Deutscher – 17. Wahlperiode – 165. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. März 2012 19567

Dr. (A) keine klare Vorstellung davon, wo der politische Extre- kehrungen, die in Münster getroffen worden sind, (C) mismus in Deutschland sitzt, welche Strukturen er hat untersucht und ausgewertet werden. und wie man ihn angehen muss. Insofern sind wir heute (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) deutlich weiter. Unsere Erkenntnisse sollten wir auf die Bekämpfung auch des Linksextremismus und des reli- Demonstrationen und auch Blockaden können wich- giösen Extremismus übertragen. tig und notwendig sein. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) (Zuruf von der CDU/CSU: Das ist nicht das Gleiche!) Schlussendlich freue ich mich über den Ansatz der Linken: Zivilcourage, Aufstehen, Gesicht zeigen, im Ich möchte einige Beispiele der letzten Wochen aus persönlichen Umfeld für Toleranz kämpfen, auch für To- Sachsen erzählen. Sachsen ist meistens berühmt für leranz unter uns allen als Demokraten – das ist, glaube seine negativen Beispiele, aber in den letzten Wochen ich, ein besserer Ansatz als ein rein repressives System. hatten wir auch Positives zu berichten. Nur wenn wir die Mitte der Gesellschaft stärken, werden wir diesen Kampf gewinnen. Dazu fordere ich alle auf. Am letzten Montag gab es eine sehr große Antinazi- Ich freue mich, wenn wir das gemeinsam tun können. demo in Chemnitz, wo die Rechtsextremen wieder ein- mal ihren sogenannten Trauermarsch durchziehen woll- Vielen Dank. ten. Dort ist es der Polizei gelungen, deeskalierend zu wirken und dafür zu sorgen, dass Demonstrationen in (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Hör- und Sichtweite möglich waren. Das ist gut so, und das ist wichtig. Vizepräsident Dr. : Das Wort hat die Kollegin vom Bünd- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, nis 90/Die Grünen. bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abge- ordneten der CDU/CSU) Monika Lazar (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Genauso gut hat es in diesem Jahr in Dresden ge- Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! So klappt. Am 13. Februar, als die Nazis in Dresden den wie der Anfang der Rede des Kollegen Sensburg gut Tag der Bombardierung ausnutzen wollten, gab es fried- war, war der Schluss der Rede vom Kollegen Ruppert liche Blockaden, die wichtig waren, weil die Strecken gut. freigehalten wurden. Es ist friedlich geblieben. Auch hier hat die Polizei deeskalierend eingewirkt. Die Nazis (Manfred Grund [CDU/CSU]: Es werden No- mussten ihre Route verkürzen. Sie sind einmal kurz um (B) ten vergeben! – [CDU/CSU]: den Block gelaufen und haben sich darüber wahrschein- (D) Frau Oberlehrerin!) lich nicht sehr gefreut. Ich denke, wir sind uns wirklich im gesamten Hause ei- Am 18. Februar haben wir dann noch einmal eine gut nig, dass Zivilcourage wichtig ist. Ich erinnere daran, besuchte, bunte Demo in Dresden gehabt. Seit vielen dass in Münster das gesamte demokratische Spektrum Jahren gibt es eine gute Arbeit vor Ort in Dresden. Es ist zur Demonstration aufgerufen hat, also auch CDU und das dritte Jahr in Folge, dass die Demonstration so er- FDP. Das ist sehr gut und ist bei dem Thema auch sehr folgreich war. Ich möchte von hier aus allen Demons- wichtig. Wir sollten uns dabei so wenig wie möglich trantinnen und Demonstranten von nah und fern danken, auseinanderdividieren lassen. dass sie uns bundesweit unterstützt haben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, sowie bei Abgeordneten der SPD) bei der SPD und der LINKEN) Allerdings ist es so, dass sich bei Demonstrationen Die Aufgabe von Politikerinnen und Politikern ist es, die Abgeordneten nicht bei der Polizei anmelden müs- bei Demonstrationen unterstützend, beobachtend und sen. deeskalierend tätig zu sein. (Beifall bei der LINKEN) (Dr. [CDU/CSU]: Was? Wo steht das?) Wir müssen unseren Abgeordnetenausweis dabeihaben, damit wir ihn der Polizei vorzeigen können, aber wir Allerdings ist es auch Aufgabe der Politik, die Rahmen- müssen uns nicht anmelden. Das ist in diesem Zusam- bedingungen für zivilgesellschaftliche Initiativen zu menhang wichtig. schaffen, das heißt für uns, die passenden präventiven Programme für die Bürgerinnen und Bürger aufzulegen, (Iris Gleicke [SPD]: Das wäre ja noch schö- die sich in ihrer Region gegen alte und neue Nazis enga- ner! Da würde ich mich herzlich bedanken, gieren. wenn ich mich irgendwo anmelden müsste!) (Dr. Patrick Sensburg [CDU/CSU]: Wir haben Die Polizei muss natürlich eine Demonstration schüt- Gewaltenteilung!) zen, egal welche; denn das Versammlungsrecht ist ein Grundrecht und ist deshalb sehr hoch angesiedelt. Aller- Man muss leider konstatieren, dass die Regierung hier in dings ist es nicht hinnehmbar, wenn die Polizei unver- den letzten Jahren nichts dazugelernt hat. Die Ministerin hältnismäßig reagiert. In diesem Sinne müssen die Vor- legt lieber Programme gegen sogenannten Linksextre- 19568 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 165. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. März 2012

