Rundfunk und Geschichte

Mitteilungen des Studienkreises Rundfunk und Geschichte Informationen aus dem Deutschen Rundfunkarchiv

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29. Jahrgang Nr. 3 / 4 – Juli / Oktober 2003

Deutschsprachige Rundfunksendungen aus der Sowjetunion. Reaktion in Deutschland (1929 - 1933)

DT 64 – Vom Festivalradio zur Jugendsendung

Auseinandersetzung um das Farbfernsehsystem der DDR

Das Magnetophon bei der RRG

Rezensionen

Bibliographie

Mitteilungen des Studienkreises Rundfunk und Geschichte

Informationen aus dem Deutschen Rundfunkarchiv

Zitierweise: RuG – ISSN 0175-4351 ______Redaktion: Ansgar Diller Edgar Lersch ______Redaktionsanschrift

Dr. Ansgar Diller, Deutsches Rundfunkarchiv Frankfurt am Main – Potsdam-Babelsberg, Bertramstraße 8, 60320 Frankfurt am Main, Tel. 069-15687212, Fax 069-15687200, Email: [email protected] Prof. Dr. Edgar Lersch, Südwestrundfunk, Historisches Archiv, 70150 , Tel. 0711-9293233, Fax 0711-9293345, Email: [email protected] Redaktionsassistenz: Dr. Stefan Niessen Herstellung: Michael Friebel Redaktionsschluss: 29. Dezember 2003 Das Inhaltsverzeichnis von ›Rundfunk und Geschichte‹ wird ab Jg. 19 (1993), H. 1, im INTERNET (http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/zeitschr/RuGe/rugindex.htm) angeboten. Texte von ›Rundfunk und Geschichte‹ werden ab Jg. 25 (1999), H. 4, online im INTERNET (http://www.medienrezeption.de) angeboten. Bitte heraustrennen, ausfüllen und sofort abschicken!!

Edgar Lersch Vorsitzender des Studienkreises Rundfunk und Geschichte e.V.

November 2003

Liebe Mitglieder des Studienkreises, das vom Studienkreis Rundfunk und Geschichte herausgegebene Jahrbuch Medien und Geschichte 2003 ist erschienen. Es befasst sich in Erinnerungen, Analysen und Meinungen mit dem „Rundfunk in Ostdeutschland“ – zehn Jahre nach dem Start des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in den neuen Bundeslän- dern.

Wie in den vergangenen Jahren können Sie als Mitglied das Jahrbuch zu einem Sonderpreis beziehen. Für die Bestellung findet sich auf der Rückseite ein Be- stellformular, das Sie direkt an die Schatzmeisterin, Frau Brück, faxen oder das Sie in einem Briefumschlag mit Fenster an sie senden können. Bitte unterstüt- zen Sie die Arbeit des Studienkreises, indem Sie jetzt diese Bücher für sich persönlich oder für Ihre Institution bestellen.

Mit guten Wünschen für die kommenden Festtage

Ihr

Edgar Lersch An die Schatzmeisterin des Studienkreises Rundfunk und Geschichte e.V., Frau Dr. Ingrid Brück Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg Medien und Kommunikation 06099 Halle (Saale)

Fax 0345 / 55 - 27 058

Hiermit bestelle ich

 das „Jahrbuch Medien und Geschichte 2003“: Rundfunk in Ostdeutsch- land, 286 Seiten, zum Preis von 20 € (inklusive Verpackung und Porto).

 das „Jahrbuch Medien und Geschichte 2002“: Schriftsteller und Rund- funk, 389 Seiten, zum Preis von 20 € (inklusive Verpackung und Porto).

 das „Jahrbuch Medien und Geschichte 2001“: Regionalisierung im Rund- funk, 189 Seiten, zum Preis von 10 € (inklusive Verpackung und Porto).

Den fälligen Betrag

 überweise ich auf das Konto des Studienkreises, Konto-Nr.: 392 049, BLZ: 500 502 01, Frankfurter Sparkasse von 1822.

 soll per Einzug von meinem Konto bei der Bank (BLZ) abgebucht werden

Die Lieferung soll an folgende Adresse erfolgen (bitte gut leserlich in Block- schrift):

(Name)

(Straße)

(PLZ, Ort)

(Ort), (Datum) (Unterschrift) Inhalt

29. Jahrgang Nr. 3 / 4 – Juli / Oktober 2003

Aufsätze Ansgar Diller Deutschsprachige Rundfunksendungen aus der Sowjetunion Die Reaktion in Deutschland. Teil 1: 1929 - 1933 109 Heiner Stahl DT 64 – Vom Festivalradio zur Jugendsendung. Handlungsspielräume zwischen Blauhemd, Beatmusik und 11. Plenum 121 Gerhard Glaubitz PAL oder SECAM? Die ideologisch-politischen Auseinandersetzung um das Farbfernsehsystem der DDR 132 Friedrich Engel Das Magnetophon bei der RRG – Ambivalenz eines Tonträgers 138

Miszellen Peter Hoff (1942 - 2003) (Wolfgang Mühl-Benninghaus) 142 Keine Debatte über das Feature (Wolfram Wessels) 143 Personalakten des Reichssenders München Eine Quelle im Historischen Archiv des BR (Raphael Matthias Krug) 145 »Sound«. Zur Technologie und Ästhetik des Akustischen in den Medien Jahrestagung der Gesellschaft für Medienwissenschaft in (Edgar Lersch) 147 Mediensammlungen in Deutschland im internationalen Vergleich Symposium des Netzwerks Mediatheken in Bonn (Heiner Schmitt) 148 Wie Columbo ermitteln lernte. The Oral History of Television Project (Thomas Beutelschmidt) 150 50 Jahre Fernsehen in der Schweiz (Ansgar Diller) 151 Rundfunk und gesellschaftlicher Wandel. Kolloquium der SRG in Bern (Ansgar Diller) 152 Studien zur Rundfunkgeschichte nach 1945 Eine Tagung in München 15. - 17. Januar 2004 (Bettina Hasselbring) 153

Rezensionen Moshe Zuckermann (Hrsg.): Medien – Politik – Geschichte (Ansgar Diller) 154 Informationen zur modernen Stadtgeschichte 2002: Stadt und Medien (Edgar Lersch) 154 Albert Abramson: Die Geschichte des Fernsehens (Peter Hoff) 155 Albert Abramson: The History of Television, 1942 to 2000 156 106 Rundfunk und Geschichte 29 (2003)

Philipp Taylor / Graham Roberts (Hrsg.) The Historian, Television and Television History (Thomas Heimann) 156 Helmut Kreuzer: Deutschsprachige Hörspiele 1924-33 Elf Studien zu ihrer gattungsgeschichtlichen Differenzierung (Ulrike Schlieper) 157 Petra Galle: RIAS Berlin und 1945 - 1949 Die Entwicklung ihrer Profile in Programm, Personal und Organisation vor dem Hintergrund des beginnenden Kalten Krieges (Konrad Dussel) 158 Josef Schmid: Ein „Geschenk“ wird zerpflückt. Zur Teilung des NWDR in WDR und NDR Alexander Keller: Das Kölner Funkhaus 1945 - 1960 Probleme und Kontroversen (Ansgar Diller) 160 Irmela Schneider u.a. (Hrsg.): Medienkultur der 60er Jahre Diskursgeschichte der Medien nach 1945. Band 2 (Ansgar Diller) 160 Rüdiger Steinmetz / Tilo Prase: Dokumentarfilm zwischen Beweis und Pamphlet. Heynowski & Scheumann und Gruppe Katins (Knut Hickethier) 161 Michael Meyen: Denver Clan und . Mediennutzung in der DDR (Konrad Dussel) 162 Albert Kümmel / Petra Löffler (Hrsg.): Medientheorien 1888 - 1933 Markus Behmer u.a. (Hrsg.): Medienentwicklung und gesellschaftlicher Wandel. Beiträge zu einer theoretischen und empirischen Herausforderung (Helmut Schanze) 163 Ottfried Jarren / Patrick Donges: Politische Kommunikation in der Mediengesellschaft (Claudia Kusebauch) 165 Matthias Lau: Pressepolitik als Chance Staatliche Öffentlichkeitsarbeit in den Ländern der Weimarer Republik (Ansgar Diller) 166 Christoph Maria Fröhder: Ein Bild vom Krieg. Meine Tage in Bagdad (Oliver Zöllner) 167 Paul Lesch: Heim ins Ufa-Reich? NS-Filmpolitik und die Rezeption deutscher Filme in Luxemburg 1933 - 1944 (Wolfgang Mühl-Benninghaus) 167 Erdmann Thiele (Hrsg.): Telefunken nach 100 Jahren Das Erbe einer deutschen Weltmarke (Michael Crone) 168 Marie J. Berchoud: RFI et ses auditeurs (Oliver Zöllner) 169 Dieter Daniels: Kunst als Sendung. Von der Telegrafie zum Internet (Wolfgang Mühl-Benninghaus) 169 Reinhard R. Doerries (Hrsg.): Diplomaten und Agenten. Nachrichtendienste in der Geschichte der deutsch-amerikanischen Beziehungen (Ansgar Diller) 170 Dieter Bohlen mit Katja Kessler: Nichts als die Wahrheit (Oliver Zöllner) 170 Archivrecht – Archivzugang (Ansgar Diller) 171 Inhalt 107

Annett Müller: Abschied in Raten. Vom Neuen Weg zur Allgemeinen Deutschen Zeitung für Rumänien. (Ansgar Diller) 171 Kommunikation in Geschichte und Gegenwart 172 Wolfgang R. Langenbucher (Hrsg.): Elektronische Medien, Gesellschaft und Demokratie Hannes Haas / Wolfgang R. Langenbucher (Hrsg.): Medien- und Kommunikationspolitik. Ein Textbuch zur Einführung 172 Heinz D. Fischer / Arne Westermann: Knappe Geschichte der Hörfunk- und Fernsehwerbung in Deutschland 172 RIAS Berlin. Eine Radio-Station in einer geteilten Stadt. 173

Bibliographie Zeitschriftenlese 88 (1.1.2003 - 30.6.2003) (Rudolf Lang) 174

Mitteilungen des Studienkreises Rundfunk und Geschichte Jahrbuch Medien und Geschichte 2003 179 Jahrestagung des Studienkreises 2004 180

Informationen aus dem Deutschen Rundfunkarchiv Neu in der Buchreihe des DRA Woo-Seung Lee: Das Fernsehen im geteilten Deutschland (1952 - 1989) 181 In geteilter Sicht. Fernsehgeschichte als Zeitgeschichte – Zeitgeschichte als Fernsehgeschichte. Dokumentation eines Symposiums 181 Neue CDs Europa-Bewegung 181 Albert Einstein, Max Planck 182 Ein Sender in der Karibik. Materialien im DRA 182 108 Rundfunk und Geschichte 29 (2003)

Autoren der längeren Beiträge

Dr. Ansgar Diller, Deutsches Rundfunkarchiv, Bertramstraße 8, 60320 Frankfurt am Main

Heiner Stahl, Stromstraße 13, 14471 Potsdam

Dr. Gerhard Glaubitz, Vaalser Straße 11, 52064 Aachen

Friedrich Engel, Pater-Delp-Straße 3, 64625 Bensheim Ansgar Diller

Deutschsprachige Rundfunksendungen aus der Sowjetunion Die Reaktion in Deutschland. Teil 1: 1929-1933

Am 7. November 1929 vernahmen die Rund- Dieses Wohlwollen hielt nicht lange an, son- funkhörer im Deutschen Reich und auch an- dern schlug recht schnell in eine kritische Be- dernorts ganz neue Töne aus dem Äther: den richterstattung um. So bemängelte ›Die Sen- Aufruf »Proletarier aller Länder vereinigt Euch!« dung‹ das am 25. Dezember 1929 ausgestrahlte – in deutsch gesprochen – und das Kampflied »eigenartige ›Weihnachtsprogramm‹« mit seiner der internationalen Arbeiterbewegung, die »In- Kampfansage an die Religion aus Mokau. Die ternationale«.1 An diesem 7. November feierte »sozialreligiöse Begründung dieser antireligiösen die Sowjetunion den zwölften Jahrestag der Ok- Haltung« sei nicht uninteressant gewesen. Man toberrevolution. Als Jubelgeschenk an die habe erfahren können, dass der 25. Dezember »Werktätigen« deutscher Zunge in aller Welt für die Sowjetunion nicht der Tag der »Geburt strahlte von diesem Zeitpunkt an ein Sender im des sagenhaften Christus, sondern der Tag der Namen des Zentralrats der sowjetischen Ge- Industrialisierung« sei – der Kritiker verwendete werkschaften regelmäßig ein Programm mit keinen Gedanken darauf, dass die östlichen or- deutschsprachigen Beiträgen aus. Von den ei- thodoxen Kirchen diesen Feiertag allerdings zu nen wurden die Sendungen aus Moskau als Lü- einem anderen Termin begehen. Obwohl der ckenbüßer für nicht erfüllte Programmwünsche Kritiker noch darauf verwies, dass während der »revolutionärer Arbeiter«, die auch fleißig von Sendung auch antireligiöse Standardwerke in ihnen Notiz nehmen würden, hoch gelobt.2 Von deutscher Sprache empfohlen und Glückwunsch- den anderen wurden sie als ungebührliche Ein- depeschen zu Stalins 50. Geburtstag verlesen mischung in die deutsche Innenpolitik gegeißelt wurden und somit für nichtkommunistische Hö- und von Anbeginn von deutschen Dienststellen rer ein »äußerst befremdendes Weihnachtspro- scharf beobachtet. gramm« zustande gekommen sei, meinte er am Schluss: Die Sendung habe sich durch strenge Objektivität ausgezeichnet.4 Zwei Wochen spä- Publizistischer Widerhall ter zeigte sich der gleiche Kritiker wieder ver- söhnlicher. Er rühmte »den klugen Vortrag eines Die bürgerliche Rundfunkprogrammpresse rea- jungen Werkschülers der staatlichen Elektro- gierte zunächst nicht unfreundlich auf das neue schule über ›Nachwuchserziehung für den Auf- deutschsprachige Programm aus dem Ausland. bau des Sozialismus‹« und lobte »– jenseits aller Der Kritiker des ›Deutschen Rundfunks‹ fand politischen Einstellung – die strenge Sachlichkeit nichts an einer solchen Sendung auszusetzen – und de[n] hohe[n] Ernst dieser pädagogischen zumindest nichts am Programm vom 7. Novem- Funkpropaganda.«5 An Weihnachten 1930 er- ber 1929. Er berichtete von den ausgezeichne- tappte ›Die Sendung‹ Radio Moskau erneut bei ten Empfangsmöglichkeiten der neuen Sende- einer antireligiösen Sendung. In einem verlese- station. Wie die bisher bekannten Sender Lenin- nen »Tätigkeitsbericht über die Freidenkerbewe- grad und Moskau sei auch diese Station »bei gung« sei die Religion als Hindernis am sozialen größter Lautstärke vollkommen fading- und Aufbau bezeichnet und festgestellt worden: »Der schwankungsfrei« zu hören gewesen. Die Über- letzte Tag der Religion rückt immer näher.«6 tragung habe von 19.00 bis 24.00 Uhr gedauert; Überwiegend äußerten sich die professionel- der Reportage vom Roten Platz hätten sich An- len publizistischen Beobachter aus dem bürgerli- sprachen sowjetischer Politiker – teils ins Deut- chen Lager aber skeptisch, wenn sie sich mit der sche übersetzt – und Grußadressen der Gast- »Sowjetrussischen Ätherpropaganda« befass- delegierten aus den verschiedensten Ländern in ten.7 Die Russen nutzten alle Möglichkeiten zur ihrer Muttersprache angeschlossen. Zum Pro- Werbung für ihre politischen Ziele und natürlich grammschluss rezitierte Johannes R. Becher, auch den Rundfunk, sowohl als innenpolitisches als »Führer der ausländischen proletarischen Instrument, aber auch für die Auslandspropa- Dichtung« vorgestellt, aus seinen eigenen Wer- ganda, leitete der Rundfunkkritiker Kurt Wagen- ken; außerdem wurden russische Chorlieder führ seine Betrachtung ein. Er berichtete von der vorgetragen. Der Rezensent resümierte: »Die enormen Leistungsstärke des Gewerkschafts- Zusammenstellung des Programms war so ge- senders, der fast überall in Europa in hervorra- schickt, so dass der Abend auch für Nichtkom- gender Qualität zu empfangen sei und stellte die munisten des Interesses nicht entbehrte, zumal Frage, was andere Länder gegen den sowjet- stets russisch und deutsch angesagt wurde.«3 russischen Propagandafeldzug, »der sich mehr 110 Rundfunk und Geschichte 29 (2003)

und mehr zu einem Ätherkrieg auswächst« und klären‹« und »insbesondere unter der deutschen damit einen Eingriff in ihre staatlichen Rechte Arbeiterschaft Propaganda« zu treiben. Der darstelle, unternehmen könnten. Als Reaktion Verfasser kam nicht umhin auch Anerkennung stellte er sich den Einsatz von Störsendern vor, zu zollen: »Die Vorträge sind geschickt aufge- Gegensendungen in russischer Sprache und macht und von plumper Lobhudelei, doch klug wöchentlich eine Sendung, in der man sich mit und gewandt aufgezogen, daß letztlich immer den Darbietungen aus Moskau auseinander- die sowjetische Ideenwelt als erstrebenswertes setzt. Dringend notwendig aber waren nach Wa- Ideal erscheint.«13 Immer wieder setzte sich die genführs Meinung Vorträge, die sich mit den Fachpresse mit dem »Moskauer Propaganda- Verhältnissen in der Sowjetunion befassten. rundfunk« auseinander, beispielsweise anläss- Trotz seiner generellen Skepsis dem sowjeti- lich der Übertragungen am 1. Mai 1931, als E- schen Propagandafunk gegenüber lobte Wa- gon Erwin Kisch mit einer, wie der Autor des genführ zwischen den Zeilen die sowjetischen ›Deutschen Rundfunks‹ meinte, »stark politisch Bemühungen um Hörerbindung. So fordere Ra- durchsetzt[en]« Reportage zu hören gewesen dio Moskau zu Zuschriften auf, die mit Fragebö- sei. Es sei auch mitgeteilt worden, dass Kisch gen beantwortet würden, die sich danach erkun- quasi als fester freier Mitarbeiter künftig regel- digten, wie lange gehört werde, ob die Zahl der mäßig über seine Wanderungen durch die sow- Sendungen erhöht werden sollte, ob mehr Kon- jetische Hauptstadt vor dem Mikrophon spre- zerte oder Vorträge gewünscht seien. Der Kriti- chen werde. Auch Erwin Piscator, der in Moskau ker wies zum Schluss darauf hin, dass die Sen- einen Tonfilm drehte, wurde am Mikrophon ver- dungen auf eine längerfristige Wirkung hin an- nommen – mit einem Vortrag über das kommu- gelegt seien und beendete deswegen seinen nistische Theater in der Sowjetunion.14 Beitrag mit einem Paukenschlag: »Deutschland Mitte 1931 konstatierte die katholische wehrt sich (...) energisch gegen die Eingriffe in Rundfunkfachkorrespondenz ›Funk und Schall‹ innerpolitischen Fragen und gegen politische eine »russische Radiooffensive«, wobei die Beeinflussung seiner Bürger durch die Äther- »zahlreichen ›Aufklärungs- und Informationsvor- wellen.«8 träge (...) nichts anderes (...) als bolschewisti- Eine länger anhaltende Diskussionsrunde um sche Propagandareden« seien.15 Einen beson- »Moskau im Radio«, so der Titel eines einschlä- deren Feind hätten die sowjetischen Sender ent- gigen Artikels, läutete die wichtigste Tageszei- deckt: Radio Vatikan, dessen Sendungen seit tung des Zentrums, ›Germania‹, im Januar 1931 Juni 1931 über Kurzwelle empfangbar seien, a- ein, wobei sie eine gewisse Anerkennung für die ber von einem benachbarten Kurzwellensender »vorzüglich organisierte Radiopropaganda Sow- bewusst gestört würden. Während der Vatikan jetrußlands« nicht verhehlte. Das Blatt prangerte auf der ihm zugeteilten Frequenz sende, habe aber eine Propaganda an, die sich in wachsen- sich Moskau eine Frequenz in dessen unmittel- dem Maße in innerdeutsche Angelegenheiten barer Nachbarschaft selbst zugeteilt und sende einmische, an hiesige politische Vorgänge an- mit einer hohen Energie.16 knüpfe und ihre deutschen Hörer revolutionär zu Aber nicht nur sowjetische Sender aus Mos- beeinflussen suche. Die Zeitung wies außerdem kau störten, sondern auch die deutschsprachi- darauf hin, dass »der technisch und propagan- gen Programme des Moskauer Rundfunks wur- distisch ausgezeichnet aufgezogenen russischen den gestört. Darunter hatte u.a. die Übertragung Sendeorganisation (...) in Deutschland seine auf der Feier zum 14. Jahrestag der Oktoberrevolu- tadellose Zusammenarbeit eingespielte, in gro- tion mit der Reportage von Kisch vom Roten ßem Aufbau befindliche kommunistische Auf- Platz sowie die Übertragung der Ansprachen in bauorganisation« entspreche. So fänden ge- deutscher, englischer, französischer und spani- meinsame Hörabende statt, während deren die scher Sprache am 7. November 1931 zu leiden. »russischen Sendungen« empfangen und disku- Ein langgezogener Abstimmton überlagerte die tiert würden.9 Andere Publikationsorgane zogen Moskauer Welle, der erst verstummte, als die nach und titelten »Kampf im Äther«,10 »Der Sendung in Russisch wieder begann.17 So Sowjetische Rundfunk, eine Gefahr für Euro- konnten die Hörer in Deutschland kaum die Lo- pa«,11 »Kriegsgefahr im Äther!«12 Der Artikel beshymnen des Reporters auf die Sowjetunion, »Sowjet-Propaganda durch Rundfunk« holte dem einzigen Land, in dem es keine Arbeitslo- Mitte März 1931 noch einmal zu einem Rund- sigkeit gebe, auf den Volkskommissar für Ver- umschlag aus, um den Lesern die vermeintliche teidigung Kliment Woroschilow und sein Be- Gefährlichkeit der Sendungen vor Augen zu füh- kenntnis, für die Befreiung des Proletariats nur ren. Diese seien nichts anderes als eine durch auf friedlichem Wege einzutreten und auf den den Äther gesandte Propaganda für den Bol- Generalsekretär der KPdSU Joseph Stalin, der schewismus, bestimmt dazu, in Deutschland den Fünfjahresplan in vier Jahren durchgesetzt recht weite Kreise im Sinne der Sowjets ›aufzu- habe, vernehmen.18 Die Störaktion der Deut- Diller: Deutschsprachige Rundfunksendungen aus der Sowjetunion 111

schen Reichspost ging auch danach systema- Königsberg sollten sich gerade auch nach dem tisch weiter, so dass der Gewerkschaftssender 7. November 1929 über die deutschsprachigen nur noch in einigen Städten des deutschen Os- Sendungen aus Moskau bestens unterrichtet tens, beispielsweise in Breslau, Frankfurt/Oder zeigen, sofern ihnen atmosphärische Störungen und in Königsberg gehört werden konnte.19 Eine oder nicht entstörte Geräte in Haushalten und in Reaktion der Sowjetunion ließ nicht lange auf der Öffentlichkeit Deutschlands keinen Streich sich warten: Der war infolge spielten. So legten die Militärs bereits nach we- der Wellennachbarschaft eines russischen Tele- nigen Wochen einen ersten geheimen Bericht graphiesenders im östlichen Deutschland kaum über die »bolschewistische Rundfunkpropagan- noch empfangbar.20 da in deutscher Sprache« vor. Demnach würden montags, mittwochs und samstags kommunisti- sche Lieder, Rezitationen und Theaterstücke Reaktion staatlicher Behörden sowie antireligiöse Propagandavorträge ausge- strahlt.23 In diesem Bericht und in den weiteren, Ein Ätherkrieg war nun in vollem Gange, dessen die ihm noch folgen sollten, wurden eigene Beo- Entstehen zumindest auf deutscher Seite recht bachtungen als auch Ausschnitte aus russischen detailliert nachgezeichnet werden kann. Nicht und deutschen Publikationsorganen, etwa der erst aufgeschreckt durch die alarmierenden Arti- ›Roten Fahne‹, wiedergegeben. So habe das kel in verschiedenen Printorganen des Deut- KPD-Zentralorgan am 20. Dezember 1929 ei- schen Reiches waren inzwischen deutsche Be- nerseits darauf hingewiesen, die Sendungen in hörden auf verschiedenen Ebenen aktiv gewor- deutscher Sprache aus Moskau seien »in erster den. Schon lange vor Beginn deutschsprachiger Linie für die Gewerkschaftsmitglieder der deut- Sendungen über den Gewerkschaftssender am schen Kolonisationsgebiete an der Wolga, in Si- 7. November 1929 hatte die Beobachtung sow- birien, im Kaukasus und in der Krim bestimmt«, jetischer Rundfunkstationen begonnen. Bereits andererseits sprach es davon, »die Arbeiter- Anfang Januar 1926 hielt ein Schreiben des Radio-Freunde in den deutschsprachigen Län- Reichspostministers im Zusammenhang mit ei- dern« hätten »hier Gelegenheit, sich aus erster nem Bericht über die Aktivitäten des Arbeiter- Hand stets frische Informationen über die Sow- Radioklubs Deutschland (ARB) fest, der Radio- jetunion zu holen und an dem kulturellen Fort- klub werde von der Sowjetunion gefördert. Als schritt der russischen Arbeiter, an den Errun- Beispiel dafür wurde auf den »durch den proleta- genschaften der revolutionären Kunst teilzuneh- rischen Esperanto-Pressedienst über den Rund- men.«24 funksender Moskau verbreitete Ansprache des Gehörte nun auch das Deutsche Reich zu stellvertretenden Kommissars für Post und Tele- den Ländern, für die die Sendungen in deutscher graphie« verwiesen, der sich an den Klub ge- Sprache aus Moskau bestimmt waren? Wäh- wandt habe.21 Gut drei Jahre später wusste die rend die sowjetische Diplomatie, wie noch zu Abwehrabteilung der Reichswehr über die weite- zeigen sein wird, dies bestreiten sollte, waren die re Entwicklung zu berichten: Sie zitierte aus der KPD-Genossen bei dieser Frage hin- und herge- in der zweiten Märzhälfte durch den vierten rissen. Nicht nur die ›Rote Fahne‹, sondern auch Weltkongress der Freien Gewerkschaftsinterna- der mittlerweile vom Arbeiterradio-Klub ab- tionale verabschiedeten Resolution. Hierin habe gespaltene kommunistisch ausgerichtete Freie es geheißen, das Funkwesen sei ein »macht- Radiobund verfolgte eine Doppelstrategie. Des- volles Mittel für (...) Agitation, Propaganda, Kul- sen Publikationsorgan ›Unser Sender‹ behaup- tur- und Aufklärungsarbeit«. Es könne auch bei tete zwar »Moskau funkt für die deutschen Min- konkreten politischen Ereignissen wie Streiks derheiten in der Sowjetunion«, forderte aber die und Wahlen eine wichtige Rolle spielen. Der Be- »Funkgenossen« in Deutschland auf, den Mos- richt der Reichswehr zitierte außerdem aus ei- kauer Großsender abzuhören und dem Freien nem vom Kurzwellensender Leningrad verbrei- Radiobund Kritiken über das Abgehörte und vor teten Funkspruch »Achtung, Achtung, hier ist allem Berichte über Empfangsstärke und Stö- Leningrad, Radiostation der Gewerkschaften. rungen zukommen zu lassen.25 Auch das Inter- Wir bitten alle Kurzwellen-Amateure unsere Ver- nationale Sekretariat des Bundes der Freunde suche zu hören.«22 der Sowjetunion forderte dazu auf, die Sendun- Die deutschen Behörden waren somit für die gen in deutscher Sprache aus Moskau abzuhö- Erfassung der nach Deutschland einstrahlenden ren, über die Empfangbarkeit zu berichten und Rundfunkwellen aus der Sowjetunion technisch Wünsche zu äußern.26 wohl gerüstet. Die Reichswehr mit Hilfe ihrer Anfang 1930 begannen amtliche Stellen des Funküberwachungsstelle auf der Nürnberger Reiches sich noch intensiver mit den deutschen Burg und die Reichspost durch ihre Abhörspezi- Sendungen aus Moskau zu befassen. Aus- alisten bei den Oberpostdirektionen in Berlin und gangspunkt waren zweimal in der Woche aus- 112 Rundfunk und Geschichte 29 (2003)

gestrahlte »Deutsche Abende«, in denen auch anschließend nicht nur, wie in der Ministerbe- Fragen der deutschen Innenpolitik behandelt sprechung angekündigt, an den Reichsaußen- wurden. Beunruhigt zeigte sich die Pressestelle minister, sondern auch an den Reichskanzler der Reichsregierung, dass diese »kommunisti- persönlich. In den Texten war beispielsweise am sche Propaganda in deutscher Sprache« bei- 24. April in der Art einer Unterrichtsstunde viel spielsweise »in Kiel auf einem einfachen Drei- vom Marxismus und Leninismus, vom Klassen- Röhren-Apparat mit allerdings ziemlich hochge- staat und von der Diktatur des Proletariats die legener Antenne ebenso deutlich abzuhören Rede. Die Sendung endete mit der Aufforderung [gewesen sein soll], wie etwa Königs Wuster- an die Hörer, sich zehn Fragen zu notieren.34 hausen oder ein anderer deutscher Großsen- der.« Die Frage der Pressestelle, ob die Mos- Auszug aus einem Programm des kauer Sendungen »mit den üblichen Privatappa- Moskauer Senders, 24. April 1930 raten aufgefangen werden können, musste die Die 1. Frage: Wie lautet die entscheidende Formulie- Reichspost bejahen, wenn auch mit der Ein- rung von Marx über die Diktatur des Proletariats. In schränkung, dass dafür hochwertige Empfangs- der Antwort ist lediglich der Sinn wiederzugeben. apparate benötigt würden und der Empfang nur bei Dunkelheit möglich sei.27 Abhörberichte Die 2. Frage: Was setzt Kautsky an die Stelle der wurden im Februar 1930 erstellt, beispielsweise Diktatur des Proletariats für die Zeit der politischen über die »revolutionäre Bewegung in den Fabri- Übergangsperiode ein? ken Kolomna und Lomberg«,28 über das Schul- 3. Frage: Was behauptet Kautsky von der Diktatur system am Beispiel einer Schule in Moskau29 des Proletariats bei Marx und welche Bedeutung hat oder den internationalen Frauentag und die Lage die Lehre von der Diktatur des Proletariats für Marx der orthodoxen Kirche in der Sowjetunion.30 selbst? Überwog in diesen Sendungen das Lob des So- 4. Frage: Warum konnten Marx und Engel[s] die Leh- zialismus, so schlugen zwei Vorträge am 10. Ap- re von der Diktatur des Proletariats nicht ausführlich ril ganz andere Töne an: In einer »Übertragung ausarbeiten? Warum konnte Lenin diese Leistung der Gesellschaft der Radiofreunde der Sowjetre- vollbringen? publiken zu Ehren der Berliner freien Radiohö- 5. Frage: Weshalb ist die Diktatur des Proletariats rer« war von den Rundfunkwellen die Rede, die nach dem Leninismus für die Zeit nach der Machter- »gen Westen« gingen, und am Tag der Befrei- greifung nötig? ung werde »das Radio seinen Dienst tun.« Hin- gewiesen wurde auch darauf, dass der Moskau- 6. Frage: Ist die Diktatur des Proletariats nur für eine er Sender die größte deutsche Rundfunkstation ganz kurze Zeit oder für lange Zeit notwendig? übertönt und es aus vielen Städten des Reiches 7. Frage: Bedeutet die Diktatur des Proletariates ei- u.a. aus Berlin, Frankfurt am Main, Hamburg nen Wechsel der Regierung? Wenn nicht, welchen und Hörerbriefe gegeben habe.31 Wechsel bedeutet sie? 8. Frage: Was ist der Hauptunterschied zwischen dem proletarischen Staat und dem bürgerlichen Das Interesse des Reichskanzlers Staat? 9. Frage: Welche Rolle haben die Sowjets in der Die Moskauer Sendungen beschäftigten erst- proletarischen Diktatur? mals am 16. April 1930 eine Runde von Reichs- ministern in Anwesenheit von Reichskanzler 10. Frage: Welche wichtigen Merkmale weist die Heinrich Brüning, als es um deutsch-russische Sowjetmacht auf? Fragen ging und der Reichspostminister darauf Bitte schreiben Sie uns, ob Sie alle Fragen verstan- hinwies, dass sich die »Kulturpropaganda des den haben und ob wir langsam genug und deutlich Kommunismus, insbesondere durch den Rund- verständlich diese Fragen stellten und damit ist unse- funk«, verstärkt habe.32 Gut einen Monat später re heutige Übertragung beendet. befasste sich die gleiche Runde erneut mit dem (BA Brl R 43 I/139) Stand der deutsch-russischen Beziehungen, die vom Reichsaußenminister derzeit als schwierig In den folgenden Wochen registrierten die Be- eingestuft wurden, wobei der Reichspostminister obachter Hörspiele – beispielsweise zum 1. Mai von einer vierwöchigen Überwachung des Sen- – Volksmusik sibirischer Stämme, Beiträge zur ders Moskau berichtete, die »erhebliches Mate- Fertigstellung einer Eisenbahnlinie durch Sibi- rial über die russische Propaganda geliefert ha- rien, über die Militärparade der Roten Armee auf 33 be«. Die Abhörberichte, erstellt vom 24. April dem Roten Platz in Moskau, über den Fünfjah- bis 19. Mai durch die Oberpostdirektion Königs- resplan, über die Presse und die Musik der berg und mit »Beobachtungen des Moskauer Sowjetunion sowie weitere Kurse über Marxis- Senders auf Welle 938« überschrieben, gingen mus-Leninismus.35 Die Texte lobten zwar in Diller: Deutschsprachige Rundfunksendungen aus der Sowjetunion 113

überschwänglichen Tönen die Kraft der sowjeti- »Der immer wiederkehrende Inhalt der Vorträge ist schen Arbeitermacht, sie hüteten sich aber vor die Verherrlichung der kommunistischen Bewegung direkten Angriffen auf Deutschland. Noch vor und die Schilderung ihrer Erfolge im Kampfe mit der dem Ende dieses ersten Überwachungstest- feindlichen Bourgeoisie. Wenn auch eine direkte laufs, aus dem nicht ersichtlich ist, ob er in ir- Aufforderung des reichsdeutschen Proletariats zum Kampf gegen die deutsche Staatsform durch Radio- gendeiner Form ausgewertet wurde, ordnete der übertragung bisher nicht festgestellt wurde, so tragen Reichspostminister gegenüber dem Reichspost- doch die Schilderungen der Vernichtung der russi- zentralamt an, die Sendungen aus Moskau wei- schen Bourgeoisie durch bewaffneten Kampf, der in terhin zu überwachen, den Inhalt der Vorträge den krassesten Farben dargestellt wird, zweifellos auszugsweise festzuhalten, die wichtigen politi- einen zum Klassenkampf aufreizenden Charakter. schen Vorträge ausführlicher mitzuschreiben (...) und das Material jede zweite Woche vorzulegen. Die von den Sowjetsendern für Deutschland ver- Außerdem sollte die Reichs-Rundfunk-Gesell- breiteten Vorträge, die einer Verherrlichung der schaft die Vorträge vollständig auf Schallplatten kommunistischen, d.h. der deutschen absolut feindli- mitschneiden.36 Ob dies erfolgt ist, lassen die chen Staatsform, dienen, müssen daher als eine Akten leider offen. Einmischung in innerdeutsche Angelegenheiten be- Dass die Reichsregierung sich auf Dauer trachtet werden, umso mehr als kein Zweifel darüber bestehen können, daß die Rundfunksendungen in nicht auf eine Diskussion innerhalb der Ministe- der Sowjetunion amtlich kontrolliert werden.«39 rialbürokratie beschränken, sondern auch die Regierung der Sowjetunion mit der Rundfunk- propaganda konfrontieren wollte, wurde am 16. Diplomatische Vorstöße April 1930 während einer Besprechung im Reichsinnenministerium deutlich: Derart munitioniert begann die deutsche Diplo- »Der Vorsitzende, Ministerialdirektor Menzel, hob matie eine Serie politischer Aussprachen mit der hervor, daß die Bedeutung dieser Propaganda von Regierung der Sowjetunion, bei der der Rund- uns gar nicht ernst genug genommen werden könne. funk eines unter rund einem Dutzend – aus Die Zurückhaltung, die Moskau bisher in dem Sinne deutscher Sicht – bilateraler Probleme darstellte, übt, daß es lediglich die Vorzüge und Vorteile des die unbedingt einer Klärung bedürften. So Sowjetstaates rühmend hervorhebt ohne eine gewis- konnte der Deutsche Botschafter in Moskau be- se Aktivität des Zuhörers zu fordern, sei eine kluge Politik, nämlich nichts anderes, als eine Vorberei- reits am 28. Mai berichten, dass er in drei Unter- tungsmaßnahme. Es komme dem Moskauer Sender redungen mit dem sowjetischen Außenminister darauf an, in seinen Bemühungen vorläufig nicht ge- »eine feierliche Wiederholung genereller Nicht- stört zu werden und im Auslande eine gläubige Zuhö- einmischungsverpflichtung (...) in innerdeutsche rergemeinde zu finden, die technisch und seelisch Angelegenheiten« und Einzelerklärungen u.a. auf die regelmäßigen Darbietungen Moskaus einge- über die Rundfunkpropaganda erreicht habe.40 stellt ist. Hat man sich diese Zuhörergemeinde ge- Diese Einschätzung scheint etwas übereilt ge- schaffen, so sei es ein leichtes, die betreffenden Hö- wesen zu sein, da der sowjetische Außenminis- rer auch zu organisieren und sich in einem politisch ter in weiteren Verhandlungsrunden immer wie- wichtigen Augenblick, z.B. bei drohendem Bürger- der seine Sicht der Dinge durchzusetzen ver- krieg, mit bestimmten Parolen an sie zu wenden. suchte, so dass im Entwurf eines Pressecom- Derartige Sicht habe die Moskauer Propaganda ganz offenbar.«37 muniques zwar der Geist von Rapallo beschwo- ren wurde, ansonsten aber nur ganz allgemein Die Teilnehmer erwogen drei Möglichkeiten, ge- davon die Rede war, »daß alle Versuche einer gen die Moskauer Propaganda vorzugehen: In- aktiven Beeinflussung der Angelegenheit des terventionen der Diplomatie und des Rundfunks, anderen Landes zu unterbleiben haben.«41 Die Störaktionen sowie Gegenpropaganda in deut- Sache hatte freilich einen Haken, wie das Aus- scher oder in russischer Sprache. Da Störungen wärtige Amt im Sommer 1930 mitzuteilen wuss- aus technischen Gründen ausschieden und die te. Die Sowjetregierung hatte wissen lassen, Frage einer Gegenpropaganda zurückgestellt dass ihr nur die Sender der Post unterstehen wurde, setzte das Auswärtige Amt zunächst würden, die die nachdrückliche Anweisung er- einmal auf die Diplomatie, obwohl allseits Skep- halten hätten, sich jeder Einmischung zu ent- sis herrschte, ob damit etwas zu bezwecken sei, halten. Was aber die von privaten Organisatio- »weil die Russen die Tätigkeit des Moskauer nen wie den Gewerkschaften »unterhaltenen Großfunksenders als innerrussische Angelegen- Sender angehe, so seien diese der Einwirkung heit und die deutsche Propaganda als Teil ihrer der Sowjetregierung entzogen«. Aus diesem Nationalitätenpolitik hinstellen würden.«38 Der Grund stimmte das Auswärtige Amt der Anre- Beschluss war vorbereitet worden durch eine gung des Reichsinnenministers zu, die sowjeti- zusammenfassende Aufzeichnung, in der die sche Rundfunkpropaganda während einer Chef- Sendungen bewertet worden waren. 114 Rundfunk und Geschichte 29 (2003)

besprechung zu behandeln. Und er ging noch Der Reichsminister des Auswärtigen wies darauf einen Schritt weiter: Da die russischen Sende- hin, daß Krestinski ihm auf seine Beschwerde erwi- stationen sich nicht mehr auf die Schilderung der dert habe, es handele sich um einen russischen Ge- Erfolge der Sowjetregierung beschränkten, son- werkschaftssender, auf welchen die Regierung kei- dern sich auch mit innerdeutschen Vorgängen nen Einfluß habe. Zeitweise habe die unerträgliche Hetze auf dem russischen Sender etwas nachgelas- befassten, bleibe nichts anderes übrig »als die sen. Er befürchte, daß wir in direkten Verhandlungen russische Rundfunkpropaganda mit entspre- mit der russischen Regierung nichts erreichen wür- 42 chender deutscher zu beantworten.« den. Doch es passierte länger als ein halbes Jahr Ministerialdirektor Dr.Trautmann wies darauf hin, gar nichts in die angedachten Richtungen. Erst daß England im vorigen Jahre gegen die russische als sich die Presse wie ›Germania‹ und das Rundfunkpropaganda protestiert habe. Auf unsere ›Hamburger Fremdenblatt‹ wieder einmal des Vorstellungen habe die russische Regierung u.a. Themas angenommen hatte, darüber auch im darauf hingewiesen, daß die russische Rundfunkpro- Reichstag und in anderen parlamentarischen paganda für die Wolga-Republik bestimmt sei. Natür- Gremien diskutiert worden war, wurde die lich sei diese Behauptung falsch. Reichskanzlei aufgrund eines Berichtes der Als Repressalie empfehle er in erster Linie Stören Deutschen Botschaft in Moskau aktiv. Einer des russischen Senders. Vielleicht komme auch in Frage, daß Deutschland eine ähnliche Propaganda Chefbesprechung in Anwesenheit von Reichs- wie Rußland entfalte. kanzler Brüning, drei Reichsministern, eines Ministerialrat Dr. Strunden (Preußisches Staats- Staatssekretärs und sechs Ministerialbeamten ministerium) teilte mit, die Auffassung des Herrn lagen am 27. März 1931 als Anschauungsmate- Preußischen Ministerpräsidenten gehe dahin, daß rial eine Reihe von Abhörberichten neueren Da- unbedingt von deutscher Seite gegen die russische tums vor,43 die die Runde drastische Gegen- Rundfunkpropaganda etwas unternommen werden maßnahmen beschließen ließ. Es sollte erneut in müsse. Nach Auffassung des Ministerpräsidenten Moskau diplomatisch interveniert, der Sender könne man doch vielleicht durch direkte Vorstellun- gestört und über eine Berliner Rundfunkstation gen bei der russischen Regierung etwas erreichen. Vorträge »über die wahren Zustände in Ruß- Empfehlenswert sei auch eine deutsche Propaganda land« gehalten werden.44 auf deutschen Sendern. Ein Stören des russischen Senders hält der Preußische Ministerpräsident für bedenklich, weil man sich dadurch ins Unrecht setze. Chefbesprechung in Anwesenheit von Der Reichskanzler wies darauf hin, daß die russi- Reichskanzler Heinrich Brüning, sche Rundfunkpropaganda über die Agrarverhältnis- 27. März 1931 se in Rußland und den dort herrschenden Kommu- nismus nach allem, was er gehört habe, auf deutsche Rundfunkfragen Bauern, u.a. auf hessische Bauern, nachhaltigen Der Reichspostminister berichtete über die sowjet- Eindruck gemacht habe. Er empfahl im übrigen, auch russische Rundfunkpropaganda und betonte vor al- dem Straßburger und dem Kattowitzer Sender be- lem, daß die Propaganda für Deutschland unerträg- sondere Aufmerksamkeit zu widmen. lich sei. Unter anderem werde auf dem russischen Es bestand Übereinstimmung über folgende Maß- Gewerkschaftssender Propaganda gemacht, und nahmen: zwar in deutscher Sprache, nach Rußland auszu- a) Es sollen noch einmal Gegenvorstellungen bei wandern und sich selbst von der dort herrschenden der russischen Regierung gegen die für Deutschland günstigen Lage zu überzeugen. Es werde in uner- unerträgliche Propaganda des russischen Gewerk- träglicher Weise gegen deutsche Zeitungen, z.B. ge- schaftssenders in Moskau unternommen werden. gen den ›Vorwärts‹ polemisiert. Es entstehe die Fra- b) Einige Störversuche des russischen Senders ge, ob und was dagegen getan werden könne. Ruß- sind zu unternehmen. land sei nicht Mitglied des Weltfunkvereins. Es habe c) Über den Berliner Sender ist die deutsche Öf- jedoch in dem Protokoll vom Juni 1930 die Verpflich- fentlichkeit über die wahren Zustände in Rußland tung übernommen, sich nicht in innerdeutsche Ver- aufzuklären. hältnisse einzumischen. Der deutsche Botschafter (Akten der Reichskanzlei. Die Kabinette Brüning I und von Dirksen habe bereits bei Krestinski eine De- II (1930 – 1932). Bd. 2. Boppard 1982, S. 997f.) marche unternommen. Dieser habe ausweichend ge- antwortet. Als Repressalie halte er ein Stören des russi- schen Senders nicht für empfehlenswert. Vielleicht Beschlüsse zur Gegenpropaganda könne der Funktelegrammverkehr eingestellt werden. Ferner komme in Frage, Rußland von dem Anschluß Um den Beschluss zur Gegenpropaganda im an ein Kabel nach Helsingfors auszuschließen. Rundfunk zu konkretisieren, trafen sich am 29. Der Reichsminister des Innern betonte, daß auf April 1931 neun Ministerialbeamte mit dem dem russischen Sender eine ungeheure Hetze gegen Rundfunkkommissar des Reichspostministers, Deutschland getrieben werde. Er erklärte, daß auch Hans Bredow, und den Intendanten von Berliner er zu starke Repressalien für bedenklich halte. Funkstunde sowie Deutscher Welle, Hans Diller: Deutschsprachige Rundfunksendungen aus der Sowjetunion 115

Flesch und Hermann Schubotz, im Reichsin- Dabei brachte der sowjetische Diplomat einen nenministerium. Bredow warnte vor Auflage- wunden Punkt zu Sprache: Er behauptete, nachrichten, die der Hörer als solche erkennen Weichmann führe eine Kampagne gegen die und denen er misstrauisch gegenüberstehen Sowjetunion, was »doch mit seiner Besamtenei- werde. Er schlug stattdessen vor, von »wirkli- genschaft unvereinbar« sei; zudem habe er sei- chen Sachkennern« Vorträge zu Themen wie nerzeit mit einem von der sowjetischen Botschaft zur Lage der Landwirtschaft, zum Fünfjahresplan ausgestellten Diplomatenvisum die Sowjetunion oder Rentenwesen halten zu lassen – aber auch bereist und halte jetzt »ausgesprochen antisow- nicht allzu oft, »vielleicht alle drei bis vier Wo- jetische Propagandavorträge im Rundfunk.«52 chen«, um zu vermeiden, »daß der Hörer den Als die Vortragsserie, in der auch Elsbeth Eindruck einer amtlichen Propaganda gegen Weichmann zu Wort kam, schon in vollem Gan- Rußland gewinne.«45 Zweckmäßig sei auch ge- ge war, informierte der Reichsinnenminister am legentlich ein Zwiegespräch zwischen einem 15. Juni 1931 auch die Politischen Überwa- kommunistischen Reichstags- oder Landtagsab- chungssausschüsse vertraulich über die Be- geordneten und einem politischen Gegner. Bre- schlüsse der Reichsregierung zur Gegenpropa- dow plädierte – wohl wegen ihrer über Langwelle ganda gegen den Moskauer Gewerkschaftssen- guten Empfangbarkeit in nahezu ganz Deutsch- der.53 land – für die Deutsche Welle als Veranstalterin dieser Vortragsreihe und kündigte auch an, dass Russische Rundfunkpropaganda, diese Rundfunkgesellschaft bereits in wenigen 15. Juni 1931 Tagen, am 4. Mai, mit einem Vortrag von Ober- Die Reichsregierung hat beschlossen, als Antwort auf regierungsrat Herbert Weichmann eine Sende- die über den Moskauer Gewerkschaftssender in reihe unter dem Titel »Bilder aus dem heutigen 46 deutscher Sprache betriebene russische Rundfunk- Rußland« beginnen werde. Mit dem Vorschlag, propaganda Aufklärungsvorträge über die russischen prominente Sozialdemokraten in die Gegenpro- Verhältnisse durch die deutschen Sender zu veran- paganda einzubinden, griff Bredow eine diesbe- stalten, um mit der Durchführung dieser Vorträge im zügliche Idee des Pressechefs der preußischen Rahmen des Programms des Deutschlandsenders – Regierung, Hans Goslar, auf. Er hatte sich unter Vorbehalt der Ausdehnung der Veranstaltung schon 1930 mit dem sozialdemokratischen The- auf andere deutsche Sender – die Deutsche Welle oretiker Karl Kautsky in Verbindung gesetzt, um G.m.b.H. nach Maßgabe folgender Richtlinien beauf- ihn für Rundfunkvorträge als Antwort auf die tragt: sowjetische Rundfunkpropaganda zu gewin- 1. Zu den Vorträgen sind Personen heranzuzie- nen.47 hen, die über anerkannte Sachkenntnisse verfügen und möglichst auf Grund persönlicher Wissenschaft Nicht nur innerhalb der Reichsregierung wur- über die derzeitigen Verhältnisse in Russland zu de über Abwehrmaßnahmen debattiert, sondern sprechen in der Lage sind. auch in anderen Gremien, so am 1. Mai 1931 in 2. Die Veranstaltung stellt keine ausgesprochen einer Aufsichtsratssitzung der Deutschen Wel- politische Aktion dar und soll insbesondere nicht zu le48 oder während einer Besprechung zwischen einer Debatte mit dem russischen Gewerkschafts- dem preußischen Ministerpräsidenten, Otto sender führen. Die Vorträge sollen daher keinen po- Braun, und den Vertretern Preußens in den Poli- lemischen Charakter tragen, sondern sachlich und tischen Überwachungsausschüssen des Rund- frei von verletzenden Angriffen gegen das russische funks am 6. Mai 1931.49 Sowjetsystem gehalten sein. Dem würde es nicht wi- Obwohl durch die Sendereihe und trotz des dersprechen, wenn gelegentlich einmal einem Vertei- prominenten Referenten – immerhin galt Weich- diger der jetzigen Verhältnisse Russlands Gelegen- heit zu einem Zwiegespräch darüber gegeben würde. mann als enger Vertrauter des Preußischen Mi- Die Vorträge sollen in Einzeldarstellungen das ge- nisterpräsidenten – keine politische Debatte mit samte öffentliche Leben, namentlich die wirtschaftli- dem Moskauer Gewerkschaftssender geführt chen, sozialen und kulturellen Verhältnisse Russ- werden sollte, ließen sich Auseinandersetzungen lands behandeln und den irreführenden Nachrichten aber nicht vermeiden. Lobten deutsche Presse- entgegentreten, die darüber die russische Propagan- organe die »interessanten Ausführungen über da verbreitet. den ›Neuen Aufbau‹« in der Sowjetunion«,50 3. Die Überwachung der Vorträge liegt den zustän- polemisierte der Gewerkschaftssender, indem er digen Überwachungsausschüssen ob. Der Reichsver- sofort darauf reagierte und »angeblich falsche treter in dem Ausschuss wird sich hierbei in engem Darstellungen« in Weichmanns – übrigens wö- Benehmen mit dem Auswärtigen Amt halten. chentlich und nicht nur gelegentlich ausge- Mit den Aufklärungsvorträgen ist inzwischen bei strahlten – Vorträgen korrigierte.51 Und der der Deutschen Welle begonnen worden. Ich bitte von dieser Maßnahme der Programmlei- Sowjetische Botschafter drehte nunmehr den tung Ihrer Gesellschaft sowie den Landesvertretern in Spieß um und sah sich zu einem Protest beim dem Überwachungsausschuss vertraulich Kenntnis Staatssekretär des Auswärtigen Amtes genötigt. zu geben und dafür zu sorgen, dass in dem Pro- 116 Rundfunk und Geschichte 29 (2003)

