Plenarprotokoll 15/152

Deutscher

Stenografischer Bericht

152. Sitzung

Berlin, Freitag, den 21. Januar 2005

Inhalt:

Tagesordnungspunkt 16: Tagesordnungspunkt 17: Erste Beratung des von den Abgeordneten Antrag der Abgeordneten , , Hermann Bachmaier, Sabine Hartmut Koschyk, (Heil- Bätzing, weiteren Abgeordneten und der bronn), weiterer Abgeordneter und der Frak- Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten tion der CDU/CSU: Probleme mit der Tür- Irmingard Schewe-Gerigk, kei nicht ausblenden (Köln), Jutta Dümpe-Krüger, weiteren Abge- (Drucksache 15/4496) ...... 14279 A ordneten und der Fraktion des BÜNDNIS- Thomas Strobl (Heilbronn) (CDU/CSU) . . . . 14279 A SES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zur Umsetzung euro- (Pforzheim) (SPD) ...... 14281 B päischer Antidiskriminierungsrichtlinien (Drucksache 15/4538) ...... 14257 A Thomas Strobl (Heilbronn) (CDU/CSU) . . . . 14282 A Dr. Lale Akgün (SPD) ...... Olaf Scholz (SPD) ...... 14257 B 14282 C (FDP) ...... 14284 C Ina Lenke (FDP) ...... 14259 C Josef Philip Winkler (BÜNDNIS 90/ Maria Eichhorn (CDU/CSU) ...... 14260 A DIE GRÜNEN) ...... 14285 D Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ Hartmut Koschyk (CDU/CSU) ...... 14287 A DIE GRÜNEN) ...... 14262 B Günter Gloser (SPD) ...... 14287 D (CDU/CSU) ...... 14263 B Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast (SPD) ...... 14289 D Dr. Heinrich L. Kolb (FDP) ...... 14263 D Thomas Strobl (Heilbronn) (CDU/CSU) . 14289 D Christel Humme (SPD) ...... 14266 A Karl-Josef Laumann (CDU/CSU) ...... 14267 D Tagesordnungspunkt 22: Irmingard Schewe-Gerigk (BÜNDNIS 90/ Erste Beratung des von der Bundesregierung DIE GRÜNEN) ...... 14269 D eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur (fraktionslos) ...... 14271 A Umsetzung des Urteils des Bundesverfas- sungsgerichts vom 3. März 2004 (akus- Renate Gradistanac (SPD) ...... 14271 C tische Wohnraumüberwachung) Dr. Norbert Röttgen (CDU/CSU) ...... 14272 C (Drucksache 15/4533) ...... 14291 C Rezzo Schlauch (BÜNDNIS 90/ , Bundesministerin BMJ . . . . 14291 D DIE GRÜNEN) ...... 14274 A Daniela Raab (CDU/CSU) ...... 14292 D (SPD) ...... 14276 C (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 14294 D (FDP) ...... 14277 D Petra Pau (fraktionslos) ...... 14295 D II Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 152. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Januar 2005

Joachim Stünker (SPD) ...... 14296 B neter und der Fraktion der FDP: Transparenz und Wettbewerb im öffentlichen Schienen- (FDP) ...... 14297 B personennahverkehr (Drucksache 15/2752) ...... 14308 D Tagesordnungspunkt 19: Nächste Sitzung ...... 14309 C Antrag der Abgeordneten Axel E. Fischer (Karlsruhe-Land), , , weiterer Abgeordneter und der Frak- Anlage 1 tion der CDU/CSU: Energieforschung zu- kunftsfähig gestalten Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . 14311 A (Drucksache 15/4507) ...... 14298 A Axel E. Fischer (Karlsruhe-Land) Anlage 2 (CDU/CSU) ...... 14298 A Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: Dr. (SPD) ...... 14300 C – Entwurf eines Gesetzes zur Verlängerung Hellmut Königshaus (FDP) ...... 14302 D der Übergangsfrist bei der Weiterbil- Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/ dungsförderung im Falle gesetzlich festge- DIE GRÜNEN) ...... 14304 A legter Ausbildungsdauer Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof) (CDU/CSU) . 14305 C – Entwurf eines Gesetzes zur Sicherung der Weiterbildungsförderung bei gesetzlich Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/ festgelegter Ausbildungsdauer DIE GRÜNEN) ...... 14306 A (Tagesordnungspunkt 21 a und b) Dieter Grasedieck (SPD) ...... 14307 A Hans-Werner Bertl (SPD) ...... 14312 A (CDU/CSU) ...... 14313 A Tagesordnungspunkt 21: Markus Kurth (BÜNDNIS 90/ a) Erste Beratung des von den Abgeordneten DIE GRÜNEN) ...... 14314 A Karl-Josef Laumann, Dagmar Wöhrl, , weiteren Abgeordne- Gudrun Kopp (FDP) ...... 14314 D ten und der Fraktion der CDU/CSU einge- brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verlängerung der Übergangsfrist bei Anlage 3 der Weiterbildungsförderung im Falle gesetzlich festgelegter Ausbildungs- Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung dauer des Antrags: Transparenz und Wettbewerb im (Drucksache 15/4385) ...... 14308 C öffentlichen Schienenpersonennahverkehr (Ta- gesordnungspunkt 23) b) Erste Beratung des von den Abgeordneten , (Münster), Karin Rehbock-Zureich (SPD) ...... 14315 B Rainer Brüderle, weiteren Abgeordneten (CDU/CSU) ...... 14316 B und der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Sicherung Albert Schmidt (Ingolstadt) (BÜNDNIS 90/ der Weiterbildungsförderung bei ge- DIE GRÜNEN) ...... 14317 B setzlich festgelegter Ausbildungsdauer (Bayreuth) (FDP) ...... 14317 D (Drucksache 15/4147) ...... 14308 C , Parl. Staatssekretärin BMVBW ...... 14318 C Tagesordnungspunkt 23:

Antrag der Abgeordneten Horst Friedrich Anlage 4 (Bayreuth), Hans-Michael Goldmann, Joachim Günther (Plauen), weiterer Abgeord- Amtliche Mitteilungen ...... 14319 B Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 152. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Januar 2005 14257

(A) (C) Redetext

152. Sitzung

Berlin, Freitag, den 21. Januar 2005

Beginn: 9.00 Uhr

Vizepräsident Dr. : freiheiten und Grundrechte eingesetzt. Viele der Dinge, Die Sitzung ist eröffnet. Ich wünsche Ihnen allen ei- die damals gesehen worden sind, sind noch heute Be- nen guten Morgen und uns gute Beratungen. standteil unserer Verfassungsordnung und der Verfas- sungsprinzipien. Dazu gehört auch und ganz zentral, Wir beginnen mit dem Tagesordnungspunkt 16: dass der Staat niemanden wegen seines Geschlechts, we- Erste Beratung des von den Abgeordneten Olaf gen seiner Behinderung, wegen seines Alters, wegen der Scholz, Hermann Bachmaier, Sabine Bätzing, sexuellen Identität oder ethnischen Herkunft diskrimi- weiteren Abgeordneten und der Fraktion der SPD nieren darf. sowie der Abgeordneten Irmingard Schewe- (Beifall bei der SPD und der FDP) Gerigk, Volker Beck (Köln), Jutta Dümpe- Krüger, weiteren Abgeordneten und der Fraktion Heute, etwa 200 Jahre später, besteht eine Situation, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN einge- in der wir das so selbstverständlich finden, dass wir sa- (B) brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umset- gen: Solche Prinzipien sollen nicht nur gelten, wenn es (D) zung europäischer Antidiskriminierungsricht- um die Beziehung zwischen Staat und Bürgern, wenn es linien um Abwehrrechte geht, sondern auch dann, wenn es um – Drucksache 15/4538 – die Beziehung von Bürgerinnen und Bürgern, jedenfalls mächtigeren Bürgerinnen und Bürgern, zu anderen geht. Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f) Das heißt, solche Prinzipien, wie sie unsere Verfassungs- Innenausschuss ordnung mittlerweile für jeden von uns selbstverständ- Rechtsausschuss lich hat werden lassen, sollen auch im Zivilleben und in Finanzausschuss der Zivilgesellschaft gelten. Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Das ist die mittelbare Wirkung der Grundrechte, et- Landwirtschaft Verteidigungsausschuss was, das wir unterstützen, das aber niemals oder fast nie Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung unmittelbar durchgesetzt wird; der Gesetzgeber muss Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen aber auch etwas tun, damit es dazu kommt. Die in man- Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe chem Kommentar gern geschriebene und an vielen Stel- Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung len wiederholte Behauptung, dass durch unsere Gesetz- Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union gebung bereits alles geregelt sei, ist nicht richtig. Haushaltsausschuss gemäß § 96 Manche künstliche Aufregung wäre nicht erklärbar, wenn sie richtig wäre. Was wir hier tun, ist also schon et- Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für was Notwendiges. die Aussprache eineinviertel Stunden vorgesehen. – Dazu höre ich keinen Widerspruch. Dann ist das so be- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ schlossen. DIE GRÜNEN) Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen Worum geht es? Wir als anständige Bürgerinnen und Olaf Scholz für die SPD-Fraktion das Wort. Bürger wollen Folgendes einfach nicht mehr hinnehmen: Eine Gruppe Behinderter hat ein Hotel gebucht, er- Olaf Scholz (SPD): scheint dort und dann wird ihr gesagt: Ihr könnt hier Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vor etwas nicht sein; wir wollen nicht, dass ihr als behinderte Men- mehr als 200 Jahren haben die Menschen in Frankreich, schen, als Rollstuhlfahrer die übrigen Gäste stört. – Das in England und in den späteren Vereinigten Staaten von ist die Situation, die unerträglich ist und die wir nicht Amerika die Demokratie erkämpft und sich für Grund- mehr hinnehmen wollen. 14258 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 152. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Januar 2005

Olaf Scholz (A) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ nierungsgesetz vor?“ Das ist verschwendetes Geld; das (C) DIE GRÜNEN) sollten die sparen. Meine Damen und Herren, das ist die Situation, die (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Sie immer vor Augen haben müssen, wenn Sie das, was DIE GRÜNEN) Sie hier vorhaben zu sagen, sagen, Wer sich schon angemeldet hat, sollte sich wieder ab- (Heiterkeit bei der CDU/CSU – Ina Lenke melden. Das ist nicht notwendig. Wenn Sie einen [FDP]: Warten Sie doch erst einmal ab!) Rechtsanwalt gefunden haben, der sagt, man müsse vor- sorgen und dokumentieren – was man überhaupt nicht wenn Sie aufschreiben, was Sie an verschiedenen Stellen muss –, schon aufgeschrieben haben und was Sie auch anderswo nachlesen können, nämlich dass es uns angeblich darum (Markus Grübel [CDU/CSU]: Aber beweisen gehe, in die Privatbeziehungen der Bürger hineinzu- muss man es können!) gehen. dann sollten Sie ihn auf Schadenersatz verklagen, weil er (Dr. Norbert Röttgen [CDU/CSU]: Da meldet Sie falsch beraten hat. Das ist die Situation. sich Ihr schlechtes Gewissen!) (Beifall bei der SPD und beim BÜNDNIS 90/ Wenn man sich klar macht, was die Gefühle eines behin- DIE GRÜNEN – Markus Grübel [CDU/CSU]: derten Menschen sind, der dort nicht eingelassen wird, Haben Sie das Gesetz überhaupt schon einmal gelesen?) (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Sie müssen Herrn Schröder verklagen!) Ich glaube, dass wir uns in einer rechtlichen Kultur befinden, die man folgendermaßen beschreiben kann: dann kommt man zu dem Schluss, dass es zynisch ist, Verbandsvertreter, Rechtsanwälte und alle, die einen be- wenn man liest und hört, dass es ein unangemessenes raten – auch Politiker –, handeln ganz marktwirtschaft- Vorgehen des Staates wäre, sich in diese Angelegenheit lich: Wenn man laut schreit, gibt es mehr Geld. Sicher- einzumischen. Wir wollen uns einmischen – im Sinne lich hat die Tatsache, dass wir unseren Gesetzentwurf des Anstands, den wir hier in diesem Land zu vertreten vor Weihnachten vorgestellt haben, auch dazu beigetra- haben. gen, dass mancher Verbandsvertreter mehr an die Weih- nachtsprämie und an die Zusatzvergütung gedacht hat, (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ als er gesagt hat: Ihr müsst noch einmal Geld an meinen DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der Verband überweisen, weil ich euch vor etwas warnen FDP) muss. Das war aber falsch und nicht notwendig. (B) (D) Es ist auch so, dass wir ein sehr pragmatisches Gesetz (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der gemacht haben. Das wichtigste Kennzeichen für den SPD) Pragmatismus, den wir in diesem Gesetz haben walten lassen, Insofern, glaube ich, ist hier eine angemessene Betrach- tung angebracht. (Dirk Niebel [FDP]: Definieren Sie doch ein- mal bitte „pragmatisch“!) Das beliebteste Beispiel zu diesem Thema – ich will es gerne aufgreifen; jeder darf dabei etwas Falsches sa- ist, dass man sich ohne besondere Lektüre dieses Geset- gen und sich dennoch gut fühlen – ist immer wieder – in zes gesetzeskonform verhalten kann. verschiedenen Varianten falsch nacherzählt –, dass je- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten mand, der sich um eine Wohnung beworben und sie des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – La- nicht bekommen habe, nur behaupten müsse, er werde chen bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zuruf diskriminiert, weil er homosexuell sei; schon müsse der von der CDU/CSU: Dann können wir es ja Vermieter beweisen, dass das Gegenteil der Fall sei. Das gleich lassen! – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: ist grober Unfug. Das steht nicht im Gesetz. Das Gesetz Wozu brauchen wir dann überhaupt ein Ge- wird auch niemals so ausgelegt werden können. Aber all setz?) die, die das immer wieder behaupten, leben davon, dass sie auf lauter Leute treffen, die erst einmal annehmen: Wer so ist, wie wir alle sein wollen – trotz Ihrer Aufre- Ein Abgeordneter lügt nicht. gung glaube ich, dass Sie persönlich etwas für das Ge- setz übrig haben – und wie ein anständiger Bürger sein (Zurufe von der CDU/CSU) sollte, der wird mit diesem Gesetz keine Probleme haben Diese Leute denken sich: Wenn er das sagt, wird das und braucht auch keinen Rechtsanwalt. wohl so im Gesetz stehen. – Es steht aber nicht im Ge- setz. Deshalb sage ich Ihnen: Das werden Sie im Gesetz (Beifall bei der SPD – Dr. Heinrich L. Kolb nicht finden. [FDP]: Montesquieu! – Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: Wer sich an die zehn Gebote (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ hält, braucht auch keine Gesetze!) DIE GRÜNEN – Dirk Niebel [FDP]: Das ist ja eine Faschingsrede!) Es ist auch nicht notwendig, dass jetzt viele Unterneh- men die teuren Seminare besuchen, die überall angebo- Damit Sie es nicht so leicht haben, haben wir uns bei ten werden: „Wie bereite ich mich auf das Antidiskrimi- der Gesetzgebung einen ganz wichtigen Schritt überlegt. Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 152. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Januar 2005 14259

Olaf Scholz (A) Wir haben nämlich gesagt: In der Frage der Beweis- Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: (C) erleichterung, die uns die EU in vielen Fällen vorge- Herr Kollege Scholz, gestatten Sie eine Zwischen- schrieben hat und die wir auch gerne umsetzen wollen, frage der Kollegin Lenke? greifen wir das auf, was wir schon in unserer Rechtsord- nung haben. In § 611 a BGB steht, dass es eine Beweis- Olaf Scholz (SPD): erleichterung gibt, wenn jemand im Arbeitsleben wegen Ich bin zwar fast am Ende meiner Rede, aber bitte. seines Geschlechts diskriminiert worden ist. Das ist eine pragmatische Regelung, bei der man all die unwahren, schrillen Töne abtesten kann, die jetzt erklungen sind. Es Ina Lenke (FDP): gab wegen dieses Paragraphen nämlich keine Prozess- Herr Scholz, vielleicht sind Sie gleich mit Ihrem La- flut. Es hat auch keine Dokumentationspflichten und tein am Ende, wenn Sie auf meine Frage antworten sol- keinen strukturellen Missbrauch wegen dieser Regelung len. Ich frage Sie, ob es richtig ist, dass Sie die Richtlinie gegeben. Ja, am Anfang haben sich fünf naseweise 2000/78/EG vom 27. November 2000 nicht, wie die EU es vorgeschrieben hat, bis zum Dezember 2003 umge- männliche Jurastudenten auf Frauenjobs beworben, in setzt haben. Sie sagten, dass Sie die Vorgaben der EU der Hoffnung, dass jemand sagt: Ich nehme keine Män- gar nicht brauchten; aber bis 2003 haben Sie gar nichts ner. Das hat halb geklappt, halb nicht. Nun hat die gemacht. Rechtsprechung das klargestellt. Sie können jedenfalls an wenigen Händen abzählen, wie viele Verfahren es zu (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE diesem Thema gibt. Dann wissen Sie, dass es einfach die GRÜNEN]: Frau Lenke, guten Morgen! – Zu- Unwahrheit ist, zu sagen, hier drohe Bürokratie und hier rufe von der SPD: Oh!) drohe eine Prozessflut. Das ist nichts weiter als Propa- Es war fast ein Vertragsverletzungsverfahren anhängig. ganda, die keine Rechtfertigung in diesem Gesetzesvor- Vielleicht können Sie sich einmal dazu äußern. haben hat. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Olaf Scholz (SPD): DIE GRÜNEN) Ich bedanke mich für Ihre Frage. Die letzte der beliebten falschen Behauptungen lautet, (Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD) wir gingen hier unglaublich über die Vorgaben der Euro- Es ist in der Tat so, dass mittlerweile eine ganze Reihe päischen Union hinaus. Zunächst einmal ist dazu zu sa- von Richtlinien, die umgesetzt werden müssen, aufge- gen: Wir machen das Gesetz nicht, weil die EU uns dazu (B) laufen ist, und manche davon hätten schon umgesetzt (D) zwingt, sondern deshalb, weil wir das für richtig halten. sein müssen. Das ist gar nicht zu bestreiten. Wir bekennen uns zu dem, was wir da machen. (Dr. Norbert Röttgen [CDU/CSU]: Das ist (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Ihnen aber völlig egal!) DIE GRÜNEN – Ina Lenke [FDP]: Das hat ja Ein wenig müssen Sie sich – ich weiß nicht, wie Sie sich lange gedauert! Sie hatten fast ein Verlet- hier einlassen wollen – oder wenigstens die Vertreter Ih- zungsverfahren am Hals! – Dr. Heinrich L. rer Partei und von der Union schon darauf verständigen, Kolb [FDP]: Warum lassen Sie sich dann so was Sie sagen wollen. Wollen Sie sagen, wir gingen zu viel Zeit?) weit, oder wollen Sie sagen, wir seien nicht rechtzeitig Es ist auch richtig, dass es mittlerweile vier Richtlinien genug fertig geworden? Beides ist nicht dasselbe. gibt, die wir umsetzen müssen. Aber jeder, der den Satz (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ sagt oder schreibt, wir gingen über die Vorgaben hinaus, DIE GRÜNEN – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: hofft, dass ihn keiner fragt, was er eigentlich damit Das eine hat mit dem anderen doch nichts zu meint. Denn dann müsste man antworten, dass damit tun! Ganz unterschiedliche Zusammenhänge, nicht gemeint ist, wir gingen bei der Ausgestaltung der Herr Scholz! – Zurufe von der CDU/CSU) Rechte zu weit, etwa in Bezug auf Beweiserleichterung, Deshalb will ich Ihnen gerne sagen, dass wir das sehr in Bezug auf die Unterstützung durch Antidiskriminie- bewusst so gemacht haben. Manchmal ist es nämlich so, rungsverbände oder in Bezug auf ähnliche Dinge – diese dass eine längere Beratungszeit dazu beiträgt, dass man sind ja vorgeschrieben; das sollen wir machen –, sondern einen umfassenden und sorgfältig abgewogenen Gesetz- dass wir in dem Punkt darüber hinausgehen, dass wir entwurf zustande bringt, so wie wir es jetzt geschafft ha- zum Beispiel Menschen mit Behinderungen einbezie- ben. hen. Wenn Sie der Meinung sind, wir sollten für die Menschen mit Behinderungen nichts tun, dann sagen Sie (Markus Grübel [CDU/CSU]: Die Regierung das auch, statt sich auf einen so abstrakten, nicht hinter- hat das nicht zustande gebracht!) fragbaren Satz wie den zurückzuziehen, wir gingen über Deshalb glaube ich, dass sich die lange Beratungszeit in die Vorgaben hinaus. einem guten Ergebnis niedergeschlagen hat. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten DIE GRÜNEN) des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) 14260 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 152. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Januar 2005

Olaf Scholz (A) Letzte Bemerkung: Wir hielten es für richtig, auf der Mit der Ausweitung der Diskriminierungstatbestände (C) Ebene der Zivilgesellschaft und des Privatrechts zu blei- auf Religion, Weltanschauung, Behinderung, Alter, ben. sexuelle Identität und Geschlecht verfolgen Sie eine be- stimmte Ideologie (Zuruf von der CDU/CSU: Es gibt auch Straf- recht!) (Sebastian Edathy [SPD]: Eine demokratische Wir haben uns das, was die französischen konservativen Ideologie!) Juristen im Rechtsausschuss vorgetragen haben, nicht zu und ändern die Wertmaßstäbe. Eigen gemacht. Diese haben vorgeschlagen, eine hohe Behörde einzurichten, die in alle Privatbeziehungen in- (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE tervenieren kann, und das Strafrecht zu verschärfen. Wir GRÜNEN]: Das heißt, in diesem Bereich wol- haben gesagt, die Menschen sollen das untereinander re- len Sie das Recht auf Diskriminierung!) geln. Dabei helfen wir ihnen. Das ist ein Fortschritt für Es drängt sich die Frage auf, ob das Ziel wirklich die Be- dieses Land. seitigung von Diskriminierung ist oder bereits der Schritt Schönen Dank. zur Bevorzugung von Bevölkerungsgruppen mit be- stimmten Merkmalen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) (Nicolette Kressl [SPD]: So ein Blödsinn!) Diese Frage muss erlaubt sein. Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: Das Wort hat nun die Kollegin Maria Eichhorn, CDU/ So sucht man den Schutz der Familie bei den ge- CSU-Fraktion. schützten Gruppen vergeblich. (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Ina Lenke [FDP]) Maria Eichhorn (CDU/CSU): Sie bildet unverändert auch heute noch die Basis unserer Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Gesellschaft und die Basis der Finanzierung unserer So- Scholz, wir sind zwar in der Faschingszeit, aber dieses zialversicherungssysteme. Es stellt sich daher die Frage, Gesetz ist so weit reichend, dass es es verdient hätte, ob nicht auch gesellschaftliche Gruppen ohne politische sich ernsthaft mit ihm auseinander zu setzen. Das wer- und weltanschauliche Extrempositionen den Schutz un- den wir tun. serer Gesellschaft verdienen. (B) (D) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Zu- (Nicolette Kressl [SPD]: Was sind das denn für ruf von der SPD: Davon haben wir bisher Extrempositionen bei Behinderten? Was soll nichts gehört!) das denn?) Meine Damen und Herren, vor dem Gesetz sind alle Das Gesetz bringt weit gehende Einschnitte im ar- Menschen gleich. Art. 3 unseres Grundgesetzes und ver- beitsrechtlichen Bereich mit analoger Anwendung auf schiedene Vorschriften schützen die Bürgerinnen und Beamte. Im Zivilrecht sind das Versicherungs- und das Bürger vor Benachteiligungen aufgrund bestimmter Mietrecht besonders betroffen. So schaffen Sie zusätz- Merkmale wie Geschlecht, Abstammung, Religion, Be- liche Bürokratie und sorgen für eine noch stärkere Über- hinderung usw. Dieses unbestrittene Grundrechtsprinzip regulierung unserer Gesellschaft. hat Konsequenzen: Einer Frau darf nicht deshalb ein Ar- beitsplatz verweigert werden, weil sie eine Frau ist. Wie (Zuruf von der SPD: So ein Quatsch!) lässt sich dieses nachweisen? Steht dem nicht das Prin- zip der Vertragsfreiheit entgegen? Es sollte doch jeder Kleine und mittelständische Betriebe werden besonders Verträge abschließen können, mit wem er will. darunter leiden. Das Gesetz ist ein Arbeitsplatzverhinde- rungsgesetz, Die Umsetzung der EU-Gleichbehandlungsrichtlinien durch das vorliegende Gesetz gibt der Politik der Anti- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – diskriminierung in Deutschland einen völlig neuen Stel- Zurufe von der SPD: Ha, ha!) lenwert. Der Gesetzentwurf geht weit über die von der und das bei einer Rekordzahl von 4,4 Millionen Arbeits- EU vorgeschriebenen notwendigen Regelungen hinaus. losen. Das ist unverantwortlich. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE (Christel Humme [SPD]: Also diskriminieren GRÜNEN]: Sagen Sie doch mal, wo!) wir weiter!) Das gilt sowohl für die Diskriminierungstatbestände als Mit der Einrichtung einer Antidiskriminierungs- auch für die betroffenen Rechtsgebiete. Die EU verlangt stelle, die beim Familienministerium vorgesehen ist, nur ein zivilrechtliches Diskriminierungsverbot auf- geht der Gesetzentwurf ebenfalls über die EU-Richtli- grund der Rasse und der ethnischen Herkunft. nien hinaus. Diese Richtlinien sehen eine solche Stelle (Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/ nur für die Benachteiligung wegen Rasse, ethnischer DIE GRÜNEN]: Und Sie wollen die Behin- Herkunft und Geschlecht vor. Zusätzliche Bürokratie derten weiter diskriminieren!) entsteht bei dieser Stelle durch die detaillierte Regelung Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 152. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Januar 2005 14261

Maria Eichhorn (A) der Rechtstellung des Leiters und durch einen 16-köpfi- Trotz aller Gleichstellungsbemühungen seit Jahrzehn- (C) gen Beirat, der Anspruch auf umfangreiche Geldleistun- ten fließt das Merkmal „Geschlecht“ in die Bewertungs- gen hat. praxis der Arbeit, die überwiegend von Frauen verrichtet wird, immer noch mit ein. Eine der Hauptaufgaben dieser Stelle ist die Öffent- lichkeitsarbeit, und das für schätzungsweise 5,6 Mil- (Elke Ferner [SPD]: Aha!) lionen Euro jährlich. Aber bei unserer hervorragenden Frauenarbeit wird systematisch unterbewertet. Selbst- Haushaltslage sind das ja nur Peanuts. verständlich gilt der Rechtsanspruch „gleiches Entgelt Wenn man die eigentlichen Aufgaben der Stelle nach- für gleichwertige Arbeit“. Doch gibt es andere Möglich- liest, stellt sich zugleich die Frage nach der Wirksamkeit keiten, Frauen- und Männerarbeit unterschiedlich zu be- dieser Einrichtung. Erfahrungen mit der Ombuds- zahlen. Das gilt auch bei höherem Ausbildungsniveau. mannstelle in Schweden zeigen jedoch, dass diese Stelle So lag der durchschnittliche Nettoverdienst im zwar vermittelt, aber faktisch nichts durchsetzen kann. Jahre 2002 bei Männern in höheren Positionen bei Also viel Wind, aber kein Erfolg. 2 454 Euro und bei Frauen in gleicher Position bei durchschnittlich nur 1 626 Euro. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie wollen also die Stelle stärken! Wir sind uns einig: Auch hier gibt es noch viel zu tun. Sie wollen, dass sie überall interveniert! Inte- (Zurufe von der SPD: Aha!) ressante Position!) Aber gibt das Antidiskriminierungsgesetz darauf die Was ist Diskriminierung? Diskriminieren bedeutet richtige Antwort? Das ist die Frage. herabsetzen, herabwürdigen. Eine Rollstuhlfahrerin be- richtet, ein Hotelbetreiber, der nach seinen eigenen Wor- (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- ten über einen barrierefreien Zugang verfügt und auch NEN]: Geben Sie mal eine Antwort!) Zimmer anbietet, die für Rollstuhlbenutzer geeignet sind, habe ihr mitgeteilt, dass er nicht gerne Zimmer an Die unklaren Definitionen im Gesetzentwurf werfen Rollstuhlfahrer vermiete. Weiter sagte er zu der darauf- viele Fragen auf. Die Formulierungen sind vielfach we- hin sprachlosen Frau, nebenan gebe es ein Altenheim; der rechtlich noch fachlich durchdacht. Rechtsanwälte sie solle doch dort nachfragen, ob ein Zimmer zur An- und Gerichte können sich über viel zusätzliche Arbeit mietung frei sei. freuen. Wer meint, diskriminiert worden zu sein, braucht diesen Verdacht nur noch glaubhaft zu machen. Der Be- (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- schuldigte muss dann vor Gericht seine Unschuld bewei- NEN]: Deshalb wollen Sie es so lassen?) sen. Dies führt zu langen und schwierigen Gerichtsver- (B) handlungen. (D) Behinderte erfahren ebenso Diskriminierungen zum Beispiel bei Reisen, bei Veranstaltungen, in der Gastro- Ein Vermieter wird danach künftig nachweisen müs- nomie, beim Abschluss von Versicherungsverträgen. sen, dass er einen Mieter abgelehnt hat, weil er an seiner Dies wurde bei einem Werkstattgespräch der CDU/CSU- Zahlungsfähigkeit zweifelt, und nicht etwa deswegen, Fraktion im Oktober bestätigt. weil er zum Beispiel eine dunkle Hautfarbe hat. Die Beweislastumkehr wird für viele zur Diskriminierungs- (Sebastian Edathy [SPD]: Sie reden mit den falle. Leuten und wir handeln! Das ist der Unter- schied!) (Sebastian Edathy [SPD]: Wo steht die denn? – Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Diese Diskriminierungen müssen wir aufdecken und für NEN]: Wenn die im Gesetz stünde, dann wäre Abhilfe sorgen. es schon schlimm!) (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE Das zeigen Erfahrungen in den USA und in Großbritan- GRÜNEN]: Dann wollen Sie doch über die nien. EU-Richtlinie hinausgehen!) Die Behindertenverbände haben zum vorliegenden Ge- Bereits in der Vergangenheit hat sich gezeigt, dass Regelungen, die eigentlich schützen sollten, kontrapro- setzentwurf bereits Verbesserungsvorschläge gemacht. duktiv waren. Ich erinnere nur an die von Ihnen einge- Diese werden wir aufgreifen und im Gesetzgebungsver- fahren wohlwollend prüfen. führte gesetzliche Regelung zur Teilzeitarbeit. Ich will einen weiteren Fall schildern. Einem 70-jäh- Meine Damen und Herren, das Ziel des vorliegenden rigen Bankkunden wurde mit Hinweis auf sein Alter der Gesetzentwurfes, bestimmte Personenkreise umfassend Dispositionskredit gekündigt, obwohl sich seine Vermö- zu schützen, mag vielleicht juristisch erreicht werden. Es gensverhältnisse nicht geändert hatten. Auch Jüngere ist jedoch äußerst zweifelhaft, ob der Schutz dieser Per- sind von Diskriminierung betroffen. Über 50-Jährige sonen tatsächlich erreicht werden kann. Hinzu kommt, – das wissen wir – haben kaum noch Chancen auf dem dass das Risiko von Schadensersatzansprüchen dazu Arbeitsmarkt. führen kann, dass der Kontakt mit den Geschützten von vornherein vermieden wird. So sagt der Haus- und (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE Grundbesitzerverein: Die geplanten gesetzlichen Verän- GRÜNEN]: Deshalb haben wir das Alter mit derungen im Bereich des Mietrechts helfen nicht den ge- aufgenommen!) schützten Personen, sondern erschweren die Integration 14262 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 152. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Januar 2005

