Rundfunk und Geschichte

Mitteilungen des Studienkreises Rundfunk und Geschichte Informationen aus dem Deutschen Rundfunkarchiv

24. Jahrgang Nr. 2 I 3- April I Juli 1998

Buch und Rundfunk im Dritten Reich

Rezeptionsforschung in Ostdeutschland (1945 - 1965)

Gespräch mit SR-Intendanten a.D. Franz Mai

Reportage aus dem KZ Oranienburg (1933)

Rezensionen

Bibliographie

Mitteilungen des Studienkreises Rundfunk und Geschichte

Informationen aus dem Deutschen Rundfunkarchiv

Zitierweise: RuG -ISSN 0175-4351

Redaktion: Ansgar Diller Edgar Lersch Redaktionsanschrift

Dr. Ansgar Diller, Deutsches Rundfunkarchiv Frankfurt am Main - Berlin, Bertramstraße 8, 60320 Frankfurt am Main, Tel. 069-15687212, Fax 069-15687200 Dr. Edgar Lersch, Süddeutscher Rundfunk, Historisches Archiv, Neckarstraße 230, 70190 Stuttgart, Tel. 0711-9293233, Fax 0711-9292698 Redaktionsassistenz: Dr. Stefan Niessen Herstellung: Michael Friebel Redaktionsschluß: 10. Juli 1998 Das Inhaltsverzeichnis von »Rundfunk und Geschichte« wird ab Jg. 19 (1993), H. 1, im INTERNET (http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/zeitschr/RuGe/rugindex.htm) angeboten. Inhalt

24. Jahrgang Nr. 2 I 3- April I Juli 1998

Aufsätze Annegret Bischof Zwischen Medienverbund und Medienkonkurrenz Buch und Rundfunk im Dritten Reich 105 Konrad Dussel Der DDR-Rundfunk und seine Hörer Ans~tze zur Rezeptionsforschung in Ostdeutschland (1945-1965) 122

Dokumentation »Am Ende des Jahrtausends eine multikulturelle Großfamilie« Gespr~ch mit dem Gründungsintendanten des SR Franz Mai (Wolfgang Becker) 137

Miszellen Helmut Hammerschmidt (1920 - 1998) (Stephan Rechlin) 160 Clemens Münster (1906 -1998) (Bettina Hasselbring) 161

»Wir können vielleicht die Schlafr~ume besichtigen« Originalton einer Reportage aus dem KZ Oranienburg (1933) (Muriel Favre) 164 Das Historische Archiv des Südwestfunks in Baden-Baden (Jana Berendt) 170

Rezensionen lnge Marßolek I Adelheid von Saldern (Hrsg.) Zuhören und Gehört werden. Zwischen Lenkung und Ablenkung (Konrad Dussel) 174 Hörspiel 1945 - 1949 (Wolfram Wessels) 176 Monika Estermann I Edgar Lersch (Hrsg.) Buch, Buchhandel und Rundfunk (Sabine Schiller-Lerg) 177 Walter Klingler u.a. (Hrsg.) Medienrezeption seit 1945 (Ralf Hohlfeld) 178 Westdeutscher Rundfunk Köln, Offentlichkeitssarbeit (Hrsg.) Geschichte und Geschichtchen (Edgar Lersch) 180 Ulrike Rödling »Hallo, hier Freiburg, Welle 577 «. Freiburger Rundfunkgeschichte 1926 - 1946 (Edgar Lersch) 181 102 Rundfunk und Geschichte 24 (1998)

Wolfgang Krüger Geschichte des deutschen Fernsehens (Edgar Lersch) 182 Jo Reichertz I Themas Unterberg (Hrsg.) Tele-Kulturen. Fernsehen und Gesellschaft (Oliver Zöllner) 182 Joan Kristin Bleicher (Hrsg.) Fernsehprogramme in Deutschland. Konzeptionen, Diskussionen, Kritik (1935-1993) (Edgar Lersch) 184 Dirk Ziegert Jugendfernsehen auf dem Weg vom Infotainment zum lnfomercial. Die Magazine »Eif99« und »Saturday« zwischen Wende und Wiedervereinigung (Anja Kreutz) 185 Arnulf Kutsch I Horst Pöttker (Hrsg.) Kommunikationswissenschaft- autobiographisch (Christian Filk) 186 Adolf-Grimme-lnstitut (Hrsg.) Medienpaket »Rechtsradikalismus und Fernsehen« (Christian Filk) 187 Joachim Paech Medien-Macht und interaktive Medien (Christian Filk) 188 Lutz M. Hagen (Hrsg.) Online-Medien als Quellen politischer Information (Christian Filk) 189 Petra Gansen Wirkung nach Plan Sozialistische Medienwirkungsforschung in der DDR (Konrad Dussel) 190 Robert von Zahn Jazz in Köln seit 1945. Konzertkultur und Kellerkunst (Petra Witting) 191 Helmut Karte Der Spielfilm und das Ende der Weimarer Republik. Ein rezeptionsgeschichtlicher Versuch (Wolfgang Mühi-Benninghaus) 192 David King Stalins Retuschen. Foto- und Kunstmanipulation in der Sowjetunion (Wolfgang Mühi-Benninghaus) 194 Hannes Siegrist u.a. (Hrsg.) Europäische Konsumgeschichte. Zur Gesellschafts- und Kulturgeschichte des Konsums (Simone Tippach Schneider) 195 Inhalt 103

Siegtried Hermann u.a. Der deutsche Rundfunk. Faszination einer technischen Entwicklung Gerd Klawitter (Hrsg.) 100 Jahre Funktechnik in Deutschland. Funksendestellen rund um Berlin Kurt Adamy u.a. (Hrsg.) Königs Wusterhausen. Eine illustrierte Stadtgeschichte Wilhelm Herbst Mittelwelle Band 1: Grundlagen Friedrich Weichart (1893 bis 1979) Erinnerungen eines verdienten Funkpioniers aus seinem Leben und Wirken (Ansgar Diller) 196 Hajo Goertz 150 Jahre Deutsche Katholikentage 1848-1998 198

Bibliographie Zeitschriftenlese (76) (1.1. - 31 .3.1998) (Rudolf Lang) 199

Mitteilungen des Studienkreises Rundfunk und Geschichte Jahrestagung des Studienkreises in (Edgar Lersch) 201 Doktorandenkolloquium des Studienkreises in Baden-Baden (Marianne Ravenstein) 202

Informationen aus dem Deutschen Rundfunkarchiv Neu in der Buchreihe des Deutschen Rundfunkarchivs 203 Tondokumente zur Kultur- und Zeitgeschichte (1888- 1932) Christoph Schneider: Das Thema Nationalsozialismus im NWDR-Programm (1945- 1948) Steffen Jenter: Altred Braun. Radiopionier und Reporter in Berlin CD: Nationalhymnen 204 104 Rundfunk und Geschichte 24 (1998)

Autoren der längeren Beiträge

Prof. Dr. Wolfgang Becker, Universitat Osnabrück, FB Sprach- und Literaturwissenschaft, Arbeitsstelle Medienforschung, Postfach 4969, 49069 Osnabrück

Annegret Bischof, Bleichstraße 9, 55130 Mainz

Dr. Konrad Dussel, Deutsches Rundfunkarchiv, Historisches Archiv der ARD, Bertramstraße 8, 60320 Frankfurt am Main

Muriel Favre, Deutsches Rundfunkarchiv, Historisches Archiv der ARD, Bertramstraße 8, 60320 Frankfurt am Main Annegret Bischof

Zwischen Medienverbund und Medienkonkurrenz Buch und Rundfunk im Dritten Reich*

Medienkonkurrenz oder Medienverbund sich zunächst mit einer »gut gemeinte[n], aber Diskurs in der Fachpresse »philologistisch anmutende[n] Bildungshuberei im Wege«, 5 bis aus dem Rundfunkprogramm ein Sendungen, die auf literarischen Quellen basie­ »lebendiges Werkstattprogramm mit nicht so ren, sich mit Literatur befassen und diese dem sehr didaktischer Maßgabe als eher lebendiger Hörer nahebringen wollen, bildeten seit der Meinungsbildung«6 wurde. Von den ideenlosen Weimarer Republik die Basis für den kulturellen Originaladaptationen kam man bei der Berliner Auftrag des Rundfunks.1 Zur Zeit der Macht­ Funkstunde, dem progressiven Sender der Obernahme durch die Nationalsozialisten gab es Hauptstadt, als erstes ab und konzentrierte sich ein breites Angebot literarischer Sendungen. Aus auf die Gestaltung eines vielseitigen zeitgenös• den, wie es schien, unbegrenzten Möglichkeiten sischen Literaturprogramms. Das Konzept des der Gestaltung von Radiosendungen schöpften Senders fand Zuspruch in Kreisen literarisch in­ viele Autoren, Publizisten und Funktionare der teressierter Hörer, auch bei dem sich zunächst literarischen und buchhändlerischen Verbande reserviert verhaltenden Bildungsb0rgertum.7 Hoffnungen. Andererseits gab es auch Verdrän• »Um ein ahnlieh weitgefächertes Angebot an gungsängste in der Weise, daß man befürchtete, Informationen Ober das aktuelle literarische Le­ der Rundfunk sei eine ernste Gefahr für das ben der Republik zu verwerten, hatte ein inter­ Buch. Diese Divergenz der Meinungen löste zeit­ essierter Literaturfreund etwa 15 bis 20 Tages­ weise eine rege Diskussion in der Fachpresse zeitungen, Kultur- und Literaturzeitschriften re­ aus, die auch unter den veränderten Bedingun­ gelmäßig halten und nur mehr als oberflachlieh gen der nationalsozialistischen Medienlenkung lesen mossen.«s bzw. Meinungsdiktatur fortgesetzt wurde. ln Gegen Ende der Weimarer Republik hatte Fachorganen wie dem >Börsenblatt für den deut­ sich das Programm des Berliner Senders und schen Buchhandel<, >Der deutsche Schriftstel­ anderer Sendeanstalten »ZU einem literarischen 9 ler<, Literaturzeitschriften wie >Die Literatur<, >Die Forum« entwickelt und blieb es bis zur Macht­ Weltliteratur< und die >Nationalsozialistischen ergreifung.10 Monatshefte< und den Rundfunkzeitschriften ln einem Rundfunk dieses Niveaus sahen >Rufer und Hörer<, >Der Rundfunk<, >National­ Schriftsteller und Vertreter des Buchgewerbes sozialistische Rundfunkkorrespondenz<, >Rund­ zu Beginn der nationalsozialistischen Ära 1933, funkarchiv<, >Rundfunk und Fernsehen< und in also auch noch zehn Jahre nach Beginn der den >Süddeutschen Monatsheften< traten Per­ Radiosendungen, Gefahren für das wesentlich sönlichkeiten aus dem Umfeld des Buchhandels traditionsreichere Medium. Sie fürchteten sich und des Rundfunks für eine Zusammenarbeit besonders davor, das Buch könne wegen einer zwischen den beiden Medien ein. Sie sprachen langfristigen Veränderung des Rezipientenver­ sich für eine Gestaltung attraktiver Programmin­ haltens durch das Radiohören an Akzeptanz halte aus, die Literatur als Grundlage haben und verlieren.11 Der Rundfunk dränge »das Buch das Buch ins Radio bringen sollten. und die stille Lektüre« in den Hintergrund, vor Bis zum Beginn der nationalsozialistischen allem weil er die Zeit einschränke, die einem Le­ Diktatur hatte das Radioprogramm in der Sparte ser für »das stille Nachdenken«12 zur Verfügung »Literarische Sendungen« ein hohes Niveau stehe. Für zwei Mark im Monat sei sein Bezug entwickelt. Den Vorstellung der Programmver­ wesentlich billiger als der Kauf von Lektore und antwortlichen vom Radio als Kulturträger stand Ersatz für Bücher, Zeitschriften und Zeitungen.13 jedoch das Bedürfnis der Mehrzahl der Zuhörer Man sah jetzt jedoch auch Vorteile in der ande­ nach entspannender Unterhaltung entgegen.2 ln ren Vermittlungsform. Der Rundfunk bedrohe nur den ersten drei Jahren seit Beginn des .Pro­ »eine bestimmte Art von Buchkultur und - abgöt• grammbetriebs reproduzierte der Rundfunk terei«:14 meist klassische Vorlagen. Sie wurden sendege­ »Das Buchlesen als Selbstzweck, das Jagen hinter recht umgearbeitet, eine eigene, den neuen An­ literarischen Neuigkeiten, dieses rezeptive genießeri• forderungen und Möglichkeiten entsprechende sche Lesen von literarischen Werken aller Zeiten und Produktionsweise bildete sich erst allmählich Zonen, gesichert durch den elfenbeinernen Turm ei­ heraus.3 ln der Entwicklung vom »Vermittler« ner auskömmlichen Rente und eines sorgenlosen, zum »Darsteller« literarischer Stoffe4 stand man unverpflichteten Lebens, diese Buchkultur, sicher oft geschmackvoll und in den besten Fällen literarisch 106 Rundfunk und Geschichte 24 (1998) elegant und urteilsfähig, dieses Drohnenvergnügen beitrage eher positiv, Kritik gab es am Rundfunk an dem Kunstgewerbe der Sprache ist heute zu En­ der 20er Jahre. Zu berücksichtigen ist dabei, de. Und der fröhliche Lärm des Rundfunks bläst den daß Kritik in dieser Zeit gleichfalls dem Verbot Rausschmeißer für diese Leser, Bücher und Produ­ der Kunstkritik unterlag und ab 1936 sogar straf­ zenten. Aber diese Gefahr für das Buch ist keine bar war. Selbst klar formulierte Äußerungen von Gefahr. Im Gegenteil eine Befreiung für das Buch und seinen Leser.« 15 Bedrohung des Buches durch den Rundfunk hatten in den Augen der Machthaber die Bedeu­ Lesen war nicht mehr als Anregung zum tung und die Errungenschaften des Führungsmit• Schweifenlassen der eigenen Gedanken zu tels geschmalert. ln diesem Kontext hatten die verstehen, sondern sollte die Ideen national und vorgebrachten Bedenken, die in manchen Arti­ konservativ gesinnter Kreise in der Vorstel­ keln auch größeren Raum einnahmen, einen hö• lungswelt der Leser verankern. Der Rundfunk heren Stellenwert als es ihre oft beschwichtigen­ symbolisierte für sie den Beginn einer neuen den Formulierung vermuten lassen. Epoche der Gemeinschaftlichkeit und ein Ende ln der Mehrzahl leiteten die Autoren wie der individuellen Rezeption.16 Das Radio sollte Spemann aus den Gefahren Möglichkeiten für der Motor für ein geändertes Leseverhalten sein. eine gewinnbringende Zusammenarbeit ab. Das Diskutiert wurde im Dritten Reich auch wei­ Buch könne dabei aus seiner Doppelfunktion als terhin die Eignung des Rundfunks als Werbe­ Ware und als Kulturgut Vorteile ziehen. Bei einer medium für das Buch, woran man in den Reihen Kooperation werde der Rundfunk das Buch nicht des Buchhandels nach wie vor zweifelte. Das verdrangen, sondern es in seinem kulturellen Rad io sei im Grunde ein Ersatz für jenes Pro­ Wert noch bestätigen. 23 Ein gemeinsames Auf­ dukt, welches es bewerben solle. »Das Buch ist treten von Buch und Radio demonstrierte die von heute in der Lage Wallensteins: >Gott schütze den Nationalsozialisten propagierte »Einheit und mich vor meinen Freunden!<« 17 urteilte der Ver­ [das] Miteinander in Geisteshaltung und Kultur­ leger Adolf Spemann. Seine Taktik war, den auffassung.«24 Der Rundfunk nahm hier zudem Gegner als Bundesgenossen zu gewinnen. We­ für die Nationalsozialisten eine Vorreiterrolle ein gen der eingeschrankten Aufnahmefähigkeit der als »Förderer aller kulturellen Lebensäußerun• lesenden Bevölkerung und den zeitlichen Gren­ gen und Aufgaben ( ... ) [des] Volkes; also auch zen bei der Freizeitgestaltung sahen nach wie des Buches!«25 Dem gesprochenen Wort im vor verschiedene Autoren im Radio eine Konkur­ Rundfunk wurde deutlich der Vorzug gegenüber renz für das Buch. Einen zusätzlichen Zeitauf­ dem gedruckten Wort gegeben. Selbst in der Li­ wand für das Radiohören, glaubte man, könne teratur sehr bewanderte Persönlichkeiten wie 1 niemand aufbringen. 8 Der Fall eines »kumulati­ E. Kurt Fischer forderten, »daß in allen Teilen ven Mediengebrauch[s]«19 wurde damals nicht des Programms Schrifttum zu lebendigem Wort erwogen. werde, ob es nun Zeitgeschehen spiegele, der Gerhard Eckert, »der versteckt kritische politischen Erziehung oder der entspannenden Chronist des Hörspiels im Dritten Reich« und ein Unterhaltung diene«26. Das Buch sah auch er heute »viel zu wenig beachteter Hörspieltheore• dort, wo es im Zusammenhang mit dem Hörfunk tiker und Zeitzeuge« des Nationalsozialismus auftrat, lediglich als Erganzung zum Radiopro­ war dem Rundfunk gegenüber durchweg positiv gramm. ln der Programmplanung der National­ eingestellt. 2o Er wurde nicht müde, ihn als Chan­ sozialisten ging es in erster Linie um die direkte ce für Buch, Literatur und Schriftsteller zu pro­ Verbreitung von Lyrik und Literatur in einer dem pagieren und glaubte an deren produktive Zu­ Radio angemessenen Form. Die radiophone sammenarbeit im Medienverbund: »Das Buch Darbietung galt als ansprechender und unterhal­ lebt nicht in der Isolierung, sondern in der frucht­ tender als die »typographische«. Auf diesem baren Gemeinschaft mit den anderen Tragern Weg war der Rundfunk in der Lage, »Dichtungen des kulturellen Lebens.«21 Den Darlegungen in Kreise [zu bringen], die zum Kauf eines Bu­ Eckerts lag die Annahme zugrunde, die Literatur ches weder Anlaß noch Gelegenheit haben und und damit auch der Buchhandel fungierten ledig­ erfüllt[e] somit eine wichtige Sendung für die lich als Zulieferer für das akustische Medium und Kultur.« 27 dienten zur Erweiterung des Radioprogramman­ Man war überzeugt von einer positiven Wir­ gebots. 22 Was er als Miteinander begrüßte, ord­ kung für das Printmedium, denn die »ideelle und nete in Wahrheit das Buch dem Radio unter, was praktische Ergänzung [der beiden Medien] si­ langfristig eine Verdrangung gedruckter Literatur chert Breiten- und Tiefenwirkung, die dann den zugunsten der vielbeschworenen neuen Oralitat materiellen Erfolg für den gesamten Buchhandel bedeutet hätte. und somit für das einzelne Mitglied«28 schaffen Hinsichtlich der positiven Auswirkungen der werde. Damit der Sortimenter einen wirklichen medialen Verschränkung von Buch und Hörfunk Gewinn aus dem Rundfunk ziehen konnte, war der Tenor der ausgewerteten Zeitschriften- mußte er jedoch selbst gegenüber dem Hörer Bischof: Zwischen Medienverbund und Medienkonkurrenz 107

aktiver werden als zuvor. 29 Eingewandt wurde ligter und seine Verbreiter als Bittsteller gegen­ jedoch, daß der Rundfunk kein über dem Rundfunk. Selbst Eckert, der nicht müde wurde, für eine enge Zusammenarbeit »Werbeapparat für privatwirtschaftliche Interessen [ist]. Die Behandlung des Schrifttums im Rundfunk zwischen Buch und Rundfunk zu plädieren, darf immer nur so gesehen werden (und aus dieser kannte »keinen Fall«, für den sich eine sichtbare Sicht heraus erfolgen), daß beide, Schrifttum und Förderung des Buches durch den Rundfunk Rundfunk, hervorragende publizistische Mittel im feststellen ließe«.35 Der Grund lag für ihn darin, Dienste der Nation sind, die durch gegenseitige För• daß die bisherige Form der Werbung einfach derung ihre eigene Wirkungskraft zu steigern vermö• keine Wirkung gezeigt hatte. gen.«30 Die Erwartungen der Vertreter der Verlags­ Seine Grundhaltung entsprach weitgehend den branche an den Rundfunk und der Förderer des Vorstellungen Eckerts. Neben der intensiven Buches durch das jüngere Medium lagen weit Buch- und Leseförderung im Buchhandel, in Bü• auseinander. Einig waren sich der Buchhandel chereien und durch Veranstaltungen wie Dichter­ und die Schriftsteller darin, vom Rundfunk eine lesungen sollte eine die Masse ansprechende Förderung der Literatur und des Buches - in extensive Förderung im Rundfunk treten, die als welcher Weise auch immer- zu erwarten. Ob Öffentlichkeitsarbeit für das Buch als Medium an sich diese Hoffnungen erfüllten, soll die an­ sich und nicht für einzelne Publikationen eintrat. schließende Analyse der einschlägigen Rund­ Ideologiebeladen war diese Diskussion inso­ funkprogramme zeigen. fern, als darauf hingewiesen wurde, daß das Radio keine Druckkosten entstehen lasse und so auf rationellere Weise als das Buch Kultur ver­ Stellenwert literarischer Sendungen mittele.31 Im Vergleich der auch in der national­ sozialistischen Zeit weitgehend privatwirtschaft­ Gemessen an dem zeitlichen Rahmen, der den lieh strukturierten Buchhandels- und Verlags­ einzelnen Sparten im Programm eingeräumt branche und des staatlichen Rundfunks wird wurde, hatte bereits in den ersten Jahren Musik deutlich, daß das Buch nachrangig gegenüber den höchsten Anteil, gefolgt von Nachrichten dem Rundfunk in der Medienhierarchie des Pro­ und politischen Beiträgen.36 Die Sendezeit für pagandaministeriums behandelt und diese künstlerische Wortsendungen war - relativ ge­ Rangfolge von vielen auch so wahrgenommen sehen - immer gering und wurde im Laufe der wurde. Dem Buchhandel wurde die Aufgabe zu­ 30er Jahre immer geringer. Nach Frei und gewiesen, als »Ergänzungsliteratur zu Radio­ Schmitz war der Anteil literarischer Sendungen sendungen« zu fungieren und bisherige Nichtle­ am Gesamtprogramm bei Kriegsbeginn nicht ser zu gewinnen. Der Rundfunk sah in der direk­ einmal halb so groß wie 1933/34, er sank in die­ ten Werbung für das Buch nur einen geringen sem Zeitraum von 17 auf 7 Prozent. 37 Dieser Nutzen: Eine Buchbesprechung galt als verhält• Rückgang kam zugunsten der Erhöhung des nismäßig unpopulärer Programmpunkt Der Anteils an Musik zustande, der von 1933 bis Juli Rundfunk handelte auf Anweisung und sollte mit 1934 von 55,5 Prozent auf 60,7 Prozent stieg.38 Buchbesprechungen dafür sorgen, »daß das Nachdem der Literaturbereich Anfang 1933, ge­ Buch nicht zurücktritt im Kulturleben unseres messen an der Sendezeit, fast vollständig von Volkes, daß die Werke, die es verdienen, den der Politik dominiert wurde, verzeichnete er im Weg ins ganze Volk finden.«32 Zuge der Aufwertung der Unterhaltung ab 1934 Wenn Eckert den Buchhandel ermahnte, der noch einen leichten Anstieg.39 Zum Jahres­ Rundfunk sei »reich an Themen für Bücher, und wechsel 1942/43 lag dann der Anteil der künst• es ist Zeit, daß die hier liegenden Möglichkeiten lerischen Wortsendungen mit eineinhalb Stun­ entdeckt werden«,33 so betonte auch er in seiner den pro Woche bei einem Prozent des unterhal~ Begeisterung für den literarischen Hörfunk die tenden und künstlerischen Programms,40 wobei Zweitrangigkeit des Buches. Er unterstrich seine nach Klinglers Berechnungen kürzere literari­ Auffassung, der Buchhandel selbst sei dafür sche Beiträge, wie etwa Buchbesprechungen verantwortlich, daß aus Mangel an eigener Ak­ und Vorträge, zu denen auch Dichterlesungen tivität in Rundfunkangelegenheiten zahlreiche zählen, nicht erfaßt sind. 41 Beim Kurzwellensen­ potentielle Käufer fernblieben. Eine wirklich der war der Anteil der Wortsendungen und der fruchtbare Zusammenarbeit bestand noch nicht. literarischen Sendungen vergleichsweise höher Sie lag für Eckert immer noch in ferner Zukunft. als bei den Reichssendern.42 ln deren Pro­ Wurde der Rundfunk auch wegen seiner gramm war die beste Sendezeit zwischen »Wirtschaftliche[n] Vormachtstellung vor anderen 18.00 Uhr und 22.00 Uhr den Nachrichten, der Kulturinstrumenten«34 an seine besonderen Ver­ aktuellen Sendung »Zeitspiegel« und Vorträgen pflichtung der Dichtung gegenüber erinnert, er­ mit im weitesten Sinne politischer Themenstel­ schien hier das Buch als vermeintlich Benachtei- lung vorbehalten.43 108 Rundfunk und Geschichte 24 (1998)

Sendungen im Verhältnis zu Rundfunk übertragen wie Ansprachen von Ver­ Literatur und Buch sammlungen der Buchhändler und Verleger. 51 Fast eine halbe Stunde dauerte 1938 die Über• Die Grundtypen literarischer Sendeformen wie tragung der »Schlußsitzung der 12. Tagung des »Prosa«, »Lyrik«, »Hörspiel«, »Sendespiel«, »li­ Internationalen Verleger-Verbandes in Berlin«. terarischer Vortrag«, »Dichterportrat«, »literari­ Mehr als die Hälfte der Zeit davon beanspruchte 2 sche Jugendstunde«, »Bücherstunde«, »Diskus­ eine Rede von Goebbels.5 Eine »Kundgebung sion und Zwie-Gespräche über literarische The­ des Deutschen Buchhandels im Neuen Theater men« sowie »Kabarett«,44 die im Radiopro­ in Leipzig« von 1937, ebenfalls mit Goebbels­ gramm der 20er Jahre vorkamen, waren auch in Rede, wurde in Ausschnitten gebracht. 53 Diese der Zeit des Nationalsozialismus noch vorhan­ zeitlich großzügig bemessenen Übertragungen den, alle Sparten kamen weiterhin im Programm und Reportagen hatten das Ziel, die kulturpoliti­ vor. Hinsichtlich des Nutzens für den Buchhan­ sche Aktivität der Machthaber unter Beweis zu del ist bei der Analyse des literarischen Pro­ stellen. Den Propagandareden des Ministers und grammes zunächst irrelevant, welche Arten von ihrer politischen Intention gaben sie einen the­ Literatur im Rundfunk vertreten waren. Von Be­ matischen Rahmen und stellten sie in ein kultu­ deutung ist vor allem, wie literarische Inhalte im relles Umfeld. Die beabsichtigte Verbindung von Kunst, Kultur, Propaganda und Politik wurde auf Rundfunkprogramm dargeboten und aus ihnen 4 radiophone Beiträge gestaltet wurden und wel­ diese Weise deutlich gemacht.5 Dasselbe galt che Verbindung zu Buch und Buchhandel be­ für Literatursendungen aus Anlaß von Großver• stand. anstaltungen zu nationalen Feiertagen. Die Fei­ erlichkeiten zum 1. Mai wurden durch Vortrage und Lesungen von »Arbeiterliteratur« erganzt. ln einer mehr als halbstündigen Sendung am Direktübertragungen von den 1. Mai 1933 lasen Werner Pleister, Heinrich Buchwochen Lersch und Fritz Woike.55 ln der Sendung »Die Welt der Arbeit. Eine Sinngebung und Deutung Großveranstaltungen zum Buchwesen wie zum der Arbeit durch Dichter und Arbeiter« vom Beispiel die Buchwochen und Dichtertreffen 1. Mai 1934 trugen Karl Bröger, Hans Dominik, nahmen einen betrachtliehen Raum im Rund­ Hans Jürgen Nierentz und wieder Heinrich funkprogramm ein. Ahnlieh Parteikundgebungen Lersch ihre Gedichte vor.56 Aufgeführt wurde galten sie als Ereignisse von »politisch-histori­ »Eine satirische Hörfolge zum 1. Mai mit Gedich­ scher Tragweite«45 und wurden in Form von ten von >Orpheus dem Zwoten< {d.i. Götz Otto Reportagen bzw. Direktübertragungen präsen• Stoffregen)« mit dem Titel: »An ihren Taten sollt tiert. ihr sie erkennen.« 57 Bereits im Rundfunk der Weimarer Republik Den fast jedes Jahr stattfindenden Buchwo­ war die Reportage als »Form der Übermittlung chen raumte der Programmplan viel Zeit für von Neuigkeiten«46 entdeckt worden. Sie diente Übertragungen und Reportagen ein. Die Woche damals nicht in erster Linie der Berichterstattung des Buches wurde unter den Nationalsozialisten über Ereignisse mit politischem Hintergrund, zu einem großen Spektakel ausgebaut. Sie sollte sondern wurde zum Beispiel von E. Kurt Fischer dem Buchhandel zur wirtschaftlichen Konsolidie­ als künstlerisches Gestaltungsmittel im Hörspiel• rung verhelfen und das Weihnachtsgeschäft an­ programm eingesetzt.47 Eckert bezeichnete die­ kurbeln. Ihre große politische Bedeutung stand se Formen der Berichterstattung über »jedes Er­ für die Machthaber außer Zweifel. Ziel war »die eignis, das den Hörer packen und ihm die Ver­ Mobilisierung neuer breiter Leserschichten im 48 bindung mit der Gegenwart schaffen kann«, Volk nicht um des verlegerisch-geschaftliehen als »Hörbericht« und »eine der Neuerungen, die Gew'inns, sondern um der kulturellen Auswir­ 49 1933 den Rundfunk mitten ins Volk stellten«. kung willen.«58 ln der Bedeutung, die man den Teilhabe der Bevölkerung an Großereignissen Veranstaltungen beimaß, war man keineswegs war der Zweck von Direktübertragungen. Dabei bescheiden: kam es auf Suggestion an, die Weiterentwick­ lung hin zum akustisch wahrnehmbaren »Kultur­ »Es gilt, in der Buchwoche unserem eigenen Volk, film des Rundfunks« wurde prognostiziert. so den Auslandsdeutschen und der Welt, die Bücher vor Augen zu halten, die wahrhaft deutschen Wesens Öffentliche Veranstaltungen, die das Buch sind und das heißt heute, diejenigen Bücher, die und den Buchhandel betrafen, gab es in ansehn­ Sch~tz geben und Waffen liefern gegen die beiden licher Zahl. Der gewaltsame »literaturpolitische« Hauptfeinde des heutigen Deutschtums, gegen den Auftakt, die »Kundgebungen der Deutschen Stu­ völkerzersetzenden Bolschewismus und gegen den dentenschaft« anlaßlieh der Bücherverbrennung seelenzersetzenden Amerikanismus und deren Bun­ in Berlin und München, wurden ebenso im desgenossen in und um uns.«59 Bischof: Zwischen Medienverbund und Medienkonkurrenz 109

Den Krisenzeiten zum Trotz rückten die Veran­ Politisch- propagandistische staltungen »die schöngeistige und politische Li­ Wortsendungen teratur eine Woche lang in den Mittelpunkt des gesellschaftlichen lnteresses«.6° Multimedial Die tagliehe (außer samstags) »Stunde der Na­ wurden die Buchwochen begleitet, von »Kultur­ tion« war von April 1933 bis Ende 1935 das filmen zum deutschen Buch«61 in Kinos, Schulen Flaggschiff im Programm des nationalsozialisti­ und auf Buchausstellungen und auf Anweisung schen Rundfunks, unterhaltsam und bestplaziert des Propagandaministeriums durch ausführliche 2 im Abendprogramm. Geboten wurde ein ab­ Berichterstattung in Rundfunk und Presse.S wechslungsreiches Programm, bestehend aus Für den Rundfunk arbeitete der Reichsver­ Volksmusik, Vortragen, Hörbildern, Hörfolgen band deutscher Schriftsteller gemeinsam mit der und Hörspielen, womit man der »Pflege der Reichssendeleitung das Programm für die 63 deutschen Kunst im Rundfunk«69 dienen wollte. Reichssendungen zur Buchwoche aus. Die Richard Euringers Hörspiel »Deutsche Passi­ Reichssender übernahmen die Beitrage und wa­ on 1933« wurde in der »Stunde der Nation« ren dazu angehalten, die fast 90 Minuten dau­ »urgesendet«JO Ob möglicherweise auch Buch­ ernden Eröffnungsansprachen des thüringischen besprechungen, Lyrikrezitationen und Dichterle­ Gauleiters Fritz Sauckels, des Prasidenten der sungen in diese Sendung eingefügt wurden, war Reichsschriftumskammer, Hanns Johst, und von nicht zu ermitteln, ist aber denkbar. ln ihrem Goebbels zu übertragen oder auf die Sendungen Rahmen liefen auch Übertragungen von politi­ 4 des Deutschlandsenders zu schalten.6 Minde­ schen Veranstaltungen, nationalsozialistischen stens 15 Minuten sollten die Darbietungen in die­ Feiern und Weihespielen. Ihrer Bedeutung ent­ ser Woche dauern, zusatzlieh waren in den sprechend wurde die Reihe streng zensiert und »Bunten Abenden« Buch-Themen zu behan­ abwechselnd von den einzelnen Reichssendern deln.SS gestaltet und von allen gemeinsam ausgestrahlt. Die Buchwochen wahrend des Krieges dien­ Der übernahm die Endre­ ten dazu, die »Heimatfront« durch Unterhaltung daktion und die technische Abwicklung. und Zerstreuung zu festigen und Eindruck von Der »Zeitspiegel« brachte in der Art eines Normalität der Verhaltnisse trotz des Krieges zu Journals jeden Abend fünf bis sechs Einzelbei­ erwecken.66 Den Kriegsbuchwochen sollte »kei­ trage aus verschiedenen Wissensgebieten. Die ne werbeprogrammatische, sondern demonstra­ Auswahl war aktuell, aber nicht an den Tages­ tive Bedeutung« zukommen. Presseberichte wa­ ereignissen orientiert. Die Berichte waren Teil ren »dementsprechend so abzufassen, daß ein einer spezifischen Propagandastrategie, die auf Zunehmen des Kauterstromes bei den Buch­ mittel- beziehungsweise langfristige Wirkung an­ handlungen vermieden wird.«67 Durch Sonder­ gelegt war. Sie sollte den Siegeswillen und die anweisungen wurde nun im Zeichen von Rah­ Widerstandskraft der Bevölkerung stärken. Be­ stoffknappheit und verordneter Sparsamkeit der richterstattungen von Kunstausstellungen und ursprünglich auch werbliche Zweck der Buchwo­ Dichtertreffen, Beiträge zu Buch und Literatur che, in den der Buchhandel seine Hoffnungen hatten ihren festen Platz. Dennoch hatte die Re­ gesetzt hatte, untergraben. daktion Mühe, ihrem Anspruch an eine ausführli• Obwohl insgesamt der um die Organisation che kulturelle Berichterstattung gerecht zu wer­ der Buchwochen aufgebaute Propagandaappa­ den. Berichte der Propagandakompanien hatten rat wenig Kontinuitat aufzuweisen scheint, bot er in Zeiten des Krieges Vorrang.71 Literarische doch die Gewähr, daß die Medien die Ereignisse Programmteile gab es unter anderem ab 1939 ausschlachteten und die Reichssender sie auf zweimal wöchentlich im »Wunschkonzert der Anweisung wie andere Großveranstaltungen - Wehrmacht«. Die dreistündige Sendung brachte etwa die Reichsparteitage - behandelten. Wie hauptsachlich Musik, aber auch Beitrage aus alle großen Volksfeiern dienten sie der Verherrli­ Bühne, Film und Kabarett. 72 chung der Massen und wurden eingesetzt, um Themen aus verschiedenen Wissensgebieten den Zusammenhalt in der Bevölkerung durch ein behandelte auch die Sendereihe »Zum Hören Gefühl des vollkommenen Aufgehens des ein­ und Behalten«. Das Propagandaministerium sah zelnen in der Menge zu bestarken. Die Übertra• in ihr vor allem eine Sendereihe für den Schul­ gungen sollten auch jenseits der Grenzen Be­ funk. Die Einteilung der Ressorts orientierte sich achtung finden. Ihre Wirkung verfehlten sie dort an den Schulfachern. Leistungen und Heldenta­ nicht, dienten sie doch in der Konsolidierungs­ ten der Deutschen standen dabei im Vorder­ phase des Reiches dazu, Mißtrauen abzubauen grund.73 Im Wissensgebiet Deutsch gab es Do­ und die eigentlichen Absichten der Machthaber kumentationen über Leben und Werk von 68 zu verharmlosen. Schriftstellern, zum Beispiel Ober Hermann Löns oder Vortrage Ober Literatur und Lyrik. An Bei­ spielen von Detlev von Lilieneren und Börries 110 Rundfunk und Geschichte 24 (1998) von Münchhausen veranschaulichte man 1944 »Bücherstunde«8s die Form der Ballade.74 ln mehreren Folgen un­ ter dem Titel »Der Erste Weltkrieg in dichteri­ Buchbesprechungen, Dichterlesungen und lite­ scher Gestaltung« referierte ein Moderator über rarische Vortrage waren Sendegattungen, die Werke und deren Deutung, die den Krieg im den Buchhandel unmittelbar betrafen, weil sie Sinne der Nationalsozialisten behandelt hatten, einen konkreten Bezug zu Titeln und Autoren und zitierte aus Ernst Jüngers »ln Stahlgewit­ herstellten.S6 Die »Bücherstunde« stand »an tern«, Josef Magnus Wehners »Sieben vor Ver­ erster Stelle in der Buchpflege des Rund­ dun« sowie »Douaumont«, »Ypern« und »Sperr­ funks«.87 Alfred Haß zahlte Sendungen dieser feuer um Deutschland« von Werner Beumel­ Kategorien vom letzten Viertel des Jahres 1935 burg. 75 Ob der Buchhandel an dieser Sendung und ordnete sie nach den Reichssendern. 88 Die für seine Zwecke direkt anknüpfte, ist nicht zu Anzahl von Sendungen, die der »Werbung für belegen. das deutsche Buch«89 dienen sollten, schwankte zwischen elf Eintragungen für Berlin und 120 beziehungsweise 116 Beitragen bei Breslau be­ Unterhaltende literarisch-musikalische ziehungsweise Leipzig. 90 Für den Rundfunk wa­ Blütenlesen ren Sendungen für Bücher ein Teil seines kultur­ politischen und nationalpadagogischen Auftra­ Eine Zusammenstellung literarischer und musi­ ges im »Kampf um die Verbreitung von An­ kalischer Beitrage bot »Das Schatzkastlein«,76 schauungen und Meinungen«.91 das sanntags im Vormittagsprogramm lief.77 Der Nicht nur die »Arbeitsgemeinschaft für deut­ Titel der Sendung und die Art der Gestaltung sche Buchwerbung«, auch Schriftsteller, Verle­ verwiesen auf Formen der Kalenderliteratur aus ger und Rundfunkmitarbeiter vom Format E. Kurt dem 18. Jahrhundert und eine damals sehr be­ Fischers hofften, durch diese Sendungen für Bü• liebte Publikation von Johann Peter Hebel. Eine cher, den Verkauf zu fördern.92 Abgesehen von unterhaltende Zusammenstellung von Texten den Unterschieden bei der Erstellung und der und Bildern, wie sie früher mittels der Typogra­ Rezeption von Zeitschriftenrezensionen, machte phie erreicht wurde, gab es jetzt in akustischer man sich die weite Verbreitung im Rundfunk ge­ Form. Ein Rezitator las Gedichte und Prosa genüber Fachzeitschriften und möglicherweise verstorbener und zeitgenössischer Schriftsteller. auch dem Feuilleton der Tageszeitungen zunut­ Lesungen und Rezitationen waren von Streicher­ ze. 93 Man wollte erreichen, »daß das Volk in musik eingerahmt, ein Mischprogramm, wie es seiner Allgemeinheit Bücherkaufer«94 wurde, seit der Weimarer Republik zahlreiche Liebhaber und zog es aus diesem Grund vor, überwiegend gefunden hatte.78 Hörerbriefe - auch von der preisgünstige Bücher im Radio vorzustellen. Die Front - dokumentierten ein positives Echo auf Werbebeitrage mußten im Rundfunk Hörer mit die sonntagliehe Reihe. 79 Die Sendung blieb unterschiedlichen Interessen und soziodemo­ mindestens bis Marz 1944 im Programm.80 graphischen Eigenschaften ansprechen.95 Zu Beginn des Jahres 1933 lief die Senderei­ Eine gemeinsame Bücherwerbung von Buch­ he »Monatsbilder des Königswusterhausener handel und Rundfunk war nach der damaligen Landboten« im Deutschlandsender an.S1 Vorbild Auffassung dazu geeignet, anstelle von »Vielheit war der »Wandsbecker Bote«, ein Kalender, den und ( .. . ) Nebeneinander ( ... ) Einheit und Mitein­ seinerzeit Matthias Claudius herausgegeben ander«96 von Medien und den durch sie verbrei­ hatte.82 Auch in dieser Reihe wurde - wie beim teten Inhalten zu demonstrieren. Nach der An­ »Schatzkastlein« - ein traditionsreicher Name für sicht der Nationalsozialisten hatte der »System­ eine Rundfunksendung benutzt. Günter Eich und Rundfunk ( ... ) dem volksfremden, zersetzenden Martin Raschke stellten für die einmal im Monat Schrifttum in großzügiger Weise Raum zu weiter ausgestrahlte Sendung »Prosastücke und Ge­ Verbreitung«97 gegeben. Besonders nach dem dichte« zusammen, die im Stil des Wandsbecker Verbot der Kritik sollten im Rundfunk nur noch Boten das Jahr poetisch begleiteten. Eine Aus­ Bücher erwahnt werden, die die Verbreitung von wahl der literarischen Sendebeitrage erschien im nationalsozialistischem Gedankengut förderten. Druck mit dem Titel »Das festliche Jahr« im 01- Folglich bedeutete »für das Gebiet der Buchbe­ denburger Gerhard-Stalling-Verlag. 83 sprechungen ( ... ) die Erfüllung dieser Forderung Seit 1933 gestalteten Eich und Raschke zu­ Beschrankung auf das wesentliche Schrifttum satzlich den »Deutschen Kalender« für den sel­ unter Bevorzugung des weltanschaulich wichti­ ben Sender. 84 Es ist unbekannt, wie lange er auf gen Buches.«98 »Ein schlechtes Buch [sollte] dem Sendeplan blieb. dadurch am besten bekampft ( ... ) [werden], daß man es schweigend«99 überging. Grundlage für die Auswahl der Bücher durch die Reichssender waren die Zensurlisten, unter anderen die Gut- Bischof Zwischen Medienverbund und Medienkonkurrenz 111 achten des »Amtes Rosenberg« sowie »Sach­ sprach man sich für eine Gesprachsform statt für kenntnis, Werturteil und politischer Instinkt« der einen Einzelvortrag aus, auch für Zwiegesprache Rundfunkredakteure.100 ln den Bücherstunden zwischen dem Verleger und dem Verfasser Ober sollte es Rezensionen vom »schlichten, aber ihre neue Publikation und »Mehrgesprache« in wertvollen Unterhaltungsroman bis zur an­ der Form von Streitgesprachen.112 Gedacht wa­ spruchsvollen Dichtung, vom Jugendbuch bis ren kurze Beitrage, weil die Grenzen der Auf­ zum biographischen, politischen und popularwis­ nahmefahigkeit der Hörer bei einem sechs bis senschaftlichen Buch« 101 geben. Die einzelnen acht Minuten dauernden Beitrag für ein Buch Reichssender hatten die »Verpflichtung, ( ... ) [in vermutet wurden. Den größten Unterhaltungs­ ihren] Bücherstunden Neuerscheinungen von wert biete die Zusammenstellung einer Hörfol• örtlicher und landschaftsgebundener Bedeutung ge.113 neben reichswichtigen Schriften zu berücksichti• Ein Problem bei der Bücherstunde war ihre gen.«102 Plazierung im Sendeplan. Die Tatsache, daß die Wie die Auswahl bei umstrittenen Publikatio­ Bücherstunde meist am Nachmittag gesendet nen erfolgte, zeigte der Behördenweg, den man wurde, schloß viele potentielle Hörer aus.114 Um wegen eines Gedichtbandes von Gottfried Benn sie einem größeren Publikum zuganglich zu ma­ einschlug. Günter Wißmann103 erkundigte sich chen, forderte man, daß diese Sendung in das 1936 beim Prasidenten der Reichsschrifttums­ Abendprogramm verlegt werden müsse.115 Die kammer, wie der Rundfunk bezüglich Senns Ankündigung im Programmheft sollte immer Anthologie »Gesammelte Gedichte von 1911- auch mit der Nennung der Buchtitel erfolgen, so 1936« vorgehen sollte, die in einer Parteizeit­ daß interessierte Zuhörer gezielt einschalten schrift schlecht aufgenommen worden war. Er konnten. 116 »Oberster Grundsatz für alle Sen­ schlug zwei Möglichkeiten vor: Die ablehnende dungen des Rundfunks, die dem Buch dienen, Besprechung dieses Werkes oder eine Sperre muß Anschaulichkeit und Lebendigkeit sein.« 117 für Besprechungen aller Veröffentlichungen der Nur so hatten sie auch in das Programm nach Deutschen Verlagsanstalt, die Senns Gedichte 19.00 Uhr gepaßt und an der Sendezeit teilha­ verlegt hatte. Die Schrifttumskammer teilte ihm ben können, die der Unterhaltung vorbehalten mit, daß der Rundfunk von einem Vorgehen ge­ war. Dazu zählten literarische Themen nun ein­ gen die Deutsche Verlagsanstalt absehen solle. mal nicht. »Der Herr Reichsminister für Volksaufklarung Der Sicherheitsdienst der SS registrierte Kla­ und Propaganda [hielt] ein Einschreiten in die­ gen, daß einige Titel, die der Rundfunk empfoh­ sem Fall nicht für erforderlich, da der Gedicht­ len hatte, überhaupt nicht im Buchhandel erhalt­ band lediglich als ein historischer Querschnitt lieh waren.11a Aus dem Rücklaufvon Karten, die des Schaffens von Gottfried Benn zu betrach­ ein Verlag zwischen 1933 und 1935 seinen Bü• ten« sei. 10 4 chern beigelegt hatte und die den Kunden nach Andere Verleger mit unstrittigem Programm dem Auslöser für den Buchkauf fragten, wurde konnten ihre Bekanntheit mit den wöchentlichen ermittelt, daß lediglich 0,1 Prozent der Befragten Buchbesprechungen im Rundfunk steigern.105 eine Besprechung im Rundfunk als Anlaß anga­ Anregungen für die Buchauswahl wurde nicht ben. Eckert wertete diese Ergebnisse so, daß von ihrer Seite, sondern von Buchhandlern und eine Radiosendung wohl selten der Grund für Bibliothekaren gewünscht.1 06 Es wurde auch den Buchkauf war, aber sehr haufig eine wichti­ vorgeschlagen, den Bibliotheksbenutzern Gele­ ge Anregung und Bestatigung im Entschei­ genheit zum Hören von Vortragen und Bücher• dungsprozeß vor dem Kauf darstellte. Für ihn hinweisen zu geben, indem man »die Lesesale lagen die Gründe einer Verzerrung zwischen und Lesehallen zweckmaßig mit einem Empfan­ dem Ergebnis der Befragung und dem tatsachli­ ger«107 ausstattete. Von dieser Beschallung riet chen Rezipientenverhalten in der sozialen Struk­ die Werbestelle des Börsenblatts jedoch ab, weil tur des Hörerpublikums, unter dem er mehrheit­ sie, wie sich leicht nachvollziehen ließ, als stö• lich Menschen vermutete, die wenig Mittel für rend empfunden wurde.1oa Vorschlage dieser den Buchkauf aufbrachten.119 Art kündeten von einer als selbstverstandlieh Als 1936 Vorschlage gemacht wurden, wie angesehenen allgemeinen Begeisterung für das Buchhandler auf Rundfunksendungen reagieren Radio. Die Anregung, auch Zeitschriften im sollten, ließ die Werbestelle des Börsenvereins »Buchfunk« 109 zu besprechen, war keineswegs einen resigniert klingenden Kommentar auf den eine Neuheit. Bei der »Berliner Funkstunde« gab Artikel von Haß folgen:120 es 1930 eine Sendereihe mit dem Titel »Das »Die geringe Anteilnahme der Hörerkreise an den Gesicht der Zeitschrift«.11o Bücherstunden der Sender hat es zu keiner nen­ Über die geeigneten »rundfunkischen For­ nenswerten Verbreitung des Werbemittels [eines Bü• 11 men der Buchwürdigung« 1 und die Gestaltung chergestelles für die Fensterauslage] kommen las­ gab es eine rege Diskussion. Mehrheitlich sen. Es ist eben so - darin müssen wir dem Verfasser 112 Rundfunk und Geschichte 24 (1998) beipflichten -, wer bereits Bindungen zum Schrifttum daß er das entsprechende Buch kaufte. Die und zum Buchhandel hat, verzichtet meistens auf den Rezitation in der Dichterstunde wurde haufig Empfang des Bücherfunks und wer erst für das durch einen Bericht über die Vita des Schriftstel­ Schrifttum gewonnen werden soll, hat bis jetzt keine 12 lers und einen Querschnitt seines Schaffens er­ Neigung, sich Buchbesprechungen anzuhören.« 1 ganzt.134 Der Erfolg von Bücherstunden für den Buchhan­ Seit 1925 lief bei der Berliner Funk-Stunde del wurde demnach sogar von maßgeblichen die »Stunde der Lebenden«, eine 30 Minuten Stellen angezweifelt. Einen Zweck sollten diese dauernde Sendung über Leben und Werk eines Beiträge aber dennoch erfüllen, da der Rundfunk zeitgenössischen Autors.135 Sie leitete eine das erklarte Ziel der nationalsozialistischen Lite­ Verlagerung des Schwergewichts von histori­ raturpolitik fördern sollte, neue Leserschichten schen zu aktuellen Fragen der Literatur im Radio zu gewinnen. Man hoffte, daß die Nennung von ein, so daß Sendungen mit Schrittsstellern ge­ Büchern die Aufmerksamkeit der Hörer für diese gen Ende der Weimarer Republik keine Sensa­ »erwünschte« Literatur und die Akzeptanz für tionen mehr waren.136 Eine Sendereihe mit dem Gedrucktes erhöhen würden.122 ln diesem Sinne Titel »Die Lebenden« gab es auch während der sollten Buchbesprechungen als Mittel der Leser­ Zeit des Nationalsozialismus•. 137 Sie ging mögli• lenkung eingesetzt werden. Für Eckert kam es cherweise aus einer Buchreihe mit dem Titel »Weniger darauf an, einen gebildeten Hörer, der »Die Lebenden« hervor, herausgegeben von mit Vorliebe Maupassant [!] und Zola [!]liest, nun Hellmuth Langenbucher bei Junker & Dünn• etwa zu den Werken von Paul Ernst und Her­ haupt. Sie war nicht mehr mit dem Format der mann Stehr zu führen«.123 Durch die Auswahl Sendung zu vergleichen, an die der Titel an­ der besprochenen Bücher sollten die Rundfunk­ knüpfte.138 ln dieser Reihe wurden Autobiogra­ beitrage eher bei Hörern, die weniger in der Lite­ phisches bzw. Lebensbilder von Hans Friedrich ratur bewandert waren »Schwerpunkte in der Blunck, Hermann Stehr, Ernst Jünger und ande­ Literatur verlagern helfen«.124 ren gesendet. Die Buchreihe selbst wurde im Februar 1935 am Reichssender Königsberg vor­ gestellt.139 »Dichterstunde« ln der »Dichterstunde« oder »Autorenstun­ Weitere Felder der Zusammenarbeit de«,125 zu der der Autor selbst aus seinen Wer­ von Rundfunk und Buchhandel ken las, wollte der »Großdeutsche Rundfunk auch durch den Mund der deutschen Dichter zur Zahlreiche und ausführliche redaktionelle Beitra­ Stimme der Nation werden«.126 Die »Unmittel­ ge im »Börsenblatt« lassen vermuten, daß den barkeit, ( ... ) [und] lebendige Fühlung«, 127 die Buchhändlern eine Orientierung an Rundfunk­ diese Sendung ausstrahlte, begrüßten die Zeit­ sendungen für das Buch ein Anliegen waren. Die genossen, weil durch sie »die verlorene Fähig­ »Mitteilungen der Werbestelle«, seit 1934 fester keit des gelassenen Zuhörens lebendig« 128 Bestandteil des Blattes, anderten 1936 ihren Ti­ würde. Eine Verbindung zwischen Hörer und tel in »Die Bücherstunde im Rundfunk«. Buch sei am besten dadurch zu erzielen, daß Das Verbandsorgan brachte in unregelmaßi• man Dichterpersönlichkeiten im literarischen gen Abstanden Meldungen unter dem Titel Rundfunkprogramm in den Vordergrund stell­ »Buchhandler im Rundfunk«. Sie verwiesen auf te.129 Die Bedeutung der Schriftsteller für den Sendungen, in denen Buchhandler oder Vertre­ Rundfunk bekam im Nationalsozialismus eine ter der Buchhandelsvereinigungen zu Wort ka­ neue Facette.130 Mit ihrem Werk und ihrer Per­ men. Der Westdeutsche Rundfunk sendete bei­ sönlichkeit sollte »der natürliche Blutstrom vom spielsweise am 22. Marz 1933 ein Zwiege­ Dichter zum Volk und vom Volk zum Dichter«131 sprach, in dem Fragen über das Verhältnis zwi­ fließen. Ideologisch verwertbare Schriftsteller schen Autor und Buchhandler diskutiert wur­ mußten ihre Legitimation durch den Rundfunk den.140 Am 16. Oktober 1933 sprach Hellmuth zugesprochen bekommen, vor dem Hintergrund, Langenbucher im Deutschlandsender über »das daß ein ganzes Netz bekannter und geschätzter Kaiserbuch« von Paul Ernst.141 Auf der gleichen Autoren, die dem Rundfunk der Weimarer Re­ Welle hielt ein Buchhandler am 30. November publik Renommee verschafft hatten, bereits in 1933 einen Vortrag über »Buch und Buchmesse den ersten Jahren der nationalsozialistischen im neuen Staat.« Ein Rundfunkporträt über den Herrschaft zerschlagen worden war.132 Mittels Dichter Fritz Werneck kündigte eine Meldung dieser Förderung wollte man mit allen Mitteln unter dem Titel »Buchhandler im Rundfunk« wieder Schriftsteller von internationaler Geltung an.142 Die Rundfunksendung des Reichssenders heranziehen. Von einer Autorenlesung sollte der Stuttgart mit dem Titel »Etwas vom Buch - vom Hörer »ergriffen und gefesselt« 133 werden, so Bücherlesen und Bücherkaufen«, 143 die sich mit Bischof: Zwischen Medienverbund und Medienkonkurrenz 113 dem »billigen« Buch auseinandersetzte, war ei­ Käufer vermitteln. Ob die geplanten Sendungen ner der wenigen separaten Hinweise aus dem realisiert wurden und sich dann auf dem Sende­ Jahr 1935. Von da an wurden vergleichbare An­ plan halten konnten, konnte nicht ermittelt wer­ kündigungen selten. den. Im selben Jahr begann eine Reihe unter dem Erste Hinweise auf eine institutionalisierte Titel »Rundfunksendung und Dienst am deut­ Zusammenarbeit zwischen Buchhandel und schen Buch.« Die Schriftleitung wollte die Buch­ Rundfunk unter dem nationalsozialistischen Re­ handler über Rundfunkbeiträge der kommenden gime datieren aus dem Sommer 1933. Auf Woche informieren, damit Bücher zu den ange­ Anregung der »Gruppe Schrifttum« des »Kampf­ kündigten Themen vorgehalten werden konnten. bundes für deutsche Kultur« hatte sich »ein Ar­ Waren Buchbesprechungen mit Buchtiteln ange­ beitskreis gebildet, der im Rahmen des Rund­ kündigt, verwies das Blatt auf unterschiedliche funkprogramms aus praktischer Berufserfahrung Ausgaben, die in der Auslage besonders zu pla­ heraus für das deutsche Buch tatkräftig eintreten zieren waren. Zu allgemeinen kulturellen Beiträ• wird.« 148 Beteiligt waren Lehrer, Studenten, gen gab das Blatt Anregungen, welche Publika­ Volksbibliothekare und Buchhändler, die sich mit tionen der Buchhändler als begleitende Literatur Vertretern des Südwestdeutschen Rundfunks in bereithalten und anbieten sollte. Für eine Sen­ Frankfurt trafen. Ziel der Arbeitsgemeinschaft dung aus Breslau mit dem Titel »Die Frau als war es, »Dienst am deutschen Buch« zu tun, in­ Trägerin des Blutstromes des Volkes« wurden dem Beitragsreihen gestaltet wurden, die »als folglich »Rassenhygienische und -politische Bü• Anreiz und als Bekenntnis nicht lehrhaft wirken cher um Familie, Frau und Mutter« befürwor• [sollten] (... ). Das bedeutet eine Abkehr von der tet.144 Zur Übertragung anläßlich des Thüringer liberalistischen Methode, möglichst jedem etwas Gauparteitages der NSDAP, auf dem Goebbels zu bringen ( ... ), weiter eine Abkehr von dem und Rosenberg sprachen, verwies das Börsen• Klugreden und der Schaumschlägerei der letzten blatt auf »Nationalsozialistisches Schrifttum, Jahre ( ... ). Notwendig ist das Vermeiden jegli­ Kampf, Weltanschauung, Gesch.[ichte], Werke chen journalistischen Geschmuses.«149 Konkre­ von Goebbels u.[nd] Rosenberg.«1 45 Diese fein te Vorschläge für gemeinsame Projekte wurden aufeinander abgestimmte Maßnahme mit Bü• nicht genannt. Anzeichen für eine erfolgreiche cherlisten war dafür gedacht, medienübergrei• Zusammenarbeit dieses Gremiums waren weder fend volkspädagogische Zielsetzungen zu kom­ den Quellen noch der Sekundärliteratur zu ent­ munizieren. nehmen. Es liegt nahe zu glauben, daß in Programmbeiträge in" Zusammenarbeit mit diesem Fall eine Kooperation zwischen Institutio­ Buchhandlungen gestaltete beispielsweise der nen zweier Medien erzwungen werden sollte. Reichssender Breslau. Bei Buchbesprechungen Mit dem nahenden Krieg nahm die Zahl der ohnehin sehr aktiv, wollte man die Zusammen­ Veröffentlichungen, die das Interesse der Buch­ arbeit mit dem schlesischen Buchhandel weiter händler und Verleger an einer Zusammenarbeit intensivieren. Eine Sendung mit »Büchertitel• mit dem Rundfunk belegen könnten, deutlich ab. und Autorenraten«146 erbrachte »Um die 12 000 Möglicherweise schlugen sich Veränderungen in Hörerzuschriften aus dem ln- und Ausland.« Für der Haltung des Rundfunks zur Literatur sogar in jeden zweiten Sonntag plante der Sender eine den Fachorganen nieder. Denn im April 1937 Hörfolge mit dem Titel »Wir betrachten Buchlä• ließ der Intendant des Deutschlandsenders und den! Allerlei Bücher und ein Gespräch mit ihrem Reichsführer des Reichsverbandes deutscher Buchhändler« als Unterstützung für den Buch­ Schriftsteller, Götz Otto Stoffregen, auf einen händler, der »sozusagen an der Front der bloßen Wink von Goebbels hin schlagartig alle Schrifttumspolitik steht.« Das Rundfunkteam künstlerischen Wortsendungen aus den Sende­ sendete mit einem Übertragungswagen live Ge­ plänen nehmen. Eine scheinbar nebenbei geäu• spräche direkt aus der Buchhandlung. Man be­ ßerte Abneigung des Propagandaministers ge:. absichtigte, Interviews mit dem Buchhändler zu genüber literarischen Sendungen hatte rasch bringen, sein Name durfte dabei nicht fallen. umfassende Auswirkungen auf das gesamte Kunden, die die Buchhandlung »zufällig« sann­ Rundfunkprogramm im Reich. Viele der zuvor tags betraten, sollten ins Gespräch verwickelt umworbenen Rundfunkschriftsteller standen werden.147 Auch andere Themen rund um das plötzlich vor dem Nichts.150 Erst seit 1941 gab Buch, wie Informationen über die Organisation es in den Fachorganen erneut eine geringe An­ der Buchhändler, über künstlerische Buchein­ zahl von Beiträgen über Buch und Rundfunk. bände, über Buchhändler- und Verlegerpersön• lichkeiten und über Bücher aktuellen Inhalts wurden als mögliche Rundfunkbeiträge vorge­ schlagen. Die unterhaltsam und lebendig gestal­ tete Sendung sollte dem Buchhandel Leser und 114 Rundfunk und Geschichte 24 (1998)

»Der Rundfunk bringt die Welt ins Haus, und dabei die Aufmerksamkeit aller Rezipienten das Buch in den Menschen« auf die vom Regime bevorzugte Literatur zu len­ ken. Abschließende Betrachtungen zu Wegen der Widersprüchlichkeit ihrer Ziele Medienkonkurrenz und Medienverbund versagte die nationalsozialistische Kultur- und Medienpolitik auch in diesem Bereich weitge­ Auf die in der Überschrift zitierte Formel brachte hend. Die »Gleichschaltung« und »volle Kontrol­ Gerd Eckert die mediale Wirkung von Buch und le der öffentlichen Meinung«157 konnte allein Rundfunk. Wie festgestellt, gab es in den Jahren deshalb nie erreicht werden, weil »der National­ des Dritten Reiches etliche Bereiche des ge­ sozialismus( ... ) ideell so unergiebig«158 war. Auf meinsamen Auftretens und der Interaktion beider diesem Boden konnte keine aktive, neue Kultur­ Medien. Mit Rücksicht auf das einheitliche Er­ szene entstehen. Mit seiner Leserlenkung, unter scheinungsbild der nationalsozialistischen Ideo­ anderem über den Rundfunk veranlaßte das logie in der Propaganda wurden diese For~en Regime den Literaturbetrieb in vielen Fallen da­ medialer Verschränkung von der Führung n1cht zu an den Leserwünschen und damit am Buch­ nur gewünscht, sondern auch gefördert. ln der m~rkt vorbei zu produzieren. ln ihrem Bemühen Intensität, mit der man sich um den Rundfunk um neue Leserschichten vernachlässigte die Le­ und sein Programm bemühte und es mit künst• seförderung vieler Institutionen die Bedürfnisse lerischen Beitragen aufwerten wollte, verfolgten der Vielleser, denen anspruchsvoller Lesestoff die Propagandisten generell das Ziel: »Kunst, mehr und mehr fehlte.159 Der Nationalsozialis­ Literatur im Rundfunk verschönert das Leben, mus unterdrückte die »kreativen Ressourcen vermittelt Genuß, Entspannung, verdeckt Span­ des Systems Buch, die ihm zu seiner eigenen nungen.«151 Zerstreuung, Unterhaltung und Be­ Funktionalitat verhelfen« 160 und war unfähig, lehrung im Rundfunk waren die Ziele, für deren andere Reserven oder neue Strömungen zu Verwirklichung künstlerische Wortsendungen als 152 mobilisieren. Dieser inhaltlichen Geistlosigkeit wichtiges Gestaltungselement galten. Sie entsprach bald auch eine tatsachliche Leere in sollten, wie andere Programmbereiche auch, den Regalen der Buchhändler, weil die gedros­ den klaren Blick der Hörer für die politischen selte Produktion schöngeistiger Bücher der Geschehnisse und für Krisen trüben. Besonders Nachfrage im Krieg nicht mehr standhalten wahrend des Krieges, als »Unterhaltung ( ... ) [für] konnte.161 Hierfür waren nicht nur die Ein­ 1 kriegsentscheidend« 53 erklärt wurde, setzten schränkungen der Kriegswirtschaft und die damit die Nationalsozialisten ganz entschieden auf den einhergehende Papierkontingentierung verant­ Rundfunk. Ein raffiniert abgestimmtes Radiopro­ wortlich, sondern wiederum die fehlgeschlagene gramm, bestehend aus ernster und vo~ allem Lenkung der Literaturproduktion. zerstreuender Musik, literarischen Beitragen, Der zweifelhafte Verdienst der Nationalsozia­ politischen Sendungen und Direktübertragungen, listen war es, durch Verbote und Eingriffe in den sollte die Hörer am Apparat halten und für politi­ 154 künstlerischen Schaffensprozeß, wie etwa durch sche Meldungen aufnahmefähig machen, geheime Sprachregelungen, die Literatur dieser wahrend am Beginn der nationalsozialistischen Zeit auf ein sehr niedriges künstlerisches Niveau Diktatur der erleichterte Erwerb von Rundfunk­ zu drücken. Die Folge war das Abdrangen des geraten auch materielle Bedürfnisse der Bevö~­ Buches in die Zerstreuungsindustrie und die kerung befriedigte. Dies verlief im Einklang m1t Welt der Konsumgüter sowie seine lndienstnah­ dem zentral gesteuerten Aufschwung der Kon­ me für die Produktion von Radiounterhaltung im sumgüter- und Unterhaltungsindustrie, den das Sinne der ideologischen Vorstellungen.162 Regime in erheblichem Ausmaß förderte.155 Aber es gab auch eine geduldete Literatur Gerade Literatur wurde im Radio nicht aus­ jenseits der Ideologie, die im Reichsrundfunk schließlich zu Zwecken der Propaganda einge­ Refugien fand, in Sendereihen wie der »Königs• setzt. Einerseits dienten Beitrage der entspre­ wusterhausener Landbote« und »Der Horchpo­ chenden Ressorts dazu, das Programm interes­ sten«. Im Rahmen des gesamten Rundfunkpro­ santer und abwechslungsreicher zu gestalten. gramms des Dritten Reiches nah~en ~ie jedoch Die Propaganda war so in hochwertige Sendun­ nur einen unbedeutenden Platz em. S1e wurden gen vorteilhaft eingebettet, und damit auch i~r von den Machthabern gebilligt und setzten ledig­ Niveau quasi angehoben. Literatur und Buchbei­ lich eines der wenigen Zeichen von einem »un­ trage waren nicht allein mit der Absicht im Pro­ freien Freiraum«163 im Radioprogramm. Ihre Be­ gramm vertreten, um den Hörer »ZU erzie­ deutung für Propagandamaßnahmen hatte diese hen«, 156 sondern auch um eine neue literarische zugestandene Freiheit zweifellos, wollten sie die Kultur heranzubilden. Die Hörer sollten in ihrem Machthaber doch als Beleg für ihre Toleranz Verhalten gegenüber dem Buch beeinflußt wer­ verstanden wissen.164 Nach den Neuerungen in den: Nichtleser galt es zum Lesen anzuregen der Rundfunkorganisation von 1937, als die Ein- Bischof: Zwischen Medienverbund und Medienkonkurrenz 115 griffsmöglichkeiten des Reichspropagandamini­ lieh die angekündigten literarischen Sendungen sters noch erweitert wurden, lagen diese Sen­ plötzlich vom Programm zu streichen. dungen vermutlich jedoch bereits jenseits der ln den letzten Kriegsjahren gewannen literari­ Toleranzgrenze. Auf die Qualitat des literari­ sche Wortsendungen noch einmal an Bedeu­ schen Programmes hatten verschiedene andere tung, übernahm doch das Radio zu einem gro­ Ereignisse aus dem Jahr 1937 eindeutig negati­ ßen Teil die kulturellen Aufgaben der anderen ve Auswirkungen. Das plötzliche Absetzen aller Medien.168 Die Sendetatigkeit wurde bis zuletzt künstlerischen Wortsendungen war das deut­ so gut es ging mit allen Kräften aufrechterhalten. lichste Anzeichen dafür. Für Theater und Kabarett war Radio der einzige An einer engeren Verbindung von Buch und Ersatz. Das allgemein rarer gewordene Angebot Rundfunk hattten die Nationalsozialisten durch­ an Verlagsartikeln und an Literatur erganzte der aus Interesse, weil sie den Lesern und Hörern Rundfunk durch seine Beitrage.169 Auf diese ein einheitliches und daher einpragsames Bild Weise war es möglicherweise das Konkurrenz­ von Kultur im Sinne der nationalsozialistischen medium selbst, das der Literatur und dem Buch Propaganda zu vermitteln wollten.165 Die Ver­ über eine Übergangszeit hinweghalf, als sie fechter für den Ausbau der Zusammenarbeit wahrend des Krieges Mangelware wurden. zwischen Buch und Radio traten dafür ein, das Durch das Radio blieb in der Endphase des Radio als »Vehikel«166 für das Buch einzuset­ Dritten Reiches möglicherweise Literatur im Ge­ zen. Man glaubte, daß Gehörtes und Gelesenes dachtnis des Lesepublikums und hielt das litera­ sich in ihrer Wirkung ergänzten und gegenseitig rische Umfeld und das Bedürfnis der Hörer an steigerten. Das literarische Rundfunkprogramm der Rezeption aufrecht.170 Das Radio war eine sollte beim Hörer den Wunsch entstehen lassen, Art Notbehelf für die, die mit dem Buch nicht einen durch den gehörten Text entstandenen mehr in ausreichendem Maße versorgt werden Eindruck durch das Lesen zu vervollständigen. konnten. Als nach Kriegsende auch die Werke Allzu leicht wurde jedoch dabei auch von Ver­ verbotener Schriftsteller wieder nach und nach fechtern dieser Politik übersehen, daß die Mehr­ zuganglich wurden, machte sich der Nachholbe­ zahl der Radiohörer nicht zu den Viellesern ge­ darf an gedruckter Lektüre deutlich bemerkbar hörte und nicht zu den Personen, die durch ent­ und wurde teilweise auch durch den »neuen« sprechende Rundfunkprogramme für das Lesen Rundfunk befriedigt. Die Rolle des einen Medi­ und das Bücherkaufen überhaupt erst gewonnen ums als gelegentlicher Vertreter des anderen werden konnten. ebnete so möglicherweise auch den Weg zu ei­ Dafür unterstützte der Rundfunk das Buch nem modernen, kumulativen Mediengebrauch, über die mögliche Verkaufsförderung hinaus in wie er gang undgabegeworden ist.171 einer anderen, umfassenderen Weise, die sich kaum quantifizieren laßt. Der Rundfunk gab Bü• chern und Texten mehr Öffentlichkeit als der Anmerkungen Buchhandel: Er machte die »Titelfülle« auf dem Buchmarkt im Einvernehmen mit den politischen • Der Beitrag faßt eine Magisterarbeit zusammen, Zielsetzungen für den Hörer und potentiellen Le­ die 1996 am Institut für Buchwesen der Universi­ ser überschaubarer, das Radioprogramm konnte tät Mainz entstanden ist. die Nutzung des Mediums Buch kanalisieren 1 Vgl. Sabine Schiller I Arnulf Kutsch: Literatur im helfen. Rundfunkprogramm. ln: Winfried B. Lerg I Rolf ln jener Zeit, als literarische Sendungen, vom Steininger (Hrsg.): Rundfunk und Politik 1923 - Hörspiel, über Buchbesprechungen, Dichterle­ 1975. Berlin 1975, S. 87- 118, hier S. 87. sungen und Vortrage bis hin zum Kabarett aus 2 Vgl. Ludwig Stoffels: Kulturfaktor und Unterhal­ dem Rundfunkprogramm nicht wegzudenken tungsrundfunk. ln: Joachim-Felix Leonhard waren, und gedruckte und gehörte Literatur (Hrsg.): Programmgeschichte des Hörfunks in der quasi als »Double«167 auftraten, ist von einer Weimarer Republik. München 1997, Bd. 2, S. 623 qualitativen Wirkung für das Buch auszugehen. - 640, hier S. 634 - 636. Der sonst rein optischen Rezeption des Buchs 3 Vgl. Elmar Lindemann: Literatur und Rundfunk über die Typographie erschloß die radiophone 1923 - 1933. 2 Bde. Phil. Diss. Göttingen 1980, Umsetzung eine neue Dimension. Die National­ Bd. 1, S. 234,241. sozialisten nutzten diesen von ihnen so gesehe­ nen Zusammenhang in der Hoffnung, durch die 4 Ebd ., S. 241. intensive Nutzung eines weiteren Kanals die 5 Fritz Walter [Friedrich) Bisehoff zit. nach Linde­ Verbreitung ihres Ideengutes zu steigern. Als mann: Literatur (wie Anm. 3), Bd. 1, S. 92. Bi­ Zweifel an der Wirksamkeit dieser Methode auf­ schoff war bis zum 1.4.1933 Intendant des Sen­ kamen, zögerten sie jedoch auch nicht, willkür- ders Breslau. Er schuf mit seiner Hörspielsym• phonie »Hallo! Hier Welle Erdball« (1928) ein 116 Rundfunk und Gescnichte 24 (1998)

neues Ausdrucksmittel für den Rundfunk und Horst Denkler u. Karl Prümm (Hrsg.): Die deut­ entwickelte für seinen Sender Hörspiele von ho­ sche Literatur im Dritten Reich. Stuttgart 1976, S. her Qualität. Nach seiner Entlassung 1933 ver­ 366 - 381, hier S. 378 sowie Reinhard Döhl: Das suchte man, diese Tradition weiterzuführen. Vgl. Hörspiel zur NS-Zeit. Darmstadt 1992, S. 216, Heinz Rudolf Fritsche: Friedrich Bisehoff- Wege Anm. 283. zur Hörkunst ln: Gerhard Hay (Hrsg.): Literatur 21 Gerd Eckert: Hörspiel und Buchwerbung. Neue und Rundfunk 1923- 1933. Hildesheim 1975, S. Werbungsmöglichkeiten für den Buchhandel. ln: 103 - 120, hier S. 103, 118 sowie lrmela Schnei­ Bbl Jg. 101 (1934), S. 976-977, hier S. 977. der (Hrsg.): Radio-Kultur in der Weimarer Repu­ blik. Tübingen 1984, S. 112f. und Wolf­ 22 Vgl. unter anderen die Aufsätze von Gerd Eckert: ram Wessels: Hörspiele im Dritten Reich. Bonn Rundfunk und Buch. ln: Bbl Jg. 101 (1934), S. 1985, s. 211. 634-635 sowie ders.: Was kann der Rundfunk für 6 Lindemann: Literatur (wie Anm . 3), Bd. 1, S. 92f. das Buch tun? ln: Bbl Jg. 103 (1936), S. 523 - 524. Zu bedenken ist die Tatsache, daß der Hörfunk in der Weimarer Republik wegen seiner Verpflich­ 23 Vgl. Eckert: Was kann der Rundfunk (wie Anm. tung zur Neutralität Texte und Auftritte von 22), S. 524. Schriftstellern nicht beliebig in das Programm auf­ nehmen konnte. Vgl. Theresa Wittenbrink: Rund­ 24 »Rundfunksendung und Dienst am deutschen funk und literarische Tradition. ln: Leonhard Buch. Bericht für die Woche vom 5. bis 11 . (Hrsg.): Programmgeschichte (wie Anm. 2), Bd. 2, Mai 1935.« ln: Bbl Jg. 102 (1935), S. 354 - 356, S. 996- 1097, hier S. 1050f. hier S. 355. 7 Vgl. ebd., S. 316 sowie Schneider (Hrsg.): Radio- 25 Glaser: Mehr Gemeinsamkeit zwischen Buch­ Kultur (wie Anm. 5), S. 15. händler und Rundfunk (wie Anm 11), S. 58. 8 Ebd ., S. 144. 26 E[ugen] Kurt Fischer: Buchbesprechung so und so .... ln: Bbl Jg. 107 (1940), S. 425 - 427, hier S. 9 Ebd., S. 146. 427. Fischer war u.a. als Literarischer Leiter bei der MIRAG tätig, siehe Wittenbrink: Rundfunk und 10 Vgl. Lindemann: Literatur (wie Anm. 3), Bd. 1, S. literarische Tradition (wie Anm. 6), S. 1001 . 145. 27 Gerd Eckert: Dichter des Rundfunks. ln: Der 11 Vgl. u.a. Waldemar Glaser: Mehr Gemeinsamkeit Rundfunk, Jg. 2 (1938/39), S. 154- 156, hier S. zwischen Buchhändler und Rundfunk. ln: Bör• 154. senblatt für den deutschen Buchhandel(= Bbl) Jg. 105 (1938), S. 1008f., hier S. 1008. Glaser war 28 Glaser: Mehr Gemeinsamkeit zwischen Buch­ Abteilungsleiter beim Reichssender Breslau und händler und Rundfunk (wie Anm 11), S. 59. Mitglied des Arbeitskreises der Obersten SA­ Führung für Kunst und Wissenschaft. 29 Gerd Eckert: Der Rundfunk entwickelt sein Schrifttum. ln: Bbl Jg. 106 (1939), S. 860- 861, 12 Paul Adams: Der Rundfunk- eine Gefahr für das hier S. 860. Buch? ln: Süddeutsche Monatshefte Jg. 31 (1933), S. 157-160, hier S. 157. 30 Alfred Haß: Bücherstunden im Rundfunk. ln: Bbl Jg. 103 (1936), S. 524- 525, S. 524. Zur Person 13 Ebd., S. 157. Alfred Haß' waren keine biographischen Angaben zu ermitteln. 14 Ebd., S. 158f. . 31 I. D. Ungerer: Fördert das zeitgenössische 15 Ebd., S. 159. Schrifttum! ln: Rufer und Hörer Jg. 3 (1933), S. 16 Ebd., S. 158f.. 151- 155, hier S. 153.