gramm ihrer Gesellschaft keine Darbietungen Auf- lich, wenn in den Rundfunksendungen mehr dis- nahme finden, die mit der Tendenz dieser Maßnahme kutiert würde und dabei verschiedene Richtun- nicht vereinbar sind. Sollte in Ihrem Bezirk der gen zu Worte kämen.«57 Wunsch bestehen, die Vorträge von der Deutschen Den Höhepunkt der Protestwelle stellte eine Welle zu übernehmen oder eine eigene Vortragsreihe Hörerkundgebung durch den Bund der Freunde dieser Art zu veranstalten, so bitte ich vor einer Be- der Sowjetunion, in der eine Resolution verab- schlussfassung des Überwachungsausschusses hie- rüber um Bericht. schiedet wurde, auf die der Intendant der Deut- schen Welle mit einem Brief reagierte, in dem er (Reichsminister des Innern an die Reichsvertreter in die Gründe, weswegen es zu den sich mit den Politischen Überwachungsausschüssen der Rund- Russland befassenden Sendungen gekommen funkgesellschaften. BA Brl R 55/1276) war, aufführte. Die Argumente, die Sendungen in deutscher Sprache des sowjetischen Gewerk- Gegen die Sendungen der Deutschen Welle schaftssenders befassten sich auch mit deut- machte aber nicht nur die sowjetische Botschaft schen Themen, um damit für das Sowjetsystem mobil, es sprachen sich gegen sie auch eine unter den deutschen Hörern zu werben, und die Reihe bekannter deutscher Persönlichkeiten Sendungen der Deutschen Welle würden der aus, so dass sich die Vorträge über die Sowjet- Aufklärung über die Verhältnisse in Russland union verselbständigten und ihr ursprünglicher dienen, wollten und konnten Schubotz‘ Gegner Zusammenhang mit den Darbietungen des Mos- natürlich nicht akzeptieren.58 Die »Massenorga- kauer Gewerkschaftssenders aus dem Blickfeld nisationen der Werktätigen«, wie der ›Arbeiter- geriet. Zum Sprachrohr des Protests auf deut- Sender‹ so schön formulierte, also der »Bund scher Seite schwang sich die Gesellschaft der der Freunde der Sowjetunion«, die »Internatio- Freunde des Neuen Russland auf, indem sie nale Arbeiterhilfe«, der »Internationale Bund der »den tendenziösen Mißbrauch der Deutschen Opfer des Krieges und der Arbeit«, die »Rote Welle (...) im Dienste einer politischen Rußland- Hilfe« und die »Interessengemeinschaft für Ar- 54 hetze« anprangerte. Gegen die »planmäßige beiterkultur« organisierten einen »Massensturm Herabwürdigung und Verleumdung der Sowjet- gegen die Deutsche Welle«.59 Nach der Pro- union durch gestimmte Rundfunkredner« hätten testwelle im September 1931 befasste sich so- sich nicht nur werktätige Hörer gewandt, »son- gar der Aufsichtsrat der Deutschen Welle zwei dern (...) namhafte bürgerliche Intellektuelle ha- Monate danach mit den Sendungen. »Offene ben ablehnende Urteile über diese einseitige und Briefe namhafter, sich zum Sowjet-System be- 55 falsche Berichterstattung gefällt.« Die Gesell- kennender Schriftsteller und Delegationen kom- schaft berief sich dabei u.a. auf Alfred Döblin, munistischer Hörer hätten versucht die Einstel- der der Zeitschrift ›Arbeiter-Sender‹ erklärt habe: lung der Vorträge zu bewirken«,60 mit der Folge, »Ich sehe nicht ein, warum ich die uninteressanten dass auf Veranlassung des Überwachungsaus- Vorträge der Deutschen Welle hören soll, besonders schusses nicht mehr pro Woche ein Russland- über Rußland, die schon durch die Namen der Vor- Vortrag stattfand, sondern nur noch alle drei bis tragenden (...) abschrecken. Ich höre lieber Moskau vier Wochen. direkt. Die Veranstaltungen sind sehr instruktiv und sehr schön.« Die Überwachung der Sendungen aus Moskau Bert Brecht habe kurz und bündig erklärt: »Die durch die deutschen Behörden hielt auch danach Deutsche Welle ist mir als so langweilig bekannt, unvermindert an. So teilte der Reichsinnenmi- daß ich mich nicht dafür interessiere.«56 Der nister u.a. den Landesregierungen und dem ›Arbeiter-Sender‹, das Organ des kommunisti- Rundfunkkommissar mit, aus der Sowjetunion schen Freien Radiobundes, setzte seine Kam- sei zu erfahren gewesen, dass eine eigene pagne gegen die Deutsche Welle fort und zitierte Rundfunkstation für antireligiöse Propaganda- in einer seiner nächsten Nummern Carl von Os- sendungen in russischer und verschiedenen sietzky mit den Worten: »Bisher kamen nur aus- fremden Sprachen errichtet werden sollte.61 Wie gesprochene Gegner der Sowjetunion zu Worte. zur Bestätigung dieser Meldungen brachte der Man muß jetzt auch ausgesprochene Freunde Gewerkschaftssender am ersten Weihnachtstag einmal zu Worte kommen lassen.« Johannes R. 1931 eine Sendung unter dem Titel »Spazier- Becher bezeichnete die Rußlandvorträge der gang durch das antireligiöse Museum«, die der Deutschen Welle als »das Infamste (...), was Vorsitzende der Katholischen Aktion für das heute an systematisierter Lüge über die Sowjet- Bistum Berlin, Erich Klausener, in einem Brief an union vorgebracht wird.« Der gleichfalls befragte Kanzler Brüning als »groben Angriff auf die Rundfunkkommissar Hans Bredow, der ja hinter christliche Weltanschauung im allgemeinen und den Kulissen durchaus für Rede und Gegenrede auf katholisches Ideengut im besonderen« be- eingetreten war, wagte sich nur halb aus der De- zeichnete.62 Auf diese Sendung, die ursprüng- ckung, als er kundtat, er begrüße es grundsätz- lich bereits am 20. Dezember ausgestrahlt wer- Diller: Deutschsprachige Rundfunksendungen aus der Sowjetunion 117

den sollte, dann aber auf Intervention des Aus- beitsausschuss noch mehrere Male wiederho- wärtigen Amtes verschoben worden war, ant- len.66 wortete Generalsuperintendent Otto Dibelius am Indes gab es auch gelegentlich Versöhnli- 14. Januar 1932 mit einem halbstündigen Ge- ches zu berichten: Mitte März 1932 meldete die genvortrag. Er fand dafür die volle Unterstützung Rundfunkfachzeitschrift ›FUNK‹, dass schon seit des Reichsinnenministers Wilhelm Groener, der längerem zwischen Deutschland und der Sow- versicherte: »Ich werde die Gottlosenpropagan- jetunion über einen ständigen Programmaus- da der Sowjetregierung auch weiterhin im Auge tausch zwischen beiden Ländern verhandelt behalten und ihr mit allen mir zur Verfügung ste- werde. Noch bestehende technische Schwierig- henden Mitteln tatkräftig zu begegnen su- keiten sollten bis zum Sommer des Jahres über- chen.«63 wunden werden, um ab Herbst Aufführungen der Moskauer und Leningrader Oper nach Deutsch- Nachdem sich Presse und Reichsregierung in- land und im Gegenzug Konzerte mit den Diri- tensiv mit den Moskauer Sendungen zu befas- genten Kleiber, Furtwängler, Blech und Klempe- sen begonnen hatten, stiegen auch parlamenta- rer in die Sowjetunion zu übertragen. Es sei ü- rische Gremien in die Debatte ein. Als erste griff berdies zwischen beiden Ländern vereinbart Helene Weber vom Zentrum das Thema auf, als worden, die Ansagen vorher festzulegen, »damit sie am 18. Juni 1930 im Reichstag auf die Pro- politische Propaganda von vornherein unmöglich pagandawirkung des Rundfunks im Ausland gemacht wird.«67 hinwies, die in Deutschland noch viel zu wenig In der aufgeheizten Situation der Jahre von beachtet werde. Sie mahnte »jenen großen 1929 bis 1931 fragte sich kaum jemand, wie es deutschen Propagandageist« an, »den Rußland denn um die Hörbarkeit von Radio Moskau im für Rußland« hat, lobte den propagandistisch Deutschen Reich bestellt sei. Erst das Gutach- wertvollen russischen Film, der auch in Deutsch- ten – »Nur zum Dienstgebrauch« – eines Ingeni- land nachahmenswert wäre, »damit nicht der eurs brachte im Oktober 1932 Klarheit. Er stellt russische Rundfunk bei uns in Deutschland die- fest, dass von starken, aus atmosphärischen se übergroße Bedeutung erhält.«64 Auch im Ar- und anderen Störquellen resultierenden Unter- beitsausschuss des Verwaltungsrats der Reichs- schieden über das Jahr verteilt auszugehen sei post wurden die Moskauer Sendungen zum und zwar in ganz Deutschland. Aus diesen Thema. Reichspostminister Georg Schätzel, Gründen rechnete er bei rund vier Millionen an- Franz von Papen, Abgeordneter des Zentrums gemeldeten Empfängern mit einem Potential von im preußische Landtag, und der kommunistische 825 000 Geräten. Für ihn war »von einer Propa- Reichstagsabgeordnete Ernst Torgler lieferten gandawirkung [der deutschsprachigen Sendun- sich hier am 29. Januar 1931 ein Rededuell. gen von Radio Moskau] kaum zu sprechen.«68 Schätzel kritisierte, dass sich die Vorträge aus Moskau in innerdeutsche Verhältnisse einmisch- Versuch über die theoretische Wirkung der ten. Dem pflichtete auch Papen bei, der den deutschen Propagandasendungen aus Moskauer Gewerkschaftssender bezichtigte, Moskau über Kominternsender, Welle Propaganda im Sinne der Weltrevolution zu trei- 1 481 m, und den Kurzwellensender der ben, und regte an, der Verwaltungsrat sollte über Gewerkschaften, Welle 50 den Reichspostminister die Reichsregierung veranlassen, dagegen vorzugehen. Torgler ging 24. September 1932. auf diese Vorwürfe allerdings nicht ein, sondern Von Ing. Walter Ziebarth behauptete, schuld für die Hörerakzeptanz von Die Beantwortung der Frage, welche Wirkung haben Radio Moskau seien die deutschen Rundfunk- die deutschsprachigen Sendungen der russischen gesellschaften wegen ihrer antikommunistischen Sender, bzw. mit wieviel Empfängern können diese Sendungen. Wenn auch die KPD als stärkste Sendungen innerhalb Deutschlands aufgenommen Partei beispielsweise in Berlin und als dritt- werden, soll hier, vom technischen Standpunkt aus stärkste im Reich zu Wort kommen könnte, kön- betrachtet, versucht werden. ne er sich vorstellen, dass dann der Moskauer Der vorliegende Versuch beschränkt sich in sei- Gewerkschaftssender auf seine deutschen Vor- nen Zahlenangaben auf die kommende Rundfunksai- träge verzichten würde 65 – eine Äußerung, die son, in der der Fernempfang am günstigsten ist, von dem widersprach, was bisher dazu aus der ca. Mitte September 1932 bis Mitte April 1933, unter Sowjetunion zu hören gewesen war. Solche Berücksichtigung der praktischen Erfahrungen in der Scharmützel mit den gleichen Vorwürfen und Er- gleichen Zeit der vergangenen zwei Jahre, in welcher Zeit der Schreiber dieser Zeilen die Moskauer Sen- klärungsversuchen mit den gleichen und weite- dungen empfangen hat. Während dieser Zeit ist die ren Beteiligten sollten sich in Reichstag und Lautstärke des Kominternsenders Welle 1481 so, Verwaltungsrat der Reichspost und seinem Ar- dass dieser Sender immer empfangen werden kann, wobei die Lautstärke bis Mitte Dezember immer zu- 118 Rundfunk und Geschichte 29 (2003)

nimmt und von ca. Ende Februar allmählich abnimmt. der deutschen Hörer« versuche,69 so schlug sie Von ca. Mitte Dezember ist die Lautstärke als kon- nunmehr zwei Jahre später – Ende 1932 – laut- stant anzusehen, wobei auch zu berücksichtigen stark Alarm. Der Berichterstatter spekulierte, bleibt, dass im Allgemeinen während dieser Zeit die dass bis Mitte April 1933 den Propagandasen- reinen atmosphärischen Störungen verhältnismässig dungen in deutscher Sprache »erhöhte Bedeu- gering bleiben. In der Zeit von Ende Februar bis ca. tung« zukomme, da seit kurzem Wellenlängen Mitte Mai ist Empfang auf dieser Welle möglich, je- doch ausserordentlich von atmoshärischen Störun- benutzt würden, »die einen verhältnismäßig si- gen abhängig. Von Mitte Mai bis Ende Juli ist der cheren und guten Empfang ermöglichen.« Er be- Kominternsender mit seriner jetzigen Energie von 100 rief sich auf Sachkenner, die davon ausgingen, kW kaum vernehmbar. dass die deutschen Sendungen aus Moskau von (...) rund 2,5 Millionen Geräten in Deutschland Der Kurzwellensender 50 m kann infolge seiner empfangen werden könnten, und schlussfolgerte grossen Lautstärke bei sorgfältigem Aufbau bereits daraus: mit einem Detektorgerät empfangen werden, d.h. also mit der billigsten Empfangsapparatur. Unbedingt si- »Die Tatsache, daß Millionen im Reiche nunmehr in chergestellt ist der Empfang mit einem einfachen der Lage sind, die Moskausendungen auf langer Rückkopplungsaudion, welches abgesehen von den Welle zu empfangen, darunter die im ›Freien Radio- Batterien ebenfalls sehr billig selbst hergestellt wer- bund Deutschlands‹ (FRBD) organisierten kommu- den kann. nistischen Empfänger, die dank der neuesten Errun- Die Hörer des Kurzwellensenders dürften aber in genschaften der Radiotechnik die Möglichkeit haben, Deutschland bis jetzt noch gering an Zahl sein und mit verbesserter und verbilligter Apparatur die Mos- hauptsächlich aus den Mitgliedern der Radio-Klubs kausendungen aufzunehmen, erscheint sehr beacht- und – Vereine bestehen, da nur diese selbstgebaute lich, zumal nicht nur die Sendungen selbst mehr und Kurzwellengeräte besitzen. Das Bild ändert sich aber mehr auf die Propaganda für den Kommunismus und zur Zeit, da die Industrie, nach einigen Versuchen im die Einrichtungen des Sowjetstaats abgestellt sind, Vorjahre, auf der letzten Funkausstellung eine Anzahl sondern auch die deutschen Kommunisten ihre Be- Geräte ausgestellt und verkauft hat, die für Kurzwel- mühungen verstärken, in möglichst breiten Kreisen lenempfang brauchbar sind. das Interesse für die Moskauer Sendungen zu we- (...) cken und diese für den Empfang zu schulen. Es muß Die Lautstärke des Kurzwellensenders [ist] in der sonach mit einer gesteigerten Propagandawirkung Sendezeit abends von 10[.00] - 21[.00] MEZ während der deutschsprachigen Moskausendungen auf langer der Monate April – Oktober nahezu konstant. In den Welle gerechnet werden, vor allem bei den kollekti- Wintermonaten schwankt die Lautstärke sehr stark ven Moskau-Abhörabenden mit anschließenden Vor- und zwar ändern sich die Verhältnisse von Tag zu trägen und Berichten über Sowjetrußland, die jeweils Tag, d.h., dass an einem Tag einwandfreier Empfang im Zeichen der Propaganda für die Kommunistische möglich ist und am anderen Tag der Sender über- Internationale und die KPD stehen. Die Gefährlichkeit haupt nicht hörbar wird. In den Wintermonaten ist die der sowjetischen Sendungen in deutscher Sprache 70 Lautstärke des Kurzwellensenders auf Welle 50 m braucht nicht besonders betont zu werden.« dafür aber am Tage so gross, dass ein einwandfreier Es genüge, auf Übertragungen und Vorträge Empfang möglich ist. Deutsche Sendungen wurden hinzuweisen, wie denjenigen vom 30. Oktober aber bisher zu diesen Zeiten nicht beobachtet. darüber, ›Wie sich die Bolschewiken zum be- Umgekehrt liegen die Verhältnisse beim Sender waffneten Aufstand vorbereiteten‹, der offen- Komintern Welle 1 481 m. Dieser Sender ist gerade in den Wintermonaten mit konstanter Lautstärke hör- sichtlich dazu bestimmt gewesen sei, »die deut- bar und während der Sommermonate unhörbar. Die schen Kommunisten mit den Erfahrungen der Empfangsmöglichkeit dieses Senders ist aber neben russischen Revolution vertraut zu machen und der absoluten Lautstäreke noch davon abhängig, in- sie so für den bewaffneten Aufstand zu schu- wieweit nahe gelegene und in der Wellenlänge be- len.«71 nachbarte Sender die Sendungen übertönen. (Zentrum zur Aufbewahrung historisch-dokumentari- scher Sammlungen Moskau 720/195) Anmerkungen

Eine ganz andere Meinung vertrat hingegen die 1 Vgl. Die Zwölf-Jahrfeier der Sowjet-Union im Nachrichtensammelstelle im Reichsministerium Rundfunk. In: Der Deutsche Rundfunk Jg. 7 des Innern. Hatte sie schon Ende 1930 auf die (1929), H. 46, S. 1466. Übertragungen des Moskauer Gewerkschafts- 2 Vgl. Wladimir Ostrogorski: Der deutschsprachige senders zum 13. Jahrestag der russischen Re- Dienst des Moskauer Rundfunks im Kampf gegen volution, die in Berlin hätten einwandfrei emp- den Faschismus in Deutschland (1929 – 1945). fangen werden können, hingewiesen und gefor- Diss. Leipzig 1971. Vgl. auch zur sowjetischen dert, der sowjetischen Auslandspropaganda Rundfunkpropaganda Christoph Mick: Sowjeti- sche Propaganda, Fünfjahrplan und deutsche durch Radio entsprechende Aufmerksamkeit zu widmen, da sie eine »politische Beeinflussung Diller: Deutschsprachige Rundfunksendungen aus der Sowjetunion 119

Rußlandpolitik 1928 – 1932. Stuttgart 1995. Re- 22 Unterlagenmaterial über Vorhandensein und Miß- zension in RuG Jg. 22 (1996), H. 1, S. 89. brauch von Kurzwellen-Schwarzsendern, 6.6.1929. Bundesarchiv (BA) Freiburg (Frbg) RW 6/173. 3 Die Zwölf-Jahrfeier der Sowjet-Union im Rund- funk. In: Der Deutsche Rundfunk Jg. 7 (1929), H. 23 Militarisierung und Politisierung der Kurzwellen- 46, S. 1466. amateure in der Sowjetunion. Bolschewistische 4 Rundfunkpropaganda in deutscher Sprache, Das Ohr im Äther. In: Die Sendung Jg. 7 (1930), 24.1.1930. Ebd. H. 1, S. 13. 24 Zit. nach ebd. 5 Das Ohr im Äther. In: Die Sendung Jg. 7 (1930), H. 3, S. 48. 25 Vgl. Moskau funkt für die deutschen Minderheiten 6 in der Sowjetunion! In: Unser Sender Jg. 2 (1929), Das Ohr im Äther. In: Die Sendung Jg. 8 (1931), H. 8, S. 58. H. 1, S. 11. 26 7 Vgl. Radioübertragung aus Moskau in deutscher Kurt Wagenführ: Sowjetrussische Ätherpropagan- Sprache. In: Der drohende Krieg Jg. 3 (1930), H. da. In: Rundfunk-Hörer Jg. 7 (1930), H. 26, S. 2f. 1, S. 32; vgl. auch Fremdsprachige Radioübertra- u. in: Der Deutsche Rundfunk Jg. 8 (1930), H. 29, gungen aus Moskau. In: Freund der Sowjets Jg. 1 S. 10. (1930), H. 4, S. 76. 8 Ebd. 27 Auswärtiges Amt (AA) – Presseabteilung der 9 Moskau im Radio. In: Germania, 24.1.1931. Reichsregierung an Reichspostministerium (RPM), 7.1.1930 (Abschrift). BA Frbg RW 6/173; 10 Kampf im Äther. In: Funk und Schall Jg. 3 (1931); RPM an AA – Presseabteilung der Reichsregie- Nr. 5, [S. 1]; Nathan Gurdus: Kampf im Äther. In: rung, 27.1.1930 (Abschrift). Ebd. Der Deutsche Rundfunk Jg. 9 (1931), H. 10, S. 8. 28 Vgl. Abhörbericht, 15.2.1930. Politisches Archiv 11 Der sowjetrussische Rundfunk, eine Gefahr für des Auswärtigen Amtes (PAAA) Bln Deutsche ganz Europa. In: Deutschenspiegel Jg. 8 (1931), Botschaft (B) Moskau (Msk) Bo M/242. H. 8, S. 311f. 29 Vgl. Abhörbericht, 17.2.1930. Ebd. 12 Nathan Gurdus: Kriegsgefahr im Äther! In: Der 30 Deutsche Rundfunk Jg. 9 (1931), H. 9, S. 9. Vgl. Abhörbericht, 19.2.1930. Ebd. 31 13 Hans Ryk: Die Sowjet-Propaganda durch Rund- Inhalt des Vortrags, 10.4.1930. Ebd. funk. In: Funk und Schall Jg. 3 (1931), Nr. 12, 32 Ministerbesprechung vom 16. April 1930. Abge- S. 1f. druckt in: Akten der Reichskanzlei. Die Kabinette 14 Nathan Gurdus: Neues vom Moskauer Propagan- Brüning I und II (1930 – 1932). Bd. 1. Boppard dafunk. In: Der Deutsche Rundfunk Jg. 9 (1931), 1982, S. 58. H. 22, S. 10. 33 Ministerbesprechung vom 22. Mai 1930. Abge- 15 Russische Radiooffensive. In: Funk und Schall druckt in: Ebd., S. 157. Jg. 3 (1931), H. 24, S. 1f., hier S. 1f. 34 Aufnahmen des Moskauer Großsenders des Zent- 16 Vgl. Armin Brandenburg: Zwischen Vatikan und ralrats der Gewerkschaften der Sowjet-Union. Moskau sechs Zentimeter. In: Funk und Schall Vom 24. April – 19. Mai 1930. BA Bln R43 I/139. Jg. 3 (1931), H. 32, S. 1ff. 35 Vgl. Ebd. 17 Vgl. N[athan] Gurdus: Telegraphiesender und 36 Reichspostzentralamt (RPZ), 16.5.1930 (Ab- Moskauer Rundfunk. In. Der Deutsche Rundfunk schrift). BA Frbg RW 6/173. Jg. 9 (1931), H. 46, S. 10. 37 18 Auswärtiges Amt (AA) an Botschaft Moskau, Vgl. Tondokument der Ansprache. DRA Frankfurt 19.4.1930 (Anlage: Aufzeichnung, 16.4.1930). am Main B005235626. Politisches Archiv des Auswärtigen Amtes (PAAA) 19 Vgl. Hans Richard Mertel: Rote Kulturrevolution. Bln B Msk Bo M/242. Der Sowjetrundfunk droht! In: Süddeutsche Mo- 38 Ebd. natshefte Jg. 30 (1933), H. 6, S. 322 – 332; hier S. 329. 39 (Anlage: Aufzeichnung betr. kommunistische Pro- 20 paganda durch Radiosendungen von Moskauer Vgl. Störung des Deutschlandsenders durch ei- Großfunk-Sendern, o.D.). Ebd. nen russischen Telegraphiesender. In: Der Deut- sche Rundfunk Jg. 9 (1931), H. 48, S. 69. 40 Deutsche Botschaft Moskau an AA, 28.5.1930. BA Brl R 43 I/138. 21 Vgl. Reichspostminister (RPM) an Reichsinnen- minister (RMI), 25.1.1926. Geheimes Staatsarchiv 41 Deutsche Botschaft Moskau an AA, 11./12.6.1930. Preußischer Kulturbesitz (GStA Bln) Rep. 76 V e. Ebd. 94. 42 AA an Preußisches Ministerium des Innern, 26.8.1930. GStA Brl Rep. 77Tit/4043/116. 120 Rundfunk und Geschichte 29 (2003)

43 Vgl. Texte in BA Brl R 43I/139. 63 RMI an Katholische Aktion, 16.1.1932. Ebd.

44 Ministerbesprechung vom 27. März 1931. Abge- 64 Verhandlungen des Reichstags, 18.6.1930, S. druckt in: Akten der Reichskanzlei. Die Kabinette 5594. Brüning I und II (1930 – 1932). Bd. 2. Boppard 65 1982, S. 997f. Vgl. Arbeitsausschuß des Reichspost-Verwal- tungsrats (AA DRP-VR), 29.1.1931, S. 29, 34, 38f. 45 Niederschrift über die Ressortbesprechung im 66 Reichsministerium des Innern am 29.4. 11[.00] Vgl. Verhandlungen des Reichstags, 4.3.1931, S. Uhr vormittags über russische Rundfunkpropa- 1358f.; 18.3.1931, S. 1697, 1715; DRP-VR, ganda. BA Brl R 43 I/139. 6./7.3.1931, S. 53-62; 15.-17.3.1932, S. 104f. u.107; 29.11.1932, S. 11; AA DRP-VR, 46 Ebd. 29.12.1931; 1./2./4.3.1932, S. 37.

47 Vgl. Matthias Lau: Pressepolitik als Chance. 67 Deutscher Programmaustausch mit Sowjet- Staatliche Öffentlichkeitsarbeit in den Ländern der Rußland. In: FUNK Jg. 9 (1932), H. 12, S. 46. Vgl. Weimarer Republik. Stuttgart 2003, S. 109. auch Programmaustauch Berlin-Moskau. In: Ar- beiter-Sender Jg. 5 (1932); H. 13, S. 1. 48 Vgl. Niederschrift über die Sitzung des Aufsichts- rats der Deutschen Welle, 1.5.1931. BA Brl R 68 AA an RMI, 22.10.1932. Zentrum zur Aufbewah- 78/591. rung historisch-dokumentarischer Sammlungen, Msk 720/1/95. 49 Vgl. Ergebnis der im Staatsministerium abgehal- tenen Aussprache des Herrn Ministerpräsidenten 69 RMI an Nachrichtenstellen der Länder, 25.11. mit den Vertretern der Preußischen Staatsregie- 1930. Ernst Ritter (Hrsg.): Lageberichte (1920 - rung in den Politischen Überwachungsausschüs- 1929) und Meldungen (1929 - 1933). München sen des Rundfunks, 6.5.1931. GStA Brl Rep. u.a. 1979. 76Ve, Sek 1, VIII/94. 70 RMI an Nachrichtenstellen der Länder, 14.12. 50 Neuer Aufbau in Russland ... In: Funk und Schall 1932. Ebd. Jg. 3 (1931), Nr. 22, S. 2. 71 Ebd. 51 Aktennotiz Reichskanzlei, 20.5.1931. BA Brl R 43 I /139.

52 Aktennotiz des AA, 5.6.1931. BA Brl 43 I / 140.

53 Reichsminister des Innern an die Reichsvertreter in den Politischen Überwachungsausschüssen der Rundfunkgesellschaften, 15.6.1931. BA Brl. R 55/1276.

54 Sowjetrussland im Spiegel des deutschen Rund- funks. In: Das neue Russland Jg. 8, 1931, H. 7, S. 43f.; hier S. 42.

55 Ebd., S. 43.

56 Ebd. Vgl. auch Alfred Döblin: »Ich höre lieber Moskau!« Bekannte Schriftsteller zu der Rußland- hetze des Deutschlandsenders. In: Arbeiter- Sender Jg. 4 (1931), H. 36, S. 2.

57 Vgl. ReichsrundfunkKommissar Dr. Bredow über die Sowjethetze. In: Arbeiter-Sender Jg. 4 (1931), H. 37, S. 2.

58 Vgl. Rundfunk und Zeitgeschehen. In: Arbeiter- Sender Jg. 4, H. 38, S. 1.

59 Vgl. Massensturm gegen die Deutsche Welle. Das Echo einer frechen Antwort von Professor Schubotz bei der Arbeiterschaft. In: Ebd., S. 2.

60 Niederschrift über die Sitzung des Aufsichtsrats der Deutschen Welle, 23.11.1931. GStA Brl Rep. 76Ve, Sek 1, VIII/83, Bd. 2.

61 RMI an RPM, Landesregierungen und RK, 10.12. 1931. BA Brl R 43 I/ 140.

62 Katholische Aktion an RK, 8.1.1932. Ebd. Heiner Stahl

DT 64 – Vom Festivalradio zur Jugendsendung Handlungsspielräume zwischen Blauhemd, Beatmusik und 11. Plenum*

Jugendstudio DT 641 ist Pop und Propaganda, Westmedien eröffnen sich dem Jugendstudio fügt Lennon und Lenin in ein Sendeformat, ver- DT 64 Handlungsspielräume, in denen abge- bindet den Liverpooler Mersey-Beat mit dem wandelte Umsetzungen offizieller Anforderungen Leipziger Gitarrensound und lässt das »Yeah, möglich und aufrechtzuerhalten sind. yeah, yeah« der »Swinging Sixties« aus den Die medienpolitische Funktion gegenüber Transistorradios schallen. Das Jugendstudio fei- den Westsendern besitzt, zusammen mit der ju- ert die Errungenschaften der sozialistischen Ju- gendpolitischen Profilierung der SED, stets ein gendpolitik, kritisiert aber durchaus die zurück- stärkeres Gewicht als die kulturpolitischen De- haltende Umsetzung ihrer Inhalte in Jugend- batten um sozialistische Tanzmusik und die Mu- klubs, Schulen und volkseigenen Betrieben, in- sikauswahl der Sendung. Das 11. Plenum des nerhalb des Jugendverbandes und der Partei auf ZK der SED 1965 wirkt sich auf DT 64 nicht so Kreis- und Bezirksebene. DT 64 ist eine überra- einschneidend aus wie auf die DEFA, manche schende Form sozialistischer Erziehung und DDR-Schriftsteller oder die Beat-Subkultur. Unterhaltung, ein Identifikationsangebot an die Jugendstudio DT 64 ist institutionell betrach- junge Nachkriegsgeneration, die in den sozialis- tet keine FDJ-Sendung, also keine »klingende tischen Staat hineinwachsen soll. Spritzig und Jungen Welt«. Als einer der Hauptakteure der »sozialistisch frech«2 sendet das Jugendstudio SED-Jugendpolitik übt der Jugendverband durch ab dem 29. Juni 1964 wochentags mehrstündig Themenvorgabe und Nachrichtenproduktion den- auf den Frequenzen des Berliner Rundfunks. noch Einfluss auf das Programm aus. Er ist aber Als »die Wunderwaffe Pankows«3 bezeichnet nach dem 11. Plenum wiederum Partner, mit die kirchlich-konservative westdeutsche Wo- welchem DT 64 den politischen Druck abzu- chenzeitschrift ›Christ und Welt‹ das Jugendstu- schwächen versucht. dio. »Schlager aus Ost und West werden nur selten von Nachrichten und Informationen unter- brochen, bei denen man erst beim zweiten Hin- Vom Festivalradio zur Jugendsendung hören entdeckt, daß sie eine handfeste Sympa- des Berliner Rundfunks thiewerbung für das Zonenregime enthalten.«4 Die »Wunderwaffe« hat neben der jugendpoliti- Das Staatliche Rundfunkkomitee (SRK) beginnt schen auch eine medienpolitische Aufgabe im im Februar 1964 mit Planungen für das mauerlosen Radioäther. Mit Radio Luxemburg Deutschlandtreffen. Die Sonderredaktion setzt und dem RIAS,5 die westliches Lebensgefühl, sich aus Mitgliedern der Jugendredaktionen von Spaß und Freiheit verkörpern, steht das Ju- Radio DDR 1, Deutschlandsender und Berliner gendprogramm täglich in Konkurrenz um die Hö- Rundfunk sowie anerkannten älteren Radiojour- rergunst. Besonders deren Schlager- und Tanz- nalisten zusammen. Mitte April 1964 steht der musiksendungen besitzen einen langjährigen Name und der Inhalt des Sonderprogramms Wirkungsvorsprung bei der jugendlichen Ziel- fest. »Es wird während des Deutschlandtreffens gruppe. Jugendstudio DT 64 könnte man unter ein Sonderprogramm unter dem Namen ›DT 64‹ diesem Blickwinkel als den Versuch betrachten, gefahren.«6 Der Festivalsender DT 64 ist ein gegenüber der eigenen Jugend verlorenes Ter- Mammutprojekt, bei dem die unterschwellige rain wiederzugewinnen und hinsichtlich der Att- Konkurrenz zwischen den DDR-Sendern zu- raktivität mit den Westangeboten zumindest rücktritt. SED und FDJ wollen auf dem Deutsch- gleichzuziehen. Zudem steht das Jugendstudio landtreffen der Jugend, drei Jahre nach dem DT 64 in einer Konkurrenz zu den Jugendpro- Mauerbau, »vor Augen führen, wie gut und rich- grammen des Deutschlandsenders und Radio tig die damalige Entscheidung gewesen war und DDR 1 sowie zu den für die Westpropaganda wie weit man inzwischen vorangekommen sei«.7 eingesetzten Stationen Deutscher Freiheitssen- Das Deutschlandtreffen soll erstens »zu einer der 904 und Soldatensender 935. Die beiden innenpolitischen Mobilisierung der DDR-Jugend Geheimsender sind aufgrund ihrer sehr westli- beitragen«,8 zweitens erhofft sich die SED-Füh- chen Musikauswahl oft gewählte Nutzungsalter- rung, das Zustandekommen von deutsch-deut- nativen bei jugendlichen Hörern in der DDR. schen Gesprächen auf Regierungsebene und Durch die unterschiedlichen Aufgabendefini- drittens setzt Ulbricht auf die Ausstrahlungskraft tionen und Erwartungen der politischen Akteure der mit dem Jugendkommuniqué 19639 und sowie durch die Konkurrenzsituation mit den dem Jugendgesetz 1964 eingeleiteten Verände- 122 Rundfunk und Geschichte 29 (2003)

rungen. Für die nach offiziellen Angaben einen Jugendsender zusätzlich einzurichten.«14 535 000 Jugendlichen aus der DDR und 25 000 Die anderen meinen, die Jugendkommission des Teilnehmer aus der Bundesrepublik und West- Zentralkomitees sei ausschlaggebend gewesen, Berlin werden die »schon fünf Tage nach dem Deutschland- treffen vorschlug, zu prüfen wie und in welchen »ganze Straßenzüge – von den Linden über die Friedrichstraße bis zur Karl-Marx-Allee für den Ver- Formen der Jugendsender, der bei Jung und Alt kehr gesperrt und zu Tanzstraßen erklärt, auf denen während des Deutschlandtreffens großen An- sich Hunderttausende bis in die späte Nacht bei Twist klang fand, seine Sendungen fortsetzen kön- und Hully-Gully, Jazz und Rock vergnügten. Sämtli- ne.«15 Namentlich wird Kurt Turba, der Leiter che Theater spielten kostenlos, die Kinos waren fast der Jugendkommission des Politbüros, genannt, rund um die Uhr geöffnet.«10 der die Einrichtung des Festivalsenders inner- halb des DDR-Rundfunks anregt und Ulbrichts Westliche Tanzmusik aus den Kofferradios trägt Unterstützung fand.16 erheblich zu dieser Atmosphäre bei. Für Sieg- In den Akten des Politbüros stellt sich der mar Krause, erster Redaktionsleiter von DT 64 Vorgang folgendermaßen dar: Auf den 21. Mai und beim Vorgänger Jugendstudio Berlin, ist das 1964 datiert ein Vermerk der ZK-Abteilung Ju- ein hart erkämpftes Privileg und nur möglich, da gend, der zwar die Weiterführung des Jugend- die Sonderredaktion mit dem Musikgeschmack senders nicht explizit anspricht, aber diesbezüg- der westdeutschen Gäste gegenüber den Spit- liche Anregungen Ulbrichts festhält: zen des Rundfunks argumentiert. »Dem Rundfunk und dem Fernsehfunk sollte vorge- »Alles hat diese Beatles gehört. Also bin ich zu Eis- schlagen werden, daß für eine längere Zeit die bes- ler,11 ich habe gesagt, pass auf, willste, daß dieser ten Aufnahmen über die verschiedenen Kulturveran- Sender auch gehört wird. Ohne Musik kommen wir staltungen der Jugend zum Deutschlandtreffen sys- nicht aus und wir kommen auch nicht aus ohne einen tematisch in das Programm mit aufgenommen wer- erheblichen Anteil an westlicher Musik, Tanzmusik den.«17 und Rockmusik. Sie werden die Beatles hören, darauf kannst du dich verlassen, sagte ich zu Eisler. Aber Diese Äußerungen bilden die Grundlage für die dann werden sie nicht DT 64 hören. Wenn sie [die von Turba im Namen der Jugendkommission er- Jugendlichen, H.S.] sie [die Beatles, H.S.] hören sol- stellte Vorlage zu »Problemen, die sich aus der len, dann sollen sie es bei uns hören. Und dann hat Einschätzung des Deutschlandtreffens erge- der Alte [Eisler, H.S.] gesagt: ›Ja‹. Macht das mal.«12 ben«,18 die er am 23. Mai 1964 an das Politbüro Der Festivalsender DT 64 hilft der SED-Spitze, richtet. Diese Vorlage wird direkt und ohne Än- die Deutungshoheit über den Erfolg des Ju- derungen in die Endredaktion des Politbürobe- gendtreffens gegenüber den (West-)Berliner schlusses19 am 26. Mai übernommen. Somit Sendern zu erlangen. Der RIAS fährt in dieser liegt die Vermutung nahe, dass die nachfolgen- Zeit ebenfalls ein Sonderprogramm mit viel Mu- den Äußerungen Turbas mit Ulbricht bereits vor- sik.13 Es gelingt wie selten zuvor und danach, her abgestimmt waren. Turba betont den »neuen die eigene Jugend mit ihren eigenen Worten an- Leitungsstil des Herantretens an die Jugend«, zusprechen. Im Parteiapparat ist man zufrieden, der »bereits vor dem Deutschlandtreffen sein dass so viele Jugendliche dieses Fest anneh- Echo in vielen neuen Formen eines regen geis- men und keine Anti-DDR-Stimmung aufkommt. tig-kulturellen Lebens unter der Jugend«20 ge- Die relative Freizügigkeit und Aufgeschlossen- funden habe. Er regt in diesem Kontext an zu heit, die die Kernaussage des FDJ-Treffens bil- prüfen, »wie und in welchen Formen der Ju- det, eröffnet einen Freiraum, den sowohl die Ju- gendsender ›DT 64‹, der bei Jung und Alt wäh- gendlichen als auch die Verantwortlichen des rend des Deutschlandtreffens großen Anklang Jugendfunks ausnutzen. Nur in diesem Zusam- fand, seine Sendungen fortsetzen kann.«21 menhang sind die Innovationen und Neuerungen Während der Politbürositzung vom 26. Mai22 denkbar, die der Festivalsender einführt. Diese tritt Horst Schumann, erster Sekretär des FDJ- wiederum prägen die Wahrnehmung des Ju- Zentralrates, ebenfalls für die Weiterführung von gendstudio DT 64 bei den jugendlichen Hörern in DT 64 ein. »In diesem Zusammenhang [den der Folgezeit und setzen gleichfalls Maßstäbe Formen des öffentlichen Auftretens der Jugend für jugendgemäße Rundfunkprogramme in den auf dem Deutschlandtreffen, H.S.] möchten wir DDR-Programmen. die große Wirkung des Senders ›DT 64‹ hervor- Für die Frage, welcher jugendpolitische Ak- heben.«23 Schumann schlägt dem Politbüro vor, teur der Impulsgeber für die Weiterführung des zusätzlich einen Jugendsender einzurichten. Es Festivalradios ist, werden in der Literatur zwei sei »eine gute Methode, um die Einwirkung bür- Alternativen angeboten. Die einen beziehen sich gerlich-ideologischer Auffassungen weiter zu- auf einen Bericht des FDJ-Zentralrats an das rückzudrängen und unsererseits nach West- Politbüro, der vorschlägt, »in unserer Republik Stahl: DT 64 – Vom Festivalradio zur Jugendsendung 123

deutschland wirkungsvoll auf die Jugend auszu- Ablehnung eines eigenständigen Senders damit, strahlen.«24 dass DT 64 über Pfingsten Möglichkeiten erhielt, Die Jugendkommission des Politbüros und die für ein Dauerprogramm aus verschiedenen der Zentralrat der FDJ richten beiden den Gründen nicht anwendbar seien. Wunsch an das Politbüro, das erfolgreiche Fes- Aus der Zusammenfassung29 lassen sich tivalprogramm weiterzuführen, am Besten mit zwei Diskussionslinien herausarbeiten: eine kul- einem zusätzlichen Sender nur für die Jugend. turpolitisch-ideologische und eine rundfunkorga- Diesem Verhalten liegen aber unterschiedliche nisatorische. Die Intendantin des Berliner Rund- Motivationen zugrunde. Ein solcher Jugendsen- funks, Herta Classen, erklärt: der läge für die Kurt Turba voll auf der im Ju- »DT 64 lebte von der Atmosphäre des Deutschland- gendkommuniqué 1963 beschriebenen Argumen- treffens und von der heißen Tanzmusik und wir kön- tationslinie. Der Jugendverband könnte durch nen unmöglich ein solches Programm machen. Wir diese Forderung versuchen, sich frühzeitig Ein- kommen ideologisch und kulturpolitisch in die Enge flusschancen auf das Jugendprogramm zu si- [Ersetzung im Original durch das Wort ›Schwierig- chern und sich nach dem erfolgreichen Deutsch- keiten‹, H.S.], wenn wir das über eine längere Perio- landtreffen wieder günstiger gegenüber der de mehr als zwei Stunden auf das Programm aus- Parteispitze dazustellen. dehnen.« Der Intendant des Deutschlandsenders, Kurt Eh- rich, sieht diese Probleme ebenfalls: Das Festivalprogramm DT 64 im DDR-Rundfunk »Dieses Programm ist getragen von Elementen, die wir nicht in unserem offiziellen Programm haben dürfen und werden. Wir würden ideologische Funda- Durch den Politbürobeschluss ist die Einrichtung mente aushöhlen, die bei uns gewachsen sind. Ideo- eines Jugendprogramms auf die politische Ta- logisch gibt es entscheidenden (sic!) Einwand gegen gesordnung gesetzt. Das SRK wird zu einer die Fortführung des ›DT 64‹. Und machen wir das Überprüfung angehalten, obwohl die Etablierung nicht, ist das Ganze, was ›DT 64‹ so populär gemacht eines weiteren Senders nicht in die Umprofilie- hat, nicht vorhanden.« rungsphase der bestehenden Sender zu passen Inge Schmidt, Radio DDR 1, führt den Erfolg von scheint.25 Allerdings erreichen nach dem DT 64 auf die bisherigen Ausarbeitungen eines Deutschlandtreffen begeisterte Hörerzuschriften Informations- und Unterhaltungsprogramms in- das SRK. Die Oberschülerin Hedda L. schreibt: nerhalb des SRK zurück: »Über den Sender DT 64 zu Pfingsten waren wir ei- »Die Jugend wünscht keine besonderen Jugendsen- ner Meinung und zwar, daß die Sendungen sehr gut dungen. Sie hat den Wunsch, bestimmte Sachen auf waren und auch dementsprechend [sic!] angekom- andere Art gesagt zu bekommen. [Deshalb] läuft alles men sind. Könnte man nicht bei der Programmges- darauf hinaus, [dass] ein Informations- und Unter- taltung übereinkommen, daß jeden Abend ein Sender haltungsprogramm, das Bedürfnis der Jugend befrie- in der Art des DT ein Programm für die Jugend brin- digen können (sic!).« gen könnte (mit Tanzmusik, verbunden mit Nach- richten und Diskussionen usw.)?«26 Classen bietet als Lösung an, Ganz im Gegensatz zu den Hörermeinungen »daß der Berliner Rundfunk fünfmal in der Woche sieht die Leitung des DDR-Rundfunks das Son- Jugendstudio macht. Wir sind nicht abgeneigt, wenn derprogramm als einmalige Sendeveranstaltung der Druck sehr stark ist, auf dieser Basis zu verhan- an, da nicht die Möglichkeit bestehe, deln.« »eine zusätzliche Mittelwelle zu annektieren, um da- Von woher dieser bestehende Druck komme mit Jugendsendungen zu bestreiten. Wir werden und mit wem darüber zu verhandeln sei, wird wahrscheinlich unsere Jugendprobleme in der Weise nicht erläutert. Am wahrscheinlichsten ist die gestalten, daß wir beispielsweise auf dem Berliner Einwirkung der SED-Führungsspitze und wohl Rundfunk unsere Jugendsendungen verstärken.«27 auch diejenige des FDJ-Zentralrats sowie das Auf der Sitzung des Rundfunkkomitees vom 2. Wissen der Komiteemitglieder um Ulbrichts Inte- Juni 1964 kommt der Jugendsender erneut zur resse an der jugendpolitischen Thematik. Man- Sprache. Zwischen den Intendanten, den Chef- fred Engelhardt von der Chefredaktion des Berli- redakteuren aller DDR-Sender und den Spitzen ner Rundfunks stützt die Ausführungen seiner der Rundfunkverwaltung herrscht laut Protokoll Intendantin. Einmütigkeit darüber, »daß eine Weiterführung »Hertas Vorschlag ist die praktischste Lösung. Alles eines Jugendsenders ›DT 64‹ schlechthin nicht andere würde auf einen Staat im Staate hinauslaufen, möglich ist.«28 Die Lösung bestehe darin, die daß die Jugend alles für sich noch einmal machen Sendung Jugendstudio Berlin des Berliner muß. Für uns hat das in der Programmgestaltung Rundfunks auszubauen. Begründet wurde die mindestens insofern Konsequenzen, daß wir 5 mal in 124 Rundfunk und Geschichte 29 (2003)

der Woche ein solches Programm machen, vornehm- Sommer 1965 weiter verlängert, doch Sendun- lich an die Jugend, aber allen anderen muß es auch gen am Wochenende kommen nicht in Frage, Spaß machen.« da der Berliner Rundfunk die Abwanderung älte- Engelhardt spricht hier das rundfunkorganisato- rer Hörergruppen zu den Westsendern befürch- rische Problem an, dem die Entscheidungsträger tet. Begründet wird dies damit, dass zum Bei- gegenüber stehen. Ein weiterer Rundfunksender spiel die Tanzmusik- und Unterhaltungssendung bedeutet neue Sendefrequenzen, eine eigene »Von 7.00 bis 10.00 Uhr in Spreeathen« »den Verwaltung mit einem eigenständigen Vertre- Ansprüchen der Jugend durchaus gerecht wer- 32 tungsrecht innerhalb des SRK, ein weiterer Kon- de.« Den Hintergrund für die Erweiterungsdis- kurrent um finanzielle Ressourcen und Kader kussion bilden, so Krause, »Gedanken, ein und somit eine Schwächung der bestehenden DT 64-ähnliches Programm speziell für die west- 33 Rundfunksender. deutsche Jugend einzurichten.« Die Abteilung 34 Sendungen innerhalb des Programms des Agitation des FDJ-Zentralrats argumentiert be- Berliner Rundfunks können als konfliktfreieste reits im Dezember 1964 in diese Richtung. Trotz Lösung mit einem Höchstmaß an senderinterner dieses Grundkonflikts zwischen der Jugendsen- Kontrolle gelten. Diese Lösung verarbeitet die dung und den Senderinteressen erfüllt DT 64 von der SED-Führung und der FDJ kommenden seine jugend- und medienpolitische Funktion Überlegungen und bringt sie mit den Interessen weitgehend. Im Januar 1971 schließlich gelangt der Rundfunksender in Einklang. Das Jugend- DT 64 mit der Hitparaden-Sendung »DT 64- studio Berlin des Berliner Rundfunks wird zum Musikstudio« auf einen Platz am Sonnabend. Programmstart am 29. Juni 1964 in »Jugendstu- 1981 erhält die Sendung zusätzlich Sendeplätze dio DT 64« umbenannt, rechtzeitig zu Ulbrichts in den Abendstunden. Ab Dezember 1987 nach 71. Geburtstag, der am 30. Juni feierlich began- der Fusion mit »Hallo! – Das Jugendjournal« gen wird. (Stimme der DDR) sendet das Jugendradio täg- Hieraus folgt, dass eine Gleichsetzung von lich 20 Stunden. Es wird aber erst am 1. April 35 Jugendstudio DT 64 mit dem Sonderprogramm 1990 zu einem 24-stündigen Vollprogramm zum Deutschlandtreffen, trotz starker personeller ausgebaut. Überschneidungen, nicht zulässig ist. Die Ein- richtung von Jugendstudio DT 64 wirkt vielmehr wie ein interner Formelkompromiss im SRK, der Programmauftrag und politische Inhalte die externen Anforderungen zwar umsetzt, sie aber anders ausfüllt. Ein eigenständiger Jugend- Grundlage und Bezugspunkt für die Aufgaben- sender läge zwar durchaus auf der Linie des Po- stellung von Jugendstudio DT 64 bildet das Ju- litbürobeschlusses, er brächte allerdings das gendkommuniqué »Hausherren von Morgen: mühsam hergestellte Gleichgewicht zwischen Der Jugend Vertrauen und Verantwortung« vom dem Programmauftrag der Sender, ihrer unter- September 1963. »DT 64 ist ein Stück Jugend- schiedlichen Ausrichtung auf Hörerzielgruppen kommuniqué, angewandt auf den Rundfunk«,36 und der Entscheidungsfindung innerhalb des formuliert Siegmar Krause in einem Redebeitrag SRK aus der Balance. Die Interessenlage der bei der SED-Journalistenkonferenz 1964. Wenn DDR-Hörfunksender scheint sich in diesem Krause in einer Stellungnahme37 für die Jugend- Punkt bis in die späten 80er Jahre nicht zu ver- kommission des ZK die kritische Beschäftigung ändern. mit innerbetrieblichen Problemen der Jugendli- chen bei der Arbeit und Ausbildung hervorhebt oder die Langeweile auf dem Dorf und der Ab- Erweiterung der Sendezeit wanderung in die Städte genauso anspricht wie die ideologischen Nachlässigkeiten in Jugend- Das Jugendstudio DT 64 sendet nach dem Pro- klubs, so argumentiert er auf der Grundlage die- grammstart fünfmal in der Woche von 16.00 Uhr ses Kommuniqués. bis 18.00 Uhr. Gegenüber dem Vorgänger Ju- In einer Einschätzung der Abteilung Agitation 38 gendstudio Berlin sind das zweieinhalb Stunden der FDJ aus dem Sommer 1965 werden die mehr pro Woche. Bereits ab dem 1. September Aufgaben wiedergegeben, die das Jugendstudio 196430 erhält das Jugendprogramm eine halbe aus der Sicht des Jugendverbandes zu erfüllen Stunde hinzu. Es bietet nun von 16.00 bis 18.30 hat: Uhr, also zwölfeinhalb Stunden in der Woche, »DT 64 will den sozialistischen Menschen formen sein Programm an. Eine erneute Verlängerung helfen, aber nicht den Menschen in eine Form pres- um eine Stunde tritt auf Vorschlag von Intendan- sen. Das heißt also: DT 64 muß vom Denken und tin Classen Ende Mai 1965 in Kraft.31 Die Sen- Fühlen der Jungen und Mädchen ausgehen, ihren dung dauert nun von 16.00 bis 19.30 Uhr an je- Bewußtseinsstand und ihren Wissensdrang genauso dem Werktag. Die Sendezeit wird bis zum respektieren wie ihre Abneigung gegen konservative Stahl: DT 64 – Vom Festivalradio zur Jugendsendung 125

Formen und Methoden, ihr kritisches Denken wie die tung hält fest: »Das Programm ist ausgewogen. Liebe zum Modernen, auch zur flotten Musik.« Man findet an jedem Tag etwas. Dabei ist die Das Jugendstudio DT 64 hat demnach die Auf- Programmzusammenstellung so geschickt, daß gabe, den Jugendlichen Wissen zu vermitteln, die Einreihung in die Tanzmusik keinen Bruch Entscheidungen zu ermitteln und sozialistisches ergibt.« Interessant an der FDJ-Studie ist zu- Bewusstsein zu entwickeln. Das allerdings ohne dem, dass sie eine Auseinandersetzung mit der zu gängeln, ohne Schemata vorzugeben, son- bei DT 64 gespielten Musik strikt vermeidet. dern helfend und beratend, also in Formen, de- nen junge Menschen, nach Auffassung der FDJ- Agitationsabteilung, besonders zugänglich sind. Handlungsspielraum konkret Ferner soll DT 64 »die Jugend auf ihre Hausher- renfunktion in einem sozialistischen Deutschland An der Berichterstattung über eine Auseinander- vorbereiten, sie anregen, im Betrieb und Staat setzung zwischen Lehrern und Schülern an einer mitzubestimmen und Mißständen zu Leibe zu Polytechnischen Oberschule (POS) in Berlin- rücken.« Baumschulenweg lässt sich zeigen, wie das Ju- Jede Sendung besitzt einen thematischen gendstudio DT 64 bei der Programmgestaltung Schwerpunkt. Montags ist es die Berufsausbil- vorgeht, welcher Handlungsspielraum solange dung, dienstags die Wehrerziehung, mittwochs besteht wie es keinen »Argumentationshinweis« kommt ein Bericht zum Thema Landwirtschaft, aus der ZK-Abteilung Agitation und Propaganda donnerstags berichtet DT 64 aus einem VEB gibt, der die weitere Bearbeitung des Themas oder nähert sich einem wirtschaftlichen Problem, verhindert. freitags schließlich steht der Bereich Kultur im Der Streitpunkt ist eine neu erlassene Haus- Mittelpunkt. ordnung. Sechs Schülerinnen einer 10. Klasse Die FDJ-Studie vom Sommer 1965 be- schrieben an die »Lieben Freunde vom Jugend- schreibt auch den Themenkomplex »deutsch- studio DT 64«, weil sie in den großen Pausen deutsche Politik«: nicht nebeneinander stehen dürfen. »DT 64 versteht es, eindringliche und einprägsame »Man muß im Schulhof immer nur in einem Kreis he- Fakten aus der westdeutschen Politik auszuwählen rumlaufen. Bleiben wir einmal vertieft im Gespräch und durch die vielfältigsten journalistischen Methoden stehen, kommen die Lehrer und dann geht es wieder den westdeutschen Imperialismus zu entlarven sowie los. Kreisen, kreisen, nochmals kreisen, wie im Zirkus den Haß der Jugendlichen gegen die westdeutschen die Pferde mit einem Dompteur. Wir sind jetzt noch Reaktionäre zu wecken. Man bemüht sich nicht nur immer ganz benommen. Im Kopf schwirren die Worte um jugendgemäße Behandlung der Thematik, son- ›kreisen‹ und die Beine gehen von selbst. Was sollen 39 dern auch um die Auswahl spezifischer, die Jugend wir dagegen tun? Könnt ihr uns vielleicht helfen?« interessierender Stoffe.« Die Schüler beklagen sich außerdem darüber, Dennoch werden auch Kritikpunkte gesehen: dass wenn sie stehen blieben ein Lehrer kom- »Stärker noch müßte allerdings der Widerstand me, der sage »weiter rumgehen«, ihr könnt euch Jugendlicher gegen die Bonner Politik beachtet auch im Gehen unterhalten. Die Oberklässler werden.« Die Kompliziertheit der westdeutschen empfinden diese Maßnahme als lächerlich und Verhältnisse werde noch nicht genügend deut- als ihrem Alter nicht mehr angemessen. lich. Das Jugendstudio »müsse sich vor Schwarz- Angeregt durch den ironischen Grundton des weißmalerei hüten.« Hier kommt ein schier un- Briefes nimmt sich die Redaktion der POS überbrückbarer Widerspruch zum Ausdruck. Ei- Baumschulenweg in einem Beitrag am 4. Okto- nerseits ist die implizite Aufforderung der FDJ ber an. Eingeleitet wird die Glosse mit dem Titel nach einer ideologischeren Berichterstattung »Schön ist so ein Ringelspiel«. Der Sprecher durch DT 64 erkennbar, die sich aber anderer- beginnt mit der Überleitung: seits nicht in den gewöhnlichen Bahnen der Po- »... das glaube ich schon, sofern es sich um ein Spiel lemik bewegen darf. Bei kulturpolitischen Inhal- handelt. Und dann auch nur im Kindergarten oder für ten habe sich das Jugendstudio DT 64 zwei Auf- die kleinen Federhalter. Doch wenn 16jährige Schüler gaben gestellt. »Es will über das kulturelle Leben das gleiche Ringelspiel praktizieren müssen, dann kurz informieren und mit sehr viel Takt im Rau- sieht das so aus, als ob im Feierabendheim ein me der Möglichkeiten geschmacksbildend wir- Plumbsack umgeht. Nun kann es ja durchaus sein, ken, um die Mädchen und Jugend an die Kunst daß wir gar nicht auf dem Laufenden sind und das heranzuführen.« Die Beiträge reichen von Aus- Im-Kreis-gehen die neueste Erziehungsmasche 40 stellungsberichten, Künstlerinterviews, beispiels- ist.« weise mit Big-Beat-Gruppen aus den sozialisti- In der Abmoderation witzelt der Sprecher über schen Ländern und Lyrik bis zu Filmkritiken und die Zustände in dieser POS. Buchbesprechungen. Die abschließende Bewer- 126 Rundfunk und Geschichte 29 (2003)

