Plenarprotokoll 14/213

Deutscher

Stenographischer Bericht

213. Sitzung

Berlin, Freitag, den 25. Januar 2002

Inhalt:

Tagesordnungspunkt 16: und sozialrechtlicher Standards und Förderung arbeitsmarktpolitischer a) Erste Beratung des von den Abgeordne- Zielsetzungen durch ein Vergabege- ten Klaus Wiesehügel, Dr. , setz weitereren Abgeordneten und der Frak- (Drucksachen 14/4036, 14/5739) . . . . 21087 D tion der SPD sowie den Abgeordneten Kerstin Müller (Köln), Rezzo Schlauch f) Antrag der Abgeordneten Hartmut und der Fraktion des BÜNDNIS- Schauerte, Dr. Hansjürgen Doss, weite- SES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten rer Abgeordneter und der Fraktion der Entwurfs eines Gesetzes zur tarif- CDU/CSU: Offensive für die Bau- lichen Entlohnung bei öffentlichen wirtschaft – Ursachen wirksam be- Aufträgen und zur Einrichtung eines kämpfen Registers über unzuverlässige Unter- (Drucksache 14/7506) ...... 21087 D nehmen (Drucksache 14/7796) ...... 21087 B g) Antrag der Abgeordneten Rainer Brüderle, Hans-Michael Goldmann, b) Erste Beratung des vom Bundesrat ein- weiterer Abgeordneter und der Fraktion gebrachten Entwurfs einesGesetzes der FDP: Mehr Chancen für die Bau- für Tariftreueerklärungen wirtschaft durch weniger Regulie- (Drucksache 14/5263) ...... 21087 B rung c) Erste Beratung des vom Bundesrat ein- (Drucksache 14/7458) ...... 21088 A gebrachten Entwurfs einesGesetzes Dr. Werner Müller, Bundesminister BMWi 21088 B zur tariflichen Entlohnung bei öf- fentlichen Aufträgen Peter Rauen CDU/CSU ...... 21089 D (Drucksache 14/6752) ...... 21087 C (Leipzig) BÜNDNIS 90/DIE d) Antrag der Fraktionen der SPD und des GRÜNEN ...... 21091 D BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Ta- FDP ...... 21092 D riftreue im Vergaberecht – Bundes- einheitliche Regelung schafft fairen Rainer Brüderle FDP ...... 21093 A Wettbewerb Ursula Lötzer PDS ...... 21094 C (Drucksache 14/6982) ...... 21087 D Ernst Schwanhold, Minister (Nordrhein-West- e) Beschlussempfehlung und Bericht des falen) ...... 21095 C Ausschusses für Wirtschaft und Tech- nologie zu dem Antrag der Abgeordne- CDU/CSU ...... 21096 C ten Ursula Lötzer, Rolf Kutzmutz, wei- Dr. Ditmar Staffelt SPD ...... 21097 A terer Abgeordneter und der Fraktion der PDS: Sicherung tariflicher, arbeits- Klaus Wiesehügel SPD ...... 21098 B II Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 213. Sitzung. , Freitag, den 25. Januar 2002

Tagesordnungspunkt 17: Horst Schild SPD ...... 21111 D a) Antrag der Abgeordneten Gerda Gerhard Schüßler FDP ...... 21114 B Hasselfeldt, Heinz Seiffert, weiterer Horst Schild SPD ...... 21114 D Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Einsetzung einer Kom- CDU/CSU ...... 21115 A mission zur Reform der Gemeinde- finanzen durch die Bundesregierung (Drucksache 14/7442) ...... 21099 D Tagesordnungspunkt 18: b) Antrag der Abgeordneten Gerda – Zweite und dritte Beratung des von der Hasselfeldt, Peter Götz, weiterer Ab- Bundesregierung eingebrachten Ent- geordneter und der Fraktion der wurfs eines Gesetzes zur Stärkung der CDU/CSU: Gewerbesteuerumlage auf vertraglichen Stellung von Urhebern die vor dem Steuersenkungsgesetz und ausübenden Künstlern maßgeblichen Werte senken (Drucksachen 14/7564, 14/8058) . . . . 21116 D (Drucksache 14/7787) ...... 21099 D – Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Alfred Hartenbach, c) Antrag der Abgeordneten Gerhard Hermann Bachmaier, weiteren Abge- Schüßler, Dr. , ordneten und der Fraktion der SPD so- weiterer Abgeordneter und der Fraktion wie der Abgeordneten der FDP: Gemeindefinanzen refor- (Köln), Grietje Bettin, weiteren Abge- mieren – Gewerbesteuer abschaffen – ordneten und der Fraktion des Finanzkraft der Gemeinden stärken BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN ein- (Drucksache 14/7326) ...... 21100 A gebrachten Entwurfs einesGesetzes d) Antrag der Abgeordneten Dr. Uwe-Jens zur Stärkung der vertraglichen Stel- Rössel, Dr. , weiterer lung von Urhebern und ausübenden Abgeordneter und der Fraktion der Künstlern PDS: Erhöhung der Gewerbesteuer- (Drucksachen 14/6433, 14/8058) . . . . 21116 D umlage zurücknehmen Eckhardt Barthel (Berlin) SPD ...... 21117 A (Drucksache 14/7993) ...... 21100 A Dr. Norbert Röttgen CDU/CSU ...... 21118 B e) Beschlussempfehlung und Bericht des Dr. BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Finanzausschusses zu dem Antrag der NEN ...... 21120 D Abgeordneten Jochen-Konrad Fromme, Peter Götz, weiterer Abgeordneter und FDP ...... 21122 B der Fraktion der CDU/CSU: Umset- Dr. PDS ...... 21123 B zung des Versprechens der Bundes- regierung zur Stärkung der Kommu- Dr. Herta Däubler-Gmelin, Bundesministerin nalfinanzen BMJ ...... 21124 A (Drucksachen 14/6163, 14/7424) . . . . 21100 B Dr. CDU/CSU ...... 21126 A in Verbindung mit Dirk Manzewski SPD ...... 21127 C

Zusatztagesordnungspunkt 8: Tagesordnungspunkt 19: Antrag der Fraktionen der SPD und des Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Reform schusses für Kultur und Medien zu dem der Gemeindefinanzen Antrag der Abgeordneten Dr. Norbert (Drucksache 14/8025) ...... 21100 B Lammert, (Bremen), wei- terer Abgeordneter und der Fraktion der Peter Götz CDU/CSU ...... 21100 C CDU/CSU: Jüdisches Museum, Topogra- Bernd Scheelen SPD ...... 21103 A phie des Terrors, Mahnmal für die er- mordeten Juden Europas Peter Rauen CDU/CSU ...... 21106 C (Drucksachen 14/4249, 14/7451) ...... 21129 D Bernd Scheelen SPD ...... 21106 D Günter Nooke CDU/CSU ...... 21130 A Gerhard Schüßler FDP ...... 21107 A Dr. Julian Nida-Rümelin, Staatsminister BK 21132 A Christine Scheel BÜNDNIS 90/ Dr. Antje Vollmer BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- DIE GRÜNEN ...... 21108 C NEN ...... 21132 D Dr. Uwe-Jens Rössel PDS ...... 21110 C Hans-Joachim Otto () FDP ...... 21133 D Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 213. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Januar 2002 III

Dr. Heinrich Fink PDS ...... 21134 C Tagesordnungspunkt 22: Eckhardt Barthel (Berlin) SPD ...... 21135 B Antrag der Abgeordneten Ursula Burchardt, , weiterer Abge- ordneter und der Fraktion der SPD sowie Zusatztagesordnungspunkt 9: der Abgeordneten , Franziska Eichstädt-Bohlig, weiterer Ab- Zweite und dritte Beratung des von der geordneter und der Fraktion des BÜND- Bundesregierung eingebrachten Entwurfs NISSES 90/DIE GRÜNEN: Nachhaltige eines Gesetzes für die Erhaltung, die Mo- Wasserwirtschaft in Deutschland dernisierung und den Ausbau der Kraft- (Drucksache 14/7177) ...... 21154 B Wärme-Kopplung (Kraft-Wärme-Kopp- lungsgesetz) (Drucksachen 14/7024, 14/7086, 14/8059) 21136 B Tagesordnungspunkt 23: Beschlussempfehlung und Bericht des in Verbindung mit Ausschusses für Verkehr, Bau- und Woh- nungswesen zu dem Antrag der Abgeord- neten Birgit Homburger, Zusatztagesordnungspunkt 10: (Bayreuth), weiterer Abgeordneter und der Zweite und dritte Beratung des von den Fraktion der FDP: Übergangsregelung Abgeordneten Eva Bulling-Schröter, Rolf für das neue Führerscheinrecht Kutzmutz, weiteren Abgeordneten und der (Drucksachen 14/2370, 14/5558) ...... 21154 C Fraktion der PDS eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Sicherung und zum Ausbau der gekoppelten Strom- und Wär- Tagesordnungspunkt 24: meerzeugung (KWK-Gesetz) Beschlussempfehlung und Bericht des (Drucksachen 14/2693, 14/8048) ...... 21136 C Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Wolfgang Gehrcke, Volker Jung (Düsseldorf) SPD ...... 21136 C Heidi Lippmann, weiterer Abgeordneter Hartmut Schauerte CDU/CSU ...... 21138 D und der Fraktion der PDS: Aufhebung der Sanktionen gegen den Irak Michaele Hustedt BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Drucksachen 14/4709, 14/5716) ...... 21154 D NEN ...... 21140 C Wolfgang Gehrcke PDS ...... 21155 A Hartmut Schauerte CDU/CSU ...... 21140 C Walter Hirche FDP ...... 21142 B Zusatztagesordnungspunkt 11: Rolf Kutzmutz PDS ...... 21143 C Aktuelle Stunde betr. Haltung der Bun- Monika Ganseforth SPD ...... 21144 C desregierung zu aktuellen Veröffent- lichungen über einen Einsatz eines Kurt-Dieter Grill CDU/CSU ...... 21146 B V-Mannes im NPD-Vorstand ...... 21156 A Volker Jung (Düsseldorf) SPD ...... 21147 D PDS ...... 21156 B Kurt-Dieter Grill CDU/CSU ...... 21148 A Dr. Michael Bürsch SPD ...... 21157 B (Recklinghausen) CDU/ Tagesordnungspunkt 21: CSU ...... 21158 A Antrag der Abgeordneten Katherina Cem Özdemir BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 21159 A Reiche, Dr. Maria Böhmer, weiterer Dr. Edzard Schmidt-Jortzig FDP ...... 21160 B Abgeordneter und der Fraktion der SPD ...... 21161 B CDU/CSU: Anwendung von Gentests in Medizin und Versicherungen (Heilbronn) CDU/CSU . . . . . 21162 B (Drucksache 14/6640) ...... 21148 C Annelie Buntenbach BÜNDNIS 90/DIE CDU/CSU ...... 21148 C GRÜNEN ...... 21163 B Dr. SPD ...... 21150 C PDS ...... 21164 C Detlef Parr FDP ...... 21151 C Rüdiger Veit SPD ...... 21165 B Monika Knoche BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Wolfgang Zeitlmann CDU/CSU ...... 21166 C NEN ...... 21152 C Dieter Wiefelspütz SPD ...... 21167 D Angela Marquardt PDS ...... 21153 C , Bundesminister BMI ...... 21169 A IV Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 213. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Januar 2002

Nächste Sitzung ...... 21171 C Ursula Burchardt SPD ...... 21178 A Marlene Rupprecht SPD ...... 21179 A Berichtigung ...... 21171 C CDU/CSU ...... 21179 D Winfried Hermann BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Anlage 1 NEN ...... 21181 A Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . 21173 A Walter Hirche FDP ...... 21181 D Eva Bulling-Schröter PDS ...... 21182 B Anlage 2 Nachträglich zu Protokoll gegebene Rede zur Anlage 6 Beratung des Antrags: Bahnpreissystem für Fahrgäste attraktiv gestalten (212. Sitzung, Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Tagesordnungspunkt 14) ...... 21174 B Beschlussempfehlung und des Berichts: Über- Dr. Winfried Wolf PDS ...... 21174 B gangsregelung für das neue Führerscheinrecht (Tagesordnungspunkt 23) ...... 21183 A Rita Streb-Hesse SPD ...... 21183 A Anlage 3 Wolfgang Börnsen (Bönstrup) CDU/CSU . . . 21183 C Nachträglich zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Ausgleich für die nu- Helmut Wilhelm (Amberg) BÜNDNIS 90/ klearen Entsorgungsstandorte Gorleben und DIE GRÜNEN ...... 21184 C Salzgitter (Schacht Konrad) in Niedersachsen Horst Friedrich (Bayreuth) FDP ...... 21185 B und Morsleben in Sachsen-Anhalt (212. Sit- zung, Tagesordnungspunkt 11) ...... 21175 D Dr. Winfried Wolf PDS ...... 21185 D Jochen-Konrad Fromme CDU/CSU ...... 21175 D Kurt-Dieter Grill CDU/CSU ...... 21177 B Anlage 7 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts: Auf- Anlage 4 hebung der Sanktionen gegen den Irak (Tages- Erklärung nach § 31 des Abgeordneten Hans- ordnungspunkt 24) ...... 21186 B Joachim Otto (Frankfurt) (FDP) zur Abstim- Christoph Moosbauer SPD ...... 21186 B mung über den Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der vertraglichen Stellung von Urhe- Joachim Hörster CDU/CSU ...... 21187 B bern und ausübenden Künstlern ...... 21177 D Rita Grießhaber BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 21188 B Ulrich Irmer FDP ...... 21189 B Anlage 5 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Anlage 8 Antrags: Nachhaltige Wasserwirtschaft in Deutschland (Tagesordnungspunkt 22) ...... 21178 A Amtliche Mitteilungen ...... 21190 A Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 213. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Januar 2002 21087

(A) (C)

213. Sitzung

Berlin, Freitag, den 25. Januar 2002

Beginn: 9.00 Uhr

Präsident : Guten Morgen, liebe c) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet. Entwurfs eines Gesetzes zur tariflichen Entloh- nung bei öffentlichen Aufträgen Der Ältestenrat hat in seiner Sitzung am 24. Januar ver- einbart, dass in der kommenden Sitzungswoche wegen – Drucksache 14/6752 – der Debatte zum Thema Stammzellenimport, die am Mitt- Überweisungsvorschlag: woch, 30. Januar, bereits um 13 Uhr beginnt, keine Be- Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f) fragung der Bundesregierung, keine Fragestunde und Innenausschuss Rechtsausschuss – am Mittwoch – keine Aktuelle Stunde stattfindet. Sind Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung Sie damit einverstanden? – Ich höre keinen Widerspruch. Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Dann ist so beschlossen. Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder Ich rufe die Tagesordnungspunkte 16 a bis 16 g auf: d) Beratung des Antrags der Fraktionen der SPD und (B) (D) a) Erste Beratung des von den Abgeordneten Klaus des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Wiesehügel, Dr. Axel Berg, , weite- Tariftreue im Vergaberecht – Bundeseinheit- reren Abgeordneten und der Fraktion der SPD liche Regelung schafft fairen Wettbewerb sowie den Abgeordneten Kerstin Müller (Köln), – Drucksache 14/6982 – Rezzo Schlauch und der Fraktion des BÜNDNIS- SES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f) eines Gesetzes zur tariflichen Entlohnung bei Innenausschuss öffentlichen Aufträgen und zur Einrichtung Rechtsausschuss eines Registers über unzuverlässige Unterneh- Finanzausschuss men Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend – Drucksache 14/7796 – Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder Überweisungsvorschlag: Haushaltsausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f) Innenausschuss Rechtsausschuss e) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- Finanzausschuss richts des Ausschusses für Wirtschaft und Techno- Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung logie (9. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeord- Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen neten Ursula Lötzer, Rolf Kutzmutz, Dr. Christa Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder Luft, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union PDS Haushaltsausschuss Sicherung tariflicher, arbeits- und sozialrechtli- cher Standards und Förderung arbeitsmarktpo- b) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten litischer Zielsetzungen durch ein Vergabegesetz Entwurfs eines Gesetzes für Tariftreueerklä- rungen – Drucksachen 14/4036, 14/5739 – – Drucksache 14/5263 – Berichterstattung: Abgeordnete Ursula Lötzer Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f) Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung f) Beratung des Antrags der Abgeordneten Hartmut Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen Schauerte, Dr. Hansjürgen Doss, Wolfgang Börnsen 21088 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 213. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Januar 2002

Präsident Wolfgang Thierse (A) (Bönstrup), weiterer Abgeordneter und der Fraktion des Vergaberechts zu verhindern. Viele Bundesländer ha- (C) der CDU/CSU ben ja bereits Tariftreueregelungen in der einen oder ande- Offensive für die Bauwirtschaft – Ursachen ren Form. Bayern habe ich schon erwähnt; auch das Saar- wirksam bekämpfen land, Sachsen-Anhalt und Berlin verfügen über derartige Vorschriften und andere Bundesländer bereiten sie vor. – Drucksache 14/7506 – Hinzu kommt die prekäre Situation in der Bauwirtschaft. Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f) Ein Unternehmen, das sich an die Tarifvereinbarungen hält, Rechtsausschuss hat in Ost- und Westdeutschland nur noch wenig Chancen Finanzausschuss am Markt. So sehr die Tarifpartner für wirtschaftlich trag- Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung bare und vernünftige Tarifvereinbarungen sorgen müssen, Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder der Staat kann die Augen nicht verschließen, wenn in einer Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Branche Tarifvereinbarungen obsolet zu werden drohen. Haushaltsausschuss Das ist nicht im Sinne unserer Verfassung.

g) Beratung des Antrags der Abgeordneten Rainer (Beifall bei der SPD) Brüderle, Hans-Michael Goldmann, Horst Friedrich Heute liegt Ihnen deshalb der Entwurf eines Bundes- (Bayreuth), weiterer Abgeordneter und der Fraktion gesetzes vor, den die Regierungsfraktionen gleich lautend der FDP zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung eingebracht Mehr Chancen für die Bauwirtschaft durch haben. Mit dem Gesetzentwurf wird auch auf die Situa- weniger Regulierung tion der Bauwirtschaft reagiert. DurchLohndumping werden immer mehr Arbeitsplätze insbesondere in mittel- – Drucksache 14/7458 – ständischen Unternehmen zerstört, Arbeitsplätze, die oh- Überweisungsvorschlag: ne dieses Lohndumping einen ausreichenden sozialen Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f) Schutz gewährleisten könnten. Rechtsausschuss Finanzausschuss Weder Unternehmen noch Arbeitnehmer können aber Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung auf Dauer zu immer niedrigeren Löhnen und immer in- Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder stabileren Arbeitsbedingungen existieren. Es ist in einer wohlverstandenen sozialen Marktwirtschaft eigentlich Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aufgabe der Wirtschaft, eine derartige Fehlentwicklung Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. – Ich höre zu unterbinden. keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. (B) (Beifall bei der SPD) (D) Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem Bundesminister Werner Müller. Aber diese Chance zur Selbststeuerung wurde nicht er- griffen.

Dr. Werner Müller,Bundesminister für Wirtschaft Ein weiteres Mal zeigt sich: Der mangelnde Wille, die und Technologie: Herr Präsident! Meine sehr geehrten mangelnde Kraft zur Selbstregulierung erfordert zwin- Damen und Herren! Der bayerische Staatsminister Otto gend eine staatliche Regulierung; denn man kann dieses Wiesheu hat im Mai des Jahres 2000 darauf hingewiesen, Lohndumping nicht weiter treiben lassen. Die öffentliche dass das Vergaberecht nicht mit vergabefremden Aspek- Hand muss also handeln. Ansonsten würde aufgrund der ten überfrachtet werden darf. Er hat zugleich das baye- Dynamik des Wettbewerbs ein Stundenlohn von 3 Euro rische Gesetz über eine Tariftreueerklärung bei öffent- zur Regel, um wettbewerbsfähig zu sein. lichen Bauaufträgen in Bayern ausführlich gelobt. Die öffentliche Hand mit ihrem immensen Auftragsvo- (Dr. [FDP]: Deshalb wird lumen von rund 250 Milliarden Euro darf dieser Ab- das aber nicht besser!) wärtsspirale nicht Vorschub leisten, sondern muss ihren damit verbundenen Einfluss dazu nutzen, diese Abwärts- Daran möchte ich anknüpfen und festhalten: Selbst- spirale abzuschaffen, da sich hier die Wirtschaft nicht sel- verständlich darf man dem Vergaberecht nicht zu viele ber regulieren will oder kann. Es ist ferner völlig ver- politische Kriterien aufbürden. Bereits die notwendige ständlich, wenn die Arbeitnehmer dagegen protestieren, Transparenz, Objektivität und Justiziabilität machen die dass mit ihren Steuergeldern Dumpinglöhne gezahlt wer- Vergabe öffentlicher Aufträge teilweise recht mühsam. den. Das gilt für den öffentlichen Personennahverkehr Mit der Zulassung verschiedenster vergabefremder As- ebenso wie für den Baubereich. pekte würde das primäre Ziel des Vergaberechts, öffent- liche Aufträge objektiv und diskriminierungsfrei zu ver- Mit der EU wollen wir auch in diesem Bereich dem geben, kaum mehr erreichbar. Wettbewerb mehr Geltung verschaffen. Das darf aber nicht heißen, dass wir einen Wettlauf um niedrige soziale Die Bundesregierung hat es sich deshalb bei ihrer Ent- Standards und schlechte Bezahlung staatlicherseits för- scheidung, die vom Bundesrat gewollte Tariftreuepflicht dern oder tolerieren. Es geht uns vielmehr um mehr Effi- gesetzlich zu verankern und das bayerische Tariftreue- zienz und attraktivere Angebote. gesetz gemäß Bundesratswillen zu einem Bundesgesetz zu machen, nicht leicht gemacht. Dabei geht es nicht allein Noch einmal erlaube ich mir ein Zitat des bayerischen darum, eine für die Wirtschaft verheerende Zersplitterung Wirtschaftsministers Wiesheu. Er sagt: Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 213. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Januar 2002 21089

Bundesminister Dr. Werner Müller (A) Bayern tritt für einen fairen Wettbewerb mit Augen- Im Übrigen kann man sich durchaus fragen, ob es wirk- (C) maß im ÖPNV ein. Deshalb haben wir mit allenlich zukunftsweisend und auf lange Sicht vernünftig ist, Betroffenen ... eine Vereinbarung über die Anforde- wenn sich Unternehmen im Wesentlichen auf einen Per- rungen bei Linienausschreibungen getroffen. Siesonalkostenvorsprung verlassen, der allein auf die Lohn- betreffen die Qualität, die Busausstattung, die Tarif- höhe zurückzuführen ist. verträge. (Manfred Grund [CDU/CSU]: Sie haben auch Genau das wird nun mit dem Gesetz Bundesstandard. einen Qualitätsvorsprung!) Der Staat soll Bauaufträge und ÖPNV-Leistungen nur Unter diesem Aspekt ist die Streichung des Lohnkosten- noch an tariftreue Unternehmen vergeben. Um die damit vorteils aus dem Wettbewerb um öffentliche Bauaufträge verbundenen bürokratischen Belastungen gering zu hal- durchaus auch eine Chance. ten, will die Bundesregierung eine Bagatellgrenze in Hö- Ein weiteres wichtiges Thema des Gesetzentwurfs sind he von 50 000 Euro pro Auftrag einführen. Die einzelnen die Kontrollregelungen. Darin, dass das Gesetz ohne ef- Regelungen des Gesetzes bergen für die öffentlichen Auf- fektive Kontrollen und Sanktionen wertlos wäre, sind traggeber und die Wirtschaft letztlich wenig Überra-sich alle einig. Der öffentliche Auftraggeber kann sich schungen; denn sie kennen die Praxis, die sich leider eta- deshalb der Hilfe der Bundesanstalt für Arbeit und des bliert hat. Ferner hat der Bundesrat die Grundzüge einer Zolls bedienen, die ohnehin schon die Mindestlöhne auf derartigen Regelung im Juni letzten Jahres skizziert. den Baustellen kontrollieren. Der Ihnen vorliegende Gesetzentwurf stützt sich auf (Manfred Grund [CDU/CSU]: Dort werden diesen Bundesratsbeschluss. Er stützt sich zudem auf die Arbeitsplätze geschaffen!) Arbeit einer Arbeitsgruppe aus Vertretern der betroffenen Wirtschaft, der Ressorts und auch der Gewerkschaften. Verstößt ein Unternehmen gegen die Tariftreuepflicht, Bauaufträge und Aufträge über Verkehrsleistungen im stehen dem öffentlichen Auftraggeber mehrere Sankti- ÖPNV sollen danach in Zukunft nur noch an Unterneh- onsmöglichkeiten zur Verfügung – von der Vertragsstrafe men vergeben werden, die die am Ort der Leistungs-bis zum Ausschluss von der Vergabe künftiger öffent- erbringung einschlägigen Tariflöhne zahlen. licher Aufträge. Übrigens: Wer die Probleme auf dem Bau kennt, weiß auch, dass meist nicht die Vertragspartner Ich will nicht verschweigen, dass uns die Frage, ob auf Dumpinglöhne zahlen. Die Preise werden vielmehr bei den Lohn der Baustelle oder auf den Lohn des Unterneh- den Nach- und Nach-Nachunternehmen gedrückt. Damit menssitzes abgestellt werden soll, einige Kopfschmerzen das Gesetz kein zahnloser Tiger wird, werden auch alle bereitet hat. Denn für viele ostdeutsche Unternehmen des Nachunternehmen in die Tariftreueregelung einbezogen. Baugewerbes bedeutet der Lohn der Baustelle, dass sie (B) Meine Damen und Herren, das Gesetz soll dazu beitra- (D) bei öffentlichen Aufträgen im Westen nicht mehr mit Ost- gen, dass es auf dem Bau und im öffentlichen Personen- löhnen kalkulieren können. Dies gilt allerdings nur für das nahverkehr auch in Zukunft stabile Arbeitsverhältnisse Baunebengewerbe. Im Bauhauptgewerbe ist tarifver- gibt. Gleichzeitig hoffe ich, dass die Diskussion um die- traglich vereinbart, dass bei Aufträgen im Westen dieses Gesetz auch die Verantwortung deutlicher werden Westlöhne zu zahlen sind. Das Gesetz schreibt hier also lässt, die die Tarifpartner für die Beschäftigung haben. nur das vor, was die Tarifvertragsparteien ohnehin bereits vereinbart haben. Damit ist die Dimension dieser Ostpro- Vielen Dank. blematik weit geringer, als vielfach angenommen, da sie (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ – wie gesagt – nur das Baunebengewerbe betrifft. DIE GRÜNEN) Jetzt will ich noch eine praxisorientierte Frage hinzu- fügen: Ist ein ostdeutscher Tarifstundenlohn plus Aus- Präsident Wolfgang Thierse: Ich erteile dem Kolle- lösung für den Einsatz in Westdeutschland tatsächlich gen Peter Rauen, CDU/CSU-Fraktion, das Wort. billiger als ein westdeutscher Tarifstundenlohn? – Bei Ta- riftreue wohl nicht. Theoretisch kann man also sagen, dass der sich aus dem niedrigen Ostlohn ergebende Vorteil bei Peter Rauen (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine Aufträgen im Westen entfällt. sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es gibt einen beispiellosen Niedergang in (Manfred Grund [CDU/CSU]: Sollen sie der deutschen Bauwirtschaft. bleiben, wo sie sind, die Ossis!) (Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Leider wahr!) Praktisch wird das aber keine Rolle spielen. Deshalb gibt es zum Lohn der Baustelle hier keine Alternative. Es ist nur allzu normal, dass wir uns hier im Parlament über diese dramatische Entwicklung unterhalten. Seit Festzulegen, dass der Lohntarif am Unternehmenssitz 1995 gibt es im Bauhauptgewerbe 500 000 Beschäftigte gezahlt werden soll, scheidet ferner auch deswegen aus, weniger. Im November letzten Jahres waren es gerade weil das gerade bei ausländischen Unternehmen nicht zu noch 948 000. In Deutschland sind 264 500 Bauarbeiter kontrollieren wäre. Auch würden im Zuge der Osterwei- arbeitslos; das sind fast 28 Prozent. terung der EU zuerst die ostdeutschen Unternehmen von Wenn man wie ich seit 36 Jahren in der Branche arbei- den neuen Wettbewerbern bedrängt. tet – ich hätte mir niemals vorstellen können, dass einmal (Susanne Kastner [SPD]: So ist es!) eine Situation eintritt, in der man trotz aller Bemühungen 21090 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 213. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Januar 2002

Peter Rauen (A) keine Arbeit mehr für seine Leute hat, selbst wenn man Ich komme zum zweiten Schwerpunkt, woran der Bau (C) bereit ist, zu Selbstkosten anzubieten –, drängt einen die- heute krankt. Wir hatten imWohnungsbau in 2000 ein ses Problem mehr als manch anderes. Minus von 9 Prozent und in 2001 eines von 17 Prozent. Kommt dann ein Vorschlag wie der, ein Betriebstreue- Es ist nicht so, als wenn die Menschen in Deutschland gesetz einzuführen, hat man zunächst einmal Hoffnung, nicht mehr den Willen zum Bau von Eigenheimen hätten. dass das vielleicht wirklich etwas verbessern könnte, vor Aber Sie haben die Ausgangsvoraussetzungen, damit die allen Dingen wenn man selbst ausschließlich Tariflöhne Leute bauen können, in Ihrer Regierungszeit massiv ver- zahlt und bei diesen Löhnen seit Monaten keine Arbeit schlechtert. Sie haben die Einkommensgrenze für die mehr bekommt. Wenn man aber genauer hinschaut, ob das Wohneigentumsförderung von 120 000 bzw. 240 000 DM Gesetz an der dramatischen Situation wirklich etwas än- auf 80 000 bzw. 160 000 DM reduziert. dern wird, muss man letztlich feststellen, dass es eine ge- Wir haben Ihnen damals bei den Beratungen gesagt, nauso weiße Salbe bleiben wird wie viele andere Regu- dass dies zum Rückgang des Wohneigentumsbaus in lierungen, die in diesem Bereich gemacht wurden, auch. Deutschland führen werde. Auch die Verbände haben Ih- Das Gesetz gilt ja nur für öffentliche Aufträge. Die öf- nen dies gesagt. Aber Sie haben – aus welchen Gründen fentlichen Aufträge machen aber leider gerade nur noch auch immer – die Schwelle für die Förderung des Wohnei- 14 Prozent der Bausumme in Deutschland aus. genheimbaus, die wir eingeführt hatten, sinnlos reduziert. (Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Auch ein Ich sage das hier, weil mancher von Ihnen ein Haus ge- beispielloser Niedergang!) baut hat. Ich habe viel Baufinanzierung gemacht. Von diesen 14 Prozent werden zwei Drittel von den Ge- (Susanne Kastner [SPD]: Ich auch!) meinden investiert. Es ist ja nicht so, als wenn nicht genü- Ich weiß: Wer mit dem Groschen rechnen muss, für den gend Arbeit da wäre. Man schätzt den Investitionsbedarf sind bei einer monatlichen Refinanzierung die letzten der Gemeinden für Infrastruktureinrichtungen, die ge- 200 oder 300 DM am schwierigsten aufzubringen. Das baut, aber auch unterhalten werden müssen, damit sieweiß jeder, der einmal einen Hausbau finanziert hat. nicht vor die Hunde gehen, zurzeit auf 1 Billion DM. Sie haben auch die Möglichkeit vieler Menschen redu- (Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Sogar noch ziert, den Wohnungsneubau zu finanzieren. Was Sie mit mehr!) den 630-DM-Jobs gemacht haben, hat die Fleißigsten in Wenn ich mir die Wirklichkeit in den öffentlichenunserem Lande bestraft. Haushalten ansehe, ist zunächst einmal festzustellen, dass (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – die Nachfrage der öffentlichen Hand in den letzten Jahren (B) Lachen bei der SPD) (D) leider massiv zurückgegangen ist, nämlich um 1,9 Pro- zent in 2000 und 2,5 Prozent in 2001. Wenn ich jetzt das Sie wollen die Partei der kleinen Leute sein. Sie wissen Jahr 2002 betrachte, stelle ich fest: Der Bund hat eine aber nicht, was sich da abspielt. Ich kenne Dutzende von Investitionsquote von nur noch 10,1 Prozent im Haushalt Beispielen, bei denen ein Ehepaar, um ein Haus zu bauen, vorgesehen. Das ist die niedrigste Investitionsquote, die eine Wohnung oder Möbel zu kaufen, entschieden hat, es je gegeben hat. dass einer von beiden einen Nebenjob annimmt. Damit (Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Hört! Hört!) konnte dann das Geld aufgebracht werden, um sich dies leisten zu können. Diejenigen, die so gehandelt haben und Der Bund investiert im Jahr 2002 9,5 Milliarden DM no- jetzt die 630 DM zu ihrem ersten Gehalt dazurechnen minal weniger als 1998, und zwar trotz eines Steuerauf- müssen, womit sie in die Progressionszone kommen und wuchses von rund 48,5 Milliarden DM in diesem Zeit- damit aus 630 DM netto nur noch 350 DM netto gewor- raum. den sind, sind aber nicht mehr in der Lage, sich diese Auch in den Ländern sind die Haushalte, um die nöti- Dinge zu leisten. Das führt zu einem dramatischen Rück- gen Investitionen durchzuführen, sehr eng. Es gibt einen gang bei den Wohnungsneubauten. guten Grund, warum Herr Eichel den Ländern und Ge- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – meinden eine höhere Nettoneuverschuldung erlaubt hat. Zurufe von der SPD) Wenn ich mir aber die Gemeinden anschaue, die einen traumatischen Einnahmeausfall haben, weil durch die– Lassen Sie diese dümmlichen Zwischenrufe! Ich weiß Steuerreform die kommunale Einnahmebasis ruiniertsehr genau, wovon ich spreche. worden ist, dann weiß ich, was in Zukunft auf das Bauge- (Zurufe von der SPD: Wir auch!) werbe noch zukommt: Dieser verminderte Investitions- wille und diese verminderte Investitionsfähigkeit der ein- Auch Sie wissen, dass ich genau weiß, wovon ich spreche. zelnen Ebenen werden dazu führen, dass wir einen sich Wenn man in einer Branche arbeitet, dann stellt man selbst beschleunigenden Abschwung im Baugewerbe be- sich nicht erst heute die Frage: Was ist eigentlich in unse- kommen werden. Ich kann nur dringend dazu raten, die rer Branche los? Ich kann mich gut daran erinnern, dass kommunale Einnahmebasis möglichst schnell wieder zu ich Anfang der 90er-Jahre auch bei uns davor gewarnt verändern. Damit ist mehr getan als durch jede unsinnige habe, zu glauben, dass eineMindestlohnverordnung Regulierung. oder ein Entsendegesetz etwas bringen würden. Vor (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) kurzem haben Sie den Unfug mit der Bauabzugssteuer ge- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 213. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Januar 2002 21091

Peter Rauen (A) macht. Jetzt wollen Sie die Tariftreueregelung einführen. und ihren Bruttoarbeitskosten,die viel zu hoch sind, (C) Das ist doch alles nur weiße Salbe. durch entsprechende Reformen wieder zu schließen. Das ist die einzige Möglichkeit, um international wettbe- Meine Damen und Herren, ich will Ihnen den wahren werbsfähig zu bleiben. Grund nennen. (Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Bayern hat angefangen mit dem Tarif- NEN]: Das mit der Bauabzugssteuer wirkt po- treuegesetz!) sitiv! Das sagt das Baugewerbe!) Das gilt auf Dauer nicht nur für das Baugewerbe. Der Bau – Das war als Gesetz zur Bekämpfung der illegalen Be- ist nur der Fokus einer Entwicklung, die wir gewollt ha- schäftigung geplant. Das hat sich zunächst auch gut an- ben und die jetzt eintritt. gehört. Aber angesichts des bürokratischen Molochs, der auf unsere Handwerksbetriebe zurollt, die seit zehn oder (Dr. Ditmar Staffelt [SPD]: Sagen Sie mal, wel- 15 Jahren ihre Steuernummer haben und plötzlich mit die- che Beweggründe hatte denn die CDU in Berlin, sen Abzügen kujoniert werden, das zu fordern, oder die CSU in Bayern oder die CDU im Saarland? Sagen Sie das doch mal!) (Beifall bei der CDU/CSU – Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Freistel- Wir sind davon ausgegangen, dass Europa den freien lungsbescheinigungen liegen doch mittlerweile Verkehr von Menschen, Waren, Dienstleistungen und Ka- fast alle vor!) pital bedeutet. Genau das geschieht jetzt bei derLohn- migration in Europa. Dabei können wir langfristig nicht macht sich Ärger in den Betrieben über diese Regelungen mit Verboten argumentieren. breit. (Susanne Kastner [SPD]: Warum macht das (Beifall bei der CDU/CSU) denn die CDU? – Zuruf von der CDU/CSU) Das Gesetz lässt die Betriebe zum Inkassobetrieb für Ich nehme zum Beispiel den Bauboom in Portugal. die Finanzämter werden. Das war bei dem Gesetz zur Man sieht bei einem Besuch der Baustellen, dass dort Bekämpfung der illegalen Beschäftigung,dem wir viele Marokkaner arbeiten, wobei man sich dann nicht da- seinerzeit zugestimmt haben, zunächst nicht bedacht wor- rüber wundern muss, warum so viele Portugiesen an- den. derswo in Europa arbeiten. (Walter Hirche [FDP]: Die Praxis ist anders als (Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- der runde Tisch!) NEN]: Klären Sie das erstmal mit Ihren Uni- (B) Lassen Sie mich zum Abschluss noch feststellen: Was onskollegen!) (D) Sie hier machen, ist aus der Sicht der neuen Bundesländer In Tschechien oder Polen arbeiten heute Letten, Ukrainer nicht akzeptabel. und Weißrussen, weil die einheimischen Arbeitnehmer ihr (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Geld bei uns verdienen. Ich bin nicht bereit, meine eigene Lebenserfahrung (Susanne Kastner [SPD]: Ihr Kandidat aus hinter vordergründigen Überlegungen zurückzustellen. Bayern hat so ein Gesetz!) Ich erinnere mich noch gut daran, als ich vor 35 Jahren an- Wenn wir es nicht schaffen, die viel zu hohe Belastung gefangen habe, ohne irgendetwas an den Füßen zu haben. der Arbeit durch die notwendigen Reformen zu senken Ich war froh, meinen Betrieb in der Eifel zu haben, wo es mit dem Ziel, dass den Menschen mehr bleibt, dann wer- damals etwas geringere Tariflöhne gab und wir froh wa- den wir die Probleme auf dem Bau niemals lösen können. ren, Aufträge im Saarland oder in Nordrhein-Westfalen zu bekommen. Wenn ich damals gezwungen worden wäre, (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) die Löhne vor Ort zu bezahlen, wäre ich sicherlich nicht Genau dabei haben Sie versagt. Sie haben das Gegenteil hochgekommen und hätte den Betrieb nicht in Gang set- von dem gemacht, was Sie eigentlich tun müssten. zen können. Schönen Dank. Ich bin nicht bereit, den Betrieben in den neuen Bun- desländern, die um ihre Existenz kämpfen, eine Regelung (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) überzustülpen, die im Prinzip ein Unternehmensvernich- tungsgesetz in den neuen Bundesländern darstellt. Das Ich erteile das Wort kann nicht sein. Präsident Wolfgang Thierse: dem Kollegen Werner Schulz von Bündnis 90/Die Grü- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) nen. Meine Damen und Herren, wenn Sie die Probleme auf dem Bau wirklich lösen wollen, dann muss alles getan Werner Schulz (Leipzig) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- werden, um die viel zu große Schere zwischen denNEN): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Kol- Nettolöhnen der deutschen Bauarbeiter, die zu gering lege Rauen, Sie wissen zwar genau, worüber Sie reden; sind, aber Sie reden nicht genau über die Probleme. (Susanne Kastner [SPD]: Wie ist das mit dem (Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Das war eine Tariftreuegesetz?) exzellente Rede!) 21092 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 213. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Januar 2002

Werner Schulz (Leipzig) (A) Es sind natürlich nicht nur die klammen Gemeindefi- werden – das ist im Baugewerbe ein großes Problem – und (C) nanzen und die hohen Lohnnebenkosten, die das Bauge- dass die soziale Realität in einem zusammenwachsenden werbe bedrücken, sondern auch die politischen Fehler, die Deutschland berücksichtigt wird. im Zuge der deutschen Einheit gerade von Ihnen gemacht Fakt ist: Vergabegesetze gibt es in Bayern – das dortige wurden. Gesetz geht auf die Initiative der CSU zurück –, in Berlin (Zuruf von der CDU/CSU: Das sind die Fehler – dort hat die große Koalition, an der die CDU beteiligt war, der Bundesregierung!) ein entsprechendes Gesetz in Kraft gesetzt –, im Saarland – auch dort hat die CDU ein Vergabegesetz verabschiedet – Die prekäre Situation des ostdeutschen Baugewerbes und in Sachsen-Anhalt. Man weiß aufgrund praktischer Er- hängt sehr stark mit den Überkapazitäten zusammen, die fahrungen, dass sich mit Vergabegesetzen gewisse soziale dort geschaffen worden sind, und zwar durch Steuerab- Standards erhalten lassen. Allerdings stellt sich die Frage, schreibungsmodelle der FDP ob man mit solchen Gesetzen der sozialen Realität in einem (Walter Hirche [FDP]: Sonst wären die Leute Transformationsland, wie es das vereinte Deutschland ist, viel eher arbeitslos gewesen!) in ausreichendem Maße Rechnung trägt. und durch Fehlallokation von Kapital in einer beachtli- Wir sollten aber auch die Einwände beachten, die bei- chen Größenordnung. Es gibt dort Investitionsruinen; dort spielsweise der Deutsche Städte- und Gemeindebund vor- sind Bauten errichtet worden, die niemand braucht und gebracht hat. Er sieht in dem angekündigten Tariftreue- die leer stehen. Der Leerstand ist unglaublich hoch. Das gesetz die Gefahr der einseitigen Benachteiligung von ist gerade für eine neues Bundesland bedrückend. Das ist Bauunternehmen – sei es auch nur des Baunebengewer- sicherlich durch die Wunschvorstellungen getragen, eine bes – aus den neuen Bundesländern. Viele dieser Betriebe Art zweites Wirtschaftswunder mit einer Baukonjunktur- können sich offensichtlich nur durch Aufträge der öffent- lokomotive in Gang setzen zu können. Doch heute haben lichen Hand aus den alten Bundesländern über eine be- wir dadurch massive Probleme. Die Experten sagen, dass stehende Durststrecke hinweghelfen. Wir müssen auf je- das Wirtschaftswachstum bei etwa 1,5 Prozent liegenden Fall eine Lösung finden, die es vermeidet, dass solche würde, wenn die Probleme der ostdeutschen Bauwirt-Unternehmen von zwei Dritteln des gesamtdeutschen schaft mit dem Abbau der Überkapazitäten nicht berück- Marktes ausgeschlossen werden. Darauf sollten wir in der sichtigt würden. Anhörung den Fokus legen. (Günter Nooke [CDU/CSU]: Erzähl die Wahr- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN heit!) und bei der SPD) – Günter Nooke, zu diesem Ergebnis ist das Institut für (B) Wirtschaftsforschung Halle gekommen. Ich vertraue da- Präsident Wolfgang Thierse:Kollege Schulz, ge- (D) rauf. statten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Niebel? (Walter Hirche [FDP]: Wenn man alle Arbeits- losen herausrechnet, dann haben wir keine Ar- Werner Schulz (Leipzig) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- beitslosen mehr! – Zurufe von der CDU/CSU) NEN): Ja. – Da Sie sich an dieser Debatte so engagiert beteiligen, vermute ich, dass Sie heute Morgen sehr starken Kaffee Dirk Niebel (FDP): Vielen Dank. – Herr Schulz, ist Ih- getrunken haben nen der Artikel des Kollegen Metzger aus der „FAZ“ vom 18. Januar dieses Jahres bekannt, in dem er vehement vor (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN der Einführung eines Tariftreuegesetzes warnt, da dieses und bei der SPD – Dr.-Ing. Dietmar Kansy zum Absterben der Bauindustrie und des Baugewerbes in [CDU/CSU]: Im Gegensatz zu Ihrem Minister. Deutschland führen werde? Zuruf von der CDU/CSU: Das ist starker To- bak! – [CDU/CSU]: Wir sind im (Rainer Brüderle [FDP]: Kluger Mann, der Gegensatz zu Ihnen ausgeschlafen!) Metzger! – Dr.-Ing. Dietmar Kansy [CDU/CSU]: Sagen Sie Nein! Er schreibt jeden Morgen sol- oder dass Ihnen, Kollege Merz, der gestrige Abend noch che Artikel!) lebhaft in Erinnerung ist. In der Wirtschaftsentwicklung der Europäischen Werner Schulz (Leipzig) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Union spielen Liberalität undWettbewerb eine sehr NEN): Ich kenne diesen Artikel zwar nicht. Aber ich große Rolle. Das ist mit der Einführung des Euro noch kenne die Position und die Auffassung meines Kollegen einmal verstärkt worden. Der Wettbewerb hält auch Ein- Metzger. Wir haben darüber sehr kritisch diskutiert. Sol- zug in alle Bereiche der alten Daseinsvorsorge. Das ist aus che Einwände, wie Sie sie gerade angeführt haben, wer- unserer Sicht förderlich; denn wir setzen auf die Kreati- den ja nicht nur von ihm, sondern auch von der mittel- vität des Wettbewerbs. Es geht dabei um den besten Ser- ständischen Bauwirtschaft erhoben. Wir nehmen – das vice sowie um die besten technologischen und ökologi- haben Sie vielleicht auch mitbekommen – diese Ein- schen Lösungen. Aber wir müssen darauf achten, dass der wände und die damit verbundenen Sorgen sehr ernst. Wir Wettbewerb – dass Ihnen Wettbewerb nicht gefällt, kann sind um eine Lösung bemüht. Der vorliegende Entwurf ei- ich mir vorstellen – fair ist, dass faire Rahmenbedingungen nes Tariftreuegesetzes – das ist bei vielen Gesetzesbera- geschaffen werden, dass die sozialen Rechte eingehalten tungen so – wird den Bundestag mit Sicherheit nicht so Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 213. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Januar 2002 21093

Werner Schulz (Leipzig) (A) verlassen, wie er eingebracht worden ist. Wir setzen auf Es ist eine Notreaktion, dass sich in den betroffenen(C) die Beratung und die Anhörung. Wir sind der Meinung, Unternehmen die Mitarbeiter und die Unternehmer zu- dass wir eine gemeinsame Lösung für die Probleme fin- sammensetzen, damit Arbeit in einem gewissen Umfang den werden, auch wenn das nicht einfach sein wird. überhaupt noch vorhanden ist. Der einzige Vorteil dieser Betriebe ist – die Fachleute sprechen von einem kompa- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN rativen Vorteil –, dass sie zu anderen Konditionen anbie- und bei der SPD) ten können. – Herr Schwanitz schweigt dazu. Der Aufbau Das Gleiche gilt für den Schwellenwert. Auch hier ge- Ost soll doch Chefsache sein. Chefsache in diesem Land hen die Auffassungen sehr stark auseinander. Die einen ist aber nur Holzmann. Sie nehmen genau diesen Betrie- hätten am liebsten einen Schwellenwert von 10 000 Euro; ben die Chance, Beschäftigung zu bekommen. die anderen möchten beim Auftragsvolumen einen (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Schwellenwert von 300 000 Euro haben. Auch darüber müssen wir in der Anhörung Klarheit schaffen. Wenn ein ostdeutscher Betrieb in Köln, in Frankfurt oder in zu den örtlichen Tarifen anbietet, hat er Wir werden auch Klarheit darüber schaffen müssen, keine Chance. Sie nehmen ihm die Chance! Sie bauen wie hoch der Verwaltungsaufwand sein wird und wie und wieder Schutzzäune um die Märkte. Das ist genau der wo beispielsweise ausländische Unternehmen kontrolliert falsche Weg. werden können. Wir müssen uns auch über die Laufzeit und über den Berichtszeitraum für dieses Gesetz verstän- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) digen. Das ist der gegenteilige Ansatz zu dem Ordnungsprinzip der sozialen Marktwirtschaft. Ich glaube, wir haben in diesem Falle einen echten und großen Beratungsbedarf. Dass ausgerechnet ein Land wie Sachsen-Anhalt, das die höchste Arbeitslosigkeit und die miserabelsten Wirt- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN schaftsdaten in Deutschland hat, und bei der SPD) (Manfred Grund [CDU/CSU]: Die miserabels- te Regierung!) Präsident Wolfgang Thierse:Ich erteile das Wort dem Kollegen Rainer Brüderle, FDP-Fraktion. einen solchen Gulasch, eine solche Fehlentwicklung un- terstützt, indem es einen entsprechenden Gesetzentwurf in den Bundesrat mit einbringt, zeigt, dass diese Regie- Rainer Brüderle (FDP): Herr Präsident! Meine Da- rung die Probleme ihres Landes nicht verstanden hat. Des- men und Herren! Der Sachverständigenrat schreibt in sei- wegen muss sie weg. (B) nem aktuellen Gutachten zu dem Tariftreuegesetz – ich zi- (D) tiere –: „Wir raten von diesem Gesetz ab, hoffentlich nicht (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) wieder umsonst.“ Eigentlich ist dem nichts hinzuzufügen. Die IG BAU „honoriert“ der Regierung die Tatsache, (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) dass diese ihren sehnsüchtigen Wunsch erfüllt, nach dem Entsendegesetz einen weiteren Schutzzaun zu bauen, mit Wir haben in der Bauwirtschaft unbestritten eine ka- einer Lohnforderung von 4,5 Prozent, was angesichts tastrophale Lage. Sie ist noch katastrophaler in Deutsch- der hohen Arbeitslosigkeit in die Rezession hineinführt. land-Ost. Herr Schulz, ich verstehe Sie überhaupt nicht. In dieser Situation muss man erst einmal auf die Idee kommen, mit einer solchen Forderung in die Tarifver- (Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- handlungen hineinzugehen. Die Theaterinszenierung NEN]: Sie verstehen nie irgendetwas, Herr Bündnis für Arbeit wird erneut nichts bringen. Dort wer- Brüderle!) den keine neuen Arbeitsplätze geschaffen. 36 Prozent der ostdeutschen Bauarbeiter sind arbeitslos. (Friedrich Merz [CDU/CSU]: Sehr richtig!) (Dr. Ditmar Staffelt [SPD]: Ja, warum Kernproblem in diesem Bereich ist die Schwarzarbeit. eigentlich?) Auch dort geht man den falschen Weg. Hauptursache der In den neuen Bundesländern sind etwa 80 Prozent aller Schwarzarbeit ist, dass die Differenz zwischen Brutto und Arbeitsverhältnisse außerhalb des geltenden Tarifver-Netto zu hoch ist. Wir nehmen den Leuten zu viel ab. tragsrechts. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) (Zuruf von der CDU/CSU: Das ist die Aber anstatt an den Ursachen anzusetzen und anstatt Frei- Realität!) raum zu geben, geht man die andere Richtung, indem man Das ist eindeutig rechtswidrig. Keine Gewerkschaftnoch mehr reguliert und ein Zwangskorsett schafft. So – auch nicht die IG BAU –, keine Regierung und kein Po- geht man gegen die Arbeitslosen vor; man gibt ihnen litiker gehen an den rechtswidrigen Tatbestand heran,keine Chance. Das ist doch alles nur Kosmetikköfferchen. dass 80 Prozent außerhalb des geltenden Tarifvertrags- Das hilft doch überhaupt nicht; das ist keine Lösung. rechts beschäftigt sind. Jeder weiß nämlich: Wenn man da (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) herangeht, verdoppelt oder verdreifacht sich die Arbeits- Die Konsequenz ist: Das Bauen wird teurer. Es wird losigkeit in den neuen Bundesländern. weniger Bauaufträge der öffentlichen Gebietskörper- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) schaften geben, denen es eh schon schlecht geht und die 21094 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 213. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Januar 2002

Rainer Brüderle (A) aus dem letzten Loch pfeifen. „Weniger Bauaufträge“ Wenn Sie weiter den falschen Weg gehen, dann werden (C) heißt: weniger Beschäftigung, also wieder mehr Arbeits- Sie die Arbeitslosigkeit von Monat zu Monat steigern. Al- losigkeit. Das kostet mehr. Man gibt, wie gesagt, denlein im Dezember 180 000 neue Arbeitslose! Das wird draußen Stehenden keine Chance. Das ist erneut ein Bei- weiter so gehen. Sie werden im nächsten Monat eine wei- trag zu mehr Kompliziertheit. tere Steigerung der Arbeitslosigkeit hinnehmen müssen. Wir haben bei uns in Deutschland Vergabedschungel Sie gehen genau in die falsche Richtung. Dieses Gesetz und Regulierungswut. Wir legen denen, die etwas ma- hat fast Symbolcharakter. Es steht für eine falsche Denke. chen wollen, Handschellen an. Statt 1 000 Handschellen (Dr. Ditmar Staffelt [SPD]: Warum macht der abzulegen, damit sie etwas machen können Stoiber das dann? Warum stimmt der Wirt- (Zuruf von der SPD) schaftsminister aus Rheinland-Pfalz zu? Er- zählen Sie das mal!) – Sie sollten sich schämen, statt dazwischenzurufen –, Flexibilität, Freiraum, Marktwirtschaft – das ist der (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Weg. Zementieren, lokales Denken, Schutzzäune um Lachen bei der SPD) Köln, um Bonn, damit kein anderer Bauarbeiter eine gehen wir weiter in Richtung Regulierung. Das Gegenteil Chance hat – das ist Rückschritt ins Mittelalter. Sie bauen von „gut“ ist eben „gut gemeint“. Ich will dem einen oder ja wieder eiserne Schienen in die Flüsse, damit sich dort anderen gar nicht unterstellen, dass er keine gute Absicht nichts bewegt. Das ist intellektuelles Raubrittertum. Sie dabei hat, aber Sie machen es fundamental falsch. machen es fundamental falsch. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) der CDU/CSU) Ich verstehe auch nicht, dass sich ein Wirtschaftsminis- Präsident Wolfgang Thierse: Ich erteile der Kolle- ter, der in einer Regierung eigentlich das ordnungspolitische gin Ulla Lötzer, PDS-Fraktion, das Wort. Gewissen sein sollte, hier hinstellt und diesen elementaren Verstoß gegen die Grundidee der sozialen Marktwirtschaft – wieder mehr Zement, mehr Schutzzäune, keine Flexibi- Ursula Lötzer (PDS): Herr Präsident! Kolleginnen lität, keine Öffnung – auch noch rechtfertigt. Das ist ei- und Kollegen! Herr Brüderle, kümmern wir uns mal um gentlich noch der i-Punkt dabei. die realen Probleme der Menschen, die in diesen Bran- chen arbeiten! (Dr. Ditmar Staffelt [SPD]: Die FDP in Rhein- land-Pfalz hat im Bundesrat übrigens auch zu- (Rainer Brüderle [FDP]: Gruß von Honecker!) gestimmt!) (B) Sie werden zum Beispiel bei dem Streit deutlich, den die (D) Bei allen Wirtschaftsforschungsinstituten, bei der Bun- Busfahrer der Firma Rheinbus in Düsseldorf seit Dezem- desbank, bei der OECD besteht die klare Auffassung:ber führen. Sie wollen nichts anderes, als ihren Anspruch Dass wir von der unerträglich hohen Arbeitslosigkeitdurchzusetzen, das Einstiegsniveau nach dem Tarifver- nicht herunterkommen, liegt an der Inflexibilität des Ar- trag zu erhalten, der mit dem kommunalen Arbeitgeber- beitsmarktes. Das ist das Kernproblem. verband ausgehandelt wurde. Die Arbeitgeber haben (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten einen Gefälligkeitstarifvertrag mit einer anderen Ge- der CDU/CSU) werkschaft zu niedrigeren Tarifen, nämlich 1 400 Euro im Monat für Busfahrer im Schichtdienst, abgeschlossen. Sie müssen endlich Freiräume schaffen und das Tarifver- tragsrecht novellieren, sodass auch das Günstigkeitsprin- (Zuruf von der PDS: Pfui!) zip zugunsten der Erhaltung des Arbeitsplatzes angewen- Das gehört zu den realen Problemen der Menschen. Dafür det werden kann. streiken sie. Da geht es nicht um irgendwelche Funk- (Zuruf von der SPD: Jetzt kommt er auf den tionäre. Punkt!) (Beifall bei der PDS) Gebt den Mitarbeitern in den Betrieben Mitbestimmung und kommt weg von der Funktionärsfremdbestimmung! Zielsetzung des Entwurfs ist es, so sagen Sie, Arbeits- plätze zu erhalten, die einen ausreichendensozialen (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Schutz und ein angemessenes Einkommensniveauge- der CDU/CSU) währleisten. Nur ist der Entwurf insofern inkonsequent. Lassen Sie sie, wenn sie es wollen, mit 75 Prozent Mehr- Der Gefälligkeitstarifvertrag, den ich eben erwähnte, heit anders entscheiden. Sie sind betroffen. Um deren Ar- könnte nämlich zur Grundlage des Wettbewerbs werden, beitsplatz und nicht um den der Gewerkschaftsfunk-wenn dieser Entwurf Gesetz wird. Sie sagen darin ja: Der tionäre geht es! öffentliche Auftraggeber kann entscheiden, welchen der gültigen Tarifverträge er wählt, wenn es denn mehrere (Zuruf von der SPD: Ein Hinterwäldler!) gibt. Das ist für uns ebenso unannehmbar wie für die Ge- – Sie als IG-Metall-Funktionär müssen aus Solidarität an- werkschaften. Wir wollen, dass der Entwurf in der Bera- ders schreien. So ein Unsinn! tung dahin geändert wird, dass der repräsentative ortsüb- liche Tarifvertrag eingehalten werden muss. (Susanne Kastner [SPD]: Bayern hat auch Zäune um die Bauwirtschaft!) (Beifall bei Abgeordneten der PDS) Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 213. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Januar 2002 21095

Ursula Lötzer (A) Der vom Europäischen Parlament beschlossene Hand- das Geschäft der kleinen und mittleren Unternehmen in (C) lungsrahmen erlaubt ausdrücklich auch denSchutz der Ostdeutschland oder Westdeutschland. tariflichen Arbeitsbedingungen. Warum bleiben Sie mit Zukunftsfähige Arbeitsplätze brauchen wir auch in Ihrer Beschränkung auf Einkommen eigentlich dahinter Ostdeutschland. Das bedeutet existenzsichernde Arbeit zurück? und Einhaltung von sozialer Demokratie. Mit Lohndum- Auch sollten die Behörden dazu verpflichtet werden, ping jedoch ist die Zukunft auf Sand gebaut; denn dann bei Verstößen tätig zu werden. Sie alle kennen doch beim werden weder die ostdeutschen Betriebe noch die ost- Bau die Erfahrungen zur Genüge, wenn solche Kontroll- deutschen Beschäftigten eine Chance haben. Deshalb rechte und Aufsichtspflichten nicht eingeführt sind. muss dieses Gesetz eher noch verbessert werden. Wir werden entsprechende Änderungsanträge einbringen. Warum sind eigentlich Branchen wie Bewa- das chungs- und Reinigungsgewerbeund die Abfallwirt- (Beifall bei der PDS) schaft nicht einbezogen? Weil sie nicht gekämpft haben, Ihnen das nicht abgerungen haben? Das kann sich aller- Präsident Wolfgang Thierse:Ich erteile das Wort dings ändern. Heute tagen die Betriebsräte dieser Bran- dem Minister für Wirtschaft des Landes Nordrhein-West- chen in Kassel falen, Ernst Schwanhold. (Zuruf von der CDU/CSU: Das ist genau das, was die Menschen interessiert!) Ernst Schwanhold, Minister (Nordrhein-Westfalen): und werden über das Vergabegesetz sprechen, weil auch Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! in diesen Branchen Niedrigsteinkommen und Tarifflucht Wenn man Herrn Brüderle gehört hat, dann muss man sich an der Tagesordnung sind. schon über das wundern, was sein Kollege Bauckhage zu diesem Thema im Bundesrat sagt. Nun zu all den Freunden des Ostens: Sie, die Kollegen Schulz, Rauen und Brüderle, treiben ein zynisches Spiel (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ mit den Ängsten und Sorgen derMenschen in Ost- DIE GRÜNEN – Dr. Ditmar Staffelt [SPD]: Ja, deutschland um ihre Arbeitsplätze, das musste einmal gesagt werden!) (Werner Schulz [Leipzig] [BÜNDNIS 90/DIE Man wundert sich auch, mit welcher Gesetzesinitiative der sehr geschätzte Kollege Otto Wiesheu aus Bayern ver- GRÜNEN]: Was?) sucht, den Arbeitnehmern die Sicherheit zu geben, dass wenn Sie deren Arbeitsplätze nur dadurch sichern wollen, die Aufträge, die sie mit ihren Steuern finanzieren, auch dass der Osten gegenüber dem Westen zum Lohndum- zu einem auskömmlichen Einkommen führen. Nur um (B) pinggebiet erklärt wird. diese Frage geht es in Ost wie in West und genau über die- (D) sen Punkt sollten wir hier streiten. (Beifall bei der PDS) Herr Brüderle, es gibt noch genügend Wahlkämpfe. Wir unterstützen deshalb die Bindung an den ortsüblichen Unterlassen Sie es, an dieser Stelle Wahlkampfreden zu Tarif. Er bringt uns ein Stück näher an die Angleichung halten. Wir reden über 10 Prozent des Auftragsvolumens. der Ostlöhne an die Westlöhne. Mit Ihren Vorstellungen Dies bedeutet keine generelle Sperre, sondern betrifft die aber würden Sie forcieren, dass in den ostdeutschen Län- beispielgebende Funktion von öffentlich ausgeschriebe- dern die Auseinandersetzung um den niedrigsten Tarif nen Aufträgen. Dafür haben wir eine höhere Verantwor- weitergeführt würde. Auch würde die Abwärtsspirale fort- tung, als Sie es hier deutlich gemacht haben. Wir haben gesetzt werden und der rechtsfreie Zustand hielte an.nämlich als öffentliche Hand die Verantwortung, auf allen Auch Sie wissen, dass junge, qualifizierte Leute gerade in Ebenen dafür zu sorgen, dass das, was gesetzlich verein- der Baubranche längst die ostdeutschen Länder verlassen bart ist, eingehalten wird. Sie können nicht nach dem und in die Niederlande sowie die westdeutschen Länder Motto vorgehen, die Tarifverträge hätten keine Gültigkeit, gehen, weil sie dort nicht als Menschen zweiter Klasse be- obwohl Sie in Sonntagsreden gerade die Tarifvertragspar- handelt werden. Diese Entwicklung müssen wir stoppen. teien gefeiert haben. Ich könnte Ihnen alle Reden vorle- Des Weiteren betrügen Sie die Menschen: Auch Ihnen sen, die Sie dazu gehalten haben. Sie können nicht sagen: ist bekannt, dass das Vergabegesetz den europaweitenWenn die Tarifverträge gebrochen werden, ist das auch in Wettbewerb regelt. Längst verlagern ost- und westdeut- Ordnung. Schwarzarbeit ist gesetzwidrig, aber die sche Baubetriebe ihren Sitz nach Polen. Dort beträgt die Schwarzarbeit wird zum Maßstab gemacht, um anschlie- tarifübliche Bezahlung 1 000 DM pro Monat. Wollen Sie ßend die Tarifvertragsregelungen anzupassen. So kann diesen Zustand fortschreiben? Damit wird kein Erfolg der Gesetzgeber nicht damit umgehen. verbunden sein. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Die Deutsche Bank Research hat mit Blick auf den öf- DIE GRÜNEN) fentlichen Personennahverkehr festgestellt, dass es über- Meine Damen und Herren, ich will darauf hinweisen, haupt nicht um die kleinen und mittleren Betriebe geht, dass der Bundesrat am 22. Juni letzten Jahres auf Initia- weil auf der Grundlage der europäischen Richtlinie längst tive der Länder Nordrhein-Westfalen und Berlin einen Konzerne wie Vivendi in den Startlöchern sitzen. Sie be- Gesetzentwurf zur tariflichen Entlohnung bei öffentlichen treiben das Geschäft dieser Konzerne und machen ihnen Aufträgen beschlossen hat. Danach sollten öffentliche die Übernahme der öffentlichen Aufträge billig, nicht aber Auftraggeber Bauaufträge nur an solche Unternehmen 21096 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 213. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Januar 2002

Minister Ernst Schwanhold, (Nordrhein-Westfalen) (A) vergeben dürfen, deren Arbeitnehmerinnen und Arbeit- Mit dem Vollzug des Gesetzes entstehen den öffentli- (C) nehmer nach den am Ort der Auftragserfüllung einschlä- chen Auftraggebern betriebswirtschaftlich gesehen gigen Tarifverträgen entlohnt werden. höhere Kosten. Das ist natürlich gerade in Zeiten knapper Kassen problematisch, aber es ist gesamtwirtschaftlich (Peter Rauen [CDU/CSU]: Ablesen können wir auch!) zum Schutz der sozialen Sicherungssysteme gerechtfer- tigt. Betriebswirtschaftliche Aspekte müssen immer ge- Das ist das Mindestmaß an Sicherheit, das Arbeitnehme- genüber volkswirtschaftlichen Aspekten abgewogen wer- rinnen und Arbeitnehmer in diesem Land verdient haben. den. Der volkswirtschaftliche Schaden in diesem Bereich Worum sollten wir uns sonst eigentlich kümmern? wäre sehr viel größer als der vermeintlich betriebswirt- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten schaftliche Nutzen, der nur dazu führen würde, dass Ta- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) rifsysteme ausgehöhlt würden. Das gleiche Begehren haben wir an die Verkehrsleistun- Herr Brüderle, ich freue mich auf die Diskussion, ins- gen des öffentlichen Personennahverkehrs gestellt. besondere mit Ihrem Kollegen Bauckhage und dem Kol- legen Wiesheu. Wir wollen einmal sehen, zu welchen Ein- Heute stehen neben diesem Gesetzentwurf weitere Ge- sichten Sie fernab des Getümmels, welches hier setzentwürfe auf der Tagesordnung. Das macht deutlich, stattgefunden hat, kommen werden. mit welchem Problemdruck wir es zu tun haben. Ich will die Probleme der Bauwirtschaft weder in Ost noch in Herzlichen Dank für die Geduld. West geringreden. Wir werden sie aber nicht damit lösen, (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ dass wir alle Schleusentore öffnen. Das ist ein Irrglaube, DIE GRÜNEN) den es schon viel zu lange gibt.

Das Motiv unserer Gesetzesinitiative hat Bundeswirt- Präsident Wolfgang Thierse:Ich erteile das Wort schaftsminister Müller soeben dargestellt. Naturgemäß dem Kollegen Manfred Grund, CDU/CSU-Fraktion. stößt die Tarifbindung der Auftragnehmer bei den ein- schlägig betroffenen Verbänden auf ein unterschiedliches Echo; auch das ist mir klar. Ich möchte aber betonen, dass Manfred Grund (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine der Zentralverband des Deutschen Baugewerbes eine tarif- Damen, meine Herren! In Kunst und Politik bewirkt gut bindende gesetzliche Regelung ausdrücklich befürwortet. gemeint regelmäßig das Gegenteil von gut. Die heute in Die mittelständischen Unternehmen, die Wettbewerbsnach- erster Lesung zu beratenden Anträge zur tariflichen Ent- teile haben – in jeder Sonntagsrede von Herrn Brüderle gibt lohnung bei öffentlichen Aufträgen mögen gut gemeint (B) es übrigens lange Passagen zu den mittelständischen Be- oder auch naiv sein, sie werden genau das Gegenteil be- (D) trieben –, verlangen, dass diese Regelungen erlassen wer- wirken: den, weil sie ihre einzige Überlebenschance darstellen; (Dr. Ditmar Staffelt [SPD]: Das Gegenteil von ansonsten würden sie in diesem gnadenlosen und brutalen naiv, das ist schon mal in Ordnung!) Wettbewerb ohne tarifliche und gesetzliche Bindung un- tergehen. Statt Wettbewerbsverzerrungen entgegenzuwirken – so (Beifall bei der SPD) im Gesetzentwurf von SPD und Grünen formuliert – soll Wettbewerb unterbunden und verhindert werden, statt in Der Verband der Verkehrsunternehmen, Herr Brüderle, arbeitsmarktpolitisch sensiblen Bereichen Arbeitsplätze ist der Ansicht, dass die infrage stehenden Ziele am ehes- zu halten – so steht es im Gesetzentwurf –, wird bei Um- ten durch ein Bundesvergabegesetz bzw. Tariftreuegesetz setzung dieses Gesetzes daraus ein Arbeitsplatzvernich- zu erreichen sind. Nach Ansicht dieses Verbandes muss es tungsprogramm. Statt öffentliches Bauen preiswerter zu das Ziel sein, dass sich die im Wettbewerb konkurrieren- machen, kommt es zu einer Verteuerung öffentlicher Bau- den Unternehmen auch an arbeits- und sozialrechtliche aufträge um mindestens 5 Prozent. Die einzigen Arbeits- Mindeststandards im Hinblick auf die bei ihnen be-plätze, die geschaffen werden, sind Arbeitsplätze in der schäftigten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer halten. öffentlichen Verwaltung: im Bundesministerium für Ar- Der Gesetzentwurf zur Tarifbindung greift in die Ver- beit und Sozialordnung, bei der Bundesanstalt für Arbeit tragsfreiheit ein, darüber sind wir uns alle im Klaren; und bei der Zollverwaltung. Haben wir im öffentlichen auch der Wirtschaftsminister von Nordrhein-Westfalen Dienst nicht bereits genug Arbeitsplätze und ist das öf- sieht das so. fentliche Bauen nicht schon teuer genug? (Peter Rauen [CDU/CSU]: Das wollen Sie!) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) – Das machen wir an anderen Stellen auch, das wissen Haben wir in der Bauwirtschaft, insbesondere in der ost- Sie. Das ist ein Abwägungsprozess. deutschen Bauwirtschaft, keine anderen Sorgen? Nicht zuletzt: Wer kann ein Interesse daran haben, dass ost- Ich bin der festen Überzeugung, dass dieser Eingriff deutsche Bauarbeiter den Unterhalt ihrer Familien nicht auch unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten zu recht- mehr durch eigene Arbeit bestreiten können? fertigen ist. Der Verhältnismäßigkeit entspricht auch die Beschränkung auf die Bauwirtschaft und den öffentlichen (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Personennahverkehr, da dies die Sektoren sind, in denen Abg. Dr. Ditmar Staffelt [SPD] meldet sich zu sich die am wenigsten sozialverträglichen Effekte zeigen. einer Zwischenfrage) Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 213. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Januar 2002 21097

Manfred Grund (A) Herr Kollege Staffelt, mit diesen Fragen und mit der nen „entschiedenen Widerstand“ gegen dieses Gesetz(C) Ablehnung dieser Gesetzesanträge steht die Unionsfrak- an –: tion nicht allein. Wir sind gewählt worden, (Unruhe bei der SPD) Präsident Wolfgang Thierse:Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Staffelt? – hören Sie einmal zu! – (Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Lass ihn ru- um Arbeitsplätze im Osten zu erhalten bzw. zu schaf- hig fragen! Das bringt dir Zeit!) fen, und nicht, um eine Schutzfront West aufzu- bauen. Manfred Grund (CDU/CSU): Ja. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Präsident Wolfgang Thierse: Bitte. „Schutzfront West“, Kollege Staffelt, Ost gegen West – es geht in der Bundestagsfraktion der SPD ja munter zu. Dr. Ditmar Staffelt (SPD): Sehr geehrter Herr Kollege, (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – die Erfahrung lehrt: Wenn schwere Wahlkämpfe vor einem Dr. Ditmar Staffelt [SPD]: Aber wir haben die liegen, ist es immer ratsam, zunächtst einmal in der eige- Frage eindeutig geklärt!) nen Partei die Dinge zu klären. Meine Frage an Sie lautet: So viel Mut vor dem Königsthron konnte man bei Ihnen Wie erklären Sie sich, dass der bayerische Ministerpräsi- bisher selten feststellen. Es gab keinen Widerstand der dent, Ihr Spitzenkandidat, der bayerische Wirtschaftsmi- Ost-SPD-Bundestagsabgeordneten, als die ICE-Strecke nister, der ehemalige Regierende Bürgermeister von Ber- – ein Infrastrukturprojekt – von München über und lin – auch er gehört bekanntlich der CDU an – und der Halle nach Berlin gestrichen wurde. Stattdessen wird der damalige Wirtschaftssenator Branoner – auch er gehört der ICE von Frankfurt nach Köln bei Verdopplung der Bauko- CDU an – ein solches Vergabegesetz vehement gefordert, sten munter weitergebaut. Es gab keinen Widerstand, als begründet und entworfen haben? Berlin ist sogar bis vor der Transrapid gestrichen wurde. Stattdessen wird mit ei- Bundesgerichte gezogen. Glauben Sie nicht, dass es bes- ner Unterstützung des Bundes in Milliardenhöhe eine wild ser wäre, diese Frage zunächst einmal intern zu reflektie- gewordene Straßenbahn im Ruhrgebiet finanziert. ren, bevor Sie sich hier so weit vorwagen, dass Sie sich am Ende nicht mehr vor den Menschen sehen lassen kön- (Wolfgang Weiermann [SPD]: Na, na! Jetzt nen? seien Sie aber vorsichtig!) (B) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Es gab keinen Protest, als nicht Rostock, sondern Ham- (D) DIE GRÜNEN – Lachen bei der CDU/CSU – burg als Produktionsstandort des Airbusses benannt Zuruf von der SPD: Sie müssen so viele Fragen wurde. klären!) (Beifall bei der CDU/CSU) Nun, da der Wahltag näher rückt und Edmund Stoiber (CDU/CSU): Herr Kollege Staffelt, Manfred Grund vor den Toren des Bundeskanzleramts steht, wird die Un- bevor ich zu den Interna Ihrer Partei komme, möchte ich ruhe in der SPD-Fraktion größer und die SPD-Bundes- Folgendes sagen: Ein schlechtes Gesetz wird nicht dadurch tagsabgeordneten besinnen sich ihres Auftrags. Meine besser, dass eine bayerische Unterschrift darunter steht. Kollegen von der SPD, bleiben Sie bei Ihrer Ablehnung (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – La- des Gesetzes und verhindern Sie, dass Tariftreue am Ort chen und Beifall bei der SPD, dem BÜND- der Leistungserbringung gesetzlich vorgeschrieben wird! NIS 90/ DIE GRÜNEN und der PDS – Susanne Lassen Sie den ostdeutschen Bauunternehmen auch wei- Kastner [SPD]: Der Spitzenkandidat!) terhin die Möglichkeit, sich zu ihren preiswerteren Kon- ditionen um lukrative Aufträge zu bewerben. Die „Leipziger Volkszeitung“ schreibt am 14. Dezem- ber: (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der FDP) Ost-SPD-Abgeordnete machen Front gegen Tarif- vergabegesetz. Schließen Sie Thüringer Bauunternehmen nicht von Auf- trägen am Frankfurter Flughafen oder von Aufträgen in 23 ostdeutsche SPD-Bundestagsabgeordnete der neuen München, Stuttgart oder Hannover aus. Länder beklagen, dass damit die Baubranche der neuen Länder zurückgeworfen wird und eine „Diskriminierung Lassen Sie es nicht zu, dass ostdeutsche Konkurrenz ostdeutscher Arbeitnehmer“ einhergeht. über diesen Umweg erledigt wird; (Günter Nooke [CDU/CSU]: Hört! Hört! – (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Unruhe bei der SPD) neten der FDP) – Meine lieben Kollegen von der SPD, nun hören Sie sich denn wer eine „Schutzfront West“ aufbaut, wer um Hoch- doch einmal Ihre Schande an: Dies steht in einem Schrei- preisregionen einen Schutzwall zieht, der nimmt billigend ben von 23 SPD-Bundestagsabgeordneten an ihren Frak- wachsende Arbeitslosigkeit in den neuen Bundeslän- tionsvorsitzenden. Darin wird beklagt – sie kündigen ei- dern in Kauf. Entweder haben die Bauunternehmer in den 21098 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 213. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Januar 2002

Manfred Grund (A) neuen Bundesländern Anteil an Aufträgen der öffent-erheblich höheren Anstieg der Einkommen und der Preise (C) lichen Hand auch in den alten Bundesländern und sichern zu verzeichnen. 90 000 neue Arbeitsplätze wurden dort ge- damit Arbeitsplätze oder der Umfang der Sozialtransfers schaffen, während wir gleichzeitig im Baugewerbe einen von West nach Ostwird wesentlich größer werden als Verlust von 400 000 Arbeitsplätzen zu verzeichnen hatten, bisher. Der Ausschluss preiswerter ostdeutscher Konkur- bei sinkenden Preisen und sinkenden Einkommen. renz von öffentlichen Bauaufträgen muss bezahlt werden, (Beifall bei der SPD) und zwar durch höhere Sozialtransfers. Damit wird der Ausbau West zum Abbau Ost. Das können Sie nicht ernst- Solide kalkulierende Bauunternehmer haben heute in haft wollen. diesem Wettbewerb regelmäßig keine Chance gegen die Billigkonkurrenz. Sie werden vom Markt verdrängt. Mit Gut gemeint ist das Gegenteil von gut. Wer es wirklich ihnen verschwinden Arbeitsverhältnisse, für die Sozial- gut mit der ostdeutschen Bauwirtschaft meint, der zwingt versicherungsbeiträge und Steuern abgeführt werden. An sie nicht in ein Tarifkorsett. Wer es gut meint, tut etwas für ihre Stelle treten illegale Beschäftigungsverhältnisse. die öffentliche Infrastruktur, für die Bauwirtschaft, für So sind im Bauhauptgewerbe seit 1995 mehr als ein Drit- Aufträge und handelt nicht gegen die Bauwirtschaft. Ent- tel aller legalen, inländischen Arbeitsplätze – das sind et- lasten Sie Arbeitnehmer und Betriebe durch Reformen. was mehr als eine halbe Million – abgebaut worden. Erklären Sie mir hierzu folgenden Punkt: Während der Gleichzeitig haben wir eine Zunahme der illegalen Be- Bund fortwährend Aufgabenbereiche privatisiert undschäftigung auf mindestens 300 000 Beschäftigte zu ver- diese an neu gegründete Unternehmen auslagert, um sich zeichnen. Zwar ist die Zahl der Baubetriebe im gleichen aus der Tariftreue herauszumogeln und die Aufgaben bil- Zeitraum nahezu konstant geblieben, nämlich circa liger erledigt zu bekommen, verlangen und erwarten Sie, 75 000, nur werden diese Betriebe immer kleiner und vor dass die gebeutelte ostdeutsche Bauwirtschaft in das Kor- allen Dingen immer weniger leistungsfähig. sett der Tariftreue hineingezwängt wird. Hören Sie auf, al- Die Konsequenzen sind bekannt: Eine enorm hohe les zuerst an den Ostdeutschen auszuprobieren. Herr Kol- Arbeitslosigkeit am Bau; die Zahl ist genannt worden, sie lege Schulz, da hilft auch keine Anhörung: Entweder will liegt bei 265 000 Arbeitslosen. Die Arbeitslosenquote liegt man das Gesetz, oder man will es nicht. Dazwischen gibt bei über 23,5 Prozent, im Osten ist sogar fast jeder dritte es nichts. Dieses Gesetz darf nicht in Kraft treten. Bauarbeiter arbeitslos. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Herr Brüderle, noch ein Einwand. Sie sagen, keine Ge- Susanne Kastner [SPD]: Die Bayern setzen ihre werkschaft, kein Gesetz, niemand kann etwas dagegen Unterschrift drunter!) tun – oder wird etwas dagegen tun –, dass die Arbeitneh- (B) mer im Osten für erheblich weniger arbeiten, als der Ta- (D) Präsident Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Kol- rifvertrag vorsieht. Wenn das so ist, hat das nichts mit lege Klaus Wiesehügel, SPD-Fraktion. höherer Einsicht, sondern mit Erpressung und Angst zu tun. Klaus Wiesehügel (SPD): Herr Präsident! Meine (Beifall bei der SPD) sehr geehrten Damen und Herren! In der Einschätzung Wenn jeder Dritte arbeitslos ist, hat man weniger Mut, den von Herrn Rauen stimmte die Jahreszahl, auf die auch ich Tarifvertrag durchzusetzen. eingehen möchte: Seit 1995 befindet sich die Bauwirt- schaft nicht nur in einer Konjunktur-, sondern auch in ei- (Rainer Brüderle [FDP]: Sie können es doch ner Strukturkrise; das ist nicht erst seit 1998 der Fall. Man machen! Sie reden doch hier als Gewerk- darf nicht dieser Regierung die Verantwortung dafür ge- schaftsfunktionär! Als Gewerkschaftsboss!) ben; die Ursachen für diese Strukturkrise – das wurde hier Aber das ist nicht Ihre Welt. Davon haben Sie noch nie et- schon dargestellt – liegen in der Tat weiter zurück. was mitgekriegt. Das ist nicht Ihre Lebenserfahrung. Des- Die Bauwirtschaft leidet unter einer starken Wettbe- wegen reden Sie solch einen Unsinn. werbsverzerrung. Seit Jahren tobt ein ruinöser Preiswett- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten bewerb. Besonders bei den eingesetzten Nachunterneh- der PDS) men erfolgt die Bezahlung der Arbeitnehmer jenseits aller Tarifverträge und oftmals im illegalen Bereich. Herr Brüderle, wenn Sie noch einmal „Gewerkschafts- boss“ zu mir sagen, dann sage ich: Ihre Aufgabe ist nichts (Zuruf von der SPD: Sehr wahr!) anderes, als Löhne in diesem Land zu senken. Im Ergebnis sind die Baupreise seit 1995 um 1,5 Pro- (Rainer Brüderle [FDP]: Das ist eine Unter- zent gesunken, während die Preise im übrigen produzie- stellung! Was reden Sie hier?) renden Gewerbe um 5 Prozent gestiegen sind. An diesen Zahlen sieht man, dass es nicht stimmt, dass sinkendeDas ist auch keine ehrenwerte Angelegenheit. Baupreise und niedrige Löhne – Herr Brüderle, wenn man (Beifall bei der SPD) Ihnen zuhört, dann könnte man zu diesem Ergebnis kom- men – zur Schaffung von Arbeitsplätzen beitragen. In den Meine Damen und Herren, die Rendite der Bauunter- anderen Gewerben sind, das sage ich noch einmal, die nehmen nach Steuern sank 1999 auf 0,6 Prozent des Um- Preise gestiegen, während die Baupreise um 1,5 Prozent satzes. Die vergleichbare Rendite der Industrie lag dage- gesunken sind. In der Automobilindustrie haben wir einen gen bei 2,7 Prozent des Umsatzes. Der ehemals gesunde Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 213. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Januar 2002 21099

Klaus Wiesehügel (A) Mittelstand bricht weg. An seine Stelle treten immer klei- Wir sollten Gesetze verabschieden, die dazu führen, dass (C) nere, kapital- und leistungsschwächere Unternehmen. Die in diesem Land bestimmte Dinge geregelt sind. Wir kom- Arbeitsbedingungen der Arbeitnehmer verschlechternmen nämlich sonst in ein Fahrwasser, in dem Arbeitslo- sich ständig, sigkeit nicht abgebaut, sondern erneut aufgebaut würde. (Hans Michelbach [CDU/CSU]: Sie machen Meine Damen und Herren, natürlich muss über dieses doch die Unternehmen kaputt!) Gesetz geredet werden. Auch ich weiß, dass es sicherlich noch einiges an Diskussionsbedarf gibt. Dieser Diskus- da eine zunehmende Zahl von Betrieben meint, nur so sion stellen wir uns. Wir sind heute in der ersten Lesung. dem Wettbewerb standhalten zu können. Es ist nicht so, dass wir nicht diskussionsbereit wären. Die Ausbildungsbereitschaft der Betriebe und die Be- Aber die grundsätzliche Ablehnung, die hier von Ihnen reitschaft junger Menschen, am Bau zu arbeiten, sinken präsentiert wird, hat überhaupt nichts damit zu tun, was rapide. Die Zahl der Auszubildenden ist von 92 000 auf zurzeit im Bundesrat von den Ländern, darunter viele mit 50 000 gesunken. Zwangsläufig ist schon jetzt ein die CDU-Regierungen, gefordert wird. Sie sollten zu Diskus- Volkswirtschaft mittel- und langfristig schädigender, gra- sionen auch im eigenen Lager bereit sein. Sonst ist wenig vierender Qualitätsverlust zu verzeichnen. Die Bauqua- glaubhaft, was Sie hier darstellen. lität spielt in der Vergabepraxis der öffentlichen Hand und (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der institutionellen Investoren keine Rolle mehr. Den Zu- der PDS) schlag erhält praktisch immer der billigste Anbieter.