17 Adolf Spemann: Einiges Notwendige zur Buch­ 32 Mittler zwischen Buch und Hörer. ln: Nationalso­ werbung. Nachwort zur Buchwoche. ln: Bbl Jg. zialistische Rundfunkkorrespondenz, Jg. 4 (1940) 101 (1934), S. 1034-1035, hier S. 1035. Der 12, BI. 5. Kunst- und Musikwissenschaftler Spemann war 33 Eckert: Der Rundfunk entwickelt sein Schrifttum Verlagsbuchhändler und ab 1910 Mitinhaber des (wie Anm . 29), S. 860. Verlags J. Engelhorns Nachf. in Stuttgart (vgl. DBA, Fiche Nr. NF 1239). 34 Hermann Gaupp: Die Dichterstunde. ln: Der Rundfunk Jg. 1 (1937/38), S. 142 - 144, hier S. 18 Adolf Spemann: Der schöngeistige Verlag und die 143. Lage. ln: Bbl Jg. 100 (1933), S. 544- 550, hier S. 544. 35 Eckert: Was kann der Rundfunk (wie Anm. 22), S. 523. 19 Ulrich Saxer: Das Buch in der Medienkonkurrenz. ln: Lesen und Leben. Hrsg. von Herbert G. Göp• 36 Vgl. Stoffels: Kulturfaktor und Unterhaltungsrund­ fert [u .a.]. Frankfurt am Main 1975, S. 206- 243, funk (wie Anm. 2), S. 634 - 636 sowie Wessels: hier S. 233. Hörspiele (wie Anm. 5), S. 161 . 20 Gerhard Hay: Rundfunk und Hörspiel als 37 Norbert Frei I Johannes Schmitz: Journalismus im »Führungsmittel« des Nationalsozialismus. ln: Dritten Reich. München 1989, S. 87 sowie Wes- Bischof: Zwischen Medienverbund und Medienkonkurrenz 117

sels: Hörspiele im Dritten Reich (wie Anm. 5) , S. engeren Sinne« sei. Sie decke sich mit der Zeit, in 161 . ln der Weimarer Zeit variierte der Anteil lite­ der die beste Empfangsqualität zu erhalten war, rarischer Programme beispielsweise im Jahr 1929 Eckert: Der Rundfunk (wie Anm. 38), S. 161). bei den einzelnen Sendern zwischen 9 Prozent in 44 Schiller I Kutsch: Literatur (wie Anm. 1), S. 90. Harnburg und 20 Prozent in Frankfurt, so Hay (Hrsg.): Literatur und Rundfunk 1923 - 1933, S. 45 Joseph Goebbels: 25.3.33 - Berlin, Haus des XII. Rundfunks - Ansprache an die Intendanten und Direktoren der Rundfunkgesellschaften. ln: Hans 38 Wessels: Hörspiele (wie Anm . 5) , S. 161 . Eckert Heiber (Hrsg): Goebbels-Reden. Bd. 1, S. 82 - ermittelte das Verhältnis zwischen Wort und Mu­ 107, hier S. 96. sik aus den Jahren 1925 bis 1939: Gerhard Ek­ kert: Der Rundfunk als FührungsmitteL Heidelberg 46 Martin Kunath : Die literarische Programmarbeit u.a. 1941, S. 171 . Unklar ist, ob Eckert bei dieser beim Mitteldeutschen Rundfunk. ln: Hay (Hrsg.): Erhebung einzelne Sendungen oder die Dauer Literatur und Rundfunk (wie Anm . 5) , S. 69 - 86, aller Darbietungen als Untersuchungseinheit an­ hier S. 83. sah. Bis einschließlich 1931 zählten Nachrichten­ 47 sendungen nicht zu den Wortbeträgen. ln diesem Vgl. ebd. Jahr ermittelte er einen Anteil von 32,2 Prozent 48 Gerd Eckert: Von der Pflege des Wortes im des künstlerischen Wortprogramms gegenüber Rundfunk. ln: Die Literatur Jg. 39 (1936137) , S. 67,8 Prozent Musik. Der Bereich Wort inklusive 683 - 684, hier S. 684. Nachrichten sank stetig von einem Anteil von 42,1 Prozent (1932) auf 30,6 Prozent im Jahr 1938. Im 49 Ebd., S. 683. ln dieser Form war der Hörbericht ersten Kriegsjahr 1939 verzeichneten Wertsen­ vergleichbar mit dem heutigen »Feature«, siehe: dungen, vermutlich aufgrund vermehrter Nachrich­ Das Fischer-Lexikon. Publizistik, Massenkommu­ tensendungen, einen Anstieg auf 33,4 Prozent. nikation. Hrsg. von Elisabeth Noelle-Neumann, Der Anteil der Musik pendelte entsprechend zwi­ Winfried Schulz, Jürgen Wilke. Frankfurt am Main schen 57,9 Prozent (1932) und 66,6 Prozent 1994, s. 104f. (1939). 50 Eckert: Von der Pflege (wie Anm. 48), S. 684. 39 Wessels: Hörspiele (wie Anm. 5), S. 161f. 51 Deutsches Rundfunkarchiv (DRA) 59 U 229, 40 Vgl. Walter Klingler: Nationalsozialistische Rund­ DRA-Nr. C 1144, Aufnahme vom 10.5.1933, Ber­ funkpolitik 1942 - 1945. Phil. Diss. Mannheim lin, Opernplatz sowie DRA 59 U 229, DRA-Nr. C 1983, S. 100. Die wöchentliche Sendezeit des 1143, Aufnahme vom 10 .5.1933, München, Kö• lnlandsprogrammes, das sich zu diesem Zeitpunkt nigsplatz. Die Berliner Aufnahme enthält die aus Doppel- und Reichsprogramm zusammen­ »Feuersprüche«, welche man verlas, während die setzte, betrug 1942143 170 Stunden pro Woche Schriften eines Autors auf die Scheiterhaufen ge­ (vgl. ebd. S. 194). Die unterhaltenden und künst• worfen wurden. lerischen Programme unter der Leitung von Hans 52 DRA 93 U 557012, Aufnahme vom 24.6.1938. Hinkel nahmen davon 143 Stunden ein, was 84 Prozent des Gesamtprogrammes ausmachte, 53 DRA 93 U 557119, Aufnahme vom 25.4.1937. ebd. S. 101 , 194. Nach der Einführung eines 54 Frei I Schmitz: Journalismus (wie Anm. 37), S. 86. Nachtprogrammes 1943 kam man 1944 sogar auf insgesamt 190 Stunden wöchentliche Sendezeit, 55 DRA 59 U 2271Bd. 2, DRA-Nr. C 1216 h, Aufnah- ebd., S. 194 sowie Joseph Wulf: Presse und Funk me vom 1.5.1933. im Dritten Reich. Gütersich 1963, S. 359. 56 DRA 59 U 260, DRA-Nr. C 1098. 41 Klingler Nationalsozialistische Rundfunkpolitik 57 DRA 59 U 2271Bd. 3, DRA-Nr. C 1216 m. (wie Anm. 40), S. 1OOf.. 58 Bundesarchiv Koblenz (BAK) R 2 I 4926, Bl.1 07. 42 H. Lubbers I W. Schwipps: Morgen die ganze Weit. ln: Morgen die ganze Weit. Deutscher 59 Will Vesper: Vom Sinn der Buchwoche. ln: Bör- Kurzwellensender im Dienste der NS-Propagan­ senblatt für den Deutschen Buchhandel Jg. 102 da. Hrsg. v. Deutsche Welle. Berlin 1970, S. (1935), S. 857- 858, hier S. 858. ' 13.63, dort, S. 59. Der Anteil der Literatur betrug 1938 im Kurzwellensender 4,6 Prozent, im Inland­ 60 Jan-Pieter Barbian: Literaturpolitik im »Dritten sprogramm 3,6 Prozent, bei einem deutlich höhe• Reich« . Frankfurt am Main 1993. S. 279. ren Gewicht der Musik mit 69,4 Prozent gegen­ 61 Ebd., S. 274. über 59,5 Prozent im KWS (vgl. ebd. S. 58f.). 62 Volker Dahm: Die nationalsozialistische Schrift­ 43 Klingler Nationalsozialistische Rundfunkpolitik tumspolitik nach dem Mai 1933. ln: Ulrich Walbe­ (wie Anm. 40), S. 220. Klingler schätzt, daß die rer (Hrsg.): 10. Mai 1933. Frankfurt am Main Rundfunknutzung im Tagesverlauf um 20 Uhr ihre 1983, S. 36 - 83, hier S. 69. Spitze erreichte, ebd., S. 217. Diese Beurteilung wird durch den Zeitzeugen Eckert belegt, der 63 Ebd., Bl.99. schrieb, daß »die für alle Hörer günstigste Sende­ 64 »Woche des deutschen Buches. Organisations­ zeit im Durchschnitt der Abend zwischen 19 und und Arbeitsplan für die örtlichen Ausschüsse!« ln: 22 Uhr im weiteren, zwischen 20 und 21 Uhr im 118 Rundfunk und Geschichte 24 (1998)

Bbl Jg. 101 (1934), S. 918-919, hier S. 918. Vgl. Mensch und Welt. ln: Rufer und Hörer Jg. 2 DRA 2 945 628/101 . (1932/33), S. 524f., hier S. 525. 55 »Woche des deutschen Buches. Organisations­ 77 Klingler: Nationalsozialistische Rundfunkpolitik und Arbeitsplan für die örtlichen Ausschüsse!« (wie Anm. 40), S. 160f.. (wie Anm. 64), S. 919. 78 Wittenbrink: Rundfunk und literarische Tradition 56 Barbian: Literaturpolitik (wie Anm . 60), S. 279. (wie Anm. 6), S. 1008-1011. Aufrufe des Führers, daß Vorbereitungen für 79 Gerhard Eckert: Die Dichter und der Rundfunk. ln: Kunstausstellungen und für die Wagner-Festspie­ Die Weltliteratur Jg. 15 (1940), S. 118 - 120, hier le beginnen sollten, wurden laut SO-Berichten von s. 118. der Bevölkerung 1940 dahingehend gedeutet, daß der Krieg noch im selben Jahr beendet wer­ 80 Bei Eckert ist die Sendung für das Jahr 1940 do­ den würde. Kulturelle Aktivität hatte zumindest kumentiert, ebd., S. 118. ln Klinglers »Programm­ zeitweise eine beruhigende Wirkung im Inland. plan vom Sonntag, 19.3.1944 bis Samstag, 25.3. Vgl. »Bericht zur innenpolitischen Lage, II. Kultu­ 1944- Reichsprogramm« ist sie immer noch ver­ relle Gebiete, Nr. 40 vom 15. Januar 1940.« ln: zeichnet, so Klingler: Nationalsozialistische Rund­ Heinz Boberach (Hrsg.): Meldungen aus dem funkpolitik (wie Anm. 40), S. 160f. Reich. Neuwied/Berlin 1965, S. 38. 81 Willi Fehse: Wie Günter Eich zum Rundfunk kam . 57 »Kulturpolitische Information Nr.9« von Pressere­ ln: Hay (Hrsg.): Literatur (wie Anm. 5), S. 341 - ferent Denecke, ausgegeben vom Reichspropa­ 348, hier S. 343. gandaamt Berlin am 17.10.1941 , zit. nach Jo­ seph Wulf: Literatur und Dichtung im Dritten 82 Vgl. Hay: Rundfunk (wie Anm. 20), S. 379. Reich. Gütersloh 1963, S. 247. 83 Fehse: Wie Günter Eich (wie Anm. 81), S. 343. 58 Barbian: Literaturpolitik (wie Anm. 60), S. 289 - 84 Hay: Rundfunk (wie Anm. 20), S. 379. 292 sowie Wolfgang Benz: Konsolidierung und Konsens 1934 - 1939. ln: Frei I Schmitz (Hrsg): 85 Eckert: Rundfunk (wie Anm. 22), S. 635. Die Be­ Journalismus (wie Anm. 37) , S. 48 - 64, hier S. zeichnung »Bücherstunde« war wohl ein gängiger 48. Name für Sendungen, in denen Bücher vorge­ stellt, rezensiert und gewürdigt wurden. Sie diffe­ 59 Eugen Hadamovsky: Dein Rundfunk. München rierte unter den verschiedenen Sendeanstalten. 1934, S. 53. Im Rundfunkprogramm wurden sie auch mit 70 Richard Euringer: Deutsche Passion 1933. Hör• »Bücherschau« und »Buchbericht« bezeichnet, werk in sechs Sätzen. Oldenburg i. 0. 1933, Vor­ so unter anderem die »Mitteilungen der Werbe­ wort. stelle.« ln: Bbl Jg. 102 (1935), Umschlag zu Nr.9). Eckert nannte weitere Namen für Buchbespre­ 71 Klingler: Nationalsozialistische Rundfunkpolitik chungen im Rundfunk: »Bitte ein Buch!«, so in: (wie Anm . 40), S. 195-200. »Die Bücherstunde im Rundfunk«. ln: Bbl Jg. 104 (1937), Umschlag zu Nr. 263. Die Sendung des 72 Ansgar Diller: Hörfunk im Dritten Reich . [Vortrag Reichssenders Berlin, vormals »Funk-Stunde gehalten am 20.6.1996, Johannes Gutenberg­ Berlin<<: »Das neue Buch« war eine häufig aus­ Universität Mainz]. gestrahlte, zehnminütige Sendereihe der Funk­ 73 Klingler: Nationalsozialistische Rundfunkpolitik Stunde. Vgl. Lindemann: Literatur (wie Anm. 3), (wie Anm. 40}, S. 180f.. Bd. 2, S. 280 - 285) sowie »Bücher unserer Zeit«, Hinweis bei Gerhard Eckert: Der Rundfunk führt 74 »Über Leben und Werk des vor 30 Jahren vor zum Buch. ln: Die Buchbeprechung Jg. 2 (1938), Reims gefallenen Schriftstellers Hermann Löns, S. 197 - 205, hier S. 200. dem Entdecker des Heidelandes und Seher und Dichter des Volkes«, DRA 81 U 2448, DRA-Nr. C 86 »Rundfunksendung und Dienst am deutschen 8042, Sendung »Hören und Behalten«, 67. Folge Buch. Bericht für die Woche vom 5. bis 11 . vom 15.2.1944 sowie »Die deutsche Ballade. Mai 1935.«, S. 354. Über die Balladen von Detlev von Liliencron und 87 Gerd Eckert: Das Buch im Rundfunk. ln: Die Lite­ Börries von Münchhausen«, DRA 81 U 2448, ratur Jg. 39 (1936/37), S. 174- 175, hier S. 175. DRA-Nr. C 8032, Sendung »Hören und Behal­ ten«, 45. Folge vom 15.8.1944. 88 Die »Mitteilungen der Werbestelle« wurden ab Ende 1934 einmal pro Woche auf den Umschlag­ 75 Vgl. »Der Erste Weltkrieg in dichterischer Gestal­ seiten des >Börsenblattes< abgedruckt. Sie ver­ tung. 1. Sendung«, DRA 81 U 2458, DRA-Nr. C zeichneten literarische Beiträge und Buchsen­ 8210, Sendung »Zum Hören und Behalten«, dungen, die von den einzelnen Reichssendern 61 . Folge vom 2.9.1944 sowie »Der Erste Welt­ gebracht werden sollten. Vgl. zum Beispiel: krieg in dichterischer Gestaltung. 2. Sendung«, »Rundfunksendung und Dienst am deutschen DRA 81 U 2458, DRA-Nr. C 8211, Sendung »Zum Buch. Bericht für die Woche vom 5. bis 11. Hören und Behalten«, 62. Folge vom 4.9.1944. Mai 1935.«, S. 354- 356. 76 Vgl. Ludwig Rohner: Kalendergeschichte und Ka­ 89 Josef Mahlberg: Der Rundfunk - Führer zum gu­ lender. Wiesbaden 1978, S. 170f. sowie Willi ten deutschen Buch. ln: Der Rundfunk Jg. 1 Kwecksilber: Literarische Stunden in der Reihe Bischof: Zwischen Medienverbund und Medienkonkurrenz 119

(1937), S. 136- 139, hier S. 136. Josef Mahlberg stelle.« ln: Bbl Jg. 102 (1935), Umschlag zu Nr. war als »Sachbearbeiter« beim Reichssender 33. Der Deutschlandsender hatte einen Beitrag Köln tätig (ebd. S. 136). Auswirkungen von mit »Dichtung der Nordsee« auf dem Programm Rundfunksendungen auf den Leihverkehr oder die (ebd.). Auch Eckert war für eine Betonung des Beschaffung in öffentlichen Bibliotheken werden regionalen Charakters der Sendungen, die die in der vorliegenden Arbeit nicht untersucht, ob­ Reichssender gestalten sollten, so ders.: Der wohl sie einen wichtigen Bereich der Rezeption Rundfunk als Führungsmittel (wie Anm. 38), S. ausmachen. 170. 90 Vgl. Haß: Bücherstunden (wie Anm. 30), S. 525. 103Günter Wißmann war »in der Reichssendeleitung Zu beachten ist, daß dieser Zählung nicht die tat­ für Schrifttum und Weltanschauung zuständig« sächlich gesendeten Programme zugrunde lagen, und wurde 1936 zusätzlich Mitglied der Parteiamt­ sondern lediglich Mitteilungen an die Redaktion lichen Prüfungskommission (PPK), so Wessels: des Börsenblattes. Abweichungen sind bei dieser Hörspiele im Dritten Reich (wie Anm. 5), S. 32f., Basis denkbar. vgl. auch S. 97. 91 Vgl. Mahlberg: Der Rundfunk (wie Anm. 89), S. 104BAK R 78/2300. 136. 105Vgl. »Rundfunksendung und Dienst am deutschen 92 Vgl. Eckert: Rundfunk (wie Anm. 22), S. 635. Buch. Bericht für die Woche vom 5. bis 11 . Mai 1935.«, s. 354. 93 Vgl. Fischer: Buchbesprechung (wie Anm. 26), S. 425f. sowie Schiller I Kutsch: Literatur (wie Anm. 106Vgl. ebd. S. 355 sowie »Buchfunk im Deutschen 1), s. 106. Kurzwellensender.«, S. 1012, siehe auch BAK R 2/ 4926, Bl.1 07. 94 Werner Reher: Erziehung zum Buch. ln: Bbl Jg. 100 (1933), S. 559 - 560, hier S. 560. 107 Altred Haß: Das Schrifttum im Rundfunk. ln: Bbl Jg. 103 (1936), S. 712 - 713, hier S. 712. 95 Vgl. Werner Müller: Beobachtungen zum Buch­ funk. ln: Rufer und Hörer Jg. 2 (1932/33), S. 511 - 108Ebd., S. 713. 514, dort S. 512f. 109Müller: Beobachtungen (wie Anm. 95), S. 512. 96 »Rundfunksendung und Dienst am deutschen 110 Hier wurden literarische Zeitschriften wie »Die Buch. Bericht für die Woche vom 5. bis Weltbühne«, »Die Neue Rundschau«, »Das Ta­ 11 . Mai 1935.«, S. 355. gebuch« und »Die literarische Welt« von ihren 97 Mahlberg: Der Rundfunk (wie Anm. 89), S. 136. Chefredakteuren oder Verlegern vorgestellt, so Lindemann: Literatur (wie Anm. 5), Bd. 1, S. 226f.. 98 Fischer: Buchbesprechung (wie Anm. 26), S. 426. Die Sendereihe lief wöchentlich im Abendpro­ 99 Helmut Paustian: Gedanken zum Buchfunk. ln: gramm und dauerte jeweils eine halbe Stunde, Rufer und Hörer Jg. 4 (1934), S. 313-317, hier S. ebd., Bd. 2, S. 176-178. 317. 111 Fischer: Buchbesprechung (wie Anm. 26), S. 427, 100Fischer: Buchbesprechung (wie Anm. 26), S. 426; vgl. auch Eckert: Was kann der Rundfunk (wie siehe auch Dahm: Die nationalsozialistische Anm. 22), S. 523. Schrifttumspolitik (wie Anm . 62) , S. 72. 112vgl. u. a. Gerd Eckert: Nicht nur Buchbespre­ 101 Paustian: Gedanken zum Buchfunk, S. 314 (wie chung- Buchförderung! ln: Bbl Jg. 103 (1936), S. Anm. 99). Mit »wertvoll« bezeichnete Paustian 633 sowie Müller: Beobachtungen zum Buchfunk Bücher, die »staatlichen und völkischen Belan­ (wie Anm. 95), S. 513 sowie Fischer: Buchbe­ gen« gerecht werden, ebd., S. 315. sprechung (wie Anm. 26), S. 426. Diese Formen der Darbietung wäre spätestens nach 1936 nicht 102Ebd., S. 314. Am Reichssender Köln lief bei­ mehr möglich gewesen, da unterschiedliche Auf­ spielsweise im Februar 1935 die Sendung »Welt fassungen zu einem Buch nicht öffentlich ausge­ im Buch: Bauerntum in Roman und Erzählung« sprochen werden durften. Schon zur Weimarer (»Mitteilungen der Werbestelle.« ln: Bbl Jg. 102 Zeit stand man Sendungen mit spontaner Rede (1935), Umschlag zu Nr. 27). Der Reichssender kritisch gegenüber, weil sie sich der auch damals Harnburg hatte eine wöchentliche Sendereihe üblichen Kontrolle entzogen hätten, so Schneider »Bücher für Landwirte« (»Mitteilungen der Wer­ (Hrsg.): Radio-Kultur (wie Anm . 5), S. 202f., 216- bestelle.« ln: Bbl Jg. 102 (1935), Umschlag zu Nr. 218. 27, 33, 39, 45, 51 , 57). Manche Sendungen be­ schäftigten sich auch mit Publikationen über die 113Vgl. Fischer: Buchbesprechung (wie Anm. 26), S. regionale Kultur, wie zum Beispiel jene am 425. Ein anderer Autor rechnete mit drei bis vier Reichssender Breslau, in der die »Schlesischen Büchern in einer Sendung von der Dauer einer Monatshefte. Blätter für nationalsozialistischen Viertelstunde. Vgl. Mittler (wie Anm. 32), BI. 5. Bei Kultur des deutschen Südostens« vorgestellt wur­ der Funk-Stunde Berlin beispielsweise dauerte den (»Mitteilungen der Werbestelle.« ln: Bbl Jg. die Sendung »Stunde für Bücher« 1926 noch 102 (1935), Umschlag zu Nr. 27. ln Harnburg 75 Minuten, 1927-1931 blieb sie bei einer halben sendete man »Niederdeutsches Volkstum im Stunde, so Lindemann: Literatur (wie Anm. 5), Bd. Spiegel der Dichtung« (»Mitteilungen der Werbe- 3, s. 60f., s. 228. 120 Rundfunk und Geschichte 24 (1998)

114Vgl. Eckert: Das Buch im Rundfunk (wie Anm. 131 Otto Henning: Schrifttumspflege und Vortragswe­ 87), S. 175 sowie unter anderem »Mitteilungen sen. ln: Bbl Jg. 104 (1937), S. 565 - 566, hier S. der Werbestelle.« ln: Bbl Jg. 102 (1935), Um­ 565. schlag zu Nr. 9. 132Wittenbrink: Zeitgenössische Schrittstteller im 115Vgl. Eckert: Nicht nur Buchbesprechung (wie Rundfunk. ln: Leonhard (Hrsg.): Programmge­ Anm. 112), S. 633 sowie Mahlberg: Der Rund­ schichte (wie Anm. 2), Bd. 2, S. 1098- 1195, hier funk (wie Anm . 89), S. 138. S. 1106. 116Vgl. Eckert: Nicht nur Buchbesprechung (wie 133ungerer: Fördert (wie Anm. 31), S. 154. Anm. 112), S. 633. 134Vgl. ebd., S. 154 sowie SchilleriKutsch: Literatur 117Eckert: Das Buch (wie Anm. 87), S. 175. Hier ging (wie Anm. 1), S. 94 sowie Gaupp: Die Dichter­ Eckerts Mahnung in dieselbe Richtung wie die stunde (wie Anm. 34), S. 144. von Goebbels festgestellte »Eintönigkeit und Lan­ 13Swessels: Hörspiele (wie Anm. 5), S. 51 sowie geweile« in der deutschen Presse. Vgl. auch Frei Schiller I Kutsch: Literatur (wie Anm. 1), S. 99. I Schmitz: Journalismus (wie Anm. 37), S. 45. Nach dem Verbot der Kunstkritik trugen wohl auch 136Lindemann: Literatur (wie Anm. 5), Bd. 1, S. 207. >Buchwürdigungen< im Rundfunk diese Charak­ Eine Teilnahme an dieser Sendung machte die terzüge, so daß auch Eckert die Redakteure wie Rundfunkarbeit für viele Autoren attraktiv, zumal Goebbels die Journalisten für interessantere Bei­ der Berliner Sender vergleichsweise hohe Hono­ träge verantwortlich machte. rare zahlte, so Ernst Fischer: Der »Schutzverband deutscher Schriftsteller« (1909 - 1938): ln: Archiv 11Bvgl. »Bericht zur innenpolitischen Lage, II. Kultu­ für Geschichte des Buchwesens Bd. XXI (1980); relle Gebiete, Nr. 47 vom 31 . Januar 1940.« ln: Sp. 1 - 666, dort Sp. 468). Boberach (Hrsg.): Meldungen (wie Anm. 66), S. 38 sowie Eckert: Nicht nur Buchbesprechung (wie 137Vgl. beispielsweise »Mitteilungen der Werbestel­ Anm. 112), S. 633 sowie ders.: Was kann der le.« ln: Bbl Jg. 102 (1935), Umschlag zu Nr. 51 . Rundfunk (wie Anm. 22), S. 523 und Mittler (wie Anm. 32), BI. 5. 13Bvgl. »Mitteilungen der Werbestelle.« ln: Bbl Jg. 102 (1935), Umschlag zu Nr. 27. Hellmuth Lan­ 119vgl. Eckert: Der Rundfunk (wie Anm. 85), S. 197. genbucher war damals Hauptschriftleiter des Bör• Der Rücklauf und damit die Summe der ausge­ senblattes und in der Redaktion Bearbeiter aller werteten Antworten wurde mit 15 338 Karten be­ kulturpolitischen Fragen. Im Börsenverein war er ziffert. als Geschäftsführer des »Fachvereins der Deut­ schen Leihbüchereien« und bis Ende 1934 als 120Haß: Das Schrifttum (wie Anm . 107), S. 712-713. Leiter der Zweigstelle Berlin tätig. Vgl. Bbl Jg. 100 121 Ebd., S. 713. (1933), S. 763. 122vgl. BAK R 2/4926, Bl.107 sowie Eckert: Der 139vgl. »Mitteilungen der Werbestelle.« ln: Bbl Jg. Rundfunk führt zum Buch (wie Anm . 85), S. 198. 102 (1935), Umschlag zu Nr. 27. 123Ebd., S. 198. Paul Ernst (1866 - 1933) zeigte in 140Vgl. Bbl Jg. 100 (1933), S. 223. seinem Versdrama »Preußengeist«, das 1915 ur­ 141 Bbl Jg. 100 (1933), S. 777. Mit »Kaiserbuch« war aufgeführt wurde, die Tendenz »eines unverant­ Ernsts Drama »Preußengeist« gemeint, das auf wortlichen Nationalismus. Mit seinen zentralen einer Begebenheit aus der Jugend Friedrichs des Motiven wie »Pflichterfüllung«, »Soldatenehre« Großen basiert (vgl. [Beitrag über] Paul Ernst. ln: und »Gehorsam« paßte es in die nationalsoziali­ Walter Jens (Hrsg.): Kindlers neues Literatur­ stische Gedankenwelt (vgl. [Beitrag über] Paul Lexikon. München 1988, Bd. 5, S. 261 - 264, hier Ernst. ln: Walter Jens (Hrsg.): Kindlers neues Lite­ S. 263). ratur-Lexikon. München 1988, Bd. 5, S. 261 - 264, hier S. 262f.). 142Vgl. Bbl Jg. 100 (1933), S. 900 sowie Bbl Jg. 102 (1935), 287. 124Eckert: Der Rundfunk (wie Anm. 85), S. 198. s. 143Ebd., S. 63. 125Gaupp: Die Dichterstunde (wie Anm. 34), S. 142, 143. Siehe auch »Mitteilungen der Werbe­ 144Vgl. »Rundfunksendung und Dienst am deutschen stelle.« ln: Bbl Jg. 102 (1935), Umschlag zu Nr. Buch.« ln: Bbl Jg. 102 (1935), S. 354, 356. 51 . 145»Rundfunksendung und Dienst am deutschen 126Eckert: Die Dichter (wie Anm. 79), S. 120. Buch.« ln: Ebd., S. 411ft., hier S. 412. 127ungerer: Fördert (wie Anm. 31), S. 153. 146Giaser: Mehr Gemeinsamkeit (wie Anm. 11), S. 128Hans Pradel: Rundfunk und epische Dichtung. ln: 1008. Rufer und Hörer Jg. 3 (1933), S. 474-478. 147Vgl. Ebd., S. 1008f. Es konnte nicht ermittelt wer­ den, ob Buchhandlungen zur damaligen Zeit 129Eckert: Rundfunk (wie Anm. 22), S. 635. sonntags geöffnet waren. Wenn nicht waren die 130Rudolf Paulsen: Rundfunk und lyrische Dichtung. anwesenden Kunden wohl eher eingeladene und ln: Der Rundfunk Jg. 1 (1937/38), S. 18ft., hier S. verläßliche lnterviewpartner. Spontane Äußerun• 20. gen bargen eine Gefahr für das Regime. Bischof: Zwischen Medienverbund und Medienkonkurrenz 121

148Kiaus Köster: Rundfunk und Buch. ln: Bbl Jg. 100 (1933), S. 733-734, hier S. 733. 149Ebd. S. 734. 150Vgl. BAK R 56 Vl81, Bl.258- 265. 151 Gerhard Hay: Rundfunk in der Dichtung der 20er und 30er Jahre. ln: Wilfried B. Lerg I Rolf Steinin­ ger (Hrsg.): Rundfunk und Politik 1923 - 1975. Berlin 1975, S. 119 - 133, hier S. 128. 152Joseph Goebbels: National-Sozialistischer Rund­ funk. München 1935, S. 15. 153Goebbels (1942) zit. nach Hans Dieter Schäfer: Bücherverbrennung, staatsfreie Sphäre und Scheinkultur. ln: Horst Denkler u. Eberhard Läm- · mert (Hrsg.): »Das war ein Vorspiel nur... «. Berlin 1985, S. 110-126, hierS. 115. 154 Eckert: Der Rundfunk (wie Anm. 38) , S. 171. 155Vgl. Schäfer: Bücherverbrennung (wie Anm. 153), S. 110f. 156Eckert: Der Rundfunk (wie Anm. 38), S. 173. 157 Karl Riha: Massenliteratur im Dritten Reich. ln: Horst Denkler I Karl Prümm (Hrsg.): Die deutsche Literatur im Dritten Reich. Stuttgart 1976, S. 281 - 304, hier S. 281. 158Hermann Stresau zit. nach Schäfer: Bücherver- brennung (wie Anm . 153), S. 116. 159saxer: Das Buch (wie Anm. 19), S. 217, 237. 160Ebd., S. 238. 161Vgl. BAK R 56 Vl17, Bl.132. 162Vgl. Schäfer: Bücherverbrennung (wie Anm . 153), S. 115, 117. 163Hay: Rundfunk (wie Anm. 20), S. 379. 164Vgl. ebd., S. 379. 16Ssaxer: Das Buch (wie Anm . 19), S. 209. 166Heiner Boehncke: Leseförderung durch das Ra- dio? [Vortrag gehalten am 18.6.1996, Johannes Gutenberg-Universität Mainz]. 167Ebd. 168Vgl. Hans Dieter Schäfer: Das gespaltene Be­ wußtsein. München/Wien 1982, S. 22. 169Vgl. BAK R 56 Vl17, Bl.132. 170Die Eigenschaft des Rundfunks, in der damaligen Zeit eine Art Reservat für alte Werke der Dichtung und auch der Musik zu sein, erkannte auch Ri­ chard Kolb: Der Rundfunk, Vermittler der alten und Schöpfer einer neuen Kultur. ln: Richard Kolb und Heinrich Siekmeier (Hrsg.): Rundfunk und Film im Dienste nationaler Kultur. Düsseldorf [1933], S. 60-76, hier S. 62. 171 Wittmann: Geschichte des deutschen Buchhan­ dels. München 1991 , S. 365 sowie Saxer: Das Buch (wie Anm. 19), S. 233. Konrad Dussel

Der DDR-Rundfunk und seine Hörer Ansätze zur Rezeptionsforschung in Ostdeutschland ( 1945-1965)*

Die DDR-Sender einschließlich des Deutschen Aufgrund dieser Gegebenheiten ist es sinn­ Dienstes von Radio Moskau seien äußerst unbe­ voll, nicht nur auf die frühen Bemühungen des liebt, und regelmäßig würden westdeutsche Sen­ DDR-Rundfunks, die Gewohnheiten und Interes­ der gehört, allen voran der deutsch-amerikani­ sen seiner Hörer kennenzulernen, einzugehen, sche RIAS: So etwa lassen sich die Behauptun­ sondern auch einen kurzen Blick auf die metho­ gen über die Radionutzung in Ostdeutschland delogischen Diskussionen in der Bundesrepublik zusammenfassen, die in den 50er Jahren in zu werfen, in denen die »Ouantifizierer« im Stile Westdeutschland kursierten.1 Mehr Wissen war Elisabeth Noelle-Neumanns keineswegs unan­ kaum vorhanden, und selbst beim Vorhandenen gefochten das Feld beherrschten. Besondere durften keine allzu großen methodelogischen Beachtung verdienen zwei Episoden der DDR­ Ansprüche hinsichtlich seiner Herkunft gestellt Hörerforschung, die trotz ihrer zeitlichen Be­ werden. Im großen und ganzen wählte man des­ grenztheit wichtige Informationen haben bereit­ halb im Westen den naheliegendsten Weg und stellen können: das sozialstatistische Intermezzo schwieg sich über die Gegebenheiten im Osten der »Wissenschaftlichen Abteilung zur Erfor­ einfach aus.2 Wie hätte man auch selbst zuver­ schung der Hörermeinung« 1956/57 und die fast lässig Daten in der DDR gewinnen sollen, oder schon einem qualitativen Paradigma folgenden wie wäre zumindest an die Daten der DDR her­ Bemühungen des Senders Radio DDR in den anzukommen gewesen? Jahren 1956 und 1964. Damit ist auch schon Fragen dieser Art leiten aber leicht in die Irre. das Ende des Untersuchungszeitraums erreicht, Sie unterstellen entweder, daß es in der DDR und es braucht nur noch kurz auf die neuen derartige Forschungsergebnisse gegeben habe, Weichenstellungen, die zu den 70er und 80er die nur geheimgehalten worden seien; oder - Jahren hinüberleiteten, eingegangen werden. falls dies wirklich nicht der Fall gewesen wäre -, Am Anfang aber müssen ein paar Bemerkun­ daß sie schon damals ohne weiteres hätten ge­ gen zur parteioffiziellen Programmatik stehen, wonnen werden können. Seide Annahmen sind denn wie vieles andere auch waren die ersten aber durchaus problematisch, denn sie verlän• Anläufe des DDR-Rundfunks zur Hörerforschung gern die Befunde späterer Zeiten, vor allem der nicht nur an Sachproblemen orientiert, sie waren 70er und 80er Jahre, unzulässig in die Vergan­ ebenso im Koordinatensystem der SED-Ideolo­ genheit. Erst seit Mitte der 60er Jahre wurde gie eingebunden. Neben der »Parteilichkeit« war auch in der DDR kontinuierlich und systematisch >Massenverbundenheit< für die Arbeiter-und­ repräsentativ-quantifizierende Hörer- (und Fern­ Bauern-Partei ein vielbeschworener Leitwert, an seher-)Forschung betrieben, deren Ergebnisse - dem sich auch die von ihr dirigierten Massen­ nicht zuletzt aufgrund ihrer Validität - als gehei­ medien auszurichten hatten. me Verschlußsache behandelt wurden.3 Heißt dies nun aber, daß in den beiden Jahr­ zehnten von 1945 bis 1965 keinerlei Informatio­ Widersprüchliche Leitwerte: nen über das Hörverhalten der DDR-Bürger ge­ >öffentliche Meinung< zwischen sammelt wurden und am Ende gar einer fak­ tengesättigten westdeutschen Rezeptionsge­ Parteilichkeit und schichte nur einige leere Blätter für den Osten >Massenverbundenheit< angehängt werden könnten? Wer eine solche Schwarz-Weiß-Sicht kultivierte, würde die Mög• Es dauerte verhältnismäßig lange, bis in der lichkeiten, aber auch die Grenzen des Gegebe­ Sowjetunion in Auseinandersetzung mit westli­ nen völlig verkennen - im Osten wie im Westen. chen Forschungsergebnissen eine einigermaßen Denn hier wie dort bestand immer seitens des in sich geschlossene Theorie der öffentlichen Rundfunks ein gewisses (allerdings nie zu über• Meinung und aller damit zusammenhängenden schätzendes) Interesse an Wissen über das Hö• Probleme erarbeitet worden war. Obwohl Alex­ rerverhalten, und hier wie dort bedurfte es eines ander Konstantinowitsch Uledows Monographie längeren Diskussionsprozesses, bis sich im russischen Original 1963 erschien, als man schließlich jene Formen quantifizierender Rezi­ sich in der DDR endgültig dafür entschied, west­ pientenforschung als allein maßgebend durch­ liche Methoden der Sozialforschung zu über• gesetzt hatten, die bis heute vorherrschend sind. nehmen (worauf später noch näher einzugehen ist}, war sie jedoch alles andere als vorauswei- Dussel: Der DDR-Rundfunk und seine Hörer 123 send. Weil sie vielmehr einen Überblick Ober das weil ihr doch schon von Lenin große Bedeutung Zurückliegende bot, kann sie gut als Einstieg in zugemessen worden war.10 die BescMftigung mit den ideologischen Gege­ Die angesprochenen praktischen Probleme benheiten der 50er Jahre genutzt werden.4 der Verbindung von Massen und Medien waren Uledow wies den Begriff der öffentlichen Mei­ in der ostdeutschen Medienpolitik unter dem nung nicht etwa zurück, um dagegen den Primat Stichwort >Massenverbundenheit< thematisiert kommunistischer Ideologie zu setzen, sondern worden . Das Stichwort wurde den Praktikern aus er verband beide zu einer derart kunstvollen Presse und Rundfunk vor allem auf den beiden Einheit, daß er am Ende daraus so frappierende Konferenzen der SED in den Jahren 1950 und Schlüsse ziehen konnte, daß vorhandene Inkon­ 1951 vorgegeben, auf deren Tagesordnung die sequenzen kaum noch ins Auge sprangen. Sei­ Proklamation einer »Presse neuen Typs« stand. ner Definition gemäß war >öffentliche Meinung< Die daraus folgende Aufgabe, das Gemeinte zu das »einmütige Urteil des Volkes zu Fragen des konkretisieren, wurde dem im Januar 1951 ge­ gesellschaftlichen Lebens, die die allgemeinen gründeten Institut für Publizistik und Zeitungs­ Interessen berühren und eine praktische Lösung wissenschaft an der philosophischen Fakultät fordern.«5 Eingedenk marxistischer Welt- und der Universität Leipzig (seit September 1954: Geschichtserkenntnisaxiome konnte »Volk« da­ Fakultät für Journalistik an der Kari-Marx­ hingehend spezifiziert werden, daß als »Träger Universität) übertragen. Dort wurde zunächst der öffentlichen Meinung die Klassen der Gesell­ einmal das Naheliegende ausgeschlossen: schaft« zu betrachten seien, »deren spezifische >Massenverbundenheit< bedeute nicht, »den Interessen mit den gesellschaftlichen Interessen Massen nach dem Munde« zu reden und »sich übereinstimmen, die Klassen also, die am ge­ auf noch vorhandene rückschrittliche Stimmun­ sellschaftlichen Fortschritt interessiert sind.«6 Da gen und Anschauungen« hin zu orientieren. An die »Grundanliegen aller Werktätigen«, die »mit erster Stelle habe statt dessen die bewußte Füh• der objektiven Entwicklungsrichtung des histori­ rung der Massen durch die Partei zu stehen.11 schen Prozesses zusammenfallen«, nach Ule­ Um aber ein wirkungsvolles »Instrument der dow ihren adäquaten Ausdruck in der marxi­ Verbindung der Partei zu den werktätigen Mas­ stisch-leninistischen Ideologie fanden, galt der sen« sein zu können, brauchte die Presse Schluß, daß »die marxistisch-leninistische Ideo­ »selbst eine enge Verbindung mit den Mas­ logie in der sozialistischen Gesellschaft die sen.«12 Neben dem Ausbau der Volkskorre­ ldeenwelt ist, von der das Volk Oberzeugt ist.«7 spondentenbewegung, der Förderung einer Art Nachdem auf diese Weise die grundsätzliche ehrenamtlicher freier Mitarbeiter, war deshalb Perspektive festgelegt war, konnte sich Uledow vor allem viel Gewicht auf die Bearbeitung der Spezialproblemen zuwenden wie etwa den »Me­ Leserbriefe zu legen. thoden der Meinungsforschung«, indem er auf Der Zwiespalt war von Anfang an offenkun­ einen spezifischen Vorteil verwies: »ln einer so­ dig: Auf der einen Seite wurde größter Wert auf zialistischen Gesellschaft( .. .) läßt sich die wirkli­ die »Parteilichkeit« der Medien gelegt (in der che Volksmeinung aus ihren Äußerungen in der Regel war von der Presse die Rede und nur in Presse, im Rundfunk und Fernsehen ( ... ) er­ irgendeinem Halbsatz auch der Rundfunk ein­ schließen, weil alle diese Mittel, die früher den bezogen), auf der anderen Seite aber sollte doch Ausbeuterklassen dienten, hier dem Volke selbst den Bedürfnissen und Interessen, sowie schließ• zur Verfügung stehen.«s Die vollständige Har­ lich auch der Kritik der Massen Rechnung getra­ monie zwischen Ideologie und öffentlicher Mei­ gen werden. Daß sich daraus ein Widerspruch nung, zwischen Parteilehre und Volkes Stimme entwickeln, daß darin ein Problem liegen könne, wurde nur durch Unzulänglichkeiten der Praxis diese Möglichkeit war für die Parteispitze an­ getrübt, die zum Eingeständnis zwangen, daß scheinend gar nicht vorhanden. Vehement kriti­ »sich ein zutreffendes Urteil über die wahre sierten vor allem Walter Ulbricht und Hermann Volksmeinung nicht allein aus den Beiträgen in Axen, der Spezialist für Agitation, auf der zwei­ Presse, Rundfunk und Fernsehen gewinnen« ten Konferenz der SED zur Presseentwicklung läßt. 9 Als Alternativen wurden von Uledow vor im März 1951 die »Unterschätzung der Bearbei­ allem drei Methoden diskutiert: die »Befragungs­ tung der Leserbriefe« und forderten, daß mit den methode« (, die jedoch »nicht die Hauptmethode »ernsten Mängeln« in der Leserbriefarbeit »radi­ der soziologischen Forschung sein« könne), kal Schluß gemacht werden« mosse.13 »die Methode der das ganze Volk erfassenden Die scharfe Medienkritik durch die Parteispit­ Diskussion« sowie »die Methode, Zuschriften ze wurde jeweils sofort in ebenso heftige Selbst­ der Werktätigen an staatliche Institutionen, ge­ kritik transformiert. Hans Mahle, Ulbricht-Mitar­ sellschaftliche Organisationen, Zeitungen und beiter der ersten (Nachkriegs-)Stunde und Ge­ Zeitschriften usw. zu untersuchen«. Letztere be­ neralintendant des DDR-Rundfunks, bezichtigte saß vor allem dadurch eine Art höhere Weihe, denn auch seine Institution während der lnten- 124 Rundfunk und Geschichte 24 (1998) dantenkonferenz am 30. Januar 1951 -zwischen »Fast einhellig wurde mit mehr oder weniger höfli• den beiden ersten SED-Konferenzen - dreier chen oder unhöflichen Worten zum Ausdruck ge­ Hauptmängel: nicht nur der »mangelnden ideo­ bracht, wir brächten zuviel Wort, zu schweres Wort, wir brächten vor allem in den Stunden, in denen der logischen Klarheit vieler Mitarbeiter Ober die Hörer keine Wortsendungen mehr physisch aufzu­ Rolle des Rundfunks als machtvolles Instrument nehmen in der Lage wäre, viel zu viel Wort und viel der demokratischen Kräfte« in außen- wie in­ zu wenig leichte Musik. Die Fabrikarbeiter und auch nenpolitischer Hinsicht, sondern auch des »man­ die Angestellten - ich registriere hier nur, ohne zu gelnden Kontaktes( ... ) mit den Massen des Vol­ werten - wollen nach 20[.00] Uhr überwiegend Musik, kes« .14 Man hatte also gegen beide zentralen Unterhaltungsmusik hören und behaupten, sie seien Prinzipien verstoßen, das der Parteilichkeit und körperlich nicht mehr in der Lage, größere Wortkom­ das der >Massenverbundenheit<. plexe in sich aufzunehmen und sich ernsthaft und Die mangelnde ideologische Klarheit scheint gründlich mit politischen Problemen zu beschäfti• gen.« aber zumindest in puncto >Massenverbunden­ heit< bis in die Spitze des DDR-Rundfunks hinein Nachdrücklich machte Duchrow klar, daß es sich geherrscht zu haben, denn anders ist nicht zu dabei tatsächlich um die Stimme des werktätigen erklären, warum man sich zunächst einmal an Volkes handelte, denn die Umfrage war im Elek­ traditionell bOrgerliehe Methoden hielt und zur troapparatewerk Treptow, einem der größten Informationsbeschaffung Ober Hörerinteressen (Ost-)Berliner Industriebetriebe durchgeführt und Bedürfnisse auf verschiedene Formen der worden. Von den etwa 5 000 verteilten Fragebo­ Hörerbefragung zurückgriff. Damit hatte es je­ gen (Ober deren konkreten Inhalte keine Infor­ doch schnell ein Ende. Nach der zweiten Konfe­ mationen vorliegen) waren zwar nur etwa 1 000 renz Ober die Presse war klar, daß die Auswer­ zurückgekommen, aber Duchrow war sich si­ tung der Hörerpost im Zentrum einer dem Postu­ cher: lat der >Massenverbundenheit< unterworfenen »Die Zettel, die zurückgekommen sind, geben ein Hörerforschung zu stehen hatte. An Umfragen wirkliches Spiegelbild, und zwar um so mehr, als sie bestand einige Jahre hindurch kein Interesse nur unsere schon seit langem bei unseren Reporta­ mehr. gen in den Betrieben, unseren Gesprächen in Orga­ nisationen, Versammlungen usw. gemachten Erfah­ rungen bestätigen.« Erste Bemühungen zur Erforschung Über die zitierten Gesamturteile hinaus ermög• von Hörermeinungen ( 1950-1956) lichte die Befragung noch differenziertere Beob­ achtungen, denn neben allgemeinen Programm­ Über die Beurteilung der Qualitäten des DDR­ beurteilungen war auch nach konkreten Bewer­ Rundfunks durch die Bevölkerung brauchten tungen gefragt worden, nach Zensuren für ein­ sich die verantwortlichen Programmgestalter An­ zelne »politische Wortsendereihen«. Explizit the­ fang der 50er Jahre keinen Illusionen hinzuge­ matisierte Duchrow dabei die Diskrepanz zwi­ ben. Schon die ersten Umfrageergebnisse liefer­ schen Experten- und Hörermeinung, indem er ten mehr oder minder niederschmetternde Be­ herausstrich: funde und waren durchaus geeignet, etwaige »Und dabei gab es nun einige Überraschungen, Festtagsgefühle zu dämpfen, die im Kontext ih­ nämlich daß Sendereihen, die vielfach in Kollegen­ rer Präsentation wahrscheinlich vorhanden wa­ kreisen so leichthin abgetan werden, die man manch­ ren . Sie wurden nämlich vorgestellt, als am 11 . mal sogar nicht ganz voll nahm, und von denen man und 12. Mai 1950 eine große Tagung der Rund­ glaubt, daß sie in unserer Wechselbeziehung mit den funkverantwortlichen anläßlich des fünfjährigen Hörern keine große Rolle spielen, gerade eine sehr Bestehens des DDR-Rundfunks stattfand. große Rolle spielen. An der Spitze steht nämlich un­ Alfred Duchrow vom , wie sere Sendereihe >Kunterbunt am Morgen<. Diese Mahle einer der Männer der ersten Stunde, der Sendereihe ist eine ausgesprochene Gemischtsen­ dung und läuft morgens zwischen 6[.00] und 7[.00] unter anderem erster Sekretär der Betriebs­ Uhr. Sie hat nicht nur die beste Durchschnittszensur, parteiorganisation der KPD im Funkhaus an der nämlich 1,7 ( ... ), sondern sie hat auch die meisten Masurenallee gewesen war, nahm bei seinem Zensuren überhaupt. (. ..) Eine solche Sendereihe wie Referat kein Blatt vor den Mund. Zwar konnte er >Welt im Funk<, die gerade in der Kollegenschaft konstatieren, »daß die Booggi-Wooggi-Musik (!) meist außerordentlich gut bewertet worden ist, fällt fast einheitlich abgelehnt und das Musikpro­ verhältnismäßig weit ab, hat weit weniger als die gramm des Berliner Rundfunks einheitlich dem Hälfte der Gesamtzensuren zum Beispiel von >Kun­ des RIAS vorgezogen wird« , aber bei »unserem terbunt am Morgen< und >Stadtreporter und Pulss­ eigentlichen Anliegen«, dem politischen Wort, schlag< und auch eine schlechtere Durchschnittsno­ te.«15 sah es schlecht aus: Dussel: Der DDR-Rundfunk und seine Hörer 125

Nicht zuletzt erforderte das Problem der techni­ be neben Beruf und Alter auch Namens- und schen Empfangsmöglichkeiten einige Aufmerk­ genaue Wohnortangabe.18 samkeit. Duchrow mußte konstatieren: Es wim­ Der Rücklauf wurde nur sehr oberflächlich mele »von Klagen über schlechte Empfangs­ ausgewertet, jedenfalls soweit ein Zwischenbi­ bedingungen«, und dieses Ergebnis stand sogar lanz ziehender Bericht schließen laßt. Absolute ganz im Zentrum des Berichtes über eine andere Zahlen wurden darin überhaupt nicht genannt, Umfrageaktion, der ein halbes Jahr spater, am genauesten war noch die Angabe: »Der ebenfalls wahrend einer lntendantenkonferenz, größte Teil der Hörermeinungen kommt von im Januar 1951, vorgetragen wurde. Beim Lan­ Rentnern und Jugendlichen. Vorwiegend schrei­ dessender war man beunruhigt über ben mannliehe Personen. (Durchschnittlich 75% die geringe Leserbriefresonanz gewesen - im Zuschriften von mannlichen, ungefahr 25% von September 1950 waren es »täglich nicht mehr weiblichen Hörern).« Im übrigen wurde auf so­ als 2-3«. Zunächst wollte man deshalb einmal ziographische Zuordnungen völlig verzichtet und wissen, wie die Empfangbarkeit des Senders seitenlang Impression an Impression (»Die Wort­ ware, zudem konnten aber auch Vorschlage zur sendungen sollen kürzer gebracht werden. Meh­ Programmgestaltung gemacht werden. 432 000 rere Hörer betonen, daß die Reportagen oft zu Doppelpostkarten wurden an alle Hörer in Ost­ trocken und schlecht vorbereitet sind.«) ge­ sachsen versandt - nur 9 000 Karten kamen zu­ reiht.19 rück. Die Befunde waren trotzdem eindeutig. Dem auf der Intendantenkonferenz vorgetra­ Schon die Voraussetzungen für das Hören über• genden Fazit Mahles und seiner Forderung, haupt waren miserabel: »Von fast allen Hörern »dazu überzugehen, daß wir bei der zukünftigen [wurde] bemängelt, daß der Landessender Dres­ Befragung der Hörer konkreter sein müssen, [da den sehr schlecht empfangen werden kann .« wir] bisher ( ... ) zu allgemein gefragt und allge­ Und die Begeisterung über das Programm selbst meine Antworten bekommen« haben, ist deshalb hielt sich auch in engen Grenzen. Statt dessen nur zuzustimmen. Allerdings wurde dieser An­ überwogen Kritik und Forderungen, die schon satz nicht weiter verfolgt. Die Parteidoktrin setzte von Duchrow vorgetragen worden waren, andere Prioritaten: Im Sinne der ideologischen Forderung nach >Massenverbundenheit< sollte »daß mehr Sendungen unterhaltenden Charakters gefahren werden, mehr Humor, mehr bunte Sonntag­ die Hörermeinung mit anderen Mitteln erkundet nachmittagssendungen, mehr Kunterbunt am Vormit­ werden. Statt die Fragebogenaktionen fort­ tag, und es wird vorgeschlagen, daß die Kunterbunt­ zusetzen, wandte man sich verstarkt der Hörer• sendungen, eine der beliebtesten Sendungen des postauswertung und der neuen Form systema­ Landessenders, auch in die Abendstunden über• tisch betriebener Hörerversammlungen zu. nommen werden.«16 Beide Ansatze waren zwar schon 1950 ver­ Die Auswertung einer weiteren Umfrage des folgt worden,20 gewannen aber in den folgenden Berliner Rundfunks, über die Generalintendant Jahren zunehmend an Gewicht. Als im Herbst Mahle ebenfalls im Januar 1951 berichtete, kam 1952 die Rundfunkorganisation nach dem Vor­ inhaltlich zu ganz ahnliehen Ergebnissen: Volkes bild der Sowjetunion grundlegend umgestaltet Stimme, der Ruf nach mehr Unterhaltung im wurde,21 erhielt der Bericht über die eingegan­ Rundfunkprogramm, war nicht zu überhören.17 gene Hörerpost sogar einen festen Platz in den Dies konnte nicht schöngeredet werden - tagliehen »Kritiksitzungen«, in denen das Pro­ trotz erheblicher methodelogischer Unzulang­ gramm des vorangegangenen Tages und die lichkeiten. Praktisch war die Aktion namlich fol­ Reaktionen darauf durchgesprochen wurden. gendermaßen gelaufen: Die Fragebogen waren Allerdings war die Aussagekraft bei taglicher Hö• der Rundfunkzeitschrift beigelegt worden. Sie rerpostauswertung nicht zuletzt aufgrund extre­ sollten ausgefüllt einfach unfrankiert in den nach­ mer quantitativer Schwankungen sehr begrenzt. sten Briefkasten geworfen werden. Der Adressat Und selbst wenn - wie am 14. Oktober 1952 ~ war aufgedruckt: das Amt für Information, und einmal 593 Hörerbriefe gezahlt wurden, war es der Einführungstext ließ keinen Zweifel daran, doch für alle an Programmkritik Interessierte er­ wo dieses Amt angesiedelt war: bei »der Regie­ nüchternd zu sehen, daß 90 Prozent (537) da­ rung der Deutschen Demokratischen Republik«. von nur Zuschriften zur Aufbaulotterie und zu Abgefragt wurden mit sieben Fragen die Emp­ Preisfragen waren oder musikalische Glückwün• fangsverhältnisse, allgemeine Programmurteile sche artikulierten. Immerhin wurde schon kurz (»3. Welche Sendungen gefallen Ihnen und war­ nach Anlaufen der wichtigsten Neuerungen klar, um? 6. Was müßte Ihrer Meinung nach geandert daß alle ideologisch begründeten Profilierungs­ werden?«) und der Umgang mit der Rundfunk­ bemühungen daran scheiterten, »daß die Hörer zeitschrift. Anonymitat war dabei nicht vorgese­ die Programme I, II und 111 schlecht oder gar hen. Ausdrücklich verlangte die Absenderanga- nicht unterscheiden können.«22 126 Rundfunk und Geschichte 24 (1998)

Vom wachsenden Unmut in der Bevölkerung aktuell und lehrreich. Die Wortbeitrage sollen wahrend der ersten Halfte des Jahres 1953 blieb kurz sein, die Kochrezepte sind sorgfaltiger auf auch der Rundfunk nicht verschont. Erste Ver­ die Möglichkeiten im Haushalt der werktatigen suche, die Programmkritik unter anderem da­ Familien abzustimmen«) 9 124 Zuschriften ein­ durch zu kanalisieren, daß in der offiziellen (und gegangen, wahrend es beim Hörspiel nur 44, einzigen!) Rundfunkzeitschrift eine große Rubrik allerdings »ausschließlich positive Stellungnah­ »... und was sagt der Hörer?« eingerichtet wur­ men« waren. de,23 hatten zunachst einmal wenig Erfolg. Erst Seit FrOhjahr 1955 berichtete die Redaktion der Aufstand am 17. Juni 1953 führte zu tiefgrei­ Hörerverbindung nicht nur Ober die Auswertung fenderen Veranderungen - im allgemeinen, im der Hörerpost, sondern auch Ober die Hörerver• Rundfunkprogramm und in puncto »Hörerverbin• sammlungen. Diese Form der Kontaktaufnahme dung«. Die Parteispitze - das Zentralkomitee - zwischen Rundfunk und Hörern wurde allem An­ formulierte namlich im Juli als »die politische schein nach seit Sommer 1950 vom DDR­ Hauptaufgabe die Gewinnung der Oberwaltigen­ Rundfunk gepflegt. Zunachst war es nur darum den Mehrheit der Arbeiterklasse«, und Fred gegangen, Propaganda fOr den großen Wahltag Oelßner, als neuer fOr die Ag itation (und damit am 15. Oktober zu betreiben, an dem die Volks­ fOr Presse und Rundfunk) zustandiger Sekretar, vertretungen auf allen Ebenen anhand von Ein­ konkretisierte, daß die Bemühung um Leser- und heitslisten bestatigt werden sollten. Dann aber Hörerbriefe »die erste und große Sorge aller Re­ hatte man die Öffentlichkeitswirksamkeit derarti­ daktionen« bei Presse und Rundfunk sein mos­ ger Veranstaltungen erkannt, zu mal wenn sie mit se.24 einem gewissen Unterhaltungsangebot von sei­ Eine solche Forderung scheint nach lnstitu­ ten des Rundfunks erganzt wurden. Von Juni tionalisierung und Formalisierung verlangt zu 1950 bis Januar 1951 wurden allein vom Mittel­ haben. Im Rundfunk wurden erstmals am 11 . deutschen Rundfunk 88 Hörerversammlungen Dezember 1953 und dann monatlich folgend veranstaltet. 27 umfangreiche Berichte Ober die eingegangene Schon bald ging man dazu Ober, auch die Hörerpost vorgelegt. Grundsatzlieh waren diese Hörerversammlungen nach Plan zu organisieren Berichte dreigeteilt: nach einem allgemein stati­ und nichts dem Zufall zu überlassen. Im Novem­ stischen Teil folgten qualitative Beschreibungen ber 1953 etwa sollten zwölf Versammlungen und schließlich ein Überblick Ober die berichte­ stattfinden, darunter am Dienstag, dem 10. No­ ten Empfangsstörungen. vember: »Hörerversammlung mit ca. 150 Perso­ Im Februar 1954 wurden beispielsweise nen in einem Aufklarungslokal der Nationalen 30 751 Zuschriften von der Redaktion Hörer• Front in Erfurt.«28 verbindung ausgewertet. Reaktionen, die nicht Daß auf diese Weise kaum ernstzunehmende aus der DDR stammten, waren dabei mit der Lu­ Stellungnahmen zum Rundfunkprogramm zu­ pe zu suchen. Gerade einmal 84 Zuschriften wa­ standekommen konnten, wurde anscheinend ren aus Westdeutschland, Westberlin und dem selbst den Verantwortlichen im (Ost-)Berliner Ausland eingetroffen. Auch die »zahlenmaßige Funkhaus schnell klar. Um die zentralen Defizite Gliederung der Fragen, zu denen die Hörer abzubauen, beschritt man vor allem drei Wege: Stellung nahmen«, bot eindeutige Ergebnisse: Zum einen versuchte man den Teilnehmerkreis 15 171 Zuschriften galten der Schlagerlotterie, insofern zu strukturieren, daß entweder nur eine 4 418 anderen Preisfragen und 8 371 Musik- und bestimmte Hörerschicht eingeladen wurde oder - Hörerwonschen. Das waren 91 Prozent aller Hö• wesentlich schwieriger - ein möglichst reprasen­ rerzuschriften. Bei den zentralen politischen Fra­ tativer Querschnitt durch die Bevölkerung. Zum gen sah es bei den Zuschriften ganz anders aus: anderen kam man davon ab, ohne irgendwelche thematische Vorgaben zu tagen. Statt dessen Kampff{ür] Einh[eit] u[nd] Frieden DDR 17 wurden vorab »bestimmte Abhörvorschlage von II II II wo u[nd] ws25 12 Friedenskampf der SU u. vo26 17 Sendungen durch Plakatanschlag, Ober Funkzei­ Fragen über die SU tung, Betriebsfunk usw. gegeben, damit die Be­ sucher im voraus wissen, welche Sendungen, Daran anschließend wurde auf acht Seiten refe­ bzw. welche Probleme besprochen und nicht nur riert, was in den Zuschriften »im wesentlichen« allgemeine Programmdiskussionen geführt wer­ zum Ausdruck gekommen sei, ohne daß Zu­ den.«29 Und schließlich wurden auch noch Ban­ sammenhange zum statistischen Teil hergestellt der mit Sendungsmitschnitten abgespielt, was worden waren. Dabei mußte die Qualitat des »immer wieder« zu der Beobachtung führte, Berichteten ganz unterschiedlich beschaffen »daß die Besucher teilweise erstaunt sind, wel­ sein. Denn immerhin waren etwa zur Reihe che interessanten und guten Wortsendungen wir »Kunterbunt am Vormittag« (»Die Hörer finden in unserem Programm haben.«30 diese Sendereihe ansprechend, unterhaltend, Dussel: Der DDR-Rundfunk und seine HOrer 127

Die Auswertung dieser Veranstaltungen - noch 290, weniger als 20 Prozent, unbearbeitet 1957 sollen es 156 mit »Ca. 20 275 Besuchern« geblieben seien. 36 gewesen sein31 - blieb zumeist völlig deskriptiv­ Mangelndes Interesse mußte auch bei der oberflachlich, da in den abschließenden Proto­ Auswertung der Hörerversammlungen beklagt kollen nur sehr summarisch spezifische Positio­ werden: nen erarbeitet wurden und ansonsten Statement »Die Mitschnitte der Höreraussprachen, die im Zwi­ auf Statement folgte. 32 Nur selten wurde ver­ schenarchiv lagern, wurden bis jetzt fast gar nicht von sucht, darüberhinausgehende Zusammenfas­ den Redaktionen, trotz wiederheiter Hinweise, abge­ sungen zu formulieren wie etwa zu dem Kom­ hört und auch sendemäßig nicht ausgenutzt. Auf die plex »Einführung des Sommerprogramms« Zustellung der Protokolle an die verantwortlichen Re­ 1956.33 Allerdings überwogen auch in diesem dakteure gibt es fast gar keine Hinweise oder neue Fall die kaum eindeutig zu interpretierenden Aufgabenstellungen für zukünftige Aussprachen.«37 Aussagen: »Einstimmig ein Ja« sei als Antwort Der Hörerforschung fehlte also der Rückhalt in auf die Frage gegeben worden, ob »sich das der eigenen Institution, und valide Daten waren Programm des Rundfunks in der letzten Zeit ge­ auf die geschilderte Weise schwerlich zu be­ bessert« habe, und weiter: »Unser Musikpro­ kommen. Allerdings: Sah es zu dieser Zeit beim gramm hat sich nach den Aussagen der Hörer Rundfunk in Westdeutschland so ganz anders gebessert. Der Wunsch nach leichter Musik aus? (Lincke, Kollo, Operetten) in der Morgen- Mit­ tags- und 17.00-19.00 Uhr-Zeit ist immer noch vorhanden.« Exkurs: Hörerforschung in der Von der großen Bedeutung, die in ideologi­ schen Verlautbarungen dem Thema >Massen­ Bundesrepublik der 50er Jahre verbundenheit< zugemessen wurde, konnte die empirische Hörerforschung in der DDR während Angesichts der nachweisbaren relativen Bedeu­ der frühen 50er Jahre kaum profitieren. Sie tungslosigkeit des Themas Hörerforschung mußte sich darauf beschränken, Leserbriefe selbst für die Programmgestalter könnte es als auszuwerten und Hörerversammlungen zu ver­ übertrieben gelten, von einem Paradigmenstreit anstalten. War auf diese Weise schon einmal ih­ in der westdeutschen Hörerforschung der frühen re Leistungsfahigkeit erheblich begrenzt, so 50er Jahre zu sprechen. Doch unter den weni­ kommt noch hinzu, daß die Programmacher die gen der an dieser durchaus vehement geführten Ergebnisse (wie ihre Arbeit überhaupt) kaum be­ Auseinandersetzung Beteiligten ging es tatsach­ achteten. >Massenverbundenheit< war ein publi­ lich um zentrale Prinzipien. Den Verfechtern zistischer Leitwert, an dem sich die Praktiker nur empirischer und quantifizierender Hörerfor• begrenzt orientierten. Die diesbezüglichen Kla­ schung, unter denen Elisabeth Noelle-Neumann gen aus der Redaktion Hörerverbindung sind eine zentrale Position einnahm, wurde der Weg Legion. Bericht um Bericht zeigte das gleiche in eine »Sackgasse« vorgeworfen, an deren En­ Bild wie das vom 15. März 1954: 306 Hörerbriefe de nur die »Hörerdiktatur« würde stehen kön• hatte die Redaktion Hörerverbindung ab 21. Ja­ nen.38 nuar an andere Redaktionen und Abteilungen Zunachst einmal schien die Position der Em­ weitergeleitet. Bis zum 6. März waren davon ge­ piriker aber gar nicht so schlecht zu sein. Schon rade einmal 48 beantwortet worden, 258 (= 85 unter nationalsozialistischer Herrschaft hatten Prozent) wurden unter der Rubrik »unerledigt« sie damit begonnen, Methoden und Ergebnisse verbucht.34 Im Juli sah sich die Rundfunkleitung der verhaltnismaßig weit entwickelten amerikani­ genötigt einzugreifen. Sie beschloß, alle Redak­ schen Meinungsforschung wissenschaftlich zu teure zur Teilnahme an einem Seminar zum studieren und einer gewissen Fachöffentlichkeit Thema: »Die Festigung und Starkung der Ver­ vorzustellen. 39 Nach Kriegsende konnte dies 4 bindung mit den Massen als wichtige Vorausset­ nicht nur bruchlos fortgesetzt, 0 sondern auch zung für eine bessere und wirksamere Funkar­ durch Anschauungsunterricht im eigenen Land 4 beit« zu verpflichten. Außerdem sollte alle Post erganzt werden. 1 Zudem war es da und dort an zukünftig innerhalb von drei Wochen beantwortet den westdeutschen Rundfunkstationen möglich, sein und eine engere Zusammenarbeit zwischen die Theorie durch praktische Arbeit zu erganzen. den Redaktionen und der Redaktion Hörerver• Schwerpunkte bildeten sich zunachst einmal bindung erfolgen.35 Ob das Seminar stattfand beim Nordwestdeutschen Rundfunk (NWDR) in konnte nicht ermittelt werden, aber immerhi~ Harnburg und beim Süddeutschen Rundfunk verbesserte sich die Quote der beantworteten (SDR) in Stuttgart.42 Hörerbriefe langfristig ganz erheblich. Im April Die Stuttgarter Bemühungen verdienen im 1956 kam man jedenfalls zum Ergebnis, daß von Rückblick besondere Beachtung, weil sie von 1 505 im Februar eingegangenen Briefen nur Anfang an und über Jahrzehnte hin mit erstaun- 128 Rundfunk und Geschichte 24 (1998) licher Konsequenz verfolgt wurden. Es erwies wortliehen in Stuttgart waren derart von der Ver­ sich als besonderer Glücksfall, daß der seit 1949 bindlichkeit ihres Programmauftrags überzeugt, amtierende Intendant Fritz Eberhard nicht nur daß sie nicht zu den Inhalten ihres Programms, über praktische Erfahrungen mit dem angel­ sondern nur zu Äußerlichkeiten seiner Prasenta­ sachsischen Rundfunk und der dortigen Hörer• tion den Rat der Meinungsforscher einzuholen forschung verfügte, sondern durch die Entschei­ bereit waren. Letztlich ging es ihnen nur darum, dung für die Zusammenarbeit mit Elisabeth Noel­ durch die Hörerforschung zu erfahren, wie die le-Neumann und ihrem Institut für Demoskopie in vorab geplanten Programmschwerpunkte am Allensbach auch die Basis für fruchtbares For­ besten den Hörern zu vermitteln seien. Und die­ schen legte. Schon die ersten Ergebnisse waren sem Ansatz konnten sich auch die die Gelder für in der Lage, liebgewordene - und bis heute für die Hörerforschung in Stuttgart bewilligenden diese Zeit vertretene - Behauptungen etwa über Gremien nicht verschließen. die lntensitat des Radiohörens zu widerlegen. Trotzdem: das Diktum der »Hörerdiktatur« Man stellte namlich fest, daß saß tief, und die Stilisierung der »Führungsauf• gabe« der Programmgestalter tat ein übriges, »von 100 Befragten 25 planlos und wahllos hören, 22 einzelne Sendungen einstellen, 19 ihr Gerät pausen­ um die Vorbehalte gegen die Meinungsfor­ los tönen lassen und gelegentlich auch einmal hinhö• schung in den maßgebenden Leitungen der ren, 13 bestimmte Programme einschalten, 9 Entdek­ Rundfunkanstalten zu verfestigen. Zudem konn­ kungsreisen im Äther machen und 12 nur ganz selten te man sich dabei auch darauf berufen, daß ja hören und ohne feste Gewohnheiten.«43 bei den Meinungsforschern selbst alles andere als Einigkeit herrschte. Interessanter als die Ergebnisse im einzelnen Als einer der profHiertesten Kritiker des An­ (die zudem leicht greifbar sind44) ist die Kritik, satzes von Gerd Eckert,47 Wolfgang Ernst48 und die der gesamte Ansatz fand. Schon bald gerie­ ten die auf Umfragen und statistischen Metho­ Elisabeth Noelle-Neumann, zeigte sich der beim Hessischen Rundfunk für Hörerforschung zu­ den beruhenden Forschungen namlich unter ständige Wolfhart Müller. Immer wieder wies er heftigen Beschuß von zwei Seiten: Die eine be­ darauf hin, daß die quantitative Hörerforschung stritt nicht die Gültigkeit der Ergebnisse, sondern ja doch nur Altbekanntes reproduziere und die kritisierte nur deren - mögliche - Verwertung, die Bedürfnisse der Programmgestaltung einen ganz andere beschritt den umgekehrten Weg. Die ei­ anderen Forschungsansatz erfordere.49 Er lehn­ ne versuchte die ihrer Ansicht nach gefahrdete te also keineswegs die Hörerforschung über• Autonomie der Programmverantwortlichen zu haupt ab, sondern er wollte den quantitativen retten, die andere verfocht einen alternativen methodischen Forschungsansatz. durch einen qualitativen Ansatz ersetzt wissen. Unter seinen Vorschlagen, wie dies praktisch zu Vor allem im Stuttgarter Funkhaus schlugen immer wieder die Wogen hoch, wenn im SDR­ bewerkstelligen sei, findet sich einer, der durch­ Rundfunkrat und seinen Ausschüssen Ober den aus als Vorwegnahme der in Ostdeutschland Sinn repräsentativer Hörerbefragungen und die gepflegten Hörerversammlungen zu bewerten Verwertung ihrer Ergebnisse diskutiert wurde. ist: Besonders der Vorsitzende des Kulturausschus­ »Kleine, ausgesuchte Gruppen bestimmter Bevölke• ses erwies sich als Meinungsführer, wenn er die rungsschichten, eine Gruppe von Arbeitern, eine »Massenbefragungen« als »Zeichen der Unsi­ Gruppe aus einer kleinen Dorfgemeinde, eine Gruppe cherheit« der Programmgestalter interpretierte von Sekretärinnen, eine Gruppe von Hausfrauen - sie und darauf bestand, daß die Ergebnisse der bringe man in das Studio, führe ihnen eine oder zwei bestimmte Sendungen vor und frage sie, unterhalte »kulturellen Marktforschung« nicht in Einklang sich mit ihnen. ( .. .) Nicht auf die genaue Prozentzahl mit der Verantwortung des Rundfunks »für eine der zufälligen Hörer, sondern auf das Urteil einer be­ gediegene kulturelle Leistung« gebracht werden grenzten Zahl von Einzelpersonen sowie auf den könnten.45 Im vom Bewußtsein seines hohen ganzen Hintergrund dieses Urteils kommt es an.«so Kultur- und Bildungsauftrags gepragten öffent• Große Bedeutung maß daneben nicht nur Müller lich-rechtlichen Rundfunk war das - höchstens der intensiven Auswertung der Hörerpost zu.S1 einmal in Frageform verkleidete - Argument Über deren Aussagekraft mußte man sich je­ wohlfeil, doch schon Anfang der 50er Jahre nicht im un­ »ob sich der Rundfunk die Gestaltung seines Pro­ klaren sein. Möglichkeiten, aber auch deutliche gramms auf irgendeinem Gebiet von dem Willen ei­ Grenzen hatte Ludwig Merkle bestimmt, nach­ ner wirklichen oder imaginären Mehrheit vorschreiben dem er die Hörerpost des Bayerischen Rund­ lassen, anders ausgedrückt, ob die Masse Inhalt und funks ausgewertet hatte.S2 Als größtes Handicap Niveau des Rundfunks bestimmen soll.«46 erwies sich für ihn die mangelnde Reprasenta­ Nun war es nicht schwer, diesen Einwand inhalt­ tivitat des schreibenden Teils im Verhaltnis zur lich zu entkraften. Auch die Programmverant- Gesamtheit der Hörenden: Jener wies »starke Dussel: Der DDR-Rundfunk und seine Hörer 129

Übergewichte der Manner, der mittleren Alters­ nen langen Bestand. Ideologische Engstirnigkeit stufen, der schulmaßig gebildeteren Teile des ließ die Ansatze zu eigener sozialwissenschaft­ Publikums und der großstadtischen Bevölke• licher Forschung zu einem kurzen Intermezzo rung« auf. Allerdings sehrankte Merkle selbst verkümmern. dies auf die Reichweite allgemeinerer Aussagen ein . Umgekehrt vermochte er namlich plausibel zu machen: »Je enger der Hörerkreis auf ein Sozialwissenschaftliches Intermezzo bestimmtes Interessengebiet begrenzt ist, umso 1956/57 mehr eignen sich die Briefe dazu, ein Bild von der Hörermeinung zu vermitteln.«53 Die Weichen für eine neue, sozialwissenschaft­ Aus der Rückschau, mit dem Wissen um den lieh-quantifizierend fundierte Hörerforschung wa­ Gang der Entwicklung, ist es leicht, die wegwei­ ren in der DDR ganz behutsam gestellt worden. senden Beitrage der westdeutschen Diskussion Zunachst einmal war es nur darum gegangen, in den frühen 50er Jahren um die Methoden der ein offensichtliches Defizit der Hörerversamm• Hörerforschung herauszustreichen. Mit Nach­ lungen zu beheben. »Die Erfahrungen haben druck ist in diesem Zusammenhang vor allem gezeigt«, so wurde im Frühjahr 1956 festgestellt, auf den Beitrag Elisabeth Noelle-Neumanns zu »daß in den Höreraussprachen immer nur der verweisen.54 Unmißverstandlich machte sie kleinste Teil der Anwesenden - wegen Zeitman­ zweierlei klar: Zum einen, daß das Entscheiden­ gel - in den Diskussionen sprechen kann« . Also de darin bestehe, »daß einzig und allein Ergeb­ ging man dazu über, Fragebogen an die Teil­ nisse, die an reprasentativen Stichproben ge­ nehmer zu verteilen, »um das Gesamtbild zu wonnen sind, verallgemeinert werden können, vervollstandigen und die Meinung aller Hörer zu wogegen alle anderen Befunde, mögen sie auch erforschen.«57 Bis zum Sommer war schließlich noch so interessant sein, nur Vermutungen, ein ganzer »Fragespiegel« ausgearbeitet, der Hinweise und Arbeitshypothesen bedeuten kön• darauf wartete, praktisch eingesetzt zu wer­ nen«; zum anderen, daß die unfruchtbare Ge­ den.58 Am 17. Juli 1956 beschaftigte sich das genüberstellung von >quantitativen< und >qualita­ Staatliche Rundfunk-Komitee schließlich wieder tiven< Ansätzen mit der in geisteswissenschaft­ einmal mit der Hörerforschung, diesmal unter lichen Kontexten gangigen Höherbewertung qua­ dem Titel: »Ergebnisse der Hörerversammlun• litativen Arbeitens überwunden werden müsse. gen und Schlußfolgerungen für die Arbeit des Statt dessen pladierte sie für einen Sprachge­ Rundfunks.« Doch obwohl alle Vorschlage des brauch analog dem der Chemie, Redaktionsleiters angenommen wurden,59 lief »wo eine qualitative Analyse nur die einfachere Auf­ die Entwicklung in eine andere Richtung. Die gabe hat, festzustellen, welche Bestandteile über• Rundfunkleitung entschied sich im Oktober da­ haupt in einer Substanz enthalten sind, die quantitati­ für, doppelgleisig zu fahren: Einerseits war die ve Analyse jedoch, die Zusammensetzung nach Art Arbeit der Abteilung Hörerversammlungen wei­ und Menge der Bestandteile zu bestimmen. Hier ist terzuführen, andererseits wurde der Soziologe es klar, daß die quantitative Analyse die qualitative Kari-Ludwig Harth beauftragt, »in den nachsten voraussetzt und einschließt.« drei Monaten die Grundlagen für die Erforschung Daß Elisabeth Noelle-Neumann und ihrem An­ der wissenschaftlichen Hörermeinung (!)60 zu satz die Zukunft gehören würde, war jedoch schaffen und dem Komitee einen Plan vorzule­ Mitte der 50er Jahre nicht absehbar. Wie proble­ gen, wie die systematische Befragung und Er­ matisch die Situation der sozialwissenschaftlich forschung der Hörermeinung sichergestellt wer­ solide abgestützten Hörerforschung bei den den kann.«61 Diese Vorarbeiten scheinen zufrie­ westdeutschen Rundfunkanstalten als den wich­ denstellend abgeschlossen worden zu sein, tigsten Auftrags- und Geldgebern war, zeigen die denn die »wissenschaftliche Abteilung zur Erfor­ Ereignisse bei der Auflösung des NWDR 1955: schung der Hörermeinung« - die neben dem Die von Hermann Wolff und Wolfgang Ernst seit Leiter nur aus zwei Mitarbeiterinnen bestand - 1950 ausgebaute Abteilung Hörerforschung wur­ nahm zügig ihre Arbeit auf, ohne daß dies noch de bei der Verteilung des Vorhandenen auf die einmal auf der Tagesordnung des Rundfunk­ beiden Nachfolge-Anstalten Norddeutscher so­ komitees gestanden hatte. wie Westdeutscher Rundfunk aufgelöst. 55 Da Schon im ersten Jahr wurde ein immenses nur der SDR sich weiterhin für die Hörerfor• Arbeitspensum bewaltigt: »Die Erfahrungen schung engagierte, ist die zweite Halfte der 50er westeuropaischer und amerikanischer Experten« Jahre diesbezüglich nur als Zeit des »Nieder­ wurden »durch ein ausgiebiges Quellenstudium gangs« zu kennzeichnen.56 aufgeholt«, außerdem erfolgte der Aufbau eines Vor diesem Hintergrund sind die gleichzeiti­ Panels von 3 000 regelmäßig per Fragebogen zu gen Gegebenheiten in der DDR geradezu als in­ befragenden Hörern, und schließlich wurden - novativ zu bezeichnen. Allerdings hatten sie kei- nach einigen Testlaufen zur Erprobung der Me- 130 Rundfunk und Geschichte 24 (1998) thoden - drei Großbefragungen über die Emp­ Gernaß der:n Forschungsstand der Zeit er­ fangsqualität des Rundfunks in der DDR sowie forschte Harth nicht nur Gewohnheiten, sondern über die Rezeption von Radio DDR und Berliner auch Urteile über das Programm. Pauschal frag­ Rundfunk durchgeführt. 52 te er etwa danach, an welchem Wochentag das Bereits in einer der ersten Umfragen wurde Programm am besten gefiele. Der Samstag jedoch das Problem berührt, an dem Harth machte mit 68,1 Prozent Zustimmung das Ren­ schließlich scheitern sollte. Getrieben vom Wis­ nen, weit abgeschlagen folgte der Sonntag mit sensdurst des Empirikers hatte Harth nicht nur 31,9 Prozent und so fort bis zum Dienstag und nach der Empfangbarkeit der DDR-Sender, son­ Freitag, die jeweils nur 8,4 Prozent Zustimmung dern auch - und zwar ganz explizit - nach der der gefunden hatten. Diese Befunde überraschen West-Sender gefragt. Dies brachte dem Soziolo­ wenig, wenn man die Antworten auf die Frage gen eine strenge Rüge ein und die Auflage, in nach den am liebsten gehörten Abendprogram­ Zukunft jeden Fragebogen vom stellvertretenden men daneben halt: 50,2 Prozent votierten für Vorsitzenden des Rundfunkkomitees genehmi­ Tanzabende, 45,7 Prozent für die Schlagerlotte­ gen zu lassen. Monatelang ging alles gut, weil rie, 45,3 Prozent für heitere Wortsendungen mit Harth sich auf die DDR-Sender beschrankte Musik. Das meiste davon wurde Samstag oder höchstens pauschal nach Westempfang abends geboten. fragte. Ende 1957 umging er jedoch die Auflage Wichtiger als hier ins Detail zu gehen, er­ und fragte bei Journalisten die Empfangsbedin­ scheint es aber, die Differenzierungen nach gungen konkret genannter Westsender ab. Über Empfangsmöglichkeiten naher ins Auge zu fas­ die daraufhin beim Rundfunkkomitee einlaufen­ sen. Die hohe Zustimmung zum Samstagspro­ den Beschwerden kam er zu Fall. Harth wurde gramm war namlich schichten- und regional­ entlassen, die Abteilung aufgelöst, das Intermez­ abhängig: Am besten kam das Programm bei zo war beendet.S3 ln einem knappen Jahr hatte Arbeitern, Angestellten und Nichtberufstätigen er jedoch eine Fülle von Daten produzieren kön• an, am schlechtesten bei Angehörigen der Intel­ nen, die zumindest punktuell einen guten Ein­ ligenz, Bauern und Selbstandigen.S5 ln beiden druck vom Hörverhalten der DDR-Bürger liefern. Fallen war zudem entscheidend, ob Westsender Insgesamt, so wird man Harths Ergebnisse zu empfangen waren oder nicht (was bei den zusammenfassen dürfen, unterschieden sich die anderen drei Kategorien überhaupt keine Rolle Hörgewohnheiten in Ostdeutschland kaum von spielte). Gab es Westempfang, sank die Zu­ denen in Westdeutschland; der wichtigste Unter­ stimmung zum Samstagsprogramm bei Angehö• schied dürfte nur darin bestanden haben, daß im rigen der Intelligenz von 44,4 auf 18,5 Prozent, Durchschnitt im Osten taglieh langer Radio ge­ wahrend sie im Gegenteil bei Arbeitern sogar hört wurde. Harth errechnete einen Gesamt­ leicht von 75,4 auf 76,9 Prozent stieg. durchschnitt von 3,7 Stunden, der vor allem Befunde dieser Art lassen sich durchaus als durch die stattliche Hörleistung in den Stadten Erfolge im Sinne der ideologisch postulierten zusammenkam: 22,3 Prozent der Hörer sollten >Massenverbundenheit< des Programms inter­ dort drei bis vier Stunden und weitere 34,4 Pro­ pretieren. Und ganz bedeutsam wird dies vor al­ zent sogar mehr als vier Stunden taglieh gehört lem bei der Frage nach der allgemeinen Zufrie­ haben. Auf dem Land betrugen die Werte gleich­ denheit mit der politischen Information. Hier war zeitig nur 24 bzw. 27,7 Prozent. Vergleichszah­ die Gesamtverteilung: 73,7 Prozent »ja«, 15,7 len wurden von Harth selbst gleich mitgeliefert: Prozent »nein« und 10,6 Prozent »ohne Mei­ Für den SDR hatten die Allensbacher Meinungs­ nung«. Geographisch-soziologisch aufgeschlüs• forscher weitaus weniger Dauerhörer festge­ selt ergaben sich dieselben Unterschiede wie bei stellt, nur 24 bzw. 8 Prozent. 54 der Beurteilung des Samstagsprogramms: Arbei­ Die Verteilung der Hörzeiten über den Tag er­ ter, Angestellte und Nichtberufstätige artikulier­ folgte vor der Verbreitung des Fernsehens nach ten überdurchschnittliche Zustimmung, wahrend ganz anderen Mustern als schon wenige Jahre Angehörige der Intelligenz, Bauern und Selb­ spater: Den gesamten Tag über war die Reich­ ständige größere Vorbehalte äußerten - und um weite relativ gering mit Werten um 20 Prozent so mehr, wenn sie Gelegenheit zum Westemp­ und erreichte erst am Abend einen einsamen fang hatten. Hier ergab sich sogar der absolute Höhepunkt. Auf die Frage: »Zu welchen Zeiten Ausnahmefall, daß bei den Angehörigen der In­ hören Sie überwiegend?« antworteten 94,8 Pro­ telligenz nur 44,1 Prozent mit der politischen In­ zent der Befragten mit »zwischen 17[.00] und formation zufrieden waren, wahrend 48,1 Pro­ 22[.00] Uhr«. Die Antworten auf weitere Fragen zent Unzufriedenheit bekundeten. Das galt für zu diesem Komplex faßte Harth dahingehend die Pauschalaussage genauso wie für konkrete zusammen, »daß das Abendprogramm zwi­ Sendereihen. Die Sendereihe »Zeitgeschehen schen 19[.00] und 21[.00] Uhr von ca. 80% der im Funk« beispielsweise fanden in Orten mit Befragten so gut wie regelmassig gehört wird.« Westempfang 33,3 Prozent der Angehörigen der Dussel: Der DDR-Rundfunk und seine Hörer 131