Maria Eichhorn (A) von Minderheiten. Andere wiederum, die wie der Deut- tungen und zum Arbeitsmarkt, zu verschaffen. Ziel die- (C) sche Juristinnenbund das Gesetz begrüßen, stellen fest, ses Gesetzes ist es nicht, den Bürgerinnen und Bürgern dass die Verbesserungen gering ausfallen. vorzuschreiben, wie sie zu denken haben. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE (Zuruf von der CDU/CSU: Das ist großzügig!) GRÜNEN]: Die wollen weitergehen! Wollen Sie auch weitergehen? Sagen Sie doch einmal, Ein gleichberechtigter Zugang zum Markt gewinnt in was Sie wollen! Minus und Plus kann man Zeiten, in denen sich der Staat aus immer mehr Berei- nicht gleichzeitig wollen!) chen zurückzieht und das Angebot privaten Trägern überlässt, zunehmend an Bedeutung. Wer heute keinen Nikolaus Piper warnt in einem Kommentar der „SZ“ gleichberechtigten Zugang zu Waren und Dienstleistun- vom 1. Dezember 2004 – Herr Scholz, die „Süddeutsche gen und zum Arbeitsmarkt hat, hat keine Chance, sich in Zeitung“ ist ja keine Zeitung, die Ihnen schlecht geson- dieser Gesellschaft frei zu entfalten und sich selbstver- nen ist – vor einer überzogenen Antidiskriminierungs- antwortlich zu engagieren, wie wir es aber bei der politik, die in eine Falle gerate. Ich zitiere: Agenda 2010 von den Menschen erwarten. Deshalb ist Das gut Gemeinte richtet sich in der Überdosis ge- das, was wir mit diesem Gesetz bewirken wollen, nur gen das eigentlich verfolgte Ziel. Nicht der Erfolg fair. der potenziell Diskriminierten ist das Ergebnis, son- Man muss die Dinge auch zu Ende denken, Frau Kol- dern die ökonomische und gesellschaftliche Läh- legin Eichhorn. Es ist richtig: In diesem Gesetzentwurf mung. steht nicht das Verbot der Diskriminierung aufgrund des (Sebastian Edathy [SPD]: So ein Unsinn!) Familienstandes. Würden wir dies aber in das Gesetz aufnehmen, handelten wir mit Zitronen. Dann dürfte Er fährt fort: nämlich niemand mehr Ehepaare und Familien bevorzu- Die Bundesregierung wäre gut beraten, die von gen, sie würden den Sanktionen dieses Gesetzes unter- Brüssel verordnete Politik so behutsam wie mög- liegen. lich umzusetzen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Wir respektieren den verfassungsrechtlichen Schutz neten der FDP) von Ehe und Familie. Wir haben mit Interesse zur Kenntnis genommen, dass dies offensichtlich nicht mehr Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: der Frauenpolitik der Union entspricht. Ich erteile das Wort dem Kollegen Volker Beck, (B) Bündnis 90/Die Grünen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (D) sowie bei Abgeordneten der SPD) Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): In der Tat gehen wir mit diesem Gesetz an einer Stelle Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Bei- deutlich über das uns von der EU Vorgeschriebene hi- trag der Union lässt mich – das muss ich Ihnen geste- naus: Wir wollen die Diskriminierung im Zivilrecht hen – etwas ratlos zurück. nicht nur hinsichtlich Rasse, ethnischer Herkunft und, wie wir dies neuerdings tun müssen, Geschlecht untersa- (Heiterkeit und Beifall beim BÜNDNIS 90/ gen. Man soll auch Behinderte, alte Menschen, religiöse DIE GRÜNEN und bei der SPD) Minderheiten wie Juden und Muslime sowie Homo- Man sollte sich schon entscheiden, ob man, wie es man- sexuelle nicht diskriminieren dürfen; das scheint Sie, che, insbesondere die betroffenen Verbände, tun, kritisie- wenn ich das richtig vernommen habe, am meisten zu ren will, dass man noch mehr hätte machen können und stören. wir nicht weit genug gegangen seien, oder ob man kriti- Ich kann mir angesichts unserer Geschichte – wir sieren will, dass wir viel zu weit gegangen seien. Da werden jetzt den 60. Jahrestag der Befreiung vom Fa- sollte man sich schon entscheiden. schismus begehen – schlichtweg nicht vorstellen, dass (Beifall bei Abgeordneten der SPD) wir in Deutschland ein Antidiskriminierungsgesetz ver- abschieden, nach dem Behinderte und Juden nicht vor Die Tatsache aber, dass es in beide Richtungen Kritik Diskriminierung geschützt werden. an unserem Gesetzentwurf gibt, zeigt, dass wir einen ausgewogenen Kompromiss (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Die Werteordnung des Grundgesetzes erteilt der Dis- kriminierung und der Ausgrenzung aufgrund bestimmter zwischen einerseits einem wirksamen Diskriminierungs- Persönlichkeitsmerkmale eine klare Absage. Das ist in schutz und andererseits keiner unnötigen Belastung der Art. 3 des Grundgesetzes geregelt. Art. 3 des Grundge- Wirtschaft und der Anbieter von Dienstleistungen gefun- setzes bindet aber unmittelbar nur den Staat und seine den haben. Organe. Das heißt: Der Staat darf den Bürger nicht dis- Ziel dieses Gesetzes ist es, jedem Bürger und jeder kriminieren. Wir wollen aber, dass die Bürger die glei- Bürgerin in unserem Land einen gleichberechtigten Zu- chen Möglichkeiten haben, wenn es zum Beispiel darum gang zum Markt, zum Handel mit Waren und Dienstleis- geht, Versicherungsverträge abzuschließen oder eine Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 152. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Januar 2005 14263

Volker Beck (Köln) (A) Wohnung zu mieten, und nicht aufgrund bestimmter Kürzlich lief bei RTL eine Fernsehsendung, in der (C) Merkmale, zum Beispiel weil sie zu alt sind, weil sie zehn Versicherer befragt wurden, wie sie es mit Lebens- eine Frau oder eben ein Mann sind, weil sie schwul oder versicherungen für Homosexuelle, die eine eingetra- heterosexuell sind oder weil sie behindert sind, davon gene Partnerschaft haben, halten. Das Ergebnis war: ausgeschlossen sind. Wir wollen jedem die gleichen Lebensversicherungen und Krankenversicherungen ver- Chancen und Möglichkeiten eröffnen. weigern einen Vertrag, weil sie Homosexuelle offen- Was ist heute Realität? Es ist zwar nicht flächen- sichtlich für krank halten und deshalb ein höheres Ri- deckend der Fall, kommt aber immer wieder vor, dass siko befürchten. Frauen höhere Tarife bei Kranken- und Lebensversiche- Wenn Sie einmal unsere Frauenpolitiker fragen, wie rungen zahlen. Homosexuellen werden Lebensversiche- die Konditionen für Versicherungsverträge aussehen, rungsverträge pauschal verweigert. Menschen nicht dann werden sie Ihnen sagen, dass Frauen bei Verträgen deutscher Herkunft, Schwule und Lesben sowie Behin- im Bereich der Lebensversicherung einfach überall mehr derte erfahren vergleichbare Diskriminierungen im Gas- zahlen als Männer. – Sie bleiben bitte stehen, bis ich Ihre tronomiebereich. Solche Leute will man nicht bedienen, Frage beantwortet habe, Herr Scheuer. Wenn man eine man will sie dort nicht haben. Ausländisch aussehenden Frage stellt, muss man die Antwort aushalten. Das ist jungen Männern wird der Zugang zu einer Diskothek unsere Regel hier. verweigert. Behinderte Menschen werden oft in einem Ferienhotel nicht aufgenommen, weil man unterstellt, sie (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN würden die anderen Gäste stören. Das wollen wir abstel- und bei der SPD) len. Bislang ist dies durch unsere Rechtsprechung ge- Gibt es dafür, dass Frauen mehr zahlen als Männer, ei- deckt. Es gibt Gerichtsurteile, nach denen der Wert der nen guten Grund? Wir wissen aus versicherungsmathe- Leistung eines Reiseveranstalters gemindert werden kann, wenn Behinderte am Nebentisch ihre Mahlzeit matischen Berechnungen, dass es andere Kriterien gibt, einnehmen. Das ist eine Ungeheuerlichkeit. Sie können die für den Schadensverlauf und für das Risiko des Ver- doch nicht wollen, dass das so bleibt. sicherers wesentlich relevanter sind. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Wir werden mit diesem Gesetz dafür sorgen, dass und bei der SPD) Versicherer in Zukunft nur aufgrund von versicherungs- mathematischen Kriterien unterschiedliche Tarife auslo- Besonders gravierend sind die Benachteiligungen im ben können. – Sie wollen nicht mehr lernen, deshalb er- Arbeitsleben, bei der Einstellung, beim beruflichen Auf- spare ich Ihnen den Rest. Bitte setzen Sie sich, Herr stieg, bei den Arbeitsbedingungen und bei der Entloh- Kollege! (B) nung. Deshalb haben wir dafür gesorgt, dass das abge- (D) stellt wird. (Heiterkeit und Beifall beim BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN und bei der SPD) Lassen Sie mich kurz zum Schluss kommen. Geschlechtergerechtigkeit und der Ausbau des Diskri- Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: minierungsschutzes sind keine Luxusartikel, sondern Möchten Sie, bevor Sie zum Schluss kommen, eine notwendige Zutaten einer wirksamen Modernisierungs- Zwischenfrage zulassen? politik. International kann keine Volkswirtschaft beste- hen, die nur nach Altvätersitte geführt wird. Im Zeitalter der Globalisierung ist die Anerkennung von Diversity Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): ein wichtiges Element für wirtschaftlichen Erfolg. Nie- Aber selbstverständlich. mand hat die Illusion, dass Diskriminierung nun per Knopfdruck über Nacht verschwindet. Ein Antidiskrimi- Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: nierungsgesetz ist aber ein wichtiges gesellschaftspoliti- Der Kollege Scheuer hatte sich gemeldet. Bitte schön. sches Signal der Integration: ein Signal für das ernsthafte Bemühen um Geschlechtergerechtigkeit und ein Signal Andreas Scheuer (CDU/CSU): gegen die Herabwürdigung und Ausgrenzung von Men- Herr Kollege Beck, Sie malen hier das Bild von einer schen, weil sie anders sind. Es wäre schön, wenn wir we- Gesellschaft in Deutschland, die voller diskriminierter nigstens darüber einer Meinung wären. Gruppen und voller ekliger verschiedener Auffassungen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ist. Sind Sie allen Ernstes der Meinung, dass in Deutsch- und bei der SPD) land solch eine Gesellschaft voller Diskriminierung, Neid und Hass vorherrscht? Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das Wort hat nun der Kollege Heinrich Kolb für die Ich bin der Meinung, dass ich die Gesellschaft richtig FDP-Fraktion. beschrieben habe und dass sie nicht voller Diskriminie- rung ist. Ich habe das eben in meiner Rede ausgeführt: Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Solche Diskriminierungen kommen nicht flächen- Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich deckend vor, aber in bestimmten Bereichen immer wie- will zu Beginn meiner Rede hier sehr deutlich und un- der. missverständlich sagen: Die FDP-Bundestagsfraktion 14264 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 152. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Januar 2005

Dr. Heinrich L. Kolb (A) wendet sich wie schon bisher auch heute und in der Zu- (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE (C) kunft mit aller Entschiedenheit gegen Diskriminierung GRÜNEN]: Aber nicht nur für Behinderte, und Intoleranz. sondern auch für Juden und für Schwule und Lesben!) (Beifall bei der FDP) und zwar nicht nur diejenigen, die überfällig sind, weil Wir treten dafür ein, bestehende Diskriminierungen zu ihre Umsetzungsfrist bereits abgelaufen ist, sondern beseitigen und die Rechte von Minderheiten zu stärken. auch die Richtlinien, deren Umsetzungsfrist noch läuft. Wir wollen die gleichen Rechte und auch die gleichen Es macht aus unserer Sicht keinen Sinn, jetzt nur das Chancen für alle Menschen, Überfällige zu erledigen und in einem Jahr oder in zwei (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Jahren wieder anzufangen. NEN]: Und jetzt kommt das Aber!) (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE und das unabhängig von ihrer Rasse, ihrer ethnischen GRÜNEN]: Das Gesetz ist ja noch nicht ein- Herkunft, ihrem Geschlecht, ihrer Religion, ihrer Welt- mal verkündet!) anschauung, ihrer Behinderung, ihres Alters oder ihrer Wir sagen Ja zur Umsetzung der Richtlinien aus einem sexuellen Identität. Guss. (Beifall bei der FDP) (Beifall bei der FDP) Die FDP-Bundestagsfraktion steht auch für EU-Ver- Die FDP-Bundestagsfraktion – Herr Beck, das unter- tragstreue. Herr Kollege Beck, für uns folgt daraus un- scheidet uns; ich bitte Sie, jetzt zuzuhören – will eine zweifelhaft, dass die geltenden EU-Antidiskriminie- Eins-zu-eins-Umsetzung der Richtlinien – nicht weni- rungsrichtlinien in nationales Recht umzusetzen sind, ger, aber auch nicht mehr. und zwar in einer Weise, die sicherstellt, dass die mit den Richtlinien verbundenen Zielsetzungen erreicht werden. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE Dabei fangen wir übrigens nicht bei null an; denn schon GRÜNEN]: Das heißt also: nicht für Behin- bisher tragen viele Vorschriften unseres deutschen derte, nicht für Schwule und Lesben und nicht Rechts dazu bei, Diskriminierung und Benachteiligung für Juden!) zu verhindern und Chancengleichheit zu fördern. Wir lehnen den Gesetzentwurf der Koalition ab, weil er (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten nach unserer Auffassung – das will ich in der Folge be- der CDU/CSU) leuchten – weit über die EU-Richtlinien hinausgeht. Die- ser Gesetzentwurf ist für uns ein erneuter Ausdruck der (B) Ich denke, die FDP-Bundestagsfraktion kritisiert mit rot-grünen Staatsgläubigkeit. Er atmet den Geist der (D) Recht, dass die Bundesregierung ihrer Verpflichtung zur Gutmenschen, die den widerspenstigen Bürger mit der Umsetzung der Richtlinien 2000/43/EG und 2000/78/EG Keule des Gesetzes Mores lehren wollen. nicht rechtzeitig nachgekommen und erst nach Andro- hung eines Vertragsverletzungsverfahrens tätig gewor- (Beifall bei Abgeordneten der FDP – Volker den ist. Das steht doch in klarem Widerspruch dazu, dass Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie, Herr Scholz, und Sie, Herr Beck, sich hier hinstellen Das ist der Ansatz der Union! Da müssen Sie und sagen: Das ist uns ein wichtiges Anliegen. – Wenn sich schon in Brüssel beschweren!) ich heute hier auf die Regierungsbank schaue, muss ich Aber wir meinen: Der Abbau von Diskriminierungen feststellen: Nicht ein Minister Ihrer Regierung ist hier lässt sich nicht – jedenfalls nicht allein – per Gesetz ver- vertreten! Das zeigt, wie ernst und wie wichtig Sie die- ordnen. Das ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. ses Thema nehmen. Wir brauchen eine Veränderung des Bewusstseins, keine (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Prozessflut; denn damit wäre niemandem, der diskrimi- Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- niert wird, geholfen. Was wir brauchen und entwickeln NEN]: Wo ist Ihr Partei- und Fraktionsvorsit- müssen, ist eine Kultur des Miteinanders, in der Dis- zender?) kriminierung und Vorurteile geächtet und Vielfalt und Unterschiedlichkeit akzeptiert und toleriert werden. Wahrscheinlich sind Frau und Frau Zypries gerade noch dabei, sich über die Zuständigkeit (Beifall bei der FDP – Volker Beck [Köln] zu streiten; sonst wären sie möglicherweise hierher ge- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was denn kommen. Die Besetzung der Regierungsbank ist ein nun?) Skandal, Herr Beck. – Ich will Ihnen ja sagen, was unserer Meinung nach ge- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten tan werden kann und soll. der CDU/CSU – Volker Beck [Köln] [BÜND- Bei der Umsetzung der Richtlinien muss man eines NIS 90/DIE GRÜNEN]: Wenn Ihnen sonst sehen: nichts einfällt!) (Zuruf von der SPD: Was denn?) Die FDP-Bundestagsfraktion – Herr Beck, das sage ich, um Gemeinsamkeiten festzuhalten – will, dass die Nicht alles, was im Hinblick auf die EU-Richtlinien neu geltenden EU-Antidiskriminierungsrichtlinien umge- zu regeln ist, muss in einem eigenen Gesetz geregelt hend umgesetzt werden, werden. Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 152. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Januar 2005 14265

Dr. Heinrich L. Kolb (A) (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE ser Vorschrift zufolge sollen sie, wenn ich das richtig (C) GRÜNEN]: Jetzt geht es also um Gesetzes- lese, quasi als arbeitsrechtlicher Antidiskriminierungs- ästhetik! – Dr. Thea Dückert [BÜNDNIS 90/ verband auch ohne den Willen oder die Zustimmung ei- DIE GRÜNEN]: Das ist doch ein reines Ab- nes Benachteiligten tätig werden und vor Gericht Rechte lenkungsmanöver!) geltend machen können. Liebe Kolleginnen und Kolle- gen – wahrscheinlich insbesondere von der SPD –, das Wir glauben zum Beispiel, dass der zivilrechtliche Rege- mag ja als ein Stärkungsmittel für die an Mitglieder- lungsteil der EU-Antidiskriminierungsrichtlinien – so- schwund leidenden Gewerkschaften gedacht sein, ist wohl aus rechtssystematischer Sicht als auch um für die aber weder erforderlich noch sachgerecht. Bürger die Übersichtlichkeit und Verständlichkeit des Rechtssystems zu erhalten und zu vergrößern – besser (Beifall bei der FDP) im BGB als in einem Antidiskriminierungsgesetz enthal- ten sein sollte. Die Schaffung einer neuen Antidiskriminierungs- stelle als eigener Behörde mit umfassendem bürokrati- (Beifall bei der FDP – Volker Beck [Köln] schen Apparat und Stellenkegel ist wahrscheinlich der [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wenn wir ei- Beitrag der Grünen zum Antidiskriminierungsgesetz. nen anderen Standort finden, dann stimmen Hier wird erneut – ich will sagen: ziemlich hemmungs- Sie also zu?) los – die grüne Klientel bedient. – Herr Beck, am Schluss meiner Rede mache ich Ihnen (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten ein Angebot. der CDU/CSU) (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Frau Schewe-Gerigk hat, wie es heute Morgen in einer NEN]: Darüber können wir reden!) Tickermeldung hieß, gesagt, dass sich die Grünen noch Die FDP-Bundestagsfraktion lehnt den von der Koali- mehr Stellen gewünscht hätten. Auch diese Aussage tion vorgelegten Entwurf eines Antidiskriminierungsge- spricht Bände. setzes insbesondere aufgrund folgender Regelungen des Wir meinen, die EU-Richtlinien machen diese Büro- Gesetzentwurfs ab: kratie nicht erforderlich. Stattdessen wäre nach unserer (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE Auffassung die inhaltliche Stärkung der auch schon bis- GRÜNEN]: Weil Sie es im BGB haben wol- her vorhandenen Beauftragten sinnvoll; Frau Beck und len!) Herr Haack sind ja heute Morgen hier oder waren zu- mindest hier. Eventuell auftretende Lücken hinsichtlich (B) (D) Die nach § 24 des Entwurfs vorgesehene Unterstützung der nach EU-Recht notwendigen Kompetenzen und Ziel- durch Antidiskriminierungsverbände und die Ermög- gruppen können durch eine Stelle im Bundesministerium lichung der Abtretung der Forderung Benachteiligter auf für Familie, Frauen, Senioren und Jugend geschlossen Schadensersatz oder Entschädigung in Geld an diese werden. Verbände führt zu einem modernen Ablasshandel in Sa- chen Antidiskriminierung. (Beifall bei der FDP) (Beifall bei der FDP) Aber wir brauchen kein neues bürokratisches Monstrum, keine neue Behörde. Es mag sein – ich bin mir sogar sicher –, dass hier ein neuer, blühender Wirtschaftszweig einstehen würde und Zum Schluss, liebe Kolleginnen und Kollegen, will dass es in Antidiskriminierungsverbänden und in der ich an Sie appellieren – Herr Kollege Beck, wenn Sie Folge auch in Rechtsanwaltskanzleien und bei Gerichten mir freundlicherweise Ihre Aufmerksamkeit schenken zu Beschäftigungswundern käme. Aber die Wirkung der würden –: Es wäre schön, wenn es gelingen könnte, für Regelungen des § 24 auf weite Bereiche unseres Alltags- das wichtige Vorhaben der Umsetzung der EU-Anti- und Wirtschaftslebens wäre verheerend. Hier – das muss diskriminierungsrichtlinien einen breiten Konsens in man sagen – schütten Sie das Kind mit dem Bade aus. diesem Hause herzustellen. Unsere Zustimmung bekommen Sie für diese Regelung (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE nicht. GRÜNEN]: Dann müssen Sie sich aber ein (Beifall bei der FDP) bisschen bewegen!) Die im Gesetzentwurf vorgesehene Umkehr der Be- Wir sind dazu bereit, bisher wollen Sie das aber offen- weislast geht nach unserer bisherigen Einschätzung zu sichtlich nicht. Jedenfalls ist der Entwurf, den Sie, ohne weit. Sie öffnet dem Missbrauch Tür und Tor. Hier müs- auch nur ansatzweise Rücksprache mit der Opposition sen im Hinblick auf die im deutschen Rechtssystem an- zu halten, vorgelegt haben, hierfür keine Basis. Das ist sonsten geltende Unschuldsvermutung die in den Richt- bedauerlich, weil wir in der Vergangenheit bei ähnlichen linien vorgesehenen Spielräume bei der Anpassung des Vorhaben, etwa bei der Verbesserung der Rechte behin- nationalen Rechts genutzt werden. derter Menschen, einen solchen Konsens immer haben herstellen können. Mit dem § 18 des Gesetzentwurfs werden den Ge- werkschaften neue Rechte im Betrieb zugewiesen. Die- (Beifall bei der FDP) 14266 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 152. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Januar 2005

Dr. Heinrich L. Kolb (A) Deswegen meine Bitte, bei den jetzt anstehenden den Schutz vor Diskriminierung als allgemeines Men- (C) Ausschussberatungen den Versuch dazu zu unterneh- schenrecht anerkannt und zu einem zentralen Wert unse- men – auf der Basis des jetzt gültigen Rechts wird un- rer Gesellschaft gemacht. Auf der Grundlage internatio- sere Zustimmung zum ADG jedenfalls nicht möglich naler Verpflichtungen haben wir Gott sei Dank schon sein. viele Vorschriften zur Antidiskriminierung entwickelt. Danke schön. Die Richtlinien gehen aber darüber hinaus: Einen um- (Beifall bei der FDP – Abg. Volker Beck fassenden arbeits-, sozial- und zivilrechtlichen Schutz, [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] mel- wie ihn die europäischen Richtlinien jetzt vorschreiben, det sich zu einer Zwischenfrage) gibt es bei uns in Deutschland noch nicht. Diesen schaf- fen wir jetzt mit diesem Antidiskriminierungsgesetz. Wir wollen, dass es Diskriminierung wegen des Geschlechts, Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: der ethnischen Herkunft, der Religion, der Weltanschau- Ich hätte die Redezeit des Kollegen Kolb ja allzu gern ung, der sexuellen Identität, des Alters und der Behinde- durch eine Zwischenfrage verlängert. Der Wunsch nach rung künftig nicht mehr gibt. Dazu setzen wir die Richt- einer Zwischenfrage hätte aber rechtzeitig angezeigt linien im Arbeitsrecht eins zu eins um. Im Zivilrecht werden müssen. gehen wir über die Richtlinien hinaus: Wir nehmen die (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Lassen Sie ihn Behinderung als Merkmal hinzu. doch eine Kurzintervention machen und ich Ich frage Sie: Wollen Sie denn allen Ernstes, dass in antworte danach!) Zukunft ein Mensch mit Behinderung und weißer Haut- – Um Gottes Willen, diese Anregung habe ich nicht ein- farbe weniger geschützt ist als ein Mensch mit Behinde- mal gehört. rung und dunkler Hautfarbe? Das wäre die Konsequenz Ihres Vorschlages! Nun hat die Kollegin Christel Humme für die SPD- Fraktion das Wort. (Beifall bei der SPD – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Wir müssen uns gemeinsam überlegen, Christel Humme (SPD): wie wir das machen!) Herr Präsident! Liebe Kollegen! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen, liebe Kolleginnen, ich habe gestern Ich freue mich von ganzem Herzen, dass es uns gelun- mit Erstaunen in der „Welt“ gelesen, die Arbeitgeber gen ist – nach zähem Ringen; das gebe ich zu –, heute fühlen sich durch unser Antidiskriminierungsgesetz dis- endlich ein Antidiskriminierungsgesetz in der ersten Le- kriminiert. (B) sung im Bundestag zu haben. Ich danke beiden Fraktio- (D) nen und allen Beteiligten recht herzlich dafür. (Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: Da geht es schon los!) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Diese Arbeitgeber sagen, wir brauchten kein neues Ge- setz, unsere gesetzlichen Regelungen seien ausreichend. Denn ich weiß ganz genau, dass dieses Antidiskriminie- Genau diese Arbeitgeber frage ich, warum Frauen – Frau rungsgesetz von den Betroffenen wirklich sehr ungedul- Eichhorn hat das bestätigt – für eine gleichwertige Ar- dig erwartet worden ist. Leider zeigt ein Blick in die beit heute noch immer im Durchschnitt 30 Prozent weni- Wirklichkeit – Frau Eichhorn, Sie haben das ja schon ger Gehalt bekommen als Männer. Im europäischen Ver- durch viele Beispiele beschrieben –, dass dieses Antidis- gleich ist das übrigens ein Negativrekord. Warum kriminierungsgesetz dringender denn je vonnöten ist. verdienen Frauen weniger, haben aber höhere Aufwen- Erst im letzten Jahr wurde eine Studie von Professor dungen für die Kranken- und Rentenversicherung? Wa- Heitmeyer von der Universität Bielefeld veröffentlicht, rum müssen Frauen aufgrund der Tatsache, dass sie Kin- die bestätigt hat, dass wir es in unserer Gesellschaft zu- der bekommen, noch immer Benachteiligungen am nehmend mit Fremdenfeindlichkeit zu tun haben. Was Arbeitsplatz befürchten? uns fehlt, ist eine Antidiskriminierungskultur, wie sie in angelsächsischen Ländern und auch in nordeuropäi- Ich frage die Arbeitgeber, die so argumentieren, wei- schen Ländern in den letzten 30 bis 50 Jahren zu einer ter: Wie erklären Sie den Menschen, die über 50 Jahre Selbstverständlichkeit entwickelt worden ist. Darum alt sind, dass sie allein aufgrund ihres Lebensalters und – das sage ich Ihnen ganz offen – habe ich überhaupt völlig unabhängig von ihrem Können, ihrer Erfahrung kein Verständnis dafür, dass Sie, meine Herren und Da- und ihrer Einsatzbereitschaft aus dem Arbeitsleben aus- men von der Opposition, mit so einer Vehemenz und mit gegrenzt werden? Welche Begründung geben Sie den viel Polemik gegen unser Gesetz agieren. Menschen, die aufgrund ihrer Hautfarbe als nicht (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ deutsch wahrgenommen werden und denen die Teil- DIE GRÜNEN) nahme am öffentlichen Leben – in Discos und Kneipen, bei der Wohnungssuche, bei Auswahl- und Bewerbungs- Denn Schutz vor Diskriminierung sollte unsere gemein- gesprächen – allein aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu ei- same Aufgabe sein. Diesem Schutz haben wir uns ver- ner ethnischen Gruppe erschwert wird? Ich denke, diese pflichtet – Sie in Ihrer Regierungszeit auch –: In den Beispiele machen deutlich, dass wir unserer Verantwor- letzten 50 Jahren haben wir die verschiedensten völker- tung, die Menschen vor Diskriminierung zu schützen, rechtlichen Übereinkommen ratifiziert. Wir haben damit noch nicht ausreichend gerecht geworden sind. Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 152. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Januar 2005 14267