Meine Damen und Herren, weil mir die Zeit ein biss- Präsident Wolfgang Thierse: Ich schließe die Aus- chen wegläuft, will ich Ihnen nur noch eines mit auf den sprache. Weg geben. Alle, die über niedrige Löhne reden, sollten sich einmal in den USA umgucken. Dieses Land gilt ja Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf immer als vorbildlich. Sowohl auf der Bundesebene als den Drucksachen 14/7796, 14/5263, 14/6752, 14/6982, auch in rund 60 Prozent der Bundesstaaten gelten dort 14/7506 und 14/7458 an die in der Tagesordnung aufge- nämlich Gesetze, die mit dem hier diskutierten Vergabe- führten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es dazu ander- gesetz vergleichbar sind. weitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. (Susanne Kastner [SPD]: Hört! Hört! Das hat Herr Brüderle noch nicht mitgekriegt!) Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss- empfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Techno- In den Staaten, in denen Vergabegesetze zwischenzeitlich logie auf Drucksache 14/5739 zu dem Antrag der Fraktion (B) wegen liberaler Wünsche aufgehoben waren, konnte man der PDS mit dem Titel „Sicherung tariflicher, arbeits- und (D) in dieser Phase feststellen, dass die Baukosten nicht sanken, sozialrechtlicher Standards und Förderung arbeitsmarkt- obwohl die Löhne und Sozialkosten deutlich zurückgingen. politischer Zielsetzungen durch ein Vergabegesetz“. Der Aber ohne Vergabegesetz verringerte sich die Ausbil-Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 14/4036 dungsquote drastisch, nämlich um mehr als die Hälfte, und abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – es trat ein Besorgnis erregender Facharbeitermangel ein. Wer stimmt dagegen? – Stimmenthaltungen? – Die Be- Zugleich gingen in dieser Zeit die Innovationsfähigkeitschlussempfehlung ist gegen die Stimmen der PDS vom und, ihr folgend, die Qualität und Produktivität in der ame- Hause angenommen. rikanischen Bauwirtschaft zurück. Niemand investiert nämlich in langfristig wirksame Innovationen, wenn seine Ich rufe nunmehr die Tagesordnungspunkte 17 a bis Konkurrenten kurz- und mittelfristig die Aufträge erhalten, 17 e sowie Zusatzpunkt 8 auf: weil sie auf die Innovationen und Investitionen verzichten. Die erwähnten Bundesstaaten der USA setzten nach diesen 17.a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Gerda ernüchternden Erfahrungen ihre Vergabegesetze wieder in Hasselfeldt, Heinz Seiffert, , Kraft. Sie sollten daraus lernen. weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU Ich bitte Sie daher: Unterstützen Sie diesen Gesetzent- wurf! Er ist ein wichtiger Schritt, um den ehemaligen Mo- Einsetzung einer Kommission zur Reform der tor der deutschen Konjunktur, die Bauwirtschaft, aus der Gemeindefinanzen durch die Bundesregierung Krise herauszuführen und den öffentlichen Personennah- – Drucksache 14/7442 – verkehr vor einer solchen Krise zu bewahren. Was wir Überweisungsvorschlag: nämlich zurzeit in der Bauwirtschaft erleben, wird, wenn Finanzausschuss (f) wir dieses Gesetz nicht verabschieden, die Zukunft des öf- Innenausschuss fentlichen Personennahverkehrs sein. Da sollten wir uns Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Sonderausschuss Maßstäbe-/Finanzausgleichgesetz nicht versündigen, sondern die ewigen Deregulierer, die Haushaltsausschuss nichts anderes wollen, als zugunsten ihrer Unternehmer- freunde die Löhne zu senken, zurückweisen. b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Gerda (Widerspruch bei der CDU/CSU und der FDP – Hasselfeldt, Peter Götz, Heinz Seiffert, weiterer Peter Rauen [CDU/CSU]: Das ist doch Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU Quatsch! – Hans Michelbach [CDU/CSU]: Wer Gewerbesteuerumlage auf die vor dem Steuer- macht denn der Post Steuergeschenke?) senkungsgesetz maßgeblichen Werte senken 21100 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 213. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Januar 2002

Präsident Wolfgang Thierse (A) – Drucksache 14/7787 – Peter Götz (CDU/CSU) (von Abgeordneten der(C) Überweisungsvorschlag: CDU/CSU mit Beifall begrüßt): Herr Präsident! Liebe Finanzausschuss (f) Kolleginnen und Kollegen! Wir brauchen zur Gestaltung Ausschuss für Wirtschaft und Technologie unseres Lebensraumes starke Städte und Gemeinden. Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder Haushaltsausschuss (Zuruf von der CDU/CSU: Sehr wahr!) Es ist Aufgabe einer Regierung, dafür die Rahmenbedin- c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Gerhard gungen zu setzen. Diese Bundesregierung aber hat in den Schüßler, Dr. Hermann Otto Solms, , vergangenen drei Jahren die bis 1998 vorhandenen guten weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Rahmenbedingungen durch ihre kommunalfeindliche Po- Gemeindefinanzen reformieren – Gewerbe-litik systematisch zerstört. steuer abschaffen – Finanzkraft der Gemein- den stärken (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der FDP) – Drucksache 14/7326 – Das bekommen die Menschen immer mehr zu spüren. Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss (f) „Daumenschrauben für Bürger“ nennt dies der „Spiegel“ Innenausschuss in einer Überschrift vorletzte Woche. Weiter heißt es: Rechtsausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Städte und Gemeinden rutschen in die Pleite, sie Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Land- müssen Gebühren erhöhen und Leistungen streichen. wirtschaft Denn Konjunktureinbruch, Arbeitslosigkeit und die Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder letzten Steuerreformen gehen zu ihren Lasten. d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Uwe- Ich kann auch das „Handelsblatt“ vom Dienstag letzter Jens Rössel, Dr. Dietmar Bartsch, HeidemarieWoche zitieren, das zum Thema Finanznot in den Kom- Ehlert, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der munen in seiner Überschrift schreibt: „In Gerhard Schrö- PDS ders Heimat ist die SPD nicht gut auf die Bundesregierung zu sprechen.“ Erhöhung der Gewerbesteuerumlage zurück- nehmen ( [CDU/CSU]: Nicht nur dort!) – Drucksache 14/7993 – Wenn der SPD-Oberbürgermeister von Hannover, Überweisungsvorschlag: Herbert Schmalstieg, der Bundesregierung öffentlich vor- (B) Finanzausschuss (f) wirft, die kommunale Selbstverwaltung zu gefährden,(D) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie und sein SPD-Kämmerer gegenüber dem „Handelsblatt“ Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder sagt: „So habe ich mir sozialdemokratische Steuerpolitik Haushaltsausschuss nicht vorgestellt“, macht dies eine große Enttäuschung mehr als deutlich. e) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- richts des Finanzausschusses (7. Ausschuss) zu (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- dem Antrag der Abgeordneten Jochen-Konrad neten der FDP – Hans Michelbach [CDU/CSU]: Fromme, Peter Götz, Dietrich Austermann, weite- Die geben nur Steuergeschenke an die Post!) rer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU Die Aufzählung der Städte, die zunehmend die Auswir- Umsetzung des Versprechens der Bundesregie- kungen Ihrer verfehlten Investitions- und sonstigen Ent- rung zur Stärkung der Kommunalfinanzen scheidungen auf kommunaler Ebene nach nur drei Jahren – Drucksachen 14/6163, 14/7424 – öffentlich kritisieren, ließe sich problemlos fortsetzen: Berichterstattung: (Joachim Stünker [SPD]: Die Steuerreform Abgeordnete Bernd Scheelen vorziehen, das ist Ihr einziger Vorschlag!) Jochen-Konrad Fromme Von Leverkusen über Holzminden bis Hannover – von ZP 8 Beratung des Antrags der Fraktionen der SPD und den Kommunen in den neuen Ländern ganz zu schweigen – des Bündnisses 90/Die Grünen stehen alle mit dem Rücken an der Wand – ob Ihnen das gefällt oder nicht. Reform der Gemeindefinanzen Auf der Hauptversammlung des Deutschen Städtetages – Drucksache 14/8025 – im Mai vorigen Jahres in Leipzig war auch der Bundes- Überweisungsvorschlag: kanzler zu Gast. Finanzausschuss (f) Innenausschuss (Zuruf von der SPD: Was ist mit Stoiber?) Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Dies war ein als freundliche Geste gedachter Auftritt, der Aussprache eine Stunde vorgesehen. – Ich höre keinen jedoch sehr peinlich wurde. Als Erstes führte sich Gerhard Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Schröder mit dem Satz ein, er sei bei reichen Verwandten. Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen (Hans Michelbach [CDU/CSU]: Hört! Hört! Peter Götz, CDU/CSU-Fraktion, das Wort. Das ist Zynismus pur!) Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 213. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Januar 2002 21101

Peter Götz (A) Alle anwesenden Kommunalpolitikerinnen und Kommu- Als Rot-Grün die so genannte Jahrhundertsteuerreform (C) nalpolitiker verstanden dies zu Recht als Provokation. zugunsten des Großkapitals und zulasten des Mittelstan- Denn schon damals war klar: Die Finanzsituation der Ge- des durchsetzte, meinden ist schwierig. Jeder wusste, sie würde sich we- (Beifall des Abg. Wolfgang Gehrcke [PDS]) gen der rot-grünen Gesetze weiter verschlechtern. Der Kanzler schien davon nichts zu wissen oder es war ihm rechneten Sie uns einen Anstieg der Gewerbesteuer vor. einfach egal. Deshalb sollten die Gemeinden eine höhere Umlage, die von bisher 20 Prozent auf 30 Prozent im Jahre 2004 stei- Zweitens wollte er die dort geforderteGemeinde- gen soll, an Bund und Länder abtreten. Was passiert jetzt? finanzreform auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verschie- – Die Gewerbesteuereinnahmen sinken auf ein bedrohlich ben. Dabei hatten SPD und Grüne genau diese in ihrer Ko- niedriges Niveau. alitionsvereinbarung vom Herbst 1998 versprochen. So einfach macht sich Rot-Grün das Regieren in Deutsch- (Dr. Uwe-Jens Rössel [PDS]: 40 Prozent land. Wir nennen das: Versprechen gebrochen. minus!) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Der „Spiegel“ bezeichnet dies in seiner jüngsten Ausgabe neten der FDP) als Milliardendesaster. Es gibt keine Rechtfertigung mehr für die von Ihnen gegen den Widerstand der Städte und CDU und CSU wollen eine umfassende Gemeinde- Gemeinden durchgesetzte Erhöhung der Gewerbesteuer- finanzreform, die auch den Namen verdient. Inzwischen umlage. kommt die Regierung nicht mehr um das Thema herum; denn die dramatische Krise der kommunalen Haushalte (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- ist für jeden unübersehbar. Doch wie reagiert der Bundes- neten der FDP – Joachim Poß [SPD]: Wie ver- kanzler darauf? Mit ruhiger Hand wird kurz vor der Bun- halten sich denn Ihre Länder mit Ausnahme von destagswahl eine Kommission eingesetzt, und zwar so, Bayern?) dass vor der Bundestagswahl möglichst nichts mehr pas- Ich fordere Sie deshalb auf: Lassen Sie den Gemeinden siert. Die jahrelange Verweigerungshaltung ist mehr als ihr Geld und nehmen Sie es ihnen nicht ständig weg! peinlich. „Viele Kommunen sind kaum noch in der Lage, die Alltagsprobleme ihrer Bürger zu bewältigen“, (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – schimpft der niedersächsische SPD-Ministerpräsident Susanne Kastner [SPD]: Wenn Stoiber uns das Gabriel im „Spiegel“. Geld geben würde! – Joachim Poß [SPD]: Ma- chen Sie sich bei Ihrem Finanzminister in Ba- Die Erklärung der Vizepräsidentin des Deutschen Städ- den-Württemberg sachkundig. Der lehnt es tetages, der Frankfurter Oberbürgermeisterin Petra Roth, (B) doch ab!) (D) (Bernd Scheelen [SPD]: Warum heißt die Ich komme zu einem weiteren Beispiel. Bei Betrach- eigentlich Roth?) tung der Auswirkungen des Verkaufs der UMTS-Lizen- unsere Städte stünden vor dem Bankrott, ist keine Droh- zen auf die Kommunen – ich weiß, dass Sie das nicht gebärde, sondern ein Hilferuf. Ihren ständigen Verschie- gerne hören – wird Ihre kommunalfeindliche Politik ganz bebahnhof zulasten kommunaler Haushalte spürt inzwi- besonders deutlich: Der Bund kassiert 50 Milliarden schen jeder Kämmerer in Ost und West am eigenen Leib. Euro, ungefähr ein Fünftel seines gesamten Etats. Die Te- Die Zeche zahlen die Bürgerinnen und Bürger in Form lekommunikationsunternehmen setzen diese exorbitanten von steigenden Gebühren für immer schlechter werdende Kosten steuerlich ab und schreiben dadurch auf Jahre hi- kommunale Leistungen. naus Verluste. Die Folge ist: Den Gemeinden fehlen 7 Milliarden Euro Meine Damen und Herren, die Ursachen sind viel- schichtig: Die Gewerbesteuereinnahmen sind als wich- (Dr. Uwe-Jens Rössel [PDS]: Den Ländern tige Geldquelle der Kommunen total eingebrochen, in noch einmal 9 Milliarden!) vielen Städten bis auf null. Ihre Steuerpolitik, die es Ban- in ihren Kassen. Sie finanzieren damit indirekt die Ein- ken und Versicherungen, aber auch Großkonzernen wie nahmen des Bundes. Eon oder BMW erlaubt, trotz Milliardengewinnen um Gewerbesteuerzahlungen herumzukommen, ist eindeutig Hinter solch abstrakten Zahlen verbergen sich drama- falsch. tische Verhältnisse. Ich nenne ein Beispiel, das ich hier schon einmal angeführt habe: Das Amt Stahnsdorf, eine (Beifall bei der CDU/CSU – Joachim Poß Gemeinde in Brandenburg mit 12 000 Einwohnern, hatte [SPD]: Wie hat denn Ihre Partei im Vermitt- bisher 1,2 Millionen Euro Gewerbesteuereinnahmen. Das lungsausschuss abgestimmt? Erkundigen Sie war für diese Gemeinde viel Geld, das im Wesentlichen sich da einmal!) von Telekommunikationsunternehmen kam. 2001 fällt Oder kann es richtig sein, dass der BMW-Konzern im ver- diese Einnahme weg; es gibt keinen Ausgleich dafür. Was gangenen Jahr mit 1 300 Millionen Euro den höchsten Ge- dies für eine solche Gemeinde bedeutet, kann sich jeder winn seiner Geschichte einfährt und München, die Stadt selbst ausmalen. des Firmenhauptquartiers, davon keinen einzigen Cent Hinzu kommt, dass in Deutschland viele Gemeinden in Gewerbesteuer sieht? diesen Monaten aus ihren leeren Kassen Gewerbesteuer- (Heinz Seiffert [CDU/CSU]: Unglaublich!) rückzahlungen an Telekommunikationsunternehmen 21102 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 213. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Januar 2002

Peter Götz (A) leisten müssen. So gestaltet sich ganz konkret in der Pra- tisch. Das ist unverantwortlich gegenüber den Menschen (C) xis das Versprechen in der rot-grünen Koalitionsvereinba- in unserem Land. rung, die kommunalen Finanzen zu stärken. Ich nenne das (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- kommunalfeindliche Politik. neten der FDP – Hans Michelbach [CDU/CSU]: (Beifall bei der CDU/CSU) Wir sind schon im Keller!) Ein Weiteres kommt hinzu: Noch nie war der Anteil der Lassen Sie mich zusammenfassen: sozialen Leistungen an den kommunalen Ausgaben so Erstens. Bei allen politischen Entscheidungen muss hoch wie heute. Im Jahr 2001 lag er zum ersten Mal über das Konnexitätsprinzip Maßstab sein. Das heißt: Wer be- 50 Prozent der Steuereinnahmen, das heißt bei mehr als stellt, bezahlt – ohne Wenn und Aber. der Hälfte; im Jahr zuvor waren es noch 47 Prozent. 37 Prozent der Arbeitslosen beziehen zur Arbeitslosen- (Horst Schild [SPD]: Ja, genau, wie das in der hilfe zusätzlich Sozialhilfe. Die Mitfinanzierung der Vergangenheit immer war!) Langzeitarbeitslosigkeit ist keine kommunale Aufgabe. Zweitens. Wir brauchen dringend eine umfassende Ge- Auch hier entlastet sich der Bund auf Kosten der Kom- meindefinanzreform. Kommunale Einnahmen, Aufgaben munen mit steigender Tendenz. Hier sind Änderungen und Ausgaben müssen dabei ungeschminkt auf den Prüf- dringend geboten. stand. Dazu gehört auch die Gewerbesteuer. Die be- (Beifall bei der CDU/CSU – Joachim Poß schlossene Erhöhung der Gewerbesteuerumlage ist sofort rückgängig zu machen. [SPD]: Das war ja unter Kohl anders, nicht? – Hans Michelbach [CDU/CSU]: Verschiebe- Drittens. Die Städte und Gemeinden sind in die Lage bahnhof!) zu versetzen, dringend notwendige Investitionen zu täti- gen. Dafür muss der Finanzminister einen Teil der Erlöse Ich kann die Liste der Auswirkungen Ihrer kommunal- aus der Versteigerung der UMTS-Lizenzen den Kommu- feindlichen Politik – ob Sie das jetzt hören wollen oder nen zurückgeben. nicht – beliebig verlängern: von den Entscheidungen während der BSE-Krise über die Mitfinanzierung beim (Peter Rauen [CDU/CSU]: Jawohl!) Kindergeld bis zur Grundsicherung bei der Rente – all das Meine Damen und Herren, ich frage Sie: Ist es richtig, sind keine kommunalen Aufgaben. Jetzt wollen Sie den bestimmte Großkonzerne mit Steuergeschenken zuzu- Kommunen noch die Integrationskosten aus Ihrem ver- schütten, wenn dadurch den Städten und Gemeinden das korksten Zuwanderungsgesetz aufs Auge drücken. Geld für die Sanierung von Schulen fehlt, (Zuruf von der CDU/CSU: Pfui!) (B) (Dr. Uwe-Jens Rössel [PDS]: Unverantwort- (D) Die Menschen in unserem Land müssen für Ihre Politik lich ist das!) teuer bezahlen. städtische Angebote für Kinder und Familien aufgegeben (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- werden müssen und kommunale Investitionen weitge- neten der FDP) hend unterbleiben? Der Kollaps der Gemeindefinanzen hat Konsequenzen, (Joachim Poß [SPD]: Das stimmt nicht! Fragen Sie mal die Mitglieder des Vermittlungsaus- die inzwischen für alle sichtbar sind. In besseren Zeiten schusses, wie die sich verhalten haben!) – die gab es bis 1998 – Wir sagen: nein. Deshalb, Herr Poß, ist es höchste Zeit für (Lachen bei der SPD – Eduard Oswald ein Umsteuern, für einen Politikwechsel in diesem Land. [CDU/CSU]: Sehr richtig!) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- haben die Gemeinden bis zu 70 Prozent der öffentlichen neten der FDP – Joachim Poß [SPD]: Wir haben Bauinvestitionen in Deutschland erbracht. die Gewerbesteuer gefestigt! – Eduard Oswald (Beifall bei der CDU/CSU – Eduard Oswald [CDU/CSU]: Die Unruhe auf der linken Seite [CDU/CSU]: Was wahr ist, ist wahr! Hier muss zeigt nur das schlechte Gewissen!) die Wahrheit auf den Tisch!) – Ich kann Ihre Unruhe und Ihre Nervosität verstehen. Damit waren sie ein Schwungrad der Wirtschaft. Viele Der Erfolg Deutschlands steht und fällt auch mit der mittelständische Arbeitsplätze wurden dadurch dauerhaft Leistungsfähigkeit der Kommunen. CDU und CSU wol- gesichert. Das ist überhaupt nicht zum Lachen. len keinen Zentralismus, sondern wir wollen auch in Zu- Heuten liegen die Investitionen der Kommunen ein kunft in unserem Land eine starke kommunale Selbstver- Drittel unter dem Niveau von vor zehn Jahren. Und jetzt waltung mit leistungsstarken Städten und Gemeinden. wundern Sie sich, wenn die Konjunktur einbricht und die Herzlichen Dank. Infrastruktur verfällt. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Susanne Kastner [SPD]: Sechs Jahre davon der FDP) haben Sie regiert!) Durch Ihr kommunalfeindliches Verhalten verstärken Sie Präsident Wolfgang Thierse:Ich erteile das Wort den wirtschaftlichen Abschwung in Deutschland drama- dem Kollegen Bernd Scheelen, SPD-Fraktion. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 213. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Januar 2002 21103

(A) Bernd Scheelen (SPD): Herr Präsident! Meine Da- ben wir – wie Sie das vorgeschlagen haben – die Mess-(C) men und Herren! Wenn man dem Kollegen Götz zuhört, zahlen gesenkt noch haben wir die Freibeträge angehoben. fragt man sich: Warum haben Sie das, was Sie hier vor- Deshalb ist Ihre Behauptung, dass der aktuelle Rückgang schlagen, in den 16 Jahren Ihrer Regierungszeit nicht ge- der Gewerbesteuereinnahmen bei den Kommunen etwas macht? Sie hätten doch die Gelegenheit dazu gehabt. mit der Steuerreform zu tun hat, barer Unsinn. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Unser Ziel war es, die Gewerbesteuer als Einnahme- DIE GRÜNEN) quelle für die Städte und Gemeinden zu erhalten, aber die mit ihr verbundene Belastung für die Wirtschaft zu elimi- Ihr Nichtstun auf dem Sektor der Gemeindefinanzreform nieren. Dazu haben wir die eben schon erwähnte Abzugs- führte genau zu den Problemen, die Sie heute beklagen. möglichkeit bei der Einkommensteuer eingeführt. Das ist (Hans Michelbach [CDU/CSU]: Sie haben übrigens eine Maßnahme, die den Mittelstand, die Perso- doch die Gewerbesteuerumlage erhöht! – nengesellschaften, im vergangenen Jahr um 10 Milliarden Walter Hirche [FDP]: Warum haben Sie das DM entlastet hat. denn in den letzten Jahren verschlechtert?) (Beifall bei der SPD – Zurufe von der SPD: Ganz anders die Bundesregierung und die sie tragen- Hört, hört! - Peter Rauen [CDU/CSU]: Wo ha- den Koalitionsparteien von SPD und Bündnis 90/Die ben Sie die Zahlen her?) Grünen. Wir haben mit dem Steuersenkungsgesetz die Deswegen stelle ich fest: Bei dieser Steuerreform gibt es größte Steuerentlastung in der Nachkriegszeit auf den von Mittelstandsfeindlichkeit keine Spur. Auch wenn Sie Weg gebracht. Darauf sind wir stolz. diese Behauptung überall wiederholen, wird sie nicht (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ wahrer. DIE GRÜNEN) Der Vorwurf, den man dem Besteuerungssystem in der Das Entlastungsvolumen der Steuerreform betrug allein Bundesrepublik, insbesondere dem Unternehmensteuer- im Jahr 2001 45 Milliarden DM. Davon profitieren im recht, Ende der 90er-Jahre gemacht hat, war, dass die Wesentlichen die Arbeitnehmer, die Familien und dieSteuersätze zu hoch seien – nicht etwa, dass die Steuer zu Wirtschaft, bei der Wirtschaft ganz besonders auch der hoch sei. Internationale Untersuchungen zeigen, dass un- Mittelstand. Das Kernstück der Reform ist die Senkung sere Unternehmen hinsichtlich der steuerlichen Belastung der Sätze: bei der Lohn- und Einkommensteuer von fast durchaus im Mittelfeld lagen, weil es viele Abschrei- 26 Prozent Eingangssteuersatz auf demnächst 15 Prozent, bungsmöglichkeiten gab. Die Steuersätze waren aber sehr hoch. Die Lösung war, die Steuersätze zu senken und die (Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Zum Bemessungsgrundlage zu verbreitern. Genau das haben Sankt-Nimmerleins-Tag!) (B) wir mit unserer Steuerreform gemacht. (D) von 53 Prozent Spitzensteuersatz auf demnächst 42 Pro- Wir haben insbesondere die Körperschaftsteuer von zent; bei der Körperschaftsteuer eine Senkung von 40 auf 40 auf 25 Prozent gesenkt. 25 Prozent. (Dr. Uwe-Jens Rössel [PDS]: Die Einnahmen (Hans Michelbach [CDU/CSU]: Nur, keiner sind um 70 Prozent eingebrochen!) merkt es!) – Ja, aber die Körperschaftsteuer steht nicht den Gemein- Insbesondere was den Mittelstand angeht, will ich Ihnen den zu. Wir reden hier aber über Gemeindefinanzen. Die das gerne ins Stammbuch schreiben, weil Sie das immer Körperschaftsteuer – Herr Kollege Rössel, das wissen Sie geflissentlich übersehen. ganz genau – steht dem Bund und den Ländern zu. (Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: (Dr. Uwe-Jens Rössel [PDS]: Die Länder erhal- Kommen Sie doch mal zu den Gemeinde- ten einen kommunalen Finanzausgleich! Davon finanzen!) haben auch die Gemeinden etwas!) – Herr Fromme, warten Sie ab. Ich habe zwölfeinhalb Mi- Insofern kann ein Ausfall bei der Körperschaftsteuer nicht nuten Redezeit. Ich komme noch dazu, keine Sorge. auf die Gemeinden durchschlagen. Das müssten Sie ei- Die Mittelstandsfreundlichkeit dieser Steuerreformgentlich wissen. zeigt sich insbesondere in der Tatsache, dass nach der (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Neuregelung die Personenunternehmen ihre Gewerbe- DIE GRÜNEN – Widerspruch bei der CDU/ steuerschuld bei der Einkommensteuerschuld abziehen CSU) können. Das heißt ganz konkret: Der Mittelstand wird nicht mehr mit der Gewerbesteuer belastet, aber für die Städte ist diese Quelle erhalten geblieben. Das ist etwas, Präsident Wolfgang Thierse: Kollege Scheelen, ge- was Sie in 16 Jahren überhaupt nicht zustande gebracht statten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Rauen? haben. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Bernd Scheelen (SPD): Nein, weil Freitag ist, DIE GRÜNEN) möchte ich keine Zwischenfragen zulassen. Ich bitte um Verständnis. Bei den Sätzen und Rahmenbedingungen derGewer- besteuer hat es keine Veränderungen gegeben. Weder ha- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) 21104 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 213. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Januar 2002

(A) Präsident Wolfgang Thierse: Also abgelehnt. des Steuersenkungsgesetzes dieser Koalition. Es geht um (C) die Möglichkeit, Gewinne und Verluste zwischen Mutter- (Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Er und Töchterunternehmen in Form einer so genannten Or- traut sich nicht! Er kneift!) ganschaft zu verrechnen. (Hans Michelbach [CDU/CSU]: Das kann ja Bernd Scheelen (SPD): Herr Fromme, keine Sorge, gar nicht sein!) das mache ich auch bei Ihnen nicht. Jetzt kommt die Gewerbesteuerumlage ins Spiel. Die Da wir die Sorgen der Kommunen über diese teilweise schrittweise Erhöhung der Gewerbesteuerumlage führt zu dramatischen Entwicklungen bei der Gewerbesteuer tei- Windfall Profits bei den Gemeinden. Diese sollten zur len, hat die Koalition reagiert, und zwar kurzfristig und Mitfinanzierung der Unternehmensteuerreform herange- gegen Ihren entschiedenen Widerstand. zogen werden. Das ist eine Systematik, der die kommu- (Beifall bei der SPD – Hans Michelbach [CDU/ nalen Spitzenverbände ausdrücklich zugestimmt haben, CSU]: Die Organschaft kommt erst ab 2002!) denn für die Kommunen ergab sich so eine Beteiligung an den Steuerausfällen durch die Reform von nur 8,9 Pro- Sowohl im Finanzausschuss als auch im Bundesrat haben zent. Das – das wissen Sie auch – ist eine sehr unter-wir Verbesserungen für die kommunale Finanzsituation durchschnittliche Beteiligung an den Steuerausfällen,durchgesetzt. Das sollte man einmal ganz deutlich sagen. denn die Gemeinden sind an den Steuereinnahmen mit Sie verweigern sich hier jeder Regelung, die den Ge- 12 Prozent beteiligt. Dies ist also ein überaus kommunal- meinden mehr Geld bringt. freundlicher Zug der Steuerreform. (Beifall bei der SPD) Trotzdem sind auch 8,9 Prozent von 45 Milliarden DM Ich sage Ihnen auch, welche das waren: Im Zuge des viel Geld. Die Kommunen hatten sich allerdings bereit er- Unternehmensteuerfortführungsgesetzes haben wir die klärt, ihren Anteil an den Ausfällen und den Entlastungen Voraussetzungen für die so genannte gewerbesteuerliche von Bürgerinnen und Bürgern sowie der Wirtschaft zu tra- Organschaft verschärft und sie an die Voraussetzungen gen. für die körperschaftliche Organschaft angepasst. (Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: (Hans Michelbach [CDU/CSU]: Das ist Proportional!) Steuerwillkür!) Worüber wir zurzeit debattieren, nämlich über die teil- Das bedeutet: Für Unternehmen ist das Steuersparen bei weise dramatischen Einbrüche bei der Gewerbesteuer, hat der Gewerbesteuer nicht mehr so leicht wie vorher. – das habe ich gerade ausgeführt – mit der Steuerreform (B) nichts zu tun. Vielmehr haben die Ölpreisexplosionen des Außerdem haben wir das Steuersparmodell der so ge- (D) letzten Jahres, die deutliche Abkühlung der amerikani- nannten Mehrmütterorganschaft nicht zugelassen. Sie schen Wirtschaft, Krisen in Japan, in der Türkei, in Ar- wissen, dass es ein Urteil gab, das jetzt schon fast zehn gentinien und anderen Teilen der Welt ihre Bremsspuren Jahre alt ist. Wenn daraus geltendes Recht geworden in der Weltwirtschaft hinterlassen wäre, hätte es die Gemeinden eine Menge Geld gekostet. Die Gemeinden hätten die vereinnahmte Gewerbesteuer (Walter Hirche [FDP]: Die Amerikaner haben aus ihren Kassen zurückzahlen müssen. Das haben wir bei uns die Ökosteuer eingeführt?) verhindert und diese Einnahmen den Gemeinden gesi- und wegen der durch die Exportorientierung starken Ver- chert. flechtung der Bundesrepublik Deutschland mit der Welt- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ wirtschaft auch bei uns. Insofern teilen wir die Analyse DIE GRÜNEN) der kommunalen Spitzenverbände vom Herbst letzten Jahres – auch Ihnen müsste noch im Gedächtnis sein, was Wir haben nicht zugelassen, dass die Versicherungs- damals gesagt wurde –, dass die Gewerbesteuerausfälle wirtschaft Gewinne und Verluste aus verschiedenen Spar- nichts mit der Steuerreform zu tun haben, sondern auf un- ten miteinander verrechnet. Auch das drohte. Dieses Steu- terschiedliche Faktoren zurückzuführen sind, als da zu- erschlupfloch ist von vornherein geschlossen worden. nächst die konjunkturelle Entwicklung wäre. (Hans Michelbach [CDU/CSU]: Auch das ist (Hans Michelbach [CDU/CSU]: Die kommt Steuerwillkür!) vom Himmel oder wie?) Auch dagegen haben Sie sich ausgesprochen. Es sollte in Wir erinnern uns, dass vor einem Jahr alle Prognosen den Standorten der Versicherungen einmal bekannt wer- der wissenschaftlichen Institute von Wachstumsraten für den, wie Sie sich hier verhalten. das vergangene Jahr von etwa 3 Prozent ausgingen. (Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Sie Tatsächlich sind wir bei 0,6 Prozent gelandet. Dass das müssen einmal systemkonform handeln!) nicht ohne Folgen für die Finanzierung der staatlichen Haushalte ist, muss eigentlich jedem klar sein. Zusätzlich haben wir die Gewerbesteuerpflicht für Ge- winne aus der Veräußerung von Betrieben oder Teilbe- Ein zweiter Grund sind Unternehmensumstrukturie- trieben festgeschrieben. rungen, die im letzten Jahr verstärkt unter Ausnutzung bereits bestehender Regelungen des Steuerrechts stattge- Meine Damen und Herren, das alles zusammen ist ein funden haben. Dies betrifft also keine neuen Regelungen Paket, das den Gemeinden in diesem Jahr Mehreinnah- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 213. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Januar 2002 21105

Bernd Scheelen (A) men von 700 Millionen Euro sichert. Für Herrn Stoiber Ludwigshafen: minus 70 Prozent; Beispiel Leverkusen: (C) füge ich hinzu, dass das ungefähr 1,4 Milliarden DM ent- minus 65 Prozent. spricht. (Dr. Uwe-Jens Rössel [PDS]: München!) (Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Nicht Das zeigt, dass Sie die Gewerbesteuer zu einer Rest- Mehreinnahmen, sondern sie erhalten Einnah- steuer haben verkommen lassen, die nur noch wenige be- men, die vorher schon da waren! Das ist nichts Neues!) zahlen. Herr Kollege Fromme, darüber hinaus sind die vorbe- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ reitenden Arbeiten zur Bildung einerKommission für DIE GRÜNEN) eine Gemeindefinanzreform angelaufen. Die Kommis- Wenn diejenigen in wirtschaftlichen Schwierigkeiten sion wird ihre Arbeit zügig aufnehmen. Damit erfüllen wir sind, trifft es die Gemeinden voll. den Koalitionsvertrag. (Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Haben (Lachen bei der CDU/CSU – Jochen-Konrad Sie vielleicht jederzeit im Bundesrat zuge- Fromme [CDU/CSU]: Ja, in Ihrer eigenen Qua- stimmt?) lität! – Walter Hirche [FDP]: Denken Sie lieber an die Beseitigung der Arbeitslosigkeit! – Man soll aber nicht verschweigen, dass es auch Städte Dr. Uwe-Jens Rössel [PDS]: Nach 1200 Tagen gibt, die keine Probleme bei der Gewerbesteuer haben. habt ihr den Entschluss gefasst! 1200 Tage nach- Ich glaube, es ist ganz wichtig, das einmal zu sagen. Im denken!) Durchschnitt gibt es weniger Einnahmen bei der Gewer- besteuer. Das konzentriert sich im Wesentlichen auf die – Ich denke, dass Legislaturperioden vier Jahre dauern. großen Städte. Je kleiner aber die Städte, desto kleiner Drei Jahre sind um und wir nehmen dieses Thema in An- sind auch die Probleme mit der Gewerbesteuer. griff. (Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Dr. Uwe-Jens Rössel [PDS]: Wenn ich nicht NEN]: Manche Kommunen haben sogar mehr mehr weiter weiß, bild’ ich einen Arbeitskreis!) Einnahmen!) Sie wissen auch ganz genau, warum wir das nicht früher Der Antrag von CDU/CSU, in dieser Situation die Ge- machen konnten. Sie waren ja auch nicht in der Lagewerbesteuerumlage zu senken, ist ein wohlfeiler Wahl- dazu. Die Arbeitskapazitäten sowohl in den Ministerien kampfgag mit Blick auf die Kommunalwahlen in Bayern. als auch im Parlament waren nämlich durch ein anderes Wer die bayerischen Verhältnisse kennt, weiß, dass die Thema belegt, das uns das Bundesverfassungsgericht (B) Mehreinnahmen, die Bayern hat, nicht an die Kommunen (D) nach den Wahlen auf den Tisch gelegt hat, nämlich den weitergegeben werden. Stattdessen wird mit dem Geld Länderfinanzausgleich. weitergearbeitet und es wird versucht, sich zulasten der (Dr. Uwe-Jens Rössel [PDS]: Das war nach bayerischen Gemeinden weiter zu entschulden. Das ist einem Jahr!) unseriös. Das haben wir jetzt abgearbeitet und jetzt kommt das (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ nächste Thema, nämlich die Gemeindefinanzreform. Wir DIE GRÜNEN) werden sie durchführen. Meine Damen und Herren, Bayern hat im Bundesrat (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten den Antrag auf Senkung der Umlage auch nur deshalb ge- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – stellt, weil es von vornherein wusste, dass er – auch durch Susanne Kastner [SPD]: Das habt ihr uns hin- unionsgeführte Länderregierungen und deren Stimmen terlassen! – Jochen-Konrad Fromme [CDU/ im Bundesrat – abgelehnt würde. Man kann leicht mutig CSU]: Gott sei Dank habt ihr keine Mehrheit sein, wenn man weiß, dass die Forderung sowieso nicht mehr im Bundesrat!) erfüllt wird. Genau aus diesem Grunde fordern Sie heute Damit komme ich zum Kapitel Heuchler und Pharisäer. die Absenkung der Gewerbesteuerumlage. Sie wissen ge- In der Hauptrolle sind CDU/CSU und FDP. 16 Jahre lang nau, dass das keine Chance auf Beschluss hat. haben Sie nicht eine Hand für die Reform der Gemeinde- Sie wissen doch, dass die Systematik, die ich Ihnen finanzen gerührt. vorhin erläutert habe, auch natürlich dann gilt, wenn die (Dr. Uwe-Jens Rössel [PDS]: Das stimmt Gewerbesteuereinnahmen unterschiedlich hoch sind. Die leider! Aber ihr auch nicht!) Systematik der Windfall Profits, der Einnahmen, die die Gemeinden zusätzlich durch Änderungen im Steuersys- Das rächt sich jetzt. Im Gegenteil: Sie haben sogar durch tem haben, aber von den Ausfällen unberührt bleiben, gilt ständiges Manipulieren an der Gewerbesteuer deren Ba- auch, wenn die Gewerbesteuereinnahmen niedriger sind. sis ausgehöhlt und sie zu einer Großbetriebssteuer ver- kommen lassen. Gerade das bereitet uns im Moment auch Dass es Ihnen mit der Absenkung der Umlage über- die großen Probleme. Die größten Verlierer des letzten haupt nicht ernst ist, haben Sie beim Solidarpaktfort- Jahres – schauen Sie sich doch einmal die Statistiken des führungsgesetz ganz deutlich gezeigt. Dabei hätten die Deutschen Städtetages an – sind gerade die Städte, in de- Länder die Chance gehabt, die länderbezogene Gewerbe- nen die großen Betriebe ihren Sitz haben. Beispielsteuerumlage von 29 Prozentpunkten abzusenken. Das 21106 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 213. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Januar 2002

Bernd Scheelen (A) haben Sie einstimmig abgelehnt. So etwas nenne ich Heu- Das ist nicht unsere Politik; denn die Schulden von(C) chelei. heute – das wissen Sie – sind die Steuern von morgen. (Beifall bei der SPD) (Dr. Uwe-Jens Rössel [PDS]: Und was machen Sie mit den Transportflugzeugen? Wie wird das Jetzt komme ich zu den Vorschlägen der FDP. Sie wol- finanziert?) len die Gewerbesteuer abschaffen und gleichzeitig die Kommunalfinanzen stärken. Das ist ein Kunststück, bei Sie wollen mit dem Personal von gestern und den Model- dem ich mich frage, wie Sie das bewerkstelligen wollen. len von vorgestern die Politik von heute und morgen ge- (Gerhard Schüßler [FDP]: Lesen Sie den stalten. Das ist zum Scheitern verurteilt. Die Opposition Antrag!) ist nicht regierungsfähig. Das Urteil lautet: vier weitere Jahre Opposition. Sie wollen – das steht in dem Antrag, Herr Schüßler – zum Beispiel ein Hebesatzrecht bei der Körperschaftsteuer Danke schön. einführen. Die Kommunen werden sich dafür herzlich be- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten danken; denn die Körperschaftsteuer ist noch kon- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – junkturanfälliger als die Gewerbesteuer. Das heißt, Sie Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- treiben den Teufel mit Beelzebub aus. Das kann doch kein NEN]: Das ist richtig!) Zukunftskonzept sein. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Präsident Wolfgang Thierse:Nun gebe ich dem des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Kollegen Rauen zu einer Kurzintervention das Wort. Das Hebesatzrecht bei der Einkommensteuer wird nur dazu führen, dass sich die Ballungsräume von den gut Peter Rauen (CDU/CSU): Herr Kollege Scheelen, Situierten leeren. Diese werden in die Fläche ausweichen. ich möchte mich mit Ihnen nicht über die Wirkungen der Das wird die ungerechte Verteilung zwischen den Bal- Steuerreform auf Arbeitnehmer, Mittelstand und große lungsräumen und dem ländlichen Raum noch weiter ver- Konzerne streiten. stärken. Das ist nicht unser Programm. Aber ich frage Sie: Wie erklären Sie sich, dass im Er- Was die Kommunen brauchen, sind verlässliche und gebnis der Steuerschätzung vom November letzten Jahres stetige Einnahmen – zumindest darin können wir über- im Auftrag der Regierung die Körperschaftsteuer im Jahr einstimmen –, die von konjunkturellen Schwankungen 2001 gegenüber dem Jahr 2000 von 45 Milliarden DM auf nicht in großem Maße abhängen. Auch brauchen sie eine 6 Milliarden DM abgestürzt ist? Wie erklären Sie sich, (B) Entlastung auf der Ausgabenseite. Das sind die beiden dass der Finanzminister von Hessen festgestellt hat, dass (D) Kernthemen, mit denen sich die Kommission beschäf- in Hessen mit vielen großen Banken die Körperschaft- tigen muss und beschäftigen wird. steuer im Jahr 2001 bei den Ist-Einnahmen geringer als Wir haben gestern das steuerpolitische Chaos derdie Zunahme bei der Lohnsteuer und der Einkommen- Union debattiert. Frau Merkel fordert ein Vorziehen der steuer ist? Steuerreform auf 2003, Herr Stoiber will nur den Teil für (Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Und dass die den Mittelstand vorziehen, Herr Glos hält das alles tech- Rückzahlungen in Nordrhein-Westfalen höher nisch nicht für möglich. Dazu sage ich: Gegen dieses als die aktiven Zahlungen sind!) Chaos in der Union ist ein Hühnerhaufen eine relativ ge- ordnete Veranstaltung. Präsident Wolfgang Thierse: Kollege Scheelen. (Beifall bei der SPD – Hans Michelbach [CDU/CSU]: Weil Sie das Steuerrecht verwüs- tet haben!) Bernd Scheelen (SPD): Herr Kollege Rauen, so wie Sie argumentieren, ist typisch: Sie betrachten einen Teil Wenn es technisch machbar wäre, so Herr Glos, dann der Wahrheit und lassen den anderen Teil aus. würden Sie es tun und die Steuerreform vorziehen. Dies würden Sie mit mehr Schulden finanzieren. Ich sage Ih- (Beifall bei der SPD – Peter Rauen [CDU/ nen ganz deutlich: Schulden machen ist das Einzige, was CSU]: Ich habe nur Fakten genannt!) Sie wirklich können. Sie wissen doch ganz genau, dass den Mindereinnah- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ men bei der Körperschaftsteuer Mehreinnahmen bei der DIE GRÜNEN – Christine Scheel [BÜND- nicht veranlagten Einkommensteuer gegenüberstehen. NIS 90/ DIE GRÜNEN]: Jahrelang praktiziert!) Das wissen Sie ganz genau. Das können Sie auch aus den Zahlen der Steuerschätzung vom November letzten Jah- 16 Jahre lang haben Sie nichts anderes als Schulden ge- res ersehen, weil das natürlich mit dem Ausschüttungs- macht. Sie haben in den 16 Jahren die Bundesschuld auf verhalten der Unternehmen zusammenhängt. 1,6 Billionen DM vervierfacht. Das belastet uns jährlich mit 82 Milliarden DM, sprich: rund 41 Milliarden Euro. (Peter Rauen [CDU/CSU]: Ich habe von der Lohnsteuer gesprochen!) (Hans Michelbach [CDU/CSU]: Sie haben doch einen blauen Brief aus Brüssel bekom- Wie es funktionieren würde, konnten wir alle vorher nur men!) schätzen. Sie haben offensichtlich im vergangenen Jahr Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 213. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Januar 2002 21107

Bernd Scheelen (A) mehr ausgeschüttet als prognostiziert. Das heißt aber, dass Gerade die SPD, die immer großen Wert darauf gelegt hat, (C) in den nächsten Jahren weniger ausgeschüttet wird und eine Kommunalpartei zu sein, hat diesen Anspruch längst dass die Steuer dann wieder steigt. Insofern hat sich an verloren. den Prognosen der Steuerreform nichts geändert. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Horst (Beifall bei der SPD sowie bei der Abg. Christine Schild [SPD]: Das gilt vielmehr für die FDP! – Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Walter Zuruf des Abg. Bernd Scheelen [SPD]) Hirche [FDP]: Wenn Sie sich weiter so in die Ta- – In dieser Stunde, Herr Scheelen, wird der nordrhein- sche lügen, müssen Sie scheitern! – Beifall bei westfälische Finanzminister, Herr Steinbrück, im der CDU/CSU – Gegenruf des Abg. Joachim Poß von Nordrhein-Westfalen vortragen, dass 1,7 Milliarden [SPD]: Wissen Sie denn eigentlich, wovon hier Körperschaftsteuer zurückzuzahlen sind. geredet wird, Herr Hirche?) Ich würde Ihnen empfehlen, dasMemorandum der Oberbürgermeister des Ruhrgebiets aus der vergangenen Präsident Wolfgang Thierse: Nun hat der Kollege Woche zu lesen. Gerhard Schüßler von der FDP-Fraktion das Wort. (Zuruf von der SPD: Das haben alle Abgeordneten bekommen!) Gerhard Schüßler (FDP): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir bringen heuteFast alles von dem, was Sie heute Morgen vorgetragen einen Antrag mit der Überschrift „Gemeindefinanzen re- haben, wird durch dieses Memorandum ad absurdum ge- formieren – Gewerbesteuer abschaffen – Finanzkraft der führt. Gemeinden stärken“ ein. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten (Joachim Poß [SPD]: Die FDP besteht nur aus der CDU/CSU – Widerspruch bei der SPD) Überschriften!) Alles aus Ihrer hehren Regierungserklärung, nach der Die Bundesregierung hat in ihrer Regierungserklärung Sie die Finanzkraft der Gemeinden stärken wollen, ist wie angekündigt, die Finanzkraft der Gemeinden stärken zu Seifenblasen zerplatzt. Wenn selbst eine Zeitung wie die wollen. Was ist daraus geworden? Gar nichts. Es hat noch „Frankfurter Rundschau“, die bekanntlich manche Vor- keine Bundesregierung gegeben, die die Interessen der Ge- lagen zu ihren Artikeln direkt aus dem Büro des Kollegen meinden in so sträflicher Weise vernachlässigt hat wie diese. Struck bekommt, Alarm schlägt und titelt „Kommunen klagen über finanzielle Zwangsjacke“, dann muss die (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Lage verdammt ernst sein. Dr. Uwe-Jens Rössel [PDS]: Da hat er Recht!) (B) Doch das Wegbrechen des Gewerbesteueraufkommens (D) Herr Kollege Scheelen, was die Ihnen angemessene scheint jetzt langsam alle munter gemacht zu haben. Noch Polemik, mit der Sie immer wieder vortragen, angeht: Sie im vergangen Jahr wurde auf dem Deutschen Städtetag können nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Einnah- – ganz im Sinne der PDS – beschlossen, die Gewerbe- men aus der Gewerbesteuer dramatisch zurückgegangen steuer zu revitalisieren. Nun wird die Einsetzung einer sind Kommission geplant. Das ist in Ordnung, aber hoffent- (Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- lich kommt sie bald und hoffentlich auch schnell zu Er- NEN]: Das bezweifelt doch niemand! Es sagt gebnissen. Denn die Gemeinden brauchen jetzt ihre Hilfe. doch niemand etwas anderes! – Bernd Scheelen Die kommunalen Aufgaben müssen auf ein notwen- [SPD]: Da haben Sie nicht zugehört!) diges Maß zurückgeführt und damit auch die Ausgaben und jeden Handlungsspielraum in den Kommunen ver- begrenzt werden. Davon sprechen Sie nie. Die Gemein- hindern. Das ist eine Tatsache. Mir liegt eine lange Liste den benötigen solide Steuereinnahmen zur Finanzierung vor. Sie können nicht einfach sagen, dass nur die großen ihrer Aufgaben. Was wir brauchen, ist eine präzise und Städte betroffen sind. Das ist nicht der Fall, die Städte sind punktgenaue Struktur der Steuergesetzgebung. Nur mit durchgehend betroffen. einem solchen, längst überfälligen Schritt kann das Ende der für niemanden mehr nachvollziehbaren Umvertei- (Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- lungsorgien eingeläutet werden. NEN]: Das ist nicht wahr!) (Joachim Stünker [SPD]: Machen Sie mal Ich kann Ihnen zwar eine lange Liste vorlegen, will dies weitere Vorschläge!) aber nicht tun. Wenn die Kommunen seit Wochen und Monaten über zurückgehende Einnahmen klagen, dann Wer will noch bestreiten, dass sich die Gewerbesteuer hat das etwas mit den ihnen zugewiesenen Aufgabenüberlebt hat? Sie hat zunehmend prozyklischen Charakter und bietet keine Planungssicherheit mehr. Den Gemein- – durch den Gesetzgeber verursacht – zu tun. Allein in den bleibt kein Gestaltungsspielraum mehr. Nordrhein-Westfalen stehen 90 Prozent aller kreisfreien Städte unter Haushaltsbewirtschaftung. Das ist das Er- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) gebnis der Politik der rot-grünen Landesregierung in Auf einmal geben auch die kommunalen Spitzenverbände Nordrhein-Westfalen. ihre starrsinnige Haltung auf – das freut mich –: Die Ge- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Bernd werbesteuer ist zu konjunkturabhängig und schwankt viel Scheelen [SPD]: Und der Vorgängerregierung!) zu stark; sie muss dringend ersetzt werden. 21108 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 213. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Januar 2002

Gerhard Schüßler (A) Die Vorschläge der FDP-Bundestagsfraktion liegen ben den Solidarpakt II abgelehnt, weil er ein fauler Kom- (C) vor: ein höherer Anteil an der Umsatzsteuer und ein He- promiss ist, der nicht ein einziges Grundsatzproblem löst. besatzrecht bei der Einkommensteuer. Gegen Ihren Wi- Es liegt auf der Hand, was zu tun ist. Die Aufgaben von derstand, meine lieben Kolleginnen und Kollegen von der Bund, Ländern und Gemeinden müssen entzerrt werden. SPD, haben wir durchgesetzt, dass der Anteil der Ge-Gleiches gilt für die Einnahmen. Wer kostenträchtige Ge- meinden am Aufkommen aus derUmsatzsteuer bei setze und Verordnungen beschließt, muss auch für die fi- 2,3 Prozent liegt. Wenn Sie heute die Kämmerer fragen, nanzielle Seite zuständig sein. Sie reden andauernd vom was sie vom Wegfall der Kapitalertragsteuer halten, dann Konnexitätsprinzip. Ja, dann sorgen Sie doch dafür, dass werden Sie feststellen, dass diese inzwischen begriffen die Mittel tatsächlich dorthin fließen, wo die Aufgaben- haben, dass die Umsatzsteuerbeteiligung eine der pro- erfüllung zu erfolgen hat! gressivsten und stabilsten Einnahmequellen für die Kom- munen ist. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) (Horst Schild [SPD]: Deshalb wollten Sie da- Sie betreiben Gleichmacherei. Das kann man daran er- mals nur einen Anteil von 1,7 Prozent anbie- kennen, dass eine Gemeinde, die vernünftig wirtschaftet, am ten!) Ende nicht besser dasteht als eine Gemeinde, die über ihre Verhältnisse lebt. Die Ursache dafür ist Ihre Gesetzgebung. – Wir werden dafür sorgen, dass dieser Anteil erhöht wird. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) (Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Und dann? Was ist mit dem Hebesatz- recht?) Präsident Wolfgang Thierse:Ich erteile Kollegin Christine Scheel, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das – Frau Kollegin Scheel, wenn die Länder die Gemeinden Wort. an dem Aufkommen aus den Sonderumsatzsteuerpunkten entsprechend beteiligt hätten, dann sähe die Situation heute anders aus. Aber sie haben das nicht getan. Christine Scheel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Schüßler, ich finde es immer wieder erstaunlich, wie die Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- FDP hier auftritt. Sie fordern andauernd, dass die Steuern NEN]: Das ist doch ausgeglichen worden! – gesenkt werden, dass bestimmte Steuerarten abgeschafft Walter Hirche [FDP]: Die Länder haben die werden, dass die Sozialversicherungsbeiträge gesenkt Gemeinden abgezockt!) werden und dass im investiven Bereich des Haushalts Mehrausgaben getätigt werden. Aber Sie sagen niemals, Alle unsere Vorschläge werden seit langem von der (B) woher das Geld dafür kommen soll. (D) Wissenschaft unterstützt. Das Beharrungsvermögen und das Besitzstandsdenken vieler Politiker der großen Par- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN teien und der Funktionäre der kommunalen Verbände, und bei der SPD) Herr Kollege Scheelen, haben bisher jeden Ansatz einer Das ist genau das, was die Menschen nicht mehr hören Reform verhindert. Diese Bundesregierung hat noch nicht können: Versprechen, Versprechen, Versprechen und nichts einmal Lösungsansätze aufgezeigt. Sie hat vielmehr nur dahinter. Gesetze beschlossen, die den Kommunen in erheblichem Umfang neue Pflichten auferlegt und neue Kosten aufge- Ich möchte anhand von Zahlen deutlich machen, wie bürdet haben. Dadurch hat sich die Situation der Gemein- sich die Situation wirklich darstellt. In der Ausgabe des den so dramatisch verschlechtert. „Handelsblattes“ vom 22. Januar 2002 kann man lesen: „Gemeinden melden Haushaltsüberschuss.“ Im Gegen- Wir dürfen die Finanzen der Gemeinden nicht isoliert satz zu Bund und Ländern, die im vergangenen Jahr betrachten. Es liegt auf der Hand, dass unsere gesamte erhebliche Defizite verbuchen mussten, haben die Kom- bundesstaatliche Finanzverfassung zur Diskussion munen das vergangene Jahr mit einemHaushaltsüber- steht. Das nicht mehr durchschaubare Geflecht aus Lan- schuss in Höhe von 1,1 Milliarden Euro abgeschlossen. deskompetenzen in der Gesetzgebung sowie davon ab- weichenden Kompetenzen im Vollzug und bei den Steuer- (Zuruf von der SPD: Hört! Hört!) einnahmen muss von Grund auf entwirrt werden.Das ist ein Faktum, das man zur Kenntnis nehmen muss. Neuregelungen sind also notwendig. Auch das ist inzwi- schen eine Binsenweisheit. Es ist zwar richtig, dass die Haushaltsüberschüsse der Kommunen stark zurückgegangen sind. Lagen sie 1998 (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) noch bei 4,3 Milliarden Euro und im Jahr 2000 bei Wie hat die Bundesregierung darauf reagiert? Es gab 4,5 Milliarden Euro, betragen sie im Jahr 2001, wie ge- ein unwürdiges Geschacher um den Solidarpakt II zwi- sagt, lediglich 1,1 Milliarden Euro. Aus diesem Grunde ist schen dem Bundeskanzler und den Ministerpräsidenten, es völlig richtig, die Situation der Kommunen sehr ernst die sich wie die Kesselflicker gestritten haben. Nach einer zu nehmen. Das tun wir auch. Aber es ist politisch nicht Nachtsitzung beim Kanzler bekam jeder ein paar Mil-seriös, den finanzpolitischen Zusammenbruch der Kom- munen pauschal an die Wand zu malen. lionen. Nun wird behauptet, dass die Finanzbeziehungen zwischen Bund und Ländern bis zum Jahre 2018 befriedi- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gend geregelt seien. Darüber kann man nur lachen. Wir ha- und bei der SPD) Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 213. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Januar 2002 21109

Christine Scheel (A) Auch das muss erwähnt werden, wenn Sie sagen, dass es Das sind die Gründe, weswegen gerade in den größe- (C) bei allen Kommunen drastische Einnahmeeinbußen gibt. ren Städten wie Frankfurt, München, Köln und Duisburg Das ist einfach nicht richtig, Herr Schüßler. – also in den meisten großen Städten – die heutige Situa- tion entstanden ist. (Gerhard Schüßler [FDP]: Natürlich ist das richtig!) Eine Maßnahme, die im Rahmen der Steuerreform be- schlossen worden ist und die zu einem kleinen Teil dazu Es gibt viele Kommunen und Gemeinden, die Mehrein- beigetragen hat, dass sich die Einnahmen der Kommunen nahmen aufweisen. im Jahre 2001 um insgesamt 1,4 Prozent rückläufig ent- (Hans Michelbach [CDU/CSU]: Sollen sie das wickelt haben, ist dieGewerbesteuerumlage, die im Tafelsilber verkaufen?) Jahre 2001 angehoben worden ist. Sie wurde im Rahmen der Steuerreform erhöht, um eine angemessene Beteili- Es gibt in den größeren Städten spezielle Effekte, auf die gung der Kommunen an der Steuerentlastung sicherzu- ich noch zurückkomme und die mit verschiedenen Ursa- stellen. Wir haben damals festgelegt, dass die Beteiligung chen zusammenhängen. der Kommunen unterproportional erfolgen soll. Das Angesichts der Prognose des Sachverständigenrates heißt, während sie einen Anteil am gesamtstaatlichen Auf- haben wir damals die Befürchtung gehabt, dass die Kom- kommen von rund 12 Prozent haben, müssen sie die Steu- munen im Jahr 2001 ein Hauhaltsminus von 2,7 Milliar- erausfälle infolge der Steuerreform nur in einer Größen- den Euro haben würden. Dies hat sich Gott sei Dank nicht ordnung von rund 9 Prozent tragen. bewahrheitet. Aber richtig ist natürlich, dass wir aufgrund Ich halte es für notwendig – das sage ich mit großem der rückläufigen Konjunktur eine schwierige Situation Ernst –, dass die Wirkungen der erhöhten Gewerbesteuer- haben. Diese darf man nicht beschönigen; denn die Ge- umlage im Lichte der konkreten Konjunkturentwicklung meinden haben aufgrund derEinnahmerückgänge die und der damit verbundenen Steuermindereinnahmen, die Ausgaben gekürzt. – Das ist wie bei einem privaten Haus- zum Teil auch aufgrund verschiedener anderer rechtlicher halt: Bei einer vernünftigen Haushaltsführung gibt man Regelungen bewirkt werden, zeitnah überprüft werden. weniger aus, wenn man weniger einnimmt. – Dieses wirkt (Zuruf von der CDU/CSU: Dann stimmen Sie sich negativ auf die Investitionen aus; denn fast 80 Pro- unserem Antrag einfach zu!) zent der öffentlichen Sachinvestitionen werden von den Kommunen getätigt. Das ist gesamtwirtschaftlich gese- – Ich komme auf den Antrag noch zu sprechen. – Dabei hen also ein Problem. sind jedoch die Maßnahmen, die wir im Rahmen des Unternehmensteuerfortentwicklungsgesetzes zugun- Gleichzeitig ist das Gewerbesteueraufkommen laut (B) sten der Kommunen ab 2002 getroffen haben, zu berück- (D) Steuerschätzung im Jahr 2001 im Durchschnitt um rund sichtigen. 10 Prozent zurückgegangen. Einzelne Städte mit be- stimmten Großbetrieben melden starke Gewerbesteuer- (Hans Michelbach [CDU/CSU]: Das ist das einbrüche. Auch das ist Realität. Diese Mindereinnahmen doppelte Christinchen! In jede Richtung Recht sind aber nicht auf die Unternehmensteuerreform zurück- geben!) zuführen, wie Sie fälschlicherweise hier immer wieder Dabei geht es um ein geschätztes Volumen von etwa behaupten. Aufgrund der Systemveränderungen im Rah- 700 Millionen Euro, die als Entlastungen zugunsten der men der Körperschaftsteuerreform gibt es keinen Effekt Gewerbesteuereinnahmen für die Kommunen ab dem auf das Gewerbesteueraufkommen der Kommunen. Die 1. Januar 2002 gelten. Das sind zum Beispiel die Rege- steuerlichen Entlastungen der Unternehmen im Rahmen lungen für die gewerbesteuerliche Organschaft. Diese Re- der Steuerreform treffen, was die Körperschaftsteuer an- gelungen wurden an diejenigen für die körperschaftsteu- belangt, nicht die Kommunen. erliche Organschaft angeglichen. Damit ist das Ganze nicht mehr so attraktiv. Die Rechtslage bezüglich der so Folgende Gründe spielen eine wesentliche Rolle: Die genannten Mehrmütterorganschaften wurde korrigiert. konjunkturelle Entwicklung bringt – das wird von allen Auch daraus wird es Mehreinnahmen geben. Die Mög- Seiten bestätigt – niedrigere Gewinne. Dadurch ergibt lichkeit der spartenübergreifenden Verlustverrechnung sich eine andere Besteuerungsgrundlage. Die Energiever- bei Versicherungsunternehmen wurde beschränkt. Das sorgungsunternehmen stehen in einem verstärkten Wett- hängt damit zusammen, dass das Versicherungsaufsichts- bewerb mit rückläufigen Preisen. Auch daraus ergeben gesetz im letzten Jahr geändert wurde. Damit wurden sich geringere Steuereinnahmen. Die Unternehmen nah- spartenübergreifende Berechnungen ermöglicht. Das ha- men verstärkt das Instrument der gewerbesteuerlichen Or- ben wir über das Gesetzgebungsverfahren im Dezember ganschaft in Anspruch. Das heißt, Unternehmensverbünde wieder rückgängig gemacht, sodass es in diesem Bereich konnten problemlos Gewinne und Verluste steuermin-die spartenübergreifende Verrechnungsmöglichkeit nicht dernd miteinander verrechnen. Es gab bei einzelnen Ge- mehr gibt. werbesteuerzahlern Sondersituationen infolge von Fusio- nen, die in den betroffenen Städten Mindereinnahmen (Heinz Seiffert [CDU/CSU]: Wo ist da Plan- bewirkt haben. Es gab Wertberichtigungen bei Banken barkeit? Erst einführen, dann abschaffen!) und Versicherungsunternehmen wegen des Kursverfalls Die Gewerbesteuerpflicht für Gewinne von Kapital- und auf den Aktienmärkten, wodurch Gewinneinbrüche und Personengesellschaften aus der Veräußerung von Betrie- Verluste verursacht wurden. ben, Teilbetrieben und Mitunternehmerschaften wurde 21110 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 213. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Januar 2002

Christine Scheel (A) festgeschrieben. Die Beibehaltung des Verbots des Ab- Zweitens. Die Verbindung zwischen den Wirtschafts- (C) zugs von Betriebsausgaben bei steuerfreien Dividenden unternehmen und den jeweiligen Kommunen muss ge- sowie die Gewerbesteuerpflicht für Dividenden auf Ak- stärkt werden. tien im Streubesitz wurden beschlossen. Drittens. Den Kommunen muss im Rahmen der Re- Alle diese Maßnahmen, die ich gerade aufgezählt habe, form ein verfassungsrechtlich einwandfreies Hebesatz- werden dazu führen, dass die kommunalen Haushalte ab recht zur Sicherung und Gestaltung ihrer Einnahmebasis diesem Jahr wieder Mehreinnahmen verzeichnen werden. gewährleistet werden. (Hans Michelbach [CDU/CSU]: Prinzip Hoff- Wir müssen natürlich auch insgesamt die Möglichkeit nung!) von Entlastungen auf der Ausgabenseite prüfen. Alle diese fiskalpolitischen Verbesserungen für die Eine solche Reform wird in der nächsten Legislatur- Kommunen müssen bei der Überprüfung der Gewerbe- periode Realität werden. Ich kann Sie nur auffordern: Ar- steuerumlage mit einkalkuliert werden. Deswegen sollte beiten Sie daran mit! Wir wollen diese Reform gemein- die Überprüfung vor dem Jahr 2004, wie sie gesetzlich sam mit den kommunalen Spitzenverbänden und festgeschrieben worden ist, erfolgen. gemeinsam mit den Ländern verwirklichen. Das geht nur (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN mit den kommunalen Spitzenverbänden, die in der Kom- sowie bei Abgeordneten der SPD) mission ein ganz starkes Gewicht haben werden. Bayern hat im Bundesrat einen Antrag eingebracht, Vielen Dank. der zum Ziel hat, die Gewerbesteuerumlage wieder auf (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN die alte Höhe zurückzuführen. Dieser Antrag ist identisch und bei der SPD) mit dem, was hier vonseiten der CDU/CSU vorliegt. Der Antrag Bayerns ist im letzten Winter eingebracht worden. Im Finanzausschuss des Bundesrats haben nicht einmal Präsident Wolfgang Thierse: Ich erteile dem Kolle- die unionsregierten Länder für die Annahme gestimmt. gen Uwe-Jens Rössel, PDS-Fraktion, das Wort. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Dr. Uwe-Jens Rössel (PDS): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Kollegin Scheel, die Koali- Schon im Vorfeld also haben die unionsregierten Län- tion, der Sie angehören, hat im November 1998 bekannt der keine gemeinsame Linie gehabt, was die Frage der gemacht, das Gemeindefinanzsystem auf den Prüfstand Gewerbesteuerumlage betrifft. Auch hieran sieht man, zu stellen (B) dass es in der Union keinen Zusammenhalt in finanzpoli- (D) tischen Fragen gibt. An diesem Beispiel können wir wie- (Bernd Scheelen [SPD]: Machen wir!) der belegen, dass es bei Ihnen hü und hott geht, dass Sie und eine Gemeindefinanzreform vorzubereiten. Bis heute, völlig konfus agieren und reagieren. immerhin 1100 Tage später, ist nichts, aber auch gar (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN nichts passiert. Vor drei Tagen erst haben Sie in Ihrer Frak- und bei der SPD) tion nur beschlossen, eine solcheKommission auf den Auch wir wissen, dass das Gewerbesteueraufkom- Weg zu bringen. Das ist wahrlich sehr wenig. men sehr konjunkturabhänig ist. Die Steuer selbst ist (Beifall bei der PDS – Bernd Scheelen [SPD]: durch die Aushöhlung ihrer Bemessungsgrundlage immer Die vorbereitenden Arbeiten laufen doch schon mehr zu einer Großbetriebssteuer geworden. Das ist übri- längst!) gens in den 16 Jahren der Kohl-Regierung und nicht in un- serer Regierungszeit – das darf ich hier einmal anmerken – Kollege Scheelen, Sie behaupteten, dass die Absen- erfolgt. kung der Körperschaftsteuer um 80 Prozent im Jahres- vergleich keine Auswirkungen auf die Kommunen habe. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Die Körperschaftsteuer fließt zu großen Teilen in die Län- und bei der SPD – Zuruf von der CDU/CSU: derkassen und die Länder wiederum sind für den kom- Immer mit Ihrer Zustimmung im Bundesrat! munalen Finanzausgleich verantwortlich. Der Abschwung Das sollte man nicht vergessen!) trifft daher die Länder und ebenfalls die Kommunen dra- Diese Aushöhlung der Bemessungsgrundlage geht zurück matisch. auf die Entscheidungen der CDU/CSU- und vor allem der (Bernd Scheelen [SPD]: Das hat doch keine FDP-Fraktion, die mit Steuereinnahmen ja ohnehin nichts Auswirkungen auf die Gewerbesteuer! Wir am Hut hat. reden über die Gewerbesteuer!) Wir werden eine Kommission zur Erarbeitung eines Dadurch, dass nichts passiert ist, befinden sich die Entwurfs zur Reform des Gemeindefinanzsystems einset- Kommunalfinanzen in einem desolaten Zustand. In vie- zen. Die Einsetzung dieser Kommission steht kurz bevor. len Städten und Gemeinden ist kein Geld mehr vorhan- Es gibt drei Ziele, die zu verwirklichen sind: den, um Schwimmbäder zu unterhalten. Es ist kein Geld Erstens. Den Kommunen muss eine möglichst kon- mehr vorhanden, um den kommunalen Eigenanteil für junkturunabhängige Finanzierungsbasis geschaffen wer- Förderprogramme aufzubringen. Die kommunalen Inves- den. titionen gehen dramatisch zurück. All das geschieht in Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 213. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Januar 2002 21111

Dr. Uwe-Jens Rössel (A) einer Zeit, in der die Bundesrepublik 4,3 Millionenbundesgebiet, dass eine kommunaleInvestitionspau- (C) Arbeitslose hat. Das ist unverantwortlich. schale des Bundes aufgelegt wird. Die Kommunen müs- sen selbst entscheiden können, wofür sie es vordringlich Die Regierungskoalition hat nichts, aber auch gar verwenden. Diese kommunale Investitionspauschale soll nichts auf diesem Gebiet zuwege gebracht. Mit der Steu- direkt vom Finanzministerium in Berlin in die Städte und erreform haben Sie sogar dafür gesorgt, dass die Einnah- Gemeinden fließen. Das wäre kommunale Selbstverwal- mebasis der Kommunen auf Jahre hinaus ausgehöhlt tung pur, Herr Kollege Scheelen. wird. Die Gewerbesteuerumlageerhöhungbewirkt al- lein in diesem Jahr bei den Städten und Gemeinden Ein- (Beifall bei der PDS – Bernd Scheelen [SPD]: nahmeausfälle in Höhe von 1 Milliarde Euro. Was sagt denn die Verfassung dazu?) Ein Wort an die CDU/CSU: Kollege Götz, Sie fordern – Die Verfassung lässt das zu; das wissen Sie ganz genau. zu Recht – wir unterstützen das –, die Gewerbesteuerum- Bereits vor Jahren hat es diese Möglichkeit gegeben. lageerhöhung rückgängig zu machen. Dann frage ich Sie (Horst Schild [SPD]: Schauen Sie einmal aber, warum Sie in der Debatte am 21. Juni 2001 unseren hinein!) Antrag, der genau dies vorsah, abgelehnt haben. Auch die FDP, die heute Entsprechendes lauthals verkündet, lehnte Außerdem brauchen wir eine dauerhafte Entlastung damals unseren Antrag ab. Das ist doch Rosstäuscherei! der Kommunen von Problemen, für die sie nicht verant- wortlich sind. Wir müssen gemeinsam dafür sorgen, dass (Beifall bei der PDS – Christine Scheel [BÜND- die finanziellen Folgen der Langzeitarbeitslosigkeit nicht NIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt!) mehr den Kommunen aufgedrückt werden, denn die Die Einnahmen der Kommunen reichen nicht aus, um Kommunen haben dieses Problem nicht verursacht. die dringendsten Aufgaben zu erfüllen. Auf der anderen (Vorsitz:Vizepräsident Dr. Hermann Otto Seite werden Steuergelder in unübersehbarem Umfang für Solms) wahnwitzige Rüstungsprojekte verausgabt: gestern das neue Transportflugzeug A400M, morgen der Eurofighter Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich komme zum 2000. Die neuesten Zahlen aus dem Bundesverteidigungs- Schluss. Die Fakten, die in der heutigen Debatte eine ministerium besagen, dass die Kosten des Eurofighters Rolle spielen und die sich noch mannigfach ergänzen jetzt bei 22 Milliarden Euro liegen, während 1997 noch ließen, zeigen, dass die Kommunalfinanzen in der Bun- von 12 Milliarden Euro ausgegangen worden ist. Hier desrepublik auf dem Kopf stehen. Sie müssen endlich auf stimmt im staatlichen Finanzgefüge eine Menge nicht. die Füße gestellt werden. Eine umfassende kommunale Finanzreform ist notwendig. Packen wir es gemeinsam (Beifall bei der PDS) (B) an. Eine Lösung im Interesse der Bürgerinnen und Bür- (D) Auch die finanziellen Folgen derLangzeitarbeits- ger in der Bundesrepublik Deutschland ist dringend ge- losigkeit, liebe Kolleginnen und Kollegen, müssen die boten. Kommunen tragen. Neueste Berechnungen des Deut- Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. schen Städte- und Gemeindebundes besagen, dass von den 26 Milliarden Euro, die die Kommunen für Sozial- (Beifall bei der PDS) hilfe ausgeben, allein 15 Milliarden Euro auf die Lang- zeitarbeitslosigkeit zurückzuführen sind. Hier stimmt das Als ganze Konstrukt der Sozialhilfe nicht mehr. Dazu haben Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: nächster Redner hat der Kollege Horst Schild von der Sie nicht ein einziges Wort gesagt. Das ist unverantwort- SPD-Fraktion das Wort. lich. Die PDS ist die einzige Fraktion im Deutschen Bun- (SPD): Herr Präsident! Meine Damen destag, die bereits 1999 einen konzeptionellen Vorschlag Horst Schild und Herren! Wir müssen den Gemeinden helfen, aber für den Einstieg in die Reform der Kommunalfinanzie- nicht durch politische Schnellschüsse. rung eingebracht hat. Alle anderen Fraktionen haben da- rüber nur geredet, bis zum heutigen Tage auch die (Beifall bei Abgeordneten der SPD) CDU/CSU. Ihre Anträge, die wir jetzt beraten, stellen die Alle Ihre Anträge beinhalten nur Schnellschüsse. Einzige ersten Versuche in dieser Richtung dar. Ausnahme ist der Antrag der Union zur Einsetzung einer Wir verlangen eine auf die Wirtschaftskraft bezogene Kommission zur Reform der Gemeindefinanzen und die- Steuer, die dauerhaft Bestand hat. Die Einnahmen aus die- ser hat sich durch die Ankündigung des Bundesfinanzmi- ser Steuer sollen möglichst vollständig in die kommuna- nisters vom Herbst letzten Jahres und durch unseren heu- len Kassen fließen. Wir sagen: Weg mit dem Konstrukt tigen Antrag, selbige zu unterstützen, eigentlich erledigt. Gewerbesteuerumlage, das dazu geführt hat, dass das Fi- Im Übrigen hat der Bundesfinanzminister schon im nanzsystem von den Füßen auf den Kopf gestellt wird. Herbst des letzten Jahres angekündigt, eine solche Kom- mission einzusetzen. (Bernd Scheelen [SPD]: Als das 1969 einge- führt wurde, waren Sie noch nicht hier! Das (Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Aber können Sie nicht wissen!) mit dem Tempo von Scharping!) Wir verlangen für die besonders gebeutelten ostdeutschen – Herr Kollege Fromme, ich habe den Eindruck, dass Sie Kommunen, aber auch für so manche Kommune im Alt- heute nicht auf der Rednerliste stehen und deshalb alles 21112 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 213. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Januar 2002