Intelligenz und 34,5 Prozent der Bauern und Neben den von Harth gelieferten Fakten müs• Selbständigen nur »mäßig«, bei den Angestell­ sen die Ergebnisse der Arbeit der weiterhin fort­ ten waren es gleichenorts nur 18,3 Prozent. bestehenden Abteilungen Hörerpost und Hörer• Bei aller Plausibilität dieser Werte dürfen je­ versammlung zwangsläufig in den Hintergrund doch gewisse methodelogische Unzulänglichkei• treten. Es bleibt nur anzufügen, daß nach wie ten nicht völlig ignoriert werden. Bei der Frage, vor diesbezügliche Berichte produziert wurden, wie regelmäßig der Kommentar des Tages ge­ in denen einfache deskriptive Statistiken und hört werde, wurden zum Beispiel nur die drei immer mehr ausufernde Zitatensammlungen Antworten »meist«, »selten« und »nie« vorgege­ oder Paraphrasierungen dominierten_68 Die Ver­ ben. Unter Berücksichtigung des Phänomens suche, neben Hörerpost, Funkkorrespondenten der sozialen Erwünschtheit überrascht es nicht, und Hörerversammlungen doch auch die Mei­ daß ein Gesamtergebnis von »1,7 (meist bis sel­ nungsforschung weiterzupflegen, war kein Erfolg ten)= ca. alle 3 Tage« errechnet werden konnte. beschieden. 69 Und für methodelogische Neue­ (Eher überrascht es, daß gerade bei den Ange­ rungen war schon gar kein Platz. Sie wurden nur hörigen der Intelligenz, den Bauern und den zweimal punktuell in einem ganz anderen Kon­ Selbständigen die »Nie«-Hörer Spitzen- und die text gewagt. »Meist«-Hörer Minimalwerte erzielten.) Realitäts• näher sind die Werte, die aus der Abfrage des konkreten Hörverhaltens gewonnen werden. Ansätze zur qualitativen Forschung: Harth führte auch sogenannte Stichtagsuntersu­ Großaktionen von Radio DDR chungen durch und ermittelte so für den Kom­ mentar von Radio DDR am 8. Oktober 1957 eine 1956 und 1964 Hörerquote von 20,2 Prozent und ein durch­ schnittliches Urteil von 2,0.66 Beides war höch• Ganz eigene Wege beschritt von Anfang an Ra­ stens mittelmäßig, wenn man nur einmal zwei dio DDR, um auch bei der >Massenverbunden­ heit< »der Sender für die Bürger unserer Repu­ Vergleichswerte heranzieht: die unmittelbar vor­ angegangenen 19.00-Uhr-Nachrichten hatten blik« zu sein, wie Intendant Wolfgang Kleinert am 20. Mai 1956 formulierte_?O Sichtet man die noch eine Quote von 28,3 Prozent und ein Urteil von 1,8 gehabt, die anschließende Sendung erhaltenen Unterlagen, so erweist sich der quali­ »Etwas verliebt - etwas verträumt« sogar 52,4 tative Ansatz in den rückblickenden Formulie­ Prozent Beteiligung und ein Urteil von 2,0. rungen der Verantwortlichen als durchaus zutref­ Ähnlich beschaffen waren die Unterschiede fend formuliert: beim Frühprogramm von Radio DDR. Pauschal »Uns interessierten die Lebensgewohnheiten und Ar­ befragt, fiel die Zustimmung überwältigend aus: beitsbedingungen unserer Hörer, lange Gespräche 54,8 Prozent der Antworten besagten, daß zwi­ sollten uns helfen, den politischen und geistigen schen 5.00 und 8.00 Uhr Radio DDR gehört Standort der Hörer zu erfassen, ihre wahren Wün• 71 wurde. Mustert man die für jede Sendung kon­ sche an den Rundfunk zu erspüren.« kret erhobenen Werte, so schwanken sie jedoch Zu zwei wichtigen Zeitpunkten der Radio DDR­ zwischen 8,3 und 35,2 Prozent. Ganz anders Geschichte wurden entsprechende Großaktio• sieht es für die traditionell als sehr hörerschwach nen durchgeführt: das erste Mal im Sommer erachtete Zeit am weiteren Vormittag aus. Die 1956, als der Sender gerade sein eigenes Pro­ »60 bunte Minuten für die Frau« zwischen 9.00 gramm gestartet hatte, und das zweite Mal im und 10.00 Uhr fanden am Dienstag, dem 8. Ok­ Frühjahr 1964, als es darum ging, die mittlerwei­ tober, eine Reichweite von 37,3 Prozent und ein le zwei Programme von Radio DDR großflächig Durchschnittsurteil von 1,7 - in dieser Kombinati­ umzustrukturieren und damit unter anderem den on ein absoluter Spitzenwert. 67 Folgen des Fernsehens Rechnung zu tragen. ln dieser Weise legte Harth eine Fülle von Das Prinzip war in beiden Fällen das gleiche: Daten vor, die es den Verantwortlichen beim Es wurde jeweils eine Ortschaft ausgewählt, de­ DDR-Rundfunk bei unvoreingenommener Sicht ren Bevölkerung eine einigermaßen repräsenta• ermöglicht hätte, die Möglichkeiten und Grenzen tive Struktur aufwies und die über günstige Be­ ihrer politisch inspirierten Programmgestaltung dingungen für den Rundfunkempfang verfügte. realistisch zu beurteilen. Aus einem insgesamt 1956 entschied man sich für Großörna bei Hett­ nebensächlichen - aber für die damalige ideolo­ stedt, 1964 für Freyburg an der Unstrut.72 Mitar­ gische Situation sehr charakteristischen - Grund beiter des Senders fuhren in beide Orte, um sich wurde das Experiment jedoch nach wenigen intensiv mit den Einwohnern zu unterhalten: zu­ Monaten abgebrochen. ln den folgenden Jahren nächst einmal über die Empfangsbedingungen beschränkte man sich wieder auf die traditio­ und das Programm des eigenen Senders, dann nellen Elemente der >Massenverbundenheit<. aber auch über allgemeine Probleme der Medi­ engestaltung und des Medienkonsums. 132 Rundfunk und Geschichte 24 (1998)

Beim ersten Mal verlief dies improvisiert und etwas anderes hören. Die kleinen Dinge am bescheiden: Drei Tage lang wurden die Mitglie­ Rande des Weltgeschehens. Und das findet er der von nur 100 Haushalten von 30 Radio DDR­ im Westfunk.« Mitarbeitern interviewt. 73 Trotzdem scheint man Diese Befunde hatten Konsequenzen, obwohl bereit gewesen zu sein, Konsequenzen aus den die Zusammenhänge natürlich nie ausdrücklich Ergebnissen zu ziehen. Unter anderem wurde thematisiert wurden. Sie bestätigten Überlegun• der Beginn des Abendprogramms vorverlegt, um gen der vorangegegangenen Jahren. Albert Nor­ den Erkenntnissen über die Lebensgewohn­ den, der seit 1955 amtierende einflußreiche Se­ heiten der Nutzer besser gerecht zu werden: kretar für Agitation, hatte schon 1959 erwogen, Hauptnachrichten und Tageskommentar, die zu­ »Ob nicht in absehbarer Zeit ein zentrales UKW­ nächst von 20.00 bis 20.20 Uhr gesendet wor­ Programm geschaffen werden kann, das musika­ den waren, wurden ab Spätsommer 1956 bereits lische, literarische und gesellschaftswissenschaftliche von 19.00 bis 19.20 Uhr ausgestrahlt. Außerdem Sendungen bringt, die den hohen Ansprüchen der wurde ein Schulfunk eingeführt, um so der Kon­ fortgeschrittensten Bürger unseres Staates entspre­ kurrenz des Norddeutschen Rundfunks und dem chen und vor allem die großen Werke der klassi­ Vorwurf der Interviewten zu begegnen: »Wo habt schen und der sozialistischen Kultur pflegt.«78 Ihr denn sowas? Wenn Ihr einen Schulfunk hat­ Das war ein Gedanke, der zu dieser Zeit auch im tet, dann würden wir Euren hören.«74 Rundfunk der Bundesrepublik diskutiert und 1964 wurde die Untersuchung viel systemati­ nach und nach verwirklicht wurde. Und außer• scher betrieben, und vor allem: Die entscheiden­ dem standen Anfang der 60er Jahre die Zeichen den Unterlagen wurden aufbewahrt.75 Sie zei­ in der DDR sowieso auf Reform, ein Kontext, in gen, daß es zwar richtig ist, daß »die Befragung dem der VI. Parteitag der SED - auf den noch mit dem großen Gespräch über die nationale näher einzugehen ist - im Januar 1963 nur das Mission der DDR und die Verantwortung des allerdeutlichste Signal setzte. Rundfunks in unserem Staat« verbunden wur­ Die Konstellation war jedenfalls günstig, und de;16 sie zeigen aber auch, daß viele Befragte die Ergebnisse der Freyburg-Befragung fügten nicht mit ihrer Meinung hinter dem Berg hielten sich gut in die neuen Pläne ein. ln der program­ und wenig Rücksicht auf die Erwartungen ihrer matischen Planung des Staatlichen Rundfunk­ Gesprächspartner nahmen, die darauf hinauslie­ komitees wurde klar erkannt, daß dem Rundfunk fen, »die politische Wirksamkeit des Rundfunks »im Vergleich zum Fernsehen, das den Zu­ zu prüfen und nach neuen Formen und Vor­ schauer intensiv an das Programm bindet, be­ schlägen für unsere Massenagitation zu su­ sondere Aufgaben« zukamen: chen«.77 Insgesamt besuchten vom 6. bis 12. April »Einerseits können Rundfunksendungen im allge­ 1964 50 Mitarbeiter 834 Haushalte, von denen meinen bei fast jeder beliebigen Tätigkeit vom Hörer aufgenommen werden, andererseits können, wenn 801 ein Rundfunkgerät besaßen. ln diesen ein besonderes Interesse geweckt wird, sich Hörer Haushalten wurden 1 557 Hörer befragt, aus­ oder Hörergruppen stärker auf das Dargebotene kon­ führliche Protokolle verfaßt und diese wiederum zentrieren.« 79 zu sechs umfangreichen Tagesberichten verar­ beitet. Offiziell wurde nur nach der Nutzung des Die Konsequenz lag nahe, dem mit zwei ganz DDR-Angebotes gefragt, aber schon damals unterschiedlichen Radioprogrammen gerecht zu kamen die bis zuletzt ungefähr gültigen Propor­ werden. Zunächst dachte man zwar noch daran, tionen zutage: Radio DDR 1: 46 Prozent; Radio das Angebot auf drei Programme zu verteilen - DDR II: 14 Prozent; Berliner Rundfunk: 17 Pro­ ein »operatives Massenprogramm«, ein »Pro­ zent; Deutschlandsender: 23 Prozent. Aber die gramm der musisch-ästhetischen Erziehung und Position der zwischen 30 und 40 Jahre alten La­ Bildung« sowie ein »Programm der politischen borantin Margarete H., die »ausschließlich Musik Information und der Unterhaltung«ao -, dann [hört], vorwiegend Deutschlandfunk«, war so aber wurde doch nur die Zweiteilung verwirklicht: häufig, daß im dritten Tagesbericht resumiert Ab dem 1. Januar 1964 wurden zwei völlig neu werden mußte: »Nach wie vor zeigt sich aber zugeschnittene Radio-DDR-Programme ausge­ auch weiter in den Aussprachen, daß der Emp­ strahlt. Praktisch lag der Hauptunterschied - wie fang der Westsender, besonders des Deutsch­ heute gesagt würde - in der Musikfarbe: Im er­ landfunks und des Hessischen Rundfunks, eine sten Programm war »in einer Breite ohneglei­ große Rolle spielt.« Aber auch über die Hinter­ chen ( ... ) die Unterhaltungsmusik« vertreten, gründe brauchte man sich keine Illusionen zu während »die Pflege der klassischen und zeitge­ machen. Typisch war etwa die Meinung des Bei­ nössischen Musik zu einem Hauptauftrag« des fahrers Klaus J., »man überfüttere bei uns die zweiten Programms wurde.S1 Menschen mit Politik, im Rundfunk, Fernsehen, Der Erfolg bei der Hörerschaft gab den Pla­ Zeitung und bei der Arbeit. Man will auch mal nern recht. Jahrzehnte lang war Radio DDR I Dussel: Der DDR-Rundfunk und seine Hörer 133 unbestrittener Spitzenreiter im Hörfunkangebot ehe Wissenschaft strikt abgelehnt worden war, der DDR, ungefährdet trotz der rapide zuneh­ kam zu gewissen Ehren und mit ihr die Metho­ menden Popularität des Jugendradios DT 64 in den empirischer Sozialforschung. Als auf dem den späten 80er Jahren.82 Die wichtigsten Bele­ VI. Parteitag der SED im Januar 1963 »die wei­ ge für diese Behauptungen wurden seit der zwei­ tere Entfaltung der theoretischen Arbeit auf dem ten Hälfte der 60er Jahre jedoch mit dem wiede­ Gebiet der marxistischen Gesellschaftswissen­ rentdeckten quantifizierend-sozialwissenschaftli­ schaft, der Lehre von der Leitung und Entwick­ ehen Instrumentarium gesammelt. Denn schnell lung der Gesellschaft« gefordert wurde, war war Vergangenheit, was noch 1966 heftig ange­ damit auch die Ankündigung verbunden, daß prangert worden war: »von den Gesellschaftswissenschaften verstärkt soziologische Forschungen durchgeführt wer­ »Der heutige Zustand, daß die Rückkopplung zwi­ den«.S6 Eine konkrete Folge war die Gründung schen Rundfunkprogrammgestalter und Rezipient fast ausschließlich durch Hörerbriefe und zufällige des Instituts für Meinungsforschung beim Zen­ Aussprachen hergestellt wird, ist gerade beim Pro­ tralkomitee der SED im Frühjahr 1964, dessen grammtyp Radio DDR 2 auf die Dauer nicht zu vertre­ rege Tätigkeit 1978/79 erst eine direkte Weisung ten.«83 Erich Honeckers beendete.S? Die Publikumsforschung des Rundfunks - Hörfunks wie Fernsehens - konnte an diesem Deutsch-deutsche Gegebenheiten Aufschwung teilnehmen, ohne vom Rückschlag Mitte der 60er Jahre mitbetroffen zu werden. Nachdem zunächst nur eine Arbeitsgruppe »Soziologische Methoden« Mitte der 60er Jahre wandelte sich die Publi­ gebildet worden war, wurde im Herbst 1965 der kumsforschung in beiden deutschen Staaten Arbeitsbereich »Soziologische Forschung« fest grundlegend. Den unmittelbar stärksten Impuls in der Hauptabteilung »Forschung/ Publikation« gaben dazu die Entwicklungen im Fernsehbe­ des Staatlichen Rundfunkkomitees etabliert.SS reich. Fortan stand die Hörerforschung zwar Wie 1950 anläßlich der Volkskammer- und ganz im Schatten einer mächtig expandierenden anderer Wahlen die Möglichkeit der Hörerver• Zuschauerforschung; doch auch die Forschungs­ sammlung als Agitationsinstrument erprobt wur­ leistung für den Hörfunk nahm enorm zu. de, so war 1963 unter der Losung »Sag's dem Im Westen lagen die Zusammenhänge noch Funk, schreib's dem Funk« eine Abteilung offener als im Osten Deutschlands, da hier die »Wahlbriefkasten« begründet worden, die als lange umstrittene Etablierung eines zweiten »aktiver Wahlhelfer und Mittler zwischen Bevöl• Fernsehprogramms die Initialzündung für eine kerung und Staatsführung« gedacht war.S9 Ihre neue Stufe der Rezipientenforschung bedeutete: Erfolge scheinen derartigen Eindruck bei der Nun orientierte sich die methodelogische Dis­ Rundfunkführung gemacht zu haben, daß sie als kussion an den apparatemäßig meßbaren Rezi­ »Funkbriefkasten« beibehalten wurde. Nicht zu­ pientenreichweiten. Schließlich ging es über die letzt dürfte dazu die Überzeugungskraft des Ab­ zunehmend wichtigeren Werbeeinnahmen um teilungsleiters Otto Stall beigetragen haben, der Geld, um viel Geld für die zunehmend in Finanz­ selbstbewußt die enge Zusammenarbeit »mit schwierigkeiten geratenden beiden Program­ den Organen der Partei und dem Staatsapparat« manbieter ARD und ZDF.S4 unterstrich und seine Qualifikation hervorhob, Im Osten gab es diesen Konkurrenzdruck »auf jede Frage eine sachliche, richtige und poli­ zwar nicht- das zweite Fernsehprogramm starte­ tisch überzeugende Antwort« geben zu kön• te erst am 3. Oktober 1969 anläßlich des 20. nen.90 Jahrestags der Gründung der Republik -, und Der Umfang von Stalls Material war beein­ Werbung spielte schon gar keine Rolle. Trotz­ druckend. ln den 60er Jahren sollen jährlich dem wurden die Weichen in dieselbe Richtung durchschnittlich 600 000 Zuschriften beim DDR­ gestellt. Die ökonomischen Probleme im soge­ Rundfunk eingegangen sein. 1970 bzw. 1971 nannten Arbeiter-und-Bauern-Staat hatten eine waren es dann zwar nur noch 445 000 bzw. solche Dimension erreicht, daß dringend Abhilfe 492 000, aber schon 1972 wurden 740 000 geschaffen werden mußte. Mit dem Neuen Öko• »Höreraktivitäten«, d.h. Zuschriften, Telefonate nomischen System der Planung und Lenkung und persönliche Anfragen, registriert.91 Über• versuchte SED-Chef Ulbricht behutsam markt­ rascht muß man sich dann über das politische wirtschaftliche Elemente in die sozialistische Engagement der Hörerbriefschreiber zeigen: Planwirtschaft einzubauen.SS Dies konnte aller­ »Untersuchungen im Jahre 1971 ergaben, daß rund dings auf keinen Fall ohne den flankierenden 50 Prozent der Zuschriften politischen und wirt­ Einsatz bislang verpönter westlicher sozialwis­ schaftspolitischen Fragen galten. Rund neun Prozent senschaftlicher Methoden geleistet werden. Die beschäftigten sich mit arbeits- und zivilrechtliehen Soziologie, die in den 50er Jahren als bürgerli- 134 Rundfunk und Geschichte 24 (1998)

Angelegenheiten. Probleme der Volksbildung be­ 3 Liselotte Mühlberg: Hörerforschung des DDR­ stimmten 16 Prozent der Hörerpost«.92 Rundfunks. ln: Heide Riedel (Hrsg.): Mit uns zieht die neue Zeit.... 40 Jahre DDR-Medien. Berlin Erstaunt waren wohl auch die Kollegen in der 1994, S. 173-181 . Abteilung Soziologische Forschung, die dem Tun der Hörerpostauswerter sehr skeptisch gegen­ 4 Vgl. Alexander Konstantinowitsch Uledow: Die Oberstanden und schließlich Gegenanalysen >öffentliche Meinung<. Eine Studie zum geistigen durchführten. Ihre anhand der Hörerpost des Leben der sozialistischen Gesellschaft. Berlin (DDR) 1964. Jahres 1975 gewonnenen Hauptbefunde (die man auch für frühere Jahre und Jahrzehnte wird 5 Ebd ., S. 57. als gültig unterstellen dürfen) wiesen in eine 6 Ebd., S. 49. ganz andere Richtung: Höchstens 15 Prozent des Posteingangs waren als »Problempost« zu 7 Ebd., S. 118f. qualifizieren und beinhaltete mehr als Lösungen 8 Ebd., S. 54, vgl. auch ausführlicher S. 145f. für Preisausschreiben oder Musikwünsche. Au­ 9 Ebd., S. 148. ßerdem erwiesen sich die Absender keineswegs als »immerhin repräsentativer Teil der Bevölke­ 10 Ebd., S. 144ff. rung«.93 Es schrieben vielmehr überproportional 11 Kari-Marx-Universität Leipzig, Fakultät für Journa­ viele Jugendliche und Frauen, während vor al­ listik (Hrsg.): Theorie und Praxis der Pressearbeit lem Arbeiter, Bauern und Rentner stark unterre­ Die Arbeit der sozialistischen Presse mit den präsentiert waren. Und schließlich ergab syste­ Massen. Berlin (DDR) 1955, S. 4, und Ellen Bos: matisches Nachfragen, daß mit einem sehr ho­ Leserbriefe in Tageszeitungen der DDR. Zur hen Anteil von Vielschreibern zu rechnen war: 42 >Massenverbundenheit< der Presse 1949-1989. Prozent der Post stammte von Absendern, die Opladen 1992, S. 73f. sich schon mehr als fünfmal an den DDR­ 12 Kari-Marx-Universität Leipzig, Fakultät für Journa­ Rundfunk gewandt hatten, und nur für 26 Pro­ listik (Hrsg.): Die Grundprinzipien und Merkmale zent war es das erste Mal gewesen.94 der Presse neuen Typs. Leipzig 1956, S. 39. Die Abweichungen bei Stolls Angaben sind 13 Kühner vorwärts auf dem Wege zu einer Presse vor allem daraus zu erklären, daß Stoll seine Be­ von neuem Typus. Berlin (DDR) 1951, S. 47f. funde aus der Analyse spezifischer Hörerreak• tionen (z.B. auf spezifische Sendungen) gewann, 14 Protokoll der lntendantenkonferenz, 30.1.1951. DRA-Berlin, S. 35f. dies in seinen Veröffentlichungen aber immer wieder bis hin zu offenkundiger Irreführung zu 15 Ebd., S. 102-106. verschleiern suchte. 16 Ebd., S. 10f. Wesentlich aussagekräftiger, weil repräsen• tativ gewonnen, waren da schon die Daten, die 17 Ebd., S. 60ff. von der Abteilung Soziologische Forschung 18 Ausgefüllter Fragebogen. Bundesarchiv Berlin selbst vorgelegt werden konnten. Ihre Probleme (BAB) DR 6-313. damit, diese Ergebnisse einer zwar an jeglichem 19 Schreiben des Generalintendanten Hans Mahle Herrschaftwissen interessierten, aber dogma­ an den Intendanten des Berliner Rundfunks, Kurt tisch festgelegten Rundfunkführung nahezubrin­ Heiss, 3. Februar 1951, mit beiliegendem Bericht gen, stehen jedoch auf einem anderen Blatt und »Auswertung der Hörermeinungen«. Ebd. bedürfen einer eigenen Darstellung. 95 20 Bericht des MDR-Intendanten Adolfs, Protokoll (wie Anm. 14), S. 29ff. Anmerkungen 21 Vgl. Konrad Dussel: Die Sowjetisierung des DDR­ Rundfunks in den 50er Jahren. Die Organisation des Staatlichen Rundfunkkomitees und seine * Der Beitrag entstand im Rahmen des von der VW­ Leitungstätigkeit ln: Zeitschrift für Geschichtswis­ Stiftung geförderten DRA-Projekts »Der deutsche senschaft Jg. 45 (1997), H. 11, S. 992-1016. Rundfunk und seine Hörer 1923/24 - 1961 . Rund­ funkpolitik, Rundfunkprogramm und Hörerinteres• 22 Bericht, 24.9.1952, DRA-Berlin NL 8, Otto Fi­ sen«. scher. Ich danke lngrid Pietrzynski für ausführliche Dis­ 23 Unser Rundfunk Jg. 8 (1953), Nr. 15ff. kussionen und wichtige Hinweise zum Thema. 24 Fred Oelßner: Über die Verbesserung der Arbeit Vgl. Wolfram Daniel : Mitteldeutsche Hörer zum der Presse und des Rundfunks. Referat auf der westdeutschen Programm. ln: Rufer und Hörer 16. Tagung des ZK der SED vom 17. bis 19. Jg. 7 (1952/53), H. 12, S. 683. September 1953 in Berlin. ln: Kari-Marx-Universi­ 2 So Hansjörg Bessler: Hörer- und Zuschauerfor­ tät Leipzig. Sektion Journalistik (Hrsg.): Dokumen­ schung. München 1980. te der deutschen Arbeiterbewegung zur Journa­ listik. Teil V, Leipzig 1983, S. 94 u. S. 105. Dussel: Der DDR-Rundfunk und seine Hörer 135

25 WD=Westdeutschland, WB=Westberlin. Unklar Archiv 00/890. Vgl. dazu: Konrad Dussel: Die In­ bleibt, ob sich dies auf die Briefinhalte oder die teressen der Allgemeinheit vertreten. Die Tätigkeit Absender bezieht. der Rundfunk- und Verwaltungsräte von Südwest• funk und Süddeutschem Rundfunk 1949-1969. 26 SU=Sowjetunion, VD=Volksdemokratien. Baden-Baden 1995, S. 287f. 27 Vgl. Bericht (wie Anm . 20), S. 29. 46 Hemmerle: Hörerdiktatur (wie Anm. 38), S. 225. 28 Plan der Hörerversammlungen im Monat Novem­ 47 Vgl. Gerhart Eckert: Vom Sinn und Unsinn der ber und Dezember 1953 in der DDR und in Berlin Hörerbefragung. ln: Rufer und Hörer Jg. 4 vom 29. Oktober 1953. BAB DR 6-1 . (1949/50), H. 2, S. 86-95; ders.: Was wissen wir 29 Undatierter Bericht »Die Arbeit der Abteilung Hö• vom Hörer. ln: Rufer und Hörer Jg. 4 (1949/50), rerverbindung« (wohl: Frühjahr 1958), S. 11. BAB H. 4, S. 196-204; ders.: Vom Geschmack der Hö• DR 6-559. rer. ln: Rufer und Hörer Jg. 4 (1949/50), H. 5, S. 263-270. 30 Bericht, 11 .7.1956. BAB DR 6-186. 48 Vgl. Wolfgang Ernst: Hörerforschung in Deutsch­ 31 Vgl. Undatierter Bericht (wie Anm. 29), S. 12. land. ln: Rundfunk und Fernsehen Jg. 1 (1953), H. 32 Vgl. die überlieferten Protokolle. BAB DR 6-186. 1, S.46-53. 33 Bericht (wie Anm. 30). 49 Vgl. Wolfhart Müller: Was sagt der Hörer? ln: Rundfunk und Fernsehen 1948/49, H. 2, S. 28-32, 4 3 Ebd. u. H. 3, S. 42-48; ders.: Ist Hörerforschung not­ 35 Beschlußvorlage über die Verbesserung der Ar­ wendig? ln: Rufer und Hörer Jg. 4 (1949/50), H. 6, beit mit den Hörern, vom 21. 7.1954, ihre Behand­ S. 339-343; ders.: Hörerforschung (wie Anm. 38); lung in der Sitzung des Staatlischen Rundfunk­ vgl. ebenfalls: Paul W. Meyer: Um die Qualität der komiteesam 30. Juli 1954. BAB DR 6-1. Hörermeinung. ln: Rufer und Hörer Jg. 6 (1951/ 52), H. 5, S. 227-230, und Wilhelm Bierfelder: Hö• 36 Bericht, 15.4.1956. DR 6 - 186. rermeinungsforschung und ihre Organisation. ln: Ebd., S. 230-232. 37 Bericht, 11. 7.1956. Ebd. 50 Müller: Hörerforschung (wie Anm. 38), S. 503. 38 Wolfhart Müller: Hörerforschung in der Sackgas­ se? ln: Rufer und Hörer Jg. 6 (1951/52), H. 9, S. 51 Peer Frank Günther: Das müde Echo. ln: Rufer 499-504; Eduard Hemmerle: Hörerdiktatur oder und Hörer Jg. 7 (1952/53), H. 5, S. 290ff. Führung. ln: Rufer und Hörer Jg . 6 (1951/52), H. 5, s. 225ff. 52 Vgl. Ludwig Merkle: Hörerpost und Hörermeinung. Diss. München 1951 . 39 Vgl. Elisabeth Noelle: Amerikanische Massenbe­ fragungen über Politik und Presse. Frankfurt am 53 Ludwig Merkle: Der Hörer schreibt. ln: Rufer und Main 1940; Gerhart Eckert: Der Rundfunk als Hörer Jg. 7 (1952/53), H. 1, S. 20f. FührungsmitteL Heidelberg u.a. 1941 . Vgl. auch: 54 Elisabeth Noelle-Neumann: Wo steht die Hörer­ Gerhart Eckert: Hörer werden befragt. ln: forschung wirklich? ln: Rufer und Hörer Jg. 7 Weltrundfunk Jg. 4 (1940), H. 5/6, S. 16-25; Eli­ (1952/53), H. 1, S. 11-15. sabeth Noelle: Hörerforschung in USA. ln: Welt­ rundfunk Jg. 4 (1940) , H. 5/6, S. 25-29. 55 Bessler: Hörer- und Zuschauerforschung (wie Anm . 2), S. 73ff. 40 Gerhart Eckert: Lehren aus der englischen Hörer• befragung. ln: Rundfunk und Fernsehen 1949/50, 56 Ebd., S. 120. H. 3/4, S. 49-57. 57 Brief der Redaktion Hörerverbindung an den Se­ 41 Arnulf Kutsch: Die Anfänge der Meinungsfor­ kretär der Leitung des Staatlichen Rundfunkkomi­ schung in der britischen Zone (1945-1947). Ein tees (SRK), 24.3.1956. BAB DR 6-186. institutionengeschichtlicher Hinweis. ln: Ders. u.a. 58 Erfahrungsbericht des Kollektivs Hörerausspra• (Hrsg .): Rundfunk im Wandel. Berlin 1993, S. 101- chen, 11.7.1956. BAB DR 6-186. 130; Anna J. Merritt/Richard L. Merritt (eds): Pu­ blic Opinion in Occupied Germany. The OMGUS­ 59 Beschlußprotokoll Nr. 37, 17.7.1956, DRA-Berlin. Surveys, 1945-1949. Urbana et al. 1970. 60 Richtig wohl: » ... für die wissenschaftliche Erfor­ 42 Vgl. auch: Bessler: Hörer- und Zuschauerfor­ schung der Hörermeinung ... «. schung und Richter: Geschichte (wie Anm. 2). 61 Beschlußprotokoll Nr. 48 vom 9. Oktober 1956, 43 E. Kurt Fischer: Hörerbefragung des Süddeut• DRA-Berlin. schen Rundfunks. ln: Rufer und Hörer Jg. 4 62 Brief Harths »an die Kollegen Intendanten und (1949/50), H. 6, S. 338. Chefredakteure des Staatlichen Rundfunkkomi­ 44 Fritz Eberhard: Der Rundfunkhörer und sein Pro­ tees«, 1.10.1957. BAB DR 6-559. gramm. Berlin 1962. 63 Silvia Müller: Der Rundfunk als Herrschaftsin­ 45 Helmut Walter am 31 .10.1952 im Politik-Aus­ strument der SED. ln: Materialien der Enquete­ schuß des SDR-Rundfunkrats. SDR. Historisches Kommission »Aufarbeitung von Geschichte und 136 Rundfunk und Geschichte 24 (1998)

Folgen der SED-Diktatur in Deutschland«. Baden­ schichte des Rundfunks Jg. 20 (1986), H. 4, S. 5- Baden/Frankfurt am Main 1995, Band 11/4, S. 45. 2304f. 82 Mühlberg: Hörerforschung (wie Anm. 3), S. 177. 64 Diese und die folgenden Werte nach dem Bericht 83 Otfried Arnold: Der Einfluß der Hörgewohnheiten Harths 1957. BAB DR 6-269. und Hörbedürfnisse auf die Programme von Radio 65 Die Zuordnung erfolgte per Selbsteinschätzung. DDR. ln: Journalismus und Gesellschaft. Leipzig 1966, S. 53. 66 Diese und die folgenden Werte nach dem Bericht, 17.11.1957. BAB DR 6-559. - Für das Urteil waren 84 Vgl. Bessler: Hörer- und Zuschauerforschung (wie die vier Stufen »sehr gut«, »gut«, »mäßig« und Anm. 2), S. 152ft. Vgl. auch Elisabeth Noelle-Neu­ »nicht« vorgegeben. mann: Umfragen in der Massengesellschaft. Ein­ führung in die Methoden der Demoskopie. Rein­ 67 Eine größere Reichweite hatten nur die beiden bek 1963. Sendungen »Etwas verliebt - etwas verträumt« (19.30-20.40 Uhr: 52,4 %) und »Fest der Stim­ 85 Vgl. Dietrich Staritz: Geschichte der DDR 1949- men« (21 .00-22.00 Uhr: 44,8 %) aufzuweisen; 1990. Frankfurt am Main 1996, S. 206ft. Jürgen beide wurde jedoch deutlich schlechter bewertet Roesler: Zwischen Markt und Plan. Die Wirt­ (2,0 bzw. 2,2). Und mit einem Urteil von 1,6 wurde schaftsreform 1963-1970 in der DDR. Berlin 1990. überhaupt nur eine Sendung besser beurteilt als 86 Zit. nach Rüdiger Thomas: Zur Geschichte sozio­ die Frauensendung, das »Kunterbunt zur Mor­ logischer Forschung in der DDR. ln: Heiner Tim­ genstund« (4.34-5.00 Uhr), eine Sendung, die je­ mermann (Hrsg.): Lebenslagen. Sozialindikatoren­ doch nur eine Hörbeteiligung von 16,5 Prozent forschung in beiden Teilen Deutschlands. Saar­ hatte. brücken 1990, S. 10f. 68 Dies gilt vor allem für die Zeit ab Frühjahr 1957, 87 Vgl. Heinz Niemann: Meinungsforschung in der als die bis dahin zentrale Abteilung Hörerverbin• DDR. Köln 1993. dung aufgelöst und auf die einzelnen Sender auf­ geteilt wurde. Vor allem beim Deutschlandsender 88 Mühlberg: Hörerforschung (wie Anm. 3), S. 174f. umfaßten dann die zitierenden und paraphrasie­ renden Teile der Berichte regelmäßig 20 bis 30 89 Otto Stoll: Die Hörerpost - Informationsquelle für Schreibmaschinenseiten. Vgl. BAB DR 6-246. den Rundfunkjournalisten. ln: Rundfunkjourna­ lismus in Theorie und Praxis Jg. 6 (1970), H. 2/3, 69 SRK-Vorlage Nr. 74/58 »zur Verbesserung der S. 48. Arbeit mit den Hörern«, 20.11 .1958. BAB DR 6- 90 Ebd. 378.

70 1956-1966. 10 Jahre Radio DDR. o.O, o.J., S. 7. 91 Die Zahlen. Ebd., sowie bei Otto Stoll: Ein Erfah­ rungsschatz - die Hörerpost! ln: Rundfunkjourna­ 71 Ebd., S. 9. lismus in Theorie und Praxis Jg. 8 (1972), H. 1, S. 23; ders.: Hörerpost - ein Spiegel der Programm­ 72 Eine weitere, kaum bekannt gewordene Ortsbe­ qualität. ln: Rundfunkjournalismus in Theorie und fragung fand zudem 1957 in Hötensleben durch Praxis Jg. 9 (1973), H. 1, S.17. Mitarbeiter des Senders Halle statt. ln: Die Arbeit (wie Anm. 29), S. 13f. 92 Stoll: Erfahrungsschatz (wie Anm. 93), S. 30.

73 1956-1966 (wie Anm. 70), S. 10. 93 Ebd., S. 32. 74 Ebd., S. 11. 94 Alle Angaben aus einem als »vertrauliche Dienst­ sache« deklarierten Papier der Abteilung Sozio­ 75 »Hörerumfrage Freyburg/Unstrut«. DRA Berlin. logische Forschung vom 15. Juni 1976. Wolfgang 76 1956-1966 (wie Anm. 70), S. 11 . Briest I lngrid Pietrzynski: Zum Charakter der Hö• rerpost als ein wichtiges Element der Massenver­ 77 Tagesbericht I, S. 1 (wie Anm 75). bindung des Rundfunks der DDR. DRA Berlin; vgl. 78 Zit. in: 1956-1966 (wie Anm. 70), S. 21 . auch lngrid Pietrzynski: Inhaltsanalyse und Hö• rerpost. Eine Studie zur Inhaltsanalyse als Me­ 79 Arbeitsgruppe Perspektivplanung: Entwurf zur thode der soziologischen Forschung und zur Er­ »Generallinie der Entwicklung für den Deutschen schließung des spezifischen Aussagegehaltes Demokratischen Rundfunk bis 1980«, 21.11 .1963. von Zuschriften an den Rundfunk der DDR. Diss. DRA Berlin. Humboldt-Universität Berlin (Ost) 1977, die aller­ 80 Ebd. dings die eigentliche Stoßrichtung verschleiert, indem am Ende doch wieder »die Anerkennung 81 1956-1966 (wie Anm. 70), S. 24; vgl. außerdem: der Hörerpost als eine wichtige Form gesellschaft­ Wolfgang Kleinert: Wir entsprechen den neuen licher Aktivität« steht, S. 17. Hörergewohnheiten. ln: Funk und Fernsehen Jg. 19 (1964), H. 28, S. 8f; sowie Lutz Panhans: 30 95 Vgl. ansatzweise Mühlberg: Hörerforschung (wie Jahre aktuell-politische Arbeit im I. Programm von Anm. 3). Radio DDR (Profilbestimmende Grundzüge, Ten­ denzen und Höhepunkte). ln: Beiträge zur Ge- »Am Ende des Jahrtausends eine multikulturelle Großfamilie« Gespräch mit dem Gründungsintendanten des SR Franz Mai

Der Zeitzeuge Werdegang bis 1945

Mit dem ehemaligen persönlichen Referenten Als Sohn eines Justizbeamten und späteren des Bundeskanzlers Konrad Adenauer und lang­ saarländischen Oberregierungsrats 1911 in Köln jährigen Intendanten des Saarländischen Rund­ geboren, verbrachte Franz Mai seine Kindheit funks (SR) wurden im Rahmen des Projektes und frühe Jugend in Saarbrücken, wohin seine »Zeitzeugen-Erinnerungen« der Universität Os­ Familie kurz nach seiner Geburt gezogen war. nabrück mehrere Gespräche geführt: am 4., 5. Hier besuchte er bis 1927 das humanistische März und 5. August 1993 in Saarbrücken und Gymnasium, danach die Gymnasien in Feld­ vom 16. bis 20. Mai 1993 in Les lssambre kirch, Bad Godesberg und Trier, wo er 1932 das (Frankreich). Eine derart intensive Befragung er­ Abitur ablegte. Zu den frühen Prägungen, die gab sich aus zwei Gründen - einem persönlichen sich in seinem späteren Engagement für die und einem wissenschaftlichen. Mai reagierte be­ deutsch-französische Verständigung niederge­ reits auf die Anfrage, ob er für ein Gespräch zur schlagen haben, sind - nicht zuletzt aufgrund der Verfügung stünde, spontan mit großer Offenheit geographischen Lage Saarbrückens - gewiß die und zeigte im Laufe der ersten Befragung ein innerfamiliären Beziehungen zu Frankreich zu solches Mitteilungsbedürfnis, daß sich die Pro­ zählen, denn nach dem frühen Tod seiner Mutter jektmitarbeiter entschlossen, die Erinnerungen verbrachte Mai seine Schulferien regelmäßig bei Mais so umfangreich wie möglich zu dokumen­ französischen Verwandten. Ebenso dürften die tieren. Diese Entscheidung war ebenso mitbe­ Einflüsse der Jesuiten in den Schulen von Feld­ einflußt von dem Umstand, daß Mai zum selben kirch und Bad Godesberg eine nicht geringe Zeitpunkt damit begonnen hatte, seine Memoiren Rolle bei der Herausbildung seiner weltanschau­ zu schreiben, wie von seinem mehrmals wieder­ lichen und philosophischen Grundhaltung ge­ holten Wunsch, das Gespräch fortzusetzen. spielt haben. So hebt Mai, dessen Lieblingsfach So konnte einmal dem weiten Erfahrungsho­ Deutsch war, die Bedeutung, die die Beschäfti• rizont des heute 87jährigen und der mentali­ gung mit den Stoffen der klassischen Antike und tätsprägenden Dimension seiner Biographie in den klassischen Sprachen, dem Griechischen aller Breite Rechnung getragen werden. Durch und dem Lateinischen, für ihn und sein Selbst­ die wiederholten Interviews konnten einzelne be­ verständnis hatte, ausdrücklich hervor. Neben reits thematisierte Punkte erneut angesprochen die durch das Griechische vermittelte »hohe werden, mit dem Ziel, Unschärfen und Wider­ Sensibilität für Ästhetik und Philosophie« sei der sprüche klarer erkennen zu können. Vor allem im Lateinischen wurzelnde »Sensus für Organi­ aber sind die Erinnerungen des Zeitzeugen um sation, Administration, Recht« getreten. zahlreiche biographische und thematische De­ Diese beiden Pole spiegeln sich auch in den tails und Präzisierungen früherer Äußerungen Fächern seines Studiums, das er 1932 in angereichert worden, auf die bei einem einmali­ Frankfurt am Main aufnahm und in München und gen Gespräch hätte verzichtet werden müssen. Bonn fortsetzte. So betrieb Mai neben dem Ein weiterer sachlicher Grund hängt mit der Hauptfach der Jurisprudenz auch ausführliche schwerpunktmäßigen Orientierung der Projekt­ Studien in den Fächern Philosophie und Kunst­ arbeit auf den Nordwestdeutschen Rundfunk geschichte. (NWDR) und die beiden Nachfolger Norddeut­ Wenn er seine Neigung zu Kunst und Litera­ scher (NDR) bzw. Westdeutscher Rundfunk tur auf ein »genetisches Erbe« seiner Familie (WDR) zusammen. Da die Mehrheit der befrag­ zurückführt, so kommt hier ein Denkmotiv zum ten Zeitzeugen in diesen von der BBC stark be­ Ausdruck, das im Koordinatensystem seiner einflußten Rundfunkanstalten tätig waren, lag es Weltanschauung an zentraler Stelle steht: der nahe, einige repräsentative Gegenakzente zu von ihm gern beschworene kulturgeschichtliche setzen, d.h. auch solche Zeitzeugen ausführli• Vorsprung der Cislimiten gegenüber den Trans­ cher zu Wort kommen zu lassen, deren medien­ limiten. und programmpolitisches Selbstverständnis Aufgrund des antipreußischen Vorbehalts nicht von den rundfunkpolitischen Vorgaben der seiner demokratisch gesinnten, »Sehr kämpferi• britischen Siegermacht bestimmt wurde. schen Zentrumsfamilie« und der politischen Prä• gung durch den Reichstagsabgeordneten Fried­ rich Dessauer, orientierte sich auch Franz Mai ideologisch am Zentrum, was zur Folge hatte, 138 Rundfunk und Geschichte 24 (1998)

daß er 1932 Mitglied des Windhorstbundes und nistration kontrollierte und Entscheidungen stellvertretender Vorsitzender des Studenten­ durchsetzte. bundes des Zentrums wurde. Für das Zentrum Was die politischen Akzente betrifft, die Ade­ engagierte er sich 1933 auch einige Wochen im nauer in der Nachkriegszeit setzte, so finden Reichtagswahlkampf. diese auch in der heutigen Rückschau die rück• Mais Äußerungen über die Zeit des National­ haltlose Zustimmung Mais. Von der Wiederbe­ sozialismus verweisen stets auf seine frühzeitige waffnung über die Eingliederung der Bundesre­ Distanzierung. Dabei beruft er sich wiederholt publik Deutschland in das transatlantische Bünd• auf die Zentrumsnähe seiner Familie: »Wir wa­ nis bis hin zur deutsch-französischen Versöh• ren Antipreußen, weil die Preußen meinen Vater nung, die für den frankophilen Mai zeitlebens ei­ von Köln in das Verbannungsland Saarland ver­ nen besonderen Stellenwert einnahm, war und setzt hatten, daher war die Gefahr nicht groß.« ist er von der Richtigkeit und Notwendigkeit der Auch sei er über Hitlers Ziele frühzeitig im Bilde Adenauerschen Politik überzeugt. gewesen, denn er habe bereits vor 1933 »Mein Der weltanschaulich-politische Bildungspro­ Kampf« gelesen. zeß Franz Mais - dafür enthalten die Interviews Wenn Mai sich an die Kriegszeit erinnert, so zahlreiche Indizien - ist gewiß in jenen Jahren hebt er hervor, daß er aus seiner antinational­ unter dem Eindruck des »großen Mannes« Ade­ sozialistischen Gesinnung keinen Hehl gemacht nauer zum Abschluß gelangt. Um so erstaunli­ habe. Aus diesem Grunde sei er wahrend des cher ist deshalb, daß er, der sonst alle politi­ Rußlandfeldzuges wegen Defatismus an der schen Entscheidungen des Bundeskanzlers in­ Front angeklagt und von einem adligen Regi­ nerlich nachvollzog und zum Bestandteil der ei­ mentskommandeur gerettet worden, der sich genen Willensbildung machte, sich einem ihn dafür eingesetzt habe, daß er »nur die härteste selbst betreffenden Vorhaben Adenauers wider­ Disziplinarstrafe« erhielt, drei Wochen Gefängnis setzte, das ihm eine politische Karriere hatte in Smolensk. eröffnen können. Denn Mais Erinnerung zufolge wollte Adenauer ihn (neben Heinz Lubbers) zum zweiten Generalsekretar der CDU machen. Mais An der Seite Konrad Adenauers politisch motivierte Ablehnung dieses Vorschlags hatte eine Verschlechterung der Beziehung zu Nach dem Krieg gehörte Mai zu den ersten vier Adenauer zur Folge und führte schließlich zum Richtern, die in der amerikanischen Besatzungs­ Ende seiner Tätigkeit als persönlicher Referent. zone zugelassen wurden. Ab November 1945 Auf seine Dienste wollte man in Bonn gleich­ war er als Straf- und Mietrichter, als Verfasser wohl nicht verzichten. 1952 wechselte Mai, von Mietrechtskommentaren und als Rechtsbe­ nachdem er die Option, in den diplomatischen rater von Vertriebenen am Aufbau der Frankfur­ Dienst zu gehen, ausgeschlagen hatte, in das ter Justiz beteiligt. Im Interview problematisiert er Presse- und Informationsamt der Bundesregie­ das Schuldstrafrecht und bezeichnet sich selbst rung, zunächst als Leiter der Filmabteilung, als Anhanger des Gefährdungsstrafrechts, in­ dann, im Sommer desselben Jahres, als Leiter nerhalb dessen der Strafvollzug als »Spielregel­ der Zentralabteilung. Als Mitglied der Filmbürg• therapie« zu begreifen sei. schaftskommission setzte sich Mai primär für die Daß Adenauer ihn 1950 nach Bonn holte, Wiedererstarkung des deutschen Films und für führt Mai zum einen darauf zurück, daß er unbe­ die Schaffung einer deutsch-französischen Ko­ lastet gewesen sei, zum andern darauf, daß er operation ein. aufgrund seiner unterschiedlichen Kompetenzen Als Leiter der Zentralabteilung des Presseam­ als Richter und Schlichter von Streitfallen für drei tes arbeitete Mai eng mit Staatssekretar Otto Ministerien qualifiziert gewesen sei. Er macht Lenz zusammen, mit dem er »die ganze Rund­ aber auch keinen Hehl daraus, daß für ihn selbst funkarbeit gemacht« habe. Da sich Lenz nach rheinländische Heimatgefühle eine entscheiden­ dem Ende der ersten Legislaturperiode aus der de Rolle gespielt haben. Rundfunkpolitik weitgehend zurückzog, beziehen Seine zweijährige Tätigkeit als persönlicher sich Mais Erinnerungen vor allem auf den Zeit­ Referent Adenauers, im unmittelbaren Zentrum raum bis 1953, in dem Lenz versuchte, den Ent­ der Macht, empfindet Mai rückblickend zweifellos wurf für ein Bundesrundfunkgesetz, das den als Höhepunkt seiner Biographie. Dies kommt in Rundfunk bundesstaatlich reglementieren sollte, fast allen seinen Äußerungen zu Weltanschau­ auf die Tagesordnung des Parlaments zu set­ ung und Selbstverständnis, insbesondere im zen . Mai spricht von der Idee eines »lnforma­ Hinblick auf seine Zeit als Intendant, immer wie­ tionsministeriums«, das an die Stelle des Bun­ der zum Ausdruck. Eine nachhaltige Prägung ist despresseamtes hätte treten sollen, um den dabei von Adenauers Führungsstil ausgegan­ Kanzler effektiver vor Pannen schützen zu kön• gen, der Art und Weise, wie er die eigene Admi- nen. »Am Ende des Jahrtausends eine multikulturelle Großfamilie« 139

ln den Jahren bis 1957 lernte Mai, der auch mit dem Ziel, die Bedürfnisse der französischen an den Verhandlungen um die Teilung des Hörer und Zuschauer berücksichtigen zu kön• NWDR beteiligt war, nicht nur die Strukturen des nen, gemeinsam mit Radio Luxemburg eine Pro­ Rundfunks, sondern auch die verwaltungstech­ grammkommissionund ab 1961, als der SR die nische Seite seiner Organisation kennen, was ersten eigenen Fernsehprogramme produzierte, ihm bei der späteren Ausübung des Intendan­ Kooperationen mit dem französischen Fernse­ tenamtes in vielfacher Hinsicht zugute kam. hen. Auf diese Weise konnten Austauschpro­ gramme realisiert werden, die sowohl im Unter­ haltungsbareich (Musik) als auch auf dem Bil­ Gründungsintendant des dungssektor (gemeinsame historische Sendun­ Saarländischen Rundfunks gen) zum interkulturellen Profil des SR beitru­ gen. Die eigentliche Differenzierung des Hörfunk• Als nach der Ablehnung des Saarstatuts, dem programms vollzog sich aber erst mit der Einrich­ Mai aufgrund seiner guten Beziehungen zur tung der »Europawelle Saar«, die ab Januar christlichen Volkspartei Sympathien entgegen­ 1964 ausgestrahlt wurde und die Mai als seine gebracht hatte, das Saarland am 1. Januar 1957 ureigene Leistung ansieht. Die »Europawelle« als neues Bundesland in die Bundesrepublik war das erste Programm, das die Werbezeiten Deutschland eingegliedert wurde, trat auch das nicht mehr in geschlossenen Blöcken bündelte, Gesetz über den Saarländischen Rundfunk (SR) sondern, um die Hörer davon abzuhalten, das in Kraft. Damit kam der Anspruch des Südwest• Programm zu wechseln, wohldosiert auf die Sen­ funks (SWF), das Saarland zu integrieren, um dungen verteilte. Der als Massenprogramm kon­ sein Gebühreneinzugsgebiet zu erweitern, nicht zipierten »Europawelle« stellte der nach eigenen zum Zuge, doch die Kontroverse um das Ver­ Äußerungen kulturell ambitionierte Intendant hältnis der beiden Rundfunkanstalten hielt noch 1965 mit der »Studiowelle Saar« ein anspruchs­ Jahre an, da auch Mai gerne das Gebührenein• volles Programm für Minoritäten zur Seite, in zugsgebiet um den rheinland-pfälzischen Teil dem vor allem Wortsendungen wie Hörspiele des SWF erweitert hätte - allerdings ohne Erfolg. und Radioessays gesendet wurden. Der Baden-Badener Intendant Friedrich Bisehoff Neben diesen von Mai vorangetriebenen schlug bei der Wahl des SR-Intendanten zwar Programmentwicklungen ist seine Leistung als noch einen eigenen Kand idaten vor, konnte sich Gründungsintendant vor allem in seiner Medien­ damit aber nicht durchsetzen. So wurde am 5. und Programmpolitik begründet: Als zweitklein­ Juni 1957 Franz Mai, der sein Interesse an dem ste der damals neun Landesrundfunkanstalten Amt angemeldet hatte, zum Gründungsintendan• ten des SR gewählt. Seine Wahl hing gewiß mit erlangte der SR innerhalb der ARD eine profilier­ te Eigenständigkeit, die wohl kaum erwartet oder seinen in Bonn gesammelten Rundfunkerfahrun­ vorausgesehen wurde. Dieses Verdienst kommt gen zusammen, ausschlaggebend dürfte aber gewesen sein, daß er bereits im Vorfeld konkre­ uneingeschränkt Franz Mai zu - wie auch immer te Finanzierungsvorschläge gemacht und signa­ die Medienhistoriker über ihn urteilen werden. lisiert hatte, daß er in der Frage der Unabhän• gigkeit des Saarländischen Rundfunks nicht mit sich handeln lassen würde. Gesprächspartner Bereits kurz nach seinem Amtsantritt am 1. Januar 1958 provozierte Mai einen ernsthaften Als ich Franz Mai im Februar 1993 am Telefon Konflikt mit der Staatskanzlei, der ihn beinahe ein Interview über seinen privaten und berufli­ sein neues Amt gekostet hätte. Denn unter Beru­ chen Werdegang vorschlug, zögerte er keinen fung auf den alten »Reichssender Saarbrük• Augenblick. Er wirkte interessiert und erfreut: ken«, der bis 1945 seinen Sitz im Schloß Hal­ »Ich freue mich direkt, daß mein Name noch mal berg hatte, wo nun das Innenministerium einge­ fü r die wissenschaftliche Forschung aufgetaucht richtet war, verlangte Mai die Rückgabe des ist«. Franz Mai war begeistert. Schlosses an den SR - eine Forderung, die er Keine zwei Wochen später besuchten wir ihn gegen erhebliche Widerstände von seiten der in Saabrücken. An der Seite seiner Lebensge­ Regierung schließlich durchsetzte. Damit waren fährtin Christine Heinrich und mit der aktuellen die Standortvoraussetzungen für den Aufbau Ausgabe der FAZ unter dem Arm empfing er uns des SR geschaffen, der erst 1968 (unter optima­ am Hauptbahnhof in Saarbrücken. Seide be­ ler Ausnutzung der von der ARD bewilligten grüßten uns äußerst freundlich und begleiteten Mittel) zum Abschluß kam. uns zum Hotel, in dem Franz Mai für uns Zimmer Als Intendant war Mai bemüht, den pro­ reserviert hatte. Schon auf der Fahrt zum Hotel grammpolitischen Akzent auf die deutsch-franzö• begann er, von seiner Berufslaufbahn zu erzäh• sische Verständigung zu legen. So initiierte er len . Er sprudelte geradezu über von Erfahrungen 140 Rundfunk und Geschichte 24 (1998) und Eindrücken. Schon in diesem ersten Au­ sich deshalb auch auf eine Strukturierung, Zu­ genblick wurde deutlich, wie stolz er war auf das, sammenfassung und Bearbeitung der Ge­ was er geleistet hatte. sprachsprotokolle, die auf Lesefreundlichkeit Spater in seinem Haus war alles auf unseren zielen. Besuch eingestellt: Franz Mai hatte sich auf un­ ser Treffen vorbereitet und einiges Material zu­ Bleibt nur noch Dank zu sagen an unseren Ge­ sammengetragen. Christine Heinrich hatte den sprachspartner. Vielleicht fallt mein Dank des­ Tisch gedeckt, Kaffee wurde gekocht und Ku­ halb besonders herzlich aus, weil ich mich in chen serviert. Sie trug wesentlich zur entspann­ dieser Begegnung eben nicht nur als faktenori­ ten und vertrauensvollen Atmosphare bei. entierter Medienhistoriker erlebte, sondern als Als nach dem Kaffeeplausch dann der Cas­ neugieriger Angehöriger einer Generation, die settenrecorder lief, zeigte Franz Mai keinerlei bei ihrer wissenschaftlichen Arbeit allzu gerne Scheu. Er erkundigte sich lachend, ob die Tech­ die menschliche Individualität in all ihrer Leben­ nik denn auch funktioniere, ignorierte das Gerat digkeit und Widersprüchlichkeit ignoriert hat - von da an und erzahlte ganz freimütig. Im Laufe Mediengeschichte ist auch Lebensgeschichte. unseres Gesprachs wurde das Vertrauen sogar Das Interview führten Prof. Dr. Wolfgang so groß, daß er selbst bei laufendem Recorder Becker, Dr. Dorothee Römhild und Christian Dinge sagte, die auf keinen Fall an die Öffent• Schulte. Transkribiert und redigiert wurde es von lichkeit sollen. Eva-Maria Marzok im Zusammenwirken mit dem Das Abendessen fand auf Einladung von Mai Projektleiter. in einem angesehenen Saarbrücker Restaurant Wolfgang Becker, Osnabrück statt. Auch nach mehreren Interviewstunden wirkte Mai nie ungeduldig oder ermüdet. Er lachte viel, erzahlte ausführlich und hatte stets Dokument eine erfrischende Anekdote parat. Als wir uns am nachsten Tag voneinander INTERVIEWER: Was erinnern Sie im Zusammen­ verabschiedeten, hatte ich das Gefühl, daß wir hang mit Ihrer Kindheit, Jugend und Familie? uns schon länger kennen. Natürlich waren wir MAl: Da muß ich an erster Stelle die Multinationalität bei all den unterhaltsamen und auch lehrreichen meiner Familie hervorheben. Den Anfang machte Abschweifungen von unserem Interview-Zeitplan meine älteste Schwester. Sie heiratete im Jahre 1923 abgekommen. Es folgte die Einladung zur Fort­ unseren langjährigen Untermieter Jean, Sohn eines setzung der Gespräche im Hause der Familie französischen Bergwerkdirektors. ln meiner Autobio­ Mai an der Cöte d'Azur. Lachend erinnerte sich graphie habe ich deshalb ein Kapitel überschrieben: Mai daran, daß er das Haus vor 30 Jahren von »Die Liebe überwindet die Tragik der deutsch­ Franz-Josef Strauß gekauft hatte. Ich konnte mir französischen Feindschaft«. Heute, am Ende dieses Jahrtausends sind wir eine - so sagt man doch - selbst ein Schmunzeln nicht verkneifen: Schließ• multikulturelle Großfamilie: ln vier Generationen sind lich kannte ich die Geschichte aus dem rund 210 Menschen versammelt, ungefähr 130 davon SPIEGEL. sind französischer und ungefähr 70 deutscher Natio­ Zweieinhalb Monate später saßen wir auf der nalität. Hinzukommen drei Engländer, vier Iren, eine sonnigen Terrasse des Hauses, hoch über der Thailänderin und eine Laotin. Allerdings muß ich sa­ französischen Mittelmeerküste. Morgens, mit­ gen, daß ich neben meiner ältesten Schwester Hedi tags und abends war der Tisch wieder liebevoll noch einen Bruder und eine weitere Schwester habe. und perfekt gedeckt. ln meiner Kindheit und Jugend habe ich fast alle Schul- und Semesterferien bei meiner französischen Familie verbracht. Das heißt, ich habe mit meinen Die Begegnungen mit Franz Mai waren für mich Spielkameraden französisch gelernt, und deshalb Höhepunkte der Interviews zur westdeutschen spreche ich fließend französisch, aber nicht perfekt. Mediengeschichte mit über 30 Zeitzeugen. ln Als ich in die Schule kam und Französischunterricht seinen umfangreichen Selbstaussagen gab Mai hatte, habe ich mir gesagt: »Du kannst doch schon detailliert und umfassend, voller Lebendigkeit Französisch!« Und da ich als Kind nicht übermäßig und mit viel Humor Auskunft darüber, wie er die fleißig war, habe ich die Regeln und die verschiede­ zurückliegenden Jahrzehnte erfahren und gelebt nen Subjonctive usw. nicht so gründlich gelernt, aber hat. Vielleicht waren sie auch und gerade des­ ich sprach doch fließend Französisch. halb so bedeutsam für mich, weil ich selbst nicht 1: Kommen wir auf Ihre Schulzeit zu sprechen. bereit und willens war, seine Erinnerungen in M: Als meine Mutter starb, war ich 14 Jahre alt. Mein das Korsett wissenschaftlicher Analyse und In­ Vater konnte wirklich nicht für mich sorgen, die älte• terpretation zu zwängen, sie durch zusammen­ ren Geschwister waren schon alle außer Haus, ver­ getragene Akten- und Dokumentenkenntnisse heiratet oder im Studium. Er hat mich in ein Internat anzuzweifeln oder durch künstliche Kategorien geschickt. Das war so hart für mich, ich hatte so gro­ auseinanderzureißen. Die Eingriffe beschränken ßes Heimweh, daß mein Vater dann Mitleid mit mir »Am Ende des Jahrtausends eine multikulturelle Großfamilie« 141 bekam und mich in Godesberg in einem jesuitischen erhörte Lehrquelle. Und ich bedaure außerordentlich, Kolleg unterbrachte. Dort hatte ich auch exzellente daß das humanistische Gymnasium, das den jungen Lehrer. Menschen diese Werte und diese Denkstrukturen na­ hebrachte, nicht mehr existiert. Und auch die Ge­ 1: Können Sie dies weiter ausführen? schichte halte ich für außerordentlich wichtig. Und M: Mein intellektuelles Reservoir habe ich im wesent­ dann ergeben sich auch Gesamtbilder. Die philoso­ lichen von den Jesuitenschulen in Feldkirchen und phischen, humanen Reflexionen werden so geboren. Godesberg bekommen, wo ich das »concilium abe­ 1: Wie haben Sie mit diesem kanonischen Rüstzeug, undi« bekam. Ich mußte ja von der Unterprima in die das Ihnen durch das humanistische Gymnasium Oberprima wechseln, und da bin ich schon nach we­ vermittelt wurde, die Kultur, auch Kunst und Literatur, nigen Wochen Klassensprecher geworden. Dieses der Moderne wahrgenommen, die kulturelle Entwick­ »concilium abeundi« verstehe ich, aber es war ei­ lung, die ja sehr rasant verlief? gentlich ein bißchen mittelalterlich, denn die Jesuiten haben hingenommen, daß direkt gegenüber von un­ M: Ich habe ja später auch Kunstgeschichte studiert serem Kolleg, wo wir schliefen und wohnten, die Ur­ bei Kehrer und bei Wölfflin in München und bei Lütze• sulinen ein Mädchenpensionat einrichteten, so wie im ler und Clement in Sonn. Ich habe mit sieben Seme­ Mittelalter neben vielen Mönchsklöstern ein Non­ stern zwar meinen Referendar gemacht, aber ich ha­ nenkloster gebaut wurde, um die menschlichen Kon­ be ein weitgehendes philosophisches Studium und takte zu erhalten (Gelächter). Und da ich ein guter ein weitgehendes kunsthistorisches Studium ge­ Pfadfinder war, habe ich natürlich meine Pfadfinder­ macht; das ging damals alles noch. Und das Literari­ qualitäten auch genutzt, um mich und meine Mitschü• sche lag einfach in der Familie drin: Mein Bruder war ler an die richtigen Orte zu führen, und das führte Journalist, mein Schwager war Journalist ( ... ) zum »concilium abeundi«. Heute sind wir in eine technische Anonymität ge­ Damals hatte ich einen wunderbaren Mentor - er raten, in eine gesellschaftszerstörende Individualität. ist jetzt 97 und lebt noch - Prälat Rudi Oster. Mein Es ist ein fataler Weg, der ab 1968 gegangen worden Vater schrieb: »Mein armer, verlorener Sohn ( ... )«, ist, wobei ich Verständnis für die Frankfurter Schule und er hat dann meinen Vater getröstet und mich habe, weil ihre jüdischen Väter natürlich auch unter untergebracht am Kaiser-Wilhelm-Gymnasium in dem Schock des Holocaust gestanden hatten, ob das Trier, wo ich dann Abitur gemacht habe. (Gelächter) Adorno, Marcuse oder Horkheimer waren. Aber ihre Ich war immer sehr aktiv, und dort habe ich dann sehr tatsächliche Effizienz war die Auflösung der gesell­ schnell den sogenannten Schülerwochengroschen schaftlichen Gemeinschaft, also das Ungleichgewicht organisiert, und ich habe noch den Bericht des da­ zwischen dem »zoon politikon«, also dem Menschen maligen Direktors. (Mai zitiert:) »Mai ist eine sinnige als Einzelwesen, und dem Menschen als Gemein­ und dabei doch aktive und organisatorisch begabte schaftswesen. Dort ist eine Bewegung in Gang ge­ Natur mit ausgesprochenen Führereigenschaften kommen, siehe die Selbstverwirklichungsutopie und (Gelächter). Er will Volkswirtschaft studieren.« alle ähnlichen geistigen Entwicklungen, die einfach die Gesellschaft zerstören, weil dem Menschen nicht 1: Die Beschäftigung mit antiken Stoffen stand wahr­ mehr klar wird, daß er nicht nur ein Subjekt ist, ein scheinlich auf einem humanistischen Gymnasium im Einzelindividuum, sondern eben auch eingegliedert Mittelpunkt. ist in die biologische Gemeinschaft Mensch. Deshalb M: Natürlich. Ich bedaure ja sehr, daß das Gymnasi­ geht das Gemeinschaftsverständnis immer mehr un­ um so heruntergekommen ist. (Mai zitiert fließend ter. Griechisch). Das Griechische hat mir einmal eine ho­ (... ) Und ich sagte Ihnen, wenn ich mein philoso­ he Neugier und Sensibilität für das Philosophische phisch-humanes Ziel bezeichnen sollte, würde ich und für das Ästhetische mitgegeben. Für das Philo­ sagen: die befriedete Vielfalt. Nicht die Vergewalti­ sophische haben wir ja noch Platon gelesen und ein gung der Vielfalt zur Einheit, sondern die befriedete bißchen Aristoteles, auch Geschichte, und dann ha­ Vielfalt. ben wir Homer gelesen. Und solche Bilder bleiben in 1: Könnten Sie den Begriff noch etwas erläutern? einem jungen Menschen einfach stehen. Das heißt, wir haben eine hohe Sensibilität für Ästhetik, für M: Wie jeder einzelne Mensch geprägt wird durch Sprache und für philosophisches Denken durch das sein Familienmilieu, durch seine soziale Umwelt, Griechische bekommen. durch seine familiären Verbindungen und Beziehun­ gen und durch seine Erfahrungen in Auseinanderset­ 1: Haben Sie in der Zeit auch damit begonnen, Ge­ zung mit seiner Umwelt, und wie sich dadurch die dichte zu schreiben? Persönlichkeit bildet, die dabei herauskommt, ist M: Ja, die habe ich schon als Kind geschrieben. Mein auch jedes Volk, jede Ethnie so geprägt einmal durch Vater war ein großer Knittelversereimer. - Das Latei­ seine geographische Umwelt, d.h. seine klimatische nische - viele Leute sagen, meine deutsche Sprache Umwelt, seine geographische Struktur, siehe Frank­ sei sehr lateinisch, und das ist richtig - hat mir den reich zwischen Mittelmeer und Atlantik, und durch Sensus für Organisation, Administration, Recht gege­ seine geschichtliche Erfahrungen, wie jeder Mensch ben und die Sprache, die lateinische Sprache gibt durch seine Erfahrungen. Und diese Prägungen nicht durch ihre langen Sätze, die ich auch leider schreibe, zu zerstören, sondern sie in eine befriedete Kommu­ die Möglichkeit, das Wichtige und das weniger Wich­ nikation zu bringen, weil dadurch der Reichtum der tige durch die Haupt- und Nebensätze einstufen zu Vielfalt deutlich wird, ist für mich eigentlich die können. Und insofern halte ich Latein für alle auch Grundlage für mein Ziel der befriedeten Vielfalt. (... ) gesellschaftspolitischen Ordnungsfragen für eine un- 142 Rundfunk und Geschichte 24 (1998)