Christel Humme (A) Kritiker – vor allen Dingen Sie von der Opposition – kussion des Antidiskriminierungsgesetzes positiv beglei- (C) warnen davor, dass Unternehmen durch eine Klageflut, tet haben, sage ich auch an dieser Stelle noch einmal durch Bürokratie und durch Verwaltungsaufwand belas- herzlichen Dank. tet würden. Ich halte das für Horrorszenarien und vorge- schobene Argumente. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Wolfgang Zöller [CDU/ Lassen Sie mich zum Abschluss noch zu einem wich- CSU]: Sie sind realitätsfremd!) tigen Baustein des Gesetzes kommen, nämlich der Ein- richtung der nationalen Gleichstellungsstelle. Ich halte Ich möchte das anhand eines Beispiels belegen. diese Stelle wirklich für den wichtigsten Baustein; denn dort werden die Betroffenen nicht nur beraten, sondern Am vergangenen Dienstag hat die Bundesvereini- dort wird auch Öffentlichkeitsarbeit betrieben. Herr gung der Deutschen Arbeitgeberverbände eine Veran- Scheuer, Sie haben vorhin gesagt, dass unsere Gesell- staltung zum Antidiskriminierungsgesetz durchgeführt. schaft umdenken muss und dass wir eine Antidiskrimi- Ziel war es natürlich, das Antidiskriminierungsgesetz in nierungskultur benötigen. Nur diese Stelle kann das er- wesentlichen Punkten zu kritisieren. Erstaunlich dabei reichen. Dieser Stelle wird ein Beirat zugeordnet, in dem war, dass am Nachmittag, als die eingeladenen Unter- Nichtregierungsorganisationen zusammen mit den Tarif- nehmer zu Wort kamen und ihr Unternehmenskonzept parteien vertreten sind. Dadurch haben die Tarifparteien vorstellten, ganz schnell klar wurde, dass sie sich vor Einflussmöglichkeiten und die Chance – das werden wir dem Gesetz nicht fürchten. Gerade die mittelständische mit dieser Stelle bewirken –, präventive Streitschlich- Industrie ist im Großen und Ganzen sehr gut vorbereitet; tung zu erreichen. Darum geht es. denn viele Unternehmer haben bereits heute erkannt, dass es ihnen auch ökonomisch nützt, wenn sie dazu bei- Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir alle haben es in tragen, ein tolerantes, offenes und familienfreundliches der Hand. Die Gleichbehandlung aller Menschen muss Arbeitsklima mit dem Blick auf Vielfalt zu schaffen. selbstverständlich sein. Damit dies selbstverständlich Kurzum: Wer eine Personalpolitik betreibt, die den Plus- wird, brauchen wir dieses Gesetz. punkt Vielfalt in der Personalstruktur erkennt, der wird bereits präventiv Benachteiligungen verhindern. Vielen Dank. Lassen Sie uns das ganze Gesetz ein wenig unaufge- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ regter diskutieren. Ich glaube zwar, dass die gesell- DIE GRÜNEN) schaftliche Wirklichkeit auf der einen Seite viel Diskri- (B) minierung widerspiegelt, auf der anderen Seite gibt es in Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: (D) ihr aber bereits Entwicklungen, die sehr weit über das hi- Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun das Wort Karl- nausgehen, was wir hier diskutieren. Es geht um Schutz Josef Laumann. vor Diskriminierung. Dieses Ziel erreichen wir mit unse- rem Gesetz, wenn es nicht mehr zu Klagen und Scha- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) densersatzprozessen kommt. Optimal wäre es deshalb, wenn sich Arbeitgeber und Tarifparteien bereits im Vor- Karl-Josef Laumann (CDU/CSU): feld für Antidiskriminierung einsetzen würden, wie es Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich im Gesetz ja auch vorgesehen ist. glaube, dass wir einvernehmlich der Debatte vorwegstel- len dürfen, dass die Diskriminierung eines Menschen An dieser Stelle sage ich aber auch sehr deutlich: wegen äußerer Merkmale oder Veranlagung für einen Funktioniert das im Vorfeld, also präventiv, nicht, dann anständigen Menschen schlicht und ergreifend etwas nützt den Benachteiligten ein Gesetz als Papiertiger Unanständiges ist. überhaupt nichts. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN DIE GRÜNEN) und der FDP) In Konfliktsituationen brauchen sie Hilfe und Beistand Gerade für uns Unionsabgeordnete hängt das zutiefst durch Verbände, um ihre Rechte durchzusetzen. Ich mit unserem christlichen Menschenbild zusammen; denke, das ist von großer Bedeutung; denn Personen, die denn das christliche Menschenbild ist immer von der un- sich, allein auf sich gestellt, gegen eine Benachteiligung verletzbaren Würde eines jeden Menschen ausgegangen wehren müssen, schrecken zunächst einmal vor einer und hat im Übrigen immer ein sehr tolerantes Menschen- Durchsetzung ihrer Rechte zurück, weil sie wiederum bild vertreten. Das wird es auch in Zukunft tun. persönliche Benachteiligungen erfahren bzw. befürch- ten. Das hat die jetzige Praxis gezeigt. (Beifall bei der CDU/CSU) Ich bin sehr froh, dass es uns gelungen ist – das sage Ich halte es für völlig richtig, dass sich eine Gesell- ich hier noch einmal ganz deutlich –, mit dem Gesetz schaft Regeln gibt, die allen deutlich machen, dass Dis- auch die Verbände zu stärken, die sich seit Jahrzehnten kriminierung schlecht ist und geahndet werden muss. Ich in verantwortungsbewusster und beeindruckender Weise habe also im Grundsatz nichts gegen ein Antidiskrimi- für die Verhinderung und Beseitigung von Diskriminie- nierungsgesetz. Uns liegt heute ein Gesetzentwurf vor, rung eingesetzt haben. Diesen Verbänden, die die Dis- mit dem wieder einmal EU-Recht umgesetzt wird. Wir 14268 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 152. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Januar 2005

Karl-Josef Laumann (A) wissen, dass Brüssel gerne und viel regelt. Das ist auch die gemessen an den objektiven Kriterien vielleicht nicht (C) hier passiert. so gute Bewerbungsunterlagen haben, aber durch ihre Persönlichkeit einiges wettmachen könnten, bei denjeni- Es liegen uns drei EU-Richtlinien vor, die die Diskri- gen, die jetzt nur noch formal entscheiden, den Kürzeren minierung wegen des Geschlechtes, die Diskriminierung ziehen. Glauben Sie bloß nicht, dass diese Regelung für wegen Rasse und ethnischer Herkunft und die Diskrimi- alle nur gut ist. nierung wegen Religion, Weltanschauung, Alter, Behin- derung und sexueller Ausrichtung verbieten und sanktio- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- nieren. Diese Richtlinien betreffen überwiegend den neten der FDP) Bereich des Arbeitsrechtes, also das Verhältnis zwischen Der Mensch ist mehr als die Summe formaler Kriterien. Arbeitgeber und Beschäftigten. Die Richtlinie zur Nicht- Er ist vielmehr – das wissen wir alle – auch eine Persön- diskriminierung wegen Rasse und ethnischer Herkunft lichkeit. Ich finde, sie darf dabei nicht auf der Strecke betrifft darüber hinaus auch den zivil- und sozialrechtli- bleiben. Letzten Endes können Kriterien wie Persönlich- chen Bereich. In einem vereinten Europa, in dem die na- keit, Sympathie und Teamfähigkeit vor Gericht nicht so tionalen Grenzen immer mehr an Gewicht verlieren, ist eindeutig nachgewiesen werden wie Examensnoten, es richtig und im Interesse aller, einheitliche Regelungen Schulnoten oder Noten von Gesellenbriefen. festzuschreiben. Trotzdem betreffen die drei EU-Richt- linien Deutschland in anderer Weise als andere Länder. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das steht alles nicht im Gesetz, So kennen zum Beispiel der angloamerikanische, aber was Sie hier erzählen!) auch der skandinavische Rechtsraum kaum Arbeit- nehmerschutzrechte. Sie haben den Arbeitnehmer- Deswegen geht damit ein gutes Stück Menschlichkeit in schutz vorwiegend über Antidiskriminierungsgesetze der Arbeitswelt verloren. geregelt. Was hier bei uns passiert, ist, dass wir im Grunde unserer Rechtstradition eines ausgeprägten Ar- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- beitnehmerschutzes die Antidiskriminierungsgesetze an neten der FDP) die Seite stellen, die teilweise den gleichen Sachverhalt Es gibt noch einen weiteren Punkt. Natürlich sieht die regeln. Da haben jetzt die Arbeitgeber – das kann ich EU-Richtlinie vor, dass Diskriminierung geahndet wer- auch nachvollziehen – das Gefühl, von zwei Rechtsräu- den muss. Aber es wäre richtig gewesen, wenn wir, wie men eingeschränkt zu werden. Ich finde, das hätten Sie es bisher in Deutschland in § 611 a des Bürgerlichen Ge- schlicht und ergreifend bedenken müssen. setzbuches geregelt ist, die Höhe des Schadenersatz- anspruchs begrenzt hätten, damit das kalkulierbar ist. (Beifall bei der CDU/CSU) (B) (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE (D) Was ziehe ich daraus für eine Schlussfolgerung? GRÜNEN]: Das ist jetzt Zivilrecht und nicht Wenn unsere Rechtstradition nun einmal so ist, dass sie Arbeitsrecht!) Schutzrechte vorsieht, dann hätten Sie bei der Umset- zung der EU-Richtlinie darauf achten müssen, dass Sie Die unbegrenzte Höhe des Schadenersatzes schreibt die sie restriktiv umsetzen. Dass die EU-Richtlinie umge- EU-Richtlinie nicht zwingend vor. setzt wird, ist in Ordnung. Aber Sie hätten nicht über den Standard der EU-Richtlinie hinausgehen müssen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE Sie hätten sich an dem § 611 a orientieren und damit GRÜNEN]: Sagen Sie uns einmal, wo wir im mehr Kalkulierbarkeit und Rechtssicherheit in den Ar- Arbeitsrecht mehr gemacht haben! Das wüsste beitsbeziehungen erreichen können. ich doch gerne!) Ich will ein anderes Beispiel nennen. Ich meine die so – Dazu komme ich gleich. genannten Abmahnvereine. Sie wissen, dass ich immer dafür war, dass Verbände ihre Mitglieder vor Gericht Ein weiterer Tatbestand: So wie die Bundesregierung vertreten können. Ich habe es immer für richtig gehalten, das EU-Recht umsetzen will, befürchte ich, dass sich das dass Gewerkschaften, Behindertenverbände oder der Zusammenleben in den Betrieben in Deutschland verän- VdK ihre Klientel vor Sozialgerichten oder Verwal- dern wird. Ich nenne Ihnen einmal ein Beispiel. Ein vor- tungsgerichten in ihren sozialen Angelegenheiten vertre- sichtiger Arbeitgeber wird in Zukunft bei Einstellungen ten, weil ich weiß, dass viele kleine Leute nicht vor Ge- immer darauf achten, sich an formale, objektiv nach- richt gehen würden, wenn sie das Prozessrisiko tragen weisbare Kriterien zu halten. müssten. Es ist völlig in Ordnung, dass das über einen Beitrag beispielsweise zum VdK geschieht. Ich habe (Christel Humme [SPD]: Das sollte er doch auch nichts dagegen, dass Antidiskriminierungsver- auch heute schon tun!) bände die Vertretung ihrer Leute vor Gericht überneh- Das sind – das ist auch die Einstellungspraxis des öffent- men. Was aber machen Sie? Sie haben die neue Idee, lichen Dienstes – vor allen Dingen Zeugnisnoten und dass ein Mensch einem Verband seinen Schadenersatz- Benotungen von Abschlüssen. Auf der anderen Seite anspruch abtreten kann, der Verband diesen Anspruch wissen wir doch auch, dass bei jeder Einstellung neben vor Gericht geltend macht und unter Umständen das den Noten die Sympathie, Empfehlungen und die Frage, Geld oder Teile des Geldes behält, das als Schaden- ob der Bewerber ins Team passt, wichtig sind. Dieses ersatz gezahlt wird. Das ist gegenüber dem bisherigen Gesetz wird in Wahrheit dazu führen, dass diejenigen, Zustand eine ganz andere Qualität. Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 152. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Januar 2005 14269

Karl-Josef Laumann (A) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Wir hingegen trauen den Menschen zunächst einmal (C) und setzen auf wenige Regelungen und Grundsätze, die Damit tun Sie sich keinen Gefallen. Viele Antidiskri- durchschaubar sind. Machen Sie sich klar, dass es bei minierungsverbände werden in Zukunft geradezu für diesen Fragen nicht in jedem Punkt der Keule des Geset- Fälle werben. Sie werden medienwirksam Prozesse füh- ren, um weitere Fälle zu finden. Sie werden sich daran zes bedarf! Das hat sich schon in der Vergangenheit ge- auch noch bereichern. Ich verstehe nicht, was an dieser zeigt. Erforderlich ist vielmehr die Zivilcourage der Politik sozial sein soll. Menschen, die sich einmischen, wenn sie Diskriminie- rungen beobachten, und deutlich machen, dass ein sol- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- ches Verhalten zu weit geht. Das ist viel wirksamer. neten der FDP) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Ich befürchte, dass Sie auch noch auf die Idee kommen, neten der FDP) das Klagerecht im Sozialrecht und im Verwaltungsrecht für den VdK und andere in dieser Weise zu ändern. Wir trauen den Menschen in Deutschland etwas zu. Wir wollen keinen Staat, der in jeden Lebensbereich hi- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) neinplant und mit der Gesetzeskeule kommt. Wir haben Sie sollten sich wegen dieser Denke wirklich schämen, Vertrauen zu unseren Bürgern und deswegen können wir weil Sie das Kind mit dem Bade ausschütten. es uns auch erlauben, in vielen Punkten auf staatliche Eingriffe zu verzichten. Das unterscheidet uns sehr von (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Rot-Grün. Ich will Ihnen ein weiteres Beispiel nennen. Die EU- Schönen Dank. Richtlinie sieht auch nicht die Haftung der Arbeitgeber wegen des diskriminierenden Verhaltens Dritter vor. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Nicolette Kressl [SPD]: Peinlich, Herr NEN]: Warum haben Sie denn nichts zu Be- Laumann!) hinderten gesagt? Zu den Behinderten haben In Ihrem Gesetzentwurf ist sie aber enthalten. Das hätten Sie nichts zu sagen!) Sie nicht zu tun brauchen. Unterstellt, in eine Bank, in der viele weibliche Mitarbeiter beschäftigt sind, kommt Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: ein muslimischer Mitbürger – das ist ein sehr realer Fall, Nächste Rednerin ist die Kollegin Schewe-Gerigk, den ich jetzt beschreibe –, der sich in Geldangelegenhei- Bündnis 90/Die Grünen. ten nicht von einer Frau beraten lässt. Es ist völlig klar, (B) dass das eine Diskriminierung ist. Das ist nicht in Ord- (D) nung. Da sind wir uns völlig einig. Aber was soll jetzt Irmingard Schewe-Gerigk (BÜNDNIS 90/DIE der arme Arbeitgeber machen? Er könnte die Frau auf GRÜNEN): einen Arbeitsplatz ohne Kundenkontakt versetzen und Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr einen Mann mit ihrer Aufgabe betrauen, damit das Pro- Laumann, Sie haben sich heute nicht gerade als Vorsit- blem für diesen Kundenbereich – diese Kunden will man zender des Arbeitnehmerflügels geoutet. ja behalten – gelöst wird. Wenn die Frau aber mit dieser (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Versetzung nicht einverstanden ist und der Kunde sein sowie bei Abgeordneten der SPD – Zurufe von Verhalten nicht ändert, ist der Arbeitgeber dafür haftbar. der CDU/CSU: Was?) Er kann aber für diese Situation nichts. Es ist doch gera- dezu irrsinnig und weltfremd, was Sie hier vorschlagen. Es waren die Grünen, die vor 20 Jahren als erste ein Dafür werden wir Ihnen unsere Hand nicht reichen kön- Antidiskriminierungsgesetz vorgelegt haben, das den nen. Schutz vor Ungleichbehandlung von Frauen zum Ziel (Beifall bei der CDU/CSU) hatte. Heute beraten wir ein umfassendes Antidiskrimi- nierungsgesetz, Ich glaube, dass dieser Gesetzentwurf sehr deutlich macht, dass Rot-Grün von unserer Gesellschaft ein völ- (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Nach wie vor lig anderes Bild hat als wir von der Unionsfraktion und ohne sonderliches Interesse seitens der Bun- wahrscheinlich auch die FDP-Fraktion. desregierung!) (Ute Kumpf [SPD]: Das stimmt!) das alle Diskriminierungsmerkmale erfasst und sowohl für das Arbeits- als auch für das Zivilrecht gilt. Dieses Bild beruht auf der Vorstellung, dass man alles bis in die letzte Kleinigkeit durch Gesetze regeln und Ich frage Sie, Herr Laumann, welchen Sinn es ma- strafbewehren muss. chen soll, wenn man Frauen vor Diskriminierung schützt, aber behinderte Menschen nicht. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was wollen Sie denn bei den Be- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – hinderten machen, Herr Laumann? Wollen Sie [CDU/CSU]: Wieso denn nicht? Das die im Regen stehen lassen?) stimmt doch überhaupt nicht!) Das würde bedeuten, dass man den Menschen nicht – Weil das im Zivilrecht nicht zwingend vorgeschrieben mehr traut. ist. Wir machen ein Gesetz, das Diskriminierung und 14270 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 152. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Januar 2005

Irmingard Schewe-Gerigk (A) Ausgrenzung aufgrund bestimmter Persönlichkeitsmerk- wenn Versicherungsunternehmen aber wegen des Ge- (C) male eine klare Absage erteilt. Es ist ein Gesetz mit schlechts differenzieren, unterliegen sie einer gesteiger- Augenmaß, das nicht jegliches unterschiedliches Han- ten Darlegungspflicht. Künftig können auch Frauenver- deln verbietet, sondern Differenzierung zulässt, wenn es bände benachteiligte Personen in zivilrechtlichen dafür eine sachliche Begründung gibt. Ich nenne nur die Verfahren unterstützen oder eine Abtretung verlangen. Stichwörter Jugendtarife, Seniorenteller und Frau- Von großer Bedeutung ist für uns die Einrichtung ensauna. All dies wird noch möglich sein. Trotzdem einer Antidiskriminierungsstelle. Frau Eichhorn, Sie macht der von uns eingebrachte Gesetzentwurf deutlich, haben gesagt, das alles sei aufgeblasen. Wir haben je- dass Privatautonomie da endet, wo andere Menschen denfalls die bestehenden Strukturen mit den Behinder- diskriminiert werden. Das Gesetz wird zur Modernisie- tenbeauftragten und den Integrationsbeauftragten ge- rung der Gesellschaft beitragen. nutzt, damit das Modell möglichst klein bleibt. Ich frage mich, was der Hauptgeschäftsführer der Ar- 30 Personen für das gesamte Bundesgebiet sind sicher- beitgeberverbände und CDU-Abgeordnete Göhner – lei- lich nicht zu viel. Alle Opfer von Diskriminierung wer- der ist er heute nicht anwesend, aber wir wissen ja, dass den dort eine Anlaufstelle haben. er sein Abgeordnetenmandat als Nebentätigkeit betreibt; Wichtig ist uns Grünen auch ein wirksamer Schutz wenn es um die eigenen Angelegenheiten geht, kann vor Altersdiskriminierung. Frau Eichhorn, das haben man wohl nicht immer hier sein – mit seinen Horror- Sie ebenfalls aufgegriffen. Obwohl Sie vorhin Beispiele szenarien über das Gesetz beabsichtigt. Ich halte das, für die Diskriminierung alter Menschen genannt haben, was in diesem Zusammenhang betrieben wird, für eine wenden Sie sich gegen unser Gesetz. Sie sollten sich ent- ganz miese Stimmungsmache. scheiden, welche Linie Sie verfolgen wollen. Gerade bei (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – der Altersdiskriminierung belegt Deutschland einen Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das, traurigen Spitzenplatz. 60 Prozent der Betriebe beschäf- was Sie machen, ist Stimmungsmache!) tigen keine über 50-jährigen Menschen mehr. Ich finde, das können wir nicht länger hinnehmen. Selbstverständlich ist auch mit Klagen zu rechnen. Blieben diese aus, dann wäre ein solches Gesetz gar (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN nicht notwendig; dann hätten wir uns die Arbeit sparen sowie bei Abgeordneten der SPD) können. Aber von einer Klagewelle zu sprechen soll nur Für mich ist das Entscheidende an dem Gesetz der die Menschen im Lande verunsichern. Perspektivwechsel. Bisher waren Diskriminierte Opfer Gerade für die Geschlechtergerechtigkeit ist das Anti- und Bittsteller. Nun sind sie es nicht mehr. Sie können mithilfe des Gesetzes ihre Rechte einfordern und durch- (B) diskriminierungsgesetz ein wichtiger Baustein. Darum (D) war uns Grünen der horizontale Ansatz – das heißt, dass setzen. alle Diskriminierungsmerkmale erfasst werden – beson- Ich komme zum Schluss, Herr Präsident. Ich möchte ders wichtig. Denn gerade Frauen sind häufig von Mehr- nur noch darauf hinweisen, dass 2005 nicht nur das fachdiskriminierung betroffen. Frauen mit Migrations- Einstein-Jahr, sondern auch – das wird oft vergessen – hintergrund oder Behinderung sowie ältere Frauen das Schiller-Jahr ist. Da wir in diesem Jahr den tragen das höchste Risiko, auf dem Arbeitsmarkt be- 200. Todestag Schillers begehen, haben wir darüber nachteiligt zu werden. nachgedacht, ob es nicht sinnvoll ist, einige seiner Zitate Das schon bestehende arbeitsrechtliche Verbot der hier im Bundestag zu verwenden. Diskriminierung aufgrund des Geschlechts werden (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Das sollten Sie ma- wir jetzt erweitern. Vor Benachteiligung im Arbeitsle- chen, wenn Sie wieder mehr Zeit haben!) ben, bei der Einstellung, dem beruflichen Aufstieg, den Arbeitsbedingungen, aber auch bei der Entlohnung, gibt – Nein, es ist ganz kurz. – Ich finde, zu unserer heutigen es jetzt einen wirksamen Schutz. Dieser ist gerade bei Debatte passt nach 20-jähriger Diskussion über ein Anti- der Entlohnung notwendig; denn heute, im diskriminierungsgesetz folgendes Schiller-Zitat ganz 21. Jahrhundert, verdienen Frauen im Durchschnitt im- gut: „Der Worte sind genug gewechselt, nun lasset Taten mer noch 30 Prozent weniger als Männer. Ich finde, es folgen.“ ist an der Zeit, dies zu beenden. (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Das ist aber (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN nicht das Originalzitat!) und bei der SPD) – Doch, das ist das Original. Bei einem groben Verstoß gegen das Diskriminie- Ich danke Ihnen. rungsverbot können jetzt der Betriebsrat oder eine im Betrieb vertretene Gewerkschaft vom Arbeitgeber ver- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN langen, die Benachteiligung zu unterbinden. Das ist doch und bei der SPD) wohl eine Selbstverständlichkeit. Anderenfalls können sie auch dagegen klagen. Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: Ich habe keinen Zweifel, dass uns der gute Schiller in Das Benachteiligungsverbot gilt nun auch für privat- diesem Jahr noch sehr oft begleiten wird. rechtliche Versicherungen aller Art. Unisextarife wer- den damit zwar noch nicht automatisch durchgesetzt, (Heiterkeit) Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 152. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Januar 2005 14271

Vizepräsident Dr. Norbert Lammert (A) Ich weise nur vorsichtshalber darauf hin, dass das inner- Renate Gradistanac (SPD): (C) halb der Redezeit erfolgen sollte. Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich beginne nicht mit Schiller, sondern mit (Heiterkeit) Kant: Ich erteile nun das Wort der Kollegin Petra Pau. Wenn die Gerechtigkeit untergeht, hat es keinen Wert mehr, dass Menschen auf Erden leben. Petra Pau (fraktionslos): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Das ist ein hartes Wort. Aber wir alle wissen, wie es ist, PDS im Bundestag begrüßt, dass endlich der Entwurf ei- wenn wir ungerecht behandelt werden, und wie sensibel nes Antidiskriminierungsgesetzes zur Beratung vorliegt; wir reagieren, wenn wir das Gefühl haben, einer Benach- denn ein solches Gesetz ist überfällig. Der Anspruch auf teiligung oder einer Diskriminierung ohnmächtig gegen- Schutz vor Diskriminierung ergibt sich aus Art. 1 des überzustehen. Mit der heutigen ersten Lesung unseres Grundgesetzes, wonach die Würde des Menschen un- Antidiskriminierungsgesetzes wollen wir erreichen, dass antastbar ist, und zwar die Würde jedes Menschen, und die Antidiskriminierungskultur in Deutschland einen hö- aus Art. 3 des Grundgesetzes, wonach alle Menschen heren Stellenwert erfährt. vor dem Gesetz gleich sind. Der Anspruch auf recht- (Beifall bei der SPD) lichen Schutz ergibt sich aber vor allem aus dem tägli- chen Leben. Denn es gibt vielfach Diskriminierungen im Die Antidiskriminierungskultur muss als wesentlicher Alltag und im Arbeitsleben: Diskriminierung von gesellschaftlicher Wert gesehen werden. Dazu braucht es Frauen, Migranten, Juden sowie Menschen mit Behinde- eine breite öffentliche Unterstützung und auch Ihre Un- rungen. Man könnte diese Liste ohne weiteres fortsetzen. terstützung, Herr Kolb. Wir begrüßen ebenfalls, dass SPD und Bündnis 90/ Mit diesem Gesetz werden wir nicht nur vier EU- Die Grünen den umfassenden Entwurf eines Antidiskri- Gleichbehandlungsrichtlinien umsetzen; es steht darüber minierungsgesetzes vorgelegt haben. Das war nicht im- hinaus in engem Zusammenhang mit der internationalen mer so beabsichtigt, obwohl es die PDS ständig gefor- Weiterentwicklung des Schutzes aller Menschen vor dert hat. Der vorliegende Gesetzentwurf sieht die Diskriminierungen. Das Gesetz verbietet – das ist heute Ahndung von Diskriminierungen wegen der ethnischen schon mehrmals angesprochen worden – die Benachtei- Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder der Welt- ligung von Menschen aufgrund des Geschlechts, der eth- anschauung, einer Behinderung, des Alters oder der se- nischen Herkunft, der Religion oder der Weltanschau- xuellen Identität vor. Diesem komplexen Ansatz stim- ung, des Alters, aufgrund einer Behinderung oder der (B) men wir zu, allemal weil es bereits hinreichend sexuellen Identität. (D) Widerspruch dagegen gibt, und zwar nicht nur aus der Wirtschaft. Als Sozialdemokratin bin ich stolz auf unser Lebens- partnerschaftsgesetz und das Ergänzungsgesetz mit Ver- (Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch [frak- besserungen für gleichgeschlechtliche Partnerschaften. tionslos]) (Beifall bei der SPD) Unsere grundsätzliche Zustimmung gilt dem Anlie- gen und dem Ansatz, nicht aber allen Details und vorge- Es geht doch darum, dass zwei erwachsene Menschen schlagenen Lösungen. Der Entwurf lässt zum Beispiel füreinander Verantwortung übernehmen. Im Gegensatz zu viele und zu vage formulierte Ausnahmen zu. Wir ha- zu Frau Merkel bin ich der Meinung, dass auch hier ben außerdem Fragen zur Berechnung und zur Wirksam- Treue, Verlässlichkeit, Bindung, Geborgenheit, Halt und keit der Sanktionen, wenn wider das Gesetz diskrimi- soziale Verantwortung weitergegeben werden. niert wird. Wir haben des Weiteren Diskussionsbedarf Nach der Ermordung von Rudolph Moshammer geis- hinsichtlich der Ausgestaltung und der Arbeitsweise der terten Begriffe wie – ich zitiere – „Ermittlungen im Ho- Antidiskriminierungsstelle des Bundes. Darüber sollten mosexuellenmilieu“ durch die Medien. Niemand titelte wir in den kommenden Wochen im Interesse der Men- später „Täter aus dem Heterosexuellenmilieu“. Dies schen, deren Würde im Alltag durch das Gesetz ge- käme uns auch absurd vor. Dass Homosexualität da- schützt werden soll, sachlich streiten. durch in die Nähe von Kriminalität gerückt wurde, ha- Die PDS ist jedenfalls bereit, den Gesetzentwurf zu ben nur die Betroffenen, also die Schwulen und ihre Ver- verbessern. Deshalb werden wir uns zugleich gegen alle bände, öffentlich kritisiert. Versuche wenden, den Entwurf zu verwässern. Der CSU-Kollege bezeichnete Homo- Danke schön. sexualität gar als Perversion der Sexualität. Für andere ist Homosexualität immer noch wider die Natur, eine (Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch [frak- Sünde, eine Krankheit oder eine Krise der Identität. tionslos]) Rückblickend auf meine sechs Jahre Abgeordnetentätig- keit muss ich feststellen: Ich habe bei keinem anderen Thema so viele unangemessene und abstoßende E-Mails Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: und Briefe erhalten, vor allem von Männern. Das Wort hat nun die Kollegin Renate Gradistanac für SPD-Fraktion. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) 14272 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 152. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Januar 2005

Renate Gradistanac (A) Ich wünsche mir, dass sich die Menschen endlich mit Dr. Norbert Röttgen (CDU/CSU): (C) ihren eigenen Ängsten und Vorurteilen auseinander set- Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her- zen und sie nicht auf andere projizieren. Und ich wün- ren! Wir reden heute in dieser Debatte der Sache nach sche mir, dass zu guter Letzt auch die Kirchen ihre über ein Gesetz zur Bekämpfung der Vertragsfreiheit. Standpunkte überdenken. Das ist das Thema dieses Gesetzes. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ (Beifall bei der CDU/CSU – Sebastian Edathy DIE GRÜNEN – Dr. Norbert Röttgen [CDU/ [SPD]: Das ist Unsinn! – Volker Beck [Köln] CSU]: Eine Moralpredigt!) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Quatsch!) Wir jedenfalls setzen mit unserem Antidiskriminierungs- – Das ist kein Unsinn. – Kollege Scholz, wenn sich in gesetz ein weiteres Zeichen zur Anerkennung unter- Zukunft, nachdem dieses Gesetz in Kraft getreten sein schiedlicher sexueller Identitäten. wird, die Vermieter in Deutschland nicht mehr den als Lesben und Schwule, aber auch bisexuelle, transsexu- Mieter aussuchen können, den sie gern als Mieter hätten, elle und zwischengeschlechtliche Menschen dann hat Vertragsfreiheit in unserem Land nicht mehr die gleiche Qualität. ( [CDU/CSU]: Kümmern Sie sich um die Mehrheit in der Gesellschaft, nicht (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. ständig um die Randgruppen! Nur noch Rand- Ernst Burgbacher [FDP]) gruppen!) Sie legen die Axt an die Vertragsfreiheit in unserem können künftig selbstbewusster und selbstverständlicher Land. ihre Identität leben und besser am gesellschaftlichen Le- ben teilnehmen, so auch am Arbeitsplatz. Viele Schwule (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE und Lesben verheimlichen ihre sexuelle Identität, weil GRÜNEN]: Sie wissen, dass Sie die Unwahr- sie Diskriminierungen durch Kollegen und Kolleginnen heit sprechen!) oder auch durch Vorgesetzte befürchten. Eine Studie Einen vergleichbar massiven Angriff auf die Vertrags- kommt zu dem Ergebnis, dass nur 4 Prozent am Arbeits- freiheit in unserem Land hat es seit Jahren, selbst in Ihrer platz immer offen mit ihrer Homosexualität umgehen Regierungszeit, nicht gegeben. konnten. Man könnte jetzt einwenden, dass die sexuelle Identität etwas Privates ist. Dieser Einwand kann nicht (Beifall bei der CDU/CSU) gelten, wenn Menschen aufgrund ihrer sexuellen Identi- tät gegen Vorurteile und Benachteiligungen im Beruf zu Vertragsfreiheit ist nicht irgendeine Petitesse. Ver- kämpfen haben, wenn sie in der Angst leben, den Ar- tragsfreiheit ist ein elementarer Bestandteil der Freiheit (B) beitsplatz zu verlieren oder erst gar nicht zu bekommen. der Person. Unsere Rechtsordnung basiert auf den (D) Grundrechten. Unser Grundgesetz nennt das Recht auf (Beifall bei Abgeordneten der SPD) die freie Entfaltung der Persönlichkeit gleich nach Lesben und Schwule sollen zukünftig auch weniger Art. 1, ganz vorn. Das ist ein Basiswert unserer Grund- Probleme bei der Wohnungssuche, beim Abschluss von rechtsordnung. Versicherungen, bei der Hotelsuche und bei Restaurant- (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE besuchen haben; da würde sich noch einiges mehr anfüh- GRÜNEN]: Dann kommt die Gleichheit! Das ren lassen. gehört alles zusammen!) Als Feministin mit dem typisch schwäbischen Namen Unsere Gesellschaftsordnung, unsere Wirtschaftsverfas- Gradistanac sung sind ohne Freiheit nicht denkbar. (Heiterkeit bei der SPD) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – weiß ich, dass Gesetze Diskriminierungen, die Herabset- Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/DIE zung und Entwürdigung von Menschen nicht immer ver- GRÜNEN]: Ohne Menschenwürde auch hindern. Aber künftig können sich die Betroffenen bes- nicht!) ser und wirkungsvoller zur Wehr setzen. Unterstützung erfahren sie einmal durch die Antidiskriminierungs- Darauf zielen Sie ab. stelle, die berät, informiert und vermittelt, und zum an- Die Freiheit ist Element der Menschenwürde. deren durch die Verbände, die Diskriminierte ermutigen – das wünsche ich mir jedenfalls –, damit Diskriminierte (Beifall bei der CDU/CSU) zu ihrem Recht kommen. Unsere Vorstellung vom Menschen ist die, dass er ein Vielen Dank. freier Mensch ist. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ (Zurufe von der SPD: Von allen!) DIE GRÜNEN) – Ich komme gleich auf die Normierung im Grundgesetz zum Thema Diskriminierung zu sprechen. – Weil das so Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: ist, weil Freiheit ein Fundamentalwert in unserer Gesell- Nächster Redner ist der Kollege Dr. Norbert Röttgen schaft ist, weil unsere Gesellschaft davon lebt, macht für die CDU/CSU-Fraktion. dieser Gesetzentwurf die grundlegend unterschiedlichen (Beifall bei der CDU/CSU) gesellschaftspolitischen Vorstellungen von CDU/CSU, Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 152. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Januar 2005 14273