Horst Schild (A) von den hinteren Bänken einbringen. Lassen Sie sich auf Konkretes. Ihr Steuerkonzept „Die bessere Alterna-(C) die Rednerliste setzen! tive“ von Anfang 2000 sah vor, die Gewerbesteuer um 20 Prozent zu senken. Wäre der Deutsche Bundestag die- (Heiterkeit und Beifall bei der SPD) sem Antrag gefolgt, hätten wir nicht nur 5 Milliarden DM Herr Fromme, machen Sie Ihrem Namen ein bisschen weniger, sondern 10 Milliarden DM. Ehre! (Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: (Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Der Zwi- Dann hätten wir heute ein ganz anderes schenruf hat mehr Substanz als Ihre ganze Wachstum!) Rede!) – Das ist doch Unsinn. Wir hatten in den letzten Jahren ein Herr Kollege Götz, Sie haben in Ihrem Vortrag den Ko- hohes Wachstum. Dass allein die Absenkung der Gewer- alitionsvertrag angesprochen besteuer um 20 Prozent das Wachstum beschleunigt, kön- nen Sie doch niemandem hier erzählen. (Zuruf von der CDU/CSU: Wofür ist der gut?) (Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Das und darauf hingewiesen, dass wir eine Gemeindefinanz- ganze Konzept! – Walter Hirche [FDP]: Mit ei- reform angekündigt haben; das ist richtig. ner anderen Politik!) (Hans Michelbach [CDU/CSU]: Sie haben das Nein, man kann nicht den Rückgang des Gewerbesteu- Gegenteil gemacht!) eraufkommens beklagen und gleichzeitig die Absenkung Aber wir brauchen, Herr Kollege Michelbach – damit bin derselben Steuer im Deutschen Bundestag beantragen. ich gleich bei Bayern –, für eine Gemeindefinanzreform (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Christine als Bezugspunkt das Gerüst einesbundesstaatlichen Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Finanzausgleichs. Wer ist denn nach Karlsruhe gegangen und hat uns zwei, drei Jahre Verzögerung eingebrockt? Ihr Konzept wurde damals von den kommunalen Spit- zenverbänden verständlicherweise entschieden abgelehnt. (Beifall bei der SPD – Jochen-Konrad Fromme Auch die kommunalen Spitzenverbände haben sich von [CDU/CSU]: Der Eichel hat keine Klage einge- diesem Vorschlag wahrhaftig keine Hilfe versprochen. Im bracht als Ministerpräsident von Hessen?) Übrigen war darin die Abschaffung der Gewerbesteuer, Sie wissen, dass wir den Finanzausgleich brauchen, wie sie jetzt von Unionspolitikern in den Kommunen teil- weise gefordert wird – auch hier gibt es kein einheitliches (Hans Michelbach [CDU/CSU]: Die Klage Bild bei Ihnen –, ausdrücklich nicht vorgesehen. stammt doch von Herrn Eichel!) (B) (Zuruf des Abg. Heinz Seiffert [CDU/CSU]) (D) um auf dieser Basis einen Blick in die Zukunft werfen zu können und eine Gemeindefinanzreform zu installieren. – Herr Kollege Seiffert, ich komme jetzt auch auf die neue Beschlusslage Ihrer Partei zu sprechen. Besonders heuchlerisch ist es allerdings, wenn sich jetzt diejenigen öffentlich als Retter und Fürsprecher der kom- Damals hieß es: munalen Finanzen aufschwingen, deren steuerpolitische Wir wollen keine Abschaffung der Gewerbesteuer, Vorschläge immer zum gegenteiligen Ergebnis führen. da sie ein zentrales Element eigenverantwortlicher (Beifall bei der SPD) kommunaler Steuerpolitik ist. Mit Ihren – das haben wir gestern früh diskutiert – immer Das gestehe ich zu. In Ihrem Parteitagsbeschluss von De- widersprüchlicher werdenden Steuervorschlägen würden zember letzten Jahres fordern Sie: Sie Bund und Ländern, aber auch den Kommunen erheb- Parallel zur Reform der Einkommen- und Unterneh- liche Steuerausfälle bescheren. mensteuern muss auch die Gemeindefinanzierung Allein das Vorziehen der Steuerreformstufevon grundlegend reformiert werden, um mehr Wettbe- 2005 auf 2003 würde für die Kommunen in den Jahren werb unter den Kommunen zuzulassen. 2003 und 2004 Mindereinnahme in Höhe von 5,5 Milliar- (Hans Michelbach [CDU/CSU]: Sehr richtig!) den Euro zur Folge haben. In diesem Rahmen muss eine sinnvolle Fortentwick- (Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Sie lung der kommunalen Wirtschaftsbesteuerung ent- haben es immer noch nicht begriffen!) wickelt werden. – Nein, Sie müssen endlich einmal erkennen, dass nicht In der Tat sind auch wir für eine sinnvolle Fortent- beides geht. Sie können nicht ständig Steuersenkungen wicklung der kommunalen Wirtschaftsbesteuerung. fordern und gleichzeitig so tun, als würden die Gemein- den durch die Steuersenkungen mehr Geld in die Kassen (Hans Michelbach [CDU/CSU]: Jetzt haben Sie etwas gesagt!) bekommen. Das bedeutet aber, dass man allen Kommunen faire Wett- (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Christine bewerbschancen bietet. Ich hoffe, wir können in Zukunft Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) auf der Basis der Vorschläge der Expertenkommission Sie bleiben, wenn es um die Gemeindefinanzen geht, – auch wir gehen davon aus, dass sich diese Arbeit nicht immer im Vagen und Widersprüchlichen. Da gibt es nichts über mehrere Jahre erstrecken wird – konstruktiv zusam- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 213. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Januar 2002 21113

Horst Schild (A) menarbeiten. Ich sage das deutlich. In einigen Fragen sind – Herr Schüßler, Sie können das einmal in einem Ge-(C) wir vielleicht gar nicht so weit auseinander. Wir sollten spräch am Rande des Plenums erläutern. uns aber davor hüten, durch widersprüchliche Vorschläge (Joachim Poß [SPD]: Die haben ja nicht in der Öffentlichkeit den Eindruck zu erwecken, Gemein- einmal die geringste Sachkunde!) den helfen zu wollen und am Ende das Gegenteil zu be- fördern. Die jetzige Gewerbesteuer weist wenigstens noch ei- nige objektsteuerliche Korrekturen in ihrer Bemessungs- Eines möchte ich noch sagen, Kollege Schüßler: Über grundlage auf. das, was die FDP hier vorgelegt hat, habe ich mich aller- dings gewundert. Andererseits hielt sich die Verwunde- Gleichzeitig wollen Sie den Einkommensteuerspitzen- satz auf 35 Prozent senken. Über die daraus resultieren- rung in Grenzen; denn es ist zu bedenken, dass Sie Ihrem den Steuerausfälle werden Länder und Kommunen si- Ruf als Klientelpartei Rechnung tragen wollten. cherlich begeistert sein. Fragen Sie einmal Kämmerer (Widerspruch bei der FDP) oder Finanzminister der Länder, ob das zur Stabilisierung ihrer Planungssicherheit beiträgt! Sie erheben Forderungen, die widersprüchlich begründet sind und die kommunalen Finanzen ganz eindeutig zum Man mag das alles wollen, was Sie fordern, Herr Kol- Nachteil gereichen. Kollege Schüßler, wer die Abschaf- lege Schüßler. Nur sollte man dann wenigstens im Hin- fung der Gewerbesteuer fordert, der muss klarstellen, wie blick auf die Auswirkungen auf die Kommunalfinanzen den Gemeinden eine Kompensation in einem Volumen ehrlich sein und nicht das Gegenteil von dem behaupten, von 50 Milliarden DM oder 25 Milliarden Euro zukom- was tatsächlich zutrifft. men soll. (Beifall bei der SPD) (Joachim Stünker [SPD]: Wo soll es Unbestritten ist: Die Gewerbesteuer weist in ihrer der- herkommen?) zeitigen Form vielfältige Schwächen auf. Darüber brau- chen wir hier nicht zu diskutieren. Wir müssen darüber Die Steuersätze sollen also wieder gesenkt werden. Sie diskutieren, welche Schlussfolgerungen wir daraus zie- wollen ein Hebesatzrecht in Bezug auf die Körperschaft- hen. Die derzeitige kommunale Finanzsituation ist nicht steuer und die Einkommensteuer. nur auf konjunkturelle Gründe, sondern im Wesentlichen (Gerhard Schüßler [FDP]: Lesen Sie doch auf strukturelle Probleme bei den Einnahmen und den einmal den Antrag!) Ausgaben zurückzuführen. – Ich komme gleich darauf zu sprechen. (Gerhard Schüßler [FDP]: Und auf die Ameri- kaner!) (B) Es fällt relativ leicht, das anhand des vorliegenden (D) Deswegen wird der Bundesfinanzminister mit voller Unter- FDP-Antrags zu dokumentieren. stützung der Koalitionsfraktionen in den nächsten Wochen (Gerhard Schüßler [FDP]: Den haben Sie gar eine Kommission zur Gemeindefinanzreform einsetzen. nicht gelesen!) (Hans Michelbach [CDU/CSU]: Das ist ja eine Sie stellen zu Recht fest, dass die Gewerbesteuer an die Drohung!) Erträge der Unternehmen anknüpft und daher stark kon- An der Arbeit dieser Kommission wird, Kollege Michelbach, junkturabhängig ist. Finanzielle Planungssicherheit ist für auch das Land Bayern beteiligt sein. Die Länder können die Kommunen damit nicht gegeben. Wer hat denn – diese durch ihre Vertreter ihre Vorstellungen einbringen. Ich Frage ist hier schon vorhin gestellt worden – die Gewer- hoffe, sie haben bis dahin welche, und zwar abgestimmte. besteuer zur bloßen Ertragsteuer – das ist sie heute – ge- Wir streben an, frühzeitig in der nächsten Legislatur- macht? Das waren doch nicht wir! periode eine Reform auf der Grundlage der Vorarbeiten (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ der Kommission gesetzgeberisch umzusetzen. DIE GRÜNEN) Zu einer Gemeindefinanzreform gehört vor allen Din- Durch die grundsätzliche Anknüpfung der Gewerbesteuer gen die Zukunft der Gewerbesteuer. Alle Alternativvor- an die Bemessungsgrundlage der Körperschaftsteuer bzw. schläge zur Gewerbesteuer müssen sich in erster Linie an Einkommensteuer der Gewerbetreibenden – das ent-der Verfassung messen lassen. Ich frage Sie, auch die Kol- nehme ich Ihrem Antrag – schlagen Änderungen der kör- legen von der FDP: Wollen Sie Art. 28 Abs. 2 des Grund- gesetzes ändern oder wollen Sie ihn unverändert lassen? perschaftsteuerlichen bzw. einkommensteuerlichen Be- messungsgrundlage automatisch auf die Gewerbesteuer (Gerhard Schüßler [FDP]: Nein, wollen wir durch. nicht!) Wie sieht Ihre Schlussfolgerung, Ihre Alternative aus? – Man muss sich darüber im Klaren sein, ob man das Band Ein kommunaler Zuschlag auf Körperschaftsteuer und zwischen den Betrieben vor Ort in der Kommune und der Einkommensteuer! Sie tun so, als gälte für einen solchen Kommune selbst zerschneiden oder es erhalten will. Zuschlag nicht genau das, was Sie an der Gewerbesteuer (Beifall bei Abgeordneten der SPD) kritisieren – bloß in noch viel stärkerem Ausmaß. Wir sind der Meinung, dass sich alle Alternativvorschläge (Joachim Stünker [SPD]: So ist es! – Zuruf des an der Forderung aus Art. 28 Abs. 2 Satz 3 des Grundge- Abg. Gerhard Schüßler [FDP]) setzes orientieren müssen, der eine Kommunalsteuer in 21114 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 213. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Januar 2002

Horst Schild (A) Form einer wirtschaftsbezogenen Steuer mit Hebesatz- Sie wissen sehr genau, dass wir eine nachhaltige Reform (C) recht vorschreibt. Das ist unsere Position. Andernfalls des bundesstaatlichen Finanzausgleichs brauchen, und zerschneiden wir das Band zwischen den Kommunen und zwar auf gar keinen Fall ohne Gemeindefinanzreform. den örtlichen Betrieben. Diese hat der Herr Finanzminister noch im vorigen Jahr Wir müssen berücksichtigen – das sage ich ganz deut- abgelehnt; das wollen wir nicht vergessen. lich –, welche Aufgaben die Gemeinden haben. Hierzu Ihnen ist darüber hinaus noch immer nicht klar, dass zählt der für die Kommunen besonders bedrückende Be- die Gewerbesteuer eine wettbewerbsfeindliche Steuer ist, reich der Sozialhilfe. Auch das muss im Mittelpunkt der die es in keinem anderen europäischen Land gibt. Erörterung dieser Kommission stehen. Die Gemeinde- (Joachim Poß [SPD]: Die haben aber andere, finanzreform wird sich also nicht nur mit dem Thema der vergleichbare Steuern!) Gewerbesteuer, sondern auch mit den Ausgaben der Kom- munen befassen müssen. – Herr Poß, dass Sie eine andere Meinung haben, wundert niemanden. Ich will Ihnen aber sagen: Ihre eigenen Leute, Aufgabenerfüllung und Finanzierung müssen wie- wo auch immer Sie sie heute suchen, in Nordrhein-West- der in Einklang miteinander gebracht werden; da stimmen falen, beim Deutschen Städtetag oder bei den Oberbür- wir vielem, was heute gesagt wurde, zu. Kommunale Ent- germeistern, werden Ihnen erklären, dass die Gewerbe- scheidungsspielräume müssen erweitert werden. Wir wer- steuer weg muss. den in der nächsten Wahlperiode eine seriöse Gemeinde- finanzreform verabschieden. (Joachim Poß [SPD]: Die Spitzenverbände haben vor 14 Tagen das Gegenteil beschlos- (Hans Michelbach [CDU/CSU]: Das ist ja sen!) schon wieder eine Drohung! – Peter Götz [CDU/CSU]: Warum habt ihr das denn nicht in Nur Sie haben das noch nicht begriffen. Sie stellen noch dieser Legislaturperiode gemacht?) Anträge, um diese Gewerbesteuer zu revitalisieren. Das ist das Letzte, was wir gebrauchen können. – Herr Götz, das habe ich doch bereits gesagt. Ich habe den Eindruck, dass Sie das nicht ganz verstanden haben. Wir brauchen einen gesamtstaatlichen Finanzaus- Ich wiederhole es: Durch die Klage insbesondere der süd- gleich; denn die Entwicklung der Finanzbeziehungen deutschen Länder vor dem Bundesverfassungsgericht ge- zwischen Bund und Ländern versteht im Moment kein gen den bundesstaatlichen Finanzausgleich ist es zu einer Mensch mehr. Oder können Sie die nachvollziehen? Verzögerung gekommen. Sie konnte nicht aufgehoben Dafür braucht man schon ein finanzwissenschaftliches werden, bevor wir als Grundgerüst für die zukünftige Ge- Studium. Und Sie wollen mir weismachen, dass das so (B) meindefinanzreform einen bundesstaatlichen Finanzaus- bleiben kann? Darüber sollten Sie einmal nachdenken, an- (D) gleich schaffen konnten, den wir nun haben. Darauf wer- statt hier so zu polemisieren. den wir aufbauen. (Beifall bei der SPD) Dr. Hermann Otto Solms(FDP): Herr Kollege Schild, wollen Sie erwidern? – Bitte schön. Wir werden den Gemeinden hinsichtlich ihrer Finanzen dauerhaft eine verlässliche Basis geben und die kommu- nale Selbstverantwortung stärken. Horst Schild (SPD): Herr Kollege Schüßler, der Deut- sche Bundestag und der Bundesrat haben nahezu einstim- Ich hoffe, meine Damen und Herren, dass wir gemein- mig – nur im Deutschen Bundestag gegen Ihre Stimmen – sam zu tragfähigen Ergebnissen kommen werden. Wir alle im letzten Jahr einen bundesstaatlichen Finanzausgleich wissen: Für eine Gemeindefinanzreform brauchen wir die beschlossen. Zusammenarbeit von Bund, Ländern und Kommunen. Deshalb biete ich Ihnen heute die Zusammenarbeit an. (Gerhard Schüßler [FDP]: Das war doch eine Scheinveranstaltung! – Hans Michelbach [CDU/ Danke schön. CSU]: Aber ohne Gemeindefinanzreform!) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten – Herr Kollege Michelbach, ich habe vorhin gesagt, dass des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) das eine wesentliche Voraussetzung für eine Gemeinde- finanzreform darstellt. (FDP): Zu einer Kurzin- Dr. Hermann Otto Solms Herr Kollege Schüßler, dafür, dass Sie vieles nicht ver- tervention erteile ich dem Kollegen Gerhard Schüßler von standen haben, der FDP-Fraktion das Wort. (Lachen des Abg. Gerhard Schüßler [FDP]) Gerhard Schüßler (FDP): Herr Kollege Schild, es ist bin ich nicht verantwortlich. Aber die Bundesländer, in immer interessant, zu erleben, dass Sie – das wird beidenen die FDP an der Regierung beteiligt war, haben die- Ihren Ausführungen deutlich – nie den gesamtstaatlichen sem bundesstaatlichen Finanzausgleich zugestimmt. Finanzausgleich in Ihre Gedanken einbeziehen. Was die Gewerbesteuer anbelangt, habe ich nicht ge- (Zuruf von der SPD: Sie haben wohl nicht sagt, dass das so bleiben muss. Ich habe Ihnen, Herr Kol- zugehört!) lege Schüßler, aber den Vorwurf gemacht, dass Sie eine Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 213. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Januar 2002 21115

Horst Schild (A) Forderung erheben, ohne eine Alternative auf den Tisch Das ist der Niedergang in der Wirtschaft und in den Kom- (C) zu legen. munen. Letzten Endes können wir so nicht weitermachen. (Gerhard Schüßler [FDP]: Stimmt doch gar Der Leistungsverlust schadet dem Gemeinwohl und nicht!) der Zukunft. Im vierten Quartal 2001 hatten wir beim Bruttoinlandsprodukt wiederum ein Minus zu verzeich- Sie fordern die Abschaffung der Gewerbesteuer, ohne zu nen. Damit sind wir das einzige Land in der Europäischen sagen, wie ein Volumen von 50 Milliarden DM respektive Union, das akut in der Rezession steht. Ein Abstieg auf al- 25 Milliarden Euro kompensiert werden soll. Alternativen len Ebenen – das ist die Situation, die wir heute haben. zu finden wird Gegenstand der Arbeit dieser Kommission sein. Aber ein politischer Schnellschuss – die Abschaf- (Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf von der fung der Gewerbesteuer – wird den Gemeinden nicht hel- CDU/CSU: Pfui Teufel!) fen, vor allem nicht, wenn dies gegen den Willen der kom- Meine Damen und Herren, die nächste Blamage steht munalen Spitzenverbände beschlossen wird. leider bevor. Deutschland hat die höchste jährliche Neu- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ verschuldung des öffentlichen Gesamthaushaltes, ge- DIE GRÜNEN) messen als Anteil am Bruttoinlandsprodukt. Deutschland steht kurz davor, wegen seines hohen Haushaltsdefizits die rote Karte aus Brüssel zu erhalten. Der Verstoß gegen Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Wort den von durchgesetzten Stabilitätspakt ist hat jetzt der Kollege Hans Michelbach von der CDU/ der Offenbarungseid dieser Bundesregierung und des CSU-Fraktion. Bundesfinanzministers im Besonderen. (Beifall bei der CDU/CSU – Nicolette Kressl Hans Michelbach (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr [SPD]: Was sagt Herr Merz?) Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! „Wirtschaft ist nicht alles, aber alles ist nichts ohne Wirt- Die Kommission ist zu Recht besorgt, weil der Bun- schaft.“ Dieses Grundprinzip von Ludwig Erhard wurde desfinanzminister seine vollmundig angekündigten Spar- von Rot-Grün außer Kraft gesetzt. Die verfehlte Finanz- ziele deutlich verfehlt. Das gesamtstaatliche deutsche De- und Wirtschaftspolitik dieser Bundesregierung hat in den fizit liegt bei 2,6 Prozent des BIP, das sind 1,1 Prozent letzten drei Jahren dazu geführt, dass sich unsere Kom- mehr, als ursprünglich in Brüssel gemeldet. munen in einer kritischen Finanzsituation befinden und (Joachim Poß [SPD]: Das wollen Sie noch er- unsere Wirtschaft in eine Rezession geraten ist. Wachs- höhen! Herr Merz hat gesagt, wir sollen das bis tumseinbruch, hohe Arbeitslosigkeit, Steuergeschenke 3 Prozent ausnutzen!) (B) und Steuerwillkür sind die Ursachen für den Niedergang (D) der Kommunalfinanzen. Herr Eichel lässt sich von Ihnen als selbst ernannter Spar- kommissar feiern. In Wahrheit wird auf Kosten der Kom- Wirtschaftliche Dynamik ist die Grundlage für Arbeits- munen, Länder und Sozialversicherungen gespart. Die plätze, Steueraufkommen und Leistungsfähigkeit der so- Neuverschuldung des öffentlichen Gesamthaushaltes ex- zialen Sicherungssysteme. Diese können nur gedeihen, plodiert. Das sind die Tatsachen. wenn es bessere Rahmenbedingungen für Wirtschaft und Kommunen in unserem Land gibt. Unter Rot-Grün ist ge- (Beifall bei der CDU/CSU) nau das Gegenteil passiert. Die Bilanz in der Wirtschafts-, Gleichzeitig – das ist besonders hervorzuheben – ma- Finanz- und Sozialpolitik von Rot-Grün ist miserabel. Die chen Sie große Steuergeschenke Aktiengesell- an Folge ist: Die Zahl der Unternehmensgründungen ist schaften. rückläufig. Die Firmenpleiten haben um 19 Prozent auf die Rekordzahl von 34 000 zugenommen. Rot-Grün hat (Joachim Poß [SPD]: Was?) Deutschland zum Absteiger in der Europaliga gemacht. Das ist Ihre Politik, die das Großkapital unterstützt. Rot-Grün hat die Leistungsfähigkeit von Wirtschaft und Kommunen wesentlich beschwert. (Joachim Poß [SPD]: Ach! Kommen Sie mal in den Vermittlungsausschuss!) (Beifall bei der CDU/CSU) Der normale Steuerzahler steht dieser Ungerechtigkeit Rot-Grün ist damit ein Belastungsprogramm für Deutsch- fassungslos gegenüber. Große Aktiengesellschaften ge- land. nießen bei Ihnen die Freiheit zur Selbstbedienung. Das ist (Beifall bei der CDU/CSU) die Situation, die wir haben. Deutschland ist mit 0,6 Prozent Wachstum Schlusslicht (Beifall bei der CDU/CSU) der Europäischen Union. 1 Prozent Wachstumsverlust Ein Staatssekretär wird bei der Post AG in den Auf- hat die öffentliche Hand rund 8 Milliarden Euro gekostet. sichtsrat geholt. Das kostet den Staat 1,4 Milliarden Um- Die Arbeitslosenzahlen steigen unaufhaltsam. Jeweils satzsteuer. 100 000 Arbeitslose kosten mehr als 1,5 Milliarden Euro. Ausgehend von 3,5 Millionen Arbeitslosen – das ist die Pro- (Joachim Poß [SPD]: Gehen Sie doch zur PDS!) gnose Ihres Bundeskanzlers – wird es zu 12 Milliarden Euro Ein Chemieriese schickt den Leiter der Steuerabteilung als Mehrbelastung für die öffentliche Hand kommen. Staatssekretär in das Bundesfinanzministerium. Ergebnis: (Zuruf von der CDU/CSU: Hört! Hört!) mittelstandsfeindliche Steuerpolitik, große Entlastung der 21116 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 213. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Januar 2002

Hans Michelbach (A) Kapitalgesellschaften durch die Senkung der Körper-den und Deutschland wieder nach vorne bringen. Der(C) schaftsteuer, was eine Reduzierung des Körperschaftsteu- Abstieg, der unter Rot-Grün stattgefunden hat, muss ge- eraufkommens von 45 Milliarden DM auf 6 Milliar- stoppt werden. Deutschland braucht wieder mehr Wachs- den DM zur Folge hat. Das ist eine Politik für die Bosse, tum und Beschäftigung, eine neue Steuerreform, eine Ge- das ist eine ungerechte Politik, eine mittelstandsfeindliche meindefinanzreform, die zielführend und gerecht ist, und letzten Endes auch eine kommunalfeindliche Politik. sowie Steuergerechtigkeit und Steuervereinfachungen für die gesamte Bürgerschaft, den gesamten Mittelstand und (Beifall bei der CDU/CSU) nicht nur für einige wenige Großkonzerne, deren Bosse Weitere Hiobsbotschaften werden folgen, wenn die letzten Endes in Gesprächen beim Bundeskanzler, beim ordnungspolitische Irrfahrt kein Ende hat. Die FaktenGenossen der Bosse, Gehör finden. sind: Arbeitnehmer und Mittelstand zahlen nicht zu we- Ich möchte Ihnen deutlich machen, dass Sie für eine nig, sondern zu viel Steuern. Die Einkommensbelas-gerechte Entwicklung sorgen müssen. Ihre Maßnahmen tungsquote ist mit 54,5 Prozent für die Bürger nach wie im Bereich der Kommunalfinanzen, der Wirtschafts- und vor sehr hoch. Gleichzeitig ist der Lebensnerv der Kom- Finanzpolitik stellen eine ordnungspolitische Irrfahrt dar, munen für eine ausreichende Finanzkraft abgeschnitten. die zu Einseitigkeiten und Ungerechtigkeiten führt. Die kommunalen Investitionen liegen heute um ein Drit- tel unter dem Niveau von 1992. (Dr. Antje Vollmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Runterkommen!) (Zuruf von der CDU/CSU: Hört! Hört!) Beenden Sie diese Politik! Der Wähler wird Ihnen am Das muss man sich einmal vor Augen halten! Diese Zah- 22. September dafür die Quittung geben. len sprechen Bände über die rot-grüne Kommunalfeind- lichkeit. Viele Städte befinden sich durch dramatische Fi- (Beifall bei der CDU/CSU) nanzverschiebungen und Steuerverluste zurzeit in einer sehr ernsten Finanzkrise, aus der sie sich selbst nicht mehr Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:Ich befreien können. Ihre politischen Entscheidungen sind die schließe die Aussprache. Ursache dafür, dass in den Kommunen die Abwärtsspirale von sinkenden Einnahmen, wachsenden Aufgaben und Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf steigenden Defiziten angetrieben wird. den Drucksachen 14/7442, 14/7787, 14/7326 und 14/7993 an die in der Tagesordnung aufgeführten Aus- Mit Schönredereien, Durchhalteparolen und hekti-schüsse vorgeschlagen. Die Vorlage auf Drucksache schem Aktionismus wie zum Beispiel der schnellen Grün- 14/8025 soll zur federführenden Beratung an den Finanz- dung eines Arbeitskreises wollen Sie sich durchmogeln. ausschuss und zur Mitberatung an den Innenausschuss (B) Durch das Einsetzen einer Kommission zur Reform der überwiesen werden. Gibt es dazu anderweitige Vor-(D) Gemeindefinanzen wollen Sie jetzt noch Aktionismus schläge? – Das ist nicht der Fall. Dann sind die Überwei- darstellen – viel zu spät! Sie haben es versäumt, parallel sungen so beschlossen. zu Steuerreform und Länderfinanzausgleich eine Ge- meindefinanzreform durchzuführen. Sie haben Reformen Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussemp- verweigert und deshalb müssen jetzt die Kommunen und fehlung des Finanzausschusses auf Drucksache 14/7424 letzten Endes auch die Bürger die Zeche zahlen. zu dem Antrag der Fraktion der CDU/CSU mit dem Titel „Umsetzung des Versprechens der Bundesregierung zur (Beifall bei der CDU/CSU – Peter Rauen Stärkung der Kommunalfinanzen“. Der Ausschuss emp- [CDU/CSU]: Die haben die Steuerreform in fiehlt, den Antrag auf Drucksache 14/6163 abzulehnen. den Sand gesetzt!) Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer Der Gipfel der Kommunalfeindlichkeit aber ist die Er- stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschluss- höhung der Gewerbesteuerumlage. Das ist ein Anschlag empfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen auf die kommunale Selbstverwaltung und nichts anderes. gegen die Stimmen der Fraktionen von CDU/CSU und FDP und bei Enthaltung der PDS-Fraktion angenommen. (Beifall bei der CDU/CSU) Ich zeige Ihnen am Beispiel meiner Heimat einmal, wie Ich rufe den Tagesordnungspunkt 18 auf: die Kommunen dadurch unter Druck geraten: Die Stadt Zweite und dritte Beratung des von der Bundes- Coburg muss 980 000 Euro mehr abgeben, die Stadt Neu- regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes stadt 700 000 Euro, die Stadt Rödental 350 000 Euro, die zur Stärkung der vertraglichen Stellung von Stadt Kronach 260 000 Euro. Die Landeshauptstadt Mün- Urhebern und ausübenden Künstlern chen muss durch Ihre Erhöhung der Gewerbesteuerum- – Drucksache 14/7564 – lage 32 Millionen Euro mehr abgeben. Diese Beträge feh- len vor Ort für Aufträge, für Investitionen und zur (Erste Beratung 205. Sitzung) Sicherung der Arbeitsplätze. Die Arbeitslosigkeit, die Zweite und dritte Beratung des von den Abgeord- letzten Endes Sie zu verantworten haben, ist hausge- neten Alfred Hartenbach, Hermann Bachmaier, macht! , weiteren Abgeordneten und der Fraktion der SPD sowie den Abgeordneten Volker (Beifall bei der CDU/CSU) Beck (Köln), Grietje Bettin, Rita Grießhaber, wei- Meine Damen und Herren, die CDU/CSU wird im teren Abgeordneten und der Fraktion des Herbst den Abstieg Deutschlands unter Rot-Grün been- BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 213. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Januar 2002 21117

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms (A) Entwurfs eines Gesetzes zur Stärkung der ver- vieler Fachleute und Experten in diesen Prozess denke.(C) traglichen Stellung von Urhebern und ausüben- Manchmal hatte ich allerdings das Gefühl, dass sich einige den Künstlern in der Opposition zum parlamentarischen Büchsenspanner – Drucksache 14/6433 – gewisser Lobbyistengruppen haben degradieren lassen. (Erste Beratung 179. Sitzung) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsaus- schusses Meine Damen und Herren, Ziel unseres Gesetzes ist (6. Ausschuss) es, zu einem fairenInteressenausgleich zwischen Urhebern und Verwertern zu kommen und strukturelle – Drucksache 14/8058 – Ungleichheiten, die zweifelsohne vorhanden sind, zu be- Berichterstattung: seitigen. Wenn man es politisch auf den Punkt bringt, Abgeordnete Dirk Manzewski heißt das schlicht und einfach: Wir wollen die Stellung der Dr. Norbert Röttgen Urheber verbessern. Dr. Antje Vollmer (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Rainer Funke DIE GRÜNEN) Dr. Evelyn Kenzler Wie nötig es ist, die Stellung der Urheber zu verbessern, Es liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion der PDS muss ich an dieser Stelle und vor denen, die hier sitzen, vor. nicht wiederholen. Wir haben das in den Anhörungen Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die gehört. Übrigens fand ich eine Formulierung eines Über- Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. – Ich höre setzers in der Anhörung ziemlich überzeugend, der das keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Verhältnis zwischen Urhebern und Verwertern bildlich dargestellt hat. Er hat es das „System des freien Fuchses Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat der im freien Hühnerstall“ genannt. Ich glaube, das gibt die Kollege Eckhardt Barthel von der SPD-Fraktion das Wort. Situation ziemlich gut wieder. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ (Berlin) (SPD): Meine Damen und Eckhardt Barthel DIE GRÜNEN – Alfred Hartenbach [SPD]: Ist Herren! Seit 1965, seit Verabschiedung des Urhebergeset- der Fuchs rot, Herr Barthel?) zes, steht ein Thema immer wieder auf der Agenda, näm- lich, einen fairen Ausgleich zwischen Urhebern und Ver- Auf diesen Gesetzgebungsprozess ist massiv Einfluss wertern zu finden. Ich möchte sie als Partner bezeichnen, genommen worden. Ich sage: Das ist in Ordnung. An der (B) denn es sind in der Tat Partner, weil sie beide voneinander Form der Einflussnahme kann man allerdings schon er-(D) abhängig sind. Die Verhandlungen dauerten sehr lange kennen, wie groß das Ungleichgewicht zwischen Verwer- und es waren viele Anhörungen und Expertengespräche tern und Urhebern ist. Von den Urhebern, Übersetzern etc. sowie Berichterstattergespräche nötig, um zu dem Ergeb- haben wir Faxe oder E-Mails bekommen mit dem Inhalt: nis zu kommen, das wir Ihnen heute vorlegen. „Macht weiter, das ist der richtige Weg.“ Von der Verwer- terseite dagegen kamen ganzseitige Polemiken in den Zei- Es hat in diesem langen Prozess natürlich viele heftige tungen, die ein Normalsterblicher gar nicht bezahlen kann. Auseinandersetzungen gegeben, auch zwischen der Re- gierungskoalition und der Opposition. Wenn ich mir das (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ aber im Nachhinein anschaue, habe ich den Eindruck, DIE GRÜNEN – Alfred Hartenbach [SPD]: Da dass die Einbeziehung der Opposition in diesen Prozess sieht man mal, wie viel Geld die übrig haben!) fast lehrbuchhaft genannt werden kann. Meine Damen und Herren, in diesem Prozess ist es (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten auch zu Veränderungen des ursprünglichen Professoren- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – entwurfs, wie es damals hieß, gekommen. Ich denke hier Dr. Norbert Lammert [CDU/CSU]: Das können zum Beispiel an den Filmbereich, Herr Neumann. Sie doch nicht ernst meinen!) (Bernd Neumann [Bremen] [CDU/CSU]: Den würde – Ich meine das sehr ernst, denn ich habe selten so viele ich aber an Ihrer Stelle lieber weglassen!) Informationen, auch von der Regierungsseite, übermittelt – Nein, nein. Ich denke an die Frage der Rückwirkung des bekommen, wie das bei diesem Gesetz der Fall war. Dass Auskunftsanspruchs etc. Sie die Gelegenheit nicht immer wahrgenommen haben, meine Damen und Herren von der Opposition, ist Ihr Pro- Viele Änderungen sind mit dem Ziel eines Interessen- blem. In der vorigen Woche haben wir beispielsweise zu ausgleichs vorgenommen worden. Trotzdem – und darauf Berichterstattergesprächen eingeladen; dazu sind Sielege ich den allergrößten Wert – haben wir die Essentials, nicht einmal erschienen. die wir uns für die Reform des Gesetzes vorgenommen haben, erhalten. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Joachim Stünker [SPD]: So (Dr. [CDU/CSU]: Da ist nichts sind sie! Das kennen wir doch!) übrig geblieben!) Ich meine schon, dass diese Beratung wirklich hervor- Gestatten Sie mir, dass ich die drei Punkte noch einmal ragend gelaufen ist, gerade wenn ich an die Einbeziehung nenne. Die Essentials sind erstens der gesetzliche Anspruch 21118 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 213. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Januar 2002

Eckhardt Barthel (Berlin) (A) auf angemessene Vergütung, zweitens die Erstellung ge- Titel der Presseerklärung der Gewerkschaft Verdi lautete: (C) meinsamer Vergütungsregeln mit Schlichtungsverfahren „Bundesregierung als Bettvorleger gelandet.“ Beide ha- und drittens der Fairnessausgleich bei Bestsellererfolgen. ben Recht. Diese Hauptansätze haben wir in die Form, die heute zur (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Antje Vollmer Abstimmung steht, gießen können. [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum regen Ich weiß, zum Schluss ist noch etwas Wasser in den Sie sich denn dann so auf?) Wein gegossen worden, Frau Ministerin, Sie sind in Ihrer gut dreijährigen (Dr. Norbert Röttgen [CDU/CSU]: Da war ja Amtszeit inzwischen mit dem zweiten großen und auch nur Sprudelwasser drin! – [CDU/ mit einem persönlichen Anspruch verfolgten Reform- CSU]: Vorher war es Essig!) vorhaben gescheitert: zuerst mit der Justizreform und jetzt mit der Reform des Urhebervertragsrechts. Sie sind ge- indem – daraus mache ich keinen Hehl – Bindendes zu- scheitert. mindest partiell durch das Prinzip der Freiwilligkeit er- setzt worden ist. Das war ein Angebot der Verwerter. Ich (Joachim Stünker [SPD]: Das ist ein richtig po- gestehe, meine Kolleginnen und Kollegen und ich haben pulistischer Demagoge! Das ist unglaublich!) dem nur mit der Faust in der Tasche zugestimmt. Nun gilt Worin liegt eigentlich das Scheitern der Justizministe- es zu prüfen, ob dieses Angebot der Freiwilligkeit in der rin? Was macht es aus? Es liegt nicht darin, dass das Ge- Praxis standhält. setz am Ende anders aussieht, als es eingebracht wurde. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Das kommt häufiger vor. Dr. Heinrich Fink [PDS]) (Eckhardt Barthel [Berlin] [SPD]: Gehen Sie Wenn das nicht der Fall ist, müssen wir dieses Gesetz in nach Qualität, nicht nach Quantität!) der Tat noch einmal auf die Tagesordnung setzen. Das Scheitern der Justizministerin liegt darin, dass sie (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten zwar das Gesetz geändert hat, aber nicht ihre Meinung, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der nicht ihren Standpunkt. PDS – Norbert Geis [CDU/CSU]: Dann stim- (Lachen und Beifall der Bundesministerin men wir dagegen!) Dr. Herta Däubler-Gmelin) Unter dem Strich: Dieses Gesetz war überfällig. Übri- Das ist gar nicht mehr Ihre Politik, die Sie dort betrei- gens wird gerade in der fortschreitenden Wissensgesell- ben, nicht mehr Ihre Handschrift. Sie machen Politik und schaft die Bedeutung von Urhebern und Kreativen immer Gesetzentwürfe auf Anweisung aus dem Kanzleramt. wichtiger. Deshalb muss auch deren Stellung verbessert (B) Das, was Sie betreiben, ist doch nicht mehr Ihre Rechts- (D) werden. Das erreichen wir mit dem vorliegenden Gesetz- politik. entwurf. Ich glaube, er ist ein Erfolg für unsere Kulturpo- litik. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Alfred Hartenbach [SPD]: Sie machen Polemik Ich bedanke mich. auf Anweisung von Herrn Stoiber!) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Sie sind in der Rechtspolitik entmachtet worden DIE GRÜNEN) (Dr. Herta Däubler-Gmelin, Bundesministerin: „Entmannt“ heißt das!) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Norbert Röttgen von und der müssen noch die abendlichen Anweisungen des CDU/CSU-Fraktion. Kanzlers entgegennehmen. Dieses Gesetz wird Ihnen auf- gezwungen. Dr. Norbert Röttgen (CDU/CSU): Herr Präsident! (Alfred Hartenbach [SPD]: Zur Sache, Meine sehr geehrten Damen und Herren! Fast zwei Jahre Schätzchen!) lang hat die Bundesjustizministerin die Reform des Ur- Sie stellen heute etwas vor, zu dem Sie gar nicht mehr hebervertragsrechts als ideologischen Kampf geführt. stehen. Und – weil der Protest der Regierungsfraktions- (Widerspruch bei der SPD und dem BÜND- mitglieder kommt – nebenbei bemerkt: Ihr Versagen in NIS 90/DIE GRÜNEN) der Rechtspolitik liegt nicht darin, dass Sie Ihre Meinun- gen wechseln. Ihr Versagen liegt darin, dass Sie schon gar Sie, Frau Ministerin, haben diesen Kampf heute auf der keine Meinung mehr haben. ganzen Linie und ganz persönlich verloren. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – (Beifall bei der CDU/CSU) Lachen bei Abgeordneten der SPD) Von dem, was Sie wollten, ist nichts mehr übrig geblie- Sie sind doch jeden Tag zu einer neuen Meinung bereit. ben. Sie haben doch alles vertreten. (Zuruf von der CDU/CSU: Zum Glück!) (Joachim Stünker [SPD]: Sie haben nur alte Ka- „Die Revision des Urheberrechts ist bei Null ange- mellen! Drei Jahre lang haben Sie nur alte Ka- kommen“, titelte gestern die „Süddeutsche Zeitung“. Der mellen vorgelegt! – Eckhardt Barthel [Berlin] Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 213. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Januar 2002 21119

Dr. Norbert Röttgen (A) [SPD]: Was ist denn Ihre Meinung? Sagen Sie kung der Vertragsfreiheit in einem Bereich, der von (C) es doch einmal!) kultureller Vielfalt, schöpferischen Beiträgen und Indivi- dualität geradezu geprägt ist, wollten Sie ein Nullacht- Bei dem Professorenentwurf waren Sie erst für 100 Pro- fünzehn-Muster einführen. zent, dann für 5 Prozent. Alles war gut. Sie haben jeden Tag eine neue Meinung. Sie sind flexibel und haben damit (Dr. Herta Däubler-Gmelin, Bundesministerin: kein Problem. Sie sind der willenlose verlängerte Arm der Keine Ahnung! Quatsch!) Regierung im Parlament. Sie nehmen hier eine Selbstent- Sie haben vorgeschlagen, den an solchen vertraglichen machtung vor, für die ich als Parlamentarier kein Ver- Beziehungen Beteiligten zwangsweise Schiedssprüche ständnis habe. aufzuoktroyieren. Sie wollten durch staatlichen Spruch Das Problem von Frau Däubler-Gmelin ist nicht, dass vertragliche Beziehungen festlegen lassen. Die kleinen sie keine Meinung hat. Frau Däubler-Gmelin hat eineund mittleren Verlage, kleinere Unternehmen – vor allem Meinung, aber als Ministerin hat sie damit immer ein Pro- auch linke, liberale Verlage – haben gesagt: Das ist für uns blem. existenzbedrohend. – Die Größeren dagegen haben ge- sagt: Wenn das kommt, sind wir international nicht mehr (Eckhardt Barthel [Berlin] [SPD]: Aber Ihre wettbewerbsfähig. Das war die Reaktion der gesamten be- wollen wir einmal hören!) troffenen Wirtschaft, der Kulturwirtschaft, der Werbe- Sie ist einerseits nicht bereit, ihre Meinung in einenwirtschaft und der Medienwirtschaft. Sie alle haben ge- konstruktiven Dialog einzuführen, andererseits aber nicht sagt: Dann können wir nicht mehr, dann gehen wir unter. in der Lage, ihre Meinung auch durchzusetzen. Aus die- Am wenigsten hätten Sie mit einer solchen Politik den ser Eigenart erwächst das Strickmuster der Rechtspolitik Autoren, den Urhebern, den Künstlern gedient. von Frau Däubler-Gmelin: (Dr. Herta Däubler-Gmelin, Bundesministerin: Am Anfang wird stets mit hohem Anspruch und vollem Ach, so ist das!) Elan ein großes Projekt verkündet. Der Glaube, dass es den Autoren erst dann richtig gut (Dr. Antje Vollmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- geht, wenn es den Verlagen und den Unternehmen richtig NEN]: So macht man das!) schlecht geht, war der Grundirrtum in Ihrem Ansatz. Und weil diese Projekte ebenso ideologiegetränkt wie (Beifall bei der CDU/CSU) praxisfern sind, treiben Sie regelmäßig die Beglückten Ih- rer Projekte auf die Barrikaden. Sie treiben sie zur Not- Genauso wie es keinem Arbeitnehmer gut gehen kann, wehr. Es finden ständig Kämpfe statt. wenn es dem Unternehmen schlecht geht, kann es auch (B) keinem Autor gut gehen, wenn er keinen Verlag findet,(D) (Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ weil die Verlage wirtschaftlich nicht erfolgreich sein kön- DIE GRÜNEN – Joachim Stünker [SPD]: nen. Rechtswidriger Angriff! Notwehr!) (Norbert Geis [CDU/CSU]: Oder wenn es nur Sie treffen stets auf geschlossene Gegenwehr der Betrof- noch Monopole gibt!) fenen, die Ihre Vorschläge ablehnen. In einer solchen At- mosphäre finden sachliche Gespräche nicht mehr statt; Das war der Grundirrtum Ihres Vorhabens. mit der Opposition schon gar nicht. Der Kampf hiergegen war erfolgreich. Es war ein (Beifall bei der CDU/CSU) Kampf, zu dem Sie immer gezwungen haben. Alle, aber auch sämtlich alle diese Giftzähne sind dem Gesetzent- Die Justizministerin will mit dem Kopf durch die Wand, wurf gezogen worden. verliert aber gleichzeitig immer mehr an Boden. Sie nervt damit den Kanzler, der sie auch regelmäßig im entschei- (Rainer Funke [FDP]: Gott sei Dank!) denden Augenblick im Regen stehen lässt. Am Ende geht All das, was Sie proklamiert haben, befindet sich heute es nur noch um die Gesichtswahrung der Ministerin. Das nicht mehr im Gesetzentwurf. ist das Strickmuster rot-grüner Rechtspolitik, das wir im- mer wieder verfolgen können. (Dr. Herta Däubler-Gmelin, Bundesministerin: Lesen kann er auch nicht! – Eckhardt Barthel (Beifall bei der CDU/CSU) [Berlin] [SPD]: Sie sollten ihn einmal lesen!) Nun könnte man sagen: Die Opposition mag sich da- Das ist Ihr inhaltliches Scheitern. rüber freuen, wenn die Justizministerin im Grunde gar nicht mehr für die Rechtspolitik zuständig ist und keine Der entstehende Schaden geht aber noch über die Sa- Politik mehr machen kann. che hinaus. Er betrifft auch das Gesetzgebungsverfahren. Bei diesem Thema, aber auch bei anderen Themen, haben (Dr. Herta Däubler-Gmelin, Bundesministerin: wir gerade in den letzten Tagen, Wochen und Monaten ein Sie sind ja nicht einmal dazu fähig!) Gesetzgebungsverfahren erlebt, dass man nur mit dem Aber die Art, wie Sie Rechtspolitik machen, ist schonBegriff „Gesetzgebungschaos“ bezeichnen kann. Es war mehrfach von großem Schaden für unser Land gewesen. das reinste Chaos. Ich will es anhand des Urhebervertragsrechts belegen: (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Mit der in Ihrem Gesetzentwurf vorgesehenen Beschrän- Abg. Rainer Funke [FDP]) 21120 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 213. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Januar 2002

Dr. Norbert Röttgen (A) Nach den zahlreichen Änderungen im letzten halben Dr. Norbert Röttgen (CDU/CSU): Ich will in einem (C) Jahr kamen in dieser Woche substanzielleÄnderungen letzten Satz noch etwas zum Schaden sagen. Weil Sie den des Gesetzentwurfs mit täglicher Post. In der letzten Wo- ideologischen Kampf geführt haben, sind Sie bis zu den che, am 15. Januar, kamen solche Änderungen. Diese Problemen nicht vorgestoßen. Wir wissen doch, dass es wurden schon am nächsten Montag, dem 21. Januar, wie- Problemgruppen gibt: Übersetzer, freiberufliche und an- der verworfen. Am Dienstag, dem 22., gab es neue Post. dere. Für diese kommt nichts dabei heraus. Sie stehen weiterhin im Regen. Die Probleme sind nicht gelöst wor- (Alfred Hartenbach [SPD]: Kommen Sie doch den, weil Sie ideologisch gekämpft haben. endlich einmal zur Sache, Herr Röttgen!) (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE Eine Stunde vor der Rechtsausschusssitzung wurde auch GRÜNEN]: Stimmen Sie jetzt zu oder nicht? der Rest des verbliebenen Gesetzentwurfes verworfen. Sie müssen doch einmal einen Abschlusssatz Meine Damen und Herren, das ist das reinste Gesetz- sagen!) gebungschaos. Meine letzte Bemerkung: Es ist den Oppositionsfrak- Ihre Abgeordneten nicken unterdessen alles ab. Mein tionen gelungen, Schlimmstes für die Betroffenen zu ver- lieber Herr Barthel, noch am Dienstag haben Sie im Kul- hindern. Wir haben mehr erreicht, als eine Opposition ei- turausschuss für etwas ganz anderes als das, für das Sie gentlich erreichen kann. Mit dem Ergebnis kann man heute stimmen werden, gestimmt. Das macht doch die leben; es wurde ein Interessenausgleich gefunden. Absurdität Ihres Verhaltens deutlich. (Lachen bei der SPD – Zurufe von der SPD: (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Ah!) In Ihrem Engagement ist nicht einmal ein Funke von Glaubwürdigkeit mehr vorhanden. Sie in Person und an- Herr Kol- dere Mitglieder des Kulturausschusses haben am Diens- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: lege, keine Debattenbeiträge mehr. Sie müssen zum tag für eine Vorlage gestimmt, die eine völlig andere ist Schluss kommen. als jene, für die Sie heute stimmen. Die Mitglieder des Rechtsausschusses haben auch für etwas anderes ge- stimmt. Sie stimmen immer für das, was von der Regie- Dr. Norbert Röttgen (CDU/CSU): Ich komme zum rung gerade vorgelegt wird. Schluss. – Sie müssen sich fragen, ob Sie zustimmen kön- nen. Wir machen deutlich, dass wir mit dieser Zustim- (Eckhardt Barthel [Berlin] [SPD]: Es ist doch mung das Gesetzgebungschaos nicht sanktionieren wol- normal, dass, wenn etwas Neues vorgelegt len (B) wird, man seine Meinung ändern kann! Was ist (D) denn Ihre Meinung?) (Lachen bei der SPD – Alfred Hartenbach [SPD]: Haben Sie überhaupt Charakter, Herr Glauben Sie eigentlich, dass Sie hier nur zum Abnicken Röttgen? – Hans-Christian Ströbele [BÜND- da sind? Bilden Sie sich doch mal eine Meinung und ver- NIS 90/DIE GRÜNEN]: Was ist mit den Gift- treten Sie diese auch gegenüber der Regierung. Sie sind zähnen?) doch Parlamentarier und keine Abnicker. und dass wir in der Rechtspolitik einen anderen Stil pfle- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Horst gen, nämlich eine klare Position und keine Konfrontation. Kubatschka [SPD]: Haben Sie das Gesetz gele- sen? – Eckhardt Barthel [Berlin] [SPD]: Sie sa- Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. gen kein Wort zum Inhalt!) (Beifall bei der CDU/CSU – Alfred Hartenbach – Ja, ich rede besonders über das Verfahren, weil uns das [SPD]: Das war eine hervorragende Bütten- beschwert; denn ein solches Chaos im Verfahren hat rede!) natürlich Auswirkungen auf die Qualität. Wer kann das, was Sie machen, denn noch übersehen? Sie können es Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Wort auch nicht. hat jetzt die Kollegin Dr. Antje Vollmer von Bündnis 90/ (Dirk Manzewski [SPD]: Ich kann es und Herr Die Grünen. Funke auch!) Sie übernehmen die volle Haftung für die Unüberseh- Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): barkeiten in diesem Gesetzentwurf. Diese Haftung tragen Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Sie, meine Damen und Herren. war wirklich eine merkwürdige Rede. (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Herr Kol- Wenn Sie zustimmen wollen, Herr Röttgen, warum sprei- lege Röttgen, kommen Sie bitte zum Schluss. zen Sie sich dann während Ihrer ganzen Redezeit? Warum reden Sie nicht zu der guten Sache selber? (Alfred Hartenbach [SPD]: Er soll erst einmal zur Sache kommen, Herr Präsident! – Joachim (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Stünker [SPD]: Das wird auch Zeit!) und bei der SPD) Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 213. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Januar 2002 21121

Dr. Antje Vollmer (A) Wenn der Entwurf ein „Nichts“ ist, warum ärgern Sie sich Die Verleger hatten die Möglichkeit, über ganzseitige (C) dann? Worüber zürnen Sie denn eigentlich? Anzeigen in Zeitungen und über Briefe an den Bundes- kanzler dem ganzen Land ihre Sicht der Dinge mitzutei- (Norbert Geis [CDU/CSU]: Über das Verfah- len. Die Verwerter haben uns Faxe und E-Mails geschickt. ren! Darüber muss man schon ein Wort verlie- Ich freue mich, dass Vertreter der Urheber auf der Tribüne ren!) sind und dieser Debatte zuhören. Wir wissen, dass dieser Zürnen Sie über einen parlamentarischen Prozess, beiProzess auch ihnen viel zugemutet hat. dem es Veränderungen gegeben hat? Das ist doch genau Es war – das hat Eckhardt Barthel richtig gesagt – wie das, worauf ein Parlament stolz sein kann. Ich verstehe den Sinn Ihrer Rede nicht. ein Kampf der Füchse gegen die Hühnchen oder wie David gegen Goliath. Mit dem Urhebervertragsgesetz (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN wird den Urhebern nun zum ersten Mal ein gesetzlicher und bei der SPD – Norbert Geis [CDU/CSU]: Anspruch eingeräumt, eine angemessene Vergütung von Es kommt auf das Wie an! Das wissen Sie ihren Vertragspartnern zu fordern. Das ist der ganz große doch!) Fortschritt. Gleichzeitig haben wir ein Schlichtungsver- Was machen wir mit diesem Gesetz? Seit über 35 Jah- fahren eingeführt, sodass sowohl Sachverstand als auch ren gibt es das Urhebergesetz. Seit über 35 Jahren ist klar, Marktkenntnisse in die Ergebnisse einfließen werden. dass die vertragliche Beziehung zwischen Urhebern und Dies geschieht deswegen, weil es eine gemeinsame Kultur- Verwertern neu geregelt werden muss. Das Bundesver- landschaft und einen gemeinsamen freien Raum von fassungsgericht hat in seinen Entscheidungen wiederholt Kreativität zu sichern gilt. darauf hingewiesen, dass zur Vertragsfreiheit ein Mindest- Nun ist in der letzten Phase gerade in Bezug auf das maß an Gleichgewicht, also ein Verhandeln auf gleicher Schlichtungsverfahren zur Besorgnis der Urheber eine Augenhöhe zwischen den verschiedenen Vertragspart- Änderung eingetreten. Ich finde, dass die Änderung, die nern gehört. wir hier vorgenommen haben, mit den Grundüberzeugun- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gen von Bündnis 90/Die Grünen durchaus übereinstimmt, und bei der SPD) nämlich dass gerade im Bereich von freier Kreativität Zwang kein geeignetes Mittel ist, um Veränderungen her- Genau dieses Gleichgewicht stellen wir heute her.beizuführen. Aber auch ich möchte unterstreichen: Die Nach Hunderten Stunden von Debatten müssen wir die- Freiwilligkeit muss auch eine Wirkung erzeugen. Wir sen Prozess in einer einzigen parlamentarischen Stunde werden wie die Kollegen der SPD und wie hoffentlich alle zusammenbinden. Es war wegen struktureller Unter-in diesem Hause darauf achten, dass beide Vertragspart- schiede ein komplizierter Prozess. Wir schaffen ein Ge- ner in diesem Schlichtungsverfahren freiwillig zu positi- (B) setz, das Schriftstellern, Journalisten, Übersetzern, Foto- ven Ergebnissen kommen; sonst werden wir – darauf ver- (D) grafen, Malern und Bildhauern einen gesetzlichenpflichten wir uns als Gesetzgeber schon heute – erneut Anspruch auf angemessene Vergütung verschaffen soll. tätig werden. Wir haben das in einer Atmosphäre von sehr konträren In- teressen getan: der Urheber auf der einen Seite und der (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Verwerter auf der anderen Seite. Dabei wissen wir sehr und bei der SPD) wohl, dass wir beide brauchen, damit es zu einer lebendi- Der dritte wichtige Punkt – neben dem Anspruch auf gen Kulturlandschaft kommen kann. angemessene Vergütung und dem Schiedsverfahren – ist Es gab verwickelte Debatten. Auch gab es ein Verfah- der neue Bestsellerparagraph. In der vorliegenden For- ren, das viel Energie und Mut gekostet hat. Es sprichtmulierung war der alte Bestsellerparagraph – das haben tatsächlich Bände – genau wie bei Ihrer heutigen Rede, auch alle Verwerter immer wieder gesagt – im Grunde ge- Herr Röttgen –, dass Sie sich in der entscheidenden Phase nommen ein zahnloser Tiger. Er führte nicht selten dazu, der Teilnahme an den Debatten einfach entzogen haben. dass die Urheber besonders erfolgreicher Werke im Streit Das verstehe ich nicht unter konstruktiver Oppositions- um eine dem Erfolg entsprechende Anhebung ihrer Ver- politik. gütung das gesamte erstrittene Geld durch die Prozesskos- ten wieder einbüßen mussten. Nur mit unserer Regelung (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN haben die Urheber von Bestsellern nun die reelle Chance, und bei der SPD – Dr. Norbert Röttgen an dem Erfolg ihrer Werke beteiligt zu werden. Dazu hat [CDU/CSU]: Sie haben sie doch zur Farce ge- es im Kern auch nie Widerspruch gegeben. macht! Das war eine Alibiveranstaltung!) Von Anfang an haben wir besonders um eine Sicht der Schwierig war aber auch, dass wir diese ganzen De- Dinge gekämpft, nämlich dass dieser Prozess nicht auf batten in einer Zeit führen mussten, die von Kampagnen Kosten der kleinen unabhängigen Verwerter vollzogen bestimmt war. Eckhardt Barthel hat schon darauf hinge- wird. Die Interessen der kleinen Verlage haben uns immer wiesen: Eigentlich haben diese Kampagnen selbst bewie- besonders am Herzen gelegen. Eine Schwächung gerade sen, was jedem einzelnen Urheber immer wieder passiert, dieser unabhängigen kleinen Verwerter hätte auch die nämlich dass er es in einem ganz ungleichen Verhältnis Chancen von jungen Autoren und ausübenden Künstlern mit einem viel stärkeren Vertragspartner zu tun hat. eingeschränkt. Denn diese finden in der Regel keine Partner (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN in den großen Verlagen. Sie brauchen die kleinen Verlage, und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der die das Risiko mit ihnen eingehen, und sie brauchen auch PDS) die Betreuung in Gesprächen mit diesen kleinen Verlagen. 21122 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 213. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Januar 2002

Dr. Antje Vollmer (A) Ich meine, indem wir deren Interessen berücksichtigt ha- leger und der Medienwirtschaft. Jetzt jedoch werden wir (C) ben, haben wir beiden geholfen – den jungen Autoren und dem Gesetzentwurf in der erheblich veränderten Form zu- diesen Verlagen. stimmen. Denn nach intensiven Beratungen und auch An- trägen meiner Fraktion konnte die einseitige Ausrichtung (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und Gewichtung zugunsten eines angemessenen Interes- und bei der SPD) senausgleichs verändert werden. Dabei wissen wir aber auch, dass deren Hauptbedrohung Das Prinzip der Vertragsfreiheit und der Vorrang des in der Konzentration des Verlagswesens liegt und nicht in Vertrages zwischen Urhebern und Verwertern konnte wie- dem, was wir heute vorhaben. Deswegen war es so wich- der eingefügt werden. tig, alle Argumente auszutauschen. Ich meine, was uns nun vorliegt, ist ein gelungener Kompromiss. (Beifall bei der FDP) An dieser Stelle möchte ich einer Frau besonders dan- Dabei ist insbesondere hervorzuheben, dass das Modell ken, von der ich weiß, dass ohne sie dieser Prozess nicht der Zwangsschlichtung, wie es in § 36 des Entwurfs vor- zustande gekommen wäre. Ich tue das nicht häufig. Aber gesehen war, beseitigt werden konnte. Das Schlichtungs- in diesem Fall, liebe Herta Däubler-Gmelin, muss man verfahren ist jetzt so gestaltet, dass die berechtigten In- wohl sagen, dass es bei all den vielen Veränderungen, die teressen aller Beteiligten berücksichtigt werden und der Sie hinter sich bringen mussten, Ihre Entschlossenheit, Vorrang der Privatautonomie anerkannt wird. In Überein- aber auch die Heiterkeit einer erfahrenen Politikerin stimmung mit dem Änderungsantrag, den die FDP im Rechtsausschuss gestellt hat, werden die Parteien frei da- (Lachen bei der CDU/CSU) rüber entscheiden können, ob sie sich dem Spruch der und Ihr unbeugsamer Wille waren, die dieses Vorhaben Schlichtungsstelle unterwerfen wollen und die gemeinsa- durch alle Prozesse getragen haben. men Vergütungsregeln akzeptieren oder aber ob sie dem Schlichterspruch widersprechen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Zuruf von der CDU/CSU) Die Konkretisierung hinsichtlich der Angemessenheit der Vergütung durch die Verbände der Urheber und die Es ist sicherlich allen Beteiligten bekannt, dass dies ein Verbände der Werknutzer erscheint uns gerade unter dem gelungenes Beispiel dafür war, dass man selbst bei größ- Gesichtspunkt des Subsidiaritätsprinzips richtig und tem Gegenwind in einer schwierigen Phase eines Wahl- wichtig, weil dadurch die Fachkunde der jeweils Betrof- jahres ein gutes Gesetz über alle Hürden bringen kann. fenen genutzt werden kann. Gegen das Konzept der ge- Deswegen sind wir wohl alle nach all diesen Stunden meinsamen Vergütungsregeln an sich ist vor diesem Hin- ziemlich froh. (B) tergrund deshalb auch nichts einzuwenden. (D) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Beifall bei der FDP) und bei der SPD – Zuruf von der CDU/CSU: Daran sollten Sie sich mal ein Beispiel nehmen, Die ursprünglich vorgesehene Rückwirkung um 20 Jah- an dieser Beständigkeit!) re und damit die rückwirkende Einwirkung auf beste- hende Verträge ist sinnvollerweise gestrichen worden. Für die Frage der Angemessenheit der Vergütung kommt es Das Wort Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: allein auf den Zeitpunkt des Vertragsabschlusses an. Eine hat jetzt der Kollege Rainer Funke von der FDP-Fraktion. nachträgliche Infragestellung des einmal Vereinbarten ist damit ausgeschlossen. Die FDP begrüßt ausdrücklich, Rainer Funke (FDP): Herr Präsident! Meine Damen dass die Bundesregierung hier von ihren neuen Ände- und Herren! Das Urheberrecht und darin insbesondere das rungsplänen aus der vergangenen Woche im Interesse der Urhebervertragsrecht ist in der medial immer weiter ver- Rechts- und der Kalkulationssicherheit schnell wieder netzten Gesellschaft immer wichtiger geworden und soll Abstand genommen hat. unter anderem einen angemessenen Interessenausgleich Überhaupt kann gesagt werden, dass die Grundkon- zwischen Urhebern und Verwertern herbeiführen. zeption des Gesetzes während der Beratungen im Aus- Für die FDP-Fraktion hat stets festgestanden, dass Ur- schuss sowie nach Rücksprache mit den Sachverstän- heberrechte Eigentumsrechte sind und demgemäß schon digen und den Vertretern der beteiligten Verbände grund- allein von der Verfassung her besonders zu schützen sind. legend überarbeitet worden ist. Wir glauben, dass das vor- Insoweit waren wir mit der Neufassung und Entwicklung liegende Gesetz nunmehr eine gute Grundlage für eine eines Urhebervertragsrechts durchaus einverstanden. Wir vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen den Urhebern haben uns deshalb frühzeitig und konstruktiv an der Aus- auf der einen Seite und den Nutzern und den Verwertern einandersetzung um dieses für Kultur, Wissenschaft und auf der anderen Seite ist. Es wird auch bei den Werknut- Wirtschaft in Deutschland gleichermaßen wichtige Ge- zern liegen, durch faire Vereinbarungen beispielsweise setzgebungsverfahren beteiligt. mit Übersetzern, Bildjournalisten und vergleichbaren Be- rufsgruppen einen angemessenen Interessenausgleich zu Dass wir zunächst dem von der Bundesjustizministerin erreichen. besonders begrüßten so genannten Professorenentwurf und auch ihrem eigenen späteren Entwurf nicht zustim- Wir wissen, dass das Urhebervertragsrecht nur die ge- men konnten, lag an der einseitigen Verschiebung der In- setzlichen Rahmenbedingungen festlegen kann, damit teressenlage zugunsten der Urheber und zulasten der Ver- zwischen den Urhebern auf der einen Seite und den Werk- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 213. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Januar 2002 21123

Rainer Funke (A) nutzern auf der anderen Seite vernünftige Regelungen ge- ihrer Existenzbedingungen zu gehen. Das war jetzt ein(C) funden werden. Ein Gesetz kann nicht alle einzelnen Ver- kleiner Schritt; nötig ist aber ein großer Schritt. tragsbedingungen, die die verschiedenen Künstler- und (Beifall bei der PDS) Urhebergruppen betreffen – Frau Dr. Vollmer hat zu Recht darauf hingewiesen –, umfassen. Das Gesetz muss nur Unsere Positionen und unsere Forderungen haben wir eine vernünftige Rechtsgrundlage für die Vertragsbedin- in einem Entschließungsantrag niedergelegt. Ich möchte gungen herstellen. Nur dort, wo es diese fairen Vereinba- Ihnen unsere Beweggründe dafür kurz erläutern. Meine rungen nicht gibt – das werden wir beobachten –, muss Fraktion hat die Gesetzesinitiative der Justizministerin der Gesetzgeber durch Gesetze eingreifen. Ich glaube, von Beginn an nachdrücklich unterstützt. Die erste Ge- dass dies in Zukunft nicht notwendig sein wird, weil der setzesfassung war für uns die beste. vorliegende Gesetzentwurf zum Urhebervertragsrecht eine gute Grundlage für eine vertrauensvolle Zusammen- Das wirtschaftliche Ungleichgewicht und die struktu- arbeit ist. relle Überlegenheit der Verwerter sind offensichtlich. Die Folge ist, dass viele der Kreativen – das Musterbei- Wir Freien Demokraten haben uns stets bemüht, beim spiel sind die literarischen Übersetzer – ihre Ansprüche Urheberrecht einen möglichst breiten Konsens im Bundes- auf eine angemessene Vergütung in den Vertragsverhand- tag herzustellen. Die Beratungen über die vorangegange- lungen gegenwärtig nicht durchsetzen können. In welcher nen Novellen haben das bewiesen. Ich bin froh, dass es uns prekären sozialen Situation sich die Mehrzahl der frei- auch diesmal gelungen ist, einen Kompromiss zu erzielen, beruflichen Künstlerinnen und Künstler, Publizistinnen auch wenn das Gesetz letztendlich maßgeblich – wie ich und Publizisten befindet, ist bekannt. Wir hatten dazu in meine: zum Vorteil von Urhebern und Verwertern – geän- der Fraktion eine Anhörung und sind intensiv darüber auf- dert worden ist. geklärt worden. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. Einen Ausgleich gestörter Vertragsparität zu erreichen (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie ist unserer Auffassung nach sowohl aus sozialen und kul- bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNIS- turellen wie auch aus wirtschaftlichen Gründen zwin- SES 90/DIE GRÜNEN) gend. Denn die Kulturwirtschaftlebt von den Krea- tiven. Eine erfolgreiche Medien- und Kulturindustrie ist auf dieses Potenzial angewiesen. Angemessene Existenz- Das Wort Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: bedingungen für schöpferische Arbeit zu gewährleisten hat jetzt der Kollege Dr. Heinrich Fink von der PDS-Frak- ist unverzichtbar und liegt auch im Interesse der Verwer- tion. ter. (B) Wenn die Vertreter der Medienwirtschaft nun ange-(D) Dr. Heinrich Fink (PDS): Sehr geehrter Herr Präsi- dent! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir entscheiden sichts des Reformprojektes den Untergang der Kultur des heute über das wichtigste kulturpolitische Reformvor- Abendlandes beschwören, erscheint dies nicht plausibel. haben in dieser Legislaturperiode. Es war ein hoch inter- Dass sie dazu ihre marktbeherrschende Stellung mit essanter Prozess. Herr Röttgen, Sie können es nicht leug- Anzeigenkampagnen in den Tageszeitungen und mit Ein- nen: Es hat doch auch Ihnen Spaß gemacht. blendungen in Fernsehsendungen missbrauchen, ist natürlich symptomatisch. Es hat leider Wirkung auf die (Dr. Norbert Röttgen [CDU/CSU]: Wieso sollte Regierung gezeigt. Demokratische Sozialisten allerdings ich keine Freude an meiner Tätigkeit haben? – lassen sich davon nicht beeinflussen. Alfred Hartenbach [SPD]: Er hatte eine freud- lose Jugend!) (Lachen des Abg. Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU] – Zuruf von der PDS: Was gibt es denn da zu Wir haben miteinander gerungen, um zu guten Ergebnis- lachen?) sen zu kommen. Dieser Prozess ist aber noch nicht zu Ende. Er muss weitergehen. Wir fragen vielmehr: Warum wehrt sich die Branche ei- gentlich so vehement gegen den Grundsatz eines An- Die Fraktion der PDS wird dem Gesetzentwurf zu-spruchs auf angemessene Vergütung, wenn dieser Grund- stimmen satz doch schon – so die Behauptung – in weiten Teilen (Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten durchgesetzt ist? der SPD) Vom ursprünglich vorgeschlagenen Konzept sind der trotz der beträchtlichen Abstriche, die die Bundesregie- Rechtsanspruch auf angemessene Vergütungund die rung im Prozess der Novellierung an ihrem Reform-gemeinsamen Vergütungsregeln geblieben. Das trägt zur projekt vorgenommen hat. Wir stimmen zu, weil der Ent- Stärkung der vertraglichen Stellung von Urhebern und wurf, so wie er jetzt ist, eine Verbesserung für die Urheber ausübenden Künstlern bei. Wie weit aber – das wird noch im Vergleich zu der derzeitigen Rechtslage bringt. zu beobachten sein – sind doch diese Kernregelungen zu- gunsten der Verwerter aufgeweicht? Wir kritisieren zugleich, dass die Bundesregierung dem Druck der Medienwirtschaft nachgab und Änderun- Eine Schlussbemerkung. In den Zeitungsannoncen der gen vornahm, die ihr eigenes Reformwerk konterkariert Kulturwirtschaft wird eine Bitte an die Abgeordneten des haben. Wir fordern die Bundesregierung auf, weitereBundestages geäußert: Sie sollten für Kreativität und Schritte zur Stärkung der Kreativen und zur Verbesserung Vielfalt in Deutschland stimmen. Genau das werde ich tun 21124 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 213. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Januar 2002

Dr. Heinrich Fink (A) und mit mir meine Kolleginnen und Kollegen in der Frak- turlandschaft in Deutschland und auch für die Bedeutung (C) tion. unserer Kulturnation außerordentlich schädlich sein kön- nen. (Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ NEN) DIE GRÜNEN) Wäre ich Urheberin oder Urheber, würde mich viel von Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Wort dem, was da einige Verwerter, ganz offensichtlich unter hat jetzt die Bundesministerin Dr. Herta Däubler-Gmelin. großem Beifall der CDU/CSU, verkündet haben, außer- ordentlich verletzt haben. Dr. Herta Däubler-Gmelin,Bundesministerin der (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Justiz (von der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- DIE GRÜNEN) NEN mit Beifall begrüßt): Sehr geehrter Herr Präsi- Seit 1965 – darauf ist hingewiesen worden – wurde den dent! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Kollege Urheberinnen und Urhebern, gerade auch den freiberuflich Röttgen, darf ich ein ganz kurzes persönliches Wort an Sie tätigen, versprochen, ihre rechtlichen Rahmenbedingun- richten? Ich danke Ihnen für diese bemerkenswerte Rede. gen zu verbessern. Aber auch in den 16 Jahren vor unserer Ich habe mich sehr darüber gefreut, übrigens nicht nur Übernahme der Regierungsverantwortung ist nichts pas- deswegen, weil ich sie jetzt schon zum fünften Mal höre, siert. Es ist auch zu Recht darauf hingewiesen worden, (Dr. Norbert Röttgen [CDU/CSU]: Wir sind ja dass sich in einigen Bereichen der Kulturwirtschaft ver- alle zufrieden!) nünftige Vorbilder der Kooperation entwickelt haben, die wir verwenden konnten – dafür sind wir dankbar –, in an- sondern auch deswegen, weil es inzwischen schon so eine deren aber Verhältnisse, die so einfach nicht hinnehmbar Art von Röttgen-Gesetz in diesem Haus gibt – seit Sie in sind. Wer diese Verhältnisse nicht im Einzelnen kennt, den der Opposition sind, stellen wir das immer häufiger fest –: haben jetzt wohl gerade die großen Anzeigen der Verwer- Je mehr Sie schimpfen, desto besser ist das Gesetz. ter in den letzten Monaten überzeugt. Man kann sich jetzt (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ gut vorstellen, wie sich ein Urheber gegenüber einer sol- DIE GRÜNEN) chen Medienmacht fühlen muss! Die Berechtigung seiner Forderungen ist, glaube ich, völlig klar und offensichtlich. Die Tatsache, dass Sie Ihre Rede diesmal dazu genutzt haben, um Ihre Zustimmung zu begründen, ist zumindest (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ originell DIE GRÜNEN) (B) (D) (Heiterkeit bei der SPD – Ich will aber trotzdem ein Beispiel nennen, das – viel- [CDU/CSU]: Halten Sie dann das Gesetz nicht leicht – auch die Kolleginnen und Kollegen von der für gut?) CDU/CSU dazu bewegt hat, noch einmal zu überlegen, ob sie unser Gesetz hier nicht doch ein bisschen mittragen und es erinnert mich ein bisschen an die Geschichte von können. Darüber, dass einige das tun, freue ich mich. dem Trittbrettfahrer, der, um sein Tun zu verbergen, hef- tig auf den Lokführer schimpft. Ihr Verhalten zeigt aber (Norbert Geis [CDU/CSU]: Wir tragen das auch, dass Sie offensichtlich dem Motto anhängen – liebe Gesetz mit, nicht nur ein bisschen!) Antje Vollmer, da müssen wir dem Herrn Röttgen viel- Die brillante deutsche Übersetzerin von Donna Leons leicht auch noch etwas Nachilfeunterricht geben –: beliebten Kriminalromanen, Monika Elwenspoek, ist lei- (Alfred Hartenbach [SPD]: Das hilft bei dem der viel zu früh verstorben, Ende des letzten Jahres. Ich nicht mehr!) kannte sie. Sie wohnte in Tübingen. Sie hat vor ihrem Tod in einem wirklich bitteren Interview mit dem „Schwäbi- „Jeder Erfolg hat viele Väter, aber keine Mütter.“ schen Tagblatt“ nochmals auf das hingewiesen, was die (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Kulturwirtschaft heute hoch qualifizierten Übersetze- DIE GRÜNEN – Dr. Norbert Röttgen [CDU/ rinnen und Übersetzern zumutet. CSU]: Da wundert mich nur, warum Sie zu- Das heißt: Die Vertragsparität, von der wir doch aus- stimmen!) gehen, gerade wenn wir den Grundsatz der Vertragsfrei- Liebe Kolleginnen und Kollegen, das war für mich wie- heit unterstützen, war nicht nur in diesem Einzelfall – so- der ein Erlebnis. gar bei dieser berühmten Übersetzerin – gestört, sondern auch in vielen anderen Einzelfällen, auch bei den Foto- Lassen Sie mich jetzt sehr deutlich sagen: Heute ist in journalisten und bei anderen der über 250 000 freiberuf- der Tat ein guter Tag für die Urheber. Viele Verbände der lichen Kreativen. Urheber sind heute hier vertreten und hören mit großer Ich darf eine ganz kleine Kritik an Ihrer Rede üben, die Aufmerksamkeit zu, wer was zu welchem Punkt zu sagen mir im Übrigen sehr gut gefallen hat, lieber Herr Röttgen: hat. Heute ist auch ein guter Tag für die Kulturwirtschaft. Sie haben in diesem Zusammenhang das Wort „Ideolo- Denn: Was wäre die eigentlich ohne die Urheber und auch gie“ verwendet. ohne die freiberuflichen Urheber? Ich sage das ganz be- wusst deswegen, weil es in den letzten Monaten Töne ge- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ geben hat, die für eine gedeihliche Entwicklung der Kul- DIE GRÜNEN) Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 213. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Januar 2002 21125

Bundesministerin Dr. Herta Däubler-Gmelin (A) Es gehört zu den verfassungsmäßigen Aufgaben unseres Wären wir, wie Sie das jetzt andeuten, gemeinsam daran- (C) Parlaments, Vertragsparität als Grundlage für die Ver- gegangen, hätten wir es vielleicht schon jetzt geschafft. tragsfreiheit ernst zu nehmen und da, wo es sie nicht (Norbert Geis [CDU/CSU]: Wir waren ja da- gibt, wieder herzustellen. Dieser Meinung war früher ei- gegen! – Alfred Hartenbach [SPD]: Geis, der gentlich auch die CDU/CSU. Sie sollten darüber nach- Rächer der Enterbten!) denken, warum Sie das heute nicht mehr tun. Wir tun das jetzt. – Ja, Sie sind auch jetzt noch dagegen und zugleich dafür. Das ist immer die bequemste Haltung für eine Opposition. Gegen Ihren Widerstand – auch wenn einige von Ihnen Machen Sie ruhig so weiter! jetzt mitmachen – haben wir in unserem Gesetz drei wich- tige Punkte durchgesetzt: Der erste ist der gesetzliche An- (Norbert Geis [CDU/CSU]: Wir waren für eine spruch auf eine angemessene Vergütung. Das ist wirk- vernünftige Regelung und Sie haben am lich vernünftig und gut. Zweitens sagen wir: Anders als Schluss der Vernunft zugestimmt!) bei Anwälten oder Architekten bestimmt nicht der Ge- Meine Damen und Herren, ein Gutes hat die Lage, in setzgeber, was angemessen ist; das soll vielmehr durch der wir jetzt sind: Wir haben gehört, dass viele Verleger, gemeinsame Vergütungsregeln der Branche selbst ge- übrigens auch solche, die über die Verwerter-Kampagne schehen. Das ist vernünftig. Der dritte Punkt ist auch et- auch ziemlich entsetzt waren, Folgendes gesagt haben: was, was Sie schon längst hätten tun können, als Sie in der Wir sind doch heute schon ein Vorbild für solche Rege- Regierungsverantwortung waren, nämlich die Schaffung lungen. Warum traut uns der Gesetzgeber nicht zu, dass eines Fairnessausgleichs zum Beispiel für künstlerische wir das freiwillig, also ohne staatliche Durchsetzungs- Werke, die sich im Laufe der Jahre zu Bestsellern ent- mechanismen, machen? Diese, aber auch jene, die das in wickeln, was bei Vertragsabschluss nicht vorherzusehen ihren Anzeigen zugesagt und im Übrigen erklärt haben, gewesen ist. Hierzu gehört es, dass die Urheber einen an- was sie nicht wollen, nehmen wir beim Wort. Auch wir gemessenen Anteil abbekommen. sind ja für Konsens und Freiwilligkeit, vorausgesetzt, dass sich auch die Verwerter an ihre Ankündigungen und (Norbert Geis [CDU/CSU]: Dagegen hat Zusagen halten. Dies liegt ja nicht nur im Interesse der Ur- niemand etwas!) heber, sondern auch im Interesse der gemischten Kultur- Der jetzige Bestseller-Paragraph – das wissen Sie ganz wirtschaft, die diese Bundesregierung wie keine vor ihr genau; wenigstens könnten Sie es wissen, wenn Sie sich unterstützt, wie unser Einsatz für die Buchpreisbindung dafür interessierten – ist das Papier nicht wert, auf dem er und Schutzregelungen für mittelständische Verlage steht, da er nicht gegriffen hat. Daher fassen wir ihn jetzt deutlich zeigen. Wir werden genau beobachten, was sich (B) neu. bei den gemeinsamen Vergütungsregelungen tut. Ich(D) danke dem Kollegen Funke dafür, dass auch er das aus- Jetzt komme ich zu einem Punkt, den Sie einerseits drücklich unterstrichen hat. Wenn es auf freiwilliger Ba- kritisieren und andererseits begrüßen; ich nehme an, dass sis und im Konsens der Beteiligten nicht funktioniert, sogar Sie sich irgendwann entscheiden werden. Wir ha- werden wir weitergehende Regelungen ins Auge fassen. ben festgelegt, dass die gemeinsamen Vergütungsregeln, die von der Branche entwickelt werden, um einen (Beifall bei der SPD) obligatorischen Schlichtungsmechanismus für alle er- Lassen Sie mich am Schluss ganz herzlich danken: Ich gänzt werden, falls das, was wir alle wollen und wozu wir danke ausdrücklich den Urheberrechts-Professoren und auch die Verwerter aufrufen, nicht eintreten sollte, näm- Experten, die den Anstoß gegeben und die Richtung ge- lich einverständliche gemeinsame Vergütungsregeln. Ich wiesen haben. Es war ja kein Zufall, dass CDU/CSU und hätte gern zusätzlich die Kraft unseres sozialen Rechts- FDP in ihrer Regierungszeit nichts hinbekommen haben: staates zur Durchsetzung solcher Schlichtungsergebnisse Abhängigkeit von Interessenverbänden ist in solchen Fäl- nutzbar gemacht; aber auch das halten Sie offenbar für len immer ein Hindernis. Ich bedanke mich bei den Urhe- Ideologie. bern und Urheberverbänden, die mitgewirkt haben. Ich (Beifall bei Abgeordneten der SPD) bedanke mich ausdrücklich bei allen Kolleginnen und Kollegen im gesamten Haus, denen es um die Sache ging Diese Frage hat jedoch mit Ideologie nichts zu tun. Wenn und die sich eingeschaltet und mitgearbeitet haben. die Branche selber einen vernünftigen, angemessenen und auch begründeten Einigungsvorschlag vorlegt, der ohne (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Zweifel ein Indiz für die Angemessenheit der Vergü- DIE GRÜNEN) tung sein wird, dann ist es auch vernünftig, diesen Vor- Last but not least bedanke ich mich bei den Mitarbei- schlag mit der Stärke unseres Rechtsstaates durchsetzen. terinnen und Mitarbeitern des Bundesministeriums der (Norbert Geis [CDU/CSU]: Aber das haben Justiz ganz herzlich. Sie nicht gemacht!) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der – Nein, das war jetzt wegen des Widerstandes der PDS – [CDU/CSU]: Die hatten CDU/CSU nicht möglich. Im Übrigen haben auch Sie das bei dem Wirrwarr viel zu tun! – Hans-Joachim persönlich nicht gefordert, Herr Geis. Otto [Frankfurt] [FDP]: Die armen Kerle! Dau- (Heiterkeit und Beifall bei der SPD) ernd hü und hott!) 21126 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 213. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Januar 2002