»Alles läuft schön im Kreis, die Lehrer flankieren den nicht gesendet.« 42 Classen wendet sich ent- Außenring, damit auch keiner es wage, stehen zu schieden gegen den Vorwurf der Schulleitung, bleiben. Dann fängt die Sportstunde mit Armkreisen dass DT 64 einen KZ- oder Zuchthausvergleich an, zum Mittagessen kreist die Schulspeisungskelle zuließ. und in Mathe wird der ganze Kreis auch noch be- rechnet. Die Anordnung zum Kreisen könnte eigent- »Es ist nochmals zu betonen, daß der Satz in diesem lich nur in einem Kreisschulamt ausgetrieselt worden Brief, ›außerdem verwehren wir uns gegen den kom- sein. Die erzieherische Wirkung – gleich Null! Da mentarlos geduldeten Schülervergleich, daß die Ord- sollten die Lehrer der 5. Polytechnischen Oberschule nung an unserer Schule mit der in einem KZ oder in Baumschulenweg schnellstens eine andere Gang- Zuchthaus zu vergleichen wäre‹, offenbar auf Un- art einlegen, sie sollten Schüler verantwortungsbe- kenntnis beruht, denn ein solcher Vergleich wurde wusst erziehen und auf einen geraden Weg ins Le- eben nicht gesendet.« ben vorbereiten. Im Kreise laufen ist genauso Anzunehmen ist, dass während der schulinter- schlimm wie auf der Stelle treten.« nen Untersuchung des »Vorfalls« Schüler diesen Danach schreiben die Schulleitung, der Eltern- Vergleich zugeben und die Lehrerschaft dies ge- beirat, der Parteisekretär, der Sekretär des Pä- genüber dem Berliner Rundfunk zur Sprache dagogischen Rates des Stadtkreises Treptow bringt, ohne den Beitrag bei DT 64 tatsächlich und die Pionierleitung einen erzürnten Brief41 an gehört zu haben. Die Redaktion hatte ursprüng- die Chefredaktion des Berliner Rundfunks. Zu- lich die Absicht, so Classen, mit Schülern und nächst wird eine objektive Berichterstattung an- Lehrern die Probleme weiter zu diskutieren, wo- gemahnt, der sich ein Rundfunksender ver- bei sie bei dieser Gelegenheit auch die Schüler pflichtet fühlen sollte. Die Sendung für ihr rabiates Verhalten untereinander – dem »war in ihrer Vorbereitung und Anlage dazu angetan, anderen »eine knallen« – kritisieren wollten. Die einen Keil zwischen die Pädagogen und unsere Redaktion »dachte sich das als Ausgangspunkt Schüler zu treiben. Das lehnen wir ab und verurteilen für eine Diskussion über die Notwendigkeit sehr wir (sic!) auf das entschiedenste. Wir zeigen uns je- energischer Disziplinvorschriften.« der sachlichen Kritik gegenüber aufgeschlossen und Obwohl dieses Thema zahlreiche Anschluss- wünschen sie uns, weil sie uns in der Arbeit hilft.« möglichkeiten für Beiträge und Gesprächsforen anbietet, lassen die Journalisten den Vorgang im Die Schulleitung kritisiert erstens, dass die Sande verlaufen. Dies hat den tieferen Grund in Schülerbefragung mit ihr nicht abgesprochen einer neuen Argumentation43 zur Jugendpolitik, war, zweitens, dass der Mitarbeiter das Interview die nach der Sendung aus der ZK-Abteilung Agi- beim Direktor nicht angemeldet hatte und drit- tation im Sender eintrifft. tens, dass nur die Meinungen gebracht wurden, »die der Wunschvorstellung ihres Mitarbeiters »Diese ›Argu‹ war der Anlass für die Genossen von entsprachen.« Die Schulleitung hält abschlie- DT 64, die ganze Sache nicht mehr zu verfolgen. ßend dem Jugendstudio vor, dass kein Pädago- Nach dem aber vom ZK die Hinweise zum Autoritäts- ge oder Elternvertreter in dem Beitrag zu Wort problem gegeben waren, hielten sie [Die Redaktion, H.S.] das ganze Beispiel nicht mehr für gut und dis- kommt, deshalb sei die Leitung der POS auch 44 nicht mehr bereit, sich an einer von der Redakti- kussionswürdig.« on vorgeschlagenen Problemdiskussion zu be- Das Jugendstudio muss also bereits frühzeitig teiligen. von der Rohfassung dieser Argumentation »Außerdem verwahren wir uns gegen den kommen- Kenntnis haben und kann sich darauf einstellen. tarlos geduldeten Schülervergleich, daß die Ordnung Classen leitet den Vorgang mit der beruhigenden an unserer Schule mit dem in einem KZ oder Zucht- Empfehlung an den Vorsitzenden des SRK wei- haus zu vergleichen wäre. Für diese geduldete politi- ter, dass »wir uns nach Lage der Dinge im Au- sche Verleumdung kann es wohl kaum eine Ent- genblick nicht gegenüber den Volksbildungsor- schuldigung geben und wir erwarten, daß ihre Mitar- ganen zu äußern brauchen.«45 beiter dafür energisch zur Verantwortung gezogen Will man den Gesamtvorgang bewerten, so werden.« fällt zum einen auf, dass die Jugendredaktion die Die Intendantin des Berliner Rundfunks strengt Sachlage gründlich nachrecherchiert, bevor sie daraufhin eine interne Untersuchung an und den Standpunkt der Schüler einnimmt und durch fasst schließlich den gesamten Vorgang in ei- die Aussage eines Vertreters der Bezirksschul- nem Vermerk zusammen. Sie berichtet, dass die verwaltung zusätzlich absichert. Die Position der Redaktion die »Richtigkeit« dieser Anordnung Redaktion ist somit kaum angreifbar, zumal sie bei der zuständigen Bezirksschulverwaltung bereits im Voraus die problematischen Stellen nachrecherchierte, bevor sie das Band sendete, der Schüleraussagen aus dem Beitrag ge- und dass DT 64 dabei die Kritik der Schüler ent- schnitten hat. Zum anderen ist ersichtlich, dass schärfte. »So wurde der Satz, ›weil wir uns vor- sich die Intendanz des Berliner Rundfunks nach kommen wie Häftlinge‹ herausgeschnitten und der senderinternen Untersuchung und dem An- Stahl: DT 64 – Vom Festivalradio zur Jugendsendung 127

hören der Redaktion diesen Vorgang als weitge- nums zwei Zusammenhänge äußerst erwäh- hend geklärt ansieht und nicht disziplinierend nenswert. eingreift. Nach der Kenntnisnahme durch den Erstens: Das Thema DT 64 wird erst im April Vorsitzenden des SRK kann dieser Vorgang ab- 1966 auf einer Sitzung des SRK behandelt. An- geschlossen werden, ohne die ministerielle Ebe- zunehmen ist, dass das Rundfunkkomitee die ne einzuschalten. Dennoch dürften die Vorwürfe Entwicklungen nach dem 11. Plenum aussitzt, der Schulleitung, auch wenn sie sich als nicht intern das Jugendstudio allerdings wieder enger haltbar erwiesen, innerhalb der Ministerialver- an die Leine nimmt. Bestünde ein starker exter- waltung Gehör gefunden haben. ner Druck, hätte sich das Komitee viel früher mit diesem Problem beschäftigt, es sei denn Ger- hart Eisler kann als Vorsitzender des SRK ge- Honeckers Kritik genüber den politischen Entscheidungsträgern deutlich machen, dass eine verstärkte Anleitung Auf dem 11. Plenum im Dezember 1965 nahm des Jugendstudios bereits umgesetzt ist. Hierfür Erich Honecker DT 64 ins Visier: spricht ein SRK-Beschluss48 vom Oktober 1965, der dem Redaktionsleiter von Jugendstudio »Über eine lange Zeit hat DT 64 in seinem Musikpro- DT 64 Vertretungsrecht im höchsten DDR- gramm einseitig die Beatmusik propagiert. In den Rundfunkgremium gibt. Diese Maßnahme lässt Senden [sic!] des Jugendsenders wurden in nicht vertretbarerweise [sic!] die Fragen der allseitigen Bil- sich als vorweggenommene Disziplinierung dung und des Wissens junger Menschen, die ver- werten, bietet aber auch den Interpretationsspiel- schiedensten Bereiche der Kunst, der Literatur der raum, darin eine Aufwertung von DT 64 gegen- Vergangenheit und Gegenwart außer acht gelassen. über dem Berliner Rundfunk und eine stärkere Es kam, daß es im Zentralrat der Freien Deutschen Bindung an Eisler zu sehen. Kurze Zeit später Jugend eine fehlerhafte Beurteilung der Beat-Musik schlagen die ZK-Kulturpolitiker für die Erzie- gab. Sie wurde als musikalischer Ausdruck des Zeit- hungsarbeit mit der Jugend vor, dass der Deut- alters der technischen Revolution entdeckt und dabei sche Fernseh Funk und die Sender des DDR- wurde übersehen, daß der Gegner diese Art Musik Rundfunks ein gemeinsam abgestimmtes Akti- ausnutzt, um durch die Übersteigerung der Beat- onsprogramm schaffen sollen. Rhythmen Jugendliche zu Exzessen aufzuputschen. Der schädliche Einfluß solcher Musik auf das Denken »Dabei ist die Funktion des DT 64 in der Richtung zu und Handeln von Jugendlichen wurde grob unter- verändern, daß er die Jugend nicht schlechthin über schätzt. Niemand in unserem Staate hat etwas gegen kritische Erscheinungen in unserer Gesellschaft in- eine gepflegte Beat-Musik. Sie kann aber doch nicht formiert, sondern daß er sie stärker zu aktivem Mit- als die alleinige und hauptsächlichste Form der gestalten unseres gesellschaftlichen Lebens in allen Tanzmusik betrachtet werden. Entschieden und sys- Bereichen herausfordert.«49 tematisch müssen ihre dekadenten Züge bekämpft werden.«46 Einige Wortsendungen, so die vorläufige Fas- sung dieses internen Papiers, seien heute be- Honecker geht auch auf die Erziehungsfunktion reits so angelegt, doch durch die pausenlose, des Senders ein. eintönige, betäubende, die geistige Beweglich- »Es gibt auch Mängel in der Erziehung der Jugend, keit hemmende Musik werde diese Wirkung vor allem der studierenden Jugend. Wir halten es für ständig wieder aufgehoben. dringend notwendig, der Jugend das Verständnis für Zweitens: Erst mit der Komiteevorlage vom 2. die Geschichte unseres Volkes und für den histori- April 196650 liegt die erste Sendekonzeption von schen Kampf der Arbeiterklasse zu vermitteln.«47 Jugendstudio DT 64 in Schriftform vor. Darin kann Redaktionsleiter Krause bereits von umge- Das »Kahlschlag-Plenum« führt nicht zur Ein- setzten Sendevorhaben berichten und künftige stellung der Jugendsendung. Die Folge der ZK- Programmschwerpunkte darstellen. Zuvor, so Tagung ist eine programminhaltliche Neuaus- scheint es, gab es keine schriftlich fixierte Pro- richtung des Jugendstudios. Dabei bleibt in den grammkonzeption der Sendung, weder für Wort- Ausführungen Honeckers offen, ob allein DT 64 beiträge noch für die gespielten Musiktitel. 51 oder die FDJ oder beide gemeint sind. Mögli- cherweise soll dieser Vorstoß Honeckers nur die Jugendkommission des Politbüros und dessen Vorsitzenden Kurt Turba treffen. Turba wird An- Musikauswahl fang Januar 1966 von seinen Aufgaben als SED- Jugendpolitiker entbunden. Die Programm-Studie der Abteilung Agitation Hinsichtlich dem Verhältnis des SRK zur Ju- des FDJ-Zentralrats beschreibt die Musik im gendsendung des Berliner Rundfunks sind im Programm von Jugendstudio DT 64 folgender- Vorfeld und in der Nachbereitung des 11. Ple- maßen: »Der Musikanteil der Sendungen des DT 64 beträgt (...) bis zu 70%. Er besteht bis auf 128 Rundfunk und Geschichte 29 (2003)

wenige Ausnahmen aus Tanzmusik.«52 Im un- Der gesamte Wortanteil von 70 Minuten gliedert einheitlich besetzten Begriff »Tanzmusik« wird sich in folgende Schwerpunktbereiche: neben Schlager, DDR-Produktionen, Folk- und Minuten Prozent Protestsongs auch der Beat, insbesondere west- Politik: 27’00 38,6% licher Herkunft, eingeordnet. Die Autoren lassen Kultur: 19’00 27,1% den Begriff wohl auch absichtlich ungenau, da Quiz: 9’00 12,8% sie ansonsten darauf eingehen müssten, aus Hörer: 7’00 10,0% welchen Stücken der Musikanteil besteht, woher Aktuelles 6’00 8,6% DT 64 diese bezieht und ob das Jugendstudio Zwischentext 2’00 2,9% die unumstößliche Verteilung von 60% Osttitel zu 40% Westtitel überhaupt einhält. Die ge- Ferner unterteilt die RIAS-Studie nach Stilele- spielte Tanzmusik wird in eine kausale Bezie- menten für die Beiträge: 60% Manuskript, 18% hung zur medienpolitischen Wirkung des Ju- Interview, 14 % Reportage, 6% Diskussion. »Der gendstudios gesetzt. längste Wortbeitrag im Schnitt: 6’30. Am häu- figsten ist jedoch eine Beitragslänge von 2’40.« »DT 64 hat u.a. die nicht zu unterschätzende Aufga- be, acht Westsender, die am späten Nachmittag in Die RIAS-Studie belegt somit für Herbst der Mehrzahl Tanzmusik ausstrahlen, abzudecken. 1965, dass DT 64 mit der gesetzlich festgelegten (Deutschlandfunk, RIAS I und II, SFB I und II, AFN, Verteilung von 60% Ost- zu 40% Westtiteln sehr BIF, FFB im Raum Berlin, dazu BBC, NDR und Lu- flexibel umgeht und sich wohl eher nicht daran xemburg in einigen Teilen der DDR).« hält. Zählt man die Imitationen westlicher Titel, zumal wenn es sich um gesanglose Instrumen- Einen bemerkenswerten Einwand bringt die talstücke oder um nicht-englischsprachige Inter- FDJ-Studie dennoch. pretationen handelt, und die originalen Westmu- »Wir halten die Orientierung des ›Staatlichen Rund- siken zusammen, so kehrt sich das Verhältnis in funkkomitees‹, nach 18.30 Uhr weitgehend die Auf- ungefähr 70% West zu 30% Ost um. Diesen gaben der ehemaligen Sendung ›Pulsschlag der Zeit‹ sehr pragmatischen Umgang mit der Titelvertei- durch das Jugendstudio lösen zu lassen, für über- lung deutet Heide Riedel an: prüfenswert. Dokumentationen von 30 Minuten Dauer und ähnliche Beiträge innerhalb der Sendezeit von »Das SED-Gebot wurde dadurch unterlaufen, daß DT 64 entsprechen nicht den Erwartungen der jungen das Musikangebot auf das gesamte Programm des Hörer.« Berliner Rundfunks hochgerechnet wurde und des- halb DT64 mehr westliche Rock- und Popmusik Diese Problematik wird bis in die 1970er Jahre spielen konnte.«55 hinein nicht aufgelöst. Genauer bei der Bestimmung der DT64- Die RIAS-Untersuchung fällt schon in eine Pha- Musikanteile ist die (West-)Berliner Konkurrenz. se, in der das Musikprofil von DT 64 bereits Ver- Eine Untersuchung der RIAS-Jugendredaktion53 änderungen unterliegt. Krause bestätigt, dass er liefert eine prozentuale Einschätzung des musi- bereits im Spätsommer 1965 bemerkt, das Ju- kalischen Profils von DT 64 vor dem 11. Plenum. gendstudio gerate aufgrund der Musik zuneh- Zwei Stilvarianten werden ausgemacht: »hot« mend ins Kreuzfeuer der Kritik. »Und dann (heiße Musik jeder Art) und »slow« (gemäßigte mehrten sich die Stimmen: Ihr seid da [im Polit- Musik aller Sparten). Von den 55 Titeln jeder büro, H.S] sehr Mode und [werdet] mit sehr kriti- Sendung sind 60% der »heissen« Musik zuzu- schen Tönen [bedacht], passt mal ein bisschen 56 ordnen. »Der Beat ist mit 15 Titeln am häufigs- auf. Ja, was sollte ich machen.« Nach Ansicht ten vertreten.«54 Von den gespielten Songs sind von Peter Salchow, Jungredakteur bei DT 64, 18 DDR-Eigenproduktionen und 16 Originale aus verschwindet mit dem 11. Plenum die englisch- dem Westen, die oft in der Originalsprache, eng- sprachige Musik von einem Tag auf den anderen lisch oder französisch, liefen. »Beliebte Inter- aus dem Programm. preten sind neben den Beatles Francoise Hardy, »Und da kam einer auf die Idee, dass es auch in Frank Ray Conniff, Mr. Acker Bilk und Siw Frankreich und in Italien Musik gibt und man müsse Malmquist.« Demgegenüber werden Interpreten die nur herholen, da es dort nachgespielte Beatles- aus der BRD kaum im Original gespielt, sondern Titel gibt. Wir müssen uns nur kümmern. Und da be- von östlichen Interpreten kopiert. Das ergibt fol- kommt DT 64 diese schöne Musikfarbe, dass engli- gende Abstufung: Imitationen westlicher Titel sche Musik in französischem Gewand erscheint. (38,2%), östliche Eigenproduktionen und Bänder Eben nicht die Originalmusik des Klassenfeindes. Im aus dem sozialistischen Ausland (32,7%) und Frühjahr 1966 spielten wir 20 % englische Titel, da- nach ging der Anteil langsam wieder hoch.«57 westliche Originale (29,1%). Das Programm von Jugendstudio DT 64 ist Der Zielkonflikt zwischen der Musikauswahl bei gemäß der RIAS-Untersuchung gekennzeichnet einem Jugendprogramm und den ideologischen durch ein Wort-Musik-Verhältnis von 1/3 zu 2/3. Eckpfeilern sozialistischer Kulturpolitik tritt deut- Stahl: DT 64 – Vom Festivalradio zur Jugendsendung 129

lich hervor und veranschaulicht die Ambivalenz im SRK, was einer institutionellen Aufwertung zwischen politischen Prämissen und der Erfül- gleichkommt. lung von Hörerbedürfnissen auf eine sehr drasti- In Bezug auf die Musik bei DT 64 wird er- sche Weise. Diesen Zusammenhang bestätigt kennbar, dass sich zum einen englischsprachige auch eine Untersuchung des VEB Deutsche Titel bereits im Herbst 1965 seltener zum Ein- Schallplatten vom 7. bis 18. März 1966. satz kommen. Die Kritik Honeckers faktisch be- reits umgesetzt scheint. Zum anderen sich dies »Diese Titel wurden durchweg in ihren Originalversi- onen mit den jeweiligen Originalinterpreten ausge- Monate nach dem Plenum bereits wieder eineb- strahlt. (...) Es wurden mit Sicherheit 77 Titel erkannt, net. Die Debatte um sozialistische Tanz- und welche illegal zur Sendung gelangt sind, d.h. nicht Beatmusik bleibt auch nach dem 11. Plenum legal über unsere Verlage in die DDR eingeführt wur- offen. den.«58 Die Verbindung der FDJ-Analyse und der RIAS-Studie zeichnet ein Musikprofil von DT 64, Die Expertise und eine Titelliste ging an die ZK- welches Freiräume besitzt und durchaus die ge- Abteilung Kultur und von dort auch an Erich Ho- setzlichen Quoten pragmatisch anwendet. Musik necker, um zu verdeutlichen, »daß das Musik- ist ein dauerhaftes Konfliktfeld zwischen DT 64, programm von DT 64 im Unterschied zur Zeit der ZK-Abteilung Kultur und dem Unterhal- unmittelbar nach dem 11. Plenum wiederum we- tungsmusiklabel »Amiga«, da der Staatliche sentlich gegen die Prinzipien der Kulturpolitik der Rundfunk eben auch ein Musikproduzent ist und Partei verstößt.«59 Ein weiteres Konfliktfeld ist Stücke sendet, die die Plattenfirma nicht verlegt. hier angesprochen: Amiga gegen Jugendstudio Drei Beziehungszusammenhänge sind für DT 64, der zögerliche Produzent steht der Dreh- künftige Forschungen von Interesse. Es wäre scheibe für »(DDR)moderne« Unterhaltungsmu- lohnenswert sik gegenüber. Das ganze spielt sich vor dem – den Regulierungs- und Einflussanspruch des kulturpolitischen Hintergrund des 11. Plenums FDJ-Zentralrates und seiner Abteilungen gegen- ab. Das Grundproblem hinsichtlich der Tanzmu- über dem Jugendstudio DT 64 und dem Jugend- sik und deren Produktion in der DDR sei, so fernsehen zu untersuchen, die FDJ-Bezirkslei- Krause im April 1966, dass »unserem Bedarf tung Berlin dabei mit in den Blick zu nehmen und von ca. 1 200 Tanzmusiken im Monat nur etwa die Nutzungsweisen- und ansprüche der FDJ- 45 bis 50 Neuzugänge von ›Amiga‹ und rund- Mitglieder damit zu verbinden. funkeigener Produktion gegenüberstehen.«60 – das Konkurrenzverhältnis zwischen west- und Zudem bestehen innerhalb der Arbeitsgruppe ostdeutschen Radioprogrammen für die Ziel- Tanzmusik des SRK Unklarheit darüber, wie gruppe Jugend im grenzenlosen Radioäther mit neue Tanzmusik aussehen solle und in wie weit ihren Abgrenzungen und Wechselwirkungen dar- Beat gesendet werden könne. zustellen. – die unterschiedlichen Bedeutungstiefen des 11. Plenums 1965 für die Politikfelder Jugend, Zusammenfassung Kultur und Wirtschaft herauszuarbeiten und sie in Bezug zu möglichen Ablösungsstrategien Ho- Die Weiterführung von DT 64 innerhalb des Ber- neckers gegenüber Ulbricht zu setzen. liner Rundfunks ab dem 29. Juni 1964 ist ein Kompromiss zwischen der Beschlusslage im Po- litbüro, die kein explizites Vorgehen vorschreibt, Anmerkungen und den Intendanten der staatlichen Rundfunk- sender, die die Konkurrenz eines eigenständigen * Zusammenfassung der Magisterarbeit: Hausher- DDR-Jugendsenders verhindern wollen. Die ren von Morgen. Die Jugend- und Medienpolitik Umsetzung und Abänderung des Politbürobe- der SED und ihre Umsetzung bei »Jugendstudio schlusses innerhalb der Gremien des SRK deu- DT 64« im Zeitraum 1964 bis 1971. Potsdam tet einen gewissen Handlungsspielraum an. 2002. Es ist klar geworden, dass im Zuge des 11. 1 Andreas Ulrich/Jörg Wagner (Hrsg.): DT 64 – Das Plenums eine ideologische Schärfung des Pro- Buch zum Jugendradio 1964-1993. Leipzig 1993. gramms erfolgt. Damit verbunden ist die Not- Das Kürzel DT 64 steht für das Deutschlandtref- wendigkeit einer schriftlichen Sendekonzeption fen der FDJ an Pfingsten 1964. von DT 64, die es zuvor so nicht zu geben 2 Monika Kaiser: Machtwechsel von Ulbricht zu Ho- scheint. Durch die Bindung an Gerhard Eisler ist necker. Funktionsmechanismen der SED-Diktatur eine direkte Disziplinierung möglich und schon in Konfliktsituationen 1962-1972. Berlin 1997, S. vor dem 11. Plenum etabliert, allerdings erhält 145. DT 64 mit dieser Maßnahme Vertretungsrecht 3 Henning Frank: Beatles singen für Pankow. In: Christ und Welt, 20.11.1964. 130 Rundfunk und Geschichte 29 (2003)

4 Ebd. 22 Protokoll 17/64, TOP 2. S. 2. SAPMO-BArch DY 30 J IV 2/2 A/1.031. 5 Richard Kitschigin: Neun-vier-drei: Treffpunkt RIAS 2! In: Manfred Rexin (Hrsg.): Radio- 23 Bestand Horst Schumann, Niederschrift des Be- Reminiszenzen. Erinnerung an RIAS-Berlin. Berlin richtes an das Politbüro des ZK der SED zur Ein- 2001, S. 217-227. schätzung des Deutschlandtreffens der Jugend in der Hauptstadt der DDR, Berlin, Pfingsten 1964, 6 KV 51/64 zur Sitzung des SRK vom 19.4.1964, S. Rede auf der Politbürositzung vom 26.5.1964, S. 1. DRA Potsdam, Schriftgut Hörfunk. 13. SAPMO-BArch DY 24/10.879. 7 Ulrich Mählert/Gert-Rüdiger Stephan: Blaue Hem- 24 Ebd. S. 14. den – Rote Fahnen. Die Geschichte der FDJ. Opladen 1996, S. 154ff. 25 BP 12/64 Außerordentliche Komiteesitzung, 23.3. 1964 über die Generallinie zur Entwicklung der 8 Kaiser: Machtwechsel (wie Anm. 2), S. 159. Sender bis 1970, S. 4. DRA Potsdam, Schriftgut Hörfunk. 9 Vgl. zur Bewertung der SED-Jugendkommuni- qués von 1961 und 1963: Ulrike Schuster: Die 26 Intendanz Radio DDR für Prof. Eisler vom SED-Jugendkommuniqués von 1961 und 1963. 23.5.1964, Hörermeinungen zu DT 64. BArch DR Anmerkungen zur ostdeutschen Jugendpolitik vor 6/93. und nach dem Mauerbau. In: Jahrbuch für zeitge- schichtliche Jugendforschung 1994/1995. Berlin 27 Beschlussprotokoll 23/64, 26.5.1964, S. 4. BArch 1995, S. 58-75; Marc-Dietrich Ohse: Jugend nach DR 6/493. dem Mauerbau. Anpassung, Protest und Eigen- 28 sinn. 1961-1974. Berlin 2003, S. 64-81; Dorothee Zusatzprotokoll zum BP 24/64, 2.6.1964, S. 6. Wierling: Geboren im Jahr Eins. Der Jahrgang BArch DR 6/493. 1949 in der DDR. Versuch einer Kollektivbiogra- 29 phie. Berlin 2002, S. 181-215; Dies.: Die Jugend Ebd., S. 1-5. (bezieht sich auch auf die nachfol- als innerer Feind. Konflikte in der Erziehungsdik- genden Zitate) Redaktionelle Änderungen bezüg- tatur der sechziger Jahre. In: Hartmut Kaelble u.a. lich der Wortwahl wurden im Original mit Bleistift (Hrsg.): Sozialgeschichte der DDR. Stuttgart vorgenommen. Die Einfügungen werden hier im 1994, S. 404-425. Zum Hintergrundkonflikt um die Text mit eckiger Klammer gekennzeichnet. SED-Jugendpolitik: Kaiser: Machtwechsel (wie 30 KV 77/64, 24.8.1964. Betreff: Jugendstudio Anm. 2), S. 133-159. DT 64. DRA Potsdam, Schriftgut Hörfunk. 10 Ebd., S. 160ff. 31 BP 16/65, 20.4.1965, S. 1. DRA Potsdam, Schrift- 11 Gerhart Eisler, 1962 - 1968 Vorsitzender des gut Hörfunk. SRK. 32 Chefredaktion des BR an das SRK, 24.6.1965, 12 Interview Siegmar Krause, 15.4.2002. Bericht der Prüfung einer Programmerweiterung über das Wochenende, S. 1. BArch DR 6/93. 13 A 403-01-05/0001, Hauptabteilung Politik, 24.4. 33 1964. Sonderprogramm für Jugendliche auf UKW Jugendstudio DT 64, Siegmar Krause, an Chefre- 89,6 MHz am 15., 16., 17. und 18. Mai (Pfings- daktion BR, 17.6.1965, Welche Voraussetzungen ten). DRA Potsdam, Schriftgut Hörfunk. müssen geschaffen werden, um auch am Wo- chenende Sendungen von Jugendstudio DT 64 14 Mählert/Stephan: Blaue Hemden (wie Anm. 7), ausstrahlen zu können? S. 1. BArch DR 6/93. S. 156. 34 Abt. Agitation/Propaganda, Peter Seifert, an die 15 Andreas Ulrich/Karl-Heinz Neumann: Der Anfang Ideologische Kommission beim Büro des Zentral- – ein Gespräch mit dem ersten Moderator von rates der FDJ, 14.12.1964. SAPMO-BArch DY DT 64. In: Ulrich/Wagner: DT 64 (wie Anm. 1), 24/531 II. S. 25ff. 35 Dietmar Ringel: Aufbruch zum Kommunikations- 16 Kaiser: Machtwechsel (wie Anm. 2), S. 168. radio. In: Ulrich/Wagner: DT 64 (wie Anm. 1), S. 119. 17 Vorschläge auf Grund der Hinweise des Genos- 36 sen Ulbricht in Auswertung des Deutschlandtref- Siegmar Krause: DT 64. Freund und Berater der fens, S. 3. SAPMO-BArch DY 30 IV A 2/16/131, jungen Generation. In: Neue Deutsche Presse Abteilung Jugend ZK, 21.5.1964. 1965, H. 1, S. 37. 37 18 Anlage 1 Bl. 19.SAPMO-BArch DY 30 J IV 2/2 SAPMO-BArch DY 30 IV A 2/16/79, Bl. 81ff. A/1.031. 38 Die Aufgaben des Jugendstudios DT 64, Protokoll 19 Anlage 1, S. 11f. Die Endredaktion obliegt Erich der Sitzung des Sekretariats des Zentralrates der Honecker. SAPMO-BArch DY 30 J IV 2/2/932. FDJ Nr. 110, 31.8.1965, Anlage 4. (bezieht sich auch auf die folgenden Zitate) SAPMO-BArch DY 20 Anlage 1 Bl. 20. SAPMO-BArch DY 30 J IV 2/2 24/1.556/ II. A/1.031.

21 Ebd. Stahl: DT 64 – Vom Festivalradio zur Jugendsendung 131

39 Brief der Klasse 10 b der 5. Oberschule Berlin- von Beat (47%), Schlager (34,4%), Jazz (15,6%), Baumschulenweg an DT 64 (Abschrift), Lateinamerikanische Tanzmusik (3%). Die Anteile 24.9.1965, Anlage 1. BArch DR 6/561. der einzelnen Stile bei der gemäßigten (»slow«) Musik sind Schlager (56,8%) an erster Stelle, 40 Abschrift der Anmoderation zum Beitrag vom Volkslied (12,4%), Modern Jazz (10,5%), Traditio- 4.10.1965. Anlage 2, S. 1 nal Jazz (6,7%), Chanson (6,6%), klassische Mu- sik (6,5%), Märsche (0,44%). Volkslieder sind hier 41 Brief der Schulleitung etc. an die Chefredaktion amerikanische Hillbilly-Songs (Woody Guthrie) des Berliner Rundfunks vom 15.11.65, Betrifft: und russische oder vietnamesische Volksweisen. Sendung des DT 64 über den sogenannten (bezieht sich auch auf die nachfolgenden Zitate) ›Kreisverkehr‹ an unserer Schule. Anlage 4. (be- zieht sich auch auf die nachfolgenden Zitate) 55 Heide Riedel: Lieber Rundfunk... 75 Jahre Hörer- BArch DR 6/561. geschichte(n). Berlin 1999, S. 286ff.

42 Berliner Rundfunk Intendanz, Herta Classen, 56 Interview Siegmar Krause, 15.4.2002. 30.11.1965, Über eine Kritik von Schülern der 5. 57 Oberschule in Berlin-Baumschulenweg. (bezieht Interview Peter Salchow, 9.4.2002. sich auch auf die nachfolgenden Zitate) BArch DR 58 6/561. VEB Deutsche Schallplatten, künstlerischer Be- reich und Produktionsleitung »Amiga«, an Abtei- 43 Es handelt sich bei der Argumentation wohl um lung Kultur, 7.4.1966. S. 1. Genannt werden Cliff das Argument der Woche vom 3.12.1965 »Zu ei- Richard (»Es war keine so wunderbar wie du«), nigen Problemen der Jugendarbeit« Entwurf. Rudi Rita Pavone (»Wenn ich ein Junge wär«), Manu- Singer übergibt am 6.12. den Entwurf an Albert ela (»Hallo Mary Lou«), Udo Jürgens (»So wie ei- Norden. Singer hatte ihn bereits mit der Jugend- ne Rose«), Trini Lopez (»Lemon Tree«), Sascha kommission abgestimmt. SAPMO-BArch DY 30 IV Distel (»une famille drôle«) und die Beatles (»Y- A 2/9.02/45. esterday« und »I wanna be your lover«). SAPMO- BArch DY 30 IV A 2/9.06/159. 44 Classen (wie Anm. 42), S. 2. 59 Abteilung Kultur an Genosse Erich Honecker, 45 Berliner Rundfunk Intendanz, Herta Classen, an 4.5.1966, Musikprogramm von DT 64, S. 1. Gen. Prof. Eisler, 2.12.1965. S. 1. BArch DR SAPMO-BArch DY 30 IV A 2/9.06/159. 6/561. 60 KV 37/66, 2.4.66, S. 3. DRA Potsdam, Schriftgut 46 SAPMO-BArch DY 30 J IV 2/1/336 Bl. 90ff. Hörfunk.

47 Ebd. Bl. 90.

48 Beschlussprotokoll (BP) 40/65 der Sitzung des Staatlichen Rundfunkkomitees vom 26.10.1965, TOP 2, Aussprache mit Vertretern von DT 64, S. 2. BArch DR 6/813.

49 Bestand Vorbereitung eines Beschlusses über die ideologische Arbeit unter der Jugend vom 19.11.65, Kurt Hager Referat, Maßnahmen der Partei und FDJ, Abteilung Kultur, 11.11.1965 Vor- schläge für einen Beschluß der Ideologischen Kommission des ZK zur Verbesserung der Arbeit unter der Jugend – Teilabschnitt kulturelle Arbeit unter der Jugend (vorläufige Fassung), S. 5. SAPMO-BArch DY 30 IV A 2/16/19.

50 KV 37/66, 2.4.1966, Jugendstudio DT 64, Unsere Arbeit nach dem 11. Plenum, S. 1-8. DRA Pots- dam, Schriftgut Hörfunk.

51 Vgl. Interview Marianne Oppel, 15.4.2002.

52 Die Aufgaben des Jugendstudios DT 64, Protokoll der Sitzung des Sekretariats des Zentralrates der FDJ Nr. 110, 31.8.1965, Anlage 4. (bezieht sich auch auf die nachfolgenden Zitate) SAPMO- BArch DY 24/1.556/ II.

53 Eckart Bethke: DT 64. Eine Untersuchung des RIAS-Jugendfunks. 1965. DRA Potsdam, Schrift- gut Hörfunk, F 504-01-04/0001, RIAS BERLIN Kultur. Wort, Jugend und Erziehung (389/489).

54 Ebd. S. 2. In prozentualen Anteilen ergibt das für die Kategorie schneller Tanzmusik eine Rangfolge Gerald Glaubitz

PAL oder SECAM? Die ideologisch-politische Auseinandersetzung um das Farbfernsehsystem der DDR*

PAL wie SECAM sind in technischer Hinsicht kampf der Blöcke NATO und Warschauer Pakt. Modifikationen der 1953 vom amerikanischen Als wichtiger Schritt einer von Frankreich betrie- Fernsehnormenausschuss National Television benen Politisierung kann vor allem der medien- System Committee (NTSC) festgelegten US- wirksam inszenierte Besuch des französischen amerikanischen Farbfernsehnorm. Beiden geht Informationsministers Alain Peyrefitte beim »Sys- es um die Vermeidung der für das amerikani- temgegner«, beim sowjetischen Ministerpräsi- sche Verfahren typischen »Phasenfehler«, die denten Kossygin, zur Propagierung des SECAM- als Farbverzerrungen am Bildschirm erscheinen. Systems vom Januar 1965 gewertet werden.4 Beim vom Telefunken-Ingenieur Walther Bruch Die vom französischen Staat betriebene Politik, (1908-1990)1 entwickelten PAL (»Phase Alter- welche die Sonder- und europäische Führungs- nation Line«) wird dies durch eine zeilenweise rolle Frankreichs stets betonte,5 gipfelte nach Phasenveränderung erreicht. Marktfähig war es erfolgreichen Vorführungen des SECAM-Sys- 1965; in der Bundesrepublik Deutschland, in der tems durch französische Ingenieure in Moskau das Farbfernsehen 1967 eingeführt wurde, er- im französisch-sowjetischen Vertrag, der am 22. klärte man es anlässlich der Funkausstellung in März 1965 in Paris unterzeichnet wurde und der Berlin zur deutschen Fernsehnorm. PAL ist die Übernahme von SECAM durch die Sowjet- heutzutage in fast allen Ländern Westeuropas union zum Gegenstand hatte. sowie in zahlreichen außereuropäischen Län- Insbesondere in der Bundesrepublik Deutsch- dern der Standard für das Farbfernsehen. land, am geographischen Schnittpunkt der poli- Das vom Franzosen Henri de France (1911 - tisch-militärischen Blöcke, wurde das französi- 1986)2 entwickelte SECAM-Verfahren (»Sé- sche Vorgehen mit Besorgnis zur Kenntnis ge- quentiel Couleur à Mémoire«) wurde 1966 offi- nommen. Das galt vor allem für die publizisti- zielle Fernsehnorm in seinem Ursprungsland. In sche Öffentlichkeit, aber auch für Teile der politi- modifizierter Form führte man es – infolge des schen Klasse. So befürchtete man, dass die so französisch-sowjetischen Farbfernsehvertrags genannte »Sowjetische Besatzungszone«, als von 1965, der die Übernahme des Systems für die man den zweiten deutschen Staat gemeinhin die UdSSR vorsah – als »SECAM-Ost« in den bezeichnete, in der Farbfernsehfrage ganz selbst- osteuropäischen Staaten ein, und es wurde in verständlich dem Beispiel des »großen Bruders« der DDR bzw. Ostdeutschland bis 1991 ange- UdSSR folgen und SECAM einführen würde. wandt. Heutzutage ist dieser französische Fern- Dies bedeutete – bei vorauszusehender Präfe- sehstandard neben Russland u.a. in Monaco renz der Bundesrepublik für die Telefunken-Ent- und Griechenland sowie in zahlreichen Ländern wicklung PAL – eine Vertiefung der deutschen Afrikas und des Mittleren Ostens verbreitet. Spaltung im kulturellen Bereich durch eine vor- aussehbare Separatentwicklung beider deut- scher Staaten in einer zentralen Frage der öf- Kampf um eine einheitliche fentlichkeitswirksamen Massenkultur.6 europäische Fernsehnorm Ohne auf das komplexe Beziehungsgeflecht zwischen der Bundesrepublik und Frankreich Gemäß der vom französischen Staatspräsiden- näher einzugehen, ist festzuhalten, dass die ten geprägten Formulierung »Qui tient la télévi- bundesdeutschen Politiker in der Auseinander- sion tient un pays!«3 verließ die zunächst auf setzung um die strittige Frage des Farbfernseh- technische Zirkel beschränkte Auseinanderset- systems die 1963 durch den historischen deutsch- 7 zung um eine einheitliche europäische Farbfern- französischen Freundschaftsvertrag begonnene sehnorm den engen Kreis von Spezialisten und Aussöhnung mit dem westlichen Nachbarn nicht erfuhr eine allgemeine Politisierung. Durch die gefährden wollten. Festzuhalten ist aber auch, von Nationalstolz und kulturpolitischem Missi- dass sich seit dem Regierungsantritt des »Atlan- onsdrang und nicht zuletzt französischen Wirt- tikers«, des Bundeskanzlers Ludwig Erhard, im schaftsinteressen getragene persönliche Initiati- Herbst 1963 die bilateralen deutsch-französi- ve des Generals zur europaweiten Ausbreitung schen Beziehungen bereits verschlechtert hat- 8 des eigenen Farbfernsehsystems verband sich ten. eine eigentlich rein technische Frage ab 1965 So blieb auch ein Treffen des Staatsministers mit den allgemeinen politisch-ideologischen Wett- und Leiters des Bundespresseamtes, Karl Gün- ther von Hase, mit dem französischen Informati- Glaubitz: PAL oder SECAM? 133

onsminister Peyrefitte auf einem Rhein-Dampfer marktwirtschafliche Elemente einführen wollte. am 26. April 1965 ergebnislos.9 Auch gelang es Dieses scheiterte jedoch am Widerstand des bü- nicht, die technischen und politischen System- rokratischen Apparats, wurde bis 1965/66 suk- differenzen bei der Suche nach einer einheitli- zessive zurückgedrängt und bis 1971 schließlich chen europäischen Fernsehnorm auf fernsehtech- ganz abgebrochen. nischen Tagungen in Wien (24.3. - 7.4.1965) und Als weiteres Element ist neben der politisch- Oslo (22.6. - 22.7. 1966) auszuräumen. Es er- ökonomischen Krisenbewältigung, die durchaus gab sich eine Zweiteilung des Kontinents: eine bis zum berühmt-berüchtigten 11. ZK-Plenum Ost-West-Achse des SECAM-Systems in seiner der SED auch für den künstlerischen und fern- optimierten Version IIIb, und eine Nord-Süd- sehdramatischen Bereich mehr Freiheiten vor- Achse von PAL. sah,13 die Außenpolitik zu sehen, bei der man im Sinne politisch-diplomatischer Anerkennung bis in die 70er Jahre bescheidene Erfolge erzielte DDR für SECAM (Anerkennung durch Irak und Ägypten 1969 so- wie Zentralafrikanische Republik, Somalia, Alge- Die DDR folgte schließlich nach langen, etwa rien, Ceylon, und Guinea 1970). Gerade dieser vierjährigen Verhandlungen mit den Patenteig- Gesichtspunkt muss betont werden, da bei der nern CSF und CFT10 dem Vorbild des großen diplomatisch-souveränitätspolitischen Aufwer- Bruders UdSSR, als sie mit der Unterzeichnung tung der DDR auch die Farbfernsehfrage als des Rahmenabkommens mit dem französischen zentrales Anliegen galt,14 und dies gerade vor Unternehmen im März 1969 Kurs auf SECAM dem Hintergrund der bundesdeutschen Hall- nahm. Diese Norm führte sie nach der Unter- stein-Doktrin.15 Dabei ist aber auch auf den bun- zeichnung des privatrechtlichen Lizenzabkom- desrepublikanisch-ostdeutschen Entspannungs- mens vom 12. Mai im Zuge des Starts des 2. prozess zu verweisen, der von DDR-Seite mit Fernsehprogramms des Deutschen Fernseh- dem Abschluss völkerrechtlich verbindlicher Ver- funks (DFF) am 3. Oktober 1969 ein – mit gro- träge (u.a. Unterzeichnung des Transitabkom- ßem ideologischen Pomp anlässlich des 20. mens vom 17./20.12.1971, des Grundlagenver- Jahrestages der Republik. trags vom 21.12.1971 sowie des Verkehrsver- An dieser Stelle ist zum besseren Verständ- trags vom 26.5.1972) auf den Aufbau gleichbe- nis der politisch-ideologischen Dimension der rechtigter staatlicher Beziehungen und internati- Farbfernsehfrage in der DDR ein kurzer Abriss onale Anerkennung der DDR zielte, was mit der wesentlicher Elemente des allgemeinen innen- Aufnahme der DDR in die UN (zusammen mit politischen und außenpolitischen Kontexts des der Bundesrepublik) als Vollmitglied am 18. ostdeutschen Staates Mitte bis Ende der 60er September 1973 auch erreicht werden konnte. Jahre sinnvoll. Allerdings ist der durch Abkommen gekrönte Dabei muss man unterstreichen, dass die Prozess von DDR-Seite auch ab Anfang der Jahre, in der die PAL-SECAM-Kontroverse statt- 70er Jahre immer auch als ein »Abwehrkampf« fand und vor deren strukturellem Hintergrund die westdeutschen »imperialistischen Einflusses« Farbfernsehentscheidung der DDR fiel, eine Ära geführt worden – ein weiteres Motiv der Politisie- der machtpolitischen und wirtschaftlichen Kon- rung der Farbfernsehfrage schon ab Mitte der solidierung des SED-Staates waren: Zum einen 60er Jahre. In diesem Kontext steht die hier konnte die DDR-Führung nach dem massenwei- nicht näher zu erörternde Veränderung des sen »Abfluss« von Unzufriedenheitspotenzial DDR-offiziellen Nationenkonzepts,16 die sich von durch Flucht und durch die gewaltsame Ab- der Konzidierung der Einheit der (Kultur-)Nation, schottung von politischer Einflussnahme infolge bei staatlicher Teilung (Verfassung von 1968: des Mauerbaus 1961 ungestört ihr politisches »sozialistischer Staat deutscher Nation«), zur Programm umsetzen. Diese mit gewalttätigen Behauptung der Existenz zweier grundsätzlich Mitteln vollzogene »Lösung« der Krise ließ sie getrennter Nationen in Ost- und Westdeutsch- durch ansatzweise durchgeführte Wirtschafts- land ab Anfang bis Mitte der 70er Jahre vollzog. reformen »gesamtwirtschaftlich ein bemerkens- wert stetiges, relativ hohes Wirtschaftswachstum – mit leicht fallender Tendenz«11 ab Ende der Instrumentalisierung der 60er Jahre erreichen. Zum anderen ist damit als Farbfernsehfrage durch den SED-Staat große reformpolitische Chance das »Neue Öko- (1965 - 1969) nomische System der Planung und Leitung«12 von 1963 verbunden, das, ähnlich dem späteren Die Farbfernsehfrage, d.h. der Streit um PAL o- sowjetischen Reformprogramm unter Gorbat- der SECAM, war für die zuständigen Stellen der schow, in den Betrieben mehr Entscheidungs- DDR-Führung von Anfang an ein Politikum, das spielraum, insgesamt mehr Wettbewerb und im Kontext der geschilderten machtpolitischen 134 Rundfunk und Geschichte 29 (2003)

Stabilisierung und vor allem auch des allgemei- durch, dass die Eingaben der Deutschen Post nen Verhältnisses zu Frankreich betrachtet wur- zur Behebung der »Reiseschwierigkeiten« in de. Dieses war – durchaus im Sinne der bundes- Frankreich Anlass waren für Interventionen des republikanischen Politik – durch politisch-staat- für die Verbreitung von SECAM zuständigen liche Nichtanerkennung von Seiten Frankreichs (und von de Gaulle ernannten) interministeriellen geprägt. Ohne jetzt en Detail auf Länderanaly- Delegierten für das Farbfernsehen beim franzö- sen der französischen Republik einzugehen, er- sischen Außenministerium.24 Die von DDR- stellt etwa von der DDR-Handelsvertretung in Unterhändlern als »demütigend« beschriebenen Paris,17 oder etwa auf Überlegungen im Politbü- »Reiseschikanen« fanden auch Ausdruck in ro,18 ging es für die DDR vor allem darum, politi- zahlreichen schriftlichen Interventionen der Post sches Kapital aus der selbst definierten Sonder- bei der französischen Unternehmensführung, die rolle der »grande nation« zu schlagen. Die in Form von Appellen z.B. des Präsidenten der scheinbaren »innerimperialistischen Widersprü- CFT, Cahen-Salvador, an den französischen che«, die deutlich wurden in der (vermeintlichen) Außenminister, Michel Debre, unter Betonung antiamerikanischen Tendenz de Gaulles und die der politisch-strategischen Bedeutung einer sich nebenbei auch in seiner prononcierten möglichen Übernahme des SECAM-Systems SECAM-Inititiative – ohne Rücksichtnahmen auf weitergereicht wurden.25 Obwohl schließlich den PAL-präferierenden westdeutschen Verbün- auch ostdeutsche Delegationen nach Paris ka- deten – zeigte, sollten von der DDR ausgenützt men, fanden die meisten Treffen in (Ost-)Berlin werden. Dabei stand für die Spitze der Deut- und Leipzig und während beider Messen statt. schen Post der DDR, die in technisch-planeri- Allerdings wurde dem von DDR-Seite führenden scher Hinsicht in der Farbfernsehfrage federfüh- Unterhändler in der Farbfernsehfrage, dem stell- rend war, bei den Verhandlungen mit den privat- vertretenden Postminister, die Einreise nach Pa- wirtschaftlichen französischen SECAM-Patent- ris während der etwa vierjährigen Verhandlun- eignern der Aspekt politisch-diplomatischer Auf- gen in keinem einzigen Fall ermöglicht.26 wertung des ostdeutschen Staates im Zentrum. Ganz klar wird in den Verhandlungen um das Ständig war man bemüht, offizielle französische französische SECAM-System, dass die DDR- Regierungsvertreter, bevorzugt im Ministerrang, Hoffnungen, »innerimperialistische Widersprü- mit einzubeziehen,19 wie der stellvertretende che« zur Verbesserung des eigenen souverä- DDR-Postminister Gerhard Probst am 26. April nitätspolitschen Status ausnützen zu können, 1968 formulierte. Es sei erforderlich, »dass Ver- übertrieben waren. Trotz der französischen Son- treter der zuständigen französischen Behörden derrolle wollte die gaullistische Führung Rück- in diese Kommission aufgenommen werden.«20 sicht nehmen auf die Alliierten, insbesondere Als äußerstes Entgegenkommen wurde von den unmittelbaren östlichen Nachbarn Bundes- französischer Regierungsseite jedoch nur die republik, zumal in der zentralen Frage der Nicht- Beteiligung eines Vertreters des staatlichen anerkennung der DDR. Diese offizielle staatliche Fernsehens »Office de Radiodiffusion-Télévision Linie wurde z. B. in einer Notiz für den französi- Française« (O.R.T.F.) betrachtet,21 die man schen Premierminister vom 11. September 1967 dann auch in den französischen Verhandlungs- dargelegt: delegationen realisierte. »Tout en faisant valoir aux Ministres de la R.D.A. que Ein weiteres wesentliches Hindernis, das die la France, malgré son éloignement du NATO, ne Verhandlungen zwischen der DDR und den fran- pouvait être infidèle à ses engagements vis-à-vis de zösischen Firmen CSF/CFT ungeheuer erschwer- ses alliés, il est apparu que des solutions de te, waren die von staatlicher französischer Seite compromis pouvaient être trouvées qui sans consti- den DDR-Unterhändlern gemachten Reise- tuer une reconnaissance officielle de la R.D.A. par la schwierigkeiten – ein Problem, das aus der France, permettraient au moins de faciliter discrète- Nichtanerkennung der DDR durch Frankreich ment les affaires et les déplacements de personnes resultierte. Dies bedeutete für reisewillige DDR- entre les deux pays.«27 Unterhändler, die in Sachen SECAM Frankreich Obwohl die DDR-Unterhändler angesichts der besuchen wollten, dass sie sich persönlich nach geschilderten politischen Schwierigkeiten ihren (West-)Berlin begeben mussten »d’abord pour Verhandlungspartnern die Offenheit der Fern- demander en personne un sauf-conduit aux au- sehsystemfrage signalisierten, mithin die mögli- torités alliées, puis pour venir le reprendre, en- che Übernahme des westdeutschen PAL-Sys- suite pour demander le visa français, enfin pour tems durch die DDR, war dies nur Taktik zur 22 venir le reprendre.« Führende Vertreter der Verbesserung der ökonomisch-politischen Kon- Post wollten dagegen selbstredend »unter Aus- ditionen. Die Entscheidung zugunsten des fran- schaltung des Alliierten Reisebüros mit einer so- zösischen und sowjetischen SECAM-Systems 23 zialistischen Fluglinie« nach Frankreich einrei- war gemäß eines über Jahre hinweg geheim ge- sen. Kleine Erfolge erzielte die DDR u.a. da- haltenen Beschluss des Präsidiums des Minis- Glaubitz: PAL oder SECAM? 135

terrates vom 22. Dezember 1966,28 der vom Po- nungsabteilungen der DDR mitunter mit Besorg- litbüro am 31. Januar 196729 bestätigt wurde, nis thematisiert wurde. relativ frühzeitig gefallen. Als Kontrollinstanz zur Durchsetzung dieser Für die politische Instrumentalisierung eines ambitionierten ideologischen Pläne fungierte für eigentlich technischen Problems, wie es das die inhaltliche und programmplanerische Ebene Farbfernsehen darstellt, spricht im Übrigen, dass das von Heinz Adameck33 geleitete Staatliche es beim Rundfunk- und Fernsehtechnischen Komitee für Fernsehen beim Ministerrat der Zentralamt der DDR-Post in Berlin-Adlershof, DDR, das nach der Auflösung des Rundfunkko- insbesondere seinem Farbfernsehversuchsla- mitees mit dem Intendanzbereich Fernsehen im bor, starke, empirisch begründete Präferenzen September 1968 zu einer Institution noch straffe- vom März 1965 zugunsten des im doppelten rer zentralistischer Kontrolle des Fernsehens Sinne westdeutschen Systemgegners, des PAL- geworden war. Im DFF-Studienmaterial »Zur in- Fernsehsystems, gegeben hat.30 Diese stellte haltlichen Konzeption für das Farbfernsehen«34 man zugunsten einer politischen (SECAM-)Sys- für den innerbetrieblichen Gebrauch durch lei- tementscheidung jedoch zurück! tende Mitarbeiter betonte Adameck im Juli 1968 z.B. unter anderem auch den agitatorischen Kern des geplanten Farbfernsehens. Wie das Scheitern der angestrebten Führungspersonal der Post entwarf Adamecks außenpolitischen Aufwertung direkter Vorgesetzter, Alexander Abusch,35 als Stellvertreter des Vorsitzenden des Ministerrats Neben der mittels Farbfernsehfrage angestreb- Hauptvertreter der »kulturellen Front« Ost- ten, aber eigentlich gescheiterten souveränitäts- deutschlands, am 11. Juli 1968 in einer Beratung politischen Aufwertung der DDR zeigte sich die über die Einführung des Farbfernsehens das Politisierung dieses technischen Bereichs vor Szenario eines »ideologischen Abwehrkamp- 36 allem auf dem klassischen Feld massenmedialer fes«. Beeinflussung, bei der inhaltlich-ideologischen Dabei hatte man sich – angesichts der schon Zielorientierung des Farbfernsehens durch die vollzogenen farbigen Einstrahlung aus West- DDR-Führung. Zum einen ging es in einer Studie deutschland – bereits zum offiziellen Start einer der Deutschen Post vom 4. November 1966 – »bunten« Versendung im Rahmen des 2. Pro- unter Bezug auf den westdeutschen »Klassen- gramms des Deutschen Fernsehfunks entschie- feind« als politisches Referenzsystem, das auf den. Dieses begann dann als SECAM-Fernseh- der Berliner Funkausstellung 1967 das farbige norm (nach der Übertragung der Eröffnungsfei- Fernsehprogramm starten würde – um den Ab- erlichkeiten am 3. Oktober) einen Tag später, wehrkampf (angeblicher) westdeutscher ideolo- um 20.00 Uhr bezeichnenderweise mit einer gischer Diversion durch die DDR-interne Hommage an den »großen Bruder« UdSSR: »›Schlager einer großen Stadt‹, aus Moskau, »- tägliche (...) Beeinflussung der öffentlichen Mei- übernommen vom sowjetischen Fernsehen, in nung im Sinne der Politik von Staat und Partei, Farbe, mit Larissa Lushina und Heinz-Florian - die Vertiefung des sozialistischen Patriotismus Oertel«.37 und des sozialistischen Internationalismus, - die sozialistische Einstellung zur Arbeit und zum gesellschaftlichen Eigentum, - die Verbreitung der wissenschaftlichen Weltan- Anmerkungen schauung und der Austausch der Erfahrungen bei der schöpferischen Anwendung des Marxismus-Leninis- * Der Text ist im Zusammenhang mit der von der mus in der täglichen Arbeit in Staat und Gesell- DFG geförderten Untersuchung: Die PAL-SECAM- schaft.«31 Kontroverse in der DDR: Die politisch-dieologi- sche Instrumentalisierung der Farbfernsehfrage Zum anderen zielten die ideologischen Planun- durch den ostdeutschen Staat zwischen 1965 und gen auf »die tägliche Einwirkung auf Millionen 1969, entstanden. Sie ist im GNT-Verlag, Ber- Bürger West-Berlins und Westdeutschlands«, lin/Diepholz 2003, erschienen. die durch die Politik der DDR davon überzeugt 1 Vgl. die noch ungedruckte Aachener Dissertation werden sollten, dass »im verbliebenen Herr- von Andreas Fickers: »Politique de la grandeur« schaftsbereich des Imperialismus entscheidende versus »Made in germany«. Die Analyse der PAL- demokratische Veränderungen zu erkämpfen SECAM-Kontroverse als Beispiel einer politischen sind.«32 Der ideologische Kampf konnte freilich Kulturgeschichte der Technik. Manuskript, S. unter Bedingungen unterschiedlicher Farbfern- 139ff. sehsysteme in Ost- und Westdeutschland und 2 Vgl. ebd., S. 171-178. bei gegenseitiger eingeschränkter Empfangbar- 3 keit der Programme nur in verminderter Schwarz- Zit. nach: Alain Peyrefitte: C´était de Gaulle. Vol. 2. Paris 1997, S. 386. weiß-Qualität geführt werden, was in den Pla- 136 Rundfunk und Geschichte 29 (2003)