Dr. Norbert Röttgen (A) auch FDP, auf der einen Seite und Rot-Grün auf der an- juristen, die vielleicht zuhören, möchte ich erklären, was (C) deren Seite deutlich. das wirklich heißt. In der Realität heißt das, dass derje- nige, mit dem kein Vertrag abgeschlossen wurde, der (Markus Grübel [CDU/CSU]: Und PDS!) also nicht durch einen Vertragsabschluss begünstigt Wir wollen diese Gesellschaft, die sich vom Einzel- wurde, nur noch plausibel Tatsachen behaupten muss, nen ableitet, die sich von der Autonomie des Einzelnen die für eine Diskriminierung sprechen. Er muss die Tat- ableitet, die auf die Freiheit des Einzelnen setzt, sachen nicht beweisen, er muss nur die Behauptung auf- stellen, er sei diskriminiert worden. Danach muss sich (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE derjenige, der den Vertrag abgeschlossen hat, vor Ge- GRÜNEN]: Dazu gehört auch die Freiheit, richt entlasten. eine Chance am Markt zu haben, finde ich!) (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE auch auf die Verantwortungspflicht des Einzelnen setzt. GRÜNEN]: Sie reden Unfug!) Wir wollen sie, weil wir dem Einzelnen etwas zutrauen. Wir trauen ihm Leistung zu. Wir trauen ihm allerdings Er muss den Beweis führen, dass er sich nicht diskrimi- auch Anstand zu. Dafür braucht er nicht einen Gesetz- nierend verhalten hat. Sie bringen den Bürger in eine Be- geber, der ihn über das belehrt, was anständiges Verhal- klagtenposition, er muss sich für sein Verhalten rechtfer- ten ist. tigen. Das ist das Gegenteil von Freiheit, wie wir sie (Beifall bei der CDU/CSU) definieren. Sie trauen dem Einzelnen offenbar nicht. Sie sind da- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) rin auch ganz offen. Herr Kollege Ströbele hat eben da- Ich will noch einmal betonen: Wir führen heute eine zwischengerufen: Kontrolle ist besser als freie Entschei- fachliche Debatte, aber es ist auch eine Grundsatzdebatte dung des Einzelnen. – Sie haben ein anderes gesellschaftspolitischer Art. Der intellektuelle Keim Ih- Staatsverständnis. Sie wollen den Staat, der den Einzel- res Gesetzentwurfs ist das Misstrauen. Wer die fachliche nen bevormundet, der den Einzelnen erzieht, der den Debatte verlässt und ideologisch anfängt, den Menschen Einzelnen moralisch bewertet. Sie wollen sozusagen den zu misstrauen, der handelt in dem Geist Ihres Gesetzent- freien Menschen überwinden zu einem guten Menschen. wurfs. Was gut ist, bestimmt die rot-grüne Regierung. Darin kommt Ihre politische Ideologie zum Ausdruck. (Sebastian Edathy [SPD]: Unsinn!) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Wer anfängt, das Misstrauen zu organisieren, der endet Widerspruch bei der SPD) ganz zwangsläufig in Bürokratie, (B) (D) – Sie brauchen sich gar nicht zu bemühen. Sie sind in der (Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE heutigen Debatte sehr offen gewesen – das begrüße ich GRÜNEN]: Wir sind nicht so blauäugig wie sehr –; damit werden die fundamentalen Unterschiede Sie!) deutlich. in Regulierungswut, in Absurditäten und am Ende auch Kollege Scholz hat hier wörtlich gesagt „Wir“ – also in Ungerechtigkeiten, von denen ein paar schon darge- Sie, der eine Teil des Hauses und der Bevölkerung – „als stellt worden sind. anständige Bürgerinnen und Bürger“. Ihr Kollege Beck sagte – ich habe das mitgeschrieben –: Wir wollen doch (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – den Menschen nicht vorschreiben, was sie denken. Wel- Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE che Großzügigkeit spricht daraus, dass Sie den Men- GRÜNEN]: Das muss ein Paradies sein, in schen das Denken nicht vorschreiben können! dem ihr lebt!) (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU) Dass kein einziges Mitglied der Bundesregierung an dieser Debatte teilnimmt, unterstreicht die Bedeutung Ich möchte Sie als Kollege im Haus und als Bürger des Gesetzentwurfs. dieses Landes fragen: Wer gibt Ihnen das Recht zu einer derartigen Hybris und Arroganz, wissen zu wollen, was (Zuruf der Abg. Nicolette Kressl [SPD]) für die Menschen gut ist und wie der Einzelne leben soll. – Vielleicht schauen Sie einmal ins Grundgesetz. Die Wie können Sie wollen, dass es der Staat ihnen vor- Bundesregierung besteht aus dem Bundeskanzler und schreiben soll? Wer gibt Ihnen das Recht zu einer sol- den Bundesministern. Manche fühlen sich vielleicht wie chen Hybris und Arroganz? Mitglieder der Bundesregierung, sind es gleichwohl (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Ute nicht. Kein Mitglied der Bundesregierung ist bei dieser Kumpf [SPD]: Sie sind keine Frau! Sie wissen Debatte anwesend. Sie sollten sich also überlegen, ob es nicht, was Diskriminierung ist!) gerechtfertigt ist, die Abwesenheit einzelner Mitglieder der CDU/CSU-Fraktion in denunziatorischer Weise zu Sie wollen nicht die Freiheit des Einzelnen. kritisieren, wie das die Kollegin getan hat. (Ute Kumpf [SPD]: Doch!) (Beifall bei der CDU/CSU – Josef Philip Sie setzen den Einzelnen, der von seiner Freiheit Ge- Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Herr brauch macht, auf die Beklagtenbank des Gerichts. Göhner verdient auch mehr als der Bundes- Technisch heißt das Beweislastumkehr. Für die Nicht- kanzler! Das ist das Problem!) 14274 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 152. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Januar 2005

Dr. Norbert Röttgen (A) Sie werden in Ungerechtigkeit landen und die Verlie- Wir (C) rer sind diejenigen, die unternehmerische Freiheit gel- – die amerikanische Handelskammer – tend machen wollen oder Mietverträge abschließen wol- len. Die Bürger sind die Verlierer. Eine Familie, die sich sind aber der Meinung, dass das deutsche Rechts- nicht auf eine diskriminierende Eigenschaft berufen system einen wirksamen Schutz gegen Diskriminie- kann – Familien gehören in diesem Land nach Ihrer Auf- rungen jeglicher Art bietet. fassung nicht zu den Diskriminierten –, hat keinen Schutz vor Ihnen. Normale Bürger, die nicht irgendeinen (Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: So ist es!) Minderheitenstatus aufweisen, sind die Verlierer Ihres Wir befürchten, dass der Gesetzentwurf der Bun- Gesetzentwurfs. Die Mehrheit ist der Verlierer. desregierung die Wirtschaft belasten wird. Das Ge- setzgebungsvorhaben könnte eine massive Ein- (Beifall bei der CDU/CSU – Volker Beck schränkung der unternehmerischen Freiheit [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das bedeuten. heißt, wir würden Familien bevorzugen!) (Lachen bei Abgeordneten der SPD) Nun sagen Sie, dagegen sei schon argumentiert wor- den. Diese Sorgen machen sich amerikanische Unternehmer in Deutschland. Deren Interessen werden nämlich von Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: dieser Handelskammer vertreten. Herr Kollege Röttgen, gestatten Sie eine Zwischen- (Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- frage des Kollegen Rezzo Schlauch? NEN]: Er hat nach Amerika gefragt!) Das ist also eine klare Aussage darüber, wie amerikani- Dr. Norbert Röttgen (CDU/CSU): sche Unternehmer in Deutschland dieses Gesetzge- Ja, gern. bungsvorhaben beurteilen. Es handelt sich völlig zutref- fend um eine Einschränkung von Freiheit, Rezzo Schlauch (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): (Ute Kumpf [SPD]: Sie haben die Frage nicht Herr Kollege Röttgen, ich gehe davon aus, dass Sie beantwortet!) mit mir der Meinung sind, dass ein Land, das wir alle die es in Amerika in dieser Weise nicht gibt. Sie gibt es, kennen, nämlich die USA – das von sich selber behaup- wie Kollege Laumann dargestellt hat tet, es sei der Hort der Freiheit; ob das so ist, kann jeder selber beurteilen –, und seine Repräsentanten den Ge- (Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE (B) danken der Antidiskriminierung in viel schärferem Maße GRÜNEN]: Stimmt nicht! – Volker Beck (D) als wir gesetzlich festgelegt haben. Würden Sie daraus [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie den Schluss ziehen, dass dieses Land die Freiheit ge- haben die Frage nicht beantwortet!) nauso missachtet, wie Sie es unserem Gesetzentwurf un- terstellt haben? – vielleicht hören Sie einfach einmal zu –, in Form einer Kumulation und Kombination eines hohen, detailorien- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN tierten Arbeitsschutz- und Kündigungsschutzrechts mit und bei der SPD – Olaf Scholz [SPD]: Das ist einem Diskriminierungsrecht in den USA definitiv nicht. antiamerikanisch! – Josef Philip Winkler Die Kombination beider Rechte gibt es nirgendwo. So [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Unerhört! etwas wird es in Zukunft nur in Deutschland geben. Antiamerikanisch!) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Nicolette Kressl [SPD]: Das ist Ihr Verständnis Dr. Norbert Röttgen (CDU/CSU): von Freiheit!) Ich bedanke mich für die Frage, die Sie mir als Abge- ordneter gestellt haben. Ich möchte sie Ihnen auch unter Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: Berücksichtigung Ihrer Eigenschaft als Parlamentari- Herr Kollege Röttgen, lassen Sie eine weitere Zwi- scher Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium schenfrage zu? beantworten. Ich will die Antwort offen gestanden nicht selbst formulieren, sondern antworten, indem ich Ihnen Teile eines Schreibens der amerikanischen Handels- Dr. Norbert Röttgen (CDU/CSU): kammer in Deutschland, das an mich gerichtet ist, zi- Die lasse ich gerne zu. tiere. Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: (Lachen bei Abgeordneten der SPD) Bitte schön. Ich glaube, dass die amerikanische Handelskammer in Deutschland eine Vorstellung vom amerikanischen Rezzo Schlauch (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Diskriminierungsrecht hat. Herr Kollege Röttgen, ich kann Ihnen in diesem Punkt nicht folgen, Ich zitiere nun aus dem Schreiben, das an mich und sicherlich auch an viele andere gegangen ist – vielleicht (Lachen und Beifall bei Abgeordneten der hören Sie zu, Herr Schlauch, während ich zitiere –: CDU/CSU) Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 152. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Januar 2005 14275

Rezzo Schlauch (A) und zwar deswegen, weil das amerikanische Antidiskri- Was es im geltenden Recht allerdings nicht gibt – in- (C) minierungsgesetz, wie Sie genau wissen, viel schärfere sofern ist die Aussage richtig, dass Ihr Gesetz etwas Normen vorsieht als unseres. Stimmen Sie mit mir über- Neues bringt –, ist die so genannte Beweislastumkehr. Es ein, dass die amerikanische Handelskammer in Deutsch- wurde ja schon darüber gesprochen, dass sich nun der land eine eindeutige Interessenvertretung der Industrie Einzelne rechtfertigen muss. Was es im geltenden Recht ist und dass ihre Aussagen nicht mit den Intentionen ei- nicht gibt, ist der so genannte Kontrahierungszwang mit nes amerikanischen oder deutschen Gesetzgebers zu ver- Schadensersatzfolge, dass also einem ein Vertragspart- gleichen sind, der selbstverständlich die politische Auf- ner durch ein Gerichtsurteil aufgezwungen werden kann. gabe hat, unterschiedliche Interessen auszugleichen? Das gibt es bislang nicht. Was es im geltenden Recht nicht gibt, ist die Möglichkeit zur Verbandsklage in der (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Form, dass Ansprüche abgetreten werden können und sowie bei Abgeordneten der SPD – Nicolette unter dem Vorwand des Diskriminierungsschutzes Ge- Kressl [SPD]: So hat er seinen Freiheitsbegriff schäfte gemacht werden können. Es besteht die Gefahr, definiert!) dass sich hier ein eigener Geschäftszweig in Deutsch- land entwickelt. Dr. Norbert Röttgen (CDU/CSU): Ich stimme mit Ihnen völlig überein, dass die ameri- (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Ganz genau!) kanische Handelskammer in Deutschland die Interessen All das haben wir nicht und es ist gut, dass wir das nicht amerikanischer Unternehmen und Investoren in haben. Deutschland repräsentiert. Darum ist dieses Gesetz, das Sie heute einbringen, ein schlechtes Signal für den (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Standort Deutschland, wenn es darum geht, für Investi- Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Wir wollen es tionen ausländischer Unternehmen in Deutschland zu auch nicht!) werben. Ihr zweiter Vorwand lautet, dass Sie europäische (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – La- Richtlinien umsetzen müssen. Dazu will ich Ihnen zwei chen bei der SPD) Punkte sagen. – Ja, meine Damen und Herren, so ist es. Erstens. Es gibt drei europäische Richtlinien, die frist- gerecht umzusetzen Sie versäumt haben. Das lässt zu- Sie sagen immer, das Gesetz sei gut. Wir reden heute mindest Rückschlüsse auf Ihre Motivation und Ihr En- aber nicht allein über einen innenpolitischen Tatbestand, gagement zu. Wenn die CDU/CSU die Bundesregierung sondern auch über Wirtschaftspolitik, lieber Kollege gestellt hätte, dann hätte sie anders verhandelt. Die (B) Schlauch aus dem Wirtschaftsministerium. Richtlinien hätten dann im Ergebnis anders ausgesehen. (D) (Ernst Hinsken [CDU/CSU]: So ist es!) Auch das wäre eine Einwirkungsmöglichkeit gewesen. Zweitens. Sie setzen nicht nur diese Richtlinien um. Wir sind eine exportorientierte Nation. Wir brauchen Sie gehen sogar weit über das hinaus, was das europäi- ausländische Investitionen. Wir als CDU/CSU wollen, sche Recht verlangt. dass Deutschland attraktiv für Investitionen ausländi- scher Unternehmen ist, weil diese Arbeitsplätze in (Christel Humme [SPD]: „Weit“ ist übertrie- Deutschland schaffen. Deshalb dürfen wir sie nicht ab- ben!) schrecken. Nun mögen Sie nicht akzeptieren, dass wir es sind, (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) die das kritisieren. Darum möchte ich an dieser Stelle die Bundesjustizministerin als Zeugin sprechen lassen. Mit diesem Gesetz schrecken Sie aber Unternehmen, insbesondere auch ausländische, von Investitionen in (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Die wahrschein- Deutschland ab. Darum ist dieses Gesetzesvorhaben lich aus eben diesem Grund nicht hier ist!) falsch. Es ist ganz interessant, was sie zu diesem Thema gesagt (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – hat. Im Übrigen hätte ich es gut gefunden, wenn sie Widerspruch bei der SPD) heute an dieser Debatte teilgenommen hätte. Ein weiterer Gesichtspunkt: Sie wollen dieses Gesetz (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- dadurch rechtfertigen, dass Sie auf die Bedeutung des neten der FDP) Schutzes vor Diskriminierung verweisen. Das war Denn die Minister haben auch Pflichten gegenüber dem durchgängig Ihr Argument. Gegen dieses Argument Parlament. muss ich Ihnen vortragen – Sie selber haben das zum Teil ausgeführt –, dass im geltenden deutschen Recht, Die Bundesjustizministerin Zypries hat dieses Gesetz vom Zivil- über das Arbeitsrecht bis hin zum Grundge- von Anfang an und bis zum heutigen Tage abgelehnt. setz – die Vorschriften sind zitiert worden –, ein umfas- Man stelle sich einmal vor: Die verantwortliche Ministe- sender Diskriminierungsschutz gewährleistet ist. Dieser rin der von Ihnen gestellten Bundesregierung lehnt die- reicht vom einfachen Recht bis hin zum Grundgesetz. ses Gesetz dezidiert ab. Sie hat sich auch – das ist nichts Art. 3 und Art. 1 des Grundgesetzes bilden schon die Neues – in vielen anderen Punkten in der Koalition nicht Grundlage für einen umfassenden Diskriminierungs- durchgesetzt. Aber dieser Gesetzentwurf ist das wahr- schutz. scheinlich wichtigste rechtspolitische Vorhaben in dieser 14276 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 152. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Januar 2005

Dr. Norbert Röttgen (A) Legislaturperiode, das nicht von der Bundesjustizminis- Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: (C) terin getragen wird. Dass die Federführung vom Justiz- Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der ministerium auf das Familienministerium übertragen Kollege Edathy für die SPD-Fraktion. wurde, dokumentiert ihre Niederlage und ihre Schwä- chung als politisches Führungsorgan in dieser Bundesre- Sebastian Edathy (SPD): gierung. Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und (Beifall bei der CDU/CSU) Herren! Herr Kollege Röttgen, ich bin nicht ganz sicher, was ich für schlimmer halten soll: Ihre unsägliche Rede Da die Ministerin in dieser Debatte nicht anwesend oder den starken Beifall, den Sie für diese Rede bekom- ist, möchte ich wenigstens zitieren, was sie in der men haben. „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ vom 8. März 2003 geäußert hat. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Zurufe (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE von der CDU/CSU: Oh! – Manfred Grund GRÜNEN]: Wir kennen das, Herr Röttgen! [CDU/CSU]: Jetzt hören Sie doch auf! Un- Sie können sich setzen!) glaublich!)

Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: Wer sagt, wir wollen den Geist des Grundgesetzes auch zur Grundlage für das Arbeits- und Zivilrecht nehmen, Herr Kollege, Sie müssen jetzt gegebenenfalls die der hat Recht. Aber wer sagt, das sei wider die Freiheit Kurzfassung dieses Zitats vortragen. Sonst klappt es gerichtet, der hat Unrecht. Der Freiheitsbegriff, den auch bei großzügiger Interpretation Ihrer Redezeit nicht Herr Röttgen hier für die CDU/CSU vorgetragen hat, be- mehr. inhaltet die Freiheit, zu diskriminieren. Das ist aber nicht (Heiterkeit) die Freiheit, die wir meinen. (Beifall bei der SPD – Zuruf von der CDU/ Dr. Norbert Röttgen (CDU/CSU): CSU: So ein Schwachsinn!) Ich denke, dass es alle – insbesondere die Kollegin- nen und Kollegen von SPD und Grünen – interessiert, Ich finde die Rolle der Liberalen in diesem Bereich was die Justizministerin dazu sagt. Ich verkürze das Zitat besonders problematisch. Ich werde gleich noch darauf und führe nur die schönsten Passagen an. Sie wendet eingehen. sich gegen das Gesetz ihrer Amtsvorgängerin Däubler- (Ina Lenke [FDP]: Sie haben nicht zugehört, Gmelin (B) Herr Edathy!) (D) (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE – Frau Lenke, schreien Sie hier bitte nicht herum! GRÜNEN]: Das haben wir auch nicht einge- bracht!) (Ina Lenke [FDP]: Bleiben Sie mal sachlich! – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Wer nichts zu sa- mit dem Argument, es würde die Privatautonomie in gen hat, poltert ein bisschen mehr herum!) weiten Bereichen aushebeln. Wir sind der Gesetzgeber in diesem Land. Was wäre ( [CDU/CSU]: Da hat sie Recht!) eine zentralere Aufgabe des Gesetzgebers in Deutsch- Weiterhin sagt sie, dass zudem etliche Ausnahmerege- land, als Bürgerrechte zu sichern und gerade denen bei- lungen erforderlich seien, etwa um Frauenparkplätze zustehen, die in einem freien Markt immer die Schwä- und Altenrabatte zu gestalten. Ohnehin glaube sie nicht, cheren sind? Es ist Aufgabe der Demokratie und des dass es im Alltagsleben so viele Diskriminierungen sozialen Rechtsstaates Bundesrepublik, für einen Aus- gebe, dass neue Vorschriften erforderlich seien. Sie gleich zu sorgen. Das kann man doch nicht ernsthaft in- glaube ebenfalls nicht, dass man durch Rechtspolitik frage stellen. eine Gesellschaft gestalten könne. Frau Zypries hat (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Recht. Aber sie ist bei Ihnen zum Schweigen verurteilt. DIE GRÜNEN) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Wir handeln übrigens – das sei in Richtung einiger Eine allerletzte Bemerkung. Kollegen gesagt, die gemeint haben, wir gingen zu weit – lange nicht so weitgehend wie zum Beispiel (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE Großbritannien und die Niederlande. Auch die USA sind GRÜNEN]: Schluss!) in diesem Zusammenhang vom Kollegen Schlauch mit Recht erwähnt worden. Es ist eine grundsätzliche gesellschaftspolitische De- batte, die wir führen werden. Ihr Gesetzentwurf ist eine Wir handeln mit Grund. Kampfansage an die Freiheit in unserem Land. Dement- sprechend werden wir diese Debatte mit Ihnen führen. (Manfred Grund [CDU/CSU]: Ich bin nicht dabei! Ich möchte nicht in Haftung genommen Herzlichen Dank. werden!) (Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU – Bei- Wir tun gut daran, an einer Stelle über eine Eins-zu-eins- fall des Abg. Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]) Umsetzung der EU-Richtlinien hinauszugehen, nämlich Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 152. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Januar 2005 14277

Sebastian Edathy (A) an der Stelle, wo es um die Frage geht: Schaffen wir Herr Röttgen, auch sittenwidrige Verträge sind nicht zu- (C) durch eine Beschränkung auf den Aspekt „Diskriminie- lässig. rung wegen ethnischer Herkunft und Zugehörigkeit“ und durch Ausblendung anderer Diskriminierungsmerkmale (Dr. Norbert Röttgen [CDU/CSU]: Eben!) eine Hierarchisierung von Diskriminierungsopfern Wer für eine maximale Vertragsfreiheit ist, ist vielleicht oder wollen wir das nicht? Wir wollen das nicht. auch dafür, den Drogenhandel freizugeben; auch das wollen wir nicht. Es ist doch vollkommen klar, dass die Frau Eichhorn, mich würde einmal interessieren, was Vertragsfreiheit in einem demokratischen Rechtsstaat Sie der Behinderten antworten, die sich an Sie gewandt der Ausgestaltung bedarf. Das, was wir tun, ermöglicht und gesagt hat, es sei für sie verletzend, nicht nachzu- vollziehen und empörend, dass sie von einem Hotel es erst ganz vielen Menschen, Vertragsfreiheit überhaupt nicht aufgenommen wurde. Was sagen Sie ihr denn? Sie in Anspruch zu nehmen. sehen zwar das Problem. Aber wie sieht Ihre Antwort (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten aus? des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Rot-Grün gibt eine Antwort. Was ist denn mit der Vertragsfreiheit der Behinderten, die abgewiesen worden ist, des Jugendlichen, der auslän- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten disch aussieht und nicht in die Diskothek kommt, und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) des älteren Menschen, dem der Dispositionskredit ge- Es soll keine Selektion mehr in Diskotheken und keine kündigt wird? Abweisung von Behinderten und homosexuellen Paaren (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten in Hotels geben. Das alles, Herr Röttgen, ist nicht durch des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Ernst das Grundgesetz gedeckt; das wissen Sie doch ganz ge- Hinsken [CDU/CSU]: Wenn es geht, noch ein nau. bisschen lauter!) (Dr. Norbert Röttgen [CDU/CSU]: Natürlich ist es gedeckt!) Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: Herr Kollege Edathy, gestatten Sie eine Zwischen- Art. 3 des Grundgesetzes bindet die staatlichen Organe frage des Kollegen Fricke? bzw. staatliches Handeln. (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Wenn dies nicht Sebastian Edathy (SPD): durch das Grundgesetz gedeckt wäre, könnten Ja. (B) Sie nicht ein solches Gesetz vorlegen!) (D) Es ist aber so, dass das Zivilrecht kein grundrechtsfreier Otto Fricke (FDP): Raum in diesem Land sein kann. Lieber Kollege Edathy, man kann auch durch eine ge- wisse Lautstärke andere Leute diskriminieren. Auch das (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten ist eine Art Diskriminierung. des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Ina Lenke [FDP]: So ein Quatsch! – Dr. Heinrich (Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/ L. Kolb [FDP]: Sie hatten wohl keine Zeit, DIE GRÜNEN: Oh!) sich auf Ihre Rede vorzubereiten!) Ich frage Sie, ob Sie es vorhin wirklich ernst gemeint Ich will etwas zum Thema „Angriff auf die Freiheit“ haben, als Sie gesagt haben, dass das Zivilrecht der sagen. Herr Röttgen hat gesagt, das, was wir machten, Bundesrepublik Deutschland ein grundrechtsfreier sei ein Angriff auf die Freiheit. Er hat weiter ausgeführt, Raum sei. Ist es nicht vielmehr so, dass wir dahin ge- die Vertragsfreiheit in diesem Land nehme, wenn der hend übereinstimmen, dass die Regelungen des Grund- Entwurf, den wir vorgelegt haben, beschlossen werde, gesetzes in das Zivilrecht an sehr vielen Stellen dadurch Schaden. hineingekommen sind, dass wir dort Allgemeinklauseln haben, in denen klar geregelt wird, dass das Grundrecht (Dr. Norbert Röttgen [CDU/CSU]: Genauso Drittwirkung auch zwischen Zivilpersonen entfaltet? ist es!) (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Gott sei Dank!) Herr Röttgen, dazu will ich sagen: Zur Vertragsfreiheit gehören immer zwei Parteien. Wenn Sie sagen, Sie woll- Sebastian Edathy (SPD): ten die Vertragsfreiheit wahren, dann heißt das für mich, Herr Kollege, ich will Ihnen eine Geschichte erzäh- dass Sie den Regelungen, die wir schaffen wollen und len; ich versuche, mich kurz zu fassen. die den Menschen die Gewährleistung geben, dass sie nicht aufgrund eines bestimmten Merkmales willkürlich (Otto Fricke [FDP]: Wenn Sie dabei antwor- von der Eingehung eines Vertrages ausgeschlossen wer- ten, ist das okay!) den dürfen, zustimmen müssten. Denn, Ich habe zu Beginn dieser Wahlperiode in Berlin die (Dr. Norbert Röttgen [CDU/CSU]: Da bin ich Wohnung wechseln wollen. Ich habe mir eine Wohnung aber gespannt! Jetzt muss das Argument kom- angesehen. Der Hausbesitzer wohnt in Frankfurt. Es men!) ging also nicht um eine Einliegerwohnung; ihm gehört 14278 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 152. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Januar 2005