Bundesministerin Dr. Herta Däubler-Gmelin (A) Sie sitzen hier hinten und haben großen Anteil daran, dass räner Regierungskunst war das nicht und leider auch kein (C) heute ein erfolgreicher Tag für die Urheber, für die Kultur Paradebeispiel für solide Gesetzgebung. und die Kulturwirtschaft in Deutschland ist. (Alfred Hartenbach [SPD]: Die Opposition war Herzlichen Dank. besonders schwach! – Gegenruf des Abg. Norbert Geis [CDU/CSU]: Ach, das ist ja über- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ trieben! Wenn wir nicht gewesen wären, wären DIE GRÜNEN) nur Dummheiten herausgekommen! – Heiter- keit) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Wort – Sie werden sich ganz gewiss auch ohne meine Ermuti- hat jetzt der Kollege Dr. Norbert Lammert von der gung Ihr strammes Selbstbewusstsein erhalten. Das kön- CDU/CSU-Fraktion. nen wir aber getrost auch bei anderer Gelegenheit weiter (Dr. Antje Vollmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- vertiefen. NEN]: Jetzt könnten wir eigentlich Schluss Ich lege am Schluss dieses Verfahrens großen Wert da- machen! – Gegenruf des Abg. Norbert Geis rauf, noch einmal festzuhalten, dass Inhalt des Gesetzes [CDU/CSU]: Warum sind Sie eigentlich so po- und Gesetzgebungsverfahren mit den mehrfach veränder- lemisch?) ten Texten nicht nur in Bezug auf die Formulierung, son- dern auch auf die Regelungsabsicht sowohl bei den Urhe- Dr. Norbert Lammert (CDU/CSU): Herr Präsident! bern – den Autoren, den Übersetzern, den Fotografen und Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bei der Novellie-Produzenten – wie bei den Verwertern – den Verlagen, den rung des Urhebervertragsrechts handelt es sich ohneZeitungen und Zeitschriften – in den verschiedenen Pha- jeden Zweifel um das wichtigste kulturpolitische Gesetz- sen unseres Beratungsprozesses mal hohe Erwartungen, gebungsvorhaben dieser Legislaturperiode. Deswegen mal tiefe Enttäuschung und kurz vor Ende auch offene hat allein die Ankündigung dieser Absicht hohe Erwar- Empörung ausgelöst haben. tungen und – spiegelbildlich – hohe Befürchtungen auf Dieses unzumutbare und wegen der wechselnden Text- der Seite der Urheber wie auf der Seite der Verwerter aus- passagen schludrige Verfahren hätte bei einer wirklich so- gelöst. Beide haben im Übrigen einen Anspruch darauf, liden Behandlung so nicht ablaufen müssen. Wir haben al- dass ihre jeweiligen Erwartungen und Besorgnisse ernst les uns Mögliche getan. genommen werden. Wir haben uns genau in diesem Sinne um die Berücksichtigung der einen wie der anderen Inter- (Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD – Alfred essen sehr intensiv bemüht. Hartenbach [SPD]: Gestatten Sie, dass ich la- (B) che? Ich habe kaum Beiträge von Ihnen erlebt!) (D) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) – Sie haben den großen Vorteil, an dem Teil des Bera- Deswegen hätte diesesGesetzgebungsverfahren tungsverfahrens gar nicht beteiligt gewesen zu sein, den noch mehr als die von der Kollegin Vollmer bei der fe- die Kulturpolitiker diesem Gesetzentwurf gewidmet ha- derführenden Justizministerin beobachtete Heiterkeit das ben. Es wird niemand von Ihren Kollegen ob von der lin- Maß an Sorgfalt verdient, das wir mehrfach vermisst ha- ken oder rechten Seite bestreiten, dass die Behandlung ben. von Anfang bis zum Ende durch das Bemühen gekenn- (Beifall bei der CDU/CSU) zeichnet war, einen solchen durch hohe Sensibilität ge- kennzeichneten Gegenstand möglichst im Konsens zu re- Die Beratung dieses Gegenstands ist durch ständig geln. Das ist die reine Wahrheit. wechselnde Textvorlagen, (Eckhardt Barthel [Berlin] [SPD]: Das wider- (Norbert Geis [CDU/CSU]: War schlimm!) spricht Ihrem Vorwurf!) die übrigens nicht nur Formulierungsänderungen, son- – Nein, das widerspricht dem Vorwurf ganz und gar nicht. dern auch abrupte Kehrtwendungen in Bezug auf die Re- Es ist enttäuschend, dass trotz dieser Absicht das Verfah- gelungsabsicht enthielten, durch Hektik und zum Schluss ren leider nicht so solide gewesen ist, wie wir es uns ge- durch Zeitdruck gekennzeichnet gewesen, wünscht hätten. (Dr. Antje Vollmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Wir haben mehrfach im Verlauf des Verfahrens deutlich NEN]: Hektik? Zwei Jahre!) gemacht, dass wir einer solchen Gesetzgebungsabsicht zu- die dem Rang dieses Themas völlig unangemessen gewe- stimmen, aber wir haben auch die Kriterien deutlich ge- sen sind. macht, die dabei unserer Überzeugung nach eingehalten werden müssen. Es sind mehr als ein halbes Dutzend kon- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) kreter Vorschläge, Hinweise und Orientierungen gewe- Ich erwarte, dass sich der Bundesrat, der sich mit diesem sen, die ich nicht mehr im Einzelnen aufführen kann und Thema noch zu befassen hat, den Zeitdruck nicht bieten muss. lassen wird, der die Endphase des Gesetzgebungsverfah- Für uns stand das Prinzip der Koalitionsfreiheit nicht rens im Deutschen Bundestag gekennzeichnet hat. ernsthaft zur Diskussion, schon gar nicht durch die ur- Gerade weil es sich um ein herausragendes Thema han- sprünglich vorgesehenen Schlichtungsverfahren mit delt, muss ich noch einmal sagen: Ein Glanzstück souve- zwangsweiser kollektiver Festsetzung von Vergütungsre- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 213. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Januar 2002 21127

Dr. Norbert Lammert (A) gelungen. Wir haben großen Wert darauf gelegt, dass hier Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:Als letz- (C) zwischen freischaffenden Urhebern und in Verlagen an- ter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt hat jetzt der gestellten Arbeitnehmern unterschieden wird, die natür- Kollege Dirk Manzewski von der SPD-Fraktion das Wort. lich in ihren Rechtsansprüchen unterschiedlich behandelt werden müssen. Dirk Manzewski (SPD): Herr Präsident! Meine Da- Wir haben – sicher alle gemeinsam, wenn auch nicht mit men und Herren! Schon bei der Schaffung des Urheber- präzise den gleichen Erwartungen – auf eine angemessene rechtsgesetzes im Jahre 1965 – dies ist schon öfters hier Modifizierung des Bestseller-Paragraphen großen Wert ge- angesprochen worden – wurde auf die dringende Not- legt. wendigkeit eines ergänzenden Urhebervertragsgesetzes hingewiesen. Seit dieser Zeit, liebe Kolleginnen und Kol- Wir haben immer sicherstellen wollen, dass Urheber legen, haben die jeweiligen Bundesregierungen wieder- und Verwerter, die unter deutschem Recht kontrahieren, holt ein solches Gesetzgebungsvorhaben nachdrücklich keine Nachteile gegenüber solchen erfahren, die ihre Ver- befürwortet. Leider ist es aber bislang weder zur Neuge- träge nach ausländischem Recht abschließen oder es in staltung noch zu einer Ergänzung des Urheberrechts ge- Zukunft vielleicht tun wollen. Wir haben ebenfallskommen. Umso erfreuter bin ich natürlich, dass es wieder sicherstellen wollen, dass es keine Schlechterstellung be- einmal die jetzige Bundesregierung gewesen ist, die den stimmter Branchen gibt, und zwar nicht, weil man sie de- Anstoß zum vorliegenden Gesetzesvorhaben gegeben und zidiert schlechter stellen will, sondern weil sich für sie damit einen weiteren Schritt zur Beseitigung des Re- aufgrund der Besonderheit der jeweiligen Branchenformstaus im Bereich der Rechtspolitik getan hat. allgemeine Regelungen in einer diskriminierenden, je- denfalls wirtschaftlich belastenden Weise niederschlagen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Wir – vor allem der Kollege Neumann – haben mehrfach DIE GRÜNEN – Dr. Norbert Lammert [CDU/ auf die besonderen Probleme in der Filmwirtschaft hinge- CSU]: Loben Sie sich nicht zu viel!) wiesen, die durch diesen Gesetzentwurf an vielen Stellen – Kollege Dr. Lammert, das können Sie nun nicht weg- nur unzureichend berücksichtigt worden sind. diskutieren, soviel Sie auch wollen: Es ist endlich nicht Es liegt in der Natur der Rollenverteilung, dass wir un- nur geredet, sondern zum Wohl insbesondere der Urheber sere Vorstellungen von einem solchen Gesetzentwurf gar auch gehandelt worden. nicht in vollem Umfang – das ist wahr – realisieren kön- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten nen. Darauf waren wir geistig vorbereitet. Deswegen ist des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) es nicht weiter überraschend, dass sich eine Reihe von (B) Kolleginnen und Kollegen meiner Fraktion aufgrund ih- Die Kollegen Röttgen und Funke haben in ihren Reden (D) rer Bewertung des Ergebnisses nicht in der Lage sieht, den Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens kritisiert und diesem Gesetzentwurf zuzustimmen; denn Ihr Gesetzent- ich mag das so nicht stehen lassen. wurf bleibt an der einen oder anderen Stelle hinter dem (Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP]: Na! – zurück, was wir für richtig halten und getan hätten. Dr. Norbert Röttgen [CDU/CSU]: Sie sind zu- Der Gesetzentwurf in der vom Rechtsausschuss vorge- frieden! – Ronald Pofalla [CDU/CSU]: Nicht legten Fassung – er unterscheidet sich substanziell von einmal das!) der Fassung des Vortages –, der heute zur Beschlussfas- Kolleginnen und Kollegen, mir ist in dieser Legislaturpe- sung ansteht, ist allemal besser als der ursprüngliche Ge- riode im Bereich der Rechtspolitik kein Gesetzgebungs- setzentwurf verfahren bekannt, bei dem so häufig und so intensiv ins- (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE besondere mit den betroffenen Verbänden diskutiert GRÜNEN]: Warum wird dann nicht zuge- worden ist. stimmt? Wir haben uns so bemüht!) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten und näher an der von uns angestrebten, gemeinsam be- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des schworenen, notwendigen Balance zwischen den jeweils Abg. Dr. Heinrich Fink [PDS]) legitimen Interessen der Urheber und Verwerter. Und wer etwas anderes behauptet, sagt hier nicht die (Dr. Antje Vollmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Wahrheit. NEN]: Sehen Sie, das ist Regierungskunst! Am (Dr. Norbert Röttgen [CDU/CSU]: Sie sind Ende stimmen alle zu! – Gegenruf des Abg. doch kein Regierungssprecher, sondern Parla- Ronald Pofalla [CDU/CSU]: Wenn Sie das für mentarier!) Regierungskunst halten, gehören Sie wirklich Und Herr Kollege Röttgen, wenn Sie bemängeln – auch abgewählt!) das haben Sie ja insbesondere im Rechtsausschuss getan –, Deshalb und nur deshalb stimmen wir diesem Gesetzent- dass der heute zur Entscheidung stehende Wortlaut der wurf in der jetzt vorliegenden Fassung zu. Vorlage kaum noch mit dem so genannten Professoren- entwurf übereinstimmt, dann gebe ich Ihnen sogar Recht. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Alfred Hartenbach [SPD]: Das ist ja immerhin (Dr. Norbert Röttgen [CDU/CSU]: Gesetzent- etwas!) wurf!) 21128 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 213. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Januar 2002

Dirk Manzewski (A) Nur, meine Damen und Herren, das war auch nie beab- ren. Wie das bei Ihnen gewesen ist, mag ich weder beur- (C) sichtigt. Genau deshalb wurde er ja auch als „Professoren- teilen noch bewerten. entwurf“ bezeichnet und eben nicht als Gesetzentwurf. (Beifall bei der SPD) (Dr. Norbert Röttgen [CDU/CSU]: Darum ha- Richtig ist – da gebe ich Ihnen natürlich Recht –, dass ben Sie auch immer den Gesetzentwurf als Ver- es im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens zahlreiche Än- gleich genommen!) derungen gegeben hat. Diese Änderungen waren im We- – Herr Kollege Röttgen, was Sie der Justizministerin im sentlichen aber nur marginal und hatten sprachliche oder Grunde genommen vorwerfen, geringfügige materielle Verbesserungen zum Inhalt (Dr. Herta Däubler-Gmelin, Bundesministerin: (Norbert Geis [CDU/CSU]: Das glauben Sie ja Er weiß es nicht besser!) selber nicht! – Dr. Norbert Röttgen [CDU/CSU]: Das geht selbst der Ministerin zu weit!) ist nichts anderes, als dass sie im Vorfeld eines Gesetzge- bungsverfahrens fünf anerkannte Rechtsexperten damit und kamen übrigens zum Teil durch die Anregungen von beauftragt hat, ihre Vorstellungen von einem möglichen Ihnen oder von betroffenen Verbänden zustande. Urhebervertragsgesetz zu Papier zu bringen. Wirklich entscheidende Neuerungen zum ursprüngli- (Dr. Norbert Röttgen [CDU/CSU]: Sie haben chen Gesetzentwurf hat es für mich nur an zwei Stellen mir nicht zugehört! – Zuruf von der CDU/CSU: gegeben: Zum einen haben wir den bereits bestehenden Haben Sie es akustisch oder intellektuell nicht Bestseller-Paragraphen modifiziert ins Gesetz aufgenom- men. Zum anderen – das ist schon angesprochen worden – verstanden?) stellen wir es den Parteien nun frei, den Einigungsvor- Damit hat sie bereits im Vorfeld des Gesetzgebungsver- schlag der Schlichtungsstelle für eine gemeinsame Vergü- fahrens eine vernünftige Diskussionsgrundlage geschaf- tungsregel anzunehmen oder nicht. fen. Wenn Sie das tatsächlich kritisieren wollen, kann ich (Beifall bei Abgeordneten der SPD) persönlich damit prima leben. Wenn Sie sich das Gesetzgebungsverfahren von Anfang (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des an genau vergegenwärtigen, dann werden Sie zugeben BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) müssen, dass wir damit genau die entscheidenden Kri- Ich würde mir wünschen, dass alle Gesetzgebungsverfah- tikpunkte aufgegriffen haben. Insbesondere die Kritik der ren so vorbildlich vorbereitet werden könnten. Verwerter muss eigentlich – auch das ist schon angespro- chen worden – völlig in sich zusammenbrechen. Eigent- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (B) lich kritisieren Sie, Kollege Röttgen, damit, dass wir nicht (D) des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – so borniert sind, uns Vorschlägen, die einigermaßen ver- Ronald Pofalla [CDU/CSU]: So chaotisch lau- nünftig sind, zu verschließen. Wir werden im Grunde ge- fen!) nommen also dafür kritisiert, Kritik ernst genommen zu – Dazu komme ich gleich auch noch. haben. Und auch damit kann ich persönlich leben. Unter anderem im Rechtsausschuss ist von Ihnen (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten bemängelt worden, man habe die Sachverständigenan- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) hörung durchgeführt, obwohl intern bereits Gesetzesän- Persönlich hätte ich es viel schlimmer gefunden, wenn derungsvorschläge diskutiert worden seien. Das ist doch man irgendwelche Gesetze durchpeitscht, ohne auf die wirklich nichts Neues. Anregungen der betroffenen Kreise in irgendeiner Weise Rücksicht zu nehmen. Bei solch einem Verhalten wäre (Ronald Pofalla [CDU/CSU]: So läuft es bei Ihre Kritik tatsächlich berechtigt gewesen, hier, an dieser der Regierung häufiger!) Stelle, jedenfalls nicht. Es dient doch nur dem Verfahren, wenn ein Ministerium, (Beifall bei Abgeordneten der SPD) eine oder zwei Fraktionen sich ständig darüber Gedanken machen, wie man ein Gesetz weiter verbessern kann und Ich stimme mit Ihnen auch darin nicht überein, dass wir in welchen Bereichen man etwaigen Kritikern entgegen- uns letztendlich nur dem Druck von außen gebeugt haben, kommen kann. Deswegen kann doch nicht jedesmal ein Es ist ja schon angesprochen worden: Das von uns ge- Gesetzesverfahren unterbrochen werden. Abwarten hätte wünschte Ergebnis haben wir weitestgehend, wenn auch Stillstand bedeutet. Den hat es im Urhebervertragsrecht mit Abstrichen, erreicht. nun wirklich lange genug gegeben. Die Kulturwirtschaft hat in den letzten Jahren nicht (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten nur aufgrund des digitalen Zeitalters immer mehr Bedeu- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des tung erlangt. Insbesondere die Medienunternehmen ha- Abg. Dr. Heinrich Fink [PDS]) ben sich zu einem bedeutenden Wirtschaftsfaktor ent- wickelt. Wir als SPD haben es von jeher als gerecht und Kollege Röttgen, Sie haben außerdem kritisiert, dass es billig empfunden, wenn die Urheber entsprechend ihrer im Verfahren so viele Änderungen gegeben habe, dass Leistung an deren finanzieller Verwertung gerecht parti- man – ich gebe das sinngemäß wieder – zuletzt den zipieren. Ziel des Gesetzentwurfes war es deshalb, Ur- Überblick verloren habe. Liebe Kolleginnen und Kolle- heber und ausübende Künstler angemessen an der wirt- gen, ich habe den Überblick zu keinem Zeitpunkt verlo- schaftlichen Nutzung ihrer Arbeit zu beteiligen. Genau Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 213. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Januar 2002 21129

Dirk Manzewski (A) das haben wir in § 32 des Entwurfs festgeschrieben. Le- schlüssig und wird sein angestrebtes Ziel erreichen. Aus (C) sen Sie das bitte nach. diesem Grunde wird er von uns unterstützt. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Ich danke Ihnen. des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Zudem sollen, um den Urhebern bei der Durchsetzung DIE GRÜNEN – Zuruf von der CDU/CSU: ihrer Ansprüche den Weg durch die Instanzen zu erleich- Eine tolle Rede!) tern oder ihn sogar zu vermeiden, so genannteVergü- tungsregeln aufgestellt werden, um so als Vergleichs- Ich maßstab einer angemessenen Vergütung zu dienen. Hier Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: schließe die Aussprache. hat sich im Grunde genommen nicht viel geändert. Ich gebe Ihnen Recht, dass die Entscheidung der Schlich- Ich nehme eine persönliche Erklärung des Kollegen tungsstelle für die Parteien nicht mehr verbindlich ist; das Hans-Joachim Otto nach § 31 der Geschäftsordnung zu heißt, die Verwerter brauchen sie nicht annehmen. Aber Protokoll.1) das Interessante ist: Sie können sich deshalb dem Verfah- Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun- ren nicht mehr entziehen. Am Ende eines jeden Schlich- desregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Stärkung tungsverfahrens steht also zumindest die Entscheidung der vertraglichen Stellung von Urhebern und ausübenden über eine angemessene Vergütung der Tätigkeit im Raum. Diese Entscheidung wird natürlich nicht folgenlos blei- Künstlern, Drucksache 14/7564. Der Rechtsausschuss ben. Die Parteien werden hierdurch den Maßstab der an- empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung gemessenen Vergütung einschätzen können. Ein Gericht auf Drucksache 14/8058, den Gesetzentwurf in der Aus- wird dies im Streitfall sicherlich berücksichtigen. schussfassung anzunehmen. Wer stimmt für den Gesetz- entwurf in der Ausschussfassung? – Wer stimmt dagegen? – (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist damit in zwei- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) ter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen, Ich möchte langsam zum Schluss kommen. Ich habe der PDS-Fraktion, eines Teils der CDU/CSU-Fraktion im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens sowohl von der und der Mehrheit der FDP-Fraktion bei Gegenstimmen CDU/CSU als auch von der FDP immer wieder gehört, aus der CDU/CSU-Fraktion und einer Gegenstimme aus dass man die Anliegen der Urheber teile. Von der Union der FDP-Fraktion angenommen. hörte man schon frühzeitig, dass man insoweit allerdings Dritte Beratung nur punktuellen Handlungsbedarf sehe. Herr Kollege Röttgen, mich hätte es sehr interssiert, nur ein einziges und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem (B) Mal zu hören, wie Ihre Vorschläge zur Lösung der zuge- Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Ge- (D) standenen Probleme aussehen. Leider habe ich dazu nie genstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist etwas gehört, selbst heute nicht. mit gleichem Stimmenverhältnis angenommen. (Dr. Norbert Röttgen [CDU/CSU]: Sie sind in (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ der Regierung! Sie müssen handeln!) DIE GRÜNEN sowie des Abg. Dr. Heinrich Fink [PDS]) Sie haben immer nur kritisiert. In der Rechtspolitik ist es also so wie in allen anderen Bereichen auch: Es wird nur Wir kommen nun zur Abstimmung über den Ent- rumgemäkelt, aber nicht konstruktiv dargelegt, wie man schließungsantrag der Fraktion der PDS auf Drucksa- es besser machen könnte. Auf Sie bezogen, Herr Kollege che 14/8079. Wer stimmt für diesen Entschließungsan- Röttgen: trag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Entschließungsantrag ist bei Zustimmung der PDS-Frak- (Dr. Norbert Röttgen [CDU/CSU]: Regieren tion mit den Stimmen aller anderen Fraktionen abgelehnt. Sie! Sie haben die Mehrheit!) Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses zu dem Offensichtlich hat sich der Kanzlerkandidatenvirus auf Gesetzentwurf der Fraktionen der SPD und des Bünd- Sie übertragen. nisses 90/Die Grünen zur Stärkung der vertraglichen (Norbert Geis [CDU/CSU]: Sie geben nicht Stellung von Urhebern und ausübenden Künstlern auf nach!) Drucksache 14/6433. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa- Anders kann ich Ihre Rede heute überhaupt nicht nach- che 14/8058, den Gesetzentwurf für erledigt zu erklären. vollziehen. Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ sich? – Dann ist die Beschlussempfehlung einstimmig an- DIE GRÜNEN) genommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 19 auf: Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Herr Kol- lege, kommen Sie bitte zum Schluss. Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- richts des Ausschusses für Kultur und Medien

Dirk Manzewski (SPD): Liebe Kolleginnen und Kol- legen, das alleine reicht nicht aus. Der Gesetzentwurf ist 1) Anlage 4 21130 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 213. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Januar 2002

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms (A) (23. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Was auf dem Gelände der Gestapo und des Reichssicher- (C) Dr. Norbert Lammert, Bernd Neumann (Bremen), heitshauptamtes passiert ist, ist keine lokale Berliner Ge- , weiterer Abgeordneter und derschichte, sondern Kapitel unserer Nationalgeschichte. Fraktion der CDU/CSU Die Betonung unseres Antrages liegt aber nicht darauf, Jüdisches Museum, Topographie des Terrors, für eine Institution – in diesem Falle also dieTopogra- Mahnmal für die ermordeten Juden Europas phie des Terrors – eine vollständige Finanzierung durch – Drucksachen 14/4249, 14/7451 – den Bund zu erreichen. Nein, es geht um eine Gesamt- Berichterstattung: konzeption für diese offensichtlich in einem inhaltlichen Abgeordnete Eckhardt Barthel (Berlin) Zusammenhang stehenden Orte des Gedenkens. Dieser Dr. Norbert Lammert Vorschlag ist nicht nur gut begründet, sondern auch – das Dr. Antje Vollmer will ich gar nicht verschweigen – im Sinne der Finanzier- Hans-Joachim Otto (Frankfurt) barkeit höchst vernünftig. Dass eine Finanzierung ver- Dr. Heinrich Fink nünftig und für die Bevölkerung nachvollziehbar sein muss, das dürfte außer Zweifel stehen. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre kei- Die immer wieder aufflackernden Diskussionen über nen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen. die Kosten, beispielsweise beimDenkmal für die er- mordeten Juden Europas, wie wir sie gerade vor eini- Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat der gen Tagen erlebt haben, sind ein Beleg dafür. Übrigens bin Kollege Günter Nooke von der CDU/CSU-Fraktion das ich in diesem Zusammenhang – dies betone ich, weil ich Wort. mich manchmal auch zu anderen Äußerungen veranlasst sehe – dem Bundestagspräsidenten Wolfgang Thierse Günter Nooke (CDU/CSU): Herr Präsident! Sehr ge- dankbar, dass er auf die Vorschläge, die zu einer weiteren ehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kolle- Kostenerhöhung geführt hätten, deutlich reagiert hat. gen! Ich bedauere außerordentlich, dass unser Antrag im (Beifall des Abg. Dr. Heinrich Fink [PDS]) federführenden Ausschuss für Kultur und Medien mehr- heitlich abgelehnt wurde. Ich tue das umso mehr, als nach Ich glaube, das ist eine gute Grundlage für unsere weitere der Beschlussempfehlung des Ausschusses „über dieArbeit im Kuratorium. Gleichwertigkeit der drei Institutionen“, wie sie genannt Aber unsere Forderung nach einer Gesamtkonzeption wurden, „grundsätzliche Einigkeit zwischen den Fraktio- ist auch eine Forderung nach Kosteneffizienz und Ein- nen“ besteht. Die dann folgende Begründung ist aller- sparungen an der Stelle, an der es dem Gedenken in der (B) dings sehr dürftig. Als Argument wird angeführt, man (D) Sache keinen Abbruch täte. In keinem Falle sollten die- würde Gefahr laufen, „den Systembruch der Finanzie- jenigen, die auch im Zusammenhang mit Gedenkstätten rungsübernahme von Gedenkstätten durch den Bund ... auszuweiten“. Abgesehen davon, dass ein solcher postu- für die Opfer des Nationalsozialismus dafür plädieren, die lierter Systembruch schon mit der vollständigen Über- Finanzierbarkeiten im Auge zu behalten, stigmatisiert nahme der Kosten für das Jüdische Museum seitens des werden. Es wäre aus meiner Sicht außerordentlich zu be- Bundes erfolgt wäre, wurde mit dieser Entscheidung eine grüßen, wenn in diesem Hause darüber ebenfalls Einig- Chance vertan. keit herrschte. Über das Gedenken an die Zeit des Natio- nalsozialismus und die Opfer der NS-Diktatur darf zum Denn was die herausragenden Merkmale der drei Orte Beispiel nicht außerhalb der Budgetverantwortung dieses sind, ist gar nicht deutlich geworden. Sie liegen nämlich Hauses diskutiert werden. nur wenige hundert Meter voneinander entfernt und sind sowohl authentische Orte – wie die Topographie des Die vollständige Finanzierung des Jüdischen Museums Terrors – als auch Orte der Dokumentation und des Ge- durch den Bund hatte die Fraktion des Bündnisses 90/Die denkens. Mein Kollege Norbert Lammert hatte bei der Grünen im Ausschuss damit begründet, es handele sich Einbringung des Antrags, auf den Tag genau heute vor ei- nicht um eine historische Stätte und der finanzielle Auf- nem Jahr, gesagt, die drei Orte seien „wie auf einer Per- wand sei groß. Letzteres ist zweifellos richtig, gleichwohl lenschnur aufgereiht“. Warum brauchen die drei Orte, die als Begründung für die Ablehnung unseres Antrages in in einem nicht zu leugnenden inhaltlichen Zusammen- keiner Weise stringent. Das würde, salopp formuliert, be- hang stehen, jeweils ähnliche Vortragsräume, Ausstellun- deuten: Alles, was teuer ist, bezahlt der Bund und das an- gen, Dokumentationen und Lesesäle? Das ist jedenfalls dere bezahlen die Länder. unter diesem Aspekt nicht nachvollziehbar. (Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP]: Ja, so Wenn auf der einen Seite das Jüdische Museum und ist es aber!) das Denkmal für die ermordeten Juden Europas als Stät- Teuer wird auch die Topographie des Terrors. Da brau- ten nationalen Gedenkens gesehen werden – was ja nicht chen Sie nur einmal Herrn Rürup zu fragen. Er hat übri- zu bezweifeln ist – und damit die Vollfinanzierung seitens gens gerade an die Mitglieder des Kuratoriums der Stif- des Bundes begründet wird, dann leuchtet eine entspre- tung Denkmal für die ermordeten Juden Europas chende Ablehnung bei der Topographie des Terrors nicht geschrieben, vor Überschneidungen gewarnt und darauf ein. hingewiesen, dass quasi ein neues Museum ausgestaltet (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) werde, das eigentlich nur als Ort der Information gedacht Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 213. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Januar 2002 21131

Günter Nooke (A) gewesen und sogar von vielen in diesem Hause als nicht diesen Aspekt ist übrigens die Dimension des Kultur-(C) notwendig angesehen worden sei. bruchs, die der Holocaust ja zweifellos für das gesamte jü- dische Leben in Deutschland darstellt, nicht abzuschät- (Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP]: Da- zen. Bei einem Projekt von nationalgeschichtlicher rüber wird noch zu reden sein!) Dimension, wie eben dem Jüdischen Museum, würde ich – Darüber wird zu reden sein. – Das würde für mich in die- mir eine öffentlichere und vielleicht auch kritischere Dis- sem Zusammenhang zu einer Gesamtkonzeption gehören. kussion wünschen. Genauso gehört vielleicht zu einer Gesamtkonzeption, Ich würde mir auch wünschen, dass dasselbe Bewusst- dass wir uns noch einmal bewusst machen, was die jetzige sein, das hier bei unseren Gesprächen über Gedenkstätten Widmung beim Denkmal für die ermordeten Juden Euro- von nationalgeschichtlichem Rang zum Ausdruck pas, die hier ebenfalls umstritten war, bedeutet, wenn wir kommt, auch bezüglich der Gedenkstätten zurErinne- jetzt anderen Opfergruppen nach und nach ohne Gesamt- rung an die zweite deutsche Diktatur vorherrschte. Un- konzeption, ohne Wissen, was da eigentlich gebaut wer- sere Fraktion hat ja noch einen weiteren Antrag, nämlich den soll, noch andere Denkmale und Mahnmale verspre- über Berliner Gedenkstätten an die SED-Diktatur mit na- chen oder versprechen müssen. Eine Diskussion muss tionalem Rang zu diskutieren, in den parlamentarischen auch darüber geführt werden, ob vielleicht sogar die Wid- Prozess eingebracht. Ich hielte es jedenfalls für angemes- mung für dieses Denkmal noch einmal zu überdenken ist. sen, wenn wir bei Diskussionen über die Finanzierung dieser Gedenkstätten zu ähnlich prinzipieller Überein- Wenn wir über Orte nationalen Gedenkens wie das stimmung kämen wie in Bezug auf die Bedeutung dieser Jüdische Museum in Berlin sprechen, geht es mir aber Orte. Natürlich wäre es auch angemessen, wenn diese Ge- auch um zwei, drei andere Dinge. Wenn wir hier schon die denkstätten so ausgestattet würden, dass sie ihre Arbeit Kosten übernehmen, dann sollten wir uns auch dafür perspektivisch und verlässlich planen könnten. Dabei interessieren. denke ich nicht an die jährlichen Betriebskostenzuschüsse (Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP]: Also – es sind wohl 24 Millionen DM –, die für das Jüdische doch die Kosten übernehmen!) Museum gezahlt werden. Es geht um ganz andere Di- mensionen, nämlich darum, dass auch die Arbeit dieser – Ich war beim Jüdischen Museum. Gedenkstätten finanziert werden kann. (Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP]: Ach Ich halte es jedenfalls für alarmierend, wenn, wie vor so!) einigen Tagen in einer Studie zu lesen war, immer selte- Ich bin jetzt beim inhaltlichen Aspekt. Ich bin der Mei- ner DDR-Geschichte an deutschen Universitäten gelehrt (B) nung, dass wir, wenn wir schon alles bezahlen, in diesem wird. Es gibt bereits Bundesländer, in denen dieses Ka- (D) Hause auch über die Inhalte sprechen dürfen, Herr Otto. pitel nationaler Geschichte überhaupt nicht mehr vor- kommt. Umso mehr müssen wir uns in Bezug auf die Die öffentliche Debatte über Konzeptionen ist gar zweite deutsche Diktatur, die kommunistische Gewalt- nicht so unwichtig. Als ich mir das Jüdische Museum herrschaft, um unsere Nationalgeschichte kümmern. Da- nach der Eröffnung angesehen habe, ist mir aufgefallen, rüber ist im Zusammenhang mit dem anderen Antrag noch dass sich die Darstellung jüdischen Lebens in Berlin und ausführlicher zu reden. Deutschland – das ist ja der Anspruch der Ausstellung und des gesamten Museums – in hohem Maße auf die Präsen- Klar muss sein, dass Erinnerungskulturin Deutsch- tation der bekannten und bedeutenden deutschen Juden land nicht so aussehen darf, dass für die nationalsozialis- konzentriert, abgesehen davon, dass Rosa Luxemburg tische Gewaltherrschaft der Bund zuständig ist und Geld und Karl Marx nicht vorkommen. dabei eine untergeordnete Rolle spielt, dass sich um die sozialistische und kommunistische Gewaltherrschaft aber Auffallend wenig, eigentlich fast gar nichts sieht man die Länder kümmern sollen, wenn sie dann überhaupt von der großen Masse der so genannten ärmeren Juden, wollen, und nicht einmal die nötigsten Geldmittel bereit- die beispielsweise im Scheunenviertel hier in Berlin leb- gestellt werden. ten. Das finde ich bedauerlich, zumal so einer der interes- santesten Aspekte jüdischen Lebens ausgespart bleibt, (Dr. Antje Vollmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- übrigens auch einer der interessantesten Aspekte jüdi- NEN]: Das ist doch in sich widersprüchlich! Sie schen Lebens in dieser Stadt, nämlich die Begegnung von wollten doch beides trennen!) Ost und West innerhalb der jüdischen Gemeinde, die ei- Diese Gesamtkonzeption, Frau Vollmer, verfolgen wir je- nerseits in der Oranienburger Straße wieder stark wächst denfalls mit unserem Antrag nicht, auch wenn ich mich und althergebracht in der Fasanenstraße ihren Sitz hat. manchmal des Eindrucks nicht erwehren kann, als ob die Auch das wäre eine spannende Debatte. Koalition und die Bundesregierung gerade diesen An- (Dr. Antje Vollmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- schein erwecken wollen. NEN]: Was hat das jetzt mit der Topographie zu Danke schön. tun?) (Beifall bei der CDU/CSU) Eine Beschäftigung hiermit wird meines Erachtens viel- leicht aus Angst – ich weiß es nicht – davor, dass uns das schaden könnte, vermieden. Ich fände es gut, wenn wir in Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Wort angemessener Form darüber debattieren könnten. Ohne hat jetzt der Staatsminister Julian Nida-Rümelin. 21132 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 213. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Januar 2002

(A) Dr. Julian Nida-Rümelin, Staatsminister beim Bun- – Es gibt noch weitere. Es gibt zum Beispiel das Haus der (C) deskanzler: Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen Wannsee-Konferenz, das man auch mit einbeziehen und Herren! Wir haben uns in der Einbringungsdebatte ja kann. schon relativ ausführlich über diese Thematik ausge- Nun gebe ich zu, dass für beides Argumente sprechen. tauscht. Deswegen möchte ich mich heute hier recht kurz Es sprechen Argumente dafür, diese Einrichtungen in ei- fassen und meine Rede auf wenige Bemerkungen be- ner Hand zu belassen, und es gibt Argumente dafür, die schränken. Topographie des Terrors als eine Gedenkstätte in das Die erste Bemerkung ist die, dass wir, wie ich denke, allgemeine Gedenkstättenkonzept zu übernehmen. Für nicht das große Ausmaß von grundsätzlicher kulturpoliti- beides gibt es pragmatische Argumente. Falsch ist aller- scher Gemeinsamkeit, das nach meinem Eindruck in die- dings die Begründung, dass nur dann eine Kooperation sem Hause hinsichtlich des sensiblen Themas der Ge-möglich ist, wenn der Bund diese Einrichtungen allein denkstättenarbeit und der Erinnerungskultur besteht,trägt. Wenn das so wäre, könnten wir das ganze Gedenk- verdecken sollten. Ich will versuchen, zwei Aspekte die- stättenkonzept vergessen. ser Gemeinsamkeit zu skizzieren. (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE Der erste Aspekt – ich habe das bei der Eröffnung der GRÜNEN und der FDP – Horst Friedrich Holocaust-Ausstellung ausführlicher dargestellt – ist, [Bayreuth] [FDP]: Richtig!) dass die Auseinandersetzungen mit dem düstersten Kapi- tel der deutschen Geschichte ganz entgegen dem, wasDas Konzept setzt ja auf die Kooperation von Kommu- noch der 90er-Jahre weithin erwartet wurde, insbe- nen, Ländern und dem Bund. sondere in den Feuilletons der großen Tageszeitungen, Mein Plädoyer ist, dass wir die Verantwortung über- 50 Jahre nach Kriegsende noch nicht zu einem Abschluss nehmen, die der Bund durch Kulturpolitikerinnen und gekommen sind. Im Gegenteil: Gerade in den vergange- Kulturpolitiker der Fraktionen, auch durch mich, sehr nen Jahren hat die Intensität dieser Auseinandersetzung deutlich formuliert hat, nämlich dass wir uns bei der Topo- ganz wesentlich zugenommen und nach meinem Ein-graphie des Terrors hälftig beteiligen, wenn die Kosten druck auch die Offenheit der jüngeren Generation, sich nicht über ein bestimmtes Niveau hinausgehen. 76 Milli- damit auseinander zu setzen. Das ist erfreulich. Da kön- onen DM hatte ich abgestimmt, auch mit der Berliner nen wir uns ein gutes Zeugnis für die kulturelle Entwick- Seite, und als Obergrenze genannt. Dafür wurde ich viel lung in Deutschland ausstellen. kritisiert. Es wurde gefragt: Warum muss man nun gerade Jetzt geht es um die spezifische Frage der Verantwor- da einen finanzpolitischen Rigorismus exekutieren? Ich tungsteilung. Ich bin der Auffassung, dass dasGedenk- bin der Meinung, es war gut und für die Debatte offenbar (B) stättenkonzept, das ja ausführlich diskutiert wurde und auch hilfreich, dass klar war: Wir müssen uns irgendwann (D) sehr wohl begründet ist, eine gemeinsame Verantwortung über eine Obergrenze verständigen. Eine Prüfung durch von Kommunen, Ländern und Bund vorsieht, wobei der die Bundesbauverwaltung hat ergeben, dass das in diesem Bund diejenigen Einrichtungen, die zweifellos von natio- Kostenrahmen geht. nalem Rang und nationaler Bedeutung sind, bis zur Hälfte Wenn im Jahr 2002 vonseiten des Bundes Mittel zur mit fördern kann. Ich persönlich bin der festen Überzeu- Verfügung gestellt werden sollen, geht das nur außerplan- gung, dass es ein Irrweg in der Debatte um die Systemati- mäßig. Dafür müssen wir natürlich auch noch bei den sierung der Kulturaufgaben von Bund und Ländern wäre, Haushaltspolitikern werben. Ich denke, dass das Land wenn dieser Bereich ganz dem Bund zugeschrieben würde, Berlin ebenfalls in seiner Verantwortung für diese Ein- (Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie der richtung bleibt. Das war die Basis der bisherigen Bera- Abg. Dr. Antje Vollmer [BÜNDNIS 90/DIE tungen. Deswegen plädiere ich dafür, bei dem zu bleiben GRÜNEN]) und insofern der Beschlussempfehlung des Kulturaus- schusses zu folgen. weil damit die nahe an der Bevölkerung orientierte Arbeit ins Hintertreffen geriete. Wir brauchen die Kommunen Danke schön. und wir brauchen die Länder in der Verantwortung. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie des Abg. Hans-Joachim DIE GRÜNEN – Dr. Norbert Lammert [CDU/ Otto [Frankfurt] [FDP]) CSU]: Das wäre plausibel, wenn es überall so gehandhabt würde!) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Wort – Genau. Jetzt geht es um eine in meinen Augen pragma- hat jetzt die Kollegin Dr. Antje Vollmer von Bündnis 90/ tisch zu lösende Frage, spezifisch in Berlin, weil es dort Die Grünen. zwei Einrichtungen gibt, die der Bund in seine alleinige Verantwortung übernommen hat: ein großes internatio- Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): nales Museum, das Jüdische Museum für 2 000 JahreHerr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn deutsch-jüdischer Geschichte, und das Mahnmal. ich an die Diskussion um das Mahnmal für die ermorde- (Günter Nooke [CDU/CSU]: Und weil es an- ten Juden Europas und insbesondere an die Rolle denke, dere nationale Gedenkstätten gibt, zum Beispiel die der damalige CDU-Bürgermeister Diepgen dabei ge- aus der SED-Dikaturzeit!) spielt hat, wundere ich mich darüber, dass sich die CDU Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 213. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Januar 2002 21133

Dr. Antje Vollmer (A) jetzt so vehement für die Beteiligung des Bundes am NS- auch alle anderen historischen Erinnerungsstätten, wie(C) Dokumentationszentrum einsetzt. etwa Buchenwald oder Bergen-Belsen, zu übernehmen, (Günter Nooke [CDU/CSU]: Das ist nicht der (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN einzige Grund unseres Antrags!) und bei der SPD sowie des Abg. Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP]) Dazu hatten Sie ganz offensichtlich schon einmal eine an- dere Haltung. Damals mussten wir dem Berliner Senat weil wir bereits an einer Stelle den Systembruch, auch his- seine Zustimmung mit aller Kraft abringen torische Erinnerungsstätten hälftig zu finanzieren, began- gen hätten. Das war der Grund dafür, dass wir gesagt ha- (Dr. Norbert Lammert [CDU/CSU]: Aber wir ben: Mit dem Holocaust-Mahnmal und dem Jüdischen waren hier, Frau Vollmer!) Museum ist es etwas anderes, weil es sich hierbei nicht und insbesondere immer wieder gegen Widerstand des wie bei der Topographie des Terrors um historische Erin- damaligen CDU-Bürgermeisters kämpfen. nerungsstätten handelt. Wir sind ganz Ihrer Meinung, dass der Bundestag an Natürlich besteht die Notwendigkeit zur konzeptionel- der Fertigstellung aller drei Projekte, also des Jüdischen len Zusammenarbeit, vor allem weil die Einrichtungen Museums, das nun fertig ist, der Topographie des Terrors alle räumlich benachbart sind. Dies bezieht sich aber auf und des Mahnmals für die ermordeten Juden Europas, die Aufforderung, miteinander zu reden. Genau so ist es worüber es immer noch heftige Diskussionen im Stif-gewesen. Herr Nachama war im Stiftungsrat. tungsrat gibt, ein ganz besonders großes Interesse hat. Wir Wenn ich mich recht erinnere, gab es damals genau sind auch daran interessiert, dass diese Projekte zügig und darüber Diskussionen, ob wir diese Vertreter der anderen kostengünstig vorangetrieben werden. Das ist alles in un- Institutionen mit hineinnehmen sollen. Auch damals ha- serem Sinne. ben wir gesagt: Sie gehören wegen der konzeptionellen Jetzt aber fordert die CDU, dass wir die beiden Pro- Nähe zusammen; aber auf der finanziellen Seite und we- jekte, die der Bund bereits fördert, um ein drittes erwei- gen der Notwendigkeit, die Länder und Kommunen an der tern sollen, nämlich um dieTopographie des Terrors. Finanzierung zu beteiligen, muss man das trennen. Das heißt, dass wir allein die Kosten übernehmen sollen. Bei diesem guten Grundsatz sollten wir bleiben. Wir Sie verschweigen dabei, dass es gerade unser Verdienst sollten auch weiterhin sagen: Es war eines der Gütezei- war und auch nicht geringe Mühe gekostet und nicht we- chen dieser Legislaturperiode – denken Sie auch an die niger Diskussionen mit dem Finanzminister insbesondere Zwangsarbeiterregelung –, dass diese Regierung mit ei- mit Blick auf Sparhaushalte bedurft hat, um alle Gedenk- nem unglaublichen Schwergewicht gerade diese Erinne- (B) stätten endlich mit der hälftigen Bundesfinanzierung auf rungsarbeit geleistet hat und sie auch in der Zukunft ret- (D) eine verlässliche finanzielle Basis bundesweit zu stellen. ten und absichern will. Der Staatsminister hat schon gesagt, dass es für die hälf- Ihr Antrag, in dem Sie das leere Versprechen abgeben, tige Finanzierung gute Gründe gibt. Da alle Verantwor- dass Sie noch viel mehr tun würden, tut nichts zur Sache. tung tragen, wollen wir, dass sich die Länder und Kom- Wir werden so weitermachen und dies auch für die Zu- munen in gleicher Weise wie der Bund beteiligen und für kunft absichern. Das ist außerordentlich wichtig. Es ist ein ihre Erinnerungsstätten verantwortlich fühlen. Ohne diese Stück der Identität dieses Landes. Dies gilt ebenso für das Beteiligung würden die Erinnerungsstätten faktisch und Versprechen, dass es immer Teil unserer Identität bleiben psychologisch abgeschoben. Sie wären dann einzig Bun- wird. dessache. Danke. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Die NS-Verbrechen waren aber nicht nur Staatsverbrechen, sondern waren auch Verbrechen der ganzen Bevölkerung und der Kommunen. Deshalb ist die hälftige Finanzierung Vizepräsidentin Petra Bläss: Für die Fraktion der genau richtig. FDP spricht jetzt der Kollege Hans-Joachim Otto. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Hans-Joachim Otto (Frankfurt) (FDP): Frau Präsi- dentin! Meine Damen und Herren Kollegen! Auch wir Li- Sie verlangen nun von uns, dass wir innerhalb dieses beralen befürworten natürlich die zügige Fertigstellung Konzepts, das wir durchgesetzt haben und das zu unseren des Projektes Topographie des Terrors auf dem Prinz- parlamentarischen Verdiensten gehört, einen System- Albrecht-Gelände. Auch wir hätten uns eine mit dem bruch vornehmen und die Topographie des Terrors, die Land Berlin abgestimmte Gesamtkonzeption der drei an wie die anderen Erinnerungsstätten eine historische Erin- einer Perlenschnur aufgereihten Gedenkstätten ge- nerungsstätte ist, herausnehmen. wünscht. (V o r s i t z: Vizepräsidentin Petra Bläss) Sehr geehrter Kollege Nooke, dennoch können wir Welche Folge würde das haben? In den nächsten Sit- Ihrem Antrag nicht zustimmen, weil wir ihn spätestens zungen würden wir von Ihnen den Antrag bekommen, seit der Unterzeichnung des Hauptstadtkulturvertrages 21134 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 213. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Januar 2002

Hans-Joachim Otto (Frankfurt) (A) für überholt und seit dem 20. Dezember vergangenen Jah- die Bildung einer gemeinsamen Arbeitsgruppe des Bun- (C) res sogar für kontraproduktiv halten. destages und der Bundesregierung vor, die umgehend eine möglichst fraktionsübergreifende Beratungsgrundlage für (Beifall der Abg. [FDP] – diese Gespräche erarbeiten soll. Günter Nooke [CDU/CSU]: Halten Sie denn die Begründung der Beschlussempfehlung für Bis dahin darf die Verhandlungsposition des Bundes ausreichend?) nicht durch weitere einseitige Finanzierungszusagen ge- schwächt werden, zumal der Bund schon jetzt, wie – Dazu komme ich jetzt. Michael Naumann sagte, schlappe 500 Millionen DM, Erstens. Ihr Antrag ist deshalb überholt, weil er, auch also praktisch die Hälfte seiner gesamten Kulturförder- wenn Sie, Herr Nooke, das eben bestritten haben, mittel, allein in die Bundeshauptstadt fließen lässt. Ganz im Sinne des Föderalismus erwarten wir von allen Bun- (Günter Nooke [CDU/CSU]: „Nicht nur“, desländern, also auch, lieber Herr Barthel, von Berlin, habe ich gesagt!) dass sie ihre Verantwortung für die Kulturförderung stär- erklärtermaßen – ich erinnere mich noch an die Worte von ker wahrnehmen. Herrn Dr. Lammert bei der Einbringung des Antrages; ich (Eckhardt Barthel [Berlin] [SPD]: Das ist doch habe sie nachgelesen – darauf abzielte, im damals noch eine Milchmädchenrechnung!) nicht unterzeichneten Hauptstadtkulturvertrag die Berli- ner Festspiele durch die Topographie des Terrors zu erset- Hierzu gehört eben auch die Verantwortung für die Fer- zen bzw. dort jedenfalls eine neue Regelung vorzusehen. tigstellung der Topographie des Terrors. Dafür hätte es übrigens gute Gründe gegeben; darin sind Vielen Dank. wir uns einig. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Zwischenzeitlich sind die Dinge aber darüber hinweg- der CDU/CSU) gegangen. Der Hauptstadtkulturvertrag wurde inzwischen unterzeichnet. Man darf darauf hinweisen, dass dies auf Berliner Seite auch durch die CDU erfolgt ist. Vizepräsidentin Petra Bläss: Für die PDS-Fraktion spricht jetzt der Kollege Dr. Heinrich Fink. In diesem Hauptstadtkulturvertrag ist die Topographie des Terrors ausdrücklich nicht in die alleinige Träger- schaft des Bundes übernommen worden. Ich erwarte vom Dr. Heinrich Fink (PDS): Sehr verehrte Frau Präsi- Berliner Senat, dass er jetzt endlich einmal wenigstens dentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In diesen Tagen eine Vereinbarung zur Kulturfinanzierung einhält undgedenken wir erneut der Opfer des Nationalsozialismus. (B) nicht schon wieder nach dem Bund ruft, Damit wird dieses Thema wahrscheinlich unmittelbar in (D) Verbindung gebracht und deshalb ist es auf die Tagesord- (Beifall bei Abgeordneten der FDP und der nung gesetzt worden. CDU/CSU sowie der Abg. Dr. Antje Vollmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Nicht selten hatten wir in der Vergangenheit diesbe- züglich einen beschämenden Widerspruch zu beklagen: der sich ohnehin, wie wir wissen, schon mit 50 Prozent an Wir hörten hier – dem Anlass gemäß – würdige Gedenk- den Kosten der Topographie des Terrors beteiligt. reden; gleichzeitig leisteten die Regierenden dieser Stadt (Eckhardt Barthel [Berlin] [SPD]: Oh je! Nun ein makabres Verzögerungs- und Verweigerungsritual ge- übertreiben Sie aber etwas!) genüber den heute in Rede stehenden Gedenkstätten. Hier muss ich Frau Vollmer wirklich Recht geben. – Lieber Herr Barthel, der Berliner kommt anschließend. Aber seit der ersten Lesung dieses Antrages genau Zweitens. Seit dem 20. Dezember 2001 ist Ihr Antrag, heute vor einem Jahr hat sich manches zum Positiven ent- Herr Nooke, aber nicht nur überholt, sondern nach unserer wickelt. Das Jüdische Museum ist inzwischen eröffnet, Auffassung sogar kontraproduktiv. An diesem Tage haben der Bau des Denkmals für die ermordeten Juden Europas nämlich die Ministerpräsidenten der Länder den Ausstieg vollzogen. Endlich scheint auch die Dokumentations- aus der Finanzierung der Stiftung Preußischer Kultur- stätte Topographie des Terrors auf gutem Wege zu sein. besitz angekündigt. Wir dürfen es jetzt nicht auch noch ho- norieren, dass sich die Ministerpräsidenten ihrer Mitver- Die Topographie des Terrors ist für mich eine Gedenk- antwortung für das Erbe Preußens entziehen wollen; stätte sui generis. Sie ist auch durch den einmaligen poli- tischen Hintergrund und vor allen Dingen durch die Ar- (Beifall der Abg. Cornelia Pieper [FDP], des chitektur, man kann auch sagen, durch das Kunstwerk von Abg. Horst Kubatschka [SPD] und der Abg. Dr. Zumthor gegenüber allen anderen Gedenkstätten heraus- Antje Vollmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) gehoben. Von daher ist es sehr gut, dass der Baustopp in denn das, meine Damen und Herren, geht nicht zusammen. dieser Woche aufgehoben wurde. Zwar steht die formale Es geht nicht, für sich die Kulturhoheit zu beanspruchen Zustimmung des Berliner Abgeordnetenhauses noch aus, und gleichzeitig vom Bund das Geld zu verlangen. doch sind politische Ungereimtheiten in Sachen antifa- schistischer Gedenkstätten von Berlin eigentlich nicht Herr Minister Nida-Rümelin, wir brauchen die gerade mehr zu erwarten. vor zwei Tagen beschworene Systematisierung der Kul- tur- und Gedenkstättenförderung. Zur Vorbereitung der Zu vielen der diesbezüglichen Streitereien um Finanzen jetzt anstehenden Gespräche mit den Ländern schlage ich und Konzeptionen hätte es nicht kommen dürfen und wäre Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 213. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Januar 2002 21135

Dr. Heinrich Fink (A) es auch gar nicht gekommen, wenn die drei Gedenkstätten Weil das nun wirklich ein ernstes Thema ist, mit dem (C) – hier begrüße ich namens meiner Fraktion die Intention wir uns schon intensiv befasst haben, ist es durchaus der Antragsteller – von Anfang an als Trias, als Dreierein- wichtig, noch einmal darauf hinzuweisen, dass es in die- heit betrachtet worden wären: sowohl räumlich als auch sem Haus über die Bewertung der Bedeutung aller drei gedanklich. Folglich wären sie dann einheitlich vom Bund Stätten absolut keine Differenzen gibt. Es scheint mir konzipiert, errichtet und auch finanziert worden. wichtig zu sein, dass wir hier keine Hierarchie der einzel- Die Antragsteller sagen sinngemäß: Es gibt keinennen Stätten aufbauen, sondern dass wir die Bedeutung überzeugenden Grund, dass der Bund einerseits Errich- aller Institutionen, Museen und auch der Gedenkstätten tung und künftigen Unterhalt von Mahnmal und Jüdi-sehen. Man darf nicht sagen: Das eine ist wichtiger als das schem Museum sichert, dies aber andererseits für die To- andere. pographie des Terrors offen lässt. Dieser Logik folge ich (Beifall des Abg. Hans-Joachim Otto [Frank- und vermute, dass sich ihr auch die Vertreter der Regie- furt] [FDP]) rungskoalition kaum verschließen können. Selbst wenn jetzt und hier eine Mehrheit der ablehnenden Beschluss- Jetzt sage ich noch einmal: Gerade die Topographie des empfehlung folgt, weil die Regierungsseite, obwohl es Terrors hat in der Tat insofern eine Eigenart, als es hier um nach der Gedenkstättenkonzeption nicht logisch ist,den Ort der Täter geht. Ich glaube, das unterstreicht schon meint, einen Oppositionsantrag aus Prinzip ablehnen zu die Bedeutung und unsere Verpflichtung, sie zu gestalten. müssen, so habe ich weder SPD noch Grüne als erklärte Bei der Forderung der Einbeziehung der Topographie oder unerklärte Gegner dieser Berliner Gedenkstättendes Terrors in die Bundesfinanzierung erfolgt häufig der wahrzunehmen. Ganz im Gegenteil: Ich hoffe und er-Hinweis, dass sie in der räumlichen Nähe der beiden an- warte, dass Wege gefunden werden, die Zukunft dieser deren Stätten liegt. Diese räumliche Nähe ist nicht zu be- drei Gedenkstätten zu sichern. streiten. Ich würde das übrigens sogar noch ergänzen. Es Es geht bei dem Mahnmal um die ermordeten Juden in ist nicht nur die räumliche Nähe der drei Institutionen, Europa, beim Jüdischen Museum und der Topographie (Zuruf von der CDU/CSU: Ja, es gibt noch des Terrors um Erinnerung, Mahnung und Gedenken. mehr!) Diese drei Topoi mitten in Berlin, auch in geographischer Richtung zusammengefasst, Topoi einer Weitergabe der sondern zum Beispiel auch die Nähe des Mahnmals zum Geschichte an die nachfolgende Generation sollten wir Bereich der Politik, dieses Parlaments, oder die Nähe der von diesem Parlament aus auch ökonomisch sichern. Topographie des Terrors zum Potsdamer Platz als dem Ort des Kommerzes. Ich halte auch dieses Beziehungsge- (Hans-Joachim Otto [Frankfur] [FDP]: Neue flecht zu anderen Orten durchaus für wichtig. Koalition: mit der PDS!) (B) Die Gleichwertigkeit ist bereits dargestellt worden.(D) Zwingt diese aber auch zur gleichartigen Finanzierung? Vizepräsidentin Petra Bläss: Letzter Redner in die- Ich möchte auch daran erinnern, dass es nur deshalb zur ser Debatte ist der Kollege Eckhardt Barthel für die SPD- Übernahme des Mahnmals für die ermordeten Juden Eu- Fraktion. ropas durch den Bund gekommen ist, weil eine andere Fi- (Günter Nooke [CDU/CSU]: Herr Barthel, er- nanzierung der Errichtung nicht möglich war. Wenn wir klären Sie, warum es mit einem PDS-Kultur- ehrlich sind, haben wir es dadurch bekommen. Insofern senator besser geht!) hat es auch hier ursprünglich einen anderen Vorlauf gege- ben.

Eckhardt Barthel (Berlin) (SPD): Meine Damen und Es ist vielleicht müßig, noch einmal an das zu erinnern, Herren! Herr Nooke, ich habe mir immer vorgenommen, was bereits gesagt wurde, nämlich dass es in der Tat hier- nur zum Thema der Tagesordnung zu reden. Ich werde in bei Systemunterschiede gibt. Wir haben eine Gedenkstät- diesem Zusammenhang nicht wie Sie über die Konzep- tenkonzeption, die akzeptiert wird und viel Unterstützung tion des Jüdischen Museums und darüber, was mir daran gefunden hat. Das ist auch ein Ergebnis unserer Arbeit in gefällt oder nicht gefällt, reden. dieser Legislaturperiode. Das möchte ich nicht vergessen wissen. Dies haben wir geschafft. (Zustimmung bei der SPD) Warum – das frage ich ganz simpel – sollen wir zwar Was ist der Kern unseres Themas? Das lässt sich auf die Topographie des Terrors aus dieser Konzeption he- eine wichtige Frage reduzieren: Soll die Topographie des rausnehmen, aber beispielsweise – um nur in Berlin zu Terrors vom Bund – – bleiben – die Wannsee-Villa darin belassen? Dies müsste (Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP]: Über- mir einmal jemand erklären. Das kann nicht allein mit nommen werden: ja oder nein?) dem Argument der Perlenschnur oder der räumlichen Nähe erklärt werden, sondern es muss inhaltlich begrün- – Ich bedanke mich. Genau das ist der Punkt. Insofern det werden. Dann würde das Ergebnis erzielt, das Herr passt vieles, was hier bereits besprochen wurde, nicht zum Otto – für meine Begriffe nicht sehr fein – immer wieder Thema. darstellt: Alles geht wieder nach Berlin. (Günter Nooke [CDU/CSU]: Nein, über die Wenn man eine Unterstützung des Landes Berlin durch Gesamtkonzeption kann man reden!) die Übernahme durch den Bund erreichen möchte, Aber jeder redet so, wie er kann. möchte ich mich an dieser Diskussion nicht beteiligen. 21136 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 213. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Januar 2002

Eckhardt Barthel (Berlin) (A) Dass ich sie möchte, ist klar, aber ich möchte gern, dass – Drucksache 14/8059 – (C) sie systematisch und nachvollziehbar ist, weil sie sonst Berichterstattung: keine Unterstützung findet. Dies wäre der falsche Ansatz, Abgeordneter Volker Jung (Düsseldorf) weil wir dann aus der Systematik herausfallen würden, unabhängig von der bereits erwähnten Frage, was ein au- ZP 10 Zweite und dritte Beratung des von den Abgeord- thentischer Ort ist. Bei den beiden anderen handelt es sich neten Eva Bulling-Schröter, Rolf Kutzmutz, nicht um authentische Orte, aber die Topographie des Ter- Ursula Lötzer, weiteren Abgeordneten und der rors ist ebenso wie die Wannsee-Villa ein authentischer Fraktion der PDS eingebrachten Entwurfs eines Ort. Gesetzes zur Sicherung und zum Ausbau der ge- Es gibt noch mehrere Bereiche. In der Frage, was mit koppelten Strom- und Wärmeerzeugung (KWK- der zweiten Diktatur ist, gebe ich Ihnen Recht, Herr Gesetz) Nooke. Dies ist richtig. Deshalb werden wir den vorlie- – Drucksache 14/2693 – genden Antrag ablehnen, wie wir es schon in der ersten (Erste Beratung 91. Sitzung) Begründung dazu angekündigt haben. Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus- Lassen Sie mich zum Schluss noch eine Bemerkung ses für Wirtschaft und Technologie (9. Ausschuss) zur Finanzierung der Topographie des Terrors machen. Ich möchte mich lobend dazu äußern, dass der Staatsmi- – Drucksache 14/8048 – nister für Kultur in den Verhandlungen mit Berlin eine Berichterstattung: Regelung gefunden hat, nach der sich der Bund zwar mit Abgeordneter Walter Hirche der Hälfte der Kosten beteiligt, aber nur, wenn die getrof- Zum Gesetzentwurf der Bundesregierung liegt ein Än- fenen Vereinbarungen auch eingehalten werden. derungsantrag der Fraktion der PDS vor. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. – Ich höre Ich halte diese Regelung für gut. Die in dem Antrag for- keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. mulierten Befürchtungen, die Kosten würden sich nach Der erste Redner ist der Kollege Volker Jung für die oben entwickeln, Fraktion der SDP. (Zuruf der Abg. Antje Vollmer [BÜNDNIS- NIS 90/DIE GRÜNEN]) Volker Jung (Düsseldorf) (SPD): Frau Präsidentin! diese auch von Ihnen, Herr Lammert, formulierte Besorg- Meine Damen und Herren! Mit dem vorliegenden Ge- (B) nis, hat Ihnen Herr Nida-Rümelin sicherlich genommen. setzentwurf lösen wir eine der wichtigsten energiepoliti- (D) schen Zusagen der rot-grünen Regierungskoalition ein, (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ im Rahmen unseres Klimaschutzprogramms durch Erhal- DIE GRÜNEN) tung, Modernisierung und Ausbau der Kraft-Wärme- Kopplung einen wesentlichen Beitrag zur CO2-Reduzie- Vizepräsidentin Petra Bläss: Ich schließe die Aus- rung zu leisten. sprache. (Zurufe von der SPD: Lauter! – Horst Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussemp- Kubatschka [SPD]: Jetzt schrei einmal rich- fehlung des Ausschusses für Kultur und Medien auf tig!) Drucksache 14/7451 zu dem Antrag der Fraktion der CDU/CSU mit dem Titel „Jüdisches Museum, Topogra- – Das muss an der Technik liegen. Vielleicht lässt sich das phie des Terrors, Mahnmal für die ermordeten Juden Eu- etwas nachsteuern. ropas“. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Druck- sache 14/4249 abzulehnen. Wer stimmt für dieseVizepräsidentin Petra Bläss:Einen kleinen Mo- Beschlussempfehlung? – Gegenstimmen? – Enthaltun- ment, liege Kolleginnen und Kollegen! Dieses Problem gen? – Die Beschlussempfehlung ist gegen die Stimmen ist schon gestern aufgetaucht. An seiner Lösung wird ge- der Fraktionen der CDU/CSU und der PDS angenommen. arbeitet. Aber im Moment kann man nichts machen, denn die Anlage ist schon auf Maximum eingestellt. Es tut mir Ich rufe die Zusatzpunkte 9 und 10 auf: Leid. Die Kolleginnen und Kollegen sollten sich deshalb so gut wie möglich disziplinieren und die Rednerinnen ZP 9 Zweite und dritte Beratung des von der Bundes- und Redner sollten so laut wie möglich reden. regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes für die Erhaltung, die Modernisierung und den Aus- (Düsseldorf) (SPD): Schönen Dank, bau der Kraft-Wärme-Kopplung (Kraft-Wärme- Volker Jung Frau Präsidentin. Kopplungsgesetz) – Drucksachen 14/7024, 14/7086 – Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf flankieren wir die Selbstverpflichtung der deutschen Industrie, insbe- (Erste Beratung 193. Sitzung) sondere der Elektrizitätswirtschaft, in der sie sich auf den Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus- Zubau von den KWK-Anlagen festgelegt hat, die sich ses für Wirtschaft und Technologie (9. Ausschuss) auch unter den derzeitigen Marktbedingungen rechnen. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 213. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Januar 2002 21137

Volker Jung (Düsseldorf) (A) Das sind die Anlagen, die rund um die Uhr Strom und zess sind die wichtigsten Parameter dieses Eingriffs zwi- (C) Wärme erzeugen. Im Konsens und mit Unterstützung des schen Energiewirtschaft und Politik vereinbart worden. Gesetzgebers sollen allerdings die KWK-Anlagen, die Dass am Ende einige Wünsche offen geblieben sind – das unter den gegebenen Marktbedingungen nicht wirtschaft- gilt im Übrigen für beide Seiten –, kann bei solchen Pro- lich arbeiten können, in ihrem Bestand geschützt und mo- zessen nicht überraschen. Es liegt in der Natur von Kom- dernisiert werden. Das sind vor allen Dingen die Anlagen, promissen, dass zugunsten des gemeinsam Erreichbaren die in der Fernwärmeversorgung eingesetzt werden. Zugeständnisse gemacht werden müssen. Es liegt in der Über Sinn und Bedeutung des Klimaschutzesgibt es Natur von Gesetzen, dass sie das gemeinsam Erreichbare zwischen der Wirtschaft und der Politik keinen Zweifel. festhalten und im Interesse der Allgemeinheit regeln. Einen solchen kann es nach den jüngsten Dokumenten der (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Energie-Enquete des Bundestages und des Nachhaltig- keitsrates der Bundesregierung auch nicht mehr geben. Zu dem Gesetzentwurf selbst haben wir nach der Stel- Wir wollen unter den veränderten Bedingungen der Libe- lungnahme des Bundesrates und vor allem nach der Sach- ralisierung des Energieversorgungsmarktes die Fort-verständigenanhörung des Wirtschaftsausschusses eine schritte im Klimaschutz mitInvestitionsimpulsen für Reihe von Änderungsvorschlägen gemacht, die das Ge- Wachstum und Beschäftigung in unserem Land verbin- setz praxistauglich und wirksamer machen sollen. Zu den den. Nicht Substanzverzehr durch Preiskämpfe und Kon- wesentlichen Punkten gehören: die Aufnahme der CO2- zentrationswellen, sondern technische Innovation undMinderungsziele von 10 Millionen Tonnen bis zum Jahre Modernisierung sind unsere Devise. 2005 und von mindestens 20 Millionen Tonnen bis zum Jahre 2010 sowie das Vorziehen der Zwischenüberprü- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ fung auf das Jahr 2004, um rechtzeitig zum Stichtag 2005 DIE GRÜNEN) die Wirksamkeit des Gesetzes überprüfen und gegebe- Deshalb setzen wir klare Investitionssignale für einen mo- nenfalls die erforderlichen Maßnahmen für eine zusätzli- dernen Kraftwerkspark, für eine dezentrale Energieerzeu- che Förderung der KWK ergreifen zu können, damit das gung sowie für heimische Wertschöpfung und Beschäfti- Minderungsziel im Jahre 2010 erreicht werden kann. gung. Dieser Markteingriffhat sich als notwendig (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ erwiesen, weil der Wettbewerb auf dem Strommarkt, ins- DIE GRÜNEN) besondere der starke Preisverfall, kontraproduktive Er- gebnisse für den Klimaschutz zeitigt: Billiger Strom Weitere Punkte sind: die Anhebung der Fördersätze zwingt dazu, KWK-Anlagen stillzulegen und den Wär- für modernisierte Anlagen – das ist der eigentliche Kern- mebedarf von Haushalten und Industrie durch zusätzliche punkt der Änderungsvorschläge – im Zeitkorridor bis 2010, (B) Verbrennungsprozesse zu decken. um bei den langen Vorlaufzeiten von drei bis vier Jahren(D) auch tatsächlich das notwendige Investitionsvolumen zu Strom kann uns nach der Liberalisierung allerdings mobilisieren, sowie eine Verbesserung der Förderung klei- auch teuer zu stehen kommen. Dass diePreise nämlich ner KWK-Anlagen, die bereits heute die Energieeffizienz auch kräftig steigen können, zeigten die jüngsten Aus- von Brennstoffzellenanlagen übertreffen. Daneben muss schläge an der Leipziger Strombörse, wo die Presse im es eine Präzisierung der Kostenwälzung geben, mit der Dezember des vergangenen Jahres in der Spitze fastwir sicherstellen, dass sowohl die Privathaushalte als auch 1 000 Euro pro Megawattstunde betrugen. Das ist dasdie stromintensiven Industriekunden, die in einem inter- Zwanzigfache des normalen Preises. Ähnlich wie bei dem nationalen Standortwettbewerb stehen, nicht über Gebühr unseligen kalifornischen Beispiel werden die Ursachen belastet werden. In diesem Zusammenhang haben wir auch dafür im spekulativen Marktgebaren großer Stromanbie- die besondere Situation des schienengebundenen Verkehrs ter gesehen. Wir werden uns diesen Vorgang noch sehr ge- berücksichtigt, da wir diesen umweltfreundlichen Verkehrs- nau ansehen müssen. träger unterstützen und nicht belasten wollen. Mittlerweile sind auch auf der Großhandelsstufe die Insgesamt möchte ich feststellen: Der Gesetzgeber hat Strompreise wieder gestiegen. Das ist ein eindeutiges Si- seine Hausaufgaben gemacht. Jetzt erwarten wir, dass die gnal für Knappheit. Die großen Energieversorger fahren Wirtschaft ihren Teil der Vereinbarung einlöst. Sie ist auf- ihre Kapazitäten zurück. Mittel- und langfristig sollen gefordert, die Vereinbarung nun endgültig zu unterzeich- höhere Preise im Markt durchgesetzt werden. Investitio- nen und umzusetzen, was sie der Bundesregierung fest zu- nen Dritter werden dabei leicht als störend empfunden. gesagt hat. Wenn wir dieser Entwicklung tatenlos zusehen würden, dann wären auch bei uns kalifornische Verhältnisse nicht (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ mehr ganz auszuschließen; denn dort gab es keine An- DIE GRÜNEN) reize, sondern nur Hindernisse für Neuinvestitionen. Die Spätestens zur gesetzlich fixierten Zwischenüberprü- Substanz wurde verzehrt und nicht gemehrt. So weit dür- fung im Jahr 2004 wird Kassensturz gemacht. Dann wird fen wir es bei uns nicht kommen lassen. sich zeigen, was diese neuartige Kombination aus Selbst- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ verpflichtung und gesetzlicher Förderung wert ist. DIE GRÜNEN – Walter Hirche [FDP]: Dann Ich möchte diese Gelegenheit auch dazu nutzen, darauf müssen Sie eine echte Liberalisierung machen!) hinzuweisen, dass dieses KWK-Gesetz in einer guten und Wir haben aber den Markteingriff auf das unverzicht- langen Tradition der deutschen Energiepolitik steht. Es bare Maß reduziert. In einem langen und mühevollen Pro- waren die von uns geführten Bundesregierungen, die aus 21138 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 213. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Januar 2002

Volker Jung (Düsseldorf) (A) den beiden Ölpreiskrisen in den 70er-Jahren die richtige Es ist nicht mehr zu übersehen, dass die Investitionen in (C) Schlussfolgerung gezogen haben, dassVersorgungs- die Netze seit der Liberalisierung bedenklich abnehmen sicherheit und Verbraucherschutz weder den internatio- und die Erzeugungskapazitäten erheblich zurückgefahren nalen Erdölkartellen noch den multinationalen Konzernen werden. Der Shareholdervalue wird mit empfindlichen überlassen werden dürfen. Einbußen nicht nur bei der Beschäftigung, sondern auch bei der Substanz der Anlagen und der Versorgungssicher- Wir haben damals große Anstrengungen zurVerbes- heit erkauft. serung der Energieeffizienz unternommen, zu denen insbesondere auch der Fernwärmeausbau und die Kraft- (Beifall bei der SPD) Wärme-Kopplung zählten. Bundes- und Landesprogram- me wurden aufgelegt und Fernwärmevorranggebiete aus- Ich frage mich, ob in der Energiewirtschaft Konzerne gewiesen. Das sind die Grundlagen und Traditionen der das Leitbild sein sollen, denen bei Konjunkturschwierig- Kraft-Wärme-Kopplung in der öffentlichen Versorgung. keiten selten mehr einfällt als Massenentlassungen und Hier haben Politik und kommunale Wirtschaft gemeinsam deren internationale Steuerplanung dazu führt, dass zwar einen ganz erheblichen Beitrag zur Versorgungssicherheit munter Dividenden, jedoch nur spärlich Steuern fließen. und zum Umweltschutz geleistet. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Auch angesichts der stürmischen Übernahmen und Fu- DIE GRÜNEN) sionen auf dem deutschen Energiemarkt gilt es, die ord- Ich bin deshalb davon überzeugt: Dieses Gesetz ist ein nungs- und industriepolitische Balance zu halten. Es ist Stück aktiver Standort- und Energiestrukturpolitik für sicher nicht falsch – wie gesagt worden ist –, dass auf den eine effiziente, verbrauchernahe und umweltverträgliche internationalen Energiemärkten auch deutsche Unterneh- Energieversorgung. Das sind die wichtigsten Elemente men als Global Player auftreten sollen. Die Alternativeunserer Energiepolitik und dafür werden wir uns weiter hierzu wäre das Modell von Energie Baden-Württemberg, einsetzen. nämlich der Ausverkauf an ausländische Staatsmonopole – in diesem Fall an die Electricité de France. Schönen Dank. Dabei sollte aber auch nicht aus den Augen verloren (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ werden, dass unsere mittelständischen und pluralistischen DIE GRÜNEN) Versorgungsstrukturen einen eigenen Wert besitzen, der sich nicht in Börsenkursen ausdrücken lässt. Vizepräsidentin Petra Bläss:Das Wort für die (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ CDU/CSU-Fraktion hat der Herr Kollege Hartmut DIE GRÜNEN) Schauerte. (B) Dieser Wert liegt in ihrem Beitrag zu einem funktionie- (D) renden Wettbewerb. Denn Wettbewerb setzt Wettbewer- Hartmut Schauerte (CDU/CSU): Frau Präsidentin! ber auch auf der Erzeugungsstufe voraus, die mehr anzu- Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Wir sind am bieten haben als den Weiterverkauf des bezogenenEndpunkt einer unglaublich hektischen, unglaublich Stroms. Die jüngsten Preisbewegungen sind ein schla- schlecht koordinierten und verzettelten Beratung ange- gender Beweis dafür. kommen. Schließlich setzt ein funktionierender Markt bei Strom (Lachen bei der SPD – Horst Kubatschka und Gas stabile Leitungsnetzevoraus, die bei uns noch [SPD]: Das haben Sie bei der CDU/CSU als Re- nicht in Mitleidenschaft gezogen sind. Netze müssen bis debaustein! – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] in den letzten Winkel der Republik die gleichen Qua- [SPD]: Reden Sie jetzt über Ihre internen Pro- litätsstandards und technischen Ansprüche erfüllen. An- zesse oder worüber?) bieter und Kunden müssen gleichermaßen zu transparen- ten Bedingungen und fairen Preisen bedient werden, Vielleicht ist es gerade deswegen wichtig, auch vonseiten der CDU/CSU noch einmal einige Grundsätze deutlich zu (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ machen, bevor wir in die Bewertung einsteigen. DIE GRÜNEN) Wir sind uneingeschränkt für eine effiziente, intelli- jedenfalls dann, wenn unter Wettbewerb mehr verstanden gente und wirkungsvolle CO 2-Reduzierung; schließ- werden soll als nur der Preiskampf um lukrative Sonder- lich haben wir an den Entscheidungen auch auf interna- vertragskunden in Ballungsgebieten, vor allem dann,tionaler Ebene von Anfang an maßgeblichen Anteil wenn die nach wie vor geltende Versorgungsgarantie für gehabt. Tarifkunden nicht unter die Räder kommen soll. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Wir sind der Meinung, dass Kraft-Wärme-Kopplung ein vernünftiger Beitrag dazu sein kann. Wissenschaftlich Ich halte die Frage, ob der viel bemühte Shareholder- kann man sich lediglich noch darüber unterhalten, wie value das alleinige oder zentrale Kriterium in unsererviel drin ist; sie ist aber ein wichtiger Beitrag. Das muss Energieversorgung werden soll, deshalb für in höchstem wärmegeführt sein und dann ist das sinnvoll. Wir haben Maße erörterungsbedürftig. nur den Eindruck, dass dieses Gesetz die Chancen, die (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ darin liegen, nicht nutzt und das, was betrieben wird, er- DIE GRÜNEN) heblich verteuert, was die Effizienz verringert. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 213. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Januar 2002 21139

Hartmut Schauerte (A) Lassen Sie mich noch eine Bemerkung zu dem damit Diese eigenartige Form der Gesetzgebung ist aber nor- (C) ja dann hoffentlich beerdigten unglücklichen Vorschalt- mal, wenn man alle Ziele gleichzeitig verfolgen will: Man gesetz machen. Ein so unglückliches Gesetz will CO2 einsparen, man will dieTechnologie fördern, man will die Arbeitsplätze schützen. Aber da geht es (Monika Ganseforth [SPD]: Aber wirkungs- schon los: welche Arbeitsplätze? Die in den neuen Tech- voll!) nologien, die in den alten Strukturen oder diejenigen, die haben wir im Deutschen Bundestag wohl lange nichtentstehen könnten, wenn unsere Energiepolitik für güns- mehr gehabt. Es wird höchste Zeit, dass es beseitigt wird. tige Energiekosten in Deutschland sorgte? Bei dieser In- Es war von Anfang an verfassungswidrig. Es war nicht teressenverflechtung streitet der eine Arbeitsplatz gegen zielführend. Es war eine Vergeudung von Steuermitteln. den anderen. Dasselbe gilt für die Besitzstandswahrung: Welche Besitzstände wollen Sie wahren, die der Anbieter (Walter Hirche [FDP]: Aber eine gelungene der alten Technologien oder die der Anbieter neuer Tech- Abzockerei!) nologien? – Aber eine gelungene Abzockerei. – Wir stellen jetzt fest, (Monika Ganseforth [SPD]: Sie machen sich dass 55 Prozent der Milliarden, die ausgegeben worden das aber sehr einfach!) sind, an drei große kommunale Unternehmen gegangen sind. Allein die BEWAG hat 255 Millionen bekommen. – Nein, nein. Eine Lizenz zum Gelddrucken! (Walter Hirche [FDP]: Warum hat denn der Minister das Vorschaltgesetz „Pennerprämie“ (Monika Ganseforth [SPD]: Wer hat Ihnen das genannt?) aufgeschrieben? Viele Stadtwerke haben davon profitiert!) – Das ist ein schöner Begriff. Der Wirtschaftsminister hat das Vorschaltgesetz „Pennerprämie“ genannt. Das Geld ist ausgegeben worden, ohne dass etwas Ver- nünftiges damit gemacht worden ist. (Monika Ganseforth [SPD]: Das Niveau wird im- mer besser! – Michaele Hustedt [BÜNDNIS 90/ (Widerspruch bei der SPD) DIE GRÜNEN]: Das sind doch keine Argu- Das war ein erbarmungsloser Griff in die Taschen der mente mehr!) Steuerzahler zugunsten einiger weniger, die unter dem be- – Das ist die Beschreibung des Ergebnisses Ihrer Politik. sonderen Schutz der sozialdemokratischen Stadtwerke- Das tut weh, Frau Hustedt. fraktion gestanden haben. (Beifall des Abg. Manfred Grund [CDU/CSU] (B) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und und des Abg. Walter Hirche [FDP] – Michaele (D) der FDP) Hustedt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gut, Genau da ist das gelandet. dass wir den Wirtschaftsminister haben, sonst hätten Sie ja keine Argumente!) (Monika Ganseforth [SPD]: Natürlich ist es bei den Stadtwerken gelandet! Da sollte es auch Es kam uns teuer zu stehen und ist vor allem nicht ziel- hin! Das war der Sinn der Sache!) führend gewesen. Eigentlich ist das, was Sie mit dem Gesetz gemacht ha- Wir haben festzustellen, dass wir in der Energiepolitik mittlerweile an Grenzen stoßen, wenn es um die Frage ben, schadenersatzpflichtig. geht, wie sehr sich die Energiepreise steuerlich noch er- Bei dieser Art von Gesetzgebung müssen wir Sie fra- höhen lassen. Der Staat ist beim Benzin mit 70 Prozent da- gen, wie weit Sie die Klientelpolitik noch treiben wollen. bei, (Walter Hirche [FDP]: So ist es!) (Monika Ganseforth [SPD]: Sie haben das nicht begriffen!) Der Gesetzgeber erklärt, es gebe ein Problem, um das sich andere kümmern sollten, er selber habe keine Meinung. beim Strom mit 40 Prozent. Ich erkläre hier, dass die per- Ist das Gesetz dann verabschiedet, wird der Minister sa- manente Verteuerung von Energie in Deutschlandzu gen, dass er von dem ganzen Thema nie etwas gehalten schwerem Schaden bei Beschäftigung und Wachstum habe; er sei schon mit dem Vorschaltgesetz nicht einver- führt. standen gewesen und sei auch mit diesem Gesetz nicht zu- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) frieden. Da aber das Parlament die Rechtsvorschriften mit Dritten auskungele, solle es auch zusehen, was daraus Wir können Sie nur auffordern, diesen Weg nicht weiter wird. Am Ende wird jeder die Vaterschaft für dieses Ge- zu beschreiten; denn damit belasten Sie die deutsche Pro- setz ablehnen, wenn es in der Wirklichkeit gescheitert sein duktion und den deutschen Export und begünstigen den wird. internationalen Wettbewerb gegen uns. Die immer höher werdenden Energiepreise stellen eine gefährliche Ent- (Zuruf der Abg. Michaele Hustedt [BÜND- wicklung dar. NIS 90/DIE GRÜNEN]) Nach wie vor gibt es eine Privilegierung öffentlicher – Auch die Mutterschaft wird dann abgelehnt werden, Betreiber, die nicht in Ordnung ist. Auch ist eine Bemes- Frau Hustedt. sungskategorie eingeführt worden, die nicht passt. Bei 21140 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 213. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Januar 2002