4 Vgl. zur Widerspiegelung des Besuchs im Bun- Staat und Gesellschaft 1949-1990. München despresseamt: Vermerk, um den 13.1.1965. BA 1998, S. 190. Koblenz B 145 / 1356. 15 Bei der Hallsteindoktrin handelte es sich um ein 5 Diese ist vor allem auch im Kontext des 1966 von fundamentales außenpolitisches Prinzip der deut- Frankreich vollzogenen Ausstiegs aus der militäri- schen Bundesregierung das, in Verweis auf völ- schen Integration der NATO und der Entwicklung kerrechtliche Gesichtspunkte, den Alleinvertre- einer eigenständigen Atomstreitmacht (Force de tungsanspruch für das gesamte deutsche Volk Frappe) zu sehen. Unter Wahrung seiner politi- »begründete«. Gemäß dieser Doktrin wurde seit schen Mitgliedschaft zog Frankreich im März 1966 1955 die Aufnahme diplomatischer Beziehungen endgültig seine Truppen aus der NATO zurück. eines Landes zur DDR (mit Ausnahme der Vgl. Stefan Martens: Die fünfte Republik in der UdSSR) zum »unfreundlichen Akt« gegenüber der Ära de Gaulle. 1958-1969. In: Ernst Hinrichs Bundesrepublik Deutschland erklärt, mit der Fol- (Hrsg.): Kleine Geschichte Frankreichs. Stuttgart ge, dass die Bundesregierung ihrerseits die dip- 1994, S. 433-438, hier S. 435. lomatischen Beziehungen zu dem betreffenden Land abbrach bzw. zu Ländern, die diplomatische 6 ›Der Spiegel‹ fasste das politische »Dilemma« der Beziehungen zur DDR unterhielten, keine diplo- Bundesrepublik zusammen: »Die Bundesrepublik, matischen Beziehungen aufnahm oder – seit Mitte farbig eingekreist, hat nur die Wahl, entweder bei der 60er Jahre – mit der Einstellung von Wirt- ihrem PAL zu bleiben und damit Deutschland schaftshilfe antwortete. Der von Walter Hallstein, auch noch mit der Buntröhre zu spalten und die Staatssekretär im Auswärtigen Amt, konzipierte Ausstrahlungsmöglichkeit in die DDR zu verlieren, Grundsatz sollte dazu dienen, die internationale I- oder sie muss den französischen Akkord mitspie- solierung der DDR aufrechtzuerhalten, nachdem len.« In: Der Spiegel Jg. 19 (1965), Nr. 14, S. 115. die Bundesregierung diplomatische Beziehungen zur Sowjetunion aufgenommen hatte, um dem 7 Vgl. Martens: Die fünfte Republik (wie Anm. 5), besonderen Verhältnis zur vierten Besatzungs- S. 434. macht gerecht zu werden und die letzten Kriegs- 8 gefangenen auszulösen. 1957 und 1963 brach Das leicht angespannte deutsch-französische Ver- man in Berufung auf die Hallsteindoktrin die Be- hältnis hatte auch Auswirkungen in Gestalt der ziehungen zu Jugoslawien und Kuba ab. Seit gebremsten französischen Europapolitik: Verwei- Mitte der 60er Jahre erwies sie sich zunehmend gerung des britischen EWG-Beitritts 1963, Ableh- als Hindernis auf dem Weg zu besseren Bezie- nung des Budgetrechts für das Europäische Par- hungen, insbesondere zu den Staaten des Ost- lament, Angriffe auf Walter Hallstein, den Präsi- blocks. Nach Bildung der großen Koalition 1966 denten der EWG-Kommission. Ebd., S. 436. wurde die Hallsteindoktrin flexibler gehandhabt 9 Vgl. Andreas Fickers: Standardization as an Ob- und nach Abschluss des Moskauer Vertrags 1970 ject of Systematical Technical Historiography – und des Grundlagenvertrags zwischen beiden The Case of Color Television. In: Wilfried Hesser deutschen Staaten 1972 endgültig aufgegeben. (Hrsg.): Proceedings of the Second Interdiscipli- Vgl. Rüdiger Marco Booz: Hallsteinzeit. Deutsche nary Workshop on Standardization Research. Außenpolitik 1955-1972. Bonn 1995. Hamburg 1999, S. 118-141, hier S. 132. 16 Jürgen Reuter: Die Abgrenzungspolitik der DDR 10 Die Farbfernseh-Patente Henri de Frances über- von der Bundesrepublik Deutschland in den Sieb- nahm das französische Unternehmen Compagnie zigerjahren und frühen Achtzigerjahren. Bonn Française de Télévision (CFT). Bei CFT handelt 1991, S. 72f., 126ff. es sich um eine jeweils 50prozentige Tochterfirma 17 Vgl. Politische, wirtschaftliche und kulturelle Ent- der Compagnie de Saint-Gobain und der Com- wicklung Frankreichs, 1967. BA Koblenz DL 2 VA pagnie de Télégraphie Sans Fil (CSF). N 1329 und Jahresanalyse 1969, Paris, 7.1.1970. 11 Enzyklopädie der DDR. Digitale Bibliothek. Bd. BA Berlin DL 2 / VA N 1583. 32. Berlin 2000, S. 6997f. 18 Vgl. BA Berlin DY 30 J IV 2/2A / 1106. 12 Vgl. ebd., S. 4689. 19 So plädierte ein Hauptdirektor der Deutschen Post 13 Vgl. (selbst)kritisch zum 11. ZK-Plenum: Hans dafür, dass Minister der französischen Seite an Bentzien: »Schluß mit den Spinnereien«. Das En- der Delegation teilnehmen sollten. Dies zeigt z. B. de sozialistischer Kulturpolitik auf dem 11. Ple- ein aus dem Frühjahr 1968 stammendes Schrei- num. In: Heide Riedel (Hrsg.): Mit uns zieht die ben des Postministeriums an CFT: »Nous atta- neue Zeit ... 40 Jahre DDR-Medien. Berlin 1993, cherions un grand prix à ce que dans la délégati- S. 154-161. on française il y ait des représentants des Mi- nistères français.« Vgl. Archives du Comité 14 Die Dringlichkeit der Anerkennungsfrage wird da- d’Histoire de la Télévision, Paris. Nachlass Michel bei in einem internen Papier der Westkommission Dubail, CFT-»Directeur Administratif et Financier« beim Politbüro vom September 1963 deutlich: (ungeordnet, kein Findbuch vorhanden), S. 2. »Die wachsende Diskussion über die Notwendig- 20 keit, die DDR in irgendeiner Form anzuerkennen Ebd., S. 3. bzw. ihre Existenz wenigstens zu respektieren, 21 Ebd., S. 2. muss mit allen Mitteln gefördert werden.« Zit. nach: Klaus Schroeder: Der SED-Staat. Partei, 22 Ebd., S. 1. Glaubitz: PAL oder SECAM? 137

23 Dies forderte Punkt 1 der »Konzeption für die Be- sprechung mit den Vertretern der Republik Frank- reich über Fragen der Einführung des Farbfernse- hens«, 14.6.1965. Vgl. BA Berlin DM 3 / 8290, S. 3.

24 Vgl. Archives du Comité (wie Anm. 19).

25 Vgl. ebd., S. 1.

26 Auch wenn DDR-Postminister Schulze bis kurz vor der französisch-ostdeutschen Einigung in ei- ner Direktive vom 2.1.1969 an eine DDR-Ver- handlungsdelegation, die vom 13. bis 18.1. nach Paris reiste, Folgendes als ein Verhandlungsziel festlegte: »Die Verhandlungen mit den Vertretern Frankreichs sind mit der Zielstellung zu führen, dass die Ergebnisse der Unterschrift des Stellver- treters des Ministers für Post- und Fernmeldewe- sen, Genossen Probst, bedürfen, um damit erneut auf die Erteilung der Visa Einfluss ausüben zu können.« Vgl. die Direktive für die Verhandlungen mit den Vertretern der Französischen Republik zur Ermittlung der Bedingungen für die Übernah- me des Farbfernsehsystems SECAM IIIb seitens der DDR. Ebd., S. 2.

27 Ebd., S. 2.

28 Vgl. BA Berlin DC 20 I/4/ 1470.

29 BA Berlin DY 30 J IV 2/2 / 1096, S. 6.

30 Vgl. Vergleich der Farbfernsehsysteme NTSC, SECAM und PAL. Interne technische Mitteilungen aus dem RFZ. Sonderheft März 1965 (nur für den Dienstgebrauch).

31 BA Berlin DM 3 / 8290, S. 21

32 Alle Zitate ebd.

33 Enzyklopädie der DDR (wie Anm. 11), S. 10406f.

34 Vgl. Betriebsakademie des DFF unter Mitarbeit der Fachkommission Farbfernsehen (Hrsg.): DFF Studienmaterial. Zu Problemen des Farbfernse- hens, H. 2 (August 1968).

35 Abusch war gemäß dem »Geheimbeschluss« »über die Vorbereitung und Einführung des 2. Fernsehprogramms (Farbfernsehen) in der DDR« durch das Präsidium des Ministerrats vom 22.12.1966 die koordinierende Federführung zu- gewiesen worden, was wiederum die ideologische Zentrierung des Gesamtprojekts zeigte. Vgl. BA Berlin DC 20 I/4/ 1470.

36 Staatliches Komitee für Fernsehen. BA Berlin DR 8.

37 Stenografisches Protokoll. BA Berlin DM 3 BRF II / 3836, S. 6. Friedrich Engel

Das Magnetophon bei der RRG – Ambivalenz eines Tonträgers

Die technische Leitung der Reichs-Rundfunk- Auf Wunsch der UFA fand die Veranstaltung am Gesellschaft (RRG) Berlin hatte Anfang 1938 auf 10. Juni 1941 im renommierten »UFA-Palast am der Suche nach dem »idealen« Aufzeichnungs- Zoo« statt, obwohl die Lautsprecheranlage des verfahren ihren recht heterogenen Gerätepark – höhengedämpften Saals nicht mehr auf dem Wachsplatte, Schallplatte und -folie, Schallfilm neuesten Stand der Technik war.2 Die Tonbei- und »Stahlton-Bandmaschine« – um das Mag- spiele stellte überwiegend die Telefunkenplatte, netophon1 bereichert, eine 1935 vorgestellte die RRG hatte den vierten Satz der ersten Gemeinschaftsentwicklung der AEG Berlin und Brahms-Sinfonie beigesteuert, aufgezeichnet in der I.G. Farbenindustrie Aktiengesellschaft, Lud- der Philharmonie unter Wilhelm Furtwängler.3 wigshafen. Das Magnetophon bot mit seinen 22 Die Veranstaltung galt als »wichtigste derartige Minuten Aufzeichnungsdauer, dem erschütte- Vorführung der letzten 6 oder 10 Jahre«4 und rungsfesten Laufwerk (im Vergleich zur Platten- wurde in gut vier Dutzend Berichten in der Fach- schneidemaschine), der relativ einfachen Bedie- wie der Tagespresse gewürdigt als »ein Spitzen- nung und vor allem der Schnitt- und Montage- verfahren der elektrischen Tonaufzeichnung (...), möglichkeit des »Magnetophonbands« attraktive das eine völlige Umwälzung in der Schallauf- Vorzüge. Seine Karriere bremste nur die allen- zeichnung (...) zur Folge haben wird.«5 (Dies ist falls durchschnittliche Aufzeichnungsqualität, zu nicht zuletzt ein Beweis gegen den Nachkriegs- vergleichen etwa mit der Schallfolie, und damit mythos, das Magnetophon sei auf höchsten Be- der Wachsplatte deutlich unterlegen. An dieser fehl »erfunden« und strikt geheimgehalten wor- Unzulänglichkeit rieb sich der Ehrgeiz der RRG- den.) Auf experimenteller Basis entstanden bei Technik, so dass das Haus des Rundfunks in der RRG, im Wesentlichen auf Initiative von der Masurenallee in Berlin gewissermaßen zum Helmut Krüger,6 selbst stereofone Magnetband- dritten Entwicklungszentrum des Magnettons aufnahmen. Nach internen RRG–Vorführungen wurde. im Januar 19437 kam Ende April auch die Öf- In Zusammenarbeit zwischen AEG und RRG fentlichkeit in den Genuss dieser »raumplasti- entstand so auch das erste »tragbare« Magnet- sche[n] Aufnahmen«.8 Leider sind von diesen bandgerät, bei der AEG »Magnetophon K 6«, bei ca. 250 Stereoproduktionen nur eine Handvoll der RRG »Ü-Wagenmagnetophon R 23« ge- erhalten geblieben. nannt (auf Wunsch des Heereswaffenamts um- Die Umstellung der RRG-Magnetophone auf konstruiert zum »Tonschreiber d«, den auch die Hochfrequenzvormagnetisierung und die Aufsto- RRG als »R 23a« einsetzte). Oberingenieur ckung des Gerätebestands litt unter der hohen Hans Joachim von Braunmühl, Laborleiter der Auslastung der AEG mit Wehrmachtsaufträgen Zentraltechnik der RRG, hatte einen seiner fä- (etwa 80 Prozent der Kapazität), nämlich den in higsten Mitarbeiter, Walter Weber, beauftragt, erstaunlichen Stückzahlen aufgelegten Ton- die Aufzeichnungseigenschaften dieses Geräts schreibern, die nicht zuletzt auch bei den Propa- zu verbessern. Im April 1940 fand Weber, einem gandakompanien arbeiteten. Immerhin erhielten Zufallsfund scharfsinnig nachgehend und ihn die Reichssender Breslau, Hamburg, Königs- umsichtig ausbauend, die Hochfrequenzvor- berg, Leipzig, München und Wien Magnetopho- magnetisierung, die das Magnetophon bis zur ne,9 später der Reichssender Riga. Genaueres Jahreswende 1940/41 an die Spitze aller damals ist angesichts der dürftigen Dokumentenlage in bekannten Aufzeichnungsverfahren brachte – es Sachen RRG-Technik nicht zu ermitteln; ebenso übertraf selbst die Wachsplatte mit ihrer lästigen wenig ist bekannt, ob der Soldatensender Bel- Spielzeitgrenze von vier Minuten. Die RRG hatte grad Magnetophone besaß. Nach Kriegsende das lange gesuchte »ideale Tonaufzeichnungs- waren im Ausweichstudio Bad Nauheim des verfahren« gefunden. Senders Frankfurt Magnetophone in Betrieb, die Der kommerzielle Wert des neuen Verfah- den US-Offizier John T. Mullin inspirierten, das rens stellte sich ebenso schnell heraus wie der Magnetophon in die USA zu verpflanzen. Gesi- programmtechnische und propagandistische. Als chert scheint auch ein Magnetophon-Bestand bei sich Ende März/Anfang April 1941 Pläne ver- Radio Luxemburg, den die deutschen Techniker dichteten, das HF-Magnetophon in einer groß bei ihrem Abzug mitnahmen – jedenfalls fanden angelegten öffentlichen Vorführung zu präsentie- die Alliierten Streitkräfte keine Geräte mehr ren, arbeiteten RRG, AEG, Telefunkenplatte und vor,10 als sie das Funkhaus besetzten.11 die Filmtechnische Zentrale (FTZ) zusammen. Engel: Das Magnetophon bei der RRG 139

Nun war die RRG, wirtschaftlich und wei- beitsgang nach Möglichkeit dasselbe leisten sungsmäßig dem Reichsministerium für Volks- [soll], was etwa 20 einzelne Kopiermaschinen aufklärung und Propaganda unterstellt, weder heute leisten«.19 Ehrgeizig oder vorwärtsschau- eine kulturelle noch technische Idylle, sondern end war die Tonband G.m.b.H. jedenfalls, denn stand in Diensten eines Regimes, das sich jeder sogar an das Kopieren stereophoner Magnet- technischen Neuerung in seinem Sinn zu bedie- bandaufnahmen war gedacht, wenn auch zu- nen wusste. Dazu gehörten attraktive Musikpro- nächst nur in geringen Auflagen.20 gramme bzw. -aufzeichnungen und die Distribu- Erster und größter Auftraggeber der Tonband tion der entsprechenden Tonträger an die Reichs- G.m.b.H. war die RRG, die pro Woche 50 bis 70 sender. Im Prinzip wäre das natürlich auch mit Urbänder (d.h., Originalaufnahmen) anlieferte, Schallplatten möglich gewesen; doch waren die- von denen jeweils zehn Kopien herzustellen wa- se leicht zerbrechlichen, gegenüber Magnetband ren. Urband und vier Kopien gingen zurück in die mit gleicher Spieldauer auch schwereren Träger Masurenallee, jeweils eine Kopie war an die kaum für den Postversand geeignet, vom tech- Reichssender Königsberg, Leipzig, Breslau, nischen Aufwand des Überspielens, Matrizierens Hamburg, München und Wien zu liefern, und und Prägens usw. abgesehen. Schließlich wird, zwar in dieser Reihenfolge.21 Je weiter die Ton- im Gegensatz zu einer zerbrochenen Schall- band G.m.b.H. ihre Kapazität ausbauen konnte, platte, ein auseinandergefallenes Magnetband umso mehr Aufträge sollte sie übernehmen. So nach langwieriger, aber anspruchsloser Handar- kamen bereits im ersten Geschäftsjahr 1942/43 beit wieder sendefähig. knapp 15 000 Kopien mit einer Gesamtspielzeit Bei der Distribution trafen sich die Repertoire- von 1 400 Stunden zusammen,22 d.h. die mittle- und Vertriebsinteressen der AEG mit den Vor- re Spiellänge lag bei etwa sechs Minuten, offen- stellungen der RRG. Die AEG hatte nämlich am bar überwog also Unterhaltungsmusik. Waren in 1. Oktober 1941 im Zug der »Telefunken-Re- diesem Jahr schon etwa 3 800 Magnetophon- gelung« die Telefunken-Schallplatte G.m.b.H. bänder zu je 1 000 m bespielt worden, stieg der (»Telefunkenplatte«) übernommen; im Gegen- Bedarf im Jahr 1944 auf nicht weniger als zug ging die Deutsche Grammophon-Gesell- 18 600 Bänder – er hatte sich damit etwa ver- schaft (DGG) an Siemens.12 Dieser Zugang fünffacht und machte schon 60 Prozent der löste bei der AEG perspektivische Überlegungen Bandmenge aus, die im gleichen Jahr an die aus, wie sich das Plattengeschäft mit dem Ver- RRG ging.23 Allerdings sind in diesen 18 600 trieb bespielter Magnetbänder und dem Aufbau Magnetophonbändern auch die Mengen enthal- einer »Tonarchiv G.m.b.H.« kombinieren ließe.13 ten, die die Tonband G.m.b.H. für ihren zweiten Als nun die RRG zwar einen konkreten Bedarf Geschäftszweck einsetzte, der »Herstellung von an Kopien von Magnetbandaufnahmen, im eige- Tonbandaufnahmen« für Schallplatten in Zu- nen Haus für solche Arbeiten aber keine Kapa- sammenarbeit mit der Telefunkenplatte. zitäten frei hatte, zeigte sich die AEG durchaus Welche ideologischen Absichten die Reichs- an solchen Arbeiten interessiert.14 Aus organi- sendeleitung mit diesem Distributionsweg ver- satorischen Gründen schien es ihr zweckmäßig, band, veranschaulichte der Technische Direktor in Analogie zur Telefunken-Schallplatte G.m.b.H. der RRG, Hans Hubmann, gegenüber zwei eine Firma namens Tonband G.m.b.H. am 5. hochrangigen Mitarbeitern der AEG, (dem 1952 November 1942 zu gründen.15 Ihr Auftrag war, zum Telefunken-Vorstandsvorsitzenden aufge- »nach dem Magnetophonverfahren Aufnahmen stiegenen) Hans Heyne und dem Geschäftsfüh- herzustellen, zu vervielfältigen und zu vertreiben rer der Tonband GmbH. Heinz Lübeck,24 der ein (...). Die Tätigkeit der Gesellschaft entspricht al- Gespräch protokollierte, bei dem auch von so der eines Verlages oder der einer Schallplat- Braunmühl anwesend war: tenfabrik.«16 Zum Geschäftsführer wurde Dr. »Herr Dr. Hubmann führte eingangs aus, welche Ing. Heinz Lübeck ernannt, zuvor in der Fabri- Tendenzen der Rundfunk in Deutschland bezüglich ken-Oberleitung der AEG. der Steuerung des Musiklebens verfolgt. Er deutete Die Firma Tonband G.m.b.H. sollte zum ers- an, dass Bestrebungen imgange sind, in Zukunft das ten kommerziellen Magnetband-Duplizierer wer- gesamte deutsche Musikleben mehr oder weniger den. Sie hatte eine provisorische »Kopierstraße« unter behördliche Kontrolle zu nehmen, um sicherzu- mit vier Magnetophonen K 4 zur Aufnahme (ge- stellen, dass nach Möglichkeit nur die der politischen plant waren 11 Kopiermaschinen)17 und einem Führung genehmen musikalischen Darbietungen un- »Master«-Wiedergabegerät Magnetophon K 5 ter das Volk kommen. Die Tendenzen des Rundfunks aufgebaut18 – der einzige Praxis-Auftritt dieses insbesondere sollen dahin gehen, dass der Rundfunk ansonsten unbekannten Geräts. Ein Projekt von sich immer mehr freimacht von der von der Industrie bezogenen Musikproduktion aus der Überlegung her- Rolf Müller-Ernesti führte zum Erfindungspatent aus, dass dem Rundfunk finanzielle Mittel zur Verfü- Duplizieren im Kontaktverfahren, auch »Vielfach- gung stehen zur Herstellung von höchstwertigen Kopiermaschine« genannt, die »in einem Ar- Schallkonserven, und weil die Erfahrung gezeigt hat, 140 Rundfunk und Geschichte 29 (2003)

dass es – rundfunkseitig gesehen – durchaus renta- Mit anderen Worten: das Magnetophon als bel ist, für die Zwecke größte Mittel aufzuwenden. Es Deckmantel, um auch beim Rundfunk die be- ist schon zur Zeit so, dass die großen philharmoni- rüchtigten »Ausdünnungsaktionen« durchführen schen Konzerte, Festspiele usw. in weitem Maße von zu können. Was »Rüstung und Wehrmacht« für dem Rundfunk finanziert werden. (...) Die RRG würde Betroffene hieß, kann man sich ausmalen; wel- fernerhin infolge ihrer Führerstellung und zum Zwe- ches Ausmaß diese Aktionen erreichte, ermit- cke der Programmsteuerung im europäischen Rund- funk Wert darauf legen, von sich aus zu bestimmen, telte ein Filmhistoriker für die Ufa, einem nach welche Musikwerke bei den verschiedenen Sendege- Auftrag und Selbstverständnis mit der RRG ver- sellschaften zur Darbietung gebracht werden. Mit an- gleichbarer Betrieb: deren Worten wünscht die RRG die Vorhand in der »Im sechsten Kriegsjahr kamen selbst die dem Pro- Steuerung der Programmgestaltung und des Vertrie- pagandaministerium unterstellten Filmbetriebe nicht bes von Magnetogrammen an alle europäischen mehr an den Forderungen der militärischen Dienst- Rundfunksender zu haben. Andererseits hat die RRG stellen vorbei und mussten weitere »Gefolgschafts- nicht den Ehrgeiz zu einer industriellen Betätigung mitglieder« freistellen. Der Babelsberger Ufa verblie- auf diesem Gebiet; sie würde es vielmehr für richtig ben nach diesen Ausdünnungsaktionen von 1879 nur halten, wenn die AEG die Herstellung der erforderli- noch 767 Mitarbeiter.«27 chen Kopien sowie deren Versand durchführt und dabei für die erforderlich gehaltenen Lizenzen usw. Die technischen Leistungen der RRG, ihrer In- einkassiert.«25 genieure und Wissenschaftler sind nicht zu bestreiten, wie ja auch die weiteren Lebensläufe So ungeschminkt wird sich ein Funktionär des vieler ihrer leitenden Mitarbeiter in Rundfunk und Reichsministeriums für Volksaufklärung und Fernsehen der 1950er und 1960er Jahre zeigen. Propaganda (RMVP) wohl nur im kleinen Kreis Was das Magnetophon angeht, sei daran erin- geäußert haben, auch und gerade wenn seine nert, dass seine Erfolgsaussichten vor 1938 Ausführungen genau der Linie seines Ministers zeitweilig recht düster waren. Erst im betriebli- entsprachen. Es wäre eine Untersuchung wert, chen Einsatz bei der RRG, namentlich durch ob diese Art der Musikpolitik erstmals vom Walter Webers Hochfrequenzvormagnetisierung, RMVP formuliert wurde; in jedem Fall wurde sie erreichte es das Qualitätsniveau, das seine Vor- fester Bestandteil der Rundfunkprogrammgestal- rangstellung für die folgenden 50 Jahre sicherte. tung des totalitären Regimes. Auf den während der 1940er Jahre geschaffe- Von Einberufungen zum Wehrdienst nicht nen Grundlagen entwickelte sich die magneti- verschont, verlor die RRG, zumindest auf Zeit, sche Speichertechnik zum nahezu universellen viele erfahrene Ingenieure und Techniker an die Speichermedium für Daten, Messergebnisse Wehrmacht. Um den Betrieb aufrecht erhalten und nicht zuletzt Videosignale. Ein beträchtlicher zu können, kreierte sie einen attraktiven Be- Teil unseres kulturellen Erbes ist auf Trägern rufsausbildungsgang für Frauen, die als Ton- festgehalten, deren entscheidende Entwicklungs- technikerinnen nach relativ kurzer Ausbildung phase in eine Zeit fällt, in der künstlerisch-tech- Aufgaben übernahmen, bei denen es eher auf nische und wissenschaftliche Höchstleistungen rasche Auffassungsgabe, manuelle Geschick- von Akten tiefster Unmenschlichkeit überlagert lichkeit und Intelligenz ankam als auf ein theo- sind. Diese Ambivalenz kennzeichnet nicht zu- rielastiges Studium – in gewissem Sinn durch- letzt auch die Arbeit der RRG. aus dem nationalsozialistischen Frauenbild ent- sprechend. Tontechnikerinnen am Magnetband- gerät waren bald aus keinem Funkhaus mehr wegzudenken. Im Oktober 1944 schrieb Hans Anmerkungen Fritzsche, u.a. Verantwortlicher für die politisch- propagandistischen Sendungen des Großdeut- 1 Das von AEG angemeldete Markenzeichen schen Rundfunks, in einem »Rundfunk im tota- »Magnetophon« wurde bei der RRG fast aus- schließlich in der Schreibweise »Magnetofon« be- len Krieg« überschriebenen Leitartikel: nutzt. »[Der Rundfunk kann] noch einen beachtlichen Pro- 2 Dr. Ho., AEG, Aktennotiz: Nachbereitung der zentsatz von Kräften der Rüstung und Wehrmacht zur Pressevorführung des Magnettonverfahrens im Verfügung stellen, ohne daß die Qualität des Rund- Berliner Ufa-Palast vom 10.6.1941. Deutsches funkprogramms dadurch herabgesetzt werden müßte. Technik-Museum Berlin (DTMB), Archiv AEG Eine rationelle Arbeitsweise im Sendebetrieb ge- 03859. währleistet das Magnetophonaufnahmeverfahren, das der Großdeutsche Rundfunk bereits vor Jahren 3 Hans Joachim von Braunmühl an Walter Weber, eingeführt hat, damals lediglich in der Absicht, die 11.4.1941. Sammlung Dr. Joerg Weber. technische und künstlerische Qualität seiner Sen- 4 Dr. Ho., AEG, Aktennotiz (wie Anm. 2). dungen zu steigern.«26 Engel: Das Magnetophon bei der RRG 141

5 Heinrich Kluth: Jetzt klingt es noch viel besser. In: 17 Heinz Lübeck: Aktennotiz betr. Besprechung mit Berliner Lokalanzeiger 12.6.1941. Weitere Be- Herrn Dr. Schepelmann, 9.12.1942. DTMB AEG richte u.a. in Deutsche Allgemeine Zeitung, 02292. 12.6.1941: Nadelton – Lichtton – Magnetton. 18 N.N., Tonband GmbH, Berlin: Bilanzerläuterungen 6 Helmut Krüger: Stereofone Studiotechnik. Manu- zum Jahresabschluss der Tonband GmbH, Berlin, skript o. D. (ca. 1960). 30.9.1943. DTMB AEG 02242.

7 Hans Joachim von Braunmühl: Stereoakustische 19 Rolf Müller-Ernesti (AEG Berlin): Verfahren zum Übertragungen. In: Kurzberichte über die anläß- Kopieren einer magnetischen Schallaufzeichnung. lich des Schulungslehrganges für PK-Rundfunk- DBP 910 602, 31.10.1941 (Ausgabe 3.5.1954); ingenieure im Haus des Rundfunks im Januar Inhalt laut Beschreibung der AEG vom 1.5.1950: 1943 gehaltenen Vorträge, I. Teil [Manuskript]. »Geschützt ist das in letzter Zeit in mehreren Berlin, 1943. amerikanischen Veröffentlichungen propagierte Verfahren zum Kopieren einer magnetischen 8 Fred Hamel: Raumplastische Klangwiedergabe. Schallaufzeichnung durch Auflegen auf einen be- In: Deutsche Allgemeine Zeitung, 21.4.1943; G. reits bespielten Magnetogrammträger, wobei bei- Regelin: Klänge auf dem magnetisierten Film- de einem äußeren Magnetfeld, insbesondere ei- band. In: Berliner Morgenpost, 28.4.1943; N.N.: nem Wechselfeld, ausgesetzt werden.« Stereofonische Schallaufzeichnung. In: Übersee Post Leipzig (undatierte Kopie). 20 Heinz Lübeck/Jankowski (Tonband GmbH): Be- gründung für unsere Rückstellung: Entwicklungs- 9 Dr. P./MA (RRG) an Tonband GmbH, 9.3.1943. kosten, 3.5.1943. DTMB AEG 02242; Heinz Lü- DTMB AEG 02292. beck: Aktennotiz betr. Besprechung mit Herrn Dr. Schepelmann, 9.12.1942. DTMB AEG 02292. 10 Diese Aussage steht in Kontrast zu der zur unaus- rottbaren Magnetband-Foklore gehörenden »Er- 21 N.N., interner Brief der AEG, 9.3.1943. DTMB zählung« von John Herbert Orr, nach der Radio AEG 02292. Luxemburg nahezu unversehrt in amerikanische Hand gefallen und Magnetophone gefunden wor- 22 Tonband GmbH: Bericht der Geschäftsführung den sein sollen. Sie ist die Quelle der unwahr- zum 1. Geschäftsjahr vom 5.11.1942 - 30.9.1943. scheinlichen bzw. vermutlich entstellten Ge- DTMB AEG 02242. schichte, wie eine Rundfunkrede Eisenhowers 23 unterbrochen / überlagert / unbemerkt fortgesetzt Karl Pflaumer: Bericht über Fabrikation von Mag- wurde von einer Hitler-Rede. Daraufhin befahl Ei- netophonbändern, I.G. Farbenindustrie Aktienge- senhower angeblich John Herbert Orr, eine eige- sellschaft, Farben-Gruppe, 11.7.1945. BASF Akti- ne Magnetbandproduktion aufzubauen. Was mit engesellschaft / Unternehmensarchiv. der Eisenhower-Rede wirklich passierte, ist wohl 24 nicht mehr festzustellen. Vermutlich wurde die Lübeck kann als objektiver Zeuge gelten; seine Rede – ohne Kennzeichnung des Endes – auf ei- vielzitierte Dissertation »Magnetische Schallauf- nem bereits mit einer Hitler-Rede bespielten Mag- zeichnung mit Filmen und Ringköpfen«. In: Akus- netband aufgezeichnet. Das Band wird während tische Zeitschrift Jg. 2 (1937), H. 6., S. 273-295, der Sendung, etwas zu spät bemerkt, nach dem wie seine Position in der Fabrik-Oberleitung der Ende der Eisenhower-Aufzeichnung weitergelau- AEG sprechen für seine wissenschaftliche Qualifi- fen sein. Sämtliche Fakten und Daten (Ort, Zeit, kation. In der Nachkriegszeit wurde er an Stelle beteiligte Personen usw.) sind nicht belegt. Vgl. einiger wegen NSDAP-Zugehörigkeit belasteter Allen Rankin: How Orr, Of Opelika, Changed U.S. Kollegen mit Zustimmung der französischen Ad- Radio, TV, And Movies. In: Montgomery Adver- ministration zum Geschäftsführer der Magneto- tiser – Alabama Journal Sunday, 21.2.1954. phon G.m.b.H. ernannt, was nur bei »politisch un- belasteten« Personen möglich war. 11 Edward Pawley: BBC Engineering 1922 - 1972. 25 BBC Publications 1972, S. 387. Heinz Lübeck: Notiz über eine Besprechung bei der RRG am 19.6.1941. BASF UA P 917 und 12 Wilfried Feldenkirchen: Siemens 1918 - 1945. DTMB AEG 03218. München/Zürich 1995, S. 350ff. 26 Hans Fritzsche: Rundfunk im totalen Krieg. In: 13 Paul (AEG), Niederschrift über die Besprechung Reichsrundfunk Jg. (1943/44), H. 13/14, S. 135f. am 14.5.1941. DTMB AEG 03218. 27 Holger Theuerkauf: Goebbels Filmerbe – Das Ge- 14 Hans Heyne, AEG, [Notiz für] Herrn Direktor Dr. schäft mit unveröffentlichten Ufa-Filmen. Berlin Boden, 24.1.1942. DTMB AEG 03218. 1998, S. 17.

15 Das für den Magnetophon-Bereich zuständige Vorstandsmitglied Dr. Hans Heyne wurde in den 1960er Jahren zum Vorstands-Vorsitzenden von AEG-Telefunken ernannt.

16 N.N., Tonband GmbH, Berlin. In: Frankfurter Zei- tung, 11.11.1942. BASF Aktiengesellschaft / Un- ternehmensarchiv A 261/20. Miszellen

Peter Hoff (1942 – 2003) anvancierte er zum wichtigsten Fernsehkritiker der DDR, schrieb aber auch regelmäßig Filmkri- Peter Hoff hätte ein Vorzeigekind der neu zu er- tiken. Infolge der engen Verzahnung von theore- richtenden Gesellschaft im Osten Deutschlands tischer Ausbildung und praktischer Arbeit, die werden können. Geboren am 1. April 1942 über- das Studium an der HFF kennzeichnete, lernte lebte er, weil sein – nach zeitgenössischem Jar- Hoff die Stoffentwicklung und die Produktions- gon – »wehrunwürdiger« Vater mit Kriegsgefan- wirklichkeit im Fernsehen und beim Film durch genen die Brand- und andere Bomben vom Beobachtung und aktive Mitarbeit aus unter- Dach jenes Hauses warfen, in dessen Keller die schiedlichen Positionen kennen. restliche Familie mit weiteren Bewohnern Unter- Aus dem Dreiklang von ständigen Programm- schlupf gefunden hatten. Nach dem Ende seiner beobachtungen, regelmäßigen Kontakten zu Mit- Ausbildung im humanistischen Zweig der erwei- arbeitern von DEFA und DDR-Fernsehen und terten Oberschule in Magdeburg arbeitete er ein einer intensiven Lehrtätigkeit entwickelte er zu- Jahr als Arbeiter an jenen Bühnen, auf denen er nächst weiterführende theoretische Überlegun- zuvor schon als Kleindarsteller gestanden hatte, gen zu Fernsehspiel und -film. Beiden galt auch um etwas zum Familienunterhalt beizutragen. in den folgenden Jahrzehnten seine besondere Das anschließende Studium der Theaterwissen- Aufmerksamkeit. Ob in ARD, ZDF oder im DDR- schaft an der Humboldt-Universität zu Berlin Fernsehen gesendet oder auf der Leinwand vor- verbrachte er nach eigenen Aussagen zur Hälfte geführt – den Ausgangspunkt jeder seiner Ana- im Brecht-Ensemble und in der Komischen Oper lysen bildete die möglichst genaue Beschreibung bei Walter Felsenstein. des konkreten Gegenstandes im Hinblick auf die Im Anschluss an das Studium erhielt er eine jeweiligen Handlungskonstellationen und der ih- Stelle als Dramaturg im Senftenberger Theater, nen zugrunde liegenden dramaturgischen Struk- für das er bald ein eigenes Stück schrieb, das turen. In einem zweiten Schritt verortete er das seine Entlassung nach sich zog. Nachdem er ein Material historisch, sozial und/oder künstlerisch. Drehbuch für ein Fernsehspiel eingereicht hatte, Anschließend setzte Hoff das erarbeitete Materi- verlor er etwa ein Jahr nach dem ersten Raus- al mit anderen Produktionen in Beziehung, um schmiss auch seine Dramaturgenstelle beim Genre-, Plot-, Kamera- oder weitere medienspe- Deutschen Fernsehfunk (DFF). zifische Entwicklungen herauszuarbeiten. Ein Dem Ausflug in die Praxis folgte wieder die enzyklopädisches Gedächtnis, die eigenen Kriti- Universität. Im Bereich Theaterwissenschaft der ken, ein perfekter Umgang mit dramaturgischen Humboldt-Universität bot er, der Fernseherfah- Strukturen und eine Vielzahl von Aufzeichnun- rungen gesammelt hatte, erstmals Lehrveran- gen kulminierten auf diese Weise zu ersten staltungen zum Fernsehspiel an, und fand hier Querschnittsanalysen, bevor der Videorekorder eines seiner wichtigsten zukünftigen For- das beliebige Abspielen einzelner Sendungen schungsfelder. Weder im Osten noch im Westen gestattete. Infolge dieser Arbeitsweise entstan- Deutschlands existierte zu diesem Zeitpunkt ei- den bei Peter Hoff keine allgemeinen Theorien, ne nennenswerte Fernsehforschung. Für ihn sondern stets verallgemeinernde Aussagen, die wurden deshalb die produktiven Auseinander- sich alle auf konkrete Befunde zurückführen lie- setzungen mit dem ersten Fernsehspieldrama- ßen. turgen des DFF, Günter Kaltofen, entscheidend. Als einziger Wissenschaftler in der DDR be- Dieser versuchte schon seit den 50er Jahren in gann Hoff als Folge und Ergebnis der regelmä- seinen Reflexionen über das neue Medium, all- ßigen Programmbeobachtungen und der intensi- gemeinere ästhetische Momente von Fernseh- ven Auseinandersetzung mit dem Medium sehr kunst zu erarbeiten. Hierbei trafen die theater- früh, sich auch mit anderen Programminhalten, wissenschaftliche Theorie, die Suche nach der wie etwa der Serie oder Spezifika von bestimm- Spezifik des damals für die Wissenschaft noch ten Unterhaltungssendungen zu beschäftigen. unbekannten Mediums und das Plädoyer für ein Parallel zu seinen Arbeiten zu vor allem künstle- aufklärerisches Spiel vor der Kamera aufeinan- rischen Programminhalten des Fernsehens ent- der. standen seine Aufsätze zu historischen und ak- Nach einem Zusatzstudium in Moskau ar- tuellen Spiel- und Dokumentarfilmen. Hoff kannte beitete Peter Hoff ab 1972 an der Hochschule nicht nur die westeuropäischen, sondern ebenso für Film und Fernsehen (HFF) in Potsdam- die osteuropäischen Entwicklungen aus eigener Babelsberg, zunächst in der Abteilung Drama- Beobachtung und verfolgte deren Höhen und turgie, danach baute er die Fachrichtung Regie Tiefen auch nach 1989 weiter. Seine heute noch auf, die er über viele Jahre leitete. In jener Zeit lesenswerten Ausätze, Interviews und Interpre- Miszellen 143

tationsversuche – vor allem zu polnischen und Parallel zu seiner wissenschaftlichen und sowjetischen Produktionen – zeugen früh von publizistischen Tätigkeit konnte Peter Hoff seine dem untrüglichen Gespür für die Differenziertheit von ihm immer hochgeschätzte Lehrtätigkeit unterschiedlicher Filmschulen, ihrer nationalen nach eineinhalbjähriger Pause zunächst am Verwurzelung und die jeweiligen Eigenleistungen neugegründeten Institut für Publizistik- und Me- von Schauspielern, Drehbuchautoren, Kamera- dienwissenschaft in Leipzig, später in Marbug männern und Regisseuren, als viele auch in der und an der Humboldt-Universität wieder auf- DDR diese Filme (noch) nicht zur Kenntnis nah- nehmen. Zuletzt arbeitete Peter Hoff in der For- men. schergruppe »Geschichte des DDR-Fernsehen Abgedruckt wurden Teile seiner Ergebnisse komparativ« im Teilprojekt 4 »Die große und die in den ›Beiträgen zur Film- und Fernsehwissen- kleine Show«. Die Chance, nun ihm teils völlig schaft‹, in ›Film und Fernsehen‹ und an anderen unbekanntes historisches Material sichten zu Stellen einschließlich verschiedener Tageszei- können, nutzte er auch, um durch Programm- tungen, aber nie als geschlossene Publikation. und Sendeanalysen eigenes als sicher ge- An dieser Situation änderte sich auch nichts, als glaubtes Wissen zu revidieren. Erste Ergebnisse ihm endlich nach zwei vergeblichen Anläufen publizierte er in der Materialienreihen der For- und mehreren Interventionen in Adlershof1 in der schergruppe unter dem Titel »Protokoll eines Mitte der 80er Jahre erlaubt wurde, mit dem Laborversuchs. Kommentar zur ersten Pro- Thema »Fernsehen als Kunst. Grundprobleme grammschrift des DDR-Fernsehens 1955« sowie der Gattungsspezifik sozialistischer Fernseh- in ›Rundfunk und Geschichte‹; für die Zeitschrift kunst« zu promovieren. So blieben beispielswei- schrieb er auch etliche Rezensionen. se seine frühen und für die 80er Jahre durchaus Am 27. Oktober starb Peter Hoff in Hamburg sehr bemerkenswerten Thesen zur Fernsehserie während einer Tagung der Gesellschaft für Me- weitgehend unbekannt. dienwissenschaft. Seinen vorbereiteten Vortrag Nach der Wende wurde ihm sein Status als »Das Akustische im deutschen Fernsehspiel« institutionell nicht abgesicherter Kritiker und Leh- konnte er nicht mehr halten. Eine Studie zu den render zum Verhängnis. Im Unterschied zu An- ersten großen Unterhaltungssendungen und deren wurde er entlassen. Er versuchte es mit theoretische Überlegungen zur Entwicklung des neuen Texten für ein Videomagazin, schrieb Unterhaltungsbegriffes von Diderot über Marx zu weiter Film- und Fernsehkritiken, arbeitete inten- Brecht und Eisler wird im kommenden Jahr siv an einer Ausstellung zum DDR-Rundfunk im leicht überarbeitet und ergänzt erscheinen. Sie Deutschen Rundfunkmuseum mit und schrieb runden das unvollendet gebliebene Werk seines sein erstes Buch über die Langzeitkrimiserie des letzten wissenschaftlichen Themenschwerpunk- DDR-Fernsehens, die auch von der ARD über- tes ab. nommen wurde, den ›Polizeiruf 110‹. Darüber Sein gegenwärtig noch unüberschaubarer hinaus verfasste er Aufsätze für ›Rundfunk und schriftlicher Nachlass, der nicht nur aus eigenen Fernsehen‹ des Hans-Bredow-Instituts und wirk- Materialien besteht, sondern ergänzt wird durch te u.a. an Publikationen des Grimme-Instituts eine reichhaltige Sammlung wichtiger, von Peter mit. Hoff vor der Vernichtung geretteter Dokumente, Schon vor der Wende gab Peter Hoff zu- wird in Kürze dem Deutschen Rundfunkarchiv in sammen mit Hans Müncheberg die erste Fern- Potsdam-Babelsberg übergeben. Er wird dann sehgeschichte des DDR-Fernsehens heraus. Sie auch der wissenschaftlichen Forschung zur Ver- musste sich damals ausschließlich auf Zeitzeu- fügung stehen. geninterviews stützen und blieb auf die Frühzeit Wolfgang Mühl-Benninghaus, Berlin beschränkt. Im Zuge der Rezeption seiner Ar- beiten nach der Wende, aber auch während ei- 1 Die Filmhochschule unterstand dem Ministerium ner Vielzahl von Vorträgen im In- und Ausland, für Kultur, dem Hoch- und Fachschulministerium und seiner Mitarbeit im Sonderforschungsbe- und dem DDR-Fernsehen. Eine Promotion zum Fernsehen ohne die Zustimmung von Adlershof reich »Bildschirmmedien« der Universität-Ge- war an der Filmhochschule deshalb nicht möglich. samthochschule Siegen wurde er zunehmend als der wichtigste Spezialist für das DDR-Fern- sehen anerkannt. Es gereichte ihm zum Vorteil, dass er in der Lage war, komparative Entwick- Keine Debatte über das Feature lungen in der Bundesrepublik mitzudenken. Das unter Leitung von Knut Hickethier mit ihm zu- In der ohnehin nachlassenden Diskussion und sammen verfasste Standardwerk »Geschichte Reflexion rundfunkästhetischer Fragen droht in- des Deutschen Fernsehens« war hierfür ein zwischen das Feature gänzlich unter die Räder wichtiger Ausdruck und zugleich ein Meilenstein zu kommen. Das ist insofern von Bedeutung, als in diesem Prozess. es in den bereits erfolgten oder noch anstehen- 144 Rundfunk und Geschichte 29 (2003)

den Reformen der Kulturprogramme zur quantité with fiction.« Features haben es mit Tatsachen négligeable werden könnte – wenn es das nicht zu tun, Hörspiele mit Fiktion. Inhaltlich und for- schon immer war. Während das Hörspiel einge- mal sind beide offen, was sie so ähnlich macht. bunden in einen allgemeinen Kulturdiskurs er- Das führt in den Institutionen zu Überschneidun- folgreich unter der Flagge des Kunstvorbehaltes gen – zu gemeinsamen Abteilungen für Hörspiel segelt, die ihm zudem als Schutz vor institutio- und Feature, die in den letzten Jahren eine Re- nellen Angriffen dienen kann (Grundversor- naissance erleben – und in der Kritik wie der gung!), schwimmt das Feature locker auf den wissenschaftlichen Analyse zu analogisierenden Wellen der allgemeinen Rundfunkentwicklung, Betrachtungen: Was fürs Hörspiel diskutiert wird, ohne dass die darin liegende Qualität bewusst scheint cum grano salis auch für das Feature zu wahrgenommen und genutzt werden würde. gelten. Dementsprechend wird es häufig in der Feature ist ja keineswegs mit dem identisch, einschlägigen Hörspiel-Literatur als Unterkapitel was als solches in den Programmen angekün- mitbehandelt – etwa in Heinz Schwitzkes Stan- digt wird, oder erschöpft sich darin: Als Feature dardwerk von 1963 »Das Hörspiel. Dramaturgie werden kurze gebaute Magazinbeiträge ebenso und Geschichte«, an dessen Kapitel »Die An- bezeichnet wie mehrstündige Dokumentationen, fänge des Features« sich die Feature-Literatur und hinter mancher Sendung einer Feature- bis heute zu orientieren scheint. Der Umfang der Redaktion verbirgt sich ein in verteilten Rollen eigenständigen Literatur über das Feature nimmt gelesener Essay. Schließlich entpuppen sich di- sich – im Vergleich zu der über das Hörspiel – verse Hörspiele als Feature – wenn man denn jedoch äußerst bescheiden aus: neben Tamara wüsste, was das überhaupt ist. Auer-Krafkas Dissertation von 1974,1 Felix Kri- An dieser Stelle, wie bisher noch am Anfang bus‘ Dissertation von 19952 und das von Udo jeder Abhandlung über Features zu lesen, ist ein Zindel und Wolfgang Rein herausgegebene Exkurs in die Begriffsgeschichte fällig. Der führt, Werkstattbuch3 gibt es ein paar Spezialuntersu- was Deutschland betrifft, in die unmittelbare chungen wie von Christa Wagner-Hülsebus4 o- Nachkriegszeit, als beim Sender der britischen der Simone Peschkes Dissertation von 1985,5 Zone, Radio Hamburg, dem späteren NWDR, ein paar schwerer zugängliche Magister-, Dip- nach dem Vorbild der BBC Sendungen unter der lom- und Hausarbeiten,6 einige Hörfunksendun- Gattungsbezeichnung »Feature« ausgestrahlt gen zum Thema und natürlich eine Reihe von wurden. Die Heroen der ersten Stunde: Axel Eg- Aufsätzen und Artikeln in diversen Zeitschriften gebrecht, Peter von Zahn und Ernst Schnabel und Sammelbänden, verfasst zum großen Teil verfügten über fast keine Rundfunkerfahrung von Feature-Redakteuren und -Autoren, denen und glaubten, mit einer der Besatzungsmacht es leider oft nicht gelingt über den eigenen Tel- geschuldeten neuen Begrifflichkeit eine neue lerrand hinauszuschauen. Sache erfunden zu haben. Ein folgenreicher Irr- Was Not täte, wäre weniger eine Selbst- tum, der bis heute nachwirkt, weil er dazu ver- reflektion als eine übergreifende Betrachtung, führte, die Radioform »Feature« vom Wort und wäre weniger eine Umfrage7 als eine ästheti- nicht von der Sache her zu betrachten. sche Analyse. Es ist schon erstaunlich: Die »Hörbild«, »Hörfolge«, »Hörstück«, »akusti- künstlerische Verwendung des O-Tons und ihr scher Film«, »Hörfilm«, »Aufriss« und was der kulturhistorischer Kontext wurden erst diskutiert, Bezeichnungen mehr waren in den 20er und als die dem Feature genuine Praxis als O-Ton- 30er Jahren, erscheinen in dieser Perspektive Hörspiel Karriere machte. Dabei hätte man sie lediglich als Vorläufer, ohne dass dabei die äs- nicht erst an Peter Leonhards Feature über die thetischen Linien von dort bis in die Gegenwart »Hühner« (1967) untersuchen können, sondern in den Blick geraten. Möglicherweise würde sich z.B. bereits am »Schiffstagebuch der NORAG« herausstellen, dass die Kontinuitäten weit größer (1931) oder E. K. Fischers »Pergamon« (1932), sind als es die Begriffszäsur 1945 suggeriert. die im DRA als Tondokument vorliegen oder an Die Frage, was denn ein Feature sei, wäre damit Alfred Brauns Hörfilm-Experimenten, Paul La- freilich noch nicht beantwortet. Vermutlich ist vens »November 1933«, der Rekonstruktion ei- dies gerade deshalb so schwer, weil der Begriff nes Selbstmordversuchs, über die schriftliche nicht scharf zu fassen ist und schon in der an- Dokumente vorhanden sind. Musikalische For- gelsächsischen Tradition im Grunde alles meint, men des Features sind bisher noch gar nicht un- was weder »talk« noch »actualities« noch »radio tersucht worden, dabei gibt es von Walter Rutt- drama« ist, also mehr eine ausschließende denn manns »Weekend« bis zu Walter Filz‘ »tanzba- eine definitorische Funktion besitzt. ren Features« genügend Beispiele. Aber Filz Am präzisesten scheint noch die Charakteri- produzierte sie bevorzugt für WDR Eins Live und sierung von Laurence Gilliam, dem Leiter der das ist eben keine Kulturwelle, womit sie für die Feature-Abteilung der BBC in den 30er Jahren traditionelle Feature-Szene lange ein blinder zu sein: »Feature dealt with fact, Drama dealt Fleck gewesen ist, bis WDR 3 Sendungen des Miszellen 145