»Und dann wurde ich zur schärfsten jüdischen Frau hatte scheiden lassen, und ich. Wir Disziplinarstrafe verurteilt.« haben damals die Frankfurter Justiz aufgebaut und unglaublich schwer gearbeitet. Ich war zuerst Miet­ 1: Wann haben Sie zum ersten Mal Militärdienst ge­ richter, da habe ich drei Mietrechtskommentare ge­ macht? schrieben. Dann war ich Strafrichter. Ich habe sogar M: Am 1. oder 2. Mai 1940. Ich hatte ja am 27. oder vier Dankesbriefe bekommen. 28. April mein Assessorexamen, und dann wurde ich 1: Wissen Sie noch, wann genau Sie als Richter ange­ sofort eingezogen. ( ... ) Ich habe 1936 meinen Füh• fangen haben? rerschein gemacht, und deshalb kam ich zu den Pan­ M: Anfang November 1945 erhielt ich die Genehmi­ zern und habe da Panzerfahren gelernt. Ich war dann gung der Amerikaner. Ich kann Ihnen auch mein Ent­ erst nach dem Frankreichfeldzug Dolmetscher im nazifizierungsurteil zeigen. Mir wurde dann in Frank­ Stralag 6. Ich habe heute noch einen Lederkoffer von furt ein Dezernat für Zivilprozeßverfahren zugeteilt. einem Franzosen aus Paris zu bekommen, der sagte: Später, im Jahre 1948 gab ich mein Zivilrechtsdezer­ »Wenn der Krieg zu Ende ist, kommen Sie bei mir nat ab und wechselte ins Strafrecht. vorbei. Sie bekommen den schönsten Lederkoffer, den ich in meinem Geschäft habe.« Den habe ich nur 1: Sie haben also zwischen 1945 und 1949 in Frank­ nie abgeholt (lacht). Dann kam der Rußlandfeldzug, furt gelebt? Haben Sie da etwas vom Aufbau des und ich wurde dem Panzerregiment zugeteilt. Der Hessischen Rundfunks mitbekommen oder überhaupt Krieg hatte ja schon begonnen, und wir trafen auf d~s etwas von der alliierten, amerikanischen Medien­ Panzerregiment an der Beresina. Dann gab es be1m oder lnformationspolitik? Vormarsch auf Moskau ganz schwere Verluste, be­ M: Ich wohnte in der Silbermannstraße in Frankfurt, sonders unter den Offizieren, und dann kam Ersatz. und diese mündet auf den Bertramshof. Ich habe Und unter diesen Offizieren, die als Ersatz kamen, mich damals nicht mit Medienpolitik befaßt, weil ich waren einige, die in der nationalsozialistischen Erzie­ als Miet- und Strafrichter genug zu tun hatte. Mir war hungsanstalt, der sogenannten NAPOLA erzogen klar, daß mir der geschriebene Journalismus näher• worden waren. Und wenn man als Soldat nicht weiß, stand. Mir war klar, daß die Gründung der Rundfunk­ ob man morgen noch lebt, sagt man ja, was man anstalten eine Sache der Alliierten war (. .. ) Wir hatten denkt. Und so habe ich an der Front dort nicht ver­ Verständnis dafür, daß die amerikanischen Soldaten steckt, daß ich antinationalsozialistisch bin, daß ich gerne die »Frouleins« sahen, und wir hatten auch diesen Krieg für ein Verbrechen halte. Das müssen Verständnis dafür, daß sie uns Zigaretten gaben. Wir einige von diesen Leuten gehört haben über Kontak­ sind besonders betroffen gewesen, weil sie uns aus te, und die haben dann alle meine Kameraden ver­ unserem Haus herausgesetzt haben, das ganze Ge­ hört mit dem Schwur, mir nichts zu sagen, und haben biet wurde ja eingezäunt für die Amerikaner. Durch dann eine Anklage gegen mich erhoben wegen De­ den Begriff »Reeducation« war uns klar, daß uns hier faitismus an der Front. Und Defaitismus an der Front amerikanische Weisheiten eingedrillt werden sollten, bedeutete entweder Erschießung oder Bataillon 666, obwohl wir vielleicht schon etwas mehr Geschichtser­ was genausogut wie Erschießen war. Mein Regi­ fahrung hatten als die Amerikaner in ihrer kurzen mentskommandeur, Heinrich Graf Seherr-Thoß, ein 200jährigen Geschichte. schlesischer Adeliger, war Nicht-Nazi und wollte mich retten. Er ist mit meiner Anklageschrift, die er weiter­ 1: Wie war Ihr weiterer Weg, der Wechsel vom Rich­ reichen sollte ans Kriegsgericht, zu General Model teramt in die Politik zu Adenauer? gefahren und hat mit dem verhandelt, wie man diesen M: Das will ich mal als erstes erklären: Es gab mehre­ jungen Burschen, der da so dummes Zeug geredet re Gründe, die mich veranlaßten, meinen Richterpo­ hatte, retten könne. Und da hat der Model gesagt: sten aufzugeben: Für mich war es wichtig, erstin­ »Das ist für mich ein großes Risiko, aber für Sie, lie­ stanzlicher Richter zu sein, wo ich den jeweiligen An­ ber Graf Seherr-Thoß, will ich das eingehen«. Und geklagten vor mir hatte und versuchte, intuitiv ~ie dann wurde ich zur schärfsten Disziplinarstrafe verur­ Persönlichkeit zu erfassen, weil ich der Meinung b1n, teilt, die überhaupt zur Verfügung steht; das waren daß unser Schuldstrafrecht problematisch ist. Ich bin drei Wochen Gefängnis im Gefängnis von Smolensk, im Grunde ein Anhänger des Gefährdungsstrafrechts, Strafversetzung in eine besonders gefährdete Infan­ das z. T. sogar schärfere Strafen verhängen kann . teriedivision und Aberkennung selbst der Fähigkeit, wenigstens Unteroffizier zu werden. Und so haben 1: Könnten Sie das näher erläutern? mich die beiden vor dem Erschießen gerettet. ( ...) M: Ich habe immer versucht, nicht die Persönlichkeit des Angeklagten zu zerstören, sondern sie zu moti­ »Immer versucht, nicht die Persönlichkeit vieren, sich wieder einzugliedern und ihr klarzuma­ des Angeklagten zu zerstören.« chen, daß die Gesetze die Spielregeln der Gesell­ schaft sind und daß diese Spielregeln eingehalten M: Ich gehörte, glaube ich, zu den ersten vier Rich­ werden müssen, weil sonst die ganze Gesellschaft tern, die die Amerikaner zuließen. Da war einer, der auseinanderfällt war lebend aus Theresienstadt zurückgekommen, Herr Maas, dann war ein emigrierter Sozialist, Herr 1: Also nicht Strafverfolgung im Sinne des Schuld­ Becker, der später dann Gerichtspräsident wurde, rechts als Sühne? einer war der Graf Lankoronski, der Amtsge­ M: Nicht als Sühne, sondern als psychologische The­ richtspräsident war, der war seines Dienstes von den rapie und als Schutz der Gesellschaft vor solchen Nazis enthoben worden, weil er sich nicht von seiner Menschen, die aus Motiven, die wir nicht ganz durch- »Am Ende des Jahrtausends eine multikulturelle Großfamilie« 143 schauen können, eben straffällig werden und die Ge­ Familie immer ersehnten Demokratie teilzunehmen. sellschaft und deren Mitglieder gefährden. ( ... ) 1: Wie kam es dann zur Berufung als »Persönlicher »Einen ungewöhnlichen Respekt Referent« Adenauers? vor Ihnen eingeflößt hat.« M: Mein unmittelbarer Vorgesetzter wurde Dr. Petz. 1: Warum sind Sie nach Sonn gegangen? Und eines Tages kam plötzlich vom Kanzler, wie Globke sagte, die Aufforderung an mich, in einem M: Ich bin nach Sonn gegangen aus mehrerlei Grün• Streitfall im Bundespresseamt zu schlichten. Es war den: Einmal, weil mein Bruder im CVA und mit Dr. wohl die Information durchgedrungen, daß ich ein be­ Würmeling freundschaftlich verbunden war, und der kannter Richter in Frankfurt gewesen war. Und ich Würmeling suchte nun sehr stark nach unbelasteten habe mit außerordentlicher Gewissenhaftigkeit diesen und qualifizierten Mitarbeitern fürs Bundeskanzleramt Streit so klären können, daß der damalige Bun­ und überhaupt für Sonn. Würmeling hat 1949 zu­ despressechef, er hieß im übrigen Dr. Braun, abtre­ nächst mal das Bundeskanzleramt übernommen vor ten mußte. Er wurde dann untergebracht als Regie­ Globke und ist dann in den Bundestag gewählt wor­ rungspräsident in Aachen. den. Und nun hat offenbar mein Bruder den Herrn Ein weiterer Vorfall kam hinzu. Aus einem Ge­ Würmeling auf mich aufmerksam gemacht, und dann heimdokument der alliierten Hochkommissare er­ kam noch ein Dr. Hähnlein dazu, auch ein Bundes­ schien eines Tages ein Auszug in der deutschen bruder meines Bruders - ich bin ja KV, mein Bruder Presse. Und ich sollte untersuchen - weil die Hohen ist CV, also auch da die Variationsbreite - der mich Kommissare behaupteten, das könnte nur bei der offenbar benannt hatte. Und da schon die Nichtbela­ deutschen Seite liegen -, wo die undichte Stelle sei. stetheit unserer Familie evident war, obwohl ich beim Das wird wohl eben auch dazu beigetragen haben, Examen ( ... ) den Antrag auf Parteianwärterschaft daß Globke anrief und sagte: »Der Kanzler möchte gestellt habe, war ich natürlich für sie interessant als Sie zum persönlichen Referenten haben«. Ich habe Unbelasteter. Des weiteren war ich für sie interes­ damals so den Eindruck gehabt, daß der Kanzler sant, weil ich drei Ministerien sachverständig abdek­ mich sehr schätzte, und dann, wie das mit alten Leu­ ken konnte, denn ich hatte promoviert in Arbeitsrecht, ten manchmal so ist, greift man manchmal zu Mitar­ so daß ich also das Arbeitsministerium abdecken beitern, die einem gefällig sind oder die einem die konnte; ich konnte das Wohnungsbauministerium ab­ eigenen Auffassungen vortragen. decken, weil ich drei Kommentare geschrieben hatte. Ich war der berühmteste Mietrichter im Süden, im 1: Später hatte Adenauer ja noch mehr mit Ihnen vor. Norden war mein »Gegenspieler« der Prof. Setter­ M: ln der Tat. Eines Tages ließ mich der Kanzler ru­ mann, also - abgesehen von Nordhessen vielleicht - fen und sagte: »Herr Dr. Mai, ich möchte Sie zum war ganz Hessen, Rheinland-Pfalz, Baden-Württem• Generalsekretär der CDU machen!« Da sagte ich: berg usw. angeschlossen an meine Mietrechtspre­ »Herr Bundeskanzler, Sie haben erst vor wenigen chung, deshalb wurde ich auch gedrängt, die drei Wochen oder Monaten Herrn Lubbers dazu gemacht. Kommentare über Mietrecht zu schreiben. Und das Was wird mit dem?« - »Ja, das müssen Sie mit dem dritte Ministerium, das ich abdecken konnte, war das zusammen machen.« Da habe ich gesagt: »Herr Flüchtlingsministerium. Weil mein Bruder ja aufge­ Bundeskanzler, ich stehe voll zu Ihren Diensten und fangen war in der katholischen Organisation für die ich bin auch durchaus bereit, diese Aufgabe zu über• Auslandsdeutschen, hatte ich mich bereiterklärt für nehmen, aber es kann nur einen Generalsekretär ge­ die Flüchtlinge, für die in Frankfurt ein großes FIOcht­ ben und keine zwei!« Da wurde er sehr ungehalten, lingslager eingerichtet war, als Justitiar zur Seite zu wie ich ihn eigentlich selten gesehen habe, und er stehen, und damit hatte ich mich natürlich mit allen sagte: »Herr Dr. Mai, Sie wissen, daß ich in acht Ta­ Problemen des Flüchtlingsrechts und der Flücht• gen nach Bürgenstock fahre. Und ich gebe Ihnen lingssituation eingehend befaßt, weil ich ihnen als acht Tage Zeit, sich zu überlegen, ob Sie mir diese Rechtsberater zur Verfügung stand. ( ... ) Bitte abschlagen. Ich werde Sie anrufen lassen und 1: Was waren Ihre Orientierungen in dieser Zeit um Ihre Antwort erbitten.« Zwei Stunden vor seiner Ab­ 1945, nach zwölf Jahren Nationalsozialismus, lang­ fahrt nach Bürgenstock, um 11.00 Uhr morgens, rief sam ei.n~n demokratischen Staat zu bilden, was ja er an und fragte: »Herr Dr. Mai, haben Sie sich nun auch e1mge Jahre gedauert hat? Mit welchen Grund­ entschlossen, meiner Bitte zu folgen und Generalse­ überzeugungen in Hinblick auf ein demokratisches kretär zu werden?« Da habe ich gesagt: »Herr Bun­ Staatsgebilde sind Sie damals an die Arbeit gegan­ deskanzler, ich kann Ihnen keine andere Antwort ge­ gen? ben, als ich sie Ihnen vor acht Tagen gegeben habe. M: Da wir immer antipreußische Demokraten waren Ich bin durchaus bereit, diese Aufgabe zu überneh• men, aber es kann nur einen Generalsekretär ge­ war es für mich selbstverständlich, eine Demokrati~ ben<<: Da wurde er so böse, wie ich ihn eigentlich aufzubauen (... ) Wir mußten zunächst mal diesen Staat wiederaufbauen. Und die erste Aufgabe war für niemals gesehen habe, und dann habe ich ihm ge­ sagt: »Herr Bundeskanzler, Sie fahren in zwei Stun­ mich, daß ich von den Amerikanern gebeten wurde die Justiz in Frankfurt wiederaufzubauen. Und dan~ den nach Bürgenstock. Ich darf Ihnen schriftlich mein kam erst 1949 das Grundgesetz und die Bundesre­ Programm für die Partei und meine Gründe in einem gierung suchte Leute, und da war ich natürlich sofort Brief darlegen?« Aus diesem historischen Brief darf bereit, in Sonn am Aufbau dieser neuen, von unserer ich Ihnen jetzt vorlesen? (Mai zitiert:) »Sehr verehrter Herr Bundeskanzler (... ) Ich halte es weiterhin nicht für absolut unmöglich: 144 Rundfunk und Geschichte 24 (1998)

daß es mir gelingen könnte. die Partei organisato­ war, daß also der Pressesprecher entweder Herr risch, ideologisch und propagandistisch auf eine bes­ Lummer oder später Herr von Eggert sein sollte, daß sere und schlagkräftige Grundlage zu stellen. Ich aber ich die gesamte Organisation und Gestaltung verkenne dabei nicht die ungewöhnlichen Schwierig­ des Presseamtes übernehme. Dann habe ich also keiten, die sich einer solchen Reorganisation entge­ gesagt: »Ich bin bereit, ins Bundespresseamt zu ge­ genstellen werden. Der Versuch, diese Aufgabe zu hen.« Dann habe ich mir für den Januar 1952 Urlaub lösen, hat aber nur Aussicht auf Erfolg, wenn folgen­ genommen, weil ich für die neue Aufgabe erholt sein de Voraussetzungen gegeben sind: 1.: Derjenige, der wollte, ich hatte wirklich sehr viel Arbeit, und in der diese Aufgabe übernimmt, muß auch die Geschäfts• Zeit muß einer der größten Intriganten, Werner Krü• führung der Partei übernehmen, weil er sonst keiner­ ger, dafür gesorgt haben, daß er Stellvertreter von lei Möglichkeiten der praktischen Durchsetzung hat. Felix von Eckardt wurde. Von Eckardt war noch nicht 2.: Er muß der alleinige Geschäftsführer sein; jeder da, als ich in Urlaub ging, und Krüger war dann prak­ Dualismus würde von vornherein die Arbeit lähmen. tisch der zweite Mann. Und ich bekam also dann nur Ich würde zwar unter Zurückstellung meiner persönli• die Abteilung für Film, Funk und Fernsehen. Das war chen Ansichten und meiner Bedenken eine Zusam­ eine tiefe Enttäuschung für mich, denn Globke hatte menarbeit mit Herrn Lubbers nicht grundsätzlich ab­ mir, bevor ich in Urlaub fuhr, den Organisationsplan lehnen, aber sie nur dann für tragbar halten, wenn vorgelegt, da stand oben »Bundespressechef«, dann Herr Lubbers eine fest umrissene Aufgabe hätte, bei­ »Leiter des Amtes: Dr. Mai«, und dann kamen die spielsweise DUD«, das war der lnformationsdienst, Abteilungen. Ich bin auch sehr glücklich darüber, daß »die Geschäftsführung aber ungeteilt bleibt und das man Werner Krüger nicht in den Krone- und Ellwan­ Herrn Lubbers zufallende Aufgabengebiet nicht aus ger-Kreis hineingenommen hat, dem ich ja angehöre der leitenden Zuständigkeit dieser Geschäftsführung - das ist der Kreis der alten Mitarbeiter und Freunde ausgenommen wird, damit die Einheit der Arbeit ge­ Konrad Adenauers, der einmal im Jahr zusammen­ wahrt bleibt. 3.: Ich halte es durchaus für gut, wenn kommt -, denn ich halte ihn für den eigentlichen Intri­ dem Geschäftsführer ein politischer Berater zugeord­ ganten, der das zustandegebracht hat. Ich habe mich net wird , der ihm dauernd in allen politischen Fragen damit zurechtgefunden, und dann hat man mir doch zur Seite steht. Ich glaube auch, daß eine harmoni­ später, da mußte Schlösser gehen, der hatte irgend­ sche Zusammenarbeit mit den drei von Ihnen be­ welche Dummheiten gemacht und wurde dann über nannten Herren möglich ist. Es ist selbstverständlich, andere Positionen verschoben, und da wurde ich daß der Geschäftsführer in ständiger enger Fühlung dann Leiter der Zentralabteilung und habe dann als mit Ihnen und dem Vorstand der Partei bleiben muß. solcher das Presseamt aufgebaut und die Organisati­ 4.: Die Reorganisation der Bundesgeschäftsstelle on gemacht. Aber es gab doch ein gewisses Span­ und der Landespartei kann ich erst beurteilen, wenn nungsverhältnis zu von Eckardt und zu Krüger. ich einige Wochen ihr Funktionieren beobachtet ha­ 1: Wann war dieser Wechsel zur Zentralabteilung ge­ be. 5.: Es wird sich auch voraussichtlich als notwen­ nau? dig erweisen, innerhalb der Partei alle aktivistischen Kräfte organisatorischer Besonderheit zusammenzu­ M: Das muß im Sommer 1952 gewesen sein. - Jetzt fassen, um dem Parteiapparat wirkliche Stoßkraft zu will ich eine der größten Stunden meines Lebens verleihen. Hierzu muß besonders die Jugend heran­ schildern: Ich war schon Intendant im Saarländischen gezogen werden. 6.: Die kirchlichen und sonstigen Rundfunk, und der Finanzminister Bulle wollte in konfessionellen Verbände waren früher die großen Beerhus, das ist bei Saarlouis, ein großes Denkmal Zubringer-Organisationen für die christlichen Partei­ für die großen Europäer errichten und hatte den en. Diese Verbände sind gegenwärtig teilweise ohne Termin für den ersten Spatenstich so gelegt, etwa ein aktives Leben oder lehnen bewußt jede Politik ab. Mit Jahr vor seinem Tod: Adenauer sollte in Metz von dem deutschen Episkopat muß die Wiederbelebung Monnet die erste goldene Robert-Schumann-Medaille dieser Verbände eingehend besprochen werden. Der bekommen. Ich war dazu auch eingeladen und auch gleiche Versuch müßte mit der Evangelischen Kirche zu dem ersten Spatenstich, der auf denselben Tag unter Berücksichtigung ihrer Besonderheiten gemacht gelegt worden war, damit der Kanzler auf der Fahrt werden. (.. .) Ideologisch müßte die Partei aus ihrem von Bonn nach Metz über Beerhus fahren konnte, um restaurativen Klima in ein evolutionäres überführt da den ersten Spatenstich zu tun. Und der Kanzler werden. (. .. ) Ich setze mich nicht zwischen Borke und sieht mich, kommt auf mich zu und sagt: »Dr. Mai, ich Stamm. Das kann nur einen Intrigenkrieg geben, und würde Sie dringend bitten, mit mir in meinem Wagen für Intrigen bin ich nicht der geeignete Mann. (... )« nach Metz zu fahren. Lassen Sie Ihren Fahrer mit Dann kam der Kanzler zurück, und ich habe noch seinem Wagen hinterherfahren; ich möchte gerne mit mit ihm den Parteitag in Karlsruhe vorbereitet, da ha­ Ihnen sprechen.« Ich habe mich also dann in seinen be ich ihn noch begleitet, aber es war nicht mehr das Wagen gesetzt. Wir waren vom Fahrer durch eine alte Vertrauensverhältnis, die absolute Konkordanz, Scheibe getrennt. Und dann hat dieser große alte die eigentlich zwischen dem Chef und seinem per­ Mann zu dem damals noch relativ jungen gesagt: sönlichen Referenten bestehen mußte. Und dann ha­ »Herr Dr. Mai, ich möchte Ihnen sehr herzlich dan­ be ich ihm gesagt: »Ich wäre auch bereit, eine andere ken. Was Sie getan haben in der kurzen Zeit, in der Funktion zu übernehmen.« Er fragte: »Wollen Sie in Sie bislang Intendant gewesen sind, für die Befrie­ die Diplomatie oder wollen Sie ins Presseamt?« Ich dung und der Zusammenführung zwischen CVP und habe mich für das Presseamt entschieden, weil der CDU.« Es war mir nämlich als erstem gelungen, auf Journalismus immer mein eigentliches Lebensgebiet dem Schloß Halberg die Parteiführer der vier Partei­ gewesen ist. Und aus dem Tagebuch von Otto Lenz en , der SPD, Heinrich Schneider, CVP und CDU zu ergibt sich, daß der Kanzler sehr dafür eingetreten einem vernünftigen Gespräch zusammenzubringen. »Am Ende des Jahrtausends eine multikulturelle Großfamilie<< 145

»Und dann möchte ich Ihnen danken für den Einsatz, M: Das ist das heutige Dilemma. Heute putscht jeder den Sie persönlich, aber auch als Intendant des Interessenverband die Öffentlichkeit auf. Saarländischen Rundfunks, für die guten Beziehun­ 1: Bestand bei diesem Verfahren nicht auch eine Ge­ gen zu Frankreich geleistet haben.« Und dann atmete fahr des Mißbrauchs? er tief und sagte: »Lieber Herr Dr. Mai, ich habe Sie aber eigentlich in meinen Wagen gebeten, um Ihnen M: Die Gefahr war relativ gering, weil davor intensive zu sagen, daß mir im nachhinein Ihre damalige Hal­ Sachverständigengespräche geführt wurden. tung einen ungewöhnlichen Respekt vor Ihnen einge­ 1: Ist aber nicht vor diesem Hintergrund die Rede vom flößt hat.« Und wenn ein so alter, großer Staatsmann, mündigen Bürger pure Ideologie? seinen jungen persönlichen Referenten so dringend in seinen Wagen bittet, um ihm zu sagen, daß er da­ M: Es hat gar nichts mit der Mündigkeit zu tun. Der mals einen grundsätzlichen Fehler gemacht hat und große Irrtum heute ist der der Gleichheit. Die Auffas­ daß die harte Haltung im nachhinein erheblichen Re­ sungsgabe, die lnteressenlage, das Informationsni­ spekt ausgelöst hat, so ist das für mich eine sehr veau des einzelnen Bürgers ist ja unerhört verschie­ große historische Stunde meines Lebens. Wir sind den. Und es kommt eben darauf an, und das war un­ dann zusammen nach Metz gefahren. Daß dieser alte sere Demokratur, dieser Verschiedenheit zum Trotz Mann sich entschloß, mir das zu sagen, zeigt auch eine vernünftige Lösung zu erreichen - wobei jeder die Größe seiner Persönlichkeit. Welcher Staatsmann die Freiheit hat zu widersprechen, die optimale Lö• dieser Größe gibt einen Fehler zu und bittet jeman­ sung selbst aber nicht in Frage gestellt wird. den, zu ihm zu kommen, damit er ihm das sagen 1: Noch einmal zum Begriff des mündigen Bürgers. kann? Das ist heute ganz selten und zeigt die Größe Handelte es sich dabei nicht doch um eine Ideologie? der Persönlichkeit Adenauers. M: Nein, das bedeutete, daß jeder sich äußern und 1: Könnten Sie an dieser Stelle einmal beschreiben, seine Meinung sagen durfte. Nur ob dieses subjektive wie Entscheidungsprozesse bei Adenauer abliefen? Interesse auch in der staatlichen Lösung berücksich• tigt werden muß, das ist dann die Sache der politi­ M: Das lief so ab, daß der Kanzler bei einer guten schen Demokratur. Die Frage nach der Mündigkeit ist Flasche Wein einige Freunde versammelte, dazu ge­ eine Frage nach der subjektiven Information, der hörten Abs und Pferdmenges. Die schlugen den ei­ subjektiven Begabung und Erkenntnismöglichkeit nen oder anderen Sachverständigen für das jeweilige usw. Es gibt keine Gleichheit der Begabung, sondern Problem vor, und dann wurde das besprochen. Aus nur die Gleichheit vor dem Gesetz. Ich würde mir dieser Besprechung bildete sich der Kanzler eine wünschen, daß die Gesellschaft wieder eine Hoch­ Meinung, die dann mit den Fachministern besprochen achtung vor der subjektiven Begabungsqualität hätte, wurde. Dann hat die Demoskopie nach der zu erwar­ aber die ist verlorengegangen durch diese Gleichma­ tenden Reaktion der Bürger auf eine solche mögliche cherei. Entscheidung gefragt. Nachdem wir das wußten, konnten wir in den Teegesprächen auf diese Gefühle eingehen und erläutern. Deswegen war uns die De­ »Wir sollten ein Informationsministerium moskopie so wichtig . schaffen und kein Bundespresseamt« 1: Das betraf nur die Argumentationsstrategie, nicht 1: Welche Aufgaben hatten Sie als Leiter der Zentral­ den Inhalt der Entscheidung? abteilung im Bundespresseamt? M: Nein, Adenauer hat an einer einmal gefaßten Ent­ M: Der gesamte Haushalt, die gesamte Organisation, scheidung in der Regel festgehalten Personal, dann hatte ich noch die Bundesbildstelle drin, hatte eine Zeitlang auch noch Film, Funk, Fern­ 1: Das ist aber eher autokratisch und wenig demokra­ sehen integriert, das wurde dann später wieder abge­ tisch. trennt. Also quasi der ganze Bau ist von mir gemacht M: Ich nenne das ja auch die Demokratur. Alle kamen worden mit der Bundesbaudirektion. Ich hatte erst zu Wort. Das ist die beste Form der Demokratie, weil schon den Presseclub, die alte Villa neben dem Aus­ hier die partiellen Interessen zurückgedrängt werden. wärtigen Amt, eingerichtet und als Bauherr gebaut, da haben sich auch Krüger und von Eggert nicht 1: Entspricht das nicht eher feudalen Strukturen? Das Mandat einer demokratisch gewählten Regierung drum gekümmert. Ich habe auch die Finanzierung besteht doch gerade darin, den unterschiedlichen durchgezogen. Dann kam eines Tages der Rolf Vogel Interessen aller gesellschaftlichen Gruppen gerecht zu mir, der eigentlich so ein jornalistischer Handlan­ zu werden. Adenauer hat dieses Prinzip geradezu ger von Jakob Kaiser war, also mir nicht übermäßig verkehrt. nahestehend. Aber er wußte, daß ich der Hauptautor der Lüders-Vorlage war, daß ich mit Lenz zusammen M: Nein, man suchte die optimale Lösung für eine die Abtrennung - dadurch bin ich mit Barzel so be­ demokratisch zusammengesetzte Gesellschaft, die ja kannt geworden, der war damals ja Persönlicher Re­ die unterschiedlichsten Informationsniveaus hat. Es ferent von Arnold, aber die Trennung des NWDR in ging darum, die einzelnen Gruppen auf ihren Infor­ NDR und WDR, damit die Translimiten nicht so voll­ mationsniveaus anzusprechen und so für die optima­ kommen Norddeutschland beherrschten rundfunkpo­ le Lösung Akzeptanz zu erzielen. Dabei konnte jeder litisch (Gelächter) - ich war sehr eng befreundet mit widersprechen. Otto Lenz, was wahrscheinlich auch für Argumente 1: Der Widerspruch blieb nur wirkungslos. gegen mich gesorgt hat - die Deutsche Welle und den Deutschlandfunk nach Köln zu legen, in die Nähe der 146 Rundfunk und Geschichte 24 (1998)

Bundesregierung, und nicht nach , ins Cis­ 1: Bleiben wir noch beim Entwurf des Bundesrund­ limitische Ausland. funkgesetzes. Ich war jedenfalls mit Lenz der Meinung, wir so~l­ M: Ich hatte beim Bundesrundfunkgesetz mitgearbei­ ten ein Informationsministerium schaffen und kem tet, und ich hatte immer Lenz begleitet bei den Ver­ Bundespresseamt, und zwar aus folgendem Grunde: handlungen zur Teilung des NWDR. Ich hatte ihn Alle Fehler des Bundespresseamtes wären unmittel­ begleitet zu Professor Grimme, der damals General­ bar auf den Kanzler zurückgekommen, solange das direktor des NWDR war, er war ja vorher Kultusmini­ Bundespresseamt eine Abteilung des Bundeskanz­ ster in Niedersachsen. Bei der Teilung hatte ich Lenz leramtes war. Das war das eine, und das zweite war, auch zu Arnold begleitet, von daher meine Freund­ daß die ganzen übrigen Ministerien sich eigentlich schaft zu Barzel, dem damaligen persönlichen Refe­ unterrepräsentiert fühlten, weil kein selbständiges renten von Arnold. ( ... ) Wir hatten in dem Intendanten Informationsministerium bestand, in dem sie praktisch Hartmann einen guten Partner und auch in Grimme gleiche Ressortrechte hatten, sondern alles beim einen sehr vernünftigen Partner. Und so haben wir - Bundeskanzleramt war, wo sie zwar gehört wurden, d.h. Lenz, denn ich bin immer nur als Hilfsarbeiter aber sonst minder wichtige Pressesprecher waren. mitgefahren, hatte zwar ein sehr gutes Verhältnis zu Und deswegen war ich mit Lenz der Meinung, es wä• Lenz aber keine Entscheidungskompetenz, ich habe re wichtig, ein Informationsministerium zu gründen, das ~ur miterlebt als Mithörer und ab und zu meine um den Kanzler vor jeder Panne des Bundespresse­ Meinung mitgeteilt, überschätzen Sie meine Rolle amtes zu bewahren und um die Einbindung der übri• nicht - den NWDR geteilt. Nachdem das Bundesrund­ gen Ressorts in die Information zu verstärken. Die funkgesetz gescheitert war, wollten wir, nachdem die Gegner waren natürlich die, die behaupteten, das Landesfürsten alle Macht an sich gerissen hatten, würde ein Propagandaministerium a Ia Goebbels doch zumindest eine Rundfunkstation für die DDR werden. Und dieser Meinung war Herr Krüger - ob er und eine als außenpolitisches Sprachrohr der Regie­ wirklich der Meinung war, weiß ich nicht -. und ich rung haben. Deshalb wurden dann die Deutsche habe es nicht durchsetzen können. Ich nehme an, Welle und der Deutschlandfunk geschaffen, der daß Krüger mit diesem Argument sehr stark gearbei­ Deutschlandfunk als ein Mittel der Information in die tet hat bei von Eggert, der von Bremen kam und DDR hinein und die Deutsche Welle als eine Station, Bann nicht kannte, vielleicht von seinen früheren die der Stimme Amerikas entsprechen sollte, denn es Überlegungen her gegen die Idee eines Informati­ war ja für uns ungewöhnlich wichtig, sich wieder in onsministeriums war, und das also genutzt hat, um die Völkergemeinschaft zu integrieren. Ich hatte also mich abzuhalftern. Aber mein Leben ist ja trotzdem von diesen Problemen profunde Kenntnis. Im übrigen interessant geblieben! können Sie im Tagebuch von Otto Lenz meinen Weg 1: Wie standen Sie zu dem im Februar 1953 einge­ zum Bundespresseamt nachlesen. brachten Entwurf eines Bundesrundfunkgesetzes? 1: Können Sie noch etwas zum Kampf um den Erhalt M: Das war die Vorlage, die ich meinte. Daran habe des NWDR als zentrale Sendeanstalt der ehemals ich ganz intensiv mitgearbeitet als Mitautor. Wie ich britischen Zone bzw. zur Abspaltung des WDR sa­ überhaupt mit Lenz an der Rundfunkpolitik der Bun­ gen? desregierung beteiligt war, als juristischer und pol~ti­ M: ( ... ) Wir hatten ja auch das große Glück, im trans­ scher Berater, bei der Deutschen Welle und be1m limitischen Raum drei hervorragende Männer zu ha­ Deutschlandfunk, aber auch bei der Teilung des ben von der SPD: den Kaisen, den Kopf in Nieder­ NWDR in NDR und WDR, soweit die Regierung dabei sachsen und den Reuter in Berlin. Hervorragende mitmischte. Persönlichkeiten! Wir waren uns klar darüber, daß die Also war ich neben Cari-Heinz Lüders und Fritz Mentalitätsgrenze nicht so verlaufen darf, daß di~ Schuster einer der drei Autoren des ersten Bundes­ Translimiten im Westen die Cislimiten rundfunkpoli­ rundfunkgesetzes. Wir haben das meiste mit Absicht tisch beherrschen, sondern daß wir dann ruhig den dem Lüders überlassen, er war vielleicht auch zu­ Dialog führen können, in dem man beides trennt. Ich ständig dafür, um ein altes Spannungsverhältnis zwi­ war Privatassistent von Lenz, den ich aus meiner cis­ schen Adenauer und Dr. Lehr nicht zu verstärken. Die limitischen Vergangenheit natürlich gerne in dieser waren nämlich Konkurrenten gewesen: Dr. Lehr war Frage unterstützt habe. So haben wir also dann mit Oberbürgermeister von Düsseldorf und Adenauer von Grimme, Schnabel und den anderen verhandelt und Köln. Und da Adenauer ja mit unerhörter Aktivität haben die Eitelkeit des Hartmann ein bißchen aufge­ Köln entwickelt hat, war da eine gewisse psychologi­ putscht, damit er also auch mit Arnold. und Ba~el als sche Problematik möglichst zu vermindern, indem wir Mitverteidiger seiner Interessen s1ch entwickeln also seinem Innenministerium alles zugaben, was konnte. So ist es also zu dieser Trennung in WDR möglich war. Das war das Bundesrundfunkgesetz. und NDR gekommen. Ein Mann, der sicherlich als Zum anderen war ich Mitglied der Filmbürgschaftsge• Mensch nicht angreifbar war, aber in seinen politi­ sellschaft und hatte dadurch Einblick in die Produkti­ schen Grundüberlegungen für mich immer einen ne­ on von Filmen. Durch eine Kooperation mit dem da­ gativen Akzent hatte, war der langjährige Generalse­ mals absolut vorherrschenden französischen und ita­ kretär der CDU in N[ord]R[hein]W{estfalen], Dufhues. lienischen Film wollte ich etwas Gleichgewicht von Dieser Tor hat nun ausgerechnet einen Nachkommen unserer Seite geben. Diese Problematik hat mir be­ Bismarcks als Intendanten und Hartmanns Nachfol­ wußt gemacht, wie unterschiedlich die Geschmäcker ger inthronisiert, obwohl wir Cislimiten sehr gerne den zwischen den französischen und den deutschen Herrn Jansen dort gesehen hätten - ich glaube, der Filmprodukten waren. ( ... ) war auch cislimitisch -. der als Leiter der Kulturabtei- »Am Ende des Jahrtausends eine multikulturelle Großfamilie<< 147 lung sehr vernünftig Politik gemacht hat in unserem mußten. Ich habe damals schon gesagt: »Europa 1« Sinne einer transkulturellen Verständigung nach hat nur eine Sendeberechtigung, die durch uns, den Westen hin. Vielleicht war der Jansen dem Dufhues Saarländischen Rundfunk, erteilt werden muß, weil nicht erdienernd genug, so daß Dufhues sich also für der Sender das Monopol für das Saarland besitzt. Bismarck entschieden hat, was wir sehr bedauert ha­ Weil ich bei meiner Vorstellung gesagt habe, die Fi­ ben. Ich würde sagen, daß Dufhues' Einfluß darüber nanzierung des Saarländischen Rundfunks müßte entschieden hat. zunächst aus einer Gebührenabgabe von »Europa 1 « an den SR als Lizenzgeber erfolgen, waren die Leute 1: Gab es da eine besondere Loyalität? vom Rundfunkrat begeistert von dieser Idee und ha­ M: Das weiß ich nicht, darüber hätte vielleicht noch ben mich dann gewählt. der Barzel etwas gewußt. Der Bismarck, aus seiner 1: Sie haben sich also selbst nie als ein Intendant ge­ Familiengeschichte her wie sein Urgroßvater ein ex­ sehen, der politisch aufgedrückt war? tremer Machtpolitiker, war zur Schuldabbüßung sei­ nes Urgroßvaters ein extrem liberalistischer Mann, M: Nein, war ich auch nicht. Ich sagte ja, daß ich ge­ und hat gar nicht begriffen, daß dieser Liberalismus wählt wurde, nachdem ich mein Interesse bekundet gefährliche Entwicklungen auslösen kann in einer hatte. Gesellschaft, die doch immer, sagen wir, gewisse 1: Bei Ihrer Wahl gab es ja auch Gegenkandidaten. Auflösungstendenzen zeigt. Einen hatte Bisehoff vorgeschlagen. » Ein Intendantenposten ist eigentlich gar M: Ja, seinen Justitiar. nicht so schlecht.« I: Wie kam es dazu? 1: Wie kam es damals zum Angebot, als Gründungsin• M: Weil er die saarländische Anstalt lieber in Mainz tendant nach Saarbrücken zu gehen? als Landesstudio an den Südwestfunk angeschlossen hätte. Ganz verständlich, aber wegen der saarländi• M: Ja, als das Saarland 1957 wieder zurückgekom• schen Geschichte wollte ich ein bißchen gegen die men war und zehntes Bundesland wurde, kam Rolf Kaisersche Konzeption die Adenauersche durchset­ Vogel, ein Journalist, zu mir, der natürlich wußte, daß zen: Die Saar durfte unter keinen Umständen wieder ich an all dem teilgenommen hatte und sagte: »Herr eine Erschwernis für die deutsch-französischen Be­ Dr. Mai, können Sie keinen Namen nennen für einen ziehungen sein. Deswegen habe ich alles getan, um Intendanten des jetzt zu gründenden Saarländischen die Beziehungen zu Frankreich zu untermauern. Rundfunks, den ich dem Ministerpräsidenten Nay Deswegen auch der Streik meiner Belegschaft zu nennen kann?« Da sagte ich im Scherz: »Das wäre meinen Gunsten gegen Heini Schneider, den großen sicher was, was mich interessieren würde. Ein Inten­ Anbinder der Saar an Deutschland. dantenposten ist eigentlich gar nicht so schlecht.« Der Vogel hat mich dann sozusagen ins Gespräch 1: Noch einmal zurück zum Saarstatut. Sie haben da­ gebracht. ( ...) Beeinflußt von meinen Kindheitserleb­ von gesprochen, mit dem Scheitern des Saarstatuts nissen hatte ich immer den Gedanken: Wenn wir sei das Saarland um seine europäische Rolle ge­ schon Europa entwickeln, wäre das Saarland mit kommen. Welche Rolle spielte de Gaulle bei diesen Lothringen und Elsaß die wunderbare mittlere Platt­ Überlegungen? Der SPIEGEL hat sie ja einmal als form, um daraus - unter Beteiligung der Franzosen »gaullistischen Rundfunkmann« bezeichnet. und Deutschen - ein europäisches Zentrum zu ma­ M: Unser Ziel war Europa auf der Basis einer engen chen . Ich hätte sicherlich für das Saarstatut gestimmt. Beziehung zwischen Deutschland und Frankreich mit Deswegen standen mir auch die Leute um Johannes Einbeziehung der Benelux-Länder und Italiens, also Hoffmann sehr viel näher als die CDU-Leute und als das alte gallo-romanische Reich . Ich war nicht be­ Heini Schneider von der FDP. Nach der Absetzung geistert vom Beitritt Englands, ich hätte eher eine to­ Nays wurde überlegt, ob sie die Stelle des Intendan­ tale Konsolidierung und Strukturierung der Sechser­ ten nicht ausschreiben sollten, und da gab es offen­ Gemeinschaft der römischen Verträge gewünscht. bar 72 Bewerbungen. Der ernsthafteste Gegner war Dann wäre die Situation so gewesen, daß die ande­ der Justitiar des Südwestfunks, weil nämlich Bisehoff ren nur hätten beitreten können, wenn sie diese daran dachte, den Saarländischen Rundfunk in den Struktur akzeptiert hätten. Dann gäbe es heute keine Südwestfunk einzugliedern. Das war gar nicht so un­ Diskussion über Maastricht. verständlich, denn Baden-Baden ist ja eine unnatürli• che Gründung gewesen, zu der es nur gekommen 1: Stichwort >de Gaulle<. 1965 hat wiederum der SPIE­ war, weil es in der französischen Besatzungszone GEL folgenden Satz von Ihnen zitiert: »Ich werde kei­ keinen einzigen Reichssender gegeben hatte. Der ne Kommentare gegen de Gaulle in meinem Sender einzige Reichssender war Saarbrücken, und das zulassen.« Das wurde in einer der folgenden Num­ Saarland wollten sie ja aus dem Staatsgebiet der mern von Reintgen und Diederich dementiert. War es BRD heraushalten, siehe Saarstatut. Und nun dachte ein falsches Zitat? Bischoff, nachdem das Saarland wieder zurückge• M: Es kann sein, daß ich das gesagt habe. Auf kei­ kommen war, daß er mit dem mehr gefestigten Boden nen Fall hätte ich einen solchen Kommentar zugelas­ von Baden-Baden nun den Saarländischen Rund­ sen, weil für mich die deutsch-französische Zusam­ funk, wo praktisch noch nichts existierte bis auf ein menarbeit eine solche Priorität hatte, daß man das paar Büros in der Wartburg, einkassieren könnte. nicht machen konnte, zumal er große Qualitäten be­ Aber ich habe dann doch das Rennen gemacht, ich wiesen hat, siehe die Beendigung des Algerienkriegs. war unter den sechs Kandidaten, die sich vorstellen 148 Rundfunk und Geschichte 24 (1998)

1: Fiel in diesem Zusammenhang das Wort von der die neuen Rundfunkanstalten gegeben hatten, ver­ »antifranzösischen Englandfreundschaft« des seiner­ langte ich das natürlich auch für den SR. Schneider zeitigen Außenministers Gerhard Schröders? weigerte sich, und dann kam mein Betriebsratsvorsit­ zender von der SPD zu mir und sagte: »Herr Mai, wir M: Ja, und zwar wegen dieser verfluchten Präambel möchten eigentlich streiken, damit wir auf den Hal­ zum Vertrag von 1963, diese atlantische Präambel, berg kommen.« Wir saßen in der Wartburg, einem das ist Schröders Werk. halb zerstörten evangelischen Gemeindehaus. Ich 1: Daraufhin haben Sie interveniert? habe das zur Kenntnis genommen, und so kam es M: Daraufhin habe ich ihn von Peter von Zahn angrei­ zum ersten Streik in der Rundfunkgeschichte fen lassen. Deutschlands. Der erregte unerhörtes Aufsehen, so daß die saarländische Regierung nachgeben und der 1: Wie macht man das denn? Regelung folgen mußte, die für alle galt, nämlich daß M: Die Cislimitischen Gesinnungsgenossen Adenau­ das Reichsrundfunkvermögen an die Rundfunkanstal­ ers waren unter Schröders Vorgänger Brentano, auch ten zurückgegeben werden müsse. Daraufhin ver­ ein Cislimite, diese Linie eingegangen. Es gab viel suchten Schneider und die Nationalen in der CDU Widerstand im Auswärtigen Amt gegen diese atlan­ mich abzuwählen, mit der Behauptung, daß ich den tisch-amerikano-anglophile Politik von Schröder. Sein Streik veranlaßt hätte und daß ich damit gegen das Staatssekretär Frank erklärte in einer Abteilungslei­ Fernmeldeanlagengesetz verstoßen hätte. Es kam ter-Sitzung: »Und Sie haben diese Politik des Herrn zur Abstimmung, und nur mit einer Stimme Mehrheit Außenministers zu verteidigen bis Sie das Geschrei bin ich damals Intendant geblieben. Schneider mußte der Gefolterten in den Kellern hören.« ( ... ) Da Peter also vom Halberg abziehen, und wir konnten dort von Zahn damals der bedeutendste Kommentator einziehen. Ich habe dann sehr viel getan, um CDU war, habe ich mich an ihn gewandt und ihm davon und CVP wieder zusammenzubringen. Im Grunde erzählt. Dann hat er einen Kommentar zu dieser Aus­ stand ich der CVP näher als der CDU saarländischer sage der Unglaubwürdigkeit der Erklärung von Prägung, ich hatte ein gutes Verhältnis zu Johannes Sehröder zu den Bemerkungen des Staatssekretärs Hoffmann. So bin ich also dieser Absetzung entgan­ Frank in der Abteilungsleiter-Sitzung gemacht. Dieser gen und habe den SR aufgebaut. Kommentar hat unerhörtes Aufsehen erregt, soviel 1: Welche Personalvorstellungen hatten Sie bei der Aufsehen, daß mich der Ministerpräsident des Saar­ Besetzung der leitenden Positionen? landes zu sich gebeten und gefragt hat, wie ich dazu käme, Peter von Zahn mit einem solchen Kommentar M: Eigentlich wollte ich dem Saarländischen Rund­ funk eine einmalige Besetzung geben: Chefredakteur zu beauftragen. sollte Theo M. Loch werden, Chef des Hörfunks sollte 1: Welche Wirkung hatte der Kommentar Peter von mein jetziger Nachfolger werden, Dr. Buchwald Zahns? (SPD), und Reintgen sollte Chefredakteur des Fern­ M: Er entfachte eine Diskussion und führte zu einer sehens werden. Das haben meine nationalen »Freun­ skeptischen Haltung der Cislimitischen Fraktionsmit­ de« im Verwaltungsrat aus FDP und Landesregierung glieder gegenüber den Schröderschen. Die Präambel nicht zugelassen. Damit zwangen sie mich, Reintgen hat die Franzosen sehr verärgert, denn sie sind ja zum alleinigen Chefredakteur zu machen. Er hat alles ausgetreten aus der NATO. Vielleicht wäre das alles gut durchgeführt und war ein guter Befehlsempfän• vermieden worden, wenn die Sehrödersehe Politik ger, aber niemand, der politische Konzeptionen re­ nicht dazwischengekommen wäre. daktioneller Art kreativ entwickeln konnte. Da hätte ich gerne einen gehabt wie Theo M. Loch, den Her­ 1: War das die einzige Zusammenarbeit mit Peter von ausgeber der Zeitschrift »Europa« und Vorsitzenden Zahn? der Europa-Union Deutschlands, schon als europäi• M: Seit der Zeit waren wir ein bißchen befreundet, ich sches Symbol. Die Trias hätte dann so ausgesehen: habe ihn auch besucht, als er in Amerika war, aber es Buchwald (SPD), Reintgen (national) und Loch gab keine echte Zusammenarbeit. Wie gesagt, ich (europäisch). Und so ist es dann Reintgen geworden. habe von Zahn genommen, weil er damals der be­ 1: Sehr viel hängt also von der Auswahl der Mitarbei­ kannteste Kommentator war, und ich wollte dem ter ab? Kommentar ein besonderes politisches Echo geben. M: Ja, sehr viel hängt von der Auswahl der Mitarbei­ 1: Wir waren vorhin bei der Wahl zum Intendanten des ter ab und von dem Verhältnis, das man zu ihnen hat. Saarländischen Rundfunks. Unmittelbar nach Ihrem Das Zuhörenkönnen und das Entscheidenkönnen Amtsantritt kam es dann zu Konflikten mit der Staats­ und der Versuch, mit gesundem Menschenverstand kanzlei und den Parteien. demjenigen zu erklären, wieso beispielsweise diese M: Ich erntete zunächst die heftige Gegnerschaft Investition den Kostenrahmen übersteigt. Heini Schneiders und der FDP, die aber nicht FDP 1: Wie war denn das Verhältnis zu den Mitarbeitern? hieß. Schneider war Innenminister und hatte sich auf dem Halberg festgesetzt, er hatte dort seine Büro• M: Beim Technischen Direktor war das leicht, weil da räume. Aber das Schloß Halberg war der Sitz des keine politischen Programminteressen dahinterstan­ Reichssenders Saarbrücken gewesen und gehörte den. Beim Verwaltungsdirektor war es schon etwas zum Reichsrundfunkvermögen. Und da ich über diese schwieriger, denn der mußte ja die verschiedenen Dinge sehr genau Bescheid wußte, nämlich, daß die steuerrechtliehen Einstufungen und solche Fragen, Alliierten das Reichsrundfunkvermögen kostenlos an Zulagen usw. entscheiden. Aber da hatte ich einen guten Griff getan, den jetzigen Intendanten des Süd- »Am Ende des Jahrtausends eine multikulturelle Großfamilie(( 149 deutschen Rundfunks, Herrn Fünfgeld. Schwieriger Geld verdienen mußte, die kulturellen, geistigen und war das mit den Programmgeschichten (... ). Und ich politischen Interessen dieser Region nicht wahrneh­ muß sagen: Den meisten Ärger hatte ich eigentlich men konnte. Ich wollte besonders der älteren Gene­ auf diesem Gebiet, wobei ich das zum Teil dadurch ration noch einen deutsch-europäischen Kontakt ge­ kompensieren konnte, daß ich inhaltlich sehr intensiv ben, und so habe ich die Luxemburger gebeten, eine mit den einzelnen darunterstehenden Mitarbeitern Programmkommission zu bilden, die dann bei mir kommunizieren konnte. Es ist kein Fernsehspiel in tagte, um ihre Programmwünsche anzumelden. Dar­ Produktion gegangen, ohne daß ich das gesehen und über hinaus gab es enge Kontakte mit Radio Straß• beurteilt hatte. Der Leiter der Kulturabteilung, der im­ burg und Nancy, um jeden Verdacht zu vermeiden, mer ein völliger Individualist war, mit dem habe ich ich könnte die ursprüngliche Konzeption des Reichs­ mir immer viel Zeit zum Diskutieren genommen. Ich senders Saarbrücken fortsetzen wollen. Es sollten habe viel diskutiert, ungeachtet der mir aufgedrückten ausschließlich Probleme behandelt werden, die zur Direktorenschicht Das ist nicht angenehm, ist aber beiderseitigen Verständigung beitragen konnten. Die die einzige Möglichkeit, politisch aufgedrückte Direk­ französischen Freunde wurden immer nach ihren toren von unten her zu unterminieren und zu einem Wünschen gefragt, wie wir zur Verständigung beitra­ ausgewogenen Programm zu kommen. gen könnten. Das habe ich auch meinen Mitarbeitern auferlegt. (... ) 1: Nochmal zurück zum Halberg. 1: Wie lange dauerte der Aufbau der Hörfunk- und M: Ich hatte einen Bauwettbewerb gemacht, um ei­ Fernsehprogramme? nen Erweiterungsbau ordnungsgemäß und künstle• risch ästhetisch eingegliedert zu machen. Und da ich M: 1963 habe ich die »Europawelle« eingeführt. wegen des Finanzausgleichs keine finanziellen Rück• 1: Wo hat sich das Konzept der deutsch-französi• lagen machen konnte, habe ich unsere ganze Krea­ schen Verständigung am nachhaltigsten niederge­ tivität darauf verwandt, Rückstellungen zu machen für schlagen, bevor es die »Europawelle« gab? irgendwelche Risiken, und dafür hatte ich rund 20 Millionen zurückgestellt, obwohl ich wußte, daß die M: ln unserem Hörfunkprogramm, wir hatten ja nur Risiken höchstens bei 7 Millionen lagen. Und 20 Mil­ ein Hörfunkprogramm. Und dann in ersten Ansätzen lionen hätten für den Neubau zu Verfügung gestan­ eines regionalen Fernsehprogramms. den. Ich habe den Saarländischen Rundfunk schul­ 1: Welchen Stellenwert hatte die Unterhaltung dabei? denlos abgegeben trotz dieses enormen Bauvolu­ mens. Ich kann schon sagen: Ich bin von der saar­ M: Ich hatte einen guten Unterhaltungsmann, habe ländischen Regierung schamlos ausgebeutet worden. selbst aber nie eine Präponderanz für Unterhaltung Die Architektin Thea Ernst hat mit mir zusammen sei­ gehabt. Bei der heutigen Unterhaltungsschwemme nerzeit die Innenarchitektur im Bauhaus-Stil über• kann man nur noch abschalten. Ich habe mich in die­ nommen, von der Lampe bis zum Glas war das ein ser Zeit bemüht, die Bevölkerung an den Saarländi• einheitlicher Stil. Sie hatte Gropius noch gekannt. schen Rundfunk heranzuführen, indem ich sie auf den Halberg eingeladen habe. Ich habe mit Eltern­ 1: Wie kam es zu dieser Zusammenarbeit? und Frauenverbänden gesprochen, auch mit Lehrern. M: Ich hatte schon in Bann eine Künstlergruppe zu­ 1: Hörfunk ohne Musik ist ja nicht vorstellbar. Welche sammengeführt und sie »Rotz am Ärmel« genannt. Musik wurde damals gespielt? Ich hatte eine Sekretärin, die sehr etepetete war, und wenn wir uns treffen wollten, mußte sie die einzelnen M: Wir hatten damals drei Orchester, das Tanzor­ Künstler anrufen und sagen: »Wir treffen uns im chester, das Kammerorchester und das Sinfonieor­ Presseclub.« Und dann hatten meine Freunde die chester. Das Kammerorchester unter Ristenpart war Aufgabe, zu sagen: »Ja, was ist denn ... zu was für die musikalische Visitenkarte des Saarländischen einem Treffen«, bis ich sagen mußte: »Zum Rotz am Rundfunks. Unsere Unterhaltungsmusik ist von den Ärmel«, und dann wurde sie puterrot, das hat mich anderen Anstalten übernommen worden. Wobei für sehr amüsiert (Gelächter) Ich wollte sie künstlerisch mich aber das Musikprogramm von Radio Luxemburg abhärten. ln diesem hochseriösen Ghetto der Beam­ mehr abschreckend als nachahmenswert war. Ich ten auf dem Venusberg war ich so ein bißchen der habe persönlich nie ein Verhältnis zur Musik gehabt. Clown. Nach Ristenparts Tod hat sich dann das Kammeror­ chester langsam aufgelöst, existierte praktisch nicht »Ich kannte die politische Szene, ich kannte mehr. die schauspielerische Szene, ich kannte die 1: Wie hoch war der Anteil französischer Musik, von kulturelle Szene ... « Chansons beispielsweise? 1: Wie sah die programmpolitische Konzeption des M: Es gab stundenlange Austauschprogramme mit Saarländischen Rundfunks in den ersten Jahren aus? der Musik von Radio France. Es gab eine Kooperati­ Gab es bereits Innovationen oder wurde an bewähr• onskommission. Es gab auch gemeinsame Ge­ ten Regeln - soweit man das damals von der Fern­ schichtssendungen in deutscher und französischer sehentwicklung der anderen ARD-Anstalten sagen Sprache. konnte - festgehalten? 1: Hat es in der Anfangszeit regelmäßige Literatur­ M: Mein Prinzip war: Da in Lothringen und Luxem­ vermittlung gegeben? burg viele deutsch- bzw. zweisprachige Menschen M: Ja, ich war ja auch nicht ganz unbeleckt in sol­ lebten, sagte ich mir, daß Radio Luxemburg, weil es chen Dingen, und da habe ich schon darauf geachtet, 150 Rundfunk und Geschichte 24 (1998) daß Literaturkenntnisse und historische Kenntnisse Und in den Abendstunden konnte die »Europawelle verbreitet wurden und Sendungen, die zur Verständi• Saar« bis in die Botschaften der nordafrikanischen gung der Menschen beitrugen. Autoren, Gespräche Länder gehört werden. Und da hatte der RIAS, glau­ mit Autoren, die Sendung gibt es heute noch sonn­ be ich, ein Mittagsmagazin eingeführt. Das fand ich tags morgens. sehr gut, und da habe ich den Mann bei mir engagiert und habe das als Abendmagazin gemacht, weil in der 1: Haben Sie die Autoren vorgeschlagen? Abendzeit die Reichweiten der Mittelwelle viel größer M: Nein, nur wenn mir welche wichtig erschienen. sind durch eine physikalische Gegebenheit. So stell­ Das hat der Redakteur gemacht. ten die Botschaften die »Europawelle« ein, um in die­ sen Abendstunden die aktuellsten Informationen über 1: Gab es Präferenzen für bestimmte Autoren? Deutschland zu erhalten. Bevor das Auswärtige Amt M: Ich habe immer versucht, nachdenkliche Autoren das verlauten ließ, hatten sie alles schon. Das konnte und keine Konsumautoren zu entdecken. man ihnen vermitteln durch Informationen und Ma­ 1: Wurden auch Philosophen vorgestellt? gazine, so daß sie besser und schneller informiert waren als durch die Briefe des Auswärtigen Amtes. M: Nein, das hätte das Verständnis der Hörer über• Dadurch haben wir uns natürlich bei den deutschen fordert. Ich habe eher geschichtliche Themen aufge­ Botschaften von Libyen bis Marokko sehr beliebt ge­ griffen als philosophische. macht. Und dadurch kamen auch solche humanen 1: Wie war das Echo auf Ihr Musikprogramm, das ja Beziehungen zustande. Als die Militärjunta in Grie­ doch mit einem ernsten Kulturanspruch auftrat, in chenland regierte, hatten die anderen ARD-Anstalten Frankreich? alle versucht, Teams da hinzuschicken, und die wur­ den alle abgelehnt. Ich habe da auch eines hinge­ M: Außerordentlich positiv. Wir haben mit Ristenpart schickt und kannte da einen, und der sagte: »Ach, in fast allen bedeutenden Städten Frankreichs Kon­ das ist der Dr. Mai. Ja, den kenne ich. Wenn das zerte gegeben, im Rahmen des Musikaustauschs. Team kommt, dann weiß ich, daß objektiv berichtet Der Saarländische Rundfunk war damals eigentlich wird.« So konnten wir dort eine Reportage machen. die internationale deutsche Rundfunkanstalt. Ich war Wissen Sie, die Unart damals war, daß die Reporta­ der einzige Intendant, der einigermaßen fließend ge-Teams in die Länder geschickt wurden, um die französisch - die damalige Diplomatensprache - profunde Unkenntnis und damit ideologische Fixie­ sprach, auch in französisch Interviews geben konnte, rung ihrer Chefredakteure zu untermauern. Ich habe und der aus seiner Bonner Zeit durch die Empfänge dagegen meinen Reportage-Teams immer zur Aufla­ und die Arbeit im Presseamt alle Botschafter kannte. ge gemacht: »Ihr müßt mit der Botschaft sprechen Ich hatte von allen die stärksten internationalen Be­ und ihr müßt mit Regierungsmitgliedern sprechen, ziehungen. dann könnt ihr auch mit der Opposition sprechen. 1: Sie galten ja auch als der »Außenminister unter den Aber ich will Aussagen von allen drei Kräften haben!« Intendanten«. Kommen wir zurück zur Einrichtung der Dadurch gewannen unsere Reportagen ein unerhör• »Europawelle«. tes Ansehen, auch international, wegen ihrer Ausge­ wogenheit M: Das war meine ureigene Leistung. Ich kann heute das Programm nicht mehr im Detail beschreiben. (Mai 1: Also die Vertreter einer Diktatur, z.B. die Repräsen• blättert in Programmheften.) Ich kann Ihnen aber tanten einer Junta-Regierung zu befragen, wäre dann meine Ziele nennen, wegen denen ich in der ARD so mehr gewesen als eine bloße Strategie, um in das viel Ärger bekam: Werbung ist bis dahin in Blöcken Land hereinzukommen und von dort berichten zu gesendet worden - also fünf Minuten Werbung, was können, sondern tatsächlich, aus Ihrer Sicht, um der bedeutete, daß viele Hörer umschalteten. Da ich aber »Objektivität« willen? meine Hörer um mich gesammelt lassen wollte, habe M: Wissen Sie, auch solche Diktaturen haben ja Ur­ ich in der »Europawelle« diese gestreute Werbung sprünge. Deswegen muß man vorsichtig sein. Etwa in gemacht, d.h. eine bis zwei Werbedurchsagen zwi­ Afrika: Entweder haben die Stämme sich gestritten, schen zwei Musikbeiträgen, so daß die Unterbre­ und man kann sie nur durch eine gewisse diktatori­ chungen fast zu kurz waren, um umzuschalten. Das sche Zusammenfassung in einer Ordnung halten, oh­ hat meine Kollegen fürchterlich empört, weil sie mir in ne daß sie sich gegenseitig in Banden auflösen und ihrer kulturellen Eigenart vorwarfen, Werbung müsse die Menschen verhungern. Man muß die Dinge immer geblockt sein, und ich würde die Grenze zwischen etwas entideologisieren. Es gibt Augenblicke, in de­ Werbung und Sendung verwischen. Ich habe nur nen nur eine disziplinierte militärische Organisation psychologisch gehandelt. die Ordnung in einer Gesellschaft aufrechterhalten 1: Sie waren also quasi der Vorreiter der Unterbre­ kann. Dann muß man in objektiver Weise sagen: Das cherwerbung. war die Situation, aus den Gründen ist es zu dieser Militärdiktatur gekommen. Das sind die bestehenden M: Genau. Aber ohne daß das in die Sendung kam. Probleme, das die Unterdrückungen, die dabei vor­ Wenn ein Musikstück zu Ende war, kam Werbung, kommen. Das ist Objektivität. Wichtig ist die Entideo­ und dann das neue Musikstück. Also nicht so wie logisierung und die Erklärung der psychologischen heute bei Filmen, wo, bevor da jemand totgeschos­ Prozesse, die bei solchen Dingen sich abspielen. sen wird, noch die Werbung kommt und dann der Wobei ich nicht verleugnen will, daß viele Entwick­ Schuß. Damals hatte Radio Luxemburg 1 400 kW, lungen auch vom Machtwillen und Bereicherungswil­ und dann zog ich meinen auch hoch auf 1 400 kW, len getragen sind. Das ist in der menschlichen Natur und damit waren wir der stärkste Mittelwellensender. leider so gegeben. »Am Ende des Jahrtausends eine multikulturelle Großtamilieee 151

1: Wenn Sie es als Aufgabe des Journalisten begrei­ mationen. Diese Sendung habe ich mit Absicht in ei­ fen zu entideologisieren, dann richtet sich dies gegen ne Stunde gelegt, in der der ermüdete Arbeitsmensch ideologische Strukturen. Diese zu entideologisieren lieber Unterhaltung hat. Insofern war das kein Mas­ bedeutet aber sie zu kritisieren. Würden Sie diesen senprogramm. Diese Sendung war bestimmt für die Schritt noch mitvollziehen? Mediatoren, die selber also Vermittler von Nachrich­ ten sind. Das leichtere Programm habe ich dagegen M: Ja, aber nur, wenn dem Hörfunk- und Fernseh­ mehr in die Stunden der Hausfrau gelegt, damit sie publikum die Subjektivität jeder Darstellung bewußt bei ihrer hausfrauliehen Arbeit ein bißchen Entspan­ gemacht würde. Da ist beispielsweise ein Korrespon­ nung hat. Auch die für die Hausfrau interessante dent in Indien, der berichtet vom Tempel in Bombay. Werbung habe ich in diese Zeit gelegt. Natürlich wur­ Vielleicht gibt es da ein Ereignis, das viel wichtiger den trotzdem laufend Informationen gebracht, um die ist. Oder er müßte die Geschichte nachlesen für die­ Aktualität des Tages verfolgen zu können. sen Geschichtsabriß und sagen, daß da früher ein Mein Konzept hieß: abends Weltpolitik, und zwar Hindutempel stand, der im 12. Jahrhundert unter un­ in der längeren erklärenden Form einschließlich Hin­ geheuren Massakern zerstört wurde, als die Muslims tergrundinformationen; tagsüber Kurzinformationen; dort vordrangen. Die einzige Zeitung, die über diese morgens leichtere Musik und Unterhaltung für die historischen Rückblicke berichtet hat, war die Frank­ Hausfrauen, und dann je nach Hörerstruktur auf die furter Allgemeine Zeitung. Das verlange ich, um dem Tageszeit verteilt Kulturelles und sonstige Dinge. Hörer und dem Zuschauer verständlich zu machen, wo die Ursprünge dieser Emotion sind. Wenn ich das 1: Der Titel »Europawelle« legt ja den Gedanken na­ nicht tue, dann versäume ich, das Verständnis mit he, daß die Auslandsberichterstattung einen hohen Informationen über diese Dinge zu vermitteln. Und Stellenwert hatte. das zweite ist: Der Auslandskorrespondent sagt, wel­ M: Ja, das hatte sie. ches Ereignis da wichtig ist, und das ist schon eine subjektive Selektion. Und dann fährt das Team da 1: Erinnern Sie sich an die damaligen Korresponden­ hin, und der Kameramann sagt vielleicht: »Die Frau ten? da, die schreit, die nehme ich auf!« Auch ganz sub­ M: Ja, ich habe sie alle besucht- in Tokio, Südafrika, jektiv. Und der Zuschauer daheim am Bildschirm Afrika - war eigentlich immer mit ihnen zusammen sagt: »Die arme Frau, die habe ich da jammern ge­ und habe lange mit ihnen diskutiert, auch um mir sehen!« Und dabei haben vielleicht daneben 20 selbst Kenntnisse über die politische und gesell­ Frauen gesessen, die ganz ruhig waren, und nur die schaftliche Struktur des einzelnen Landes machen zu eine ist hysterisch geworden. Dann kommt das in ei­ können. Außer in Australien und Südamerika war ich ne Agentur, die da auch subjektiv auswählt, dann in in fast allen Ländern. eine Redaktion, die ebenfalls subjektiv auswählt, und die schneiden vielleicht auch noch subjektiv. Ich bin 1: Auch in den USA? da vielleicht etwas zu streng gewesen. Wir hatten da M: Da war ich auch. Da habe ich Peter von Zahn dieses schreckliche Grubenunglück bei Saarbrücken, wiedergetroffen. Er hatte ein herrliches Haus mit ei­ 1961, da gab es 400 Tote. Da bin ich von meinem mir nem großen Garten und einem Swimmingpool, und zugewiesenen Ehrenplatz weggegangen, bin in die darin sind wir geschwommen. Wir haben damals über Übertragungswagen gegangen und habe dafür ge­ die politische Lage in den USA und über die weltpoli­ sorgt, habe meinen Mitarbeitern gesagt: »Keine Auf­ tische Lage gesprochen. Von Zahn ist ein sehr intelli­ nahme auf die Gesichter der Angehörigen. Der genter Mann, mit dem man auch analytische Gesprä• Schmerz der Angehörigen ist Privatsache!« Da habe che führen konnte. Ich schätzte ihn sehr. ich selbst die Auswahl der Bilder bestimmt. Später, 1968 wußten wir bei den Studentenunruhen, daß die 1: Wann war das? ln den 60er Jahren? Reporter und Kameraleute ansprachen: »Wollt ihr M: Ja, noch vor der Ermordung Kennedys. mal richtiges Theater machen, damit wir das aufneh­ men können?« Wenn doch endlich der Glaube an die Objektivität des Bildes einmal gebrochen würde! Es »Es waren im Deutschen Fernsehen von Beginn ist nicht objektiv, es ist oft vom Kameramann gestellt. an Strukturen festgelegt, die mir nicht paßten.« Man kann das nicht verhindern, aber man kann dem 1: Vielleicht blicken wir einmal auf Ihr medienpoliti­ Publikum das Bewußtsein geben, daß das alles sub­ sches Engagement. Als Stichworte seien genannt: jektiv ist, und einzelne Journalisten dazu bringen, Parteieneinfluß auf die öffentlichen-rechtlichen An­ solche Dinge einmal in ihrem historischen Ursprung stalten und Entwicklung und Einführung eines priva­ und Verständnis zu erläutern. Ich habe das ja ein ten Rundfunks. bißchen in meinem Artikel »Der Einfluß der Massen­ medien« abgehandelt. M: ( ... ) Es waren im Deutschen Fernsehen von Be­ ginn an Strukturen festgelegt, die mir nicht paßten. 1: Welches Konzept lag der »Europawelle« zugrunde? Zwar habe ich im Saarländischen Rundfunk alle Par­ M: Die »Europawelle« sollte ein Massenprogramm teien ohne große Konflikte einbinden können, aber es nicht im heutigen, sondern im damaligen Sinne, ein gab doch Sender - z.B. den NDR -, die parteipolitisch breites Informationsprogramm werden. Deswegen die zu festgelegt waren. ( ... ) Da schien mir die privat­ Einführung der Abendmagazine, weil ich die Nach­ rechtliche Organisationsform eine gewisse Möglich• richteninformation nicht für ausreichend hielt. ln den keit zu sein, aus der immer wieder geleugneten Magazinen wurden die Nachrichteninformationen Pression durch die Parteien herauszukommen. Das ausführlich ergänzt um die nötigen Hintergrundinfor- Gerede vom staatsfreien Rundfunk in Deutschland ist 152 Rundfunk und Geschichte 24 (1998) verlogen, während in Frankreich allen klar ist, daß, M: Bei den Fernsehspielen kam es mir auf die Quali­ wenn die Sozialisten an die Macht kommen, die lei­ tät an, und da ich eine gewisse literarische Begabung tenden Posten im Rundfunk an Sozialisten vergeben habe, glaube ich in diesem Bereich über eine gewis­ werden und daß dann sozialistische Politik verkauft se Urteilsfähigkeit zu verfügen. Bei den Gedichten wird. Und entsprechend bei den Gaullisten. Jeder von Mao usw. war es einfach interessant zu zeigen, Franzose weiß, welche politische Farbe die Informa­ daß Diktatoren auch eine poetische Ader haben kön• tion hat. ln Deutschland tun wir so, als hätten wir ein nen. Das gehört schon zur Informationspflicht und zur objektives Fernsehen, aber wie das parteipolitisch Förderung der Urteilsfähigkeit, das gesamte breite alles gedreht und gedrechselt ist, das kommt nicht Spektrum zu zeigen. Das ist doch hochinteressant. zur Sprache. Die Deutschen sind ein gläubiges Volk Und mit der anderen Seite haben wir uns politisch und glauben daher auch an die Objektivität der Be­ auseinandergesetzt richterstattung. 1: ln einem Heft der Funkpostille aus dieser Zeit ist 1: Ich gebe mal das Stichwort »Innere Rundfunkfrei­ auch eine Rede des FDP-Innenministers Maihofer heit« vor. abgedruckt, der ja für Verständnis für die rebellieren­ de Jugend warb. Haben Sie den Text auch vorher M: Bei von Bismarck ist das erste Redakteursstatut gelesen, denn Maihofer war ja umstritten damals? entstanden, wogegen wir uns heftig gewehrt haben, weil wir die Konsequenzen sahen: die Entmachtung M: Ich habe nicht nur den Text gelesen, ich kannte der Rundfunkräte und der Intendanten. Der Para­ auch Maihofer sehr gut. Wir trafen uns manchmal und graph in allen Rundfunkgesetzen und Staatsverträ• haben bis in die Nacht äußerst heftig kontrovers dis­ gen, nach dem der Intendant die Programmverant­ kutiert. Warum sollte ich nicht auch jemanden zu wortung hat, ist praktisch null und nichtig geworden Wort kommen lassen, der völlig anderer Meinung durch die sogenannte »Innere Rundfunkfreiheit«. Es war? handelt sich für mich dabei um eine geradezu unpro­ 1: Daß die Rede gesendet wurde, war also nur dem portionale Privilegierung des einzelnen Redakteurs, Umstand zu verdanken, daß Sie Maihofer kannten? der nun über Mikrophon und Kamera verfügt, wäh• rend dies die Masse der Bevölkerung nicht tut. Das M: Ja, von Baum und Hirsch, beide auch FDP, habe ist eine Entdemokratisierung des deutschen Rund­ ich nie etwas gesendet (lacht). Die waren für mich funks gewesen, meiner Meinung nach. Der Intendant weit entfernt, aber mit dem Maihofer habe ich ja stun­ kann sich nicht mehr gegen seine Redakteure weh­ denlang diskutiert. Für mich ist der persönliche Kon­ ren. Ich war zu der Zeit Mitglied des Unterausschus­ takt immer sehr wichtig gewesen. Auf der anderen ses »Rundfunk« in der CDU in den 70er Jahren. Ich Seite muß man auch auf Torheiten hinweisen, so ha­ hatte die Mitglieder meines Ausschusses durch Sach­ be ich auch ein Telefongespräch mit Grass führen argumente überzeugt, daß wir gegen die »Innere lassen, den ich auch für einen Toren halte. Rundfunkfreiheit« sind. Wir trugen unsere Auffassung 1: Sie haben sich Anfang der 70er Jahre sehr negativ dem Gesamtausschuß vor, dessen Vorsitzender über die Kritik linker Journalisten geäußert und Kritik Zimmermann war. Der befürchtete, daß wir uns die polemisch definiert als »arrogante intellektuelle Pro­ Journalisten zum Feind machen würden, während filneurose« und als ein »Zeichen pubertärer Geistes­ man doch gute Beziehungen brauche. Dadurch wur­ haltung«. War das Ihr generelles Verständnis von den wir im Hauptausschuß niedergestimmt Kritik? 1: Aber de facto gibt es doch kaum Redakteursstatute. M: Nein, das bezog sich auf diese Extremfälle ideo­ M: Ich bin einmal zu 2 000.- DM Geldstrafe verurteilt logischer Fixiertheit. Das geht nicht. Wir müssen uns worden im Fall Schwan, der mehr auf der Sehröder• klar machen, daß Glauben und Wissen in ihrem se­ sehen Linie lag - da ging es um die deutsch-französi• mantischen Inhalt völlig verschieden sind. schen Beziehungen. Er hatte in seinem Film die er­ 1: Hatten Sie jemals daran gedacht, sich als Intendant sten Tage nach dem Krieg, wo die Franzosen die selbst an der Programmgestaltung zu beteiligen? Saar besetzten, hereingebracht - die Paraden gaben natürlich schöne Bilder. Ich hielt es für richtig alles zu M: Ich hatte einen Traum gehabt. Ich hatte gedacht, tun, um diese ressentimentgeladene Zeit nun nicht so als Intendant könnte ich meine schriftstellerische Tä• stark zu betonen, sondern mehr die spätere koopera­ tigkeit fortführen. 1956 hatte ich für den Sender Frei­ tive Zeit. Er war in Köln. Ich habe ihn angerufen, es Berlin mein Hörspiel »Josef Görres« geschrieben, konnte mir aber erst am Montagabend den Film an­ das dann 1957 vom SFB und von mehreren ARD­ sehen, der am Dienstag gesendet wurde. Anstalten ausgestrahlt und ein Jahr später auch vom Saarländischen Rundfunk übernommen wurde. Doch 1: Welchen Kriterien folgten solche Entscheidungen? ich habe sehr schnell gelernt, daß die Intendantentä• M: Ich habe alles selbst abgehört oder abhören Jas­ tigkeit keine literarische, sondern eine organisato­ sen. Wenn die Zeit es noch zuließ, habe ich die Sen­ risch-programmatische Tätigkeit ist, und habe dann dung aus dem Programm genommen. Das Heraus­ das Bücherschreiben bis zur Pensionierung zurück• nehmen war noch drin, das Verändern aber nicht. gestellt (lacht). 1: Aber es fällt auf, daß sogar im Jahr 1968 in der 1: Jetzt haben Sie aber nicht das Drehbuch »Die Rei­ Funkpostille Gedichte von Mao, Hoh Chi Minh und se nach Brasilien« erwähnt. Chansons von Degenhardt zu finden sind und auf der M: Das war 1973. Das Drehbuch schrieb ich nach anderen Seite bestimmte Sendungen, Fernsehspiele Motiven des gleichnamigen Theaterstückes des etc. gekippt wurden. »Am Ende des Jahrtausends eine multikulturelle Großfamilie« 153

Franzosen Guy Foissy. Es wurde im Sommer 1973 merkwürdige Phänomen, das in der ARD herrschte, vom Saarländischen Rundfunk gesendet. wenden, daß nämlich der Chefredakteur immer dar­ auf drang, daß seine Meinung im Bild dargestellt 1: Im Jahre 1965 haben Sie die »Studiowelle« einge­ werden sollte. Dann kam hinzu, daß ich die deut­ richtet, die Sie als »Minoritätenprogramm« bezeich­ schen und die ausländischen Botschafter kannte und net haben. ich dadurch relativ leicht Einreiseerlaubnisse für mei­ M: Ich habe Ihnen ja gesagt, wie die »Europawelle« ne Reporter bekam. Wir haben ja auch ausgebildet konzipiert war. Und mit der »Studiowelle« wollte ich den Hofkameramann des Schahs, der als Flüchtling jene erreichen, die als Kulturschaffende, als Lehrer bei uns gelandet ist und noch bei uns tätig ist. Wir beispielsweise das geistige Niveau des Volkes be­ haben auch sonst Flüchtlinge bei uns aufgenommen, einflussen, die Multiplikatoren. Es ging um ein Multi­ damit sie irgendwo unterkamen. plikatorenprogramm der Information, die auf diesem 1: Gab es dann nicht auch so ein ständiges Span­ Umweg auch das Bildzeitungspublikum erreichen nungsverhältnis zu dem Chefredakteur? sollte, um das allgemeine Niveau zu erhöhen. Cha­ rakteristische Sendungen finden Sie in der Funkpo­ M: Nein. Der Herr Feldwebel hielt sich an die Aufträ• stille. ge des Oberbefehlshabers (lacht). 1: Welche Rolle spielte Ihrer Meinung nach das Fern­ 1: Waren denn von der ARD Schwerpunkte für die sehen für die Bevölkerung? Welche Bedeutung hatte Auslandsberichterstattung des Saarländischen Rund­ es? funks festgelegt? M: Für mich als ein Mensch internationaler Erfahrung M: Nein. Das wurde alles flexibel gehandhabt. Wir war wichtig, daß z.B. das Fernsehspiel fast nur deut­ hatten keine Auslandskorrespondenten, sondern die sche Problematik brachte. So lag mir daran, nicht­ Teams wurden zur Berichterstattung ins jeweilige deutsehe Autoren wie lonesco einzubringen. Deshalb Land geschickt. Man kann das nicht in so ein System bin ich auch nach Italien gefahren, um dem deut­ zwingen. Das war durch Gelegenheit, Möglichkeit, schen Publikum mal die historische Komponente des finanzielle Tragbarkeil bedingt. Da waren natürlich italienischen Fernsehens und Fernsehpublikums zu die »Hauptfeldwebel« gut, um meine Aufträge durch­ zeigen . Wie ich schon als Mitglied der Filmbürg• zuführen. schaftskommission versucht hatte, eine deutsch-fran­ 1: Kommen wir noch einmal auf die Fernsehspiele im zösische Kooperation zu schaffen - und dabei die Saarländischen Rundfunk zurück. Unterschiede zwischen dem »Förster im Silberwald« und »L'enfant le Roi« und die unterschiedlichen Re­ M: Wir hatten keine Filmproduktionsstätte im Saar­ aktionen des Publikums kennenlernte -, sollte auch land. Die Fernsehspiele haben wir selbst produziert. mein Programm dem deutschen Publikum eine Öff• ( .. .) Ich habe mit Absicht die Künstler im Schloß, wo nung zur Vielfalt der europäischen, internationalen ein Gästehaus war, untergebracht. Dann konnte man Variation ermöglichen. Darum habe ich mich sehr abends noch zusammensitzen, solange es die Kräfte bemüht. nach einem schweren Drehtag noch zuließen. Da­ durch bekam man ein persönliches Verhältnis zu al­ 1: Also war die europäische Komponente das Ent­ len wichtigen Schauspielern und Schauspielerinnen, scheidende? die im Fernsehen auftraten, und das war für den M: Ja. Ich hatte zwar auch ein ausgesprochenes In­ Saarländischen Rundfunk auch sehr gut. Und es teresse an China und hätte da auch gerne etwas be­ hatte eine finanzielle Möglichkeit: Anstatt daß wir die gonnen, aber da konnte ich nicht hin. Hotelkosten hatten, floß das über die Schloß Halberg Restaurant GmbH wieder in den Saarländischen 1: Wie sah die Programmbeteiligung am Gemein­ Rundfunk hinein. So lagen wir auch in der Kostensei­ schaftsprogramm in Ihrer Zeit beim Saarländischen te sehr günstig - wir hatten die wohl geringsten Pro­ Rundfunk aus? duktionskosten aller Rundfunkanstalten. Und bei der M: Wir durften eigentlich nur mit drei Prozent am Ge­ Auswahl der Künstler hatten wir dann eben diese meinschaftsprogramm teilnehmen. Ich habe aber schönen menschlichen Beziehungen. Die Telefilm durch die Güte und Qualität der Produktionen in habe ich dann gegründet, weil bis dahin nur Pro­ manchen Jahren bis zu 4,7 Prozent erreicht. gramme ausgetauscht wurden, ich wollte aber ver­ 1: Wo lagen denn da nach Absprache die Schwer­ kaufen können. Das hatte Vorteile: So konnten meine punkte beim Saarländischen Rundfunk? Programmleute nicht willkürlich Studiozeiten beset­ zen usw., weil ich über die Telefilm die Abrechnung M: Das war einmal das Fernsehspiel und zum ande­ über die Produktionskosten vorgelegt bekam und so ren die Auslandsreportage. ich immer einen vollständigen Überblick hatte und 1: Auslandsreportagen für die aktuellen Sendungen? gegebenenfalls eingreifen konnte. So sind wir nicht nur zu den niedrigsten Produktionskosten gekom­ M: Nein, das weniger, eher Länderdarstellungen. men, sondern auch zu Verkaufsmöglichkeiten. Natürlich war das immer ein bißchen mit politischer Einfärbung verbunden, siehe die Junta in Griechen­ 1: Wann war das? land. M: Seitdem wir Fernsehproduktionen machten, 1963 1: Hatten Sie dafür einen besonderen Mann? oder 1964. Genau weiß ich das nicht mehr. M: Ich habe immer mit den Teams gesprochen, die 1: Wem gehörte die Telefilm? ich hinschickte. Damit wollte ich mich gegen dieses 154 Rundfunk und Geschichte 24 (1998)

M: Dem Saarländischen Rundfunk, und ich war Kon­ 1: Ihre Rede bei der Verabschiedung als Intendant zernherr, auch von der Werbefunk GmbH und vom hatte seinerzeit einige Aufregung hervorgerufen. Restaurant Schloß Halberg GmbH zu je 100 Prozent. M: Meine Abschlußrede ist ganz wichtig und ist auch 1: Gab es Vorbilder bei der Produktion von Fernseh­ immer wieder abgedruckt worden. Meine Rundfunk­ spielen? ratsmitglieder saßen etwas betroffen dabei, und der Beifall war spärlich (lacht), weil mich die CDU-Leute M: Nein, das waren so meine Ideen, e_infach wirt­ vergeblich gebeten hatten, einen Vortrag über die schaftlich gedacht. Die Telefilm war ja ein privates Medienpolitik der CDU zu halten. Man kann mich Unternehmen und ist dann übergegangen in Tele­ nicht als CDU-Intendanten bezeichnen, weder vom pool, deren Geschäftsführer, der Herr Vetter, bei mir Programm, noch vom Personal her. Nach der Einstel­ angefangen hat. Telepool umfaßte dann ja später lung der SPD-Zeitung hier in Saarbrücken habe ich auch Österreich und die Schweiz. auch SPD-Leute bei mir »gerettet«, und als die Lan­ 1: Daß die Telefilm eine private Gesellschaft war, war deszeitung, also die katholische Zeitung, einging, ha­ doch damals etwas Ungewöhnliches. Da gab es doch be ich auch einige bei mir untergebracht. Ich habe Auseinandersetzungen. sehr viel diskutiert mit meinen Mitarbeitern. Meine M: Ja, das war damals innerhalb der ARD die einzige Vorzimmertür stand immer offen, jeder konnte kom­ privatwirtschaftlich organisierte Produktionsgesell­ men. schaft. Da gab es viele Auseinandersetzungen. We­ 1: Hat es viele Auseinandersetzungen gegeben? Sie gen »Europa 1 « wäre ich beinahe aus der ARD her­ waren offenbar ein guter Taktiker. ausgeflogen, und hinterher haben die mir alles nach­ M: Ja, aber ich habe keine Auseinandersetzung ge­ gemacht. Die damalige Ethik meiner Kollegen be­ scheut, die notwendig war. Ich war immer in einem stand darin, nur Programme auszutauschen, aber humanen Spannungsfeld zum Ministerpräsidenten keine Geschäfte zu machen. Da ich in der Filmbürg• Röder. Meine Neujahrsansprachen haben im Gegen­ schaftsgesellschaft war, wußte ich wie die Amerika­ satz zu den Weihnachtsansprachen Röders wirkliche ner und die anderen ihre Geschäfte machen. Warum Analysen enthalten. Die Leute verließen den Silve­ sollten wir das nicht auch können. So konnte ich ei­ sterball um meine Neujahrsansprache zu hören. ( ...) nen Film nach Amerika verkaufen. An einen Pro­ Ich wollte das Saarland immer wieder an diese große grammaustausch dachten Herr Hess und die anderen Zeit des europäischen Raumes heranführen. Deshalb nicht, aber ich konnte verkaufen. Deswegen war ich habe ich dann auch Ärger gehabt beim Umbau des auch bei der MIP in Cannes einer der wichtigsten Schlosses etc. Daß ich dabei von der CVP und der Mitspieler. SPD gefördert wurde, hat bei der CDU und Heini 1: Ihr Blick auf die Medien ist also schon einer nach Schneider gewisse Aversionen geweckt. Deswegen Wirtschaftlichkeit. bin ich auch nach dem Streik nur mit einer Stimme M: Natürlich. Außer von der Technik verstand ich Mehrheit Intendant geblieben. Daher hatte ich immer eben von allem was. Ich kannte die politische Szene, eine gewisse Überparteilichkeit und habe fast mehr ich kannte die schauspielerische Szene, ich kannte Ärger mit meiner eigenen Partei und mit der Landes­ die kulturelle Szene, ich kannte die internationale regierung gehabt als mit der SPD. Ich habe mich im­ Szene, nur in der Technik mußte ich mich auf den mer dem Humanismus zugehörig gefühlt, wobei ich gesunden Menschenverstand verlassen und auf mei­ mir aller Relativität des biologischen Wesens und ne körperlichen Kräfte. Und auch von der wirtschaftli­ seiner Determination bewußt war. chen Seite hatte ich ja etwas Ahnung. 1: Haben Sie jemals mit dem Gedanken gespielt, in die Politik zu gehen? »Ich habe sicher den kulturellen Faktor M: Ich bin mal gefragt worden, ob ich mich für die zu stärken versucht.« Stadt Saarbrücken als Bundestagskandidat aufstellen 1: Hatte das denn auch damit zu tun, daß das Fern­ lassen würde. Nun war ich mitten im Aufbau des sehen doch eine kulturelle Funktion für Sie hatte? Saarländischen Rundfunks, und ich habe gesagt: Ich verlasse meine Aufgabe nicht, die ich hier sehe. Da M: Auch da bin ich ein bißchen gespalten, denn ich müssen Sie einen anderen suchen. Und so gehen hatte ja eine finanzschwache Anstalt zu vertreten. Ich sicherlich viele, sagen wir der kreativen Schicht, dem habe sicher den kulturellen Faktor zu stärken ver­ Parlament verloren, weil sie entweder ihre Aufgabe sucht, aber wir mußten ja auch Geld verdienen, und nicht aufgeben wollen oder weil sie sagen: Da geht so haben wir die »Goldene Europa« geschaffen für mein Unternehmen zugrunde. Das ist eine Problema­ das Chanson, den Schlager - das war für die wirt­ tik, die kaum gesehen wird und kaum in der Diskussi­ schaftliche Seite. Die wurde vom Werbefunk bezahlt. on ist. Übrigens habe ich damals auch den Dieter Thomas Heck von Radio Luxemburg abgeworben und für die »Ich empfand Hörfunk schon vor meiner Moderation von Schlagern und Unterhaltung beim Intendantenzeit als Lärmfunk.« Saarländischen Rundfunk eingestellt. Ich war so et­ was wie eine Ausbildungsstätte für Talente. Ich hatte 1: Wir haben bisher sehr wenig über den Hörfunk ge­ immer Probleme mit den Direktoren und war sehr be­ sprochen. Wie war Ihre persönliche Beziehung zum liebt bei den Mitarbeitern, die nicht in leitenden Stel­ Radio? lungen waren, weil ich sie immer gegen die Ideolo­ M: Ich empfand Hörfunk schon vor meiner Intendan­ gieverfestigungen ihrer Vorgesetzten in Schutz nahm. tenzeit als Lärmfunk (lacht), und es hat mich große »Am Ende des Jahrtausends eine multikulturelle Großfamilie« 155