Hartmut Schauerte (A) Ausnahmen stellen Sie im Hinblick auf Großunterneh- Herzlichen Dank. (C) men auf den Umsatz ab. Alle Fachleute haben Ihnen ge- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) sagt, dass das keinen Sinn mache. Man kann einen riesi- gen Umsatz haben, wenn man sehr viel einkauft. Daher legt man in solchen Fällen die Bruttowertschöpfung zu- Vizepräsidentin Petra Bläss: Jetzt spricht die Kol- grunde. legin Michaele Hustedt für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Des Weiteren ist festzustellen, dass all das, was Sie so hektisch verändern wollen, am Ende nicht passt. Der Bundesrat hat Ihnen deswegen ja gerade eine Ohrfeige Michaele Hustedt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): verpasst und eine Verkürzung der Fristen nicht bewilligt. Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Das Gesetz wird also nicht zum geplanten Zeitpunkt in Schauerte, wenn etwas nicht hektisch war, dann war das Kraft treten können. Damit dürften auch Termine für In- dieser Gesetzgebungsprozess. Wir haben Monate, fast vestitionen durcheinander geraten. Sie können es einfach Jahre diskutiert, und zwar in einem öffentlichen Prozess in nicht. aller Breite und Tiefe mit den gesellschaftlichen Gruppen. Auch Sie hätten sich jederzeit einklinken können. Deshalb Welche neuen Technologien wollen Sie fördern? Vor kann ich nur sagen: Hektisch war es nun wirklich nicht. der Brennstoffzelle zucken Sie immer ein bisschen zurück. Eine wirkliche Priorisierung von modernen Tech- (Michael Müller [Düsseldorf] [SPD]: Die nologien vermeiden Sie, indem Sie ihnen sofort alte wollen ihre Vorurteile pflegen!) Technologien an die Seite stellen. Bei diesen Fragen sind Sie nur noch lobbygesteuert. Vizepräsidentin Petra Bläss:Frau Kollegin Hustedt, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen (Beifall des Abg. Walter Hirche [FDP] – Horst Schauerte? Kubatschka [SPD]: Da klatscht die Oberlobby! – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das ist doch völliger Unsinn!) Michaele Hustedt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich weiß, jetzt kommt die Frage nach der Endphase und Wer Recht bekommt, hängt davon ab, welcher Produzent der Tischvorlage. Stellen Sie Ihre Frage, sonst geht das und welcher Verband als Letzter mit Ihnen geredet hat. von meiner Redezeit ab! Versuchen Sie doch bitte, wieder ordnungspolitisch ein- wandfrei an solche Fragen heranzugehen. Hartmut Schauerte (CDU/CSU): Können Sie mir Marktorientierte Regelungen werden durch staatliche zustimmen, dass man unter Hektik nicht unbedingt die (B) Regulierungen ersetzt. Wie oft wollen Sie denn denKürze oder Länge der Zeit verstehen muss? Kann man(D) Minister mittels Verordnungen in den Prozess eingreifen nicht unter Hektik auch ein ewiges, unerträgliches Hin lassen? Wie wollen Sie denn die von Ihnen immer wieder und Her verstehen? beschworene Investitionssicherheit herstellen? Sie dro- hen stündlich mit Veränderungen auf dem Verordnungs- wege und sprechen die Ermächtigung aus, je nach Kon- Michaele Hustedt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): junkturverlauf permanent in langfristig angelegteEs war ein schwieriger Diskussionsprozess; das habe ich Investitions- und Energiestrukturentscheidungen einzu- ja auch gesagt. Das hatte damit zu tun, dass es starke ge- sellschaftliche Kräfte gab, die dagegen waren. Es gab aber greifen. Das ist eine unerträgliche Situation. auch genauso starke Kräfte, die dafür waren. Dann ist es Wir können einem solchen Gesetz nicht zustimmen. ein normaler gesellschaftlicher Prozess – er hat sehr viel Zu unseren Grundsätzen habe ich bereits etwas gesagt. mit Demokratie zu tun –, Kehren wir zurück zu ehrlichen Finanzierungen! Wenn (Walter Hirche [FDP]: Oh!) wir technologische Veränderungen wollen, sind Haus- haltslösungen das richtige Wort und nicht der Weg über dass man sich auf die Suche nach Kompromissen begibt. Preisgestaltungen. Diese verschönern zwar Ihre Statistik, (Beifall bei Abgeordneten der SPD) weil der Staatsanteil nicht steigt – die Lösung erfolgt näm- lich über den Preis –, es hätte aber eine Finanzierung über Das, was uns hier vorliegt, ist ein echter, ein fairer Kom- den Haushalt stattfinden müssen. Das ist einer unserer promiss. Es ist eine ausgewogene Mischung. Wir betrei- gravierenden Vorwürfe gegen diesen falsch gestrickten ben hier Klimaschutz, berücksichtigen aber auch andere Ansatz, den Sie wieder einmal vorbringen. Denkweisen. Wir befürchten, dass mit diesem Gesetz die ökologi- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN schen Ziele nicht erreicht werden, dass es ökonomisch und bei der SPD) sehr teuer ist und mit ihm Fehlsteuerungen organisiert Weil die Debatte so lang und intensiv war, möchte ich werden, über die wir uns eines Tages verwundert die Au- am Anfang der SPD-Fraktion ganz ausdrücklich für die ge- gen reiben werden. meinsame Arbeit danken, die wir geleistet haben. Daneben (Günter Nooke [CDU/CSU]: Und für den Osten möchte ich der Gewerkschaft Verdi, die sich besonders für zukunftsfähige Arbeitsplätze engagiert hat, danken. schädlich! – Gegenruf des Abg. Michael Müller [Düsseldorf] [SPD]: Der hat besonders viel (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Ahnung von Energiepolitik!) sowie bei Abgeordneten der SPD) Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 213. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Januar 2002 21141

Michaele Hustedt (A) Ich bin froh, Herr Schauerte, dass Sie zumindest sagen, natürlich ein neues Erdgas-GED-Kraftwerk. Das Mindest- (C) dass die Förderung von KWK etwas Sinnvolles ist. Die investitionsvolumen für ein solches Kraftwerk liegt bei FDP ist gegen alles, gegen erneuerbare Energien, gegen 25 Millionen Euro bzw. 50 Millionen DM. Das heißt, wir den Klimaschutz usw. erreichen in den nächsten Jahren ein Investitionsvolumen (Detlef Parr [FDP]: Das stimmt überhaupt von 4 bis 5 Milliarden DM. nicht! Wir haben gute Argumente!) (Günter Nooke [CDU/CSU]: Ist Ihnen schon In den alten Enquete-Kommissionen wurde berechtigter- einmal klar geworden, dass das alles nur in den weise gesagt: KWK ist notwendig. Auch im Klima- Westländern stattfindet? Im Osten ist alles fer- schutzprogramm von Frau Merkel war die Förderung der tig gebaut!) Kraft-Wärme-Kopplung enthalten. Die EU-Kommission Angesichts einer derzeit eher langsamen Wirtschaftsent- sagt: Die Förderung der Kraft-Wärme-Kopplung ist ne- wicklung lässt sich das durchaus sehen. ben der Förderung der erneuerbaren Energien etwas ab- solut Sinnvolles, das für den Klimaschutz substanziell Ein weiterer wichtiger Bestandteil ist die Förderung wichtig ist. der Kraft-Wärme-Kopplung bis 50 kW – diese Erhöhung ist etwas Besonderes – und bis 2 MW. Aber auch die (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Brennstoffzelle spielt eine Rolle. Herr Schauerte, ich ver- und bei der SPD) stehe Sie nicht: Wir haben dafür gesorgt, dass in der For- Wenn Strom erzeugt wird, entsteht Wärme. Es geht da- schung ein Schwerpunkt auf die Förderung derBrenn- rum, diese Wärme sinnvoll, zum Beispiel zum Heizen von stoffzelle gelegt wird. Die Brennstoffzelle soll mit 5 Cent Wohnungen, einzusetzen. Das ist effiziente Ausnutzung. pro Kilowattstunde explizit gefördert werden. Ich erhoffe Wenn man schon fossile Energieträger einsetzt, dürfen sie mir, dass Deutschland als erstes Land in diese neue, mo- nicht verschwendet werden. derne Technologie investiert, damit – ähnlich wie bei den erneuerbaren Energien – Deutschland zum Schaufenster Nun kann man in der Tat über das Modell streiten. Aber für die Welt wird und in Deutschland eine Branche mit zu- ich frage: Wer hat das Zertifikatsmodell verhindert? Das kunftsfähigen Arbeitsplätzen aufgebaut wird. wäre ein noch wesentlich marktgängigeres Modell gewe- sen, bei dem sich derjenige, der den KWK-Strom am bil- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ligsten anbietet, mit hohen Marktanteilen durchgesetzt und bei der SPD) hätte. Ich habe damals, als die Industrie – Eon und andere Die Eigenstromerzeugung der Industrie ist kein Teil Stromkonzerne – gegen das Zertifikatsmodell massiv mo- des Gesetzes. Die Industrie selbst hat gesagt: Wir werden bil gemacht hat, durchaus vermisst, Herr Schauerte und die notwendigen Investitionen tätigen; wir brauchen dafür (B) Herr Hirche, dass Sie sich auf unsere Seite gestellt und für (D) keinen Zuschuss. Herr Schauerte, Herr Hirche, die Indus- den Zertifikatshandel stark gemacht hätten. Das haben Sie trie sagt: Die Investitionen rechnen sich, auch ohne dass nicht getan. Sie haben auch jetzt wieder kein Instrument man uns einen Zuschuss gibt. Möchten Sie vor diesem genannt, mit dem Sie die KWK fördern wollen. Hintergrund der Industrie trotzdem Zuschüsse gewähren? Ich glaube, das Bonusmodell ist nicht das schlechteste. Es ist vielmehr besser, die Industrie erst einmal allein ma- Sie haben beim Stromeinspeisungsgesetz ein ähnliches chen zu lassen. Modell für die Förderung der erneuerbaren Energien ge- wählt, also kann das Instrument nicht so des Teufels sein, (Walter Hirche [FDP]: Das haben Sie eben wie Sie es hier darstellen. nicht gesagt!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Es kann gut sein, dass sich in den nächsten Jahren mo- und bei der SPD) derne Anlagen in der Industrie aufgrund des Atomaus- stiegs und normaler Alterungsprozesse – Neuinvestition Ihren Vorwurf der Klientelpolitik weise ich massivsteht gegen Neuinvestition – rechnen. Wir werden in ei- zurück. Es geht bei diesem Gesetz um ökologische Mo- nem Monitoring überprüfen, ob das stattfindet oder nicht. dernisierung und um sonst gar nichts. Wenn das nicht der Fall ist, dann werden wir in der Tat (Walter Hirche [FDP]: Schön wäre es!) nachbessern müssen und der Industrie einen zusätzlichen Anreiz schaffen, in diese Anlagen zu investieren. Wenn wir uns einer Lobby verpflichtet fühlen sollten, dann sollten das unsere Kinder und Kindeskinder sein, de- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ren Lebensgrundlage wir bewahren wollen. und bei der SPD) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Ich möchte eine letzte Bemerkung zu den Kosten und und bei der SPD – Hartmut Schauerte [CDU/ zu den Belastungen machen. Die Kosten sind deutlich ge- CSU]: Leider ist das nicht wahr!) ringer, als im Vorschaltgesetz kalkuliert. Durch unseren Vorschlag werden die Kosten also verringert. Durch das Wir müssen das Wärmepotenzial veralteter Fernwär- Erneuerbare-Energien-Gesetz und das Kraft-Wärme- meanlagen – es besteht die Gefahr, dass an ihrer Stelle Kopplungsgesetz kommt auf den Bürger eine Belastung Heizwerke entstehen –, die sowieso früher oder später in Höhe von insgesamt ungefähr 0,2 Cent pro Kilowatt- vom Netz gehen müssen, nutzen, um damit Strom zu er- stunde zu. zeugen. Wir wollen diese Anlagen durch modernste Anla- gen ersetzen. Ein sinnvoller Vergleichsmaßstab ist dabei (Günter Nooke [CDU/CSU]: Na prima!) 21142 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 213. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Januar 2002

Michaele Hustedt (A) Ich frage Sie wirklich: Sind uns diese 0,2 Cent die Zu- ablaufen zu lassen ruiniert die Grundlagen der Zusam-(C) kunft unserer Kinder nicht wert? Man bedenke, dass wir menarbeit zwischen den Fraktionen, ganz gleich, wer in eine Zukunftsbranche aufbauen können, die tatsächlich der Regierung und wer in der Opposition ist. zukunftsfähige Arbeitsplätze schafft. (Beifall bei der FDP und der PDS sowie bei (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und Abgeordneten der CDU/CSU) bei der SPD – Günter Nooke [CDU/CSU]: Frau Ich habe deshalb die dringende Bitte: Sie haben doch Hustedt, sagen Sie doch wenigstens, dass das sowieso die Mehrheit und können Ihre Vorstellungen Geld ist, das im Osten investiert werden soll!) durchsetzen. Aber beachten Sie doch wenigstens im Ver- Wenn Sie in diesem Zusammenhang noch die Öko- fahren, dass die anderen Fraktionen das gleiche Recht ha- steuer dazurechnen – sie hat einen viel größeren Anteil –, ben wie die Interessenverbände, in diesen Dialog einbe- dann kann ich Sie nur an Herrn Stoiber verweisen. Herr zogen zu werden. Das ist die Grundlage von Demokratie. Stoiber ist ziemlich schnell zurückgerudert, nachdem er (Beifall bei der FDP) angekündigt hatte, die Ökosteuer zurückzunehmen. Eine zweite Bemerkung. Frau Hustedt, ich denke, dass (Günter Nooke [CDU/CSU]: Das ist ein ande- ganze Haus ist sich darin einig, dass Ziele, wie sie zum res Thema! – Manfred Grund [CDU/CSU]: Na- Beispiel der Ministerrat der Europäischen Union be- türlich nehmen wir sie zurück! – Walter Hirche schlossen hat – ich nenne hier zum Beispiel die Verdopp- [FDP]: Er hat Angst vor der Rentenreform!) lung des Anteils der erneuerbaren Energien oder die Aus- Warum? – Weil er genau weiß, dass er dann die Renten- weitung des Anteils der Kraft-Wärme-Kopplung –, in versicherungsbeiträge anheben müsste. Das will er nicht. bestimmten Zeiträumen verwirklicht und unterstützt wer- Schauen Sie also auf Herrn Stoiber! Herr Stoiber hat deut- den müssen. Es besteht aber keine Einigkeit darüber, dass lich gesagt, dass auch er die Ökosteuer beibehalten will. die Ziele mit dem ökonomischsten der zur Verfügung ste- Nur, weitere Schritte will er nicht. henden Mittel erreicht werden müssen. Es muss für unsere Volkswirtschaft so preiswert wie möglich sein. Der Weg, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN wie Sie das regeln – ob über Steuern oder Abgaben – be- sowie bei Abgeordneten der SPD) lastet die Volkswirtschaft und steht in direktem Zusam- Dieses Gesetz ist glasklar ein ökologisches Gesetz. Es menhang mit der Zahl der Arbeitslosen, die wir im Au- dient der Förderung der erneuerbaren Energien und – zu- genblick in Deutschland haben. sammen mit der Energieeinsparverordnung – der Energie- (Beifall bei der FDP) einsparung durch Altbausanierung. Die rot-grüne Koali- tion hat damit insgesamt eine Energiewende eingeleitet, Deswegen sind wir der Meinung, dass es richtig ist – ich (B) die uns auf dem Weg zu einer zukunftsfähigen Energie- spreche für die KWK –, darüber nachzudenken, mit wel- (D) wirtschaft wirklich ein Stückchen vorangebracht hat. Da- cher Maßnahme man eine Tonne CO2 zu den geringst- rauf können wir zusammen stolz sein. möglichen Kosten vermeiden kann. Wenn das Klimaziel an oberster Stelle steht, dann darf ich nicht danach fragen, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN wie ich das Geld an die Kommunen geben kann, sondern und bei der SPD – Manfred Grund [CDU/CSU]: muss danach fragen, wer in unserer Volkswirtschaft dies Die Erde ist eine Scheibe! – Walter Hirche mit KWK zu den geringsten Belastungskosten am [FDP]: Donnerwetter!) schnellsten verwirklichen kann. Genau diese Gruppe der KWK-Verwender, die Indus- Nächster Redner ist Vizepräsidentin Petra Bläss: trie, schließen Sie aus. Sie akzeptieren zwar, dass dort bil- der Kollege Walter Hirche für die FDP-Fraktion. liger produziert wird, sagen aber einfach, dass diese Pro- duzenten, weil sie das billiger machen, kein Geld vom Walter Hirche (FDP): Frau Präsidentin! Meine Da- Staat brauchen. Sie geben bewusst Geld an eine Stelle, wo men und Herren! Wir hatten in dieser Woche schon mehr- es unrentabler verwendet wird und wo es die Volkswirt- fach die Möglichkeit, über das Demokratieverständnis in schaft insgesamt mehr kostet. diesem Hause zu reden. Ich darf festhalten: Die Mitglie- Hierzu möchte ich noch einen weiteren Punkt ansprechen. der des Wirtschaftsausschusses haben am Mittwoch die- Ich greife ihn auf, weil Kollege Nooke hier angegriffen wor- ser Woche zu Beginn der Sitzung eine Tischvorlage be- den ist, er sei auf Ostdeutschland fixiert. Frau Kollegin kommen. Kollege Jung hat, in durchaus freundlichen Pieper aus Sachsen-Anhalt sitzt hier im Raum; deswegen Worten – das will ich unterstreichen –, gesagt, dass das die kann ich konkret darauf eingehen. Es geht um Leuna. Wir ha- Vorstellungen der Koalition seien, über die sie schon aus- ben einen Antrag eingebracht, dass dieIndustrieparks in giebig diskutiert hätten; sie sähen sich außerstande, in die- Ostdeutschland, die man mit den allgemeinen öffentlichen ser Sitzung noch etwas zu ändern, obwohl die Vorstellun- Netzen in Westdeutschland vergleichen kann, die Strom er- gen, die von der FDP und der PDS vorgelegt worden zeugen und KWK-Anlagen betreiben, die aus der unter- seien, durchaus bedenkenswert seien. Weiter hat er er- schiedlichen Wirtschaftssituation in Ostdeutschland heraus klärt, dass es nun einmal die Natur eines Kompromisses entstanden sind, in die Förderung einbezogen werden. Das sei, dass man nicht alles aufnehmen könne; dem stimme hat man verweigert. Das ist ein Schlag gegen den wirt- ich noch zu. Aber einen so genannten gesellschaftlichen schaftlichen Aufbau von Ostdeutschland. Prozess, wie ihn Frau Hustedt beschrieben hat, außerhalb des Parlaments und an einem Teil des Parlaments vorbei (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 213. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Januar 2002 21143

Walter Hirche (A) Ich kann es – das muss ich zugeben – nicht mehr hören, machen es aber mit den falschen Instrumenten unter Ver- (C) wenn am Mittwoch dieser Woche Bundestagspräsident geudung von Steuergeldern, statt das optimal auszurich- Thierse sagt, wirtschaftlich müssten die Weichen imten und an die Arbeitsplätze und die Volkswirtschaft zu Osten neu gestellt werden. denken. (Günter Nooke [CDU/CSU]: Richtig!) (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Wir aber kriegen hier ein Gesetz nach dem anderen vor- gelegt, in dem die SPD und die Grünen die Möglichkei- Vizepräsidentin Petra Bläss: Für die PDS-Fraktion ten, Ostdeutschland zu fördern, ausschlagen, ja Ost-spricht jetzt der Kollege Rolf Kutzmutz. deutschland sogar im Stich lassen. Das finde ich, auch abseits der klimapolitischen Diskussion, nicht in Ord- (PDS): Verehrte Frau Präsidentin! nung. Wer Leuna hängen lässt, der handelt falsch. Rolf Kutzmutz Liebe Kolleginnen und Kollegen! Man kann eine Sache (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – sehr unterschiedlich sehen. Als Frau Hustedt und Herr Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Sie blasen Jung sagten, sie hätten mit diesem Gesetz die Energie- sich hier in einer Weise auf, die wirklich unan- wende eingeleitet, war mir eher so, als hätten wir sie zu gemessen ist!) Grabe getragen. Ich darf Ihnen ausdrücklich sagen: Wenn bei Ihnen das Für mich ist schon bemerkenswert, dass bei der Bera- Interesse für das Klima an oberster Stelle stünde, dann tung über einen Gesetzentwurf der Bundesregierung kein würden Sie – ich wiederhole das – nicht die Frage nach Redner der Bundesregierung hier etwas dazu sagt. In ande- Industrie oder Kommunen stellen, sondern würden die- ren Fällen liegen wortgleiche Gesetzentwürfe vor. Heute ist jenigen fördern, die mit dem geringstmöglichen Einsatz das nicht so; heute sprechen nur die Parlamentarier. das beste Ergebnis erreichen. Deswegen ist das, was Sie (Manfred Grund [CDU/CSU]: Die müssen hier konstruieren, falsch. Es ist ein reines Subventionsge- sich auf der Regierungsbank erst einmal einle- setz in eine Richtung. Das ist nicht in Ordnung. Das ist ein sen!) Gesetz mit einer erheblichen Schwäche. Noch etwas ist für mich bemerkenswert. Nur weil Herr Ich glaube nicht, dass es richtig war – Herr Jung hat be- Kollege Hirche darauf verwiesen hat, dass FDP und PDS gründet, warum das so gemacht worden ist –, im Laufe der Vorschläge unterbreitet haben, wurde sofort durch den Beratungen außerhalb des Ausschusses die Vergütungen Raum gerufen: neue Koalition! Ich denke, der größte Feh- pro Kilowattstunde einfach zu erhöhen, nur – das haben ler, den wir machen, ist, dass wir den Absender betrach- Sie eingeräumt – weil der Topf, den man dafür bereitge- ten, der etwas vorschlägt, (B) stellt hat, in der Zeit, die zur Verfügung steht, sonst nicht (D) geleert werden könnte. (Walter Hirche [FDP]: So ist es!) (Monika Ganseforth [SPD]: Unsinn!) und nicht die Wirkung, die man erreichen könnte, wenn man sich mit dem Inhalt auseinander setzen würde. Sie hätten nur industrielle Anlagen mit hineinnehmen müssen. Dann wären die Klimaziele übererfüllt worden. (Beifall bei der PDS und der FDP sowie des Abg. Manfred Grund [CDU/CSU]) Ich füge noch etwas hinzu. Ich bin im Gegensatz zu dem, was Frau Hustedt gesagt hat – sie weiß das ganz ge- Ich will ganz kurz etwas zu den Entstehungszeiträu- nau –, der Meinung, dass wir mit diesem Gesetz auch die men sagen. Nach dem Regierungswechsel passierte fak- Möglichkeit der Förderung des Neubaus von KWK-An- tisch nichts, bis Zehntausende Stadtwerker auf die Straßen lagen in bescheidenem Umfang hätten eröffnen können, gingen, weil sie Angst um ihre Arbeitsplätze hatten. Dann ohne dass der Deckel vom Topf geflogen wäre. Wir haben wurde ganz schnell ein Schutzgesetz für einen wichtigen, auch diesen Antrag in den Wirtschaftsausschuss einge- aber kleinen Teil des KWK-Sektors verabschiedet. Das bracht. Auch dieser Antrag auf Förderung neuer Anlagen war strukturpolitisch durchaus ehrenwert, aber umwelt- zur KWK ist vom Tisch gewischt worden. Das ist ein wei- politisch fatal. Weil Sie aber damals schon die Korrektur terer Beweis dafür, dass es in diesem Zusammenhang kein dieses Mangels im Gesetzentwurf verankerten, stimmten Interesse an Klimapolitik und Ökologie gegeben hat.wir zu. Tatsächlich fand sich für ein Jahr – bis hin zu ver- Vielmehr hat man sich an kommunalen Interessen ausge- bindlichen Kabinettsbeschlüssen – das richtungsweisende richtet. Konzept eines Zertifikatshandelsmodells auf der Grund- lage einer langsam steigenden Quote auf der politischen In gewisser Hinsicht kann ich das sogar verstehen. Wir Agenda. haben heute Morgen eine Debatte über die katastrophale Finanzlage der Kommunen gehabt. Diese ist unbestrit- Dieses Konzept werden Sie allerdings heute mit der ten. Ablehnung des PDS-Gesetzentwurfes beerdigen. Inso- fern stimmt es auch nicht, wenn auf dem Deckblatt des (Zuruf von der CDU/CSU: So ist es!) Gesetztentwurfs steht: „Alternativen: Keine“. Es hat Aber dann muss man nach Möglichkeiten suchen, die Fi- schon welche gegeben; aber wir haben uns nicht darüber nanzausstattung der Kommunen vom System her zu ver- verständigen können. Dieses Konzept wäre nicht nur un- ändern und nicht mit Gesetzen, die eigentlich dem Klima gleich wettbewerbskonformer und auch für die Stromver- und der besseren Nutzung der KWK in Deutschland die- braucher preiswerter als die jetzt fixierte starre Bonusre- nen sollten. Es ist unbestritten, dass wir das wollen. Sie gelung; vor allem würde Deutschland mit ihr Vorreiter in 21144 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 213. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Januar 2002

Rolf Kutzmutz (A) der EU werden und könnte dort die Ausgestaltung des so führlichen Änderungsantrag eine Chance, das anders zu (C) genannten „emission trading“ zur Umsetzung des Kioto- machen, auch wenn dadurch vielleicht nur eine zweitbes- Vertrages offensiv betreiben. te Lösung herbeigeführt wird. Das von Ihnen bisher Be- triebene können wir aber auf keinen Fall unterstützen. Dieser Emissionshandel auf Zertifikatsbasis kommt. Aber in welcher Form er kommt, kann von Berlin aus nur Danke schön. ungleich schwerer beeinflusst werden, weil wir keine Re- (Beifall bei der PDS) ferenzen vorzuweisen haben. Dass dies so ist – damit komme ich wieder auf den Lauf der Dinge zurück –, ha- ben wir einem gegenüber Regierungs- und Parlamentsbe- Vizepräsidentin Petra Bläss: Das Wort hat die Kol- schlüssen aufmüpfigen Wirtschaftsminister und einem legin Monika Ganseforth für die SPD-Fraktion. einknickenden Umweltminister zu verdanken. Im letzten Jahr haben Sie nun an einem nicht nur aus Monika Ganseforth (SPD): Frau Präsidentin! Liebe meiner Sicht schwerfälligen, bürokratischen Modell ge- Kollegen und Kolleginnen! Ich bin eine überzeugte An- bastelt, bei dem nicht Umweltentlastung und der Zuwachs hängerin der Demokratie. Die heutige Debatte zeigt, wie an zukunftsfähigen Arbeitsplätzen im Mittelpunkt stehen, wichtig es ist, dass aus einer Regierung eine Opposition sondern allein die Wünsche und Profitvorstellungen von und aus einer Opposition eine Regierung wird, damit man vier Strommonopolisten und einem Stadtwerkekartell. Ich einmal die andere Seite kennen lernt. gestehe Kollegin Hustedt und Kollegen Jung zu – das will (Beifall bei der SPD – Zuruf von der SPD: ich hier ausdrücklich sagen; man konnte in der Öffent- Das darf nur nicht zu oft wechseln!) lichkeit verfolgen, dass es in der Auseinandersetzung Schwierigkeiten gegeben hat, die wir auch nicht kleinre- Was ich heute von der rechten Seite, also denen, die den wollen –, dass sie mit ihren Änderungen die ärgsten vorher die Regierung gestellt haben, an Verfahrenskritik Auswüchse des KWK-Verhinderungsgesetzentwurfes aus gehört habe, fand ich richtig gut; denn wir haben lange ge- dem Hause Müller abgeschnitten haben. Deshalb ist unser nug unter der Arroganz gelitten, mit der Sie vorgegangen heutiger Änderungsantrag auch nicht mehr der gleiche sind. Es gibt natürlich Prozesse, die man durchlaufen wie der vom Mittwoch. Wir reagieren sehr wohl auf Ihre muss und die wir jetzt kennen lernen. Wir wissen nun, Vorschläge. dass manches nicht so idealtypisch läuft, wie es laufen sollte. Die Demokratie gibt den Wählerinnen und Es geht im Grundsatz – das erkennen wir an – auch um Wählern die Möglichkeit, diese beiden Rollen zu verge- Emissionenreduktion. Spätestens ab 2006 wird der Weg ben. Ich hoffe, dass Sie noch sehr lange in Ihrer jetzigen wieder frei für andere gesetzliche Instrumente, wenn sie Rolle sind, in der Sie sich über unsere Verfahrensschritte (B) dann erforderlich sein sollten. Das befürchten wir; denn beschweren können. (D) nach wie vor verzichten Sie mit Ihrem Gesetz weitgehend auf die Erschließung neuer KWK-Potenziale, Sie gefähr- (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Walter den sogar den Erhalt bestehender industrieller Anlagen. Hirche [FDP]: Der Wechsel ist so schön, den Herr Kollege Hirche hat darauf Bezug genommen. In un- wollen wir bald wieder haben! – Gegenruf des serem Antrag steht, dass man sie unterstützen sollte. Abg. Horst Kubatschka [SPD]: Jetzt haben wir uns gerade an Ihr Gejammere gewöhnt, jetzt Aber es gibt noch eine Neuheit, die ich ansprechen bleiben wir dabei!) möchte. Ich meine §12des Gesetzes, nach dem das Ge- setz von Ministerien – ich zitiere – „unter Mitwirkung von Wir haben gestern in diesem Hause über fünf Anträge Verbänden der deutschen Wirtschaft und Energiewirt-zur Klimapolitik debattiert. Dabei ging es um die Rati- schaft“ überprüft wird. Ich glaube, es ist einmalig, dass fizierung des Kioto-Protokolls. Eine Forderung des wir schon im Gesetzestext – nicht in der Begründung – ganzen Hauses war, dass die Einhaltung desnationalen festlegen, dass Verbände und Wirtschaft an der Überprü- Klimaschutzzieles gelingt. Dabei bestand großes Einver- fung des Gesetzes beteiligt sind. Kollege Nooke ist schon nehmen, wie es schon Tradition hatte, als wir noch in der weg. Er weiß Bescheid über die „führende Rolle“; ich Opposition waren. Bei der Klimapolitik waren wir uns auch. immer einig. (Heiterkeit des Abg. Kurt-Dieter Grill Deutschland steht in der Pflicht, die CO2-Emissionen [CDU/CSU]) bis zum Jahr 2005 um 25 Prozent, bezogen auf das Jahr 1990, zu reduzieren. Das hat der damalige Bundes- Aber dass das so unverblümt in ein Gesetz hineinge-kanzler im Jahr 1992 auf der Rio-Konferenz schrieben wird, halte ich für eine Novität. vor der Weltöffentlichkeit versprochen und in Berlin wie- (Beifall bei der PDS – Walter Hirche [FDP]: derholt. Als wir an die Regierung kamen, haben wir fest- gestellt, dass wir, wenn wir so weitermachen, wie Sie es Ganz schlimme Kiste, dass die Politik sich sel- vorbereitet haben, das Ziel grandios verfehlen. Es muss ber abmeldet!) also noch viel getan werden. Abschließend möchte ich sagen: Sie mögen mit dieser (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des Änderung vielleicht ehrlicherweise öffentlich machen, BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) wie dieses Gesetz entstanden ist, aber diese vorsätzliche Aushöhlung der parlamentarischen Demokratie kann man In diesem Zusammenhang verabschieden wir heute ein so nicht durchgehen lassen. Wir bieten mit unserem aus- weiteres Kernstück der Klimapolitik zur Erreichung die- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 213. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Januar 2002 21145

Monika Ganseforth (A) ses anspruchsvollen Reduktionszieles, nämlich dasüberbrücken, bis die Energiepreise wieder ein realisti-(C) KWK-Gesetz. Dabei geht es nicht um Klientelpolitik, son- sches Niveau erreicht haben und nicht nur die Grenzkos- dern darum, das zugesagte Klimaschutzziel zu erreichen. ten abdecken. Klimaschutz kann ohne Kraft-Wärme-Kopplung nicht er- Aus Klimaschutzgründen, aber auch wegen der folgreich sein. Normalerweise werden bei der Stromer- Arbeitsplätze, die mit dieser Technologie verbunden sind, zeugung deutlich weniger als 50 Prozent der eingesetzten müssen wir dafür sorgen, dass beim Abbau der Überka- Primärenergie genutzt. Wenn man die Wärme aber aus- pazitäten die Kraft-Wärme-Kopplung nicht unter die Rä- koppelt und nutzt, kann man den Wirkungsgrad ungefähr der kommt. Darum geht es; das haben aber auf der rech- verdoppeln. Man kann also eine wesentlich größere Effi- ten Seite des Hauses viele nicht begriffen. Es geht nicht zienz und damit eine CO -Reduktion erreichen. 2 um Steuermittel, mit denen irgendwo subventioniert wird, Um einem Vorurteil abzuhelfen, will ich noch einmal sondern darum, die Zeit zu überbrücken, bis derVer- sagen: Kraft-Wärme-Kopplung muss nicht auf dem Ener- drängungswettbewerb auf dem Strommarkt ausgestan- gieträger Gas basieren, Wärme kann auch aus Kohle-den ist. Deswegen haben wir eine degressive und zeitlich kraftwerken ausgekoppelt werden. So haben wir in mei- begrenzte Förderung für modernisierte und für beste- ner Heimatstadt Hannover ein Steinkohlekraftwerk mit hende effiziente Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen vorge- einer Kraft-Wärme-Kopplungsanlage, was damals gegen sehen. Das ist ein neues Instrument; Sie haben nie mit de- den massiven Widerstand der zentralen Energieanbieter gressiven Zuwendungen gearbeitet. Ich verstehe nicht, durchgesetzt worden ist. wie Herr Hirche oder Herr Schauerte von Steuersubven- tion sprechen können. Hier werden keine Steuergelder (Beifall bei Abgeordneten der SPD) eingesetzt. Das würde Europa auch nicht akzeptieren; das Kraft-Wärme-Kopplung muss also nicht unbedingt auf wäre nicht zulässig. dem Energieträger Gas basieren; eine mit Gas betriebene (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Anlage ist natürlich effizienter, aber im Prinzip handelt es DIE GRÜNEN – Heinz Wiese [Ehingen] [CDU/ sich um eine Verbesserung des Wirkungsgrades durch CSU]: Wohl doch, indirekt! – Walter Hirche eine bessere Ausnutzung der eingesetzten Energie. [FDP]: Von Subventionen habe ich gesprochen, Auf jeden Fall verlangen aber Kraft-Wärme-Kopp- nicht von Steuern!) lungsanlagen eine räumliche Nähe zu den Wärmeabneh- – Sie haben von Steuern gesprochen; darüber habe ich mern. Insofern handelt es sich um eine dezentrale Ener- mich auch gewundert. gieversorgung, die auf einer anspruchsvollen Technik basiert und Arbeitsplätze vor Ort schafft. Damit steht (Walter Hirche [FDP]: Das verwechseln Sie (B) diese Energieform natürlich in Konkurrenz zu importier- mit der Ökosteuer!) (D) tem oder in Großkraftwerken erzeugtem Strom. Natürlich Wir wollen aber nicht nur den Bestand schützen, son- gibt es Grenzen für diese Technik, weil der Wärmebedarf dern auch den Zubau kleiner, dezentraler Kraft-Wärme- begrenzt ist. Bei uns kommen etwa 12 Prozent des Stroms Kopplungsanlagen mit weniger als 50 kW elektrischer aus Anlagen mit Wärmeauskopplung. Daran, dass es in Leistung fördern. Kleine Blockheizkraftwerke, die bis anderen Ländern, zum Beispiel in Finnland, Dänemark, zum 31. Dezember 2005 in Dauerbetrieb genommen wer- Österreich oder auch in Holland eine deutlich höhere Aus- den, werden in den ersten zehn Jahren pro eingespeister nutzung, nämlich das Zwei- oder Dreifache unserer Aus- Kilowattstunde einen Zuschlag von 5,11 Cent bekommen. nutzung gibt, sieht man, dass wir noch lange nicht an der Das ermöglicht diesen Anlagen den Durchbruch auf dem Grenze sind Markt. Dabei darf man nicht vergessen, dass die kleinen (Manfred Grund [CDU/CSU]: Nicht an der BHKWs überwiegend den Strom selber nutzen: Aber der Grenze, aber am Ende!) überschüssige Strom, der eingespeist wird, wird über zehn Jahre mit 5,11 Cent unterstützt. Ich hoffe, dass daraufhin und dass Kraft-Wärme-Kopplung wesentlich stärker ge- nun der Durchbruch gelingt und in vielen Kellern von nutzt werden könnte, auch um Klimaschutzziele zu erfül- Mehrfamilienhäusern und anderen Objekten kleine len. Blockheizkraftwerke installiert werden. Diese sichern (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Arbeitsplätze und erzeugen effiziente Energie. Außerdem DIE GRÜNEN) ist die Weiterentwicklung dieser Technologie für den Standort Deutschland ganz wichtig. Leider sieht die Realität unter den Bedingungen des liberalisierten Strommarktes anders aus: Vorübergehend (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des sind die Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen unökonomisch BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) geworden. Bei einem Neubau sind Kraft-Wärme-Kopp- Sie werden wahrscheinlich mit unserem Gesetz so um- lungsanlagen durchaus genauso ökonomisch wie andere gehen, wie wir es von Ihrer Seite gewöhnt sind: Sie be- Anlagen; zurzeit aber, da Strom nur noch zu kurzfristigen haupten, Sie wollten eine nachhaltige Versorgung und Grenzkosten angeboten wird, besteht ein enormer Druck Klimaschutz, aber immer, wenn es konkret wird, finden auf Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen. Wir haben mit dem Sie durchsichtige Argumente und sind mit den Maßnah- Kraft-Wärme-Kopplungs-Vorschaltgesetz versucht, dem men nicht einverstanden. vorzubeugen. Es ist allerdings richtig, dass der Zubau sta- gniert und Anlagen bereits stillgelegt wurden. Dabei sind Natürlich sind Wünsche offen geblieben. Natürlich diese durchaus ökonomisch. Es geht darum, die Zeit zu könnte man das eine oder andere auch anders machen. 21146 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 213. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Januar 2002

Monika Ganseforth (A) Aber kein Gesetz ist vollkommen, auch dieses nicht. Und fertig. Der Bundesrat hat uns in unserer Kritik am Verfah- (C) das dient Ihnen als Vorwand, es abzulehnen. ren, die wir am Mittwoch vorgebracht haben, eigentlich bestätigt. (Beifall bei der SPD) Die Kollegin Hustedt hat hier vorgetragen, wir wollten Das war beim Erneuerbare-Energien-Gesetz so, das war keine Förderung. Ich glaube, wir müssen uns einmal da- bei der Ökosteuer so, das war bei der Energieeinsparver- rüber unterhalten, dass die Frage der Förderung das eine ist. ordnung so, das war beim KWK-Vorschaltgesetz so und Was wir hier massiv kritisieren, ist – das ist das andere – der das wird auch beim Kraft-Wärme-Kopplungsgesetz, das Weg, den Sie eingeschlagen haben, ist die Art und Weise, wir heute verabschieden, so sein. Sagen Sie doch nicht, die Sie gewählt haben. Ich sage Ihnen, da Sie gestern hier wenn wir das eine oder andere noch annähmen oder än- so großartig über den Zertifikatshandel gesprochen haben: derten, würden Sie zustimmen. Sie wollen gar nicht zu- Der von Ihnen eingeschlagene Weg führt zur Blockade des stimmen. Zertifikatshandels, weil Sie das Gesetz so langfristig ange- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ legt haben, dass der Zertifikatshandel nicht noch oben drauf DIE GRÜNEN – Walter Hirche [FDP]: Machen passt. Damit schaffen Sie mittel- und langfristig ein Pro- Sie es doch, dann werden Sie es sehen!) blem. Die Menschen haben es satt, dass Sie nur kritisieren, dass (Beifall bei der CDU/CSU) Sie aber niemals sagen, was Sie wollen, Der Kollege Jung hat eine Reihe von Dingen vorgetra- (Walter Hirche [FDP]: Doch! Wir haben das gen, von denen ich nur zwei aufgreifen will. Sie haben ge- sehr konkret im Wirtschaftsausschuss auf den sagt: Die Erzeugungskapazitäten gehen zurück. – Das hat Tisch gelegt!) mit dieser Frage überhaupt nichts zu tun. wie Sie eine nachhaltige Energiepolitik gestalten wollen, (Volker Jung [Düsseldorf] [SPD]: Massiv!) wie Ihre Klimaschutzstrategie aussieht. Das sagen Sie Das alles hat auch überhaupt nichts mit Versorgungssi- nicht, Sie kritisieren nur. cherheit zu tun. Sie waren doch diejenigen, die die Mo- Wir können uns jedenfalls mit unseren Maßnahmen nopolstrukturen mit ihren Überkapazitäten kritisiert ha- zum Klimaschutz sehen lassen. Heute gehen wir einen ben. Jetzt wird abgebaut und das ist auch wieder falsch. weiteren wichtigen Schritt in die richtige Richtung. Was ist denn richtig? Schönen Dank. Sie haben weiter von Ballungsgebieten und ländlichen Räumen gesprochen. Auch diese Begriffe passen auf die- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ ses Gesetz überhaupt nicht. Ich komme auf einen Punkt in (B) DIE GRÜNEN – Walter Hirche [FDP]: Sie wa- (D) diesem Zusammenhang zurück. ren doch gar nicht im Wirtschaftsausschuss! Sie kennen die Anträge gar nicht! – Gegenruf der Der Gesetzentwurf, den Sie heute vorlegen, stimmt Abg. Monika Ganseforth [SPD]: Aber im Um- mit den Grundsätzen der Energiepolitik, die die Bundes- weltausschuss!) regierung in ihrer Antwort auf unsere Große Anfrage dargelegt hat, auch nicht im Ansatz überein. Die Bundes- regierung und die sie tragenden Koalitionsfraktionen se- Der letzte Redner in Vizepräsidentin Petra Bläss: hen, so denke ich, die Marktwirtschaft als Grundprinzip dieser Debatte ist der Kollege Kurt-Dieter Grill für die des Wettbewerbs bei Strom und Gas. Investitionslenkung CDU/CSU-Fraktion. durch den Staat passt nicht für eine Energiewirtschaft, die sich unter europäischen Wettbewerbsbedingungen be- Kurt-Dieter Grill (CDU/CSU): Frau Präsidentin! währen muss. Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich will gleich Staatsferne und langfristig Subventionsfreiheit der sagen: Der Kollege Walter Hirche hat zwar von Steuer- Energiewirtschaft in Deutschland sind die Ziele, die von subventionen gesprochen, aber er hat die Verbraucher ge- der Bundesregierung in ihrer Antwort auf die Große An- meint. Wir haben begriffen, Frau Kollegin Ganseforth, frage der CDU/CSU postuliert worden sind. Sie entfernen dass Sie wirklich keine Steuern einsetzen, sondern dass sich mit jedem Gesetz, das Sie zur Energiewirtschaft vor- Sie den Verbraucher mit zusätzlichen Abgaben belasten. legen, von genau diesen Zielen, weil Sie im Prinzip an die Damit ist das Ganze richtig gestellt. Stelle der Monopole eine staatsinterventionistische Poli- Das Zweite ist eine Bemerkung zum ThemaDemo- tik setzen. kratie. Sie haben uns das Ganze am Mittwoch um (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) 8.43 Uhr vorgelegt und in den Ausschüssen erklärt, das sei wegen des Zieles zu vertreten. Ich denke, dass das für das KWK-Gesetz an vielen Stel- len beweisbar ist. Ich möchte dazu einige Bemerkungen (Ulrike Mehl [SPD]: „Das Ganze“ ist falsch! machen. Das wissen Sie, Herr Grill!) Ich muss aber noch eines vorweg sagen: Herr Kollege Am gleichen Tag hat der Bundesrat mit den Stimmen der Kutzmutz, haben Sie hier auf 10 000 von Stadtwerkern SPD-regierten Länder wegen der vollkommen überhaste- oder Stadtwerken hingewiesen? ten Beratung der Vorlagen die Fristverkürzung auf den 1. Februar verweigert. Nun wird das Gesetz doch später (Rolf Kutzmutz [PDS]: Stadtwerkern!) Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 213. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Januar 2002 21147

Kurt-Dieter Grill (A) – Ah ja. – Diesbezüglich möchte ich erstens darauf hin- können Sie demnächst bei OBI kaufen. Das ist doch(C) weisen, dass es in Deutschland etwa 950 Stadtwerke gibt, nichts Neues. Im Grunde genommen machen Sie mit der von denen aber nur etwa 50 eine erkleckliche Eigener- Förderung dieser 50-kW-Anlagen die Brennstoffzellen- zeugungskapazität aufweisen. Insofern, Herr Kollegeentwicklung kaputt. Jung, reden wir hier über ein Subventionsgesetz für einen (Walter Hirche [FDP]: Richtig!) Teil der Kommunen. Der übrige Teil – wie ich das aus meinem Land kenne – schreibt Stromeinkäufe aus, um Das ist ein Widerspruch in Ihrem Gesetzentwurf. Es gibt möglichst niedrige Preise zu haben. Das sind Kommunen, aber noch mehr. die nicht in einem Ballungsgebiet, sondern im ländlichen Raum liegen. Diese müssen genau das bezahlen, was Sie (Walter Hirche [FDP]: Das werden sich die in das Gesetz hineinschreiben. Bei der Einbringung des Grünen anrechnen lassen müssen, dass die Gesetzes haben Sie selber gesagt: Wir schonen den einen neuere Technik durch eine bestehende kaputt Teil der Wirtschaft und verteilen die Kosten auf die ande- gemacht wird!) ren. – Diese „anderen“ sind aber eben die Kommunen, die – Ja, so ist das, wenn man grüne Politik macht. keine Eigenerzeugung haben und daher von Ihrem Gesetz nicht profitieren können. Ich sage noch einmal: Mit dem Vorschaltgesetz haben Sie 1 bis 2 Millionen Tonnen CO2 mehr produziert. Sie (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – werden Ihre Ziele hinsichtlich der Verringerung der CO2- Walter Hirche [FDP]: Genau so ist es! Eine wei- Emissionen vielleicht durch die Stilllegung von Kern- tere Belastung des flachen Landes!) kraftwerken erreichen, welches bisher Ihre einzige Tat im Zweitens. Der KWK-Anteil liegt im Osten bei 30 Pro- Hinblick auf eine emissionsarme Stromproduktion ist. zent und im Westen bei 6 Prozent. Sie lassen diese 30 Pro- (Walter Hirche [FDP]: Noch nicht einmal!) zent im Osten aus, denn diese werden von Ihrem Gesetz nicht erfasst, da sie allesamt nach 1990 neu gebaut wor- Wenn ich alles zusammennehme, die Ausnahmerege- den sind. Der Osten finanziert also den Westen. Das beste lung und die Verbürokratisierung von Energiepolitik, die Beispiel dafür ist Infra-Leuna. Sie sollten sich schämen, mit diesem Gesetz einhergehen, kann ich nur sagen: Ich dass Sie ein solches Gesetz auf den Weg bringen! halte den nordrhein-westfälischen Bauminister Vesper von den Grünen für ein besonderes Schmankerl. Dieser (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) hat es nämlich unter Hinweis auf die nicht verantwortbare Man kann nicht nur die Kraft-Wärme-Kopplung sehen, Strompreiserhöhung durch EEG und KWK abgelehnt, sondern muss auch den Zusammenhang zwischen Öko- diese Strompreiserhöhung zu bezahlen, weil es das Land steuer, Stromsteuer, KWK und EEG sehen. In der wirt- Nordrhein-Westfalen viel zu teuer kommt. Recht hat der (B) schaftspolitischen Debatte beklagen Sie sich über denJunge. Er leidet unter Ihrer Politik. (D) Schwund an Kaufkraft. Gleichzeitig stehen Sie in der (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Nähe der Gewerkschaften mit hohen Lohnforderungen. Aber an dieser Stelle sorgen Sie – wenn man alles zusam- mennimmt – in einer extremen Art und Weise für die Ab- Vizepräsidentin Petra Bläss:Zu einer Kurzinter- schöpfung von Kaufkraft, was Sie auf der anderen Seite vention erteile ich dem Kollegen Volker Jung das Wort. als wesentliche Ursache für die zurzeit schlechte wirt- schaftliche Situation beklagen. Sie selber schöpfen Kauf- Volker Jung (Düsseldorf) (SPD): Frau Präsidentin! kraft ab und nutzen den Verbraucher aus. Meine Damen und Herren! Von den Rednern der Opposi- Einige Bemerkungen zu dem, was Frau Hustedt vorhin tion ist viel Falsches gesagt worden. Das kann ich jetzt über die Industrie gesagt hat: Ich habe eine Reihe von nicht mehr aufarbeiten. Mindestens einen Vorwurf darf Gesprächen geführt. Es waren sicherlich andere Ge-man aber nicht hier im Raum stehen lassen, nämlich den, spräche als die, die Sie geführt haben. Angesichts dessen, dass wir die Kraft-Wärme-Kopplung in den neuen Bun- was mir die Industrieunternehmen zum KWK-Gesetz ge- desländern diskriminieren und die Anlagen dort, wie es sagt haben, ist die Klage nichts anderes gewesen als das, Herr Grill eben zum Ausdruck gebracht hat, im Regen ste- was Sie als Begründung für Ihr kommunalorientiertes Ge- hen lassen. setz vorlegen. Anlagen sind stillgelegt worden. Das wis- (Walter Hirche [FDP]: Es ist aber so!) sen Sie doch auch. Ignorieren Sie dies doch nicht. Wir differenzieren zwischen den Anlagentypen. Einer- (Monika Ganseforth [SPD]: Das habe ich ge- seits gibt es Anlagen, die vor 1990 gebaut worden sind sagt!) – diese befinden sich in erster Linie im Westen und erhal- In der Industrie sind KWK-Anlagen stillgelegt worden ten eine Förderung bis zum Jahre 2004 –, und andererseits und Sie haben dafür keinen Finger gerührt, weil Sie wuss- solche, die sich in den neuen Bundesländern befinden. An ten, dass das Ganze dann wirklich nicht mehr bezahlbar denen ist im Übrigen momentan nichts zu modernisieren, wäre und die strukturelle Schwäche Ihres Gesetzentwur- weil sie auf dem neuesten Stand sind. Diese werden bis fes mehr als deutlich werden würde. zum Jahre 2009, und zwar mit vergleichbaren Sätzen, ge- fördert. Das heißt, wir haben genau diesen Punkt im Au- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) genmerk. Wir finden dort eine saubere Lösung, die auch Ein weiterer Punkt ist die Tatsache, dass Sie über For- alle Betreiber begrüßen. Insofern muss das hier Gesagte schung, Technik und Innovation reden. 50-kW-Anlagen aus der Welt geräumt werden. 21148 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 213. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Januar 2002

Volker Jung (Düsseldorf) (A) Danke. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen (C) wollen, um das Handzeichen. – Gegenprobe! – Enthal- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ tungen? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Bera- DIE GRÜNEN – Walter Hirche [FDP]: Die tung gegen die Stimmen der PDS-Fraktion abgelehnt. Da- werden im Stich gelassen, das ist die Wahrheit!) mit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die dritte Beratung. Vizepräsidentin Petra Bläss: Zur Erwiderung, Herr Kollege Grill, bitte. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 21 auf:

Beratung des Antrags der Abgeordneten Katherina Kurt-Dieter Grill (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Reiche, Dr. Maria Böhmer, , weite- Meine Damen und Herren! Herr Kollege Jung, ich bleibe rer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU bei meiner Auffassung und meiner Analyse dieses Ge- setzentwurfes. Anwendung von Gentests in Medizin und Ver- sicherungen ( [SPD]: Bewusste Fehlinterpre- tation! – Zurufe von der SPD: Analyse?) – Drucksache 14/6640 – Überweisungsvorschlag: – Dass Ihnen das nicht passt, kann ja sein. Sie werden mir Ausschuss für Gesundheit (f) aber nicht verbieten können, eine eigene Analyse vorzu- Rechtsausschuss nehmen. Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Wenn Sie sich heute nicht für das schämen, was Sie bei Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Infra-Leuna getan haben, tun Sie mir schlicht und einfach Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre kei- Leid. Sie haben in dieser Frage gegen den Osten gehan- nen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. delt. Ende der Durchsage! Ich eröffne die Aussprache. Erste Rednerin ist die Kol- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – legin Katherina Reiche für die CDU/CSU-Fraktion. – Ich Walter Hirche [FDP]: Herr Jung weiß das, er hat bitte alle Kolleginnen und Kollegen, die den Saal jetzt es im Ausschuss auch indirekt eingeräumt!) verlassen müssen, dies relativ schnell zu tun, damit die erste Rednerin die entsprechende Aufmerksamkeit erhal- ten kann. Vizepräsidentin Petra Bläss: Ich schließe die Aus- sprache. Katherina Reiche (CDU/CSU): Frau Präsidentin! (B) Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun- Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zu den Herausforde-(D) desregierung eingebrachten Entwurf eines Kraft-Wärme- rungen, vor die uns die moderne Biomedizin stellt, gehört Kopplungsgesetzes in der Ausschussfassung, Drucksa- auch der Umgang mit genetischen Daten. chen 14/7024, 14/7086 und 14/8059. Dazu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der PDS vor, über den wir Die Erforschung des menschlichen Genoms hat in den zuerst abstimmen werden. Wer stimmt für den Ände-letzten Jahren beeindruckende Fortschritte gemacht. Die rungsantrag der PDS auf Drucksache 14/8080? – WerEntschlüsselung des menschlichen Erbguts und die da- stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Änderungsantrag raus resultierende Entwicklung von Gentests können zu ist gegen die Stimmen der PDS-Fraktion abgelehnt. beachtlichen Fortschritten im Bereich der Diagnose, der Prävention und der Therapie genetisch bedingter Krank- Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der heiten führen. Schon heute lassen sich Krankheiten vor Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzei- dem Auftreten klinischer Symptome sowie entsprechende chen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Veranlagungen feststellen. Diese Besonderheit geneti- Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung gegen die scher Untersuchungen eröffnet im Vergleich zu anderen Stimmen von CDU/CSU-Fraktion, FDP-Fraktion undAnalysen die Möglichkeit der präsymptomatischen Medi- PDS-Fraktion angenommen. zin. Wir kommen zur Während nach einer Studie des Instituts „Hamburger dritten Beratung Forschungsschwerpunkt“ 1996 bundesweit 150 000 Ana- lysen auf biochemischer Basis vorgenommen wurden, und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem waren es zwei Jahre später bereits 300 000. Immer mehr Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer Testangebote kommen auf den Markt. Bald wird der Gen- stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf chip Realität sein. ist damit gegen die Stimmen von CDU/CSU-Fraktion, FDP-Fraktion und PDS-Fraktion angenommen. Bei diesen verschiedenen Testmöglichkeiten unter- scheiden wir diagnostische und prädiktive Gentests. Wäh- Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Gesetz- rend die Untersuchung mittels eines diagnostischen Gen- entwurf der Fraktion der PDS zur Sicherung und zumtests der Bestätigung einer bestehenden Diagnose dient, Ausbau der gekoppelten Strom- und Wärmeerzeugung, verstehen wir unter einem prädiktiven Test eine vorhersa- Drucksache 14/2693. Der Ausschuss für Wirtschaft und gende Untersuchung auf das Vorliegen einer Erbgut- Technologie empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung veränderung. Das heißt, bei einem prädiktiven Gentest auf Drucksache 14/8048, den Gesetzentwurf abzulehnen. wird ein Gesunder darauf untersucht, ob er die Veran- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 213. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Januar 2002 21149

Katherina Reiche (A) lagung für eine bestimmte Erkrankung trägt und mit wel- werden. Hierbei bedarf es der Orientierung am „informed (C) cher Wahrscheinlichkeit er erkranken könnte. consent“, das heißt dem Recht eines jeden Einzelnen auf informationelle Selbstbestimmung, der Respektierung des Unser Antrag bezieht sich im Folgenden auf die Pro- Gleichheitsgrundsatzes, der Vertraulichkeit, der Schwei- blematik der prädiktiven Tests. Wir zweifeln in keiner gepflicht, der Freiwilligkeit und einer umfassenden Auf- Weise die neue Qualitätsstufe der modernen medizini- schen Analysetechnik mittels diagnostischer Tests an.klärung der Probanden durch qualifizierte Fachärzte. Prädiktive Tests sind jedoch von zwei Seiten zu betrach- Für die CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat die Ach- ten. Sie bringen auf der einen Seite eine Fülle neuer Dia- tung der Würde und des Gefühls derjenigen Menschen gnosemöglichkeiten. Diese führen zu einem genaueren Priorität, die von einer genetisch bedingten Erkrankung Verständnis und damit zu einer genaueren Kenntnis von oder Disposition betroffen sind. Das Parlament ist deshalb Krankheit und Fehlentwicklung. Sie ermöglichen eine aufgerufen, beim Umgang mit Gendaten Leitplanken zu Verbesserung von Krankheitsprävention im Sinne einer setzen und die Entwicklung in gewünschte Bahnen zu len- Verhütung oder Verzögerung des Krankheitsausbruchs. ken. Der Deutsche Bundestagals Gesetzgebungsorgan Selbst bei Erberkrankungen oder Entwicklungsstö-ist auch in dieser Frage aufgefordert, alle Entscheidungen rungen, deren Auftreten durch vorbeugende medizinische zur Bio- und Gentechnik selbst zu treffen. Behandlung nicht verhindert werden kann, bzw. für sol- (Beifall bei der CDU/CSU) che, die nicht behebbar sind und für die es noch keine The- rapien gibt, eröffnet eine verbesserte prädiktive gene- Im Gegensatz zu Deutschland existieren bereits in vie- tische Diagnostik betroffenen Personen bzw. Familien die len europäischen Ländern spezifische Regelungen zur Möglichkeit, bei Ausschluss oder bei Nachweis einerAnwendung von Gentests. Ich erinnere hier an unsere schwerwiegenden Störung Entscheidungen über die zu- österreichischen Nachbarn. Dennoch muss man konsta- künftige Lebens- und Familienplanung zu treffen. Zudem tieren, dass es in Europa keinen einheitlichen Umgang wird es mithilfe von prädiktiven Gentests möglich sein, mit Gendaten gibt. Frankreich, Belgien, Österreich, die Medikamentenverträglichkeit zu verbessern. An die- Luxemburg und Norwegen haben die Nutzung von Gen- ser Stelle sei daran erinnert, dass wir uns als CDU/CSU- daten zu Versicherungszwecken verboten. Das Parlament Fraktion auch mit dem Thema Pharmakogenetik bereits in Großbritannien hat jedoch erlaubt, den Test zur Fest- auseinander gesetzt haben. stellung der tödlichen Krankheit Chorea Huntington an- zuerkennen und von Patienten einen entsprechenden Test Aber genetische Untersuchungen werfen auf der ande- zu verlangen. Mittlerweile gibt es im Inselstaat Anträge ren Seite gewichtige soziale und ethische Fragen auf. Das auf die Anerkennung weiterer Gentests, die zugelassen Wissen um seine gesundheitliche Zukunft kann einenwerden sollen. (B) Menschen stark belasten. Es ist schwer, mit einer nega- (D) tiven Diagnose umzugehen, wenn man die medizinische Seit Jahren wird auch hier darüber diskutiert, mög- Tragweite nicht überblickt. Dies gilt insbesondere dann, licherweise relevante genetische Informationen für die wenn man das Testergebnis nicht einschätzen kann und Abschätzung und Minimierung von Risiken zu verwen- qualifizierte ärztliche und psychologische Betreuung nicht den. Die CDU/CSU-Fraktion legt Ihnen deshalb heute als in Anspruch genommen wird. Es ist zwar schon heuteerste Fraktion in diesem Hause einen Antrag zur Anwen- möglich, Gentests über das Internet zu beziehen. Jedoch dung von Gentests in Medizin und Versicherungen vor, hilft der Test als solcher nicht im Umgang mit der Aus- der einen Leitfaden für weitere gesetzliche Regelungen wertung der Ergebnisse, die es dann zu analysieren gilt. bilden soll. Es reicht nicht aus, zu sagen, dass man den gläsernen Menschen verhindern will, sondern es ist jetzt Genetische Untersuchungen bergen auch die Gefahr ei- notwendig, rechtliche Schritte einzuleiten. ner zunehmenden Abtreibung von Föten infolge der Fest- stellung von genetischen Anomalien mittels pränataler Dia- (Beifall bei der PDS) gnostik. In der Arbeitswelt betreffen die VorbehalteOhne Sie provozieren zu wollen, möchte ich Sie, meine insbesondere die Gefahr der Aushöhlung des objektiven Ar- sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen der Koalitions- beitschutzes und die Gefahren einer Arbeitnehmerselektion fraktionen, daran erinnern, dass Sie laut Ihrer Koalitions- bzw. -diskriminierung. So fragte beispielsweise ein Vertre- vereinbarung aus dem Jahr 1998 die Bürgerinnen und ter der ÖTV 1997 etwas provokant, ob es durch genetische Bürger vor einer möglichen Diskriminierung schützen Untersuchungen bald dazu kommen werde, olympiareife wollen. Das ist völlig richtig und das unterstützen wir Belegschaften zusammenzustellen. Auch in der Versiche- auch. In der Koalitionsvereinbarung heißt es: rungswirtschaft stellt sich die Frage, ob Versicherungsinte- ressenten bei Vorlage eines Gentests noch in den Genuss ei- Wir werden den Schutz der Bürgerinnen und Bürger ner normalen Versicherungsprämie kommen werden. vor genetischer Diskriminierung insbesondere im Bereich der Kranken- und Lebensversicherung ge- Wir als CDU/CSU-Fraktion wollen, dass niemand we- währleisten. gen seiner genetischen Disposition Nachteile beim Ab- schluss von Versicherungen erfahren muss. Dann mal los. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) (Heinz Wiese [Ehingen] [CDU/CSU]: Da sind wir mal gespannt!) Wir möchten vielmehr sicherstellen, dass die Möglich- keiten der Gentechnik dem Einzelnen zugute kommen, je- Schon die 62. Datenschutzkonferenz des Bundes und doch nicht durch Dritte zu seinem Nachteil missbraucht der Länder im Oktober vergangenen Jahres forderte den 21150 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 213. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Januar 2002

Katherina Reiche (A) Deutschen Bundestag auf, genetische Untersuchungen am Vizepräsidentin Petra Bläss: Der nächste Redner ist (C) Menschen gesetzlich zu regeln. Wir sind dieser Aufforde- der Kollege Dr. Wolfgang Wodarg für die SPD-Fraktion. rung nachgekommen und haben in unserem Antrag einen umfangreichen Maßnahmenkatalog zum Schutz vor Miss- (SPD): Frau Präsidentin! Sehr brauch von Gendaten aufgestellt. Damit möchten wir si- Dr. Wolfgang Wodarg verehrte Kolleginnen und Kollegen! Es ist schön, dass cherstellen, dass humangenetische Untersuchungen weder sich die CDU/CSU-Fraktion Gedanken gemacht hat und unmittelbar noch mittelbar erzwungen werden dürfen. ein Papier in den Deutschen Bundestag einbringt, in dem Das Recht auf Nichtwissen von genetischen Datensie uns ihre Vorstellungen darlegt. schließt ein, dass weder Krankenversicherungen noch Le- bensversicherungen vor dem Abschluss sowie während (Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Nicht so der Dauer eines Vertrages die Durchführung eines Gen- hochnäsig, Herr Kollege!) tests verlangen oder verwerten dürfen. Aber die CDU/CSU-Fraktion ist nicht die erste Frak- (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. tion, die sich Gedanken macht, Frau Reiche. Angela Marquardt [PDS]) (Detlef Parr [FDP]: Das hat sie nicht gesagt!) Jedem Menschen muss es freigestellt bleiben, ob und Das ganze Haus hat sich bereits zu diesem Thema Ge- welchen Tests er sich unterzieht. Ebenso muss die Gefahr danken gemacht. Sie wissen, dass es eine Enquete-Kom- ausgeschlossen werden, dass Nutzer aus Angst vor einer mission gibt, in der alle Fraktionen mitarbeiten, und dass möglichen Diskriminierung auf die Durchführung eines das Thema des Schutzes von genetischen Daten eines der vom Arzt veranlassten medizinisch indizierten Gentests wichtigsten Themen ist, das in der Kommission behandelt verzichten bzw. einen solchen anonym und ohne ärztliche wird. Die Enquete-Kommission hat kürzlich ihren Teil- Beratung vornehmen. bericht zu diesem Thema beschlossen. Er wird noch vor In diesem Zusammenhang möchte ich noch einmalder Sommerpause hier debattiert werden. Er liegt derzeit unterstreichen, dass Gentests und die entsprechende Be- als Material vor und ich habe mit Freude festgestellt, dass ratung in die Hand vonFachärzten gehören und nur Sie diesen Bericht als Steinbruch für Ihre Vorlage benutzt durch sie bzw. von entsprechend zugelassenen und quali- haben. Darin gibt es wenig Widersprüche. Allerdings ha- fizierten Stellen durchgeführt werden dürfen. ben Sie die einzelnen Punkte und Ergebnisse bisher un- vollständig eingearbeitet. Das kann man noch besser ma- (Zuruf von der FDP: Sehr richtig!) chen. Das wollen wir auch. Mittlerweile werden von den genetischen Laboren in (Beifall bei der SPD – Detlef Parr [FDP]: Das Deutschland circa 200 bis 300 Gentests angeboten. Dem (B) haben Sie 1998 auch in anderen Bereichen ver- (D) stehen allerdings nur 160 ausgebildete Fachärzte ge- sprochen! Und wo sind wir heute?) genüber. Die Deutsche Gesellschaft für Humangenetik geht von einem bundesweiten Bedarf von mittelfristig Ich finde es schön, dass wir vom ganzen Hause 400 Fachärzten aus. Rückenwind bekommen; denn wir müssen einGentest- gesetz auf den Weg bringen. Wir sollten uns bemühen, Wir wollen auch, dass prädiktive Gentests im Rahmen zumindest die Dinge, die wir noch schaffen können, in von medizinischen Eignungsuntersuchungen weder vor Angriff zu nehmen. Die Themen „Gendaten“ und „Schutz dem Abschluss eines Arbeitsvertrages noch während der von Gendaten“ sind sehr umfangreich. Heute diskutieren Dauer eines bestehenden Arbeitsverhältnisses verlangt, wir nur über einen Teilbereich, nämlich den dermedi- angenommen oder in irgendeiner Form verwertet werden zinischen Daten. Schon hier gibt es unterschiedliche dürfen. Eine Ausnahme könnte für die Fälle gelten, in de- Anwendungsbereiche. Im Bereich der Reproduktionsme- nen mithilfe von prädiktiven Tests der Ausbruch einer dizin müssen die offenen Fragen der Präimplantationsdia- Krankheit prognostiziert wird, durch die der Arbeitneh- gnostik – das haben wir neulich in der Anhörung schon mer schlagartig funktionsunfähig wird und der plötzliche getan – mit den Fragen der Gentests verknüpft werden. Ausfall am vorgesehenen Arbeitsplatz eine Gefährdung Sie wissen genauso gut wie ich, dass es inzwischen Gen- Dritter bedeuten würde. Grundsätzlich sind jedoch Rege- tests gibt, mit deren Hilfe sich im Rahmen eines einzigen lungen notwendig, die die Freiwilligkeit und Vertraulich- Laboreinsatzes viele Tausend genetische Unterschiede keit von Gentests garantieren und dem Schutz der Arbeit- beim Menschen feststellen lassen. Wir haben auf Island nehmer dienen. eine Halle voll mit Maschinen gesehen, mit denen ver- (Beifall bei der CDU/CSU) sucht wird, das Genom der Isländer zu analysieren. Mit ei- nem Mikrochip können 6 000 bis 8 000 unterschiedliche Unser Antrag berücksichtigt zudem die Forderung des Merkmale automatisiert ausgewertet werden. Solche Bundesbeauftragten für den Datenschutz, Joachim Jacob, Tests kann man natürlich auch bei Embryonen durch- unerlaubte Gentests unter Strafe zu stellen. Die Bundes- führen, bevor sie eingepflanzt werden. Das zeigt die regierung ist nun aufgefordert, auf der Grundlage dieser Brisanz dieses Themas. Eckpunkte einen entsprechenden Gesetzentwurf in den Deutschen Bundestag einzubringen. Was sind eigentlich genetische Daten? Genetische Daten sind Aussagen über körperliche Unterschiede von Vielen Dank. Menschen. Damit ist eine neue Nacktheit entdeckt wor- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- den; denn die genetischen Daten liefern viel tiefer ge- ordneten der FDP und der PDS) hende Aussagen über einen Menschen als zum Beispiel Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 213. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Januar 2002 21151

Dr. Wolfgang Wodarg (A) ein Foto. Bedenken Sie, wie hoch schon – und zwar zu Ich bedanke mich jedenfalls bei allen Fraktionen für(C) Recht – die rechtlichen Hürden für die Veröffentlichung die Wachsamkeit und für den Kooperationswillen, der von Fotos sind und wie sehr das Recht am eigenen Foto deutlich zu erkennen ist. geschützt ist! Die genetischen Daten sind noch viel schüt- Vielen Dank. zenswerter, weil es sich um intime Daten handelt, die nicht nur für die Person, die genetisch untersucht worden (Beifall bei der SPD) ist, wichtig sind. Vielmehr lassen diese Daten auch eine Beurteilung der Eltern und der Kinder dieser Person zu; Vizepräsidentin Petra Bläss: Für die FDP-Fraktion denn diese Daten sind vererbbar. Daher sind genetische spricht der Kollege Detlef Parr. Daten besonders schützenswert. All das müssen wir bei einer gesetzlichen Regelung berücksichtigen. Detlef Parr (FDP): Frau Präsidentin! Meine Damen Es stellen sich in diesem Zusammenhang aber fol-und Herren! Ich möchte zunächst einmal meiner Freude gende Fragen: Muss eine gesetzliche Regelung den Ausdruck geben, dass ich vor einem rein weiblichen Prä- medizinischen Bereich, die Humangenetik bzw. die Neo- sidium reden darf. Ich denke, das ist ein gutes Zeichen für natologie, umfassen oder reicht eine entsprechendedie Art und Weise, wie wir hier im Parlament miteinander Regelung für den Versicherungs- und Arbeitsbereich? umgehen. Sie sehen, wie vielfältig die Fragen sind. Das Ressort Arbeit und Soziales, in dessen Zuständigkeitsbereich der Arbeitsschutz fällt, muss die im Zusammenhang mit der Vizepräsidentin Petra Bläss: Solange wir hier oben Gentechnik erworbenen Kenntnisse in die bestehenden keine Gentests über uns ergehen lassen müssen, ist das in Regelungen einarbeiten. Das ist ein eigenes großes Ar- Ordnung. beitsgebiet. (Heiterkeit) Im Bereich der medizinischen Diagnostik muss bei der Marktzulassung von Tests darauf geachtet werden, dass Detlef Parr (FDP): Wir sind uns einig, Frau Präsiden- die Kriterien, die es bereits für bestehende medizinische tin, dass wir an dieser Stelle enge Grenzen ziehen wollen. Tests gibt, entsprechend angepasst werden. Wir brauchen Gremien, die entscheiden, ob es sich um einen rezept- Nach dem 11. September ist vieles in unserem Land pflichtigen Test, der nur vom Arzt durchgeführt werden anders geworden. Auch der Datenschutzist in eine darf, oder ob es sich um einen Test handelt, der nur von Schieflage geraten. In seinen Sicherheitspaketen hat ganz speziellen und auf ihre Qualifikation hin geprüften Innenminister Schily vom Schutz persönlicher Daten in (B) Instituten in Einzelfällen durchgeführt werden darf, unter manchem Bereich mehr preisgegeben, als uns lieb war.(D) welchen Bedingungen Tests durchgeführt werden dürfen Datenschutz darf aber nicht zur Verfügungsmasse aktuel- und welche Beratungsmaßnahmen getroffen werden müs- ler politischer Tagesereignisse werden, welche Dimensio- sen. Es müssen also allein im medizinischen Bereich sehr nen sie auch haben mögen. viele Abgrenzungen vorgenommen werden. (Zuruf des Abg. Jörg Tauss [SPD]) Wir haben schon oft über die Bedeutung von gene- Das gilt für die uns geläufigen Datenerhebungen, Herr tischen Daten im Zusammenhang mit der inneren Si-Tauss. Das gilt aber noch viel mehr für genetische Daten. cherheit diskutiert. Auch hier geht die Entwicklung wei- ter. Möglicherweise muss gesetzlich nachgebessert (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten werden, um den Schutz der genetischen Daten sicherzu- der PDS) stellen. Sie müssen mit noch größerer Sensibilität behandelt wer- Mein kleiner Aufriss ist nicht vollständig. Der Bericht den. In diesem Punkt sind wir uns alle einig. der Enquete-Kommission ist vollständig und bietet eine Deshalb ist es richtig, dass wir uns heute auf der gute Übersicht. Wenn der Bericht diesem Hause vorliegt, Grundlage des CDU/CSU-Antrages mit diesem Zu- werden wir über das Thema der genetischen Daten und kunftsthema befassen. Das individuelle genetische Profil, ihres Schutzes erneut debattieren. Ich denke, dass sich das das zum Beispiel durch DNA-Chips entwickelt werden ganze Haus der Problematik und seiner Verantwortung kann, kann zu einem persönlichen Schicksal werden. Kol- bewusst ist. lege Wodarg hat schon auf die Familienbezüge und auf die Wir werden noch in diesem Jahr versuchen – das kann Probleme hingewiesen, die daraus entstehen können. ich zumindest für meine Fraktion versprechen; es gibt Wir müssen also die Frage beantworten, wie wir Stig- aber auch entsprechende Signale aus der Regierung –, matisierung, unter Umständen sogarDiskriminierung, Vorarbeiten im Bereich des BMG – es hat bereits einen aufgrund bestimmter individueller genetischer Risiken Gesetzentwurf vorgelegt – und des Justizministeriums vermeiden können und wie wir auf der anderen Seite dafür – hier geht es vor allen Dingen um das Versicherungswe- sorgen können, die Pharmakogenomik und individuelle sen – zu leisten, die in einen Gesetzentwurf münden wer- genetische Diagnostik zu einem Konzept neuartiger, auf den. Ob ein solcher Gesetzentwurf noch in diesem Jahr das persönliche Profil des Patienten zugeschnittener, ver- vorgelegt werden kann, hängt davon ab, wie schnell wir besserter Arzneimitteltherapie zu verbinden. Ob dazu ein das Ganze gemeinsam über die parlamentarischen Hürden Gentechnikgesetz, wie von der Union gefordert, der rich- bringen. tige Lösungsweg ist, möchte ich heute nicht abschließend 21152 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 213. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Januar 2002

Detlef Parr (A) bewerten. Zudem stellt sich die Frage, wie tief greifend es Vizepräsidentin Petra Bläss: Das Wort hat die Kol- (C) sein müsste. Die Enquete-Kommission „Chancen und Ri- legin Monika Knoche für die Fraktion des Bündnis- siken der Gentechnik“ hatte vor einigen Jahren davonses 90/Die Grünen. noch Abstand genommen. Zahlreiche von Bundesregie- rung und Landesregierungen eingesetzte Kommissionen (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): haben die Herstellung von Rahmenbedingungen zur Ge- Monika Knoche Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Herren und Damen! währleistung individueller, informierter und autonomer Herr Kollege Parr, ich will nicht sagen, dass sich mein Entscheidungen für oder gegen die Durchführung geneti- Beitrag nun erübrigt hat – wahrlich nicht –, aber in der Tat scher Diagnostik betont. gehe ich mit Ihren Ausführungen im Wesentlichen kon- Für die FDP ist vor allem eines wichtig – das kommt form. im vorliegenden Antrag nicht so deutlich zum Ausdruck, Die Tatsache, dass es neue diagnostische Möglichkei- wie wir das für wünschenswert halten, Frau Kollegin ten gibt, die die genetische Beschaffenheit eines Men- Reiche –: Für die Durchführung jeder Art von Gentests schen entschlüsseln, bedeutet nicht, dass wir in der Bun- muss die Beratungunabdingbare Voraussetzung sein. desrepublik Deutschland gänzlich neue gesetzliche Ergebnisse solcher Gentests können, wie vorher schon Rahmensetzungen brauchen, um den Schutz vor Diskri- einmal betont, schicksalhaft sein. Deswegen muss jeder minierung und um eine sachgerechte medizinische An- Bürger vor der Einwilligung über die möglichen Implika- wendung zu gewährleisten. Dennoch bin ich der Auffas- tionen und gegebenenfalls schwierigen Situtationen nach sung, dass es richtig und wichtig ist, uns im Parlament einem Gentest gründlich aufgeklärt sein. intensiv damit zu befassen, insbesondere deshalb, um der (Beifall bei der FDP) Bevölkerung die Sicherheit zu geben, dass wir alles tun, um Missbrauchspotenziale zu vermeiden. Das Recht auf Nichtwissen ist ein hohes Gut, das wir nicht antasten dürfen. Deshalb begrüßen wir auch die Welche Kriterien sind dafür wichtig? Am meisten be- Selbstverpflichtung der Versicherungswirtschaft, zu- schäftigt die Menschen die Sorge, dass das Wissen, das im nächst bis zum Jahr 2006 die Finger von jeglicher Art von Rahmen der medizinischen Diagnostik erworben wird, an Gentests zu lassen. Das ist ein gutes Beispiel; die Arbeit- Versicherungen oder Arbeitgeber weitergegeben werden geber sollten diesem Beispiel folgen. Dann haben wir ge- könnte und sie aufgrund dieses Wissens dann Diskrimi- nug Zeit, die rasante Entwicklung der Gentechnik in Ruhe nierungen ausgesetzt sind. Wenn wir als Gesetzgeber uns zu verfolgen und einzuschätzen. Ob ein Gentechnikgesetz in der Frage des Regelungsbedarfs orientieren, dann kom- nach dem Muster Österreichs oder der Schweiz erarbeitet men wir zu der Tatsache, dass das Diskriminierungsverbot werden soll, wird sich dann noch zeigen. im Grundgesetz steht. Es ist also sehr wichtig, dass wir auf Folgendes hinweisen: Selbst genetisch bedingte Be- (B) Dieser Gesetzentwurf muss sicher viele Elemente aus (D) hinderungen dürfen im Versicherungsrecht kein Kriterium Ihrem vorliegenden Antrag enthalten, Frau Kollegin sein, das zu Benachteiligungen führt. Das ist grundlegend. Reiche. Für die FDP sollen – noch einmal zusammenge- fasst – unter anderem folgende Prinzipien neben der (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, herausragenden Bedeutung der Beratung zur Geltung bei der SPD und der FDP) kommen: Die Nutzung von Gendiagnostik sollte auf me- Das sind Orientierungen, die den Arbeitgebern bekannt dizinische Zwecke beschränkt sein. Auf jeden Fall sollte sind. Ich als Frau möchte betonen: Wir haben eine gute der Arztvorbehalt bzw. eine fachärztliche Qualifikation Rechtssicherheit erreicht in der Hinsicht, dass von Ar- gewährleistet sein. Aus dem Selbstbestimmungsrecht er- beitgebern die Überprüfung der Frage, ob eine Schwan- gibt sich, dass die Weitergabe der Daten nur mit aus- gerschaft vorliegt, nicht verlangt werden darf. Nicht an- drücklicher Zustimmung des Einzelnen erfolgen darf. ders sollte es sich mit Gentests verhalten. Es gilt also, das Außerdem muss die Qualitätssicherung von Beratung und neue Problem in den hochrangigen Schutz einzureihen, Diagnose durch staatliche Zulassung der Einrichtungen den wir in vergleichbaren Fragen schon haben. Man muss sichergestellt sein. nicht immer alles neu machen; unter Umständen muss Lassen Sie mich noch eine letzte Bemerkung machen, man es allerdings vervollkommnen. was die Diskussion der ethischen Fragen betrifft, die wir Sehr wichtig ist – das wird oft vergessen –, dass die in der nächsten Woche in diesem Hause debattieren. Ich gesetzliche Krankenversicherung für die Patienten den halte es für nicht in Ordnung, dass in verschiedenen Gre- maximalen Schutz bietet, den ein Versicherungssystem mien die gleichen Fragen diskutiert werden. Außerhalb überhaupt geben kann, weil es völlig irrelevant ist, welche des Parlamentes geschieht dies im Nationalen Ethikrat, genetisch bedingte oder nach prädiktiven Tests zu erwar- der vom Bundeskanzler einberufen worden ist. Wir als tende Erkrankung eintritt. Durch das Sachleistungsprin- Deutscher Bundestag sollten darauf achten, dass die ethi- zip und den Ausschluss von Versicherungspolicen als schen Fragen, die die Bevölkerung betreffen, hier im Grundlage der Versicherung ist eine Diskriminierung in- Bundestag diskutiert, beraten und entschieden werden nerhalb der GKV für die Versicherungsgeber nicht nur fi- und dass keine Nebengremien wie der Nationale Ethikrat nanziell völlig unattraktiv; sie ist auch von der Sache her die Diskussion bestimmen, die wir im Parlament anders nicht möglich. Daher ist dort, wo 90 Prozent der Bevöl- führen würden. kerung versichert sind, der größte Schutz vorhanden. Danke. (Dr. Wolfgang Wodarg [SPD]: Zum Glück ist (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) das noch so!) Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 213. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Januar 2002 21153