Eins Live »Lauschangriffs« wiederholte. Zudem 2 Felix Kribus: Das deutsche Hörfunk-Feature. Ge- wurde Filz selbst erst richtig bekannt, als er für schichte, Inhalt und Sprache einer radiogenen sein Feature »Pitcher« 2001 den Hörspielpreis Ausdrucksform. Stuttgart 1995. der Kriegsblinden erhielt. Ähnlich könnte es 3 Udo Zindel / Wolfgang Rein: Das Radio-Feature. Features des SWR 2 »Dschungel« ergehen, die Konstanz 1997. in der Programmübersicht der FAZ nach wie vor 4 Christa Wagner-Hülsebus: Feature und Radio- unter »Magazine« firmieren und selbst über die Essay. Hörfunkformen von Autoren der Gruppe 47 Feature-Seite von ARD.de nicht recherchierbar und ihres Umkreises. Aachen 1983. sind. Hier liefen, um ein mögliches weiteres Feld 5 Simone Peschke: Die Trennung des Features ästhetischer Untersuchungen zu nennen, die von vom Hörspiel im Zeitraum 1950 bis 1954 beim Nikolai von Koslowski für SFB/ORB produzierten NWDR. Berlin 1985. Kurz-Features »Moments of History« sowie die 6 Beispielsweise: Hans-Ulrich Wagner: Axel Egge- Reihe »Radio days«, Collagen von historischen brecht – Ernst Schnabel. Künstlerische Möglich- O-Tönen, ein Genre, das zurückreicht auf Hans keiten des Features im NWDR in den Nach- Fleschs »Rückblick auf Schallplatte« von 1930.8 kriegsjahren. Bamberg 1989; Linda Staude: Mon- Ein weiterer bislang nicht beachteter Unter- tage par excellence. Versuch einer Dramaturgie des Hörfunk-Features. Dortmund 1990; Olaf Gra- suchungsgegenstand könnten tagesaktuelle bienski: Zeit der Experimente. Vorläufer des Ra- Features sein, für die zuletzt der MDR zur Flut- dio-Features in der Weimarer Republik. Hamburg katastrophe im sächsischen Grimma im vergan- 1998. genen Jahr ein Beispiel lieferte. Auch in den Be- 7 Frank Kaspar / Christian Deutschmann: Radio- reichen des Literatur-Features, des poltischen Features: ein Befund. 3 Teile. In: epd medien Jg. Features und was der Genres mehr sein mögen 2002, H. 68, S. 3-6; H. 70, S. 5-8; H. 76, S. 3-6. gibt es neue Entwicklungen, die sich an den 8 Vgl. Ansgar Diller: Eine akustische Weltgeschich- Veränderungen des Mediums, seiner Hörer und te. Schallplattenrückblicke im Weimarer Rund- Macher – des kulturellen Umfeldes also – orien- funk. In: Mitteilungen StRuG Jg. 20 (1994), H. 1, tieren. Fixpunkte sind längst nicht mehr Essay S. 49f. oder wissenschaftliche Abhandlung – wenn sie das denn je waren – auch nicht mehr aus- schließlich die Reportage, als vielmehr Techni- Personalakten des Reichssenders ken der Popkultur, Sample-, Remix-, Collage- und Montage-Techniken, die sich des O-Ton- München Materials und Texten gleich welcher Provenienz Eine Quelle im Historischen Archiv des BR bedienen. Wie für das Hörspiel längst diskutiert, gibt es Bei der Sichtung und Erfassung des Aktenbe- auch für das Feature Wechselwirkungen mit der standes im Bayerischen Rundfunk (BR) Ende Musik-Szene. Auch die radioästhetischen Impli- der 80er Jahre wurden in einem alten Holz- kationen längerer Formate, von den langen schrank auf einem Speicher 419 Personalunter- Nächten des DLF und DLR über die Radiotage lagen des Reichssenders München gefunden. des HR im Kontext der historischen Diskussion Es handelt sich um einen zufällig erhaltenen Be- um »die große Form« (Ernst Schnabel, 1955) stand, der die Bombardierungen und Brände des und die daraus resultierenden Soireen des SWF Krieges überstanden hat. Das gilt leider nicht für in den 70er und 80er Jahren, oder im Gegensatz weitere Akten über die Vorgängerorganisationen dazu die Betrachtung des Kurz-Features und Deutsche Stunde in Bayern GmbH (1922-1930), seiner Geschichte böten ein weites Feld für äs- Bayerische Rundfunk GmbH (1931-1934) und thetische Überlegungen, die das Bewusstsein Reichssender München (1934-1945). Aus dieser schärfen könnten für diese genuine Äußerung Zeit sind nur Splitterbestände, z.B. die Gesell- des Hörfunks im Kontext des Gesamtpro- schafterprotokolle, Akten über die NS-Betriebs- gramms. Denn gerade hier: In seiner Wand- zelle und Nachlässe überliefert. lungs- und Anpassungsfähigkeit liegt seine Stär- Beim Reichssender München waren Mitte der ke. Was das Feature leisten kann und soll in 30er Jahre über 300 festangestellte Mitarbeite- sich wandelnden Programmstrukturen, sollte rinnen und Mitarbeiter und mehrere Hundert sowohl für die ästhetische Entwicklung des Gen- freie Künstler beschäftigt. Die Mehrzahl der 419 res wie für rundfunkpolitische Entscheidungen überlieferten Personalakten bezieht sich auf die eine Debatte Wert sein. Jahre von 1937 bis 1944. Die dokumentierten Wolfram Wessels, Mannheim Mitarbeiter waren im Programm, darunter sehr viele im musikalischen Bereich, in der Technik 1 Tamara Auer-Krafka: Die Entwicklung des west- und der Verwaltung tätig. deutschen Rundfunk-Features von den Anfängen Die meisten Akten teilte die Personalverwal- bis zur Gegenwart. Wien 1980. tung in vier Rubriken (für die 40er Jahre auch in 146 Rundfunk und Geschichte 29 (2003)

fünf Rubriken) auf: 1. (Sonstiger) Schriftwechsel Musikers als »Halbjude«. Zu den aus dem Rund- (für die 40er Jahre zusätzlich Personalstand), 2. funk »entfernten« MitarbeiterInnen gehörte auch Urlaub, 3. Krank- und Gesundmeldungen, 4. Rudolf von Scholtz, nach dem Krieg erster In- Vertrag, Erklärungen, usw. Der Umfang der je- tendant von Radio München und anschließend weiligen Akteneinheit variiert zwischen 20 und des Bayerischen Rundfunks. Für einen anderen bis zu 500 Seiten. Mitarbeiter, für den es keine Verwendung gab, Im einzelnen finden sich folgende Quellenar- wurde ein neues Betätigungsfeld gesucht, weil er ten in den Akten: Parteigenosse war. 1. (Sonstiger) Schriftwechsel: Korrespondenz Auch der Alltag der Rundfunkarbeit in der zwischen Mitarbeiter/Mitarbeiterin und Sender, NS-Zeit spiegelt sich wider – Dienstplan, Be- Kopien von Briefen bzw. Bescheinigungen, richte über Intrigen, Dienstreisen der Tontechni- Durchschläge von Mitteilungen der Personal- kerInnen für Aufnahmen von den Olympischen stelle an den Mitarbeiter zum Beispiel über Be- Spielen in Garmisch-Partenkirchen 1936, Front- förderungen, Gewährung von Bitten auf Vor- berichte eines Reporters während des Zweiten schuss etc. Weltkriegs. Zu den Dokumenten des Krieges Vermutlich hat sich bei der Personalabteilung gehören auch Gestellungsbefehle zur Front und herausgestellt, dass eine Vierteilung der Akten Todesanzeigen für gefallene Mitarbeiter. den verwaltungstechnischen Ansprüchen nicht Aufschlussreich ist auch, wie manchmal ver- mehr genügt, weshalb im Laufe der Jahre die sucht wird, nach 1933 und dann wieder nach Rubrik »Personalstand« eingefügt wurde. Hier 1945 (einige Akten haben noch Nachträge aus wurden unter anderem Zeugnisse, Ariernach- der Nachkriegszeit) den Lebenslauf in das je- weise, Führungszeugnisse, Lebenslauf sowie weils rechte politische Licht zu rücken. Erklärungen zu den Kindern der Angestellten abgelegt. Zu bedenken ist, dass die Mitarbeiter- Die Quellengattung Personalakten bietet die Mög- Innen des Reichssenders die beamtenrechtli- lichkeit, eine sozialgeschichtliche Studie über Mit- chen Bedingungen erfüllen mussten, wozu die arbeiterinnen und Mitarbeiter eines Rundfunk- entsprechenden Unterlagen hier abgelegt wur- senders während der NS-Zeit zu erstellen. Ob- den. gleich die Akten nicht vollständig sind, umfassen 2. Urlaub: Gesammelt wurden jeweils die Ur- sie mehrere Jahre und stellen damit eine »natür- laubsanträge, die Urlaubsmeldungen sowie An- liche« Stichprobe dar. Alle Personalebenen sind träge auf Freizeit. Weiter finden sich hier je nach vertreten, vom Hausmeister über den Orches- Mitarbeiter/in noch Informationen zum Sonder- termusiker bis zum Intendanten (Richard Kolb). urlaub oder zur Anzahl freier Tage zum Aus- Die Magisterarbeit »Von der ›Deutschen Stunde‹ gleich von Sonntagsdiensten. zum ›Reichssender München‹ – Der Zugriff der 3. Krank- und Gesundmeldungen: Zu diesen Nationalsozialisten auf den Rundfunk« von Ste- Meldungen kommen noch Schriftwechsel bei- phanie Schrader hat bereits diesen Bestand, spielsweise über Anforderungen eines Attestes wenn auch nur beispielhaft ausgewertet.1 seitens der Verwaltung bzw. das Attest selbst. Darüber hinaus bieten sich als weitere Fra- 4. Vertrag, Erklärungen, usw.: Neben dem gestellungen an: Arbeitsvertrag finden sich hier die internen Ver- - Verhalten des Dienstherrn im Dritten Reich merke bzw. Schriftwechsel über die Beförderung gegenüber den MitarbeiterInnnen, bzw. Anstellung eines Mitarbeiters/einer Mitar- - Kriegsbedingte Auswirkungen auf den Rund- beiterin sowie Schriftwechsel über die Besol- funk anhand des Personalbestandes, dung, Vermerke über Abordnungen sowie Erklä- - Entwicklung des Frauenanteils unter den Mit- rungen über die Zugehörigkeiten zu von den Na- arbeiterInnen im weiteren Verlauf des Krieges, tionalsozialisten verbotenen politischen und ge- - Erfassung und Auswertung des gesamten sellschaftlichen Organisationen (SPD, KPD, Bestandes als sozialgeschichtliche Untersu- Bund Deutsche Schlaraffia e.V. usw.). chung zum Leben im Dritten Reich, Die Akten geben Einblicke in den Alltag der - der Einfluss der NSDAP auf den Rundfunk. Menschen, in die Mangelwirtschaft und die Sor- Die Personalakten sind unter der Signatur gen der Kriegszeit (Klagen über Unterernährung RV/16 in einem Findbuch über die Splitterakten und Tabakmangel, Informationen für Bomben- der Rundfunkvorläufer 1922 bis 1949 im Histori- geschädigte und Kriegswitwen). Deutlich wird schen Archiv des BR mit Namen und Angabe auch die Einflussnahme der NS-Machthaber auf des Berufs erfasst und können im Rahmen der den Rundfunk, vom Dienstgelöbnis auf den Füh- Benutzungsordnung des Archivs jederzeit einge- rer, das jeder zu leisten hatte, über die SS- sehen werden. Demnächst soll das Findbuch Wache am Eingang des Rundfunkgebäudes o- zum Bestand RV (= Rundfunkvorläufer) auch im der die Möglichkeit zur Beurlaubung für den Onlineangebot des BR, auf der Seite des Histo- Reichsparteitag 1936 bis zur Entlassung eines Miszellen 147

rischen Archivs, unter www.br-online.de/br- medial präsenten akustischen Materials. Er stellt intern/geschichte zu recherchieren sein. jedoch – das wurde auf der Tagung deutlich – Raphael Matthias Krug, München ein hohes Maß an medial vermitteltem Sound zur Verfügung. Dies steht jedoch in einem um- 1 Die Magisterabeit ist in überarbeiteter Form ver- gekehrt proportionalen Verhältnis zu der Zahl an öffentlicht in: Studien zur Geschichte des Rund- Untersuchungen, die sich mit der akustischen funks in Bayern. Frankfurt am Main 2002. Seite des im Hörfunk präsenten »Sound« be- schäftigen. Bevor sich die Veranstaltung in zwei getrennt »Sound« tagende Sektionen zu »Film« und »Akustischen Zur Technologie und Ästhetik des Medien« teilte, standen ein wenig heterogen zu- Akustischen in den Medien sammengestellte Einführungsbeiträge auf dem Jahrestagung der Gesellschaft für Programm. Im Einleitungsvortrag des GfM-Vor- Medienwissenschaft in Hamburg sitzenden Harro Segebergs ging es darum, der vielfach selbstverständlich hingenommenen Ver- Die Geisteswissenschaft und auch die aus der schmelzung von Bild und Ton, von Sehen und Sprachwissenschaft hervorgegangene Medien- Hören nachzuspüren. Belege dafür, dass beide wissenschaft tun sich schwer mit den sinnlichen aufeinander »zudrängen«, fand er im Musikthe- Qualitäten der Bilder bzw. Geräusche, gespro- ater Richard Wagners, paradoxerweise im Dis- chene Sprache und Töne vermittelnden elektro- kurs über den Stummfilm, und am Schluss nischen Medien. Das hat viele Ursachen: Jahr- exemplifizierte er seine Beobachtungen an ei- hunderte alt ist in der abendländischen Kultur die nem Ausschnitt aus Kubricks »Odyssee im Welt- allmähliche, aber letztlich gründliche Reduktion raum«. Gleichfalls in einem mediengeschichtli- der Wissenschaftskommunikation auf geschrie- chen Kontext bewegte sich Karl-Heinz Göttert bene Texte und die »schreibbaren« Aspekte von mit seinem vom Gegenstand begeisterten Vor- Bild- und Tondokumenten. Zur Entsinnlichung trag über die Geschichte der Kinoorgeln in trug sicher bei, dass bis vor nicht allzu langer Deutschland. Sie bezeichnete er als einen »Ab- Zeit angesichts der technischen Gegebenheiten kömmling« der seit der Mitte des 19. Jahrhun- eine Verbindung der schriftlichen Kommunikati- derts aus dem (künstlerischen Anspruch erhe- on über Bilder und Töne nur sehr schwer mit benden) Theater allmählich verschwindenden Bewegtbildern und Tonaufnahmen ergänzt wer- Schauspielmusik: Musikbegleitung blieb im den konnte. Um sie kommunizieren zu können, Stummfilm allgegenwärtig, wie überhaupt das müssen Eindrücke und Einsichten verbalisiert vermeintlich nicht zur »hehren« Kunst zählende und verschriftlicht werden, und in der Folge ste- Kino bis in die Gegenwart Musik als selbstver- hen dann auf diese Weise die Inhalte im Vorder- ständlichen Begleiter kennt, als Emotionen ver- grund: Das sichtbare Bild und der hörbare Ton stärkender Faktor. Diesem Vortrag ging – als bzw. der gesprochene Text sind viel zu selten anschauliche Demonstration und wirkliche Be- Gegenstand der Analyse geworden. So offenbart reicherung der Tagung – die Besichtigung der der in diesen Tagen häufig beschworene »iconic aus den späten 20er Jahren des 20. Jahrhun- turn« der Geisteswissenschaft, wie mühsam derts stammenden Studioorgel (gebaut nach über kunstgeschichtliche Zugänge hinaus der dem Prinzip der Wurlitzerorgeln) in den Räumen wissenschaftliche Umgang mit dem Bild als vi- des NDR voraus. Dieser auch durch die beige- suellem Zeugnis und seinem Verhältnis zum fügten Informationen interessante Beitrag veran- verbalen Kontext ist. Ähnliches gilt für die allge- schaulichte seinerseits an einem spezifischen genwärtigen Geräusche und Töne, die Vielfalt Beispiel den Überblick von Heinz Hiebler über des stets präsenten »Sound« in Hörfunk, Film die technischen Möglichkeiten und kulturellen bzw. Fernsehen und natürlich auch in den neuen Zuschreibungen der Apparate, die im Laufe der Medien. Geschichte »Sound« konservierten und distribu- Auch unter diesem Aspekt war es ange- tierten. bracht, dass sich die Jahrestagung der Gesell- Es gibt wenig handfeste wissenschaftliche, schaft für Medienwissenschaft (GfM) in Zusam- d.h. vor allem medienpsychologische Erkennt- menarbeit mit dem Zentrum für Medienkommu- nisse über das Zusammenspiel von Bild und Ton nikation der Universität Hamburg, die vom 25. und deren »Wirkungen« beim Rezipienten. Ein- bis 27. September stattfand, nicht auf die mit blicke in detaillierte Untersuchungen, die dazu dem Hörfunk assoziierten akustischen Phäno- an der TU Braunschweig durchgeführt werden, mene beschränkte, sondern mit deren »Tech- stellten Steffen Lepa und Christian Floto vor und nologie und der Ästhetik« in den Medien insge- wiesen auf erste Ergebnisse hin, wie unter je- samt beschäftigte. Zweifellos repräsentiert der weils bestimmten Bedingungen Konvergenzen Hörfunk durchaus nicht die ganze Breite des 148 Rundfunk und Geschichte 29 (2003)

und Interferenzen bei der Sound-/Bild-Präsenta- Musik vorgeführt und hinsichtlich ihrer textim- tion bzw. -Rezeption festgestellt werden können. manenten und kontextuellen Bedeutungsebenen Aus den beiden bis zum Ende der Tagung interpretiert. Joan Kristin Bleicher machte in ih- parallel laufenden Sektionen kann nicht über alle rem Referat auf die Vielfalt der Sounds im Vorträge berichtet werden, insoweit schließen Netzmedium und die Heterogenität der dabei sich hier einige nicht ganz repräsentative Beob- verarbeiteten alten und neuen Klangkonzepte achtungen an. Ein Detail der »Sound«-Geschich- aufmerksam. Trotz der Schwierigkeit, einen spe- te ist die Entwicklung der Synchronisation fremd- zifischen Sound des WWW zu definieren, ge- sprachiger Filme seit dem Aufkommen des Ton- lang es Bleicher auf spezifische »Sound«-Pro- films, die Joseph Garncarz in knappen, wie ein- bleme der traditionellen und avantgardistischen leuchtenden Grundzügen vorstellte. Kulturelle Nutzung von Tönen im Netz hinzuweisen. Im Prägungen und wirtschaftliche Überlegungen Anschluss an diesen Vortrag hatte Corinna Mül- waren Ursache für unterschiedliche Vorgehens- ler in ihrer ersten Amtshandlung als neue Vorsit- weisen, die bis heute gängig sind: lippensyn- zende der GfM die traurige Aufgabe, die Ta- chrone Sprache, sogenannte Voice-Over, Unter- gungsteilnehmer über den überraschenden Tod titelung. Interessant war der Hinweis auf das all- von Peter Hoff in Kenntnis zu setzen und den gemeine, lang anhaltende Befremden beim Zu- sofortigen Abbruch der Tagung zu veranlassen. schauer darüber, dass das Bild eines Menschen Deren Dokumentation soll im übrigen dem An- nicht gleichzeitig von seiner Stimme begleitet denken des Verstorbenen gewidmet werden, wie war. jetzt bekannt wurde. Daniel Gethmann stellte aus einem größeren In der Mitgliederversammlung der Gesell- Forschungszusammenhang seine Thesen da- schaft für Medienwissenschaft (GfM) am 26. rüber vor, wie die Vorstellung der »Ansprache« September 2003 wurde auf die auch im Studien- an das nicht anwesende Publikum das Sprechen kreis Rundfunk und Geschichte thematisierte verändert habe. Vergleiche sind schwierig, da für Problematik medienhistorischer Archive und ih- den von ihm behandelten Zeitraum kaum rer Nutzungsmöglichkeiten vor allem für junge »Sprachkonserven« vorliegen und die Belege für Forscher hingewiesen. Wichtigster Tagesord- eingetretene Veränderungen fast ausschließlich nungspunkt der Versammlung waren turnusge- aus Äußerungen über das Sprechen gewonnen mäß Vorstandswahlen. Harro Segeberg wurde werden können. Hier hatte es Hans-Ulrich Wag- mit Ablauf der Wahlperiode als 1. Vorsitzender ner in seinen Ausführungen zur »Klangarchäolo- der GfM von Corinna Müller (Hamburg) abgelöst. gie der bundesrepublikanischen Nachkriegszeit« Die nächste Jahrestagung soll vom 30. Septem- leichter. Denn für die steht ausreichendes Mate- ber bis 2. Oktober 2004 in Braunschweig statt- rial zur Verfügung, dessen Analyse allerdings finden und sich auf Initiative der AG Computer- über das intuitive Erspüren von Unterschieden spiele mit dem Thema »Das Spiel mit dem Me- nicht so einfach ist. Wagner widmete sich in sei- dium« beschäftigen. nem Vortrag über den Sound der 50er Jahre Heinz Hiebler, Graz / Edgar Lersch, Stuttgart »der akustischen Textur einer Epoche«. Am Beispiel des Kölner Reporters Bernhard Ernst, von dem drei Vergleichstöne aus den 30er, 40er Mediensammlungen in Deutschland und 50er Jahren präsentiert wurden, stellte im internationalen Vergleich Wagner erste Ergebnisse seiner klangarchäolo- Symposium des Netzwerks Mediatheken gischen »Probebohrungen« im Spannungsfeld in Bonn zwischen den historischen und aktuellen Bezie- hungen von Diskursen und technischen Stan- Netzwerke sind angesagt und die Netzwerker dards vor. Elke Huwiler beschäftigte sich mit den gefordert, vor allem im föderalen Deutschland. narrativen Strukturen des audiophonen Hör- Und wenn es um die Sicherung und Nutzbarma- spiels. Anhand repräsentativer Beispiele verwies chung des audiovisuellen Erbes, also der Bild-, sie auf die narrativen Funktionen nichtsprachli- Film-, Radio- und Fernsehüberlieferung, geht, ist cher Zeichensysteme, die in der literaturwissen- das aller Anstrengungen wert, auch eines so schaftlichen Auseinandersetzung mit dem tradi- ambitionierten Symposiums, wie es das Haus tionellen literarischen Hörspiel bislang weitge- der Geschichte gemeinsam mit dem Deutschen hend ausgeblendet blieben. Rundfunkarchiv (DRA) unter dem Titel »Medien- Michael Schaudig steuerte einen amüsanten sammlungen in Deutschland im internationalen Beitrag zur Komposition, Kompilation und Dra- Vergleich. Bestände und Zugänge« am 7. und 8. maturgie der Filmmusik in der Fin-de-Siècle- Oktober 2003 in Bonn veranstaltete. Tetralogie von Max Ophüls bei. Vor allem am Zum Erfahrungsaustausch waren viele, wenn Beispiel der »Liebelei« (1933) wurden verschie- auch nicht alle maßgeblichen Experten, geladen dene Formen des Verhältnisses von Film und und die Geladenen kamen in großer Zahl; rund Miszellen 149

240 Teilnehmer bevölkerten den großen Saal im gewesen wäre. Was auf dem Feld der Hoch- Haus der Geschichte. schulmediatheken an Redundanzen der Bestän- Vorab: Nur ein funktionierendes Netzwerk mit de, an Doppelläufigkeiten der Dokumentation arbeitsteiliger Kooperation kann in der föderalen und damit an Vergeudung von Ressourcen vor- Bundesrepublik die gewaltigen Probleme der Si- kommt, ist unglaublich, liegt aber außerhalb der cherung, vor allem aber der Nutzung von AV- öffentlichen Wahrnehmung, auch der zuständi- Quellen lösen. Folgerichtig war das vor einigen gen Kulturbürokratie. Selbstverständlich weiß Jahren vom DRA unter seinem rührigen und ich, dass hier fehlende normative Regelungen umtriebigen Vorstand Joachim-Felix Leonhard ebenso wie bisher nicht zustande gekommenen initiierte »Netzwerk Mediatheken« ein absolut Vereinbarungen mit den Urheberrechtsinhabern richtiger Ansatz; alle noch so verführerisch da- und deren Dachorganisationen für diese misslich herkommenden zentralistischen Lösungen sind Lage und das Abtauchen der Einrichtungen mit von vornherein zum Scheitern verurteilt. Für ei- verantwortlich sind. Aber natürlich spielen auch nen vernetzten föderalen Verbund von Mediathe- Kirchturmdenken, Autarkiebestrebungen und aus- ken und Filmarchiveinrichtungen spricht außer- schließliche Fokussierung auf die eigene Klientel dem, dass inzwischen die Informationstechnolo- eine Rolle, offenbaren sich doch hier die binnen- gie immer leistungsfähigere Retrieval- und Con- strukturellen Schwachstellen. Für deren Lösung tent-Managementsysteme zur Verfügung stellt, hätte ein Symposium dieses Zuschnitts Hilfe- die eine (heute fehlende) Harmonisierung der stellung anbieten können, aber dieses Thema Dokumentationssprachen und Erschließungs- fehlte leider auf der Agenda. ebenen ausgleichen und damit überflüssig ma- Die Einrichtungen, die sich vorstellten, betrei- chen. Der Netzwerkverbund ermöglicht dann, ben alle wichtige Kulturarbeit, ob es nun das wenn er funktioniert, einen weit gespannten in- Haus des Dokumentarfilms, das Deutsche Insti- haltlichen Zugriff auf AV-Bestände. Dass aller- tut für Filmkunde oder auch das Archiv von dings Sammlungsschwerpunkte und Bewertung Daimler Benz sind. Allein die jeweils eigene Ein- von Beständen unbedingt zwischen den betei- richtung anhand des jeweiligen Hausflyers vor- ligten Institutionen abgestimmt werden sollten, zustellen, genügt allerdings trotz so manch ge- ist ein anderes Thema und Kapitel in der unendli- lungener Slogans – besonders putzig »Wir schaf- chen Geschichte der AV-Archivierung in Deutsch- fen das Portal der Portale« – einfach nicht. So land. wurde die Gelegenheit verschenkt, die wirklichen In den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstal- Probleme der Archivierung und Nutzbarmachung ten und auch in den im Tagungsprogramm so audiovisueller Bestände zu diskutieren, als da bezeichneten klassischen Archiven – dort vor wären: Koordinierter Bestandsaufbau, Harmoni- allem hinsichtlich Zuständigkeit und normativer sierung der Zugangsbedingungen (Nutzungsord- Regelungen – ist die Welt noch absolut in Ord- nungen) und vor allem Erarbeitung normativer nung, und so soll es auch bleiben; das war das Rahmenvorschläge für eine Liberalisierung der Fazit des ersten Tages, wie mir kompetent be- Nutzung sowie Schaffung von Instrumentarien richtet wurde. Der interessantere Part war der zur Einwirkung auf den öffentlichen und politi- zweite Tag der Veranstaltung, an dem es um schen Raum sowie die gesetzgeberischen Insti- spezielle Mediensammlungen und um das Span- tutionen. nungsfeld zwischen Urheberrecht und Nutzung Wie man die Thematik von Netzwerken zur des Kulturgutes ging. Erhaltung audiovisuellen Kulturguts differenzier- Hier wurde nun eine Chance vertan und lei- ter anfassen kann, zeigte der Schweizer Me- der zu viel Zeit für allzu Bekanntes und für Pro- dienarchivar Kurt Degeller auf. Dieser konnte mit paganda in eigener Sache verschenkt. Überdies seiner Einrichtung Memoriav die richtungwei- waren die wichtigsten Säulen der AV-Versor- senden Entwicklungen in der Schweiz durch ge- gung von Wissenschaft, Forschung und Lehre, zielte Einwirkung auf den Gesetzgeber positiv die an allen deutschen Hochschulen existieren- beeinflussen. Nicht etwa, dass das Schweizer den und oft sehr gut ausgebauten Mediatheken Modell eins zu eins auf die Bundesrepublik und Videotheken, überhaupt nicht vertreten. Oh- übertragbar wäre, aber zumindest die archiv- ne diese Einrichtungen, die zusammen über politischen Ansätze könnten Vorbildwirkung in (geschätzt, da nur im Einzelfall ermittelbar) meh- Deutschland haben. rere Millionen Medieneinheiten verfügen, wäre Dass der Tag und damit das Symposium eine Versorgung des Wissenschafts- und Hoch- dennoch gerettet wurden, ist den Juristen zu schulbetriebs überhaupt nicht möglich. Und ge- verdanken: Hochkarätige Beiträge von Tomas rade auf diesem Sektor wären Netzwerk- und Brinkmann, Christoph Bach und Franzisco Verbundlösungen notwendiger denn je, so dass Cabrera Blázquez machten das Plenum sensibel eine Beteiligung dieser Institutionen an dem für die vielschichtigen Probleme des Urheber- Symposium für die Teilnehmer hoch interessant rechts, das Spannungsfeld zwischen Urheber- 150 Rundfunk und Geschichte 29 (2003)

schutz und öffentlichem Kommunikationsinte- dio- und Videointerviews mit zahlreichen Per- resse sowie für den Datenschutz im besonderen sönlichkeiten, die die TV-Branche in den USA – Kontext des Medienprivilegs, das als Freistel- und damit die Programme in der ganzen Welt – lungsklausel für die eigene journalistische Arbeit maßgeblich geprägt haben, auch in Deutschland wirkt. Und natürlich wurde, so von Blázquez, die als Quelle und Schnittstelle für die wissenschaft- Notwendigkeit einer Harmonisierung des Urhe- liche und praktische Medienarbeit zur Verfügung. berrechts auf europäischer Ebene gefordert. Zunächst auf die Geschichte des amerikani- Dabei wurden vor allem die Ohnmacht und fakti- schen Fernsehens beschränkt, soll die Samm- sche Wirkungslosigkeit dieses speziellen Rechts- lung später auf das europäische Fernsehen körpers hinsichtlich der Eindämmung von allseits ausgeweitet werden. praktizierter Datenpiraterie deutlich. Blásquez Das Projekt selbst ist seit 1995 am Center for brachte es auf den Punkt: Dem Internetnutzer ist the Study of Popular Television an der S.I. New- alles, »...ob legal oder illegal, egal«. house School of Public Communications der Sy- In der von Axel Bussek behutsam moderier- racuse University (New York) angesiedelt, ge- ten lebhaften Diskussion wurden viele Probleme leitet von Robert J. Thompson und betreut von des Urheberrechts, der Verwertung und einer David Marc. Im Vordergrund der Aktivitäten ste- missbräuchlichen Bestandsnutzung durchdekli- hen genreorientierte Befragungen und Gesprä- niert und es wurden vom Podium nützliche Hin- che mit Pionieren und Visionären, Gründern und weise bei konkreten Fragen gegeben; so etwa, Erfindern, Autoren und Regisseuren, Financiers ob Intranetnutzung im Gegensatz zur Internet- und Meinungsmachern. In Sitzungen zwischen nutzung bereits mit den geltenden Normen kolli- 30 Minuten und sieben Stunden Länge (in der diere, und wie sich eine adäquate Klärung von Regel eineinhalb bis zwei Stunden) geben sie Altrechten wohl am besten bewerkstelligen las- Auskunft über bahnbrechende Sendungen und se. Deutlich wurde in der Diskussion, dass viele trendsetzende Formate, die Strukturen und die der praktischen Schwierigkeiten auf die prozes- Geschäfte der Sender, die Macht der Werbung suralen Abläufe im Dreieck Produktion/Sen- und die Einflüsse der öffentlichen Meinung, aber dung/Verwertung zurückzuführen sind. Dass a- auch über die Probleme mit den Auswirkungen ber eine völlig neue Dokumentdefinition durch der Political Correctness, mit gesellschaftlichen Digitalisierung möglich sei, wie es der Berliner Tabus sowie ethnischer oder geschlechtsspezifi- Medienwissenschaftler Wolfgang Ernst allen scher Diskriminierung auf bzw. hinter dem Bild- Ernstes vorschlug (oder war es doch ein Joke?), schirm. Der Schwerpunkt liegt bewusst nicht auf das schien dem Podium denn doch eine zu der klassischen Massenkommunikations- und waghalsige Interpretation. Wirkungsforschung, sondern eindeutig auf den Christoph Bach blieb es vorbehalten, die handelnden Personen und den involvierten In- Fragwürdigkeit der offensichtlich auch von eini- stitutionen mit dem Ziel einer differenzierten Be- gen Teilnehmern des Symposiums praktizierten trachtung und Diskussion des Unterhaltungsfern- Laissez-faire-Methode bei der Internetnutzung sehens, dessen Gesetzmäßigkeiten und Prozes- (legal, illegal, egal) auf den rechtsproblemati- se es transparent zu machen gilt. schen Kern zurückzuführen: »Wir dürfen doch Die Statements werden je nach Bedarf oder nicht eine Mißachtung der Norm auch noch be- Möglichkeit vor Ort bei den Protagonisten oder fürworten, würden wir uns doch damit für einen im Studio aufgezeichnet, wobei die Technik von Rückzug aus der Rechtsordnung entscheiden.« einfachem DV-Equipment bis zu professioneller Dem ist nichts hinzuzufügen. 2-Kamera-Ausrüstung reicht. Auf eine Standar- Heiner Schmitt, Ingelheim disierung der Aufnahmesituation (Hintergründe, Einstellungen usw.) wurde offensichtlich ebenso verzichtet wie auf eine vorgegebene Gesprächs- Wie Columbo ermitteln lernte führung, so dass sich die Fragen an den The- The Oral History of Television Project men und Akteuren orientieren und voneinander prinzipiell abweichen können. Die Aussagen sind Nach vierjährigem Bemühen und Aufbau konnte zudem alle transkripiert und lassen sich bis auf die Universität der Künste (UdK) in Berlin Ende wenige Ausnahmen als Video-, Audio- und Text- November 2003 ein Fernseharchiv der besonde- dokumente für die Recherche, Forschung und ren Art eröffnen. Dem Institut für zeitbasierte Lehre nutzen: Trotz der eingeholten Einver- Medien im Fachbereich Gestaltung ist es gelun- ständniserklärung der Gesprächspartner behält gen, eine Dependance des weltweit ersten sich das Center vor, bei Verletzung von Persön- »Oral History Project« zur Entwicklungsge- lichkeitsrechten oder bei alters- und krankheits- schichte der amerikanischen Television exklusiv bedingten Fehlleistungen das Material nicht frei- an die Spree zu holen. Damit steht eine renom- zugeben. Darüber hinaus steht das Archiv für die mierte Sammlung von bislang mehr als 200 Au- Verwertung von Ausschnitten für öffentliche Prä- Miszellen 151

sentationen oder in Fernsehdokumentationen der ebenfalls förderabhängigen Mediathek im offen, wobei die Rechte selbstverständlich abge- Filmmuseum Berlin verstanden wird, der aller- golten werden müssen. dings als reine Programmgalerie für ein Mas- senpublikum eben ein solches Benefit für das Die medienhistorische und ausbildungsrelevante gebende Unternehmen fehlt. Bedeutung dieser Forschungsstelle hat der hie- Thomas Beutelschmidt, Berlin sige Initiator, der Experimentalfilmer und UdK- Professor Heinz Emigholz, erkannt und sich dankenswerter Weise um eine Duplizierung aller 50 Jahre Fernsehen in der Schweiz Mitschnitte bemüht. Er möchte seinen Studen- ten, aber auch Fachbesuchern und Fernsehma- In Ausstellung, Buchpublikation, PR-Broschüren chern die Möglichkeit geben, sich mit den inter- und Sondersendungen erinnert die Schweiz an nen Funktionsweisen, den ökonomischen Zwän- ihren Fernsehstart 1953 – vor 50 Jahren. gen, den politischen Abhängigkeiten, den techni- Im Museum für Kommunikation in Bern schen Voraussetzungen und vor allem den stilis- wurde am 18. September 2003 in Kooperation tischen sowie ästhetischen Innovationen, me- mit der Schweizerischen Rundfunk-Gesellschaft dienübergreifenden Phänomenen und damit (SRG) die Ausstellung »prime time. 50 Jahre künstlerischen Potentialen eines oft belächelten, Fernsehen in der Schweiz« während einer Ver- teilweise verurteilten und doch so erfolgreichen nissage und in Anwesenheit der ersten Fernseh- Fernsehsystems vertraut sowie für die eigene ansagerin, Rosmarie Betschart-Burri, eröffnet. kreative oder reflexive Arbeit produktiv zu ma- Die Ausstellung ist von Dienstag bis Sonntag chen: Wer war wo beteiligt? Wie sind Ideen für von 10.00 bis 17.00 Uhr und noch bis zum März bestimmte Stoffe und Formen entstanden? Wie 2004 zu sehen. Die Ausstellungsmacher tragen gestaltete sich der Produktionsalltag? Welche dem Umstand Rechnung, dass von einem Spielräume und Grenzen sind zu konstatieren? »Schweizer Fernsehen« keine Rede sein kann, Gerade in Hinblick auf die gut 50 Jahre Nach- da sich das neue Medium in den einzelnen kriegsgeschichte des Fernsehens in Deutsch- Sprachregionen äußerst unterschiedlich entwi- land ist es nicht nur opportun, sondern obligato- ckelte. Deswegen sollen den Besucherrinnen risch, sich neben der BBC als Vorbild eines öf- und Besuchern die jeweils anderen Fernsehkul- fentlich-rechtlichen Rundfunks intensiver mit den turen des Landes erschlossen werden, die ihnen Wurzeln und Gesichtern des kommerziellen – trotz geografischer Nähe – bisher verschlos- Fernsehens aus europäischer Sicht auseinan- sen geblieben sind. Der Fernsehalltag der Kon- derzusetzen: Von Beginn an waren erwiesener- sumenten wird durch ein das Jahrzehnt reprä- maßen viele der populären Unterhaltungssen- sentierendes Wohnzimmerambiente rekon- dungen Übernahmen oder Kopien von US-Pro- struiert. Zu sehen sind neben ausgewählten grammen, die nicht nur Robert Lembke oder Programmbeispielen auch Originalobjekte von Peter Frankenfeld aufgegriffen und national den ersten Studiokameras bis zu Zeitungsaus- adaptiert haben. Trotz dieser zunächst indirekten schnitten, die die Ambivalenz zwischen Medium und später – durch den gestiegenen Ankauf un- und Publikum dokumentieren. zähliger Serien und TV-Movies – direkten Prä- Beiträge zur Außen- und Innensicht bietet der senz des amerikanischen Mainstreams sind – Sammelband »50 Jahre Schweizer Fernsehen. und da sind viele Medienwissenschaftler nicht Zum Fernseh‘n drängt, am Fernseh‘n hängt ausgenommen – die dortigen Zusammenhänge doch alles« (Baden: hier + jetzt, Verlag für Kultur und damit verbundenen Personen hierzulande und Geschichte 2003, 463 Seiten). Auffällig am erstaunlich unbekannt geblieben: Wer könnte Buchtitel ist, dass der Begriff »Schweizer Fern- schon auf Anhieb Namen wie Joan Ganz Coo- sehen« verwendet wird, den die Ausstellung mit ney (Erfinderin von »Sesame Street«), William guten Gründen verworfen hat. Zu Wort kommen Link (Produzent von »Columbo«) oder Reese in der Anthologie 25 Autorinnen und Autoren – Schonfeld (Mitbegründer von CNN) einordnen? im weiteren Sinne knapp die Hälfte aus dem Ein Interesse an diesen Vorreitern und ihren Dunstkreis der SRG, weil zeitweilige Mitarbeiter, Erfahrungen hat auch der Sponsor der Berliner danach aber in anderen Bereichen tätig. Die an- Forschungsstelle formuliert. Die ProSiebenSat.1 deren Beiträge aber haben Außenstehende ver- Media AG begründete ihre Unterstützung für den fasst. Einer der umfangreichsten kommt auch Archivankauf und die Einrichtung eines Sich- aus deren Reihen: Der Publizist Hans Peter tungsraumes unter anderem damit, dass sich Treichler bietet einen mehr als 30seitigen Über- ihre Mitarbeiter über das professionelle Know- blick über die 50 Jahre des Mediums aus der how im Fernsehgeschäft jetzt aus erster Hand Perspektive »eines teilnehmenden, manchmal informieren können. Es ist nur zu hoffen, dass verwunderten, grundsätzlich aber wohlwollenden ein solches Engagement nicht als Alternative zu Zuschauers«. Es folgen Ausführungen von Poli- 152 Rundfunk und Geschichte 29 (2003)

tikern, SRG-Managern, Programmmachern und das 1903 gegründet wurde und damit die älteste (Medien-)Wissenschaftlern zur Interpretation der derartige Einrichtung in Europa ist. Freilich ent- vom sogenannten Schweizerischen »Medienmi- spricht die derzeitige personelle Ausstattung mit nister«, der ebenfalls zu Wort kommt, erteilten einer 0,75-Ordinarius-Stelle keineswegs der his- Konzession, aber auch zum publizistischen torischen Bedeutung des Instituts. Der aus der Selbstverständnis des Fernsehjournalismus, zu personellen Unterbesetzung resultierenden Schwä- Unterhaltung und Sport, zur Werbung und zu che stehen freilich Stärken gegenüber, wozu en- technischen Fragen. Mit einer Chronik und meh- ge Beziehungen zum SRG-Forschungsdienst reren Registern endet der Sammelband, der sich und die Einwerbung von Drittmitteln, auch für damit auch als Nachschlagwerk eignet. medienhistorische Forschungsprojekte, beitra- Auch die zweite Ausgabe des überregionalen gen. Print-Magazins der SRG für 2003 »idée suisse« Zunächst führte Mäusli in den Stand des steht ganz im Zeichen des Fernsehjubiläums. In Projekts »Geschichte der SRG« von 1958 bis jeweils bis zu dreiseitigen und mit Fotos illus- 1985 ein, das keine Hausgeschichte werden soll, trierten Beiträgen äußern sich frühere und noch sondern eine auf wissenschaftlicher Grundlage aktive Programmmacher zu ihrem Metier, aber erarbeitete erste Überblicksdarstellung, die auch auch kritische publizistische Begleiter waren zu auf Forschungsdefizite aufmerksam macht. Da- Stellungnahmen eingeladen worden. Auch die nach ging Co-Projektleiter Steigmeier auf Ein- Hauszeitung des Schweizer Fernsehens für die zelheiten ein. Das Forschungsprojekt soll den deutsche und rätoromanische Schweiz nimmt Beitrag von Hörfunk und Fernsehen zum gesell- sich des Jubiläums an. Jedem Jahrzehnt sind schaftlichen Wandel in der Schweiz untersu- zwölf großformatige illustrierte, mit Anekdoten chen. Beteiligt sind sechs Autoren, die in jeweils angereicherte Beiträge gewidmet – aus der Per- eigenen Themenbereichen ihre Forschungser- spektive der Macher wie der Rezipienten. gebnisse ausbreiten. Im Gegensatz zur Ge- Fast das ganze Jahr über erinnerte das schichte der SRG bis 1958, die 2000 erschien,2 Schweizer Fernsehen im Programm an seine soll bei der Nachfolgepublikation, deren Veröf- Geschichte – wiederholte die Sendungen zum fentlichung für 2006, dem 75-jährigen Jubiläum zehnjährigen und 25-jährigen Jubiläum, veran- der SRG, vorgesehen ist, auf einen separaten staltete unterhaltende Nostalgienächte, hielt aber Bildband verzichtet werden. Stattdessen steht auch kritische Rückschau auf die Vergangenheit, der wissenschaftlichen Analyse mehr Raum zur indem beispielsweise der Wandel der Berichter- Verfügung, wobei die in diesen Band integrierten stattung untersucht wurde. Die Zeitreisen wur- Fotos auch als historische Quelle gewürdigt den stets mit Aussagen von Zeitzeugen konfron- werden sollen. Eine besondere Herausforderung tiert. sehen die Projektleiter in ihrem Vorhaben, die Ansgar Diller, Frankfurt am Main Autoren in ihrer jeweiligen Muttersprache (vier in Deutsch und jeweils einer in Französisch und Italienisch) zu Wort kommen zu lassen – mit Rundfunk und gesellschaftlicher dem Kompromiss jeweiliger fünfseitiger anders- Wandel sprachiger Zusammenfassungen. Kolloquium der SRG in Bern Einblicke in ihr »work in progress« boten an- schließend Nicole Gysin bzw. Rudolf Müller, die Zum 10. Kolloquium zur Geschichte der Schwei- erste Ergebnisse ihrer Studien zum Thema zer Rundfunk-Gesellschaft (SRG) trafen sich am »Kultureller Wandel« bzw. »Innovation und Fort- 19. September 2003 mehr als zwei Dutzend schritt« boten. Dabei kamen u. a. die Befürch- Wissenschaftler und Praktiker in der Universität tungen zur Sprache, dass die Schweiz durch den Bern, um sich über den Stand des Projekts infor- Import fremden Gedankenguts unterwandert mieren zu lassen und um über weitere rundfunk- würde und deswegen nicht mit ausländischen historische Forschungen sowie über Quellen und Fernseh-Anbietern kooperieren dürfe. Virulent deren Zugänglichkeit zu referieren und zu disku- wurde in den 60er Jahren der Gegensatz von tieren. Damit setzten die derzeitigen Projektlei- Kultur versus Kommerz, der dennoch 1965 zur ter, Theo Mäusli und Andreas Steigmeier, die Einführung der Werbung im Fernsehen führte von Markus T. Drack 1996 begründete Tradition zugunsten eines bisher fernsehfreien Dienstags, fort, Stand und Verlauf des von der SRG groß- der nunmehr der »Kultur« vorbehalten blieb. zügig geförderten Vorhabens zur Geschichte ih- Darüber, was im Einzelnen unter kulturellen rer Organisation transparent zu machen und in Sendungen zu verstehen sei, entwickelte sich im seinem Umfeld entstehende wissenschaftliche weiteren Verlauf der Tagung eine aufschlussrei- Arbeiten vorzustellen.1 che Diskussion: So berichteten Vanessa Acher- Eingangs stellte Roger Blum das Institut für mann und Gabriel Häusler über Ergebnisse ihrer Medienwissenschaft der Universität Bern vor, Forschungen im Seminar »Programmentwick- Miszellen 153

lung von Radio und Fernsehen in der Schweiz und Theaterwissenschaft – zusammenbringen, 1922-1983«, wobei sie zum Schluss die Frage um sich über den gegenwärtigen Forschungs- offen ließen, ob es mehr oder weniger Kultur von stand wie auch über Forschungsperspektiven 1958 bis 1984 gegeben habe, als in den SRG- aus der Sicht der verschiedenen Disziplinen Geschäftsberichten ausgewiesen ist. Markus T. auszutauschen. Welche speziellen Erkenntnis- Drack machte als Zeitzeuge – er war als SRG- interessen stehen jeweils im Fokus der For- Pressechef für etliche Jahre im fraglichen Zeit- schung, welche theoretischen Ansätze werden raum für den SRG-Geschäftsbericht und die vertreten, welche Quellen werden wie genutzt, darin enthaltene Statistik zuständig – darauf welche Probleme harren einer Lösung? aufmerksam, mit welcher Zielsetzung solche Er- Insbesondere durch die Podiumsdiskussion, hebungen entstehen: Sie sollten vor allem dem die von BR-Chefredakteurin Mercedes Riederer Image des Unternehmens dienen. Daraus zu moderiert wird, sollen Zeitzeugen und Experten schließen, dass sie wissenschaftlichen Ansprü- wie Hildegard Hamm-Brücher, Christian Ude, chen nicht gerecht werden können, liegt auf der Wolf-Dieter Ring, Dietrich Schwarzkopf, Albrecht Hand – zumal auch thematisiert wurde, wozu Hesse, Wolfgang Langenbucher und Michael denn Sport- und Kirchensendungen zu zählen Crone eine breitere Öffentlichkeit ansprechen. sind: zur Kultur oder zum Aktuellen? Eine kleine Ausstellung mit Karikaturen, Fotos, Diese Frage blieb wie so viele andere offen, Zeitungsausschnitten und Tondokumenten wird die nicht anhand vorhandener Protokolle oder an diese turbulente (Rundfunk-)Zeit erinnert. anderer schriftlicher Unterlagen, was viele Teil- Zu Tagungsbeginn werden Ansgar Diller vom nehmer beklagten, beantwortet werden können. Deutschen Rundfunkarchiv Frankfurt am Main Antworten darauf werden vielleicht nachfolgende und Reinhold Viehoff von der Universität Halle Kolloquien geben können. einleitende Anmerkungen zum Forschungsstand Ansgar Diller, Frankfurt am Main aus rundfunkhistorischer und medienwissen- schaftlicher Sicht machen. Es schließen sich 1 Vgl. Markus T. Drack (Hrsg.): Radio und Fernse- Blöcke mit Referaten zu programmgeschichtli- hen in der Schweiz. Geschichte der Schweizeri- chen Aspekten an. Im Einzelnen geht es um die schen Rundspruchgesellschaft SRG bis 1958. Wahlberichterstattung im Fernsehen, um theo- Baden 2000. Rezension in: RuG Jg. 27 (2001), H. 1/2, S. 102f. retische und methodische Probleme der Pro- grammgeschichte anhand eines Schweizer For- 2 Vgl. Ansgar Diller: Neuere Forschungen zur Ge- schungsprojekts, um das Nachtprogramm, den schichte des Rundfunks in der Schweiz. In: RuG. Jg. 25 (1999), H. 1, S. 66f.; Ders.: Rundfunkge- Frauenfunk, das Hörspiel der 50er Jahre, um 50 schichtsforschung in der Schweiz. Die zweite Jahre Abendschau, die Berichterstattung des Runde. In. RuG Jg. 27 (2001), H. 3/4, S. 182f. Hörfunks über die Studentenbewegung in den Jahren 1967 und 1968, um Rezeption, das ame- rikanische Austauschprogramm für bayerische Studien zur Rundfunkgeschichte Journalistinnen nach 1945 und bayerisch-franzö- nach 1945 sische Rundfunkkontakte. Zum Ausklang wird Eine Tagung in München ein architekturhistorischer Vortrag über das Köl- 15. - 17. Januar 2004 ner Funkhaus angeboten, der zur abschließen- den Führung durch das BR-Funkhaus überleiten soll. Eine öffentliche Podiumsdiskussion zum Thema Die einzelnen Referate werden von verschie- »Ein bayerischer Sonderweg? – Die Debatten denen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaft- um den Rundfunk zu Beginn der 70er Jahre, der lern kommentiert und danach im Plenum disku- Artikel 111a der Bayerischen Verfassung und die tiert. Ein Tagungsband ist vorgesehen. Das de- Folgen« bildet den Auftakt zu einer dreitägigen taillierte Programm ist auf den Seiten des Histo- Tagung zur Rundfunkgeschichte nach 1945 rischen Archivs in BR-online (www.br.online.de/ beim Bayerischen Rundfunk (BR) in München br-intern/geschichte) abrufbar. vom 15. bis 17. Januar 2004. Organisatoren sind Anmeldungen nimmt die Tagungsleitung ent- die Fachgruppe Kommunikationsgeschichte der gegen: Markus Behmer und Michael Meyen, Deutschen Gesellschaft für Publizistik und Kom- Fachgruppe Kommunikationsgeschichte der munikationswissenschaft und das Historische DGPuK, Tel. 089/2180-9494 oder -9458 Mail: Archiv des BR in Zusammenarbeit mit dem Stu- [email protected] / [email protected]; Betti- dienkreis Rundfunk und Geschichte und dem na Hasselbring, Bayerischer Rundfunk, Histori- Münchner Arbeitskreis öffentlicher Rundfunk. sches Archiv, Tel. 089/5900-3293, Mail: Betti- Die Tagung will Forscherinnen und Forschern [email protected]. unterschiedlicher Fächer – Kultur- und Sozial- Bettina Hasselbring, München wissenschaft, Geschichte, Kommunikations- und Medienwissenschaft, Germanistik, Volkskunde Rezensionen

