., der nie ein festes Gehalt bezieht und auch keine Rente bekommen wird. Grotzky: Ihr Vater war also, kurz gesagt, ein sehr konservativer Mann. Hildebrandt: Nun, er kam aus Brandenburg. Und Sie kennen ja bestimmt das Lied von Rainald Grebe: "In Brandenburg, in Brandenburg, is' wieder jemand voll in die Allee gegurkt. Was soll man auch machen mit 17, 18 in Brandenburg." Er ist selbst auf einem Bauernhof aufgewachsen, auf dem ich auch sehr oft gewesen bin. Er hat mich in der Tat in konservativer Weise erzogen, was dann aber später ganz einfach nicht mehr funktioniert hat bei mir. Grotzky: Gab es irgendwann einen Bruch, bei dem Sie gesagt haben, "Vater, ich gehe einen anderen Weg!", worauf er dann gesagt hat, "Sohn, lass mich damit in Ruhe!"? Gab es irgendjemand anderen in der Familie, der das, was Sie wollten, unterstützt hat? Hildebrandt: Meine Generation ist in ihrem Erwachsen-Werden ja nicht normal zu bewerten. Wir wurden ja praktisch ab unserem 15. Lebensjahr immer in Zeltlager gesteckt oder in ein Wehrertüchtigungslager und wir trugen auch eine Uniform nach der anderen. Zu Hause waren wir praktisch nur noch zwischendurch. Als dann der Krieg zu Ende war, waren wir völlig getrennt voneinander, weil ich nicht wusste, wo meine Eltern sind. Meine Eltern wiederum wussten nicht, wo ich bin. Da musste man also alles alleine entscheiden. Und als ich dann nach Hause kam und wieder zu meinen Eltern gestoßen bin, habe ich das fortgeführt: Ich habe meinen Vater nicht mehr gefragt, ob ich und was ich jetzt studieren soll. Grotzky: Bleiben wir gleich mal in dieser Jugendzeit: Das war ja die Hitlerjugend, die Nazizeit. Sie waren sechs Jahre alt, als Hitler an die Macht kam. Man kann also nicht sagen, dass Sie dafür damals verantwortlich gewesen wären. Hildebrandt: Ja, nicht direkt. Grotzky: Dann kam Ihre Zeit als Pimpf und in der Hitlerjugend – und dann mussten Sie irgendwann auch noch an die Front. Man hat diese jungen Menschen – heute würde man sie Kindersoldaten nennen – regelrecht verheizt. Gab es damals einen Moment, in dem Sie gesagt haben, "stopp, das kann doch nicht wahr sein, was hier mit mir passiert"? Hildebrandt: Das begann damit, dass ich es bereits in der Hitlerjugend als ungerecht empfand, dass ich "im Glied" stand und vorne einer alleine stand, der mich angeschrien hat. Ich habe mir gesagt: "Es kann nicht sein, dass er will, dass ich nun 'rechts um' marschiere und dass ich das jetzt auch machen muss!" Es hat sich also bereits damals bei mir so etwas wie ein Widerstand gegen das Schimpfen von Leuten geregt, wenn man z. B. als "blöder Kerl" tituliert wurde. Beim Militär hat ein Ausbilder immer zu mir gesagt: "Lachen Sie nicht, Sie dummes Volk, Sie!" Grotzky: Sie sind wohl kein geborener Befehlsempfänger. Hildebrandt: Ja, nicht so richtig. Grotzky: Und genau das spürt man auch, wenn man Sie auf der Bühne erlebt. Hildebrandt: Aber ich war nicht im Widerstand, denn das war noch einmal etwas ganz anderes. Grotzky: Hier kann man vielleicht eine Sache einfügen, die mich ein bisschen irritiert hat. Es gab ja mal eine Diskussion darüber, dass der junge Dieter Hildebrandt mit 16, 17 Jahren ebenfalls in der NSDAP gewesen ist, weil man darüber irgendeinen Zettel gefunden hat. Hildebrandt: Man hat im Bundesarchiv zwar die Nummer der Parteizugehörigkeit gefunden, aber meine Unterschrift nicht. Damals wurde ein ganzer Jahrgang "dem Führer geschenkt": Das war im Jahr 1944 und eigentlich funktionierte bereits überhaupt nichts mehr, also "schenkte" uns der Reichsjugendführer Axmann am 20. April 1944 – dieses "Geschenkdatum" steht bei uns allen aus diesem Jahrgang drin – dem Führer. Dadurch war also auch ich automatisch Mitglied der NSDAP. Auf meine Aussage hin, dass ich das nicht gewusst habe und ich automatisch übernommen worden sei, hat der "Focus" dann einen Historiker bemüht – einen Historiker mit ungefähr 40 Jahren ... Grotzky: Das heißt, der wusste ganz genau, wie es damals zuging. Hildebrandt: Ja, er wusste besser als ich, wie