Monika Knoche (A) An diesem Schutzniveau müssen sich auch die privaten die von mir eben verfolgte Intention, dürften bei der(C) Krankenversicherungsträger orientieren, um keine Be- Schaffung neuer rechtlicher Vorschriften die Probleme im nachteiligung von privat Versicherten zu realisieren. Arbeits- und Versicherungsrecht eher als die Probleme im medizinischen Bereich vernachlässigt werden können. Bei der privaten Versicherungswirtschaft– sie hat sich einer Selbstverpflichtung unterworfen; das würde ich Ich danke Ihnen. niemals als Freikauf von nötig werdenden Gesetzen be- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ trachten – DIE GRÜNEN sowie des Abg. Detlef Parr (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN [FDP]) und bei der SPD) erstaunt mich – das ist eigentlich mehr ein logisches, ein Vizepräsidentin Petra Bläss: Die letzte Rednerin in intellektuelles Problem –, dass man überhaupt auf die Idee dieser Debatte ist die Kollegin Angela Marquardt für die kommt, es könnte sinnvoll sein, durch ein Screening oder PDS-Fraktion. durch die Offenbarung der genetischen Disposition eines Menschen Kenntnisse zu erlangen. Die Tatsache, dass Angela Marquardt (PDS): Frau Präsidentin! Meine Menschen um ihre genetische Disposition wissen, ändert Damen und Herren! Kurz nach der Bekanntgabe der so ja nichts daran, dass die Krankheit eintritt; sie träte auch genannten Humangenomentschlüsselung im Sommer ein, wenn sie nicht um diese Disposition wüssten. An dem 2000 überschlugen sich die Presseerklärungen und es Versicherungsumfang und dem Eintritt des Versiche- hieß, Rot-Grün werde Gentests von Versicherungen ver- rungsfalls ändert sich also nichts. Was ist nun das ökono- bieten. Auch Frau Ministerin Bulmahn ließ sich damals mische Interesse privater Versicherungsträger, wenn sie mit dem Satz zitieren, die Politik könne nicht zulassen, doch Diskriminierung und Benachteiligung von gene- dass Menschen aufgrund von Erbanlagen benachteiligt tischer Andersartigkeit ausschließen wollen? Wie wollen würden. sie die Versicherungspolice anders berechnen, ohne dis- kriminierend zu sein? Ich habe jetzt zur Kenntnis genommen, dass es vor der Sommerpause hierzu eine Vorlage bzw. Diskussionen ge- (Beifall bei Abgeordneten der PDS) ben soll. Bisher ist aber nichts passiert, obwohl es Dis- Die Tatsache, dass Menschen genetisch verschieden sind kussionsgrundlagen aus dem Büro für Technikfolgenab- und dass irgendwann eine Krankheit eintritt, ändert sich schätzung gibt und der Ethikbeirat ebenso wie die doch nicht dadurch, dass man die genetische Disposition Enquete-Kommission hierfür Diskussionsgrundlagen ge- kennt. Interessant ist das Wissen dann, wenn nach solchen liefert haben. Insofern halte ich den Vorstoß der (B) prädiktiven Tests für die betreffende Person Primär- oder CDU/CSU und auch das Anliegen des vorliegenden An- (D) Sekundärprävention im Hinblick auf den Eintritt dertrags für richtig. Krankheit hilfreich ist. Ich teile die Auffassung, dass Gentests grundsätzlich Gerade dies verweist darauf, dass wir Gentests aus- an die Zustimmung des Betroffenen zu binden seien und schließlich im Rahmen des ärztlichen Behandlungsauf- dass deren Einsatz sowie die Verwendung ihrer Ergeb- trages zulassen dürfen. Nur dort ist die Verschwiegenheit nisse in bestimmten Bereichen auszuschließen seien. Wer gewahrt, nur dort kann der „informed consent“ überhaupt die Diskriminierung von Menschen verhindern will, darf hergestellt werden und nur dort ist ein Regelwerk vorhan- keine Lücken lassen. den, um die iatrogenen Schäden zu begrenzen und zu ver- (Beifall bei der PDS) meiden, die durch eine unsachgerechte Diagnostik bei der Patientin bzw. beim Patienten ausgelöst werden. Daher bin ich der Überzeugung, dass in der Arbeitswelt und bei Versicherungen Gentests umfassend verboten Niemals dürfen Gentests frei verkäufliche Waren sein. werden müssen. Eine Selbstverpflichtung halte ich in die- Niemals darf man Gentests zu einem weiteren Markt- sem Bereich für nicht ausreichend. Hierauf hat Frau segment im ärztlichen Sektor machen. Denn aussagekräf- Knoche zu Recht hingewiesen. tige Gentests offenbaren nicht nur die genetische Dispo- sition der getesteten Person, sondern greifen zugleich tief (Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung der SPD) der genetisch Verwandten ein. Wegen dieses Selbstbe- So richtig der Grundsatz ist, dass es eine freiwillige Zu- stimmungsrechtes kommt es gerade bei der Gendia- stimmung zu Gentests geben muss, wird dies allein die gnostik unausweichlich zu einem Grundrechtekonflikt flächendeckende Ausbreitung von Gentests nicht verhin- unter genetisch verwandten Menschen. Ihr Recht auf Wis- dern. Letztlich wird dadurch auch keine Diskriminierung sen müssen wir als Gesetzgeber genauso wahren wie ihr verhindert. Zu erinnern ist hier an die Durchsetzung der Recht auf Nichtwissen. pränatalen Diagnostik seit den 70er-Jahren. Auch sie war Dies alles – damit möchte ich schließen – lässt sich freiwillig, stellte eine Sonderleistung dar und war anfangs nach meinem Dafürhalten im bestehenden Regelwerk des auf so genannte Risikofrauen beschränkt. Heute ist sie im Gesundheitswesens am besten sachgerecht unterbringen. Grunde genommen eine Regelleistung geworden: ein na- Daher bin ich sehr daran interessiert, dass wir in dieser hezu flächendeckendes Screening mit einer strukturell eu- Legislaturperiode mithilfe der Enquete-Kommission zu genischen Folgewirkung. Dennoch erklärt die Humange- einem Gesetzgebungsverfahren kommen. Verfolgt man netik, sie habe damit nichts zu tun, und macht die 21154 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 213. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Januar 2002

Angela Marquardt (A) individuellen Wünsche von Frauen oder Paaren verant- Die Kolleginnen und Kollegen ,(C) wortlich. Marlene Rupprecht, Max Straubinger, Winfried Hermann, Walter Hirche sowie Eva Bulling-Schröter ha- Der Humangenetik die Hoheit über Beratung und 1) Durchführung genetischer Tests zu überlassen ist falsch. ben ihre Reden zu Protokoll gegeben. – Ich höre Zu- Nach meinem Dafürhalten müsste ein wirklich unabhän- stimmung im ganzen Saal. giges Beratungsnetz aufgebaut werden; denn es bleibt Deshalb kommen wir gleich zur Überweisung. Inter- das grundlegende Problem der medizinischen Genetik, fraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf Druck- dass sie sich ihre eigene Nachfrage schafft. sache 14/7177 an die in der Tagesordnung aufgeführten Durch die so genannte Entdeckung immer neuer Gen- Ausschüsse vorgeschlagen. – Auch hierzu gibt es keinen korrelationen mit bestimmten Erkrankungen oder Behin- Widerspruch im Saal. Dann ist die Überweisung so be- derungen gelten immer mehr Menschen als Risikoperso- schlossen. nen. Dies wird einen Andrang auf Gentests auslösen. Es gibt unzählige Gene, die gerade mit Krebserkrankungen Wir kommen jetzt zu Tagesordnungspunkt 23: in Verbindung gebracht werden. Hier, glaube ich, offen- Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- baren sich auch die Gefahren der Chip-Technologie: Sie richts des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Woh- wird nicht nur zu einer Datenflut führen, sondern auch das nungswesen (15. Ausschuss) zu dem Antrag der Aufspüren kleinster Auffälligkeiten begünstigen. Damit Abgeordneten Birgit Homburger, Horst Friedrich werden unzählige neue Risikogruppen geschaffen und das (Bayreuth), Hans-Michael Goldmann, weiterer sollte nicht unser Anliegen sein. Abgeordneter und der Fraktion der FDP (Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten Übergangsregelung für das neue Führerschein- der SPD) recht Um eine sinnvolle Diskussion zum Thema Gentests zu – Drucksachen 14/2370, 14/5558 – führen, muss es erstens einen Stopp der massiven Förde- Berichterstattung: rung der Entwicklung von Gendiagnostik über den Haus- Abgeordnete Rita Streb-Hesse halt des BMBF geben und sollten wir zweitens ein Mora- torium für Gentests durchsetzen; denn nur so kann man in Die Kolleginnen und Kollegen Rita Streb-Hesse, meinen Augen die unkontrollierte Dynamik des Diagnos- Wolfgang Börnsen, Helmut Wilhelm, Horst Friedrich so- tikmarktes anhalten. wie Winfried Wolf haben ihre Reden ebenfalls zu Proto- koll gegeben.2) – Auch hier stelle ich Freude im gesamten (Beifall bei der PDS) Haus fest. (B) Wir kommen deshalb jetzt zur Abstimmung über die(D) Vizepräsidentin Petra Bläss: Ich schließe die Aus- Beschlussempfehlung des Ausschusses für Verkehr, Bau- sprache. und Wohnungswesen auf Drucksache 14/5558 zum An- Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf trag der Fraktion der FDP mit dem Titel „Übergangsrege- Drucksache 14/6640 an die in der Tagesordnung aufge- lung für das neue Führerscheinrecht“. Der Ausschuss führten Ausschüsse vorgeschlagen. – Ich höre keinen Wi- empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 14/2370 abzuleh- derspruch. Dann ist die Überweisung so beschlossen. nen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Ge- genprobe! – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung Ich rufe Tagesordnungspunkt 22 auf: ist gegen die Stimmen von CDU/CSU, FDP und PDS an- Beratung des Antrags der Abgeordneten Ursula genommen. Burchardt, Petra Bierwirth, Hubertus Heil, weite- rer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie Ich rufe Tagesordnungspunkt 24 auf: der Abgeordneten Winfried Hermann, Franziska Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- Eichstädt-Bohlig, Hans-Josef Fell, weiterer Ab- richts des Auswärtigen Ausschusses (3. Ausschuss) geordneter und der Fraktion des BÜNDNIS- zu dem Antrag der Abgeordneten Wolfgang SES 90/DIE GRÜNEN Gehrcke, Heidi Lippmann, Carsten Hübner, weite- Nachhaltige Wasserwirtschaft in Deutschland rer Abgeordneter und der Fraktion der PDS – Drucksache 14/7177 – Aufhebung der Sanktionen gegen den Irak Überweisungsvorschlag: – Drucksachen 14/4709, 14/5716 – Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f) Innenausschuss Berichterstattung: Finanzausschuss Abgeordnete Christoph Moosbauer Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Land- wirtschaft Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung Rita Grießhaber Ausschuss für Gesundheit Ulrich Irmer Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen Wolfgang Gehrcke Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen- abschätzung 1) Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Anlage 5 Haushaltsausschuss 2) Anlage 6 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 213. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Januar 2002 21155

Vizepräsidentin Petra Bläss (A) Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Man kann heute feststellen – das behauptet jeder –,(C) Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei diedass der Irak militärisch nicht schwächer geworden ist. Fraktion der PDS fünf Minuten erhalten soll. – Ich höre Ich frage mich immer wieder – diese Fragen werden wir keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. beantworten müssen –: Warum greifen alle Sanktionen gegen die zivile Bevölkerung? Warum ist es nicht mög- Die Aussprache ist eröffnet. Ich erteile dem Kollegen lich, den Zustrom von Waffen in solche Länder endgültig Wolfgang Gehrcke für die PDS-Fraktion das Wort. zu unterbinden? (Beifall bei der PDS) Wolfgang Gehrcke (PDS): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich kann den Unmut darüber Wer hat ein Interesse daran, mit solchen Ländern Waffen- verstehen, am Freitag noch Debatten führen zu müssen, handel zu betreiben? aber ich bitte zu akzeptieren, dass es immer die kleinen Der Einfluss des Hussein-Regimes ist durch die Sank- Fraktionen trifft, wenn die Reden am Nachmittag zu Pro- tionen nicht kleiner geworden, durch die Nahostauseinan- tokoll gegeben werden. Aber ich halte es nicht für den dersetzung erst recht nicht. Man kann sagen, dass Saddam Sinn parlamentarischer Debatten, wenn sich der Umgang Hussein – auch in den arabischen Ländern – noch nie so miteinander auf das Austauschen schriftlicher Noten be- viel Einfluss wie heute hatte. schränkt, Die Inspekteure der Vereinten Nationen sind noch (Beifall bei der PDS) nicht einmal ins Land gekommen, um zu überprüfen, ob und deswegen rede ich zu diesem Punkt. Ich wusste, dass Massenvernichtungswaffen vorhanden sind oder produ- die meisten Reden zu Protokoll gegeben werden, aber ich ziert wurden. Dazu möchte ich anmerken, dass es nicht meine, zu Fragen der Demokratie muss man mindestens gerade hilfreich ist, dass die USA diese Situation zum An- einen Satz sagen. lass nimmt, um einen möglichen Krieg zu führen, sich aber gleichzeitig bei der Auseinandersetzung über das Zu- Wir sollten uns darüber klar werden, dass man die satzprotokoll der Biowaffenkonvention weigert, interna- Frage der Aufhebung der Sanktionen gegen den Irak tionale Inspekteure ins eigene Land zu lassen. Das ist natürlich unter Berücksichtigung der Umfeldbedingun- doch nicht glaubwürdig. Auch das haben wir den USA zu gen debattieren muss: die Explosion von Gewalt und Ge- sagen. gengewalt im Nahen Osten, die brüchige Grenze zwi- schen Bürgerkrieg und Krieg, die beständige Drohung der (Beifall bei der PDS) USA, möglicherweise eine Militäraktion, einen Krieg ge- Da wir gerade beim Thema Glaubwürdigkeit sind, gen den Irak zu führen. Heute war erneut in der Presse zu möchte ich anmerken, dass mir einmal jemand erklären lesen, dass sich Präsident Bush einen Krieg gegen den (B) sollte, warum die USA gerade in diesen Tagen die finan- (D) Irak als eine mögliche Option offen hält. Das muss man zielle Unterstützung für die irakische Opposition einge- vor dem Hintergrund der Massierung von Truppen in der stellt haben. Wenn man einen nicht militärischen Macht- Region – dazu gehört auch die Stationierung deutscher wechsel anstrebt, passt das doch nicht zusammen. ABC-Spürpanzer in Kuwait – sehen. All das macht die Region zu einem Pulverfass. Gerade deshalb muss man Alles in allem hat unter den Sanktionen nur die zivile jetzt über Deeskalation, Stabilität und Humanität reden. Bevölkerung im Irak gelitten: 500 000 bis 600 000 Kin- Humanität bleibt unser Anliegen. der sind an den Folgen des Embargos gestorben; die Ar- beitslosigkeit beträgt mittlerweile 60 bis 75 Prozent; die (Beifall bei der PDS) Einkommen sind um zwei Drittel zurückgegangen; das Ich möchte uns die eigentlichen Ziele der Sanktionen Bildungswesen ist fast zusammengebrochen. Deswegen in Erinnerung rufen – auch wenn ich sie nie geteilt und im- lauten unsere Forderungen: Alle nicht militärischen mer für falsch gehalten habe, glaube ich, dass es gut ist, Sanktionen – die Sanktionen gegen das Militär möchte ich sich an diesen Zielen zu messen –: Durch die Sanktionen sogar verstärkt wissen – müssen aufgehoben werden; die sollte verhindert werden, dass der Irak erneut eine mi- tatsächlich demokratische Opposition im Irak muss un- litärische Stärke erreicht; es sollte verhindert werden, dass terstützt werden; politischer Druck muss entwickelt wer- er andere bedrohen kann; es sollte verhindert werden, dass den; die deutschen Panzer dürfen jetzt nicht in Kuwait er Zugang zu Massenvernichtungswaffen bekommt; es stationiert werden. Eine solche Stationierung kann inter- sollte erreicht werden, dass die kuwaitischen Gefangenen national nur als ein Einverständnis mit einem möglichen – die 600 Verschleppten – freigelassen werden und dass Krieg gegen den Irak verstanden werden, in den wir uns der Irak akzeptiert, dass die Souveränität Kuwaits nicht nicht hineinziehen lassen dürfen. Wir müssen vielmehr infrage gestellt werden darf. heraus. Es müssen sofort Korrekturen vorgenommen werden. Indirekt – das war aber nie Gegenstand der Resolution – haben viele gehofft – auch ich habe diese Hoffnung –, (Beifall bei der PDS) dass die blutige Unterdrückung des irakischen Volkes Deshalb lautet meine Bitte und Forderung an die Bun- durch Saddam Hussein beendet werden kann und dass desregierung, endlich verbindlich zu erklären, dass man dort ein Machtwechsel möglich wird. Deswegen meine sich nicht an militärischen Aktionen, an einem Krieg der Feststellung: Die Sanktionen haben genau diese Ziele USA gegen den Irak beteiligen wird. Ich möchte, dass das nicht erreicht. Im Gegenteil: Sie waren kontraproduktiv. hier verbindlich erklärt wird, damit die USA das zur (Beifall bei der PDS) Kenntnis nehmen. 21156 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 213. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Januar 2002

Wolfgang Gehrcke (A) Auch wenn jetzt Freitagnachmittag ist: Ihnen das vor- zeilen, wer der eigentlich Schuldige ist. Es kann doch(C) zutragen war es mir wert. Das ist die Begründung zu un- überhaupt keine Frage sein: Natürlich trägt Innenminister serem Antrag. Schily als oberster „Schirmherr“ die Hauptverantwortung für den entstandenen Schaden. Herzlichen Dank, dass Sie es sich zumindest angehört haben. (Beifall bei der PDS) (Beifall bei der PDS) Das entlastet die Innenminister Beckstein und Behrens allerdings nicht. Auch sie hängen mit drin. Vizepräsidentin Petra Bläss:Da die Kollegen Christoph Moosbauer, Joachim Hörster, Rita Grießhaber Allein die Tatsache, dass der V-Mann Frenz 36 Jahre und Ulrich Irmer ihre Reden zu Protokoll gegeben haben, lang nicht nur für den Verfassungsschutz in NRW gespit- schließe ich die Aussprache.1) zelt hat, sondern die NPD von Anfang an faktisch mit auf- gebaut hat, ist unglaublich. Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss- empfehlung des Auswärtigen Ausschusses auf Drucksa- (Beifall bei Abgeordneten der PDS) che 14/5716 zu dem Antrag der Fraktion der PDS zur Auf- Dass V-Leute des Verfassungsschutzes in der NPD mit- hebung der Sanktionen gegen den Irak. Der Ausschuss mischen, ja sogar in deren Bundesvorstand sitzen, empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 14/4709 abzuleh- während dieselbe Partei eine Unzahl von Gewalttaten ge- nen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Ge- gen Flüchtlinge, Migranten und andere Menschen plant, genprobe! – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung propagiert und durchführt, ohne dass die Sicherheits- ist gegen die Stimmen der PDS-Fraktion angenommen. behörden das verhindert haben, ist ungeheuerlich. Ich rufe Zusatzpunkt 11 auf, der zugleich der letzte Ta- Dass man jetzt dem Gericht in Karlsruhe einfach mit- gesordnungspunkt der heutigen Debatte ist: teilt, dieser Mann sei 1995 „abgeschaltet“ worden, wie Aktuelle Stunde von einigen vorgeschlagen wird, löst das Problem unseres Erachtens nicht. Es sind doch ganz andere, grundsätzliche auf Verlangen der Fraktion der PDS Fragen aufgeworfen worden, die geklärt werden müssen. Haltung der Bundesregierung zu aktuellen Wolfgang Frenz hat nicht nur den VS informiert, er hat als Veröffentlichungen über einen Einsatz eines Ziehkind des Verfassungsschutzes die NPD mit begrün- V-Mannes im NPD-Vorstand det, sie über Jahrzehnte hinweg maßgeblich mit aufge- baut. Nach Brandenburg und Thüringen steht damit erneut Ich eröffne die Aussprache. Erste Rednerin ist die Kol- der von uns schon immer kritisierte V-Leute-Einsatz im legin Ulla Jelpke für die PDS-Fraktion. Bereich des Rechtsextremismus zur Debatte. (B) (D) Die Ausführungen zum agressiven Antisemitismus der Ulla Jelpke (PDS): Frau Präsidentin! Meine Damen NPD in den Verbotsanträgen von Bundestag, Bundesrat und Herren! Wir diskutieren heute über einen der größten und Bundesregierung beziehen sich maßgeblich auf die Skandale in der Geschichte der Republik. Aussagen von Wolfgang Frenz und . Deren (Zuruf von der SPD: Ach was!) Ausführungen sind für die Anklage derart wichtig, dass man jetzt nicht einfach zur Tagesordnung übergehen Die PDS hat diese Aktuelle Stunde beantragt, Herr Schily, kann. Natürlich ist der Vorwurf des agressiven Antisemi- damit Sie diesen Skandal restlos aufklären und alle Kar- tismus der NPD auch ohne die Zitate von Herrn Frenz ten auf den Tisch legen. vollauf berechtigt und begründet; Dem Verfassungsgericht in Karlsruhe ist im Verbots- (Sebastian Edathy [SPD]: Wohl wahr!) verfahren gegen die NPD verschmutztes Material vorge- legt worden. Einer der 14 geladenen Zeugen, der in der aber die Anklageschriften müssen jetzt grundlegend über- Anklageschrift an vielen Stellen mit agressiven antisemi- prüft und überarbeitet werden, vor allen Dingen dahin ge- tischen Äußerungen zitiert wird, ist als Spitzel des Ver- hend, ob sich weitere V-Leute hinter den Zeugen verber- fassungsschutzes enttarnt. gen. Der innen- und außenpolitische Schaden, der entstan- Die Verfassungsschutzämter von Bund und Ländern den ist, ist enorm. Das Verbotsverfahren wird politisch sowie die Innenminister, die diesen unglaublichen Vor- und juristisch zurückgeworfen. Die Neonazis frohlocken gang zu verantworten haben, über den wir hier diskutie- und feiern. Alle Gegner des NPD-Verbots fühlen sich, wie ren, haben den Rechtsextremismus seit Jahren bagatelli- man schon jetzt den Medien entnehmen kann, ermutigt. siert. Es ist kein Wunder, dass jetzt in der Öffentlichkeit Sie glauben, dass ein NPD-Verbot nun gar nicht mehr ge- darüber spekuliert wird, wie hoch die Zahl der V-Leute in- fordert wird. Die Opfer der Neonazis, Flüchtlinge, Mi- nerhalb der NPD wohl sein mag. Diese Fragen sind, wie granten, Antifaschisten und Antirassisten, sind vor den gesagt, vollauf berechtigt. Die Zeitung „Die Welt“ hat das Kopf geschlagen. gestern mit einer Karikatur auf den Punkt gebracht. Darin werden Schröder und Schily vom Karlsruher Gericht per Statt schnellstens für Aufklärung zu sorgen, sorgen die Telefon gefragt, wer denn nun eigentlich verboten werden Innenminister Schily, Beckstein und Behrens für Schlag- solle: die NPD oder der Verfassungsschutz? (Wolfgang Zeitlmann [CDU/CSU]: Und die 1) Anlage 7 PDS vielleicht!) Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 213. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Januar 2002 21157

Ulla Jelpke (A) Die Innenminister und der Verfassungsschutzleiter be- Punkt eins. Es ist von Kommunikationsdefiziten und (C) teuern, es gebe keine weiteren Spitzel auf der Liste der -lücken zwischen Berlin und Karlsruhe die Rede gewe- nach Karlsruhe geladenen Zeugen. Wir wissen aber, dass sen. Die Schuld ist – aus meiner Sicht ziemlich einseitig – seit Jahren viele Spitzel vom Verfassungsschutz in die an Berlin gegeben worden, an einen Beamten, der telefo- NPD eingeschleust wurden. Das muss genauestens auf niert hat. Ich habe das Ganze einmal zurückverfolgt und den Tisch. Das Gericht in Karlsruhe, wir selbst, aber vor die Vermerke dazu aus Karlsruhe, die inzwischen vorlie- allem die Öffentlichkeit haben ein Recht darauf, dass die- gen, gelesen. Ich sage in aller Zurückhaltung und Be- ser Skandal von Innenminister Schily, aber auch von den scheidenheit ohne jede Gerichtsschelte: Da gab es auf Länderinnenministern restlos aufgeklärt wird. zwei Seiten ein Kommunikationsdefizit oder eine unge- wöhnliche Kommunikation; denn auch von der anderen Wir sind nicht bereit, jetzt irgendwelche Schnell-Seite ist zum Telefon gegriffen worden, wo der schriftli- schüsse mitzumachen. Schon gar nicht sind wir bereit, che Verkehr nahe gelegen hätte. vorschnell irgendwelche Entschuldigungen und Beschö- nigungen hinzunehmen. Es gibt mehrere Vorschläge, die Das Verfassungsgericht hat nunmehr am 23. Januar im Raum stehen, zum Beispiel den Einsatz eines Sonder- schriftlich dazu aufgefordert, zu dem ganzen Vorgang ermittlers bzw. die Einsetzung eines parlamentarischen Stellung zu nehmen. Das heißt, wir sind jetzt im ordentli- Untersuchungsausschusses. Wir in der PDS-Fraktionchen Verfahren. Nunmehr geht das seinen geregelten werden alle Möglichkeiten unterstützen, die Aufklärung Gang. bringen und vor allen Dingen dienlich sind, um das Ver- (Erwin Marschewski [Recklinghausen] bot der NPD weiter zu betreiben. Denn die NPD ist eine [CDU/CSU]: Oje!) antisemitische, aggressive, hetzerische, gewalttätige, ver- fassungsfeindliche Partei, die verboten gehört. Ich als Jurist kann nur in aller Zurückhaltung feststellen: Das Gericht hat den zweiten Schritt vor dem ersten gemacht. Es hat nämlich Termine zur mündlichen Ver- Vizepräsidentin Petra Bläss: Frau Kollegin Jelpke, handlung ausgesetzt und erst nachher beschlossen, den jetzt muss ich Sie an die Redezeit erinnern. Sachverhalt in der üblichen und ordentlichen Form auf- zuklären. Das möge jeder beurteilen, wie er will. Es ist Ulla Jelpke (PDS): Ich komme zu meinem letzten aber vielleicht der Wahrheitsfindung dienlich, zu wissen, Satz. – Das sind wir den über 100 Opfern, die durch rechte wie der Hergang war. Gewalt ums Leben gekommen sind, den Opfern von Punkt zwei. Die Anträge aller drei Verfassungsorgane Mölln, Solingen, Rostock und Hoyerswerda, den vielen – liebe Kolleginnen und Kollegen, aller drei! – stützen sich (B) Verletzten und insbesondere natürlich auch der Öffent- durchgängig auf Material, das mit der Eigenschaft eines(D) lichkeit in Deutschland und international schuldig. Herrn Frenz als V-Mann nichts, absolut nichts zu tun hat. Ich danke Ihnen. Es wird lediglich auf Schriften dieses Herrn Frenz Bezug genommen. Keiner der drei Antragsteller hat Herrn Frenz (Beifall bei der PDS) als Zeugen oder als Auskunftsperson benannt. Das war eine zulässige, aber alleinige Entscheidung des Bundes- Vizepräsidentin Petra Bläss: Es spricht der Kollege verfassungsgerichts. Alle Fragen, die mit V-Leuten und Michael Bürsch für die SPD-Fraktion. mit diesem Verfahren zu tun haben, werden jetzt – das sage ich Ihnen zu – in aller Ruhe und aller Vertrauenswürdig- keit zwischen den drei Antragstellern, den Prozess- Dr. Michael Bürsch (SPD): Frau Präsidentin! Sehr bevollmächtigten und dem Gericht erörtert. So wird es zu geehrte Kolleginnen und Kollegen! Es sind noch 239 Tage Lösungen kommen, die dem Verfahren dienen. bis zur Bundestagswahl. Da neigt die politische Rhetorik zur Dramatisierung und zur Skandalisierung. Insofern Punkt drei. Für den Bundestag stelle ich fest: Unsere verstehe ich das, was die Kollegin eben vorgetragen hat. Antragsschrift, die Sie, wie ich annehme, alle gelesen ha- Als Norddeutscher habe ich eine etwas ruhigere Gangart ben, stützt sich entscheidend darauf, dass es eine Wesens- und auch eine etwas sachlichere Herangehensweise ge- verwandschaft der NPD zur NSDAP gibt, und zwar in lernt. Vor allem möchte ich als Berichterstatter für das Programmatik, Strategie, Rhetorik, Traditionspflege und NPD-Verbot zum Kern zurückführen, worüber heute de- anderen Elementen. Der Beweis dafür ist im Prinzip gerade battiert wird und was unser gemeinsames wichtigstes Ziel in unserer Antragsschrift durch öffentlich zugängliche ist: nämlich dass es zu einem NPD-VerbotsverfahrenQuellen und Belege geführt worden. An der Stichhaltigkeit der Argumentation, dass diese Partei verfassungswidrig kommt und dass diese Partei so schnell wie möglich ver- ist, hat sich nichts geändert. boten wird. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ (Beifall bei der SPD) DIE GRÜNEN) Dies muss im Kern unserer Bemühungen stehen. Darüber Das werden alle drei Antragsteller durch ihre Prozessbe- sollten wir, nachdem der Pulverdampf der letzten zwei vollmächtigten in den nächsten drei Tagen durch eine Tage etwas verflogen ist, in ruhigerer Art reden. Stellungnahme, wie sie das Gericht jetzt angefordert hat, Als Berichterstatter will ich drei Bemerkungen ma- auf dem dafür vorgesehenen schriftlichen Wege kommu- chen, die mit dem Verfahrensstand zu tun haben. nizieren. Das geht jetzt seinen ordentlichen Gang. 21158 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 213. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Januar 2002

Dr. Michael Bürsch (A) In diesem Sinne hoffe ich auf Versachlichung und da- Ein Weiteres war unrichtig, Herr Minister: Erst als es (C) rauf, dass auch die Diskussion im Bundestag über daseng wurde, gestanden Sie ein, dass der Kreis der Infor- NPD-Verbot jetzt in geordneten Bahnen verläuft. Wir alle manten aus mehreren Personen bestand, vor allem aus müssen Interesse daran haben, dass das Verfahren gegen Ihrem Intimus, Herrn Staatssekretär Claus Henning die NPD beginnt – und zwar bald –, und dass es zum Ver- Schapper. Sie haben erklärt, Sie hätten ihm eine Rüge er- bot dieser rechtsextremistischen, gewaltbereiten Partei teilt. Eine bloße Rüge, Herr Minister, für die größte Bla- führt. mage, wie der „Tagesspiegel“ schreibt, für diese schal- lende Ohrfeige? Danke schön. Ich zitiere Michael Möller: (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Wieder einmal verschlimmert ein Politiker einen an sich schon gravierenden Fall durch sein eigenes Kri- senmanagement, versucht, sich mit Tarnen und Täu- Vizepräsidentin Petra Bläss: Das Wort hat der Kol- schen aus der Affäre zu ziehen. Das offenbart ein er- lege Erwin Marschewski für die Fraktion der CDU/CSU. schreckend laxes Verhältnis des Juristen und Innenministers Otto Schily gegenüber dem höchsten Erwin Marschewski (Recklinghausen) (CDU/CSU): deutschen Gericht ausgerechnet in einem Verfahren, Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Her- bei dem die Fundamente der Verfassung ohnehin auf ren! Ich beginne mit einem Zitat des Deutschen Richter- eine harte Probe gestellt werden. bundes: Ich wiederhole meine Bewertung im Innenausschuss, Mit Gerichten spielt man nicht. Es ist der fatale Ein- Herr Minister: Diese Rügen reichen nicht aus. Sie, Herr druck entstanden, dass die Exekutive Bundesinnenminister, tragen die volle Verantwortung für das, was in Ihrem Hause passiert ist. Wer die volle Ver- – also das Bundesinnenministerium – antwortung trägt, der muss andere Konsequenzen ziehen. versucht hat, mit Tricks, mit unlauteren Mitteln, mit (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Halbwahrheiten, mit Verschweigen entscheidender Tatsachen das höchste deutsche Gericht ... zu mani- Eines ist doch eigenartig: pulieren. Alle wussten es, Herr Bundesinnenminister, nur Sie nicht. (Dr. Michael Bürsch [SPD]: Oh!) (Hartmut Büttner [Schönebeck] [CDU/CSU]: Fünf Tage angeblich nicht!) (B) – Ich zitiere nur, Herr Kollege. (D) – Fünf Tage nicht! Es ist nicht Aufgabe des DRB, Konsequenzen zu for- dern oder zu bewerten, wer für diese „Schlamperei“ Ich zitiere zum Schluss wieder Michael Möller: politisch verantwortlich ist. Es ist fast schon tragisch, dass ein so geradliniger Der Richterbund hat Recht: Dies ist eine ungeheure Mann wie Otto Schily, der als Innenminister den Schlamperei, Rechtsstaat zu verkörpern schien, sich am Ende sei- ner politischen Laufbahn (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Wolfgang Zeitlmann [CDU/CSU]: Der vor- (Rüdiger Veit [SPD]: Wunschdenken!) nehme Richterbund!) – ich zitiere, meine Damen und Herren, Herrn Möller – und das in einem Verbotsverfahren, das einmalig ist, weil (Jörg Tauss [SPD]: Mal etwas Eigenes! – der Bundestag, die Bundesregierung und der Bundesrat, Rüdiger Veit [SPD]: Die Hälfte der Rede ist Zi- drei Verfassungsorgane, es gemeinsam betreiben. Die tat, Herr Kollege!) NPD muss verboten werden, weil sie die freiheitlich-de- mokratische Grundordnung abschaffen will, weil sie ras- auf eine derart unwürdige Weise verbiegen muss – in sistisch ist, in jeder Hinsicht unappetitlich. Deswegen darf wessen Interesse auch immer. Er rettet damit nichts. der Verbotsantrag nicht scheitern, Er macht die Sache nur noch schlimmer. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie (Beifall bei der CDU/CSU) bei Abgeordneten der SPD) Ihnen, meine Damen und Herren von der Koalition, weil dies sonst den Extremisten nützt und uns Demokra- sage ich als langjähriger Parlamentarier und alter Kämp- ten schadet. fer – gerade weil Sie, anstatt ernsthaft zu sein, so hämisch dazwischenrufen: Ich bin nun wirklich nicht froh über die Uns schadet auch, was Sie zu verantworten haben, Herr entstandene Situation. Wir alle sollten darüber nicht froh Bundesinnenminister: Warum ist das Bundesverfassungs- sein. Meine Fraktion ist dies jedenfalls nicht. gericht nicht informiert worden, obwohl die Karlsruher Herzlichen Dank. Richter sich mit Ihrem Ministerium in Verbindung gesetzt haben? Ihre Antwort im Innenausschuss war eine Ge- (Beifall bei der CDU/CSU – Sebastian Edathy richtsschelte; Ihnen sei kein rechtliches Gehört gewährt [SPD]: Bewahren Sie dann auch die Verhältnis- worden. Das ist objektiv falsch. mäßigkeit!) Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 213. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Januar 2002 21159

(A) Vizepräsidentin Petra Bläss:Für die Fraktion und muss so behandelt werden. Darum war es richtig, dass (C) Bündnis 90/Die Grünen spricht jetzt der Kollege Cem wir dieses Verbotsverfahren angestrengt haben. Özdemir. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der CDU/CSU) Cem Özdemir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Kein Zweifel, der Ich wundere mich schon ein wenig darüber, geschätzte Anlass der heutigen Debatte ist außerordentlich unerfreu- Kollegin Pau, dass Sie in einer Presseerklärung, die von lich und ärgerlich. Es kann aber auch kein Zweifel darüber dpa zitiert wird, etwas zugespitzt formuliert gesagt haben, bestehen, dass dem Innenminister keinerlei Versäumnis dass die NPD erst durch den Einsatz von Verbindungsleu- vorzuwerfen ist. Er hat im Ausschuss stundenlang Aus- ten, so genannten V-Leuten, hochgezüchtet worden ist. kunft gegeben und anschließend vor der Bundespresse- Ich zitiere: konferenz alle Fragen beantwortet, die im Zusammen- Man baut erst einen auf, der an der Gründung der hang mit diesem Ereignis gestellt worden sind. Ich bin mir NPD beteiligt war und viele Jahre ihre Strukturen sicher, er wird auch weiterhin für Auskünfte im Innenaus- und Inhalte mitgeprägt hat, und will ihn dann als schuss zur Verfügung stehen, wenn dieses gewünscht Kronzeugen aufrufen. Das heißt, man will das Feuer wird, und auch konstruktiv mit dem parlamentarischen mit Benzin löschen. Kontrollgremium, dem Deutschen Bundestag, zusam- menarbeiten. Deshalb kann ich für meine Fraktion sagen, Ich kann mich über die Äußerung, über diesen Vorwurf dass diesem Innenminister im Zusammenhang mit diesem nur wundern. Das ist nicht nur unsinnig, Frau Kollegin, Ereignis keine Vorwürfe zu machen sind. sondern auch falsch: (Widerspruch bei der CDU/CSU und der PDS) Erstens. Dieser Zeuge, der hier herangezogen wurde, Meine Damen und Herren, wir sollten jetzt den Blick (Petra Pau [PDS]: Über 20 Jahre!) nach vorne richten und uns gemeinsam daran erinnern, hat – das belegt ein Blick auf den Kalender – das Buch, was eigentlich unsere Aufgabe ist. Die Aufgabe allerdas in dem Verbotsantrag zitiert wird, erst drei Jahre nach Fraktionen – ich sage das bewusst – muss jetzt sein, denn Beendigung der Zusammenarbeit mit dem Landesamt für der Deutsche Bundestag ist Verfahrensbeteiligter, alles Verfassungsschutz Nordrhein-Westfalen geschrieben. dazu beizutragen, dass das Verfahren selbst nicht beschä- digt wird. (Petra Pau [PDS]: Was hat er 20 Jahre vorher gemacht?) (Zuruf von der CDU/CSU: Und das Parlament (B) nicht!) Man kann also auch mit viel Fantasie dieses Buch, dieses (D) schlimme Machwerk, nun wirklich nicht dem Landesamt Wir müssen dafür sorgen, dass dieses Verfahren erfolg- für Verfassungsschutz in die Schuhe schieben. reich zu Ende geführt wird. Dafür tragen wir alle mitei- nander Verantwortung im Sinne dieser Gesellschaft und (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- dieser Demokratie. SES 90/DIE GRÜNEN und der SPD – Zurufe (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN von der PDS) sowie bei Abgeordneten der SPD) Zweitens. Die Kritik ist in dieser Form auch deshalb är- Ich möchte bei dieser Gelegenheit auch daran erinnern, gerlich, weil Sie, ohne es zu wollen, sich quasi auf der was der Anlass für dieses Verbotsverfahren war, das hier Bank des Verteidigers Mahler wiederfinden – dort, wo mit großer Mehrheit angestrengt wurde. Ich weiß, dass die niemand aus diesem Haus hingehört. Wir sollten, glaube FDP damals aus demokratietheoretischen Erwägungen ich, alle miteinander aufpassen, dass wir nicht das Ge- dagegen war. schäft von Herrn Mahler erledigen. Das ist nicht die Auf- gabe von uns Parlamentariern. (Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Aufgrund der Befürchtung, dass das nicht sorgfältig vorberei- (Beifall bei der SPD – Wolfgang Gehrcke tet worden war!) [PDS]: Das sagen Sie einmal Herrn Schily!) Sie war seinerzeit ja nicht deshalb dagegen, weil sie der Drittens möchte ich bei dieser Gelegenheit auch einmal Meinung gewesen wäre, dass die NPD nicht gefährlich erklären, was überhaupt ein V-Mann ist. Ich habe das Ge- sei, sondern deswegen, weil sie der Meinung war, dass ein fühl, dass völlig aus dem Blickwinkel geraten ist, was ein Verbot nicht das adäquate Mittel sei. Trotzdem glaube ich, V-Mann ist. Ein V-Mann ist eben nicht ein Agent provo- dass auch die FDP mit uns gemeinsam in der Verantwor- cateur, ein V-Mann ist nicht ein Beamter des deutschen tung steht und überlegen wird, wie wir dafür sorgen kön- Staates, weder eines Landes noch des Bundes. Das weiß nen, dass die NPD nachher nicht als feixender Sieger aus die PDS vielleicht nicht. dieser Sache hervorgeht. (Jürgen Koppelin [FDP]: Die PDS weiß das (Wolfgang Gehrcke [PDS]: Das fragen Sie schon! – Erwin Marschewski [Recklinghausen] einmal Schily!) [CDU/CSU]: Doch, die muss es wissen!) Ich will hier auch noch einmal ganz klar sagen: National- – Stimmt, Sie haben Recht, eigentlich müssten sie es wis- sozialismus ist keine Gesinnung, sondern ein Verbrechen sen. Ich korrigiere mich. Das ist wichtig für das Protokoll. 21160 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 213. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Januar 2002

Cem Özdemir (A) Ein V-Mann ist jemand, der aus der Organisationverfahren genommen? Was bedeutet das Geschehen für (C) kommt und der dann angezapft wird. In diesem Fallden Kampf gegen den organisierten Rechtsextremismus, wurde, Gott sei Dank, abgeschaltet, weil man gesehen hat, welche Windfall Profits also hat man der NPD beschert? was das für einer ist. Dieser V-Mann bestätigt ja durch Wie weit darf die nachrichtendienstliche Infiltrierung ver- seine eigenen Angaben, dass er das Geld für seine Orga- fassungsfeindlicher Organisationen gehen, das heißt, wo nisation benutzt hat, was er für einer ist. Man kann also verläuft die Grenze zwischen gebotener Nutzung von Ab- wirklich nicht sagen, dass er in irgendeiner Weise ein Pro- wehrmöglichkeiten und inakzeptabler sachlicher Einbin- dukt des Staates gewesen ist. dung oder Mitwirkung? Aber eines müssen wir nach diesem Zwischenfall mit Wegen der Kürze der Zeit kann ich nur einen Quer- Sicherheit tun: Ich glaube, dass die Richtlinien zum Ein- schnitt verschiedener Aspekte versuchen. Wir werden uns satz von V-Leuten auf den Prüfstand gehören. Einer der ja in der Tat noch länger damit beschäftigen. Meine Wit- wichtigsten Grundsätze im Einsatz von V-Leuten – das terung sagt mir ohnehin: Die Dramatisierung hat noch weiß jeder, der sich fünf Minuten mit Verfassungsschutz nicht ihr Ende gefunden. beschäftigt hat – ist: V-Leute dürfen nie in Führungsposi- tionen oder gar in Vorständen von Organisationen sein. (Sebastian Edathy [SPD]: Dramatisierung ist ein Gegen diesen Grundsatz wurde hier verstoßen. Darum guter Begriff! Da wird etwas dramatisiert!) muss der ganze Bereich auf den Prüfstand. Ich will – mit Ihrer Erlaubnis, Frau Präsidentin – mit Für meine Fraktion will ich noch einmal deutlich ma- einem Zitat anfangen: chen, meine Damen und Herren: Der Verbotsantrag ist gut Der Deutsche Bundestag bedauert, dass die Bundes- begründet. Er ist nach wie vor gerechtfertigt. Diese Partei regierung das bisherige Verfahren in einer der Be- ist wesensgleich mit der NSDAP. Sie ist antisemitisch, sie deutung der Sache nicht angemessenen Art und ist rassistisch, sie ist menschenverachtend. Weise betrieben hat. Statt wie ursprünglich angekün- (Beifall bei der SPD) digt zunächst sorgfältig die von den Verfassungs- schutzbehörden des Bundes und der Länder zusam- Sie hat im demokratischen Spektrum keinen Platz. mengetragenen Informationen auszuwerten und Lassen Sie mich zum Schluss, weil meine Redezeit ab- anschließend eine rechtliche und politische Beurtei- gelaufen ist, noch einmal darauf hinweisen: Wir müssen lung abzugeben, hat sich die Bundesregierung ohne uns, wenn sich die Situation beruhigt hat – bei anderer Ge- Not frühzeitig öffentlich auf ein Verbotsverfahren legenheit, das betone ich –, zusammensetzen und ge- festgelegt. meinsam überlegen: Was heißt das für die Geheimdiens- Ebenso hält es der Deutsche Bundestag für einen un- (B) te? Wie können wir die begonnene Kontrolle derangemessenen Umgang zwischen Verfassungsorga- (D) Geheimdienste, die in dieser Legislaturperiode ja besser nen, den Eindruck zu erwecken, als ließe sich das geworden ist, noch weiter verbessern? Bundesverfassungsgericht von der Zahl der Antrag- Herzlichen Dank. steller statt ausschließlich von der Substanz des Ver- botsantrages beeindrucken. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Wenn irgendetwas in diesem Verfahren schief geht, wäre die entsprechende Medienwirkung, so heißt es wei- ter, Vizepräsidentin Petra Bläss: Jetzt spricht Herr Kol- lege Dr. Edzard Schmidt-Jortzig für die Fraktion der FDP. für die NPD eine erhebliche Propaganda, was sich jetzt bereits ansatzweise zeigt. Dr. Edzard Schmidt-Jortzig (FDP): Frau Präsiden- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) tin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Der Meine Damen und Herren, diese Passagen stammen Komplex, über den wir heute unsere Aktuelle Stunde ver- aus dem Antrag der FDP-Fraktion vom 6. Dezember anstalten, hat weiß Gott ganz unterschiedliche Facetten. 2000, mit dem wir begründet haben, warum wir diese Ich will nur einige aufzählen, wobei gleich die erste Frage Form des Parteiverbotsantrages nicht unterstützen kön- „Was wusste wann der Minister?“ fast schon zur Neben- nen. Leider hat sich unsere Skepsis vollauf bestätigt. sache geworden ist. Zwei Zwischenfeststellungen kann man meines Erach- (Dr. Michael Bürsch [SPD]: Genau!) tens schon jetzt treffen: Erstens. Die Bekämpfung des or- Das Übrige ist von Bedeutung. Was istganisierten im wie vor allem des gesellschaftlich-strukturell Bundesministerium des Innern in Bezug auf die einschlä- bei uns vorhandenen Rechtsextremismus ist eine zu ernste gigen Informationen alles schief gelaufen? Welche ver- Sache, als dass sie zum Gegenstand eines routinemäßigen fassungsprozessualen Fehleinschätzungen sind auf den oder symbolpolitischen Aktionismus gemacht werden darf. zuständigen Fachebenen vorgekommen? Ist das Vertrau- (Beifall bei der FDP, der SPD und der ensverhältnis zwischen den obersten Verfassungsorganen, CDU/CSU) also Bundesverfassungsgericht einerseits und Bundesre- gierung, Bundestag und Bundesrat als Antragsteller ande- Zweitens. Das hochsensible Instrument eines Partei- rerseits, beschädigt worden? Welchen Schaden, welche verbotsverfahrens mit all seinen verfassungsrechtlichen, Erfolgsbeeinträchtigung hat das konkrete Parteiverbots- verfassungspolitischen und konkret innenpolitischen Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 213. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Januar 2002 21161

Dr. Edzard Schmidt-Jortzig (A) – auch hier sind etliche Folgen zu bedenken – Untiefen Gesamtstrategie zur Bekämpfung von Rechtsextremis-(C) darf nur ganz vorsichtig, sehr ernsthaft und in vollem Be- mus nicht aus den Augen verlieren und auch – das richtet wusstsein aller Konsequenzen in Anspruch genommen sich insbesondere an die Kolleginnen und Kollegen von werden. der Opposition – nicht der Versuchung unterliegen, mög- Die Bundesregierung hat es nach Auffassung der FDP licherweise aus parteitaktischen Gründen dieses für un- offensichtlich an dieser Sorgfalt mangeln lassen. sere Demokratie wichtige Vorhaben unnötig klein zu re- den oder sogar in Misskredit zu bringen. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Erwin Marschewski [Recklinghausen] [CDU/CSU]: (Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Das macht Das ist der Punkt!) ihr am besten selber!) Das schwierige Verfahren wurde seitens des betreuenden Das Verbot der NPD, wenn es denn erreicht wird, ist Ministeriums zu leichthändig betrieben. Die notwendige kein leichtes Unterfangen. In Art. 21 Abs. 2 GG ist klar Involvierung der Nachrichtendienste in das Geschehen geregelt: Über die Verfassungswidrigkeit und damit über wurde nicht kritisch genug behandelt und gesteuert und das Verbot einer Partei entscheidet in der parlamenta- das empfindliche konstitutionelle Vertrauensverhältnis rischen Demokratie der Bundesrepublik das Bundesver- zwischen den Verfassungsorganen hat nur unzureichende fassungsgericht. Beachtung gefunden. Das ist noch sanft ausgedrückt, Deswegen haben wir im letzten Jahr auch nicht eine denn was jetzt als Kritik aus der Bundesregierung an dem Debatte gehabt, in der wir leichtfertig entschieden haben: Bundesverfassungsgericht geübt wird, ist in der Sache, Wir sind der Überzeugung, die NPD gehört verboten, weil aber auch im Stil völlig unangemessen. die Beweislast, die Fülle des Materials, das uns vorliegt, (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und der überwältigend ist. Insofern empfinde ich es als sehr är- PDS) gerlich, dass sozusagen ein kleines Element in der Be- weiskette, das die Beweisfolge und die Fülle des Mate- Ein Übergehen zur Tagesordnung kann jedenfalls noch rials, das wir haben, überhaupt nicht infrage stellt, jetzt nicht erfolgen. Hier wird noch intensiv nachzuarbeiten Gegenstand einer Debatte ist, in der sich die NPD von der sein, insbesondere wenn sich die Dinge noch dramatisie- Sache her völlig zu Unrecht den Anschein gibt, sie sei un- ren sollten. Wie wir der entsprechenden Presseerklärung gerecht behandelt worden. Das ist das Ärgerlichste am ge- des Vorsitzenden gestern entnehmen können, hat das Par- samten Vorgang. lamentarische Kontrollgremium nicht die erforderliche Zweidrittelmehrheit zustande gebracht, um einen Sonder- (Beifall des Abg. Rüdiger Veit [SPD] – ermittler – richtig hätte man sagen müssen: nachrichten- Wolfgang Gehrcke [PDS]: Das müsst ihr Schily (B) dienstlichen Gutachter – einzusetzen. Daher ist zu überle- sagen!) (D) gen, ob nicht das Parlament oder die Regierung einen solchen Sonderbeauftragten einsetzt. Man könnte an eine In der Tat ist Kritik zu äußern. Diese Kritik ist im In- parlamentarische Debatte – Sondersitzung – denken, bei nenausschuss auch geäußert worden. Es wurde darauf der auch die betreffenden Landesinnenminister hier Rede hingewiesen, dass es einen Fehler gegeben hat. Gleich- und Antwort stehen. Man kann natürlich auch über einen zeitig ist klar, dass ein persönliches Versagen des Minis- Untersuchungsausschuss nachdenken. Ich hoffe, wir wer- ters nicht vorliegt. Was also spricht dagegen, das zu ak- den nicht zu diesem schlimmsten und härtesten Mittel zeptieren und hinzunehmen, anstatt hier Scheindebatten greifen müssen. zu führen? Vielen Dank. (Beifall bei der SPD – Hartmut Büttner [Schö- nebeck] [CDU/CSU]: Wie ist es denn mit der (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und der Struktur im Hause?) PDS) Ich glaube, dass wir uns darauf verständigen sollten, in der Debatte sachbezogen zu diskutieren. Bei einigen Red- Vizepräsidentin Petra Bläss:Nächster Redner ist nern der Debatte habe ich den Eindruck bekommen, dass der Kollege Sebastian Edathy für die SPD-Fraktion. es weniger um die Sache als vielmehr darum geht, einen sehr erfolgreichen Minister in Misskredit zu bringen. Ich Sebastian Edathy (SPD): Frau Präsidentin! Meine kann Ihnen versichern, dass der Bundesinnenminister sehr verehrten Damen und Herren! Ich glaube, der ansons- nicht nur den Rückhalt und die Zustimmung der Koali- ten von mir als sachlicher Kollege sehr geschätzte Parla- tionsfraktionen, sondern auch, und zwar völlig zu Recht, mentarier Schmidt-Jortzig hat zu Recht davon gesprochen, eine breite Anerkennung in der deutschen Bevölkerung dass hier ein Vorgang dramatisiert wird. Ich plädiere deshalb genießt. an dieser Stelle dafür, bei der Diskussion über den gegen- (Beifall bei der SPD) wärtigen Stand des NPD-Verbotsverfahrens die Verhältnis- mäßigkeit im Auge zu haben und sich klarzumachen, dass Das werden Sie auch nicht dadurch in Abrede stellen kön- wir uns jetzt nicht über Gebühr mit einem Neben-, einem nen, indem Sie darauf hinweisen, dass hier ein Verfah- Randaspekt eines Themas zu beschäftigen haben, das uns rensfehler gemacht worden ist. alle als Demokraten umtreiben muss. Einen Aspekt will ich noch besonders betonen, weil ich Ich möchte dafür plädieren, dass wir das gemeinsame glaube, dass in der Debatte einiges vermengt wird; das Ziel, ein NPD-Verbot zu erreichen, als Bestandteil einer richtet sich in einem besonders starken Maße an die PDS, 21162 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 213. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Januar 2002

Sebastian Edathy (A) es richtet sich aber auch an andere, die in der öffentlichen dann heißt das noch lange nicht, dass auch der Bundes-(C) Diskussion das Wort ergriffen haben. Man muss in einer innenminister um eine solche Stellungnahme gebeten Demokratie, die sich dazu bekennt, die Feinde der Demo- worden ist, und gibt ihm das Recht gegenüber dem Bun- kratie bekämpfen zu dürfen, doch selbstverständlich dazu desverfassungsgericht Verletzung des rechtlichen Gehörs in der Lage sein, sich Informationen über Bestrebungen, geltend zu machen. die verfassungsfeindlich sind, zu verschaffen. (Dr. Michael Bürsch [SPD]: Ein rein privater Dafür gibt es zum Beispiel das Bundesverfassungs- Vorgang!) schutzgesetz und analoge Regelungen in den Ländern, in Wenn der Bundesinnenminister definitiv ausschließt, denen es heißt, dass auch V-Leute eingesetzt werden kön- dass weitere V-Leute in diesem Verfahren vor dem Bun- nen, um an Informationen zu gelangen. Dies muss natür- desverfassungsgericht eine Rolle spielen könnten, dann lich unter der Auflage geschehen, dass sie nicht selbstheißt das noch lange nicht, dass nicht zeitgleich ein Spre- – gewissermaßen im Auftrag des Staates – aktiv werden cher des Bundesinnenministeriums erklären kann, man dürfen. Es darf also nur das Wissen dieser Leute abge- könne dieses gerade nicht ausschließen; auch weitere schöpft werden. V-Leute könnten beteiligt sein. In dem konkreten Fall muss man sich vor Augen hal- So arbeitet ein ordentlich geführtes Ministerium nicht. ten, dass sich das Landesamt für Verfassungsschutz von Das könnte ein organisiertes Chaos sein. Das ist es aber Nordrhein-Westfalen in diesem Sinne vorbildlich undim Bundesinnenministerium nicht, sondern hier agiert ein richtig verhielt, indem es, nachdem es gemerkt hat, dass Feldherr ohne Truppen. Herr Frenz eine problematische Entwicklung einnahm, nach 1995 nicht weiter auf seine Informationsdienste (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) zurückgegriffen hat. Die Äußerungen von Herrn Frenz je- Die Schuld, Herr Bundesinnenminister, liegt natürlich doch, die als Beweise in das Verfahren und in die An-immer bei den anderen. Erst ist es ein Abteilungsleiter, tragsschriften für ein NPD-Verbot eingeführt wurden,dann sind es zwei Abteilungsleiter, danach ein Staats- stammen aus dem Jahre 1998. sekretär der SPD. Schuld sind natürlich auch die Lan- (Petra Pau [PDS]: Das hat er doch vorher auch desinnenminister, besonders der aus Bayern. Schuld sind die Verfassungsschützer, das Bundesverfassungsgericht, schon gemacht!) die Opposition und die Presse. Das ist doch alles absurd. Wenn man in die Details geht, stellt sich in der Sache Das ist ebenso absurd wie die Forderung – die insbeson- heraus, dass hier unverhältnismäßig diskutiert wird. Sie dere aus den Reihen der Grünen kommt – nach einer Re- können sicher sein, dass wir die Fragen, die nochform des Verfassungsschutzes. im Raum stehen oder sich noch ergeben sollten, im In- (B) Damit das ganz klar ist: Nicht beim Verfassungsschutz (D) nenausschuss klären. Wir sollten dann wieder daraufist der Fehler passiert. zurückkommen, uns über das Thema Bekämpfung des Rechtsextremismus Gedanken zu machen, anstatt Klein- (Dieter Wiefelspütz [SPD]: Darin stimme ich kariertheit zur Schau zu stellen. Ihnen ausdrücklich zu, Herr Strobl!) Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit. Das Bundesinnenministerium weiß seit dem Sommer des vergangenen Jahres Bescheid. Also ist doch der Fehler (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ einzig und allein im Bundesinnenministerium passiert. DIE GRÜNEN – Eckart von Klaeden [CDU/ CSU]: Wer hat das denn getan?) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der FDP)

Vizepräsidentin Petra Bläss: Jetzt spricht der Kol- Insofern brauchen wir keine Reform beim Verfassungs- lege Thomas Strobl für die CDU/CSU-Fraktion. schutz, sondern wir brauchen eine Reform im Bundes- innenministerium, und zwar eine Reform ganz an der Spitze, sozusagen eine Spitzenreform im Bundesinnen- Thomas Strobl (Heilbronn) (CDU/CSU): Frau Präsi- ministerium. dentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir haben aus den skandalösen Vorgängen der letzten Tage einiges (Beifall bei der CDU/CSU) lernen müssen. Es gibt einen großen Unterschied zwi- Es reicht, Herr Bundesinnenminister, was an Schaden schen dem Bundesinnenministerium und dem Bundes- angerichtet worden ist. Dieser Schaden ist ein schwer- minister des Innern. wiegender. Sie haben es zu verantworten, dass ein bedeu- Wenn das Bundesinnenministerium in einem Verfah- tendes Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht, in ren vor dem Bundesverfassungsgericht über V-Mann-Ak- dem auch der Deutsche Bundestag Antragsteller ist, im tivitäten informiert wird, dann heißt das noch lange nicht, Prinzip auf ein Jahr – das ist das Mindeste, was man sa- dass auch der Bundesinnenminister informiert ist. Wenn gen muss – durch Schlamperei in Ihrem Ministerium un- das Bundesverfassungsgericht das Bundesinnenministe- möglich geworden ist. Der Kollege Schmidt-Jortzig hat rium in einem bedeutenden Verfahren um eine Stellung- zu Recht den politischen Schaden angesprochen. Wenn heute in verschiedenen Zeitungen zu lesen ist „Die NPD nahme bittet, ist in Siegeslaune“, dann darf das niemanden in diesem (Dr. Michael Bürsch [SPD]: Es wurde Hause froh stimmen. Auch dafür tragen Sie, Herr Bun- telefoniert!) desinnenminister, die politische Verantwortung. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 213. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Januar 2002 21163

Thomas Strobl (Heilbronn) (A) Ein schlimmer Schaden ist – das muss man leider sa- Der Verbotsantrag enthält einige Zitate aus den Schrif- (C) gen – zwischen Verfassungsorganen angerichtet worden. ten eines ehemaligen V-Manns des Verfassungsschutzes. Es handelt sich nicht um einen x-beliebigen Strafprozess, Aber selbst wenn wir diese Zitate nicht zugrunde legen, wo Otto Schily als Rechtsanwalt auftritt, sondern es geht enthält die Begründung mehr als genug stichhaltige Ar- um ein Verfahren, an dem Verfassungsorgane beteiligt gumente, mit denen die neonazistische Weltanschauung sind. Zwischen diesen Verfassungsorganen haben Sie ei- der NPD und ihre aggressiv-kämpferische Vorgehens- nen Vertrauensschaden angerichtet, der schlimm ist. Das weise belegt werden. ist nicht durch den Vorgang als solchen, sondern durch Ihr (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Verhalten in den letzten Tagen eingetreten. und bei der SPD) (Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und der Diese Partei nutzt seit Jahren die Privilegien und den PDS) Schutz des Parteiengesetzes für eine intensive Förderung Im Übrigen waren es nicht wir, die CDU/CSU, dieder und die Zusammenarbeit mit der militanten Neonazi- noch vor der Innenausschusssitzung, bevor die Fakten Szene. Viele Aktivisten der in den 90er-Jahren verbotenen überhaupt auf dem Tisch lagen, von einem Skandal gere- Organisationen haben dort ein neues Betätigungsfeld ge- det haben. Herr Kollege Edathy, so viel möchte ich Ihnen funden. Dem können wir nicht tatenlos zusehen. zum Thema Dramatik sagen. Nicht wir waren es, die ge- (Beifall des Abg. Cem Özdemir [BÜND- fordert haben, dass Köpfe rollen müssten. Das waren Kol- NIS 90/DIE GRÜNEN]) legen aus den Reihen der Grünen. Auch haben nicht wir das Wort vom „wilden Erstaunen“ in die Welt gesetzt. Das Mit dem NPD-Verbot allein sind die Probleme rechts- war eine Parlamentarische Staatssekretärin des Bundes- extremer Propaganda und Gewalt sicherlich nicht zu lö- innenministeriums. Seither habe ich sie nicht mehr gese- sen. hen. (Dr. Edzard Schmidt-Jortzig [FDP]: Sehr (Erwin Marschewski [Recklinghausen] richtig!) [CDU/CSU]: Wildes Erstaunen!) Dazu muss weit mehr unternommen werden, vor allem im – Kollege Marschewski, vielleicht können Sie mir gele- zivilen Bereich. Die Maßnahmen, die Regierung und gentlich erklären, was „wildes Erstaunen“ ist. Der Bundes- Bundestag ergriffen haben – zum Beispiel das Civitas- innenminister war dazu bisher nicht in der Lage. Programm, die Akzentsetzung in der politischen Bildung oder das Bündnis für Demokratie und Toleranz –, sind Nein, es gibt keinen Grund, unnötig dramatisch zu wer- erste und erfolgreiche Schritte in die richtige Richtung. den. Aber ich glaube, jeder hier spürt: Es droht weiterer Die NPD-Verbotsanträge von Bundesregierung, Bundes- Schaden. Im Augenblick läuft über die Agenturen und in (B) tag und Bundesrat sind also nur eine Maßnahme unter an- (D) den Medien die Meldung, es seien weitere V-Leute im deren; aber sie sind eine notwendige Maßnahme. Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht betroffen und beteiligt. Man kann spüren, dass die ganze Ge- Der Bundesinnenminister hat am Mittwoch die in sei- schichte eine noch ungünstigere Wendung nehmen wird. nem Hause begangenen Fehler in dankenswerter Offen- heit eingestanden. Er hat sie bedauert und die von ihm ge- Ich möchte Ihnen sagen, Herr Bundesinnenminister: zogenen Konsequenzen dargestellt. Dazu gehört eine Reden Sie nicht nur von politischer Verantwortung, son- erneute Überprüfung der Belege und der Beweise des Ver- dern nehmen Sie diese auch wahr. Ziehen Sie die not- botsantrags. Das ist aktuell das Wichtigste; denn unser wendigen politischen Konsequenzen, um weiteren Scha- aller Anliegen ist doch wohl, das Verfahren wieder in den abzuwenden. Gang zu setzen und den möglichen Schaden in der Ausei- Besten Dank. nandersetzung mit dem Rechtsextremismus zu begren- zen. Darum geht es doch. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der FDP und der PDS) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Aber nicht so dilettantisch, wie Sie es gemacht ha- Es spricht jetzt die Vizepräsidentin Petra Bläss: ben!) Kollegin Annelie Buntenbach für die Fraktion von Bünd- nis 90/Die Grünen. Dass die Aussagen eines ehemaligen V-Mannes eines Verfassungsschutzamtes als Beleg angegeben sind, ist ein gravierender Fehler. Aber er kann doch die Gesamtargu- (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Annelie Buntenbach mentation nicht diskreditieren. NEN): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Her- ren! Bei der Erarbeitung der NPD-Verbotsanträge ist ein (Beifall des Abg. Cem Özdemir [BÜND- gravierender Fehler gemacht worden. Das steht ganz NIS 90/DIE GRÜNEN]) außer Frage. Mit diesem Fehler ist aber – das will ich nach Neben menschlichem Versagen tritt hierbei aber auch der Diskussion der letzten Tage noch einmal ganz eindeu- ein strukturelles Problem zutage, das einer Lösung bedarf. tig klarstellen – das eigentliche Anliegen, um das es geht, Das sehe ich anders, als Herr Strobl es eben dargestellt keineswegs hinfällig geworden. hat. Auch weil ein strukturelles Problem besteht, würden (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so- etwaige Rücktritte oder Entlassungen einzelner Beteilig- wie bei Abgeordneten der SPD und der PDS) ter nicht weiterführen. Das Problem besteht doch darin: 21164 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 213. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Januar 2002

Annelie Buntenbach (A) Wenn wir die Verteidigung der Demokratie gegen den Vizepräsidentin Petra Bläss: Für die PDS-Fraktion (C) Rechtsextremismus einem Geheimdienst überlassen, so ist spricht jetzt die Kollegin Petra Pau. zu sagen, dass er als „Geheim-Dienst“ eben nicht die Trans- parenz und Offenheit hat und haben kann, die einer solchen (PDS): Frau Präsidentin! Liebe Kollegin- demokratischen Auseinandersetzung angemessen wäre. Petra Pau nen und Kollegen! Es ist Zeit, Bilanz zu ziehen. (Zuruf von der CDU/CSU: Wollen Sie die (Dieter Wiefelspütz [SPD]: Noch nicht!) immer noch abschaffen? Dann haben Sie gar nichts gelernt!) Dem Aufstand der Anständigen folgte das Versagen der Zuständigen. Dabei denke ich auch an alle, die sich täg- – Jetzt hören Sie mir doch erst einmal zu. lich vor Ort gegen den Rechtsextremismus engagieren. Wir brauchen eine demokratische Auseinandersetzung, Egal ob es um Schülerinnen und Schüler, Lehrerinnen und die offen und transparent erfolgt. Lehrer, Kirchenleute, die Fernsehfrau, Antifaschisten oder Asyl Suchende geht – sie alle trifft der Hohn der NPD (Erwin Marschewski [Recklinghausen] [CDU/ besonders und dafür tragen Sie, Herr Minister, die Ver- CSU]: Es gibt ein parlamentarisches Kontroll- antwortung. gremium! Die sind so offen wie nur irgendwas!) (Beifall bei der PDS) Der Öffentlichkeit, der Wissenschaft und den Experten liegen unglaublich viele Informationen und Argumente Auslöser der aktuellen Kontroverse sind Ungereimt- gegen die NPD, in Bezug auf die Verfassungsmäßigkeit heiten im Zusammenhang mit einem V-Mann aus Nord- der NPD und den Rechtsextremismus vor. Diese müssen rhein-Westfalen. Ob es wirklich nur um einen geht, wie wir nutzen und uns in der demokratischen gesellschaft- vom Bundesinnenminister zumindest noch Mitte der Wo- lichen Auseinandersetzung nutzbar machen. che behauptet wurde, oder ob noch andere im Spiel sind, gehört zu den ungeklärten Fragen. Ich möchte Ihnen, Herr (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Innenminister, weiterhelfen, indem ich Sie an Folgendes und bei der PDS) erinnere: Im Frühjahr 2001 hat die PDS-Fraktion eine Der aktuelle Fall ist nicht der erste V-Mann-Skandal, Kleine Anfrage gestellt. Wir wollten damals wissen, ob sondern ein Glied in einer langen Kette. Wie schon in vor- der Antrag auf Verbot der NPD dadurch gefährdet sein herigen Fällen besteht der Verdacht, dass mit dieser Er- könne, dass V-Leute als Zeugen herangezogen worden mittlungsmethode eine neonazistische Organisation mit- sind. Sie haben empört geantwortet, es sei nicht Angele- finanziert worden ist. Ich erinnere an die Thüringergenheit der Bundesregierung, die Arbeit der Landesämter V-Mann-Skandale, bei denen der begründete Verdacht be- für Verfassungsschutz zu bewerten. Wir hatten für diese (B) stand, dass Organisationen über V-Leute gesteuert wur- Frage ganz triftige Gründe; denn damals war gerade ein (D) den, und an Fälle, in denen V-Leute in Straftaten ver-V-Mann in Thüringen aufgeflogen, der ebenfalls im Dop- wickelt worden sind. peldienst stand: Er war stellvertretender Landesvorsitzen- der der NPD und arbeitete für das Landesamt für Verfas- Im NPD-Verbotsverfahren ist nun eine öffentlich zu- sungsschutz. gängliche Quelle – nämlich eine Buchpublikation, die je- dem zugänglich ist – diskreditiert worden, nur weil sie von Davor – Sie erinnern sich sicherlich – gab es in Bran- einem ehemaligen V-Mann stammt. Hier muss die Frage denburg den Fall „Piato“. Auch er war NPD-Mitglied und erlaubt sein, inwieweit solche Vorgehensweisen der De- V-Mann. „Erkenntnisse aus dieser Quelle“ – gemeint ist mokratie nutzen oder ihr auch Schaden zufügen können. Piato –„ sind in den NPD-Verbotsantrag der Bundesregie- rung eingeflossen.“ Dieser Satz stammt nicht von mir. Er Verschiedene Institutionen und Fachleute fordern des- ist auch keine Vermutung. Ich habe den Ministerpräsiden- halb seit langem, die Auseinandersetzung mit dem ten des Landes Brandenburg zitiert, der dies am 15. No- Rechtsextremismus einer transparenten und öffentlichen vember 2000 zu Protokoll gab. Herr Minister, Sie hätten Stelle zu übertragen. Dort könnten unter Beteiligung von also die Arbeit der Landesämter für Verfassungsschutz Wissenschaft und Fachleuten Ergebnisse und Analysen überhaupt nicht bewerten müssen. Es hätte gereicht, wenn zusammengeführt, die Öffentlichkeit informiert und auch Sie zur Kenntnis genommen hätten, was Ministerpräsi- Strategien erarbeitet werden. Ich meine, dass die Verteidi- dent Stolpe gesagt hat. gung einer starken und selbstbewussten Demokratie nicht im Geheimen stattfinden darf, sondern sie muss offen und Vor diesem Hintergrund frage ich Sie erneut und ganz öffentlich erfolgen. Probleme, wie wir Sie heute bespre- direkt: Können Sie ausschließen, dass Aussagen folgen- chen müssen, könnten so vermieden werden. der Personen in den Verbotsantrag eingeflossen sind: Tino Brandt aus Thüringen, Michael G. aus Mecklenburg-Vor- Das sind Fragen, mit denen wir uns in Konsequenz aus pommern, Michael Meier aus Mecklenburg-Vorpommern den gemachten Fehlern befassen sollten. Die Skandale um und Erwin Kemna aus Nordrhein-Westfalen? V-Leute und Verfassungsschutzämter betreffen nicht nur die jetzige Bundesregierung, sondern etliche Landesämter (Zuruf von der PDS: Und viele andere! – Gegen- und auch die Vorgängerregierung. Zum parteipolitischen ruf des Abg. Dr. Michael Bürsch [SPD]: Das ist Streit – das sage ich deutlich – eignet sich dieses Thema ein ungenauer Name! Den kann man schlecht nicht. Wir brauchen sachliche Antworten. identifizieren!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Können Sie, Herr Minister, nachvollziehen, dass vor die- und bei der PDS) sem Hintergrund meine Fraktion ein ernstes Problem hat, Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 213. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Januar 2002 21165

Petra Pau (A) und zwar nicht mit Ihnen – das könnten wir beide sicher- Kollege Schmidt-Jortzig, Sie haben zu Beginn der De-(C) lich verschmerzen –, sondern als Mitantragsteller beim batte zu Recht gesagt, man solle den jetzigen Vorgang NPD-Verbot? nicht zum Anlass nehmen, die Dinge zu dramatisieren. Ich wäre noch glücklicher gewesen, wenn Sie zum Ende Ih- Eine nun offen liegende Schwachstelle ist übrigens für res Beitrages nicht gesagt hätten, dass sich ein Unter- alle Antragsteller, egal welcher Fraktion sie angehören: suchungsausschuss oder ein Sonderbeauftragter dieses Wir sind in der V-Mann-Frage auf Ihre Auskünfte ange- wiesen. Aber die Aussagen, die Sie machen, sind frag- Vorgangs womöglich annehmen müsse, würdig, arrogant – zu dem Ergebnis komme ich, wenn ich (Dr. Edzard Schmidt-Jortzig [FDP]: Warten mir das, was in dieser Woche abgelaufen ist, vor Augen Sie mal ab!) führe – und in der Summe wahrscheinlich noch immer falsch, also noch nicht vertrauenswürdig. eines Vorgangs, den wir im Grunde schon jetzt vollstän- dig überblicken und bewerten können. (Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Das ist zu befürchten!) (Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Da wäre ich aber vorsichtig!) Die Lösung kann nicht eine Auskunftssperre sein, die Sie – das habe ich vorhin einer Tickermeldung entnommen – Frau Jelpke spricht davon, es handele sich dabei um ei- über Ihr Ministerium verhängt haben. Ich fordere Sie im nen der größten Skandale in der Geschichte der Bundes- Namen meiner Fraktion auf, das Parlament endlich ernst republik. Herr Marschewski trägt unter Bezugnahme auf zu nehmen und zur Sache Stellung zu nehmen. Zitate hier vor, der Bundesinnenminister sei im Begriff gewesen, die Situation zu verschlimmern; er habe getarnt In diesem Zusammenhang empfehle ich Ihnen, Herr und getäuscht. Mit Krokodilstränen in den Augen spricht Minister, auch einmal Ihre Wortwahl zu überprüfen. Ich er von einer fast tragischen Situation für diesen guten In- habe in dieser Woche von Ihnen oft gehört: „Ich habenenminister – Sie wollten wohl damit sagen, dass er das mein Haus befragt“, „Ich habe mein Haus gerügt“ und auch in den Augen der CDU ist – und er spricht davon, „Ich habe mein Haus überprüft“. Sie sind nicht als Haus- dass er nicht froh über diese Entwicklung sei. Herr Strobl meister, sondern als Minister bestellt. spricht davon, das sei Chaos, persönliche Schuld und ein (Beifall bei der PDS) Fehler des Bundesinnenministers; man brauche eine Re- form an der Spitze des Hauses. Frau Pau spricht schließ- Zum Schluss möchte ich noch auf einen Punkt eingehen, lich davon, Herr Schily persönlich trage am Ende die Ver- der ebenfalls eine Rolle spielt. Kollege Özdemir, ich stelle antwortung für den Hohn der NPD. Angesichts dieser tatsächlich das Instrument V-Mann generell infrage. Denn Äußerungen muss ich sagen, dass das unangemessene (B) nach allen Erfahrungen – die gibt es reichlich – bleibt unter Übertreibungen sind, (D) dem Strich festzuhalten: V-Leute sind nicht nur gekaufte Zeugen, sondern zugleich auch bezahlte Täter. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) (Beifall bei der PDS) sodass wir uns nicht wundern dürfen, dass die Bevölke- Vor diesem Hintergrund ist es schizophren, Kollegerung draußen eigentlich gar nicht weiß, über was wir hier Marschewski, dass Sie sich in den Beratungen des Innen- reden. ausschusses und sonst wo über die jetzige Affäre empört aufplustern, während Ihre Kollegen in dieser Woche im (Zuruf von der CDU/CSU: Woher wissen Sie Rechtsausschuss mehr Kompetenzen für V-Leute fordern. das?) Mich hat ein wenig verwundert – ein persönliches Der Sachverhalt, um dem es geht, findet sich in dem Wort, Kollege Özdemir; vielleicht können Sie das auch Aktenvermerk des Berichterstatters des Bundesverfas- dem Kollegen Werner Schulz mitteilen, dessen Rede ich sungsgerichtes, Herrn Richter Jentsch – übrigens war er gestern hörte –, dass ausgerechnet Vertreter der ehemali- einmal CDU-Oberbürgermeister in Wiesbaden und Jus- gen Bürgerrechtspartei Bündnis 90/Die Grünen jetzt auf tizminister in Thüringen –, am Schluss: einmal beginnen, das Instrument V-Mann zum Allheil- Ich habe Herrn Sch. mittel für den Schutz der Bürgerrechte hochzureden. – gemeint ist Herr Ministerialdirektor Dr. Schnapauff – Danke schön. heute empfohlen, diese Information (Beifall bei der PDS) – also die Information über das Vorlegen einer entspre- chenden Aussagegenehmigung – Vizepräsidentin Petra Bläss:Nächster Redner in der Debatte ist der Kollege Rüdiger Veit für die SPD- zu den Gerichtsakten anzuzeigen. Fraktion. Einige von uns sind ja einmal als Juristen tätig gewe- sen und wissen, was das heißt. Wenn ein Richter eine Rüdiger Veit (SPD): Frau Präsidentin! Meine sehr Empfehlung ausspricht, dann heißt das nicht unbedingt, verehrten Damen und Herren! Ich möchte mich ein wenig dass – – mit den Beiträgen meiner Vorredner auseinander setzen. (Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: (Jörg Tauss [SPD]: Lohnt sich nicht!) Dann geht das rote Licht an!) 21166 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 213. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Januar 2002