Moshe Zuckermann (Hrsg.) Zunächst stand die Reflexion über die geistigen und Medien – Politik – Geschichte. materiellen Trümmer im Mittelpunkt, danach wurde (= Tel Aviver Jahrbuch für deutsche Geschichte, der Wiederaufbau, unter Ausblendung der NS-Ver- Bd. 31). gangenheit, gefeiert. Der »medialen Präsenz (und Göttingen: Wallstein Verlag 2003, 448 Seiten. Absenz) deutscher Intellektueller im 20. Jahrhundert« im Hörfunk spürt Jochen Hörisch von der Universität Anknüpfend an einen von Siegfried Kracauer in der Mannheim nach. Dabei handelt es sich um den Ab- ›Frankfurter Zeitung‹ vom 9. November 1932 unter druck zweier Vorträge, wobei es sich beim zweiten dem Titel »Gestern – Heute – Morgen. Zum Thema um den 1997 im SWF-Hörfunk gehaltenen (Fest)Vor- Rundfunk« publizierten Beitrag weist der Herausge- trag zum 50-jährigen Bestehen, der Sendereihe »Die ber in seinem Editorial auf den »Doppelcharakter der Aula – Die Stimme der Universität« handelt. Von ei- Medien als möglicher Aufklärungs-, aber eben auch ner Absenz der Intellektuellen kann weder in dieser als Propaganda- bzw. Manipulationsapparat« (S. 9 ) Reihe noch in den Programmen anderer Rundfunk- hin. Das gelte natürlich auch für die Vermittlung von anstalten die Rede sein, erinnert sei – pars pro toto – Geschichte, wie die TV-Serie »Holocaust« Ende der an Max Horkheimer und Theodor W. Adorno. Weitere 70er Jahre nicht nur in den USA und in Deutschland, Beiträge befassen sich u.a. mit dem »Internationalen sondern auch in Israel bewiesen habe. Deswegen Frühschoppen« und Werner Höfers stets geleugne- müsse das Phänomen des massenmedial verbreite- ten Verstrickungen in die Medienlenkung des Dritten ten Geschichtsbewusstseins einer eingehenden Dis- Reichs sowie den Sendungen des Zweiten Deut- kussion unterzogen werden. schen Fernsehens über die »Endlösung«. Dieser Herausforderung stellen sich 14 Wissen- Das Jahrbuch, angereichert um Miszellen bei- schaftlerinnen und Wissenschaftler vorwiegend aus spielsweise über die Akzeptanz von Richard Wag- Deutschland, aber auch den USA, Großbritannien ners Musik in Israel und längere Rezensionen, spie- und Österreich. Auf Film und Rundfunk verteilen sich gelt in eindrucksvoller Weise das breite Spektrum der zu nahezu gleichen Teilen die Themen; analoge Pa- auf die Geschichte Deutschlands bezogenen Interes- rität herrscht auch zwischen Hörfunk und Fernsehen. sen der Universität Tel Aviv wieder. Auf Lücken zwischen Wissenschaft und nicht zwi- Ansgar Diller, Frankfurt am Main schen Aktendeckeln zu sichtenden Ereignissen weist der Beitrag »Den Bilderschatz heben – Vom schwie- rigen Verhältnis zwischen Geschichtswissenschaft Informationen zur modernen Stadtgeschichte und Film« hin. Es folgen Ausführungen zu Filmen 2002, Heft 1: Themenschwerpunkt: Stadt und über den (Ersten) Weltkrieg aus der Zeit der Weima- Medien. rer Republik und über den Zweiten Weltkrieg aus den Berlin: Deutsches Institut für Urbanistik 2002, 50er Jahren in der Bundesrepublik. Thematisiert wer- 136 Seiten. den auch die »Potemkinschen Dörfer der DEFA im Friedenskampf« – ein Beitrag, der im Zusammen- Einerseits zeichnen die modernen Medien, die mittels hang des von der Deutschen Forschungsgemein- technischer Apparaturen »Botschaften« herstellen schaft finanzierten Projekts »Massenmedien im Kal- und verbreiten, insbesondere ihre raumüberwinden- ten Krieg« entstanden ist. den Qualitäten aus. Dennoch spielt andererseits so- Medienverflechtungen geht der Beitrag zu Wolf- wohl für die Druck- wie auch die scheinbar »gren- gang Borchert und seinem Stück »Draußen vor der zenlos« agierenden elektronischen Medien der Bezug Tür« nach; er lautet: »Spielarten der Vergangenheits- zu einem mehr oder weniger präzise definierten bewältigung – Wolfgang Borcherts Heimkehrer und Raum nach wie vor eine bedeutende Rolle. Unter den sein langer Weg durch die westdeutschen Medien« – jeweiligen technischen wie gesellschaftlichen Bedin- Rundfunk (Hörspiel), Theater, Film und Oper. Die gungen ergeben sich spezifische Bindungen an un- Autorin, Ulrike Weckel von der TU Berlin, will »eini- terschiedlich große und sehr verschieden definierte gen konkreten Rezeptionen der immer wieder (an- Räume sowohl hinsichtlich der Verbreitung wie auch ders) erzählten Geschichte nachgehen«. Dabei der Herstellung von Medienprodukten. Gerade letzte- möchte sie »diskutieren, inwieweit sich aus den re basierte – wie schon ein flüchtiger Blick auf die höchst unterschiedlichen Reaktionen im medialen Geschichte erweist – und gründet bis in die Gegen- Vergleich grundsätzliche Erkenntnisse über Rezepti- wart in erster Linie auf städtischen Verdichtungsräu- onsprozesse ableiten lassen.« (S. 128) Inge Marszo- men, die dafür die technisch-ökonomische Infra- lek von der Universität untersucht die »Re- struktur wie spezifische soziokulturelle Potentiale zur präsentation der NS-Vergangenheit in Sendungen Verfügung stellen. In ihnen findet ein besonders in- von « in der Nachkriegszeit, wobei sie tensiver Austausch zwischen Produzenten und Nut- sich erklärtermaßen auf einige Sendemanuskripte der zern statt, prägen gemeinsame soziale und kulturelle Jahre 1946 und 1947 stützt, die vor allem Probleme Erfahrungen das Angebot bzw. dessen erfolgreiche der Nachkriegsgesellschaft thematisieren, und einige Rezeption. Insofern lässt sich besonders viel über die von Anfang der 50er Jahre über die Kriegsgefange- Entwicklungstendenzen der jeweiligen Medien lernen, nenfrage und die verlorenen deutschen Ostgebiete. wenn es gelingt, diese Prozesse in den urbanen Mi- Die Autorin kommt zu einem ambivalenten Befund: lieus näher zu beschreiben und zu analysieren. Es Rezensionen 155

waren Überlegungen dieser Art, die den Studienkreis schichte des Mediums zu sprechen kommt. Dabei dazu veranlassten, bereits 1997 auf seiner in Pots- endet Abramson dort, wo andere Fernsehhistoriker dam veranstalteten Jahrestagung »Medienstandorte erst beginnen: 1941, mit der Einführung des NTSC- und ihre Geschichte« zum Thema zu machen.1 Verfahrens in den USA, mit dem das Fernsehen Die Autoren der Beiträge der hier anzuzeigenden »endlich das Ziel der technischen Perfektion erreicht »Informationen zur modernen Stadtgeschichte« kön- hatte«, als ihm aber auch in den USA »plötzlich nur nen ebensowenig wie damals bereits der Studien- noch die geringste Bedeutung beigemessen« wurde, kreis von umfassenden neuen Erkenntnissen zum denn die »Bombardierung von Pearl Harbour am 7. Thema ausgehen. Mit einer breiteren sozial- bzw. Dezember 1941 bereitete dem Großteil des Fernseh- kulturgeschichtlichen Perspektive skizzieren Clemens betriebes in den Vereinigten Staaten schnell ein En- Zimmermann und Axel Schildt den kommunikations- de.« (S. 301) bzw. mediengeschichtlichen Forschungsstand in Zu- Das Buch erschien in einer deutschsprachigen spitzung auf stadtgeschichtliche bzw. kommunikati- Fassung rechtzeitig zu dem Zeitpunkt, als man in onsräumliche Fragestellungen, zeigen Defizite auf Deutschland das fünfzigjährige Jubiläum des Nach- und formulieren Forschungsdesiderata. Konkrete kriegsfernsehens feierte, und es erinnert nicht nur an Projekte stellen Karl Christian Führer und Lu Seegers die frühe Geschichte, sondern sogar an die Vorge- in entsprechenden Skizzen bzw. Berichten vor, erste- schichte der Aufnahme des Fernsehbetriebs. Die sie- rer zur »Medienmetropole Hamburg. Medien und Öf- delt Abramson, der die Wiedergabe von Bildern und fentlichkeit in Hamburg vom Ende der 1920er Jahre deren öffentliche Präsentation vor Publikum zur bis 1960«, Seegers über »Stadtrepräsentation und Grundlage der technischen Definition des Fernse- Medien«. hens nimmt, in den zwei Jahrhunderten zwischen Das Heft bietet einen guten Einblick, wie sich die 1671 und 1879 an, zwischen der Erfindung der Later- allgemeine Geschichtswissenschaft mittels eines na Magica, mit der der Jesuitenpater Athanasius komplexen Einstiegs kommunikationsgeschichtlichen Kirchner seinen gläubigen, mehr aber noch den Fragestellungen nähert, wobei Ansätze zur an- zweifelnden Schäfchen seinerzeit den Teufel an die schlussfähigen Konzeptualisierung ebenso wie Ein- Wand projizierte, und der Publikation erster wissen- zeluntersuchungen in den vergangenen fünf Jahren schaftlicher Aufsätze im ausgehenden 19. Jahrhun- erfreulicherweise dort zugenommen haben. Anders dert über die Möglichkeit, Bilder über größere Entfer- als die meist kommunikatorzentrierten institutionen- nungen hinweg mit Hilfe der Elektrizität zu übertra- und programmgeschichtlichen Vorgehensweisen der gen. »klassischen« Mediengeschichte, deren Ergebnisse Seit den 80er Jahren des 19. Jahrhunderts ver- außer für eine historische Selbstvergewisserung der kürzen sich, wie Abramson in einzelnen Kapiteln dar- Medieninstitutionen und für die historische Fundie- stellt, die Entwicklungsschritte zur Verwirklichung des rung systematischer kommunikationswissenschaftli- Menschheitstraums vom Fernsehen. Zunächst ent- cher Forschung bzw. der Medienphilologien leider zu stehen zwischen 1880 und 1899 erste Entwürfe und wenig Akzeptanz fanden, versucht man hier von vor- frühe Erfindungen in unterschiedlichen Ländern der neherein die Relevanz der Medien für den gesell- »alten« und der »neuen« Welt, noch weitgehend iso- schaftlichen Entwicklungsprozess durch breitere Fra- liert voneinander, zwischen 1900 und 1911 werden gestellungen und methodische Ansätze in den Griff die ersten Geräte entwickelt und bis 1920 wird eine zu bekommen. Deren »Reichweite« wird sich aller- Reihe von Patenten zur elektromechanischen Bild- dings noch erweisen müssen. übertragung eingereicht. Das Fernsehen tritt in den Edgar Lersch, Stuttgart 20er Jahren des 20. Jahrhunderts aus der Bastler- in die Laborphase, die Industrie zeigt vereinzelt Interes- 1 Leider fanden die Veranstalter einen ungenügen- se an der Entwicklung, deren Dimension freilich noch den Forschungsstand vor, der mit dazu beitrug, niemand abzusehen vermag. Es beginnt die »me- dass der Ertrag der Veranstaltung die in sie ge- chanische Ära«, die freilich zu keinen befriedigenden setzten Erwartungen nicht ganz erfüllen konnte. Ergebnissen führt. Siehe den Abdruck der meisten der Vorträge in: Das Fernsehen muss nach der Erfindung der Rundfunk und Geschichte Jg. 24 (1998), H. 1, S. elektronischen Bildröhre 1930, mit der das moderne, 3-45. elektronische Fernsehen beginnt, zunächst noch einmal »zurück ins Labor«. Zwischen 1933 und 1935 wird mit dem Ikonoskop die erste leistungsfähige Albert Abramson Kameraröhre entwickelt und das neue Medium tritt Die Geschichte des Fernsehens. aus der Laborversuchsphase heraus an die Öffent- Mit einem Nachwort des Herausgebers zur lichkeit des Programmbetriebes. Geschichte des Fernsehens von 1942 bis heute. Und hier müssen die kritischen Einwände gegen Übersetzt und herausgegeben von Herwig Walitsch. das höchst informative und in sehr lesbarem Stil ge- München: Wilhelm Fink Verlag 2002, 437 Seiten. schriebene Buch von Abramson einsetzen. Abramson beschreibt detailliert die einzelnen Entwicklungs- Albert Abramsons »The History of Television, 1880 to schritte und Erfindungen in den Vereinigten Staaten, 1941« gehört seit mehreren Jahren schon in der eng- er widmet dem Londoner Fernsehdienst (seit 1939) lischsprachigen Originalfassung zu den Standardwer- ein ganzes, sein zehntes Kapitel (S. 250-283), wäh- ken, denen niemand auszuweichen vermag, der sich rend ihm beispielsweise die deutsche Entwicklung, mit der Geschichte des Fernsehens beschäftigt und die ungeachtet des politischen Charakters des Pro- dabei notwendigerweise auch auf die Technikge- 156 Rundfunk und Geschichte 29 (2003)

gramms aus Berlin ja immerhin schon im Frühjahr Philip Taylor / Graham Roberts (Hrsg.) 1935 den Programmbetrieb aufgenommen hatte, The Historian, Television and Television History. wenn auch übereilt und technisch nicht ausgereift, London: University of Luton Press 2001, 181 Seiten. lediglich einige wenige Absätze wert erscheinen. In diesem und in einigen anderen Punkten zeigt sich Obwohl die Anthologie einen nicht mehr aktuellen eine Schwäche des Buches: Es ist auf den anglo- Diskussionsstand wiedergibt, lohnt sich die Lektüre. amerikanischen Blickwinkel zentriert, kontinentaleu- Die Beiträge basieren auf Vorträgen, die 1999 bei der ropäische Entwicklungen werden von ihm häufig nur Konferenz »Television and History« der International am Rande erwähnt. Dabei unterlaufen dem Autor Association of Media and History (IAMHIST) in Leeds dann auch sachliche Fehler, denn – wie bekannt – gehalten wurden. Die Veranstalter boten ein interna- erfolgten beispielsweise im deutschen Fernsehpro- tionales Forum, um Fragen zur Geschichte im Fern- grammbetrieb 1935 nicht, wie Abramson behauptet, sehen zu klären sowie Überlegungen zur Historisie- »alle Übertragungen (...) von photographischem Film« rung des Medienzeitalters im Zeichen dieses Medi- (S. 240), sondern primär elektronisch live unter Ein- ums anzustellen, das die jahrzehntelange uneinge- beziehung des Films als Mittel der Aufzeichnung. schränkte Vorherrschaft seines großen Bruders Kino Da die Darstellung so konsequent auf die USA abgelöst hat. konzentriert ist, muss sie dann auch 1941 mit den Dass auf dem letzten Historikertag in Halle 2002 Vorbereitungsschritten zur Einführung des NTSC- eine Sektion zur Präsentation von Geschichte in Film Farbverfahrens enden, das zwar später in einigen und Fernsehen angeboten wurde, zeigt auch das unter US-amerikanischem Einfluss stehenden Län- wachsende Forschungsinteresse hierzulande, sich dern auch in die Praxis eingeführt wurde, inzwischen einer kritischen Historisierung der Fernsehgeschichte aber von anderen Farbfernsehtechnologien überholt als kulturgeschichtliches Phänomen anzunehmen. war. So sah sich der Herausgeber der deutschspra- In ihrem Vorwort verweisen die Herausgeber auf chigen Fassung, Herwig Walitsch, offenbar genötigt, eine längst überfällige wissenschaftliche Aufarbeitung dem Buch ein umfangreiches »Nachwort« (S. 302- des »Fernsehzeitalters« in großem Maßstab, das zu 358) hinzuzufügen, das die Darstellung der Fernseh- Beginn des 21. Jahrhunderts von einem rasanten entwicklung von 1942 bis zur Gegenwart weiterführt globalen Transformationsprozess in einer sich fort- und dabei auch die europäischen Leistungen würdigt. schreitend integrierenden, weil digitalisierten Medien- Nicht allein für diese, auch nach Ansicht des Re- kultur gekennzeichnet wird. In seinem Schlussbeitrag zensenten notwendige Ergänzung des Originalwerkes »Television and the Future Historian« weist Mither- ist Walitsch als Herausgeber und dem Wilhelm-Fink- ausgeber Taylor auf den immensen Nachholbedarf Verlag zu danken, sondern auch für die reiche Bebil- der historischen Forschung an der Schnittstelle von derung des ersten Teils und den großzügigen und in Zeitgeschichte, Medien- und Kulturgeschichte hin und der Typographie überschaubaren Druck wie generell plädiert für eine ernsthaftere Wahrnehmung des Me- für das Unternehmen, dieses trotz der erwähnten diums durch Historiker, die sich nicht nur als Berater Schwächen unentbehrliche Werk zur Fernsehge- und Lieferanten von Expertenwissen für Fernsehre- schichte nunmehr auch dem deutschsprachigen Le- daktionen verstehen sollten. ser zugänglich gemacht zu haben. Der Band ist dem Hochschullehrer Nicholas Pro- Peter Hoff †, Berlin nay gewidmet, von der Profession her eigentlich Me- diävist, der in den 70er und 80er Jahren für einige wichtige Fernsehserien der BBC mit historischer Albert Abramson Thematik als Autor ausgewiesen ist und sich in enga- The History of Television, 1942 to 2000. gierter Weise vielfältig mit filmhistorischen Problemen Jefferson, North Carolina, and London: McFarland & bzw. mit dem Film als für die historische Forschung Vompany, Inc., Publishers 2003, 309 Seiten. relevantes Medium auseinander setzte. Gerade die vitale Begegnung von Wissenschaft- Fast zeitgleich mit der Publikation der deutschen lern mit Fernseh- und Medienpraktikern prägt die Ge- Übersetzung von Abramsons Geschichte des Fern- samterscheinung des Bandes. Das vordringliche An- sehens bis 1941, ergänzt um Ausführungen zum liegen der Anthologie ist es, ein tieferes Verständnis Fernsehen bis 2000 durch den Herausgeber Herwig für die Rolle des Fernsehens zu wecken, »which is Walitsch (siehe die Rezension in diesem Heft, shaped by the technical and stylistic features of the S. 155) hat der Autor den zweiten Teil vorgelegt. In medium, the service and/or commercial imperatives 14 Kapiteln befasst er sich u.a. mit dem Fernsehen of the broadcasting industry, and a shared preoccu- im Krieg, den Anfängen des Farbfernsehens, dem pation between producers and audiences to create a Bildaufzeichnungsverfahren von Ampex und den ›useable past‹ that will illuminate present and future«, Fernsehübertragungen der Apollo-Missionen zum d.h. dass das Fernsehen als »Erzählmaschine« (Hi- Mond. Wie auch in seinem ersten Band steht auch im ckethier) und mythogene Struktur funktioniert, die in zweiten Band von Abramson eindeutig die Entwick- der heutigen Kultur Geschichtsbilder prägt. lung in den Vereinigten Staaten im Vordergrund. Das Buch gliedert sich etwas beliebig in fünf AD Themenkomplexe und Schwerpunkte: Diskussions- beiträge zum Verhältnis von Geschichtsforschung und Medien; Informationen zum Problem des archivi- schen Zugangs für historische Fernsehdokumentati- onen von Luisa Cognetti (»Historians and Television Rezensionen 157

Archives«) im italienischen und Gerda Jansen Für Historiker gelte es, dieser Herausforderung Rech- Hendricks (»How to present Riots that have not been nung zu tragen. filmed«) im niederländischen Fernsehen. Interes- Thomas Heimann, Leipzig sante Einblicke verschaffen auch Ian Bremner an- hand der BBC-Reihe »A History of Britain« von Simon Schama und schließlich André Lange in seinem Bei- Helmut Kreuzer trag »The History of Television through the Internet. A Deutschsprachige Hörspiele 1924-33. few notes on the project www.histv.net«. Elf Studien zu ihrer gattungsgeschichtlichen In einigen der Beiträge wird in unterschiedlicher Differenzierung (= Forschungen zur Literatur- Weise auch das Zusammenwirken eines Medien-Mix und Kulturgeschichte, Bd. 73). auf die derzeitige Präsentation von Geschichte disku- Frankfurt am Main u.a.: Peter Lang 2003, 172 Seiten. tiert. Weitere Analysen, die unterschiedliche Heran- gehensweisen aufzeigen, und eine abschließende Helmut Kreuzer, geboren 1927, emeritierter Professor Sektion mit Ausblicken auf weitere Entwicklungsmög- der Literaturwissenschaft in Siegen, hat in der von lichkeiten des Umgangs mit Geschichte im Fernse- ihm selbst betreuten Reihe mehrere kleine Aufsätze hen folgen. zu Hörspielen der Weimarer Republik publiziert. Es Die umfangreichste Sektion enthält Projektbe- handelt sich dabei um eine Zusammenstellung von richte und Reflexionen über TV-Serien der BBC, die Beiträgen, die Kreuzer bereits einzeln in unterschied- sich von Format und Genre in unterschiedlicher Wei- lichen Publikationsorganen zwischen 1999 und 2002 se mit Geschichte befassen, wie »The World at War« veröffentlicht hat. Darauf wird am Ende des Buches in (James Chapman: Television, Documentary, History), einem Quellennachweis aufmerksam gemacht. die frühe Science fiction Serie »Dr. Who« (Nicholas Die Aufsätze sind im Band nicht chronologisch Cull: »Bigger on the inside?« Doctor Who as British nach dem jeweiligen Jahr der Ersterscheinung ange- cultural history) oder die Blackadder-Reihe über die ordnet, sondern nach inhaltlichen Aspekten gruppiert. Westfronterfahrungen britischer Truppen im Ersten Sechs Beiträgen, die Hörspiele zwischen 1924 und Weltkrieg (Stephen Badsey: Blackadder Goes Forth 1933 unter verschiedenen thematischen bzw. motiv- and the »Two western fronts« debate). Diskutiert wird geschichtlichen Aspekten beleuchten, folgen zwei der Umgang mit Geschichte in populärwissenschaftli- Aufsätze über Hörspielmanuskripte in Deutschland chen und kulturellen Formaten, die an akademische und in der Schweiz; ein weiterer Beitrag untersucht zeitgeschichtliche Diskurse andocken bzw. auf die die Gestalt des Amerika-Auswanderers Johann Au- öffentliche Selbstverständigung über kollektive Erfah- gust Suters in verschiedenen Hörspielproduktionen. rungsdimensionen (über die beiden Weltkriege) re- Den Abschluss bilden zwei Aufsätze zur Hörspielar- kurrieren. So versucht Isabelle Veyrat-Masson in der beit der Autoren Hermynia zur Mühlen und Wolfgang instruktiven Überblicksskizze »French Television Weyrauch. looks at the past« eine Periodisierung von Vergan- Die Beiträge machen in erster Linie mit dem Inhalt genheit im französischen Fernsehen von 1950 bis bisher wenig bekannter oder gar ungedruckter Hör- 1978, davon ausgehend, dass »television represen- spielmanuskripte vertraut, die Kreuzer aus verschie- tation of the past is an indicator of the status of po- denen nationalen und internationalen Archiven und pular history in our society.«(S. 157). Institutionen zusammengetragen hat. Da diese Texte Taylor skizziert in seinem von der technischen teilweise nur sehr schwer zugänglich sind, ist es be- Entwicklung überholten Schlussbeitrag »Television sonders hilfreich für den interessierten Leser, dass and the future historian«, (S. 171ff.) wie sich das Me- mitunter ganze Passagen aus den Texten zitiert wer- dium in einer fortwährenden, durch Kommerzialisie- den. Auch geht es Kreuzer darum, bestimmte wieder- rung, Multimedialisierung und Globalisierung auch kehrende Motive und Themen, von der »Katastro- zunehmend komplexeren rezeptiven Situation auf die phe«, der Gestaltung des Mythos, der Spannung von Aufgaben der Historiker auswirkt. Er konstatiert, dass Individualität und Kollektiv über Krieg und Arbeitslo- sich nicht nur Fachhistoriker ernsthafter als bisher der sigkeit bis hin zu den Themen Leben, Jugend und allgegenwärtigen »Glotze« (»goggle box«) annehmen Tod, herauszuheben. sollten, und plädiert für eine Evaluation ihrer eigenen Zudem wird der Leser mit zahlreichen Biogra- Verhältnisse gegenüber dem konkurrierenden Medi- phien verschiedener, weniger bekannter Hörspielau- um und der Einbettung ihrer Arbeit in eine durch das toren, etwa Ludwig Tügels oder Hermynias zur Müh- Fernsehen geprägte Medienkultur, die mit ihrer viel- lens, bekannt gemacht. Über ein Mosaik immer wie- fältigen Verfügbarkeit und Dispersität die Lesebereit- der skizzierter Lebensläufe sowie über die zahlrei- schaft unterläuft. chen Inhaltsangaben zu den einzelnen Hörspielen und durch die Hervorhebung verschiedenster Motive »This is especially so when television history is con- kann der Leser ein Stück (Kultur-)Geschichte der sumed by more people in a half hour than the number Weimarer Republik erfahren. Darin liegt die Stärke who will ever read a history book on the same subject dieser Aufsatzsammlung. in a historian's lifetime. But, of course, this is what Zwei Beiträge führen »Streiflichter« im Titel, auch make television history so important. Its capacity to wenn der Buchtitel von elf »Studien« spricht. Aber es shape the contemporary popular perception of the handelt sich ausnahmslos um »Streiflichter«, da sie past – including the creation of myths, stereotypes schlaglichtartig ihren jeweiligen thematischen Ge- and simplifications – is what places enormous re- genstand beleuchten. Der Autor verfährt dabei eher sponsibilities on the programme makers.« (S. 175f.) essayistisch als streng analytisch. Auf die Notwen- 158 Rundfunk und Geschichte 29 (2003)

digkeit vertiefender Interpretation weist er dabei jenseits der bekannten Repertoire-Stücke noch aller- selbst wiederholt hin. lei zu entdecken gibt, um das tradierte Bild dieser Der Leser hätte sich allerdings mitunter philolo- (Hörspiel-)Epoche zu vervollständigen, möglicherwei- gisch genauere Angaben gewünscht. Für eine kriti- se auch zu korrigieren. Kreuzers Ausführungen kön- sche Bestandsaufnahme des Hörspielgeschehens in nen als Beitrag in dieser Richtung gelesen werden. der Zeit der Weimarer Republik ist es notwendig, je- Dabei wäre für zukünftige Forschungsunterneh- weils zu wissen, ob ein Hörspiel nur als Manuskript men als Arbeitsgrundlage eine umfassende, philolo- existiert, ob es von einer Sendegesellschaft realisiert, gisch genaue Sicherung und Auswertung aller Daten wann es ausgestrahlt wurde und/oder ob gar noch ein zum Hörspiel der Weimarer Republik notwendig und Tonträger vorhanden ist. Folgt man den hörspielphi- wünschenswert. Es müssten alle greifbaren Manu- lologischen Forderungen Reinhard Döhls,1 so ist skripte nachgewiesen und das Programmgeschehen selbst eine differenzierte Bestimmung der ausgewer- rekonstruiert werden, d.h. alle Sendedaten und alle teten Manuskripte sinnvoll, da Autormanuskript, Pro- weiteren formalen und inhaltlichen Angaben zu den duktionsmanuskript, Sendemanuskript oder Druck- Hörspielen ermittelt werden. Eine Zusammenstellung fassung sowohl inhaltlich als auch formal deutlich zeitgenössischer Rezensionen wäre darüber hinaus voneinander abweichen können. Eine solche Unter- hilfreich. Eine solche Arbeit steht noch aus. scheidung bzw. eine Reflexion der daraus folgenden Ulrike Schlieper, Frankfurt am Main Konsequenzen ist bei Kreuzer nicht immer zu finden. Die fehlende philologische Genauigkeit kann als 1 Jahrbuch der deutschen Schillergesellschaft Jg. Reflex einer in der Literaturwissenschaft oftmals nicht 26 (1982), S. 489-511. deutlich getroffenen Unterscheidung des Hörspiels 2 Vgl. Friedrich Wilhelm Hymmen: Das authenti- als Wortaufzeichnung oder als akustische Realisati- sche »Alexanderplatz«-Hörspiel: nie gesendet. In: on, für die es doch eigentlich gedacht ist, gesehen Kirche und Rundfunk (1980), Nr. 94. S. 1-4. werden. So spricht Kreuzer bei der Analyse der Hörspiele, die ihm als Manuskripte vorliegen, mal vom »kriti- Petra Galle schen Leser« (S. 115) und auch mal vom »Hörer«, RIAS Berlin und Berliner Rundfunk 1945 - 1949. und zwar bei einem Hörspiel (»Dr. Funkius«), das als Die Entwicklung ihrer Profile in Programm, Tonaufzeichnung gar nicht existiert (»Wir hören u.a. Personal und Organisation vor dem Hintergrund Referate von Konferenzteilnehmern, Stimmen aus des beginnenden Kalten Krieges (= Medien und dem Publikum, einen Dialog zwischen Dr. Funkius, Kultur, Bd. 1). dem Star der Konferenz, und einem Sprecher des Münster u.a.: LIT Verlag 2003, 447 Seiten. ›Rundfunksenders‹ ...«, S. 12). Dass es niemals rea- lisiert wurde, geht zumindest nicht deutlich aus dem Berlin war jahrelang weltweit die einzige Stadt, in der Beitrag hervor, heißt es doch lediglich, das Hörspiel im Zeichen des zunehmenden Antagonismus der habe im Archiv überdauert (vgl. S. 12). Gemeint ist beiden Supermächte USA und UdSSR zwei grund- aber offenkundig nur das Manuskript. sätzlich verschiedene politische Systeme direkt mit- Ein Vergleich von Textfassung(en) und akusti- einander konkurrierten. Beide Seiten hatten dafür scher Realisierung da, wo er aufgrund erhaltener nicht zuletzt funktechnisch hochgerüstete Sprachroh- Tonträger möglich wäre, könnte zusätzliche Erkennt- re: der Osten den Berliner Rundfunk, der Westen den nisse im Hinblick auf die Bedeutung des Hörspiels im RIAS (und mehr und mehr auch den NWDR/SFB). Kontext seiner Zeit bringen. Im Zusammenhang mit Aber beide Seiten mussten auch eine komplexe Ver- seinen Ausführungen über Friedrich Wolfs Hörspiel bindung von Öffentlichkeit und Privatheit aushalten: »SOS rao rao Foyn – ›Krassin‹ rettet ›Italia‹« von Letztlich erfolgte die Abstimmung über die von be- 1929 z.B. weist Kreuzer auf Wolfs »Ziel- und Höhe- sonders ausgewähltem Personal in spezifischen punkt seiner Hörspielsendung«, die »Intonation der Kontexten sorgfältig ausgetüftelten Programme regel- Internationale[n] im deutschen Massenmedium Ra- mäßig beim Publikum zu Hause vor den Radiogerä- dio« (S. 47), hin. In der erhaltenen Tonfassung ist al- ten. Nur wer da gehört wurde, hatte überhaupt die lerdings im Gegensatz auch zu Wolfs eigener, von Chance politisch zu wirken. Für die Westsektoren ist Kreuzer zitierten Behauptung die Internationale an der Befund für die 1940er Jahre ziemlich eindeutig: keiner Stelle zu hören. Der RIAS konnte seine Reichweite zunehmend aus- Darüber hinaus sei bemerkt, dass der 30. Sep- bauen und war bis 1949 bei etwa 90 Prozent ange- tember 1930 nicht das Erstsendedatum des Hörspiels langt. Die Akzeptanz des Berliner Rundfunks war von Alfred Döblin »Die Geschichte von Franz Biber- demgegenüber ins Bodenlose gefallen. Vergleichbare kopf« war. Das Stück wurde kurzfristig abgesetzt und Werte für Ostberlin fehlen zwar, aber viele Hinweise gelangte erstmals nach dem Zweiten Weltkrieg zur lassen den Schluss zu, dass die Tendenzen ähnlich, 2 Uraufführung. aber vielleicht nicht ganz so ausgeprägt waren. Für die Zukunft ist dem Verfasser ein sorgfältiger Mit ihrer bei Wolfgang Mühl-Benninghaus an der arbeitendes Lektorat zu wünschen. Tippfehler und Berliner Humboldt-Universität geschriebenen Disser- mangelnde optische Hervorhebungen z.B. von zitier- tation versucht Petra Galle erst gar nicht, Licht in das ten Hörspieltiteln stören bei der Lektüre des Buches. Dunkel konkreter Rezeptions- oder gar Wirkungszu- Kreuzers Aufsatzsammlung macht deutlich, dass sammenhänge zu bringen; es wäre schon allein auf- das Thema »Hörspiel in der Weimarer Republik« grund der schlechten Quellenlage völlig verlorene noch längst nicht erschöpfend analysiert ist, dass es Mühe gewesen. Aufwand genug hat es sie schon ge- Rezensionen 159

kostet, die organisatorischen, personal- und pro- hungsgeschichtliche Ansatz« am Ende in seiner Er- grammpolitischen Entwicklungslinien beider Sender giebigkeit durchaus in Frage zu stellen: Der RIAS und nachzuzeichnen und dabei so weit als möglich auch noch mehr der Berliner Rundfunk waren in ihren Akti- die übergeordneten besatzungspolitischen Kontexte vitäten viel mehr durch die (besatzungs)politischen mit einzubeziehen. Damit sind auch schon die Vorgaben der jeweiligen Militärregierungen (und de- Schwerpunkte ihrer Arbeit bezeichnet. Nicht um die ren Vorgesetzte) festgelegt als durch die Bezugnah- Erstellung zweier mehr oder minder umfassender, me aufeinander. Es zählt zu den größten Verdiensten aber eben nur nebeneinander gestellter Senderge- Petra Galles, dass sie nicht nur deutsche und ameri- schichten ist es Petra Galle gegangen, sondern um kanische, sondern auch russische Archive ausge- die Beantwortung systematisch gestellter, stets auf wertet hat. Dass ihr in Moskau noch immer vieles den direkten Vergleich abzielender Fragen. Dieses nicht zugänglich war, ist ihr nicht anzulasten. Schon Vorgehen hat prinzipiell seine Vorteile; jedoch sollte jetzt ist jedoch deutlich, wie gering die personal- und zumindest ein Nachteil nicht unerwähnt bleiben: programmpolitischen Spielräume in Ostberlin waren, Manche an sich relevante Information geht unter, wie viel nicht nur von der sich dabei ziemlich im Hin- wenn sie nicht ins System passt. Anhand von Galles tergrund haltenden sowjetischen Militärregierung, Argumentation ist es beispielsweise schwierig, sich sondern sogar direkt in Moskau entschieden wurde. ein Bild über die Hintergründe und Auswirkungen der Es ist ein häufig bei sehr überlegt angelegten Dis- Sprengung der Funktürme des Berliner Rundfunks in sertationen anzutreffendes Problem, dass methodo- Tegel – also im französischen Sektor – zu verschaf- logische Skrupel zu übervorsichtiger, letztlich kontra- fen oder über die prekäre Situation seines Funkhau- produktiver Zurückhaltung führen; auch bei Galles ses in Charlottenburg, also im britischen Sektor. Arbeit zeigt es sich. Wie nicht anders zu erwarten, ist Ihre Arbeit hat Petra Galle in fünf stringent aufein- die Quellenlage für die Programmanalyse sehr ander folgende Kapitel von jeweils zunehmenden schwierig. Im Prinzip sind nur schriftliche Programm- Umfang gegliedert: Der Darstellung der sowjetischen ankündigungen erhalten, und die noch nicht einmal und amerikanischen Modelle von Massenkommuni- vollständig. Für das Jahr 1948 fehlen sie für den Ber- kation in Deutschland (I) sind 20 Seiten gewidmet liner Rundfunk in jeder zweiten Woche ganz. Deshalb und dem nicht zuletzt aus diesen heraus sich entwi- beschränkt sich Galle denn auch gleich in allen ande- ckelnden Streit um die Viermächtekontrolle über den ren Jahren und beim RIAS ebenfalls auf die Analyse Berliner Rundfunk (II) 25. Die Analyse der institutio- von nur je einer Frühjahrs- und einer Herbstwoche. nellen Anbindung der beiden Sender (III) umfasst Und weil dies wiederum eine recht schwache Basis dann schon 45 Seiten, wobei die unterschiedlichen für Quantifizierungen bildet, wurde »die statistische Gegebenheiten auch eine unterschiedliche Binnen- Auswertung ausgewählter Programmwochen nur sehr strukturierung nach sich ziehen: beim Berliner Rund- zurückhaltend genutzt«. (S. 253) Das hat zur Folge, funk systematisch nach sowjetischen und deutschen dass die großen Linien der Programmentwicklung Kontroll- und Lenkungsinstanzen, beim RIAS chro- zwar abstrakt zu beschreiben, aber nur begrenzt pro- nologisch nach den Phasen der – überwiegend fi- grammstrukturell nachzuweisen sind: Der RIAS über- nanzpolitisch begründeten – Zuordnung unter ver- nahm seit 1948 »Funktionen – der Massenunterhal- schiedene amerikanische Stellen. Über mehr als 100 tung, und die Versorgung aller Zielgruppen –, die in Seiten erstreckt sich dann die Darstellung der perso- den ersten beiden Jahren hauptsächlich vom Berliner nalpolitischen Entwicklung (IV), in der nicht nur die Rundfunk erfüllt worden waren. Während der Berliner deutschen Mitarbeiter, sondern auch die amerikani- Rundfunk 1948/49 sein Angebot zunehmend auf die schen und sowjetischen Kontrolloffiziere gebührend unmittelbare Verwendbarkeit für die SED-Politik hin Berücksichtigung finden. Das letzte Kapitel (V), »Die einengte, weitete der RIAS sein Angebot gerade um Programmentwicklung beim RIAS und dem Berliner die beim Berliner Rundfunk verlorengehenden As- Rundfunk« überschrieben, füllt schließlich mehr als pekte aus«. (S. 399f) Die ziemlich spektakuläre Ab- 150 Seiten. Dies ist sogar eher wenig, weil hier nicht werbung des Radio Berlin Tanzorchesters und ihre nur verschiedene Rahmendaten, sondern auch die Auswirkungen zerfließt vor diesem Hintergrund zu zentralen, großen Programmbereiche und ihre Ver- einer bloßen personalpolitischen Marginalie. (S. 151) änderungen im Laufe der Jahre behandelt werden. Aus den vielen analytisch gewonnenen Mosaikstei- Naheliegenderweise finden die politischen Program- nen werden die Profile der beiden Programme kaum me im engeren Sinne dabei die größte Beachtung; anschaulich. Zielgruppensendungen, unterhaltende und kulturelle Konrad Dussel, Forst Bildungsprogramme werden deshalb aber nicht völlig vernachlässigt oder gar ignoriert. Wenig überraschend ist der Gesamtbefund, dass die Berliner Blockade in ihrer Bedeutung für die bei- den Rundfunkstationen gar nicht zu überschätzen ist. Viel überraschender sind dagegen die Nuancierun- gen, die Galle vorzunehmen vermag: der Nachweis von vorbereitenden Weichenstellungen oder improvi- sierten Neuerungen, die auf beiden Seiten zu ver- zeichnen sind; noch mehr aber die ziemlich gering ausgeprägte Bezugnahme auf den jeweils anderen. Insofern ist auch der einleitend formulierte »bezie- 160 Rundfunk und Geschichte 29 (2003)

Josef Schmid steuerte. Den ausschlaggebenden Anlass zur Teilung Ein »Geschenk« wird zerpflückt. bildete, wie von beidem Autoren detailliert nachge- Zur Teilung des NWDR in WDR und NDR. zeichnet wird, eine Nachwahl zum Verwaltungsrat um Hamburg: Verlag Hanseatischer Merkur 2002, die Jahreswende 1952/53, bei der sich der nordrhein- 158 Seiten. westfälische Regierungschef mit seinem Kandidaten nicht durchsetzen konnte. Daraufhin gab die Regie- Alexander Keller rung Arnold die Ausarbeitung eines folgenreichen Das Kölner Funkhaus 1945 - 1960. Gesetzes zur Gründung des Westdeutschen Rund- Probleme und Kontroversen. Zur politischen funks in Auftrag, dem im Düsseldorfer Landtag sogar Geschichte eine Massenmediums die SPD beipflichtete. Danach entsandten nicht etwa (= Politikwissenschaft, Bd. 87). gesellschaftlich relevante Organisationen ihre Ver- Münster u.a.: Lit Verlag 2002, 120 Seiten. treter in den Rundfunkrat, sondern der Landtag be- stimmte über dessen Zusammensetzung. Und im Wer ist schuld an der Zerschlagung des Nordwest- Verwaltungsrat sollten sich fortan amtierende und deutschen Rundfunks (NWDR), der gemeinsamen gewesene Regierungsmitglieder tummeln. Nach die- Rundfunkanstalt der Länder Hamburg, Niedersach- sem der Staatsferne hohnsprechenden »Modell« sen, Nordrhein-Westfalen und Schleswig Holstein setzten sich dann auch die Gremien der Mehrländer- von 1945 bis 1955 sowie einem Funkhaus in Berlin? anstalt zusammen. Dies Eine Antwort bzw. Antworten versuchen die Auto- war aber nur eine Verschärfung des bisherigen Zu- ren zweier nahezu gleichzeitig erschienener Publika- stands im Hauptausschuss des NWDR, in der es seit tionen zu geben: Josef Schmid, wissenschaftlicher 1948 eine Übermacht parteipolitisch und in Regie- Mitarbeiter der Forschungsstelle für Zeitgeschichte in rungsverantwortung stehender Mitglieder gegeben Hamburg, und Alexander Keller, im Schuldienst von hatte, weil die britische Militärregierung bei dessen Nordrhein-Westfalen beschäftigt. Eindeutig kann/kön- Zusammensetzung den politischen Begehrlichkeiten nen sie nicht ausfallen, da viel zu viele Einflussfakto- gegenüber zu nachgiebig gewesen war. ren in unterschiedlicher Intensität daran mitwirkten: Schmid und Keller haben beide ungedruckte und Bundesregierung, Landesregierungen, politische Par- gedruckte Materialien in ihre gelungenen Überblicks- teien, regionale Organisationen, gesellschaftliche darstellungen eingearbeitet, der eine mehr auf Ham- Gruppierungen, beispielsweise Kirchen und Gewerk- burger, der andere mehr auf Kölner Quellen gestützt. schaften. Alle Genannten hatten mehr oder weniger Ansgar Diller, Frankfurt am Main ihren Anteil daran, dass schließlich aus dem Nord- westdeutschen Rundfunk der Sender Freies Berlin, der Westdeutsche sowie der Norddeutsche Rundfunk Irmela Schneider u.a. (Hrsg.) hervorgingen. Medienkultur der 60er Jahre. Das am 4. Mai 1945 von der britischen Besat- Diskursgeschichte der Medien nach 1945. Band 2. zungsmacht in Hamburg gestartete Experiment, nach Wiesbaden: Westdeutscher Verlag 2003, dem Vorbild der BBC eine einheitliche Rundfunkan- 243 Seiten. stalt für ihre Zone zu etablieren, bewegte sich auf sein Ende zu, als die Bundesrepublik Deutschland Innerhalb kürzester Frist legt der Sonderforschungs- immer mehr Souveränitätsrechte erhielt. Vielfältige bereich / das Kulturwissenschaftliche Forschungs- Interessen, die eine Föderalisierung des Rundfunks kolleg »Medien und kulturelle Kommunikation« an der auch in Norddeutschland nach dem Vorbild der Universität Köln den Anschlussband zur Publikation Rundfunkorganisation in der amerikanischen Besat- »Medienkultur der 50er Jahre« vor.1 Knapp ein Dut- zungszone mit den – ab 1948/49 – öffentlich-recht- zend Autorinnen und Autoren versuchen den Me- lichen Rundfunkanstalten in München, Frankfurt am diendiskurs der 60er Jahre nachzuzeichnen. Die He- Main, Stuttgart und der amerikanischen Enklave rausgeberInnen, neben Irmela Schneider noch Tors- Bremen erreichen wollten, strebten auseinander. ten Hahn und Christina Bartz, sind sich auch für die- Vieles davon ist schon dargestellt worden, so dass ses Jahrzehnt bewusst, dass es sich nicht vom vor- sich die Autoren darauf beschränken können, die herigen durch eine klare Zäsur abgrenzen lässt. Ein- vorhandene Literatur auszuwerten. Lücken in der deutig sei aber für die 60er Jahre, dass die »Per- Forschung vermögen sie durch die Heranziehung spektive (...) durch die abgeschlossene Entwicklung bisher nicht berücksichtigten ungedruckten Materials des Fernsehens zum Leitmedium forciert wird.« Und: in einigen Archiven zu schließen. »Mit Blick auf seine zunehmende gesellschaftliche Bei den Auseinandersetzungen zogen keines- Verbreitung erscheint es als privilegiertes Beobach- wegs CDU-regierte Länder auf der einen und SPD- tungsobjekt, mit dem die Hoffnung auf Aufschluss ü- dominierte Länder auf der anderen Seite an einem ber den Zustand des Kommunikationssystems Ge- Strang. Den roten Faden bildete die Konfrontations- sellschaft verbunden wird.« (S. 9) haltung der nordrhein-westfälischen Landesregierung Entsprechend steht auch das Fernsehen in dem unter CDU-Ministerpräsident Karl Arnold gegen die in vier Kapitel (»Fernsehen: Aktualisierung des Glo- anderen Landesregierungen im NWDR-Sendegebiet. balen«; »Konstruktionen des Lokalen«; »Techniken Das Düsseldorfer Kabinett fühlte sich und die Inte- der Globalisierung«; »Kommentierungen der globalen ressen seines Landes im NWDR, im Programm und Medienkultur«) unterteilten Sammelband im Mittel- in den Gremien, benachteiligt, so dass es ab Anfang punkt. Die Fernsehberichterstattung über die Mond- der 50er Jahre auf eine eigene Rundfunkanstalt hin- landung 1969 wird unter dem Titel »Medien auf dem Rezensionen 161

Mond« als »Demonstration für die Leistungsfähigkeit Filmaufnahmen, die in der Bundesrepublik, häufig neuartiger Technologien« (S. 19) abgehandelt. Es »under cover«, gedreht worden waren, und werteten folgt der Sport, vor allem die Übertragung von ein es im Sinne der DDR aus. Mit dem neumontierten großes Publikum faszinierdenden Fußballspielen. Im und selbstgedrehten Material betrieben sie »Propa- Beitrag »Im Kampf um die Meinung in der Welt« geht ganda« für den DDR-Staat und agitierten gegen die es um den »Fernseh-Krieg« in Vietnam, der bekann- Bundesrepublik. Der berühmteste Film von H&S war termaßen eher durch die Präsentation auf den Bild- »Der lachende Mann« über den westdeutschen Söld- schirmen mit seinen Bilddokumenten als auf dem ner Siegfried Müller, der 1964 im Kongo im Rahmen wahren Schlachtfeld entschieden wurde. Damit wird eines »Kommandos 52« gegen die kongolesischen angesichts des Kriegs-»Desasters« ein »Siegeszug Rebellen kämpfte. Der Film machte die Dokumenta- des Mediums« konstatiert (S. 68). Weitere Beiträge risten auch im Westen schlagartig bekannt. Aufmerk- befassen sich u.a. mit dem Auf und Ab des gemes- sam geworden durch einen Bericht des ›Stern‹ dreh- senen Zuschauerverhaltens der 60er Jahre – gemeint ten sie in München ein Interview mit Müller, in dem ist damit natürlich wie auch in späteren Jahren nur dieser freimütig von seinen Schreckenstaten berich- die Einschaltquote, die natürlich keinerlei Aufschluss tete. Zahlreiche andere Filme über gefangene Ameri- über die tatsächliche Wahrnehmung des Dargebote- kaner in Vietnam und über einige Nato-Generäle nen gibt. Als »Aufmerksamkeitsquote«, einmal kurz in folgten. den Diskurs gebracht, hat sich die letztgenannte Steinmetz liefert in seiner Beschreibung erstmals »Medienwährung« leider nicht durchsetzen können. und detailliert eine umfangreiche Produktionsge- Neben dem Fernsehen spielen die übrigen Me- schichte des Studios. Er schildert den mühevollen dien wie Zeitschriften und Film – wenn überhaupt – Prozess, eine weitgehend unabhängige Produktions- nur eine marginale und der Hörfunk und die Tages- einheit aufzubauen, und ihr Ende im Jahre 1982, als und Wochenpresse überhaupt keine Rolle. Die Set- das Studio auf Parteibeschluss aufgelöst wurde, zung dieser Prioritäten ist anfechtbar. nachdem vor allem Gerhard Scheumann sich auf ei- Ansgar Diller, Frankfurt am Main nem Kongress der Film- und Fernsehschaffenden gegen die offizielle Linie von Partei und Staat gestellt 1 Vgl. Rezension in: RuG Jg. 28 (2002), H. 3/4, S. hatte.1 Mit seinem vom westlichen Dokumentarismus 171f. geprägten Blick fördert Steinmetz viele neue Informa- tionen zutage und kann ein aufschlussreiches Bild der Binnenstruktur des DDR-Films und -Fernsehens Rüdiger Steinmetz / Tilo Prase zeichnen. Besonders interessant sind jene Passagen, Dokumentarfilm zwischen Beweis und Pamphlet. in denen rekonstruiert wird, wie es 1982 zu Scheu- Heynowski & Scheumann und Gruppe Katins (= MAZ: manns Rede auf dem Kongress kam und welche Fol- Materialien – Analysen – Zusammenhänge, Bd. 2). gen sie hatte. In solchen Rekonstruktionen ist Stein- Leipzig: Leipziger Universitätsverlag 2002, 354 Seiten. metz stark, weil er hier umfangreiches Aktenmaterial durch verdichtendes Beschreiben zum Sprechen Das Studio Heynowski & Scheumann, auch kurz H&S bringen kann. Etwas kurz kommen die Filme selbst. genannt, und die Gruppe Dr. Katins sind die wohl be- Es ist nicht ganz ersichtlich, was ihre auch im Westen kanntesten Gruppen im Dokumentarfilmschaffen der wirksame Faszination ausmachte. Obwohl Steinmetz DDR. Auch in der alten Bundesrepublik wurden die einige Filme (»Der lachende Mann«, »Piloten im Py- Arbeiten von H&S von Dokumentarfilmern und auf jama«, »Generäle«) genauer untersucht, bleiben sie Festivals diskutiert, die Gruppe Katins war zumindest letzten Endes immer noch schemenhaft. im DDR-Fernsehen umfangreich präsent. Eine Unter- Im zweiten Teil des Buches untersucht Tilo Prase suchung des Dokumentarfilms im DDR-Fernsehen die Arbeiten der Fernsehproduktionsgruppe Dr. Ka- kommt an ihnen nicht vorbei, sondern muss sie an tins. Ab 1966 berichtete sie unter dem Titel »West- zentraler Stelle erörtern. Rüdiger Steinmetz vom In- östlicher Alltag« regelmäßig über die Bundesrepublik, stitut für Kommunikations- und Medienwissenschaft später hieß die Sendung »Alltag im Westen«. Bis der Universität Leipzig beschreibt Entstehung, Pro- 1979 leitete Sabine Katins die Gruppe, danach Gün- duktion und Auflösung des selbständig neben DEFA ter Herlt. Prase geht, anders als Steinmetz, zunächst und Fernsehen der DDR agierenden Studios H&S. von einem theoretischen Verständnis des DDR-Doku- Dazu hat er zahlreiche Aktenbestände des Bundes- mentarismus aus, wie es sich durch Arbeiten in der archivs, des Deutschen Rundfunkarchivs und der Be- Leipziger Journalistik (Preisigke und Katins selbst, hörde für Stasiunterlagen ausgewertet und kann auf die dort Anfang der 70er Jahre eine Aspirantur inne diese Weise Hintergründe, Diskussionen, Parteient- hatte) ausformuliert hat. Wichtig wurde hier vor allem scheidungen etc. detailliert darstellen. Ausführlich das Konzept einer dokumentarischen Argumentation werden zunächst die Biografien der Dokumentaristen »ad hominem«. Prase beschreibt ausführlich die Walter Heynowski und Gerhard Scheumann vorge- Sendungen des DDR-Fernsehens über die Bundes- stellt. Beide übten zunächst unterschiedliche Tätig- republik, die in unterschiedlichen Formationen und keiten in Verlagen, für die DEFA und für das DDR- redaktionellen Sendereihen ins Programm kamen. Fernsehen aus, bis sie Mitte der 60er Jahre began- Allein zwischen 1977 und 1987 wurden in der Reihe nen, gemeinsam Filme über den Westen Deutsch- »Alltag im Westen« über 300 Sendungen gezeigt. lands zu drehen und dafür eine eigene Methode der Sabine Katins als verantwortliche Leiterin arbeitete »konspirativen« bzw. »investigativen« Filmarbeit ent- dabei mit Regisseuren zusammen, die in der Bundes- wickelten. Sie sammelten »Originalmaterial«, also republik für das DDR-Fernsehen drehten, u.a. Franz 162 Rundfunk und Geschichte 29 (2003)