Opferbereitschaft gekostet, den Lärm zu ertragen zusätzlich noch eine deutsch-französische Koopera­ (lacht). So muß man sich in gewissen Funktionen tion herbeiführen, was auf fast unüberwindbare auch dem Unangenehmen unterziehen. Schwierigkeiten wegen dieser großen Unterschiede stieß. 1: Wurde in Ihrer Familie überhaupt Hörfunk gehört? 1: Eine Erneuerung des deutschen Films innerhalb M: Ich hatte die psychologische Einstellung einer der Ufa-Tradition hätte aber doch gerade ein Festhal­ Verkäuferin im Schokoladenladen: Die muß zwar, ten am Ufa-Stil bedeutet. wenn eine neue Lieferung kommt, schon mal die neuen Pralinen probieren, um dem Konsumenten die M: Das bedeutete nur, daß uns noch bewußt war, Qualität klarzumachen, aber einen ausgesprochenen welche hohe Bedeutung Ufa und Bavaria für die Re­ Hunger auf Schokolade hat sie eben nicht (lacht). So präsentanz des deutschen Films in der Weit hatten. habe ich mich durchaus der Pflicht unterzogen. Da Wir wollten das wieder aufbauen, das war der eigent­ ich diesen Lärm nur in beschränktem Maße ertragen liche Sinn der Filmbürgschaft. Wir wollten zeigen, daß konnte, mich aber über das, was gesendet wurde, mit das künstlerische Potential durchaus auch noch in dem Programmausschuß auseinandersetzen mußte, Deutschland vorhanden war. Mein Ziel war es, an hatte ich einen vernünftigen, mein Vertrauen besit­ nichtideologischen und künstlerisch so wertvollen zenden Mann, der Zeit hatte und der Lärm ertrug. Filmen wie »Der Kongreß tanzt« oder »Der Postmei­ Den bezahlte ich aus meinem Dispositionsfonds, ster« anzuknüpfen. damit er die Sendungen mit bestimmten Inhalten 1: Der eigentliche Konkurrent war doch der amerikani­ prüfte und die Sendungen, bei denen ich den Ein­ sche Film, der ja in den Kinos dominierte. druck hatte, die könnten problematisch werden, ab­ hörte. Dann waren alle erstaunt, wie gut ich informiert M: Im europäischen Raum waren der englische und war, bis sie herausbekamen, daß ich den bezahlt der italienische Film die Vorreiter. Und da wollte ich hatte. Das gab einen großen Krach, aber ich habe wieder ein Gleichgewicht schaffen. dann gesagt: »Was soll's? Ich kann doch nicht alles 1: Sie selbst haben keine Vorliebe fürs amerikanische machen!« Und die, die im Programmbeirat saßen, die Kino gehabt? haben perZufall vielleicht von der Tante gehört, daß das und das war, und dann haben die im Programm­ M: Nein, nicht besonders. beirat Stunk gemacht. Und das war meinen Mitarbei­ 1: Sie waren auch kein großer Kinogänger? tern auch nicht so angenehm, daß ich so gut infor­ miert war. Sie kannten aber meinen »Abhörer« nicht, M: Nein, ich bin in der 50er Jahren aus Pflicht ins Ki­ sonst hätten sie ihn vielleicht beeinflussen können , no gegangen. Mein Ziel war eher eine vernünftige aber das habe ich streng geheimgehalten, wer das Konkurrenz gegenüber dem amerikanischen Film. Ich war. habe entschieden gegen die Auflösung der Filmbürg• schaft gestimmt, ich glaube als einziger. 1: Also hatten Sie auch von zu Hause aus keinen Be­ zug zum Radio? Gerade die 50er und auch noch die 1: Aber der deutsche Film hätte sich ja ästhetisch und 60er Jahre waren ja Jahrzehnte des Leitmediums inhaltlich verändern müssen, um konkurrenzfähig zu Hörfunk. Für meine Generation zum Beispiel hatte sein. Wie haben Sie sich den Film der Zukunft vor­ das Radio einen sehr hohen Informations- und Unter­ gestellt? haltungswert. M: Ich kannte natürlich meine deutschen Landsleute M: Ja, aber da haben Sie natürlich diese Überfütte• zu gut und wußte, daß ihnen nach den Schrecken rung mit dem Volksrundfunk im Dritten Reich nicht des Zweiten Weltkriegs eine gewisse Heimatverwur­ mitbekommen. Da habe ich schon immer abgeschal­ zelung seelisch nahestand. Ich habe mich zwar be­ tet. Und wer sich einmal ans Abschalten gewöhnt hat, müht, ihnen auch andere Mentalitäten nahezubrin­ gibt diese Gewohnheit so schlecht auf. Zumal ich gen, aber damit bin ich gescheitert. Ich wollte einen auch genügend Arbeit hatte nach dem Krieg. Da wür• deutsch-französischen Film-Pool schaffen. den selbst die Arbeitgeberverbände sagen, daß das 1: Wenn wir schon wieder in den 50er Jahren und Ih­ zu viel war. rer Tätigkeit im Bundespresseamt sind: Wie liefen 1: Wenn Sie schon keine Beziehung zum Hörfunk denn die Sitzungen bei der Filmbürgschaft ab? hatten, wie war es denn dann mit dem Kino? Sind Sie M: Uns wurde das Drehbuch zugeschickt, und dann in den 50er Jahren häufiger ins Kino gegangen? diskutierten wir über das Thema. Nicht alle hatten das M: Nein, ich war Pflichtbesucher, und der Pflichtkon­ Drehbuch gelesen. Ich hatte es immer gelesen und sum reichte mir völlig. war deshalb der Schrecken dieser Gremien. Dann überlegten wir, welcher Produzent für das jeweilige 1: Hatten Sie da auch jemanden, der die Filme für Sie Thema in Frage käme. Die Produzenten hatten ja gesehen hat? auch Drehbücher eingereicht. ln den Zeiten vor Beate M: Nein , da ich selber Mitglied der Filmbürgschafts• Uhse waren wir natürlich weit vorsichtiger als heute. gesellschaft ( .. .) war, mußte ich die selber ansehen. Filme wie »Die goldene Pest« und »Die Sünderin« Wir standen damals vor der Situation, daß in den frü• haben wir eben noch toleriert. Und dann wollten wir hen 50er Jahren zwei Länder in Europa einen Primat auch einen Beitrag zum geistigen Wiederaufbau lei­ hatten. Das waren der englische und der italienische sten, z.B. durch einen Film wie »Briand/Stresemann«, Film. Wir wollten auch aus der Tradition von Bavaria der zeigte, daß es damals zwei Staatsmänner gab, und Ufa wieder eine deutsche Komponente schaffen, die - wenn auch vergeblich - versucht haben, die und ich, der ich quasi zwei Vaterländer hatte, wollte schrecklichen Folgen des Versailler Vertrags im 156 Rundfunk und Geschichte 24 (1998)

Rahmen des Völkerbundes aufzufangen. Das ließ schon nach dem Ersten Weltkrieg bewußt geworden sich alles gut in ein Drehbuch einarbeiten. war - es keine Sicherheit für Westeuropa gab ange­ sichts des bolschewistischen Stalinismus. 1: Solche Produktionen bildeten aber doch eher die Ausnahme gegenüber einer Schwemme von Heimat­ 1: Welche Kontakte gab es bei Ihrer Amerikareise und Försterfilmen, die dann auch die Massen erreich­ Anfang der 60er Jahre (... )? Haben Sie auch mit ten. Hatten Sie damit Probleme? amerikanischen Politikern gesprochen? M: Nein, das hatte ja auch noch einen anderen Hin­ M: Das waren eigentlich Gespräche, die mehr über tergrund. Wir hatten ja zwölf Millionen Flüchtlinge zu die amerikanischen Programmstrukturen gingen und verkraften und dann kam das, was wir heute als über amerikanische Produktionsweisen. Politische Rassismus verurteilen - die Fremdeindringung - und Gespräche gab es nicht, anders als bei meiner Tür• dann konnten wir das Heimatgefühl so ein bißchen kei-Reise. Es war eher eine Reise, bei der es um wieder stabilisieren trotz der vielen Flüchtlinge. Fachinformationen ging. Daneben ging es darum, mir noch einmal die intellektuelle Welt der Emigranten vor »Dank meiner sokratischen Erziehung hatte Augen zu führen. Es war keine politische Reise, son­ ich keine Vorurteile gegenüber Amerika.« dern eine Fachreise einerseits und andererseits eine Gesprächsreise, um die Welt der Emigranten des 1: Wir hatten gerade den amerikanischen Film ange­ Dritten Reiches kennenzulernen. sprochen. Sie wissen, daß wir die Zeitzeugen der 1: War das Ihre erste Reise in die USA? deutschen Mediengeschichte auch unter dem Stich­ wort »Westorientierung« befragen. Welche Bezie­ M: Ja, und auch die einzige. hung hatten Sie zu Amerika? 1: Was war der Grund Ihrer Reise? M: ( ... ) Meine Generation hat zwei Erlebnisse gehabt: M: Der Grund der Reise war eine Einladung, und der Der Erste Weltkrieg wäre ohne Amerika nicht von Aufenthalt war zum Lernen bestimmt. Ich besuchte Frankreich, England und Rußland gewonnen worden, die Studios und informierte mich über das bei uns und im Zweiten Weltkrieg hätte Rußland wahrschein­ damals schon zur Diskussion stehende private Sy­ lich nicht widerstehen können, und wir wären nach stem, dessen Priorität für Kommerzialität für mich be­ Moskau gegangen, wenn Amerika nicht erheblich drückend war. Ich bin mit einem sehr negativen Ge­ eingegriffen hätte. So war uns, den alt gewordenen, fühl gegenüber den Privaten zurückgekehrt. Ich er­ weisen Cislimiten klar, daß Amerika nicht nur von der fuhr auch, daß es Anstalten gab, die von Universitä• Produktivität, vom Sozialprodukt und von der Masse ten betrieben wurden und den Akzent auf Kultur und der Bevölkerung her, sondern auch von seiner militä• Bildung setzten - Programme, die von der großen rischen Potenz her von entscheidender Bedeutung Masse nicht gesehen wurden. Das löst bei mir Über• war. Es wäre völlig sinnlos gewesen angesichts Sta­ legungen aus, wo ich den von Gebühren bezahlten lins und seiner Sowjetarmee, ohne Amerika auch nur Anstalten zumute, sich nicht nur an den Einschaltquo­ die Hoffnung zu haben, daß wir uns hätten verteidi­ ten zu orientieren, sondern neben der Unterhaltung gen können, wenn ein weiterer stalinistischer Angriff auch Minderheitsprogramme auszustrahlen, weil es gekommen wäre. Die entscheidende Weltmacht, die ja doch eine Schicht gibt von gebildeten Leuten, von uns Schutz gewährt, ist Amerika. Und deshalb der Mediatoren, die auch die breite Masse erreichen. Ich Besuch Adenauers auf dem Friedhof von Arlington halte es für falsch, daß wir wegen der Einschaltquo­ und sein Besuch in den USA usw. Wir alten Cislimi­ ten im öffentlich-rechtlichen System in die reine Un­ ten haben ja ein ausgeprägtes Gespür für die fran­ terhaltung gehen. Über diese Problematik - Kommer­ zösischen Gefühle. Und für uns war das eine delikate zialität einerseits, minimale Bildungsprogramme an­ Politik, denn zumindest der Zweite Weltkrieg mit der dererseits - habe ich in Gesprächen mit amerikani­ vernichtenden Niederlage Frankreichs hat die stolzen schen Kollegen viel erfahren. Nationalgefühle der Franzosen, die sich bis dahin als Weltmacht gefühlt hatten auch nach dem Ersten 1: Was bedeuteten für Sie die Gespräche mit den Weltkrieg, erheblich reduziert. Wie ich in meinem Emigranten? Vortrag »Deutschland - Frankreich - Partnerschaft«, M: Es ist viel über die Ursachen des Nationalsozia­ den ich für ungeheuer wichtig halte, um diese Politik lismus' gesprochen worden. Ich habe bei diesen Ge­ zu verstehen, beschrieben habe, hat ja Frankreich, sprächen aber nicht immer die Holocaust-Anklage weil es Jahrhunderte lang umzingelt war vom Römi• gehört, sondern eher die Reflexion darüber, was man schen Reich Deutscher Nation im Westen, im Osten, falsch gemacht habe, um die Entwicklung nicht in im Süden und teils im Norden und außerdem noch diese gefährliche Richtung zu bringen. Da sie wuß• bedroht war durch die Engländer, nur überleben kön• ten, daß ich vom Dritten Reich nicht betroffen, das nen unter dem Begriff der Nation. Dabei sind die heißt schon betroffen, aber nicht daran beteiligt war, zentrifugalen Kräfte in Frankreich ja viel größer als in waren diese Gespräche sehr offen. Wir haben also Deutschland, da es eine Nation mit verschiedenen gemeinsam dann unsere Fehler besprochen, die wir Sprachen ist. Leute wie Adenauer und vielleicht auch gemacht haben in dieser Zeit. meine Familie haben dafür ein großes Gefühl gehabt, und deswegen haben wir immer versucht, diese fran­ 1: Haben diese Gespräche mit Emigranten Ihr Ameri­ zösischen Souveränitätsgefühle zu respektieren und kabild beeinflußt? zu verstehen und sie nicht von törichten Preußen stö• M: Ja, aber es gibt nicht ein Amerika, sondern viele ren zu lassen. Auf der anderen Seite waren wir natür• Amerikas, ein plurales Amerika. Ich habe mich einmal lich völlig überzeugt, daß ohne Amerika - was uns über die Einwanderungswellen informiert. Da gibt es »Am Ende des Jahrtausends eine multikulturelle Großfamilie« 157 erstens die religiöse Einwanderung, dann die krimi­ Freund Dr. Knecht. Ihn kannte ich von seiner Tätig• nelle Einwanderung, wo die Väter ihre Söhne nach keit als Leiter des Verlags der Rhein-Main-Zeitung Amerika geschickt haben, weil sie sonst in Deutsch­ her, die ja christlich-zentrumsnah war. Und ich hatte land im Gefängnis gelandet wären. Und dann gab es hier angefangen und war mitten im Aufbau, und Bi­ die Emigrationseinwanderungen, die ethnischen Ein­ schott war alt geworden und in seinem Verhalten wanderungen. Ich warne deshalb, von Amerika als gealtert. Da wandte sich Dr. Knecht an mich und einer Einheit zu sprechen. Es ist zwar richtig, daß alle fragte: »Wollen Sie nicht Intendant des Südwestfunks nach Amerika gekommen sind, um sich zu retten, sei werden?« Der Dr. Knecht war damals Generaldirektor es vor'm Gefängnis, sei es vor'm Hunger und zwar des Herder-Verlags in Frankfurt und Vorsitzender des aus allen Weltgegenden. San Francisco ist eine Stadt Rundfunkrats. mit ganz anderen emotionalen Hintergründen als z. 1: Wann kam das Angebot? B. Boston oder New York. Deshalb muß man auch bei einem Amerikaner fragen: Wo kommt er her? Und M: Ich nehme an 1962/63. Da habe ich dem Dr. aus welchem Grunde sind seine Vorfahren nach Knecht gesagt, mit dem ich - wie gesagt - sehr be­ Amerika gekommen? Die sentimentale Basis bei al­ freundet war: »Herr Dr. Knecht, ich kann doch jetzt len Amerikanern ist die Auffassung, daß ihnen das den Saarländischen Rundfunk nicht verlassen, mitten Land eine neue Lebensbasis gegeben hat, aber im Aufbau. Können wir nicht eine Personalunion für sonst ist es ein sehr unterschiedliches Land. Einheit den Südwestunk und den Saarländischen Rundfunk besteht dort nur in dem Gefühl, Amerikaner zu sein, machen? Ich bin bereit, hin- und herzufahren, auch aber die inneren Strukturen sind außerordentlich jeden Tag, wenn es notwendig ist, es ist ja nicht so vielfältig. weit nach Baden-Baden.« Da sagte der Dr. Knecht zu mir: »Herr Dr. Mai, das schaffe ich nicht, das bekom­ 1: Trifft das nicht mehr oder weniger auf jedes Land me ich nicht durch in meinen Gremien.« So gerne ich zu? damals angenommen hätte, es wäre sicherlich für M: ln Deutschland gibt es eben Cislimiten und Trans­ mich viel schöner in Baden-Baden gewesen als hier limiten. in Saarbrücken in dieser merkwürdigen Provinz bei den Flüchtlingen der Völkerwanderung, aber ich woll­ 1: Hatten Sie vor Ihrer Reise ein festes Amerikabild, te mein Aufbauwerk nicht einfach im Stich lassen, vielleicht mit tradierten Vorurteilen? das habe ich nicht übers Herz gebracht. Dann habe M: Nein, dank meiner sokratischen Erziehung hatte ich zum Herrn Dr. Knecht gesagt: »Nein, dann ver­ ich keine Vorurteile gegen Amerika. Unser Wahr­ zichte ich«. nehmungsvermögen ist doch so begrenzt, daß ich 1: Haben Sie in Ihrer Intendantenzeit häufig mit Bi­ mich immer gehütet habe zu verurteilen, weil man schott diskutiert? nicht das Panorama der gesamten Situation durch­ schauen kann. M: Das Verhältnis zu Bisehoff unterlag ganz natürli• chen Schwankungen. Wir sind sehr gut miteinander 1: Das hindert aber auch daran, bestimmte Vorbilder ausgekommen, weil wir eine ähnliche Grundlinie über zu haben, denn das relativiert sich ja auch. Journalismus usw. hatten. Er kam aus der Literatur, M: Ja, wenn man mich fragen würde: »Was sind Sie und ich kam auch aus dem Literarischen. Er hatte im Grunde?« Dann würde ich mich als Humanist be­ sich mit den Franzosen arrangiert, und für mich war zeichnen, der sich der Fragwürdigkeit der menschli­ Frankreich eine zweite Heimat gewesen und ist es chen Erkenntnis bewußt ist, bereit zur Korrektur ist noch heute. ( ... ) und fern von jeder ideologischen Festlegung. Das ist 1: Änderte sich das Verhältnis zum Südwestfunk, als meine Grundeinstellung. Wobei ich mir durchaus be­ Hammerschmidt Intendant wurde? wußt bin, daß Ideologien Menschen formen. Die ei­ gene Persönlichkeit und die Bereitschaft, die eigenen M: Ja. Mit Hammerschmidt hatte ich keine Probleme, subjektiven Fähigkeiten zu entwickeln zum Nutzen ( ... ) aber er war eine ganz andere Persönlichkeit. der Gemeinschaft, das ist für mich das moralische Hammerschmidt war kein musischer Mensch, es war Ziel. etwas Hämmerndes in ihm. Ob er damit viel ge­ schmiedet hat, weiß ich nicht. Es war keine Natur, die 1: Für die Nachkriegsgeneration war Amerika in vie­ eine Psycheallianz entwickeln konnte. Er gehörte lem ja doch Vorbild. Wir haben die Orientierung auf auch zur CDU. Aber Gespräche, wie ich sie gerne Coca Cola, Jeans, Hollywood und Rockmusik ja sehr führe, also mit solchen Reflexionen durchsetzt, die nah erlebt. gab es bei ihm nicht so. ( ... ) M: Aber doch mehr aus materiellen als geistigen 1: Da wir gerade bei den Intendanten sind: Könnten Konsumwünschen heraus. Nicht als ein geistig­ Sie uns vielleicht noch etwas zu Ihrem Verhältnis zu kulturelles Leitbild. Hans Bausch erzählen? »Damals bin ich zum ersten Mal nach M: Das ist schwierig zu formulieren. Bausch hatte si­ Oggersheim gefahren, zu Herrn Kohl.« cherlich bei der Debatte über den Südwestfunk ge­ hofft, auch Baden-Baden unter seine Herrschaft zu 1: Kommen wir noch einmal auf Ihr rundfunkpoliti­ bekommen. Im übrigEm war er ein Tagesjournalist, sches Engagement in Ihrer Intendantenzeit zu spre­ kein Reflexionsjournalist Ich hatte den Eindruck, chen. Ihre Beziehung zum Südwestfunk. daß, wenn er von der Freiheit oder Meinungsfreiheit M: Bisehoff war ja Intendant beim Südwestfunk; der des Journalismus redete, daß das eine journalisti­ Vorsitzende des Rundfunkverwaltungsrats war mein sche Ideologie war, deren psychologische Problema- 158 Rundfunk und Geschichte 24 (1998) tik er nicht hinterfragte. Und er schrieb die Geschich­ Fachbuch für Philosophiestudenten, es ist keine te des Rundfunks, ohne die psychologischen Hinter­ Weltbildentwicklung, sondern ein reines Lehrbuch. gründe wirklich aufzudecken. Er war ein Historiker 1: Er ist ja auch Pädagoge. wie viele andere auch, der an Dokumente glaubt und nicht fragt, wie Dokumente zustande kommen - einer M: Ja, und ich bin kein Pädagoge. der großen Irrtümer in der Geschichtsschreibung. Ich 1: Wie ist Stolte zu Ihnen gekommen. habe persönlich erlebt, wie man Dokumente macht, um ein Ziel zu erreichen. Das hat gar nichts mit der M: Ich bin entweder auf ihn aufmerksam gemacht objektiven Realität zu tun. Und für ihn war ein Doku­ geworden, oder er hat sich beworben nach Ende sei­ ment ein Dokument, ohne zu fragen, was die psycho­ nes Studiums. Ich habe mich ein bißchen erkundigt, logischen Tiefen, was die Umstände waren, die zu und da ist er mir empfohlen worden, und ich habe ihn diesem Dokument geführt haben. Er war von Philo­ eingestellt. Er war ja ein junger Mann, und er hat sei­ sophie völlig unberührt, er war auch von der Ästhetik ne Aufgabe gut erfüllt. Ich weiß gar nicht mehr, in völlig unberührt. Er war reiner Journalist und hat dann welchem Ressort er bei mir tätig war. eine Glaubwürdigkeit des Journalismus gepredigt, die 1: ln der Wissenschaftsabteilung. der Realität nicht entsprach. M: Ja. Und da hat er auch wirklich gute Arbeit gelei­ 1: Was hat er da in seiner Darstellung vernachlässigt, stet, und ich hatte auch volles Verständnis dafür, daß vom allgemeinen psychologischen Blick mal abgese­ er zu Holzamer ging, und ich habe mich darüber ge­ hen? freut und habe auch versucht, dadurch eine gute Ko­ M: Er hat die Meinungsfreiheit des Journalismus ver­ operation mit dem Saarländischen Rundfunk zustan­ absolutiert, ohne den Leser oder den Hörer auch dezubringen. Und ich habe mich auch gefreut, daß er damit zu konfrontieren, wie subjektiv jede Meinung dann Intendant (... ) wurde. Also, da ist überhaupt kei­ ist. Ich habe in allen meinen Schriften immer ver­ ne Problematik. sucht, darauf hinzuweisen, daß jede Äußerung eine 1: Ein anderer Name, der in den SPIEGEL-Artikeln subjektive Äußerung ist und keine objektive Reali­ über Sie regelmäßig auftaucht, ist Werner Hess. tätsdarstellung. Auf den erkenntnistheoretischen Hin­ tergrund hinzuweisen, lag ihm völlig fern. Für ihn war M: Sie wissen ja, daß Werner Hess ein protestanti­ die Aussage eine objektive Tatsache. Insofern waren scher Pfarrer war (lacht). Und Sie wissen ja, die Pro­ wir in unserem Denkprozeß meilenweit verschieden. blematik, die sich jedem Protestanten stellt: die Ich will mir kein moralisches Urteil über ihn bilden, Selbstrechtfertigung. Und dann kommt beim Pfarrer aber wir waren grundverschieden. Und da ich als Cis­ die Pflicht hinzu wegen der Selbstrechtfertigungsnot­ limite immer mit Leidenschaft gegen die Gläubigkeit wendigkeit Und insofern war er sicherlich ein sehr der Deutschen kämpfte - es reicht eben nicht, etwas netter Mann, aber er hatte natürlich die Selbstrecht­ schwarz auf weiß nach Hause zu tragen, man muß fertigungsnotwendigkeit und die seelsorgerische Für• auch wissen, wie es entstanden ist, wer es geschrie­ sorge gegenüber den ihm anvertrauten Hörern und ben hat usw. Aber diese Deutschen sind von einer Sehern. Vor ihm war ja auch Beckmann. Mit dem ha­ Gläubigkeit, die mich immer entsetzt, während die be ich mich auch gut verstanden. Franzosen, die alten Cislimiten, schon im Galle­ 1: Hans Abich? Römischen die Relativität der Gläubigkeit als Mentali­ tätsinhalt haben. Da liegt der Unterschied zwischen M: Abich habe ich damals unterstützt, als er noch gar Bausch und mir. nicht beim Rundfunk war, den habe ich nämlich als Mitglied der Filmbürgschaftsgesellschaft unterstützt 1: Und mit von Bismarck hatten Sie gar keine Ge­ bei seiner Filmproduktion in Göttingen. Als er dann meinsamkeit? Intendant in Bremen wurde, da habe ich ihn auch er­ M: Nein. Weil er die Befreiungsemotionalität von der lebt. Aber ich kannte ihn schon als Produzent in Göt• preußisch-Bismarckschen Fesselung eigentlich hätte tingen. Ich habe eine sehr positive Meinung von ihm, erkennen müssen. Das nehme ich dem Bismarck und zwar aus zwei Gründen: Nicht nur, weil er einen nicht übel, aber hier nach Köln hätte eben ein sehr sachlichen und das Maß immer einhaltenden Mensch kommen müssen, der diese Mentalitätser• Verstand hat, sondern auch, weil er, ähnlich wie mein fassung der westeuropäischen Nachbarn wirklich be­ Professor der Kunstgeschichte, durch seine körperli• herrscht hätte. che Verkrüppelung. Abich gehört zu den Persönlich- ' keiten, die ich von ihrer menschlichen Seite und auch 1: Haben Sie Kontakt zu Holzamer gehabt? von ihrer Sachlichkeit her sehr hoch eingeschätzt ha­ M: Mit Holzamer habe ich immer einen vernünftigen be. Kontakt gehabt. Ich sollte ihm einen potentiellen 1: Zurück zu Ihrem medienpolitischen Engagement als qualifizierten persönlichen Referenten geben, und ich Intendant. Was hat Sie - ich glaube es war 1968 - habe ihm ja Stolte empfohlen. Stolte, Holzamer und bewogen, den anderen Intendanten dieses berühmte ich haben in Rheinland-Pfalz einen ganzen Tag zu­ Manuskript zu schicken, in dem Sie eine föderative sammengesessen, um die Kooperation mit dem ZDF Regelung zwischen SWF und SR vorgeschlagen ha­ auf eine vernünftige Basis zu stellen. Wir haben nicht ben? das geringste Spannungsverhältnis, sondern sind uns im Gegenteil eigentlich ganz freundschaftlich verbun­ M: Da ich ja durch meine Beschäftigung mit dem den. Er hat mir auch sein Buch geschickt, ein philo­ Rundfunk auch Rundfunkgeschichte studiert hatte, sophisches Buch, und das ist natürlich ein reines wußte ich, daß zum Gebühreneinzugsgebiet des Reichssenders Saarbrücken praktisch ganz Rhein- »Am Ende des Jahrtausends eine multikulturelle Großfamilie« 159

Iand-Pfaiz gehörte. Und das Studio Mainz des Süd• Finanzausgleich. Dann wären wir eine mittlere Anstalt westfunks war nur in Rudimenten vorhanden. Damals gewesen, die sich selbst hätte ernähren können. Und habe ich vorgeschlagen Herrn Röder, Herrn Kohl und deswegen hatte ich auch vier Stimmen von sieben, Herrn - es kann sein, daß es schon Kiesinger war, also vier gegen zwei bei einer Enthaltung für meinen eine Kommission einzusetzen zu der Frage, ob es Vorschlag. Ich hätte damit damals auch die wirt­ nicht vernünftig sei, dem Saarländischen Rundfunk schaftlichen Beziehungen und die politischen und die sein altes Gebühreneinzugsgebiet Rheinland-Pfalz zu anderen mit Rheinland-Pfalz zusammenfassen kön• geben mit Landesstudio Mainz und damit aus dem nen. Finanzausgleich auszuscheiden und den Südwest• 1: Wie hoch wäre der Programmanteil in der ARD ge­ funk und den Süddeutschen Rundfunk - »ein Land, wesen, wenn das zustandegekommen wäre? eine Rundfunkanstalt« - zusammenzufassen. Auf diese Anregung hin wurde von den drei Ministerprä• M: Er hätte vielleicht bei sechs Prozent gelegen. sidenten 1968 die sogenannte Michel-Kommission 1: Er hätte sich also verdoppelt? gegründet. Michel war der Generaldirektor der Sala­ mander-Werke, glaube ich. Und nachdem diese Mi­ M: Ja. chel-Kommission alles geprüft hatte, kam sie zu fol­ 1: Wie lassen sich Ihre vielen verschiedenen Wir­ gendem Abschlußergebnis für beide Fassungen, kungsgebiete zusammenbringen? Ist das noch der Saarländischer Rundfunk mit Landesstudio Mainz gleiche Franz Mai? Der Jurist, der Intendant, der Au­ und Südwestfunk mit Süddeutschem Rundfunk zu­ tor eines philosophischen Buches ... sammengefaßt: vier von den sieben Stimmen für meinen Vorschlag, eine Stimmenthaltung und zwei M: Das ist noch der gleiche Franz Mai. Aber ich hoffe, Stimmen für die Fassung, wie sie dann geblieben ist. das habe ich Ihnen schon ein bißchen erklärt ... Damals bin ich zum ersten Mal nach Oggersheim gefahren zu Herrn Kohl. Nun hatte ich hier den Ein­ druck, daß der an einer schweren Berufskrankheit leidende Studienrat und Ministerpräsident Röder sei­ nen saarländischen Kleingarten, den ich hier aufge­ baut hatte, nicht mit seinem Kollegen in Mainz, dem Herrn Kohl, teilen wollte, was aber die einzig vernünf• tige Lösung gewesen wäre. Nun muß ich die Berufs­ krankheit des Herrn Röder schildern, die auch zum Untergang der CDU an der Saar geführt hat: Er war Studienrat, Lehrer - ich habe sehr gute Lehrer ge­ habt, aber einige werden von dieser Berufskrankheit erfaßt - und Lehrer, die den ganzen Tag mit Men­ schen zu tun haben, denen sie an Alter, Erfahrung und Wissen haushoch überlegen sind. An dieser Be­ rufskrankheit war Röder sehr intensiv erkrankt. Ich hatte immer ein sehr gespanntes Verhältnis zu Rö• der, er liebte mich überhaupt nicht, er hat mich schamlos ausgenutzt, aber das wäre eine lange Ge­ schichte. Das hat dazu geführt, daß man ihn dann fast gewaltsam abgesetzt hat, und dann kam Zeyer als Barlachsehe Holzfigur, die also überhaupt kein Gefühl für Politik hatte, und so ist die SPD ans Ruder gekommen, mit Rotlicht und Rentenzusätzen. 1: Welches Motiv lag Ihrem Vorschlag eigentlich zu­ grunde? War das die geringe Quote von Fernseh­ und Hörfunkteilnehmern? M: Der alte Reichssender Saarbrücken ( ...) hatte als Gebühreneinzugsgebiet praktisch das ganze Rhein­ land-Pfalz dazu. Ich wollte diesen alten Zustand wie­ derherstellen, weil dann der Saarländische Rundfunk frei gewesen wäre von der Notwendigkeit des Fi­ nanzausgleichs. Meinen Sie, das wäre einfach gewe­ sen, immer mit meinen Kollegen zu kämpfen, um da eine Million oder auch nur eine Mark herauszube­ kommen? Ich sehe das jetzt ja auch am Solidarpakt Und es wäre der Widersinn der Nachkriegsentwick­ lung: amerikanische Zone Stuttgart, französische Zo­ ne Baden-Baden, im selben Land Baden-Württem• berg. Dann hätten wir den vernünftigen Zustand ge­ habt: ein Land - eine Rundfunkanstalt. Saarländi• scher Rundfunk in Rheinland-Pfalz und Saar, wieder mit dem alten Reichssender und damit raus aus dem Miszellen

Helmut Hammerschmidt (1920 - 1998) produzierte der SWF zwei eng aufeinander be­ zogene Hörfunkprogramme, die durch kurze, an Am 4. Marz 1998 starb der profilierte Journalist kleinen Zielgruppen orientierte Sendungen cha­ und langjahrige Intendant des Südwestfunks rakterisiert waren; zum zeitlich noch einge­ (SWF) Baden-Baden Helmut Hammerschmidt, schrankten Ersten Fernsehprogramm steuerte knapp zwei Monate vor seinem 78. Geburtstag. der SWF acht Prozent des Sendevolumens bei. Seine Amtszeit als Funkhauschef von 1965 bis Am Ende der Amtszeit 1977 strahlte der SWF 1977 fiel wie diejenige seiner im vergangenen drei Hörfunkprogramme mit großflachigen Ma­ Jahr verstorbenen Intendantenkollegen Klaus gazinen aus - eines der Programme, SWF 3, von Bismarck und Reinhold Vöth in die politisch wurde zum Markenzeichen der Rundfunkanstalt. turbulenten Jahre nach dem ersten »Macht­ Mit dem größeren Sendevolumen des Ersten wechsel« 1969 in der Bundesrepublik Deutsch­ Fernsehprogramms wuchs auch der Produkti­ land. onsanteil des SWF, der seit 1969 außerdem Hammerschmidts Wahl zum Intendanten war Hauptproduzent des neuen Dritten Fernsehpro­ ein Abschied vom musisch-kulturellen Image des gramms S 3 wurde, das gemeinsam mit dem SWF, das bis 1965 durch den Gründungsinten• SDR und SR aufgebaut worden war. danten Friedrich Bisehoff gepragt worden war. Rundfunkpolitischen Einflußversuchen beug­ FOr die absehbare dritte Neuordnungsdebatte in te Helmut Hammerschmidt offensiv vor. ln der Südwestdeutschland brauchte der SWF nach Neuordnungsdebatte von 1967 bis 1970, die im Ansicht der Mehrheit in Rundfunk- und Verwal­ zweiten Michelgutachten mündete, folgten die tungsrat einen politisch offensiven Reprasentan­ Ministerprasidenten von Baden-Worttemberg, ten, der den Übernahmewünschen der Nachbar­ Rheinland-Pfalzund des Saarlandes seinen Vor­ intendanten des Süddeutschen Rundfunks stellungen einer Kooperation als erster Stufe ei­ (SDR) sowie des Saarländischen Rundfunks ner möglichen Fusion von SWF, SDR und SR. ln (SR) zu begegnen wußte. Die parallele Wahl von der Auseinandersetzung um die zweite Gebüh• Ganter Gaus zum Programmdirektor signalisier­ renerhöhung von 1972 bis 1974 setzte Hammer­ te, daß auch programmpolitisch andere Akzente schmidt als ARD-Vorsitzender die mittelfristige gewünscht waren. Finanzplanung als Instrument im Sinne der Ein ausgepragtes programmpolitisches Profil Rundfunkanstalten ein; »seinem« Sender und bot auch Helmut Hammerschmidt: Nach Aufbau der ARD verordnete er darOber hinaus schmerz­ des CSU-Verlages wechselte er 1949 zum hafte Sparkonzepte. ln seiner Personalpolitik Bayerischen Rundfunk (BR), wo er von 1953 bis begegnete er außeren AnsprOehen freiwilliger 1957 die Aktuelle Abteilung des Hörfunks leitete Konsultation politischer und gesellschaftlicher und anschließend zum stellvertretenden Chefre­ Kratte vor wichtigen Entscheidungen. Die Aus­ dakteur im Fernsehen avancierte. 1961 wurde er wahlkriterien Kompetenz und publizistische Qua­ Fernseh-Chefredakteur beim SDR. 1964 bis zu litat verteidigte er dabei auch gegenober den seiner Amtsobernahme als SWF-Intendant 1965 personalpolitischen AnsprOehen seiner eigenen leitete er das Studio Sonn der ARD und koordi­ Partei, der CDU. Einen eigenen Statutenentwurf nierte die politischen Sendungen des Deutschen stellte Hammerschmidt den Forderungen nach Fernsehens. ln seiner journalistisch aktiven Zeit größerer Mitbestimmung entgegen. Sein Entwurf baute Helmut Hammerschmidt unter anderem pragt die noch heute gültigen »Grundsatze fOr das politische Fernsehmagazin »Anno« beim BR die Zusammenarbeit mit den Personalvertretun­ auf, die organisatorische Keimzelle der spateren gen und allgemeine innerbetriebliche Arbeitsre­ »Report«-Magazine des BR und SWF. 1964 geln« des SWF, die gleichzeitig als außerster führte er den tagliehen politischen Kommentar in Grad von Mitwirkung galten, den die CDU 1974 das Fernsehprogramm ein, der zunachst nur in Hörfunk und Fernsehen zu dulden bereit war. nach der Spätausgabe der »Tagesschau« aus­ Wie keine andere Maßnahme haben seine gestrahlt werden durfte. »Richtlinien fOr die politische Programmarbeit« Seine insgesamt drei Wahlperioden als In­ von 1970, das sogenannte »Hammerschmidt­ tendant des SWF gestaltete Hammerschmidt Papier«, die Wahrnehmung seiner Amtszeit in nach innen wie der Manager eines expandieren­ zeitgenössischer Öffentlichkeit und rundfunkhi­ den Unternehmens der Informations-, Bildungs­ storischer Literatur gepragt. Hammerschmidts und Unterhaltungsindustrie, nach außen wie ein Forderungen nach Ausgewogenheit in jeder ein­ konservativer Reprasentant des öffentlich-recht• zelnen Sendung und nach einem Verbot, Ober lichen Rundfunks. Zu Beginn seiner Amtszeit die Veranderung bestimmter Grundgesetzartikel Oberhaupt im Rundfunk diskutieren zu dürfen, Miszellen 161 stellten nach Ansicht der Frankfurter Rundschau (über optische Meßmethoden) arbeitete er zwei in komprimierter Form alle Angstbilder dar, »die Jahre lang als Assistent am Institut für ange­ sich in einem Machtausübenden in den Jahren wandte Optik der Universität Jena und später am der Studentenbewegung ansammeln konnten«. Physikalischen Institut der Universität in Sonn. ln den für die ARD-interne Diskussion gedachten 1934 ging Münster als Physiker und Optiker zur Richtlinienentwurf waren zahlreiche Argumente Firma Carl Zeiss in Jena, wo er bis 1945 als eingeflossen, mit denen Helmut Hammerschmidt Leiter der Entwicklungsabteilung arbeitete und die Absetzung des Fernsehspiels »Bambule« gelegentlich mit kleinen Erfindungen hervortrat. von Ulrike Meinhof im Mai 1970 gerechtfertigt Nach dem Krieg wollte Münster neu anfangen hatte. Studentenbewegung und aufkommender und verwirklichte einen alten Plan: Er wurde Terrorismus waren für Hammerschmidt Merkma­ Publizist. Gemeinsam mit Walter Dirks, den er le von rotem Faschismus. Mag diese Einschät• aus seiner Jugendzeit kannte, und Eugen Ko­ zung aus heutiger Perspektive übertrieben er­ gon, dem Autor des Buches »Der SS-Staat«, scheinen, so wird sie vor dem Hintergrund von gab er von 1946 bis 1949 die »Frankfurter Hef­ Hammerschmidts Erfahrungen im Dritten Reich te«, heraus. Bereits während des Krieges hatten vielleicht eher nachvollziehbar. Nach den Nürn• der Sozialist Dirks und der Katholik und Physiker berger Gesetzen als religionsloser »Mischling Münster über die Grundlagen einer Publikation ersten Grades« eingestuft, entging er nur knapp debattiert, die Brücken zwischen Politik und dem Tode. 23 Familienangehörige kamen dage­ Kultur schlagen sollte. Die erste Ausgabe er­ gen ums Leben, darunter sein Vater und dessen schien am 1. April 1946. Ein Blick ins Register vier Geschwister. Politische Ansprüche, die in zeigt, daß Münster selbst von 1946 bis 1949 lauten Demonstrationen oder mit Gewaltandro­ zahlreiche Aufsätze zu politischen, sozialen, hung erhoben wurden, weckten in Hammer­ künstlerischen und Bildungsfragen verfaßte und schmidt nach dieser Erfahrung tiefes Mißtrauen. die Hefte aktuelle (Zeit)Themen aufgriffen. Nach Die in seinem Richtlinienpapier zum Schutz des der Währungsreform aber ging die Auflage der öffentlich-rechtlichen Rundfunks geforderten renommierten Monatszeitschrift zurück und die Regeln flossen 1971 in die milderen »Grund­ Aktualiät ließ nach. Wie Münster 1987 in einer sätze für die Zusammenarbeit im ARD-Gemein­ Nachtstudio-Sendung des Bayerischen Rund­ schaftsprogramm Deutsches Fernsehen« ein. funks Leonhard Reinisch erzählte 1, habe ihm vor Nach skandalträchtigen Berichten über sein allem die neue Linie nicht mehr gepaßt und er Privatleben verlor Helmut Hammerschmidt die sei 1949 gegangen, um sich neuen Aufgaben zu bürgerlich-konservative Mehrheit in den Gremien widmen. des SWF. Mit dem Verwaltungsratsvorsitzenden Zunächst wollte er nach Brasilien auswan­ und Mainzer Staatssekretär Willibald Hilf bot sich dern, habe aber von den Amerikanern keine zu diesem Zeitpunkt ein Nachfolger an. Nach Ausreisegenehmigung bekommen. Neben der dem Ende seiner Intendanz wurde Helmut Absage der Amerikaner aber lag ein Brief des Hammerschmidt Geschäftsführer der »Telesko­ damaligen SR-Intendanten Rudolf von Scholtz, pie, Gesellschaft für Zuschauerforschung« in der ihn fragte, ob er bereit wäre, sich um den Sonn-Bad Godesberg. Ferner nahm er Lehrauf­ Posten eines Chefredakteurs Kultur und Erzie­ träge an den Universitäten München und Mainz hung beim SR zu bewerben. Münster sagte zu wahr. Peter Voß, letzter Intendant des SWF und und übernahm im Juli 1949 die Leitung der neu erster Intendant des Südwestrundfunks, würdig• geschaffenen Hauptabteilung Kultur und Erzie­ te Helmut Hammerschmidt in seinem Nachruf als hung . Damit war er, der das Handwerk des Vollblutjournalisten, der die grundlegende Mo­ Rundfunks erst erlernen mußte, zuständig für dernisierung des SWF vollzogen und Baden­ Sendungen der Kulturabteilung, des Hörbilds Baden zu einem herausragenden Faktor des sowie des Kirchen-, Frauen-, Jugend-, Schul­ Fernsehens in Deutschland gemacht habe. und Kinderfunks. Sein Credo lautete damals: Stephan Rechlin, Vlotho »Ich versuche, die Pflege der positiven Kräfte auf allen Gebieten - ohne erhobenen Zeigefin­ ger. Ich möchte echte Bildung vermitteln: in Na­ tur- und Geisteswissenschaften, Wirtschaft, Giemens Münster (1906-1998) Kunst und Politik.«2 Dieser hohe intellektuelle Anspruch verschaffte ihm im Funkhaus den Giemens Münster, der erste Fernsehdirektor des Spitznamen »Kultusminister«. Da der BR erst Bayerischen Rundfunks (SR) starb am 27. April einige Monate zuvor (am 25. Januar 1949) in 1998. Geboren wurde er am 15. Januar 1906 in deutsche Verantwortung übergeben worden war, Cochem an der Mosel. Von 1924 bis 1928 stu­ hatten die amerikanischen Besatzungsoffiziere dierte er in Münster und München Physik, Ma­ noch Einfluß auf das Programm. Münster erin­ thematik und Chemie. Nach seiner Promotion nerte sich im Nachtstudio-lnterview daran, daß 162 Rundfunk und Geschichte 24 (1998) die Einschrankung größer war als bei den große Zukunft vorhergesagt wurde und das vor »Frankfurter Heften«. ln der ersten Zeit habe er allem wenig Publikum hatte. Der Rundfunkrat einen Teil der politischen Kommentare sprechen stimmte also dem Wechsel zu, gegen das dürfen und seine politische Meinung deutlich »Brummen« des damaligen bayerischen Kul­ zum Ausdruck gebracht. Aber bald darauf erhielt tusministers Alois Hundhammer, dem MOnsters er Kommentarverbot politische Richtung und sein Preußenturn grund­ Im Mai 1953 kam es dann zu einem erneuten satzlich mißfielen. beruflichen Wechsel. Intendant Rudolf von MOnster hatte die Möglichkeiten des neuen Scholtz beauftragte ihn mit dem Fernsehver­ »Fensters zur Welt« sofort erkannt. »Da der suchsbetrieb, der sich - ein Kuriosum der Rund­ Mensch besonders empfanglieh ist fOr alles, was funkgeschichte - in einem Blindenheim in der er sieht, wird das Fernsehen zu einem Mittel von Münchner Lothstraße befand. Hier konnten sich unabsehbarer Wirksamkeit, das nur mit großer Regisseure, Darsteller und Kameraleute in Ruhe Sorgfalt gehandhabt werden kann ( ... ). Was uns auf ihre künftigen Aufgaben vorbereiten und aus dieser großen Möglichkeit erwachst, Heil Sendungen erproben. Der Fernsehbeauftragte oder Unheil, im Großen und Ganzen und im Ein­ Monster hatte freie Hand und durfte sich seine zelnen, hangt ab von dem Verantwortungsbe­ Mitarbeiter selbst aussuchen. »Da niemand et­ wußtsein derer, die die Gesetze und derer, die was von Fernsehen versteht, nehmen wir die die Programme machen, und von dem Maße, mit Leute, die uns geeignet erscheinen«, hatte er dem die Zuschauer von heute und morgen sich damals in einem Zeitungsinterview geaußert und dieser Programme bedienen«, lautete 1959 sei­ zum Beispiel den Hörspiel- und Unterhaltungs­ ne Warnung in einer Hörfunksendung.3 Kern und regisseur Kurt Wilhelm als Leiter der Abteilung Ziel des Fernsehprogramms sei Teilnahme und Unterhaltung und Musik zum Fernsehen geholt. Unterhaltung, die Kenntnis vom Menschen, das Er unternahm Studienreisen durch Europa und in Teilhaben am Schicksal der Mitmenschen, ver­ die USA, um sich mit dem neuen Medium Fern­ mittelt durch das Medium Fernsehen. Giemens sehen vertraut zu machen und ein eigenes Kon­ Monster gehörte wie Helmut Jedele und Horst zept zu entwickeln. Nach einem Jahr Probebe­ Jaedicke zur ersten Generation der bundesdeut­ trieb bezog das Bayerische Fernsehen im Froh­ schen Fernsehdirektoren, einer Riege von ein­ jahr 1954 die neugebauten Studios in Freimann, fallsreichen und unternehmungsfreudigen Intel­ aus denen am 6. November die erste Münchner lektuellen, welche die Möglichkeiten und Gefah­ Eigenproduktion ausgestrahlt wurde. Giemens ren dieses neuen Mediums in Vortragen, Zeitun­ MOnster gab seine Funktion als Chefredakteur gen, Sendungen reflektierten. Kultur und Erziehung auf und Obernahm zum 1. 17 Jahre lang pragte Giemens MOnster die April 1954 die Leitung der ersten Fernsehdirekti­ bayerische Fernsehlandschaft, bis er am 1. Fe­ on, spater noch die Leitung der Abteilung Fern­ bruar 1971 sein Amt an Helmut Oeller abgab. ln sehspiele. Warum er zum Fernsehen gewechselt seine Ara fallen wichtige Marksteine der Fern­ sei, fragte ihn damals die Zeitschrift »Der Rund­ sehentwicklung, wie 1956 die Einführung des funkhörer« . MOnster nannte drei Faktoren, die Werbefernsehens, 1961 die Gründung des eine Rolle gespielt hatten: Interesse fOr das Zweiten Deutschen Fernsehens, 1964 die Grün• Bildmedium, Kenntnis der Bildästhetik - sein er­ dung des Studienprogramms als erstes Drittes stes Buch trägt den Titel »Die Macht der Bilder« Fernsehprogramm in der Bundesrepublik oder - und die technisch-physikalische Vorbildung als der Beginn des Farbfernsehens im Jahr 1967. Publizist. Nebenamtlich war er in den Jahren 1957, 1959 Die »wahren« Hintergründe seines Wechsels und 1960 Vorsitzender der Standigen Fernseh­ vom Hörfunk zum Fernsehen erzahlte MOnster programmkonferenz der ARD. Von 1969 bis 1987 im Nachtstudio-lnterview. Er sei zuneh­ 1974 fungierte Giemens Monster - seine Ernen­ mend in Konflikt zum Intendanten Rudolf von nung zum Honorarprofessor erfolgte 1972 - zu­ Scholtz und zum machtigen Chefkommentator dem als Prasident und Dozent an der Hochschu­ Walter von Cube geraten: »Man wollte mich le fOr Fernsehen und Film in Manchen, die er einfach loswerden. Ich sollte im Funk nichts 1967 als Mitinitiator ins Leben gerufen hatte. mehr - im wörtlichen und übertragenen Sinne - Zum Ausgleich schrieb er in seiner Freizeit meh­ zu sagen haben.« Da Scholtz und Cube das rere Publikationen, zum Beispiel 1964 den (auto­ Fernsehen fOr eine »törichte Angelegenheit« biografischen) Roman »Scherben - die Auf­ hielten, der kein Erfolg vergönnt sein werde, zeichnungen des Georg C.« . wechselte MOnster zum Fernsehen. Das im Auf­ MOnster stand in der Tradition der Vertreter bau befindliche Fernsehen bot die ideale Lö• eines freien, unabhangigen föderativen Rund­ sung: MOnster konnte sein technisches Wissen funks. »Nur wer unabhangig ist, findet die Wahr­ Ober Optik einsetzen, schied aus dem Hörfunk heit. Nur wer unabhangig ist, ist vertrauenswür• aus und landete bei einem Medium, dem keine dig«, formulierte er 1959. Dazu gehörte fOr ihn Miszellen 163 auch die Freiheit der Programmgestaltung. Des­ Kinder unter zehn Jahren hatten nichts vor dem halb verteidigte er zum Beispiel gegenüber An­ Fernsehschirm verloren, lahmte eine ganze Ge­ griffen aus dem Rundfunkrat mit viel Energie die neration von Kinderprogramm-Machern. Den­ Fernsehsendungen der Münchner »Lach- und noch rief der BR 1964 den Prix Jeunesse Inter­ Schießgesellschaft«, welche er nach anfängli• national ins Leben. Münster nahm ihn konse­ chem Mißtrauen zu seinem Lieblingskind erko­ quenterweise nicht zur Kenntnis. 6 Auch die Ent­ ren hatte.4 Fernsehen verstand Münster als wicklung des Werbe- und des Farbfernsehens Medium und Faktor der Kultur, als Instrument konnte er nicht aufhalten, so sehr er sich an­ gesellschaftlicher Bildung. Seine Neigung und fangs auch dagegen aussprach. sein Engagement galt besonders dem Fernseh­ ln offiziellen Geburtstagsreden, von engen spiel, das er mit eigenen Vorstellungen von Mitarbeitern und in Nachrufen werden Münster künstlerischer Produktion mit Hilfe moderner Attribute wie »geistig souverän, ein Intellektuel­ Technik umsetzen ließ - und selber dreimal um­ ler, kämpferisch, resolut, unbestechlich, liebens­ setzte. Allerdings spielte er die Rolles des Publi­ würdig, rastlos« zugeschrieben. Zu seiner Ver­ zisten besser als die des Fernsehspielautors, abschiedung resümierte Kurt Wagenführ 1971 in folgt man dem Urteil der Presse. Wurden bei den den »Fernseh-Informationen«: »Münster stößt ersten Fernsehspielen »Bericht von den Inseln« die Menschen an und stößt sie ab. Er beherrscht (1964) und »Rette sich wer kann -oder Dumm­ die Auseinandersetzung, das Spiel, bevorzugt heit siegt überall« (1966), die Münster unter dem aber den Kampf. Er ist ironisch, schneidend, kalt, Pseudonym »Markus Schröder« verfaßt hatte, spöttisch, egozentrisch, ein Menschenverächter, vor allem die Modalitäten der Honorierung kriti­ - der jedem half, der gefährdet oder in Not gera­ siert, bekam sein drittes Fernsehspiel »Der Zeu­ ten war. Er konnte ebenso grob verletzen, wie ge« (1971) - nach der Pensionierung unter sei­ mit großartiger Analyse ordnend helfen.«7 Un­ nem eigenen Namen veröffentlicht - Verrrisse, bequem für Intendanten, Rundfunkrat und Kolle­ wie sie selten formuliert wurden.S gen, polarisierte Münster die Meinungen und Der »Unruhestifter« Münster, wie ihn der provozierte immer wieder mit sarkastischen langjährige Chefredakteur des Bayerischen Sprüchen wie folgendem: »Genau wie bei Psy­ Fernsehens, Hans Heigert, einmal genannt hat­ chotherapeuten, Chirurgen und Beichtvätern tritt te, sorgte während seiner Amtszeit als Fernseh­ auch bei den Fernsehprogrammgestaltern eine direktor mehrfach für Schlagzeilen. Gerade sei­ progressive Gemütsverrohung ein.« ne ablehnende Haltung zur Atombewaffung der Auch nach seiner Pensionierung 1971 hielt Bundesrepublik 1958 in einem langen Artikel der sich Münster mit politischer Meinungsäußerung »Süddeutschen Zeitung« und seine Forderung nicht zurück. 1972 verurteilte er im SPIEGEL die bei einer Tagung der Katholischen Akademie in Rundfunkgesetzänderung der CSU als »böses Würzburg 1959, auf atomare Rüstung in Europa Spiel in miserablem Stil«, das die Unabhängig• zu verzichten, entzündeten öffentliche Kritik, die keit des Rundfunks bedrohe. Dennoch blieb der bis vor den Richtlinienausschuß des Rundfunk­ Kontakt zum BR bis zu seinem Tod bestehen. rats ging. Doch dieser stellte sich ebenso wie Immer wieder verfaßte er Vortragsmanuskripte der damalige Intendant Franz Stadelmayer hinter mit philosophisch-physikalischen Themen. Seine seinen Fernsehdirektor mit der Begründung, letzte Sendung im April 1994 im Nachtstudio auch leitende Rundfunkangestellte hatten das zum Thema »Physiognomie. Über Gesichter und Recht, ihre Meinung in der Öffentlichkeit frei zu Porträts« sprach er allerdings nicht mehr selbst. äußern. ln den letzten Jahren hatte er zurückgezogen Als Katholik konservativer Prägung erwies und krank in Freilassing bei Salzburg gelebt. sich Münster in Diskussionen und in seiner Pro­ Mit Giemens Münster starb am 27. April 1998 grammphilosophie. 1961 verhinderte er die ein kritischer, scharfsinniger Zeitzeuge des 20. Ausstrahlung des Fernsehspiels »Lysistrata« Jahrhundert und »einer der eigenwilligsten Pu­ von Fritz Kortner im BR aus »sittlichen Grün• blizisten der Nachkriegsjahre«.S den«. Als andere Rundfunkanstalten Kritik äu• Bettina Hasselbring, München ßerten, berief er sich auf die laut Fernsehvertrag gesetzlich verankerte Möglichkeit einzelner Sen­ 1 Hörfunksendung 87/22807-08, »Europäische Le­ der, sich aus dem ARD-Gemeinschaftspro­ bensläufe«, Leonhard Reinisch im Gespräch mit gramm ausblenden zu können . 1969 untersagte Giemens Münsterv. 10.7.1987. er gegen den Widerstand katholischer Kreise ei­ 2 Personenmappe Giemens Münster, Historisches ne ungewöhnliche »Wort zum Sonntag«-Sen­ Archiv des BR. dung, in der Udo Jürgens als Gesprächspartner 3 HF-Sendung 59/9577. Giemens Münster, Proble­ eines Jesuitenpaters mitwirken sollte. Aber nicht me des Rundfunks. Vorraussetzungen und Ab­ immer konnte er seine - mitunter sehr eigenwilli­ sichten eines Fernsehprogramms, Sonderpro­ gen - Meinungen durchsetzen. Seine These, gramm 1959. 164 Rundfunk und Geschichte 24 (1998)

4 Vgl. Rolf Didczuhn: »Was ich auch je begann, ich übernommen und einige Tage spater in ein »Re­ hab' es gern getan«. Autobiografisches. Hrs_g. von servelager« umgewandelt, nachdem die Haftlin­ der Historischen Kommission des Bayenschen ge in das KZ Lichtenburg transportiert worden Rundfunks. München 1992, S. 128. waren.4 5 Personenmappe Clemens Münster, Zeitungsar­ chiv des BR. Vor 1933 hatte die NSDAP kein Geheimnis dar­ aus gemacht, was aus ihren politischen Gegnern 6 Andrea Brunnen: Clemens Münster gestorben. ln: Fernseh-lnformationen 1998, H. 9, S. 287f. würde, sobald sie an die Macht kame. Nach der Machtübernahme wurde die Errichtung der er­ 7 Ebd. sten Lager in der nationalsozialistischen bzw. 8 Hans Heigert: Porträt zum 80. Geburtstag von gleichgeschalteten Presse mit der allgemeinen Clemens Münster. SZ v. 15.1.1986. Bedrohung von Sicherheit und Ordnung begrün• det. Sehr schnell und mehr als die anderen stand das Oranienburger KZ im Licht der Öffent• lichkeit. »Wir können vielleicht die Die Lagerleitung ergriff als erste die Initiative: Schlafräume besichtigen« Von April bis August 1933 führte sie mehrere Journalisten und Photographen durch das Lager, Originalton einer Reportage 1 das als »Erziehungsanstalt« vorgestellt wurde. aus dem KZ Oranienburg (1933) Die Haftlinge galten als Opfer der »Verführung« durch Marxismus und Kommunismus, denen Am März wurde in der wenigeS-Bahn­ 21. 1933 durch Disziplin, Arbeit und einfaches Leben der Stationen nördlich von Berlin entfernten Klein­ Rückweg in die »Volksgemeinschaft« geebnet stadt Oranienburg eines der ersten Konzentrati­ werden sollte. Die anschließenden erschienenen onslager (KZ) im Deutschen Reich und das erste Artikel gingen ausführlich und beschönigend auf in Preußen errichtet. Während das nationalso­ den Tagesablauf und die Lebensbedingungen zialistische Regime in der Potsdamer Garni­ ein· Bildaufnahmen zeigen Gefangene, die im sonskirehe anlaßlieh der Eröffnung des neu ge­ Lagerhof strammstehen, Gymnastik treiben, wählten Reichstags die Versöhnung zwischen handwerklich arbeiten und Zeitungen lesen.5 Auf der »revolutionären« NS-Bewegung und den Schäfers Anregung hin machte sogar Mitte April Traditionen des alten Preußen inszenierte, ver­ 1933 eine Filmgesellschaft Aufnahmen für eine hafteten im Kreis Niederbarnim SA-Leute 40 po­ Wochenschau, die danach in 5 000 Kinos in litische Gegner und sperrten sie in eine leerste­ Deutschland zu sehen waren.S hende frühere Brauerei.2 ln der Auslands- bzw. Exilpresse hingegen Das Gelände in der Berliner Straße 20 gehör• überwogen kritische Berichte über Oranienburg.7 te der Berliner Kindi-Brauerei, die es im Februar Im Juli 1933 veröffentlichte der aus dem Lager der SA-Standarte der regionalen SA­ 1933 208, entlassene holländische Schriftsteller Nico Rost Formation für den Kreis Niederbarnim, für deren in Amsterdam eine Broschüre, »Een Concentra­ Ausbildung kostenlos zur Verfügung gestellt hat­ tiekamp in het Derde Rijk. De Brouwerij van te. Von dieser SA-Standarte kamen sowohl der Oranienburg«, in der er seine eigenen Hafter­ Lagerkommandant, SA-Sturmbannführer Werner lebnisse schilderte. ln gleicher Weise berichtete Schafer3, als auch das Wachpersonal, das bis der SPD-Reichstagsabgeordnete Gerhart Seger, zu 150 SA-Männer, in der Mehrzahl Arbeiter und dem im Dezember 1933, nach sechsmonatiger Handwerker im Alter von 20 bis 35 Jahren, um­ Haft die Flucht aus einem Außenkommando faßte. Die Gebäude, einschließlich der Arrestzel­ gelu~gen war, in dem im Februar 1934 in der len, mußten von den Gefangenen selbst in­ Tschecheslowakei veröffentlichten Buch »Ora­ standgesetzt werden. Mehrmals prahlte Schafer nienburg. Erster authentischer Bericht eines a~s damit, er habe das Lager ohne staatliche Zu­ dem Konzentrationslager Geflüchteten« über d1e schüsse aufgebaut. ln Wirklichkeit aber wurde damaligen Ereignisse.S . Oranienburg im Mai 1933 als »Regierungslager« Diese Berichte sowie das im August 1933 m anerkannt und der Aufsicht durch den Regie­ Basel erschienene »Braunbuch über Reichs­ rungspräsidenten in Potsdam unterstellt. tagsbrand und Hitler-Terror«, das das erste Befanden sich zu Anfang vor allem einfache grundlegende Informationswerk über ?as ~­ KPD- und SPD-Mitglieder sowie lokale und re­ System bildete, veranlaßten da~ Reg1me, ~Je gionale Funktionäre im Lager, so kamen mit_ der »Öffentlichkeitsarbeit« um Oramenburg zu In­ Etablierung auf staatlicher Ebene auch etliche tensivieren. Das Auswärtige Amt bemühte sich, Landtags- und Reichstagsabgeordnete hinzu. über gedungene ausländische Journalisten G_e­ Das Lager wurde am 4. Juli 1934, unmittelbar genartikel zu lancieren.9 Die Gesta_po f~hrte 1m nach dem »Röhm-Putsch«, von SS-Einheiten Herbst 1933 eine britische Sympath1santm durch Miszel/en 165 das Lager, die um den Jahreswechsel in Groß• berichte und Filmaufnahmen auf die Bevölke• britannien entsprechende Vorträge hielt. Im März rung innerhalb des Reiches wirken sollen. Wel­ 1934 erschien schließlich unter dem Namen che Wirkung die Reportage auf die damaligen Schäfers die Broschüre »Konzentrationslager Hörer gehabt hat, läßt sich nicht feststellen. Für Oranienburg. Das Anti-Braunbuch Ober das er­ den heutigen Hörer bzw. Leser ist sie hingegen ste deutsche Konzentrationslager«. 10 Vom Pro­ ein beeindruckendes, wenn auch makabres Do­ pagandaministerium gefördert, richtete die Publi­ kument Ober das nationalsozialistische KZ­ kation sich gegen das »Braunbuch« bzw. die System.15 vom Ausland betriebene »Greuelpropaganda« Muriel Favre, Frankfurt am Main I Paris und gab vor, die Wirklichkeit des KZ getreu zu schildern, enthielt aber durchweg beschönigende Behauptungen. Mit dem Ausscheiden Schäfers Dokument Ende März 1934 verlor dann das Lager spOrbar an Bedeutung. (Sprecher) 16 »Hier ist der Deutschlandsender, hier Auch der Rundfunk nahm sich des Themas sind alle deutschen Sender und der Deutsche Kurz­ KZ Oranienburg an. Nachdem im August 1933 wellensender! Rundfunkhörerinnen und Rundfunkhö• leitende Mitarbeiter des Weimarer Rundfunks in rer Deutschlands und jenseits der Grenzen! das KZ eingeliefert worden waren, erschien in Das junge nationalsozialistische Deutschland einer nationalsozialistischen Programmzeitschrift wehrt sich gegen Lügen- und Greuelmeldungen, die ein Teil der Auslandspresse verbreitet hat. Wahrhaf­ Fotos von den Inhaftierten unter der ironisch tigkeit ist die Wegrichtung für ehrsam arbeitende gemeinten Schlagzeile »Verdienstvolle Män• Menschen. Lüge und Betrug vernichten den Men­ ner«.11 Am 30. September veranstaltete Lager­ schen und vernichten das Schicksal eines Volkes, kommandant Schäfer eine Führung durch das wenn es ein Scheindasein in Lug und Trug führt. Das KZ, die auf neun Schallplatten mitgeschnitten nationalsozialistische Deutschland baut den Staat, wurde.12 Diese Schallplatten sind im Archiv des erzieht das Volk in unbegrenzter Wahrheitliebe. Die Tschechischen Rundfunks überliefert und wur­ Gegner dieses Deutschlands aber lärmen mit Lüge den 1995 für das Deutsche Rundfunkarchiv um­ und schamlosen Greuelmeldungen. Man verbreitet geschnitten.13 Berichte, die jeglicher Wahrheit entbehren. So hat Ende Juli dieses Jahres die »Freie Presse« in Am­ Einzigartig ist die Aufnahme in mehrerer Hin­ sterdam eine Lügenmeldung gebracht, nach der der sicht: Es ist wahrscheinlich die einzige Oberliefer­ Reichstagsabgeordnete Alfred Faust der SPD in dem te Reportage Ober ein Konzentrationslager aus Konzentrationslager in Bremen zu Tode geprügelt der nationalsozialistischen Zeit. ln zeitgenössi• worden sei. Daraufhin hat der Reichstagsabgeordne­ schen Rundfunkaufnahmen werden KZs, wenn te Alfred Faust aus dem Konzentrationslager Bremen Oberhaupt, nur kurz erwähnt. Eigentlich hätte sie einen Brief an die Presse in Amsterdam gerichtet, im Katalog »Schallaufnahmen der Reichs­ worin er frei erklärt, daß er lebt, daß er in jeder Weise Rundfunk-GmbH von Ende 1929 bis Anfang frei und unbehelligt - soweit es im Konzentrationsla­ 1936« dokumentiert sein müssen, sie ist aber ger möglich ist - umhergeht, in keiner Weise jemals schlecht behandelt worden sei. Eine Lüge jagte die erst im Nachfolgeband für die Zeit von Anfang andere Lüge. So bringen wir heute einen wahrheits­ 1936 bis Anfang 1939 zu finden. Außerdem gibt gemäßen Ausschnitt aus dem Konzentrationslager es keinen Hinweis auf Inhalt, Reporter, Befragte Groß-Berlins. Wir sind mit dem Mikrophon nach Ora­ und die Dauer, und sie ist mit dem Vermerk nienburg hinausgewandert und wollen nun versu­ »gesperrt« versehen 14 - als wäre die Aufnahme chen, Ihnen und der Welt die Wahrheit, ein Spiegel­ für die damaligen Archivare zu brisant gewesen, bild des Lebens, aller Vorgänge im dortigen Konzen­ um zugänglich gemacht zu werden; sie hielten trationslager der in Schutzhaft genommenen, verirr­ sie aber offenbar für so wichtig, daß sie sie nicht ten, verhetzten und schuldig gewordenen Volksge­ löschten. nossen zu Gehör zu bringen. ln diesem Konzentrati­ onslager in Oranienburg befinden sich prominente ln der deutschen Tages- und Fachpresse fin­ Führer der SPD und KPD-Funktionäre, befinden sich det sich kein Sendenachweis. Daß darOber hin­ Menschen, die sich schuldig gemacht haben durch aus die Aufnahme als Plattenaufnahme des Raub am deutschen Volksvermögen, die sich ver­ Kurzwellensenders in den RRG-Katalog einge­ gangen haben gegen Sitte und Moral, Staat und Volk, tragen wurde, der nur im Ausland gehört werden gegen die Weltanschauung des deutschen Men­ konnte, läßt - trotz der Ansage - annehmen, schen. daß der Bericht, wenn Oberhaupt, nur für das (Reporter) Wir befinden uns in der Essenausgabe. Ausland gesendet wurde. Ziel war vermutlich, Die Häftlinge stehen auf dem Hof, in Reihen geord­ die von den Meldungen der ausländischen Pres­ net, und warten, daß einer mit dem anderen eintreten darf. Wir haben hier einen großen Kessel, in dem se verunsicherten Auslandsdeutschen zu beru­ Kessel ... viele, viele Liter Essen. Gerade rüber ist ein higen und von der reinen »Erziehungsfunktion« Tisch, mit großen Broten, davor ein großer Topf mit der KZs zu überzeugen. So hatten auch die Marmelade, die Brote werden mit Marmelade be­ schon erwähnten propagandistischen Zeitungs- schmiert und nach der Größe zu urteilen kann jeder - - - -·· -- -· --·---

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schon allein an dem Brot satt werden. Der Lager­ bekommen, die es immer noch für notwendig hielten, kommandant steht neben mir und wir wollen ihn nun auf Geheiß ihrer Führer aus dem Dunkel heraus bitten, einen Häftling heranzuholen, damit er Ihnen, Strafpropaganda zu betreiben, indem sie die illegale Hörerinnen und Hörer der Weit, erklären kann, wie er »Rote Fahne« vertrieben usw. Wir gehen gerade hier verpflegt wird. Können wir mal einen der Häftlin• über den Hof. Ich möchte Ihnen auch dabei sagen, ge haben? als wir das Lager seinerzeit vor ungefähr 18 Wochen (Schäfer) Ja, ja da gehen wir doch mal rüber aufbauten, dieser Hof einen sehr trüben Eindruck (Rep.) Ja, wo sie das Essen in Empfang nehmen. machte. Er war von Gras überwuchert und Sie wer­ Was gibt es? So, wollen wir mal gleich hören, wie der den sich davon überzeugen können, daß heute alles Mann das denn empfängt. Er steht in militärischer in bester Ordnung sich befindet. Haltung, diszipliniert, vor dem Kommandanten, nimmt Und das alles haben Sie jetzt hier aus Räumen jetzt sein Essen in Empfang. Kommen Sie mal her! der Brauerei hergerichet? Wie heißen Sie? Alles aus Räumen der Brauerei hergerichtet. (Häftling 1) Schulte. Hat das nicht viel Geld gekostet? (Rep.) Sind Sie Kommunist gewesen? Wir haben seinerzeit keinen roten Pfennig zur Jawohl. Verfügung gehabt, um dieses Lager aufzuziehen, Hier ( ... ) was haben Sie jetzt für eine Essenssup- sind aber mit dem nötigen nationalsozialistischen pe hier? Elan an die Arbeit herangegangen und das, was Sie Erbsensuppe. heute sehen, ist nicht etwa durch irgendwelche Re­ Erbsensuppe. gierungshilfe aufgebaut worden, sondern ist mit unse­ Jawohl. rer eigenen Energie in absoluter Sparsamkeit herge­ Ist es ohne oder mit Einlage? richtet worden. Mit Speck. Das ist erstaunlich! Wir befinden uns hier z. B. in Mit Speck. Werden Sie davon satt? einem gewölbten, großen Raum. Längs sehen wir Jawohl. bretterverschlagartige Bettzellen und man muß sa­ Was haben Sie gestern gegessen? gen, aus der Primitivität der Herstellung kann man Graupen. auch die Bequemlichkeit der Leute feststellen. Wo Graupen. Sie schmecken wohl nicht? befindet sich denn nun hier z. B., wurde mir gesagt, Jawohl, sie haben ganz gut geschmeckt gestern. wir befinden uns hier in den Räumen, wo der sonst so Nicht wahr ... allbekannte Rundfunkgewaltige Braun wohnt. Wo be­ Jawohl. .. findet sich denn hier die Wohnung von Braun? Nein, wie meinen Sie wohl, was wir Nationalso­ Da müssen wir in eine andere Kompanie gehen, zialisten zu essen gekriegt hätten, wenn Ihr Kommu­ Braun befindet sich in der 7. Kompanie. Wir werden nisten am Ruder gewesen wärt? Ich glaube, Ihr hättet diesen Raum auch nochmal besichtigen, dort haben uns hier nicht so anständig behandelt wie Ihr hier be­ wir noch verschiedene jener Systemgrößen der ver­ handelt werdet ... Wir wollen versuchen, mit dem Mi­ flossenen 14 Jahre untergebracht. Ich darf bei dieser krophon in das Verwaltungsgebäude zu gehen, und Gelegenheit Ihnen vielleicht ganz schnell erklären, auf dem Wege dahin den Speisesaal zu besichtigen wie ein solche Kompanie aufgebaut ist. Eine Internier­ .. . Die Räume befinden sich in einer Brauerei, die tenkompanie besteht aus zwei Zügen, die Leute sind ausgeräumt wurde und für das Lager jetzt eingerich­ hier in Zellen neben ... tet steht. (Hintergrund) Dritte Kompanie Saal vier bestehen (Schäfer) Darf ich Ihnen vielleicht bei der Gele­ und belegt mit 117 Mann. genheit sagen, daß diese Brauerei sieben Jahre leer So, Sie haben hier also immer einen sogenannten stand, als wir sie übernahmen. Wir kommen jetzt ... in Vorgesetzten der Häftlinge, der selbst Häftling ist? den Eßsaal, wo 300 Mann zur gleicher Zeit verpflegt Jawohl. werden können. Sie sehen, der Eßsaal ist sehr sau­ Und er meldet, wenn hier ein Besucher kommt, ber hergerichtet. Ich möchte das bitte von Ihnen noch die Stärke und Belegschaft des Saales? mal bestätigt finden. Jawohl. Da sind angebracht der Name des betref­ (Rep.) Sie haben ganz recht ( ... ) Wir können, so­ fenden Inhaftierten, die Nummer, unter der er hier weit unser Auge schweift, nichts entdecken als Ord­ verbucht ist oben in der Aufnahmeabteilung, an sei­ nung und Sauberkeit. Tische und Bänke bieten be­ nem Bett auch wieder numeriert, das Eßgeschirr, der quemen Platz und ich glaube, es ist wohl keiner hier Trinkbecher, alles in vorbildlicher militärischer Ord­ unzufrieden, dem diese Erbsensuppe nicht schmek­ nung. ken sollte, mit Speckbeilage. Und von hier aus müssen nun die Häftlinge mor­ (Schäfer) Wir können vielleicht bei dieser Gele­ gens in den Waschraum, den wir soeben gesehen genheit gleich mal die Schlafräume besichtigen. Herr haben. Geböse, wir werden uns zu diesem Zweck nochmal Jawohl. über den Hof bemühen, um in den Raum zu kommen, Duschen sind vorhanden, um diesen Häftlingen wo die Häftlinge alle kompanieweise untergebracht die Möglichkeit der vollkommenen Körperreinigung zu sind. Ich werde dort die nötigen Erklärungen noch geben. Danach müssen sie dann zum Kaffeeempfang abgeben( .. .) Wir haben auffallend viel junge Leute hier. Sind Oder eher zur Frühgymnastik. das nun alles Soldaten der KPD gewesen? ( ... ) Zur Frühgymnastik. Zum größten Teil wohl. Wir haben jetzt gerade in Zur Frühgymnastik, dann Kaffeeempfang, dann letzter Zeit sehr viel junge Kommunisten aus Berlin kommt die Einteilung für die Arbeitskommandos. Ei- Miszellen 167 nen großen Teil der Leute verwenden wir selber im (Schäfer) Sie gehören der KPD an ? Lager, wir haben unsere eigene Schneider- und Jawohl. Handwerkstube, in der Schuster untergebracht sind, Wie ist Ihr Name ? Sattler untergebracht sind usw. Lützow. Wir erzählten vorhin, der Vorgang der Einlieferung Lützow. Sie sind doch dabei getroffen worden, wie hat auch seine Ordnung. Könnten Sie unseren Hö• Sie illegales Material vertrieben haben ? rern vielleicht in dieser Weise etwas bekannt geben? Ja. Das werde ich gerne tun. Wir werden uns zu die­ So. Also es ist Ihnen ja auch ganz klar, daß eine sem Zweck in das Verwaltungsgebäude begeben und derartige Tätigkeit nicht nur böses Blut bringen muß, ich werde Ihnen dann von Anfang an zeigen, wie der draußen, sondern daß Sie dafür exemplarisch be­ Häftling hier im Lager aufgenommen wird. straft werden müssen. Die Disziplin unter dieser zusammengefügten Ja. Masse, zusammengefügt aus allen Teilen Deutsch­ Auch bei dieser Gelegenheit darf ich Ihnen viel­ lands, der Arbeiter, der Geistesarbeiter vorhin, dann leicht, Herr Geböse, wenn ich Sie hier durch mein vor uns, jemand, als wir fragten, wer grüßt dort, hieß Konzentrationslager führe, ( ... ) darf ich Sie vielleicht es ein Amtsgerichtsrat der SPD, der sich gegen Volk bitten, den Arbeiter, der hier eingeliefert worden ist, und Staat vergangen hatte. Der Arbeiter, der kleine zu fragen, wie die Behandlung hier im Lager ist. Er ist Mann, der große Mann bekleidet hier nichts als die nur kurze Zeit hier, aber trotzdem dürfte er auch Gemeinschaft der Schutzhaft. schon ein Bild Ihnen entwerfen können. Ich habe hier eine Karteikarte gefunden und darf (Rep.) Ja, wir wollen voraus sagen, daß wir hier Ihnen vielleicht mal kurz erklären, was es für eine im Raume, in dem wir stehen, eine Menge Menschen Bewandtnis mit dieser Karte hat. Wir sehen hier links um uns haben, die nicht in das Konzentrationslager oben die Photographie des betreffenden Inhaftierten, gehören, die in einer halben Stunde wieder nach Ber­ auf der Brust die Nummer 1272, recht genaue Anga­ lin zurückkehren, darunter auch solche, die nicht Na­ ben über seine Person, der wird bei uns gewogen bei tionalsozialisten, eingeschriebene Mitglieder der der Einlieferung, um den Gerüchten entgegentreten Partei sind. Ich muß dies erwähnen, damit keine zu können, die da immer behaupten, daß in den Kon­ Schmutzfinken irgendeiner Auslandspresse daher zentrationslagern die Leute verhungern würden. Wir kommen und behaupten, daß man nun im Rundfunk haben bei dieser Gelegenheit auch dafür Sorge ge­ gestellte Aussagen usw., konstruierte Begriffe gibt. tragen, immer wieder nachweisen zu können, wie der Der vor mir stehende, verhetzte Volksgenosse, dieser Mann hier im Lager verpflegt worden ist. Also Ge­ Kommunist, kennt mich nicht, ich kenne ihn nicht, und wichtabnahme bei der Einlieferung, bei der Entlas­ er ist auch in keiner Weise vorher instruiert worden, sung. Die Strafen sind ebenfalls untergeteilt und zwar sondern eben herbeigerufen worden. Daher wollen in kriminelle und politische Strafen. Die bisherige wir ihn jetzt fragen, wie er sich hier fühlt, ob er mit Parteizugehörigkeit ist festgehalten, sie erleichtert dem Essen zufrieden ist. Ich will ihm von vornherein uns die Vernehmungsarbeit hier innerhalb des La­ gleich klar machen: Sie brauchen sich hier nicht be­ gers. Ich darf bei dieser Gelegenheit auch wieder engt zu fühlen, Sie bekommen keine Strafe, wenn Sie feststellen, daß mindestens 52 Prozent der hier In­ auch so sagen, daß Sie unzufrieden sind, Sie haben haftierten kriminell vorbestraft sind, also Einbrecher, nichts weiter als jetzt die Wahrheit zu sagen. Diebe, Leute, die irgendwie mit dem Strafgesetz in (Häftling 2) Jawohl. Konflikt geraten sind, und das nicht einmal, sondern (Rep.) Erzählen Sie, wie Ihnen das Essen be­ wir haben hier Leute, die 17, zum Teil sogar 20 mal kommt. vorbestraft sind. ln einer anderen Abteilung, der dak­ Das Essen ist gut und reichlich hier. tyloskopischen Abteilung, die wir selber hier aufgezo­ Sind Sie irgendwie hier mißhandelt worden? ( ... ) gen haben, werden Fingerabdrücke gemacht und zur Ist Ihnen sonst irgendwie hier etwas zugestoßen? gleichen Zeit auch die Photographien der Inhaftierten Mir ist hier nichts zugestoßen.( ... ) hergestellt. Ich darf Ihnen sagen, daß wir in den vori­ Sie sind hier richtig behandelt worden?! gen Wochen annähernd tausend Fingerabdrücke ( ... ) nach Berlin an den Erkennungsdienst abgeliefert ha­ So, nun erzählen Sie Ihren Genossen in Moskau ben. und in Holland und allen jüdischen Verhetzern, die Haben Sie heute einen besonderen Eingang ge­ dieser letzten Endes, was Sie noch denken von der habt? Sind heute Kommunisten, oder verhetzte Arbei­ KPD, respektive, ob Sie heute noch die Überzeugung ter, irregeleitete Volksgenossen hierhergekommen? haben, wenn Sie wieder entlassen werden, illegale Ja, wir hatten heute wieder neue Aufnahmen zu Schriften zu verteilen ? verzeichnen und zwar handelt es sich hier um Kom­ Ich habe ehrlich den Eindruck, daß ich, wenn ich munisten aus Berlin. Ich darf Ihnen vielleicht bei die­ hier wieder freikommen werde, keine ( ... ) Material ser Gelegenheit mal einen dieser Leute vors Mikro­ gegen die ( ... ) bestehende Regierung, gegen den phon rufen und ( ... ) Nationalsozialismus nicht mehr verteilen werde und ( .. .) Ich bitte darum. Wir haben ja die Pflicht und es ist zu empfehlen allen Volksgenossen, daß sie die Aufgabe, unseren Hörerinnen und Hörern und der diese Propaganda, die bisher getrieben worden ist, ganzen Welt zu beweisen, daß die Nationalsoziali­ nicht mehr mit der Wahrheit betrachten. Denn ich ha­ sten nichts verheimlichen und nichts vertuschen und be den Eindruck hier, daß die Menschen hier als beschönigen. Menschen behandelt werden. Und nicht irgendwie (Schäfer) Kommen Sie mal her. Sie wurden heute ( ... )für etwas bestraft worden ist. hier eingeliefert ? (Häftling 2) Jawohl. 168 Rundfunk und Geschichte 24 (1998)