Rüdiger Veit (A) – Nein, natürlich nicht das rote Licht, Herr Strobl. Bei Ih- Ich weise daher noch einmal ausdrücklich zurück, dass (C) nen passiert das schon gar nicht. hier eine persönliche oder auch nur eine politische Ver- antwortung vorliegt, der die Spitze des BMI nicht gerecht (Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Bei Ihnen ist die Funzel schon aus! Das ist klar!) geworden ist. Wenn man eine Empfehlung bekommt, dann kann man (Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Wer ist kaum damit rechnen – das ist möglicherweise keine unan- denn verantwortlich? – Gegenruf des Abg. gemessene Reaktion gewesen –, dass das Bundesverfas- Dr. Michael Bürsch [SPD]: Die Umstände!) sungsgericht sofort und ohne noch einmal nachzufragen – Dementsprechend sollten wir uns alle einmal überlegen, erst recht, ohne bei den drei anderen Prozessbevollmäch- ob der angerichtete Schaden durch die Art und Weise, wie tigten nachzufragen – die Termine aufhebt. wir damit auch hier im Parlament umgehen, nicht noch (Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Herr Veit, einmal ganz erheblich vergrößert wird. Bevor Sie hier Sie empfehlen sich für höchste Ämter in dieser weiter skandalisieren oder dramatisieren, überlegen Sie Republik!) sich bitte alle – da wäre ich Ihnen sehr verbunden –, wem Sie in Wahrheit damit schaden und wem Sie in Wahrheit Das ist schon ein überraschender Umgang mit demdamit nützen. Grundsatz des rechtlichen Gehörs. (Beifall bei der SPD – Eckart von Klaeden (Beifall bei der SPD) [CDU/CSU]: „Die Gesellschaft ist schuld“, Ich komme zu dem Telefongespräch vom Mittwoch würde ich vorschlagen!) letzter Woche. Beide kennen sich, wie gesagt wird, aus Studienzeiten. Sie führen ein privat-dienstliches Ge- Jetzt spricht der Herr spräch. Mir hat noch keiner erklärt, was das bedeutet. Ich Vizepräsidentin Petra Bläss: habe nichts dagegen, wenn sich Studienfreunde privat un- Kollege Wolfgang Zeitlmann, CDU/CSU-Fraktion. terhalten. Ich habe auch nichts dagegen, wenn sie dienst- liche Dinge besprechen. Wie muss dieses privat-dienst- Wolfgang Zeitlmann (CDU/CSU): Frau Präsidentin! liche Gespräch aus der Sicht des Gesprächspartners aus Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Schaden dem Innenministerium zu verstehen sein, wenn das in ei- – da gibt es überhaupt keine Diskussion – ist wirklich ner derart verbindlichen Form geschieht? groß. (Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Jetzt ist das Herr Kollege Veit, Sie haben offensichtlich lange nicht Verfassungsgericht schuld!) mehr im anwaltlichen Bereich gearbeitet; sonst hätten Sie (B) Man würde wohl kaum vermuten, dass das Verfassungsge- die Differenzierung, die Sie hier versucht haben, nicht(D) richt die Termine sofort aufhebt und erst einen Tag später vorgenommen. das macht, was richtigerweise hätte sofort geschehen müs- Frau Kollegin Jelpke, es ist keine Krise der Verfas- sen, nämlich die Prozessbevollmächtigten von allen drei sungsschützer und der V-Leute – der Herr Kollege Strobl Antragstellern um eine schriftliche Darstellung zu bitten. hat es mit Recht gesagt –, sondern es ist eine politische Meine Damen und Herren, noch einmal: Der Schaden Krise und sonst gar nichts. Wir können den Verfassungs- ist innenpolitisch wie außenpolitisch groß. Das beklagen schutz abschaffen, wenn Sie die Arbeit der V-Leute quasi wir alle. Gelernte Juristen – ich spreche da Herrn Strobl auf Dauer so beschränken, wie das hier etwa von der Frau und Herrn Marschewski an – sollten sehr wohl wissen, Buntenbach formuliert worden ist. Es kann doch gar nicht dass im Bereich des Zivilrechts und des Strafrechts in Be- anders sein: Ein freier Staat braucht Informationen aus zug auf die Beurteilung der persönlichen Verantwortung dem Bereich des Extremismus; nicht der Schaden der Maßstab ist, sondern die Frage, wer den Schaden verursacht und verschuldet hat. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP) (Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Wo kommt denn der große Schaden her?) wenn er sie braucht, dann muss er natürlich auch handeln. Vor diesem Hintergrund sehe ich nicht, an welcher Stelle Eines lasse ich Ihnen nicht durchgehen, Herr Kollege der Innenminister selbst auch nur im Geringsten eine un- Bürsch. Sie haben hier davon gesprochen, ein Beamter mittelbare Mitverantwortung für diesen Schaden trägt. habe Fehler gemacht. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ (Dr. Michael Bürsch [SPD]: Darauf kommt es DIE GRÜNEN – Eckart von Klaeden [CDU/ in der Tat an!) CSU]: Wer so verteidigt, der klagt an!) Da kann man ja nur hüsteln. Das war auch der Eindruck, Sie verhalten sich als Juristen so, als wären wir im Be- den uns der Minister im Innenausschuss eingangs vermit- reich des Straßenverkehrsrechts. Dort gibt es die Gefähr- teln wollte. dungshaftung und die Halterhaftung. Ein Minister – egal, (Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Sehr welcher Couleur – kann doch nicht für seine Staats- richtig!) sekretäre und für andere Beamte 24 Stunden am Tag per- sönliche Verantwortung dafür tragen, was sie tun oder un- Ich bin da ganz vorsichtig; ich werde erst das Protokoll le- terlassen. Dann bräuchte er diese Spitzenbeamten nicht. sen. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 213. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Januar 2002 21167

Wolfgang Zeitlmann (A) Das musste er dann revidieren. Der Beamte, von dem beschlossen: Wir halten auch das Bundesverfassungs-(C) die Rede war und der scharf gerügt worden war, gericht ein bisschen tumb, zumindest was den Schrift- verkehr angeht; das können wir dann immer noch münd- (Dr. Michael Bürsch [SPD]: Der hat lich vortragen. telefoniert!) Meine Damen und Herren, es kommt noch eines hinzu. hat das gemacht, was jeder normale Beamte macht. Er ist Ich sitze vier Stunden im Innenausschuss. Anschließend zum Staatssekretär gegangen und hat das vorgetragen. Da gehe ich in mein Büro, schalte den Fernseher an und sehe kann man dem Beamten überhaupt nichts mehr vorwer- den bewundernswerten Innenminister, wie er aus sich he- fen; denn die weiteren Verhandlungen liegen dann beim rauspresst, dass er jetzt etwas Neues weiß. Er sagt, er Staatssekretär. wisse neuerdings, dass das seinem Haus schon viel früher (Beifall bei der CDU/CSU – Wilhelm Schmidt bekannt gewesen sei; da habe einer etwas in den Panzer- [Salzgitter] [SPD]: Aber privat-dienstliche Ge- schrank eingesperrt. Ich weiß es nur aus dem Fernsehen, spräche führen! – Dr. Michael Bürsch [SPD]: nicht als Mitglied aus dem Innenausschuss. Eine weitere So einfach kann man das nicht ablagern! Das Pikanterie, über die ich mich nur wundern kann! lässt das Beamtenrecht nicht zu!) Auch das Wissen um das An-der-Nase-Herumführen – Wir kommen gleich noch darauf zu sprechen. der anderen Verfassungsorgane habe ich nicht als Mit- glied dieses Parlaments in einem Ausschuss erlangt. Dass Anschließend wird unter drei Verfassungsorganen oder wir die meisten Dinge der Presse entnehmen müssen, ist deren Vertretern – Bundesregierung, Bundesrat und Bun- auch pikant. destag – verhandelt. Pikanterweise, Herr Bürsch, haben Sie als Berichterstatter und habe auch ich nichts von die- Herr Innenminister, jetzt reicht es wirklich. Lassen Sie sem Sonntagsgespräch der Prozessvertreter erfahren. Das also, wie man im Volksmund so schön sagt, die Hose he- ist – ich merke das nur an – eine weitere Besonderheit die- runter ser Geschichte. (Erwin Marschewski [Recklinghausen] [CDU/ (Erwin Marschewski [Recklinghausen] [CDU/ CSU]: Aber nicht im Bundestag!) CSU]: Das ist schon ein Ding aus dem Toll- – bitte nicht im Plenum – und sagen Sie endlich, was ge- haus!) schehen ist, damit wir beurteilen können, wo Fehler ge- Der Staatssekretär wusste: Anschließend, am 19./20., macht wurden. Aber kommen Sie uns nicht damit, dass werden die Verfassungsorgane gemeinsam beraten – ich Sie kleine Beamte kritisieren und über V-Leute disku- will jetzt keinen Vergleich wagen –, wie sie weiter vor- tieren, während in Wirklichkeit vermutlich der Staats- (B) gehen. Diesen drei Verfassungsorganen wird die Infor- sekretär die Schräubchen gedreht hat. (D) mation vorenthalten, dass es eine Anforderung des Ge- Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. richts, wenn auch nur telefonisch, und ein Gespräch gab. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- (Dr. Michael Bürsch [SPD]: Das ist ein neten der FDP – Dr. Michael Bürsch [SPD]: Der Nullum!) Staatssekretär hat keine Schräubchen gedreht! Das ist ein Umgang miteinander, wie wir ihn zuletzt beim Was soll das denn? Das ist eine Unterstellung, Spiel auf dem Schulhof gehabt haben: Herr Kollege, eine strafrechtlich relevante Un- terstellung! – Lachen bei der CDU/CSU) (Dr. Michael Bürsch [SPD]: Auf beiden Seiten, Herr Kollege!) Für die SPD-Fraktion Wir foppen und führen die anderen hinters Licht. Vizepräsidentin Petra Bläss: spricht jetzt der Kollege Dieter Wiefelspütz. Der Anwalt schreibt dann, es sei – gegen sein Votum – entschieden worden, dies dem Bundesverfassungsgericht (SPD): Frau Präsidentin! Liebe nicht mitzuteilen und die Information erst in der Verhand- Dieter Wiefelspütz Kolleginnen und Kollegen! In der Sache NPD waren wir lung zu geben. hier im Hause vor gar nicht so langer Zeit weitgehend ei- (Zuruf von der CDU/CSU: Hört! Hört!) ner Meinung. Ich kann mich wirklich nur noch wundern. Da wird ge- (Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Was die NPD handelt, als habe man es mit irgendwelchen nachgeord- angeht, sind wir weiterhin einer Meinung! – neten Behörden zu tun, die so einen gottverdammten Wolfgang Zeitlmann [CDU/CSU]: Aber wir Murks liefern. wollten es nicht so schlampig gemacht haben, wie es da gemacht worden ist!) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Widerspruch bei der SPD) Wir waren gemeinsam der Auffassung, dass die NPD eine Partei ist, die aggressiv verfassungsfeindlich agiert und – Entschuldigen Sie! Es ist doch absoluter Murks, wenn nach unserer Überzeugung vom Bundesverfassungs- gesagt wird: Die lassen wir jetzt ein bisschen doof. Das gericht verboten werden sollte. war der 19./20.! Diskutieren Sie einmal Samstag/Sonn- tag! Ich weiß ja nicht, wie lange; das alles müssen wir (Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: noch klären. Samstag/Sonntag wird also diskutiert und Dabei bleiben wir!) 21168 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 213. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Januar 2002

Dieter Wiefelspütz (A) Eine Partei, die FDP, war aus zu respektierenden Grün- Anspruch darauf, zu erfahren, was Sache ist. Aber ich(C) den der Auffassung, dass die Auseinandersetzung aus- möchte bitte keinen Aktionismus, keine hektischen, schließlich politisch zu führen ist. Wenn ich es richtig in gleichsam irrationalen Debatten über einen Nebenpunkt. Erinnerung habe, waren Sie, Herr Schmidt-Jortzig, per- Herr Frenz ist ein Nebenpunkt. Der Hauptpunkt ist die sönlich wiederum anderer Auffassung. verbotswürdige NPD. (Dr. Edzard Schmidt-Jortzig [FDP]: Nein, nein, (Beifall bei der SPD) da sind Sie völlig falsch informiert!) Hier darf man sich doch von der Sache nicht ablenken – Dann nehme ich das zurück; ich hatte das falsch inlassen. Erinnerung. Jedenfalls respektiere ich die Auffassung der FDP. Wir sind auch für die politische Ausei-(Wolfgang Zeitlmann [CDU/CSU]: Das hättet nandersetzung, Herr Schmidt-Jortzig. Das ist ja kein Ent- ihr gern!) weder-oder, sondern eher ein Sowohl-als-auch. Wir wol- Herr Schmidt-Jortzig, bei allem Respekt: Ich bin nicht len aber, dass diese Partei, wenn es das Bundesverfas- Mitglied des parlamentarischen Kontrollgremiums. Ich sungsgericht für richtig hält, verboten wird. rate nicht zu einem Sonderermittler, sondern dazu, dass Wir sind der Überzeugung, dass das Beweismaterial wir als Abgeordnete unsere Verantwortung wahrnehmen. erdrückend ist und dass es insofern auf diesen Herrn Frenz Ich lasse mir zuarbeiten; aber meine Entscheidungen nicht ankommt. Auf diese drei, vier Zitate kommt es wirk- treffe ich selber. lich nicht an. Herr Ströbele, Herr Marschewski, machen Sie bitte (Wolfgang Zeitlmann [CDU/CSU]: Außer es Ihre Arbeit im parlamenarischen Kontrollgremium, wie kommen noch ein paar Frenze! Das wissen Sie wir es im Innenausschuss auch tun! ja noch nicht!) (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE – Ich halte das, was Sie gesagt haben, Herr Zeitlmann, für GRÜNEN]: Tag und Nacht!) eine Selbstverständlichkeit und unterstreiche das. Hier Ich habe großes Vertrauen in Ihr Engagement. stimme ich Herrn Özdemir und anderen ausdrücklich nicht zu. Ich habe dem Bundesamt für Verfassungsschutz (Wolfgang Zeitlmann [CDU/CSU]: Wollen und den Landesämtern für Verfassungsschutz keinen Vor- Sie einen Untersuchungsausschuss, Herr wurf zu machen. Deren Mitarbeiter haben unsere Aner- Wiefelspütz?) kennung und unseren Respekt verdient; denn sie machen – Reden Sie doch nicht wild durch die Gegend, Herr eine ordentliche Arbeit. (B) Zeitlmann! Stellen Sie den Antrag! Ihre Fraktion hat das (D) (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der Recht, das zu tun. Spitzen Sie nicht nur den Mund, son- FDP) dern pfeifen Sie! Das ist ein Punkt, der mich ausgespro- Ich habe bislang keinen Fehler erkennen können. chen ärgerlich macht. Ich sage ein Weiteres, Herr Zeitlmann: Sie haben (Wolfgang Zeitlmann [CDU/CSU]: Am Mitt- Recht: Wir brauchen Informanten in diesen Organisa- woch haben wir wieder Sitzung! Da geht es tionen. In manchen Organisationen haben wir leider über- weiter!) haupt keine oder zu wenige. Hätten wir im Umfeld von Wir haben eine gemeinsame Verantwortung. Aber Herrn Atta einen Informanten gehabt, hätten wir mög- jetzt, da ein Fehler entstanden ist, der zugegebenermaßen licherweise tausendfachen Mord verhindern können. zum Teil groteske Elemente hat – die privat-dienstlichen (Wolfgang Zeitlmann [CDU/CSU]: Oder bei Gespräche sind sehr seltsam –, der PDS: Da hättet ihr keine Koalition ge- (Erwin Marschewski [Recklinghausen] macht!) [CDU/CSU]: Das sagen wir ja!) – Herr Zeitlmann und Herr Strobl, wir haben als Verfas- bricht der Konsens auseinander und es wird wieder Par- sungsorgan Bundestag gemeinsam diesen Antrag gestellt. teipolitik gemacht. Wenn Schaden entstanden ist, ist das Ihr Schaden genauso wie mein Schaden; es ist unser aller Schaden. Deswegen (Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Nein! haben wir heute hier auch eine gemeinsame Verantwor- Nein!) tung. Fehler müssen markiert werden, VerantwortungDas ist zu kleine Münze, Herr Zeitlmann. Das ist ein biss- muss übernommen werden. Es sind scharfe Rügen ausge- chen billig. sprochen worden. Herr Strobl, Sie haben Konsequenzen verlangt, aber nicht gesagt, welche. (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Wie immer bei (Wolfgang Zeitlmann [CDU/CSU]: Wir denen!) wollen erst mal aufklären!) Aufklärung muss sein, das Verfahren muss auf die Spur Der Bundesinnenminister hat die Verantwortung über- zurück. nommen. Wir werden am kommenden Mittwoch im In- nenausschuss mit dem Bundesinnenminister die Diskus- (Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Wer hat es sion fortsetzen. Selbstverständlich haben wir alle einen aus der Spur gebracht?) Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 213. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Januar 2002 21169

Dieter Wiefelspütz (A) Wir machen uns doch lächerlich, wenn wir über einen sungen eines NPD-Mitglieds verwiesen, die in einem von (C) Fehler nicht einen Tag, nicht zwei Tage, sondern 24 Tage diesem verfassten und im Jahre 1998 veröffentlichten hintereinander reden. Buch enthalten sind. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Diese Person war in früheren Jahren Informant – ich be- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) tone: nicht Mitarbeiter – des Landesamtes für Verfassungs- schutz in Nordrhein-Westfalen. Diese Informationsverbin- Die Bevölkerung erwartet von uns nicht, dass wir eine Sa- dung wurde jedoch bereits im Jahre 1995 abgebrochen. Die che zerreden. Gründe dafür ergeben sich aus der Stellungnahme des In- (Wolfgang Zeitlmann [CDU/CSU]: Was schreien nenministeriums in Nordrhein-Westfalen. Sie so? Wer schreit, hat Unrecht!) Die Quelleneigenschaft der betreffenden Person ist den Wir stehen vor der Aufgabe, die Angelegenheit zurück Prozessbevollmächtigten der Antragsteller leider erst am auf die Schiene zu bringen, und zwar so bald wie möglich. vergangenen Wochenende bekannt gegeben worden. Un- Wir sollten uns nicht mit uns selber beschäftigen, sondern verständlicherweise ist auch den Prozessbevollmächtigten mit der Sache. Das heißt, wir müssen uns alle zusammen- und den Vertretern der Antragsteller in der Wochenendsit- setzen, auch mit denjenigen, die damals gegen das Ver- zung nicht mitgeteilt worden, dass ein Abteilungsleiter fahren waren – Sie, Herr Schmidt-Jortzig, waren immer meines Hauses die Quelleneigenschaft der betreffenden dabei –, und schauen, dass das Gericht anständig informiert Person Herrn Bundesverfassungsrichter Jentsch in einem und verlorene Zeit wieder aufgeholt wird. Das ist der Weg Telefongespräch offen gelegt hat. Er hat das übrigens aus der Vernunft. Sie haben Gelegenheit, sich einzubringen. eigenem Antrieb getan, ohne vorher meinen Staatssekre- Herzlichen Dank. tär zu befragen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Ebenso wenig sind bedauerlicherweise die Prozessbe- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Eckart vollmächtigten und die Vertreter der Antragsteller in der von Klaeden [CDU/CSU]: Das ist ein bisschen Wochenendsitzung darüber informiert worden, dass das wie: Haltet den Dieb!) Bundesverfassungsgericht eine schriftliche Stellungnah- me zu dem Sachverhalt angefordert hat.

Vizepräsidentin Petra Bläss: Letzter Redner in der Leider bin auch ich über den gesamten Sachverhalt erst Aktuellen Stunde ist Bundesinnenminister Otto Schily. am vergangenen Dienstag zusammen mit der Mitteilung über die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über die Terminaufhebung unterrichtet worden. Otto Schily, Bundesminister des Innern: Frau Präsi- (B) dentin! Meine Damen und Herren Kollegen! Es ist sehr zu (Sylvia Bonitz [CDU/CSU]: Wie haben Sie (D) bedauern, dass im NPD-Verbotsverfahren durch die Auf- denn Ihr Haus organisiert?) hebung der Termine zur mündlichen Verhandlung eine Auch Herr Beckstein hat von diesem Sachverhalt erst am Verfahrenssituation entstanden ist, die möglicherweise zu Dienstag erfahren. erheblichen Verzögerungen führen kann. Zu bedauern ist ebenso, dass zu dieser Verfahrenssituation Fehler in mei- (Erwin Marschewski [Recklinghausen] [CDU/ nem Haus beigetragen haben. CSU]: Jetzt kommt die Beckstein-Nummer wieder!) Die Verstimmung, die im Bundesverfassungsgericht eingetreten ist, ist verständlich. Ich wiederhole daher an Ich habe daraufhin veranlasst, dass sämtliche Gesche- dieser Stelle ausdrücklich, dass ich das Bundesverfas- hensabläufe sorgfältig aufgearbeitet werden. Ich habe sungsgericht um Entschuldigung bitte, weil der Bitte um diesen Auftrag einem hochrangigen Mitarbeiter meines eine schriftliche Stellungnahme zu dem Sachverhalt, den Hauses übertragen. ein Abteilungsleiter meines Hauses telefonisch einem (Sylvia Bonitz [CDU/CSU]: Das hätte nur Mitglied des Senats des Bundesverfassungsgerichts mit- schon vorher passieren müssen!) geteilt hatte, nicht entsprochen wurde, auch wenn es nur eine Empfehlung war. Die Beweistauglichkeit der Auslassungen des NPD- Mitglieds Frenz in dem in den Antragsschriften zitierten In der Zwischenzeit hat sich die Präsidentin des Bun- Buch, das zum Beweis der Verfassungsfeindlichkeit der desverfassungsgerichts an die Verfahrensbevollmächtig- NPD herangezogen worden ist, wird nicht dadurch in- ten der Antragsteller gewandt und die Bitte erneuert, zu frage gestellt, dass Frenz früher als Informant des nord- den zwischen dem Herrn Bundesverfassungsrichterrhein-westfälischen Verfassungsschutzes gedient hat. Jentsch und einem Abteilungsleiter meines Hauses ge- führten Telefongesprächen Stellung zu nehmen. Diese (Dieter Wiefelspütz [SPD]: Sehr richtig!) Stellungnahme wird dem Bundesverfassungsgericht in Abgesehen davon, dass die Informationsverbindung zu den nächsten Tagen eingereicht werden. Frenz schon vor Jahren beendet worden ist, sind seine Der Sachverhalt, der Gegenstand der Telefongespräche Auslassungen ausschließlich von ihm selbst zu verant- eines Abteilungsleiters meines Hauses mit Herrn Bundes- worten. Er war nicht Mitarbeiter des Verfassungsschutzes. verfassungsrichter Jentsch war, ist der folgende: In den Er ist vom Verfassungsschutz auch nicht in irgendeiner Antragsbegründungen der Antragsteller, auch der Bun- Weise dahin gehend beeinflusst worden, entsprechende desregierung – ich verantworte die Antragsbegründung Äußerungen zu machen. Lediglich für die Beurteilung der Bundesregierung –, wird unter anderem auf Auslas- seiner Glaubwürdigkeit mag es Bedeutung haben, ob er zu 21170 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 213. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Januar 2002

Bundesminister Otto Schily (A) einem früheren Zeitpunkt dem nordrhein-westfälischen infrage gestellt, würde die gesamte Arbeit des Verfas-(C) Verfassungsschutz Informationen geliefert hat. sungsschutzes infrage gestellt. Im Übrigen ist nach meiner Kenntnis allein der Verfas- Aus diesem Grunde ist seitens der Innenminister des sungsschutz in Nordrhein-Westfalen befugt, die frühere Bundes und der Länder stets hervorgehoben worden, dass Quelleneigenschaft des NPD-Mitglieds Frenz offen zu le- beim Umgang mit den Quellen mit äußerster Sorgfalt vor- gen. In diesem Sinne hat sich Staatssekretär Schapper an gegangen und bei der Abfassung der Antragschriften den nordrhein-westfälischen Staatssekretär Riotte ge-Konflikte vermieden werden müssen. Deshalb habe ich wandt, nachdem ihm das Telefongespräch zwischen dem die Liste der Personen, die vom Bundesverfassungsge- Abteilungsleiter und Herrn Jentsch bekannt geworden ist. richt zur mündlichen Verhandlung geladen wurden, Außerdem haben eine Reihe von Verfahrensbeteiligten nochmals überprüfen lassen. Leider ist die Geheimhal- die Auffassung vertreten, dass eine Offenlegung der Quel- tung der Quellen immer mit dem nahezu unvermeidbaren leneigenschaft nicht erforderlich sei, weil seine Infor-Risiko verbunden, dass die Quellen durch den Informan- mantentätigkeit im Jahre 1995 abgebrochen worden sei. ten selbst oder durch Dritte offen gelegt werden können. Diese Auffassung hat sich eine Reihe von Vertretern zu Eigen gemacht. Wer da von Manipulation spricht, der Fehler, die in meinem Hause gemacht wurden und für müsste diejenigen tadeln, die gesagt haben, eine Offenle- die ich die Verantwortung trage, beschönige ich nicht. gung dieser Quelle sei nicht erforderlich. Doch betone ich, dass der Abteilungsleiter, der für die Te- lefonate mit dem Bundesverfassungsgericht verantwort- (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der lich zeichnet, eine integre Persönlichkeit ist, die in redli- PDS) cher Absicht gehandelt hat. Vorzuwerfen ist ihm jedoch, Lassen Sie mich einige grundsätzliche Bemerkungen dass er nicht alle Beteiligten informiert und auch das Bun- anschließen, die sich durchaus mit einigen Ausführungen desverfassungsgericht nicht über den vollständigen Sach- von Herrn Kollegen Wiefelspütz, aber auch mit solchen verhalt aufgeklärt hat. Dafür hat er sich ausdrücklich ent- aus der Opposition in Übereinstimmung befinden. Es be- schuldigt. Ich habe die Entschuldigung angenommen. darf der scharfen Unterscheidung zwischen Mitarbeitern Von weiteren personellen Konsequenzen habe ich abge- des Verfassungsschutzes, die unter bestimmten Umstän- sehen, weil es sich um einen langjährigen führenden Mit- den eine Erkundungsaufgabe übernehmen, auf der einen arbeiter meines Hauses handelt, der sich um das Wohl un- Seite und Informanten, die nicht Mitarbeiter des Verfas- seres Landes, gerade in der Innenpolitik, große Verdienste sungsschutzes sind, auf der anderen Seite. erworben hat. Gleiches gilt für andere Mitarbeiter meines Wenn sich Mitglieder einer verfassungsfeindlichenHauses, denen ebenfalls Fehler unterlaufen sind. Partei öffentlich in einer Weise äußern, die die verfas- (Sylvia Bonitz [CDU/CSU]: Was ist mit dem (B) sungsfeindliche Haltung der Gesamtpartei belegt, sind anderen Abteilungsleiter?) (D) diese Äußerungen nicht schon deshalb irrelevant, weil sie aus unterschiedlichen Motivationen Informationen an den Der Abteilungsleiter hat zu verantworten, dass der Verfassungsschutz weitergeben. Nur dann, wenn die ent- Sachverhalt auf einem ungewöhnlichen Kommunikations- sprechenden Äußerungen vom Verfassungsschutz gesteu- weg offen gelegt wurde. Aber wo liegt Ihr Vorwurf? Liegt ert oder in sonstiger Weise beeinflusst worden sind, schei- der Vorwurf darin, dass Ihrer Meinung nach der Weg der den sie als Beweismittel aus. Offenlegung nicht richtig war, oder darin, dass nicht offen (Wolfgang Gehrcke [PDS]: Ein schmaler gelegt worden ist? Wenn Sie vorwerfen, dass nicht offen Grat!) gelegt wurde, dann müssen Sie alle tadeln, die der Mei- nung waren, dass eine Offenlegung unterbleiben oder erst Es sollte gemeinsame Überzeugung bleiben, dass die Ver- in mündlicher Form während der Verhandlung stattfinden fassungsschutzämter des Bundes und der Länder für ihre sollte. Wie es ausgesehen hätte, wenn dieser Sachverhalt Arbeit auf ergiebige Informationsquellen angewiesenin der mündlichen Verhandlung bekannt geworden worden sind. wäre, kann sich jeder in seiner Phantasie ausmalen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Die Fehler, die zu beklagen sind, werden nach meiner Wer das bezweifelt, erweist der Sicherheit in unseremfesten Überzeugung nicht dazu führen, dass das Verbots- Staat einen Bärendienst. verfahren scheitert. Die Aussagen des NPD-Mitglieds Frenz in seinem Buch haben für die Beweisführung nur Solche Informationsverbindungen herzustellen und Quellen zu erschließen ist eine außergewöhnlich schwie- eine untergeordnete Bedeutung; sie sind keine tragende rige, zum Teil auch gefahrvolle Aufgabe. Dass sich die Wand in der Architektur der Antragsbegründung. Beamtinnen und Beamten des Verfassungsschutzes dieser Ich habe in den letzten Tagen eine Reihe von Anklagen schwierigen und zum Teil gefahrvollen Aufgabe anneh- vernommen, die gegen mein Haus und mich persönlich men, verdient keine hämische Kritik, sondern unser aller gerichtet waren. Sie stammen sicherlich ausnahmslos von Achtung und Anerkennung. Personen, die in ihrem Leben noch nie einen Fehler be- (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Cem gangen haben oder in deren Verantwortungsbereich noch Özdemir [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) nie ein Fehler vorgekommen ist. Die Erschließung und Nutzung von Quellen seitens des (Zurufe von der CDU/CSU – Wolfgang Verfassungsschutzes ist nur möglich, wenn das der abso- Gehrcke [PDS]: So eine Arroganz! Kommen luten Geheimhaltung unterliegt. Würde dieser Grundsatz Sie doch von Ihrem hohen Ross herunter!) Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 213. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Januar 2002 21171

Bundesminister Otto Schily (A) Bei aller gebotenen Kritik an den Fehlern sollten die Es ist die Aufgabe aller demokratischen Kräfte in die- (C) Proportionen nicht aus den Augen verloren werden. sem Land, auch Ihre, Herr Marschewski, dem verfas- sungsfeindlichen Treiben der NPD ein Ende zu machen (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Bei der NPD handelt es sich um eine eindeutig antisemi- tische, antidemokratische und verfassungsfeindliche Par- und das Verbotsverfahren zu einem erfolgreichen Ab- tei. Dafür gibt es eine überreichliche Zahl von Belegen, schluss zu bringen. Ich für meine Person bin entschlossen, nicht zuletzt in Zusammenhang mit den Ereignissen am dazu meinen Beitrag zu leisten. 11. September des vergangenen Jahres. Wer um eines ver- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten meintlichen politischen Vorteils willen die Aufmerksam- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) keit der Öffentlichkeit von dem verfassungsfeindlichen Treiben der NPD auf die Sachverhalte verlagert, die heute im Wesentlichen Gegenstand der Aktuellen Stunde sind, Vizepräsidentin Petra Bläss:Die Aktuelle Stunde muss sich fragen, ob das der gesamtpolitischen Verant- ist beendet. wortung entspricht. Wir sind damit am Schluss unserer Tagesordnung an- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten gekommen. des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Roland Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundes- Claus [PDS]: Wer macht das denn hier? – Erwin tages auf Mittwoch, 30. Januar 2002, 13 Uhr, ein. Marschewski [Recklinghausen] [CDU/CSU]: Die Sitzung ist geschlossen. Ich habe langsam den Eindruck, schuld ist die CDU/CSU!) (Schluss: 16.14 Uhr)

Berichtigung 212. Sitzung, Seite 21057 (B), 1. Absatz, der letzte Satz ist wie folgt zu lesen: „Sie beabsichtigen, einen Parlamentsvorbehalt auf der Grundlage des Antrages, der heute Abend von SPD und Grünen vorgelegt worden ist, in Höhe eines Ge- samtvolumens von 8,6 Milliarden Euro aufzuheben.“

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 213. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Januar 2002 21173

(A) Anlagen zum Stenographischen Bericht (C) Anlage 1

Liste der entschuldigten Abgeordneten

entschuldigt bis entschuldigt bis Abgeordnete(r) einschließlich Abgeordnete(r) einschließlich

Balt, Monika PDS 25.01.2002 Heyne, Kristin BÜNDNIS 90/ 25.01.2002 DIE GRÜNEN Behrendt, Wolfgang SPD 25.01.2002* Holetschek, Klaus CDU/CSU 25.01.2002 Bierwirth, Petra SPD 25.01.2002 Dr. Hornhues, CDU/CSU 25.01.2002 Bindig, Rudolf SPD 25.01.2002* Karl-Heinz Binding (), SPD 25.01.2002 Hornung, Siegfried CDU/CSU 25.01.2002* Lothar Imhof, Barbara SPD 25.01.2002 Bohl, Friedrich CDU/CSU 25.01.2002 Jäger, Renate SPD 25.01.2002* Brandt-Elsweier, SPD 25.01.2002 Anni Klappert, Marianne SPD 25.01.2002 Bühler (Bruchsal), CDU/CSU 25.01.2002* Dr. Kohl, Helmut CDU/CSU 25.01.2002 Klaus Kramme, Anette SPD 25.01.2002 Bury, Hans Martin SPD 25.01.2002 Dr. Krogmann, Martina CDU/CSU 25.01.2002 Büttner (Ingolstadt), SPD 25.01.2002 Hans Dr. Küster, Uwe SPD 25.01.2002 Carstensen CDU/CSU 25.01.2002Lamers, Karl CDU/CSU 25.01.2002 (Nordstrand), Peter H. Dr. Lamers CDU/CSU 25.01.2002 (Heidelberg),Karl A. (B) Eich, Ludwig SPD 25.01.2002 (D) Dr. Eid, Uschi BÜNDNIS 90/ 25.01.2002 Lehder, Christine SPD 25.01.2002 DIE GRÜNEN Leidinger, Robert SPD 25.01.2002 Fischer (Frankfurt), BÜNDNIS 90/ 25.01.2002 Lintner, Eduard CDU/CSU 25.01.2002* Joseph DIE GRÜNEN Dr. Lippelt, Helmut BÜNDNIS 90/ 25.01.2002* Fischer (Karlsruhe- CDU/CSU 25.01.2002 DIE GRÜNEN Land), Axel E. Lörcher, Christa fraktionslos 25.01.2002* Friedrich (Altenburg), SPD 25.01.2002 Peter Louven, Julius CDU/CSU 25.01.2002 Dr. Friedrich CDU/CSU 25.01.2002 Dr. Lucyga, Christine SPD 25.01.2002* (Erlangen), Gerhard Meckel, Markus SPD 25.01.2002 Friedrich (Mettmann), SPD 25.01.2002 Merten, Ulrike SPD 25.01.2002 Lilo Michels, Meinolf CDU/CSU 25.01.2002* Gradistanac, Renate SPD 25.01.2002 Müller (Berlin), PDS 25.01.2002* Griese, Kerstin SPD 25.01.2002 Manfred Gröhe, Hermann CDU/CSU 25.01.2002 Müller (Köln), Kerstin BÜNDNIS 90/ 25.01.2002 Günther (Duisburg), CDU/CSU 25.01.2002 DIE GRÜNEN Horst Neumann (Gotha), CDU/CSU 25.01.2002* Dr. Gysi, Gregor PDS 25.01.2002 Gerhard Hauser (Rednitzhem- CDU/CSU 25.01.2002 Nickels, Christa BÜNDNIS 90/ 25.01.2002 bach), Hansgeorg DIE GRÜNEN Dr. Haussmann, Helmut FDP 25.01.2002 Nietan, Dietmar SPD 25.01.2002 Heinrich, Ulrich FDP 25.01.2002 Ohl, Eckhard SPD 25.01.2002 21174 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 213. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Januar 2002

(A) Onur, Leyla SPD 25.01.2002* stellt. Gefragt wird, ob der Termin „Dezember 2002“, an (C) dem das neue Bahnpreissystem in Kraft treten soll, auf Palis, Kurt SPD 25.01.2002* Veranlassung der Bundesregierung so gelegt worden sei. Polenz, Ruprecht CDU/CSU 25.01.2002 Die FDP weist darauf hin, dass die Bahn ursprünglich ge- plant habe, dieses neue System bereits „im Sommer“ 2002 Roos, Gudrun SPD 25.01.2002 in Kraft treten zu lassen. Immerhin wurde es bereits mehr- Schlee, Dietmar CDU/CSU 25.01.2002 mals in den Jahren 2000 und 2001 angekündigt. Schloten, Dieter SPD 25.01.2002* Die Fragen der FDP sind mehr als berechtigt. Wir pro- phezeien: Das ohnehin bei plus minus Null pendelnde Schmidbauer, Bernd CDU/CSU 25.01.2002 Image der Bahn wird im Dezember 2002 einen neuen Schmidt-Zadel, Regina SPD 25.01.2002 schweren Schlag erhalten. Dieses zur Debatte stehende neue Bahnpreissystem wird nicht nur – wie bahnüblich – Schmitz (Baesweiler), CDU/CSU 25.01.2002 Chaos produzieren. Es wird vor allem massenhafte Pro- Hans Peter teste und Anlass zur Abwanderung von Hunderttausenden treuen Bahnkundinnen und -kunden geben. von Schmude, Michael CDU/CSU 25.01.2002 In diesem Sinne haben wir rechtzeitig – gut zehn Mo- Dr. Schockenhoff, CDU/CSU 25.01.2002 nate vor In-Kraft-Treten dieses Bahnpreissystems – unse- Andreas ren Antrag in den Bundestag eingebracht. Wir leisten in Dr. Schubert, Mathias SPD 25.01.2002 diesem Antrag eine detaillierte Kritik an dem neuen Sys- tem und wir nennen in konzentrierter Form Aspekte, die Dr. Schuchardt, Erika CDU/CSU 25.01.2002 unserer Ansicht nach die Bausteine eines neuen Bahn- Schuhmann (Delitzsch), SPD 25.01.2002 preissystems sein könnten – wenn dieses tatsächlich das Richard Ziel verfolgt, mehr Verkehr auf die Schiene zu bringen. Dr. Schwall-Düren, SPD 25.01.2002 Nun dürfte hier von der einen und der anderen Seite im Angelica Parlament strittig gestellt werden, dass dieses Thema in die Zuständigkeit des Bundestags fällt. Es dürfte argumentiert Dr. Schwarz-Schilling, CDU/CSU 25.01.2002 werden, die Bahn in Gestalt einer privatrechtlichen Akti- Christian engesellschaft – und auf Privatisierungskurs befindlich – Seehofer, Horst CDU/CSU 25.01.2002 könne nicht auf dem Gebiet der Bahntarife im Fernverkehr vom Bund bzw. vom Bundestag kontrolliert werden. (B) Simm, Erika SPD 25.01.2002 (D) Das mag für Detailfragen und Detailreformen zutreffen. Simmert, Christian BÜNDNIS 90/ 25.01.2002 Im Fall der vorgesehenen umfassenden Bahnpreisreform DIE GRÜNEN sehen wir das jedoch anders. Wir verweisen hier auf § 12 Abs. 3 des Allgemeinen Eisenbahn-Gesetzes (AEG), in Dr. Freiherr von CDU/CSU 25.01.2002 dem es heißt: „Die Tarifhoheit liegt beim Bund, soweit es Stetten, Wolfgang sich um Beförderungsbedingungen einer Eisenbahn des Strebl, Matthäus CDU/CSU 25.01.2002 Bundes für ihren Schienenpersonenfernverkehr handelt...“ Dr. Süssmuth, Rita CDU/CSU 25.01.2002 Wenn der für Verkehr verantwortliche Bundesminister eine derart weitreichende und – wir zeigen: Bahnverkehr Titze-Stecher, Uta SPD 25.01.2002 zerstörende – Preisreform „durchgehen“ lässt, dann sollten Dr. Waigel, Theodor CDU/CSU 25.01.2002 wir als Parlament nicht dieselbe Verantwortungslosigkeit begehen. Daher geben wir Ihnen allen die Chance, diese Dr. Wieczorek, Norbert SPD 25.01.2002 Tarifreform im Bundestag kritisch zu begleiten und nach Zierer, Benno CDU/CSU 25.01.2002* Möglichkeit zu korrigieren, wobei dies übrigens durchaus wahlkampfwirksam sein könnte. Immerhin sind Dutzende Millionen Fahrgäste und damit Millionen Wählerinnen * für die Teilnahme an den Sitzungen der Parlamentarischen Ver- sammlung des Europarates und Wähler von diesem Vorhaben direkt betroffen. Wir haben in unserem Antrag detailliert unsere Kritik an diesem Bahnpreissystem vorgetragen. Ich möchte hier Anlage 2 nur drei Aspekte anführen: Nachträglich zu Protokoll gegebene Rede Erstens. Faktisch läuft das System darauf hinaus, dass im Fernverkehr nur diejenigen preiswert – und teilweise zur Beratung des Antrags: Bahnpreissystem für durchaus auch preiswerter als heute – Bahn fahren kön- Fahrgäste attraktiv gestalten (212. Sitzung, nen, die sieben Tage im Voraus ihre Hin- und Rückfahrt Tagesordnungspunkt 14) „zug-genau“ buchen. Zu erwarten, ein Massenverkehr könne so funktionieren, ist wirklichkeitsfremd. Es ist kein Dr. Winfried Wolf (PDS): Die FDP hat vor wenigen Zufall, dass die neuen Bahnplaner, die das ersonnen ha- Wochen eine kokette Anfrage an die Bundesregierung ge- ben, „Lufthansa-Implantate“ sind. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 213. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Januar 2002 21175

(A) Zweitens. Die beabsichtigte Senkung des Bahncard- nen durchschlagenden Erfolg, unter anderem mit dem(C) rabatts von 50 auf 25 Prozent entwertet diese Karte völlig Slogan: „Jede Stunde, jede Klasse“. und verprellt mehr als zwei Millionen Stammkunden der Jetzt soll das Rad der Bahngeschichte zurückgedreht Bahn. Statt einer Mobilitäts-Zugangskarte, was die Bahn- werden. Faktisch orientieren sich mit der Konzentration card heute noch ist, wird daraus eine Schnäppchenjäger- auf ICE, mit dem Abbau der Bahn in der Fläche und mit Karte. Der entscheidende Effekt, mit dieser Karte eine dem neuen Bahnpreissystem die Angebote auf eine kleine Stammkundschaft zu binden, wird zerstört. Klientel. Das heißt aber auch: Im Ergebnis werden wir Drittens. Insgesamt gesehen wird das neue Preissystem rote, werden wir tiefrote Zahlen in der DB Bilanz sehen. Bahnfahren teurer machen. Vor allem werden mehr Men- Wir haben in unserem Antrag konkrete Vorschläge ge- schen von den Teuerungen betroffen sein, als Fahrgäste macht, wie eine alternative Bahnpreisreform aussehen von den Vergünstigungen profitieren. Die Rechnung ist könnte. Dass eine Reform erforderlich ist, das sehen wir einfach: Mehr als 50 Prozent der Verkehrsleistungen der auch. Doch unsere Vorschläge weisen in die entgegenge- Bahn werden im Nahverkehr erbracht. Rund 90 Prozent setzte Richtung des mit der Bahnpreisreform des DB-Ma- der Bahnkundinnen und -kunden sind Nahverkehrskun- nagements Vorgesehenen. Unsere Vorschläge sind geeig- den. Im Nahverkehr aber sollen die Preise erhöht werden. net, wirklich massenhaft mehr Verkehr auf die Schiene zu Nach den Steigerungen, die es bereits Anfang dieses Jah- bringen – unter anderem mit dem Erhalt des bestehenden res zusammen mit der Euroumstellung gab, dürften damit Bahncardrabatts, mit dem Ausbau dieser Mobilitätskarte Tarif-Höhen erreicht werden, die die große Preissensibi- und mit der Einführung einer neuen Mobilitätskarte, einer lität der Bahnkundschaft gerade in diesem Segment einem preislich für Millionen Kunden interessanten Netzkarte, „Härtetest“ aussetzen. analog dem Generalabonnement der Schweizer Bundes- bahnen (SBB). Das deckt sich mit den internen Daten des Bahnma- nagements. Erwartet wird ein Anstieg der Erlöse,Wir haben uns diese Vorschläge nicht im Wolken- während das Zugangebot und das Platzangebot gerade in kuckucksheim erdacht. Wir orientieren uns dabei an kon- den Jahren 2002/2003 nochmals erheblich „zurückgefah- kreten Erfahrungen – im eigenen Land, zum Beispiel mit ren“ werden. Nach Adam Riese läuft das auf ein insge- der Bahncard, die trotz des ständigen Unterlaufens dieses samt gesehen höheres Preisniveau hinaus, zumal eineRabattsystems dennoch eine ansehnliche Erfolgsstory ist. Steigerung des Personenverkehrs auf Schienen nicht statt- Und wir orientieren uns an den Erfahrungen, die diesbe- findet; siehe den von uns immer wieder prognostizierten züglich in der Schweiz gemacht wurden, also dort, wo eine und nun eingetretenen Rückgang des Schienenpersonen- staatliche Bahn existiert, wo die Menschen zweieinhalb fernverkehrs im letzten Jahr. Mal mehr Kilometer mit der Bahn zurücklegen als hierzu- (B) lande – trotz des erheblich kleineren Landes – und wo das (D) Die Bahnpreisreform zeigt aus meiner Sicht durchaus Image der Schweizerischen Bundesbahnen (SBB) an der eine gewisse Konsequenz. Ich sehe diese in einer „Logik“ Spitze der entsprechenden Unternehmensskala liegt. – mit der zunehmenden Konzentration der Bahn auf den Hochgeschwindigkeitsverkehr bei gleichzeitigem Abhän- Ich bitte Sie, ich bitte den für Verkehr verantwortlichen gen ganzer Regionen – siehe ICE-Durchfahrten Hanno- Bundesminister und ich bitte das Management der Deut- ver/Braunschweig/Wolfsburg bis Berlin-Spandau –, mit schen Bahn AG, unsere Kritik ernst zu nehmen und unsere der wachsenden Konzentration der DB AG auf den Ge- Vorschläge zu prüfen. schäftsreiseverkehr – siehe die geplante Abschaffung der Speisewagen bzw. der „Bordrestaurants“ bei gleichzeiti- Anlage 3 gem Angebot des „Caterings“ in der 1. Klasse –, mit der Abschaffung des Interregios und damit dem fortgesetzten Nachträglich zu Protokoll gegebene Reden Abhängen großer Regionen, touristisch wichtiger Gebiete und großer Städte vom Schienenfernverkehr. zur Beratung des Antrags: Ausgleich für die nu- klearen Entsorgungsstandorte Gorleben und Damit aber wird die Bahn umgemodelt von einem Salzgitter (Schacht Konrad) in Niedersachsen Massenverkehrsmittel und einer potenziellen Alternative und Morsleben in Sachsen-Anhalt (212. Sitzung, zu Autoverkehr und Binnenflug in eine elitäre Veranstal- Tagesordnungspunkt 11) tung für wenige. Sie wird Marktlücken füllen dürfen – un- ter anderem im Interesse der Airlines, die ihre Slots zwi- schen Stuttgart und Frankfurt oder Düsseldorf und Köln Jochen-Konrad Fromme (CDU/CSU): Unser An- besser auslasten können. trag beinhaltet ein allgemeines Problem. Die Entsorgung von Nuklearabfällen aus Energieerzeugung, medizini- Einmal abgesehen davon, dass die PDS eine solche Po- scher Anwendung, Industrie und Forschung steht – wie litik aus sozialen Gründen ablehnt, spricht gegen diese jede Abfallbeseitigung – auch am Ende einer Wertschöp- Politik die schlichte Betriebswirtschaftslehre im Allge- fungskette. Ihr Betrieb stellt die gleichen oder sogar noch meinen und die betriebswirtschaftliche Kenntnis deshöhere Anforderungen an die Infrastruktur wie jede an- Schienenverkehrs im Besonderen. Ich erinnere an die Zei- dere Produktionsstätte. Entsorgungsanlagen unterschei- ten, in denen die Bundesbahn den Intercity-Verkehr als den sich jedoch dadurch von den auf regelmäßige Ge- Taktverkehr einführte – als reinen 1.-Klasse-Verkehr. Das winnerzielung abgestellten Produktionsstätten, dass hier war betriebswirtschaftlich ein Desaster. Erst die Verallge- nach Beendigung der wirtschaftlichen Nutzung kein Inte- meinerung dieses Modells für beide Klassen brachte ei- resse an einer Wertschöpfung mehr besteht. 21176 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 213. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Januar 2002

(A) Häufig geschieht die Entsorgung in öffentlich-rechtli- Sonderlast eingefordert werde. Er ist der Auffassung, dass (C) chen Einrichtungen, die ohnehin keine Gewinne machen dieses pauschal oder wie auch immer organisiert abge- dürfen. Aber auch wenn es sich hier um privatwirtschaft- golten werden müsse. Dafür streitet die Landesregierung: liche Aufgabenerledigung handelt, werden hier regel-„Der Umweltminister auf seinen Kanälen, der Finanzmi- mäßig keine Gewinne erzielt, oft sogar noch Verluste ge- nister auf seinen Kanälen und der Innenminister auf sei- macht. Nach Abschaffung der Gewerbekapitalsteuernen Kanälen“, so Aller wörtlich in der Debatte. Er betonte werden von solchen Einrichtungen faktisch keine Steuern noch einmal: „Wir wollen durchsetzen, dass die erkenn- mehr bezahlt. baren Sonderlasten, die aus dem Atomendlager abzuleiten Die Standortgemeinden haben aber für diese für die sind, letztlich durch eine Sonderdotierung – dann aber im Gesellschaft notwendigen Einrichtungen erhebliche In- Bundeshaushalt – abgegolten werden“. Was für Gorleben frastrukturaufwendungen zu tragen und nicht selten einen gilt, muss auch für Konrad gelten. Imageverlust zu erleiden. Der damit üblicherweise ver- Das kann man auch nicht wie der Kollege Schmidt da- bundene Ausgleich an Steuern fehlt, weil durch die Ab- mit aushebeln, dass man vor Ort den Eindruck erweckt, in läufe und die Stellung am Ende der Wertschöpfungskette Konrad werde es keine Einlagerung geben. Der Verweis diese nicht anfallen. Die eigentliche Wertschöpfung hat auf die Ein-Endlager-Strategie zieht nicht. Der von der nämlich in der Produktionsstufe davor stattgefunden und Koalition selbst eingesetzte Arbeitskreis Auswahlverfah- dort werden auch Gewinne gemacht. ren-Endlagerstandorte hat in seinem aktuellen zweiten Da die Erzeugung von Energie und ihr VerbrauchZwischenbericht ganz deutlich gemacht, dass die ge- ebenso wie die Durchführung von Forschung und die Er- trennte Endlagerung unterschiedlicher Stoffe sinnvoller bringung von medizinischen Leistungen eine gesamtge- ist. Wörtlich heißt es im Bericht auf Seite 31: „Die Auf- sellschaftliche Aufgabe ist, sind die Folgen auch auf alle teilung der radioaktiven Abfälle auf mehrere Endlager umzulegen. Deshalb ist ein besonderer Ausgleichsfaktor könnte vor allem dann Sinn machen, wenn sich gegenüber für die Entsorgungseinrichtungen und hier namentlich für dem Ein-Endlager-Konzept sicherheitstechnische Vor- Entsorgungsstandorte wie Gorleben, Konrad und Morsle- teile ergäben, wenn der Nachweis der Langzeitsicherheit ben erforderlich. der Endlagerung leichter zu führen wäre oder wenn diese Aufteilung die Auswahl eines Standortes mit günstigeren In diesem Zusammenhang möchte ich daran erinnern, Voraussetzungen für die Endlagerung Wärme entwickeln- dass die Standortwahl für Konrad und Gorleben auf ein- der Abfälle durch die zusätzliche Einlagerung der übrigen stimmigen Beschlüssen des Bundes und der Länder aus den Abfälle erschwert bzw. einschränkt“. Auf Seite 36 heißt es Jahren 1979, 1981 und 1990 beruht. Damit stehen sowohl dann: „... ist die Komplexität des geochemisch geführten SPD als auch CDU, als auch FDP in der Verantwortung. Langzeitsicherheitsnachweises signifikant höher als bei strikter Trennung der verschiedenen Abfallarten“. (B) Ursprünglich sind auch entsprechende Entschädi- (D) gungszahlungen geleistet worden. Es wird also deutlich, dass das Ein-Endlager-Konzept In diesem Zusammenhang möchte ich noch einmalaufgegeben wird. Damit wird es zu einer Einlagerung deutlich machen: Wer – wie die Koalition – aus der Kern- kommen und jegliche andere Äußerung dient der Ablen- energie aussteigen will, der braucht Entsorgungsstandorte kung und will den Bürgern Sand in die Augen streuen. Im für die Reste der Anlagen. Deshalb ist es völlig unver- so genannten Energiekonsens ist Konrad festgeschrieben. ständlich, warum darauf verzichtet wird. Wer, wie die Ko- Dort heißt es: „Die zuständigen Behörden schließen das alition, den Sofortvollzug für Gorleben aufgegeben hat Planfeststellungsverfahren für den Schacht Konrad nach und es auf einen langjährigen Rechtsstreit durch alle ver- den gesetzlichen Bestimmungen ab. Der Antragsteller waltungsgerichtlichen Instanzen ankommen lässt, ver- nimmt den Antrag auf sofortige Vollziehbarkeit des Plan- größert den Imageschaden. Daher muss der Ausgleich feststellungsbeschlusses zurück, um eine gerichtliche größer ausfallen. Wenn es beim Sofortvollzug geblieben Überprüfung im Hauptsacheverfahren zu ermöglichen.“ wäre, hätte eine umfangreiche rechtliche Überprüfung im Das bedeutet nichts anderes, als dass Konrad festge- einstweiligen Verfahren mit einem kurzen Lauf stattge- schrieben ist. Wer etwas anderes behauptet, streut den funden und die Stadt Salzgitter wäre nicht so lange in der Leuten Sand in die Augen oder er hat von vornherein die negativen öffentlichen Diskussion. Insofern hat die Ko- Energiewirtschaft hinter das Licht geführt. Beide Wahr- alition den Schaden mutwillig vergrößert. heiten vertragen sich nicht. Es geht durch Entschädigungszahlungen nicht darum, Noch schlimmer wird es dann, wenn man wie der Erste die Akzeptanz für die Anlagen zu erhöhen, sondern es Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Fraktion, geht darum, einen Nachteilsausgleich zu schaffen. Mit Wilhelm Schmidt, im Wahlkreis so tut, als sei man der Vor- dieser Forderung sind wir nicht allein. So hat der SPD- kämpfer gegen Konrad, und dann bei der politischen Wil- Landtagsabgeordnete Dehde im niedersächsischen Land- lensbildung, auf die man ja angeblich als Erster PG einen tag diese Forderung am 26. Oktober 2001 im Namen sei- sehr hohen Einfluss hat, nichts gegen die Festschreibung ner Fraktion unterstützt. Umweltminister Trittin hatvon Konrad tut. Um seinem Kampf mehr moralisches Ge- gegenüber dem Landtagsabgeordneten Wojahn im Okto- wicht zu verleihen, hat er sich dazu verstiegen, vor einer ber in Gorleben auf einer Veranstaltung erklärt: „Ja, aber Gewerkschaftsversammlung zu erklären, dass er alle poli- die Finanzpolitiker wollen nicht daran“. Auch der nieder- tischen Ämter niederlegen würde, wenn die erste Tonne im sächsische Finanzminister Heiner Aller (bekanntlichSchacht eingelagert wird. Sein Parteigenosse Bosse kom- SPD) hat in der Landtagsdebatte vom 26. Oktober 2001 in mentierte wie folgt: „Seinen Parteigenossen Wilhelm Hannover deutlich gemacht, dass aus der Region Gorle- Schmidt finde er in dieser Beziehung einfach nur lächer- ben mit guten Argumenten eine Kompensation für die lich“. Recht hat er. Wenn ein Politiker sein eigenes persön- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 213. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Januar 2002 21177

(A) liches Schicksal mit einer Frage verbindet, dann kann dies deskanzler und der Bundesumweltminister sind deswegen (C) nur an einer politischen Entscheidung anknüpfen und dort in einer besonderen Pflicht. festgemacht werden, nicht aber an einem faktischen Vor- Zweitens. Die Wiederaufnahme der materiellen Unter- gang, der außerhalb der Einflusssphäre der Politiker liegt. stützung sollte deutlich machen, dass der Bund seiner be- Es gibt zwei politische Anknüpfungspunkte, die hätten sonderen Verantwortung gerecht wird. Historisch gesehen gewählt werden können und müssen, wenn die Forderung war es von Anfang an so, dass Bund, Land und Gemein- hätte glaubwürdig sein sollen: Zum einen die Frage des den bis 1996 unterschiedliche Vereinbarungen hatten, die Energiekonsenses; diese Frage hat Wilhelm Schmidt ohne auch auf dem Hintergrund des Art. 106 GG einen finanzi- Widerstand ziehen lassen. Es gibt jetzt noch eine andere ellen Ausgleich für das Land Niedersachsen und die kom- Möglichkeit der politischen Entscheidung: Der Bund als munalen Gebietskörperschaften geschaffen haben. Dies wirtschaftlicher Quasi-Eigentümer der DBE, der Antrag- hatte viele Vorteile für die Menschen vor Ort. Noch der stellerin auf das Planfeststellungsverfahren, könnte seine letzte Vertrag für die Zeit von 1990 bis 1996 hat jährlich eigene Firma veranlassen, den Planfeststellungsbeschluss 15 Millionen DM als Ausgleich festgelegt. Nur eine Ver- zurückzunehmen. Das wäre eine politische Entscheidung, änderung im Kreistag von Lüchow-Dannenberg hin zu die auf rechtstaatliche Art und Weise die Einlagerung ver- Rot-Grün, die die Zahlungen abgelehnt hat, verhinderte hindern würde. Aber hierzu habe ich noch keine einzige eine Fortführung nach 1996. Selbst der heutige Bundes- Forderung von Wilhelm Schmidt gehört. Stattdessenkanzler hat dies für einen Fehler gehalten und ausdrück- wählt er den Zeitpunkt der ersten Einlagerung, weil er sich lich Ausgleichsansprüche anerkannt. Dies ist auch das Er- sicher sein kann, dass durch sechs- bis achtjährige Pro- gebnis eines Gutachtens, was die SPD-Landesregierung zesse die erste Tonne eingelagert wird, wenn er schonhat anfertigen lassen. längst im politischen Ruhestand ist. Erste Absetzbewe- In der Zwischenzeit hat sich die Position des Kreista- gungen hat er ja schon gemacht, indem er sich an dieges geändert. Mit großer Mehrheit wird ein Entwick- Spitze des Sportbundes bewerben wollte. Wer eine solche lungsfonds gefordert. Die Bundesregierung hat alle An- völlig unverbindliche und risikolose Versprechung macht, fragen und Wünsche abschlägig beschieden. Es ist an der macht sich als Politiker lächerlich. Zeit, diese Position zu ändern. Der Bundesumweltminis- Aber auch wenn es um die Forderung geht, wenigstens ter scheint dazu bereit zu sein. Bei seinem Besuch vor Ort die materiellen Nachteile auszugleichen, stellt er sicham 18. Oktober erklärte er: „Es gilt nun, die wirtschaftli- nicht hinter die Interessen seines Wahlkreises. Er stimmt che Prosperität des Landkreises nachhaltig zu sichern. Alle dagegen, dass Salzgitter für Konrad wenigstens dann ei- Bemühungen dazu werde ich unterstützen.“ Herr Trittin nen Ausgleich erhält, wenn sich die Einlagerung schon und die Grünen können also unseren Antrag unterstützen. nicht vermeiden lässt. Das gilt, denke ich, für die SPD. Als Ministerpräsident hat (B) Gerhard Schröder die Forderung für richtig gehalten. Was (D) sollte ihn jetzt daran hindern, den Worten Taten folgen zu Kurt-Dieter Grill (CDU/CSU): Die Debatte über den lassen? Der niedersächsische Finanzminister Aller (SPD) Antrag der CDU/CSU sollte unbeschadet der politischen hat am 26. Oktober 2001 im Landtag erklärt – ich zitiere –: Unterschiede in der Beurteilung der Kernenergie geführt „Sie (die Debatte) hat deutlich gemacht, dass aus der Re- werden. In der Verantwortung für die nuklearen Entsor- gion Gorleben mit guten Argumenten eine Kompensation gungsstandorte in Deutschland stehen alle Fraktionen des der Sonderlasten eingefordert wird“, und an anderer Stelle: Bundestages. Insbesondere die Standorte in Niedersach- „Wir wollen durchsetzen, dass die Sonderlasten ... letztlich sen sind unter der Verantwortung von SPD, FDP unddurch eine Sonderdotierung – dann aber im Bundeshaus- CDU/CSU geplant und bestimmt worden. halt – abgegolten werden“. Wenn wir heute gerade über den Standort Gorleben spre- Ich kann dem nur zustimmen und bitte Sie um Ihre Un- chen, dann vor allem, weil sich hier nach wie vor die kon- terstützung zu unserem Antrag. troverse Diskussion über die Kernenergie öffentlich doku- mentiert. Es wird deutlich, welche Lasten, nicht etwa nur im materiellen Sinne, eine Standortregion zu tragen hat. Anlage 4 Die Debatte hat insofern meines Erachtens zwei Aspekte: Erklärung nach § 31 Erstens. Nachdem die Bundesregierung mit den Be- des Abgeordneten Hans-Joachim Otto (Frank- treibern der Kraftwerke einen Vertrag über den so ge- furt) (FDP) zur Abstimmung über den Entwurf nannten Ausstieg geschlossen hat, steht sie in der Pflicht, eines Gesetzes zur Stärkung der vertraglichen sich auch für eine Befriedung vor Ort einzusetzen. Ich Stellung von Urhebern und ausübenden Künst- wiederhole hier meine Forderung nach einem Mediati- lern onsverfahren zur Beilegung der Konflikte. Die Begleit- Trotz mancher Verbesserungen im Laufe der Aus- umstände der Castortransporte sind eine besondereschussberatungen sehe ich mich außerstande, diesem Ge- Belastung vor Ort. Sprüche wie die der SPD-Landesvor- setzentwurf meine Zustimmung zu erteilen. Insbesondere sitzenden von Baden-Württemberg, , „Der Dreck aus folgenden Gründen habe ich in Abweichung von mei- muss ja irgendwohin“, sind da wenig hilfreich. Diejeni- ner Fraktion mit Nein gestimmt: gen, die gestern noch von unverantwortlichen Gefahren geredet haben, weil es der Union schaden sollte, behaup- Erstens. Der gesetzliche Anspruch auf eine „angemes- ten heute, es sei alles sicher. Sie, insbesondere der Bun- sene“ Vergütung in § 32 Abs. 1 Satz 3 des Entwurfs ist ein 21178 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 213. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Januar 2002

(A) ordnungspolitischer Sündenfall. Er durchlöchert das ver- Die Unternehmen der deutschen Wasserwirtschaft ga- (C) fassungsrechtlich gebotene Prinzip der Vertragsautono- rantieren seit Jahrzehnten eine konkurrenzlos gute Was- mie und wird voraussichtlich zahlreiche Rechtsstreiteserqualität und sichere Versorgung zu angemessenen Prei- provozieren. Er gefährdet daher die Rechts- und Investi- sen. Das muss hier ausdrücklich festgestellt werden. tionssicherheit und belastet den WirtschaftsstandortGleichwohl sehen wir auch in der heimischen Versorgung Deutschland. noch Spielräume für mehr Wirtschaftlichkeit und Effizi- enz. Das alles aber bedeutet nicht, dass man das Kind mit Zweitens. Angesichts der hohen wirtschaftlichen und dem Bade ausschütten sollte. Modernisierung braucht ordnungspolitischen Bedeutung dieses Reformvorhabens keine Liberalisierung! halte ich das von den Koalitionsfraktionen durchgesetzte Verfahren in den beteiligten Ausschüssen für völlig inak- Mit unserem Antrag liefern wir das Handlungskonzept, zeptabel. Der mitbeteiligte Ausschuss für Kultur und Me- wie die deutsche Wasserwirtschaft national und internatio- dien beispielsweise hat sich mit dem Gesetzentwurf in der nal besser aufzustellen ist, ohne bewährte Strukturen zu nunmehr dem Plenum vorliegenden Fassung nie beschäf- zerstören. Dieser Antrag ist das Ergebnis eines fast zwei- tigen können. Der federführende Rechtsausschuss hat die jährigen Beratungsprozesses. Die SPD-Bundestagsfraktion letzten Änderungen erst als Tischvorlage unmittelbar vor hat einen intensiven und kontinuierlichen Dialog mit den der abschließenden Sitzung am 23. Januar 2002 erhalten, unterschiedlichen Akteuren geführt. Wir haben eine Kon- sodass eine Rückkopplung mit den Fraktionen praktisch ferenz mit über 250 Fachleuten organisiert. Wir haben mit ausgeschlossen war. Ländern und Kommunalvertretern, Verbänden, Umwelt- gruppen und Unternehmen diskutiert. Und wir haben – in enger Abstimmung mit unseren Kollegen im Europäischen Anlage 5 Parlament – direkte Gespräche mit den EU-Generaldirek- tionen Wettbewerb, Binnenmarkt und Umwelt geführt. Zu Protokoll gegebene Reden Unsere Schlussfolgerung: Die deutsche Wasserwirt- zur Beratung des Antrags: Nachhaltige Was- schaft braucht Modernisierung; ein Opfer blindwütiger serwirtschaft in Deutschland (Tagesordnungs- Deregulierungsideologie darf sie aber unter keinen Um- punkt 22) ständen werden! Wir zeigen in unserem Antrag auf, in wessen Verant- Ursula Burchardt (SPD): Ein hartnäckiges Gerücht wortung welche Maßnahmen auf den Weg gebracht wer- besagt, dass nach Strom, Gas, Telekommunikation bald den müssen, um eine nachhaltige Wasserwirtschaft in auch die Marktöffnung bei der Wasserversorgung anstehe. (B) Deutschland zu garantieren. Mehr betriebswirtschaftliche (D) Um es gleich zu Beginn klar und deutlich zu sagen: Die- Effizienz zu erreichen ist in erster Linie Sache der Unter- ses Gerücht entbehrt jeder Grundlage! Eine Liberalisie- nehmen selbst. Leistungsvergleiche zwischen den Anbie- rung der deutschen Wasserwirtschaft wird es mit dieser tern – neudeutsch Benchmarking – können dazu beitra- Koalition nicht geben! gen, dass Unternehmen voneinander lernen und dass sich Wasser ist für uns kein Wirtschaftsgut wie jedes andere, die effektivsten Verfahren durchsetzen. sondern ein Erbe, das einen nachhaltigen, das heißt: spar- Kooperationen zwischen benachbarten Versorgungs- samen, pfleglichen und vorsorgenden Umgang verlangt, gebieten können zu erheblichen Synergieeffekten führen. gerade auch im Hinblick auf kommende Generationen. Das Gleiche gilt für die engere Verzahnung von Ver- und Eine Wasserwirtschaft, die das Attribut „nachhaltig“ Entsorgung. Wir regen an, sorgfältig zu prüfen, inwieweit verdient, muss hohe Trinkwasserqualität gewährleisten, diese Verzahnung durch einen gemeinsamen ermäßigten flächendeckende Versorgung sicherstellen und sie muss Umsatzsteuersatz für Ver- und Entsorgung vorangebracht wirtschaftlich effizient und international wettbewerbs- werden kann. fähig sein. Deutsche Unternehmen müssen mehr Präsenz auf aus- Natürlich geht es bei der Wasserversorgung auch ums ländischen Märkten zeigen. Hier kann der Bund helfen. Geschäft. Die Weltbank schätzt den Investitionsbedarf bis Exportförderung ist weniger eine Frage des Geldes. Un- Ende des Jahrzehnts auf mehrere 100 Milliarden Euro sere Auslandsvertretungen dürfen hier durchaus offensi- weltweit. Bislang teilen sich dieses Geschäft einige we- ver werden und auch als Exportagenturen agieren. nige Großversorger aus Frankreich und England, RWE Besonders wichtig sind auch in diesem Wirtschafts- und Eon schließen auf. zweig Ausbildung und Qualifikation. Die Ausbildung Aber das ist beileibe nicht d i e deutsche Wasserwirt- muss internationaler werden. Der Technologietransfer schaft. Die besteht vielmehr aus einer enormen Fülle von über Köpfe – zum Beispiel durch studentische Aus- Unternehmen: Ver- und Entsorgern, Anlagenbauern, Zu- tauschprogramme für Ingenieure – ist ausbaufähig. Mehr lieferern, Ingenieurbüros und anderen Dienstleistern und noch als dies ohnehin schon geschieht, sind die Entwick- natürlich einer Vielzahl von kommunalen Betrieben. De- lung und der Transfer von Technologien und Lösungs- ren Spitzen-Know-how und spezifische Erfahrungen im strategien zu fördern, die auf die schwierigen Bedin- Management dezentraler, föderal organisierter Versor- gungen in Entwicklungs- und Schwellenländern zuge- gungsstrukturen sind ein Wettbewerbsvorteil, der bislang schnitten sind. Dort liegen die Hauptchancen für die deut- noch viel zu wenig zur Geltung kommt. sche Wasserwirtschaft. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 213. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Januar 2002 21179

(A) Das sind – in wenigen Stichworten – die entscheiden- Ich will an dieser Stelle nicht weiter auf die Wasser-(C) den Fragen, auf die sich die Akteure konzentrieren sollten, versorgung aus globaler Sicht eingehen. Dazu haben wir anstatt im Trüben zu fischen und sich über Reißbrett-Ent- einen gesonderten Antrag in den Bundestag eingebracht. würfe den Kopf zu zerbrechen. Es gibt keinen rationalen Wer sind die großen Befürworter der Liberalisierung Grund, die Strukturen der deutschen Wasserwirtschaft der Trinkwasserversorgung? Es sind häufig Unterneh- – etwa durch eine Änderung des Kartellrechts – in ihren men, die bereits in liberalisierten Bereichen der Daseins- Grundlagen zu zerschlagen. Der Bundeswirtschaftsminis- vorsorge wie Strom, Gas etc. tätig sind. – Sie stellen fest, ter hat hierzu ein Gutachten in Auftrag gegeben, um Klar- dass die treuesten Kunden die Wasserverbraucher sind. heit zu bekommen, was eine Liberalisierung bringenIhre Überlegung, nun die Wasserversorgung in ihr Ange- würde und ob und wie sie zu gestalten wäre. bot aufzunehmen, das sichere ihnen feste Kunden auch für Es ist sehr zu begrüßen, dass das Ministerium dabei von den Strommarkt, ist betriebswirtschaftlich nachzuvollzie- Anfang an die offene Diskussion mit der Fachwelt gesucht hen. Aber ist die Trinkwasserversorgung wirklich nur und zu einem Dialog mit den Gutachtern eingeladen hat. unter einem rein betriebswirtschaftlichen Kosten-Nutzen- Dabei ist sehr deutlich geworden: Die reine akademische Denken zu beurteilen oder muss vielmehr ein Bewer- Lehre ordoliberaler Professoren wird der Wirklichkeittungsverfahren mit vielen Kriterien angewandt werden? nicht gerecht und hinterlässt mehr Fragen als Antworten. Wir haben meiner Ansicht nach ökologische und ge- Unser Fazit aus dem Gutachten: Eine Liberalisierung sundheitliche Aspekte mit der Verpflichtung zum Arten- der Wasserwirtschaft wäre ein ordnungspolitisches Groß- schutz und zur Minimierung der Schadstoffe in den Ge- experiment mit zweifelhaftem wirtschaftlichen Nutzen wässern zu berücksichtigen. Im Übrigen sind wir durch die auf Kosten der Bürgerinnen und Bürger. Wir setzen auf EU-Wasserrahmenrichtlinie verpflichtet, dies bis 2015 Modernisierung, nicht auf Liberalisierung. Nicht Deregu- umzusetzen. Und wir müssen den sozialen Aspekt, das lierung ist gefragt, sondern Reregulierung. Und weil die heißt Zugang zu Wasser für alle und gerechte Gestaltung Wasserver- und -entsorgung ein so sensibler und komple- des Wasserpreises bei der Bewertung einfließen lassen. xer Bereich ist, der sowohl ökologische wie auch gesund- Wasser- und Abwasserfachleute der Weltbank stellten heitliche, soziale und wirtschaftliche Fragen berührt, ra- nach einer Bereisung im Oktober 1998 fest, dass wir welt- ten wir dringend, dies zu einem Schwerpunkt weit der die besten Trinkwassernormen und Qualitäten vor- Nachhaltigkeitsstrategie der Bundesregierung zu machen. zuweisen hätten. Sie bemängelten aber unsere Preise. Lo- gisch ist es also, Bereiche mit Reformbedarf neu zu Marlene Rupprecht (SPD): Wer in den letzten Tagen strukturieren und nicht die Bereiche abzubauen, in denen die Nachrichten über den Vulkanausbruch in der Republik wir weltweit im Wettbewerb führend sind. Kollegin (B) Kongo verfolgt hat, dem wurde klar, dass für die betrof- Burchardt zeigte Ihnen bereits die Handlungsfelder auf, in (D) fenen Menschen die Versorgung mit Trinkwasser das zen- denen wir Politiker und die deutsche Wasserwirtschaft trale Problem ist. Nun können Sie sagen: Was geht mich tätig werden müssen. Ich brauche dies deshalb nicht zu die Wasserversorgung in Afrika an und was hat das mit wiederholen. dem vorliegenden Antrag zu tun? Lassen Sie mich einfach Es ist Wachsamkeit auf nationaler und europäischer einige Zahlen und Fakten in Erinnerung rufen. Ebene angesagt. Der Erfindungsreichtum, das Herzstück 97 Prozent der Wasservorräte sind Salzwasser auf die- kommunaler Daseinsvorsorge, die Trinkwasserversor- sem Planeten. 2 Prozent des Süßwassers ist in Gletschern gung zu liberalisieren, ist nicht zu unterschätzen. Zurzeit und Polarkappen gebunden. Nur 1 Prozent ist verfügbares wird ein Konzessionsmodell wie in Frankreich favori- Süßwasser. 65 Prozent des globalen Süßwassers werden siert. Vordergründig bleibt hier die Versorgungshoheit bei für die Landwirtschaft verbraucht. Das Volumen dieses im der Kommune, in Wirklichkeit haben etwa drei große Un- hydrologischen Kreislauf verfügbaren Wassers beträgt ternehmen, die auch weltweit agieren, den Markt fest in rund 500 000 Kubikkilometer. Normalerweise wäre diese der Hand. So stellen sich Bürgerinnen und Bürger demo- Menge für die gesamte Menschheit ausreichend. Jedoch kratische Teilhabe nicht vor. ist diese Ressource höchst ungleichmäßig verteilt. 2 Mil- Da der Mensch ohne sauberes Trinkwasser nicht leben liarden Menschen, vor allem in Afrika und Nahost, haben kann, darf Wasser nicht zum handelbaren Gut werden. keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser. Nur rund 5 Pro- zent der Abwässer werden gereinigt. Etwa 250 Millionen Menschen erkranken durch verunreinigtes Trinkwasser Max Straubinger (CDU/CSU): Wasser ist und bleibt und rund 5 Millionen sterben an den Folgen. Lebensmittel Nummer 1 und bedarf daher besonderer Vorsorgemaßnahmen hinsichtlich der Trinkwasserqualität Ein Drittel der Weltbevölkerung wird in den nächsten sowie des Gesundheitsschutzes der Bevölkerung. 25 Jahren von ernsthafter Wasserknappheit bedroht sein. 17 Staaten müssen mit absolutem Wassermangel rechnen. Die deutsche Wasserversorgung nimmt bekannter- Die nächsten Kriege werden nicht um Gold und Erdöl, maßen weltweit eine Spitzenstellung ein, was an der bis- lang hohen Versorgungssicherheit, an der Zahl von Was- sondern um Trinkwasser geführt werden. Es geht also den serschutzgebieten, der hervorragenden Qualität sowie der Gruppierungen, die in Deutschland und Europa der Libe- ökologischen Wasserversorgung abzulesen ist. ralisierung das Wort reden, darum, rechtzeitig Schlüssel- positionen im globalen und nationalen Wassermarkt zu Das Ziel einer verantwortungsvollen Politik ist es, dass besetzen. Hier ist viel Geld zu verdienen. eine bestmögliche Wasserqualität zu kostendeckenden, 21180 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 213. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Januar 2002

(A) aber sozial verträglichen Preisen erreicht wird – und das Eine verstärkte Konkurrenz durch die im Gutachten(C) nicht nur in den Ballungsräumen, sondern auch im ländli- geforderte Öffnung der bislang geschlossenen Versor- chen Raum. Bayern nimmt dabei mit rund zwei Drittel des gungsgebiete über Durchleitungsrechte, Stichleitungen gewonnenen Wassers, das ohne jede Aufbereitung und und Fremdeinspeisungen in Leitungsnetze sowie die Desinfektion an den Verbraucher abgegeben werdenPflicht zur Ausschreibung der Versorgungsaufgabe in ab- kann, und einem bundesweit unschlagbaren Wasserpreis gegrenzten Gebieten ist mit Blick auf die berechtigten eine herausragende Rolle ein. Sorgen um die Trinkwasserqualität abzulehnen. Ich for- dere die Bundesregierung zu einem klaren Bekenntnis für Nun gibt es seit einiger Zeit seitens der EU Bestrebun- die kommunale Trägerschaft der Wasserversorgung unter gen, den Wassermarkt zu liberalisieren. Die Diskussion Beibehaltung des bestehenden Kartellrechts sowie zur darüber hat jedoch sowohl Bürger als auch Gemeinden entschiedenen und sofortigen Aufgabe ihrer zögerlichen verunsichert. Darüber hinaus lähmt sie notwendige Inves- Haltung auf, um die Verunsicherung in der Bevölkerung titions- und Organisationsentscheidungen der Wasserver- schnell zu beenden. sorgungsunternehmen. Im Übrigen ist in diesem Zusammenhang eine Aus- Auf Drängen der CDU/CSU-Europagruppe, der CSU- höhlung des kommunalen Selbstverwaltungsrechts der Landesgruppe und der Bayerischen Staatsregierung konn- Gemeinden zu befürchten. Ein vollständiger und endgül- ten die zunächst sehr weit reichenden Liberalisierungs- tiger Rückzug der Gemeinde aus der kommunalen forderungen entschärft werden. Denn in seinemPflichtaufgabe „Wasserversorgung“ ist mit uns nicht er- Entschließungsantrag vom 13. November 2001 hat das reichbar. Das heißt, eine völlige Öffnung des Marktes Europäische Parlament die Mitgliedstaaten der EU nun kann angesichts der Bedeutung, gerade in gesundheitli- lediglich aufgefordert, einerseits „... zu prüfen, ob die Öff- cher Hinsicht, nicht das Ziel einer vernünftigen Politik nung der Wasserversorgung und der Abwasserbeseitigung sein. Hingegen unterstützt die Union sinnvolle Privatisie- für private Unternehmen zu einer Verbesserung der Ar- rungsmöglichkeiten auf diesem Gebiet, wie sie unter an- beitsweise dieser Einrichtungen beitragen würde“, ande- derem in Bayern, Hessen und Westfalen im Hinblick auf rerseits wirtschaftliche Gesichtspunkte zu fördern und zu die Ausnutzung von Synergieeffekten genutzt werden. prüfen, ob die schon bestehenden Privatisierungen bereits In Bayern nehmen in diesem Zusammenhang zahlrei- zu einer Verbesserung der Arbeitsweise der betreffenden che Wasserversorger an einem bayernweiten Unterneh- Einrichtungen der Wasserwirtschaft beigetragen haben. mensvergleich mit Kennzahlensystem und Benchmarking Die Bundesregierung hatte die Anregungen zur Libe- teil und zeigen damit, dass sie keinen Vergleich zu scheuen brauchen und alle Möglichkeiten zur Effizienz- ralisierung durch Bundeswirtschaftsminister Müller auf- steigerung nutzen. (B) gegriffen und ein Gutachten in Auftrag gegeben, das prü- (D) fen sollte, wie der deutsche Wassermarkt liberalisiert Unter den eben genannten sinnvollen Kooperations- werden könnte. Darin wurden die Streichung des Ge-möglichkeiten verstehe ich die Zusammenarbeit mit pri- bietsmonopols, die Abschaffung der Konzessionsabgaben vaten Partnern nur dann, wenn diese fachkundig, leis- sowie flankierende Maßnahmen zur Herstellung eines tungsfähig und vertrauenswürdig sind. Eine sorgfältige freien Marktes, zum Beispiel durch einen Zwang zur öf- Vertragsgestaltung ist dabei unabdingbar. Die Entschei- fentlichen Ausschreibung von Wasserversorgungsdienst- dung darüber – das möchte ich an dieser Stelle noch ein- leistern, als mögliche Maßnahmen genannt. mal ausdrücklich betonen – soll allein bei den Kommunen bzw. den betroffenen Bürgern bleiben. Angesichts des erreichten hohen Standards der Was- serwirtschaft in Deutschland und des angestrebten euro- Die Gefahren bei einer grundlegenden Änderung der päischen Gleichschritts gibt es allerdings nach Meinung bestehenden Situation in Richtung Liberalisierung liegen der Union keine Notwendigkeit, hierzulande besonders auf der Hand. Ich will an dieser Stelle schlagwortartig die übereifrig zu agieren. Das von der Bundesregierung in wesentlichen Gefahren und Risiken nennen: die bereits angesprochene Schwächung der kommunalen Selbstver- Auftrag gegebene Gutachten berücksichtigt überdies waltung, die Verringerung des Einflusses der Bürger und nicht hinreichend die Sorgen um unser Trinkwasser, ins- der Gemeinden auf „ihre“ Wasserversorgung, die Er- besondere hinsichtlich seiner Qualität, was aus den zahl- höhung des staatlichen Regulierungsbedarfes und damit reichen Stellungnahmen der Länderarbeitsgemeinschaft des Verwaltungsaufwandes, der Rückgang ortsnaher Wasser, der Umwelt- und Fachverbände und vieler Bür- Versorgungen und Schwächung des Regionalitätsprinzips ger hervorgeht. und schließlich technische und rechtliche Probleme in den Zudem ist noch unklar, ob und wie weitLeitungsnetzen das bei Mitbenutzung und Durchleitung Bundeswirtschaftsministerium künftig die Liberalisie- durch Dritte. rungsideen im Wassermarkt weiter verfolgt. Es scheint Darüber hinaus haben die Erfahrungen im europä- – das zeigt auch der vorliegende Antrag von SPD- und ischen Ausland, gerade in Frankreich und Großbritannien, Bündnis 90/Die Grünen-Abgeordneten „Nachhaltige Was- gezeigt, dass der Zwang zur Ausschreibung aus Versor- serwirtschaft in Deutschland“ –, dass sich auch im Regie- gungsmonopolen Konzernmonopole und daher keinerlei rungslager ein deutlicher Widerstand gegen allzu weit rei- Preisstabilität mit sich brachte sowie zu Qualitätsminde- chende Liberalisierungstendenzen auf diesem Gebietrung und Verlust des ökologischen Standards geführt hat. regt. Zumindest für die laufende Legislaturperiode sind Es ist auch keine wesentliche Kostensenkung durch pri- vorerst keine weiteren Schritte zu erwarten. vate Anbieter zu erwarten, da der Wasserpreis einen ho- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 213. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Januar 2002 21181