Dötterl und John Green. Sie verarbeitete die im ein Überblick über die gesamte Nachkriegszeit.1 In Westen gedrehten Materialien zu Dokumentationen, beiden Fällen stand die quantifizierende, überwie- die auch von Dokumentaristen in der Bundesrepublik gend Fragebogen gestützte Forschung mit ihren Er- als qualitativ hochwertig angesehen wurden. Wäh- gebnissen im Vordergrund. Nun lässt er eine Studie rend Steinmetz in seinem Beitrag über H&S vor allem folgen, die methodologisch ganz andere Wege be- mit Hilfe von Archivmaterialien und stärker autoren- schreitet. Gut hundert medienbiographische Tiefen- bezogen argumentiert, entwickelt Prase unterschied- interviews sind das zentrale Material, aus dem er In- liche methodische Zugangsweisen zu dem auch sehr formationen über das Mediennutzungsverhalten vor viel umfangreicheren Material: Themenübersichten, allem in den letzten Jahren der DDR zu gewinnen Vorspannbilder, Problemstellungen und Beschreibun- sucht. gen einzelner, als paradigmatisch gesetzter Doku- Über die Stärken wie die Schwächen dieses An- mentationen werden miteinander verbunden. Zentral satzes gibt er ausführlich im zweiten, der Einleitung ist dabei ein fernsehjournalistischer Einstieg. folgenden Abschnitt Auskunft. Und er lässt keinen Prase gelingt es so, ein außerordentlich dichtes Zweifel daran, dass biographische Interviews »bes- Bild der Herstellung dieser west-ost-übergreifenden tenfalls typische Varianten ohne Anspruch auf Voll- Produktionen zu zeichnen und den Programmbezug ständigkeit beschreiben und niemals Aufschluss über deutlich herauszustellen. In besonderer Weise setzt die Verteilung von bestimmten Mustern in der Ge- er sich mit dem Verhältnis von Authentizität und Pro- samtbevölkerung geben« können. (S. 16) Auf jeden paganda-Vorhaben auseinander und zeigt an zwei Fall vermag diese Methode aber allzu starre Sche- »Diskursfeldern«, nämlich dem »defizitären Alltag im mata aufzubrechen, beispielsweise die DDR – gerade Westen« und der »manipulierten Gesellschaft«, wie für die Westdeutschen – nicht allein unter dem As- in diesen Dokumentationen die Bundesrepublik »kon- pekt »Diktatur« erscheinen und »die Menschen selbst struiert« wurde. zu Wort kommen zu lassen«. (S. 35) Mit der Darstellung der beiden Dokumentations- Die folgenden vier Abschnitte sind der Mediennut- gruppen, die durch ein kleines Zwischenkapitel zur zung im allgemeinen, dann dem Fernsehen, der Ta- Arbeit der Fernseh- und Film-Kameraleute und gespresse und schließlich Hörfunk, Zeitschriften und »Schattenreporter« im Westen miteinander verbun- Kino gewidmet. Ein letzter Abschnitt dient dazu, die den sind, ist den beiden Autoren eine überzeugende gewonnenen Informationen zu einer Mediennutzer- und intensive Darstellung eines wichtigen Sektors der Typologie zu verdichten. Programmgeschichte des DDR-Fernsehens gelun- Auch wenn es der Titel kaum vermuten lässt: Mi- gen. Schön wäre es gewesen, wenn über die Dar- chael Meyen gibt weder sensationelle Enthüllungen, stellung des politischen Kontextes, der Arbeitsweise noch bornierte Ideologie zum Besten. In leicht lesba- des DDR-Fernsehens, den Sendeformen und der rem, allgemein verständlichen, aber nie banalisieren- Rezeption hinaus auch noch ein Anschluss an die den Stil rückt er das Alltägliche in den Vordergrund, bundesdeutsche Diskussion über den Dokumenta- die vielen Gegebenheiten, die die DDR-Bürger weder rismus geboten worden wäre. Dann hätte man nicht von denen der Bundesrepublik noch anderer westeu- nur auf der Themen- und Inhaltsebene einen Ost- ropäischer Staaten unterschieden: die Abhängigkeit West-Bezug herstellen können, sondern eben auch der Mediennutzung vom Arbeitsalltag, vom Bildungs- auf der Theorieebene. So bleiben etwa die Diskussi- stand, von Geschlecht und spezifischen Lebensum- on der Authentie bei Prase oder generell das Selbst- ständen bei jedem einzelnen. Das Besondere zeigt verständnis der Arbeiten von H&S bei Steinmetz oh- sich dann immer nur zwischendurch, bei einzelnen ne einen Theoriebezug, über den weiterführende Ar- Details. Und so weit wie möglich versucht er die dann beiten einen Anschluss finden können. Gleichwohl immer wieder in größere Zusammenhänge zu stellen stellt die Arbeit einen wichtigen Baustein für die ent- und durch quantifizierende Daten zu ergänzen. Bei- faltete Programmgeschichte des DDR-Fernsehens spielsweise erfährt man so, dass auch in der DDR die dar. Mehrheit der Befragten davon überzeugt war, durch Knut Hickethier, Hamburg ihr Fernsehen gründlich und überzeugend informiert zu werden – wenn sie überhaupt Auskunft gaben. 1 Vgl. Rüdiger Steinmetz: Ein neues Bild von der Fast die Hälfte verweigerte aber von vornherein die Auflösung des DDR-Dokumentaristen-»Studios Auskunft; und dies sicherlich nicht, weil sie von der H&S« 1982. In: RuG Jg. 28 (2002), H. 3/4, S. 139- Qualität des Mediums überzeugt gewesen wäre. 146. In keinem Kapitel fehlt es an den grundlegenden allgemeinen Fakten – den Zeitungspreisen und Zei- tungsauflagen etwa – und den Antworten auf die na- Michael Meyen heliegenden Fragen: dem Umgang mit der SED-Pres- Denver Clan und Neues Deutschland. se beispielsweise oder den West-Zeitungen. Die Mediennutzung in der DDR. Stärken der Methode zeigen sich jedoch eher im Un- Berlin: Christoph Links Verlag 2003, 232 Seiten. erwarteten, demjenigen, das durch kein vorgegebe- nes starres Frageraster zur Pressenutzung erfasst In den letzten Jahren hat sich der mittlerweile in Mün- würde: »Viel verlockender als Qualitätszeitungen«, chen lehrende Kommunikationswissenschaftler Micha- kann Meyen am Ende des Presse-Kapitels zusam- el Meyen intensiv mit der Mediennutzung im Nach- menfassen, »war die bunte Welt des Klatsches und kriegsdeutschland beschäftigt: Seine Leipziger Habi- der Mode, waren vor allem Versandhauskataloge.« litationsschrift widmete er den ost- wie westdeutschen Und als eine Stimme von vielen schließt er an: »Für Verhältnissen in den 1950er Jahren, danach folgte Rezensionen 163

einen Katalog von Neckermann hätte sie ›die Groß- schaft für Publizistik und Kommunikationswissen- mutter verraten‹, sagte eine Buchhalterin aus einer schaft im Dezember 2000 vorgetragen wurden. Kleinstadt in Sachsen, Jahrgang 1954« (S. 125). Die Nennung der unterschiedlichen Entstehungs- Entsprechend seinem Material arbeitet Meyen bei und Publikationskontexte bezeichnet zugleich eine seinen Mediennutzertypen nicht mit hochkomplexen Problematik, vor der nicht nur der Rezensent bei ei- Clusteranalysen, sondern zwei relativ einfachen Krite- ner Sichtung von Neuerscheinungen der gegenwärti- rien: »Unterschieden wurde erstens nach der gene- gen Medienwissenschaft(en) stehen mag. Zwar ist rellen Erwartungshaltung gegenüber Medien (infor- die Frage von Theorie in beiden Publikationen ange- mations- und bildungsorientiert versus unterhaltungs- sprochen, unterschiedlicher aber könnte die Frage orientiert) sowie zweitens nach der Einstellung zur danach kaum gestellt werden. Etwas jedoch verbin- SED-Medienpolitik und, eng damit zusammenhän- det sie; es ist die Frage nach dem Verhältnis von gend, nach dem Grad der Westorientierung« (S. »Medientheorie« und »Mediengeschichte«. In dem 151). Seine Typen sind damit die Engagierten und die einen Band wird die Frage nach historischen Me- Überzeugten; die Zufriedenen (denen er etwa ein dientheorien gestellt, die »Mediengeschichte als Dis- Drittel der Befragten zuordnet) und die Souveränen; kursgeschichte« (S. 13ff.) begreift und den Begriff sowie schließlich die Frustrierten und die Distanzier- »Medialität« vor dem Gebrauch des gegenwärtigen ten. Inwieweit die dazugehörigen Charakterisierungen Medienbegriffs rekonstruiert. Im anderen wird der und Interpretationen zu überzeugen vermögen, wird Medienbegriff unter einem spezifischen Verständnis davon abhängen, wie man zu der Methode insgesamt von »Medienentwicklung« rubriziert und unter den steht. Übertriebene methodologische Einseitigkeit Begriff eines »gesellschaftlichen Wandels« gestellt. wird man Meyen jedenfalls nicht vorwerfen können. Beides sind, in einem strikten Sinne, medienhistori- Problembewusst hat er sich bemüht, eine Brücke sche Ansätze, die von unterschiedlichen Ausgangs- zwischen quantitativer und qualitativer Sozialfor- und Fixpunkten die Historizität des Medienbegriffs schung zu schlagen. suchen. Konrad Dussel, Forst Im Sammelband »Medientheorie« wird anhand zahlreicher Texte aufzuzeigen versucht, wie der Beg- 1 Michael Meyen: Hauptsache Unterhaltung. Me- riff des Mediums in seinen Entstehungsbedingungen diennutzung und Medienbewertung in Deutsch- zwischen »Kommunikation und Technologie« sich land in den 50er Jahren. Münster 2001; ders.: entfaltete, die Tagungsdokumentation verwendet ei- Mediennutzung. Mediaforschung, Medienfunktio- nen bereits definierten Medienbegriff (der Kommuni- nen, Nutzungsmuster. Konstanz 2001. Rezensio- kationswissenschaft) und bringt ihn mit einem elabo- nen in RuG Jg. 28 (2002), H. 3/4, S. 172f. rierten gesellschaftsgeschichtlichen Verständnis in Verbindung. Dennoch wird die Frage nach einer »Medienge- Albert Kümmel / Petra Löffler (Hrsg.) schichte« in beiden Publikationen nicht zum eigentli- Medientheorie 1888 - 1933. chen Thema. Zielt Behmers Buch letztlich darauf ab, Texte und Kommentare (= suhrkamp taschenbuch eine prognostische Aussage über die Medienent- wissenschaft, Bd. 1604). wicklung im Gesellschaftswandel zu machen, so be- Frankfurt am Main 2002, 566 Seiten. handeln die Herausgeber der »Medientheorie« Me- diengeschichte als Theoriekonstrukt und diskutieren Markus Behmer u.a. (Hrsg.) in den Kommentaren zu den von ihnen veröffentlich- Medienentwicklung und gesellschaftlicher ten Texten die Anforderungen, die anderen Begriffs- Wandel. bildung zu richten sind. Die wieder abgedruckten Beiträge zu einer theoretischen und empirischen zeitgenössischen Veröffentlichungen begleiten die Herausforderung. Entstehung und Ausbreitung vor allem der elektroni- Wiesbaden: Westdeutscher Verlag 2003, 277 Seiten. schen Medien seit dem Ende des 19. Jahrhunderts. Deren Gegenwartsbedeutung soll trotz der unabweis- Sammelrezensionen versprechen Zusammenhänge. baren Historizität der in ihnen vertretenen Theorie- Die hier zu besprechenden Neuerscheinungen liegen konstrukte erarbeitet werden. Doch kann das damit von ihren Entstehungskontexten her weit auseinan- aufgestellte Programm einer Diskursgeschichte der der. Einerseits werden Fragen der Medientheorie im Medien in einer Anthologie von in der Tat weitgehend Kontext eines Kollektivprojekts der kulturwissen- »vergessenen« Texten kaum eingelöst werden. Wie schaftlich orientierten Medienwissenschaft themati- eine Medien- und Kommunikationsgeschichte auszu- siert, andererseits wird die »theoretische und empiri- sehen habe, wird zwar formuliert, sei aber erst zu- sche Herausforderung« durch den gesellschaftlichen künftig zu leisten. Nur am Rande werden vorhandene Wandel im Rahmen einer sozialwissenschaftlich ori- mediengeschichtliche Publikationen zitiert und disku- entierten Medien- und Kommunikationsforschung dis- tiert, sowohl in Bezug auf Einzelmediengeschichten kutiert. Beim von Kümmel und Löffler herausgegebe- wie auf eine »integrale Mediengeschichte«. nen Band handelt es sich um eine »umfassende« Die Texte des Sammelbandes von Kümmel und Dokumentation von Texten zum »Entstehungsherd Löffler sind von unterschiedlicher Qualität. Zum einen von Medientheorie« (S. 13), in der von Behmer und handelt es sich in der Tat um »Entdeckungen« im anderen herausgegebenen Publikation werden Bei- Wortsinn, zum anderen um Zweittexte aus den be- träge abgedruckt, die auf einer Tagung der Fach- reits bekannten Kontexten von »Filmdebatte« und gruppen Kommunikationsgeschichte und Soziologie »Rundfunkdebatte«. Außerdem wird eine Linie der der Medienkommunikation der Deutschen Gesell- 164 Rundfunk und Geschichte 29 (2003)

Debatten ausgezogen, die sich, wie seit Jahrzehnten aus oftmals den gleichen Publikationskontexten, an- bekannt, aus dem physikalischen und dem parapsy- geben. chologischen Begriff des Mediums ableiten. Neu sind Dem »Forschungsstand« ist, wenn auch mit cha- diese Ansätze nicht, auch wenn sie z. B. mit dem rakteristischen Einschränkungen, der Band zum Begriff »Fernsehens« operieren. Beim Text »Theorie Thema »Medienentwicklung« gewidmet. Er geht von des Fernsehens« von 1892 (S. 38ff.) handelt sich um einer Bestandsaufnahme »Medienwandel und Ge- eine klassische Mehrdeutigkeit, die zum Thema nur sellschaftswandel als Forschungsproblem« aus, mit insofern beitragen kann, als der Beitrag zu zeigen Beiträgen von Friedrich Krotz (»Zivilisationsprozess vermag, wie mächtig der parapsychologische Begriff und Mediatisierung«), Knut Hickethier (»medientech- des Mediums noch im angesprochenen Zeitraum war. nisches Apriori«) und Gernot Wersig (»Emergenz- Ein etwas angejahrtes Beispiel ist die Übersetzung Konstellationen«). Krotz argumentiert aus kommuni- des Titels »Understanding Media« von McLuhan in kationswissenschaftlicher Perspektive, die er mit ak- »Die Magischen Kanäle« (1968). Der Kommentar tuellen sozialwissenschaftlichen Diskussionen des hätte diese Funktion des Textes ausweisen müssen. »Wandels« verknüpft. Medienhistorisch explizit ist der Die Herausgeber sind vorsichtig, einen Zusam- Beitrag von Knut Hickethier. Der ausgewiesene »Ein- menhang der verschiedenen Texte zu rekonstruieren, zelmedienhistoriker« aber verkürzt die bisherige Me- sie setzen vielmehr auf eine »wohlbegründete Kon- diengeschichtsschreibung auf Technikgeschichts- tingenz« (S. 13). Dass von 1888 bis 1933 regelmä- schreibung und bezieht sich dabei, ohne Namen zu ßig, in der heutigen Terminologie, Einzelmediende- nennen, auf die sogenannte Kittler-Schule und ihre batten geführt wurden und dass sich der intermediale Umkehrung des »medientechnischen Aprioris«. So Bezug auf die »alten Medien« beschränkte, wird in stellt er am Schluss die Anfänge der integralen Me- nahezu allen Texten überdeutlich. Der im Band do- diengeschichtsschreibung in den 70er Jahren als kumentierte physikalische, technologische und para- Ausblick in die Zukunft dar: »Genaue Kenntnis der psychologische Diskurs ist, wie die Herausgeber Medientechnikgeschichte« ist Voraussetzung für eine durchaus einräumen, für die Medienbegriffsgeschich- Mediengeschichte (S. 51). Dem ist nur zuzustimmen. te aber eher marginal. So bleiben, neben den anre- Der zweite Teil ist »theoretischen Konzepten des genden Hinweisen der Kommentatoren, mehr Diver- Gesellschaftswandels« und den »Modellbildungen genzen und Differenzen als durchgehende Linien. zum Medienwandel« gewidmet. Damit ist jene Unter- Das Konzept einer Dokumentation von Mediende- stellung des Begriffs einer Mediengeschichte ange- batten, wie sie paradigmatisch von Anton Kaes 1978 sprochen, die das historische Moment weniger im mit der »Kino-Debatte« vorgelegt wurde, kann immer Begriff des Mediums als im Begriff des gesellschaftli- noch leitend sein. Die »Rundfunk-Debatte« steht chen Wandels ansiedelt, d. h. eine Zuordnung der weithin unter dem Gesetz der Kompilation, wie sie die Mediengeschichte zur Sozialgeschichte zum metho- Brecht-Herausgeber in der Ausgabe seiner Werke dischen Programm erhebt. Deutlich wird dies vor al- vorgenommen haben. Für sie aber war bereits die lem in den Beiträgen von Carsten Winter3 und Tho- Entdeckung der Aktivitäten der »Sektion Dichtkunst« mas Steinmaurer,4 die beide das sozialwissenschaft- der Preußischen Akademie der Künste im Blick auf liche, in sich höchst komplexe Angebot an Theorien das neue Medium Rundfunk wegweisend.1 Leider des Wandels in den Mittelpunkt ihrer kommunikati- werden solche Kon-Texte im Band nicht hergestellt. onsgeschichtlichen Ansätze stellen. Ein medienge- Einen interessanten Neuansatz bieten die den Texten schichtliches Forschungsprogramm stellt Siegfried J. entnommenen »Schlüsselbegriffe«. Sie werden je- Schmidt5 auf. Er geht aus vom Begriff der »Co-Evo- weils im Anhang an die Textwiedergabe aufgeführt lution«, der einer der Grundbegriffe im Forschungs- und in einem eigenen Register (S. 522) noch einmal programm des Sonderforschungsbereichs »Theorie, alphabetisch zusammengefasst. Damit wird der An- Geschichte und Pragmatik der Bildschirmmedien« spruch unterstrichen, Einsichten »in die allmähliche (1985 - 2000) war und insofern eine bereits umfas- Entstehung des Netzwerkes« zu ermöglichen, das wir send ausgearbeitete Position der historischen Me- [die Hrsg.] wegen der Heterogenität seiner Gegens- dienwissenschaft darstellt. Er verbindet diese Position tände »Mediendiskurse« nennen (S. 17). Die These mit methodologischen Problemstellungen, die einer- von Erhard Schüttpelz zur Entstehung eines Medien- seits als sozialwissenschaftliche Methodologie gele- begriffs (»Mass Media«, S. 12) in den USA erst in den sen werden können, andererseits aber auch als Bei- 40er Jahren bedarf weiterer Klärung. Noch Anfang trag zu einer Historik der Medien. Dass er die »me- der 90er Jahre übrigens war der Singular im anglo- dienhistoriographische Arbeit« erst dann »im Detail« amerikanischen Sprachgebrauch unüblich; hierin lag beginnen lassen will (S. 145), bindet in der Tat auch die kleine Provokation der Bezeichnung »The New seine Position zurück an die Anfänge der Medienge- Medium« für den Computer im Titel der Siegener Ta- schichtsschreibung – wenn nicht Alles bisher Geleis- gung 1990.1 Die Bedeutung des Begriffs der »Mas- tete damit verworfen sein sollte. se« und seine Kopplung an den Begriff »der Medien« Der dritte Teil, »Theorie und Empirie des gesell- (Plural) ist durchaus noch eine interessante For- schaftlichen Wandels«, ist geographisch und zeitlich schungsfrage. Die Herausgeber haben hier wichtiges genauer eingegrenzt. Hervorzuheben ist der Beitrag Material beigebracht. Dass sie »vergessene Texte« in von Peter Ludes,6 der eine bereits in anderen Beiträ- den Vordergrund stellen, ist das gute Recht der For- gen angesprochene sozialwissenschaftlich-histori- schung, sie müssten aber auch einen »Forschungs- sche Position, die gegenwärtig besondere Aktualität stand«, den Status der bereits »klassischen« Texte beanspruchen kann, herausarbeitet. Er geht dabei explizite auf die Positionen von Karl Mannheim, Nor- Rezensionen 165

bert Elias und Kurt H. Wolff ein. Der Ansatz gibt die 5 Siegfried J. Schmidt: Medienentwicklung und ge- Anregung, auch über die medientheoretischen und sellschaftlicher Wandel. S. 135ff. medienhistorischen Positionen des »Schulhauptes« 6 Peter Ludes: Die vertriebene Frankfurter Schule Theodor W. Adorno neu nach zu denken. der Soziologie. S. 209ff. Den Abschluss des Bandes bilden drei Beiträge zum Thema »Medien- und Gesellschaftswandel – ein heuristisches Problem«. Unter diesem Obertitel ver- Otfried Jarren / Patrick Donges stecken sich drei konkrete Beiträge zu Einzelmedien- Politische Kommunikation in der geschichten. So ein Beitrag zur Pressestatistik vom Mediengesellschaft. 17. bis zum 21. Jahrhundert von Heike Fortmann- Wiesbaden: Westdeutscher Verlag 2002, Petersen und Manfred Pankratz, ein Beitrag zu frühen 234 u. 250 Seiten. Medientheorien – Machiavellis »Il Principe«, Me- lanchthons »Rhetorik« und Hartnacks »Erachten von Legitimiert durch die unübersichtliche Vielfalt an Pub- den Historien« von Rudolf Stöber. Dies sind »verges- likationen und das Überangebot an mikroperspektivi- sene« Texte im Sinne des Bandes von Löffler und schen Fallanalysen auf dem Forschungsfeld der poli- Kümmel. Ein abschließender Beitrag von Johannes tischen Kommunikation legen Jarren und Donges ei- Raabe und Rudolf Stöber widmet sich den Akteuren ne Einführung in die und ein Lehrbuch für die politi- der Presse im 19. Jahrhundert – ein »Baustein« zu sche Kommunikationsforschung vor. Im Zentrum ste- einer modernen »Einzelmediengeschichte«. hen die komplexen Interaktionen zwischen Medien- Eine Abschlussbemerkung verbindet kritisch bei- und politischem System mit ihren Abhängigkeiten und de Veröffentlichungen. Ist schon die Frage »Was ist Anpassungsprozessen. Dabei gelingt den Autoren ein Medium«, die Grundfrage der »Medientheorie«, eine übersichtliche Einführung in die Thematik. Die nur unter Schwierigkeiten zu beantworten, so sei die für die politische Kommunikation in der Medienge- Frage des Rezensenten gestattet: Muss die Medien- sellschaft entscheidenden theoretischen Ansätze mit historiographie stets und immer nur ihren Gegens- den wichtigsten Begrifflichkeiten und entsprechenden tand methodologisch fremdbestimmt, ja »a-histo- Forschungsbeständen werden dargestellt und disku- risch« verhandeln? Hat sie keine »eigene« Methode? tiert. Dazu trägt vor allem der formale Aufbau der Sicher kann die Mediengeschichte nicht von sich aus Publikationen bei: Die systematisch aufgebauten, die methodologischen Probleme der Sozial- oder stark gegliederten und strukturierten Kapitel sowie Kulturgeschichte lösen, die diese selber als Problem zahlreiche Übersichten machen Sachverhalte für den erkannt hat und die sie zu Recht auf ihren Gegens- Leser leicht verständlich und entsprechen damit dem tand, die »Gesellschaft« und die »Kultur« beziehen, Anspruch einer Einführung bzw. eines Lehrbuchs. noch ehe sich die Medienwissenschaft(en) über ihren Auch entwickeln Jarren und Donges einen eigenen Gegenstand, die »Medien« verständigt haben. Die Ansatz zur Analyse politischer Kommunikations- Übernahme und die Diskussion der Problemstellun- strukturen und -prozesse und leisten vor allem mit gen der benachbarten Wissenschaften schaffen nicht ihrer meso- und makroanalytischen Vorgehensweise von vorn herein Klarheit im eigenen Feld. Sicher las- einen wesentlichen Beitrag zur Systematik des For- sen sich die Probleme »Medien und Gesellschaft«, schungsfeldes. »Medien und Kultur« wie auch »Medien und Technik« Die Autoren begreifen politische Medieninhalte als nicht ausklammern. So notwendig Verweise auf das Ergebnis von politischen Medienstrukturen und Inter- Wissen und die Methodenprobleme der Sozial- und aktions- bzw. Aushandlungsprozessen, die ständig Kulturgeschichte, der Kenntnis der Technikge- zwischen politischen Journalisten und politischen schichte auch sind, sie lösen jedoch nicht allein die Akteuren stattfinden und damit ein Handlungssystem Probleme einer Historiographie der Medien. Dass die konstituieren. Diesen Ansatz entwickeln sie aus der Mediengeschichte einen reichen Gegenstand hat, Einführung in die Thematik heraus. den es historisch zu erkunden gilt, zeigen beide Bän- Dazu diskutieren Jarren und Donges im ersten de in eindrucksvoller Weise. Band zunächst System- sowie Handlungstheorie als Helmut Schanze, Siegen Basistheorien zur Analyse von politischer Kommuni- kation, um ihren eigenen Ansatz theoretisch als Ver- 1 Vgl. die Rezension von Sabine Schiller-Lerg: knüpfung von system- und handlungstheoretischen Dichtung und Rundfunk – 1929. Ein Dokument Überlegungen zu positionieren. Anschließend werden der Stiftung Archiv der Akademie der Künste. Ber- der Staat und das politische System als Rahmen und lin 2000. In. RuG Jg. 27 (2001), H. 1/2, S. 82. Öffentlichkeit als Raum von politischer Kommunikati- 2 17th International Association for Literary and on vorgestellt. Nach der Betrachtung von Organisati- Linguistic Computing Conference and 10th Inter- onen wie Parteien und Verbänden als Akteuren des national Conference on Computers and Humani- politischen Prozesses schließt der erste Band mit der ties (ALLC-ACH 90). theoretischen und empirischen Analyse von Medien 3 Carsten Winter: Der Zusammenhang von Me- und Medienstrukturen als Handlungsrahmen für die dienentwicklung und Wandel als theoretische politische Berichterstattung und für politische Akteu- Herausforderung. Perspektiven für eine artikulati- re. onstheoretische Ergänzung systemfunktionaler A- Dem zweiten Band stellen Jarren und Donges ei- nalysen. S. 65ff. ne Beschreibung des politischen Prozesses mit sei- 4 Thomas Steinmaurer: Medialer und gesellschaftli- nen einzelnen Phasen und jeweiligen Kommunikati- cher Wandel. Skizzen zu einem Modell. S. 103ff. onsmöglichkeiten und damit auch Einflussmöglich- 166 Rundfunk und Geschichte 29 (2003)

keiten von Medien voran. Bereits durch diese diffe- tig als Instrument des Mediensystems zur Mediatisie- renzierte Sicht relativieren die Autoren die Bedeutung rung und Entpolitisierung von Politik bewerten. von Medien für politische Entscheidungsprozesse: So mangelt es vor allem dem zweiten Band an Medien und Medienstrukturen sind für politische Ak- Bezügen zum aktuellen medialen und politischen Ge- teure nur in bestimmten Phasen des politischen Pro- schehen. Dennoch sind beide Bände zur Einführung zesses relevant und bilden lediglich den Handlungs- in die Thematik sowie jedem Wissenschaftler vor der rahmen, in dem sie strategisch agieren; der Rahmen Analyse und Bewertung von Erscheinungsformen von bleibt weiterhin das politische System. Diesen struk- politischer Kommunikation zu empfehlen. Allerdings turellen Zusammenhang übersehen viele mikroanaly- wird der Lesefluss erheblich durch orthographische tische Arbeiten, die auf der Basis einzelner Wahl- und typographische Fehler gestört, die auf fast jeder kampfbeobachtungen das verzerrte Bild eines sich Seite vorkommen. unter dem Druck des Mediensystems auflösenden Claudia Kusebauch, Halle/Saale politischen Systems heraufbeschwören und von Jar- ren und Donges deshalb zu Recht kritisiert werden. Jarren und Donges weisen dagegen in ihrer aus- Mattias Lau führlichen Analyse des Handlungssystems aus Poli- Pressepolitik als Chance. tik, PR und Journalismus mit dem Ziel der Produktion Staatliche Öffentlichkeitsarbeit in den Ländern der von politischen Themen in den Medien sowohl die Weimarer Republik (= Beiträge zur Eigenständigkeit der einzelnen Akteure in ihren Sys- Kommunikationsgeschichte, Bd. 14). temen als auch gemeinsame Interaktions- und An- Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2003, 441 Seiten. passungsprozesse empirisch fundiert nach: Zwar unterliegen politische Themen dem Verarbeitungs- Nachdem die Öffentlichkeitsarbeit der Reichsregie- prozess des journalistischen Systems, das insofern rung während der Weimarer Republik schon vielfälti- für die politischen Akteure einen gewissen Unsicher- ge Aufmerksamkeit der wissenschaftlichen Öffent- heitsfaktor darstellt. Allerdings hat sich das politische lichkeit gefunden hat, wird nunmehr eine Studie vor- System mit den Akteuren und Instrumenten der politi- gelegt, die darstellen will, wie Länderregierungen in schen PR ein funktionales Handlungsfeld geschaffen, diesen Jahren damit umgegangen sind. Nach der das mittels Kommunikation die Handlungen von Ak- Einführung über »Pressestellen als politische Füh- teuren des Mediensystems beeinflusst. Dazu wird auf rungsinstrumente in der Weimarer Republik« folgen gemeinsame Interaktionsformen von politischen Ak- Kapitel u.a. über die Mitarbeiter der regionalen Pres- teuren und Journalisten wie etwa die Bundespresse- sestellen und deren »Bekenntnis zu staatlich ge- konferenz verwiesen. lenkter publizistischer Aktivität«, zu Kompetenzkon- Trotz der zahlreichen Beispiele und Verweise auf flikten und Kontrollen des Informationsflusses, Kam- Analysen wären insbesondere zum Mediensystem pagnen, bei denen sich der Staat als Partei versteht. differenziertere und ausführlichere Betrachtungen Dank eines außergewöhnlich breit angelegten wünschenswert gewesen. So bleibt etwa die Bewer- Sachregisters lassen sich rasch rundfunkbezogene tung von redaktionellen Leistungen im Bereich des Daten und Fakten ermitteln. Ausgehend vom Stich- politischen Journalismus in audiovisuellen Medien wort »Rundfunk« mit rund einem Dutzend Unter- sehr stark der Differenz von gebührenfinanzierten punkten scheint der interessanteste derjenige zu öffentlich-rechtlichen und werbefinanzierten privaten sein, der »Pressechefs als Rundfunkpolitiker« avi- Sendeanstalten verhaftet. Die Autoren übersehen siert. Dabei taucht Hans Goslar, der Pressechef des dabei, dass auch öffentlich-rechtliche Rundfunkan- preußischen Staatsministeriums, auf, der leider nur bieter zunehmend unter ökonomischem Druck stehen vage als Kontrolleur des überparteilichen Rundfunks und darauf bisher im informativen Programmbereich wahrgenommen wird, obwohl er als stellvertretender mit der Erweiterung ihres Angebots um quotenträch- Aufsichtsrat der Dradag, der zentralen Nachrichten- tige Formate des Infotainment reagierten. Gerade agentur, fungierte. Dankenswerterweise macht eine diese qualitative Veränderung von Darstellungsfor- in diesem Zusammenhang stehende Fußnote darauf men verbindet öffentlich-rechtliche und private Rund- aufmerksam, dass Goslar Karl Kautsky für Rund- funkanbieter und ist vor allem für den Bereich der po- funksendungen aus dem Reich als Antwort auf litischen PR interessant. Infotainment diskutieren Jar- deutschsprachige Programme aus der Sowjetunion ren und Donges jedoch kaum. Dabei würden die Dar- zu gewinnen versuchte. Weitere Stichworte verwei- stellung und Diskussion etwa der politischen Talk- sen u.a. auf »Deutsche Stunde«, »Rundfunkkommis- show als momentan bevorzugtes Format der Selbst- sar« und »Überwachungsausschuss«. darstellung und Werbung von Politikern vor allem den »Medienpolitik« hätte das Buch auch heißen kön- zweiten Band thematisch erheblich aufwerten. Dabei nen, obwohl es sich hauptsächlich um die Presse könnten die Autoren auf der Basis ihres eigenen An- handelt, den Rundfunk am Rande mit berücksichtigt, satzes zeigen, wie sich politische Akteure darstelle- den Film aber vergisst. Der Rezensent weiß natürlich, risch auf das audiovisuelle Medium als Handlungs- dass der Film laut Reichsverfassung zur Gesetzge- rahmen einstellen, dabei aber inhaltlich im Rahmen bungskompetenz des Reiches gehörte, Aktivitäten des politischen Systems bleiben, indem sie für sich der Länder auf diesem Gebiet aber auch nicht aus- und ihre politischen Ziele werben. Damit wäre gleich- geschlossen waren. Oder sollte der Rezensent etwas zeitig eine Grundlage zur Kritik der zahlreichen Ana- übersehen haben? Der Film kommt im Register je- lysen geschaffen, die die politische Talkshow einsei- denfalls nicht vor. Ansgar Diller, Frankfurt am Main Rezensionen 167

Christoph Maria Fröhder zum telegenen Statement-Aufsager, der dem Hei- Ein Bild vom Krieg. matsender möglichst noch stündlich eine Zusam- Meine Tage in Bagdad. menfassung der Ereignisse vor Ort zukommen lässt, Hamburg: Hoffmann und Campe Verlag 2003, kritisiert er. Als »eingebetteten« Journalisten gar – 176 Seiten. auch diese Praxis der amerikanischen Informations- kontrolle während des Irakkriegs beschreibt er – »Der Kriegsalltag ist meist profaner, als er in den könnte man sich Fröhder nicht vorstellen. Er stellt ei- Heldenepen von Kriegsreportern geschildert wird«. ne berechtigte Frage: Ist das Fernsehen für kritische (S. 29) Wer könnte da gemeint sein? Christoph Maria oder gar investigative Berichterstattung noch das Fröhder, einer der dienstältesten und profiliertesten richtige Medium? »Ich habe diese Frage nie wirklich deutschen Krisenberichterstatter, legt kurz nach dem beantwortet, vielleicht auch aus Sorge, den Boden (vorläufigen) Ende des Irakkriegs ein aufschlussrei- unter den Füßen zu verlieren«. (S. 140) ches, höchst informatives und reflektiertes Buch vor. Insgesamt ein eindrucksvolles, gut recherchiertes In ihm schildert er seine Erlebnisse in Bagdad im Buch, das Relevanz auch über das aktuelle Gesche- Frühjahr 2003, der Zeit der letzten Gefechte von hen im Irak hinaus beanspruchen darf. Wenn der Saddam Husseins Regime. Rückblenden führen auch Autor allerdings schreibt, die amerikanische Regie- ins Jahr 1991 zurück, als Fröhder im zweiten Golf- rung habe es »unterlassen, den Informationshunger krieg als einziger westlicher Korrespondent neben der Iraker zu stillen« und die oppositionellen Kräfte im Peter Arnett von CNN in der irakischen Hauptstadt Irak etwa mittels Radiosender zu unterstützen (S. Stellung hielt, anders als sein Kollege aber keine un- 129), übersieht er schlicht die Existenz des arabi- zulässigen Kompromisse mit den Machthabern ein- schen Programms der Voice of America (bis Frühjahr ging (und mangels effektvoller Bilder anschließend 2002), dessen Nachfolgeprogramm für die gesamte nicht so berühmt wurde wie Arnett). arabische Welt namens Radio Sawa, die von Flug- Viel erfährt der Leser über den Berufsalltag eines zeugen abgestrahlten Hörfunk- und Fernsehsendun- westlichen Journalisten unter den Bedingungen einer gen der U.S. Air National Guard (ab Dezember 2002) Diktatur: etwa wie man den staatlichen Aufpasser und sowie Radio Free Iraq, ein arabisches Angebot von Begleiter abschüttelt oder das Informationsministeri- Radio Free Europe/Radio Liberty seit Oktober 1998. um und die allgegenwärtige Zensur überlistet. Oder Oliver Zöllner, Köln wie brenzlige Situationen entstehen und Interview- partner gefährden. Oder auch den Autor: Als die a- merikanischen Truppen schon am anderen Tigrisufer Paul Lesch stehen, werden Fröhder und sein Kameramann noch Heim ins Reich? beinahe Opfer von Saddams skrupelloser Präsiden- NS-Filmpolitik und die Rezeption deutscher Filme in tengarde. Mehr als über sich selbst erzählt der Autor Luxemburg 1933 - 1944. Aus dem Französischen von aber von seinen Begegnungen mit Irakern aller Stän- Georges Hausemer. Mit einem Vorwort von Martin de, die oftmals viel Mut beweisen, ihm Auskunft zu Loiperdinger (= Filmgeschichte International. geben. Wie das Regime versucht, zivile Kriegsopfer Schriftenreihe der Cinémathèque Municipale de propagandistisch auszubeuten, führt Fröhder an- Luxembourg, Bd. 10). schaulich vor. Viele andere Begebenheiten sind auch Trier: Wissenschaftlicher Verlag 2002, 174 Seiten. in seiner nüchternen Art der Erzählung noch schre- ckensreich genug, etwa nach dem Fall des Regimes Zu den herausragenden Verdiensten der von Uli Jung die Besichtigung einer Folter- und Hinrichtungsstätte vor zehn Jahren begründeten Schriftenreihe zählt die – für Fröhder so unerträglich, dass er die Führung konsequente Berücksichtigung internationaler wie abbrechen musste. Seine eigenen ethischen Prinzi- regionaler Aspekte innerhalb der deutschen Filment- pien als Journalist – was ist dem Zuschauer zumut- wicklung. Deutschland hatte sich während und nach bar, was ist vertretbar – lässt der Autor immer wieder dem Ersten Weltkrieg zur führenden europäischen durchscheinen. Filmnation entwickelt. In der Folgezeit war kein ande- Ebenso deutlich wird Fröhder, wenn es um die res Land derart auf die Amortisation seiner Produkti- bürokratischen Scharmützel mit den deutschen Rund- onen im Ausland angewiesen, weil der eigene Film- funkanstalten geht, für die er seit rund 35 Jahren ar- markt hierfür zu klein war. Im Durchschnitt mussten beitet. Da scheinen noch einige Rechnungen offen zu die Filme deshalb etwa 40 Prozent ihrer Herstel- sein, was köstlich zu lesen ist und den Protagonisten lungskosten auf fremden Märkten einspielen. Die ö- (sie werden teils genannt, teils werden sie sich wohl konomischen Zwänge bildeten demnach die Ursache wieder erkennen) nicht immer zum Ruhm gereicht. für die Orientierung vieler Produzenten an internatio- Auch unsolidarisches Verhalten von Korresponden- nalen Marktentwicklungen. Das gilt auch für die Zeit ten-Kollegen im Berichterstattungsgebiet spießt der des Nationalsozialismus. Trotz vieler Brüche in den Autor an den passenden Stellen auf. Interessante zwölf Jahren zählte das Bemühen von Goebbels, den Blicke hinter die Kulissen fürwahr! deutschen Film auf den internationalen Filmmärkten Was professionelle Standards anbelangt, lässt zu verkaufen, vor Beginn des Zweiten Weltkrieges zu Fröhder nicht locker: Das selbstreferenzielle »Stille- den Konstanten seiner Politik. Danach über- Post«-Spiel der Journalistengemeinde, die Gerüchte schwemmten deutsche Filme die Lichtspieltheater wechselseitig aufkocht, anstatt zu recherchieren, ver- der besetzten Gebiete. Mangels anderer Alternativen achtet er. Den Wandel des Berufsbildes des Krisen- finanzierten somit die dortigen Besucher die immer berichterstatters weg vom klassischen Reporter hin 168 Rundfunk und Geschichte 29 (2003)

aufwändiger produzierten deutschen Filme zu einem drahtlose Telegraphie m.b.H.« gegründet, widmete entscheidenden Teil mit. sich Telefunken sowohl der Sender- und Antennen- Die vorliegende Publikation beschreibt im ersten als auch der Empfangstechnik für Hörfunk und später Teil sehr ausführlich die Situation des luxemburgi- dem Fernsehen. Personen wie Georg Graf von Arco schen Kinos von 1933 bei 1940. Der Autor konzen- und Hans Bredow in den Anfangsjahren sind ebenso triert sich dabei auf die verschiedenen Einmi- mit Telefunken verbunden wie Walter Bruch oder schungsversuche des übermächtigen deutschen Werner Nestel vor und nach dem Zweiten Weltkrieg. Nachbarn auf das Großherzogtum. Dieser Teil der Der Titel der vorliegenden Dokumentation »nach« Monographie verdeutlicht den massiven Druck, den Telefunken weist bewusst darauf hin, dass Telefun- das Reich auf das Nachbarland ausübte, um die ken bereits 1967 als eigenständiger Konzern aufge- Aufführung Deutschland-kritischer Filme zu verhin- löst und nur als Markenname weitergeführt wurde. dern. In einem zweiten Schwerpunktkapitel be- Vor allem ehemals leitende Mitarbeiter versuchen schreibt der Autor, wie in der Presse der unterschied- hier den »Mythos Telefunken« aufrecht zu erhalten lichen sozialen Milieus deutsche Filme reflektiert wur- und zeichnen in der Regel auch als Autoren. Der den. An Hand von Daten wird schließlich deutlich, Herausgeber weist deshalb in seiner Einführung zu dass die Rezeption des deutschen Films in den Jah- Recht auf die Subjektivität so mancher Beiträge hin. ren 1939/40 erheblich zurückging. Der »Telefunken-Geist«, den Felix Herriger be- An dieser Tendenz änderte sich nach der Erobe- schwört (S. 9), scheint z.B. schon in Kapitel-Über- rung Luxemburgs durch die Wehrmacht im Mai 1940 schriften wie »Der Ursprung. Im Kraftfeld von Zeitge- nichts. Vielmehr kam es anfänglich zu Boykottver- schehen – Zeitgeist – Erfindergeist«, »Sternstunden suchen, die aber mangels Alternativen nach wenigen der Telefunken-Forschung« oder »Entwicklung und Monaten in sich zusammenbrachen. Begünstigt wur- Kraft der Marke Telefunken« deutlich durch. de dieser Prozess durch die Veränderung des deut- Dennoch ist diese Firmengeschichte keine Anei- schen Filmangebotes im Großherzogtum. Zu Beginn nanderreihung bloßer Anekdoten und auch keine ver- der Okkupation dominierten nationalsozialistische klärende Darstellung aufgrund sentimentaler Erinne- Propagandafilme. Im Schutze der Dunkelheit wurden rungen, so dass sie sich von ähnlichen Firmenge- sie immer wieder mit lautstarken Unmutsäußerungen schichten erkennbar abhebt. In neun Kapiteln werden vom Publikum begleitet. In der Folgezeit kamen dann in kompakter und anschaulicher Form die einzelnen vor allem Unterhaltungsfilme in die Kinos. Die Be- Geschäftsfelder vorgestellt. Das erste Kapitel ist ein richte des Sicherheitsdienstes der SS bezeichnen Überblick über die Firmengeschichte, die auch diese Entwicklung eindeutig als im Sinne des Dritten schwierige Themen wie die Zwangsarbeiter-Rekru- Reiches kontraproduktiv. Alle Versuche die Situation tierung im Zweiten Weltkrieg durchaus nicht aus- zu ändern, scheiterten jedoch am Publikum. klammert. Die folgenden Kapitel befassen sich mit Die sorgfältige Auswertung interner Berichte der dem ursprünglichen Geschäftsfeld, der Funk- und Okkupanten zum Kinobesuch ergänzt der Autor durch Sendertechnik, der Entwicklung von Empfangsgerä- eine Analyse der Einspielergebnisse, die weitere ten für Hörfunk und Fernsehen, Röhren- und Halb- Rückschlüsse auf das Publikumsinteresse erlauben. leiter-Technologie, der Übertragungstechnik in glo- Es wird deutlich, dass das vermeintlich propagandis- balen Netzen bis hin zu den Telefunken-Aktivitäten im tisch so wirkungsmächtige Medium Film auf enge Bereich der Unterhaltungsindustrie (z.B. die »Tele- Grenzen stieß, wenn das Publikum sich ihm verwei- funkenplatte«). gerte. Somit lassen sich am Kinobesuch, zu dem Für den Historiker bieten die Darstellungen der niemand gezwungen wurde, auch recht gut die Men- Firmengeschichte und der Sender- und Empfangs- talitäten und Stimmungen der Luxemburger Bevölke- technik eine schnelle, gut lesbare erste Orientierung, rung zu ihren Besatzern ablesen. die noch dadurch gewinnt, dass im Anhang auf wei- Der lesenswerten Analyse wurden verschiedene terführende, auch wissenschaftliche Literatur zum Dokumente angefügt, die dem Leser die Möglichkei- jeweiligen Themenbereich verwiesen wird. Der An- ten eröffnen, zentrale Aussagen des Buches am Ori- hang enthält darüber hinaus ein Personenregister ginaltext nachzuvollziehen. Ein Personen- und Film- und eine kurze Chronik, allerdings leider kein Sach- index runden das sehr gelungene Buch ab. register, das angesichts der Breite der Tätigkeitsfel- Wolfgang Mühl-Benninghaus, Berlin der von Telefunken sehr hilfreich gewesen wäre. Die- se Firmendokumentation gewinnt zusätzlich durch die sorgfältige Zusammenstellung der Bild- und Textdo- Erdmann Thiele (Hrsg.) kumente. Es ist keine wissenschaftliche Abhandlung, Telefunken nach 100 Jahren. aber eine durchaus informative, aufschlussreiche Do- Das Erbe einer deutschen Weltmarke. kumentation über ein Unternehmen, das Rundfunk- Berlin: Nicolai Verlag 2003, 339 Seiten. geschichte geschrieben hat. Michael Crone, Frankfurt am Main Nach zwei Bänden zur Geschichte der AEG (Peter Strunk: Die AEG; Lieselotte Kugler: Die AEG im Bild) legt der Nicolai Verlag nunmehr einen weiteren volu- minösen Band zur Geschichte eines Unternehmens, einer Marke vor, die die Entwicklung des Rundfunks in Deutschland von Beginn an maßgeblich mitge- staltet hat. 1903 ursprünglich als »Gesellschaft für Rezensionen 169

Marie J. Berchoud als 10 Prozent der analysierten Briefe von Frauen RFI et ses auditeurs. geschrieben wurden, was schlüssig zu erklären der »Chers émetteurs...«. Forscherin erkennbar schwerfällt. In der Tat hören in Paris u.a.: L’Harmattan 2001, 223 Seiten. vielen afrikanischen Ländern deutlich weniger Frauen Radio als Männer: Die Frauen sind mit anstrengen- Interkulturellen Austausch, Dialog gar, haben sich den Feld- und Hausarbeiten beschäftigt – die Männer viele Auslandsrundfunksender als Ziel gesetzt, und in gönnen sich derweil ein paar Stündchen gemein- der Tat wohnt dem grenzüberschreitenden Rundfunk schaftlichen Radiohörens. ein großes kommunikatives Potenzial inne. Dessen Oliver Zöllner, Köln sichtbarste Manifestation ist die Hörer- und Zuschau- erpost. Die Deutsche Welle etwa erhält übers Jahr rund 600 000 Zuschriften in über 30 Sprachen, bei Dieter Daniels Radio France Internationale (RFI) gehen mehr als Kunst als Sendung. 1 000 Briefe pro Monat ein. Hörer – individuell oder Von der Telegrafie zum Internet. als Hörerclubs organisiert – fragen nach, loben, kriti- München: Verlag C.H. Beck 2002, 315 Seiten. sieren, fordern vertiefende Materialien an oder er- zählen etwas von sich – man kann es auch parasozi- Dieter Daniels Buch gehört zu den herausragenden ale Interaktion nennen. Monographien, die sich mit dem Wechselspiel von Reichhaltiges Material also, das als Rezipienten- Kunst, Medien und Medienkunst auseinandersetzen. feedback in die Programmgestaltung einfließt, aber Es ist in zwei aufeinander Bezug nehmende Teile ge- selten nur systematisch erforscht wird. Marie Ber- gliedert. Der erste, technikgeschichtlich orientierte, choud hat Anfang 2000 bei RFI eine Stichprobe von beginnt mit der Motivrekonstruktion von Kunst und insgesamt 678 Hörerbriefen gezogen und diese einer Medien. Ausgangspunkt ist die zeitgleiche Eröffnung qualitativen Inhaltsanalyse unterzogen. Dabei ging es des Louvre und der ersten optischen Telegraphenli- der Sprachwissenschaftlerin neben einer Grunderhe- nie zwischen Paris und Lille. Kunst und Technik, so bung von inhaltlichen Strukturmerkmalen um die Er- die Grundthese, wirken seit dieser Zeit aufeinander. forschung von Kontakt- und Schreibstrategien der Die frühen Medienerfinder Daguerre und Morse betä- Rezipienten, um Fragen der Repräsentation und um tigten sich vor ihren bahnbrechenden Erfindungen Möglichkeiten der interkulturellen Kommunikation selbst als Künstler. Beide, der erste Fotograph und trotz aller inhärenten Distanzen zwischen Hörer und der Pionier der Telegraphie erzeugten zur zeitgenös- Sendeanstalt: geographisch-physischen wie auch sischen Kunst inkompatible Reproduktionsverfahren, kulturellen, sozialen und machtbedingten. die ihrerseits die Basis für die Dominanz der media- Die Briefschreiber in der – recht kleinen – Stich- len Wahrnehmung im 20. Jahrhundert wurden. Das probe sind meist jung (soweit sich das anhand von Beispiel des Leinwand-Spannrahmens, in dem Sa- Altersangaben feststellen lässt). Zu über 90 Prozent muel Morse sein Empfangsgerät installierte, symboli- sind sie männlich, häufig noch in der Ausbildung und siert für den Autor, dass die Medientechnik auch schreiben vorrangig aus Afrika, genauer: dem franko- weiterhin auf Kunst reagiert. Dennoch mussten mit phonen Afrika, dem postkolonialen Hauptnutzungs- dem Aufkommen der Fotographie und Telegraphie gebiet von RFI. In den Schreiben findet auffällig häu- die Künstler ihren bisherigen ästhetischen Alleinver- fig eine Art Stellvertreter- oder Fürsprecher-Kommu- tretungsanspruch mit den Ingenieuren teilen. nikation statt, bei der der Hörer/Autor – der »au(di)- Nachdem im ersten Teil die technischen Entwick- teur«, wie Berchoud ihn wortspielerisch nennt – auch lungen dargestellt wurden, widmet sich der zweite der im Namen anderer Personen seines sozialen Kon- ästhetischen und damit der theoretischen Reflexion texts handelt. Typisch für diesen Rekurs auf ein sym- dieses Prozesses. Der Futurismus oder der Kubis- bolisches Kollektiv ist der oftmals rasche Übergang mus, die Radio-Utopien Guillaume Appolinaires und vom »Sie« zum »Du« und vom »Ich« zum »Wir« in- eine Reihe weiterer Beispiele, die bisher noch nicht nerhalb eines Briefes oder im Verlauf eines längeren im Kontext der Radioentwicklung untersucht wurden, Kontakts. Berchoud vermutet hier einen zumindest sind für Daniels entscheidende Belege für eine impliziten und durchaus reziproken »Vertrag der ra- gleichberechtigte Beeinflussung von Kunst und Tech- diophonischen Kommunikation«. Ihn interpretiert sie nik. Gleichzeitig richtet er sein Augenmerk auf die auch im Zusammenhang von Entwicklungskommuni- vielen Amateure, die insbesondere im Rundfunk wie kation: Die Hörerpost, so wird deutlich, vermag in An- später im Internet entscheidende Einfluss auf die sätzen den Übergang von der einwegigen Diffusion Anfänge der jeweiligen Medien nehmen und damit zur zweiwegigen Partizipation zu markieren, wenn deren industrielle Hardwareproduktion entscheidend auch bloß im Symbolischen (und letztlich nur nach befördern. Diese Medienamateure haben für Daniels den Regeln des Rundfunk-Kommunikators funktionie- eine entscheidende Funktion: »Was einmal die Sti- rend, so sei anzumerken). mulans für die Kunst war, führt nun zur Entstehung Zu diesen und zahlreichen anderen Themen prä- von Medientechniken. Aber diese Medientechniken sentiert Berchoud anregende Überlegungen und In- werden nicht mehr erfunden, sondern evoziert, durch terpretationen, wenn diese manchmal auch etwas eine massenhafte Bewegung«. (S. 231) Medien, so sprunghaft wirken. Einige Teilergebnisse wären si- eine der wichtigsten Thesen des Buches, entstehen cher runder geworden, wenn sie Erkenntnisse aus durch Substitution von Kunst. Utopie, welterfahrbare der senderinternen Medienforschung stärker zu Rate Kraft etc., die bisher der Kunst zugeschrieben wur- gezogen hätte. Etwa das Phänomen, dass weniger 170 Rundfunk und Geschichte 29 (2003)

den, werden nun von der Medientechnologie und vor Reinhard R. Doerries (Hrsg.) allem durch die sie nutzenden Amateure artikuliert. Diplomaten und Agenten. Zu den großen Stärken dieses Buches zählen die Nachrichtendienste in der Geschichte der vom Autor immer wieder gezogenen intermedialen deutsch-amerikanischen Beziehungen (= American Parallelen, selbst wenn sie an einigen Stellen etwas Studies – A Monograph Series, Vol. 88). überspitzt sind. So entdeckt Daniels in Reden des Heidelberg: Universitätsverlag C. Winter 2001, französischen Revolutionärs Joseph Lakanal und des 229 Seiten. ehemaligen amerikanischen Vizepräsidenten Al Gore das gleiche Versprechen einer zukünftigen medialen Geheimdienste als Akteure der politischen und ge- Demokratie und er zieht Parallelen zwischen dem sellschaftlichen Entwicklung und die Analyse ihrer zeitungszappenden Flaneur im Verständnis von klandestinen Tätigkeit – changierend zwischen Dip- Walter Benjamin und den heutigen Internetsurfern. lomatie und Militär – werden immer wichtiger. Im Ge- Der Filmkunstdiskurs verdeutlicht, dass die histori- gensatz zu Wissenschaftlern in den USA und Groß- sche Perspektive der spezifischen Medienentwick- britannien, die dies als Forschungsfeld längst aus- lung viele von den Protagonisten als neu deklarierten gemacht haben, hat die deutsche Forschung diesbe- Möglichkeiten relativiert. Medien-Kunst erlangt dabei züglich ein beträchtliches Defizit aufzuweisen. Aus für Daniel einen reproduzierenden Charakter. Sie diesem Grund hat der 42. Deutsche Historikertag nimmt vorweg und zeigt, was die technischen Erfin- 1998 in Frankfurt am Main der Präsentation entspre- dungen leisten könnten, würden sie nicht im Zuge der chender Forschungsergebnissen ein Forum geboten, industriellen Entwicklung für einen Massenmarkt die- die – mit einer Ausnahme – in der vorliegenden Pub- ser Möglichkeiten beraubt. likation nachzulesen sind. Deutschland und die USA Die Untersuchung der Medientheorien erfolgt un- vom Ersten Weltkrieg bis zum Kalten Krieg stehen im spektakulär rezipierend. Am Ende werden sie alle Mittelpunkt. Die Publikation knüpft an einen Sammel- durch das Offenlegen ihrer Widersprüche und Leer- band an, den Jürgen Heideking zusammen mit stellen einer kompletten Revision unterzogen. In die- Christoph Mauch 1993 herausgegeben hat und der sem Kontext verabschiedet sich Daniels von allen den Geheimdienstaktivitäten der USA gegen das bisherigen Versuchen, die Beziehungen von Kunst Dritte Reich nachging.1 und Medien im Sinne eines Reaktions- oder Antizipa- Im vorliegenden Sammelband wird ein breiteres tionsmusters zu beschreiben. Stattdessen verwendet Spektrum thematisiert: Es reicht von den Aktivitäten er mit den Begriffen »Substitution« und »Evokation« deutscher Agenten während des Ersten Weltkriegs in zwei in hohem Maße offene und damit anschlussfähi- den USA und ihren Einfluss auf die deutsch- ge Begriffe. Der diesbezüglich wohl entscheidende amerikanischen Beziehungen von 1914 bis 1917, ü- Satz lautet: »Medien entstehen durch die Substitution ber das Verhältnis zwischen amerikanischer Armee ehemals zur Kunst gehörender Motive – aber die und deutscher Reichswehr während der Jahre der Kunst selbst hat nicht das Potential, solche Umbrü- Weimarer Republik, der Wahrnehmung des deut- che wie etwa den Radioboom oder den Netboom zu schen Widerstandes durch das Office of Strategic evozieren. Die Position des modernen Künstlers Services (OSS), dem Vorläufer des Central Intelli- bleibt, auch wenn er mit und an Medien arbeitet, die gence Agency, besser bekannt unter seiner Abkür- des einsamen Flaneurs, der zwar seine Erlebnisse in zung CIA, bis zur Interpretation, welche Bedeutung antizipative Werke fassen kann, aber selbst nicht das Nachrichtendienste für die internationalen Beziehun- hervorbringt, was er vorausahnt.« (S. 223). gen während der Zeit des Kalten Kriegs gehabt ha- Aus der profunden Kenntnis der Geschichte über- ben. Abgesehen von den Akten des Staatssicher- spitzt Daniels an dieser und vor allem am Ende des heitsdienstes der DDR, die (nahezu) problemlos zu- Buches die Rolle des Künstlers im modernen Me- gänglich sind, galt das (auch) mit entsprechenden dienbetrieb. Dennoch gibt sein Buch eine Vielzahl Einschränkungen für diejenigen der USA. meist relationistisch formulierter Antworten im Kontext Ein Forschungsfeld ist aufgetan, das noch lange eines Überblicks über mehr als 200 Jahren Medien- nicht erschöpft, sondern noch mehrere Historikerge- geschichte im Zusammenhang mit der nach wie vor nerationen beschäftigen wird. aktuellen Frage nach dem Verhältnis von (Post-)Mo- Ansgar Diller, Frankfurt am Main derne, Technik und Kunst. Die hier vorgelegten Ar- gumente und Fakten werden mit Sicherheit die me- 1 Jürgen Heideking / Christof Mauch (Hrsg.): Ge- dienhistorischen und -theoretischen Diskurse weit heimdienstkrieg gegen Deutschland. Göttingen über Deutschland hinaus neu beleben. 1993. Rezension in: RuG Jg. 20 (1994), H. 4, S. Wolfgang Mühl-Benninghaus, Berlin 233f.