Sebastian Edathy (A) vielmehr ein ganzes Mietshaus. Ich habe dann ein ent- Sie wissen ganz genau, dass dies auch für Betriebe gilt, (C) sprechendes Formular ausgefüllt und Angaben zu mei- auch für das Angebot und das Entgegennehmen von nen Einkommensverhältnissen und zu dem, was ich be- Leistungen. ruflich tue, gemacht. (Otto Fricke [FDP]: Und wie heißt der zweite (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Oje, SPD-Abge- Teil?) ordneter!) Diese Gleichheit bei der Wahrnehmung von Chancen muss durch Spielregeln unterstützt werden, die der Ge- Ich dachte, es würde ein paar Tage dauern und dann be- setzgeber mit Augenmaß definiert. Genau dies machen käme ich den Mietvertrag zugeschickt. Stattdessen rief wir mit dem Gesetzentwurf, den wir vorgelegt haben. der Hausbesitzer meine Mitarbeiterin in meinem Büro an und sagte: Edathy, das klingt irgendwie ausländisch. Was (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ ist das denn für einer? Meine Mitarbeiterin hat am Tele- DIE GRÜNEN) fon geantwortet: Der Vater ist gebürtiger Inder. Dann Ich wünsche uns intensive Beratungen. Wir werden kam die Nachfrage, ob auch ich Inder sei. Daraufhin uns natürlich in den Ausschüssen hinreichend Zeit neh- meinte meine Mitarbeiterin richtigerweise, dass man men, um mit den Vertreterinnen und Vertretern der Op- deutscher Staatsbürger sein müsse, um Mitglied des position darüber zu diskutieren. Eines aber müssen wir Bundestages werden zu können. Daraufhin sagte dieser im Auge behalten: Dieses Gesetz ist kein Selbstzweck. Vermieter: Wenn der Vater Inder ist, kocht der Sohn Es wird, soll und muss einen Beitrag dazu leisten, dass doch bestimmt mit ganz scharfen Gewürzen. Den Ge- wir unserer Gesellschaft einen besseren Rahmen für ihr stank bekomme ich nicht mehr aus der Wohnung, ver- Handeln geben. mutlich muss ich den Putz abklopfen. – Ich habe die Wohnung nachher zwar angeboten bekommen – ich Damit ist kein Misstrauen verbunden. Herr Röttgen, habe sie aus Anstand nicht genommen –, aber eines kann es hat mich gewundert, dass Sie als Rechtspolitiker – das ich Ihnen sagen: Wäre ich nicht der Abgeordnete Edathy war einer Ihrer zentralen Vorwürfe – gesagt haben, in diesem Gesetz werde unterstellt, die Menschen verhiel- gewesen, sondern der Schlossermeister oder der Student ten sich falsch. Dass ein anständiger Mensch nicht Mord Edathy, wäre mir die Wohnung nicht angeboten worden und Totschlag verübt, ist klar. Trotzdem sind Mord und und das ist eben keine schützenswerte Freiheit im Zivil- Totschlag verboten. Dass man, wenn man eine Dienst- rechtsverkehr, sondern diskriminierendes Handeln. leistung anbietet, einen Menschen mit Behinderung (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ nicht ablehnt, muss auch klar sein. Ebenso muss selbst- DIE GRÜNEN) verständlich sein, dass kein Mensch wegen seines Alters, (B) seiner sexuellen Orientierung oder seines Geschlechts (D) Wir sollten Diskriminierungsopfern die Möglichkeit in abgelehnt werden darf. In vielen Fällen ist dies auch die Hand geben, dagegen tätig werden zu können. Das selbstverständlich. Ich bin ganz sicher, dass dieses Ge- muss möglich sein. setz nur zur Anwendung kommen wird, dann aber eben begründet, wo diese Selbstverständlichkeit im Handeln Ich würde gar nicht in einem Land leben wollen, in verletzt wird. Ich glaube daher auch nicht, dass wir Pro- dem der reine Markt herrscht. Es kann doch nicht sein, zesslawinen zu erwarten haben. Aber jedem Bürger in dass wir in diesem Hause grundsätzlich darüber diskutie- diesem Lande, egal in welcher Eigenschaft er auftritt, ob ren müssen, dass auch der Markt Regelungen braucht. als Arbeitgeber, als Kneipenbesitzer oder als Wohnungs- Ich persönlich halte es für überfällig – das hat auch et- vermieter, muss klar sein, dass die Grundlagen des Zu- was damit zu tun, dass wir im Gegensatz zu anderen sammenlebens in diesem Land Respekt und Achtung europäischen Ländern keine Kultur der Antidiskriminie- sind. Nichts anderes als die Erreichung von Respekt und rungsgesetzgebung haben –, die Bestandteile des Grund- Achtung und die Durchsetzung von Bürgerrechten ist gesetzes, die staatliches Handeln im Sinne einer fairen Ziel dieses Gesetzes. demokratischen Gesellschaft binden, auf den Zivil- Noch einen Satz zum Schluss: Es ist mehrfach gesagt rechtsverkehr zu übertragen. Ich verstehe nicht, was da- worden, dass Ministerin Renate Schmidt heute nicht hier gegen einzuwenden ist, es sei denn, Sie sagen, dass Sie ist. Sie ist erkrankt und daher entschuldigt. auch in Zukunft wollen, dass sich der Gastwirt aufgrund bestimmter Merkmale wie Behinderung, ausländisches (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Wo ist Frau Aussehen oder offensichtliche Homosexualität aussu- Zypries? Wo ist der Bundeskanzler?) chen kann, wen er bedient und wen nicht. Das kann aber Diese Diskriminierung gegenüber einem Mitglied der doch nicht ernsthaft die Position der Liberalen sein. Bundesregierung wollen wir Ihnen bis zur Verabschie- dung des Gesetzes noch durchgehen lassen. Lassen Sie mich als Abschluss der Beantwortung Ih- rer Frage einen Satz von Hannah Arendt zitieren, der in Vielen Dank. der Bibliothek des Bundestages im Marie-Elisabeth- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Lüders-Haus nachgelesen werden kann. Dieser Satz DIE GRÜNEN) – man kann ihn nur unterstreichen – lautet: Freiheit ist denkbar als Möglichkeit des Handelns Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: unter Gleichen. Ich schließe die Aussprache. Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 152. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Januar 2005 14279

Vizepräsident Dr. Norbert Lammert (A) Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzent- Davon ist diese rot-grüne Bundesregierung allerdings (C) wurfs auf Drucksache 15/4538 an die in der Tagesord- meilenweit entfernt. nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) dazu anderweitige Vorschläge? – Das ist offensichtlich nicht der Fall. Dann ist das so beschlossen. Sie haben sich dafür entschieden, einen EU-Beitritt der Türkei zu unterstützen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 17 auf: (Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE Beratung des Antrags der Abgeordneten GRÜNEN]: Wie ! – Hans- Wolfgang Bosbach, Hartmut Koschyk, Thomas Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Strobl (Heilbronn), weiterer Abgeordneter und NEN]: Auch ältere Männer können sich irren!) der Fraktion der CDU/CSU Sie haben sich in der EU massiv dafür eingesetzt, Ver- Probleme mit der Türkei nicht ausblenden handlungen mit der Türkei zu führen, die einen Beitritt dieses großen Landes in die EU zum Ziel haben. Beides – Drucksache 15/4496 – sind politische Entscheidungen, die diese Bundesregie- Überweisungsvorschlag: rung kraft ihres Mandates fällen kann. Sie wird sie aller- Innenausschuss (f) dings 2006 vor den Wählerinnen und Wählern auch zu Auswärtiger Ausschuss Rechtsausschuss verantworten haben. Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe (Zuruf von der SPD: Keine Bange!) Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Eigenartig mutet jedoch die Art und Weise an, mit der Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die diese Regierung einen EU-Beitritt offensichtlich erzwin- Aussprache 45 Minuten dauern. – Ich höre dazu keinen gen will. Während bei innenpolitischen Reformen zwi- Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. schenzeitlich wieder des Kanzlers ruhige Hand zu spü- Ich eröffne die Aussprache und erteile zunächst dem ren ist, wird der EU-Beitritt der Türkei mit großem Kollegen Thomas Strobl für die CDU/CSU-Fraktion das Druck und einer fast schon fahrlässigen Leichtfertigkeit Wort. im Umgang mit den Problemen, die die Türkei nach wie vor hat und macht, betrieben. Viel schlimmer noch: Es scheint, als würden jegliche Bedenken und viele doch Thomas Strobl (Heilbronn) (CDU/CSU): tatsächlich vorhandenen Probleme mit der Türkei Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und schlicht unbeachtet beiseite geschoben. Es hat doch Herren! Ich möchte mit Genehmigung des Herrn Präsi- wahrlich nichts mehr mit vernünftiger und verantwortli- (B) denten mit einem Zitat beginnen: cher Politik zu tun, wenn Berichte und Fakten über mas- (D) Die leitenden Staatsmänner der europäischen Na- sive Verletzungen von deutschem oder internationalem tionen und die Mitglieder der bisherigen wie der Recht und internationalen Gepflogenheiten durch die neuen EU-Kommission sind im Begriff, uns alle Türkei von der Bundesregierung offiziell nicht zur leichtfertig zu überfordern. Überforderung und Kenntnis genommen werden. Übereifer können zum Zerfall des Jahrhundert-Vor- (Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: So ist es!) habens der Integration Europas führen. Am Ende könnte eine bloße Freihandelszone übrig bleiben. Manche solcher Vorgänge werden von der Bundesregie- rung regelrecht vertuscht und vor der deutschen Öffent- Das war am 25. November vergangenen Jahres in einem lichkeit zurückgehalten. großen Artikel in der „Zeit“ nachzulesen. Der Artikel (Dr. Klaus Rose [CDU/CSU]: Wie beim stand unter der Überschrift: „Bitte keinen Größenwahn“. Visum!) Der Verfasser dieses Artikels ist kein Geringerer als Alt- bundeskanzler , der ja bekanntermaßen Rot-grüne Politiker sprechen immer gern davon, man der Sozialdemokratischen Partei angehört. müsse die Menschen mitnehmen, wenn man sie von et- was überzeugen wolle. Das ist wahr. Aber in Sachen Nun, die SPD hat nicht immer auf Helmut Schmidt Türkei-Beitritt haben Sie sich offensichtlich dazu ent- gehört und auch in dieser Frage scheint sie es nicht zu schlossen, gar nicht erst zu versuchen, die Menschen von tun. Denn in dem Artikel warnt Helmut Schmidt ein- Ihrer ja wahrlich falschen und unvernünftigen Politik zu dringlich vor einem Beitritt der Türkei zur EU und am überzeugen. Das werden wir Ihnen nicht durchgehen las- Ende des Artikels lehnt er ihn mit guten Argumenten sen. rundweg ab. Ich zitiere nochmals aus demselben Artikel: (Beifall bei der CDU/CSU) Monnet und Schuman, Adenauer und de Gaspari, Churchill und de Gaulle waren Staatsmänner von Meine Damen und Herren von Rot-Grün, Sie müssen ungewöhnlichem Weitblick – keiner von ihnen hat sich den Problemen schon stellen und deswegen haben die europäische Integration bis über die kulturellen wir heute diesen Antrag eingebracht. Grenzen Europas ausdehnen wollen. Die heutigen Eines der genannten Probleme betrifft die Praxis Epigonen sollten jedenfalls wissen: Nur dann, wenn rechtsmissbräuchlicher Wiedereinbürgerungen ehe- sie sorgfältig einen Schritt nach dem anderen tun, mals Türkischer mit deutschem Pass. Was ist gesche- können sie hoffen, ihre Nationen auf dem Wege hen? – In § 25 des deutschen Staatsangehörigkeitsgeset- mitzunehmen. zes ist vorgesehen, dass ein Deutscher seine 14280 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 152. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Januar 2005

Thomas Strobl (Heilbronn) (A) Staatsangehörigkeit mit dem Erwerb einer ausländischen nachträglich durch die Bundesregierung legalisiert (C) Staatsangehörigkeit verliert. Das heißt: Ein türkisch- würde. stämmiger Deutscher, der sich in der Türkei wiederein- bürgern lässt, verliert kraft Gesetzes die deutsche Staats- Wir fordern die Bundesregierung auf, mit der türki- angehörigkeit. schen Regierung eine klare Vereinbarung zu treffen, um diesen Vorgang aus der Welt zu schaffen. Wie glauben Diese Regelung hat ihren Grund. Wir haben immer Sie eigentlich, meine Damen und Herren von Rot-Grün, gesagt – und an diesem Standpunkt hat sich nichts die deutsche Bevölkerung von einem Beitritt der Türkei geändert –, dass wir keine doppelten Staatsbürgerschaf- zur EU überzeugen zu können, wenn Sie bei solch ekla- ten wollen. Wer Deutscher werden will, soll und muss tanten Verstößen der Türkei gegen elementare Regeln sich zu unserem Staat bekennen und dies dadurch doku- des zwischenstaatlichen Zusammenlebens eine so laxe, mentieren, dass er sich für eine, nämlich die deutsche ja desinteressierte Haltung an den Tag legen? Solange Staatsbürgerschaft entscheidet. Nun war nachzulesen, solche Vorgänge passieren können, ist die Türkei für ei- dass es von der türkischen Regierung einen Runderlass nen Beitritt zur EU nicht bereit. Viel mehr noch: Das gibt, in dem den Gouverneursämtern die Weisung erteilt Unterlassen solcher Rechtsverstöße ist eine elementare wird, die in Deutschland verlangten Registerauszüge zu Grundvoraussetzung, um überhaupt über einen Beitritt manipulieren der Türkei zur Europäischen Union verhandeln zu kön- (Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Hört! Hört!) nen. und so den Wiedererwerb der türkischen Staatsangehö- Das gilt auch für einen anderen in der Presse doku- rigkeit gegenüber den deutschen Behörden zu vertu- mentierten Fall. Es gibt in der Türkei offensichtlich nach schen. Nach Angaben des türkischen Außenamtsstaatse- wie vor eine Rechtspraxis, um missliebigen Staatsbür- kretärs handelt es sich um 40 000 bis 50 000 Fälle gern, die sich im Ausland aufhalten, die türkische Staats- – möglicherweise mehr – von türkischen Staatsangehöri- bürgerschaft zu entziehen, um ihnen die Rückkehr in die gen, die durch Verstoß gegen die Regeln des deutschen Türkei zu versperren. Dadurch werden auch Abschie- Staatsangehörigkeitsrechts illegal im Besitz eines deut- bungen aus Deutschland in die Türkei unmöglich. schen Passes sind. (Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Hört! Hört!) (Dr. Friedbert Pflüger [CDU/CSU]: Hört! Von dieser Praxis profitieren nach Erkenntnissen der Hört!) Polizei auch Schwerstkriminelle, deren Abschiebung in Meine Damen und Herren, verehrte Frau Staatssekre- die Türkei durch die Ausbürgerung blockiert wurde. tärin, ich frage Sie ganz konkret: Wie gehen Sie mit die- Einschlägige Fälle sind in Berlin, Essen und anderswo dokumentiert. Auch hier liegen einige Fragen auf der (B) sem schweren Verstoß gegen unser deutsches Recht um? (D) Haben Sie diesen Vorgang überhaupt zur Kenntnis ge- Hand: Warum hat der Bundesinnenminister nicht nach- nommen? Haben Sie das gegenüber der türkischen Re- haltig gegenüber der Türkei interveniert? Warum ist gierung thematisiert? diese Frage nicht im Vorfeld der Entscheidung darüber, ob Beitrittsgespräche mit der Türkei geführt werden, (Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE thematisiert worden? GRÜNEN]: Alle Fragen sind längst beantwor- (Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- tet!) NEN]: Woher wissen Sie das denn?) Oder ist das ein Fall, der erneut beweist, dass es die Bun- Was gedenkt die Bundesregierung zu tun, um dieser völ- desregierung mit der Durchsetzung deutschen Rechts kerrechtswidrigen Praxis ein Ende zu setzen? Auch hier nicht so genau nimmt, wenn es ihr politisch nicht in den gilt: Es reicht nicht aus, auf die anstehenden Beitrittsver- Kram passt, handlungen zu verweisen, wie es die Bundesregierung (Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE immer gerne tut. Sie verfahren nach dem Motto: Das al- GRÜNEN]: Das haben wir alles schon in der les wird sich schon klären. Nein, die Beendigung solcher Fragestunde beantwortet!) Vorgänge ist erst die Voraussetzung dafür, dass man mit der Türkei in Beitrittsverhandlungen eintritt. wie wir es auch vom im Zusammenhang mit dem Fischer/Volmer-Erlass entstanden Schleuserskandal um Ich zitiere noch einmal Helmut Schmidt im bereits die massenhafte und unkontrollierte Erteilung von genannten Artikel der „Zeit“: Schengen-Visa durch verschiedene deutsche Botschaften ... so kann es doch nicht Aufgabe der EU sein, ihren kennen? Mitgliedsstaaten den Rechtsstaat, Demokratie und (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Cornelie persönliche Freiheit zu bringen. Alle bisherigen Sonntag-Wolgast [SPD]: Das musste ja wieder Mitgliedsstaaten haben diese Grundwerte entschei- kommen!) dend aus eigenem Antrieb im eigenen Land ver- wirklicht, bevor sie sich der EU angeschlossen ha- Diese und andere Fragen werden wir Ihnen heute und ben – und nicht etwa zum Zwecke des Beitritts. in Zukunft stellen, bis die deutsche Öffentlichkeit von Ihnen, meine Damen und Herren von der rot-grünen Die Bundesregierung scheint angesichts der gravie- Bundesregierung, eine zufrieden stellende Antwort be- renden Sicherheitsprobleme, die die Türkei mit sich kommt. Es wäre wirklich unerträglich, wenn diese skan- bringt, ganz ähnlich verfahren zu wollen. Dem jüngsten dalöse Vertuschungsaktion der türkischen Regierung Verfassungsschutzbericht zufolge sind in den aktiven Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 152. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Januar 2005 14281

Thomas Strobl (Heilbronn) (A) islamistischen Organisationen, die eine Mitgliederzahl (Zuruf von der CDU/CSU: Ach was!) (C) von über 30 000 Personen aufweisen, 27 000 türkische Staatsangehörige. Wie mit dem Sachverhalt umzugehen ist, ist relativ klar. Nach unserer Schätzung sind etwa 48 000 türkische (Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast [SPD]: Das Staatsangehörige betroffen. Nach § 25 des Staatsangehö- wird auch noch schnell hineingemengt! – rigkeitsgesetzes haben diese durch die Annahme der tür- Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Hört! Hört!) kischen Staatsbürgerschaft die deutsche Staatsbürger- Daraus folgt zunächst einmal, dass Millionen Menschen schaft verloren. Ab dem Zeitpunkt der Kenntnisnahme türkischer Herkunft in Deutschland friedlich leben. dieser Tatsache durch den Betroffenen, zum Beispiel an- lässlich der Verlängerung eines Passes oder wenn er hei- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) raten möchte, hat der Betroffene nach dem neuen Aber auch der Verweis auf die friedliebende und schwei- Zuwanderungsgesetz bzw. nach dem neuen Aufenthalts- gende Mehrheit darf nicht dazu führen, dass man die gesetz sechs Monate Zeit, eine Aufenthaltserlaubnis zu Augen vor den Problemen mit den extremistischen Isla- beantragen. In diesen sechs Monaten besteht auf diese misten unter der türkischen Bevölkerung verschließt, Aufenthaltserlaubnis auch ein gewisser Anspruch. Die wie es die rot-grüne Regierung bis heute tut. deutsche Staatsbürgerschaft muss schlichtweg neu bean- tragt werden. Die Sache ist also nicht rückgängig zu ma- (Beifall bei der CDU/CSU) chen, sondern der Betroffene muss ganz neu die deut- sche Staatsbürgerschaft erwerben, weil diese durch Meine Damen und Herren, Sie verschließen die Augen Gesetzeskraft verloren gegangen ist. vor der „türkischen Realität“ in Deutschland. (Dr. Gerd Müller [CDU/CSU]: So ist es!) Was die weitere Praxis angeht, so kann ich Ihnen sa- gen, dass es mit der jetzigen türkischen Regierung natür- lich ein Übereinkommen gibt; die Praxis, die türkische Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: Staatsangehörigkeit, die zuvor entzogen wurde, unbe- Herr Kollege, denken Sie bitte an die Redezeit! merkt erneut zu erteilen, wurde inzwischen abgestellt.

Thomas Strobl (Heilbronn) (CDU/CSU): Zur Frage der Ausbürgerungen kann ich Ihnen sagen Das hat auch die öffentliche Anhörung des Deutschen – Sie können das ja nicht wissen, weil Sie nicht jedes Bundestages zum Thema „Islamistische Einflüsse auf Mal dabei sind, wenn der Herr Innenminister mit seinem die Gesellschaft und ihre Auswirkungen auf Integration türkischen Kollegen spricht –, dass diese sehr wohl auch und Sicherheit“ klar erbracht. Inhalt der Gespräche sind. Wir hoffen, da sehr bald zu ei- ner gemeinsamen Regelung zu kommen. Sie brauchen (D) (B) (Dr. Gerd Müller [CDU/CSU]: Dieses Thema also nicht zu befürchten, dass wir Themen, die in der Tat wird tabuisiert!) problematisch sind, nicht mit entsprechender Klarheit zum Ausdruck bringen. Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: Herr Kollege! Ich will darauf hinweisen, dass die positive Aussicht auf einen Beitritt sicherlich sehr viel dazu beiträgt, die Verhandlungen mit der Türkei zu beschleunigen und ein- Thomas Strobl (Heilbronn) (CDU/CSU): facher zu gemeinsamen Übereinkommen zu kommen, – Ich komme sofort zum Ende. als es noch vor ein paar Jahren der Fall war. In diesem Meine Damen und Herren, wir können nicht zulassen, Sinne: Helfen Sie mit, dass zum Beispiel die Staatsbür- dass die Türkei auf diese Art und Weise ihre eigenen ger informiert werden. Diese Probleme betreffen übri- Probleme nach Deutschland verlagert – übrigens insbe- gens nicht nur die Gruppe der Türken. Ähnliche Pro- sondere wegen der großen Mehrheit der hier lebenden bleme gibt es bei Aussiedlern aus Russland, die deutsche Türken: Auch deren Integration wird durch eine solche Staatsbürger sind: Sobald sie ihren russischen Pass ver- Politik letztlich erschwert. längern lassen, haben sie genau dasselbe getan, nämlich eine zweite Staatsbürgerschaft angenommen, ohne eine Besten Dank fürs Zuhören. Genehmigung dafür zu haben. Damit verlieren auch sie (Beifall bei der CDU/CSU – Ute Kumpf ihre deutsche Staatsbürgerschaft. Es liegt an uns allen [SPD]: So ein Quatsch!) – insoweit kann ich nur appellieren –, die Folge eines solchen Verhaltens, nämlich den Verlust der deutschen Staatsbürgerschaft, publik zu machen, darüber zu infor- Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: mieren. Zu einer Kurzintervention erteile ich der Kollegin Ute Vogt das Wort. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ute Vogt (Pforzheim) (SPD): Ganz herzlichen Dank, Herr Präsident. – Herr Kol- Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: lege Strobl, Sie haben Fragen gestellt, die ich Ihnen gern Zur Erwiderung, Herr Kollege Strobl. beantworten möchte. Ich kann Ihnen einen Blick ins Ge- setz empfehlen; das erleichtert zuweilen die Rechtsfin- (Dr. Michael Bürsch [SPD]: Der Antrag wird dung. zurückgezogen!) 14282 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 152. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Januar 2005

(A) Thomas Strobl (Heilbronn) (CDU/CSU): eine Große Anfrage, das wäre vernünftiger! – (C) Herr Präsident! Ich bin dankbar, dass Frau Staatsse- Weiterer Zuruf von der SPD: Das ist doch jetzt kretärin Vogt hier einräumt – ich höre das im Übrigen keine Regierungsbefragung!) zum ersten Mal von einem Mitglied der Bundesregie- rung –, dass es ein handfestes Problem gibt. Vielleicht Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: sagen Sie auch zu anderen angesprochenen Problemen etwas, zum Beispiel zu den Ausbürgerungen, die die Nächste Rednerin ist die Kollegin Lale Akgün, SPD- Türkei vornimmt und mit denen sie Abschiebungen aus Fraktion. Deutschland verhindert, oder zu den 27 000 extremisti- (Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Sie wird uns schen, islamistischen Türken, die in der Bundesrepublik das jetzt beantworten! – Gegenruf des Abg. Deutschland leben. Ich bin jedoch schon dankbar, dass Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE Sie zu dem einen Punkt konzedieren, dass es ein Pro- GRÜNEN]: Wir reden jetzt über den Antrag blem gibt. I und nicht über Ihre Frage!) Frau Staatssekretärin, ich möchte Ihnen dazu eine Frage stellen. Am 5. Januar 2005 stand in der „Frankfur- Dr. Lale Akgün (SPD): ter Rundschau“ – das ist ja nicht gerade ein rechtsradika- Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und les, ausländerfeindliches Hetzblatt –: Kollegen! Herr Strobl, ich danke Ihnen für Ihre Ausfüh- Die Europäische Union (EU) muss sich langfristig rungen; denn seit ich diesen Antrag gelesen habe, habe auf den Zustrom von nahezu drei Millionen Zuwan- ich mir wirklich Gedanken darüber gemacht, was Sie mit derern einstellen, wenn sie den Türken nach einem diesem Bauchladenantrag „Probleme mit der Türkei eventuellen Beitritt Freizügigkeit gewährt. Zu die- nicht ausblenden“ wollen. Sie haben nach dem Motto ser Einschätzung kommt die Statistikbehörde DIE gehandelt: immer rein in den Antrag. in Ankara. Einer Studie des staatlichen Statistik- Sie selbst haben jetzt gesagt, dass der Antrag vom amts der Türkei zufolge wollen 2,7 Millionen Tür- 14. Dezember 2004 der vergebliche Versuch war, drei ken in den ersten 15 Jahren nach einem EU-Beitritt Tage vor dem Europäischen Rat der Öffentlichkeit noch ihres Landes in eines der 25 Mitgliedsländer aus- einmal die letzten Argumente zu präsentieren, um in wandern. Deutschland Stimmung gegen die Türkei zu machen. Ihr (Vorsitz: Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Wunsch war es ja, die Türkei als nicht europatauglich Kastner) darzustellen und damit den Beschluss der EU zu torpe- dieren, Beitrittsverhandlungen mit der Türkei aufzu- (B) In den Mitgliedstaaten der Europäischen Union leben nehmen. Wir alle wissen, dass sich der Europäische Rat (D) ungefähr 4 Millionen Türken, 2,5 Millionen davon in von Ihrem Papier nicht sonderlich hat beeindrucken las- Deutschland. Im gleichen Artikel ist davon die Rede, sen. Er hat die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen dass bis zu 4 Millionen Türken nach Europa kommen beschlossen. Das ist gut so. Trotzdem müssen wir uns könnten. Ein Großteil davon wird wiederum nach heute mit Ihrem Gemischtwarenantrag beschäftigen. Deutschland kommen. (Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Aha! Pro- (Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast [SPD]: Diese bleme sind für Sie also Gemischtwaren! – Statistik ist getürkt!) Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Sa- Schauen Sie sich diese Zahlen an! Das wird dazu führen, gen Sie doch einmal etwas zu den Problemen!) dass die Anzahl der in Deutschland lebenden Türken – Es sind Gemischtwaren, weil Sie ganz unterschiedli- massiv zunehmen und sich möglicherweise verdoppeln che Probleme in einen Topf geworfen haben. Ich nenne wird. das Problem der Islamisten, das Problem der Staatsbür- Frau Staatssekretärin, ich möchte Sie, die Bundes- gerschaft usw. Ich will versuchen, Ordnung in diesen regierung und die kommenden Redner der rot-grünen Antrag zu bringen, und beginne mit dem ersten Punkt, Koalition fragen: bei dem es um die Staatsangehörigkeit geht. (Dr. Michael Bürsch [SPD]: Das ist keine Fra- Sie behaupten, türkischstämmige Deutsche würden gestunde!) sich mithilfe der türkischen Regierung heimlich und ille- gal eine zweite Staatsangehörigkeit aneignen. Glauben Sie wirklich, dass diese massiven Probleme – ein Problem hat Frau Vogt gerade eben eingeräumt – (Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Das hat die kleiner werden, wenn die Anzahl der aus der Türkei Frau Staatssekretärin gerade bestätigt!) nach Deutschland kommenden Menschen sehr viel grö- ßer wird und es durch die Freizügigkeit und den EU-Bei- – Hören Sie doch einmal zu. – Um es klarzustellen: Es tritt möglicherweise sogar zu einer Verdoppelung der in gibt keine rechtsmissbräuchliche Wiedereinbürgerung. Deutschland lebenden Türken kommen wird? Jede und jeder Deutsche ist völlig frei darin, jede Staats- angehörigkeit jedes Staates anzunehmen, die ihm erteilt (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE wird. GRÜNEN]: Die Zahl wird sich vielleicht ver- doppeln, die Türken nicht! – Dr. Cornelie (Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE Sonntag-Wolgast [SPD]: Stellen Sie lieber GRÜNEN]: So ist es!) Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 152. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Januar 2005 14283

Dr. Lale Akgün (A) Das Problem dabei ist, dass die Annahme einer ausländi- wir uns der etwa 50 000 betroffenen Menschen in (C) schen Staatsangehörigkeit den automatischen Verlust der Deutschland annehmen. Wir müssen sie dabei unterstüt- deutschen Staatsbürgerschaft zur Folge hat. zen, wieder einen sicheren Aufenthalts- und Staatsange- hörigkeitsstatus zu erlangen. Unser Anliegen ist es, die (Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Das muss man aber wissen!) Betroffenen zu beraten und ihnen Wege aufzuzeigen, wie sie ihre eigene Rechtsunsicherheit beenden können, Das steht in § 25 des Staatsangehörigkeitsgesetzes. wie sie eine Aufenthaltserlaubnis, eine Niederlassungs- Diese Regelung gilt seit dem 1. Januar 2000, also seit erlaubnis und eine erneute Erlangung der deutschen In-Kraft-Treten des von uns initiierten Staatsangehörig- Staatsbürgerschaft erreichen können. keitsrechts. Bis dahin galt das alte Staatsangehörigkeits- recht, durch das allen in Deutschland lebenden und ein- In dieser Sache sind wir intensiv tätig, seitdem das gebürgerten Türkischstämmigen und anderen sehr wohl Problem auf dem Tisch ist. Das geschieht nicht, wie Sie die Möglichkeit eingeräumt wurde, eine zweite Staats- wieder unterstellen, indem wir Gesetzeserleichterungen bürgerschaft wiederzuerlangen, ohne die deutsche zu schaffen, Sondervereinbarungen, Geheimabkommen verlieren. oder Ähnliches anstreben. Nein, wir beraten die betroffe- nen Menschen in diesem Land, wie sie im Rahmen der Viele der jetzt Betroffenen haben die Wiedereinbürge- bestehenden Gesetze vorgehen können, um möglichst rung übrigens schon lange vor dem 1. Januar 2000 bean- unbürokratisch ihren Status zu verbessern. Ich halte das tragt. nicht für rechtsmissbräuchlich oder falsch, sondern für (Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast [SPD]: So ist die Pflicht einer verantwortungsvollen Regierung. das!) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Sie haben dadurch die deutsche Staatsangehörigkeit ver- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) loren, oft ohne sich dessen bewusst zu sein. Diese Wir sind dabei, eine Broschüre in deutscher, türkischer Menschen haben schlichtweg den Fehler begangen, die und russischer Sprache herauszubringen, um die Betrof- Änderungen in einem Paragraphen des Staatsangehörig- fenen aufzuklären und ihnen Wege aufzuzeigen, im Rah- keitsrechtes im Jahr 2000 nicht verfolgt zu haben und men der bestehenden Gesetze wieder einen sicheren die Rechtsfolge des Verlustes der deutschen Staatsange- Aufenthaltsstatus zu erlangen. hörigkeit nicht zu kennen. Im zweiten Punkt Ihres Antrages geht es um eine An- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten zahl von circa 300 bis 400 Personen, die der türkische des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Staat ausgebürgert hat – in der Regel wegen Nichtableis- Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Sie (B) tung des Wehrdienstes –, und zwar unabhängig davon, (D) sollten die Menschen nicht dümmer machen, ob diese Leute kriminell sind oder nicht, und auch unab- als sie sind! – Gegenruf des Abg. Josef Philip hängig davon, ob sie durch die Ausbürgerung staatenlos Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es kann ja nicht jeder Jurist sein!) werden oder nicht. Diese Praxis ist ein Problem. Wir sind damit überhaupt nicht einverstanden. Dies betrifft die Wiedereinbürgerung in die Türkei, wie die Staatssekretärin eben ausgeführt hat, aber auch (Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Ach ehemalige sowjetische Staatsbürger, die die Staatsange- ja! Hört! Hört!) hörigkeit eines der Nachfolgestaaten der Sowjetunion Im Gegensatz zum Titel Ihres Antrages jedoch blen- beantragt haben. Diese Menschen werden für ihr fehlen- den wir diese Probleme nicht aus, sondern gehen sie seit des Wissen sanktioniert, und zwar mit dem Verlust der langem und nachdrücklich an. Besonders Bundesminis- deutschen Staatsbürgerschaft. Sie hingegen, Kolleginnen ter Schily hat dies in den vergangenen Monaten bei der und Kollegen von der Union, dürfen Ihr geballtes juristi- türkischen Seite nachdrücklich angemahnt. Dies betrifft sches Unwissen sogar in Form eines Antrages in die insbesondere die Reform des türkischen Staatsangehö- Welt hinausposaunen. Ich frage Sie: Sind Sie wirklich rigkeitsrechts und die Harmonisierung im Rahmen der nicht in der Lage, zwischen einer Rechtsfolge und einem Beitrittsverhandlungen mit der Türkei. Dieser Prozess ist Rechtsmissbrauch zu unterscheiden? Das kann ich nicht auf dem Weg und wir werden ihn kritisch begleiten. glauben. Ich fürchte, Sie vertauschen die Begriffe ab- sichtlich, weil sich der Ausdruck Rechtsmissbrauch Der dritte Punkt Ihres Antrages hat nun wirklich leichter dazu benutzen lässt, Menschen in die Nähe kri- nichts mehr mit Unwissenheit zu tun. Entschuldigen Sie, mineller Handlungen zu rücken und einen ganzen Staat aber er ist schlicht eine Unverschämtheit, weil Sie erneut als nicht rechtsstaatlich zu diskreditieren. die Anwesenheit türkischstämmiger Menschen als ein Sicherheitsrisiko darstellen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) (Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast [SPD]: Ja! – Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Es In der Tat gibt es in diesem Themenbereich einen Pro- geht nicht um türkischstämmige Menschen! Es blemdruck. geht um Islamisten!) (Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Aha!) Sie schüren Ängste, um politisch Stimmung zu machen, Es geht aber nicht etwa darum, die Handlungsweise tür- indem Sie die Begriffe Kriminalität, Islamismus, Extre- kischer Behörden infrage zu stellen, sondern darum, dass mismus, Türken, Mitgliedschaft der Türkei in der EU, 14284 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 152. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Januar 2005