das war. Denn es gab eigentlich Erlasse, durch die es verboten war, dass man automatisch in die NSDAP aufgenommen wurde. Denn eigentlich musste man dafür "geweiht" werden: Man musste wie beim Zapfenstreich irgendwo auf einem Platz stehen und irgendwelche Lieder singen und treu schauen, bis man aufgenommen wurde. Das musste so sein normalerweise, weil man sonst nicht Mitglied wurde in der NSDAP. Der Historiker wusste das. Ich hingegen wusste, dass es auch anders gewesen ist. Aber er hat auf meine Kenntnisse keine Rücksicht genommen, weil ich ja kein Historiker bin und diese Sache lediglich selbst erlebt habe – was freilich für einen Historiker nicht zählt. Und dann passierte Folgendes: Ich habe mich selbstverständlich auf meine Art gewehrt. Ich hatte eine Vorstellung in Mannheim, in der ich dann erzählt habe, dass es völlig richtig sei, dass man uns nun auf die Spur gekommen ist – obwohl ich doch in allen Büchern, die ich geschrieben habe, immer schon mitgeteilt hatte: "Ich war in der Hitlerjugend! Ich habe damals leider mitgemacht." Aber das hatte eben niemand gelesen. Es ist ja klar, Kritiker lesen einfach nicht alles, was man geschrieben hat. Ich habe das also in der Vorstellung so gesagt und es war auch ein Redakteur vom "Focus" anwesend. Der Veranstalter hat mir das gesagt, denn dieser Redakteur hatte noch schnell irgendeinen Schemel bekommen, weil die Veranstaltung ansonsten ausverkauft gewesen war. Der Herr Redakteur hat also genau aufgepasst, was ich an diesem Abend sagen werde. Das war nicht sehr liebevoll für den "Focus" aber sehr komisch, d. h. das Publikum hat z. B. den Herrn Markwort ausgelacht. Dies gefiel dem Redakteur natürlich nicht und er hatte offensichtlich die Verpflichtung, noch in der Nacht für den Internetauftritt des "Focus" eine Kritik über meine Veranstaltung zu schreiben. Das war die erste schlechte Kritik – ich hatte bereits ungefähr 80 sehr gute – für dieses Programm. Das Problem war aber, dass dieser Redakteur ab der Pause gar nicht mehr da gewesen ist, jedoch über beide Hälften des Programms schrieb. Grotzky: Er wusste also, was er zu denken hat, bevor er etwas gesehen hat. Hildebrandt: Er hat sich einfach gedacht: "Na, es wird halt so weitergehen." Hier habe ich also wieder einmal die Freuden des Journalismus erlebt und wie sich Journalisten manchmal durchs Leben bringen. Grotzky: Gehen wir noch einmal einen Schritt zurück in einen kleinen Ort namens Bunzlau, der heute auf Polnisch Bolesławiec heißt. Sie kennen diesen Ort auch aus der Gegenwart, denn Sie waren inzwischen bereits dort. Ist Ihnen von diesem Ort irgendetwas Prägendes geblieben wie z. B. die Schule? Sie gingen dort auf die Opitz-Schule, benannt nach dem berühmten schlesischen Dichter. Gab es da etwas, von dem Sie heute sagen können, dass das bei Ihnen irgendwie gezündet hat? Gab es da einen Lehrer, der Sie gefördert hat? Gab es Mitschüler, die Sie z. B. als besonders witzig in Erinnerung haben? Hildebrandt: Das ganze Leben in der Schule hat mich geprägt. Vor allem auch das Fußballspielen und die damit zusammenhängenden ersten Erfolge und Misserfolge. Grotzky: Sie sind dann ja später fast Profifußballer geworden. Hildebrandt: Nein, nein, nein! Ich bin nur Fußballliebhaber und habe auch bis zu meinem 60. Lebensjahr gespielt: schlecht, aber doch erfolgreich, denn sie haben mich immer wieder aufgestellt. Das passiert immerhin bei Profis nicht immer: Die sitzen oft mehr auf der Bank, als mir das passiert ist. Grotzky: Dafür bekommen sie allerdings mehr Geld. Hildebrandt: Ich hatte darüber hinaus in Bunzlau Erlebnisse, die in der Tat ganz schwerwiegend waren: Ich habe mich das erste Mal richtig verliebt – und manchmal auch unrichtig. Ich habe dort einem Mädchen den ersten Kuss abverlangt. Grotzky: Als Preis für was? Hildebrandt: Für meine Existenz! Grotzky: Ach so. Hildebrandt: Ich hatte nur ein Fahrrad dabei. Man hatte damals halt nur Fahrräder. Links hielt ich das Fahrrad und an der anderen Hand lief ich mit ihr nach Hause, d.