Dieter Bohlen mit Katja Kessler Nichts als die Wahrheit. München: Wilhelm Heyne Verlag 2002, 335 Seiten.

Deutschland sucht den Superstar auf RTL und hat ihn doch längst gefunden. Aus seiner mechanischen Fe- der stammt die Erkennungsmelodie der ARD-Sport- schau, er ist offizieller »Held der russischen Jugend« und gilt nicht unbegründet als einer der bedeutends- Rezensionen 171

ten (= meistverkauften) deutschen Komponisten der heid, die der Schweizerische Bundesrat selbst in Gegenwart: Dieter Bohlen (geb. 1954) und seine Auftrag gegeben hat, herangezogen werden müssen. Produktionen prägten den Musikgeschmack nicht nur Die von der Archivgesetzgebung gesetzten Rah- Europas, sondern auch weiter Teile Ostasiens, wie menbedingungen, so vermutet die für das Heft ver- man sich bei jedem Rundgang über die CD- antwortliche Herausgeberin, würden die meisten Schwarzmärkte selbst in der chinesischen Provinz Historikerinnen und Historiker nicht kennen. Deswe- überzeugen kann. In seinen Memoiren legt der König gen kommen Fachleute zu Wort, die die Archivge- des »Europop« einen erfrischenden Beitrag zur Po- setzgebung ihrer Länder erläutern, um dem vermu- pulärkultur der Bundesrepublik vor, der einen Inter- teten Defizit abzuhelfen. Es geht um Länder wie pretationsansatz zum Verständnis der – oft ge- Deutschland, dessen Archivgesetzgebung 1987 be- schmähten und derzeit zweitverwerteten – 80er Jahre gann, oder die Schweiz, die entsprechendes erst seit (»Modern Talking«) und ebenso der Gegenwart (Ve- 1999 kennt. Es geht aber auch um die USA und ihren rona/Feminismus-Debatte) liefert, ohne jedoch Inter- »Freedom of Information Act« und einen Nachzügler pretationshoheit für sich zu beanspruchen.1 wie Russland, der gleich in zwei Beiträgen vorgestellt Das Buch folgt einem grob chronologischen Auf- wird: in einem über die Geschichte des ehemaligen bau und ist recht flüssig zu lesen. Die zentralen Ka- Sonderarchiv(s) Moskau und in einem über die wirt- pitel widmen sich Kollegen, Interpreten und Lebens- schaftlichen Rahmenbedingungen. Unter der Über- gefährtinnen Bohlens, wobei sich besonders die schrift »Archivzugänge« präsentiert etwa in der Mitte Ausführungen zu letzteren einer lebendigen, biswei- des Schwerpunktes eine Fotografin Impressionen aus len drastischen Sprache bedienen. Dies schuldet das dem Inneren eines Archivs. Zu sehen sind u.a. Ak- Buch seinem offensichtlichen Entstehungszusam- tenseiten und Aktenbände, Archivkästen und Kartei- menhang als Projekt der Oral History (Leitung: Dr. karten, Regale und Findbücher, Formulare und Ar- Katja Kessler). Gerade in seinem idiosynkratischen chivknoten – und sogar in einem Regal gestapelte Jargon erweist sich Bohlen einmal mehr als Zyniker Filmrollen möglicherweise als pars pro toto für die in eigener Sache. Allzu private Details spart der Autor AV-Archivalien. jedoch überraschend aus – sehr zum Verdruss eines Ansgar Diller, Frankfurt am Main Teils des Publikums, das dieses Buch dennoch schnell zum Verkaufserfolg machte und es die litera- rische Debatte zur Frankfurter Buchmesse 2002 bei- Annett Müller nahe beherrschen ließ. Trotz seiner akademischen Abschied in Raten. Herkunft (Bohlen ist studierter Wirtschaftswissen- Vom Neuen Weg zur Allgemeinen Deutschen Zeitung schaftler) wendet sich der Verfasser an eine eher für Rumänien. Der Wandel der Zeitung nach der nicht-universitäre Leserschaft, was der konsequente massenhaften Auswanderung der Deutschen aus Verzicht auf Fußnoten zum Ausdruck bringt. Zu be- Rumänien. grüßen ist die augenscheinlich recht vollständige Dis- Hermannstadt/Heidelberg: hora Verlag/Arbeitskreis kografie im Anhang, die allerdings mit ihrem Mangel für Siebenbürgische Landeskunde 2002, 297 Seiten. an genauen Erscheinungsdaten und Bestellnummern dokumentarischen Zwecken nicht genügt. Einen Be- Dass es nach 1945 in Rumänien – trotz Vertreibung, leg im Anhang wert gewesen wären auch die übrigen Verfolgung, Ausbürgerung und Aussiedlung der Verlagsproduktionen Bohlens gewesen, die die Deut- Deutschen – noch eine deutschsprachige Presse, sche Nationalbibliografie ausweist, ebenso die Bü- aber auch beispielsweise Bücher, Kalender und Lite- cher über ihn und seine Musikprojekte. Hier übt sich raturzeitschriften in deutscher Sprache gab, war bis- der Autor in eigentümlicher Bescheidenheit. her (hierzulande nahezu) unbekannt. Umso ver- Oliver Zöllner, Köln dienstvoller ist die Publikation von Annett Müller, ei- ner Leipziger Journalistin, die Mitte der 1990er Jahre 1 Im Detail hierzu Thomas Gottschalk: Düsseldorfer in Bukarest journalistisch gearbeitet hat. Die dabei Vorlesung, 7.11.2002 (»Es geht bei Dieter [Boh- über das rumänische Mediensystem gewonnenen len] (...) um ein Phänomen.«). Erkenntnisse, ergänzt um Literaturauswertungen und Inhaltsanalysen der untersuchten Publikationsorgane, verarbeitete sie in ihrer wissenschaftlichen Ab- Archivrecht – Archivzugang. schlussarbeit. Dabei steht der Wandel der Zeitung (= traverse. Zeitschrift für Geschichte Jg. 10 (2003), ›Neuer Weg‹ als Sprachrohr der rumäniendeutschen H. 2.). Bevölkerung zur ›Allgemeinen Deutschen Zeitung für Zürich: Chronos Verlag, 184 Seiten. Rumänien‹, die sich an alle der deutschen Sprache Mächtigen wenden will und Themen aus der ganzen Die Schweizerische ›Zeitschrift für Geschichte‹ setzt Welt anbietet, im Vordergrund. Aus einer Auflage von seit ihrem Bestehen in jeder Ausgabe einen Schwer- früher einmal bis zu 80 000 Exemplaren der überre- punkt, sogar in den Rezensionen. Was nicht aus- gionalen Tageszeitung in den 1950er Jahren für rund schließt, dass auch anderes, auch in den Bespre- 380 000 Deutsche sind inzwischen Mitte der 1990er chungen, zur Sprache kommt. Für den jüngsten Jahre 5 000 Exemplare für 80 000 Mitglieder der Schwerpunkt scheint die Auseinandersetzung um die deutschsprachigen Gemeinschaft geworden. Außer- 30-jährige Sperrfrist für Akten den Ausschlag gege- dem gibt es derzeit noch eine regionale Wochenzei- ben zu haben, die selbst für Unterlagen gelten soll, tung in deutscher Sprache und deutschsprachige die für eine Untersuchung zu den Beziehungen zwi- Sendungen im rumänischen öffentlich-rechtlichen schen der Schweiz und Südafrika während der Apart- 172 Rundfunk und Geschichte 29 (2003)

Rundfunk. Der »Neue Weg« geriet – nach zeitweili- Wolfgang R. Langenbucher (Hrsg.) gen »liberaleren« Phasen – wie die anderen rumäni- Elektronische Medien, Gesellschaft und schen Medien spätestens seit Ende der 1960er Jahre Demokratie. in den Sog des Personenkults um Ceausescu. Der (= Studienbücher zur Publizistik- und Auflagenschwund ging einher mit einer Auswande- Kommunikationswissenschaft, Bd. 11). rungswelle, die nach der politischen Wende 1989/90 Wien: Wilhelm Braumüller, Universitäts- ihren Höhepunkt fand. Die ›Allgemeine Deutsche Verlagsbuchhandlung 2000, 264 Seiten. Zeitung für Rumänien‹ – seit 1992 das Nachfolgepro- dukt – suchte mit einem Teil der auch schon zuvor Hannes Haas / Wolfgang R. Langenbucher (Hrsg.) beschäftigten Redakteure darauf eine Antwort zu ge- Medien- und Kommunikationspolitik. ben und sah sich zugleich der wechselvollen Ent- Ein Textbuch zur Einführung (= Studienbücher zur wicklung des postkommunistischen Landes konfron- Publizistik- und Kommunikationswissenschaft, tiert. Etliche Tabellen illustrieren die Befunde über Bd. 12). Auswanderung, Auflagen und Themen in den ausge- Wien: Wilhelm Braumüller, Universitäts- werteten Presseorganen. Die im Anhang abgedruck- Verlagsbuchhandlung 2002, 202 Seiten. ten Texte der Interviews mit Redakteuren, aus denen in der Darstellung eifrig zitiert wird, verdeutlichen den Innerhalb kürzester Zeit hat Wolfgang R. Langenbu- Transformationsprozess am Beispiel eines eher mar- cher, Professor für Publizistik- und Kommunikations- ginalen Presseorgans von einer Diktatur in eine wie wissenschaft der Universität Wien, teils allein, teils auch immer geartete Demokratie. mit seinem Kollegen Hannes Haas, Sammelbände Ansgar Diller, Frankfurt am Main mit zuvor an anderer Stelle verstreut publizierten und hier nachgedruckten Texten bzw. Textauszügen zu den Grundlagen und der Entwicklung der Kommuni- Kommunikation in Geschichte und Gegenwart. kation vorgelegt. Das Spektrum reicht von Beiträgen, (= Die Technikgeschichte als Vorbild moderner die unter dem Titel »Kommunikationsgeschichte« Technik, Bd. 27). versammelt sind, allerdings ausschließlich zum München: Georg-Agricola-Gesellschaft zur Förderung Rundfunk – Presse und Film fehlen – bis zur Digital- der Geschichte der Naturwissenschaften und der kommunikation. Als zu den Grundlagen der Kommu- Technik 2002, 160 Seiten. nikationspolitik zugehörig wird Brechts »Radiotheorie 1927 - 1932« bemüht. Weitere Beiträge befassen Zum Schwerpunkt ihrer Jahrestagung 2001 beim sich mit »Medienpolitik« und der Medienordnung im Deutschen Museum in München hat die Georg- »Kommunikationsraum Europa«. Agricola-Gesellschaft, die sich die Förderung der Ge- AD schichte von Naturwissenschaft und Technik auf ihre Fahnen geschrieben hat, die Wechselwirkungen zwischen gesellschaftlich-kultureller und technisch- Heinz D. Fischer / Arne Westermann wissenschaftlicher Entwicklung bei der Einführung Knappe Geschichte der Hörfunk- und verschiedener Kommunikationstechniken im 20. Jahr- Fernsehwerbung in Deutschland. hundert gemacht. Neben dem Festvortrag, der sich Leitfaden durch medienpolitische Stationen eines mit der 75-jährigen Geschichte der Gesellschaft Kommunikationsphänomens (= Bochumer Studien befasst, und einem überblicksartigen Beitrag über zur Publizistik- und Kommunikationswissenschaft, »Entwicklungsstufen und Determinanten der Kom- Bd. 96). munikationsgeschichte« gibt es Ausführungen zur Hagen: ISL-Verlag 2001, 151 Seiten. Funktechnik und den deutschen Kolonien, zum deut- schen Telefonsystem 1939, zum Wechselverhältnis Werbung, zu Anfang Reklame genannt, gehört seit von Technik und Programmangeboten im Hörfunk bis Beginn des Rundfunks nicht nur in Deutschland zu 1990, zum Übergang von Festnetztelefon auf Mobil- den ge- und verwünschten Programmbestandteilen. funk sowie zu den bisher 20-jährigen Erfahrungen mit In drei Kapiteln schildern die Autoren die Entwicklung dem Internet. Zu vermissen sind Stumm-/Tonfilm und in Deutschland: Einen kursorischen Kapitel über die Fernsehen. Warum? Hörfunkwerbung von den Anfängen 1924 (hätte lau- AD ten müssen: 1923, denn bereits die erste Ansage war eine Werbebotschaft, die des Schallplattenkonzerns »Vox«, aus deren Gebäude die erste Sendung aus- gestrahlt wurde) bis 1999, folgen zwei ausführlichere über das öffentlich-rechtliche Fernsehen und die Werbung von 1950 bis 1983 (die im Fernsehen aller- dings erst 1956 beim Bayerischen Rundfunk begann) sowie die Fernsehwerbung im dualen System nach dem »Urknall« des privat-kommerziellen Fernsehens 1984 und den Auswirkungen auf das duale System seit diesem Jahr. Ein Literaturverzeichnis macht den interessierten Leser auf weiterführende Literatur auf- merksam. AD Rezensionen 173

RIAS Berlin. Eine Radio-Station in einer geteilten Stadt. Berlin: Dietrich Reimer Verlag 22002, 424 Seiten.

RIAS Berlin, während des Kalten Krieges als Vor- posten der Freiheit vom Westen gerühmt und als Giftspritze in der Nachfolge von Goebbels vom Osten geschmäht, war bereits unzählige Male Gegenstand rundfunkhistorischer Darstellungen. Diese bezogen sich auf die Auseinandersetzungen der (elektroni- schen) Medien in der ehemaligen Reichshauptstadt beim Wettbewerb der (politischen) Systeme bei- spielsweise während des Aufkommens des Kalten Kriegs bis Ende der 40er Jahre.1 Ein populärwissen- schaftlich konzipiertes, vom ehemaligen langjährigen Programmdirektor des RIAS Berlin, Herbert Kundler, geschriebenes und mit zahlreichen Fotos und Faksi- mile versehenes Werk erschien bereits in erster Auf- lage 1994.2 Nunmehr folgte ein unveränderter Nach- druck in zweiter Auflage. AD

1 Vgl. Petra Galle: RIAS Berlin und Berliner Rund- funk 1945 - 1949. Münster u.a. 2003; vgl. die Re- zension in diesem Heft, S. 158. 2 Vgl. die Rezension von Werner Schwipps in. RuG Jg. 21 (1995), H. 2/3, S. 188. Bibliographie

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Filmmuseum Berlin. Kurzer Rückblick auf die Entstehung und Archi- tektur des Funkhauses Wallrafplatz des WDR in Haberer, Johanna: Gründerfigur. Zum Tode von Köln. Werner Hess. Nachruf. In: epd medien. 2003. H. 29/30. S. 25-26. Knilli, Friedrich: Wie aus den Medien eine Wissen- Intendant des Hessischen Rundfunks, 1961 - schaft wurde. Exposé für eine soziobiographische 1981. Fachgeschichte. In: Medienwissenschaft: Rezensio- nen, Reviews. Jg. 20. 2003. H. 1. S. 17-20. Häseler, Jens: Fremde Stimmen im Äther. Hörspiele Zur Vorgeschichte und Entwicklung der Medien- chilenischer Autoren in der DDR. In: Heidrun Adler / wissenschaft im 18., 19. und 20. Jahrhundert. Adrian Herr (Hrsg.): Fremde in zwei Heimatländern. Lateinamerikanisches Theater des Exils. Frankfurt Knott-Wolf, Brigitte: Sein Engagement ist aktueller a.M. 2002. S. 177-190. denn je. Ein Nachruf auf Gordian Troeller. In: Funk- korrespondenz. 2003. H. 13. S. 18-19. Hahn, Torsten: »Im Kampf um die Meinung in der Nachruf auf den Luxemburger Dokumentarfilmer Welt«. Der Fernseh-Krieg und die Selbstbeobach- (1917 - 2003), der zwischen 1974 und 1999 mehr als tung der Massenmedien. In: Irmela Schneider u.a. 70 Fernsehdokumentationen für Radio Bremen pro- (Hrsg.): Diskursgeschichte der Medien nach 1945. duziert hat. Bd. 2. Medienkultur der 60er Jahre. Wiesbaden 2003. S. 51-70. Kotte, Ingrid: So war's bei uns in der DDR. Fragen an Der Beitrag beschäftigt sich mit der durch die Be- eine Kollegin / Interview: Wolfgang Buresch. In: richterstattung über den Vietnamkrieg ausgelösten Wolfgang Buresch (Hrsg.): Kinderfernsehen. Vom Irritation im Mediendiskurs der 60er und 70er Jahre. Hasen Cäsar bis zu Tinky Winky, Dipsy und Co. Frankfurt a.M. 2003. S. 38-50. Über das Kinderprogramm des DDR-Fernsehens. 176 Rundfunk und Geschichte 29 (2003)

Kümmel, Albert: Massenmedien. In: Ästhetik und (ed. and publ.). Bd 2. 2003. S. 196-213. Kommunikation. Jg. 33. 2002. H. 119. S. 95-100. Überblick über die Entwicklung und die aktuelle Zur (Begriffs-)Geschichte der Massenmedien. Situation des Rundfunks in Afghanistan. »Historisch werden Techniken erst als Massenme- dien oder genauer Mass media überhaupt zu Medien. Oren, Tasha G.: The belly dancer strategy. Israeli e- Es gibt also, zumindest für einen in der Geschichte ducational television and its alternatives. In: Media, der Medien entscheidenden Moment, den ihres Er- culture and society Vol. 25. 2003. Nr. 2. S. 167-186. scheinens nämlich, nur Massenmedien.« Zur Entwicklung und zur Bedeutung des israeli- schen Fernsehens, speziell des Bildungsfernsehens Le Blanc-Marissal, Sandra: Sesamstraße – wieviel für die nationale Identität des Landes inmitten der Zeitgeist braucht ein Dauerbrenner?. In: Wolfgang arabischen Welt. Buresch (Hrsg.): Kinderfernsehen. Vom Hasen Cäsar bis zu Tinky Winky, Dipsy und Co. Frankfurt a.M. Papatheodorou, Fotini, David Machin: The umbilical 2003. S. 71-93. cord that was never cut. The post-dictatorial intimacy darin: Open Sesame – die Anfänge in den USA; between the political elite and the mass media in Sesam öffne dich – die Anfänge der Sesamstraße in Greece and Spain. In: European journal of communi- Deutschland cation. Vol. 18. 2003. Nr. 1. S. 31-54. Zur Transformation des spanischen und griechi- Leder, Dietrich: Zwischen den Krisen. Das Fernseh- schen Mediensystems von der Diktatur zur Demokra- jahr 2002 in Bildern, Tönen und Begriffen. In: Funk- tie. korrespondenz. 2003. H. 1. S. 1-27. Pelletier, Gerd H.: Das Vorbild. Günter Müggenburg Leuker, Hendrik: Neues von Radio Prag. In: Radio- ist im Alter von 76 Jahren gestorben. In: WDR print. Kurier – weltweit hören. 2003. H. 3. S. 8-10. Nr. 321. 2003. S. 11. Über den tschechischen Auslandsrundfunk und seine deutschsprachigen Sendungen; 65 Jahre Ra- Pleitgen, Fritz: Gedankenspiele. Die Rolle des Fern- dio Prag – Ein kurzer Rückblick; Radio Prag – Die sehens in der deutsch-deutschen Geschichte. In: epd Deutsche Stimme von der Moldau medien. 2002. H. 97. S. 3-8. Referat des Symposions »Fernsehgeschichte als Lilienthal, Volker: Dokumentarfilmer Gordian Troeller Zeitgeschichte / Zeitgeschichte als Fernsehgeschich- ist tot. Im Alter von 86 Jahren gestorben – Glässgen: te« am 5./6. Dezember 2002 in Hamburg. »Herausragende Persönlichkeit«. In: epd medien. 2003. H. 23. S. 23. Pokahr, Katrin (kp): Ralph Giordano. Filme-Macher, Nachruf auf den Luxemburger Dokumentarfilmer Buch-Autor und Anwalt der Schwachen. In: WDR (1917 - 2003), der seit den 70er Jahren mehr als 70 print. Nr. 323. 2003. S. 12. Fernsehdokumentationen für Radio Bremen produ- Zum 80. Geburtstag des Journalisten, Fernseh- ziert hat. dokumentaristen und Schriftstellers, von 1964 bis 1988 Autor und Redakteur des Westdeutschen Lotze, Wolfram: Leben in Serie. Die 900. Folge. Zur Rundfunks. Rezeption des ARD-Klassikers »Lindenstraße«. In: Funkkorrespondenz. 2003. H. 9. S. 5-7. Posewang, Wolfgang: Vom »Sündenfall« zur Werbe- krise. Zur Geschichte der Fernsehwerbung. In: Ten- Marel, Renate: Der Vater des »tele-zoos«. Zum Tode denz. Magazin für Funk und Fernsehen der Bayeri- von Alfred Schmitt. In: ZDF-Kontakt. 2002. H. 11. S. schen Landeszentrale für neue Medien. 2002. H. 4. 38. S. 26-28. Martens, René: König und Knecht. Zum Stand der Rohrbach, Günter: 50 Jahre Fernsehprogramm. In: Auslandsberichterstattung. 40 Jahre ARD- Fernseh-Informationen. Jg. 54. 2003. H. 2. S. 16-23. »Weltspiegel«. In: Funkkorrespondenz. 2003. H. 25. Vortrag des Symposiums »50 Jahre Fernsehen« S. 18-20. der Bayerischen Landeszentrale für neue Medien (BLM) und des Instituts für Kommunikationswissen- Matzen, Christiane: Chronik der Medienentwicklung schaft der Universität München am 3. Februar 2003 in Deutschland 2002. In: Medien & Kommunikations- in München. wissenschaft. Jg. 51. 2003. H. 1. S. 159-175. Rosenbauer, Hansjürgen: »Ein Stück Brandenburg.« Müller-Römer, Frank: 50 Jahre Fernsehtechnik. In: Zu Erfolgen und Problemen des ORB. Bilanz: ORB. Tendenz. Magazin für Funk und Fernsehen der Baye- Interview: Margarete Keilacker. In: Fernseh- rischen Landeszentrale für neue Medien. 2002. H. 4. Informationen. Jg. 54. 2003. H. 5. S. 8-15. S. 29-31. Vortrag des Symposiums »50 Jahre Fernsehen« Rosenfelder, Andreas: Medien auf dem Mond. Zur der BLM und des Instituts für Kommunikationswis- Reichweite des Weltraumfernsehens. In: Irmela senschaft der Universität München am 3. Februar Schneider u.a. 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Funk und Fernsehen der Bayerischen Landeszent- Sport-Reporter. In: WDR print. Nr. 321. 2003. S. 16. rale für neue Medien. 2002. H. 4. S. 40-42. Porträt des WDR-Hörfunk-Sportmoderators und -Redaktionsleiters Dietmar Schott anlässlich seines Rüden, Peter von: Aktualität versus Kommentar. Der Eintritts in den Ruhestand. 17. Juni 1953 in der ARD und im DDR-Fernsehen. In: epd medien. 2002. H. 97. S. 9-15. Steglich, Ulrike: Kisten und Kistchen. 2002 medial. Referat des Symposions »Fernsehgeschichte als Nachschauen und aufräumen. In: epd medien. 2003. Zeitgeschichte / Zeitgeschichte als Fernsehgeschich- H. 1. S. 7-12. te« am 5./6. Dezember 2002 in Hamburg. Rückblick auf das Medien- und besonders das Fernsehprogrammjahr 2002. Ruppert, Helmut S.: Brückenbauer mit Profil. Ferdi- nand Oertel zum 75. Geburtstag. In: Communicatio Steinmetz, Rüdiger: Die Live-Wende. Der 9. Novem- socialis. Jg. 35. 2002. H. 4. S. 492-495. ber 1989 in der ARD und im DDR-Fernsehen. In: epd Porträt des katholischen Publizisten. medien. 2003. H. 12. S. 28-35. Referat des Symposions »Fernsehgeschichte als Saldecki, Dieter: Die Maus – eine Geschichte der Zeitgeschichte / Zeitgeschichte als Fernsehgeschich- Provokationen. Anmerkungen eines ergrauten Maus- te« am 5./6. Dezember 2002 in Hamburg. Redakteurs. In: Wolfgang Buresch (Hrsg.): Kinder- fernsehen. Vom Hasen Cäsar bis zu Tinky Winky, Stern, Carola: Entspanner. Peter Bender. In: WDR Dipsy und Co. Frankfurt a.M. 2003. S. 94-106. print. Nr. 326. 2003. S. 11. Zum 80, Geburtstag des Journalisten, 1961 bis Schäffner, Gerhard: »Das Fenster in die Welt«. Fern- 1970 politischer Redakteur im Kölner Funkhaus des sehen in den fünfziger Jahren. In: Werner Faulstich WDR und dann – bis zu seiner Pensionierung 1988 – (Hrsg.): Die Kultur der fünfziger Jahre. München Korrespondent des WDR in Berlin. 2002. S. 91-102. Stern, Carola: Weltbürger. Peter Coulmas ist im Alter Schneider, Irmela: Passiv und gebildet, aktiv und dis- von 88 Jahren gestorben. In: WDR print. Nr. 322. zipliniert. Diskurse über das Zuschauen und den Zu- 2003. S. 12. schauer. In: Irmela Schneider u.a. (Hrsg.): Diskurs- Porträt des politischen Journalisten und Kom- geschichte der Medien nach 1945. Bd 2. Medienkul- mentators des WDR-Hörfunks. tur der 60er Jahre. Wiesbaden 2003. S. 73-97. Stuiber, Werner: 50 Jahre Rundfunkpolitik. In: Ten- Schneider, Norbert: Mehr als ein halbes Leben oder: denz. Magazin für Funk und Fernsehen der Bayeri- Ende einer Sendung. Bilanz: SFB. In: Fernseh- schen Landeszentrale für neue Medien. 2002. H. 4. Informationen. Jg. 54. 2003. H. 5. S. 16-22. S. 32-35. Zum 50. Jubiläum des SFB am 25. März 2003. Vortrag des Symposiums »50 Jahre Fernsehen« Schneider, Winfried: Die Kunst des Interviews. Ge- der BLM und des Instituts für Kommunikationswis- org-Stefan Troller zum achtzigsten Geburtstag. In: senschaft der Universität München am 3. Februar Medienimpulse. Beiträge zur Medienpädagogik, 2003. Wien. Jg. 10. 2001. H. 38. S. 78-80. Tetzner, Karl: Geschichte zum Anfassen. Das größte Scholz, Hans: TV-Pioniere beim 17. Juni 1953. Hans Rundfunkmuseum im deutschsprachigen Raum. In: Scholz, damals NWDR-Reporter in Berlin, drehte den Fernseh-Informationen. Jg. 54. 2003. H. 1. S. 19-20. Aufstand der DDR-Arbeiter mit 16-mm-Filmen. In: Über das aus der Firmensammlung Grundig ent- WDR print. Nr. 326. 2003. S. 12-13. standene Rundfunkmuseum der Stadt Fürth. Erinnerungen des Autors an Inhalte und Arbeits- Tetzner, Karl: Grundig vor dem Ende. Auch die Beko- bedingungen seiner Berichterstattung. Gruppe springt erst einmal ab. In: Fernseh- Schütz, Walter J.: Zwischen Aufbruch und Abwick- Informationen. Jg. 54. 2003. H. 4. S. 28-29. lung. Die deutsch/deutsche Medienwende in der Lite- Zur Insolvenz des »einstmals größten deutschen ratur. In: epd medien. 2003. H. 12. S. 5-13. Radio- und Fernsehgerätewerkes. Ein ehemals ganz Literaturüberblick zum Thema Medienwandel in Großer.« Deutschland nach 1989/90. Tetzner, Karl: 100 Jahre Telefunken. Es hätte ein Simon-Zülch: Sibylle: Seine Deutungshoheit. Dieter stolzes Jubiläum werden können. In: Fernseh- Hildebrandt und der letzte »Scheibenwischer«. In: Informationen. Jg. 54. 2003. H. 5. S. 29-30 epd medien. 2003. H. 39. S. 3-4. Verst, Ludger: Ein Klassiker der Medienausbildung. Spangenberg, Peter M.: »Weltempfang« im Medien- 25 Jahre Theologenkurse des ifp. In: Communicatio dispositiv der 60er Jahre. In: Irmela Schneider u.a. socialis. Jg. 35. 2002. H. 4. S. 472-478. (Hrsg.): Diskursgeschichte der Medien nach 1945. Das 1968 von der Deutschen Bischofskonferenz Bd. 2. Medienkultur der 60er Jahre. Wiesbaden 2003. gegründete ifp dient der Aus- und Fortbildung christli- S. 149-158. cher Journalisten. Seit 1977 gibt es den journalisti- In der ersten Hälfte der 60er Jahre brachten re- schen Ausbildungsgang für Theologen. nommierte Radioproduzenten wie Braun, Grundig 40 Jahre Mainzelmännchen. Vom Werbeteiler zum und Nordmende hochwertige tragbare Transistor- Dauerbrenner. Mit einem Beitrag von Wolf Gerlach. Radiogeräte auf den Markt. Gegenüber den zuvor In: ZDF-Kontakt. 2003. H. 4. S. 12-13. üblichen Kofferradios unterschieden sich diese bald Zur Entwicklungsgeschichte der Mainzelmänn- allgemein als »Weltempfänger« bezeichneten Geräte chen; Die Mainzelmännchen und die Entwicklung des durch eine verbesserte Empfangsleistung im Kurz- Werbefernsehens; Wolf Gerlach: »Für mich erfüllte wellen- und Mittelwellenbereich. sich ein Kindkeitstraum.« Über seine Erfindung der Mainzelmännchen. 178 Rundfunk und Geschichte 29 (2003)

40 Jahre SR-Fernsehspiel. In: SR Info. Hörfunk- und Fernseh-Information / Saarländischer Rundfunk. 2003. H. 3. S. 8. Kurzer Rückblick auf die Geschichte des Fern- sehspiels im Saarländischen Rundfunk seit 1963 und seine Redaktionsleiter. 40 Jahre ZDF: [6 Beiträge] / Rudi Gültner u.a. In: ZDF-Kontakt. 2003. H. 4. S. 7-15. Rudi Gültner: Aus dem Alltag der Arbeit Peter Christian Hall: Selbstbesinnung statt Ju- belfeier. Bildband Zeitreise ZDF und Ausstellung zum 40-jährigen Programmjubiläum Hajo Schedlich: Die Unzufriedenen Sein Name ist Hase. Promotion (Florian Kain) über den zweiten ZDF-Intendanten und Beiträge über das Kleine Fernsehspiel und die Mainzelmännchen / Werbung im ZDF. Voigt, Mirijam: »Fernsehen macht glücklich.« Von der »Welt im Gehäuse« bis zum »Fenster zur Welt« – das ist 50 Jahre Deutsches Fernsehen. In: TV Dis- kurs. H. 23. 2003. S. 106-107. Zur Ausstellung »Fernsehen macht glücklich« im Filmmuseum Berlin. Wagner, Hans-Ulrich: Milchration im Saunabetrieb. Arbeiten in Hamburger Fernsehbunkern. (NWDR- Geschichte, III). In: Fernseh-Informationen. Jg. 54. 2003. H. 3. S. 21-24. Kommentierte Dokumente zur Organisationsge- schichte des frühen Fernsehens in Deutschland (NWDR) 1948 - 1953. Wilharm, Irmgard: Realismus im Osten. Der 13. Au- gust 1961 in der ARD und im DDR-Fernsehen. In: epd medien. 2002. H. 97. S. 16-20. Referat des Symposions »Fernsehgeschichte als Zeitgeschichte / Zeitgeschichte als Fernsehgeschich- te« am 5./6. Dezember 2002 in Hamburg. Wollowski, Sabine: Vielstimmig. Das Hörspieljahr 2002: rückgehört. In: epd medien. 2003. H. 7. S. 6-9. Rückblick auf die Hörspielproduktion des Jahres 2002 anlässlich der Verleihung des Hörspielpreise »Hörspiel des Jahres« 2002 an »Die Stimme des Hö- rers« von Eran Schaerf. Wolschner, Klaus: Sperrig, (über-)regional. Zum Tod von Michael Geyer. In: epd medien. 2003. H. 10. S. 11-12. 1940 - 2003, Gründungsleiter des Bremer Fern- seh-Regionalmagazins »buten un binnen«, Modera- tor der Talkshow »3 nach 9« und Chefredakteur Fernsehen von Radio Bremen. Zabka, Gisela: Wolfgang Korruhn ist gestorben. Fritz Pleitgen: »Ein unermüdlich neugieriger Reporter«. In: epd medien. 2003. H. 26. S. 30. Journalist, Reporter, Interviewer, seit 1969 Mitar- beiter des WDR. Zimmermann, Peter: Stereotypen: dominant. Deut- sche Zeitgeschichte in dokumentarischen Program- men. In: epd medien. 2002. H. 97. S. 21-26. Referat des Symposions »Fernsehgeschichte als Zeitgeschichte / Zeitgeschichte als Fernsehgeschich- te« am 5./6. Dezember 2002 in Hamburg. Rudolf Lang, Köln Mitteilungen des Studienkreises Rundfunk und Geschichte

Jahrbuch Medien und Geschichte 2003 Erst heute, 14 Jahre nach dem Beginn der deutschen Vereinigung, ist es möglich, durch Das dritte »Jahrbuch Medien und Geschichte« persönliche Erinnerungen der am Aufbau des des Studienkreises Rundfunk und Geschichte ist ostdeutschen Mediensystems Beteiligten Ein- erschienen. Es wird von Gerlinde Frey-Vor und sichten in die wilden Wendejahre und die fol- Rüdiger Steinmetz herausgegeben und trägt den gende Zeit der Konsolidierung zu gewinnen. Und Titel Rundfunk in Ostdeutschland. Erinnerungen es ist erst heute möglich, einen distanzierten, – Analysen – Meinungen (Konstanz: UVK Ver- west- und ostdeutsch »ausgewogenen« Blick auf lagsgesellschaft 2003, 286 Seiten) das erste mediale Nachwende-Jahrzehnt zu werfen – sine ira et studio. Auffällig in den Bei- Aus dem Vorwort der Herausgeber: trägen bleibt die emotionale Beteiligung der Ak- teure. »Es musste alles neu gemacht werden« – das Wie gelang der Übergang von einem staatli- galt für den Neuaufbau des Mediensystems in chen und zentralen zu einem dualen und regio- Ostdeutschland nach der Wende, vor allem für nalen Mediensystem, zu einer neuen Medien- die medialen Strukturen. »Neu« waren aber ausbildung? Wie kam es zur Gründung des nicht die Menschen in Ost- und Westdeutsch- MDR, des ORB, des ZDF-Studios in Leipzig? land, sondern sie hatten sich bis zum 9. Novem- Welche Vorstellungen hatten die an der Grund- ber 1989 als Medien-Machtinhaber, Macher und legung des Medienrechts-Systems in Sachsen als Mediennutzer in zwei getrennten politischen Beteiligten? Welche neuen Akzente setzten und Blöcken gegenüber gestanden. Strukturen, Ur- setzen die Landesmedienanstalten in Sachsen teile, Vorurteile und Bedürfnisse waren durch und Sachsen-Anhalt? meist einseitige Informationen, Erziehung, Aus- Dies alles wird aus Innensichten hier darge- bildung und langjährige Medien-Nutzungspraxis stellt. verfestigt – auf beiden Seiten. Innovative und Im wesentlichen chronologisch ist dieser beharrende Kräfte, flexible und verfestigte Ein- Band aufgebaut: von der unmittelbaren Wende- stellungen, alte und neue ökonomische und poli- zeit 1989 in die Wendejahre 1990 und 1991, in tische Machtverhältnisse trafen beim Aufbau ei- die Zeit des Aufbaus dauerhaft neuer dualer nes grundlegend neuen Mediensystems in Ost- Strukturen ab 1992 (Etablierungsphase) bis in deutschland aufeinander. Dies geschah im Span- die Zeit der Konsolidierung ab 1994/95. Hinzu nungsfeld zwischen der Notwendigkeit, »alles kommen übergreifende Beiträge, die den ge- schnell neu zu machen« einerseits und langfris- samten Zeitraum umfassen. tiger Prägungen durch mediale Praxen anderer- seits. Die Macht lag in diesem dynamischen Inhalt: Prozess eher auf der westdeutschen Seite, die existenzielle Unsicherheit eindeutig auf der ost- I. Die Wendezeit deutschen. Eine im Einigungsvertrag (§ 36) an- gelegte Konzentration des Reformprozesses nur Rüdiger Steinmetz: auf die neuen Bundesländer verhinderte die e- Kontinuitäten und Brüche vor, am und nach dem benfalls diskutierte umfassende Reform der ge- 9. November 1989 samten deutschen Rundfunkordnung. Noch heute unterscheiden sich Ost- und II. Übergänge zu neuen Strukturen Westdeutsche in ihrer Mediennutzung und in ih- ren Vorlieben für bestimmte Programme und Detlef Kühn: Genres. Sie tun das, obwohl die medialen Erinnerungen an Sachsenradio Strukturen seit 1992 in Ost- und Westdeutsch- land gleich sind. In wissenschaftlichen Analysen Klaus Wilhelm: und persönlichen Erinnerungen spüren die Auto- Gründung des ZDF-Studios Leipzig rinnen und Autoren dem Prozess dieser Anglei- chung nach. Dabei werden die Gründe für die Steffi Elwan-Treuger: Unterschiede deutlich, und es wird klar, wo Kanal X: Ein Leipziger Fernseh-Piratensender im Chancen für Innovationen und neue Schwer- gesetzfreien Raum punktsetzungen in Ostdeutschland genutzt wur- den und wo nicht. 180 Rundfunk und Geschichte 28 (2002)

Detlef Kühn: Hansjürgen Rosenbauer: Den Privaten eine Anstalt: Gründung und erste ORB: Im Schatten der Hauptstadt Profil entwi- Jahre der SLM ckeln mit geringen Mitteln RuG Karl Friedrich Reimers: Von der DDR-Journalistik zur Kommunikations- und Medienwissenschaft Jahrestagung des Studienkreises 2004 III. Entfaltung neuer Strukturen Die Jahrestagung 2004 des Studienkreises Karola Wille: Rundfunk und Geschichte findet am 1. und 2. Vom Werden der Rundfunkordnung in den neu- April 2004 in Erfurt statt. Nach den Fachgrup- en Bundesländern pensitzungen am ersten Tag von 13.00 bis 18.00 Uhr wird die Tagung mit dem »Kaminabend« im Kurt-Ulrich Mayer: Foyer des Landes-Funkhauses des Mitteldeut- SLM: Höhen und Tiefen privater Programment- schen Rundfunks (MDR) um 19.30 Uhr eröffnet. wicklung in Sachsen Nach alter Tradition diskutieren über den »Me- dienstandort Erfurt« der MDR-Funkhausdirektor Christian Schurig: Werner Dieste und der Programmgeschäftsfüh- Medien-Wege zur Demokratie und Medienkom- rer des Kinderkanals Frank Beckmann. Am petenz zweiten Tag sind Vorträge zur Geschichte des Familien-Fernseh-Programms in Ost- und West- IV. Programme und ihre Zuschauer deutschland vorgesehen: u.a. ist angefragt als Referentin für einen Einleitungsvortrag »Famili- Gerlinde Frey-Vor, Heinz Gerhard, Annette enmitglied Fernsehen« Prof. Bettina Hurrelmann Mende und Inge Mohr: von der Universität Köln. Danach stehen aktuelle Fernsehnutzung in den alten und den neuen Entwicklungen für veränderte Konzepte von Fa- Bundesländern miliensendungen auf dem Programm, für das – wie immer – auch die Ergebnisse der Nut- Uwe Breitenborn: zungsforschung entscheidende Impulse lieferte Retrospektive Konzepte non-fiktionaler Unter- und liefert. Deren Vorstellung wird vor einer ab- haltung schließenden Podiumsdiskussion einen breiten Raum einnehmen. Lew Hohmann: RuG Die Chronik der Wende – eine Bilanz der Pro- duktion

V. Erinnerungen und Statements beteiligter In- tendanten

Interviews: Werner Lange

Udo Reiter: MDR: »Wir hatten alle Hände voll zu tun, den Sender aufzubauen«

Günther von Lojewski: SFB: Auflösung des DDR-Hörfunks und Fernse- hens im Fluge

Dieter Stolte: ZDF: Senden für Gesamt-Deutschland

Jobst Plog: NDR: In landsmannschaftlicher Verbundenheit

Helmut Thoma: RTL: Vom Underdog zum Marktführer Informationen aus dem Deutschen Rundfunkarchiv

Neue Veröffentlichung in der In geteilter Sicht. Fernsehgeschichte als DRA-Schriftenreihe Zeitgeschichte – Zeitgeschichte als Fernsehgeschichte. Dokumentation eines Woo-Seung Lee: Das Fernsehen im geteilten Symposiums (= Veröffentlichungen des Deutschland (1952 - 1989). Ideologische Deutschen Rundfunkarchiv, Bd. 37). Konkurrenz und programmliche Kooperation Potsdam: Verlag für Berlin-Brandenburg 2003, (= Veröffentlichungen des Deutschen 139 Seiten. Rundfunkarchivs, Bd. 29). Potsdam: Verlag für Berlin-Brandenburg 2003, Die Teilung Deutschlands nach dem Zweiten 379 Seiten. Weltkrieg hatte unter vielem anderen zur Folge, dass es unter den Deutschen eine gemeinsame Etwa zeitgleich begannen in der ersten Hälfte Sicht auf ihr Land nicht mehr gab. Aus ihrem der 50er Jahre das Fernsehen der Bundesrepu- Selbstverständnis heraus sahen auch die beiden blik Deutschland sowie das Fernsehen der DDR deutschen Staaten den jeweils anderen nicht so, mit ihren Sendungen. Die Konkurrenzsituation wie dieser sich selbst sah und gesehen werden zwischen West- und Ost-Deutschland, die be- wollte. Das Fernsehen, ein Medium zum Gese- reits seit 1945 bzw. 1949 auf dem Hörfunksektor henwerden, das zudem Sichtweisen bietet, in- bestand, dehnte sich damit auch auf das Fern- dem es auswählt, sichtet, was sein Publikum zu sehen aus. Sie basierte auf der sprachlichen, sehen bekommt, war der tägliche Hauptvermitt- historischen und kulturellen Gemeinsamkeit der ler der »geteilten Sicht«. 50 Jahre nach dem geteilten Nation, deren gemeinsame Grenze Sendebeginn des Nachkriegsfernsehens in West- durch die Empfangbarkeit der jeweils anderen und Ostdeutschland unternahmen die Histori- Hörfunk- und Fernsehprogramme mühelos über- sche Kommission der ARD und das Hans- wunden werden konnte. Davon war insbesonde- Bredow-Institut den Versuch, in einem am 5. und re die DDR betroffen, da nahezu überall auf ih- 6. Dezember beim Norddeutschen Rundfunk rem Territorium das West-Fernsehen empfan- ausgerichteten Symposium darzustellen, was es gen werden konnte, die Bundesrepublik aber nur mit der »geteilten Sicht« auf sich hatte. in grenznahen Regionen vom Ost-Fernsehen er- Anhand der aktuellen Fernseh-Berichterstat- reichbar war. tung der ARD und des DDR-Fernsehens über Gegenstand des Buches ist das spezielle ide- herausragende Ereignisse der deutsch-deutschen ologisch geprägte Konkurrenzverhältnis beider Geschichte (17. Juni 1953, 13. August 1961, 9. Fernsehsysteme, deren Kooperation selbst in November 1989) sowie der Behandlung deutsch- Zeiten des Kalten Krieges nie zum Erliegen kam. deutscher Themen in fiktionalen und dokumen- Der Verfasser sieht im bilateralen Programm- tarischen Programmen sollte herausgearbeitet austausch, im Programmeinkauf und -verkauf werden, wie das jeweils andere Deutschland sowie in den gegenseitigen Dienstleistungen für präsentiert wurde, welche politischen Rahmen- Berichterstattung und Programmproduktionen bedingungen zu beachten waren, wie die Prä- die hauptsächlichen Kooperationsbereiche. Er sentation von den Zuschauern aufgenommen rekonstruiert die Entwicklungsgeschichte der wurde und wie sich die Darstellungsweisen ent- deutsch-deutschen Fernsehkooperation im Hin- wickelten. blick auf die politischen Rahmenbedingungen Dieses Buch dokumentiert die beim Sympo- und analysiert ihre programmliche sowie kultu- sium gehaltenen Vorträge und die Befragungen relle Bedeutung. der Zeitzeugen. Für die Untersuchung standen vor allem Ar- DRA chivmaterialien von ARD und ZDF, des Deut- schen Rundfunkarchivs und des Bundesarchivs zur Verfügung. CD zur Europa-Bewegung

Die Stiftung Deutsches Rundfunkarchiv Frank- furt am Main – Potsdam-Babelsberg (DRA) und das Deutsche Historische Museum Berlin (DHM) haben in ihrer Editionsreihe »Stimmen des 20. Jahrhunderts« die CD »Von Pan-Europa zur Eu- ropäischen Union« vorgelegt. Sie erschien an- 182 Rundfunk und Geschichte 29 (2003)

lässlich der vom 25. Mai bis 25. August 2003 ge- vielfältigen wissenschaftlichen und politischen zeigten Ausstellung »Idee Europa. Entwürfe zum Interessen Einsteins wieder. Das instruktive ewigen Frieden« in dem nach dem Entwurf des Booklet enthält neben Erläuterungen zu jeder chinesischen Architekten Ieoh Ming Pei errich- einzelnen Tonaufnahme auch ein Faksimile des teten Neubau des DHM. Textes seiner NBC-Ansprache für den United In 25 Original-Tonaufnahmen werden wichti- Jewish Appeal (1943). Daraus ist zu entnehmen, ge Momente der Einigung Europas vorgestellt, dass Einstein seine Vorträge auch zehn Jahre von der PAN-Europa-Bewegung (1934), über die nach seinem erzwungenen Verlassen Deutsch- Gründung von Europäischer Gemeinschaft für lands noch immer in deutscher Sprache konzi- Kohle und Stahl (1951), Europäischer Wirt- pierte. schaftsgemeinschaft (1957), Europäischer Union Naturgemäß sind die 14 Tondokumente von (1992), Europäischer Zentralbank (1998) bis zu Max Planck nicht ganz so vielseitig. Die Rund- einer Gipfelkonferenz des Europäischen Rates funkbeiträge »Der Sinn der exakten Wissen- (2002). schaft« (1942) und »Die Aufgabe der Wissen- Bedeutende Europäer kommen zu Wort, u.a.: schaft« (1945) geben bei Planck die Themen Richard Graf von Coudenhove-Kalergi, der fran- vor. Von großem Interesse ist seine »Selbstdar- zösische Außenminister Robert Schumann, die stellung«, die im Dezember 1942 im Auftrag des deutschen Bundeskanzler Konrad Adenauer, Reichsministeriums für Volksaufklärung und Willy Brandt, Helmut Schmidt, Helmut Kohl und Propaganda als Filmaufnahme gemacht wurde Gerhard Schröder, der italienische Ministerprä- und deren Tonmitschnitt hier zu hören ist. Im sident Alcide de Gasperi, der französische Staats- Booklet ist u.a. der Personalbogen als Faksimile präsident Charles de Gaulle, der frühere briti- zu sehen, den Planck anlässlich seiner Sprech- sche Premierminister Winston Churchill und aufnahme für das Staatliche Lautinstitut 1939 Jean Monnet als Präsident der Montanunion. Sie ausfüllte. äußern sich zu Entwicklungen und Wendepunk- Beide Doppel-CDs wurden mit Unterstützung ten, die die allmählich Einigung Europas als eine des Deutschen Rundfunkarchivs Frankfurt am Folge der Katastrophe des Zweiten Weltkriegs Main – Potsdam-Babelsberg hergestellt. An der markieren. Albert Einstein-CD waren außerdem die Albert DRA Einstein Archives, Jerusalem, bei der Max Planck-CD das Archiv zur Geschichte der Max- Planck-Gesellschaft, Berlin, beteiligt. Einstein- und Planck-CD Albert Einstein, Verehrte An- und Abwesen- de! Orginaltonaufnahmen 1921 - 1951. Köln: Sowohl von Albert Einstein als auch von Max supposé 2003. Planck, den wohl bedeutendsten deutschen Na- Max Planck, Wissenschaft und Leben. Köln: turwissenschaftlern des vergangenen Jahrhun- supposé 2003. derts, sind zwei Doppel-CDs erschienen. DRA Die Tondokumente Albert Einsteins zeichnen sich durch eine Vielfalt der Themen aus. Von den 18 Vorträgen sind sieben in deutscher, die Ein Sender in der Karibik übrigen elf in englischer Sprache gehalten, zwei Materialien im DRA Vorträge während des Zweiten Weltkriegs hat Einstein in beiden Sprachen gehalten. Neben Im Frühjahr 2003 hat die Stiftung Deutsches der berühmten Ansprache zur Eröffnung der Rundfunkarchiv (DRA) Frankfurt am Main – Berliner Funkausstellung (1931) und den beiden Potsdam-Babelsberg Tonbänder und schriftliche Schallplattenaufnahmen (»Meine Relativitätsthe- Unterlagen eines ungewöhnlichen Sendeunter- orie«, 1924 und »Mein Glaubensbekenntnis«, nehmens erhalten: Es geht um 27 Folgen einer 1932) sind auch seine im Originalton wenig be- Sendereihe von jeweils 15 Minuten und um die kannten Stellungnahmen für eine Weltregierung Überreste des Mittelwellen-Senders Radio Antil- (1946) sowie – in einem Fernsehinterview mit les auf der gut 100 qkm großen und zu Großbri- Eleanor Roosevelt – seine Ablehnung des Baus tannien gehörenden Karibik-Insel Montserrat. der Wasserstoffbombe (1950) zu hören. Leider Ihm setzte zunächst der Hurrikan Hugo (1989) ist die Rundfunkaufnahme, die Einstein und Ge- arg zu und machte später ein Vulkan (1997) den orge Bernard Shaw im Oktober 1930 in London Gar aus. In den 80er und 90er Jahren versuchte zur Unterstützung jüdischer Hilfsorganisationen er seinen Hörern Vor- und Nachteile des Kurz- machten, nur noch als Fragment vorhanden. wellenrundfunks näher zu bringen. Beteiligt dar- Die beiden CDs, die alle verfügbaren Rund- an waren auch zwei Deutsche: der Journalist funkreden, Interviews und Schallplattenaufnah- Kristian Knaack und der Kurzwellenspezialist men enthalten, geben ein gutes Bild von den Informationen aus dem Deutschen Rundfunkarchiv 183

Hermann Jäger alias »Wellenjäger«; außerdem weitere Mitarbeiter der Sendestation. Radio Antilles brachte Sendungen in engli- scher, französischer und spanischer Sprache, in denen den Hörern durch die Übermittlung von Mitschnitten der Kurzwellensender verschiede- ner Länder ein Eindruck über die Berichterstat- tung international vermittelt werden sollte. Tech- nische Hinweise, wie diese weltweit operieren- den Stationen, darunter die Deutsche Welle in Köln, empfangen werden können, kamen hinzu. Hermann Jäger, der sich Mitte der 80er Jahre zufällig in der Karibik aufhielt, bekam den Auf- trag für ursprünglich 13 Sendungen. Andere Mit- arbeiter befassten sich mit den weiteren Folgen. Auch die BBC half bei diesem Unternehmen, in- dem sie mitgeschnittene Kurzwellensendungen rund um die Erde zulieferte: Störsender des Ostblocks, Rundfunk in der Dritten Welt, gehei- me und religiös geprägte Sendeunternehmen. Der Kampf um die Hörer der Kurzwelle in der letzten Phase des Kalten Krieges prägten die Sendungen nachhaltig. Kristian Knaack hat dem DRA seine Archiva- lien mit dem Ziel überlassen, »in der Hoffnung, dass der eine oder andere Doktorand darin eine Fundgrube erblicken könnte.« Tonbänder und begleitende Materialien, Sendemanuskripte und Unterlagen der Redaktion, hat DRA-Praktikantin Christin Hostenbach erschlossen. Alle Sendefol- gen hatte Knaack zufällig vor der Vulkankatast- rophe retten können; die beiden ersten liegen bereits digital und damit für die Benutzung vor, der Rest harrt noch einer konservatorischen Be- arbeitung. DRA