Dr. Lale Akgün (A) Bildungsferne und Einbürgerung einfach aneinanderrei- Auch positive Annäherungen, liebe Kolleginnen und (C) hen, muslimische Jugendliche als tickende Zeitbomben Kollegen von der Union, sind möglich. Ich möchte ein bezeichnen und alle Bemühungen um eine Integration Beispiel geben. Heute ist Opferfest. Das ist der höchste gezielt torpedieren. islamische Feiertag. Ich möchte daher allen Muslimen in Deutschland ein gesegnetes und friedliches Opferfest (Dr. Gerd Müller [CDU/CSU]: Eine Frech- wünschen. Das tue ich auch in Ihrem Namen. heit! – Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/ CSU]: Eine Verallgemeinerung machen Sie (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ gerade!) DIE GRÜNEN)

Sie fragen nach dem Gesamtkonzept dieser Bundes- Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: regierung zur Bewältigung von Sicherheitsrisiken. Wenn Nächster Redner ist der Kollege Ernst Burgbacher, Sie sich anschauen, was diese Regierung im Bund tut, FDP-Fraktion. und wenn Sie sich einmal vor Augen führen, was sozial- demokratisch geführte Landesregierungen in Deutsch- land tun, dann werden Sie ein Gesamtkonzept erkennen. Ernst Burgbacher (FDP): Unser Gesamtkonzept besteht aber eben nicht nur aus si- Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! cherheitspolitischen Maßnahmen. Ein Gesamtkonzept Eine Vorbemerkung will ich jetzt doch machen. Ich bin zur gesellschaftlichen Integration besteht aus vielen poli- seit 9 Uhr im Plenum. Es wurde heute Morgen – auch tischen Bereichen. Dazu gehören das Bekämpfen von zur Kernzeit – noch kein Minister der Bundesregierung Extremismus, das Fördern des demokratischen Islam in hier gesehen. Deutschland, aber auch eine gezielte Förderung von Ar- (Manfred Grund [CDU/CSU]: Es kommt auch beit, Bildung und Ausbildung. Ihr Gesamtkonzept lautet keiner mehr!) hingegen: Bildung kürzen, Schüler früher selektieren, bundesweite Studiengebühren, die Politik aus dem Be- Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Regierungs- mühen um Ausbildungsplätze heraushalten, Gelder für fraktionen, ich fordere auch Sie auf, diese Brüskierung Integration in den von Ihnen regierten Bundesländern des Parlaments durch die Bundesregierung nicht hinzu- kürzen, Turbokapitalismus und Entsolidarisierung. Ihr nehmen. Wir dürfen das nicht mitmachen! politisches Konzept ist ein Risiko für Integration und Si- cherheit in unserem Land. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Die (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Josef machen schon wieder Urlaub!) (B) Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Zur Sache: Dieser Antrag muss unter zwei verschie- (D) NEN]) denen Aspekten behandelt werden, einmal in Bezug auf Der Berliner „Tagesspiegel“ schrieb am 7. Januar die- die Zielrichtung, zum anderen in Bezug auf die konkre- ses Jahres zu Ihrer ratlosen Programmatik: ten Punkte. Zunächst zur Zielrichtung, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union. Sie haben diesen Antrag In CDU und CSU geht Angst um. Es ist die Angst am 14. Dezember im Zusammenhang mit der EU-Ent- vor der eigenen Schwäche. scheidung eingebracht. Die Entscheidung, Verhandlun- gen mit der Türkei aufzunehmen, ist gefallen. Es ist Ihre Schwäche soll nicht unsere Sorge sein. Aber wir doch keine Frage, dass sich auch eine Nachfolgeregie- können es nicht tolerieren, wenn Sie versuchen, Ihre ei- rung im Jahr 2006 an diese Entscheidung halten müsste. gene Angst vor Bedeutungslosigkeit zu bekämpfen, in- Deshalb müssen Sie zumindest den Punkt des Antrages dem Sie in der Gesellschaft Vorurteile gegenüber ande- ändern, damit er wirklich ernst genommen werden kann. ren Menschen schüren, indem Sie Angst vor Kein Mensch kann davon ausgehen, dass eine Regierung notwendigen politischen Veränderungen schüren. Das die Verhandlungen nicht weiterführen würde. Das sollte können wir nicht zulassen. Ich werde Ihnen bei jedem man hier klarstellen. Versuch dieser Art immer ganz deutlich sagen: Ihre Poli- tik ist schäbig. (Beifall bei der FDP – Thomas Strobl [Heil- bronn[ [CDU/CSU]: Wir wollen eine privile- (Beifall bei der SPD – Hartmut Koschyk gierte Partnerschaft und auch die kann das Er- [CDU/CSU]: Sehr sachlich!) gebnis der Verhandlungen sein!) Ich würde mir wünschen, Sie würden in den Zuge- Was die Einzelfragen, die Sie hier aufgelistet haben, wanderten, vor allem in den muslimischen Zugewander- betrifft, muss ich sagen, dass es sicherlich richtig ist, ten, nicht nur Gewalt und Terrorismus sehen. dass der Runderlass der türkischen Regierung bezüglich der Staatsangehörigkeit aus dem Jahr 2001 im (Dr. Gerd Müller [CDU/CSU]: Das ist un- März 2004 aufgehoben wurde. Aber, Frau Staatssekretä- glaublich tolerant, was Sie hier bieten!) rin Vogt, es kommt jetzt darauf an, wie die Durchfüh- Ich würde mir wünschen, Sie würden auch die Bereiche- rung aussieht. Es ist völlig richtig, Frau Akgün, wir müs- rung durch die Zuwanderung sehen. sen auch an die Betroffenen denken und daran, wie wir denen, die zum Teil aus Unwissenheit gehandelt haben, (Dr. Gerd Müller [CDU/CSU]: Das ist eine helfen können. Wir müssen uns aber auch fragen, wie schäbige Rede!) wir eigentlich darüber informiert werden, Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 152. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Januar 2005 14285

Ernst Burgbacher (A) (Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Sehr richtig!) (Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE (C) GRÜNEN]: Genau das haben die Regierungen ob diese deutschen Staatsbürger wieder die türkische ja beschlossen!) Staatsangehörigkeit angenommen haben oder nicht. Diese Frage müssen Sie uns schon noch genauer beant- es muss völlig klar sein, dass am Ende der Verhandlun- worten. Das Problem ist da und das müssen wir lösen. gen ein Ja oder ein Nein stehen kann. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – (Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Oder Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Das eine privilegierte Partnerschaft!) ist genau der Punkt!) Dabei ist sowohl die Situation in der Türkei als auch die innerhalb der Europäischen Union zu berücksichtigen. Wir müssen auch bei den Ausbürgerungen nicht nur auf das Recht schauen, sondern auch auf die Rechtspra- Es gibt vieles, was die Türkei selbst leisten muss. xis. Es kann nicht sein, dass Menschen, die bei uns kri- (Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast [SPD]: Wer minell werden, ausgebürgert werden und damit nicht bestreitet das denn!) mehr abgeschoben werden dürfen. Das werden wir nicht mittragen. Der Schutz von Minderheiten ist in der Türkei nach wie vor bei weitem nicht gewährleistet. (Beifall des Abg. Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU] – Josef Philip Winkler [BÜND- (Beifall bei der FDP – Josef Philip Winkler NIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer bestreitet das [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das steht al- denn? Wer trägt das denn mit?) les im Beschluss der Regierungschefs!) Auch das ist in der Praxis zu behandeln. Die Religionsfreiheit ist dort bis heute nicht gegeben. Der Vorrang des Zivilen vor dem Militärischen ist in der Es ist richtig, dass wir ein Gesamtkonzept zur Bewäl- Türkei nicht garantiert. Es ist noch nicht zu einer Ein- tigung aktueller und künftiger Sicherheitsrisiken brau- stellung jeglicher Art von Folter gekommen. In diesen chen. Ich warne allerdings auch hier vor Verallgemeine- Punkten muss in den Verhandlungen eine Lösung erzielt rungen und davor, den Islam pauschal zu verurteilen. werden; (Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Das (Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE machen wir nicht!) GRÜNEN]: Völlig richtig!) andernfalls ist der Beitritt der Türkei nicht möglich. Wir müssen sehr differenziert vorgehen. Darüber, dass (B) wir Sicherheitskonzepte brauchen, sind wir uns, glaube Zu berücksichtigen sind auch die von Ihnen angespro- (D) ich, in diesem Hohen Haus alle einig. chenen Punkte, Herr Strobl. Notwendig sind nicht nur rechtliche Regelungen, sondern es geht auch um die (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Umsetzung in der Rechtspraxis. der CDU/CSU und des Abg. Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Insofern stelle ich abschließend fest: Wenn Ihr Antrag ernsthaft weiter beraten werden soll, dann muss er geän- In Wirklichkeit geht es doch um eine andere Frage. dert werden. Wir werden an unseren Prinzipien festhal- Die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei werden auf- ten. Die Entscheidung ist gefallen. Sie ist auch von einer genommen. Tatsache ist, dass heute weder die Türkei Nachfolgeregierung 2006 mitzutragen. Aber die beiden beitrittsfähig noch die EU fähig ist, die Türkei aufzuneh- Grundsätze – lange Dauer und ergebnisoffene Verhand- men. lungen – müssen gelten und Bestand haben. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Herzlichen Dank. Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten GRÜNEN]: Sie tritt ja auch nicht bei!) der CDU/CSU) Deshalb gibt es – das hat die FDP in der damaligen De- batte auch deutlich gemacht – für uns zwei unverrück- Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: bare Grundsätze. Der eine Grundsatz lautet: Die Ver- Nächster Redner ist der Kollege Josef Winkler, Bünd- handlungen werden sehr lange dauern. Ein Zeitraum nis 90/Die Grünen. von zehn bis 15 Jahren ist realistisch. Wir werden uns gegen alles zur Wehr setzen, was zu einem Automatis- Josef Philip Winkler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- mus der Beschleunigung führt. Die Verhandlungen wer- NEN): den, wie gesagt, sehr lange dauern. Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und (Beifall bei der FDP – Thomas Strobl [Heil- Kollegen! Ich bin immer wieder beeindruckt, wie stark bronn] [CDU/CSU]: Sehr gut!) der Einfluss der rot-grünen Bundesregierung auf euro- päischer Ebene aus Sicht der Opposition sein muss. Der zweite Grundsatz lautet: Die Verhandlungen Denn Sie gehen offenbar davon aus, dass wir es mit un- müssen ergebnisoffen sein. Es geht nicht an, mit der seren verqueren Ansichten schaffen, alle Staats- und Re- Aufnahme der Verhandlungen das Ergebnis vorwegzu- gierungschefs der gesamten Europäischen Union von nehmen; Bundeskanzler Schröder und Außenminister Fischer 14286 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 152. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Januar 2005

Josef Philip Winkler (A) überzeugen zu lassen, wider besseres Wissen Beitritts- – Ich bin völlig überrascht, dass es keinen spontanen (C) verhandlungen mit der Türkei aufzunehmen. Beifall gab; denn ich finde, dass ich es schlüssig vorge- tragen habe. Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Wenn sie sich in anderen Fragen in Europa (Heiterkeit bei Abgeordneten des BÜNDNIS- auch so einbringen würden, wäre es gut!) SES 90/DIE GRÜNEN – Manfred Grund [CDU/CSU]: Wenn ’s hilft, übernehmen wir – Vielleicht sollten Sie sich zukünftig mit Ihren Außen- politikern abstimmen, Herr Strobl. – Dieses Lob für die auch gerne den Applaus!) Bundesregierung nehmen wir gerne an. – Ich merke es. Allerdings sind die Vorschusslorbeeren, die Sie uns Von offizieller türkischer Seite ist bestätigt worden, gewähren, nicht ganz angemessen. Denn alle Bedenken, dass es sich um etwa 50 000 Anträge handelt. Ich habe ja die Herr Burgbacher vorgebracht hat, sind in dem Be- bereits ausgeführt, dass die entsprechende Regelung von schluss der Staats- und Regierungschefs berücksichtigt uns abgelehnt wird. Wenn ich einmal von den aktuellen worden. Es trifft nicht zu, dass beschlossen wurde oder Fällen absehe und mir die Altfälle anschaue, bin ich den- von Rot-Grün in irgendeiner Form befürwortet würde, noch der Meinung, dass wir mehr als 40 Jahre nach der dass die Türkei der EU um jeden Preis beitreten sollte. Anwerbevereinbarung mit der Türkei noch einmal da- Die von Ihnen vorgebrachten Bedenken sind Schein- rüber nachdenken sollten – ich weiß, dass Sie das nicht argumente gegen von uns gar nicht vorgebrachte Argu- gerne hören –, ob nicht zumindest für die erste Genera- mente. Insoweit weise ich es zurück, dass wir uns an ei- tion der Einwanderer, die enorme Hilfe beim Aufbau der ner solchen Diskussion überhaupt beteiligen müssten. Bundesrepublik Deutschland geleistet haben, eine Ich komme jetzt zu dem Staatsangehörigkeitsrecht, doppelte Staatsbürgerschaft ein gutes Angebot der das Sie angesprochen haben, Herr Strobl. Die von Ihnen Bundesrepublik wäre, um ihre Leistungen zu würdigen. aufgeworfene Frage wurde seitens der Bundesregierung schon einmal dem Kollegen Jüttner beantwortet. Das (Zurufe von der CDU/CSU: Aha!) liegt allerdings schon etwas zurück und ist Ihnen viel- Ich kann jedenfalls für meine Fraktion sagen, dass wir leicht entgangen, weil er kein Innenpolitiker ist. Aber das nicht für alle Zeiten ausschließen. dass der Erlass im März 2004 aufgehoben wurde, ist schon seit November bekannt und wurde in einer Bun- (Beifall des Abg. Hans-Christian Ströbele destagsdrucksache schriftlich dokumentiert. [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Also doch Sie haben von einem gewissen Ruch der Illegalität doppelte Staatsbürgerschaft!) (B) gesprochen. Eines ist sicher: Vor der Reform war es (D) deutschen Staatsbürgern möglich, durch eine Einbürge- – Herr Strobl, ich gebe es zu: Sie haben mich entlarvt. rung im Ausland bei gewöhnlichem Aufenthalt ganz le- gal eine doppelte Staatsbürgerschaft zu erhalten. Es han- (Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: delt sich dabei um eine Gruppe, die ihre Anträge zum Hört! Hört!) Teil weit vor dem In-Kraft-Treten der Reform gestellt hat. Da nicht jeder eine so gute juristische Bildung auf- Unsere Beschlusslage dazu ist immer klar gewesen. Ich weist wie Sie, konnten nicht alle Betroffenen wissen, bleibe dabei, dass auch die Migranten enorme Leistun- dass die Reform mit ihrem In-Kraft-Treten auch rück- gen beim Aufbau Deutschlands erbracht haben. wirkend für früher gestellte Anträge gilt. (Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Ehrlich ist (Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Ma- der Josef wenigstens!) chen Sie doch die Leute nicht dümmer, als sie Ich weiß, dass das nicht die Zustimmung des ganzen sind!) Hauses findet. Aber wir bleiben dabei, dass das durchaus Die Betroffenen sind jetzt zum Teil in einer sehr mise- angemessen wäre. rablen Situation, weil sie aufgrund des Erlasses der tür- kischen Regierung die deutsche Staatsbürgerschaft ver- Abschließend möchte ich noch etwas zu Punkt 4 Ihres loren haben. Sie sind aber keine Kriminellen. Wir sind Antrags sagen, meine Damen und Herren von der CDU/ uns sicherlich einig, dass die Erlasslage in der Türkei in- CSU. Sie vermischen ständig Extremismus, türkische akzeptabel war. Dies ist inzwischen auch aufgrund der Mitbürger, Islamismus, Zuwanderung und „Verdoppe- Intervention der Bundesregierung abgestellt worden. lung der Türken in Deutschland“ miteinander. Ich bin Nun muss es darum gehen – wie bereits die Kollegin übrigens der Meinung, dass sich nur die Zahl der Türken Dr. Akgün ausgeführt hat –, in Dialog mit den Betroffe- verdoppeln kann, dass sich aber die Türken selber nicht nen zu treten und ihnen zu helfen, wieder Deutsche zu verdoppeln können. Bei deutschen Mitbürgern sind Sie werden, wenn sie es möchten. – An dieser Stelle wäre vielleicht ein bisschen genauer in der Idiomatik. Ihre ein bisschen Applaus durchaus angemessen, Herr Kol- Vermischung von Begriffen aus dem Staatsbürger- lege Ströbele. schaftsrecht mit den eben genannten lehnen wir jeden- falls ab. (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der (Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: SPD – Lachen bei der CDU/CSU und der Wenn Sie es nicht verstanden haben, erkläre FDP) ich es Ihnen später!) Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 152. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Januar 2005 14287

Josef Philip Winkler (A) Man kann es schon als schäbig bezeichnen, wenn Sie Sie sagen, dieser Missstand sei beseitigt worden und (C) Dinge, die völlig legal sind, und Mitbürger, die hier bei stelle jetzt kein Problem mehr da. Sie bagatellisieren, uns friedlich ihrer Arbeit nachgehen, mit einer extremen was das auch für die Berechenbarkeit der türkischen Po- Minderheit, die sich prozentual kaum beziffern lässt, in litik im Hinblick auf ihre Zusagen auch im Zuge des Zusammenhang bringen und fordern, dass man dagegen Beitrittsverfahrens bedeutet. Wir sind nicht bereit, das etwas tun müsse. hinzunehmen. (Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Das (Beifall bei der CDU/CSU – Josef Philip tun wir doch überhaupt nicht!) Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da haben Sie aber nicht zugehört!) Meine Damen und Herren von der CDU/CSU-Bun- destagsfraktion, Ihren Versuch, sich politisch auf Kosten Liebe Frau Kollegin Akgün, Sie haben sich über die der türkischstämmigen Migranten in Deutschland zu Formulierung „tickende Zeitbombe“ in unserem Antrag profilieren, weisen wir entschieden zurück. Das, was ge- künstlich aufgeregt. Liebe Frau Kollegin Akgün, ich will tan werden muss, damit die Abkommen mit der Türkei Sie darauf hinweisen, dass diese Formulierung ein Ex- so eingehalten werden, wie wir das als gleichberechtig- perte bei der Anhörung des Bundestagsinnenausschusses ter Partner erwarten können, wird die rot-grüne Bundes- zum Thema „Probleme des Islamismus in Deutschland“ regierung tun. benutzt hat. Von den rund 30 000 vom Bundesamt für Verfassungsschutz festgestellten Islamisten in Deutsch- Herzlichen Dank. land sind 27 000 türkischer Herkunft. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Hinzu kommt all das, was wir bei der Anhörung des Bundestagsinnenausschusses gerade im Hinblick auf die türkische Gemeinschaft in Deutschland von Fachleuten Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: – auch von einem türkischen Journalisten; was er dazu Das Wort hat der Kollege Hartmut Koschyk, CDU/ gesagt hat, war sehr beeindruckend – gehört haben. Das CSU-Fraktion. blenden Sie hier einfach aus. Daran merkt man, dass Sie in Bezug auf Probleme im Zusammenhang mit der Voll- Hartmut Koschyk (CDU/CSU): mitgliedschaft der Türkei in der Europäischen Union Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Scheuklappen angelegt haben und dass Sie nicht wollen, Herr Kollege Winkler, Frau Kollegin Akgün, man merkt dass hier die wirklichen Probleme debattiert werden. an Ihren Ausführungen sehr deutlich, dass die Bundesre- (Beifall bei der CDU/CSU) gierung die Probleme, die im Vorfeld einer Vollmitglied- (B) schaft der Türkei in der Europäischen Union bestehen, Es gibt doch ernst zu nehmende Warnungen. Der Kol- (D) viel offensiver hätte aufgreifen müssen. Aber dazu sind lege Strobl hat Helmut Schmidt zitiert. Ich möchte den Sie nicht bereit. Sie versuchen vielmehr, diese Probleme sehr bemerkenswerten Aufsatz von Valéry Giscard entweder auszublenden oder zu bagatellisieren. d’Estaing in der „FAZ“ erwähnen. Ich verweise auf den Historiker Heinrich August Winkler, Mitglied der (Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast [SPD]: Das ist SPD, und den Verfassungsrechtler Ernst-Wolfgang doch Unsinn! Das ist doch gerade widerlegt Böckenförde. Außerdem verweise ich auf die klare Posi- worden!) tion – dafür bin ich dankbar –, die die beiden großen Herr Kollege Winkler, Sie müssen sich schon ent- Kirchen in Deutschland in dieser Frage eingenommen scheiden: Halten Sie es für ein Problem, dass deutsche haben. Ich erinnere an das, was Kardinal Lehmann und Staatsangehörige türkischer Herkunft durch zahlreiche Bischof Huber dazu gesagt haben. Sie haben auf die un- Aufrufe türkischer Behörden auch die türkische Staats- gelösten Probleme in den Bereichen der Religionsfrei- angehörigkeit im Sinne einer doppelten Staatsangehörig- heit, der Gleichstellung von Mann und Frau und der keit angenommen haben, und sollte die Bundesregierung Menschen- und Minderheitenrechte in der Türkei ver- Ihrer Meinung nach dagegen vorgehen? Oder sind Sie wiesen. eigentlich doch für die doppelte Staatsbürgerschaft – Sie haben sich in diesem Sinne geäußert –, und zwar Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: nicht nur von Türken in Deutschland mit deutscher Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Staatsangehörigkeit, sondern auch von anderen Zuwan- Kollegen Gloser? derern? (Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Hartmut Koschyk (CDU/CSU): NEN]: Ja, aber offen, nicht verdeckt!) Herr Kollege Gloser, bitte. Sie müssen sich schon entscheiden. Günter Gloser (SPD): Der türkische Staat hat durch Runderlass aktiv für ein Herr Kollege Koschyk, Sie haben aufgegriffen, was Aushöhlen unseres Staatsangehörigkeitsrechts ge- Ihr Kollege Strobl vorhin ausführlich dargelegt hat. Auf worben. Das haben Sie quasi als Kavaliersdelikt be- dem Europäischen Rat 1997 haben die Mitglieder der zeichnet. schwarz-gelben Bundesregierung der Türkei die Per- (Zuruf von der SPD: Haben Sie nicht zuge- spektive gegeben, der Europäischen Union beizutreten, hört?) obwohl die Türkei damals, was Demokratie, innere 14288 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 152. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Januar 2005

Günter Gloser (A) Strukturen und anderes angeht, weit hinter dem zurück- sehr deutlich gehört – bei den assyrischen Christen, bei (C) lag, was sie heute aufgrund des eingeleiteten positiven den orthodoxen Christen und bei den aramäischen Chris- Prozesses erreicht hat. ten. (Dr. Gerd Müller [CDU/CSU]: Herr Gloser, Ich will noch etwas ansprechen, liebe Frau Kollegin das sehen Sie falsch!) Akgün, nämlich die völlig unbefriedigende Situation von Deutschen, die auf Dauer in der Türkei leben, die 1997 war die Europäische Union der 15 von der Per- Probleme, die uns bei unserem Besuch Frauen, die mit spektive einer europäischen Verfassung und der damit türkischen Partnern verheiratet sind, geschildert haben, verbundenen Handlungsfähigkeit weit entfernt. Warum Fragen des Aufenthaltsrechts, Fragen der Berufsaus- hat die schwarz-gelbe Regierung dann diese Beitritts- übung. Beispielsweise können deutsche Frauen manche perspektive gegeben? Diese Position ist durch den Berufe nicht ergreifen. All die Probleme sind in unserem CSU-Landesgruppenvorsitzenden im De- Bericht über die Türkeireise sehr eindeutig dokumentiert zember 1997 nachdrücklich bekräftigt worden. Wie er- worden. Ich habe bis jetzt aber keine Initiative der Bun- klären Sie diesen Widerspruch? Müssten Sie heute nicht desregierung feststellen können, die darauf abzielt, zum wenigstens „Das war zumindest grob fahrlässig“ sagen? Beispiel die unbefriedigende Rechtssituation von Deut- (Dr. Gerd Müller [CDU/CSU]: Die Türkei war schen zu verbessern, besonders die von deutschen für uns nie Beitrittskandidat! Das wissen Sie Frauen, die mit türkischen Partnern verheiratet waren, genau!) dann geschieden wurden oder verwitwet sind. Professor Böckenförde hat die Entscheidung vom Hartmut Koschyk (CDU/CSU): 17. Dezember zu Recht als Stunde der Wahrheit und als Herr Kollege Gloser, die Union hat sich immer für Scheideweg für die EU bezeichnet. Die Türkei ist nach enge und über die jetzigen Bindungen hinausgehende geographischer Ausdehnung, Bevölkerungszahl, natio- Bindungen der Türkei an die Europäische Union ausge- naler und kultureller Identität, ökonomischer und politi- sprochen, ganz im Sinne einer privilegierten Partner- scher Struktur von einer Bedeutung und Eigenart, dass schaft, die Frage nach dem Konzept der europäischen Eini- gung unausweichlich ist. (Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: So ist es!) Wir wollen, dass die Debatte in Deutschland so ernst geführt wird, auch im Parlament, wie sie dankenswerter- wie wir, die Union, und übrigens auch der österreichi- weise gerade von den Verantwortlichen der großen Kir- sche Bundeskanzler Schüssel – in Österreich wird es chen in Deutschland geführt wird. Ich bin sehr dankbar (B) eine Volksbefragung zu diesem Thema geben – sie in dafür, dass Bischof Huber in einem Interview im Berli- (D) dieser Frage vertreten. ner „Tagesspiegel“ vor wenigen Tagen deutlich gemacht Eines ist doch interessant, Herr Gloser. hat, (Dr. Michael Bürsch [SPD]: Was Volker Rühe (Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Sehr dazu sagt, ist interessant!) beachtlich!) Sie von der Koalition von SPD und Grünen, die sich im- er habe die große Sorge, dass die Vollmitgliedschaft der mer so offen für plebiszitäre Elemente im Grundgesetz Türkei in der Europäischen Union die Gefahr in sich zeigen, haben eines doch schon sehr deutlich gemacht: birgt, dass sich die Europäische Union nicht mehr zu ei- Es könnte in Deutschland über alles eine Volksabstim- ner handlungsfähigen politischen Gemeinschaft entwi- mung geben, aber über das Thema Türkei – das haben ckelt, sondern zu einer Freihandelszone auseinander die Verantwortlichen Fischer und Müntefering klarge- strebt. stellt – würden Sie nie eine Volksbefragung zulassen. Ich mache mir auch die Worte von Kardinal Lehmann (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Gerd Müller zu Eigen, der die Probleme durch einen Beitritt der Tür- [CDU/CSU]: Sie haben Angst vor dem Volk!) kei zur Europäischen Union, durch eine Vollmitglied- schaft, in eine Frage gekleidet hat: Die Frage ist doch, ob Das zeigt, Herr Kollege Gloser, dass Sie unsicher gewor- Europa eine Identität hat, die stark auf Christentum und den sind. Judentum, auf Antike und Aufklärung gründet. Ergeben sich da nicht Abgrenzungen? – Ich meine, da ergeben Ich möchte in Erinnerung rufen, dass wir vom Innen- sich Abgrenzungen. ausschuss im Juni letzten Jahres unter Ihrem Vorsitz, Frau Kollegin Akgün, eine Reise in die Türkei durchge- Lieber Herr Kollege Beck, Sie haben auf die Äuße- führt haben, bei der wir sehr deutlich gespürt haben, wie rungen von Bischof Huber im „Tagesspiegel“ mit der vieles im Hinblick auf die Rechtssituation der Kirchen Bemerkung reagiert, Sie setzten sich dafür ein, dass völlig ungeklärt ist. Wir haben erfahren, dass die Nut- Europa Wertegemeinschaft und nicht Christenclub wird. zung von Eigentum für religiöse und karitative Zwecke (Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Das systematisch behindert wird und dass zudem eine ganze ist es nämlich!) Reihe von faktischen Problemen besteht, nicht so sehr – das will ich einräumen – bei den deutschen evange- Damit haben Sie sich dieses unsägliche Wort von Herrn lischen und deutschen katholischen Kirchengemeinden Erdogan von Europa als Christenclub zu Eigen ge- dort, aber – liebe Frau Kollegin Akgün, das haben wir macht – und dies in einer Auseinandersetzung mit dem Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 152. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Januar 2005 14289