(A) hen Fixkostenanteil enthält. Von daher ist zu befürchten, auch der Trinkwasserqualität gehen. Gewachsene und be- (C) dass nach kurzer Zeit die Preise sogar steigen werden. währte Strukturen unserer Versorgung wären gefährdet. Wir schließen uns daher den Beschlüssen der Umwelt- Insgesamt wäre mit der Liberalisierung die Zerschla- und Innenministerkonferenzen der Bundesländer an, De- gung einer grundsätzlich bewährten Struktur – wenn es regulierung und Liberalisierung der Wasserwirtschaft zu nach dem von Bundeswirtschaftsminister Müller in Auf- unterbinden und den kartellrechtlichen Ausnahmetatbe- trag gegebenen Gutachten geht – zwangsläufig über kurz stand für Wasser auch weiterhin zu erhalten. oder lang zu befürchten gewesen. Die freie Wahl der Un- ternehmensform durch die demokratisch gewählten Ver- Es geht uns also darum, die von Habermas als „Groß- treter der Kommunen ist der richtige Weg. Deshalb wen- metapher“ bezeichnete Globalisierung für alle deutlich den wir uns gegen jegliche Liberalisierungsbestrebungen sichtbar in seine alltäglichen Folgen für Verbraucher und auf dem Wassermarkt. Wir begrüßen und unterstützenUmwelt zu zerlegen: steigende Preise, sinkende Qualität aber die Modernisierungsschritte der Kommunen, damit und geringerer Schutz von Umwelt und Natur. Wir haben eine hochwertige Trinkwasserversorgung mit günstigen nicht vor, rauhen Putz in der Idylle zu machen. Vielmehr Wasserpreisen dauerhaft zur Verfügung steht. gilt: Die Idylle der deutschen Wasserwirtschaft besteht doch schon längst nicht mehr. Andauernd wird sie durch Der vorliegende Antrag von SPD und Bündnis 90/Die die Androhung der Liberalisierung des letzten, natürli- Grünen weist in die richtige Richtung. Es bleibt zu hoffen, chen Monopols unserer Volkswirtschaft bedroht. Dies dass die darin enthaltenen Forderungen und die Hinweise lähmt Politik und Unternehmen gleichermaßen. Dabei hat auf die genannten Gefahren einer Liberalisierung auch im selbst das vom Wirtschaftsminister in Auftrag gegebene, Bundeswirtschaftsministerium nachhaltig ernst genom- so genannte „Ewers-Gutachten“ mehr Argumente gegen men werden. als für den hemmungslosen Wettbewerb um das Trink- wasser geliefert. Winfried Hermann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Auch beim so genannten „Langen-Bericht“ des Euro- „Panta rhei“ sprach Heraklit und meinte damit mehr die päischen Parlaments wurde nach dem ersten – liberalisie- Änderlichkeit der Zeitläufte als die deutsche Wasserwirt- rungsfreundlichen – Entwurf kräftig zurückgerudert. Hier schaft. Aber auch dort ist – nicht nur buchstäblich – alles zog Vernunft ein: Das Europäische Parlament stellt heute im Fließen. Selbst die gewachsenen, bewährten Struktu- fest, dass eine vollständige Liberalisierung keine ange- ren kommunaler Verantwortung werden immer stärker in- messene Perspektive für die Daseinsvorsorge ist. Es er- frage gestellt: kein bedeutender Wasserkongress in den kennt an, dass die Liberalisierung auch gravierende, ne- letzten Jahren ohne eine breite Diskussion über Privati- gative Auswirkungen für Verbraucher und Umwelt haben sierung und Liberalisierung. (B) kann. (D) Ursächlich dafür ist die Globalisierung der Wasseröko- Wir brauchen deshalb – das ist das Ziel unseres An- nomien dieser Welt. Kapital sucht Beschäftigung und trags – ein starkes Signal in Richtung einer nachhaltigen möchte rentabel wirtschaften. So fiel der Blick der Unter- Wasserwirtschaft. Dieses zukunftsfähige Leitbild umfasst nehmensstrategen – vor allem der Energiekonzerne – vor erstens eine vorsorgende Gewässerschutzpolitik. Zu Jahren auf die Trinkwasserversorger. Einige wie der Recht hat gerade Ihr ehemaliger Umweltminister Klaus RWE-Vorstandsvorsitzende Dietmar Kuhnt sprechen ge- Töpfer die Einführung des Vorsorgeprinzips als „Königs- radezu vom „Öl des 21. Jahrhunderts mit zuverlässig sta- weg der Umweltpolitik“ gefeiert. Doch wer sollte bei ei- bilen und hohen Erträgen“. Zeitgleich sorgte die Globali- nem grenzenlosen Wettbewerb noch auf Gemeinnutz und sierung dafür, dass sich die deutsche Wasserwirtschaft Umweltschutz achten? mittlerweile einem internationalen Wettbewerb stellen muss: konkret in Europa bereits mit Unternehmen aus Zweitens brauchen wir auch weiterhin sozialverträgli- Frankreich oder England, deren Märkte entweder voll li- che Gebühren und Tarife und drittens wollen wir eine sta- beralisiert oder privatisiert sind. bile und leistungsfähige Wasserwirtschaft: Wir wollen den Zusammenschluss von Wasser- und Abwasserbetrie- Aber nebenbei: Was ist das für eine Liberalisierung, die ben sowie die Schaffung größerer, auch international den Markteintritt deutscher Unternehmen in den französi- handlungsfähiger Betriebseinheiten fördern. Wir wollen schen Markt verhindert? Und was bleibt vom Entmonopo- eine Modernisierung der Wasserwirtschaft durch mehr re- lisierungsargument der Liberalisierer, wenn aus öffentlich- gionale Kooperation. rechtlichen Monopolen private werden? Aber: Wasser ist anders. Es ist nicht nur Handelsgut, es ist vor allem ein es- Doch wäre das alles nichts – würden wir nicht den Ge- senzielles Grundnahrungsmittel und als Grund- und Ober- bietsschutz für die Wasserversorgung beibehalten. Das flächenwasser gar die Lebensgrundlage schlechthin. Was- unverantwortliche Gerede von der Liberalisierung muss ser ist nicht gleich Strom oder Telekommunikation. Es ist ein Ende haben. nicht unbegrenzt misch- und haltbar. Wir wollen nicht die chemisch aufbereitete Einheitsbrühe, sondern frisches, le- (FDP): Versorgungsmonopole bedür- bendiges Trinkwasser, möglichst regional gefördert und Walter Hirche fen einer besonderen Rechtfertigung. Wettbewerbliche vermarktet. Wir wollen nicht in die Hochzeit der Wasser- Strukturen sind in aller Regel geeigneter und verbrau- chlorierung der 60er- und 70er-Jahre zurück. cherfreundlicher. Diese beiden Feststellungen finden so Wettbewerb um das Wasser und seine Kunden wird im- allgemein breite Zustimmung. Auch der vorliegende An- mer zulasten der Verbraucher, der Umwelt und langfristig trag der Regierungsfraktionen benennt diesen Gedanken 21182 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 213. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Januar 2002

(A) als Ausgangspunkt, allerdings nur, um für den Bereich der schaftsministeriums. Was diese auf zahlreichen Konfe-(C) Wasserversorgung seine Geltung zu verneinen. renzen – sekundiert von einigen Verbandsvertretern und Wissenschaftlern – zu verkünden hatten, ließ Umweltver- Unbestritten ist: Wasser ist ein besonderes Lebensmit- bänden, Gewerkschaftern und Wasserwerkern die Haare tel. Wir sind uns deshalb auch in der Aufgabe einig: Die zu Berge stehen. Versorgung mit Wasser bestmöglicher Qualität, verbun- den mit der Beachtung aller Umweltschutz-Notwendig- Der Affront war so groß, dass sich schon früh ein Netz- keiten, ist ein Bereich der Daseinsvorsorge und damit ein werk „Unser Wasser“ bildete, um unermüdlich Lobby- Bereich, auf den der Staat besonderes Augenmerk richten arbeit für den Erhalt einer bewährten Wasserversorgung muss. Das ist aber noch lange kein Argument für die Auf- zu betreiben. Wie auch der Koalitionsantrag feststellt, rechterhaltung kommunaler Monopole. Genau daraufzeichnet sie seit Jahren flächendeckend eine hohe Versor- aber setzt der Antrag der Regierungsfraktionen. Diesegungssicherheit und eine hohe Trinkwasserqualität aus, durchsichtige Absicht ist zugleich seine fundamentaledie jedem internationalen Vergleich standhält. Und dies Schwäche. Denn mit einem solchen Ansatzpunkt könnte auch im Hinblick auf das Preisniveau. man auch die Versorgung mit Brot zum kommunalen Mo- Dieser Standard drohte nun auf dem Altar der neoli- nopol machen! beralen Marktradikalen geopfert zu werden. Der § 103 Monopole dieser Art sind der Traum kommunalerGWB (alt) sollte fallen. Die Ausnahmen im Wettbe- Kämmerer, denn sie eröffnen die Möglichkeit für Quer- werbsrecht zugunsten geschlossener Versorgungsgebiete subventionen. Auf diese Weise die Kommunalfinanzen zu wären damit hinfällig. stützen ist aber der falsche Weg. Der richtige Weg ist eine Da sich die PDS in diesem Netzwerk engagiert hat, bin bessere Wirtschafts- und Finanzpolitik, die zu weniger ich vor diesem Hintergrund in weiten Teilen über den Ko- Arbeitslosigkeit führt und damit die kommunale Finanz- alitionsantrag erfreut. Scheinbar haben sich hier aus- lage bessert. nahmsweise Umwelt- und Kommunalpolitiker sowie Ge- Es geht um eine sichere Wasserversorgung, verbunden werkschafter durchgesetzt. mit der Sicherung der Qualität des Lebensmittels Wasser Der Antrag erkennt an, dass ein Wettbewerb im Markt und der Aufrechterhaltung von Zielen des Umwelt- und keinesfalls günstigere Preise für die Bürgerinnen und Bür- Gewässerschutzes. Gleichzeitig geht es aber auch darum, ger bringen würde. Schließlich ging es den Befürwortern die Möglichkeiten zu nutzen, auch in diesem Bereich den ja nur um das Herausbrechen von Großabnehmern durch Wettbewerb zu stärken und damit zu Kostensenkungen Großkonzerne zulasten der Allgemeinheit und er stellt für den Verbraucher ohne Qualitätsverlust zu kommen. sich hinter das Gutachten des Umweltbundesamtes, wel- (B) Es kommt nicht darauf an, dass der Staat diese Aufgabe ches die großen Risiken einer Liberalisierung des Was-(D) selbst durchführt, es kommt darauf an, dass er klare Re- sermarktes für Verbraucher und Umwelt nachweist. geln setzt und für deren Einhaltung sorgt. Die Qualitäts- Eine Konzession an das BMWi ist sicher die Neuauflage kontrolle ist Aufgabe des Staates. Die Bereitstellung und der alten Forderung nach umsatzsteuerlicher Gleichstel- Organisation dagegen ist bei Qualitätssicherung ebenso lung der Wasser- mit der Abwasserversorgung. Mir leuch- gut privat organisierbar – das beweisen unsere Nachbar- tet in diesem Zusammenhang nicht ein, warum Bürgerin- staaten. Allerdings ist dazu eines dringend notwendig: nen und Bürger für eine hoheitliche Aufgabe Umsatzsteuer Wir brauchen die steuerliche Gleichbehandlung von zahlen sollen. Schließlich gelten Kommunen und nicht die Kommunalen und Privaten – im Bereich der Wasserver- Bürgerinnen und Bürger in diesem Fall als letzte Kunden – sorgung ebenso wie bei der Abwasserentsorgung. eine nachvollziehbare Logik, die kommunale Selbstver- Wir stimmen der in dem Antrag vertretenen Auffas- waltung und Daseinsvorsorge auch steuerlich reflektiert sung zu, dass es erheblichen Modernisierungsbedarf in und nicht als Wirtschaftsunternehmen betrachtet. der Wasserwirtschaft gibt und dass die Potenziale, um zu Bei 7 Prozent würden sich Bund und Länder übrigens mehr Effizienz im Sinne einer optimalen betriebswirt- langfristig selber ins Knie schießen, jedenfalls für alle schaftlichen Bereitstellung bester Wasserqualität zu kom- Neuinvestitionen. Das Stichwort 16 Prozent Vorsteuer- men, genutzt werden müssen. abzug soll hier genügen. Wir stellen aber fest, dass die Maßnahmen, die die Re- Die Forderungen zur Förderung der Wettbewerbsfähig- gierungskoalition hierzu vorschlägt, allzu sehr von dem keit im internationalen Bereich sehen wir ähnlich skep- Gedanken dominiert sind, den Kommunen dieses Aufga- tisch. Profitieren werden hier Eon, RWE und Co, nicht der benfeld als Monopol zu sichern. Das ist sachwidrig. Dem kleine bayerische Wasserverband. Die großen Player sollen können wir nicht zustimmen. ihre Expansionen aber gefälligst selber bezahlen. Sie strei- chen ja nachher auch die Kohle ein. Schon jetzt verdienen Eva Bulling-Schröter (PDS): Es wurde Zeit, dass die sie im Wasserbereich unverschämt viel. Nach RWE-Schät- Zukunft der deutschen Wasserwirtschaft endlich in die- zungen wird das Wassergeschäft im Geschäftsjahr sem Hause debattiert wird. Schließlich gibt es nun schon 2001/2002 nur einen Umsatzanteil von 3 Prozent haben, seit mehreren Jahren eine heftige Diskussion über diese aber mit 20 Prozent zum Betriebsergebnis beitragen. Kernaufgabe der kommunalen Daseinsvorsorge. Ich finde, angesichts solcher Zahlen sollte sich auch je- Angestoßen wurde sie von den radikal marktwirt-des Kommunalparlament dreimal überlegen, ob es seine schaftlichen Vertretern des SPD-geführten Bundeswirt- Wassersparte wirklich in private Hände legt. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 213. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Januar 2002 21183

(A) Anlage 6 bei den Betroffenen Hoffnungen und Illusionen geweckt (C) bzw. unterstützt. Der Hinweis auf angeblich nicht tragbare Zu Protokoll gegebene Reden Kosten für Gemeinden und mittelständische Wirtschaft zur Beratung der Beschlussempfehlung und des erstaunt umso mehr, da die FDP damit ein Ergebnis ihrer Berichts: Übergangsregelung für das neue Füh- eigenen Regierungsarbeit als unzulänglich und kosten- rerscheinrecht (Tagesordnungspunkt 23) steigernd bewertet. Ein erneuter Vorstoß der Bundesregierung in Brüssel, Rita Streb-Hesse (SPD): Als der Euro in diesen Ta- weiter gehende nationale Ausnahmeregelungen für Feuer- gen in die Geldbörsen der Bürger kam, steckte dort schon wehr, technische Hilfsdienste und Rettungsdienste zu er- der europäische Führerschein. reichen, wurde als „nicht mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar“ im September 2000 abschlägig beschieden. Bereits im April 1991 wurde eine gemeinsame Führer- Damit war klar, dass die Forderungen nicht umsetzbar scheinrichtlinie für die Europäische Union beschlossen sind. Trotzdem bestand die FDP in den zuständigen Aus- und ihre Umsetzung in nationales Recht bis 1996 verein- schüssen auf einer Abstimmung. Aber auch die anderen bart. Die Einführung der international üblichen Führer- Oppositionsfraktionen votierten verwirrend und keines- scheinklassen hatte für die Bundesrepublik zur Folge,falls sachbezogen. dass die PKW-Fahrerlaubnis nun nicht mehr zum Führen eines Fahrzeugs bis zu einer zulässigen Gesamtmasse von Für eine nochmalige Veränderung besteht weder die 7,5 Tonnen, sondern nur noch bis 3,5 Tonnen berechtigt. sachliche Notwendigkeit noch die rechtliche Möglichkeit. Die möglichen Folgen für gemeinnützige Organisation Die seit dem 1. Januar 1999 geltende neue Fahrerlaubnis- wie Feuerwehr und Rettungsdienste, aber auch für kleinere verordnung berücksichtigt die besonderen Interessen der Unternehmen wurden mit der Veröffentlichung bekannt Kommunen und betroffenen Organisationen sowie der und bei der Erarbeitung der neuen Verordnung bedacht. Im Wirtschaft. Nicht nur die hohe Nachfrage nach dem EU- August 1998 wurde die neue Fahrerlaubnisverordnung ver- Führerschein beweist die mittlerweile breite Akzeptanz. öffentlicht; sie trat am 1. Januar 1999 in Kraft. Schon der lange Übergangszeitraum von sieben Jahren Wolfgang Börnsen (Bönstrup) (CDU/CSU): Mehr ermöglichte allen Beteiligten, sich auf die neuen Regelun- als 20 000 Feuerwehr-, Rettungs- und Krankenwagen sind gen einzustellen. Ein Blick in den Verordnungstext zeigt bei den Organisationen der Rettungsdienste, technischen außerdem, dass sich die fachlich Verantwortlichen um eine Hilfsdienste und Feuerwehren zugelassen, deren ehren- weitestgehende Besitzstandswahrung und eine Begren- amtliche Fahrer zukünftig einen teuren LKW-Führer- zung zukünftig entstehender Kosten bemüht haben. So ist schein machen müssen, um die Einsatzfahrzeuge über- (B) (D) es weiterhin möglich, mit einem bis zum 31. Dezember haupt bewegen zu dürfen. Diese zusätzliche Ausgabe 1998 erworbenen Führerschein der Klasse 3 Fahrzeuge bis kostet Geld, das die betroffenen Gebietskörperschaften zu 7,5 Tonnen zu führen. Mit Blick auf den „Nachwuchs“ oder Organisationen nicht haben. wurde diese Erlaubnis auch den Führerscheinbewerbern erteilt, die nach In-Kraft-Treten der Verordnung bis zum Wir halten es in diesen Fällen für vertretbar, das Füh- 1. Juli 1999 ihre Prüfung ablegten. Um auch zukünftig das rerscheinrecht mit einer Ausnahmeregelung auszustatten, Fahren von Fahrzeugen zwischen 3,5 Tonnen und 7,5 Ton- nach der auch Inhaber des Führerscheins der Klasse B für nen unter zumutbaren Bedingungen zu sichern, wurde eine die Dauer der ehrenamtlichen Tätigkeit die Erlaubnis er- spezielle C1-Klasse als „Auffangklasse“ neu eingeführt. halten, die betroffenen Einsatzfahrzeuge bis zu 7,5 Ton- nen zu führen. Die Sicherheit dieser Maßnahmen wird da- Wir alle wissen, dass notwendige Umstellungen auf- durch gewährleistet, dass die Fahrer ohnehin eine grund gesetzlicher Veränderungen und VerordnungenEinweisung in das Fahrzeug erhalten, sodass Bedenken in „vor Ort“ nicht immer gleich Akzeptanz finden. Und so diesen Fällen nicht begründet sein müssen. erstaunt es nicht, dass diese Thematik im Spätsommer 1999 von Abgeordneten aufgegriffen wurde: vom Kolle- Seit dem 1. Januar 1999 wird auch in der Bundesrepu- gen Meister, CDU, in der Fragestunde am 2. September blik Deutschland die international übliche Einteilung der 1999, mit einer Kleinen Anfrage der FDP und mit Schrei- Fahrerlaubnisklassen nach der EU-Führerscheinrichtlinie ben weiterer Kolleginnen und Kollegen aus allen Fraktio- praktiziert. Die Grenze zwischen PKW und LKW liegt nen. Die Antworten des Ministeriums haben uns allen den damit jetzt bei 3,5 Tonnen Gesamtgewicht und nicht mehr Sachverhalt nochmals nachvollziehbar und überzeugend – wie bisher – bei 7,5 Tonnen. Dafür gibt es nun die neue dargestellt. Führerscheinklasse C 1. Wer also ein Fahrzeug mit einem Gesamtgewicht zwischen 3,5 und 7,5 Tonnen fahren will, Weder ist das von Kolleginnen und Kollegen präferierte muss seit 1. Januar 1999 auch eine Fahrerlaubnis C 1 er- österreichische Modell des „Feuerwehrführerscheins“ kos- werben. Das schafft Probleme in jenen Bereichen, in de- tengünstiger noch sind weiter reichende Erleichterungen nen vor allem junge Menschen in für die gesamte bei Ausbildung und Prüfung aus Gründen der Verkehrs- Gemeinschaft wichtigen Hilfsdiensten, Katastrophen- sicherheit vertretbar. schutzeinrichtungen und Wohltätigkeitsorganisationen, Diesen Sachverhalt negierend forderte die FDP-Frak- zum Beispiel den Feuerwehren, ehrenamtlich Dienst tun. tion im Dezember 1999 mit einem Antrag zusätzlicheDort sollen sie mit vorhandenen LKWs bis zu 7,5 Tonnen Ausnahmeregelungen. Ein Jahr nach In-Kraft-Treten der fahren, was seit 1999 eben einen eigenen Führerschein er- Verordnung wurden damit in unverantwortbarer Weise fordert. Einen solchen brauchen sie in aller Regel nicht im 21184 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 213. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Januar 2002

(A) privaten Bereich, sodass sie meistens nicht bereit sind, die dass sich kaum kontrollieren lässt, ob ein Jugendlicher(C) Kosten für diese zusätzliche Prüfung zu tragen. tatsächlich die mit der Fahrerlaubnis verbundenen Aufla- gen einhält. Und: Ein noch so erfahrener Begleiter kann Aber auch die Hilfsorganisationen haben keine gefüll- nun einmal kein Fahrlehrer sein. Weder ist er so gründlich ten Kassen, aus denen sie die Kosten für eine solche Prü- geschult wie ein Fachmann, noch besitzt er dessen tech- fung ersetzen könnten. Da aber das Engagement vor allem nische Möglichkeiten. Dem Beifahrer fehlt die Bremse, auch jüngerer Menschen für diese Art Gemeinwohl wenn ein Autounfall droht – das Risiko auf der Straße höchst wünschenswert, ja unverzichtbar ist, ist es not- würde somit noch steigen. Außerdem wird der Kampf ge- wendig, einen gangbaren Ausweg aus dieser Misere zu schaffen. Förderung des Ehrenamtes, ja, Aufgabe der Si- gen den Alkohol am Steuer nicht dadurch zu gewinnen cherheit, nein. sein, dass der Führerscheinerwerb vorgezogen wird. Jede Art von Selbstversuch auf einem Platz der Verkehrswacht Da die Richtlinie keine Ausnahmen vorsieht, benötigen ist daher für alle Beteiligten gefahrloser als auf den viel die Fahrerinnen und Fahrer in solchen Organisationen eine befahrenen Bundesstraßen und Autobahnen. besondere Erlaubnis, das EU-Recht macht nationales Recht möglich. Da die rot-grüne Bundesregierung nein Auch wenn in Schweden Unfälle junger Fahrer deut- dazu sagt, obwohl in Österreich mit dem so genanntenlich durch das Beifahrer-System gesenkt wurden: Hier in „Feuerwehrführerschein“ Sonderregelungen möglich sind, Deutschland, im verkehrsreichsten Land Europas, sind bleibt uns eigentlich nur noch der Weg, in den betroffenen die Bedingungen für Jungfahrer völlig anders. Bei dieser Diensten selbst eine Möglichkeit zum Erwerb der Führer- Risikogruppe gelten andere Gesetze. Die von uns einge- scheinklasse C 1 zu schaffen. Die Tatsache, dass die Füh- brachte und über drei Jahre praktizierte Schutzengelkam- rerscheinrichtlinie selbst keine Ausnahmen vorsieht, sollte pagne war ein richtiger Weg. Bedauerlich, dass Bodewig aber die Bundesregierung nicht davon abhalten, neueihn ausbremste. Trotzdem werden wir uns nicht entmuti- Wege zur Führerscheinerwerbung bei gemeinnützigengen lassen, weiter für mehr Sicherheit im Straßenverkehr Organisationen zu prüfen und zu beschreiten. zu sorgen. Bedenkenswert sind die Herausforderungen, die durch die Neuregelung bei kleineren und mittleren Firmen ent- Helmut Wilhelm (Amberg) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- stehen. Auch dort kann es durch die jetzt zusätzlich anfal- NEN): Mit der zweiten Führerscheinrichtlinie der EG lenden Kosten für die Ablegung einer Prüfung der Füh- vom 29. Juli 1991 wird die Grenze zwischen PKW- und rerscheinkategorie C 1 zu ernst zu nehmenden, neuenLKW-Klasse europaweit bei 3,5 Tonnen festgesetzt. Seit Belastungen kommen, zumal es viele Betriebe gibt, die 1. Januar 1999 ist sie in nationales Recht umgesetzt. Die speziell LKWs zwischen 3,5 und 7,5 Tonnen einsetzen, FDP will mit ihrem Antrag eine Ausnahmeregelung für besonders im Handwerk. bestimmte Personengruppen erreichen, die dann auch mit (B) dem PKW-Führerschein B Fahrzeuge bis 7,5 Tonnen fah- (D) Auch der Bereich der Landwirtschaft ist betroffen.ren dürften. Gedacht ist an die Personen der Rettungs- und Dort sind allein 675 000 Traktoren vorhanden, die künf- Hilfsdienste und kleiner mittelständischer Unternehmen. tig mit neuen Führerscheinen der Klassen T und L gefah- Die Realisierung des FDP-Antrags wäre ein klarer Ver- ren werden müssen. Damit kommt es zu Kostenmehrun- stoß gegen EU-Recht und damit rechtswidrig. gen, die von den Betrieben nicht einfach weggesteckt werden können. Aber auch inhaltlich ist der Antrag nicht überzeugend. Denn die neue Regelung ist ein großes Stück mehr Ver- Für uns als Union hat die Verkehrssicherheit einenkehrssicherheit. Das Führen von größeren Fahrzeugen hohen Stellenwert. Doch wo Sonderregelungen ohne Si- – gerade im Einsatz zur Rettung von Leben, zum Löschen cherheitsverluste möglich sind, sollte man sie praktizieren. von Bränden, in Katastrophensituationen – erfordert Kleinlastwagenfahrer sind keine besondere Risikogruppe, enorme Fähigkeiten der helfenden Fahrzeugführer. Sie laut Unfallstatistik. Deshalb gilt es, wie in Österreich, Aus- sind einer besonderen Stresssituation ausgesetzt und dür- nahmen zu genehmigen. Diese Empfehlung geht auch an fen bei aller Hektik nie die Übersicht und die Kontrolle die Bundesländer. Wenn es um den Führerscheinerwerb über das Fahrzeug verlieren. Das hat auch die EU-Führer- mit 16,5 oder 17 geht, sind sie auch nicht so pingelig. Sie- scheinrichtlinie vom 29. Juli 1991 im Sinn, wenn sie die ben Länder wollen einen Modellversuch, obwohl es bei Grenze zwischen der PKW-Klasse und der LKW-Klasse jungen Fahrern überdurchschnittlich häufig kracht. Impo- bei 3,5 Tonnen festsetzt. Denn mit der Größe des Fahrzeu- niergehabe, Alkohol oder die falsche Einschätzung der Ge- ges steigen die Anforderungen der Fahrzeuglenker an Um- schwindigkeit lassen die Unfallraten von Führerschein- sichtigkeit, Reaktionsvermögen und fahrerischem Kön- neulingen nach oben schnellen – mit schweren, zu häufig nen. Das kann nicht ernsthaft bestritten werden. tödlichen Folgen. Daher ist grundsätzlich jede Überlegung begrüßenswert, die zu höherer Verkehrssicherheit in dieser Bei der Richtlinie von 1991 geht es um ein Stück Ver- Altersgruppe führen könnte. kehrssicherheit bei einem immer höher werdenden Ver- kehrsaufkommen. Wer große Kraftfahrzeuge von über Ich frage Sie aber: Hilft es, wenn 17-Jährige – zwar un- 3,5 Tonnen fahren will, muss besondere Fähigkeiten ter Bedingungen und nur mit Begleitung, schon ans Lenk- nachweisen. Dies ist sinnvoll und wird von Ihnen, ver- rad dürfen? Zwar wirken gestandene Beifahrer mäßigend ehrte Kolleginnen und Kollegen von der FDP, ja auch auf stürmische Neulinge, die ihren Praxistest nicht nur in nicht bestritten. der Theorie oder klammheimlich machen. Auch gute Er- fahrungen in vielen Ländern Europas und den USA spre- Warum denn aber Ihre Forderung nach Ausnahmen chen dafür. Doch es gibt berechtigte Einwände. Etwa den, von dieser Regelung? „Das Rettungswesen und die Hilfs- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 213. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Januar 2002 21185

(A) dienste in Deutschland werden durch die neue Führer- aufkeimenden Besorgnisse anzuhören, würden Sie viel- (C) scheinregelung behindert, belastet oder gar in ihrem Be- leicht nicht so rigoros auftreten. stand gefährdet“, behaupten Sie in dem letzten Satz Ihres Worum geht es denn? Früher konnten mit dem PKW- Antrags. Führerschein Klasse 3 Fahrzeuge bis zu 7,5 Tonnen gefah- Sie fordern eine Ausnahmeregelung, damit „... neu dort ren werden, sodass beispielsweise ein junger Zivildienst- tätiges Personal für die Dauer der Tätigkeit die Erlaubnis leistender mit seinem Führerschein die Krankenwagen erhält, die betroffenen Fahrzeuge auch mit einem Führer- oder Feuerwehrfahrzeuge fahren durfte. Nach neuem schein der Klasse B führen zu dürfen“. Für neu dort täti- Recht haben Hilfsdienste, Feuerwehren, kleinste Firmen ges Personal eben deshalb, weil für Inhaber von älteren und Landwirtschaft das Problem, von ihren jungen Fah- deutschen Fahrerlaubnissen der Klasse 3 auch unter eu- rern nicht nur den PKW-Führerschein Klasse B (neu), ropäischem Recht gilt, dass sie, die in der Vergangenheit sondern auch den LKW-Führerschein Klasse C (neu) ver- ja schon Erfahrungen mit dem Führen größerer Fahrzeuge langen zu müssen. Sonst bleiben die Krankenwagen näm- bis 7,5 Tonnen erworben haben, dies auch weiterhin tun lich in der Garage. dürfen. Sonderrechte also nur für unerfahrene Fahr- Welcher junge Mensch macht schon automatisch den zeuglenker? Doch wohl lieber nicht. LKW-Führerschein gleich mit dem für PKW zusammen? „Für die Dauer der Tätigkeit“ bedeutet auch: Sie ver- Kaum jemand, sodass auf die genannten Organisationen langen allen Ernstes, dass Personen während ihrer zeiti- deutliche Mehrkosten und organisatorische Probleme zu- gen Tätigkeit unter den oben erwähnten Stressanforde- kommen. Soll der Zivildienstleistende die Hälfte seiner rungen, die ein Einsatz im Ernstfall mit sich bringt,Dienstzeit erst einmal mit Fahrschulung zubringen, oder größere Fahrzeuge lenken dürfen als außerhalb ihressoll er das – auf Kosten der Organisationen und von ihnen Dienstes, und dies dann auch noch unter organisiert Inan- – vorher erledigen? Den Zusagen für eine Zi- spruchnahme der Sonderrechte nach der StVO, nach dem vildienststelle folgt dann gleich die Einteilung in eine Motto: Morgens mit Blaulicht und Vollgas auf demFahrschule – oder wie hat man sich das vorzustellen? 7,5-Tonner durch die Innenstadt, abends muss der Umzug Wird das dann auf die spätere Dienstzeit angerechnet? mit dem Kleinbus unternommen werden. Das Ganze ist ein fantastisches Feld für neue Verwal- tungsvorschriften und neue Stellen. Und die Kosten? Eine Außerdem ist nicht zu vermitteln, wieso an einen Ret- Sanitätsstation in einer mittleren Stadt soll pro Jahr zwei tungsfahrer, der Sonderrechte in Anspruch nehmen darf, bis drei LKW-Führerscheine bezahlen? Das ist doch alles geringere Anforderungen zu stellen sind als an einenvölliger Unsinn und wäre durch eine kleine Änderung so- Brummifahrer, der mit langer Erfahrung Güter transpor- fort aus der Welt zu schaffen. tiert. Sie sehen, Ihr Antrag ist in sich widersprüchlich. Der (B) Ich möchte noch einmal daran erinnern: Hilfsdienste, (D) Hinweis auf das in seinem Bestand angeblich gefährdete Feuerwehren, kleinste Firmen und Landwirtschaft sind in Rettungswesen vermag diesen Widerspruch nicht auf- diesem Lande ja nicht gerade privilegiert, obwohl in zulösen. Sonntagsreden deren wichtige Rolle für das Funktionie- Die EU-Richtlinie datiert vom 24. September 1991. ren unseres Gemeinwesens ständig über den grünen Klee Alle Beteiligten, auch die kleinste freiwillige Feuerwehr, gelobt wird. Hier hätten wir die Chance, wirklich etwas zu konnten sich lange Zeit auf die Veränderung einstellen. tun, was den Betroffenen sehr unter den Nägeln brennt, Auch mutet Ihre persönliche Besorgnis etwas merkwür- wie unsere Gespräche mit ihnen gezeigt haben. dig an, weil die Umsetzung der Richtlinie durch die Fahr- Die aufgezeigten Probleme haben auch nichts mit Par- erlaubnisverordnung vom 18. August 1998 bekanntlich in teizugehörigkeit zu tun. Es geht uns auf fachpolitischer Ihre Regierungszeit fällt. Offenbar haben Sie damals die Ebene einfach alle an. Problemlage noch etwas realer gesehen. Für uns ist eine solche Änderung keine große Sache, Den Rettungsdiensten hohen Dank für ihren selbstlo- hat aber für die Betroffenen eine enorme Bedeutung. Ich sen Einsatz beim „löschen – retten – bergen“ – aber mit bitte Sie daher, unserem Antrag im Interesse der konkret Sicherheit! Betroffenen zuzustimmen.

Horst Friedrich (Bayreuth) (FDP): Das neue EU- Dr. Winfried Wolf (PDS): Bei diesem Tagesordnungs- Führerscheinrecht ist insgesamt ein gelungener Wurf, ein punkt und dem zur Debatte stehenden FDP-Antrag wurde Schritt auf dem Weg zu verbessertem praktischen Zusam- offensichtlich das Gewissen der Abgeordneten einem menleben in der ganzen Europäischen Union. Wir haben ernsthaften Test unterworfen. Von einer Fraktionsdiszi- es vor dem Regierungswechsel noch selbst beschlossen plin ist hier jedenfalls bei CDU/CSU und bei meiner Par- und stehen auch dazu. Aber wenn sich im Laufe der Zeit tei, der PDS, wenig zu erkennen. zeigt, dass im Detail die eine oder andere Bestimmung verbesserungswürdig ist, verstecken wir uns nicht, son- Im Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen dern sagen, dann ändern wir eben jenes Detail. Das ist ein Union stimmten am 5. Juli 2000 nur CDU/CSU und FDP ganz normaler Vorgang, über den wir eigentlich gar nicht gemeinsam für den FDP-Antrag, während die PDS sich im zu streiten bräuchten. Ich wundere mich schon, dass wir Lager der neinsagenden Regierungsparteien vereinte. hier keinen Konsens erzielen. Wenn Sie sich die Mühe ge- Im Innenausschuss ergab sich am 7. Februar 2001 dann macht hätten, die – sicher auch in Ihren Wahlkreisen – eine wieder andere Konstellation: SPD und Bündnis 90/ 21186 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 213. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Januar 2002

(A) Die Grünen gelang es, die CDU/CSU zum Neinsagen zu Die finanziellen Mittel, die aus dem „Food for Oil“-Pro- (C) gewinnen, während PDS und FDP eine gemeinsame Front gramm kommen, liegen auf einem Bankkonto und werden bildeten. von der irakischen Regierung nicht für die Versorgung der Bevölkerung genutzt. Im Irak müsste niemand hungern, Die Odyssee des FDP-Antrags, der am 15. Dezember wenn Saddam Hussein das nicht wollte. 1999 erstmals als Drucksache des Bundestages höhere Weihen erfuhr, nähert sich nach 25 Monaten offensicht- Es hat ja im letzten Jahr im Sicherheitsrat die Debatte lich dem sicheren Hafen der Entscheidung. Bleibt dieüber die so genannten „smart sanctions“ gegeben. Und es spannende Frage: Wie wird die Abstimmung in dieserwird sie wieder geben, wenn die Verlängerung des Sank- zweiten und dritten Lesung ausfallen? Gibt es weiteretionsregimes wieder auf der Tagesordnung des Sicher- Möglichkeiten der parlamentarischen Frontbildung und heitsrates steht. Saddam Hussein hat schon im letzten Jahr Bündnispolitik? klar gemacht, dass er auch im Falle einer Lockerung der wirtschaftlichen Sanktionen keinesfalls bereit sei, den Nach erneuter eingehender Prüfung erklärt sich jeden- Vereinten Nationen entgegenzukommen. Das müssen wir falls die PDS nun endgültig für den FDP-Antrag – und da- in der heutigen Debatte schon auch berücksichtigen. mit für die Beseitigung unbilliger Härten für Feuerwehr und andere Hilfsdienste, primär von Organisationen ohne Sie müssen in so einen Antrag schon auch klar hinein- Erwerbscharakter. schreiben, wie es denn zu den Sanktionen kam. Das war ja kein spontaner Einfall der westlichen Staatengemein- Wir gehen im Übrigen davon aus, dass sich Menschen schaft, sondern des Sicherheitsrates der Vereinten Natio- mit und ohne Führerschein für den demokratischen So- nen, nach dem Sie ja sonst auch bei jeder Gelegenheit zialismus entscheiden können und sollten – bei den Feu- schreien, und zwar als Reaktion auf den Überfall und die erwehren, die ohnehin mit der Farbe rot identifiziert wer- Zerstörung Kuwaits: nachdem der Irak israelische Städte den, und anderswo. mit Raketen beschossen hat; nachdem der Irak sämtliche kuwaitischen Ölfelder in Brand gesteckt und damit eine der größten Umweltkatastrophen zu verantworten hat. Es Anlage 7 gab also durchaus Gründe für die Sanktionen, so ist es ja nicht. Und im Übrigen wären die Sanktionen schon längst Zu Protokoll gegebene Reden weg, wenn Saddam Hussein mit den Vereinten Nationen zur Beratung der Beschlussempfehlung und des kooperiert hätte, wie es der Beschluss des UN-Sicher- Berichts: Aufhebung der Sanktionen gegen den heitsrates vorsieht. Da liegt meines Erachtens der ent- Irak (Tagesordnungspunkt 24) scheidende Fehler des Antrags und das hätten Sie berück- sichtigen sollen: (B) (D) Christoph Moosbauer (SPD): Wir haben den uns Das Problem des irakischen Volkes sind nicht die Ver- heute vorliegenden Antrag zur Aufhebung der Sanktionen einten Nationen, das Problem des irakischen Volkes heißt gegen den Irak im vergangenen Jahr hier im PlenumSaddam Hussein. Ich finde es schon bezeichnend, dass behandelt – wenn ich mich recht erinnere, sogar auf den dieser Name kein einziges Mal in Ihrem Antrag vor- Tag genau vor einem Jahr. Seitdem hat sich die interna- kommt. Wenn wir über eine Lösung der Krise in und um tionale Situation, vor allem auch in Bezug auf den Irak, den Irak sprechen, dann müssen wir das mit dem Appell fundamental geändert. Dazu werde ich noch einiges sa- an Saddam Hussein verbinden, endlich mit den Vereinten gen. Einige Argumente sind aber die gleichen geblieben. Nationen zu kooperieren: Nur so kann dauerhaft eine Ent- Damit werde ich beginnen. wicklungsperspektive für das irakische Volk erreicht wer- den! Wir wissen natürlich, dass ein solcher Appell nur Ich habe große Sympathie für die Grundanliegen des eine recht bescheidene Wirkung in Bagdad zeitigen wird. Antrages. Es ist unbestreitbar, dass die humanitäre Situa- Aber ich erwarte schon, dass wir hier im Deutschen Bun- tion im Irak heute dramatisch schlechter ist als vor zehn destag Ross und Reiter nennen! Jahren. Und es ist unbestreitbar, dass die Sanktionen der internationalen Gemeinschaft nicht das erreicht haben, Aber auch mir ist natürlich klar, dass das Sanktionsre- was sie wollten: nämlich die Erzwingung der irakischen gime modifiziert werden muss, da mit einer Kooperation Kooperation bei der Identifizierung und Unschädlichma- seitens des Iraks im vollen Umfang nicht zu rechnen ist. chung des irakischen Massenvernichtungspotenzials. Wie Sie wissen, dass auch ich dafür bin, die wirtschaftlichen im Antrag richtig steht, haben die wirtschaftlichen Sank- Sanktionen von den militärischen Sanktionen abzukop- tionen Saddam Husseins innenpolitische Stellung eher peln. Das kann in einem schrittweisen Prozess erfolgen, noch gefestigt, indem seine Propaganda für die katastro- vergleichbar mit dem, was Sie unter Punkt 5 bei der Re- phalen Auswirkungen seiner brutalen Politik den Feind duzierung der Reparationszahlungen fordern. Jeder von außen verantwortlich machen kann. Von SaddamSchritt zu mehr Kooperation wird belohnt mit einem Ent- Hussein erwartet man das ja nicht anders; von der PDS gegenkommen der internationalen Gemeinschaft. Nur, hätte ich mir das aber schon differenzierter gewünscht. auch hier gilt: Saddam Hussein muss sich zunächst einmal grundsätzlich kooperationsbereit zeigen, dann kann der Da liegt nämlich der Haken in Ihrem Antrag: Er ver- erste Schritt seitens der internationalen Gemeinschaft ge- wechselt Ursache und Wirkung. Wir müssen zunächst ein- macht werden. Ein solcher erster Schritt des Iraks könnte mal feststellen, dass Lebensmittel und Medikamente vom etwa die Freilassung der im Golfkrieg verschleppten ku- Sanktionsregime ausdrücklich ausgenommen wordenwaitischen Staatsbürger sein. Hunderte davon werden im- sind. Saddam Hussein verweigert sie seinem Volk aber. mer noch vermisst, ihre Familien haben keine Nachricht Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 213. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Januar 2002 21187

(A) über ihren Verbleib oder ihren Gesundheitszustand. Der terwerfen, dabei verlässlich und vertrauenswürdig zu (C) Irak zeigt sich hier nicht einmal in Ansätzen kooperativ agieren und so verlorenes Vertrauen in der Nachbar- bei der Aufklärung dieser Schicksale – von der Weigerung schaft wiederherzustellen. Daran hapert es nach wie der irakischen Staatsführung, mit UNMOVIC zusammen- vor im Irak. Als Vorsitzender der Parlamentarier- zuarbeiten, ganz zu schweigen. gruppe für die Beziehungen zu den Arabisch spre- chenden Ländern des Nahen Ostens kann ich aus zahl- Wenn wir also über eine Modifizierung des Sanktions- reichen Gesprächen und Kontakten berichten, dass es regimes sprechen, müssen wir von einem Prozess spre- dem Irak noch nicht gelungen ist, Vertrauen bei seinen chen, an dessen Ende die Aufhebung der wirtschaftlichen Nachbarn wiederzugewinnen. Es sind nicht nur die Sanktionen steht, nicht an dessen Anfang. Ich bin sehr Zweifel hinsichtlich ausreichender Kooperation im dafür, das abgestimmt mit unseren europäischen Partnern Zusammenhang mit Fragen der Rüstungskontrolle zu machen. und der Vernichtung von Waffen- und Massenver- Noch ein Wort zum Zeitpunkt. Ich weiß ja, dass der An- nichtungsarsenalen. Es geht auch um die Vermeidung trag schon lange in den Gremien hängt und es außerdem des verbalen Radikalismus und des Aufbaus von Be- fast nie einen günstigen Zeitpunkt gibt, einen solchen An- drohungsszenarien. Und nicht zuletzt geht es auch um trag zu behandeln. Aber wir alle wissen um die Diskus- die Frage, ob der Irak sich glaubhaft darum bemüht, sion, dass der Irak relativ hoch oben auf der Liste mögli- das Schicksal und den Verbleib von vermissten ku- cher Ziele im Antiterrorkampf der USA steht. Bitte waitischen Soldaten und Staatsbürgern – es ist die verstehen sie mich nicht falsch: Ich bin absolut dagegen, Rede von bis zu zweitausend Menschen – aufzu- gegen den Irak militärisch vorzugehen. Aber jede Ent- klären. Wenn wir darangehen, etwas für die Abschaf- scheidung, die irgendwie missverstanden werden kann fung der Sanktionen zu tun, so kann dies nur funktio- und entweder den Irak ermutigt, ein wenig frecher zu nieren in Übereinstimmung mit dem arabischen werden oder in den USA den Hang zu einer unilateralen Umfeld. Das Regime in Bagdad wäre zuallererst gut Haltung in der Irakfrage verstärkt, kann am Ende kontra- beraten, vertrauensbildende Maßnahmen im Hinblick produktiv sein, vor allem auch für die Grundanliegen des auf seine direkten Nachbarn zu unternehmen. Antrages, die ich, wie schon gesagt, teile. Durch viele Kontakte zu Repräsentanten der arabi- Aus diesen Gründen – falsche Ursachenanalyse,schen Welt weiß ich, dass man mit großer Sorge beobach- falsches Vorgehen und falsche Zeit –: Die SPD bleibttet, dass im Irak die gesamte Versorgung am Boden liegt beim Votum des Auswärtigen Ausschusses und lehnt den und nicht funktioniert, dass neben der flächendeckenden Antrag ab. Verarmung das vollständige Verschwinden des Mittel- standes ins Auge fällt und dass die Jugend des Landes we- gen fehlender Bildungsmöglichkeit und der fortdauern- (B) Joachim Hörster (CDU/CSU): Schon bei der ersten den Propaganda sich als Sanktionsopfer Nummer eins(D) Erörterung des PDS-Antrages heute vor genau einem Jahr begreift und gegenüber der westlichen Welt feindselig habe ich darauf hingewiesen, dass die PDS nach dereingestellt ist. Man befürchtet Langzeitwirkungen, die Grundstruktur ihres Antrages nicht dem das irakischeman möglichst verhindern sollte. Volk gegenwärtig beherrschenden Unrechtsregime, son- dern vielmehr den Alliierten des Golfkrieges die Schuld Dennoch ist es schwierig, von den arabischen Ge- am Elend der irakischen Bevölkerung geben will. Dabei sprächspartnern Ratschläge oder Empfehlungen zu erhal- hat sich seit Stellung des PDS-Antrages nichts daranten, wie das Sanktionsregime geändert werden könnte, geändert, dass das irakische Regime mit brutaler Gewalt, um einerseits die Leiden des irakischen Volkes zu min- mit fortdauernden gravierenden Menschenrechtsverlet- dern ohne andererseits das gegenwärtige Regime zu stär- zungen und ohne Rücksichtnahme auf das irakische Volk ken. Dabei spielt eine nicht unerhebliche Rolle, dass der seine Macht aufrechterhält. Niemand kann und will be- Irak selbst innerhalb der arabischen Liga nicht bereit war, streiten, dass das irakische Volk unter dem auch durch das die Unverletzlichkeit der kuwaitischen Grenzen anzuer- Embargo verursachten Mangel an Lebensmitteln, Medi- kennen und der Sohn Sadam Husseins, der nicht irgend- kamenten und erheblichen Schäden an der Sozialinfra- wer ist, noch vor weniger als einem halben Jahr eine struktur leidet. Niemand in diesem Hause will dem iraki- Landkarte präsentierte, auf der Kuwait als Teil des Irak schen Volk schaden, sondern wir wünschen ganz imdargestellt wurde. Gegenteil dem irakischen Volk eine Regierung, die sich Auch die arabischen Länder erkennen, dass es äußerst für die lebenswichtigen nationalen und internationalen In- schwierig ist, mit einem Regime, das zu keinerlei ver- teressen des Irak einsetzt und nicht den eigenen Machter- trauensbildender Kooperation bereit ist, Regelungen zu halt – mit welchen Mitteln auch immer – zum alleinigen finden, die die irakische Bevölkerung in ihren alltäglichen Maßstab ihres Handelns macht. Wenn es um die Aufhe- Grundbedürfnissen nicht tangieren. Zunehmend wird bung der Sanktionen geht, so ist festzuhalten, dass die ge- man aber auch von arabischen Gesprächspartnern nach- genwärtigen Machthaber im Irak eine Bringschuld haben. drücklich darauf hingewiesen, dass es in der arabischen Dazu kann ich nur wiederholen, was ich schon vor einem Bevölkerung eine stark wachsende Tendenz gibt, die die Jahr ausgeführt habe: Sanktionen gegen den Irak als ungerecht empfindet. Da ist zunächst einmal die Frage der Rüstungskon- Bei dieser Bewertung spielen vor allem die Vorgänge trolle. Gerade wir Deutschen können aus eigener ge- in Palästina und das Verhalten Israels eine zentrale Rolle. schichtlicher Erfahrung bestätigen, wie wichtig und Während man es Israel durchgehen lasse, dass es Resolu- notwendig es ist, infolge eines Angriffskrieges die tionen der Vereinten Nationen schlicht ignoriere und bei Rüstungsproduktion internationaler Kontrolle zu un- dem Vorgehen gegen Palästina ständig das Völkerrecht 21188 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 213. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Januar 2002

(A) verletze, werde die Verletzung von Entscheidungen der geschöpft. Er hat mögliche Leistungen der irakischen Zivil- (C) Vereinten Nationen durch den Irak sofort und unnach- bevölkerung absichtlich nicht zur Verfügung gestellt und giebig geahndet. Die internationale Gemeinschaft wende sein eigenes Land bewußt in Geiselhaft genommen. zweierlei Maßstäbe an und billige Arabern weniger Rechte zu als den Israelis. Das Elend im Irak hat viele Ursachen. Die erste ist der lange Krieg des Irak gegen den , die zweite der Über- Ich brauche nicht zu betonen, dass sich dieses Mei- fall des Irak auf Kuwait und der folgende Golfkrieg und nungsbild gerade wegen der Vorgänge der letzten Wochen nicht zuletzt der Mißbrauch und die Folge der Sanktionen. in Palästina dramatisch verstärkt hat. Aber selbst wenn, was wir alle hoffen, der Konflikt zwischen Israel und Lassen Sie uns also nicht vergessen, mit wem wir es Palästina befriedet werden kann, ändert dies unseren deut- hier zu tun haben: Saddam Hussein ist bestrebt, Massen- vernichtungswaffen herzustellen, und verweigert die Ko- schen Handlungsspielraum gegenüber dem Irak nicht. operation mit Inspekteuren der Vereinten Nationen. Im Ich wiederhole: Keiner von uns will das irakische Volk Kampf gegen den Iran und irakische Kurden hat Saddam leiden sehen, zumal es kaum eine Chance hat, sich dem Hussein Giftgas eingesetzt und die Meldungen aus der Würgegriff seiner diktatorischen und menschenverach- jüngsten Zeit, dass der Irak in der Lage sei, biologische tenden Regierung zu entziehen. Solange diese Regierung und chemische Waffen, wenn nicht sogar Atomraketen zu aber selbst ihre aus den Petrodollars erwirtschaftete Fi- produzieren, bestärken mich in der Haltung, dass es drin- nanzkraft nicht ausschließlich für die Bevölkerung ein- gend nötig ist, den Irak zur Zusammenarbeit mit den Waf- setzt, ist es sehr schwierig, ein anderes Sanktionssystem, feninspekteuren zu bewegen. das die Angriffsfähigkeit des Irak gegen andere Staaten in Deshalb begrüße ich den Vorschlag, der schon seit län- der Region verhindert, zu finden. Deswegen bedarf es gerem auch unter Franzosen, Briten und den USA Zu- diplomatischer Bemühungen vieler Seiten, um dem im stimmung findet, die Sanktionen nicht aufzuheben, son- Irak herrschenden Regime klar zu machen, dass ihre Pro- dern das Sanktionsregime zu verändern. Was wir pagandapolitik mit den Leiden des irakischen Volkes brauchen ist eine Politik des „Alles ist erlaubt bis auf Waf- nicht der Weg ist, um das Sanktionsregime zu beenden. Es fen!“ anstelle des bisherigen „Alles ist verboten bis auf muss dieser Regierung klar gemacht werden, dass der ein- Nahrungsmittel!“. Leider wird dies frühestens nächsten zige Weg darin besteht, die Aggressionsbereitschaft ge- Juni möglich werden. Aber immerhin haben es die Mit- genüber anderen Staaten in der Region aufzugeben, mi- glieder des Sicherheitsrates jetzt geschafft, sich auf dieses litärisch abzurüsten, sich dabei internationaler Kontrolle Vorgehen zu einigen. zu unterwerfen und auch dem eigenen Volk wieder die Mindeststandards an Menschenrechten einzuräumen. Der Sicherheitsrat stellt dem Irak die Aufhebung der Sanktionen in Aussicht, wenn er es endlich zulässt, dass Der PDS-Antrag war vor einem Jahr und ist auch heute (B) internationale Inspekteure ungehindert nach Massenver- (D) in diesem Sinne alles andere als hilfreich und der Aus- nichtungswaffen und Anlagen zu deren Herstellung su- wärtige Ausschuss und die mitberatenden Ausschüsse chen können. Das ist das richtige Signal an den irakischen empfehlen zu Recht, diesen Antrag abzulehnen. Daher Diktator: Wir sind kompromissbereit, aber das Ziel der stimmt meine Fraktion der Beschlussempfehlung des Non-Proliferation werden wir nicht aufgeben! Auswärtigen Ausschusses zu. Eine Debatte zum Irak ist derzeit aus doppeltem Grund wichtig: Einerseits geht es nach wie vor um die Folgen der (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die Rita Grießhaber Golfkriege, andererseits aber gleichzeitig um den Terro- humanitäre Situation im Irak ist katastrophal, die Kinder- rismus und die internationale Allianz zu dessen Bekämp- sterblichkeit gestiegen und die Gesundheitsversorgung fung. Eine erste Frucht der Antiterrorallianz war es, dass schlecht. Mangelhaft ist die Versorgung mit Medikamen- sich die Sicherheitsratsmitglieder nach drei vergeblichen ten, Elektrizität und Wasser. Weil das Bildungssystem zu- Anläufen endlich auf einen Fahrplan zur Veränderung des sammengebrochen ist, steigt das Analphabetentum. Auch Sanktionsregimes einigen konnten. Jetzt gilt es, diese das humanitäre Programm „Nahrungsmittel gegen Öl“ Antiterrorallianz am Leben zu erhalten! Sie durch einen hat die Situation der Bevölkerung nicht verbessert. Sad- erneuten Angriff zu gefährden wäre politisch falsch. Des- dam Hussein ist innenpolitisch gefestigt aus der Sank- halb unterstützen wir die Bundesregierung und unsere eu- tionszeit herausgegangen. Die Sanktionen werden schon ropäischen Partner bei ihren Bemühungen, die USA da- seit längerer Zeit von Dritten unterlaufen, hauptsächlich von zu überzeugen, dass sie ihre Drohungen gegen den durch den Ölschmuggel. Irak nicht militärisch umsetzen. Schauen wir uns diese Realität an, so müssen wir ganz Die Meldungen, die uns in den letzten Wochen und Ta- klar sagen: Diese Sanktionen sind gescheitert! Aber,gen aus dem oder zum Irak erreicht haben, sind mehr als meine Damen und Herren von der PDS, es ist schlicht ir- beunruhigend. Der Ton wird aggressiver. In den USA mel- reführend zu behaupten, dass ein Ende des Wirt-den sich immer mehr Falken zu Wort, die den Irak als schaftsembargos auch dem Leiden der irakischen Bevöl- nächstes Ziel der Vereinigten Staaten im Kampf gegen den kerung ein Ende machen würde! Die politische Botschaft Terrorismus sehen. Erst am Mittwoch hat US-Präsident auf diese Weise zu vereinfachen ist unredlich! Bush eine amerikanische Militäraktion im Irak als Option Warum leidet die Bevölkerung? Die Verantwortung hier- bezeichnet. Unterdessen hat Saddam Hussein eine Gene- für ist vor allem Saddam Hussein zur Last zu legen: Er hat ralmobilmachung angeordnet. Und der ägyptische Präsi- die Mittel, die dem Irak aus dem Programm „Nahrungsmit- dent Mubarak warnt, dass ein Angriff auf ein arabisches tel gegen Öl“ zur Verfügung stehen, absichtlich nicht aus- Land „schreckliche Folgen für die Region“ haben werde. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 213. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Januar 2002 21189

(A) Diese Gefahr ist uns allen bewusst. Bereits jetzt ist die ist wieder zum zweitgrößten Erdölexporteur der Welt(C) Situation im Nahen Osten angespannt genug und die Bun- avanciert. Statt Medikamente und Nahrungsmittel für sein desregierung bemüht sich darum, den israelisch-paläs- darbendes Volk zu besorgen, lässt er lieber 11 Milliarden tinensischen Konflikt einzudämmen. Die Auswirkungen Öldollar ungenutzt auf Depotkonten liegen. Nach UNO- einer kriegerischen Auseinandersetzung mit dem IrakBeobachtungen werden die dank gestiegener Weltmarkt- wären unkalkulierbar. preise enormen Einnahmen aus Ölschmuggel für den Wiederaufbau seiner konventionellen Streitkräfte einge- Deswegen kann ich auch nicht dem früheren US- setzt. Seine Rüstungsindustrie läuft wieder auf Hochtou- Außenminister Kissinger zustimmen, der sich am 20. Ja- ren, nachdem er es geschafft hat, die UNO-Inspektoren zu nuar in der „Welt am Sonntag“ für ein rasches militäri- vergraulen. Die Mittel hierfür besorgt er sich unter Um- sches Vorgehen gegen den Irak ausgesprochen hat. gehung des UN-Ölembargos aus illegalen Ölexporten zu Kissingers geopolitischen Gründen werden wir nicht nur Dumpingpreisen. Und während seine Ingenieure die Ziel- menschenrechtliche und humanitäre Argumente entge- genauigkeit seiner Mittelstreckenraketen verbessern, ruft genhalten, sondern auch politische Argumente, die nicht er die „arabischen Brüder“ zum „Vernichtungsschlag ge- nur den Zusammenhalt der Allianz gegen den Terror in gen Israel“ auf. Der ehemalige UNSCOM-Chef, Richard den Vordergrund stellen, sondern auch vor dem Zerfall Butler, schätzt, dass Bagdad nunmehr imstande ist, inner- Iraks und den Folgen warnen. halb eines Jahres eine Atombombe zu entwickeln. Gleich- Deutsche ABC-Soldaten sind auf dem Weg nach Ku- zeitig weigert sich Saddam Hussein weiterhin, die UNO- wait bzw. bereits vor Ort. Dort werden sie an einer inter- Waffeninspektoren ins Land zu lassen. nationalen Katastrophenschutzübung mehrerer Staaten In jüngster Zeit nutzt Saddam die Krise im Nahost- teilnehmen. Bei unserer Entscheidung zur Bereitstellung Friedensprozess, um sich wieder als panarabischer Führer von deutschen Truppen Ende letzten Jahres war uns klar, zu präsentieren. Während sein Volk hungert und Kranken- dass im Kampf gegen den Terror die defensiven Fuchs- häuser geschlossen werden müssen, ließ Saddam Hussein Spürpanzer zum Schutz von amerikanischen Einrichtun- über 50 Lastwagen mit 1 600 Tonnen Medikamenten und gen von Nutzen sein könnten. Nach Angaben der Bun- Lebensmitteln auf dem Landweg über Jordanien nach desregierung handelt es sich nur um eine Übung; der Palästina schaffen. Zehntausende Iraker warten angeblich größte Teil der Truppe wird danach wieder nach Deutsch- darauf, in einem israelisch-palästinensischen Krieg an der land zurückgeholt. Seite ihrer arabischen Brüder kämpfen zu dürfen. Überdies Zurück zu den Sanktionen. Was soll mit Sanktionen er- kündete er die Bildung einer Kommission an, mit der reicht werden? Die Sanktionen sind keine Strafe für die 100 Millionen Euro an arbeitslose amerikanische Staats- notleidende Bevölkerung. Sie sind die einzige Möglich- angehörige verteilt werden sollen. Gleichzeitig führt er keit, Missbilligung gegen das irakische Verhalten auszu- sein Regime nach innen mit einer derart unerbittlichen (B) drücken und Druck auf das Regime auszuüben. Wo diplo- Härte, dass sich die UNO-Vollversammlung zur Verab-(D) matische Vermittlungsbemühungen nicht weiterkommen schiedung einer Resolution veranlasst sah, die der Regie- und noch keine militärische Gewalt eingesetzt werden rung von Saddam Hussein „systematische, weitverbreitete soll, sind Sanktionen das einzige politische Mittel, das die und besonders schwere Verstöße gegen die Menschen- internationale Staatengemeinschaft in Händen hat. Sie rechte und internationales humanitäres Recht“ vorwirft. sendet folgende, faire Botschaft an das irakische Regime: Wenn es je Anlässe zur Verhängung von Sanktionen Lasst internationale Waffeninspekteure in euer Land, und gegeben hat, dann sind sie durch dieses Verhalten des Dik- die Sanktionen werden beendet! Denn die internationale tators von Bagdad noch eher verstärkt worden. Gemeinschaft darf eines nicht: das Ziel der Non-Prolife- ration aufgeben. Es ist unbestritten, dass die Versorgungslage im Lande ausgesprochen prekär ist und die Mehrheit der Bevölke- rung vom Lande katastrophale Lebensverhältnisse erdul- (FDP): Mit der Verhängung von Sanktio- Ulrich Irmer den muss. Umgekehrt gilt aber auch, dass das „Öl für nen soll – wie auch im Falle des Irak – in der Regel zwei- Nahrungsmittel“-Abkommen in den letzten Jahren zu erlei erreicht werden: Zum einen soll das betroffene Re- einer deutlich spürbaren Verbesserung der Situation bei- gime oder Land durch wirtschaftlichen und politischen getragen hat. Druck zu einer Handlung oder Unterlassung veranlasst werden, zum anderen sind Sanktionen per se aber auch ein Es fragt sich also, was mit der Aufhebung der Sanktio- besonders deutliches Symbol der Missbilligung von politi- nen erreicht werden könnte. Eine erste Maßnahme wäre schem Fehlverhalten. Mit der Aufhebung von Sanktionen doch sicherlich, das Programm „Öl für Nahrungsmittel“ würde mithin auch anerkannt, dass die Gründe für ihre Ver- abzustellen mit der Folge, dass Saddam nunmehr freie hängung nicht mehr vorliegen. Uns ist noch allen der Eier- Hand hätte, seinem Volk noch weitere Leiden aufzubür- tanz in Erinnerung, den die Europäische Union auch nach den. Er könnte dabei überdies noch auf eine Art Quasile- der Vorlage des Gutachtens der drei Weisen bis zur Ausset- gitimierung durch die Aufhebung der Sanktionen verwei- zung der Sanktionen gegen Österreich aufgeführt hat. sen. Dass es bereits heute – Sanktionen hin, Sanktionen her – nur eines Fingerzeiges des Diktators bedürfte, um Doch wie sieht die Situation im Irak aus? Zehn Jahre die Lebenssituation der Iraker nachhaltig zu entspannen, nach der Operation Wüstensturm sitzt Saddam Hussein ist ebenso klar. fester im Sattel als je zuvor. Und sein Regime meldet sich auf internationalem Parkett zurück. Auf dem Saddam In- Eine nüchterne Analyse der Lage im Irak kommt daher ternational Aerport landen wieder Linienflugzeuge, Bot- zu dem Ergebnis, dass mit der Aufhebung der Sanktionen schaften werden in Bagdad wieder eröffnet und der Irak die Position des Diktators weiter gestärkt, seinem Volk 21190 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 213. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Januar 2002

(A) aber nicht geholfen würde. Im Gegenteil. Es kommt jetzt – Gesetz über die Feststellung des Wirtschaftsplans des (C) darauf an, die Sanktionen zu verschärfen, sie zielgerichte- ERP-Sondervermögens für das Jahr 2002 (ERP-Wirt- ter dort einzusetzen, wo sie unmittelbar die Interessen schaftsplangesetz 2002) Saddam Husseins beeinträchtigen, und ihre Umsetzung – Gesetz über die Aufhebung des Gesetzes zur Förde- besser zu kontrollieren. Es ist geradezu grotesk, dass die rung der Rationalisierung im Steinkohlenbergbau gleiche PDS-Fraktion, die Saddam Hussein noch vor kurzem mit einem Antrag des Völkermordes bezichtigt, – Gesetz zu dem Vertrag vom 19. September 2000 nunmehr die Aufhebung der Sanktionen gegen den Irak zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der fordert. Aber derartige politische Akrobatik sind wir ja in- Tschechischen Republik über die Zusammenarbeit zwischen von den „demokratischen Sozialisten“ gewöhnt. der Polizeibehörden und der Grenzschutzbehörden in den Grenzgebieten – Gesetz zu dem Partnerschaftsabkommen vom 23. Juni Anlage 8 2000 zwischen den Mitgliedern der Gruppe der Staaten in Afrika, im Karibischen Raum und im Pazifischen Amtliche Mitteilungen Ozean einerseits und der Europäischen Gemeinschaft Der Bundesrat hat in seiner 771. Sitzung am 20. No- und ihren Mitgliedstaaten andererseits(AKP-EG- vember 2001 beschlossen, den nachstehenden Gesetzen Partnerschaftsabkommen) zuzustimmen, bzw. einen Antrag gemäß Artikel 77 Ab- – Gesetz zu dem Abkommen vom 11. März 1996 zwi- satz 2 Grundgesetz nicht zu stellen: schen der Bundesrepublik Deutschland und der De- mokratischen Volksrepublik Algerien über die ge- – Gesetz zur Regelung der Rechtsverhältnisse von Pros- genseitige Förderung und den gegenseitigen Schutz tituierten (Prostitutionsgesetz – ProstG) von Kapitalanlagen – Gesetz zur Änderung rehabilitierungsrechtlicher – Gesetz zu dem Vertrag vom 7. Februar 2000 zwi- Vorschriften schen der Bundesrepublik Deutschland und der De- – Gesetz zur Neuausrichtung der (Bundes- mokratischen Sozialistischen Republik Sri Lanka wehrneuausrichtungsgesetz – BwNeuAusrG) über die Förderung und den gegenseitigen Schutz von Kapitalanlagen – Gesetz über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 2002 (Haushaltsgesetz 2002) – Gesetz zu dem Vertrag vom 23. Mai 2000 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik – Gesetz zur Bestimmung der Schwankungsreserve (B) Botsuana über die Förderung und den gegenseiti- (D) in der Rentenversicherung der Arbeiter und Ange- gen Schutz von Kapitalanlagen stellten – ... Gesetz zur Änderung der Strafprozessordnung – Erstes Gesetz zur Änderung des Postumwand- lungsgesetzes – Gesetz zur Reform der Professorenbesoldung (Profes- sorenbesoldungsreformgesetz – ProfBesReformG) – Zweites Gesetz zur Änderung des Postgesetzes – Gesetz zur Bereinigung des Rechtsmittelrechts im – Versorgungsänderungsgesetz 2001 Verwaltungsprozess (RmBereinVpG) – Gesetz zur Änderung des Aufstiegsfortbildungsför- – Gesetz zur Fortführung des Solidarpaktes, zur Neuord- derungsgesetzes (AFBG-ÄndG) nung des bundesstaatlichen Finanzausgleichs und zur Abwicklung des Fonds „Deutsche Einheit“ (Solidar- – Gesetz zur Änderung der Strafprozessordnung paktfortführungsgesetz – SFG) – ... Gesetz zur Änderung des Vermögenszuordungs- Mit der Neufassung des § 1 FAG gemäß Art. 106 Ab- gesetzes satz 3 und 4 GG in Verbindung mit § 4 Maßstäbegesetz – Gesetz zur Änderung des Gesetzes über Arbeitneh- wird die Höhe der Umsatzsteueranteile von Bund und mererfindungen Ländern festgelegt. – Gesetz zur Änderung des Anerkennungs- und Voll- Der Bundesrat stellt fest, dass die jeweiligen Rechts- streckungsausführungsgesetzes positionen von Bund und Ländern zur Interpretation der Bestimmungen zum Familienleistungsausgleich in – Gesetz zur Bereinigung des als Bundesrecht fort- Art. 106 Abs. 3 und 4 GG in Verbindung mit §4 Maß- geltenden Rechts der Deutschen Demokratischen stäbegesetz druch § 1 FAG gewahrt bleiben. Auf die Republik entsprechenden Begründungen im Gesetzentwurf der – Gesetz zu dem Markenrechtsvertrag vom 27. Okto- Bundesregierung zu einem Maßstäbegesetz (Bundes- ratsdrucksache 161/01) sowie in der Stellungnahme ber 1994 des Bundesrates zum Entwurf des Maßstäbegesetzes – Gesetz zur Umsetzung von Rechtsakten der Europä- (Bundesratsdrucksache 161/01 [Beschluss]) wird Be- ischen Gemeinschaften auf dem Gebiet der Energie- zug genommen. Im Übrigen wird auf Ziffer IV. 3 der einsparung bei Geräten und Kraftfahrzeugen(Ener- Entschließung des Bundesrates vom 13. Juli 2001 gieverbrauchskennzeichnungsgesetz – EnVKG) (Bundesratsdrucksache 485/01 [Beschluss]) verwiesen Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 213. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Januar 2002 21191

(A) Der Bundesrat erwartet, dass der nach § 6 Absatz 3 – Gemeinsamer Rechtsrahmen für die Terrorismus-(C) Sätze 4 und 5 des Gemeindefinanzreformgesetzes bis bekämpfung (Definition der terroristischen Straftat- einschließlich dem Jahr 2019 um 29 v. H.-Punkte er- bestände sowie Strafen); höhte Landesvervielfältiger zur Ermittlung der Gewer- besteuerumlage bereits im Jahr 2010 von Bund und – Einfrieren von Vermögensgegenständen; Ländern auf seine Angemessenheit überprüft wird. Er – Verstärkung der Zusammenarbeit zwischen den gibt seiner Erwartung Ausdruck, dass das Ergebnis der operativen Dienststellen, die für die Terrorismus- Überprüfung zu einer gegebenenfalls erforderlichen bekämpfung zuständig sind: EUROPOL, EURO- Anpassung des Landesvervielfältigers führt. JUST, Nachrichtendienste, Polizeidienste und die – Gesetz zur Bekämpfung des internationalen Terroris- Justizbehörden. Diese Zusammenarbeit soll es ins- mus (Terrorismusbekämpfungsgesetz) besondere ermöglichen, bis Jahresende eine Liste der terroristischen Organisationen zu erstellen; Der Bundesrat begrüßt die mit dem Gesetzesbeschluss zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus vor- – Stärkung der Sicherheitsmerkmale des gemeinsa- gesehenen Maßnahmen zur Stabilisierung der Sicher- men Visums; heitslage in Deutschland. – Überlegungen, wie das bisherige EU-Recht (bei- Mit den Anschlägen in den Vereinigten Staaten von spielsweise zur Asylfrage oder für die Finanzmärkte) Amerika vom 11. September 2001 hat die terroristische „terrorismus“-sicher gemacht werden kann; Bedrohung weltweit eine neue Dimension erreicht. – Wirksamere Bekämpfung der Finanzierung des Vorbereitung und Ausführung der Anschläge waren ge- Terrorismus durch die förmliche Annahme der kennzeichnet durch ein hohes Ausmaß an Brutalität, Richtlinie über die Geldwäsche und die beschleu- Menschenverachtung und Fanatismus. Hinter den An- nigte Ratifizierung des Übereinkommens der Ver- schlägen steht ein staatenübergreifendes Netz logi- einten Nationen zur Bekämpfung der Finanzierung scher und operativer Strukturen. des Terrorismus durch alle Mitgliedstaaten. Die gemeinsame Aufgabe aller staatlichen Kräfte muss Nur durch eine enge Zusammenarbeit der EU mit den es sein, dieser Bedrohung mit geeigneten Schutzmaß- Mitgliedstaaten kann ein wirksamer Schutz erreicht wer- nahmen entgegenzutreten. den. Nationale Maßnahmen reichen hierfür nicht aus. Die nunmehr beschlossenen Gesetzesänderungen stel- – Gesetz zur Fortentwicklung des Unternehmenssteuer- len eine notwendige Reaktion auf die internationalen rechts (Unternehmenssteuerfortentwicklungsge- Terrorangriffe vom 11. September und die damit ver- setz – UntStFG) (B) bundenen Angriffe auf die nationale Sicherheitslage in (D) Deutschland dar. 1. Der Bundesrat fordert die Bundesregierung auf, Die jüngsten terroristischen Anschläge haben gezeigt, die mit der Enschließung des Bundesrates vom dass eine wirksamere Bekämpfung des Terrorismus ne- 30. November 2001 (Drucksache 892/01 [Be- ben geeigneten nationalen Maßnahmen auch eine ver- schluss]) geforderte Überprüfung zügig mit dem stärkte internationale Zusammenarbeit erfordert. Des- Ziel durchzuführen, umgehend eine neue Rege- halb ist eine enge Kooperation aller zivilisierten lung außerhalb des Steuerrechts vorzulegen, mit Staaten und ihrer Sicherheitsbehörden notwendiger der die organschaftlichen Regelungen für Versi- denn je. Dies gilt insbesondere für die Staaten der Eu- cherungsunternehmen (§ 14 Abs. 3 KStG i.d.F. ropäischen Union. des Steuerverkürzungsbekämpfungsgesetzes) im Ergebnis entbehrlich werden. Die Innen- und Justizminister der EU haben am 20. September 2001 in einer von Deutschland initiierten 2. Der Bundesrat erwartet, dass dann § 14 Abs. 3 Sondersitzung des Rates Justiz und Inneres einen um- KStG rückwirkend aufgehoben wird. fangreichen Maßnahmenkatalog zur Terrorismus- Die Vorsitzenden des folgenden Ausschusses haben bekämpfung beschlossen. Dieser Katalog sieht unter mitgeteilt, dass der Ausschuss gemäß § 80 Abs. 3 Satz 2 anderem Maßnahmen bei der Visaerteilung, der Grenz- der Geschäftsordnung von einer Berichterstattung zu der kontrolle sowie Maßnahmen im Inland vor, die sich in nachstehenden Vorlage absieht: weiten Bereichen mit dem nationalen Sicherheitspaket decken. Auswärtiger Ausschuss Der Bundesrat begrüßt daher die dort verabschiedeten Maßnahmen als Ausgangspunkt für eine entschlossene – Unterrichtung durch die deutsche Delegation in der Ver- und wirkungsvolle Bekämpfung des internationalen sammlung der Westeuropäischen Union/interimistische Eu- ropäische Versammlung für Sicherheit und Verteidigung Terrorismus. (WEU/iEVSV) Ohne die Gesamtheit dieser Maßnahmen aus dem über die Tagungen der Versammlung vom 5. bis 8. Juni Auge zu verlieren, sind die nachstehend genannten und vom 4. bis 7. Dezember 2000 in Paris – 46. Sitzungs- Punkte besonders hervorzuheben: periode – Drucksachen 14/76705, 14/6995 Nr. 1 – – Billigung der konkreten Modalitäten des europä- ischen Haftbefehls, der die nationalen Ausliefe- – Unterrichtung durch die deutsche Delegation in der Parla- rungsverfahren ersetzen soll; mentarischen Versammlung der NATO 21192 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 213. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Januar 2002

(A) über die 46. Jahrestagung der Parlamentarischen Ver- Drucksache 14/7522 Nr. 2.16 (C) sammlung der NATO vom 17. bis 21. November 2000 in Drucksache 14/7708 Nr. 2.30 Berlin Ausschuss für Verbraucherschutz, – Drucksachen 14/6932, 14/7119 Nr. 3 – Ernährung und Landwirtschaft Drucksache 14/7129 Nr. 2.19 Innenausschuss Drucksache 14/7129 Nr. 2.20 Drucksache 14/7197 Nr. 2.29 – Unterrichtung durch die Bundesregierung Drucksache 14/7409 Nr. 2.26 Bericht der Bundesregierung an den Deutschen Bundes- Drucksache 14/7409 Nr. 2.27 tag gemäß § 5 Abs. 3 Bundesstatistikgesetz (BStatG) für Drucksache 14/7409 Nr. 2.39 die Jahre 1999 und 2000 Drucksache 14/7522 Nr. 2.3 – Drucksachen 14/5912, 14/6213 Nr. 1 – Drucksache 14/7522 Nr. 2.13 Drucksache 14/7708 Nr. 2.1 Drucksache 14/7708 Nr. 2.36 Haushaltsausschuss Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung – Unterrichtung durch die Bundesregierung Drucksache 14/342 Nr. 2.38 Haushaltsführung 2001 Drucksache 14/1276 Nr. 2.2 Überplanmäßige Ausgabe bei Kapitel 17 02 Titel 632 01 – Drucksache 14/4170 Nr. 2.27 Aufwendungen für Gräber der Opfer von Krieg und Ge- Drucksache 14/5281 Nr. 1.3 waltherrschaft – Drucksache 14/5281 Nr. 2.20 – Drucksachen 14/7262, 14/7413 Nr. 7 – Drucksache 14/5730 Nr. 2.14 Drucksache 14/6026 Nr. 1.2 Drucksache 14/6026 Nr. 1.3 Ausschuss für Tourismus Drucksache 14/6026 Nr. 2.4 Drucksache 14/6395 Nr. 2.12 – Unterrichtung durch die Bundesregierung Drucksache 14/6508 Nr. 2.9 Bericht über den Verlauf der Weltausstellung EXPO 2000 Drucksache 14/6908 Nr. 2.3 in Hannover (1. Juni bis 31. Oktober 2000) Drucksache 14/7000 Nr. 1.16 Drucksache 14/7000 Nr. 2.18 – Drucksache 14/5883 – Drucksache 14/7522 Nr. 1.2 Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben mit- Drucksache 14/7522 Nr. 2.1 geteilt, dass der Ausschuss die nachstehenden EU-Vorla- gen bzw. Unterrichtungen durch das Europäische Parla- Ausschuss für Gesundheit ment zur Kenntnis genommen oder von einer Beratung Drucksache 14/7129 Nr. 2.6 abgesehen hat. Drucksache 14/7129 Nr. 2.7 Ausschuss für Umwelt, (B) Innenausschuss Naturschutz und Reaktorsicherheit (D) Drucksache 14/6615 Nr. 2.9 Drucksache 14/7129 Nr. 1.2 Drucksache 14/6908 Nr. 1.3 Drucksache 14/7129 Nr. 2.18 Drucksache 14/7000 Nr. 2.16 Drucksache 14/7197 Nr. 1.1 Drucksache 14/7000 Nr. 2.17 Drucksache 14/7000 Nr. 2.25 Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Finanzausschuss Drucksache 14/7197 Nr. 2.6 Drucksache 14/7000 Nr. 1.15 Drucksache 14/7197 Nr. 2.25 Drucksache 14/7000 Nr. 1.24 Drucksache 14/7409 Nr. 2.11 Drucksache 14/7000 Nr. 2.4 Drucksache 14/7409 Nr. 2.12 Drucksache 14/7000 Nr. 2.13 Drucksache 14/7409 Nr. 2.13 Drucksache 14/7000 Nr. 2.37 Drucksache 14/7409 Nr. 2.23 Drucksache 14/7000 Nr. 2.39 Drucksache 14/7409 Nr. 2.29 Drucksache 14/7000 Nr. 2.41 Drucksache 14/7000 Nr. 2.48 Ausschuss für die Angelegenheiten Drucksache 14/7000 Nr. 2.57 der Europäischen Union Drucksache 14/7197 Nr. 2.12 Drucksache 14/6026 Nr. 2.22 Drucksache 14/7197 Nr. 2.13 Drucksache 14/6026 Nr. 2.23 Drucksache 14/6508 Nr. 1.1 Haushaltsausschuss Drucksache 14/6508 Nr. 2.25 Drucksache 14/7409 Nr. 2.25 Drucksache 14/7000 Nr. 1.19 Drucksache 14/7000 Nr. 1.26 Ausschuss für Wirtschaft und Drucksache 14/7000 Nr. 2.42 Technologie Drucksache 14/7000 Nr. 2.45 Drucksache 14/7000 Nr. 2.46 Drucksache 14/4309 Nr. 1.37 Drucksache 14/7000 Nr. 2.47 Drucksache 14/7000 Nr. 2.20 Drucksache 14/7000 Nr. 2.49 Drucksache 14/7409 Nr. 2.6 Drucksache 14/7000 Nr. 2.53 Drucksache 14/7409 Nr. 2.15 Drucksache 14/7129 Nr. 2.11 Drucksache 14/7522 Nr. 1.19 Drucksache 14/7197 Nr. 2.17 Drucksache 14/7522 Nr. 2.5 Drucksache 14/7129 Nr. 2.44 Drucksache 14/7522 Nr. 2.7 Drucksache 14/7129 Nr. 2.48 Drucksache 14/7522 Nr. 2.9 Drucksache 14/7409 Nr. 2.7 Drucksache 14/7522 Nr. 2.11 Drucksache 14/7409 Nr. 2.14 Drucksache 14/7522 Nr. 2.12 Drucksache 14/7409 Nr. 2.17 Drucksache 14/7522 Nr. 2.14 Drucksache 14/7522 Nr. 1.3

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