Monika Lazar (A) mismus auf. In der letzten Woche war in den Medien zu Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: (C) lesen, dass das Deutsche Jugendinstitut, das eine Evalua- Das Wort hat jetzt der Kollege von der tion dieses Programms durchgeführt hat, diesem Pro- CDU/CSU-Fraktion. gramm ein vernichtendes Zeugnis ausgestellt hat. Es wurde kritisiert, dass der Begriff „Linksextremismus“ (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) wissenschaftlich völlig unzureichend ist. Man kann nicht die richtigen Programme auflegen, weil man gar nicht Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU): weiß, was da der Ansatz ist. Deshalb rufe ich die Minis- Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen! terin auf, die 2,5 Millionen Euro endlich den Program- Sehr geehrte Kollegen! Es ist schauderlich und erschre- men gegen Rechtsextremismus zur Verfügung zu stellen; ckend, dass in unserem Land fast kein Wochenende denn dort ist das Geld immer noch sehr nötig. mehr vergeht, an dem sich nicht in irgendeiner Stadt, in irgendeiner Gemeinde rechtsradikale Fratzen zeigen und (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, ihre widerwärtigen und menschenverachtenden Parolen bei der SPD und der LINKEN) kundtun. Ich möchte gerade deshalb wirklich an dieser Stelle all denjenigen ganz herzlich danken, die jedes Wo- Kollegin Kolbe hat die Extremismusklausel ange- chenende Gesicht zeigen und deutlich machen, dass sprochen. Nach den aktuellen Vorfällen kann ich über- Rechtsradikale, dass Neonazis in Deutschland nichts zu haupt nicht nachvollziehen, dass Sie immer noch daran suchen haben, dass sie nicht willkommen sind. festhalten und ausgerechnet von denen, die sich tagtäg- lich, auch in schwierigen Regionen, für unsere Demo- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie kratie engagieren, eine Unterschrift abverlangen. bei Abgeordneten der SPD und des BÜND- NISSES 90/DIE GRÜNEN) (Dr. Patrick Sensburg [CDU/CSU]: Wo ist das Hunderte von Menschen zeigen jedes Wochenende in Problem?) Deutschland Gesicht. Sie zeigen damit Zivilcourage. Das ist wirklich kontraproduktiv. Von daher – auch wenn Auch in meinem Wahlkreis, der sehr ländlich struktu- Sie es nicht mehr hören können; wir machen so lange riert ist, gab es in der jüngsten Vergangenheit zwei weiter, bis wir es geschafft haben –: Die Extremismus- schreckliche Vorfälle. Zweimal fanden Aufmärsche von klausel muss wirklich endlich weg. Neonazis statt; einmal ist ein Gasthof okkupiert worden. Ich bin froh, dass es beide Male möglich war, in einem (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, breiten gesellschaftlichen Konsens alle politisch und ge- bei der SPD und der LINKEN – Dr. Patrick sellschaftlich relevanten Gruppierungen dazu zu brin- Sensburg [CDU/CSU]: Wo ist das Problem?) (B) gen, Gesicht zu zeigen. Die Gegendemonstrationen ver- (D) Positiv zu erwähnen ist, dass wir im November nach liefen durchweg friedlich, ohne Waffen, den Erkenntnissen zum NSU wirklich einmal einen ge- (Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- meinsamen Antrag hinbekommen haben. Damit ist jetzt NEN]: Ohne Waffen? – Gegenruf des Abg. im gesamten Spektrum hier im Bundestag klar: Es ist Dr. Patrick Sensburg [CDU/CSU]: Grundge- eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, der wir uns stel- setz!) len müssen. und so soll es auch sein. Art. 8 Grundgesetz schützt die Allerdings: Was kam danach? Aktionismus! Ministe- Versammlungsfreiheit in Deutschland. Das ist mit Si- rin Schröder stellt das nun doch nicht gekürzte Budget cherheit eines der wichtigsten und vornehmsten Grund- der Bundesprogramme nicht den Initiativen zur Verfü- rechte. Er schützt das Recht aller Deutschen, sich ohne gung, sondern schafft ein Informations- und Kompetenz- Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu zentrum. Ich kann nur noch einmal wiederholen: Es gibt versammeln. genügend Know-how und Vernetzung. Was fehlt, ist die Leider sind die Demonstrationen am vergangenen nachhaltige Förderung. Das ist die Hauptaufgabe. Es Samstag in Münster-Rumphorst diesem Kriterium nicht geht nicht darum, noch zusätzliche Strukturen zu schaf- gerecht geworden. Es gab neun Gegendemonstrationen fen, die den Leuten vor Ort überhaupt nicht zugutekom- – an einer davon haben Sie, Frau Kollegen Remmers, men. teilgenommen –, die nicht friedlich waren. Ich möchte nur einmal aus der Berichterstattung der örtlichen Presse Ganz zum Schluss möchte ich sagen, dass wir die zitieren: Es gab mehrere Antifa-Demonstranten, die richtigen Lehren aus all den Ereignissen ziehen müssen, extra zur Gegendemonstration anreisten, Waffen und egal ob wir auf Demonstrationen, auf der Straße oder Feuerwerkskörper bei sich führten und diese nicht der hier im Plenum sind. Wir müssen mehr in unsere Demo- Polizei übergeben wollten, als sie dazu aufgefordert kratie investieren. Wir müssen die engagierten Initiati- wurden. Sie wurden daraufhin festgenommen, und ihr ven und Projekte unterstützen und dürfen sie nicht, wie Zug musste vollständig geräumt werden. Friedlicher es die Koalition immer noch tut, behindern. Protest sieht anders aus. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Mehrmals haben bis zu 300 Menschen, teilweise ver- bei der SPD und der LINKEN) mummte Gegendemonstranten, versucht, Absperrungen