Hartmut Koschyk (A) Vorsitzenden des Rates der EKD. Dies zeigt, welch trau- Ich gebe Ihnen Brief und Siegel: Wir werden, wie Gott (C) rige Wertvorstellungen Sie von Europa als Wertegemein- sei Dank auch die Mehrheit der Bürger, Ihnen auf die- schaft auf dem christlich-jüdischen Fundament haben. sem Weg nicht folgen. (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Gerd Müller Gerade weil die europäische Einigung ein schwieriger [CDU/CSU]: Was haben die für Wertvorstel- Prozess ist, ist es nötig, damit in aufklärerischer und lungen? Die haben doch keine Werte!) sachlicher Atmosphäre umzugehen. Er verträgt keine pauschale Verunglimpfung und Hetzerei. Genau das tun Diese Debatte – wir haben die Probleme in unserem An- Sie. Das ist unzulässig und fahrlässig. trag aufgezeigt – muss geführt werden. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Der Kollege Winkler hat an einer Stelle seiner Rede DIE GRÜNEN – Hartmut Koschyk [CDU/ schon sehr deutlich auf den Teil des Beschlusses des Eu- CSU]: Frau Präsidentin, das müssen Sie zu- ropäischen Rates verwiesen, der derzeit in der Türkei rückweisen! Hetzerei lasse ich mir hier im Par- Katzenjammer auslöst, nämlich dass die Verhandlungen lament nicht sagen!) in der Tat – das ist der große Erfolg der Union beim Be- schluss des Europäischen Rates – ergebnisoffen geführt werden Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Frau Kollegin, Sie wissen, dass Sie mit diesem Be- (Lachen bei der SPD) griff sehr unparlamentarisch argumentiert haben. Ich und dass diese Verhandlungen abgebrochen werden kön- bitte Sie, den Begriff zurückzunehmen. nen, wenn zum Beispiel eine bestimmte Zahl von Mit- gliedstaaten der Europäischen Union dies will. Das zeigt Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast (SPD): doch, wie unsicher sich die Staats- und Regierungschefs Ich nehme ihn zurück. Ich glaube, es ist im Beitrag bei der Entscheidung des Europäischen Rates am des Kollegen deutlich geworden, was er damit bezweckt. 17. Dezember gewesen sind. Es zeigt übrigens auch, (Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Unver- dass hier Politik über die Köpfe der Mehrheit der Bevöl- schämtheit!) kerung in den europäischen Ländern hinweg gemacht wird. Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Sie wissen auch – zumindest spüren Sie es –, dass Sie Gestatten Sie jetzt eine Zwischenfrage des Kollegen für Ihre Position in dieser Frage in der deutschen Bevöl- Strobl? kerung keine Mehrheit haben. Wir werden nicht zulas- sen, dass die bestehenden Probleme von Ihnen einfach (B) Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast (SPD): (D) weggedrückt, ausgeblendet oder bagatellisiert werden. Ja. (Beifall bei der CDU/CSU) Thomas Strobl (Heilbronn) (CDU/CSU): Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Frau Kollegin Sonntag-Wolgast, was veranlasst Sie Nächste Rednerin ist die Kollegin Dr. Cornelie zu solch schwerwiegenden Vorwürfen gegen die CDU/ Sonntag-Wolgast, SPD-Fraktion. CSU-Bundestagsfraktion, die lediglich darauf hingewie- sen hat, dass von den 30 000 extremistischen Islamisten, Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast (SPD): die es in der Bundesrepublik Deutschland gibt und von Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! denen eine erhebliche Gefahr für unser Land ausgeht – Herr Koschyk! Meine verehrten Kollegen der CDU/ (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE CSU-Fraktion, offenbar können Sie es nicht lassen. Sie GRÜNEN]: Wie kommen Sie darauf?) wissen doch, dass die Zeit über Sie hinweggegangen ist, dass die EU am 17. Dezember den Auftakt der Beitritts- – das können Sie mit mir gemeinsam im aktuellen verhandlungen beschlossen hat. Sie wissen darüber hi- Verfassungsschutzbericht nachlesen, Herr Kollege naus, dass Sie sich europäisch isoliert haben. Jetzt spie- Ströbele –, eben 27 000 aus der Türkei kommen? Was ist len Sie die schlechten Verlierer und gerade der letzte daran eine unzulässige Vermengung? Was ist daran Beitrag hat bewiesen: Hetze? (Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Wir vertreten (Dr. Gerd Müller [CDU/CSU]: Das sind nur die Mehrheitsmeinung der deutschen Bevölke- Fakten!) rung, im Gegensatz zu Ihnen!) Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast (SPD): Sie müssen stören und sticheln, Sie wollen Angst und Die unzulässige Vermengung geht aus dem Gesamtte- Misstrauen säen nor eindeutig hervor. Ich beziehe mich auf die Wortwahl (Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Wer Ihres Antrags. Darin wird gehäuft von „rechtsmiss- tut das?) bräuchlicher Wiedereinbürgerung“, von „Schwerkrimi- nellen“, von „Drogen- und Gewaltdelikten“, von „Si- und Sie vermengen in unzulässiger Weise Islamismus cherheitsrisiken“, von „Rechtfertigung von Gewalt“, von mit Türkei. Das geht nicht. „terroristischer Bedrohung“ und von „geistig-politi- (Beifall bei der SPD) schem Einfluss von Islamisten“ gesprochen. Das ist der 14290 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 152. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Januar 2005

Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast (A) Grund dafür, dass ich dies in aller Schärfe anprangern Es stimmt schon, dass Mehrstaatigkeit in der Regel (C) muss. vermieden werden soll. Das besagt ja auch das refor- mierte Staatsangehörigkeitsgesetz. Es stimmt aber nicht, (Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Sie dass generell keine doppelten Staatsangehörigkeiten müssen sich mit den Fakten auseinander set- existieren können. Mehrfachstaatsangehörigkeiten, die zen!) nach dem Abstammungsprinzip oder als Folge von bina- – Ich gehe von der Wortwahl Ihres Antrags und vor al- tionalen Ehen zustande gekommen sind, bleiben unange- lem vom Beitrag des Kollegen Koschyk aus. tastet. (Dr. Gerd Müller [CDU/CSU]: Gehen Sie die (Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Da- Probleme an! – Thomas Strobl [Heilbronn] rum geht es doch gar nicht!) [CDU/CSU]: Gehen Sie auf die Fakten ein!) Ich darf an die deutsch-türkische Enkeltochter des Alt- – Ich komme jetzt dazu, wenn Sie mir die Gelegenheit bundeskanzlers Helmut Kohl, an Otto von Habsburg und geben. Keiner behauptet, Herr Kollege, dass der Beitritts- andere erinnern. Die Reihe ließe sich beliebig fortsetzen. prozess ein Spaziergang bei schönem Wetter sein wird. Natürlich gilt auch das Prinzip der Gegenseitigkeit. Niemand blendet Probleme mit der Türkei aus. Genauso (Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Da- wenig sollten übrigens die Probleme mit anderen Bei- rum geht es doch gar nicht! Es geht um 50 000 trittskandidaten ausgeblendet werden. Es stimmt, dass es ganz andere Fälle! Frau Vogt hat es einge- Schwierigkeiten bei der Wiedereinbürgerung oder bei räumt! – Gegenruf von der SPD: Sie wollen der Ausbürgerung gibt. nicht zuhören, Herr Strobl!) (Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: – Ich rede von Ihrer Neigung, schon wieder die doppelte Aha!) Staatsbürgerschaft zu verteufeln. Die Türkei ist – auch das muss ich sagen – für ihre Viele Menschen streben nun einmal danach – das Staatsbürger verantwortlich. Sie hat die anstehenden können Sie doch gar nicht leugnen –, ihre jetzige Staats- Probleme zu lösen und darf sie nicht bei uns abladen, vor angehörigkeit mit der ihres Herkunftslandes zu verknüp- allen Dingen nicht bei den hier lebenden Migranten tür- fen. kischer Herkunft, aber ebenso wenig bei den in der Tür- (Dr. Gerd Müller [CDU/CSU]: Sie reden am kei lebenden Bürgern aus anderen Staaten. Das ist völlig unstrittig. Um dies zu verdeutlichen, ist die Bundesregie- Thema vorbei!) rung, wie wir gehört haben, seit langer Zeit tätig. Dabei müssen sie – das muss man ihnen klar machen – (B) (D) die aktuelle Gesetzeslage beachten; ebenso muss das Die bestehenden Konflikte etwa bei der Frage, was auch der Herkunftsstaat tun. Es ist aber falsch, sie zu mit den Anträgen von Menschen türkischer Abstam- Kriminellen abzustempeln. Das tun Sie aber praktisch mung auf Einbürgerung geschieht, die die Anträge schon mit Ihrem Antrag. Dagegen wehren wir uns. vor dem 1. Januar 2000 gestellt haben, aber von der Tür- kei die entsprechenden Bescheide noch nicht bekommen (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ haben, und, da sie sich auf altes Recht bezogen, noch mit DIE GRÜNEN) ihrer Wiedereinbürgerung rechneten, müssen auf der so- liden aktuellen rechtlichen Grundlage gelöst werden, Es ist, wie ich finde, nicht nur falsch, sondern direkt und zwar human. Das ist doch völlig klar. gefährlich, wenn Sie aus Mängeln der türkischen Rechtspraxis – die, um das noch einmal zu betonen, be- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ hoben werden müssen – eine terroristische Bedrohung DIE GRÜNEN) ableiten. Das haben Sie heute Vormittag getan. Was soll denn in diesem Zusammenhang diese unselige Ver- All diese Bemühungen haben aber doch viel größere quickung mit Kriminalität und islamistischem Extre- Aussicht auf Erfolg, wenn sie mit der Perspektive eines mismus? EU-Beitritts verbunden sind – man kann ruhig sagen, dass das ein permanentes, willkommenes Druckmittel (Dr. Gerd Müller [CDU/CSU]: Unsinn bleibt darstellt –, als dann, wenn sie mit einer Politik der Ab- Unsinn!) weisung und des Misstrauens verbunden werden, wie Was soll in Ihrem Antrag der Schwenk zu „Zahlen und Sie sie betreiben. Aktivitäten radikaler Islam-Anhänger“ in Deutschland Das ist ganz offensichtlich. Wir sind uns doch hof- bei Freizeitaktivitäten und in Ferienlagern? fentlich darüber einig, dass es darum gehen muss, dass (Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Das sich möglichst viele der dauerhaft hier bei uns lebenden ist das Ergebnis der Anhörung!) Ausländer einbürgern lassen. Dafür haben wir die Be- mühungen im neuen Gesetz klar und einfach gefasst. Ich habe da wahrhaftig nichts zu beschönigen. Es gilt Wir haben Anforderungen an die Sprachkenntnisse und aber schon festzuhalten, Herr Kollege, dass nach jünge- an die Hinwendung zu unserer Verfassung aufgestellt. ren Untersuchungen die türkischen Zuwanderer, die, wie Wir wollen eben diese Menschen mit vollen Rechten wir wissen, überwiegend muslimisch geprägt sind, die und Pflichten auf gleiche Augenhöhe und mit voller po- deutsche Gesellschaftsordnung in hohem Maße akzep- litischer Teilhabe hier bei uns integrieren. tieren und dass lediglich 1 Prozent – das muss ich jetzt Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 152. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Januar 2005 14291

Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast (A) einmal Ihren Behauptungen entgegenhalten – der Mus- scheiden wir uns – die Balance zwischen konsequentem (C) lime in Deutschland islamistischen Organisationen zuzu- Vorgehen gegen islamistischen Terror einerseits und der rechnen sind. Diese sind aber fest im Blick der Sicher- Wahrung bürgerlicher Freiheitsrechte andererseits hal- heitsbehörden. ten. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Panikmache und Verängstigung gehören allerdings des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) nicht zu unserem Konzept. Das haben Sie sich auf die Fahnen geschrieben. Ihr Ansatz ist offenbar, wie auch Was soll also, liebe Kolleginnen und Kollegen, die Ihr Antrag zeigt: Polarisierung und Desintegration. Ma- Brunnenvergifterei, die offenbar mit diesem Antrag be- chen Sie sich bitte keine Hoffnungen, dass wir Ihnen da- zweckt wird? rin folgen! (Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Jetzt Danke schön. geht das schon wieder los! Mäßigen Sie sich einmal!) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Ihre Haltung ist sonnenklar, Herr Kollege Strobl: Die Europapolitik der Bundesregierung muss verunglimpft werden, das Klima zwischen Türken und Deutschen Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: muss verschlechtert werden und es muss Stimmungsma- Ich schließe die Aussprache. che betrieben werden – das alles im Hinblick auf die Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Landtagswahlen. Drucksache 15/4496 an die in der Tagesordnung aufge- (Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Un- führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit sinn! – Günter Gloser [SPD]: Sonthofen!) einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überwei- sung so beschlossen. Das ist doch der Sinn Ihres Antrages. Ich prophezeie Ih- nen, Sie werden damit Schiffbruch erleiden. Für mein Ich rufe den Tagesordnungspunkt 22 auf: Land Schleswig-Holstein kann ich sagen: Erste Beratung des von der Bundesregierung ein- (Jürgen Koppelin [FDP]: Sie wohnen doch in gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umset- Hamburg und nicht mehr in Schleswig-Hol- zung des Urteils des Bundesverfassungsgerichts stein!) vom 3. März 2004 (akustische Wohnraumüber- wachung) Wir wollen friedlich mit diesen Menschen leben; wir las- – Drucksache 15/4533 – (B) sen uns nicht in irgendeiner Weise in eine feindselige (D) Ecke stellen, Herr Kollege Koppelin. Wir pflegen gute Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuss (f) Partnerschaft mit den bei uns lebenden Migranten und Innenausschuss anderen – nationalen – Minderheiten. In Nordrhein- Westfalen werden Sie mit solchen Methoden ebenso we- Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die nig punkten. Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen. Die Zeiten, in denen Doppelpasskampagnen gegen doppelte Staatsangehörigkeit wie in Hessen noch funk- Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Frau Justiz- tionierten, sind vorbei. Das funktioniert jetzt nicht mehr. ministerin Brigitte Zypries. Schon bei der Kampagne „Kinder statt Inder“ von Herrn Rüttgers hat sich herausgestellt, dass dies nicht mehr Brigitte Zypries, Bundesministerin der Justiz: zieht. Lassen Sie also solche Manöver bleiben! Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Eine letzte Anmerkung. Sie fordern wieder einmal Herren! Die akustische Wohnraumüberwachung hat von schnell ein neues Gesamtkonzept „zur Wahrung der in- ihrer Einführung im Jahre 1998 bis heute für Diskussio- neren Sicherheit und zum Kampf gegen den islamistisch nen in der Öffentlichkeit und in der Politik gesorgt wie geprägten Terrorismus“. kaum ein anderes Gesetzgebungsvorhaben im Bereich des Strafprozesses. Dabei wird die Wohnraumüberwa- (Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Das chung tatsächlich nur in ganz wenigen Fällen angeord- fordern wir! Da haben Sie Recht!) net. Im Jahre 2003 waren es ganze 37 Fälle und damit sogar etwas mehr als der bis dahin vorhandene Jahres- Es gibt aber längst ein Gesamtkonzept. Ich nenne die durchschnitt von 30 Fällen. Anti-Terror-Pakete I und II, die demnächst evaluiert werden. Ich nenne ferner die umfassenden Gepäck- und Die akustische Wohnraumüberwachung stellt in jeder Sicherheitskontrollen an den Flughäfen, die Verbote isla- Hinsicht eine Ausnahme dar. Durch kein anderes Ermitt- mistischer Organisationen – vom Kalifatsstaat bis al- lungsinstrument ist es möglich, derartig weit in den pri- Aqsa –, die Maßnahmen gegen Hassprediger, die im vaten Bereich der Bürgerinnen und Bürger einzudringen. neuen Zuwanderungsgesetz enthalten sind. Aber vor al- Andererseits ist die akustische Wohnraumüberwachung lem gilt unser Prinzip: erhöhte Wachsamkeit, hoher Er- – wenn alle anderen Mittel versagen – das letzte Mittel, mittlungsdruck auf der notwendigen gesetzlichen Basis, um schwer zugängliche Kriminalitätsstrukturen zu erfor- aber auch verstärkte Bemühungen um Integration und schen, schwerste Straftaten aufzuklären und für die Zu- Prävention. Dabei müssen wir – in diesem Punkt unter- kunft zu verhindern. 14292 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 152. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Januar 2005

Bundesministerin Brigitte Zypries (A) Seit der Einführung dieses Instruments 1998 sind die haltspunkte anzunehmen ist, dass keine Äußerungen aus (C) Gefahren für die Sicherheit in Deutschland nicht weni- dem absolut geschützten Bereich der privaten Lebensge- ger geworden. Die Aufhebung der Grenzen, der ver- staltung erfasst werden. Das kann man natürlich nur ga- stärkte Reiseverkehr und der verstärkte Tourismus haben rantieren, wenn man quasi live mithört, um sich dann ge- zur Folge, dass Hindernisse für international operierende gebenenfalls auszuschalten. Wir sehen, dass das in der Formen der Kriminalität wegfallen. Das sehen wir zum Praxis zu Schwierigkeiten führen wird. Aber dies ent- Beispiel an der Betäubungsmittelkriminalität. Dort wur- spricht den Vorgaben des Gerichts und ist deshalb eins den in fast 90 Prozent aller Verfahren, in denen man die zu eins umzusetzen. akustische Wohnraumüberwachung durchgeführt hat, Das Abhören von Gesprächen mit Berufsgeheimnis- Bezüge zur international organisierten Kriminalität fest- trägern, mit Rechtsanwälten, Notaren, Abgeordneten gestellt. Es ging jeweils um sehr massive Taten. Bei den oder Ärzten, wird generell unzulässig sein. Drogendelikten wurde pro Verfahren durchschnittlich wegen 62 Kilogramm Heroin bzw. 47 Kilogramm Ko- Darüber hinaus sieht der Gesetzentwurf einen zusätz- kain ermittelt. In Einzelfällen ging es um Rauschgift in lichen Schutz durch Verfahren vor. Es können künftig einer Menge von 1 000 Kilogramm. nur noch eigens dafür eingerichtete, spezialisierte Kam- mern bestimmter Landgerichte eine Wohnraumüberwa- Auch die Ereignisse von Madrid haben gezeigt, dass chung anordnen. Sie müssen regelmäßig von Polizei und Deutschland Ziel von terroristischen Anschlägen sein Staatsanwaltschaft unterrichtet werden. Die Betroffenen kann und dass die Wohnraumüberwachung auch im Zu- müssen nach Beendigung der Maßnahme unterrichtet sammenhang mit dem Kampf gegen den Terrorismus ein werden. Sie erhalten damit die Möglichkeit des gerichtli- wichtiges Mittel ist und bleiben muss. chen Rechtsschutzes. Nun darf aber das Ziel, Straftaten zu bekämpfen und Auch die Interessen des Parlaments will die Bundes- die Rechtsordnung zu schützen, nicht dazu führen, dass regierung mit diesem Gesetzentwurf weiter stärken. Die der Schutz des Einzelnen vor der staatlichen Kontrolle Berichtspflicht wird ausgebaut. Künftig wird jährlich zu völlig aufgegeben wird. zwölf verschiedenen Punkten berichtet werden, um die (Beifall des Abg. Joachim Stünker [SPD]) parlamentarische Kontrolle nach Art. 13 Abs. 6 des Grundgesetzes zu stärken. Der Konflikt zwischen Freiheit und Sicherheit zeigt sich hier in zugespitzter Form. Denn die Menschen fürchten Meine Damen und Herren, die Tatsache, dass über sich nicht nur vor terroristischen Anschlägen, sie fürch- diesen Gesetzentwurf bzw. dieses Verfahren so viel dis- ten sich auch davor, dass sie am Ende keine Rückzugs- kutiert wurde, zeigt, dass unsere Demokratie nach wie vor eine Streitkultur im positiven Sinne ist. Das ist gut (B) möglichkeiten ins Private mehr haben, dass sie am Ende (D) keine Räumlichkeiten mehr haben, wo sie ungeschützt so. Ich gehe davon aus, dass die Anhörung, die, wie ich mit nahen Angehörigen oder Freunden sprechen können, gehört habe, beschlossen werden soll, die Diskussion be- ohne dass sie Gefahr laufen müssen, diese Gespräche reichern wird. Ich bin sehr optimistisch, dass wir bis Juni später einmal ausgebreitet zu sehen. dieses Jahres – zu diesem Zeitpunkt läuft die Frist ab, in der wir eine Regelung getroffen haben müssen; insofern Das Bundesverfassungsgericht hat nicht zuletzt des- möchte ich die wenigen Augen, die hier sind, darauf halb in der Entscheidung vom 3. März 2004 deutlich ge- richten – einen Gesetzentwurf verabschiedet haben wer- macht, dass der Staat durch die akustische Wohnraum- den, der nicht nur die verfassungsmäßigen Rechte wahrt, überwachung nicht in den unantastbaren Kernbereich sondern auch die staatlichen Interessen im Hinblick auf privater Lebensgestaltung eingreifen darf. Der absolut die Strafverfolgung zum Zuge bringt. geschützte Kernbereich privater Lebensgestaltung ist vor Abhörmaßnahmen zu schützen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Die Vorgaben der Entscheidung aus Karlsruhe hat die Bundesregierung in dem Ihnen jetzt vorliegenden Ent- Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: wurf umgesetzt. Mit diesem Entwurf werden sowohl ein Nächste Rednerin ist die Kollegin Daniela Raab, umfassender Schutz der Menschenwürde als auch die CDU/CSU-Fraktion. Praktikabilität der Maßnahme der Wohnraumüberwa- chung gewährleistet, soweit sie mit den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts vereinbar ist. Daniela Raab (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen, Lassen Sie mich kurz auf die Eckpunkte zu sprechen die Sie sich fraktionsübergreifend zu dieser Mittags- kommen. Abhören wird künftig überhaupt nur dann zu- stunde tapfer – ich finde das sehr löblich – zu diesem lässig sein, wenn es um den Verdacht einer besonders Thema eingefunden haben! In seinem Urteil vom schweren Straftat geht, einer Straftat also, für die das 3. März 2004 hat das Bundesverfassungsgericht Art. 13 Gesetz eine Freiheitsstrafe von mehr als fünf Jahren vor- Abs. 3 unseres Grundgesetzes als verfassungsrechtliche sieht. Ich nenne Mord, Totschlag, schwere Betäubungs- Grundlage für die akustische Wohnraumüberwachung mitteldelikte oder die Bildung einer terroristischen Ver- für verfassungsgemäß erklärt. Das ist zwar erfreulich, einigung. aber für uns alle sicherlich wenig überraschend. Die Wohnraumüberwachung darf künftig nur dann Allerdings kommt das Gericht zu dem Schluss, dass angeordnet werden, wenn aufgrund tatsächlicher An- die einfachgesetzlichen Regelungen des so genannten Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 152. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Januar 2005 14293

Daniela Raab (A) großen Lauschangriffs in der Strafprozessordnung zum Dieser besagt bekanntlich, dass eine Abhörmaßnahme (C) Teil nicht mit dem Grundgesetz vereinbar sind. Das Ge- nur dann angeordnet werden darf, wenn im Vorfeld be- richt geht von einem bereits erwähnten absolut geschütz- reits davon ausgegangen werden kann, dass keine Äuße- ten Kernbereich der privaten Lebensgestaltung aus. Die- rungen erfasst werden, die dem schon viel zitierten ser Kernbereich bezieht sich überwiegend auf die Kernbereich privater Lebensgestaltung unterfallen könn- Privatwohnung. Ein Abhören des gesprochenen Wortes ten. soll dort in Zukunft nur unter sehr strengen Vorausset- zungen möglich sein. Das Gericht verlangt deshalb von (Joachim Stünker [SPD]: Sehr gut!) den strafverfolgenden Behörden vor Beginn der Abhör- Dem anordnenden Richter werden hier hellseherische maßnahme eine Prognose, inwieweit die Gefahr besteht, Fähigkeiten abverlangt. Woher soll er das denn wissen? dass in diesen Kernbereich unzulässigerweise eingegrif- fen wird. Wird das Abhören nach dieser Prognose durch- (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Hans- geführt, hat es sich auf strafverfahrensrelevante Inhalte Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- zu beschränken. Die Anforderungen an die Recht- NEN]: Es ist immer so, dass der Richter eine mäßigkeit der akustischen Wohnraumüberwachung sol- Prognose erstellen muss!) len also umso strenger sein, je größer die Wahrschein- lichkeit ist, dass Gespräche mit höchstpersönlichem Um das Überwachungsverbot für Gespräche im unan- Inhalt abgehört werden. Deshalb sollen Überwachungs- tastbaren Kernbereich überhaupt einhalten zu können, maßnahmen auch hier nur dann ergriffen werden dürfen, sind nun bereits vor der Beantragung der Abhörung um- wenn schon vor der Maßnahme keine Anhaltspunkte da- fangreiche Ermittlungen nötig; das bestätigen uns die für bestehen, dass geschützte Gesprächsinhalte zu erwar- Praktiker. In der Praxis wird man also zunächst feststel- ten sind. Sollten sich diese Gesprächsinhalte dennoch len müssen, wie die Wohnung tatsächlich genutzt wird, während des Abhörens ergeben – die Frau Ministerin hat wer dort wie regelmäßig verkehrt, ob die betreffenden das erwähnt –, muss die Abhöraktion sofort abgebrochen Personen Tatbeteiligte sind oder nicht und wie hoch die werden. – So weit in aller Kürze die Forderungen des Wahrscheinlichkeit ist, dass tatrelevante Gespräche ge- Bundesverfassungsgerichts. führt werden. Ich möchte wirklich keine Majestätsbeleidigung be- (Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- treiben, aber doch gerne anmerken, dass ich persönlich NEN]: Also, es geht doch!) nicht erkennen kann, weshalb weitere Einschränkungen Die Praktiker werden ihre reine Freude damit haben. bei der akustischen Wohnraumüberwachung überhaupt notwendig waren, (Zuruf von der SPD: Jetzt bitte den Vorwurf (B) „Wahrsagerei“!) (D) (Beifall bei der CDU/CSU) – Richtig, das erfordert Wahrsagerei. gerade wenn man weiß, dass mit diesem Instrument in der Praxis höchst sensibel umgegangen wird und sein (Zuruf von der SPD: Sage ich doch!) Einsatz immer nur letztes Mittel ist, um Ermittlungen voranzutreiben oder zum Ende zu bringen; die Frau Der akustischen Wohnraumüberwachung werden so Ministerin hat das bereits angesprochen. Jedem Richter, bereits in der Anordnungsphase massive Hindernisse in jedem Staatsanwalt, jedem Polizisten und jedem von uns den Weg gestellt. Warum eigentlich? ist selbstverständlich klar, dass beim Abhören von Pri- (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE vaträumen in Persönlichkeitsrechte eingegriffen wird. GRÜNEN]: Weil das Grundgesetz das will, Deshalb gibt es ja auch diesen sensiblen Umgang damit. Frau Kollegin!) Liegen jedoch Anhaltspunkte vor, dass eine Person schwere Verbrechen begangen haben könnte oder kon- Eine Untersuchung des Max-Planck-Instituts, die von kret vorhat, sie zu begehen, muss das Schutzbedürfnis der Ministerin bereits zitiert worden ist, hat ausdrücklich unserer Bevölkerung gegenüber dem Persönlichkeits- ergeben, dass das Abhören von Wohnräumen im Rah- recht des Tatverdächtigen klar überwiegen. men von Ermittlungen immer letztes Mittel ist und nur (Joachim Stünker [SPD]: Und der Dritte?) sehr restriktiv angewandt wurde. Im Jahr 2003 wurden bundesweit nur 37 Überwachungsverfahren registriert. Bisher wurde diese Abwägung immer in verantwortli- Zwar ist die Tendenz seit 2001 steigend. Dies hat aber cher Weise getroffen. Anzeichen für eine leichtfertige nichts mit leichtfertiger Anwendung zu tun, sondern Anordnungspraxis gibt es nicht. Leider hat dies das Bun- schlicht und ergreifend damit, dass die Kriminalität in desverfassungsgericht etwas anders gesehen. unserem Lande nun einmal nicht zurückgeht. Die Bundesregierung hat nun versucht, die betreffen- Besonders häufig wird in Betäubungsmittelverfahren den Vorschriften der Strafprozessordnung dem Urteil an- und bei Tötungsdelikten abgehört, auch bei Drogende- zupassen. Man muss zugeben, dass das nicht leicht war. likten, um teilweise hochprofessionelle Strukturen zu er- Nun liegt uns dieser wirklich nicht begeisternde Entwurf gründen, und bei Verdacht auf Totschlag oder Mord, um vor. Besonders bedenklich stimmt meine Fraktion die in einem letzten Versuch die Beweislage zu verbessern Neuregelung von § 100 c der Strafprozessordnung, der oder überhaupt erst in eine beweiswürdige Situation zu die konkrete Durchführung einer Abhörmaßnahme re- kommen. In letzter Zeit geht es natürlich auch sehr häu- geln soll. Nehmen Sie dessen Abs. 4 in diesem Entwurf: fig darum, Terrorakte zu verhindern oder aufzuklären. 14294 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 152. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Januar 2005

Daniela Raab (A) In der Studie wird ausdrücklich betont, dass eine Ab- über den Fortgang der Maßnahme entscheiden. Der Vor- (C) hörmaßnahme in jedem Verfahren, in dem sie bisher teil dieses Vorschlags liegt für mich auf der Hand: Mit durchgeführt wurde, Einzelfallcharakter hat und immer der alleinigen Sichtung durch das Gericht, durch einen subsidiär zu anderen Ermittlungsmethoden erfolgt. einzigen Richter, bleibt der Schutz der Privatsphäre er- halten und es gehen dennoch keine Informationen verlo- Noch einmal von mir also die Frage: Warum bereits ren. Denn diese Gefahr besteht schlicht und ergreifend, bei Beantragung diese immensen Hindernisse, die mit wenn Sie die Maßnahme abbrechen. Überdies nimmt zügigen Ermittlungen und Praktikabilität nichts, aber man den Ermittlungsbeamten vor Ort den enormen Ent- auch gar nichts zu tun haben? scheidungsdruck. Denn wie sollen die wissen, wann sie (Beifall bei der CDU/CSU – Hans-Christian lauschen dürfen und wann nicht mehr? Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber (Sabine Leutheusser-Schnarrenberger [FDP]: mit dem Grundgesetz!) Das ist genau der Punkt!) – Ich habe das Urteil vorhin zitiert und angemerkt, dass ich das sehr kritisch sehe. Ich denke, diese Lösung widerspricht auch nicht den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts. Der vorge- (Joachim Stünker [SPD]: Sehr mutig!) schriebene Grundrechtsschutz bleibt genauso, wenn nicht noch besser, erhalten. – Das muss man ja auch einmal sagen dürfen. (Joachim Stünker [SPD]: Ja, natürlich!) Unser Ziel muss es schließlich sein, trotz des engen Korsetts, das uns das Bundesverfassungsgericht aufge- – Das sehe ich auch so. zwungen hat, den immer noch verbleibenden gesetzge- berischen Spielraum zu nutzen. Eine weitere Problematik bietet § 100 c Abs. 5 StPO. Entsprechend der Vorgabe des Bundesverfassungsge- Was den Straftatenkatalog angeht, regen wir, wie richts ist eine Maßnahme sofort zu unterbrechen, wenn auch der Bundesrat, an, Straftaten gegen die sexuelle höchstpersönliche Unterhaltungen beginnen. Die Er- Selbstbestimmung gemäß den §§ 177 ff. StGB ebenfalls mittlungsbeamten dürfen vom weiteren Gesprächsver- aufzunehmen. Auch bei solchen Straftaten – denken Sie lauf keine Kenntnis mehr nehmen; das heißt, die Geräte bitte nur an die Kinderschänderringe! – besteht das Be- werden sofort abgeschaltet. Die Abhörmaßnahme kann dürfnis, oft wirklich hochprofessionelle kriminelle nur unter den bereits ausführlich erläuterten Vorausset- Strukturen durch eine Wohnraumüberwachung aufzude- zungen wieder aufgenommen werden. Auch das halten cken. Warum diese Straftaten bisher nicht in den Strafta- wir für deutlich zu umständlich und zu kompliziert. tenkatalog aufgenommen worden sind, erschließt sich (B) (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE uns nicht ganz. (D) GRÜNEN]: Wollen Sie ein verfassungswidri- (Beifall bei der CDU/CSU) ges Gesetz?) Aber ich denke, auch bei dieser Frage gibt es Verhand- – Und so wird es vom Bundesverfassungsgericht, Herr lungsspielraum. Ströbele, auch nicht gefordert. Ich empfehle die Lektüre des Urteils. Ich bin der Meinung: Wir tragen die Verantwortung dafür, dass die akustische Wohnraumüberwachung kein (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE zahnloser Papiertiger wird, den keiner mehr anwenden GRÜNEN]: Nein! Lesen Sie einmal genau kann, weil er die Voraussetzungen nicht erfüllen kann. nach! Es ist fast wörtlich übernommen!) Vielleicht ist es möglich, in diesem Fall eine einver- Ganz abgesehen davon, dass ein erhöhter Zeit- und Per- nehmliche Lösung zu finden. An uns soll es nicht schei- sonalaufwand vorprogrammiert ist, was nicht in unserem tern. Wir sind selbstverständlich zu Verhandlungen be- Sinne sein kann. Ich werde Ihnen gleich sagen, wie wir reit. es regeln würden. Wir sind ja in der ersten Lesung; das Vielen Dank. heißt, wir können uns nachher gern darüber unterhalten. (Beifall bei der CDU/CSU) Der Bundesrat hat zu diesem Gesetzentwurf bereits Stellung genommen und ich möchte erläutern, was der Bundesrat zu § 100 c Abs. 5 StPO vorschlägt. Ich halte Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: diesen Vorschlag für nicht allzu schlecht. Der Bundesrat Nächster Redner ist der Kollege Jerzy Montag, Bünd- sagt: Die Aufzeichnungsgeräte dürfen weiter laufen, so- nis 90/Die Grünen. bald höchstpersönliche Gespräche beginnen, nur, die Er- mittlungsbeamten müssen den Raum verlassen und dür- Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): fen nicht mehr weiter zuhören. Frau Präsidentin! Meine Kolleginnen und Kollegen! Ein Wort zur Vorgeschichte. 1997 haben die CDU/CSU, (Lachen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN die FDP und auch die SPD eine Verfassungsänderung und bei der FDP – Rainer Funke [FDP]: Sehr zur Ermöglichung der akustischen Wohnraumüberwa- praxisnah!) chung in diesem Hause durchgesetzt. Die FDP hat bei Dem zuständigen Gericht werden dann die kompletten dieser Auseinandersetzung eine Bundesjustizministerin Aufzeichnungen vorgelegt. Der Richter kann dann über verloren. Die Grünen haben aus verfassungsrechtlichen die Zulässigkeit dieser Aufzeichnungen und womöglich Bedenken heraus gegen eine solche Regelung gestimmt. Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 152. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Januar 2005 14295