(Rep.) Und nun, Kommandant, wie ist es jetzt hier sei jetzt vernünftig und wähle im Mai allein nur die mit den Beschäftigten, die hier herumsitzen ? Sind SPD-Partei«.17 Nun meine lieben Hörerinnen und hier auch Häftlinge bei in der Poststelle ? Hörer, da kam unter dem Datum vom 10. August 33 (Schäfer) Wir haben auch hier wieder Häftlinge aus Berlin folgender Brief, dessen Original ich in der bei. Hand halte: (Rep.) Warum sitzen die nur hier und arbeiten sie »An Herrn Künstler. nicht unten ? Herr Künstler ! Es handelt sich hier um ältere Häftlinge, denen wir Beiliegendes Stück Seife verehre ich Ihnen, dasselbe die Arbeit, wie wir sie unten im Lager haben, nicht stammt noch aus Ihrer Glanzzeit - Sie werden sich mehr so ohne weiteres zumuten wollten. Es sind hier noch erinnern -, wo Sie mit derartigen Mittelchen uns zum Teil Leute ( ... ) Kaufleute, die in ihrem ganzen Arbeiter eingeseift, wo sie uns verraten und verkauft Leben nichts anderes getan haben, als wie den Fe­ haben. Sie und Ihre Kumpanei, die Sie schuldig sind derhalter geführt. Wir haben auf ihr Alter weitgehend an dem Elend, in das wir deutschen Arbeiter geraten Rücksicht genommen, sie sind zum Teil krank. Ich sind, heute ist Ihnen Gelegenheit gegeben, über Ih­ möchte Sie jetzt bitten, mit mir in die Verwaltungsstel­ ren schändlichen Arbeiterverrat nachzudenken. Wir le zu kommen. Das dürfte für Sie auch ganz interes­ Arbeiter kennen keinen Haß und kein Rachegefühl, sant sein, mal zu sehen, wie hier im Lager gewirt­ aber eine besondere Freude wird es Ihnen sein, zu schaftet wird. wissen, daß dieses Stück Künstler-Seife, mit der wir Auf dem Wege dahin interessiert mich noch eine Arbeiter eingeseift wurden, heute seinen wirklichen andere Frage: Einer der Kameraden sagte, daß die Zweck erfüllen wird, indem Sie, Herr Künstler, und Häftlinge nach der Tagesarbeit sogar eine eigene Ihre Kumpane, Heilmann und Ebert, sich Ihre vom Musikkapelle eingerichtet haben. Wäre es möglich, Arbeiterverrat dreckigen Hände waschen werden. daß wir im Laufe der Zeit noch Proben dieser Musik­ Mit der Ihnen gebührenden Mißachtung zeichne ich kapelle erhalten können? Wilhelm Meyer, Berlin, Im(... )« Ja, das werde ich versuchen. Ich kann Ihnen das Herr Kommandant, ich glaube, wir dürfen die Bitte versprechen, aber nicht 100-prozentig eben, da ich aussprechen, den Originalbrief und die Seife Herrn nicht weiß, ob die sogenannten ausübenden Künstler Künstler auszuhändigen. Falls Sie keine Bedenken sich alle im Lager befinden. Ich erzählte Ihnen ja dagegen haben. vorhin schon, daß ein großer Teil der Leute mit zu­ Selbstverständlich. Die nehme ich gerne zurück. sätzlichen Arbeiten draußen beschäftigt ist. Es be­ Und sollten irgendwelche Zweifel wegen der Echheit steht also die Möglichkeit, daß einige dieser Leute dieses Briefes bestehen, dann bin ich gerne bereit, sich auch draußen befinden, die sonst hier ihre alte diesen Brief abphotographieren zu lassen sowie die berühmte kommunistische Klampfe spielen. Wir ge­ beiliegende Seife. hen auf dem Wege dorthin, wo ich auch noch eine Ich glaube, unsere Einsichtsnahme in das Original Vernehmung machen muß, zur Sanitätsstelle, um zu dürfte genügen. Welcher Punkt geht Ihnen jetzt in zeigen, daß auch in sanitärer sowie in hygienischer Erfüllung von den vielen? Hinsicht alles geschehen ist, um einen Eindruck zu Ich möchte Sie vielleicht auch noch einmal durch vermeiden, wie man im allgemeinen in der Greuel­ die Bereitschaftsräume der SA führen ( ... ) propaganda der Marxisten immer wieder antrifft. Wir durchstreifen hier den geräumigen Hof und Wir befinden uns hier in einem hellgestrichenen, können immer nur feststellen, daß alles, was sich hier von Sonne durchfluteten Raum, alles sauber, weiß, abspielt, das(... ) der sogenannten Disziplin und Ord­ die Möbel weiß lackiert, vor uns ein großer Sanitäts• nung, oder wie die Liberalisten immer so gut betonen, schrank mit Medikamenten - Ein Arzt? der Menschlichkeit erfüllt wird (... ) Die SA, wie stark (Schäfer) Ja! ist das Wachkommando ? (Arzt) Ja, ich bin hier stationiert. Das Wachkommando besteht aus 125 SA­ (Schäfer) Guten Tag ! Männern. (Rep.) Wir sehen Betten für das Revier, für die Es ist erstaunlich, wie wenig die Bewachung in Revierkranken, für die leichten Fälle und man kann Erscheinung tritt. All das ist noch sicher dem Moment wohl mit ehrlicher Überzeugung sagen, daß wir, die zuzuschreiben, daß diese hier in Haft befindlichen wir ehemals als Soldaten unser ein oder zwei Jahre Volksgenossen letzten Endes genau wissen, daß sie abdienten, es bei weitem nicht besser hatten als die keine Ursache haben, auszurücken oder sich vor ir­ Schutzhäftlinge hier in dem Internierungslager. Bei gendeiner Gewalttat usw. zu schützen. dieser Gelegenheit gibt mir hier der Kamerad einen Was Sie sagten, trifft hier folgendermaßen zu. Mit Brief, der in der Postvertriebszelle eingegangen ist. was für Leuten wir zum Teil hier zu tun haben, darf Ich glaube, wir können uns diesen Brief hier nicht ich Ihnen vielleicht auf dem Wege zu den Bereit­ vorenthalten, den verhetzten Volksgenossen in unse­ schaftsräumen gleich beweisen. Ich werde Ihnen jetzt rem Vaterlande zur Kenntnis zu geben. Sie wissen ja ganz kurz einmal einen Mann an das Mikrophon ru­ alle, daß hier in diesem Prominentenlager auch jener fen, der Ihnen erzählen wird, ohne daß ich ihn vorher Volksverhetzer und Volksverführer, der SPD-Mann gesprochen habe, wie er seinerzeit - es ist jetzt viel­ Künstler, und die Groß-Berliner kennen ihn ja, aus leicht ein Jahr her - einen kleinen Berliner Hitlerjun­ seiner Wirksamkeit während der Systemzeit. Damals gen im Alter von 16 Jahren mit irgendeinem Spießge• verteilte, wie uns erinnerlich ist, die SPD in Berlin sellen nachts aus dem Zelt, in dem er schlief, her­ Propagandaseife. Man schickte und schenkte Seife ausgeholt hat, um diesen Hitlerjungen totzuschlagen. mit dem Text: »Du wurdest gepeinigt, Du wurdest ge­ Diese schändliche Tat konnte seinerzeit nicht gänz• quält, Du hast jüngst die falsche Partei gewählt. Drum lich durchgeführt werden - der Hitlerjunge ist aller- Miszellen 169 dings derart schwer verletzt worden, daß er auch (Häftling 3) Ja, ich habe alles durchgemacht ( ... ) heute noch ( ... ). Ich werde Ihnen jetzt kurz den Mann (Schäfer) Aber wir wußten nichts von seiner Her­ vors Mikrophon rufen und bitte Sie, ihn danach zu kunft, das war das Schöne. Und als wir seinerzeit fragen. Er soll das so erzählen, wie es sich seinerzeit dann aufgrund langjähriger Ermittlung darauf stießen, zugetragen hat, denn er ist heute davon überzeugt, wurde der Mann natürlich sofort ausgemerzt und daß er eben hundsgemein gehandelt hat. ( ... ) Wo ist wurde dem Konzentrationslager zugeführt. Ich der Mann? möchte Sie bitten, vielleicht Ihnen mal den ganzen Wir hoffen, daß er gefunden wird, und wenn der Vorgang kurz erzählen zu lassen, Herr Geböse. Ganz Kommandant, Ihnen, Hörerinnen und Hörer, diesen wie Sie wollen. Volksgenossen vor das Mikrophon bringt, so tun wir (Rep.) Schildern Sie mal, was Sie noch wissen. Nationalsozialisten das nicht aus Sensation, sondern (Häftling 3) Der Schuhmacher kam ins Restaurant um immer wieder in(... ) zu beweisen, daß wir nichts »Zum ( ... )« und forderte uns auf mitzukommen nach wollen als die Gerechtigkeit. Auch Gerechtigkeit de­ ins Zelt und natürlich, wir, die nichts weiter dabei nen gegenüber, die eben als verhetzte Arbeiter in dachten, gingen mit. Und dann ist der Emil Dietrich Instinkt der ( ... ), in Haß und Blinderwut, sich gegen rangegangen ans Zelt und hat reingefaßt und hat den die Volksgenossen vergangen haben, daß diese Jungen dabei wohl in die Haare gefaßt. Dann kommt Menschen erkennen, daß sie irregeleitet und fehlge­ der Junge raus, aus dem Zelt, aber er ließ nicht nach gangen sind ( ... ) Wie heißen Sie? und holte den Jungen wieder ein. Er haute ihn ins (Schäfer) Kommen Sie mal etwas näher ran! Gesicht, hielt ihn fest, dann kam der Schumacher ( ... ) (Häftling 3) Siegtried Hamann. herbeigelaufen und haute den Jungen weiter. Und (Rep.) Hamann. Sie haben vor einem Jahr sich an ließ dann von dem Jungen ab. Und hat ihm nichts Kindern vergriffen, ja? Sie sind sich dessen heute mehr getan. noch bewußt? (Schäfer) Was geschah mit dem Jungen? Er blieb (Häftling 3) Ja. liegen! Er war ohnmächtig! Und der 52jährige Mann (Rep.) Haben Sie Angst Mann, daß Sie so zittern? hielt es noch für notwendig, dem Jungen mit dem Es wird nichts passieren, aber wir möchten unseren bemerkten Ton »bleib liegen und verrecke« mit dem deutschen Hörern und Hörerinnen gerne aus Ihrem Absatz ins Gesicht zu treten. Das war das Fazit der Munde, ohne daß Sie irgendwie beeinflußt werden, ganzen Geschichte. Sie können gehen. kundgeben, ob Sie die Tat bereuen. (Rep.) Hörerinnen und Hörer, Sie haben jetzt ei­ Ich bereue. nen kleinen Einblick bekommen in die Tiefe der Und sagen Sie nur, wer hat Sie zu der Tat veran- menschlichen Seele, die politische Verhetzung, die laßt? Lüge und die Greueltat all derer, die jenseits der Der Schuhmacher des Bezirks( ... ) Grenze unseres Vaterlandes heute uns Nationalso­ Wer? zialisten bekämpfen. Wir verfolgen mit diesem Rund­ Der Schuhmacher, der hat mich dazu verführt ( ... ) gang durch das Konzentrationslager nichts anderes Wer ist der Schuhmacher? als die nackte Wahrheit, auch wenn sie grausam und Aus( ... ) roh ist, der Weit kundzugeben. Wir sind jetzt in den Wer ist der Schuhmacher, mein Lieber?! Gemeinschaftsräumen der SA. Eine Ordnung, eine Der ist auch hier. Sauberkeit, eine wahre Freude für den SA-Mann, der Er ist auch hier?! seinen schweren Dienst hier tun muß. Und wir müs• Jawohl. sen immer wieder zurückblicken in jene Zeit, wo die­ So! Der Verführer ist auch hier! se SA-Kameraden bereit waren, ihr Leben einzusetz­ (Schäfer) Darf ich bei dieser Gelegenheit, der ich ten zum Schutz von Frau und Kind, Volk und Staat, seinerzeit die Untersuchung leitete, folgendes sagen: Familie, gegen die, die sie jetzt bewachen müssen. Bei diesem Schuhmacher handelt es sich um einen Wir, die wir jetzt hier mit dem Mikrophon durch das 52jährigen Handarbeiter, der in Friedrichsthal wohnt Lager gehen, wir können Ihnen ehrlich erklären: Es und dem Reichsbanner angehört. Dieser Mann hat ist eine bewundernswürdige Disziplin, es ist eine be­ auf meine Frage, ob er verheiratet sei, mir geantwor­ wundernswürdige Gesinnung, daß keiner dieser SA­ tet: Nein. Ich habe ihn seinerzeit sagen hören: ( ... ) Kameraden auch nur ein kleines Gefühl von Rache in das Gefühl eines Vaters nicht unterdrücken könnte, sich trägt gegen die, die jetzt daher kommen und der sein Kind, einen 16jährigen Jungen, fast zu Tode nicht mal mehr Mucks sagen. Sie, lieber Komman­ getrampelt, nach Hause gebracht bekommt. Dieser dant, die Sie uns jetzt hier geführt haben, Ihnen ge­ Mann hat eine derartige Gefühlsroheit an den Tag bührt der Dank für die Offenheit und ihren Kamera­ gelegt in der ganzen Geschichte, daß ich es vermei­ den für die Bereitwilligkeit, uns alles zu öffnen, damit den möchte, darüber zu sprechen. Sie dürfen sich auch nicht das Kleinste verborgen bleibt. sicher sein, daß ich das immer wieder aus den ge­ Und Sie, liebe Hörerinnen und Hörer, wenn Sie jetzt fühlsobjektiven angelegten Erwägungen( ... ) durch diesen kleinen Hörbericht ein Bild bekommen (Rep.) Ja, uns interessiert ja nur immer der Ver­ haben, so gehen Sie daher mit uns ehrlich arbeiten­ hetzte und als solcher stehen sie ja vor uns. Wie ste­ den, ehrlich redenden Nationalsozialisten, und wo Sie hen Sie denn nun, nachdem sie das Lager hier ken­ eine Lüge treffen, und wo Sie eine Verhetzung tref­ nengelernt haben, zum Nationalsozialismus? Sie fen, so erzählen Sie offen das, was Sie gehört haben. brauchen sich nicht zu genieren, mein Lieber, Ihnen Somit bauen Sie wie wir alle an dem großen national­ passiert nichts, sprechen Sie ehrlich: Gefällt Ihnen sozialistischen Staat Europas.« der Nationalsozialismus nicht, so sagen Sie es. (Häftling 3) ( ... ) (Schäfer) So! 170 Rundfunk und Geschichte 24 (1998)

Bedanken möchte ich mich bei meinen Kollegen 12 Vgl. Schallaufnahme der Reichs-Rundfunk GmbH des Deutschen Rundfunkarchivs Frankfurt am von Anfang 1936 bis Anfang 1939, o.O. o.J. Main, insbesondere Walter Roller, sowie bei allen, [Berlin 1939], S. 229. die mich mit Anregungen unterstützt haben. 13 Vgl. Deutsches Rundfunkarchiv Frankfurt am 2 Vgl. hierzu und zum folgenden Hans Biereigel: Mit Main 2955807/2. der S-Bahn in die Hölle. Wahrheiten und Lügen 14 Vgl. Schallaufnahme (wie Anm. 12). über das erste Nazi-KZ. Berlin 1994; sowie Gün• ter Morsch (Hrsg.): Konzentrationslager Oranien­ 15 ln seinem Buch erwähnt Gerhart Seger eine burg. 0 .0 . 1994. Rundfunkreportage, die ein- und dieselbe sein dürfte: »Zur Roheit fügte der Lagerkommandant 3 Werner Schäfer (1904-?): Aufgewachsen in Berlin den blutigen Hohn, als zur »Wiederlegung« der trat er 1926 in den Polizeidienst, wurde nach zwei »Greuelnachrichten« über das Lager Oranienburg Jahren entlassen und fand eine Stelle bei der eine Rundfunkreportage aus dem Lager gemacht Kreissparkasse Niederbarnim, bei der er bis Ok­ wurde. Unter den Gefangenen waren auf Veran­ tober 1932 arbeitete. Von 1921 bis 1925 gehörte lassung der Lagerleitung diejenigen ausgesucht er dem nationalen Wehrverband »Oiympia« an, worden, die Musikinstrumente zu spielen verstan­ 1928 schloß er sich der NSDAP an, 1932 wurde den, und man hatte die Gefangenen veranlaßt, ih­ er Mitglied der SA, ab 1933 führte er den Sturm­ re Instrumente kommen zu lassen. [ ... ] Als nun bann 111 der SA-Standarte 208. Das Oranienbur­ die erwähnte Rundfunkübertragung aus dem La­ ger Lager errichtete er im März 1933 und blieb ger stattfand, wurde das Mikrophon durch einige dessen Kommandant bis Ende März 1934. Im Räume des Lagers getragen, wobei der Lager­ April 1934 übernahm er die Strafgefangenenlager kommandant einen - höflich ausgedrückt - sehr im Emsland als Kommandant und avancierte zum schönfärbenden Bericht gab, und am Schlusse Oberregierungsrat und SA-Standartenführer, der Übertragung mußte die Gefangenenkapelle später zum SA-Oberführer. 1942 wurde er zur spielen und der Chor singen. Es ist wohl über• Wehrmacht eingezogen. Im September 1945 flüssig zu sagen, was bei dieser Übertragung wurde er von der britischen Militärregierung fest­ weggelassen wurde: das Stöhnen mißhandelter genommen und in Oldenburg inhaftiert, 1945/46 Gefangener, die Schilderung der Arrestzellen, im Nürnberger Prozeß als Zeuge vernommen, kurzum, die Wahrheit über die Hölle Oranienburg. wurde er 1950 in Osnabrück zu vier Jahren Stattdessen schloß der Lagerkommandant die Zuchthaus verurteilt, 1953 vom Vorwurf des Rundfunkreportage mit einem Satze, den die da­ »Verbrechens gegen die Menschlichkeit« aber beistehenden Gefangenen wie einen Peitschen­ freigesprochen. hieb ins Gesicht empfanden: »Damit ist unsere 4 Oranienburg ist nicht identisch mit dem KZ Sach­ Übertragung beendet. Sie hatten einen Einblick in senhausen, das im Juli 1936 von der SS am Ran­ das singende und spielende Konzentrationslager de der Stadt Oranienburg eingerichtet wurde. Oranienburg.« ln: Biereigel (wie Anm. 2), S. 52f. 5 Vgl. u.a. »Oranienburger Generalanzeiger«, 28.3. 16 Die Sprachfehler der Gesprächspartner wurden 1933, »Der Angriff«, 29.3.1933, »Berliner lllustrirte nicht korrigiert, die unverständlichen Wörter bzw. Zeitung«, 6.4.1933 und »Deutsche Postzeitung«, Sätze mit dem Zeichen (... ) vermerkt. 17.8.1933. 17 Bei ihren Umzügen zu den Reichstagswahlen im 6 Die im Bundesarchiv - Filmarchiv - Berlin unter Mai 1928 verteilte die Berliner SPD Seitenstücke. dem Titel »Hitlers erste Regierungszeit« aufbe­ Der in diese eingeprägte oder aufgedruckte wahrten Filmaufnahmen dürften diese Aufnahmen Wahlkampfslogan bezieht sich auf die bis zur sein. Die aufeinanderfolgenden Einstellungen Wahl regierenden »Rechtsparteien« und die da­ wurden alle inszeniert. Sie zeigen eine Gruppe malige soziale Lage. von Lagerinsassen beim Ausheben einer Grube, bei der Erholung auf dem Hof, beim Musizieren, beim Appell, bei der Gymnastik, bei der Essens­ ausgabe usw. Das Historische Archiv des 7 Vgl. u.a. »Der Gegen-Angriff«, Paris, 15.5.1933, Südwestfunks Baden-Baden »Das neue Tagebuch«, Paris/Amsterdam, 9.9. 1933 und »The Times«, London, 19.9.1933. Geschichte 8 Der Bericht ist abgedruckt in Biereigel (wie Anm. 2), s. 25-114. Im September 1966 erteilte der Intendant des Südwestfunks (SWF) dem Referat Historische 9 Vgl. »The Globe«, Toronto, 5.9.1933. Kommission den Auftrag, einen Historiker zu su­ 10 Vgl. den unvollständigen Nachdruck ohne Kenn­ chen, der im Rahmen eines Jahresvertrages das zeichnung der weggelassenen Passagen in seit 1945 beim SWF entstandene Aktenmaterial Biereigel (wie Anm. 2), S.115-203. sichten und daraus eine Dokumentation der Ge­ 11 Der Deutsche Sender Jg. 3 (1933), H. 34, S. 3. schichte des Hauses erstellen sollte. Den Auf­ trag des SWF erhielt 1967 Wolfgang Hempel, der spatere Hauptabteilungsleiter des Bereichs Miszellen 171

Dokumentation und Archive. Er kam zum SWF werden die Historischen Archive von SDR und und mußte feststellen, daß es zwar Produktions­ SWF mit den drei Standorten Baden-Baden archive beim Hörfunk und beim Fernsehen gab, Mainz und Stuttgart zu einem Bereich zusam~ aber keine archivierte schriftliche Überlieferung mengefaßt und gehören zur Hauptabteilung Do­ des Hauses, die die Voraussetzung für die Erfül• kumentation und Archive des neuen Senders. lung des Auftrages gewesen wäre. Hempel kon­ sultierte deshalb als erstes Wirtschafts- und Aufgaben Staatsarchive, wo er sich bei Kollegen über den Aufbau von Aktenarchiven informierte. Das Historische Archiv besteht aus zwei Berei­ Zunächst war es das Wichtigste, eine Vorstel­ chen, dem Historischen Archiv und dem Zentra­ lung von der genauen Aktenmenge zu bekom­ len Aktenmagazin. Nach der Fusion von SDR men. Alle Bereiche wurden durch Anweisung und SFW soll auch das Historische Bildarchiv des Intendanten aufgefordert, eine genaue Zäh• entsprechend der Organisation beim SDR wie­ lung ihrer Akten durchzuführen. Sie ergab im der zum Historischen Archiv gehören, weshalb Februar 1967 einen Aktenbestand von ca. auch seine Aufgaben an dieser Stelle beschrie­ ben werden. 48 000 Stehordnern. Darauf aufbauend konnten eine Analyse der Akten-Situation durchgeführt Grundlage für die Arbeit des Historischen Ar­ sowie ein Plan für die Neuordnung des Registra­ chivs des SWF ist die Dienstanweisung des In­ turwesens, die Aufarbeitung der vorhandenen tendanten vom 4. Mai 1998 über die Übergabe, Aktenbestände und eine historische Erschlie­ Aufbewahrung, Benutzung und Vernichtung von ßung entworfen werden. Auf Grundlage dieser Schriftgut Seine Aufgaben setzen sich folgen­ Lösungsvorschläge ging man Ende der 60er dermaßen zusammen: Jahre und Anfang der 70er Jahre systematisch - Übernahme von Akten aus den Abteilungen an den Aufbau eines Aktenarchivs, bestehend und Redaktionen, einschließlich der Intendanz aus Zentralem Aktenmagazin und Historischem des Justitiariats und der Direktionen in das Zen~ Archiv. Es wurde ein provisorisches Aktenma­ trale Aktenmagazin sowie Aufbewahrung, Ver­ gazin für die Aufnahme von ca. 20 000 Ordnern waltung und Ausleihe dieser Akten als Verwal­ eingerichtet und ein System der Aktenabgabe tungsarchiv mit Dienstleistungsfunktionen für eingeführt, nach dem noch heute verfahren wird. das Haus. Es gewährleistet, daß jeder Aktenordner, bevor - Betreuung und Unterstützung der Abteilun­ er ins Archiv gelangt, eine eindeutige Archivsi­ gen bei der Aktenführung, z.B. durch Erstellen gnatur erhält und für jeden Aktenordner eine von Aktenplänen. Aktenübergabekarte mit den wichtigsten Anga­ - Archivische Bewertung und Aussonderung ben zu Herkunft und Inhalt der Akte ausgefüllt der nicht mehr benötigten Unterlagen gemäß der wird. in der Dienstanweisung geregelten Aufbewah­ Personell war das spätere Historische Archiv rungsfristen. zu dieser Zeit aus einer zeitlich befristeten Stelle - Erschließung und sachgerechte Lagerung sowie einigen Projektkräften. Organisatorisch des archivwürdigen Schriftgutes. war es dem Organisationsreferat angegliedert - Erstellen von Findhilfsmitteln. und unterstand damit unmittelbar dem Intendan­ - Betreuung und Beratung von Benutzern. ten, was für die Entwicklung des Bereichs Do­ - Erledigung schriftlicher Recherchen. kumentation und Archive sehr vorteilhaft war. - Mitarbeit an der Durchführung und Vorberei- Anfang der 70er Jahre wurden das Historische tung von Ausstellungen und Publikationen. Archiv und das Zentrale Aktenmagazin mit dem - Sammeln von SWF-eigenen Publikationen Historischen Bildarchiv und der Historisch-Tech­ und Druckschriften. nischen Sammlung im Referat Rundfunkge­ - Sammeln von Plakaten, Aufklebern und schichte, einem Teil des Fachbereichs Doku­ Postkarten. mentation und Archive, zusammengefaßt. 1989 - Sammeln von Realien und Sachgegenstän• übernahm die kommissarische Leitung der Leiter den zur Geschichte des SWF. des Referats Mediendokumentation in der Zur Ergänzung der Aktenbestände zur Ge­ Hauptabteilung Dokumentation und Archive. Im schichte des Hauses sammelt das Historische April 1996 fand eine Umstrukturierung statt: das Archiv in geringem Umfang Pressemeldungen Historische Archiv wurde gemeinsam mit der und Informationen aus anderen Bereichen. Die Mediendokumentation der Abteilung Unterneh­ Verantwortung für die Pressedokumentation zur mensplanung/Medienforschung in der Hauptab­ Geschichte des Hauses und die Sammlung von teilung Intendanz des SWF unterstellt. Informationen zu Personen, Daten und Ereignis­ Im Rahmen der Fusion von SWF und SDR sen mit Bezug zum SWF liegt jedoch im großen zum Südwestrundfunk (SWR) ändert sich die or­ und ganzen bei der Mediendokumentation. ganisatorische Zuordnung noch einmal. Künftig 172 Rundfunk und Geschichte 24 (1998)

Das Historische Bildarchiv sammelt und do­ Historisches Bildarchiv kumentiert alle verfügbaren Bilddokumente über - ca. 500 000 Fotos den SWF und seine Arbeit und archiviert neben - ca. 150 000 Dias SWF-eigenem Bildmaterial auch private Foto­ - ca. 220 000 Negative. sammlungen über den SWF unter Wahrung des Durch die Fusion und damit verbundene Neu­ persönlichen Copyrights. Es bedient damit haus­ gründung des SWR wird die historische Schrift­ intern die Pressestelle, die die Programmzeit­ gutüberlieferung des ehemaligen SWF künftig schriften mit Fotomaterial versorgt. aus abgeschlossenen Archivbestanden beste­ hen, die voraussichtlich im Laufe des Jahres Bestände 1999 vollstandig an das Historische Archiv ab­ Die Bestande des Historischen Archivs beinhal­ gegeben werden. ten die schriftliche Aktenüberlieferung des SWF Nach Sichtung, Bewertung und Vernichtung von 1945 - 1998 und Sammlungen verschiede­ von allen nicht archivwürdigen Akten, deren Auf­ ner Quellen. bewahrungsfristen abgelaufen sind, können dann komplette Aktenbestande einzelner Abtei­ Aktenbestand SWF lungen im Historischen Archiv für den SWF ar­ chiviert und verzeichnet werden. Es ist geplant, - Akten der Intendanten: Friedrich Bisehoff diese Bestande in einem eigenen klimatisierten (1946- 1963), Helmut Hammerschmidt (1963- Magazinraum, der ca. 12 000 Aktenordner faßt, 1975), Willibald Hilf (1975- 1992), Peter Voß unterzubringen. Das Zentrale Aktenmagazin wird (1992- 1998) dann ausschließlich als Zwischenarchiv für die - Akten der Direktionsebene (1946 - 1998): Verwaltung der Akten von Redaktionen und Ab­ Fernsehdirektion, Hörfunkdirektion, Technische teilungen des SWR mit Sitz in Baden-Baden zu­ Direktion, Justitiariat, Verwaltungsdirektion standig sein, wahrend das Historische Archiv die - Gremien des SWF (1949- 1998): Protokolle Historischen Bestande des SWF betreut. Zur und Sitzungsunterlagen des Rundfunk- und Ver­ Zeit umfaßt der gesamte Aktenbestand ca. waltungsrates und deren Ausschüsse 50 000 Aktenordner, der größte Teil davon sind - Hörfunk- und Fernsehredaktionen (1945- programmbezogene Unterlagen (rund 30 000), 1998): Programmunterlagen wie Sendelaufpla­ 10 000 Akten kommen aus Justitiariat und In­ ne, Manuskripte, Drehbücher und Sendenach­ tendanz, der Rest aus der Verwaltung und weise z.B.: Manuskripte Fernsehspiel (1953- Technik. 1998); Manuskripte Kulturelles Wort (1946- Der Neuzuwachs betrug in den letzten Jahren 1965); Korrespondenz- und Sachakten z.B. aus pro Jahr ca. 3 500 Aktenordner. den Bereichen: Kulturelles Wort/Hörfunk (1948- Alle Akten sind bei ihrer Übergabe an das Ar­ 1970) (Autorenkorrespondenz aus den 50er und chiv bereits mit einer eindeutigen Registratur­ 60er Jahre u.a. mit Heinrich Böll, lngeborg nummer gekennzeichnet und durch eine Kartei­ Bachmann, Siegtried Lenz, Carl Zuckmayer und karte verzeichnet. Diese Aktenübergabekarte ist vielen anderen bedeutenden Schriftstellern oder dreifach vorhanden und dient dem Historischen Personen des öffentlichen Lebens; Hörspiel Archiv, dem Zentralen Aktenmagazin und der (1945 -1970); Jugendfunk (1950- 1970; Musik abgebenden Abteilung als FindhilfsmitteL Seit (1946- 1970 (Korrespondenz zwischen Hans 1991 arbeitet das Historische Archiv mit dem Rasbaud und Musikern) Dokumentenerfassungssystem DOMESTIC. - Sach- und Programmakten aus anderen Ab­ Dort sind u.a. Nachweise des kompletten Be­ teilungen und Bereichen, die relevant für die standes aller Fernsehspielmanuskripte seit 1953 Entwicklung und Programmgeschichte des SWF gespeichert. Mit der Erfassung von Hörfunkma• sind. nuskripten wurde vor drei Jahren begonnen, bis­ her kann der Zeitraum von 1946 bis 1953 in DO­ Sammlungsbestande MESTIC recherchiert werden. Ebenso liegen alle - hausinterne Publikationen und Druckschriften Publikationen und die neueren Plakate elektro­ (ca. 1 800): Geschaftsberichte, Haushaltsplane, nisch gespeichert vor. Die Akten und alteren Programmhefte, lnformationsbroschüren, Sammlungsbestande sind klassisch mit Kartei­ Rechtsgrundlagen, Dokumentationen usw.) karten verzeichnet und nutzbar gemacht. Die - etwa 3 000 Plakate Realiensammlung befindet sich noch im Aufbau. - Aufkleber Es ist geplant, sie ebenfalls mit EDV zu verwal­ - Realien und Sachgegenstande z.B. Postkar- ten. ten, Stempel, Auszeichnungen, Requisiten, Im Historischen Bildarchiv werden alle Bild­ Briefpapier usw. dokumente in einer alphabetischen Kartei archi­ viert. Diese Kartei gliedert sich in Sendetitel-, Miszellen 173

Schlagwort- und PersonenkarteL Alle Sendetitel, Besonderes Interesse fanden in den letzten zu denen Bildmaterial vorhanden ist und soweit Jahren die Korrespondenzen der Abteilungen es sich um SWF-Produktionen handelt, sind au­ Kulturelles Wort und Hörspiel mit Autoren in den ßerdem in der Fernsehdatenbank FESAD ge­ 40er, 50er und 60er Jahren bei den Benutzern speichert, wo sie mit Kennzeichnung FOTEX sowie die Unterlagen des ersten Intendanten von den übrigen Beständen abgetrennt sind. Für Friedrich Bischoff. Nur selten wird dagegen, ob­ etwa 11 000 SWF-Fernsehproduktionen ist Fo­ wohl es in den Archiven viel Material dazu gibt, tomaterial im Historischen Bildarchiv nachgewie­ nach Themen zur technischen Entwicklung von sen. Ein Teil der Personenkartei sowie alle Pro­ Hörfunk und Fernsehen gefragt. duktionen, die nicht ausschließlich vom SWF Das Historische Archiv des SWF recherchiert hergestellt wurden, sind in DOMESTIC archiviert auch für Ausstellungen und stellt Material zur (ca. 5 600 Datensätze). Verfügung, so für die Ausstellung zur Geschichte des Fernsehens in Oberhausen »Traum vom Benutzung Sehen« oder für die gerade eröffnete Ausstel­ lung im Haus der Geschichte Bann über die Die Benutzung des Historischen Archiv erfolgt deutsch-französischen Beziehungen. Anfang ebenfalls auf der Grundlage der Dienstanwei­ des Jahres war das Historische Archiv in Zu­ sung des Intendanten vom 4. Mai 1998. Darin ist sammenarbeit mit dem Hörfunkarchiv und der festgelegt, daß die aktenabgebende Stelle im Frauenbeauftragten maßgeblich an der Realisie­ Haus jederzeit ihre Akten benutzen und auslei­ rung einer Ausstellung zum Thema »Frauen der hen darf. Externen Benutzern wird die Benut­ ersten Stunde bei SWF und SDR 1946-1956« zung und Einsichtnahme in die Akten auf beteiligt, die als Wanderausstellung in Stuttgart, Grundlage eines vom Historischen Archiv ge­ Baden-Baden, Mainz und Freiburg gezeigt wur­ nehmigten Benutzerantrages gestattet. Außer• de. dem ist jeder Benutzer zur Beachtung einer von Seit Mitte der 70er Jahre werden Stipendien ihm unterschriebenen Benutzererklärung und durch die Hauptabteilung Dokumentation und der Benutzerordnung verpflichtet. Archive vergeben, die jungen Wissenschaftlern ln der Benutzererklärung heißt es u.a.: ermöglichen, ein rundfunkgeschichtliches Thema »3. Ich versichere, daß ich bei jeder Art der Auswer­ auf der Grundlage der Quellen des Historischen tung von Archivmaterial des SWF Urheber- und Per­ Archivs zu bearbeiten. ln diesem Rahmen sind sönlichkeitsrechte beachten werde. ( ... ) 4. Ich ver­ schon mehrere wichtige Publikationen entstan­ pflichte mich, das Manuskript meiner Arbeit vor Wei­ den und in einer SWF-Schriftenreihe zur Rund­ tergabe an Dritte dem Beauftragten des SWF zur funkgeschichte veröffentlicht worden. So wird Kenntnis zu geben und etwaige Streichungswünsche, der Auftrag, der 1967 an Wolfgang Hempel er­ soweit sie mit Archivmaterialien des SWF in Zusam­ menhang stehen, zuzustimmen. ( ... ) 6. Nach Veröf• ging, nämlich eine Chronik zur Geschichte des fentlichung des Werkes werde ich dem SWF unaufge­ SWF zu schreiben, anders als vom Intendanten fordert und kostenlos ein Belegexemplar zur Verfü• ursprünglich gedacht, im Laufe der Jahre gung stellen.« schrittweise erfüllt. Jana Behrendt, Baden-Baden Entsprechend der Benutzungsordnung muß dar­ über hinaus folgendes beachtet werden: »- Die Archive des SWF dienen der Erfüllung der gesetzlichen Aufgaben der Anstalt. Sie können von Dritten, die ein wissenschaftliches oder sonstiges In­ teresse darlegen, nach Maßgabe dieser Benutzungs­ ordnung benutzt werden, soweit dies ohne Beein­ trächtigung der dienstlichen Archivbenutzung möglich ist. - Die Benutzer sind zur größtmöglichen Schonung der Archivmaterialien und zur sorgsamen Erhaltung deren Ordnungszustandes verpflichtet. Entnahmen aus den Archiven sowie Änderungen jeglicher Art an Zustand und Ordnung der Archivmaterialien sind nicht zulässig.« Auch wenn sich diese Regelungen eher streng anhören, so sind externe Benutzer, die an einer Magisterarbeit oder Dissertation arbeiten, jederzeit willkommen und werden nach Kräften unterstützt und betreut. Rezensionen

lnge Marßolek I Adelheid von Saldern (Hrsg.) die Propaganda weiterzureichen. Nun sind aber die Zuhören und Gehörtwerden. Themen für Unterhaltung in Diktaturen eng begrenzt: Zwischen Lenkung und Ablenkung. Band 1: Radio Zu vieles gibt es, was den Herrschenden mißfallen im Nationalsozialismus. Band II: Radio in der DDR könnte, so daß man sich als Macher am besten auf der fünfziger Jahre. das Allzumenschliche und dabei insbesondere auf Tübingen: edition diskord 1998, jeweils 416 Seiten. das Thema Nr. 1 traditioneller Lustspiele und Schwänke beschränkt, das Geschlechterverhältnis. Die Zeiten, in denen an der deutschen Rundfunkge­ Aus diesen und ähnlichen Überlegungen ergaben schichte Interessierte neidvoll auf die USA und noch sich SchwerpunktsetzunQ und Gliederung der beiden mehr auf Großbritannien blicken mußten, weil es dort Bände, die aus einem von lnge Marßolek und Adel­ monumentale und vergleichsweise umfassende histo­ heid von Saldern initiierten und von der VW-Stiftung riegraphische Darstellungen der jeweiligen Rundfunk­ geförderten Projekt hervorgingen. Jede der drei Be­ entwicklung gab, neigen sich ihrem Ende zu. ln arbeiterinnen des Projekts konzentrierte sich dabei Deutschland holt man auf. Nachdem der Rundfunk­ jeweils auf einen Bereich: die Historikerin Daniela politik schon länger größeres Interesse gilt, der Fern­ Münkel auf die Produktionsspäre, die Kommunikati­ sehgeschichte in einem DFG-Sonderforschungsbe­ onswissenschaftlerin Monika Pater auf die Rund­ reich nachgespürt wird und das erste Jahrzehnt der funkangebote und die Historikerin Uta C. Schmidt auf Programmgeschichte des Hörfunks breite Darstellung die Radioaneignung. Bei allem standen Fragen der fand , stehen jetzt sogar zwei Bände zur Verfügung, Unterhaltung und dabei wiederum das Thema die ganz aktuelle Ansätze der allgemeinen Historio­ »Geschlechterverhältnisse« im Vordergrund. graphie auf die Rundfunkgeschichte der NS- und frü• Von der Produktionssphäre im Rundfunk des Na­ hen SED-Zeit zu übertragen versuchen: Nicht nur um tionalsozialismus' beschreibt Daniela Münkel nur Politik und Programme geht es da, sondern auch um zwei Aspekte: die Rundfunkberufe (1, S. SOff.) und die deren Rezeption, und dies nicht etwa unter einer Entwicklung der Programmstruktur (1, S. 95ft.); der ganz traditionellen, kommunikatorzentrierten Per­ Rundfunkpolitik als solcher wurde mit Blick auf vor­ spektive, die die Absicht der Macher umstandslos der handene Darstellungen kein nennenswerter Raum Wirkung bei den Nutzern gleichsetzt, sondern unter zugestanden. Bei den Rundfunkberufen geht Münkel einem kulturanthropologischen Paradigma, das Me­ zwar auch kurz auf die nationalsozialistische Perso­ dienkonsum als aktive, kulturelle Praxisform betrach­ nalpolitik in Form von Entlassungen und Gleichschal­ tet, in der den Interessen der Nutzer beachtlicher tungsbemühungen im Redaktionsalltag ein, das Stellenwert zukommt. Schwergewicht liegt allerdings auf der Untersuchung Das im Rahmen der anglo-amerikanischen »cultu­ der - letztlich nur ansatzweise gelungenen - Profes­ ral studies« entwickelte Modell ausgerechnet auf den sionalisierung und der geschlechtsspezifischen Auf­ Rundfunk antidemokratischer Systeme anzuwenden, gabenverteilung, wo im Detail die zu erwartenden mag auf den ersten Blick wenig überzeugen. Allzu Muster beschrieben werden (Männer besetzen die naheliegend ist der Verweis auf die diktatorischen Führungspositionen, Frauen sind bis auf wenige Aus­ lndienstnahmen der Massenmedien, auf rigide Per­ nahmen nur in nachgeordneten und Spezialbereichen sonalpolitik und strikte Programmzensur, um es sinn­ tätig). Die Entwicklung der Programmstruktur wird voll erscheinen zu lassen, nach nennenswerten dann auf wenigen Seiten skizziert, ohne den bekann­ Spielräumen für die Zuhörenden zu suchen. Anderer­ ten Informationen viel Neues hinzuzufügen. Statt je­ seits sollten zwei ganz grundlegende Sachverhalte doch auf den stetig expandierenden Bereich der Un­ nicht übersehen werden: Zum einen wurden die Ra­ terhaltungssendungen näher einzugehen, wie es das diogeräte ganz überwiegend im privaten Bereich ge­ Projektkonzept nahegelegt hätte, werden dagegen nutzt, wodurch sie der Kontrolle durch die Herrschen­ die Spezialbereiche des Frauen- und des Jugendfun­ den weitgehend entzogen waren; und zum anderen kes breit behandelt. Hier gelangen weitgehende war das Angebot aus technischen Gründen nie auf Gleichschaltungen durch die enge Verzahnung von nur Systemkonformes zu begrenzen. Trotz aller Ver­ Frauenfunk und NS-Frauenschaft bzw. Jugendfunk bote und Behinderungen gab es immer Konkurrenz - und Reichsjugendführung. deutschsprachige Dienste des Auslandes zum Bei­ Völliges Neuland betritt Monika Pater mit ihrer spiel während des Nationalsozialismus' und dann das Untersuchung nationalsozialistischer Angebote im umfangreiche Angebot der westdeutschen Rundfunk­ Unterhaltungsbereich (1, S. 171ft.). Paradigmatisch anstalten während der Nachkriegszeit. Wollte man unterscheidet sie vier große Bereiche, für die jeweils das Publikum überhaupt zum Hören der eigenen einzelne Sendungen und Sendereihen beispielhaft Programme bewegen, mußten die Sendungen zu­ analysiert werden. Als Beispiel für vorwiegend poli­ mindest bis zu einem gewissen Grad auf die Interes­ tisch motivierte Unterhaltung führt sie zwei Hörfolgen sen und Bedürfnisse der Bevölkerung Rücksicht zum 1. Mai 1933 bzw. 1934 vor, und als Beispiel für nehmen, drohte totaler Indoktrination das Damokles­ die sogenannte >Völkische< Unterhaltung die »Mo­ schwert des massenhaften Abschaltens. Ins Zentrum natsbilder des Königswusterhäuser Landboten«. We­ des Interesses muß damit der gesamte Unterhal­ niger klar wird dagegen ihre Unterscheidung zweier tungsbereich rücken, denn ihm oblag es, die große Formen einer Art »reiner«, aber deshalb nicht unpoli­ Mehrzahl der Hörer an die Programme zu binden und tischer Unterhaltung, wofür einerseits »Der Frohe · sie dann über die sogenannten Mitnahme-Effekte an Samstagnachmittag aus Köln« und andererseits das Rezensionen 175 legendäre »Wunschkonzef1« stehen. Detailliert zeich­ (90 bzw. 110 Seiten); es liegt nahe, dies mit dem net sie die darin verwendeten Topoi vor allem der ganz unterschiedlichen Stellenwert der Unterhaltung Geschlechterrollen und die sich daraus ergebende in den beiden Systemen zu begründen. Anders als im enge mentalitätsgeschichtliche Verbindung zur Wei­ Nationalsozialismus war die Unterhaltung zwar auch marer Republik nach, so daß auf jeden Fall der erste im SED-Staat der 50er Jahre vorhanden, wurde aber Teil ihrer Überschrift »>Zeitlose< Unterhaltung - natio­ offiziell nie so recht gebilligt. »Das Ziel, einen neuen nalsozialistisch geprägt« überzeugt (1, S. 204). sozialistischen Menschen zu formieren, wurde nicht Schwieriger steht es mit dem zweiten Teil, der beina­ aufgegeben«, stellt Pater zusammenfassend fest (II, he zwangsläufig über die Programmangebote hinaus S. 254), und echte, zweckfreie Unterhaltung war sowohl auf die politischen Anliegen der Macher und damit eben nicht zu vereinbaren. Ausführlich unter­ Verantwortlichen als auch auf ihre spezifische Nut­ sucht sie die Sendereihe »Da lacht der Bär« als Bei­ zung verweist. spiel für »sozialistische Populärkultur« und die Sen­ Uta C. Schmidt beschäftigt sich unter der Über• dereihe »Zwei Stunden mit Heinz und lngeborg« als schrift »Radioaneignung« jedoch nicht mit dem letzt­ wesentlich politischere Variante. Nicht ganz klar wird genannten Aspekt, der für sie eher unter »Medienre­ jedoch der Stellenwert der dadurch repräsentierten zeption« fallen würde. Statt dessen geht es ihr da­ Programmtypen. Auffällig ist jedenfalls, daß »Heinz rum, wie das Medium als solches Verbreitung fand, und lngeborg« nur 1953/54 im Programm waren und »angeeignet« wurde. Nach recht umfangreichen weitere analysierte Beispiele auch aus dieser Zeit theoretischen Überlegungen untersucht sie dies mit stammen. Die Möglichkeit bleibt offen, daß es sich verschiedenen Schwerpunkten. Als erstes geht es ihr nur um einen zeitweisen Versuch handelte. Immerhin um eine »soziale Topographie des Radiohörens« (1, könnte das ab 1956 verwirklichte Konzept von Radio S. 259ft.), wobei die zeitgenössischen Statistiken DDR in eine andere Richtung weisen. nach regionaler Verbreitung der Rundfunkgeräte und Auch beim DDR-Rundfunk geht es Uta C. Schmidt beruflicher und sozialer Gliederung der Rundfunkteil­ nur um die prinzipielle Aneignung des Mediums, nicht nehmer sowie dem Phänomen des saisonalen Hö• um die Rezeption von Sendereihen und Sendungen. rens - im Sommer wurden aus Kostengründen viele Wie im Band über den Nationalsozialismus widmet Geräte abgemeldet - ausgewertet werden. Ein eige­ sie sich den konkreten Geräten und ihrer Verteilung ner Abschnitt gilt dann dem Volksempfänger, ein (II, S. 273ft), dann jedoch viel ausführlicher ihrem weiterer Abschnitt der Integration von Rundfunkgerä• Gebrauch im allgemeinen. Dies ermöglichen ihr um­ ten in die deutschen Haushalte. Für das konkrete Hö• fängliche Materialien, die unter dem Stichwort »Mas­ ren bleibt am Ende nur wenig Raum. Im wesentlichen senverbundenheit« von der SED und ihrer Rundfun­ wird auf die Umfrageergebnisse zurückgegriffen, die korganisation gesammelt wurden. Vor allem die Le­ Gerhard Eckert 1941 veröffentlichte 1 (1, S. 343ft.). serbriefe besaßen dabei besondere Bedeutung. Un­ Wie sehr die quellenmäßigen Gegebenheiten den schwer sind aus ihnen zentrale Kritikpunkte der Hörer Umfang histographischer Darstellungen bestimmen, am Programmangebot insgesamt zu ermitteln: schon zeigt nicht zuletzt der Vergleich der beiden von Da­ allein die schlechten Empfangsmöglichkeiten über• niela Münkel verfaßten Teile: zum Nationalsozialis­ haupt, dann die Abstimmungsprobleme zwischen den mus gerade 80 Seiten, zur DDR mehr als 120. Ob­ drei Sendern, der Mißstand der vielen Programmän• wohl sie im zweiten Fall die gleichen Schwerpunkte derungen, die Wortlastigkeit und die Zersplitterung setzte wie im ersten, verfügte sie nun über ganz an­ vor allem des Abendprogramms. Allerdings halten sie dere Materialgrundlagen. Ein Stück weit ist dies al­ auch manche Fallen bereit. Ob denn tatsächlich lerdings auch auf veränderte Gegebenheiten zurück• prinzipiell mehr Männer als Frauen Leserbriefe zuführen: ln der DDR gab es konsequente Bemühun• schreiben und daraus dann eine erklärungsbedürftige gen um mehr Professionalisierung. Ein umfangreicher Tatsache zu konstruieren ist, kann auf der von Abschnitt über das Experiment einer Rundfunkschule Schmidt präsentierten Grundlage wohl kaum behaup­ in Grünau bzw. Weimar ist die Folge; schade nur, tet werden. Entsprechend problematisch muß denn daß der Fortsetzung in Form des Journalistik-Stu­ auch ihr grundsätzlicher Erklärungsversuch dieses dienganges in Leipzig überhaupt keine Aufmerksam­ fragwürdigen Phänomens bleiben. keit mehr gilt. Und kaum zu verstehen ist auch, daß Wenn schließlich am Ende auch auf einige kriti­ der allgemeinen Rundfunkpolitik so wenig Aufmerk­ sche Bemerkungen zum gesamten Projekt nicht ver­ samkeit gewidmet wird, denn hier gibt es keine Dar­ zichtet werden kann, so soll dies weder die geleistete stellung, auf die man problemlos verweisen könnte. Arbeit schmälern, noch die gravierenden Quellen­ Statt dessen findet die Frage nach geschlechtsspezi­ probleme ignorieren, die durchdachte Fragen immer fischer Aufgabenverteilung beim Rundfunk viel Be­ wieder ohne zureichende Antworten lassen. Die achtung, doch die Interpretation der Befunde bleibt Überlieferungslage ist gerade im Bereich der Rund­ ambivalent. Nicht zuletzt ist dies auf den fehlenden funkunterhaltung nicht nur schlecht, sondern gerade­ systematischen Vergleich mit den Gegebenheiten der zu katastrophal, weil ihr über lange Jahre und Jahr­ Bundesrepublik zurückzuführen, der innerhalb des zehnte keine Bedeutung durch die Programmverant­ gesamten Projekts grundsätzlich nicht vorgesehen wortlichen zugemessen wurde. Selbst hartnäckiges war, aber vielleicht noch nachträglich ergänzt wird. Suchen wird da nur wenig Erfolg bringen. Das Au­ Schließlich folgt auch hier eine knappe Skizze der genmerk wird deshalb auf der immer subtileren Inter­ Programmentwicklung und ein genauerar Blick auf pretation des Vorhandenen liegen müssen. Gravie­ Frauen- und Jugendfunk. rende Defizite bestehen nämlich noch immer bei der Gerade umgekehrt als Münkel faßt sich Monika Konkretisierung fundamentaler theoretischer Annah­ Pater bei der Unterhaltung im SED-Rundfunk we­ men des kulturanthropologisch geprägten Mediennut­ sentlich kürzer als bei der Unterhaltung im NS-Staat zungsansatzes. So überzeugend es auch sein mag, 176 Rundfunk und Geschichte 24 (1998) die Polyvalenz der Unterhaltung theoretisch zu po­ werk zu nähern. Man verstellt sich dann weitaus we­ stulieren und der von den Machern mehr oder minder niger den Blick auf die imposante Fülle der vorgeleg­ bewußt intendierten Lesart die Möglichkeit ganz an­ ten Forschungsergebnisse im Detail, die die deutsche derer Lesarten durch das Publikum entgegenzustel­ Rundfunkgeschichtsschreibung ein großes Stück len, so muß dies letztlich doch auch durch konkrete vorangebracht haben. Interpretationen eingelöst werden. Und dies ist nicht Konrad Dussel, Frankfurt am Main I Forst erst ein Problem der Rezeptions- oder Aneignungs­ geschichte, sondern bereits eines der literaturwissen­ Vgl. Gerhard Eckert: Der Rundfunk als Füh• schaftliehen Medienwissenschaft. Denn so wie es rungsmitteL Heidelberg 1941. möglich ist (oder zumindest: vorausgesetzt wird), die Lesart der Macher herauszuarbeiten, so muß es auch möglich sein, grundlegende, mehr oder minder ent­ Hörspiel1945-1949. gegengesetzte Alternativen zu beschreiben, die von Eine Dokumentation (= Veröffentlichungen des den Rezipienten hätten realisiert werden können. Das Deutschen Rundfunkarchivs, Bd. 12). weite Feld der »cultural studies« krankt insgesamt Potsdam: Verlag für Berlin-Brandenburg 1997, daran, daß dies viel zu selten stringent geschieht. 512 Seiten. Auch Monika Pater beschränkt sich auf sehr wenige Andeutungen in dieser Richtung (z.B. I, S. 220). Die Blütezeit des deutschen Hörspiels, so wollten es Trotzdem sollte der Frage nach der Möglichkeit lange Zeit Germanisten, Historiker und Deutschlehrer textimmanenter (in diesem Falle auch auf Rundfunk­ wissen, begann 1951 mit der Ursendung von Günter sendungen anzuwenden) Mehrdeutigkeiten nicht zu­ Eichs »Träume« im Nordwestdeutschen Rundfunk viel Gewicht beigemessen werden. Denn immerhin ist Hamburg. Ästhetische Argumente sollten diese Zäsur denkbar, daß konkrete Rezeption sich mehr oder begründen, doch hat sich längst herausgestellt, daß minder weitreichend von den konkreten Vorgaben sie nur ungenügende Kriterien einer Periodisierung löst und diese nur versatzstückweise nützt. Es kann lieferten. Als durchschlagender erwiesen sich dage­ deshalb nicht angehen, den Begriff der Medienrezep­ gen rundfunkpolitische Daten, wie die Wiederauf­ tion durch den der Radioaneignung im engen Sinne nahme des Rundfunkbetriebs nach 1945 durch die Uta C. Schmidts ersetzen zu wollen und die Frage Siegermächte und die Gründung der beiden deut­ nach dem Umgang mit den einzelnen Medienproduk­ schen Staaten 1949. Diese Zeitspanne besitzt durch ten ganz unter den Tisch fallen zu lassen. So wichtig die besondere politische Konstellation einen ganz ei­ es ist, auch allgemein nach der Aneignung des Medi­ genen Charakter, der sich auch in der Hörspielge• ums Radio als solchem zu fragen, so muß es doch schichte zeigt und diesen Abschnitt vom Ruf einer auch darum gehen, wie die Sendungen beim Publi­ bloßen Vorgeschichte des in den Stand des Klassi­ kum ankamen. Auch da sind historischem Fragen schen gehobenen Hörspiels der 50er Jahre befreit. zwar verhältnismäßig enge Grenzen gesetzt, doch Hans-Uirich Wagner hat dieses Kapitel in seiner sind sie etwas weiter gezogen, als Schmidts Ausfüh• Studie >»Der gute Wille, etwas Neues zu schaffen<. rungen erwarten lassen. Das Hörspielprogramm in Deutschland von 1945 bis Diese programmatische Selbstbeschneidung ist 1949« grundlegend behandelt und an der vorliegen­ der eine Grund, warum die engere Verklammerung den Dokumentation entscheidend mitgewirkt. Das der so säuberlich getrennt behandelten drei Bereiche einführende Kapitel stammt von ihm und faßt seine Produktion, Programm und Aneignung zu kurz kommt Ergebnisse noch einmal knapp zusammen. Es folgen und die ausführlich vorgestellten Überlegungen Mi­ auf rund 350 Seiten die nach Titeln geordneten An­ chel de Gerteaus recht isoliert wirken (1, S. 243ft). gaben zu den einzelnen Hörspielen von »1. Abel; Entsprechend angewandt, wäre sein Strategie-Taktik­ Autor: Alfred Neumann; Bearbeiter: Hildegard Dauer; Modell, das nicht nur in sozusagen revisionistischem Vorlage: Alfred Neumann: Abel (Schauspiel); Regie: Überschwang die Taktik, nämlich die Möglichkeiten Fränze Roloff; Mitwirkende: Margarete Schell ( ... ); der Rezipienten sieht, sondern sie auch im überge• Genre: Hörspielbearbeitung nach Vorlage; Produkti­ ordneten Rahmen der Strategie, nämlich der Macht on : HR; Erstsendung: 02.09.1949« bis 1634. der Macher und Politiker verankert, durchaus in der »Zwischenfall im Royal« von Hans Rothe. Soweit Lage gewesen, hier Abhilfe zu schaffen. Allerdings vorhanden werden zusätzlich Standort, Archivnum­ hätte die Produktionssphäre dann zumindest auch mer und Dauer des Tondokuments genannt. Außer• unter dieser Perspektive gesehen und den Intentio­ dem wird nach Möglichkeit der Inhalt referiert oder nen der Verantwortlichen entsprechende Beachtung auf ein Nachschlagewerk verwiesen, in dem er nach­ geschenkt werden müssen. zulesen ist. Die Angaben sind produktionsorientiert, Überhaupt scheint die recht geringe Verklamme­ Hinweise auf Manuskripte und deren eventuelle Pu­ rung der Teilbereiche als das Kardinalproblem des blikation fehlen deshalb. Mehrfach produzierte Hör• ganzen Projektes betrachtet werden zu können, denn spiele finden sich dagegen mit allen Angaben auch auch der naheliegende Vergleich zwischen NS- und mehrfach aufgeführt. Louis Verneuils »Herr Lam­ SED-Rundfunk wird mehr problematisiert als wirklich berthier«, da sechs Mal produziert, wird also sechs durchgeführt. Auch hierfür gibt es manches recht Mal genannt, drei Produktionen sind erhalten. Der überzeugende Argument (II, S. 28f.), doch liefern in Blick in das Register-Kapitel: »Archivierte Produktio­ der Praxis Details auch gute Gegenbeispiele (II, S. nen« ergibt, daß etwa ein Viertel der angeführten 254ff.). Insgesamt wird man deshalb besser daran Hörspiele noch als Originalton existieren. tun, sich den beiden Bänden mit ihren insgesamt Die sechs Register und das angefügte »Verzeich­ sechs Teilen eher mit der Vorstellung von zwei Sam­ nis der Rundfunksendungen >Hörspiel 1945-1949< « melbänden als der von einem homogenen Gesamt- machen erst recht den Wert dieses Buches aus. Die Rezensionen 177 chronologische Übersicht über die Hörspielproduktio• sten Test überstehen. Der so gewonnene Überblick nen bietet einen raschen Einblick in das Programm vermittelt immerhin den Eindruck, daß hier wichtige der einzelnen Sender, wobei kurioserweise auch der Beiträge zu diesem Thema versammelt sind. Leider Deutsche Dienst der BBC und eine Produktion von fehlt dem Band ein Editorial, das das Tagungsergeb­ CBS angeführt werden, von denen wir zwar das Erst­ nis zusammenfaßt und auch jene Fragen bündelt, die sendadaturn erfahren (sofern ermittelt), aber nicht sich beim Zusammenführen dieser drei Kulturfaktoren den Sendeort in Deutschland. Hier wüßte man gerne Buch, Buchhandel und Rundfunk stellen und an die mehr, ebenso von den produzierten, aber nicht ge­ Forschung weitergegeben werden müssen. Hier hät• sendeten Hörspielen. Forschergeist wird hier ange­ ten auch jene Autoren eingebunden werden können, stachelt, und das ist gut so. Das Personenregister die auf der Tagung zwar referiert haben, deren Bei­ läßt keine Wünsche offen, ebensowenig das Autoren­ träge aber nicht in den Band aufgenommen wurden. register, das allenfalls im Titel etwas umständlich Dokumentiert werden hier einzelne Forschungs­ wirkt: »Autoren/Bearbeiter und ihre Vorlagen/Hörspie• ergebnisse, die vor allem für die Programmforschung le«. Das Genreregister ist weniger hilfreich, das Gen­ des Rundfunks Aufmerksamkeit verdienen. Etwa die re »Hörspielbearbeitung nach Vorlage« umfaßt allein Fallstudie von Hans-Uirich Wagner »Eng vernetzt etwa so viele Verweise wie die zehn übrigen Genres Das Hörspiel von Radio München 1945 bis 1949«. zusammen (vom »Amateurhörspiel« mit einem einzi­ Sein methodischer Ansatz, Biographie, Genre (Hör• gen Nachweis über das »Feature« mit drei Verweisen spiel/Theater) und alliierte Kulturpolitik zu vernetzen und das »Kurzhörspiel« bis zum »Science-Fiction­ zeigt am besten, wo die Rundfunk- respektive die Hörspiel«), eine Präzisierung nach der Art der Vorla­ Programmforschung steht. Die Biographie jener Lite­ ge (Drama, Roman, Film etc.) wäre sinnvoll gewesen. raten und Publizisten, die dieses Medium in den er­ Ausführlich ist dann wieder das Sachregister, das die sten Jahren nach dem Krieg geprägt haben, die im Titel nach Themen erschließt, aber einige Merkwür• Aufbruch die Kontinuität kultureller Werte etablieren digkeiten enthält. Nikolaj Gogols Komödie »Die Hei­ oder gesellschaftspolitische Veränderungen beför• rat« etwa wird nicht unter »Heirat« verschlagwortet, dern wollten, belegen ihren Quellenwert für die Pro­ sondern unter »Zwischenmenschliche Beziehungen«; grammgeschichte. Die enge Vernetzung, die Wagner und auf Andre Gides »Die Rückkehr des verlorenen hier in einem Ausschnitt erprobt, zeigt, mit welchem Sohnes« nur mit dem Schlagwort »Zweifel« hinzu­ Gewinn Organisationsgeschichte und Kommunikator­ weisen ist ebenfalls lnterpretationssache. forschung zusammenzubringen sind und für die Ent­ Natürlich wird bei dem sehr lobenswerten Ver­ wicklungsgeschichte eines Genres samt seiner Wir­ such, den umfangreichen Datenbestand möglichst kung die beste Voraussetzung abgeben. Der Beitrag vielfältig zu erschließen, im Detail immer Kritik mög• von Renate Schumacher und Edgar Lersch »Die lich sein und der eine oder andere Wunsch offen Überlieferung von Tonquellen und Schriftgut der bleiben, doch sind das Kleinigkeiten, gemessen an Rundfunkstationen zu Verlagswesen und Literatur der der überragenden Bedeutung, die diese Dokumenta­ Nachkriegszeit (1945-1949)« belegt jedoch, vor wel­ tion für Wissenschaftler und Hörspieldramaturgen chen Schwierigkeiten die Forscher stehen. Daß die gewinnen wird. Die werden sich entsprechende Bän• Geschichte der Archivierung Erklärungen für die ma­ de auch für andere Epochen vor dem Erscheinen der gere Überlieferung dieser Jahren sucht, ist eine nicht Jahrbücher »Hörspiele in der ARD« 1981 wünschen, unerhebliche Ergänzung. Der gezielte Ausbau der die die noch bestehende Lücke für die 50er, 60er und Historischen Archive geht nicht zuletzt auf die Er­ 70er Jahre schließen. Das Deutsche Rundfunkarchiv kenntnis zurück, daß das Rundfunkprogramm eben will sich, so ist es im Vorwort versprochen, darum Kultur- und Alltagsgeschichte dokumentiert und es bemühen. deshalb sinnvoll ist, nicht nur einer zufallsbedingten Wolfram Wessels, Mannheim Überlieferung zu trauen, sondern repräsentative Schnitte vorzunehmen. Für die Quellenforschung und Quellensicherung zeigt sich, daß nicht nur für die Monika Estermann I Edgar Lersch (Hrsg.) Jahre von 1945 bis 1949, sondern auch für die Folge­ Buch, Buchhandel und Rundfunk 1945-1949. jahre privaten Beständen eine wichtige, nicht selten (= Mediengeschichtliche Veröffentlichungen, Bd. 1). entscheidende Rolle zukommt. Das gilt in ähnlicher Wiesbaden: Harrassowitz 1997, 176 Seiten. Weise auch für die »Quellenüberlieferung zum Ver­ lagswesen« (Anne M. Wallrath-Janssen). Der kürzlich verstorbene Ernst Klett, dessen Ver­ Zu der Organisation des »Verlagswesens und des dienste als Verleger gerade in den ersten Nachkriegs­ Buchhandels« verschafft Reinhard Wittmann den jahren in allen Nachrufen gewürdigt wurden, ist nicht notwendigen Überblick, seine fundierte Kenntnis des im Register dieses Bandes zu finden. Das soll nicht Gegenstandes fällt in diesem Kontext besonders ins überbewertet werden, zeigt aber, was er leisten kann Gewicht. und was nicht. Hervorzuheben ist allemal, daß dieser Das Buch wird - anders als die Rundfunksendun­ Band überhaupt - drei Jahre nach der gleichnamigen gen - schneller wieder Produkt eines Markts. Seine Tagung 1994 in Marbach- inzwischen auch eingeholt Aufgabe für die beabsichtigte Re-Education ist aller­ von der zweiten, weiterführenden Tagung 1997, er­ dings vergleichbar mit Literatursendungen des Rund­ schienen ist. Es mag beruhigen, daß trotz vernetzter funks oder einer neuentdeckten »Literaturvermittlung Informationswege vorgetragene Tagungsbeiträge in und Literaturrezeption in Zeitschriften« (Bernhard Fi­ Büchern greifbar gemacht werden. Solche broschier­ scher). Daß es als Ausdruck von Verlagsprogrammen ten Bücher müssen, schnell von hinten aufgeblättert leichter Zeugnis ablegt über Kontinuität und Diskonti­ über Autorenanschriften, Register, übertitelte Seiten, nuität als flüchtige Sendungen, ist offensichtlich. Wie bis zum Geleitwort und Inhaltsverzeichnis ihren er- Verlegerpersönlichkeiten oder Intendanten, etwa 178 Rundfunk und Geschichte 24 (1998)

Friedrich Bisehoff für »Das literarische Programm des chen Forschungsanstrengungen zur Medienrezepti­ SWF« (Markus Nix), gestaltend ihre Möglichkeiten onsgeschichte vorgenommen zu haben. Denn er hat ausschöpften, läßt sich exemplarisch aus einzelnen die Thematik breit abgedeckt: von der literarischen Beiträgen ablesen. Massenpresse bis zu den Adaptionseffekten bei der Die Einblicke in die Entwicklung der »Literatur­ Einführung des Fernsehens. Ein Buch wider den Ge­ und Hörspielproduktionen in den Programmen des dächtnisverlust der Medienforschung. Nachrkriegsrundfunks der SBZ» (Wolfgang Mühi• Der Band, der die Fachtagung »Medienrezeption Benninghaus) oder in »Das Verlagswesen der SBZ« seit 1945«, die im Herbst 1997 beim Südwestfunk in (Siegfried Lokatis) auf der Grundlage neuen Archiv­ Baden-Baden stattfand, dokumentiert, ist in fünf Teile materials sind wichtige Markierungen für die Diskus­ gegliedert: einen thematischen Überblick, Forschun­ sion um die Kulturgeschichte der SBZ. Historische gen zur Buchrezeption, desgleichen zur Presse-, Forschung ist eben ein Prozeß der Auseinanderset­ Rundfunk- und Fernsehrezeption, eine Residual­ zung mit immer neuen Quellen und neuen Fragestel­ gruppe mit Einzelforschungen und schließlich einen lungen. Wie bekannte und neue Quellen »Zu den räsonierenden Abschnitt zu Defiziten und Perspekti­ politischen, sozialen und kulturellen Ausgangsbedin­ ven der Rezeptionsforschung. gungen der Nachkriegszeit« befragt werden, um erste Aus der Vogelschau umkreist Ulrich Saxer die ge­ Aussagen machen zu können über »Kontinuität und sellschaftlichen Rahmenbedingungen der Medienre­ Neuanfang im Zusammenbruch«, zeigt Axel Schild zeption. Mit den bekannten Schlagworten Individual-, vorbildlich auf. Sein Versuch gelingt, die Klischee­ Erlebnis- und Lerngesellschaft umreißt er die gesell­ Bilder vom »Nachholbedarf« und »Kulturrausch« sy­ schaftlichen Wandlungsprozesse, unter denen Re­ stematisch in ihrem Gebrauch auf die Probe zu stel­ zeptionsmuster sich verändern. Daß aber Rezepti­ len, um dann auf Brüche oder doch eher auf die Kon­ onsgewohnheiten nicht nur Ausdruck von sozialen tinuität zu stoßen, die im Bewahren und Tradieren Wandlungsprozessen sind, sondern daß Medienver­ alter Werte eine größere Gewähr für einen Neuan­ halten selbst wiederum gesellschaftliches Handeln fang zu bieten scheint. Aber Schildt macht auch deut­ prägt, bleibt, wie so oft, unerwähnt. lich, wie vorläufig diese Ansätze für eine Sozialge­ Als Handicap der sinnvollen Zusammenschau schichte der Kultur für die Nachkriegszeit zunächst dieses Tagungsbandes wird schnell offenkundig, daß noch sind. es kein allgemeingültiges Verständnis des Rezep­ Insofern erfüllt dieser Band den Zweck einer Mo­ tionsbegriffs gibt. Wie auch, bei einem derart fächer• mentaufnahme, deren Aussagewert in der Dokumen­ übergreifenden Unternehmen? Der Preis des inter­ tation liegt. Noch stehen die Beiträge eher parallel disziplinären Ansatzes ist die Unschärfe des Begriffs, nebeneinander, der Versuch einer kritischen Ver­ wenngleich sich Saxer in seinem Beitrag bemüht, de­ knüpfung steht noch aus. Es ist zu wünschen, daß finitorischen Minimalkonsens über ein »Basiskonzept die Veröffentlichung des zweiten Bandes der weiter­ Rezeption« herzustellen. Zur Medienrezeption zählt führenden Tagung nicht wieder so lange auf sich er »alle mit dem Empfang von Medienkommunikation warten läßt. Wenn es denn noch Bücher dieser Art verbundenen Phänomene«. Mit dieser Minimaldefini­ gibt, was ja durchaus wünschenswert ist, sollten sie tion wird zwar der Fokus geweitet, so daß alle folgen­ aber doch einige Sorgfalt erkennen lassen. Dieser den Beiträge ins Konzept passen, allerdings eindeu­ Band ist leider - wenn überhaupt - lieblos redigiert tig zu Lasten der Tiefenschärfe. Dadurch ergeht au­ und lektoriert. Wer also das Buch zur Hand nimmt, es tomatisch die Aufforderung an alle Autoren, kenntlich aufblättert, um sich einen Überblick zu verschaffen, zu machen, ob es jeweils um quantitative Nutzung sollte nicht über Druckfehler und Layoutlücken stol­ (also Werbeträgerforschung), qualitative Rezeptions­ pern und nicht mehr erwarten, als Teilansichten auf bedingungen, Rezipientenerwartungen oder den ge­ Buch, Buchhandel und Rundfunk von 1945 bis 1949. sellschaftlichen Impact geht. Sabine Schiller-Lerg, Münster Daß sozialer Impact oft mit monokausalen Ansät• zen erklärt wird, beweist einmal mehr Elisabeth Noel­ le-Neumann in ihrem mit Allensbacher Umfragen ge­ Walter Klingler u.a. (Hrsg.) spickten Beitrag zur »Verteidigung des Lesens«. Das Medienrezeption seit 1945. Nachlassen des (Zeitungs)Leseinteresses zeitige ab­ Forschungsbilanz und Forschungsperspektiven. nehmende Gehirnleistungen. Ohne Lesen kein Den­ Baden-Baden: Nomos-Verlagsgesellschaft 1998, ken. Darunter litten Wissensbestände, Lern- und 240 Seiten. Konzentrationsvermögen, gesellschaftliche Defizite drohten. Jo Groebels Aufsatz über die veränderte Auf die Mischung kommt es an. Die Qualiät eines Vorstellung vom Rezipienten beschließt das Über• Sammelbandes bemißt sich in erster Linie an der Zu­ blickskapitel. Den Wandel der Medienrezeption ana­ sammenstellung der Aspekte und Perspektiven, unter lysiert er auf der Makro-, Meso- und Mikroebene. Ne­ denen ein Thema betrachtet wird. Das Thema Re­ ben angebotsinduzierten Trends blickt er auch auf die zeptionsgeschichte der Medien wurde in Wissen­ Rezeptionssituation der audio-visuellen Medien. Eine schaft und Forschung bislang überwiegend punktuell, Konvergenz von Fernseher und Computer hält er für fallstudienhaft, ja kasuistisch betrieben. Unsystemati­ unwahrscheinlich, da es sich letztlich um zwei unter­ sche Forschung steht aber in der Gefahr, einen un­ schiedliche Nutzungssituationen handelt, die trotz al­ erwünschten Erinnerungsverlust im Wissenschafts­ ler technischen Möglichkeiten nicht austauschbar system nach sich zu ziehen. Ulrich Saxer hat dies sind. einmal das Fehlen eines kollektiven Gedächtnisses Erfreulicherweise räumen die Herausgeber dem genannt. ln diesem Sinne gebührt dem Sammelband unterforschten »Basismedium Buch« nicht nur drei das Verdienst, eine erste Bündelung der wesentli- Beiträge ein, sie plazieren den Abschnitt über die Rezensionen 179

Buchrezeption auch vor den Forschungsanstrengun­ besser die Konzentration auf Leserbedürfnisse zu gen zu den elektronischen Medien. Hans Altenhein greifen und hier besonders, das Interesse am Loka­ rollt die Beziehungen zwischen Buchproduktion und len, Regionalen, vor allem an Hintergrundinformatio­ Leserinteressen in Westdeutschland in vier Perioden nen zu bedienen. Der Ausflug auf die »Insel des Uni­ der Zeitgeschichte auf: Von Rowohlts-Rotations-Ro­ versellen« ist diesem Verständnis nach keine Robin­ manen, über die Ära der Taschenbücher, die in der sonade, sondern die zeitungstypische Kombination »Bewußtseinsindustrie« mündete, zu neuen Distribu­ von Führung und Freiheit. Führung gibt die Zeitung tionsstrategien wie Bücherclubs, Buchkaufhäusern, durch eine kompetente journalistische Vorauswahl Direktvertriebsunternehmen und dem Bedeutungsver­ des Weltgeschehens - aber mit der Freiheit, dort auch lust des Buchmediums als Sekundärmedium. Patrick auf das Unerwartete, Entlegene und Überraschende Rössler vertieft die erste Periode in seiner Abhand­ zu stoßen. lung über die literarische Massenpresse und ihre Le­ Walter Klingler zeichnet den Weg der Radionut­ ser. Er wertet dabei interessante qualitative Daten zur zung über vier Jahrzehnte nach, der - in der Konkur­ Leserschaft sekundäranalytisch aus, die der Rowohlt­ renz zum Fernsehen - in der räumlichen, zeitlichen Verlag 1948 anhand von Leserzuschriften in einer und inhaltlichen Individualisierung endet. Er berichtet verlagsinternen Studie erhoben hatte. Die spezifische von der Faszination des Hörfunks in der Nachkriegs­ ostdeutsche Perspektive schließt Dietrich Löffler an, zeit, dem Höhepunkt des Radios in den 50er Jahren, der in seinem Bericht den schwierigen Übergang von dem der dramatische Einbruch in den 60er und 70er der staatlich verordneten Lesesozialisation zur markt­ Jahren folgte, und von der sogenannten Renaissance wirtschaftlichen Vielfalt nachzeichnet. Die im verein­ des Mediums Ende der 70er Jahre. Daß die heutige ten Deutschland nun dominierende Unterhaltungslite­ Konsolidierung, die dem Hörfunk das Nutzungsvolu­ ratur muß aber weiter mit einem langanhaltenden In­ men der 50er Jahre zurückgab, mutatis mutandis er­ teresse für Werke von DDR-Schrifststellern konkurrie­ kauft wurde durch eine in Richtung Unterhaltung und ren, die durch eine langjährige Lektüreerfahrung aktuelle Information verschobene Funktionalität, identitätsbildend wirken konnten. dürfte bekannt sein. ln Vergessenheit dagegen gerät Marie-Luise Kiefer bietet in ihrem Artikel über die schnell, daß schon in den 50er Jahren das Radio in Wandlungen und Tendenzen in der Medienrezeption Teilen ein »Rundfunk des Nebenbei« war, der sich zwei Beiträge zur Erklärung an. Zur Interpretation der nicht der ungeteilten Aufmerksamkeit seiner Hörer• Daten aus der Langzeitstudie Massenkommunikation schaft erfreuen konnte. verknüpft sie die Restriktionen des Zeitbudgets mit Anders als Klingler, der sich auf die reine Nut­ einem Lebenszyklusmodell, das die Nutzungsge­ zungszeit des Mediums Hörfunk beschränkt, bezieht wohnheiten in Beziehung zur hypothetischen Lebens­ Knut Hickethier in seine geschichtliche Rezeptions­ phase der Medientypen setzt. Mit anderen Worten: analyse des Fernsehens vor allem die Rezeptionssi­ Die »alten Medien« Tageszeitung und Hörfunk sta­ tuation ein. Ihn beschäftigt - im Rahmen seines be­ gnieren, da sie ihren Zenit überschritten haben. Die kannten Dispositiv-Ansatzes - der Wandel vom kol­ Nutzer haben sich im Wortsinn sattgelesen und -ge­ lektiven zum individuellen Empfang, die Anordnungs­ hört, es droht die unumkehrbare Degeneration. Das strukturen beim Fernsehen, die soziale Lokation ei­ Fernsehen dagegen hat mit der Dualisierung erst ge­ nes technischen Apparates. Mediengeschichte wird rade seine Reifeprüfung abgelegt, so daß es weiter von Hickethier aber auch interpretiert als Ereignisge­ mit ungebrochenem Interesse rechnen kann, so Kie­ schichte, als Abfolge zeitgeschichtlicher Ereignisse, fers Beitrag zur Prognostik. die die Entwicklung und die rezeptive Etablierung des Nun ist es derzeit en vogue, das Ende oder zu­ Mediums akzelerierten. Mit der Etablierung ging auch mindest die Krise der Tageszeitung auszurufen. Auch ein Wandel der sozialen Zusammensetzung des Pu­ Klaus Schönbach und Wolfram Peiser suchen Ant­ blikums einher. Gegensätze von Besser- und worten auf die Frage: »Was wird aus dem Zeitungs­ Schlechterverdienenden, von Stadt- und Landbevöl• lesen?« Mit der Tageszeitung geht es uns wie mit lie­ kerung wurden langsam abgebaut. So betrachtet wä• ben Freunden: Wir würden sie erst dann richtig ver­ re das Fernsehen der 60er Jahre nicht nur ein Pro­ missen, wenn es sie gar nicht (mehr?) gäbe. Das tat­ dukt, sondern auch ein Faktor der nivellierten Mittel­ sächliche emotionale Verhältnis zur Zeitung be­ standsgesellschaft. ln der Folge kam es nach Hicke­ schreiben die Autoren aber eher als Ehrfurcht denn thier zur Ritualisierung des Zuschauens; feste Sen­ als Liebe. Auch Schönbach und Peiser interpretieren deplätze beeinflußten das Handeln im sozialen lnter­ den Nutzungsschwund der Tageszeitung als Genera­ aktionsraum. Später dann der Wandel der gesell­ tionenproblem. Hier allerdings weniger bezogen auf schaftspolitischen Bedingungen: ln den politisch be­ das Medium als auf seine Leser. Den leichten Rück• wegten 70er Jahren verschob sich der Kommunikati­ gang der Akzeptanz verursachen in erster Linie junge onsraum Fernsehen zur Öffentlichkeit hin, um am Leute, die sich verstärkt Publikumszeitschriften, Onli­ Ende des Jahrzehnts einer neuen Innerlichkeit Platz ne-Medien und dem Fernsehen zuwenden. Einen zu machen. Die Anforderungen hatten sich gewan­ vermeintlichen Ausweg böte eine Strategie, die in den delt, Erziehungs- und Bildungsfragen, eine Folge der USA praktiziert wird. Dort wird auf postmaterialistisch Aufklärungsbedürfnisse, hatten ausgedient, es wur­ orientierte junge Leser gesetzt. Die Zeitung als Ziel­ den wenig anstrengende Orientierungsangebote ver­ gruppenmedium für junge, kaufkräftige Eliten, die ein langt. Die 80er Jahre mit ihrer Permanenz des Ange­ edleres Design und anderes ästhetisches Tuning ho­ bots entzaubern das Medium endgültig; die Fernseh­ norieren? Aus normativer Sicht ist es sicher nicht rezeption wird ähnlich dem Hörfunk in andere alltägli• wünschenswert, durch Elitemedien die Integrations­ che Handlungen integriert, was in den 90er Jahren funktion auszuhebeln. Zur Rettung der krisenge­ zur Ablösung des Hörfunks als Begleitmedium führen schüttelten Zeitung scheint nach Ansicht der Autoren wird. 180 Rundfunk und Geschichte 24 (1998)

Neben den angesprochenen allgemeinen Beiträ• störend; er kommt im Gegenteil der Lesbarkeit ent­ gen zur historischen Buch-, Tageszeitungs-, Hörfunk• gegen, was man vom überwiegend flüchtigen Lekto­ und Fernsehrezeption enthält der Sammelband noch rat nicht eben sagen kann. Letzteres mag indes ent­ eine Fülle weiterer interessanter Abhandlungen zu schuldigt sein durch die erfreulich zeitnahe Veröffent• spezifischen Aspekten der Medienrezeption: Thomas lichung. Warum auch soll Mediengeschichte nicht Beutelschmidt und Joseph Hoppe dokumentieren die schnell und aktuell an den interessierten Leser ge­ Konzeption der spektakulären Oberhausener Fern­ bracht werden? sehausstellung; Wolfram Peiser analysiert die Adap­ Ralf Hohlfeld, Eichstätt tionsprozesse, die dafür verantwortlich waren, daß das deutsche Fernsehpublikum nach der Anschaf­ fung eines Fernsehgerätes die Nutzung der anderen Westdeutscher Rundfunk Köln, tagesaktuellen Medien reorganisierte; Hans-Jörg Öffentlichkeitsarbeit (Hrsg.) Stiehler schließlich wirft einen sekundäranalytischen Geschichte und Geschichtchen. Blick auf die spezifische Medienkultur, die durch die Der Westdeutsche Rundfunk Köln. technische Empfangssituation im sogenannten »Tal Köln: Westdeutscher Rundfunk 1997, 100 Seiten. der Ahnungslosen« entstanden war. Im abschließenden Abschnitt führt Erich Schön Welche Rundfunkanstalt präsentiert schon ihre Ge­ die wichtigsten Einzeluntersuchungen zum Bücherle• schichte in einer 100seitigen - im DIN A4-Überformat severhalten zusammen, um aus den Veränderungen -, reich bebilderten und graphisch aufwendig gestalte­ und Kontinuitäten beim Buchlesen synthetisch die ten Broschüre? Der Westdeutsche Rundfunk (WDR) Entwicklungstendenzen abzuleiten. Hans-Bernd Bro­ hat dies im März 1997 getan. Gleich im Vorwort auf sius wägt zwei Rezeptionsmodelle zur Informations­ der Umschlagseite geben die Herausgeber über ihre rezeption gegeneinander ab: Das erste, auf Alfred Vorgehansweise zu Protokoll, daß sie das »strenge Schütz' »gut informiertem Bürger« basierende, ist wissenschaftliche Schema« einer »klar gegliederten« durch große Relevanz der Information für den Rezi­ sowie »Daten und Fakten möglichst vollständig« do­ pienten und eine entsprechende lnvolviertheit ge­ kumentierenden Darstellung »aufbrechen« wollen. ln kennzeichnet. Das zweite geht von geringer Informa­ der Broschüre würden lediglich »Ausschnitte und tionsrelevanz und -qualität sowie einem passiven, Streiflichter« präsentiert und »höchst komplexe Sach­ unbeteiligten Rezipientenbild aus. Plausibel erscheint verhalte journalistisch zusammengefaßt«. Hätten die ihm das Modell der wenig konzentrierten, eher Herausgeber bzw. die Bearbeiter sich doch um eine heuristischen Rezeption von Information, das mit den klarere Gliederung bemüht, man legte das Werk nach modernen Theorien der Medienwirkungen korrespon­ der Lektüre weniger mit einem Gefühl des Unbeha­ diere. Den Abschluß der Anthologie bildet die gens aus der Hand. Verschriftlichung der Podiumsdiskussion, in deren Es gibt viele, gut begründete Bedenken und Ein­ Verlauf vor allem die mangelhafte Nutzung der von wände gegen eine unilineare Betrachtung des Korn­ kommerziellen Instituten erhobenen Daten für die munikationsprozesses und damit auch der Rundfunk­ Rezeptionsgeschichte, der Mangel an Definitionen geschichte in der wissenschaftlichen Analyse, getreu und eine relative Theoriearmut kritisiert werden. dem Schema: vom Sender zum Hörer bzw. Zuschau­ Ein stabiler Brückenschlag zwischen empirischer er, von der Rundfunkpolitik über die Institutionenge­ Sozialforschung und Geschichtsforschung, den die schichte zur Programmproduktion und schließlich Organisatoren der Tagung beabsichtigt haben, bedarf zum Nutzer. ln einer eher populär gehaltenen histori­ sicher einer derartigen theoretischen Unterfütterung. schen Darstellung aus der Perspektive des Rundfun­ Jedenfalls dann, wenn man sich nicht auf methodo­ kunternehmens - und diesen Standpunkt wird eine logische Feinmechanik beschränken will und statt auch unter PR-Gesichtspunkten erstellte und verbrei­ dessen die komplexen gesellschaftlichen Wechsel­ tete Publikation einnehmen - macht sie einen den wirkungen zwischen Medienangebot, -nutzung, -be­ Problemen des Rundfunks ferner stehenden Leser wertung und -wirkung ins Visier nimmt. Um aber zu das Geschehen durchsichtiger. Leider haben die wissen, ob man im Kontext fächer- und medienüber• Autoren auf diese Transparenz verzichtet, obwohl es greifender Forschung überhaupt Gleiches mit Glei­ dann innerhalb dieser Darstellungsform geringer Mü• chem vergleicht, muß zuerst ein Konsens über den he bedarf, immer wieder durch Text und Bild zu ver­ Rezeptionsbegriff hergestellt werden. ln diesem Sin­ deutlichen bzw. zu veranschaulichen, welch großen ne sind die Initiative Medienrezeption und ihr erster Einfluß die konkrete Rezeptionssituation, die Hörer• publizistischer Niederschlag sehr begrüßenswert. und Zuschauerbedürfnisse usw. auf das haben, was Ihr in Ansätzen schon im vorliegenden Buch do­ im Hörfunk- oder Fernsehprogramm angeboten wird. kumentierter Wert läßt sich noch erhöhen, wenn Dem kundigen Rundfunkhistoriker sollte es daher ge­ künftig alle zur Rezeption gehörenden Aspekte sy­ lingen, Grundzüge der Rundfunkentwicklung un­ stematisch und vollständig auf alle Medientypen be­ kompliziert und für Laien verständlich zu prä• zogen, wenn individuelle und soziale Rezeptionsbe­ sentieren. Das Impressum der WDR-Publikation nährt dingungen, Bedürfnisse, Erwartungen, Nutzung, Be­ jedoch den Verdacht, daß dessen Einfluß auf Ge­ wertung und Verarbeitung konsequent auf alle Medi­ samtkonzeption und Durchführung relativ bescheiden engattungen angewandt werden. Abseits dessen ist war und Rücksicht auf zweifelhafte Vorstellungen zur ein Kompendium der geschichtlichen Rezeptionsfor­ Popularisierung des Gegenstandes genommen wur­ schung vorgelegt worden, das durch eine ebenso de. Trotz ausführlicher Behandlung einzelner Details kluge wie flächendeckende Zusammenstellung der handelt es sich dann doch häufig um ziemlich zusam­ Beiträge überzeugt. Der in großen Teilen erhalten­ menhanglos und nebeneinander gereihte »Geschicht­ gebliebene Vortragscharakter der Aufsätze wirkt nicht chen«. Rezensionen 181

Konfus wirkt so die Abfolge der einzelnen Kapitel beitet hatten. Damit entfielen auch die sonst üblichen auf den Leser: Warum kommt nach dem ersten Ab­ Rücksichtnahmen. schnitt »Radiofieber«, dessen Titel Aufklärung über Zahlreiche Personen waren offensichtlich an der hohe Erwartungen an das Medium in der ersten Erarbeitung der Broschüre beteiligt. Dieser Umstand Hälfte der 20er Jahre suggeriert, aber nur Informa­ hat nicht zu einer klaren Konzeption und zu einer tionen zur Organisation des Rundfunks durch die kompakten Darstellung geführt. Weniger wäre in vie­ Post und die Anfänge der Wefag bzw. Werag enthält, lerlei Hinsicht mehr gewesen. ein Abschnitt über Sportreportagen? Diese wurden Edgar Lersch, Stuttgart erst einige Jahre nach Programmbeginn »erfunden«. Schwerpunkte der ersten Hörfunkprogramme waren Kultur- und Bildungssendungen, an der Spitze der Ulrike Rödling Beliebtheitsskala stand Unterhaltungsmusik. Auch die »Hallo, hier Freiburg, Welle 577 «. herausgehobene Behandlung des Frauenfunks (von Freiburger Rundfunkgeschichte 1926-1946 Weimar bis in die Gegenwart), der nach einem Kapi­ (= Stadt und Geschichte. Neue Reihe des tel über den Umzug der Wefag von Münster nach Stadtarchivs Freiburg i.Br., H. 17). Köln thematisiert wird, leuchtet ebenso wenig ein wie Freiburg: Schillinger 1997, 60 Seiten. die Entscheidung, den Exponenten des Weimarer Rundfunks in Köln, den Programmleiter und Intendan­ Die Einrichtung von Nebensendern und Bespre­ ten Ernst Hardt, nach der Schilderung der Säuberun• chungsstellen in den Gründerjahren des deutschen gen im Kölner Funkhaus 1933, denen er zum Opfer Rundfunks hatte eine technisch bedingte Ursache, fiel, ausführlich darzustellen. Ähnlich verfährt man bei die anfänglich schwache Leistung der regionalen der Charakterisierung des britischen Chief-Controllers Sendeanlagen, und einen programmpolitischen Hin­ beim Nordwestdeutschen Rundfunk (NDWR) - und tergrund, da das Reichspostministerium auf die For­ damit auch des Kölner Funkhauses -, Hugh Carleton derungen einging, Städte und Regionen, die beim Greene, und seines Engagements gegen den Einfluß Ringen um die Produktionsstandorte, d.h. die Sitze der Parteien im öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Au­ der Sendegesellschaften, unberücksichtigt geblieben ßerhalb der Chronologie wird darauf nach einem Ab­ waren, wenigstens partiell einzubeziehen. Sibylle schnitt über die Trennung des NWDR in Norddeut­ Grube hat für die 1926 eröffneten badischen Bespre­ schen bzw. Westdeutschen Rundfunk 1954 einge­ chungsstellen der Süddeutschen Rundfunk AG gangen. Nach einem Kapitel über »Erste Fernseher­ (Sürag) mit Sitz in Stuttgart und Besprechungsstellen lebnisse«, »Das Halstuch« und einen Abschnitt über in Karlsruhe, Mannheim und Freiburg - letztere Stadt Werner Höfer (unter Würdigung seiner Verdienste erhielt auch einen Nebensender - die rundfunkpoliti­ und auch der Schilderung seines unrühmlichen Ab­ schen Auseinandersetzungen in den Jahren der gangs 1987) wird die Entwicklung nur noch themen­ Weimarer Republik erschöpfend behandelt. Ulrike bezogen und nicht chronologisch angesprochen. An­ Rödling ergänzt diese Darstellung aus Anlaß des gesichts von über 40 Jahren Hörfunk- und Fernseh­ 50jährigen Bestehens des Freiburger Studios des geschichte auch im WDR geht der jeweilige Zusam­ Südwestfunks und zieht dafür besonders Material aus menhang einzelner Phasen der Geschichte der dem Freiburger Stadtarchiv heran. Neben Ergänzun• Rundfunkanstalt, die die Veränderungen in den ein­ gen zur nationalsozialistischen Zeit und einem Blick zelnen Programmsparten besser erklärt, verloren. auf den Wiederbeginn nach dem Zweiten Weltkrieg Alles in allem kann die Broschüre als kaum geeig­ 1945/46 bereichert sie das Bild um Details der Pro­ net zum »Stöbern« angesehen werden, und »Ge­ grammgestaltung und der Empfangsprobleme in Frei­ schichte lebendig« macht sie nur bedingt. Neben dem burg angesichts der noch wenig leistungsfähigen Mangel an Verbindungen zwischen den Einzelkapi­ Sender. Ausführlich zitiert sie in der Freiburger Pres­ teln stört auch die bei aller Finesse des Layouts und se veröffentlichte Hörerreaktionen und die Resonanz der umfangreichen Bebilderung - entgegen den ein­ Freiburger offizieller Stellen auf das Programm der gangs verkündeten Absichten- ihre starke Textlastig­ Sürag sowie der südbadischen Besprechungsstelle keit. Sie enthält - wie versprochen - viele Informatio­ und charakterisiert mit bisher unausgewertetem Ma­ nen gerade zur Rundfunkgeschichte bis zum Zweiten terial deren LeitungspersonaL Weltkrieg, aber viele Texte hätte man prägnanter und Wie häufig in der Geschichtswissenschaft exem­ damit kürzer fassen können. Sprache und Stil der plifiziert auch in der Rundfunkgeschichte das lokale Darstellung sind im übrigen auf subtile Weise PR­ bzw. regionale Detail die übergreifenden Problemstel­ orientiert. Selbstkritische Hinweis auch auf Mißlunge• lungen, bereichert und differenziert sie um die Vor­ nes, zu lange bewahrte Strukturen in Organisation gänge »vor Ort«. Daß die Verfasserin bei dieser Zu­ und Programm, das Versäumen von Chancen und sammenschau einige Schwächen offenbart und ihr Entwicklungen hätten dem Rückblick auf die WDR­ die Verklammerung nicht immer gelingen will, ist zwar Geschichte gut angestanden. Um so deplazierter verständlich, mindert aber den Wert der Darstellung. wirkt der Hinweis, daß die Broschüre nicht versuche, Zutage treten diese Defizite, wenn sie z.B. das Stutt­ »unangenehme Zeitabschnitte >glattzubügeln<«. Über garter Zentralprogramm und die Freiburger Beiträge den Rundfunk im Dritten Reich wird in der rundfunk­ nicht sauber auseinanderhält (S. 25ff.), obwohl gera­ geschichtlichen Literatur offen gesprochen und ge­ de hier der wesentliche Streitpunkt zwischen der stritten. Dies ist auch deshalb um so einfacher, weil Sendegesellschaft und der »Peripherie« lag. Die Be­ durch die Säuberungspolitik der Alliierten die Rund­ schreibung der sogenannten Papenschen Rundfun­ funkanstalten relativ unbelastet waren von Mitarbei­ kreform 1932 (S. 37ff.) offenbart, daß sie die organi­ tern, die mit den Nationalsozialisten zusammengear- satorischen Grundlagen des Rundfunks der Weima­ rer Republik und auch der Mitwirkungsmöglichkeiten 182 Rundfunk und Geschichte 24 (1998)

der Nebenstellen nicht genau verstanden hat. Auch um nur einige aufzuzählen. Gesamturteil: ungenü• kann nicht behauptet werden, daß der nationalsozia­ gend. listische Rundfunk »zu einem Großteil aus Propa­ Edgar Lersch, Stuttgart ganda« bestand (S . 49). ln welchem Zusammenhang der Wiederbeginn der Freiburger Nebenstelle nach 1945 mit dem Programm des Baden-Badener zentra­ Jo Reichertz I Thomas Unterberg (Hrsg.) len Zonensenders, des Südwestfunks, steht, erfährt Tele-Kulturen. dann der Leser nicht mehr. Fernsehen und Gesellschaft. Media-Lectures Edgar Lersch, Stuttgart in der Ausstellung »Der Traum vom Sehen«. Berlin: Edition Triad 1998, 255 Seiten.

Wolfgang Krüger Die großangelegte Fernsehretrospektive »Der Traum Geschichte des deutschen Fernsehens. vom Sehen. Zeitalter der Televisionen« im Gasome­ (= Düsseldorfer Medienwissenschaftliche ter Oberhausen (1997)1 wurde von einer Reihe von Vorträge, Bd. 10). abendlichen Vorträgen begleitet, die das Phänomen Düsseldorf: ZV Zeitungs-Verlag Service 1997, Fernsehen und seine kulturelle und gesellschaftliche 99 Seiten. Bedeutung aus unterschiedlichen Blickwinkeln durch­ leuchteten. Diese - neudeutsch »Media Lectures« Man kann sich kaum vorstellen, daß der Vortrag von betitelten - Vorlesungen liegen nun als Buchpublikati­ Wolfgang Krüger seine Zuhörer gefesselt hat, reiht er on dokumentiert vor. Die Veröffentlichung will nicht doch ziemlich zusammenhanglos Daten der Fernseh­ nur die »Kultur des Fernsehen«, sondern auch die geschichte aneinander. Auf jeden Fall gehört dessen »durch das Fernsehen gestaltete Kultur« genauer be­ veröffentlichte und erweiterte Fassung zu den über• trachten, so die Herausgeber in ihrem Vorwort (S. 9). flüssigsten Publikationen, die mir seit langem in die Ein Ziel, das der Band in fünf Themenkreisen mit je­ Hände fielen. Krüger weiß nichts von den methode­ weils drei bis vier Beiträgen plus einer Wiedergabe logischen und historiegraphischen Problemen der der anschließenden Podiumsdiskussionen erreicht. Programmgeschichte, als die er primär die Fernseh­ Der Themenkreis eins, »Gesellschaftliche Kultur geschichte versteht (S. 7). Ein eigenständiger, origi­ und Fernsehen«, geht den Auswirkungen des Medi­ neller und damit diskussionswürdiger Zugriff auf die ums nach. Der Band vermeidet von vornherein ge­ Geschichte des Fernsehprogramms, mit dem man schickt die Falle, bestimmte Sichtweisen zu favorisie­ eine Veröffentlichung rechtfertigen könnte, liegt sei­ ren. Die Vorlesungen und ergo das vorliegende Buch nem Gang durch die Fernsehgeschichte nicht zu zeigen vielmehr die Vielschichtigkeil auf, die das Grunde, vielmehr hat er sich der »Chronologie als Medium Fernsehen und seine Präsenz in der Gesell­ Ordnungsprinzip verschrieben« (ebd.). Dafür gibt es schaft (und, auf einer individuellen Ebene, ganz kon­ aber die drei medien- bzw. rundfunkgeschichtlichen kret im Wohnzimmer) kennzeichnet. Daß dies wider­ Übersichtswerke (Bleicher, Faulstich und Keller), auf sprüchlich ausfallen kann, ja muß, liegt auf der Hand die er sich im wesentlichen stützt und daraus einen und in der Natur der Sache. eigenen - mit einigen weiteren Lesefrüchten garnier­ Thomas Unterberg macht dies gleich im ersten ten - Aufguß macht, in dem allerdings von »Ordnung« Beitrag deutlich. Er zeichnet Entwicklungslinien der oder Strukturierung nicht die Rede sein kann. ln ein »Medienwirkungsforschung als Spiegel gesellschaft­ und demselben Satz oder Absatz werden z.B., ohne licher Veränderungsprozesse« nach. Der Bogen der daß ein innerer Begründungszusammenhang herge­ Darstellung reicht von Stimulus-Response-Vorstellun­ stellt wird, organisations- und programmgeschichtli­ gen bis zu Schweigespirale und Cultural Studies und che Fakten aufgezählt. Ungeprüft werden die z.T. dient der Einordnung der nachfolgenden Einzelbei­ umstrittenen Wertungen und Kommentierungen der träge. Und genauso, wie kommunikationswissen­ Programmchronik von Bleicher übernommen. Der schaftliche Theorien, Theoreme und Forschungsan­ wißbegierige Leser sollte dann lieber direkt zu diesen sätze Moden unterliegen, verworfen werden, modifi­ Zusammenfassungen greifen, die - das belegen so­ ziert wiederkehren, mit scheinbar gegenläufigen gar Krügers Mißverständnisse bzw. sein Unver­ Sichtweisen fürderhin koexistieren, so will auch die­ ständnis mancher Eintragungen - nicht unbedingt da­ ser Dokumentationsband nicht bloß eine einzige Per­ zu geeignet sind, dem weniger Kundigen eine Einfüh• spektive fokussieren. rung in die Fernsehgeschichte zu vermitteln, vielmehr Ob das Fernsehen mit seiner direkten Ansprache als Nachschlagewerk dem Kundigen ein chronologi­ des Zuschauers den Menschen die Augen öffnet oder sches Gerüst -wenn überhaupt- bieten können. ob die Artefakte der Bewußtseinsindustrie dem Pro­ Im Literaturverzeichnis fehlen - man glaubt es jekt der Antiaufklärung dienen - die Wahrheit, so kaum - Standardwerke zur Rundfunk- und Fernseh­ Dietrich Leder, liege dazwischen. Er zeigt auf, was geschichte, so Klaus Winker über das Fernsehen im geschah, »als das Fernsehen in die Wohnzimmer Dritten Reich, Hans Bausch (Rundfunkpolitik nach kam« - unter besonderer schalkhafter Berücksichti• dem Zweiten Weltkrieg), die fünfbändige Programm­ gung des heimlichen Adorno-Schülers und Medien­ geschichte des Fernsehens, herausgegeben vom philosophen Lothar Matthäus und dessen innovativen Sonderforschungsbereich 240 in Siegen, wichtige Diary-Verfahren (S. 40).2 Norbert Bolz formuliert Veröffentlichungen von Knut Hickethier (z.B. die Adornos Vorstellung vom Eskapismus neu, indem er Fernsehspielgeschichte, sein Aufsatz über die Ent­ das Medium in seiner Rolle als Leit- und Leidmedium wicklung der Programmstruktur) oder die Arbeit von sieht: »Das Fernsehen nimmt sich des >Menschen< Rüdiger Steinmetz über die Freie Fernsehen GmbH, an, den die Gesellschaft aus sich ausgeschlossen hat. (... ) Es leistet konkrete Lebenshilfe bei der Flucht Rezensionen 183 aus der Komplexität« (S . 44). Ein Folgebeitrag, Themenkreis des Buches, »Interaktives Fernsehen«, »Journalismus zwischen Wahrheit und Ware« von lockt wohl die meisten Fragezeichen an. »Was tun lnge von Bönninghausen, gibt hierzu weitere Aus­ mit interaktivem Fernsehen?« fragt Franz Stollenwerk kunft. zurecht. Unter Ausnutzung seiner Selektions-, Steue­ Der zweite Themenkreis, »Kidz 'n' Crime«, geht rungs- und Dialogoptionen könnte interaktives Fern­ dem besonderen Verhältnis von Kindern und Fern­ sehen durchaus eine Chance für neue, kreativere, sehrezeption nach. Dieter Czaja plädiert in seinem bessere Programmformen darstellen. Wenn es denn Vortrag zu »Fernsehen und Gewaltbereitschaft« en­ gewünscht und gebraucht würde, wie Josef Schäfer gagiert dafür, die Kriterien der Beurteilung von Ge­ skeptisch erwidert. Denn »Fernsehen ist primär - waltdarstellungen stets am konkreten Filmbeispiel nicht anders als Radio - ein Verteildienst«. Und daran festzulegen. Eine »pauschale Ablehnung« von Ge­ werde sich in Anbetracht der wirtschaftlichen (Finan­ waltdarstellung mache zumindest aus der Sicht des zierung, Bezahlbarkeit) und gegenwärtigen techni­ Jugendschutzes »keinen Sinn« (S. 74). Ergänzend schen Bedingungen (zu geringe Übertragungskapazi• legt Jo Reichertz eine differenzierte Analyse der von täten) auch nichts ändern. »Das in dieser Form in den RTL ausgestrahlten Actionserie »Power Rangers« letzten Jahren diskutierte, interaktive Fernsehen ist vor. Ihm kommt es darauf an, daß Medienanalysen so tot wie ein platter Hase auf der Autobahn - und es vor jeglichem bewertenden Urteil nicht nur den wird auch nicht wieder lebendig werden«, so lautet Handlungsbogen, sondern auch den Erzählrahmen Schäfers Absage an das vermeintliche Medium der ermitteln, in dem Gewalthandlungen eingebunden Zukunft (S . 154). Mystifizierend ist in diesem Zusam­ werden. »Fernsehbilder sind (. ..) nicht dafür verant­ menhang ein Druckfehler, der den Leser rätseln läßt, wortlich, daß Gewalt ausgeübt wird, sondern in wel­ ob das Fernsehen »eine sozusagen >Gott gegebene cher Form« (S. 85). Bei den »Power Rangers«, so Institution«< (S. 157) ist oder nicht vielleicht doch eher Reichertz' Fazit, sei Gewalt letztlich nur statthaft, von vielen Rezipienten als gottgegeben hingenom­ wenn sie dazu diente, mit der Kleingruppe der han­ men wird. Eine Anregung zur theologischen Exegese delnden Figuren Schaden von der eigenen Welt ab­ allemal. zuwenden. Insofern könnten die »Power Rangers« Der fünfte und letzte Themenkreis bietet Schlüs• als ein »sinnvolles Errettungsmärchen« für Kinder der selfiguren aus Medienpolitik und -Wirtschaft Gelegen­ 90er Jahre begriffen werden. heit, zur »Zukunft der Medien - Medien der Zukunft« Die Diskussionsrunde faßt abschließend den ge­ Position zu beziehen. Wolfgang Clement, seinerzeit genwärtigen Stand der Forschung zum Thema »Bild­ noch Wirtschaftsminister von Nordrhein-Westfalen, schirmgewalt und Kinder« zusammen: »Gewisse stellt fest: »Pay-TV ist in Zukunft nur digital denkbar. mediale Gewaltdarstellungen können auf gewisse Analoges Pay-TV wird schon bald der Vergangenheit Kinder und Jugendliche in gewissen Situationen ge­ angehören« (S. 186). Norbert Schneider, Direktor der wisse Wirkungen haben« (S . 11 0). Ja, so komplex ist Düsseldorfer Landesanstalt für Rundfunk, meint: das, gewiß. Die Frage ist: Kann man mit einem solch »Regulierung ist eine Basisaktivität der Gesellschaft, schwammigen, wenn auch treffenden Ergebnis in der ein Stück praktischer Medienpolitik« (S . 189). Helmut Öffentlichkeit für eine Disziplin wie Medien- oder Thoma, Geschäftsführer von RTL, schreibt: »Ein Kommunikationswissenschaft werben? Hier doku­ Sender, der tagtäglich auf ein Millionenpublikum an­ mentiert das Buch einerseits eine mögliche Angriffs­ gewiesen ist, wird sich immer am gesellschaftlichen fläche, zeigt andererseits aber auf, was in manch Grundkonsens und den damit verbundenen Werten aufgeregter Debatte nötig wäre: ein gelassener und orientieren« (S . 194). Die von diesen und weiteren differenzierter Blick jenseits von normativ geleiteten Themen angestoßene Diskussion gehört mit zu den Behauptungen. lesenswertesten Teilen des Buches. Gerne wäre der Themenkreis drei widmet sich dem »beobachte­ Leser dabei gewesen, als Moderatorin Gisela Marx ten Zuschauer«. Thomas Windgasse (WDR) und Herrn Schneider das erste Mal nicken sah, wenn Herr Birgit Guth (Super RTL) schildern sachlich, systema­ Clement etwas sagte (S. 221). Aber glücklicherweise tisch und konzis die Abläufe und Verwertungszu­ ist ja alles dokumentiert. sammenhänge von Medienforschung im öffentlich• Oliver Lubrichs Nachwort in Form eines sehr re­ rechtlichen bzw. kommerziellen Rundfunk - nützliche flektierten Rundganges über die Oberhausener Aus­ Einführungen in die »Macht der Quote«. Ergänzend stellung ist das Sahnehäubchen dieses Bandes, der liefert Ulrich Spies Argumente wider die Verflachung alles in allem die gelungene akademische Ergänzun~ der Fernsehinhalte. Es gelte sich zu entscheiden zwi­ zum eher populär gehaltenen Katalog bereithält. schen Qualitätsfernsehen oder »Trash TV<<: Schluß »Tele-Kulturen« bietet einen sehr brauchbaren müsse sein mit der »vervielfachten Versendung des Überblick über den Stand der Fernsehforschung und immer Gleichen«, das nicht- wie einst versprochen­ -diskussion von Ende 1997. Gut, daß das (übrigens größere Vielfalt, »sondern in Wahrheit mehr Einfalt auch typographisch sehr schön und originell gestalte­ bietet« (S . 140). Ebenfalls keine neue Erkenntnis, te) Buch noch vor der Entscheidung der Europäi• aber in der hitzigen Debatte um technische Möglich• schen Kommission zum digitalen Fernsehen in keiten am Ende des 20. Jahrhunderts wird der ln­ Deutschland vom Mai 1998 erschienen ist, das man­ haltsaspekt der Programme gerne vernachlässigt. ches Statement inzwischen zur Makulatur hat werden Die schöne neue Welt der 500 TV-Kanäle klingt lassen. Zumindest ist das Fernsehen das schnellere verlockend, doch wie soll der Zuschauer mit ihnen Medium. umgehen? Ist »lnteraktivität« die Lösung? Sollte je­ Oliver Zöllner, Köln der nicht nur für 15 Minuten ein Star sein (wie es die zahllosen Talkshows bereits vormachen), sondern auch »sein eigener Programmdirektor«? Der vierte 184 Rundfunk und Geschichte 24 (1998)

Vgl. RuG Jg. 23 (1997), H. 2/3, S. 149ft. - 1998 Auskunft geben und auf »Diskussionen in der Fach­ erfuhr die Ausstellung eine überarbeitete Neuauf­ publizistik (... ) [, die] auf zentrale Probleme des Fern­ lage. sehens aufmerksam machen.« (S. 17). Nach einer Einleitung über die »Historische Veränderung der 2 Vgl. Lothar Matthäus: Mein Tagebuch. Hrsg. von Programmkonzeptionen und Programmdiskussion um Ulrich Kühne-Hellmesserund Tom Sender. Berlin das bundesdeutsche (!) Fernsehen« teilt sie die 1997. Quellensammlung in sieben Teile, jetzt aber begin­ 3 Vgl. RuG Jg. 23 (1997), H. 4, S. 255f. nend mit dem Fernsehen im Dritten Reich (1.) und dann fortschreitend für die 50er (II.), 60er (111.), 70er (IV.) und 80er (V.) Jahre. Es folgen Programmkon­ Joan Kristin Bleicher {Hrsg.) zeptionen der kommerziellen Anbieter (VI.) sowie Fernsehprogramme in Deutschland. »Prognosen zur Programmentwicklung« in den 90er Konzeptionen, Diskussionen, Kritik (1935-1993). Jahren (VII.). ln der Regel sind die meist in den so­ Ein Reader. genannten Fachkorrespondenzen und den Fachzeit­ Opladen: Westdeutscher Verlag 1996, 228 Seiten. schriften abgedruckten Texte stark gekürzt. Häufig sind nur ein oder zwei Absätze wiedergegeben, die Es gibt viele Gründe, Textsammlungen herauszuge­ quasi als Belegstelle dafür anzusehen sind, was die ben, da sie unterschiedlichen Zwecken dienen. Häu• Herausgeberio in ihrer Einleitung als Gang der Ent­ fig machen sie zentrale, oft nachgefragte aber unver­ wicklung des Fernsehens beschrieben hat. Manche öffentlichte Materialien (z.B. Archivalien) oder schwer Texte sind überflüssig, weil sie ein Ereignis- z.B. die zugängliche bzw. verstreut publizierte Texte für einen Übertragung der Mondlandung im Sommer 1969 - mit breiteren Nutzer- und Leserkreis erreichbar. Somit einem Text belegen, der aber für die Fernsehentwick­ erleichtert die einfachere Zugänglichkeit wichtiger lung bzw. die konzeptionellen Vorstellungen wenig Grundlagentexte den wissenschaftlichen oder öffent• hergibt. lichen Diskurs über Sachtragen oder schlichtweg jede ln dieser Art der Auswahl und der Kürzung liegt Form von Unterricht. Der Reiz in der Herausgabe einer der Nachteile begründet, die den Wert des kann jedoch auch darin liegen, durch die kompakte Readers mindern. Bei einer derartigen Vergehens­ Zusammenfassung und spezifische Perspektivierung weise ist es, ganz vordergründig und praktisch be­ von meist nur isoliert genutzten Texten neue Einsich­ trachtet, notwendig, Einleitung und Textsammlung ten in Zusammenhänge zu vermitteln. stärker miteinander zu verzahnen, d.h. einmal dort Wenn ein vollständiges Textcorpus zu einer The­ Hinweise auf die Belegstellen hier zu geben (etwa in matik nicht veröffentlicht werden kann - was vielfach Form einer Durchnumerierung). Darüber hinaus hätte der Fall sein dürfte-, muß es bei der Auswahl gelin­ die Gliederung der Einleitung in den Zwischenüber• gen, sich auf Schlüsseltexte zu beschränken, die sich schriften und Unterkapiteln wieder aufgenommen um zentrale Ereignisse gruppieren. Sind umfangrei­ werden müssen. Hier gibt es jedoch keine oder zu che Materialien vorhanden, die langfristige Entwick­ wenig Kongruenz, so daß ein ewiges, z.T. aber erfolg­ lungen dokumentieren, sollten Texte ausgewählt loses Hin- und Hergeblättere zwischen Einleitung und werden, die hohe Repräsentativität besitzen sowie Texten einsetzt. verdichtet anschaulich den Gang der Dinge wider­ Ein weiteres: Wenn schon die Herausgeberio ent­ spiegeln. sprechend ihrem Auswahlprinzip die öffentliche De­ Nun ist es in jedem Fall verdienstvoll, neben den batte um das Fernsehen dokumentieren und als in zahlreichen Sammlungen publizierten Texten zur Manifestation für die Dynamik der Fortentwicklung Rechts- und Organisationsgeschichte des Rundfunks des Fernsehsystems gesehen haben möchte, dann (d.h. in der Regel die Rundfunkgesetze und rundfunk­ müßten in der Einleitung die Diskussionskontexte und rechtlichen Schlüsseltexte wie Verfassungsgerichts­ nicht nur die Fernsehentwicklung präziser herausge­ urteile etc.) auch Materialien zur Programmgeschich­ arbeitet werden. Die Relevanz der einzelnen Texte te zu präsentieren. Sieht man einmal von der Pro­ für die Veränderungen im Fernsehsystem kann man blematik der Edition repräsentativer Programmbei­ sich nicht klar vor Augen führen, zumal selten erläu• spiele ab, fragt es sich, in welchen zentralen Texten tert wird, wo echte, aufeinander bezogene Kontrover­ die Dynamik und die Wirkungszusammenhänge der sen stattfanden, Diskussionslinien verliefen, wieder programmgeschichtlichen Entwicklung sich wider­ abbrachen, mit welchen Interessenhintergründen sie spiegeln könnten, und hier sind in der Tat konzeptio­ geführt wurden, und des weiteren, wer die Autoren "· nelle Überlegungen und die öffentliche Diskussion waren, d.h. welche Verbindungslinien z.B. zwischen darüber ein wichtiger Ansatzpunkt. Ob Bleichars Be­ den Rundfunkpublizisten und den Rundfunkanstalten schränkung auf das Fernsehen bei der engen Ver­ bestanden, wie die zahlreichen öffentlichen Äußerun• zahnung von Programmgrundsätzen für Hörfunk und gen der Fernsehpioniere bzw. der Hierarchen des Fernsehen im öffentlich-rechtlichen Rundfunk und der Programmbetriebs zu bewerten sind. Warum vertre­ dadurch beeinflußten Programmpolitik in jedem Falle ten die sich über das Fernsehen äußernden Gerhard günstig ist, kann diskutiert werden, sie ist zweifellos Eckert, Kurt Wagenführ, Emil Dovifat und Heinz legitim. Schwitzke u.a. (über ihre Berufsbezeichnung hinaus) Bleicher wählt als ein Auswahlkriterium, nur veröf• ihre jeweiligen Positionen? ln welcher spezifischen fentlichte Texte in ihre Sammlung aufzunehmen, und Weise argumentieren die Vertreter der Rundfunkan­ zwar solche, die »über grundlegende konzeptionelle stalten Hans Abich, Dieter Stolte und Dietrich Leitlinien der Programmgestaltung (... ) sowie Vorstel­ Schwarzkopf? Hinzu kommt, daß auch in früheren lungen von der allgemeinen Funktion des Mediums« Jahrzehnten in der Fachpublizistik und auf den ge­ genwärtig inflationär angebotenen sogenannten Me- Rezensionen 185 dienforen und vergleichbaren Veranstaltungen viel zugunsten der Rezeption westlicher Fernsehsender Hehres wie Unverbindliches, sehr viel thesenhaft Zu­ abgewandt hatten, nach den Planungsvorgaben der gespitztes, aber nicht so ernst Gemeintes zum Fern­ FDJ-Kultur- und Medienfunktionäre wieder an die sehen geäußert wird. Von der Herausgeberin wird der Partei und ihre Jugendorganisation binden helfen. Leser aber nicht aufgeklärt, welchen Einfluß ihre Der Verfasser stellt in seiner Arbeit anschaulich ausgewählten Texte auf die wirklich relevanten De­ dar, wie sich die Sendung - trotz der Programmvor­ batten hatten und in welchem Zusammenhang sie mit gabe eines »sozialistischen Infotainments« - im den anstaltsinternen Auseinandersetzungen bzw. den Herbst 1989 zum medialen Schrittmacher der Wende Entscheidungsprozeduren standen. Da der gesamte in der DDR entwickelte. Dabei stehen der Funktions­ Argumentationsgang der Texte durch die Kürzung wandel im Zuge der Wiedervereinigung und der Ver­ nach dem Belegstellenprinzip in der Regel nicht ver­ such, die Nachfolgesendung »Saturday« im gesamt­ fügbar ist, fehlt eine weitere Möglichkeit, sich über deutschen Fernsehmarkt zu etablieren, im Zentrum diesen Weg den Diskussionskontext der jeweiligen der Untersuchung. Theoretisch stützt sich der Autor Äußerungen wenigstens fragmentarisch zu erschlie­ auf eine medienphilologische Gattungsdefinition, der ßen. So halte ich den Aufbau einer Kontroverse um zufolge das Magazinformat als eine historisch, medial den stärkeren Unterhaltungsakzent des ZDF für eine und konzeptionell flexible Sendeform zu beschreiben von der Herausgeberin weitgehend konstruierte De­ ist. Die Anlage der Arbeit gründet vornehmlich auf der batte. Die Diskussion um »Ausgewogenheit« und das Auswertung von Sendemanuskripten, Fernsehkriti­ sogenannte »Hammerschmidt - Papier« hätte der ken, Presse- und Archivmaterialien sowie exemplari­ Vertiefung bedurft, und die angebliche Diskussion um schen Produktanalysen und Interviews mit »Elf 99«­ die Zukunftsstrategie Ende der 70er Jahre entpuppt >Machern<. (Die Interviews sind im Anhang dokumen­ sich bei näherem Hinsehen als die Unfähigkeit der tiert.) öffentlich-rechtlichen Anstalten, das Undenkbare - die Zunächst gibt der Autor einen Überblick über privatkommerzielle Konkurrenz - zu denken. Entstehung und Genese der Gattungsform Magazin Eine schlichte Katastrophe ist das am Schluß ab­ und diskutiert die generelle Problematik der Zielgrup­ gedruckte Personenverzeichnis. Als Kriterium der penprojektion bei der Konzeption und Erstellung von Auswahl von beruflichen Daten - auf Lebensdaten Programmangeboten für Jugendliche. Daraufhin re­ wird gänzlich verzichtet - dürfte in der Regel deren kapituliert er die Entwicklungsgeschichte der Kinder­ Erreichbarkeit mit einem Minimum an Aufwand ge­ und Jugendmagazine im Fernsehen der DDR, die standen haben: Es fehlen jeweils viele wichtige be­ von einem permanenten Ringen um die jugendliche rufliche Stationen, die allgemein bekannt sind (z.B. Zielgruppe gekennzeichnet war. Etliche Sendereihen bei Pleister) bzw. leicht zu recherchieren gewesen wurden aufgrund mangelnder Akzeptanz schon nach wären. Auch die Abfolge hätte, ohne daß größerer wenigen Ausgaben wieder aus dem Programm ge­ Aufwand entstanden wäre, eine gewisse Vereinheitli­ nommen und durch neue Konzepte ersetzt. chung verdient: So gehen frühere und spätere beruf­ Sodann unterzieht der Verfasser die programma­ liche Stationen ziemlich durcheinander. Hinweise wie tische Konzeption und Entwicklungsgeschichte des bei Hans Abich: »Rundfunkintendant bis 1928«(!) und Magazins »Elf 99« einer medienhistorischen Analyse. bei Helmut Jedele: »Intendant des Südwestfunks« Dabei geht er zum einen auf das Sendungskonzept sind hoffentlich nur auf die Tücken der Textverarbei­ und die programmatischen Vorgaben seitens der tung (z.B. als nicht gelöschte Notate) bzw. auf un­ Verantwortlichen des Fernsehens ein, zum anderen aufmerksames Korrekturlesen zurückzuführen. beschreibt er die Produktionsbedingungen und die Edgar Lersch, Stuttgart personelle Besetzung des Magazins in der soge­ nannten Vor-Wendezeit. Anschließend betrachtet er die mediale Rolle von Dirk Ziegert »Elf 99« bei der Wende in der DDR im Herbst 1989 Jugendfernsehen auf dem Weg vom und kommt zu dem Ergebnis, daß sich das Jugend­ Infotainment zum lnfomercial. magazin »während der >heißen Phase< der >Wende< Die Magazine »Elf 99« und »Saturday« zwischen zu einem wesentlichen Protagonisten der kritischen Wende und Wiedervereinigung. Berichterstattung in der DDR entwickelte« und vor­ Wiesbaden: Deutscher Universitäts-Verlag 1997, führte, »daß auch in den Strukturen des DFF ein 318 Seiten. >lebensverbundenes Fernsehen< möglich war«. Auch in der Nach-Wendephase habe »Elf 99« versucht, Erstmals befaßt sich eine an der Universität Siegen über ein »eigenes agenda setting unbequeme politi­ entstandene Dissertation ausführlich und kenntnis­ sche und soziale Themen und Fragen aufzugreifen« reich mit der Jugendsendung »Elf 99« des Fernse­ und sei somit seinem Anspruch treu geblieben, mit hens der DDR I Deutschen Fernsehfunks (DFF). Am investigativ-kritischem Journalismus Mißstände auf­ 1. September 1989 startete, mit immensem Aufwand zudecken. Erst mit der Übernahme in das Umfeld beworben und von der DDR-Führung mit mehrsteili­ kommerzieller Programmanbieter veränderte sich gem Millionenetat und modernster Technik ausgestat­ sowohl das Format wie der inhaltliche Anspruch des tet, die Sendung als Jugendnachmittag mit magazi­ Magazins. Im Programm von RTL - der Sender hatte nartiger Struktur im zweiten Programm des DDR­ das Magazin nach der Abwicklung des DFF Anfang Fernsehens. »Elf 99« sollte als zweistündiges Ju­ 1992 übernommen - tendierte das Medienprodukt gendnachmittagsprogramm mit Infotainment-An­ stärker als zuvor in Richtung Infotainment. Der spruch bestehende Jugendsendungen des DDR­ Wechsel von RTL zu dem Kölner Privatsender VOX Fernsehens integrieren und die DDR-Jugendlichen, im September 1993 bescherte »Elf 99« letztlich das die sich zunehmend von den DDR-Medienangeboten Aus; das Profil des Magazins entsprach nicht mehr 186 Rundfunk und Geschichte 24 (1998) den Zuschauererwartungen. Der teilweise Verzicht biographischen Bericht gewonnen werden, nämlich: auf einen kritisch-engagierten Journalismus und die Alexander von Hoffmann, Kurt Koszyk, Helmut Kreu­ Orientierung am infotainment approach habe das zer, Gerhard Maletzke, Elisabeth Noelle-Neumann, vormals spezifische Sendungsprofil verwischt. Joachim Pötschke, Harry Pross, Otto B. Roegele, Bevor der Verfasser im abschließenden Kapitel Franz Renneberger und nicht zuletzt Hertha Sturm. die Endphase des Magazins näher beleuchtet, wid­ Aus ihrer Sicht heraus zeichnen die oftmals met er sich den spezifischen Präsentationsformen der »schulbildenden« Koryphäen, die sich nunmehr im Sendung, erläutert ansatzweise die Codes der In­ akademischen (Un-)Ruhestand befinden, (selbst)kri­ szenierung (Moderation, Studio, Logos und Trailer), tisch die Entwicklung der Kommunikationswissen­ geht auf die Ästhetik der Filme ein und beschreibt schaft von den frühen 60er bis in die 90er Jahre hi­ kursorisch das Beitragsspektrum von »Elf 99«. nein nach. Sie schildern, wie sich das Fach im Laufe Am Beispiel der Nachfolgesendung »saturday« der Zeit nach unterschiedlichen Forschungsgebieten, zeigt Dirk Ziegert schließlich auf, wie eine vormals Theorie- und Methodenansätzen ausdifferenzierte. erfolgreiche Sendung mit dem programmatischen Die Bandbreite reicht von der empirischen Sozial­ Verzicht auf publizistische Formen der Vermittlung und Wirkungsforschung über die journalistische Aus­ zugunsten von Präsentationsformen in der Grauzone und Fortbildung bis hin zur Mediengeschichte und - zwischen Infotainment und lnfomercial und der An­ ästhetik. Das vielfältige Engagement jener Wissen­ passung an bereits vorhandene Formate (»Bravo schaftler(innen)generation verlieh der am Boden lie­ TV«) ihre Marktchancen verspielte und ihr frühzei• genden und gering geschätzten Publizistikwissen­ tiges Ende besiegelte. schaft im zweiten Nachkriegsjahrzehnt zunächst ei­ Insgesamt handelt es sich um eine sicher argu­ nen bescheidenen, später unter dem Oberbegriff mentierende Arbeit, die durch eine umsichtige Analy­ »Kommunikationswissenschaft« einen merklichen se ihres Gegenstandes nicht nur den am DDR­ Auftrieb. Einige Fachvertreter(innen) verfolgen den Fernsehen Interessierten überzeugen wird. weiteren Fortgang der Disziplin und ihrer Gegen­ Anja Kreutz, Gotha standshereiche mit Sorge. Sie warnen eindringlich vor einer zu engen technischen und/oder wirtschaftli­ chen Ausrichtung von Theorie und Praxis. Dabei re­ Arnuf Kutsch I Horst Pöttker (Hrsg.) gen sie an, die geistes- und kulturwissenschaftlichen Kommunikationswissenschaft­ Wurzeln des Faches und deren Möglichkeiten autobiographisch. (wieder) stärker in die Forschung und Vermittlung Zur Entwicklung einer Wissenschaft in Deutschland miteinzubeziehen. (=Publizistik- Sonderheft 1/1997). Es herrscht wohl weithin Einverständis darüber, Opladen: Westdeutscher Verlag 1997, 263 Seiten. daß die hier zu Wort kommenden Nestoren die ge­ genwärtige Kommunikationswissenschaft nachhaltig Allen Unkenrufen, vor allem in der Vergangenheit, durch ihre Aktivitäten in der Forschung und Lehre zum Trotz hat sich in Deutschland eine, wenn auch in sowie in der Wissenschaftspolitik und -Organisation so mancher Hinsicht heterogene Kommunikations­ mitgeprägt und bereichert haben. Von dem hohen wissenschaft - nicht wenige bevorzugen andere Anspruch des Sammelbandes her gesehen, zeitigt Fachbezeichnungen- ausbilden können. Als ein Indiz die Zusammenstellung jedoch auch weiße Flecken: dafür gilt der anhaltende Erfolg der renommierten So fehlen Äußerungen verstorbener Autoritäten - was Vierteljahresschrift für Kommunikationsforschung, Kutsch und Pöttker ausdrücklich einräumen -, bei­ »Publizistik«, die bereits im 43. Jahrgang erscheint. spielsweise von Emil Dovifat, Fritz Eberhard, Elisa­ Das erste Sonderheft seit ihrem Bestehen ist dem beth Löckenhoff und Hendricus Johannes Prakke für Thema »Kommunikationswissenschaft - autobiogra­ West- bzw. von Hermann Budzislawski u.a. für Ost­ phisch« gewidmet. Worum geht es in dieser, auf den deutschland. Die um einen Beitrag gebetenen ein­ ersten Blick etwas kryptisch anmutenden Aufsatz­ flußreichen Fachvertreter Emil Dusiska, Wilmont sammlung? Haacke und Alphons Silbermann konnten oder woll­ Der gemeinsamen »Einführung« der Herausge­ ten sich, aus welchen Gründen auch immer, auf keine ber, der Kommunikationswissenschaftler Arnulf Stellungnahme einlassen. Kutsch (Leipzig) und Horst Pöttker (Dortmund), sind Von diesen Desiderata abgesehen, handelt es die entscheidenden Hinweise zu entnehmen: Dem­ sich bei der Aufsatzsammlung nicht um ein Ensemble nach besteht die vornehmliehe Absicht darin, durch vereinzelter, für sich zu betrachtender autobiographi­ autobiographische Beiträge das Hauptaugenmerk auf scher Berichte, sondern sie gewinnen ihre Bedeutung die verschiedenen fachlichen Ausgangspunkte der erst im gesellschaftlichen Kontext. Die Fachvertre­ Kommunikationswissenschaft zu lenken und die per­ ter(innen) haben mit dazu beigetragen, die Kommuni­ sönlichen Anteile ihrer Altmeister(innen) an der Be­ kationswissenschaft konsequenter als zuvor für gründung dieser sich schnell entwickelnden Wissen­ transdisziplinäre Diskurse zu öffnen. Die Beiträge er­ schaft aufzuzeigen. Als eine besondere Schwierigkeit übrigen sicherlich keine historisch-systematische nimmt sich die Auswahl des >richtigen< Autor(inn)en­ Aufarbeitung dieser Disziplin in Deutschland. Dieser kreises aus. Zwei Kriterien seien, so die Herausge­ Anspruch wird auch nicht erhoben. Dennoch stehen ber, ausschlaggebend gewesen: ln der Aufsatzsamm­ mit den vorliegenden Äußerungen der zehn Wissen­ lung sollten - vor allem mit Blick auf die alte Bundes­ schaftler(innen) unerläßliche Bausteine für eine um­ republik - möglichst sämtliche Urspünge bzw. Schat­ fassendere Bestandsaufnahme zur Verfügung. Dar­ tierungen dieser Wissenschaft in persona vertreten über hinaus unterbreiten sie Vorschläge, Hinweise sein. Nach dieser Maßgabe konnten zehn Fachgrö• und Ratschläge - dem Vermächtnis einer Generation ßen (der Jahrgänge 1913 bis 1929) für einen auto- gleich -, welche die Kommunikationswissenschaft an Rezensionen 187 der Schwelle zu einem neuen Zeitensprung beden­ drücke von Rechtsextremismus-Darstellungen in di­ ken möge. versen Genres und Sujets. Ferner bieten die berück• Christian Filk, Köln sichtigten Exempla beste Voraussetzungen zur medi­ enanalytischen sowie -kritischen Reflexion von An­ sätzen der Fernsehberichterstattung, filmischen Do­ Adolf-Grimme-lnstitut (Hrsg.) kumentation, Spielfilm- und Spotästhetik sowie -dra­ Medienpaket »Rechtsradikalismus maturgie. Jedem Videoband ist eigens eine brauch­ und Fernsehen«. bare Broschüre beigelegt, die kontextuelle, analyti­ Mari: Adolf-Grimme-lnstitut 1996. sche und didaktische Hinweise zum jeweiligen The­ ma zur Verfügung stellt. Im Jahre 1996 legte das Adolf-Grimme-lnstitut (AGI) Das Tape »Berichterstattung über die Rostocker in Mari, getragen vom Deutschen Volkshochschui­ Pogrome -August 1992« (Materialien IV; 9 Minuten) Verband e.V., das Medienpaket »Rechtsradikalismus hat markante Ausschnitte aus drei Fernsehproduktio­ und Fernsehen« vor. Dieses - in vielen Belangen nen (RTL, ZDF, ARD) zu diesen erschütternden richtungweisende - Unternehmen resultiert aus einem fremdenfeindlichen Aggressionen zum Gegenstand. Projekt der Marler Medienforscher, das vom Bun­ Die ausgewählten TV-Sequenzen veranschaulichen, desministerium für Bildung, Wissenschaft, Forschung daß durch Anwendung bestimmter Präsentations• und Technologie unterstützt wurde. Das gesamte codes unterschiedlich akzentuierte AV-Bilder zur La­ Medien- und Produktkonzept setzt sich aus neun ge von Asylbewerbern und Anwohnern in Rosteck­ Materialien - zwei Themenheften, einem Buch sowie Lichtenhagen erzeugt werden. Das Video »Berichter­ einer sechtsteiligen Videoedition - zusammen. stattung über Rechte Gewalt« (Materialien V; 37 Mi­ Die aus drei Teilen bestehenden Printmedien des nuten) bringt vier Beiträge aus politischen Fernseh­ Paktes bieten Analysen, Dokumentationen und Eva­ magazinen öffentlich-rechtlicher sowie privatwirt­ luationen zum Themenkomplex Gesellschaft - schaftlicher Programmveranstalter (ARD, ZDF, RTL, Rechtsextremismus - Medien. Sie ermöglichen, je SAT.1 ). Diese Beispiele beschäftigen sich mit nach Rahmenbedingung, Einsatzgebiet, Erkenntnisin­ Aspekten des Entstehens und Umsichgreifens von teresse sowie Lernziel, einführende, vertiefende und/ Rechtsextremismus und lassen kritische Zuschaue­ oder ergänzende Auseinandersetzungen mit Ausprä• rinnen und Zuschauer nach dem bewußten und an­ gungen des Rechtsradikalismus, Rassismus und An­ gemessenen Einsatz von dokumentarisch-informato­ tisemitismus in Deutschland. Ein Hauptaugenmerk rischen Stilmitteln im Fernsehen sowie deren Folgen richtet sich auf die verschiedenen Funktionen der öf• und Konsequenzen fragen. fentlichen Auslegung durch Medien, insbesondere Die Kassette »Medien gegen Rassismus« (Materi­ durch das Fernsehen, dem nach wie vor die Rolle alien VI; 7 Minuten) bietet fünf kurze Spots der des gesellschaftlichen Leitmediums zugeschrieben gleichnamigen medien- und senderübergreifenden wird. Initiative »Medien gegen Rassismus«, womit sich Das Themenbändchen »Chaos, Randale, Rechts­ viele Prominente solidarisch erklärten. Diese Exem­ rock« (Materialien I; 36 Seiten) vereinigt Beiträge ei­ pla befördern die Dialogbereitschaft über Gegensätze ner gleichnamigen Fachtagung des Adolf-Grimme­ bzw. Zusammenhänge von Rassismus, Moralität, lnstituts zu Karriereverläufen rechter und rechtsge­ Emotionalität, Rationalität sowie Medialität. Das Band richteter Jugendlicher in spezifischen Medienumge­ »Jugend-Videogruppen gegen Rassismus und Vorur­ bungen und Musikszenen. Sachkundige Autorinnen teile« (Materialien VII; 11 Minuten) vereint fünf Spots und Autoren erörtern Darstellungsweisen des Rechts­ von Jugendlichen. Die qualitativ hochwertigen Kurz­ extremismus in jugendattraktiven Genres der Print-, beiträge geben treffliche Lehrmaterialien zur Ausein­ Audio- und TV-Medien sowie deren Auswirkungen andersetzung mit Rassismus-, Stigmatisierungsdis­ auf (rechtsorientierte) Heranwachsende. Das The­ kursen und Stereotypenbildungen ab. Des weiteren menheft »Mit neuen Medien gegen Neue Rechte« motivieren sie Jugendliche dazu, selbst in Form von (Materialien II; 95 Seiten) dokumentiert eine Konfe­ videogestützten Eigenproduktionen kreativ zu wer­ renz des Marler Medieninstituts mit derselben Pro­ den. grammatik. Expertinnen und Experten für digitale, Bei dem Videoband »Wer Gewalt sät - von netzwerkgestützte sowie interaktive Medien stellen Brandstiftern und Biedermännern« (Materialien VIII; Beispiele für die politische Bildungsarbeit im Umgang 44 Minuten) handelt es sich um eine beklemmende mit rechten und neonazistischen Online-Agitationen Fernsehdokumentation von Gert Monheim (WDR) vor. Ein Anhang mit Angaben zu Literatur, Projekten über den Ausbruch von Haß und Gewalt gegenüber und Adressen vervollständigt die Beiträge. ln dem Flüchtlingen in Rostock-Lichtenhagen. Es ist ein her­ Sammelband »Zwischen Skandal und Routine?« vorragendes Anschauungsstück über die politischen (Materialien 111; 224 Seiten) untersuchen und bewer­ Zusammenhänge, das weit über die Ereignishaftigkeit ten Vertreterinnen und Vertreter aus den Bereichen jener fremdenfeindlichen Umtriebe des Jahres 1992 Journalismus, Regie, Medienwissenschaft, -kritik und hinausweist. Die Kassette »Dann eben mit Gewalt« -pädagogik historische und aktuelle fiktionale respek­ (Materialien IX; 82 Minuten) hat einen mehrfach aus­ tive non-fiktionale Film- und Fernsehproduktionen, gezeichneten Spielfilm von Rainer Kaufmann (ZDF/ die sich mit Formen des Rechtsradikalismus befas­ arte) mit einer hochkarätigen Besetzung zum Inhalt. sen. Darüber hinaus werden zentrale Gesichtspunkte Das Werk schildert die Geschichte einer politischen der Medienwirkungsforschung und -pädagogik erläu• Verfolgung im rechtsextremistischen Umfeld. Der tert. Film stellt sowohl individual- als auch gruppenpsycho­ Die sechsteilige Videoedition mit farbigem AV­ logische Probleme von Eifersucht und Freundschaft, Material vermittelt in guter technischer Qualität Ein- Anpassungsdruck und Willensfreiheit, Haß und Liebe 188 Rundfunk und Geschichte 24 (1998)

sowie Gewalt und Gewaltlosigkeit in den Vordergrund »a. Es muß einen direkten Kontakt zwischen der Handlung. Sender und Empfänger geben. Offen bleibt, was un­ Das Medienpaket »Rechtsradikalismus und Fern­ ter >direkt< zu verstehen ist. sehen« des Adolf-Grimme-lnstituts vermag als ein b. Der Empfänger muß auf den Ablauf der Kom­ vielseitig einsetzbares und sich ergänzendes Lehr­ munikation Einfluß nehmen, ihn unterbrechen und und Lernmittel zu überzeugen. Die in sich stimmige unmittelbar eine Reaktion hervorrufen können. Konzeption eignet sich in besonderer Weise zur An­ c. Die Rollenverteilung zwischen Sender und eignung von Medienkompetenz in den Bereichen der Empfänger muß umkehrbar sein. schulischen und außerschulischen Bildungsarbeit, d. Der Empfänger muß die Möglichkeit haben, auf der politischen Fort- und Weiterbildung sowie der den Inhalt der Kommunikation Einfluß zu nehmen« medientheoretischen, -kritischen und nicht zuletzt - (S. 13). praktischen Schulung. Die konkretisierte These Paechs lautet, »daß jede Christian Filk, Köln Operation interaktiver Medien als Ereignis erlebnis­ bezogen ist« (S. 17). Trifft diese Aussage zu, so hat dies weitreichende Auswirkungen. Die heraufziehen­ Joachim Paech den Online-Dienste, die über die optionalen Funktio­ Medien-Macht und interaktive Medien. nen des Rückkanals sowie der Wahlmöglichkeit unter (= Düsseldorfer Medienwissenschaftliche zahllosen gleichzeitigen Angeboten verfügen, ver­ Vorträge, Bd. 12). wandeln die eigenen vier Wände in einen »medialen Bonn: ZV Zeitungs-Verlag Service, 1997, 30 Seiten. Erlebnisraum eines gigantischen elektronischen Er­ lebniskaufhauses« (S . 23). Interaktivität im Erlebnis­ ln diesem schmalen, essayistisch gehaltenen Bänd• kaufhaus heißt zu allererst die freie Wahl zu haben. chen erhebt der Konstanzer Medienwissenschaftler Dabei besteht der »Eingriff in die Ordnung« des Wa­ Joachim Paech eine häufig marginalisierte Frage in renangebots und die Art der unmittelbaren Einfluß• der Diskussion um Macht und interaktive Medien zum nahme im »Auswählenkönnen«, das zum »eigentli­ Gegenstand seiner kulturphilosophischen Reflexion. chen Erlebnis der lnteraktivität« (S. 26) avanciert. Im Rekurs auf die Foucaultsche Theorie der »Dispo­ Mit diesem festgestellten Sachverhalt knüpft sitive der Macht« thematisiert der Verfasser ein - Paech wieder an seine zentrale Problemstellung, den dem vorherrschenden Gedanken der Verfügungsge• Zusammenhang von Medienmacht, Demokratie und walt über Informations- und Kommunikationstechno­ lnteraktivität, an. Er eruiert, ob die Macht, die von den lagien entgegengesetztes - Problem. So interessiert Medien herrührt, durch Interaktivitätsstrategien rela­ ihn vor allem, was Medien mit denen anstellen, die tiviert, mitunter sogar demokratisiert werden kann. ihren medialen (An-)Ordnungen ausgesetzt sind und Unter der Prämisse, daß der Terminus »Demokratie« sich ihren diskursiven Strukturen unterwerfen müs• synonym zu setzen ist mit der Gesellschaftskonstitu­ sen. Das Dispositiv-Konzept bietet bekanntlich einen tion durch die stetige Partizipation von Subjekten, Erklärungsansatz für technische, institutionelle und drängen sich für den Verfasser zwei unterschiedliche programmliehe Aspekte der Medien im Kontext von Auffassungen auf. Wahrnehmungsstrukturen. Hinsichtlich der Folgen und Konsequenzen beur­ Vor dem Hintergrund der Frage, inwieweit die teilt Paech die Tendenz einer fortschreitenden Über• symmetrischen und interaktiven Kommunikationsfor­ lappung von mediatisierter Erlebnisweit und Funktio­ men, die mit den neuen Medien einhergehen sollen, nen gesellschaftlicher Öffentlichkeit sowie die Ten­ die vorangegangenen diskursiven Machtstrategien denz einer wachsenden Durchdringung der Privat­ relativieren oder gar demokratisieren können, erinnert sphäre mit Funktionen von Politik prononciert skep­ Paech an zwei mythisch zu nennende Modellvorstel­ tisch. Extrapoliert für die Online-Medien bedeutet die­ lungen »dispositiver Struktur mediatisierter Erfah­ se Entwicklung unter Umständen, »daß sich ein ge­ rung« (S. 8), nämlich Platons Höhlengleichnis sowie sellschaftlicher Ort >Öffentlichkeit< schließlich in den Homers Odyssee. Beide Exempla erläutern, so >Nichtort< der digitalen Netze auflösen wird« (S. 27). Paechs Tenor, »Dispositionen der Möglichkeit von Dann müßte man das »Verhältnis des politisch Mögli• Erfahrung« (S. 12), die durch die Anordnungssyste­ chen zum Realisierten« durch das diametral entge­ me der Subjekte (prä)determiniert sind. ln beiden gengesetzte »Verhältnis des Virtuellen zum medial Fällen ist der Beobachter gegenüber den mediatisier­ Aktualisierten« (S. 27) ersetzen. Allerdings hegt der ten Geschehnissen gefesselt. Aus diesem Umstand Verfasser nachhaltigen Zweifel daran, »daß in ihrer resultiert für den Verfasser unter anderem die schick­ Hybridform oder in den digitalen Netzen die Medien­ salhafte Frage, »ob die neue Freiheit und interaktive realität mit der gesellschaftlichen Realität identisch >Ungebundenheit< mediatisierter Kommunikation von geworden ist oder es werden könnte« (S. 28). Ereignissen und Erfahrungen nicht gerade im Zuge ln seinen Ausführungen fokussiert Paech einen - einer negativen Dialektik die Subjekte um so tiefer in zweifelsohne - virulenten Aspekt in der Schwellenzeit die Fallstricke ihrer mächtigen Illusionen durch eine zu einer >Mediengesellschaft<. Der Argumentations­ >Illusion mehr< , nämlich der lnteraktivität, verstrickt« gang markiert jedoch zugleich basale Dilemmata, die (S. 12f.). aus der historischen Nähe zum heutigen Zeitgesche­ Unter >lnteraktivität< kann man nach Paech, wobei hen erwachsen. Eine Entweder-oder-Differenzierung er Anleihen bei Überlegungen Roger Odins zu »Cine­ zeitigt zwar eine scheinbar scharf konturierte Analy­ ma et interactivite« macht, als eine Variante einer se, läuft aber mitunter auch Gefahr, Sachverhalte zu vierfachen Kriteriologie verstehen, die für die face to vereinfachen - zumindest lassen die Schlußfolgerun• face-Kommunikation als konstitutiv angesehen wird. gen des Verfassers dies in kritischer Lesart zu. Als Dazu zählen im einzelnen: unverzichtbar erweist sich um so mehr eine minutiöse Rezensionen 189

Evaluation des lneinanderübergehens von mediali­ nicht das hochgelobte Mittel zur Förderung von De­ sierten Erlebniswelten und gesellschaftlichen Teilöf• mokratie, sondern beinhalten Vorteile und Risiken für fentlichkeiten, mithin der verschiedenen (heute noch) Politik und Gesellschaft« (S. 50). Mitentscheidend ist, abzustufenden Formen realer sowie virtueller Demo­ welche Funktion und Relevanz den Online-Medien in kratie. Komplementarität und/oder Konkurrenz zu den Mas­ Zuzustimmen ist Paech - bezieht man seine Aus­ senmedien durch Regierung, Parteien, Interessen­ sagen auf den gegenwärtigen Entwicklungsstand der gruppen sowie Adressaten zugeschrieben werden. Medienevolution -. wenn er konstatiert: »Ich denke, Ein besonderes Erkenntnisinteresse gilt der Fra­ daß sich für die Subjekte nach wie vor so etwas wie ge, aus welchen soziodemographischen Gruppen, eine interaktiv konstituierte Öffentlichkeit im unver­ mithin zu welchen Anteilen, sich die Online-User re­ meidlichen Auseinanderbrechen von Erlebnis- und krutieren. Mit Hilfe einer Kombination aus diffusions­ Erfahrungswelt (zum Beispiel des Arbeitsplatzes) und nutzentheoretischen Ansätzen (mit sekundär• herstellt - obwohl die erlebnisförmigen Überlagerun• analytischen Elementen) werten Helmut Scherer und gen von gemachten Erfahrungen in alle und gerade Harald Berens die Soziodemagraphie der Onliner auch in die intimsten Lebensbereiche eindringen« (S. aus. Diese zeichnen sich - insgesamt betrachtet - 28). Die nachindustriellen Staaten stehen allerdings durch ein formal hohes Bildungsniveau und (falls be­ erst ganz am Anfang einer politischen Auseinander­ rufstätig) ein überdurchschnittliches Einkommen aus. setzung um die Etablierung der Online-Medien. Die männliche und jüngere Klientel ist deutlich über• Am Ende formuliert Paech einen durchaus kon­ repräsentiert. Der >extrovertierte Kommunikaton (Typ struktiven Ansatz, den es angesichts einer neuen und I) tritt häufiger in Erscheinung als der >introvertierte anderen medienpolitischen Zukunft zu bedenken gilt: Technofreak< (Typ II). Nach der (sekundäranalyti• »Nicht die Interaktivität der Medien, sondern diejeni­ schen) Untersuchung von Befragungsdaten durch ge der Menschen ist es auch im Umgang mit den Lutz M. Hagen und Markus Mayer sind die Online­ Medien, die das immer wieder erneuerbare Verspre­ Medien gegenwärtig - aufgrund ihrer bescheidenen chen auf Demokratisierung einlösen muß« (S. 30). Es Inanspruchnahme - als Faktor zur Ausbildung politi­ bleibt abzuwarten, inwieweit die Menschen eben scher Öffentlichkeit eine (noch) zu vernachlässigende hierzu willens und bereit sind. Größe, zumal in vergleichender Hinsicht zu konven­ Christian Filk, Köln tionellen Massenmedien. Mit Blick auf den »Nut­ zungszweck« von netzwerkgestützten Medien »domi­ niert die lnformationssuche[.] gefolgt von interperso­ Lutz M. Hagen (Hrsg.) naler Kommunikation und erst dann vom unterhal­ Online-Medien als Quellen politischer Information. tungsorientierten Surfen im Netz« (S. 118). Empirische Untersuchungen zur Nutzung Ein weiteres Hauptaugenmerk richtet sich auf die von Internet und Online-Diensten. spezielle Funktion der Online-Angebote im Ensemble Opladen: Westdeutscher Verlag 1998, 202 Seiten. der Medien. Am Beispiel einer Online-Befragung im Internet zu »SZonNet«, der digitalen Ausgabe der Die Auffassungen darüber, ob mit den digitalen, in­ »Süddeutschen Zeitung« (SZ), eruieren Markus teraktiven und netzwerkgestützten lnformationstech­ Spott, Martin Rieß und Reimar Zeh, in welcher In­ nologien eine neue Ära der Kommunikation angebro­ tensität und Modalität elektronische respektive ge­ chen ist, sind nach einigen Jahren zaghafter Sondie­ druckte Zeitungen genutzt werden. Ein beträchtlicher rung des Terrains sowohl in der medienwissenschaft­ Anteil der erfaßten Unser von »SZonNet« lebt außer• lichen Theorie als auch Praxis umstritten und weithin halb Deutschlands. Mit dem SZ-Online-Angebot brin­ unentschieden. Einen vordringlichen Aspekt greift der gen sie sich auf den neuesten Informationsstand. Die Sammelband auf, der vom Erlanger Kommunikati­ Mehrheit der Nutzer vor Ort gebraucht die Online­ onswissenschaftler Lutz M. Hagen herausgegeben Ausgabe komplementär zur täglichen SZ-Lektüre. wird. Im Zentrum der sechs politik- bzw. kommunika­ »Ob die Verbreitung über den derzeitigen Stand we­ tionswissenschaftliehen Beiträgen steht die empirisch sentlich hinausgehen kann, hängt maßgeblich davon angelegte Frage, welche Aufschlüsse sich ergeben ab, ob Nutzer der Online-Ausgabe auch jenseits der über die Nutzung kommerzieller Online-Dienste sowie Gruppe Hochgebildeter erschlossen werden können« des Internet zum Zwecke der politischen Information. (S. 161). ln Form einer (zweistufigen) Befragung von ln seiner Einleitung konstatiert Hagen, daß eine angestellten Journalisten in Politik- und Nachrichten­ ganze Reihe von einschlägigen Erklärungsansätzen redaktionen ermitteln Winfried Schulz und Daniela der (Massen-)Kommunikationsforschung- er verweist Leidner die Online-Nutzung durch publizistische Me­ ausdrücklich auf Theorien der Informations- und Wis­ dien. Die befragten Redakteure bemühen in erster sensklüfte sowie der Selektivität von Medienofferten Linie das Internet, erst in zweiter Linie die propritären und der Fragmentarisierung von Publica - sich für die Online-Dienste. Nach Auskunft zahlreicher Redakteu­ Analyse der Online-Medien adaptieren lassen. Zu­ re »wird die journalistische Nutzung der Online-Me­ dem favorisieren die Autor(inn)en in zentralen As­ dien weiter zunehmen und fester Bestandteil der re­ pekten, so der Herausgeber, traditionelle Konzepte, daktionellen Arbeit werden« (S . 189). insoweit diese standardisierte Aktantenschemata Die vom Herausgeber präferierte Lesart des (Produktion, Rezeption etc.) und Internet bzw. Online­ Sammelbandes als »Momentaufnahme« in Sachen Dienste als Vermittlungsinstanzen politischer Kom­ kommunikationswissenschaftliche Erforschung der munikation voraussetzen. Der Beitrag von Theodor Online-Medien als Vermittlungsinstanz von und für Zipfel fokussiert die politologische, bzw. demokratie­ Politik erweist sich als durchaus treffend - und dies theoretische Diskussion um die Nutzung von Online­ gleich in mehrerer Hinsicht: Der konsonante Tenor Medien. Er resümiert: »Sicher sind Online-Medien der Autor(inn)en, sich (zunächst) an >traditionellen< 190 Rundfunk und Geschichte 24 (1998)

Konzeptualisierungen der Kommunikationswissen­ on ist eine sozialwissenschaftliche Arbeit; recht ver­ schaft orientieren zu wollen, läßt sich auslegen als standen, bringt dies ihre Leistungen wie ihre Grenzen Reflex auf einen vorgängigen phänomenologischen, auf einen knappen Nenner. kommunikationssoziologischen und nicht zuletzt dis­ Ihre Stärken liegen überall dort, wo es um die ziplinären Paradigmenwechsel an der Schwelle zum theoretisch-systematische Durchdringung des The­ Online-Zeitalter in einer intermedialen Umgebung. mas geht: Bis in die letzten Verästelungen hinein wird Und dies gilt nichtsdestoweniger hinsichtlich der poli­ im fünften Kapitel die sozialistische Medienwirkungs­ tischen Kommunikationsprozesse und der Konsti­ theorie nachgezeichnet, in deren Zentrum »die Ermitt­ tuierung politischer (Teii-)Öffentlichkeiten durch die lung von nutzbaren Gesetzmäßigkeiten bewußtseins• Datennetze. verändernder Mittel zur präzisen Beeinflussung So gesehen erweist sich das von den Autor(in­ menschlichen Denkens und Handels« stand (S. 134); n)en gewählte Prozedere als durchaus plausibel; im sechsten Kapitel geht es um die eng damit ver­ denn das Exempel der Online-Kommunikation macht bundene Auseinandersetzung mit und Abgrenzung einmal mehr die subtile wissenschaftssoziologische von westlichen, >bürgerlichen< Kommunikationstheo­ Interaktion der Konturierung von theoretischen Leit­ rien und empirischen Forschungsergebnissen; das konzepten einerseits und der Konstituierung eines siebte Kapitel ist den Methoden marxistisch-leninisti­ neuen Gegenstandes in quantitativer respektive scher Medienwirkungsforschung gewidmet (die »fast qualitativer Hinsicht deutlich. Daß die vorgetragene unmodifiziert aus der positivistischen Tradition der Ausrichtung an konventionellen Konzepten der (Mas­ westlichen empirischen Forschung übernommen wor­ sen-)Kommunikation prinzipiell über den Break even den sind« (S. 279); das achte Kapitel behandelt den der Herausbildung der Online-Medien als neuen ge­ Spezialbereich der statistischen Auswertungsverfah­ sellschaftliche Leitmedien Bestand haben wird, muß ren und den Einsatz von EDV und im neunten Kapitel bezweifelt werden. Hier wird sich in den nächsten wird anhand von 15 (allerdings recht willkürlich aus­ Jahren noch herausstellen müssen, von welchen Mo­ gewählten) Studien die Leistungsfähikeit der empiri­ dellvorstellungen für die unterschiedlichsten Pro­ schen Medienwirkungsforschung in der Praxis unter­ bleme der Online-Kommunikation auszugehen sein sucht. Es bleibt eine gewisse Ratlosigkeit angesichts wird. Vor diesem Problemhorizont demonstrieren die des Befundes, daß drei der 15 Studien »durchaus Autor(inn)en, daß die - insbesondere in der Fernseh­ beachtliche empirische Leistung attestiert werden und Hörfunkforschung geschärften und verfeinerten - kann« (S. 324) - wie ist die Quote andernorts? Das Theorien bzw. Methodologien des Diffusions- sowie theoretische Bezugssystem all dieses Forschens des Use-and-Gratifications-Ansatzes über konstrukti­ schließlich ist breit ausladend auf rund 100 Seiten in ve Potentiale gerade für die Analyse der Datennetze drei eigenen Kapiteln vorangestellt: Nach einem Re­ verfügen, was im übrigen auch durch andere Studien petitorium in marxistisch-leninistischer Philosophie gestützt wird. allgemein und Erkenntnistheorie insbesondere wird Vernachlässigt man diese komplexen intra- sowie das Wissenschaftssystem der DDR skizziert und da­ interdisziplinären Fragestellungen und wendet man nach speziell die sozialistische Kommunikations- und sich den wesentlichen Befunden der einzelnen Studi­ Massenkommunikationstheorie abgehandelt. All dies en zu, dann tritt offen zutage: Eine seriöse Einschät• geschieht durchdacht, klar strukturiert und in leicht zung der funktionalen Ausdifferenzierung sowie der nachvollziehbaren Formulierungen. informativen Resonanz der netzwerkgestützten Medi­ Der zentrale Einwand gegen Gansens Arbeit hat en in der politischen Kommunikation kann nur unter nun nicht etwa an der von ihr aufgezeigten Stelle an­ der Bedingung erfolgen, daß die herkömmlichen zusetzen, an der »fehlenden >Binnenperspektive«< Massenmedien mitberücksichtigt werden. Zum Zeit­ (S. 13), weil sich sehr wohl darüber streiten läßt, ob punkt der Erhebung jedenfalls evozierten die Online­ hierin tatsächlich »das zentrale und unüberwindliche Medien, so die in mehreren Beiträgen einhellige Auf­ Problem« zu sehen ist, sondern am gänzlichen Man­ fassung, kaum eine unmittelbare politische Beteili­ gel an jeglichem historischen Bewußtsein, an seinen gung der Bürger(innen) und dies lediglich in besonde­ Problemen und der zu ihrer Bearbeitung notwendigen ren Bevölkerungsgruppen. Mithin kann man diesen Erfordernisse. An zwei Stellen nur ist dies paradigma­ Umstand, wie sachlogisch korrekt konzediert wird, tisch aufzuweisen. Zum einen stellt Gansen die seit mittels der Knowlege-Gap-Hypothese interpretieren. 1989/90 vorhandenen neuen Gegebenheiten for­ Abschließend kann man sich nur dem Plädoyer schungspraktisch nur vordergründig in Rechnung. von Lutz M. Hagen nach einer fortgesetzten und ein­ Indem sie sich nur auf publiziertes Material stützt, gehenden Begfeitforschung der Online-Medien mit hätte ihre Studie im Prinzip auch schon vor der Wen­ ihren vielen offengebliebenen und unausgesproche­ de geschrieben werden können. Daß sich »der politi­ nen Fragen uneingeschränkt anschließen. sche Umgang mit der soziologisch orientierten Medi­ Christian Filk, Köln enforschung ( ...) als in höchstem Maße repressiv er­ wiesen hat« (S. 326), bleibt so eine zwar sicherlich korrekte, aber aus der Untersuchung überhaupt nicht Petra Gansen ableitbare Behauptung. Der Durchdringung von Poli­ Wirkung nach Plan. tik und Forschung in ihren praktischen Vollzügen wird Sozialistische Medienwirkungsforschung in der DDR. auch nicht ansatzweise am durchaus vorhandenen Theorien, Methoden, Befunde. Quellenmaterial nachgegangen - ein hochinteressan­ Opladen: Westdeutscher Verlag 1997, 391 Seiten. tes Thema wird verschenkt, das aber sicherlich noch einmal analysiert werden wird. Petra Gansens von dem Münsteraner Kommunikati­ Und zum anderen befragt Gansen regelmäßig onswissenschaftler Klaus Merten betreute Dissertati- nicht ihr Material auf seine Grenzen, indem sie es Rezensionen 191 unterläßt, mögliche Veränderungen im Laufe ihres etablieren. Nichtsdestotrotz kann die Jazzchronik Untersuchungszeitraumes (der immerhin die gesam­ Auftritte amerikanischer Stars verbuchen: Louis Am­ ten 70er und 80er Jahre umfaßt) konkret zu themati­ strong (1952), Billi Holiday (1954), Lionel Hampton, sieren. Immer wieder stellt sie Positionen der frühen Ella Fitzgerald, Miles Davies, Chet Baker, Oskar Pe­ 70er Jahre dar (z.B. S. 131ff; S. 186ff), deren Aussa­ terson, Red Norvo, Count Basie, Gerry Mulligan, gen »bis zuletzt wissenschaftlicher Status quo« (S. Dizzi Gillespie, Benny Goodman, Duke Ellington 138) gewesen sein sollen. Das mag ja sein; aber Be­ (1956 und 1957), um nur die bekanntesten zu nen­ lege dafür sucht man vergebens. Müßte man dage­ nen. Doch wurde von den Stars kein Kontakt zur Köl• gen in Rechnung stellen, daß vielleicht auch die ner Jazzszene aufgenommen. »Die Fans konnten DDR-Forscher im Laufe der Jahre und Jahrzehnte im ihre Vorbilder live erleben. Doch eine Kölner Musik­ Vollzug ihres Tuns dazugelernt haben (ohne dies oh­ kultur konnten solche Durchreisen nicht prägen.« (S. ne weiteres öffentlich verkünden zu können), würde 72) sich der von Gansen grundsätzlich vermittelte Ein­ Ende der 50er Jahre bot Köln jedoch für die Jazz­ druck eines gleichsam archaischen Forschungsstan­ musiker durch den Rundfunk und die hier ansässige des einigermaßen relativieren, der ansonsten Schallplattenfirma Electrola gute Arbeits- und Ver­ zwangsläufig zurückbleiben muß. Schließlich er­ dienstmöglichkeiten. So konnten das Orchester Kurt schiene auch die gegenwärtige westdeutsche Me­ Edelhagen und die Media Band unter Harald Banter, dienwirkungsforschung in keinem sehr günstigen beides Big Bands des (N)WDR, auch internationale Licht, wenn man sie nur auf der Basis von zehn oder Bedeutung gewinnen. Es war die Zeit des wirtschaft­ gar 20 Jahre alten Veröffentlichungen beurteilen lichen Aufschwungs, und der WDR war seinerzeit so wollte. gut finanziell ausgestattet, daß er es sich leisten Konrad Dussel, Frankfurt am Main I Forst konnte, mehrere Bands an sich zu binden und zu fi­ nanzieren. Kurt Edelhagen war, so berichtet der Autor und, Robert von Zahn so weiß es auch Gigi Campi, weniger ein begnadeter Jazz in Köln seit 1945. Musiker und Arrangeur als ein organisatorisches Ta­ Konzertkultur und Kellerkunst (incl. CD mit lent mit vielen Kontakten in der Jazzszene, die er unveröffentlichten Aufnahmen: Jazz in Köln 1955/56). nutzte, um international renommierte Musiker für Köln 1997. 264 Seiten. Gastkonzerte zu verpflichten. Sein besonderer Ver­ dienst lag im Engagement für die 1958 durch den Die Publikation entstand als fünfte des vom Histori­ WDR und die Stadt Köln gleichsam eingeführte Reihe schen Archiv der Stadt Köln herausgegebenen und »Jazzkonzerte für die Jugend«. Nebenbei lehrte er wesentlich mitgeprägten Projektes »Dokumentation Jazz an der Musikhochschule Köln, ein Fach, das Kölner Kulturleben nach 1945«. Und damit ist schon ebenfalls 1958 eingerichtet wurde und in dem auch vorgegeben, womit sich dieses Buch in erster Linie Alois Zimmermann und Dietrich Schulz-Köhn lehrten. beschäftigt: mit einer historischen Betrachtung eines Die 60er Jahre waren die Hochzeit des Orchesters Aspektes des Kölner Kulturlebens, der Jazzmusik. Kurt Edelhagen. Doch 1972 wurden im WDR Stim­ Robert von Zahn schreibt nicht - obwohl er Musikwis­ men laut, die die erheblichen Kosten des Orchesters senschftler ist - eine wissenschaftliche Musikge­ kritisierten. Das galt ebenso für die Media-Band, die schichte des Jazz, sondern bettet den Jazz ein in das seit 1962 mit dem WDR vertraglich fest verbunden langsam nach dem Krieg neu erblühende Geistesle­ war. Banter, der sich außer mit der Jazzmusik auch ben der Stadt Köln. So erspart uns der Autor langat­ mit Unterhaltungs-, Hörspiel- und Filmmusik befaßte, mige Aufzählungen von Konzertdaten oder für Laien avancierte 1974 zum Chef der Unterhaltungsabtei­ oft schwierig nachzuvollziehende wissenschaftliche lung und später zum stellvertretenden Programmleiter Einzelheiten über Stilrichtungen der Jazzmusik. Der­ Musik. Diese Leitungsfunktionen ließen sich mit der artige Informationen fließen geradezu nebenher in Führung der Band nicht vereinbaren, so daß er die den Text ein, sie dienen gleichsam als Illustration Band an Andreas Scheer übergab. seines Themas, nämlich ein Stück Kulturgeschichte Besondere Aufmerksamkeit verdient die »Ciarke­ der Stadt Köln zu schreiben, an dem der Jazz bis in Boland-Big Band«, genannt CBBB. Diese Band for­ die 60er Jahre einen erheblichen Anteil hatte und seit mierte sich 1961 durch die Initiative von Gigi Campi, den 80er Jahren wiederzugewinnen beginnt. Der der die Musiker der Band zusammenführte, insbe­ Wert der Arbeit liegt darüber hinaus im spannend be­ sondere den Schlagzeuger Kenneth Clarke und den schriebenen und gut recherchierten Beziehungsge­ Pianisten und Arrangeur Francy Boland. Die Mitglie­ flecht unter den Jazzmusikern sowie mit bedeutenden der der Band waren international, ohne daß jedoch Förderem des Kölner Jazz, wie etwa Gigi Campi. ein deutscher Musiker vertreten war. Neben dem Or­ Nun mag der Buchtitel suggerieren, daß Köln ge­ chester Kurt Edelhagen stieg die CBBB zur bedeu­ radezu eine Hochburg des Jazz gewesen ist. Die Nä• tenden Kölner Jazzformation auf. Im Gegensatz zur he zum Rundfunk schien schließlich eine günstige Edelhagen Big Band war die CBBB in den ersten Voraussetzung. Doch konnten in der Frühzeit bis En­ Jahren eine reine Studio Band, die erst 1966 ihr er­ de der 50er Jahre Jazzmusiker nur von ihrer Musik stes öffentliches Konzert gab. So hatte sie sich dem leben, wenn sie sich ununterbrochen vor Publikum Zeitgeist angepaßt und dem schwindenden Bedarf an produzierten. Lediglich die großen Rundfunkbands - Live-Musik eine große Anzahl von Plattenproduktio­ Kurt Edelhagen, Harald Banter, Adalbert Luczkowski nen entgegengesetzt, die durch die Einführung der - boten den Musikern ein halbwegs gesichertes Ein­ Juke-Boxen und Musikanlagen in den Tanzcafes, kommen. Eine lebendige internationale Jazzszene, Kneipen und Gaststätten sich gut verkaufen ließen wie es sie etwa in Paris gab, konnte sich in Köln nicht und den Mitgliedern der CBBB ein gutes Einkommen 192 Rundfunk und Geschichte 24 (1998) sicherten. Trotz großen nationalen und europäischen umfassendem Fußnotenteil und Verweisen auf Quel­ Erfolgs sowie weit über 30 Schallplatten konnte die len- und Archivmaterial) und unterhaltsamer, span­ Band in den USA jedoch nicht Fuß fassen. nender Lektüre für eine breitere, interessierte Leser­ Parallel zur Jazzszene entwickelte sich in der so­ schaft gelungen. Das ist sowohl auf seinen gefälligen, genannten Ernsten Musik eine Richtung, die nach flüssigen Schreibstil zurückzuführen als auch auf das neuen Formen von Ausdrucksmöglichkeiten suchte. ansprechende Layout des Buches mit einer gelunge­ Es ist die Rede des 1953 von Herbert Eimert und Ro­ nen Verschmelzung von Text und illustrierenden, bert Beyer errichteten elektronischen Studios im weitgehend unbekannten Fotos. Die Beigabe einer NWDR. Hier wurden neue Klänge und Klangerlebnis­ CD mit unbekannten Jazz-Live-Aufnahmen aus Köln se durch elektronische Instrumente und neue Musik­ in den 50er Jahren rundet dieses bemerkenswerte formen (atonale und 12-Ton-Musik) erzeugt. Das Buch ab. elektronische Studio war sozusagen ein »Musik­ Petra Witting, Köln labor«, in dem musikalisch experimentiert und auch an den traditionellen Fundamenten der Musiktheorie gerüttelt wurde. Helmut Korte Einher damit ging auch die Arbeit von Bernd Alois Der Spielfilm und das Ende der Zimmermann, Manfred Niehaus, Manfred Schoof und Weimarer Republik. Alexander von Schlippenbach, die mit dem Jazz an Ein rezeptionshistorischer Versuch. der Kölner Musikhochschule verbunden waren und Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1998, ebenfalls die Grenzen der traditionellen Musik durch­ 504 Seiten. brachen und mit atonaler Musik experimentierten. Hier war sozusagen die Schnittstelle zwischen Jazz Die Monographie widmet sich zwei Desideraten deut­ und Klassik, denn von der Arbeit des elektronischen scher Filmgeschichte, der historischen Filmrezeption Studios gingen auch Impulse für den Jazz aus. Es im Kino und den Inhalten früher Tonfilmproduktionen. etablierte sich der sogenannte Free Jazz als neue Helmut Korte verbindet beide Fragen mit der überge• Form. Damit wurde der Jazz immer akademischer, ordneten Problemstellung des Zusammenhangs von immer verkopfter. Es ging weniger um Improvisati­ Inhalten der Spielfilme am Ende der Weimarer Re­ onstechniken als um Kompositionstechniken. Die publik und dem Bewußtseins- und Wertewandel in Entwicklung des Free Jazz ist eng mit dem Namen den frühen 30er Jahren. Alexander von Schlippenbach und seiner 1966 ge­ Im ersten Abschnitt zeichnet der Autor den bishe­ gründeten Band »Giobe Unitiy Orchestra« verbun­ rigen Forschungsstand der Filmrezeption innerhalb den. Im weiteren Verlauf dieser neuen Entwicklung im der philologischen Filmwissenschaft ausführlich nach Kölner Free Jazz hebt von Zahn die »Gunter Hampel und ergänzt sie durch einen Beitrag zur Schule der und his Galxie Dream Band« hervor, die 1973 ein be­ Cultural Studies. Im Anschluß beschreibt er seinen achtetes Konzert im »Päff« gab. eigenen Ansatz: »Neben einer generellen Darstellung Zu einem bedeutenden Meilenstein des Kölner des allgemeinen und filmhistorischen Kontextes als Jazz wurde die Einrichtung einer eigenen Jazzabtei­ Orientierungsrahmen, bei weitgehender Einbezie­ lung im WDR 1978 unter der Leitung von Manfred hung historischer Quellen, soll in zwei aufeinander Niehaus, der dafür die Leitung der Abteilung Neue aufbauenden Approximationsstufen zunächst ein er­ Musik aufgab. Kaum ein Jahr später jedoch wurde ster Annäherungswert an die zeitgenössische Re­ der Jazz wieder zu einer Redaktion degradiert. Trotz­ zeption aller Filme dieser Phase erreicht und - darauf dem konnte Niehaus wertvolle Arbeit leisten. Ihm zu aufbauend - durch exemplarische Fallstudien ausge­ verdanken ist die Sendereihe »Jazz Meeting WDR«, wählter Filme und Filmgruppen diese Ergebnisse die eine große Anzahl bedeutender Jazzorchester für konkretisiert werden« (S. 45). Live-Auftritte verpflichten konnte, die später im 3. Da sich die zeitgenössischen Statistiken über die Hörfunk-Programm des WDR übertragen wurden. Zuschauer lediglich auf den Kinobesuch pro Film - Niehaus wurde 1990 von Ulrich Kurth abgelöst. Zur und auch das nur in unzureichendem Maße - bezie­ weiteren wertvollen Jazzarbeit des WDR gehört die hen, stützt sich Korte auf Aussagen ausgewählter Mitte der 80er Jahre unter der musikalischen Leitung Zeitungen. Zu diesen zählen neben der gesamten von Jerry van Rooyen und der redaktionellen Betreu­ Branchenpresse auch eine Reihe von Tageszeitun­ ung von Wolfgang Hirschmann gegründete WDR Big gen und Zeitschriften. Unter Berücksichtigung, daß im Band, die sich bis heute eines ausgezeichneten Ru­ Untersuchungszeitraum mehr als 4 000 Zeitungen in fes erfreut. Deutschland erschienen, ist die Auswahl signifikanter Abgerundet wird das Buch mit einem »Abstecher« Zeitungen immer ein Problem. Die Auswahl der Zei­ in die 90er Jahre. Explizit widmet sich der Autor der tungen ist aber aus folgenden Gründen nicht ganz »Kölner Saxophon Mafia« und ihrer avantgardisti­ einleuchtend: Als einzige liberale Zeitung wird die schen Musik, der Entwicklung des Stadtgartenprojek­ >Frankfurter Zeitung< herangezogen, die allen Phä• tes, der Einbindung der Philharmonie in die Jazzkul­ nomenen der Massenunterhaltung kritisch gegen­ tur und die Musikavantgarde sowie der Neugründung überstand. Alle bekannten großen Berliner Zeitungen des »Loft« durch Hans-Martin Müller. Außerdem zeigt fehlen ebenso wie die Generalanzeigerpresse. Die er die Präsenz des Jazz in den in Köln ansässigen Meinung des Zentrums wird nur durch die >Deutsche Medien auf, sei es WDR (Fernsehen und Hörfunk), Filmzeitung< repräsentiert, während die Massenpres­ der Deutschlandfunk, Zeitungen und Szenezeitun­ se des politisch engagierten deutschen Katholizismus gen. nicht in die Beobachtung einbezogen ist. Statt dessen Robert von Zahn ist der Spagat zwischen wissen­ wertet die Untersuchung vor allem die führenden schaftlich fundierter, historischer Publikation (mit Parteizeitungen von NSDAP, KPD und SPD mit ihren Rezensionen 193 naturgemäß parteipolitischen Aussagen. An anderen die früher zu nationalsozialistischen Filmen erschie­ Blättern, wie etwa der >Berliner Börsen-Zeitung<, die nen sind, meines Erachtens nicht deutlich werden. 1932 von ihrem rechtsliberalen Standpunkt völlig auf Daher wäre für den Übergang von Weimar zu Hitler die nationalsozialistische Linie einschwenkte, hätte eine differenziertere Einschätzung wünschenswert man das sogenannte people switching in bezug auf gewesen. So ist z.B. der Spielfilm »Morgenrot« sicher die Filmstoffe der frühen 30er Jahre möglicherweise eher ein deutschnationaler als ein nationalsozialisti­ deutlicher ablesen können. scher Film. Auch aus den Quellen des Autors wird Für die Klassifizierung der Filme lehnt sich der deutlich, daß die Verherrlichung von Friedrich II. kei­ Autor an das von Gerd Albrecht 1969 erschienene neswegs auf konservative Kreise im Reich be­ Buch »Nationalsozialistische Filmpolitik - Eine sozio­ schränkt blieb. Die Unterschiede zwischen beiden logische Untersuchung über die Spielfilme des Dritten Rechtsparteien sind durch eine Reihe weiterer Fakto­ Reiches« an und entwickelt die dort vertretenen The­ ren zu ergänzen: So hatte Goebbels in einem Leitar­ sen weiter. Korte teilt die von 1930 bis 1932 in tikel im >Angriff< vom 30. Dezember 1930 betont: »Die Deutschland produzierten Spielfilme in sieben Kate­ Ufa kann sich nicht darauf hinausreden, daß sie ohne gorien ein, wie »Gegen Krieg und soziale Ungerech­ Juden nicht fertig werde. Zur selben Zeit liegen beste tigkeit - Handlungsalternativen und einfühlsame Rea­ literarische und künstlerische deutsche Kräfte brach.« litätsbeschreibungen«, »Spannung, Abenteuer und Trotz dieser permanenten Angriffe auf Juden schloß ambivalente Botschaften«, »Scheinwirklichkeiten und die Ufa noch am 20. Januar 1933 mit Eric Charell1 Banalitäten« oder »Rückbesinnung: Für ein >neues< den branchenüblichen Vorvertrag über einen zweiten Deutschland«. Von wenigen kleinen Ausnahmen ab­ Film ab. Zwischen dem 30. Januar und dem 1. April gesehen, untersucht Korte alle Filme nach den sel­ 1933 werden dann fast alle Juden aus der Filmindu­ ben Kategorien, wie Inhalt, formaler Aufbau, Perso­ strie entlassen, und auch der Vertrag mit Charell nen, Handlung, Typisierung, Kritiken usw. Zum Teil wurde hinfällig. Mit den Juden emigrierten auch eine werden, wie bei dem Spielfilm »Westfront 1918« die Reihe weiterer bedeutender deutscher Künstler. Untersuchungsergebnisse noch mit Feinanalysen Das menschliche Leid durch Verfolgung und bestimmter Sequenzen untersetzt. Auf diese Weise Flucht könnte durch eine einseitige Fokussierung auf breitet der Autor vor dem Leser spannendes Material die Kontinuitätslinien negiert werden, die nationalso­ aus, das durch eine Reihe bemerkenswerter Statisti­ zialistische Politik hatte auch für die Filmindustrie er­ ken, etwa über die Häufigkeit von bestimmten Film­ hebliche wirtschaftliche Auswirkungen. Viele Filmstof­ stoffen, ergänzt wird. fe konnten nicht weiterentwickelt, Dreharbeiten muß• Im Ergebnis seiner Untersuchungen kommt Korte ten abgegebrochen werden. Der ausländische Film­ zu dem Schluß, daß der immer wieder beschworene boykott nach den ersten Progromen beeinträchtigte Kontinuitätsbruch nicht 1933, sondern mindestens ein den Filmabsatz erheblich. Allein die Ufa bezifferte in Jahr früher stattfand. Dieser Bruch ging einher mit einem internen Schreiben von 1934 den Schaden, spürbaren Veränderungen auf seiten des Publikums. der ihr durch die Maßnahmen der neuen Regierung Zusammenfassend heißt es: »Ähnlich wie die schritt­ erwuchs, mit mehr als fünf Millionen RM.2 Unter die­ weise Aushöhlung der parlamentarischen Grundlagen sen Gesichtspunkten ist dafür zu plädieren, 1933 so­ durch die wechselnden Reichsregierungen bis hin zur wohl im Sinne der Kontinuität als auch als Umbruchsi­ Ausschaltung der politischen Gegner und zur Ab­ tuation zu beschreiben. schaffung der demokratischen Freiheiten im Frühjahr ln Hinblick auf die These über die politische 1933 als forcierte Prolongierung vorher erprobter In­ Funktion von Unterhaltung am Beginn der 30er Jahre strumentarien zu verstehen ist, läßt sich auch die bietet das Buch eine ausgezeichnete Diskussions­ Gleichschaltung der Filmindustrie als spezifische grundlage. AnHand der Quellen und Zahlen wird Aktualisierung und zielgerichtete Bündelung mehrerer deutlich, daß sich die vielen Unterhaltungsfilme gro­ bereits virulenter Entwicklungslinien begreifen, die - ßer Beliebtheit beim Publikum erfreuten. Aufsteiger­ flankiert von entsprechenden administrativen Maß• geschichten, Glücksversprechen usw. durchziehen nahmen - >nur< in die gewünschten Bahnen zu lenken die deutsche Märchenlandschaft, füllen eine Vielzahl waren.« (S. 425f.) Diese Einschätzung entspricht von Romanen und insbesondere die Kolportagehefte auch der organisatorischen Seite der Rundfunkent­ - und die Lichtspielhäuser. Auch Hollywood hat sol­ wicklung . Insofern könnte man der These Kortes che Filme immer wieder produziert und in die gesam­ auch unter dem Gesichtspunkt eines intermedialen te Welt exportiert. Natürlich erwärmen die jeweilgen Vergleichs zustimmen. Geschichten eher das Herz, als daß sie den Geist Es ist unbestreitbar, daß die Ernennung Hitlers fordern. Unbestritten interpretierten etwa Teile der zum Reichskanzler von einer Vielzahl unterschiedli­ organisierten Arbeiterbewegung und auch die Ange­ cher Faktoren abhing, die sich vor allem zu Beginn hörigen der Frankfurter Schule diese Filme vor dem der 30er Jahre herauskristallisierten. Sicher ist auch, Hintergrund der Weltwirtschaftskrise als Formen der daß Filme wie etwa »Yorck« (1931) ein Jahr früher Ablenkung vom Alltag. Doch sah dies die Mehrzahl vom Publikum abgelehnt worden wären und daß die der Rezipienten ebenso? Ufa-Führung bewußt mit ihren Entscheidungen die Helmut Korte hat mit seiner Monographie, die den rechtsgerichtete Entwicklung in Deutschland unter­ Leser zwingt, sich dem lange vernachlässigten Rezi­ stützte. Dies alles läßt sich in den Ufa-Akten nachle­ pienten zu zuwenden, einen interessanten Beitrag sen. Gleichwohl stand die Ufa-Führung eher den zur Filmgeschichtsschreibung geleistet, der wohl Deutschnationalen als den Nationalsozialisten nahe. reichlich Anlaß zu Diskussionen geben wird. Dies Trotz vieler Gemeinsamkeiten zwischen beiden Par­ betrifft sicher nicht nur einzelne Thesen, sondern vor teien gab es auch eine Reihe von Unterschieden, die allem auch die Frage, inwieweit historisches Material im Buch von Korte, wie auch schon in vielen Arbeiten, 194 Rundfunk und Geschichte 24 (1998) verläßliche Rückschlüsse auf das Rezeptionsverhal­ deutlicht auf diese Weise, daß die großangelegten ten zuläßt. Retuschen nicht nur in der Öffentlichkeit gängige Wolfgang Mühi-Benninghaus, Berlin Praxis waren, sondern unter dem Druck des Stalin­ schen Terrors bis in die Intimsphäre der Familie hin­ Die Kritik über Charells ersten Tonfilm »Der Kon­ einreichten. greß tanzt« hatte der >Angriff< vom 28.10.1931 Das physische und mnemonische Vernichten von überschrieben: »UIIstein-Redakteur, Juden und Gegnern war nur ein Aspekt des Sialinsehen Um­ ein Filmgeschäft - Löwenberg gegen Hugenberg - gangs mit Geschichte. Zugleich nutzte er die Foto­ Der Kongreß tanzt im Ufa-Palast am Zoo«. Am grafie als Propagandainstrument, um die eigenen Ende heißt es: »Der ganze Film ist eine jüdische Verdienste an der Revolution und im Bürgerkrieg Chuzpe. Das heiß Frechheit.« herauszustellen. So wurden aus Gruppenbildern mit Lenin alle übrigen Personen gelöscht, um Stalin als 2 Vgl. Bundesarchiv Berlin R 8119/19078, BI. 83. engsten Freund und Weggefährten des Revolutions­ führers zu präsentieren. Gleichzeitig begründete Sta­ lin in der Traditionslinie der Heiligenverehrung der David King orthodoxen Kirche einen Lenin-Kult, in dessen Stalins Retuschen. Schatten er seine eigene Stellung und seine Bedeu­ Foto- und Kunstmanipulationen in der Sowjetunion. tung legitimierte. Mit einem Vorwort von Stephen F. Cohen. Zu den Verdiensten des Buches zählt auch, daß Aus dem Englischen von Cornelia Langendorf. es dem Autor gelingt, den Zusammenhang von Foto­ Hamburg: Hamburger Edition 1997, 192 Seiten. grafie und bildender Kunst zu verdeutlichen. Eine Reihe von Fotografien werden Gemälden und Plasti­ Als Zeichen von Modernität Enthusiastisch begrüßt, ken gegenübergestellt. Die inhaltliche Korrespondenz hat die Fotografie im 19. Jahrhundert eine bis dahin zeigt, daß Stalin offensichtlich bemüht war, den Re­ unvertraute und ungeahnte Vorstellung von Wirklich­ zipienten keinerlei geistigen Freiraum zu lassen. Jede keit begründet. Sie hat im Bündnis mit anderen jünge• Form der Darstellung sollte die Vorstellungen und ren Medien wie dem Film im Laufe ihrer Geschichte Interpretationen des Diktators von Geschichte und unser Verhältnis zur Umwelt geprägt sowie überliefer• Gegenwart zum Ausdruck bringen. Jede Form des te Wahrnehmungsformen fortgeschrieben und zu­ Zweifelns an dem Wahrheitsgehalt des Dargestellten gleich gebrochen. Die Beschäftigung mit Fotografie wurde auf diese Weise ausgeschlossen. ist demnach immer auch die Frage nach dem Wahr­ Die von David King ausgewählten Bilder sprechen heitsgehalt des Abgebildeten. für sich und entziehen sich damit jeder Kritik. Den­ Der von David King vorgelegte Fotoband ist ein noch ist anzumerken, daß dem Leser bestimmte kul­ hervorragendes Dokument in der Geschichte der turhistorische Interpretationen vorenthalten bleiben. Fotografie, für die Ambivalenz von Modernität und Dazu zählt die Bedeutung des Bildes im Rahmen der Terror. Manipulation an der dokumentarischen Glaub­ russischen Kultur, die ihrerseits wesentlich durch die würdigkeit der Fotografie gab es auch bereits vor russische Orthodoxie geprägt wurde. ln der Traditi­ 1917. Viele Abbildungen des Krieges hatten mit des­ onslinie des Byzantinismus und insbesondere der Er­ sen Wirklichkeit wenig gemein und die Unbeweglich­ gebnisse des Bilderstreits spielte das Bild hier eine keit der Kamera sowie die Lichtunempfindlichkeit des wesentlich wichtigere Rolle als im christlichen Abend­ Rohfilms zwangen Fotografen immer wieder dazu, land. Die Säkularisierung des Bildes etwa in den frü• sich auf die Herstellung von Klischeebildern zu be­ hen Filmen Eisensteins zeigt, daß hier mit vergleich­ schränken. Die deutsche Propaganda nutzte im Er­ baren Metaphern gearbeitet wurde. Ein klassisches sten Weltkrieg die Fotografie, um hinter der Front, vor Beispiel hierfür ist der Sturm auf das Winterpalais. Mit allem aber in befreundeten und neutralen Staaten der Massenszene wollte der Regisseur nicht Ge­ Verständnis für die eigenen Positionen zu erlangen. schichte umschreiben, sondern die Bedeutung des Die im Bundesarchiv vorhandenen Dokumente des historischen Ereignisses im Bild unterstreichen. Auf Bild- und Filmamtes sprechen diesbezüglich eine analoge Interpretationen verweisen sowohl Heiligen­ deutliche Sprache. darstellungen auf Ikonen als auch die im vorliegen­ Im Vergleich zu Stalin waren die Bemühungen der den Band abgedruckten Fotos, Denkmäler und Ge­ Entente und der Mittelmächte im Ersten Weltkrieg nur mälde. Zudem macht David King u. a. mit Recht dar­ erste harmlose Versuche, das Medium Fotografie für auf aufmerksam, daß auch die Fotos, auf denen Sta­ eigene Zwecke zu nutzen. Im 20. Jahrhundert hat lin mit Arbeitern abgebildet ist, Fälschungen sind. Seit wohl kein Diktator in vergleichbarer Weise und ähnli• vielen Jahren ist bekannt, daß der Diktator aus Angst cher Konsequenz versucht, Geschichtsschreibung vor möglichen Attentaten den Kontakt zur Masse der mit Hilfe dieses Mediums zu manipulieren. Der Gene­ Bevölkerung mied. Unerwähnt bleibt jedoch, daß zu­ ralissimus begnügte sich nicht damit, seine wirklichen mindest bis in die 80er Jahre hinein es in vielen Ge­ und vermeintlichen Gegner zu töten; er versuchte genden der Sowjetunion üblich war, sich auch im pri­ darüber hinaus, auch ihr Andenken zu vernichten, vaten Bereich vor imaginären Hintergründen fotogra­ indem er ihr Bild auslöschte. Man bediente sich hier­ fieren zu lassen. Diese Tatsache ändert zwar grund­ zu der Retusche oder schnitt die sogenannten Volks­ sätzlich nichts an der Aussage der im Band veröffent• feinde aus den Aufnahmen heraus. Diese Praxis lichten Bilder, dennoch verweist sie auf ein uns z. T. führte manchmal zu makabren Resultaten: Der Autor unbekanntes, anderes Verständnis von Fotografie in zeigt Beispiele, wie selbst in privaten Fotoalben die der Sowjetunion. Insofern waren die gestellten Bilder Köpfe der vom NKWD Ermordeten herausgeschnitten eben nicht nur Propaganda, sondern auch ein inte- oder unkenntlich gemacht wurden. David King ver- Rezensionen 195 grales Moment des alltäglichen Umgangs mit Foto­ stellt - ebenso bestimmend ist, was nach dem Kauf grafien in diesem Land. mit den Objekten passiert. 6. Eine tiefe Ambivalenz, Die vom Autor ausgewählten retuschierten Dar­ oft auch offene Feindschaft gegenüber dem Phäno• stellungen prägten mehr als 30 Jahre das Bewußt• men des Konsums. (S . 52) sein von sowjetischer Geschichte, indem sie immer Neben Brewer verdient es der Beitrag von Neil und immer wieder als authentisches Material in histo­ McKendrick (Universität von Cambridge) hervorgeho­ rischen Abhandlungen auch außerhalb des Stalin­ ben zu werden. Sein Aufsatz »Die Ursprünge der schen Einflußgebietes verwendet wurden. Offen Konsumgesellschaft. Luxus, Neid und soziale Nach­ bleibt jedoch die Frage, inwieweit wir unser Ver­ ahmung in der englischen Literatur des 18. Jahrhun­ ständnis von Authentizität auf andere Kulturen über• derts« ist ein hervorragendes Beispiel dafür, wie man tragen können. Auf diesem Gebiet bestehen noch die Darstellung allgemeiner Konsumgeschichte mit große Forschungslücken. Insofern fordert das ver­ einem spezifischen Erkenntnisinteresse verbinden dienstvolle Buch von David King dazu auf, unseren kann. McKendrick befragt literarische Quellen, um zu interkulturellen Blick auch in bezug auf das Ver­ einem erweiterten und tieferen Verständnis der Ge­ ständnis und die Interpretation fotografischen Mate­ schichte des Konsums zu gelangen. Er läßt Literaten rials weiter auszuprägen. wie Thackeray, den »Romancier der Warenwelt«, Wolfgang Mühi-Benninghaus, Berlin Swift und Fielding bezeugen, daß die Idee des Luxus im 18. Jahrhundert ebenso zentral war wie die der Armut im 19. Jahrhundert. Allerdings, so der Autor, Hannes Siegrist u.a. (Hrsg.) hat sich das Schreckensbild der Armut mit lebhafter Europäische Konsumgeschichte. Klarheit erhalten - das Phänomen Luxus hingegen Zur Gesellschafts- und Kulturgeschichte des wurde nur verschwommen registriert. (S. 86) Die Konsums (18. bis 20. Jahrhundert). Fülle erklärender Theorien über den Konsum in der Frankfurt am Main/New York: Campus Verlag Literatur des 18. Jahrhunderts besitzt nach McKen­ 1997, 815 Seiten. drick in der Moderne keine Parallelen, ebensowenig wie der unerschütterliche Glaube an Mode, Nachah­ Zumindest seit alle Sozial- und Kulturwissenschaften mungstrieb und demonstrativen Konsum. Hier verläßt ein spezifisches Interesse für das Konsumieren zei­ der Autor die Belletristik und skizziert die Karriere des gen und konsumbezogene Vorgänge und Texte zum Töpferei- und Porzellanunternehmers Josiah Wedg­ Gegenstand ihres disziplinären Interesses gemacht wood, seine Marketingmethoden, Werbestrategien, haben, ist die Welt des Konsums zu einer »neuen Preispolitik und die Designgeschichte, die die charak­ Quasi-Totalität« (S . 17) geworden. Je nach Fachdis­ teristischen Merkmale des Umbruchs in Wirtschaft ziplin und Erkenntnisinteresse werden kleinere Stük• und Konsumverhalten des 18. Jahrhunderts illustrie­ ke aus der Welt des Konsums herausgeschnitten und ren. eine spezielle Konsumgeschichte geschrieben - etwa Ein weiterer wichtiger Abschnitt des Buches faßt über Orte und Formen des Konsums oder Luxusde­ Beiträge zusammen, die sich mit Klassenkultur und batten. Die »Europäische Konsumgeschichte« ist der Demokratisierung des Konsums auseinandersetzen. Versuch, diese vielen Teilansichten zusammenzufas­ Neben ausgewählten Untersuchungen in Deutsch­ sen. Dabei werden Beiträge von 35 Autoren und Au­ land, u.a. zu Konsummustern im Deutschen Kaiser­ torinnen vorgestellt, die auf zwei internationalen und reich (Klaus Tenfelde), über die Konsumentwicklung interdisziplinären Tagungen in der »Arbeitsstelle für in den 50er Jahren des 20. Jahrhunderts (Michael Vergleichende Gesellschaftsgeschichte« an der Frei­ Wildt), zur Modernisierung von Lebensstilen (Axel en Universität Berlin 1994 diskutiert wurden. Die in Schildt) finden sich zwei Beiträge zur Sozialgeschich­ sechs Abschnitten geordneten einzelnen Aufsätze te in Frankreich, im einzelnen über den Alkoholkon­ folgen weniger einer konzeptionellen Fragestellung, sum im 19. Jahrhundert (Didier Nourrisson) und über in diesem Band werden vielmehr wichtige Ansätze Elektrohaushaltsgeräte und Telefon (Aiain Beltran, von europäischer Konsumgeschichtsforschung vage Patrice A. Carre). Gerade Aufsätze von französi• geordnet. schen, britischen und belgischen Autoren liefern An­ Ein Schwerpunkt des Buches ist die Auseinan­ haltspunkte für Vergleiche mit gleichartigen Untersu­ dersetzung mit den Begriffen, Konzepten oder Ideal­ chungen in europäischen Ländern. Hartmut Kaelble typen von »Konsumgesellschaft« und »Konsumkul­ zeigt in seinem Aufsatz über europäische Besonder­ tur«. John Brewer (European University Institute Flo­ heiten des Massenkonsums von 1950 bis 1990, daß rence) schlägt sechs charakteristische Merkmale für der Durchbruch des Massenkonsums zu einer deutli­ die moderne »consumer society« vor: 1. Die Bereit­ chen Annäherung der verschiedenen europäischen stellung eines Warensortiments, das mehr »Wün• Gesellschaften führte. Stephan Merl geht noch einen sche« befriedigt als »Bedürfnisse«. 2. Die Entwick­ Schritt weiter, indem er eine Reihe von Konsumten­ lung hochkomplizierter Kommunikationssysteme, die denzen der westlichen Länder auch in Osteuropa Waren mit Bedeutungen versehen - nicht die Objekte nachzeichnet. Die Untersuchung bleibt aber auf all­ selbst, sondern Bilder von ihnen werden wahrge­ gemeine Zusammenhänge zwischen Staat und Kon­ nommen. 3. Die Bildung von Objektbereichen als sum einer zentral verwalteten Wirtschaft und vor al­ Sphären des Geschmacks, der Mode und des Stils - lem auf Rußland beschränkt. Waren fungieren auch als Vermittler von Sinn. 4. Die Weit umfassender und differenzierter sind Unter­ Betonung der Freizeit gegenüber der Arbeit und des suchungen, die die Konsumleitbilder einem europä• Konsums gegenüber der Produktion. 5. Die Entste­ isch-amerikanischen Vergleich unterziehen. Victoria hung der Kategorie »Konsument«, wobei der Akt des de Grazia (Columbia University) faßt »Amerikanisie­ Kaufens nur ein Teil des Konsumentendaseins dar- rung« als wissenschaftlichen Begriff und schreibt: »ln 196 Rundfunk und Geschichte 24 (1998) den USA steht >Amerikanisierung< oft für Einschmel­ Die Beiträge im derzeit umfassendsten Sammel­ zung der vielen verschiedenen ethnischen ldentitäten werk zur Gesellschafts- und Kulturgeschichte des in den großen Schmelztiegel, während in Europa Konsums vom 18. bis 20. Jahrhundert sind von Auto­ meist Kulturimperialismus - aber auch zügelloser ren geschrieben, die selbst Zeitzeugen eines revolu­ Materialismus sowie eine nüchterne sachliche Welt­ tionären Umbruchs im Bereich des Konsums sind. sicht- darunter verstanden werden.« (S. 111) Garzia Nicht zuletzt machen sie deutlich, wie sehr das Er­ verwendet den Begriff der Amerikanisierung stärker kenntnisinteresse vom Standort jedes einzelnen Hi­ geschichtsorientiert und versucht mit ihm die Modifi­ storikers abhängt. Das Projekt sollte weitergehen, zierung amerikanischer Kultur im Ausland ebenso zu dann aber um eine differenziertere Betrachtung von fassen wie deren Konzeptcharakter für Formen- und Konsumgeschichte bzw. Geschichte industrieller Trendmodelle der Massenkonsumgesellschaft im Massenkultur in osteuropäischen Ländern erweitert Zeitraum von 1890 bis 1930. werden. Denn zum einen hat es hier vor dem Zweiten Ein ganzer Abschnitt widmet sich Untersuchungen Weltkrieg auch Konsumentwicklungen gegeben. Zum zu Geschlechterverhältnissen und Konsum - disku­ anderen ist gerade in einer zentral verwalteten Wirt­ tiert werden Rollen, Praktiken und Konflikte im 19. schaft ein widersprüchlicher Akt des Kaufens zu be­ und 20. Jahrhundert. Die Aufsätze geben zugleich obachten. Läßt sich doch beispielsweise fragen, wie einen repräsentativen Einblick in Debatten innerhalb die Konsumenten mit dem weniger leicht Erworbenen der Frauenforschung, zu den Schwerpunkten: Reprä• umgingen. sentationsformen der Öffentlichkeit, Hausfrau als Sirnone Tippach-Schneider, Berlin Konsumentin, Kleiderkonsum in Belgien, Raucherin­ nen und Körperpflege in Großbritannien. Die Kon­ sumgeschichte eröffnet hier auch neue Einblicke in Siegtried Hermann u. a. zentrale Themen der Kultur- und Sozialgeschichte, Der deutsche Rundfunk. insbesondere mit den Erfahrungen von Körperlichkeit, Faszination einer technischen Entwicklung. Zeit, Rhythmus und Raum. Heidelberg: R. v. Decker's Verlag, G. Schenk 1994, Ein weiterer zentraler Begriff des Buches ist 288 Seiten. »Konsumrevolution«, der für Epochen und Orte ver­ Gerd Klawitter (Hrsg.) wendet wird, bei denen eine tiefgreifende Verände• 100 Jahre Funktechnik in Deutschland. rung der Konsumenten, des Geschmacks und der Funksendestellen rund um Berlin. Emotionen, bei den Bedeutungen und dem sozialen Berlin: Wissenschaft & Technik Verlag 1997, Gebrauch der Güter auszumachen ist ebenso wie ei­ 237 Seiten. ne veränderte Einstellung zum Kaufen, zu den mate­ Kurt Adamy u. a. (Hrsg.) riellen und immateriellen Werten. Hannes Siegrist hat Königs Wusterhausen. diesem Begriff in seinem Aufsatz mehrere Seiten Eine illustrierte Stadtgeschichte. gewidmet. Der Begriff »Konsumrevolution« wird in Berlin: Verlag Willmuth Arenhövel1998, dem Buch für das England des 17. und 18. Jahrhun­ 248 Seiten. derts verwendet, für das städtische Europa in der Wilhelm Herbst Aufstiegs- und ersten Blütezeit des Warenhauses von Mittelwelle. etwa 1860 bis 1920, für die Vereinigten Staaten der Band 1: Grundlagen. Zwischenkriegszeit und für das Westeuropa der Ostheim I Rhön: Wilhelm Herbst Verlag 1997, Nachkriegszeit. (S. 41f.) Die friedliche Konsumrevo­ 118 Seiten. lution, so der Autor, würde mit dem von den Politik­ Friedrich Weichart und Sozialhistorikern entworfenen Bild einer gewalt­ (1893 bis 1979). Erinnerungen eines verdienten samen sozialen und politischen Revolution kontra­ Funkpioniers aus seinem Leben und Wirken stieren. Mit kritischem Blick auf solche Deutungen (= Schriftenreihe zur Funkgeschichte, Bd. 8). konstatiert Siegrist »Fast scheint es, als sei den Eu­ Kelkheim: Verlag Dr. Rüdiger Walz 1997, ropäern das Bewußtsein abhanden gekommen, daß 287 Seiten. auch die großen politischen, kulturellen und wirt­ schaftlichen Umwälzungen vielfach - im stillen und Die einschlägige Fachgeschichtsschreibung in offen - mit Konsumrevolutionen verbunden waren und Deutschland ist nach wie vor geprägt von universitä• daß die soziale Revolution der Moderne ihre Energie ren Abschlußarbeiten, aber auch von Monographien und Ziele nicht nur aus der Welt der Produktion und und wissenschaftlichen Aufsätzen, die sich vorrangig der Arbeit im engeren Sinn bezogen haben.« (S. 43) mit der Organisations-, politischen- und juristischen Auch Wolfgang Ruppert warnt in seinem Text vor den Entwicklung des Rundfunks seit 1923 befassen. Da Gefahren eines zu engen »Konsumbegriffs« und ist es sehr zu begrüßen, daß in den vergangeneo plädiert für den Begriff der industriellen Massenkultur, Jahren einige Publikation erschienen sind, die sich um diejenigen Sachverhalte der Alltagskultur mitein­ generell der Technikgeschichte oder wichtigen ander in Beziehung zu setzen, die sich zwischen den Aspekten der technischen Entwicklung verschrieben Polen der industriellen Produktion, der Distribution haben - wenngleich mit recht unterschiedlichen Ziel­ und des Konsums bewegen. (S. 568) Wichtig er­ setzungen. scheint dem Autor der Begriff der industriellen Mas­ Drei Autoren, Siegtried Hermann, Wolf Kahle und senkultur auch deshalb, weil sich in diesem Kontext Joachim Kniestedt, vor 1989 bei den Postorganisa­ die Kalküle und Praktiken der Produzenten und Kon­ tionen der DDR und der Bundesrepublik in leitenden sumenten als Akteure mit unterschiedlichen Interes­ Stellungen beschäftigt, in den Jahren nach der Wen­ sen entfalten. de in der DDR und der deutschen (Wieder-)Vereini­ gung im Bereich der gesamtdeutschen Rundfunkver- Rezensionen 197 sorgung der Deutschen Telecom AG tätig, legen ein Sendeantenne«) befestigt war (S. 11 ), und an die reich bebildertes, mit Tabellen, Grafiken und Faksimi­ »Väter der Funktechnik« wie James Clark Maxwell les versehenes Buch vor. Doch gab es den »deut­ und Heinrich Hertz sowie an deren Epigonen in schen Rundfunk« überhaupt, oder sollte es nicht Deutschland, zu denen auch Slaby gehörte, der mit besser heißen: »Rundfunk in Deutschland«? Nichts­ kaiserlichem Wohlwollen und Unterstützung militäri• destotrotz: auch für technische Laien verständlich scher Stellen seine Experimente durchführten. Es fol­ geschrieben, befassen sich die Autoren mit der tech­ gen kleinere monographische Abhandlungen über die nischen Entwicklung des Rundfunks in Deutschland einzelnen Sendestationen, wobei zunächst deren je­ und - wie nach der Vereinigung auch gar nicht mehr weilige geographische Lage, die Gründe für deren anders denkbar - auch mit derjenigen der Rundfunk­ Errichtung, ihre Entwicklung bis zur Stillegung oder systeme in den beiden deutschen Staaten während Weiterführung in die heutige Zeit beschrieben wer­ der Teilung. den, einschließlich einiger Katastrophen, wie bei­ Joachim Kniestedt, früher bereits als Autor zahl­ spielsweise der Einsturz von Sendemasten. Darge­ reicher rundfunkhistorischer Beiträge vor allem im stellt wird u. a. die »Großfunkstelle Nauen«, die, 1906 »Archiv für das Post- und Fernmeldewesen« hervor­ errichtet, vor allem den funkentelegraphischen Ver­ getreten und Mitarbeiter des westdeutschen Postmi­ kehr mit Deutschlands Kolonien aufrechterhalten nisteriums, hat den Löwenanteil der Beiträge über• sollte und heute - von der Deutschen Telekom, mit nommen: über die Entwicklung des Rundfunks in neuester Technik ausgestattet, betrieben - die Här• Deutschland bis 1945 und die im Westen bis 1989, tunkprogramme der Deutschen Welle weltweit ver­ über den Rundfunk im vereinten Deutschland mit breitet; die »Hauptfunkstelle Königs Wusterhausen«, dem Schwerpunkt Sendertechnik mit einzelnen Ab­ 1915 unter militärischen Aspekten installiert, nach schnitten über Mittel-, Lang-, Kurz- und Ultrakurzwelle dem Ersten Weltkrieg jahrzehntelang für Rundfunk­ sowie Auslandsrundfunk, Drahtfunk und Sendernet­ zwecke genutzt, zunächst für Sendungen über Lang-, ze, außerdem über die internationalen Regelungen später auch über Kurz- sowie über Mittelwelle, stellte für die Frequenznutzung. Siegtried Hermann, be­ 1995 ihren Betrieb ein und steht seither mit ihren drei schäftigt im Rundfunk- und Fernsehtechnischen Zen­ Senderhäusern und ihrem 210 m hohen Stahlfach­ tralamt der DDR, zuletzt als dessen Leiter, befaßt werkmast aus dem Jahr 1925 unter Denkmalschutz; sich nicht mit der »Entwicklung des Rundfunks im die »Rundfunksendestelle Zeesen«, die anläßlich der Osten Deutschlands nach 1945«, wie es in der Über• Olympischen Spiele in Berlin 1936 zum Kurzwellen­ schrift seines Beitrags heißt, sondern nur mit der zentrum für die weltweite Berichterstattung über die­ Sendertechnik. Hätte er sich mit der technischen ses Ereignis ausgebaut, 1945 von der sowjetischen Entwicklung im zweiten deutschen Staat nämlich Besatzungsmacht gesprengt und ab 1960 vom DDR­ umfassend beschäftigt, hätte ein weiterer Autor gar Ministerium für Staatssicherheit nach umfangreichen nicht tätig werden müssen. So aber schreibt Wolf Aufbauarbeiten bis zur Wende 1989/90 für 32 Kurz­ Kahle, während seines beruflichen Werdegangs auch wellensender genutzt wurde (für die Übermittlung von Ton- und Übertragungsingenieur beim Rundfunk der Botschaften an ihre Spione außerhalb der DDR?; das DDR, über die » Rundfunk-Studiotechnik bei der Deut­ Buch gibt darüber leider keine Auskunft). Neben schen Post«. Dies ist dem Umstand geschuldet, daß weiteren Rundfunksendesteilen in Herzberg an der im zweiten (ost)deutschen Staat die Studiotechnik Elster, Burg, Köpenick, Wachenbrunn, Wiederau, nicht, wie bereits 1929 im Deutschen Reich veran­ Wilsdruff, Wöbbelin werden auch die Senderanlagen laßt, dem Rundfunk zugeordnet wurde, sondern in des Senders Freies Berlin und des RIAS Berlin vor­ den Verantwortungsbereich der Post lag. gestellt, außerdem der Fernsehturm am Alexander­ 100 Jahre nach den ersten Funkversuchen in platz im Zentrum Berlins, die vor allem während des Deutschland über eine längere Distanz durch den an Kalten Krieges die Botschaften vom jeweils besseren der Technischen Hochschule in Berlin-Charlottenburg Regierungssystem im gegnerischen Lager verkünde• lehrenden Physikprofessor Adolf Slaby legen der Mit­ ten . arbeiter der Deutschen Telecom AG in Münster, Gerd Die Dokumentation ist leider so sehr auf die DDR Klawitter, und drei weitere Autoren eine reich illu­ bzw. die frühere DDR fixiert, daß sie einige wesentli­ strierte Dokumentation vor, die sich mit der Geschich­ che Stationen aus der Zeit vor 1945 schlicht verges­ te der annähernd zwei Dutzend (Rund)funksender in sen hat, so die erste, provisorisch vom Reichsteie­ und um Berlin befassen. Der geographische Ein­ graphenamt hergerichtete Sendeanlage unter dem zugsbereich »rund um Berlin« beschränkt sich dabei Dach des Vox-Hauses in der Potsdamer Straße und nicht auf das Umland, sondern schließt auch sende­ den Berliner Funkturm in Witzleben, der im Septem­ technische Einrichtungen ein, die in Burg bei Magde­ ber 1925 auf Sendung ging, immerhin als eines der burg, auf dem Brocken im Harz, in Mecklenburg­ Berliner Wahrzeichen gilt, und im Dezember 1933 Vorpommern oder in der Nähe Leipzigs, also im Ge­ durch den Berliner »Großsender« in Tegel ersetzt biet der früheren DDR, aber auch in (West-) Berlin wurde. Hilfreich wäre auch eine Karte gewesen, um liegen. Ein wichtiges Anliegen der Verfasser war da­ so die Senderstandorte leichter identifizieren zu kön• bei, vor allem die Sendeanlagen, die zur DDR-Zeit nen, was zwar mit einer heutigen Straßenkarte mög• hermetisch abgeriegelt waren, per Text und Bild zu lich ist, den Gebrauchswert des Buches aber etwas dokumentieren, bevor sie, da technisch stark veraltet, einschränkt. verschrottet oder durch moderne Anlagen ersetzt Die reich mit 210 Fotos, Faksimiles und Grafiken wurden. »illustrierte Orts- und Stadtgeschichte« von Königs So erinnert Herausgeber Klawitter an die Hei­ Wusterhausen, herausgegeben im Auftrag der Stadt­ landskirche in Sacrow, an der 1897 die erste Sende­ verwaltung, zeigt auf dem Umschlag ein Foto der antenne in Deutschland (nicht die »erste deutsche Sendeanlage aus der Zeit um 1930. Bis in die Ur- und 198 Rundfunk und Geschichte 24 (1998)

Frühgeschichte des Gebietes greift die Darstellung, Abschluß seines Studiums trat er in das Telegraphen­ an der mehrere Autoren beteiligt sind, zurück, befaßt lechnische Reichsamt ein, für das er nicht nur den sich mit der ersten urkundliche Erwähnung des Ortes Sender im Vox-Haus baute, sondern beispielsweise am 19. September 1320, geht auf seine Entwicklung auch die Bauleitung bei der Errichtung des Großsen• unter verschiedenen Adelsgeschlechtern und als ders Harnburg von 1932 bis 1934 innehatte. Nach Besitzung der brandenburgischen Kurfürsten und dem Ende des Zweiten Weltkriegs erlebte er als Lei­ preußischen Könige bis Anfang des 19. Jahrhunderts ter der Kurzwellenstation Oebisfeld zunächst die sowie die Geschichte im Zeitalter der Industrialisie­ amerikanischen Besatzer, danach die russischen. rung bis zum Ende des Ersten Weltkriegs ein. Eher Seit 1948 im Ruhestand, starb der 86jährige Weichart beiläufig und ziemlich lakonisch wird, trotz des Fotos 1979 in Hannover. auf der Umschlagseite, auf die Sendeanlage, die Kö• Ansgar Diller, Frankfurt am Main nigs Wusterhausen zumindest in (rundfunk-) tech­ nischen Fachkreisen deutschland-, wenn nicht gar weltweit bekannt gemacht hat, eingegangen: durch Hajo Goertz ein längeres Zitat aus einem Aufsatz von Telegra­ 150 Jahre Deutsche Katholikentage 1848-1998. phendirektor Hans Gerlach, der 1930 in der Fest­ 2 CDs mit Booklet. schrift zum 50jährigen Bestehen der C. Lorenz AG o.O.: DeutschlandRadio/Weilbild Wort 1998. erschienen ist und in dem über die Frühgeschichte des 1915 ursprünglich als Heeresfunkstation des Anfang Oktober 1848 trafen sich Vertreter der neu preußischen Kriegsministeriums errichteten Senders gegründeten katholischen Vereine zu einer »General­ berichtet wird, über den im Dezember 1920 ein erstes versammlung« in Mainz - zum ersten Deutschen Ka­ Konzert als Vorläufer der späteren Rundfunksendun­ tholikentag. Im Juni 1998 findet, ebenfalls in Mainz, gen ausgestrahlt wurde. Eingestreute Fotos mit Sen­ der 93. Deutsche Katholikentag statt. Mit der auf­ damasten aus verschiedenen Perspektiven unter­ wendigen Doppel-CD » 150 Jahre Deutscher Katholi­ streichen die Bedeutung des Ortes als Senderstand­ kentag 1848 - 1998« gibt Hajo Goertz einen histori­ ort, der Textteil des Buches wird dem aber in keiner schen Überblick über Themen und Aufgabenstellun­ Weise gerecht. Fast ganz zum Schluß wird eher am gen dieser spezifisch deutschen Form des Laienka­ Rande noch darauf aufmerksam gemacht, daß über tholizismus. Während wichtige Äußerungen in den Königs Wusterhausen von 1948 bis 1972 das Pro­ ersten Jahrzehnten naturgemäß nur in Form von Zita­ gramm des Berliner bzw. eines der Programme des ten wiedergegeben werden können, bietet sich ab Rundfunks der DDR ausgestrahlt wurde und daß sich dem Katholikentag 1932 in Essen der Originalton an: 1975 bei der 600-Jahr-Feier während des histori­ Wichtige Redeausschnitte von Präsidenten der Ver­ schen Festumzugs zwei von 14 Motivwagen Königs anstaltungen, Bischöfen, Kardinälen, auch Politikern - Wusterhausen als (Rund-)Funkstadt vorstellten. in seltenen Fällen auch von unbekannten Laien- sind Mit den »goldenen« Jahren des Mittelwellenemp­ auf Tondokumenten festgehalten. Goertz geht dabei fangs befaßt sich das von Wilhelm Herbst vor allem nicht chronologisch vor, sondern teilt die Dokumenta­ für diejenigen, die das Wellenjagen zu ihrem Hobby tion in sechs thematische Kapitel ein, z.B. »Die sozia­ gemacht haben, geschriebene Buch. Nach Auskunft le Frage« oder »Friede, Gerechtigkeit, Bewahrung des Autors ist die Veröffentlichung das Teilergebnis der Schöpfung«. Aufgelockert werden die Redebei­ einer schon mehr als 30 Jahre andauernden Be­ träge durch kurze Ausschnitte aus Kirchenliedern im schäftigung mit diesem Frequenzbereich, der einem historischen Originalton. stetigen Niedergang ausgesetzt gewesen ist und Die 0-Ton-Dokumentation stammt im wesentli­ praktisch vor dem »Aus« steht, da die Störeinflüsse chen aus den Schallarchiven mehrerer Rundfunkan­ nicht mehr beherrschbar sind. Das Buch druckt Aus­ stalten (BR, ORB, DeutschlandRadio), dem Deut­ züge aus Zeitschriften- und Buchveröffentlichungen schen Rundfunkarchiv sowie dem Archiv des Zentral­ zur Wellenausbreitung und Empfangsbeeinflussung komitees der deutschen Katholiken selbst. Bemer­ mit Schwerpunkt 20er bis 50er Jahre nach, ohne daß kenswert früh hat der Vatikan die Möglichkeiten des im einzelnen erkennbar wird, wann ein Zitat beginnt Rundfunks genutzt: Schon 1948, beim ersten Katholi­ und wann es endet. Eine sorgfältigere Edition für die kentag in der Nachkriegszeit, wendete sich Papst Pi­ nachfolgenden Bände wäre sehr wünschenswert. us XII. in deutscher Sprache in einer Radiobotschaft Friedrich Weichart, dem in die Geschichte des direkt an die Gläubigen. Rundfunks eingegangenen Pionier, widmet sich eine Die umfangreiche, sorgfältige zusammengestellte Publikation, die Karl Neumann, der Initiator der »Ge­ und kommentierte Tondokumentation beruht auf zwei sellschaft der Freunde der Geschichte des Funkwe­ Sendungen des Deutschlandfunks vom Juni 1998. sens« aufgrund von Aufzeichnungen Weicharts zum Leider hat Hajo Goertz die technischen Möglichkeiten Druck vorbereitet hat. Weicharts Name wird immer der CD nicht genutzt: Die über 100 kurzen 0-Ton­ dann genannt, wenn über den ersten Sender im Vox­ Sequenzen können nicht einzeln abgerufen, sondern Haus in der Berliner Potsdamer Straße berichtet wird. müssen erst zeitaufwendig aus den sechs Kapiteln Hier baute er im Herbst 1923 binnen zwei Wochen herausgesucht werden. Ein knapp 80seiliges Booklet auf Anweisung von Hans Bredow, dem Staatssekre­ bietet umfassende Informationen über alle bisherigen tär im Reichspostministerium, aus vorhandenen 92 Kirchentage. technischen Zutaten des Telegraphentechnischen WR Reichsamtes den ersten Rundfunksender auf. Weichart, 1893 in Berlin geboren, studierte Phy­ sik, zog als Freiwilliger in den Ersten Weltkrieg und diente als Funker in verschiedenen Funktionen. Nach Bibliographie

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Jahrestagung des Studienkreises vermittlung durch die Veranstaltungsreihe Rundfunk und Geschichte in Leipzig »Leipzig liest« in Verbindung mit der Leipziger Buchmesse zur Sprache. Eingeladen waren so­ Vom 4. bis 6. Mai 1998 fand die Jahrestagung wohl Vertreter der »kritischen Öffentlichkeit« - des Studienkreises Rundfunk und Geschichte Kulturredakteure der regionalen Sächsischen erstmals nach fast 30 Jahren nicht mehr im Ze~tung wie der. lokalen Stadtzeitung -, die Lei­ Herbst, sondern im Frühjahr und zwar in Leipzig tenn des städtischen Kulturdezernats sowie statt. Der Vorstand hatte schon vor einiger Zeit Vertreter der Buch- und Medienbranche: Bör• beschlossen, die jährliche Zusammenkunft vom senverein, Messe und Bertelsmann. Die Dis­ terminbeladenen Herbst auf die erste Jahreshälf• kussion verlief wenig konträr im Hinblick auf den te zu verlegen. Positiv beschieden wurde auch »kulturellen Wert«, da im wesentlichen Konsens ein Angebot, die Tagung des Studienkreises im über »Erfolg« und »positives Profil« der Veran­ Rahmen einer anderen Veranstaltung durchzu­ staltungsreihe mit inzwischen fast 800 Einzel­ führen. Die Zusammenarbeit mit dem »Mittel­ veranstaltungen wie Dichterlesungen, Buchvor­ deutschen Medienforum« und dessen kurz­ stellungen, Kritikergesprächen etc. bestand. !ristige Terminplanung brachte es mit sich, noch Vorsichtige Einwände des jungen Kulturredak­ 1m Januar 1998 sich für eine Beteiligung in der teurs, daß er für seine Berichterstattung schon ersten Maiwoche zu entscheiden. Es war durch­ eine deutliche Auswahl treffen müsse, nicht nur aus als Experiment zu betrachten, die Jahres­ weil die Anzahl der Einzelveranstaltungen inzwi­ tagung in einen zeitlichen und lokalen Zusam­ schen unüberschaubar geworden sei, sondern menhang mit dem »Mitteldeutschen Medienfo­ vor allem auch deshalb, weil in Leipzig eben al­ rum« zu veranstalten. Dieser Versuch kann un­ les vorgelesen werde und jeder über alles lesen ter dem Aspekt, der Jahrestagung ein größeres könne (also im Grunde das Buchclub-Konzept Forum und mehr Aufmerksamkeit zu verschaf­ des Bertelsmann-Verlages als Organisation der fen, nur bedingt als geglückt angesehen werden: Veranstaltungsreihe übernommen worden sei) Die Teilnehmer eines mit den aktuellen und Zu­ und deshalb seine kulturkritische Aufgabe zu­ kunftsfragen des Rundfunks beschäftigten Kon­ nehmend wichtiger werde, fand nur geringe Re­ gresses wie des »Mitteldeutschen Medienfo­ sonanz bei den übrigen Gesprächspartnern. rums« lassen sich nur bedingt für das Programm Schließlich - das war deutlich - wollte niemand des Studienkreises mit seinen historischen aus dem Glashaus heraus mit Steinen werfen. Schwerpunkten interessieren. Umgekehrt nutz­ Erst als die Frage aufkam, wie denn die »Ost­ ten jedoch auch Teilnehmer der Studienkreista­ West«-Problematik sich in der Planung und gung die Gelegenheit, die Sektionen und Plenar­ Entwicklung von »Leipzig liest« bemerkbar ge­ veranstaltungen des Medienforums zu besu­ ~acht ~abe und mache (schließlich ist »Leipzig chen. Wegen des aus organisatorischen Grün• liest« e1ne uralte Veranstaltung mit Traditionen den sehr kurzen Zeitraums zwischen Programm­ vor 1989, Bertelsmann als Haupt-Sponsor aber versand und Einladung und der ungünstigen einer der weltweit führenden Medienunterneh­ Terminierung ·mitten in der Woche nahmen auch mer aus Westdeutschland), kam es zu deutlich weniger Mitglieder als sonst üblich an der Jah­ unterschiedlichen Auffassungen. Je mehr die ei­ restagung teil. nen die Problematik glattweg leugneten, um so Die Vorträge der Jahrestagung, die unter mehr fühlten die anderen sich ermutigt, sie für dem thematischen Obertitel »Apokalyptiker und wichtig genug und längst nicht gelöst zu halten: Euphoriker. Mediale Umbrüche in unserem weder im Hinblick auf die Einladungspolitik (wer Jahrhundert - Prognosen und Fakten« zusam­ liest) noch die Themen (was wird gelesen) noch mengefaßt waren, reichten von der Betrachtung darauf, wie die Literaturvermittlung in Leipzig des Themas an einem kleinen, gleichwohl nicht und in Sachsen insgesamt durch solche Veran­ unwichtigen Detail (der Umbruch vom Stummfilm staltungen in Interessenkonflikte geraten könne. zum Tonfilm) bis zu Szenarien der schönen Einig war man sich allerdings, und das versöhnte neuen Medienweit bzw. einer computerisierten über alle Gegensätze hinweg, daß den Neofa­ Gesellschaft im nächsten Jahrhundert. Sie wer­ schisten auch in Zukunft in Leipzig durch den im Heft 4/1998 der Zeitschrift »Rundfunk »Leipzig liest« kein Sprachrohr geboten werden und Geschichte« abgedruckt werden. soll. ln der Sitzung der Fachgruppe »Literatur« Die Konsequenzen der Digitalisierung der die am 6. Mai kamen die Probleme der Literatur~ Produktionsabläufe sowie Speicherung der Sen- 202 Rundfunk und Geschichte 24 (1998) dematerialien waren Gegenstand der Sitzung Ravenstein (Münster) und Norbert Weigend der Fachgruppe »Archive und Dokumentation«, (Essen). ebenfalls am 6. Mai. Die mehr technischen Interessenten können die Anmeldeunterlagen Aspekte und archivorganisatorischen Fragen der erhalten bei: Dr. Marianne Ravenstein, Universi­ neuen Entwicklungen wurden von Albrecht Haf­ tat Münster, Institut für Kommunikationswissen­ ner (Südwestfunk) dargestellt. Studiotechnik und schaft, Bispinghof 9-14, 48143 Münster, Tel. Speichermedien der Hörfunk- und Fernseharchi­ 0251/ 832-4262, Email-Adresse: ravenst@uni­ ve befinden sich derzeit in einem rasanten Wan­ muenster.de. del: Aus dieser Sicht bringt die Miniaturisierung des Speicherplatzes und der Automatisierung Folgendes Programm ist vorgesehen: vieler archivischer Routinetatigkeiten viele Vor­ teile, sie setzt Kapazitaten für höherwertigen, vor Freitag, 6. November 1998 allem dokumentarischen Input frei, der bisher nicht geleistet werden konnte. ln den Ausfüh• 18.00 Uhr Anreise rungen von Dr. Michael Harms (Südwestfunk) 18.30 Uhr Abendessen und dem sich anschließenden Gesprach über die archivischen Konsequenzen aus den neuen 19.30 Uhr Begrüßung und Vorstellung der Aufzeichnungstechniken und daraus ableitbaren Teilnehmer(innen) Dokumentationsverfahren mit automatisierter 20.30 Uhr Gespräch mit N.N. zum Aufbau des Bild- bzw. Motiverkennung (sie sind technisch Rundfunks in Südwestdeutschland und noch nicht völlig ausgereift, werden aber bald zur zur Reform bis zum Südwestrundfunk Verfügung stehen) wurde deutlich, daß es noch erheblicher Anstrengungen bedarf, die dadurch Samstag, 7. November 1998 wie durch die neuen Tragermedien keineswegs obsolet gewordenen klassischen archivischen 8.00 Uhr Frühstück Arbeitsmethoden den neuen Gegebenheiten an­ 9.00 Uhr Bildung der Arbeitsgruppen, zupassen. Daß man diesbezüglich erst am An­ Gruppenarbeit fang steht und das fachinterne wie das Ge­ sprach mit den Nutzern unbedingt fortgesetzt 12.30 Uhr Mittagessen werden muß, war der nachhaltigste Eindruck, anschl. Fortsetzung der Gruppenarbeit den die Teilnehmer dieser Veranstaltung mit nach Hause nehmen konnten. 18.30 Uhr Abendessen EL 20.00 Uhr Patrick Conley, Berlin: »ln Wahrheit aber haben die >freundlichen Zeiten< begonnen«. Das Hörfunk-Feature in der DDR 26. Doktoranden-Kolloquium des 1965 bis 1979. Studienkreises in Baden-Baden 1998 Sonntag, 8. November 1998

Vom 6. Bis 8. November 1998 findet in Baden­ 8.00 Uhr Frühstück Baden das Doktoranden-Kolloquium des Stu­ dienkreises Rundfunk und Geschichte statt. 9.30 Uhr Prof. Dr. Knut Hickethier, Universität Auch wenn Tagungsort und Termin dieses Jahr Harnburg Rundfunk und kultureller Wandel. gewechselt haben, ist das bewahrte Konzept Konsequenzen für die des Kolloquiums mit Examenskandidatinnen und Rundfunkforschung -kandidaten ansonsten beibehalten worden. Durch die Verlegung der Jahrestagung des Stu­ Ulrich Timmermann, WDR Köln dienkreises in die erste JahresMitte wurde die Rundfunk und kultureller Wandel. Konsequenzen für Rundfunkanbieter Terminierung des Kolloquiums in den Herbst er­ forderlich. Dieses Jahr folgt der Studienkreis mit 11.30 Schlußdiskussion seinem Examenskolloquium einer Einladung des Südwestfunks und wird sich daher in Baden­ anschl. Mittagessen und Abreise Baden zum Diskurs mit Studierenden treffen. An den Tagungsort Baden-Baden kann der Marianne Ravenstein, Münster Studienkreis Rundfunk und Geschichte bis zu 30 Teilnehmerinnen und Teilnehmer einladen. An­ meldeschluß ist der 23. Oktober 1998. Über• nachtung und Verpflegung sind kostenlos. Ver­ antwortlich für das Kolloquium sind Dr. Marianne Informationen aus dem Deutschen Rundfunkarchiv

Buchreihe des Deutschen zuarbeiten, zu erklären, wie es dazu hat kom­ Rundfunkarchivs mit drei men können und welche Folgen sie hatten. Mangels gedruckter Medien, die diese Aufgabe neuen Titeln fortgesetzt und auch die Aufgabe der Umerziehung (»Re­ education«) hätten übernehmen können, wurde Mit drei neuen Titeln, die in Kürze erscheinen, sie dem Rundfunk übertragen. Wie sich der wird die Buchreihe »Veröffentlichungen des Rundfunk dieser von den Alliierten diktierten Deutschen Rundfunkarchivs« fortgesetzt. Neben Herausforderung stellte, zeigt Christoph Schnei­ einem Verzeichnis von Tondokumenten für die der am Beispiel des Radioprogramms des Nord­ Zeit von 1888 bis 1932 werden zwei Monogra­ westdeutschen Rundfunks für die Jahre von phien publiziert - über die Thematisierung des 1945 bis 1948 in seinem Buch, das auf einer Nationalsozialismus im Programm des frühen Münsteraner publizistikwissenschaftlichen Dis­ Nachkriegsrundfunks sowie über das publizisti­ sertation beruht. ln diese Zeit fallen der Prozeß sche Wirken von Alfred Braun. gegen die Verantwortlichen des Konzentrations­ lagers Sergen-Belsen und gegen die Haupt­ Mehr als 1 500 Tonaufnahmen zur Kultur- und kriegsverbrecher vor dem Tribunal in Nürnberg, Zeitgeschichte für die Zeit von 1888 bis 1932 während der, von den Alliierten gelenkt, signifi­ dokumentiert ein Verzeichnis, in dem Reporta­ kant viele Sendungen sich dieses Themas an­ gen, Reden und Interviews, aber auch Rezitatio­ nahmen. Ab Ende 1946 ließ das Interesse nach, nen, Autorenlesungen sowie Hörspiele nachge­ nahezu gleichmäßig verteilt über sämtliche Pro­ wiesen werden, die in der Stiftung Deutsches grammsparten. Rundfunkarchiv am Standort Frankfurt am Main archiviert sind. Damit hat sich die Zahl der Ton­ Christoph Schneider: Nationalsozialismus als dokumente mehr als verdreifacht im Vergleich zu Thema im Programm des NWDR (1945- 1948). der in früheren Katalogen (»Tondokumente des (= Veröffentlichungen des Deutschen Rund­ deutschsprachigen Hörspiels 1928 - 1945«, funkarchivs, Bd. 16). Potsdam: Verlag für Berlin­ 1975; »Tondokumente zur Zeitgeschichte 1888 - Brandenburg 1998. 1932«, 1977) nachgewiesenen. Mit dieser Publi­ kation will das Deutsche Rundfunkarchiv darauf Die publizistische Biographie Alfred Brauns aufmerksam machen, daß Tonaufnahmen dazu (1888 - 1978), Steffen Jenters Münchener Ma­ beitragen können - ergänzend zu Text- und Bild­ gisterarbeit, befaßt sich mit einer Persönlichkeit, dokumenten -, politische und kulturelle Ereignis­ die wie keine andere die Frühzeit des jungen se in Erinnerung zu rufen sowie Personen durch Mediums Rundfunk in den 20er Jahren geprägt ihre Stimme zu vergegenwärtigen. Während die hat. Ob Reportagen, Hörbilder oder Hörspiele - überlieferten Dokumente aus der Frühzeit der überall ist der Einfluß von Alfred Braun, der vom Tonaufzeichnung oft als Kuriosa einzuschätzen Theater zum Rundfunk kam, erkennbar. Als Mit­ sind, spiegeln sie in den 20er Jahren in hohem arbeiter der Berliner Funkstunde AG schuf er mit Maße Kultur und Politik der Weimarer Republik seinen Reportagen, die sich nicht allein auf die authentisch wider. Dies gilt insbesondere für die Wiedergabe von Fakten beschränkte, sondern Zeit ab 1929, als der Rundfunk begann, Sen­ auch Atmosphäre und Stimmung am Ort des dungen durch das Verfahren der elektrischen Geschehens durch die Schilderung einfing, die Tonaufzeichnung auf Schallplatte zu konservie­ Grundlage für ein Rundfunkgenre, das sich auch ren. An das Scheitern der Weimarer Republik, bald bei anderen Rundfunkgesellschaften fest aber auch an Momente ihrer kulturellen Blüte etablierte. Zwar gab es im Rundfunk der Weima­ kann somit akustisch erinnert werden. rer Republik auch andere herausragende Repor­ ter, doch Braun zeichnete sich durch eine ein­ Tondokumente zur Kultur- und Zeitgeschichte zigartige Vielfalt an Themen und deren Umset­ ( 1888 - 1932). Zusammengestellt und bearbeitet zung aus. So berichtete er gleichermaßen aus von Walter Roller (= Veröffentlichungen des Sport, Politik und Kultur - von Fußballspielen, Deutschen Rundfunkarchivs, Bd. 15). Potsdam: Verfassungsfeiern und Nobelpreisverleihungen. Verlag für Berlin-Brandenburg 1998. Jenter befaßt sich auch mit Brauns Tätigkeit für das Fernsehen im Dritten Reich und mit seiner Nach Ende des Zweiten Weltkriegs galt es die Arbeit nach 1945 für Radio Stuttgart, den Berli­ Jahre der nationalsozialistischen Diktatur in ner Rundfunk, den NWDR Berlin und den Sen- Deutschland und in weiten Teilen Europas auf- 204 Rundfunk und Geschichte 24 (1998) der Freies Berlin, als dessen Intendant er kurze Zeit amtierte. Steffen Jenter: Alfred Braun - Radiopionier und Reporter in Berlin. (= Veröffentlichungen des Deutschen Rundfunkarchivs, Bd . 17). Potsdam: Verlag für Berlin-Brandenburg 1998. DRA

CD »Hymnen der Deutschen« ln der Editionsreihe »Stimmen des 20. Jahrhun­ derts« haben das Deutsche Historische Museum Berlin und die Stiftung Deutsches Rundfunkar­ chiv Frankfurt am Main - Berlin die Doppel-CD »Hymnen der Deutschen« herausgebracht. 27 Tondokumente, von denen ein Dutzend die Tan­ tragersammlungen des Deutschen Rundfunkar­ chivs an seinen beiden Standorten beigesteuert haben, die übrigen aus Industriebestand stam­ men, geben einen Querschnitt durch die ver­ schiedenen Varianten von Kompositionen, die dem Ziel dienten, Obrigkeit, Nation und Staat zu verherrlichen. ln der Edition sind das Streich­ quartett C-Our von Joseph Haydn und die Hym­ ne »Gott erhalte Franz den Kaiser« - ein frühes Deutschlandlied - von 1797, »Deutschland, Deutschland über alles« von August Heinrich Hoffmann (von Fallersleben), der den Text 1841 auf Helgeland niederschrieb und der 1922 zur Nationalhymne des Deutschen Reiches be­ stimmt werden sollte, ebenso enthalten wie das Horst-Wessei-Lied, der, von 1933 bis 1945, zweiten Nationalhymne des nationalsozialisti­ schen Deutschland, die DDR-Hymne »Aufer­ standen aus Ruinen« und die dritte Strophe »Einigkeit und Recht und Freiheit«, die Hymne der Bundesrepublik Deutschland. Außerdem sind zu hören »Heil dir im Siegerkranz« in ver­ schiedenen Variationen, der »Kaisermarsch«, das gegen Frankreich gerichtete patriotische Lied »Sie sollen ihn nicht haben, den freien deutschen Rhein«, aber auch das gegen die Obrigkeit gerichtete Lied »Fürsten zum Land hinaus« und den »Kalbermarsch«, eine Parodie auf das Horst-Wessei-Lied von Bertolt Brecht und Hanns Eisler. Die Edition, mit einem einführenden Text des Musikjournalisten Frieder Reininghaus, ist über das Deutsche Historische Museum zum Preis von DM 9,95 zu beziehen. DRA