Jerzy Montag (A) Im März letzten Jahres erging eine Entscheidung des (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (C) Bundesverfassungsgerichts. In ihr hält das Bundesver- sowie bei Abgeordneten der SPD – Hans- fassungsgericht fest, dass die Verfassungsänderung, der Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- neue Art. 13 Abs. 3 des Grundgesetzes, nicht verfas- NEN]: Das machen Richter auch sonst!) sungswidrig ist und dass eben nicht jede akustische Überwachung von Wohnraum gegen die in Art. 1 des Das ist auch handhabbar; denn dann kann die Polizei Grundgesetzes garantierte Menschenwürde verstößt. dem Gericht nach bestem Wissen und Gewissen einen Bericht vorlegen, in dem sie ihre Prognose tatsachenge- Dieser Entscheidung können wir entnehmen, dass stützt offen legt. Dann kommt es darauf an, was in die- darüber auch beim Bundesverfassungsgericht keine Ei- sem Bericht steht. nigkeit bestand. Die Minderheit, zwei Richterinnen, hat Wenn die geplante Abhörung der Aufdeckung von eine andere Position vertreten, konnte sich aber nicht schwersten Straftaten dient, dann darf sie erfolgen. Die durchsetzen. Frau Kollegin Raab, die Mehrheit gilt, auch Polizei muss dafür Sorge tragen, dass nicht in den inti- für uns, die Grünen. Ich persönlich halte an meiner Posi- men Bereich eingegriffen wird. Das führt in Fällen, in tion fest, dass wir mit der akustischen Wohnraumüber- denen man befürchten muss, sowohl Verfahrensrelevan- wachung zu weit gegangen sind und dass sie mit der tes wie auch Intimes zu hören – das ist in vielen Fällen Verfassung nicht vereinbar ist. Das ist meine Position so –, dazu, dass in Echtzeit abgehört werden muss. Dann und vielleicht die meiner Fraktionskolleginnen und -kol- muss abgeschaltet werden. In anderen Fällen kann die legen. Vielleicht haben auch Kolleginnen und Kollegen Polizei prognostisch davon ausgehen, dass keine intimen aus anderen Fraktionen diese Auffassung. Gespräche geführt werden. Ich finde, dass dann aufge- (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ zeichnet werden könnte; denn das Bundesverfassungsge- DIE GRÜNEN und der SPD) richt spricht in solchen Fällen von einer Grobsichtung des Materials, um im Nachhinein etwas feststellen zu Aber die Mehrheit des Bundesverfassungsgerichts gilt können. auch für Sie. Sie können mosern, so viel Sie wollen, Meine Damen und Herren, die weiteren Kautelen sind Frau Kollegin Raab: Das Bundesverfassungsgericht hat in einem Satz rasch gesagt: Durch die akustische Wohn- gesagt, dass wir einen engsten Rahmen setzen müssen. raumüberwachung dürfen nur schwerste Straftaten ver- Diesen engsten Rahmen haben wir, so gut es geht, prak- folgt werden. Dieses Gebot dürfen wir nicht umgehen, tisch wortgleich in unseren Gesetzentwurf übernommen. indem wir Straftaten willkürlich hochsetzen. Und es (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE bleibt dabei: Der absolute Schutz von Berufsgeheimnis- GRÜNEN]: Genau! – Daniela Raab [CDU/ trägern bleibt in unserem Gesetzentwurf in vollem Um- (B) (D) CSU]: Das macht es aber nicht besser!) fang erhalten. Wir laden Sie ein, in den Ausschüssen ge- meinsam mit uns über diesen Gesetzentwurf weiter zu Meine Damen und Herren, die akustische Wohnraum- diskutieren. überwachung ist erlaubt, sofern sie den absoluten Kern- Danke. bereich der privaten Lebensgestaltung nicht verletzt. Wann das der Fall ist, hängt nicht von den Örtlichkeiten (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ab. Es kommt nicht darauf an, ob die Küche oder das und bei der SPD – Zuruf von der CDU/CSU: Schlafzimmer betroffen ist, sondern es kommt auf den Das Angebot nehmen wir an!) Inhalt der Kommunikation und auf das Verhältnis der miteinander kommunizierenden Menschen an. Wenn die Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Gefahr besteht, dass bei einer solchen polizeilichen Das Wort hat die Kollegin Petra Pau. Maßnahme Gespräche mit höchstpersönlichem Inhalt betroffen werden, dann darf nicht abgehört werden. Das Bundesverfassungsgericht sagt, dass ein solches Risiko, Petra Pau (fraktionslos): das zum Ausschluss der Abhörung führt, typischerweise Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! beim Abhören von Kommunikation in privilegierten Auch das Jahr 2004 war für die Bürgerrechte aus meiner Verhältnissen besteht: in Ehe und Partnerschaft, mit na- Sicht ein verlorenes. Seit 2001 sind sie verstärkt im hen Familienangehörigen, engsten Freunden und Ver- staatlichen Visier von Rot-Grün, bei der CDU/CSU oh- trauten. nehin. Der Trend zum autoritären Staat ist leider unge- brochen. Mit unserem Gesetzentwurf haben wir den Polizeibe- (Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch [frak- hörden und den Richtern die Aufgabe übertragen – Frau tionslos]) Kollegin Raab, hier haben Sie völlig Recht –, im Voraus abzuklären und prognostisch zu bewerten, ob bei der ge- Einen der wenigen Lichtblicke für verbriefte Grund- planten Maßnahme in den höchstpersönlichen Bereich rechte gab es im März des vergangenen Jahres in Karls- eingegriffen wird. Dazu sagt das Bundesverfassungsge- ruhe: Das Bundesverfassungsgericht kritisierte wesentli- richt klar und knapp in einem Satz: Das geht auch. Tat- che Teile des so genannten großen Lauschangriffs. Ich sächlich geht es auch. Man muss genau die Bedingungen habe das für die PDS im Bundestag ausdrücklich abklären, von denen Sie gesprochen haben. Das ist keine begrüßt. Der große Lauschangriff wurde mit den Kaffeesatzleserei. Diese Bedingungen müssen im Voraus Stimmen der CDU/CSU, der SPD und der Mehrheit der so intensiv wie möglich abgeklärt werden. FDP eingeführt. Ich danke Ihnen, Frau Kollegin 14296 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 152. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Januar 2005

Petra Pau (A) Schnarrenberger, und auch Herrn vom März letzten Jahres geschlagen. Auch ich gehöre zu (C) – beide FDP –, dass Sie sich der Mehrheitsmeinung Ihrer den Bekennenden wie Herr Montag, die eher dem Min- Fraktion damals nicht angeschlossen haben und die derheitenvotum gefolgt wären. Überprüfung durch das Bundesverfassungsgericht bean- Nun hat Karlsruhe entschieden – das ist Gesetz und tragt haben; Sie bekamen in wesentlichen Punkten daran haben wir uns zu halten, Frau Kollegin Raab –, Recht. Deshalb diskutieren wir heute über ein modifi- dass die untergesetzlichen Regelungen in der Strafpro- ziertes Gesetz zum großen Lauschangriff. Das ist aber zessordnung den Anforderungen des Art. 13 Abs. 3 des nur die kleine Lösung. Das Karlsruher Urteil hätte auch Grundgesetzes eben nicht entsprechen. Von daher wird eine große Lösung ermöglicht: die Chance zur Umkehr. Ihre Kritik an dem Karlsruher Urteil, wie Herr Seit Jahren werden immer mehr Bürgerrechte einer Bachmaier vorhin zu Recht zwischengerufen hat, kein vorgeblichen Sicherheit geopfert und der Staat dringt Erdbeben in Karlsruhe herbeiführen, Frau Raab. immer tiefer in die Privatsphäre der Bürgerinnen und (Daniela Raab [CDU/CSU]: Muss sie nicht! Bürger ein. Die PDS lehnt das ab, so wie wir 1998 gegen Es würde schon reichen, wenn der Gesetzent- den großen Lauschangriff und 2001 gegen die so ge- wurf verändert würde!) nannten Otto-Pakete waren. Wir müssen uns wohl an die Realitäten halten. Die Rea- (Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch [frak- lität ist ganz einfach, Herr Kollege Röttgen: Das, was tionslos]) 1998 noch unter der Kohl-Regierung verfassungswidrig Trotz des Urteils gibt es kein Umdenken. Die tiefer ge- in der Strafprozessordnung geregelt worden ist, haben hende Botschaft des Karlsruher Urteils, nämlich den wir jetzt verfassungsgemäß zu gestalten. Ich denke, wir Staat abzurüsten und die Bürgerrechte bewusst zu stär- haben deutlich gemacht, dass wir die Ausgestaltung jetzt ken, wird mit diesem Gesetzentwurf weiter in den Wind so vornehmen müssen, dass wir sie in den Bereichen, wo geschlagen, im Übrigen auch von den Grünen. Und na- wir die Wohnraumüberwachung für unverzichtbar hal- türlich in Bayern: Das Urteil war kaum verkündet, da ten, nämlich in den Bereichen der organisierten Krimi- forderte Innenminister Beckstein mehr statt weniger nalität, des Terrorismus und bei besonders schweren Überwachung. Auch hier im Bundestag werden Grund- Formen der Kriminalität, zu verbessern haben. Dabei rechte weiter angegriffen. Das zeigt sich leider auch im geht es insbesondere darum, mit diesem Ermittlungs- heute vorliegenden Gesetzentwurf. Kommentar der instrument die Hauptverantwortlichen für Straftaten Strafverteidigervereinigung: Der Wille der Bundesregie- zu erreichen, nämlich die Organisatoren, die Finanziers, rung zum großen Lauschangriff ist ungebrochen. Selbst sprich die Drahtzieher, die nicht so sehr im Vordergrund dort, wo das Bundesverfassungsgericht grundsätzlich stehen, die Hintermänner, die die eigentlichen Täter (B) gegen das Lauschen und Spähen ist, also in der absolu- sind. Vor diesem Hintergrund haben wir den Gesetzent- (D) ten Privatsphäre, öffnet der vorliegende Gesetzentwurf wurf im letzten Sommer erarbeitet. Wir haben uns dabei Hintertüren und weitere Einstiegstore. an den Leitgedanken gehalten, den das Bundesverfas- sungsgericht vorgegeben hat: Vorkehrungen dafür zu Zur Bürgerrechtskritik kommt aber auch die Effizi- treffen, dass Eingriffe in den absolut geschützten Kern- enzfrage: Das Max-Planck-Institut Freiburg hat sie ge- bereich der privaten Lebensgestaltung unzulässig sind. stellt und kam zu dem Ergebnis: Der große Lauschan- griff nützt wenig. Ich füge hinzu: Er schadet aber sehr Damit komme ich zu Art. 1 des Grundgesetzes, in viel. dem es um die Würde des Menschen geht. Das Gericht hat uns gesagt, dass wir hier Vorkehrungen treffen müs- (Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch [frak- sen. Ich meine, von diesem Leitgedanken haben wir uns tionslos]) in dem Gesetzentwurf stringent leiten lassen. Wir haben Deshalb teilt die PDS im Bundestag den Standpunkt diesen Gedanken präzise und rechtsstaatlich umgesetzt. zahlreicher Kritiker: Der große Lauschangriff ist nicht Das heißt, es muss eine Prognose erstellt werden, mögli- neu zu regeln, er ist schlicht abzuschaffen. cherweise muss das Gerät abgeschaltet werden und man muss mit den Erkenntnissen, die man dabei gewonnen (Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch [frak- hat, in einer bestimmten rechtsstaatlichen Weise umge- tionslos]) hen. Frau Justizministerin, ich bin Ihnen sehr dankbar, Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: dass die Bundesregierung in der Gegenäußerung zur Das Wort hat der Kollege Joachim Stünker, SPD- Stellungnahme des Bundesrates genau diesen Leitge- Fraktion. danken des Urteils präzise herausgearbeitet und den ins- gesamt zwölf Vorschlägen des Bundesrates, die zu einer Joachim Stünker (SPD): weiteren Aufweichung dieses Leitgedankens vorgetra- Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! gen worden sind, wie ich meine, zu Recht nicht zuge- Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist wieder- stimmt hat. Ich denke, sie konnte auch gar nicht zustim- holt darauf hingewiesen worden, aber vielleicht sollte men; denn in dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts ich auch selber darauf hinweisen: Die großen Schlachten – wir werden das bei den weiteren Beratungen sehen – zum Thema der akustischen Wohnraumüberwachung wurden dezidierte Vorgaben dafür gemacht, wie die un- – oder dem „Lauschangriff“, wie wir es frei übersetzt terverfassungsrechtliche Ausgestaltung der Wohnraum- immer genannt haben – sind mit dem Karlsruher Urteil überwachung in der Strafprozessordnung letzten Endes Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 152. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Januar 2005 14297

Joachim Stünker (A) aussehen soll. Daran werden wir nicht vorbeikommen, liche Kontrollen gewährleistet sein müssen. Vieles (C) wenn wir hier eine verfassungskonforme Regelung ver- konnten wir in den parlamentarischen Verhandlungen im abschieden wollen. Jahre 1997 – Kollege Montag hat das bereits erwähnt – erreichen, einiges ist am Widerstand der großen Koali- Es ist überhaupt nicht zu bestreiten, dass das zukünf- tion aus SPD und CDU/CSU gescheitert. Das ist den tig mit einem höheren Aufwand für die Ermittlungsbe- Grünen genauso ergangen. hörden verbunden sein wird. Das ist eine der in dem Ur- teil angelegten Konsequenzen, die so gewollt waren. Ich Für die FDP war immer wichtig, dass die Anordnung meine, dieser Mehraufwand ist in der Praxis leistbar. Es der Wohnraumüberwachung auf einer verfassungsfesten ist bereits darauf hingewiesen worden, dass in diesem Grundlage beruht. Das Bundesverfassungsgericht hat Bereich der Kriminalitätsbekämpfung Männer, Frauen dem Gesetzgeber klar und eindeutig aufgezeigt, welche und Gerichte arbeiten, die jahrzehntelange Erfahrungen Grenzen die Verfassung bei der Wohnraumüberwachung haben. Diese werden die notwendigen Grundlagener- zieht. Die Verwunderung war daher sehr groß, Frau Mi- mittlungen durchführen und Prognosen stellen, um Ent- nisterin, als das Bundesjustizministerium im Juni letzten scheidungen treffen zu können. Das gilt insbesondere für Jahres einen ersten Referentenentwurf zur Umsetzung die Gerichte. Einer erfahrenen Strafkammer, die eine des Urteils vorgelegt hat. Darin wurden unter anderem Entscheidung zu treffen hat, ist genau bekannt, welche die Überwachungsmöglichkeiten bei Personen, die ein Prognosen, Kautelen und Voraussetzungen sie dabei zu Zeugnisverweigerungsrecht haben, verschärft. Im Sep- prüfen hat. Wie ich schon sagte: Das Gericht hat diesen tember letzten Jahres allerdings hat die Bundesregierung Mehraufwand zu Recht bewusst in Kauf genommen, um daraufhin einen neuen Entwurf vorgelegt. Hier ist anzu- einen der obersten Werte unserer Verfassung, nämlich erkennen, dass sich das Bundesjustizministerium erst- die Menschenwürde, zu wahren. mals ernsthaft mit dem Urteil des Bundesverfassungsge- Die Menschenwürde ist der letzte schützbare Raum richts auseinander gesetzt hat. des Menschen im privaten, intimen Bereich. Hier ist die Der Entwurf bleibt jedoch kritikwürdig. An vielen sonst übliche Abwägung des öffentlichen Interesses an Stellen werden im Gesetzentwurf unbestimmte Rechts- einer Strafverfolgung oder das Einbauen der einen oder begriffe und Generalklauseln benutzt, die die Praktika- anderen Kautele oder Öffnung absolut unzulässig. Von bilität der novellierten Vorschriften in der Praxis äußerst daher kann man das nur so regeln, wie wir das hier getan schwierig gestalten werden. Eine Konkretisierung der haben. Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts ist im Gesetz- Ich lade Sie – auch Sie, Frau Kollegin Raab, von der entwurf an entscheidenden Stellen wenigstens bislang CDU/CSU-Fraktion – ein, mit uns gemeinsam im nicht vorgenommen worden. Da müssen wir in der Tat in (B) Rechtsausschuss zu beraten. Wir werden eine Anhörung den Beratungen nachbessern. (D) durchführen. Sollten noch Verbesserungsvorschläge vor- handen sein, so hören wir sie uns gerne an. Den Gestal- (Beifall bei der FDP) tungsspielraum, den uns das Gericht vorgeben hat, ha- Eine aktuelle Studie des Max-Planck-Instituts kommt ben wir aber bis an die Grenzen ausgenutzt. Darüber zu dem Ergebnis, dass die Praxis – das ist bereits er- hinaus wird es nichts geben können. Von daher meine wähnt worden – ausgesprochen zurückhaltend und be- ich, dass wir zügig zu einem Ergebnis kommen können. hutsam mit diesem Instrument umgeht. Für die FDP ist Somit könnten ab dem 1. Juli 2005 verfassungskonforme klar, dass die Regelungen in dem Gesetzentwurf nicht Regelungen in der Strafprozessordnung stehen, sodass hinter die Rechtsprechung des Bundesverfassungsge- wir die Geräte nicht abschalten müssen, weil es keine richts zurücktreten dürfen. Ich hoffe, dass sich die Bun- gesetzliche Regelung gibt. desregierung dieser Auffassung anschließen wird. Vielen Dank. Die heutige Debatte gibt mir jedoch auch Gelegen- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ heit, von der Bundesregierung erneut ein politisches Ge- DIE GRÜNEN) samtkonzept für alle Überwachungsmaßnahmen einzu- fordern. Die Grundsätze des Bundesverfassungsgerichts Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: zur akustischen Wohnraumüberwachung haben auch für Das Wort hat der Kollege Rainer Funke, FDP-Frak- andere Überwachungsmaßnahmen weit reichende Be- tion. deutung. (Beifall bei der FDP) Rainer Funke (FDP): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Bei der Die FDP lehnt es daher ab, immer nur einzelne Ermäch- Diskussion über die akustische Wohnraumüberwachung tigungsgrundlagen für Überwachungsmaßnahmen zu stehen wir vor der schwierigen Abwägung zwischen der überarbeiten. Auf der Grundlage der Rechtsprechung Sicherung und Wahrung der Grundrechte der Bürger auf des Bundesverfassungsgerichts und der Erkenntnisse aus der einen Seite und der Freiheitsbedrohung durch die or- der Wissenschaft ist die Bundesregierung daher aufge- ganisierte Kriminalität und deren Bekämpfung auf der fordert, ein schlüssiges Gesamtkonzept vorzulegen. anderen Seite. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. Unabdingbar war und ist es für die FDP, dass zum Schutz der Grundrechte der Bürger strenge rechtsstaat- (Beifall bei der FDP) 14298 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 152. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Januar 2005

(A) Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Frau Bulmahn scheint sich mehr in Bildungsdiskussio- (C) Ich schließe die Aussprache. nen zu gefallen, als sich um das Thema Forschung, das ihr zusteht, zu kümmern. Sie regiert lieber in die Kompe- Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzent- tenz von Bundesländern hinein, als das zu tun, was ihre wurfs auf Drucksache 15/4533 an die in der Tagesord- Aufgabe im Ministerium ist, nämlich ein entsprechendes nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es Programm zu erarbeiten. Das ist keine angemessene For- dazu anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall. schungspolitik. Die Ministerin sollte sich einmal überle- Dann ist die Überweisung so beschlossen. gen, was eigentlich ihre Aufgaben sind. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 19 auf: Mit diesem Antrag von Rot-Grün, der eigentlich auch Beratung des Antrags der Abgeordneten Axel E. im Ausschuss für Bildung und Forschung am Mittwoch Fischer (Karlsruhe-Land), Katherina Reiche, hätte beraten werden sollen, dann aber kurzfristig von Thomas Rachel, weiterer Abgeordneter und der der Tagesordnung abgesetzt wurde, verhält es sich wie Fraktion der CDU/CSU mit der aktuellen Netzstudie der dena. Da gab es in den letzten Tagen ebenfalls bemerkenswerte Vorgänge. Die Energieforschung zukunftsfähig gestalten dena ist ein Institut, das zur Hälfte von der Bundesregie- rung getragen wird. Dieses Institut hat eine Studie über – Drucksache 15/4507 – die weitere Nutzung der Windenergie erstellt, die am Überweisungsvorschlag: vergangenen Mittwoch hätte veröffentlicht werden sol- Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit (f) len. Da die Medien in diesem Zusammenhang von schier Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für Bildung, Forschung und unglaublichen Kosten sprechen, die der weitere Ausbau Technikfolgenabschätzung der Windenergie mit sich bringen soll, muss man die Frage stellen, was eigentlich in dieser Studie steht. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. – Ich Laut Aussage der Medien sei in der Studie die Rede höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. von Anschlusskosten in Höhe von 15 Milliarden Euro für Offshore-Windkraftprojekte in Nord- und Ostsee, Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege von weiteren 3 Milliarden Euro Investitionen für den , CDU/CSU-Fraktion. windkraftbedingten Netzausbau und erheblichen Zusatz- (Beifall bei der CDU/CSU) kosten durch die notwendige Vorhaltung einer wachsen- den Zahl von Ersatzkraftwerken. Bundeswirtschaftsmi- nister Clement spricht dieser Tage von einer erwarteten Axel E. Fischer (Karlsruhe-Land) (CDU/CSU): (B) Einspeisevergütung von 5,4 Milliarden Euro, die ab (D) Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! 2015 jährlich hinzukomme. Im Gegensatz dazu spricht Es geht darum, Energieforschung zukunftsfähig zu ge- die energiepolitische Sprecherin der Grünen, Frau stalten. Das ist überaus wichtig; denn das, was die rot- Hustedt, von 1,15 Milliarden Euro Kosten für den Netz- grüne Bundesregierung im Bereich Energieforschung ausbau, Regel- und Reserveenergie bis 2015 und kriti- bisher vorgelegt hat, kann man weder als zukunftsfähig siert die Äußerung von Bundesminister Clement. Sie noch als nachhaltig bezeichnen. Wenn man es genau be- sagt, die Angabe über die Einspeisevergütung von trachtet, herrscht Fehlanzeige. Bis heute gibt es kein 5,4 Milliarden Euro sei zu hoch, so viel werde es nicht Energieforschungsprogramm. sein. Was stimmt denn nun eigentlich? Es ist richtig, (Beifall bei der CDU/CSU) dass der Kollege Feibel die Frage an die Bundesregie- rung gestellt hat. Wir brauchen Aufklärung und müssen Wer sich im Vorfeld dieser Debatte mit der Tages- wissen, was hier passiert; denn nur mit klaren Zahlen ordnung beschäftigt hat, war – das muss man ehrlich sa- können wir offen vor die Wählerinnen und Wähler tre- gen – ein wenig irritiert; denn vor zwei Tagen hieß es ten. Sie sind es, die im Endeffekt für die Politik, die Sie noch, heute ständen zwei Anträge zur Debatte. Jetzt aber hier machen, bezahlen müssen. Es gibt also in diesem ist nur noch der Antrag der CDU/CSU-Bundestagsfrak- Bereich ohne Zweifel Forschungsbedarf. tion übrig geblieben; denn der Antrag „Nationales Ener- gieforschungsprogramm vorlegen“, der von Rot-Grün Die Energieforschung in Deutschland war in der Ver- vor Weihnachten eingebracht worden war, ist von der gangenheit ein tragender Grundpfeiler für eine zukunfts- Tagesordnung genommen worden. gerichtete und zukunftsverträgliche Energiepolitik in Deutschland. An diesem Antrag von Rot-Grün war besonders inte- ressant, dass dieser Antrag federführend im Wirt- ( [Starnberg] [SPD]: Diese Rede schaftsausschuss behandelt werden sollte. Ich frage haben Sie doch vor ein paar Wochen schon mich schon, warum ein solches Forschungsthema nicht einmal gehalten!) im Forschungsausschuss federführend behandelt wer- den soll, sondern im Wirtschaftsausschuss. Da hat die Wichtige Beiträge zum Aufbau, Betrieb und zur Fortent- Bundesforschungsministerin – das muss man klar wicklung eines sicheren und kostengünstigen Systems sagen – auf ganzer Linie versagt. Diese Kritik möchten der Energieversorgung sind dringend notwendig. Von wir hier ganz deutlich anbringen. dem, was bisher geleistet wurde, zehren wir noch heute, wie übrigens in vielen anderen Forschungsbereichen (Beifall bei der CDU/CSU) auch. Wir sind aber schlecht für die Zukunft gewappnet. Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 152. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Januar 2005 14299

Axel E. Fischer (Karlsruhe-Land) (A) Die Qualität der Energieforschung in Deutschland ist in (Klaus Barthel [Starnberg] [SPD]: Wo tun wir (C) ernster Gefahr. die Brennstäbe hin, Herr Fischer? In den Schwarzwald?) (Beifall bei der CDU/CSU) Bundesumweltminister Trittin mag durchaus Recht Die Mittel für die Energieforschung des Bundes sinken gehabt haben, als er am vergangenen Wochenende fest- von 700 Millionen Euro im Jahr 1991 auf etwa gestellt hat: Die Fotovoltaik kann in Regionen ohne 400 Millionen Euro im Jahr 2004. Das ist weniger als Stromnetz schon heute mit Dieselaggregaten konkurrie- die humanitäre Hilfe, die der Bundeskanzler jetzt den ren. Tsunamiopfern zugesagt hat. (Klaus Barthel [Starnberg] [SPD]: Da hat er (Dr. Axel Berg [SPD]: Sind Sie etwa dage- Recht!) gen?) Aber in Deutschland gibt es nun einmal ein Stromnetz. Das ist zudem weit weniger als die 2 200 Millionen Bei unserem bestehenden Stromnetz ist die Fotovoltaik Euro, die die Verbraucher mit ihrer Stromrechnung im eben nicht rentabel und konkurrenzfähig. Bei Taschen- Jahr 2004 zusätzlich für so genannten Ökostrom zahlen rechnern ist das etwas anderes. Würden die Milliarden in mussten. Zukunftsträchtige Forschungsbereiche werden die Forschung statt in die Markteinführung fließen, dann von Ihnen gezielt ausgedünnt und viel versprechende würde das dazu beitragen, dass wir in diesem Bereich Entwicklungen abgewürgt. entsprechend vorankommen. (Horst Kubatschka [SPD]: Kernenergie, ja!) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Klaus Barthel [Starnberg] [SPD]: Wieso gibt Meine Feststellung ist: Diese Entwicklung darf so nicht es denn dann so viele Sonnenkollektoren in weitergehen. Baden-Württemberg?) (Horst Kubatschka [SPD]: Doch!) Heute aber werden dank Rot-Grün Investitionen in er- kennbar unrentable Anlagen gefördert, in denen auf Wir haben derzeit ein grobes Missverhältnis zwischen Jahrzehnte hin das Geld von Stromkunden und Steuer- Forschungsförderung und Markteinführung. Sie sa- zahlern verbrannt und damit Wohlstand und Volksver- gen, wie wichtig Wissenschaft und Forschung seien, för- mögen vernichtet wird. dern jedoch den Einsatz unrentabler Techniken um ein Mehrfaches stärker als die Forschung zur Verbesserung Ein anderes Beispiel ist die Kernenergie. Die Bedeu- dieser Techniken. Impulse in der Grundlagenforschung tung der Kernkraft nimmt weltweit zu. (B) (D) fehlen. Stattdessen setzen Sie auf Markteinführung. Ein (Horst Kubatschka [SPD]: Wie lange schon?) Beispiel ist die Förderung der Einführung erneuerbarer Energien. Die Gesamtkosten steigen stark, ohne riesige Mehr als 30 Kernkraftwerke sind in Bau. Weltweit ist Subventionen sind sie auf absehbare Zeit nicht marktfä- ein Vielfaches davon projektiert. Länder wie China und hig und mit der geplanten Verteuerung der Energiever- Südafrika entwickeln in Deutschland stillgelegte Reak- sorgung durch die Erstellung und den Betrieb unrenta- tortypen weiter bler Anlagen wird von Ihnen gezielt Wohlstand vernichtet. (Horst Kubatschka [SPD]: Unter der Regie- rung Kohl!) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- und werden diese Reaktoren betreiben und verkaufen. neten der FDP) Rot-Grün aber vermittelt ein völlig anderes Bild und ver- Wenn bei einem Auto, das fährt, die Handbremse an- nebelt die Realitäten. Aber es ist eine Tatsache: Die gezogen wird, braucht man sich nicht zu wundern, wenn Kernenergie ist weltweit auf dem Vormarsch, auch wenn die Bremse heiß wird und der Motor zu stottern anfängt. Ihnen das nicht passen mag. So sieht es aus, meine Damen und Herren. Die langfris- (Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- tige Wirkung dieser Politik ist eine Schädigung der NEN]: Es werden mehr Reaktoren abgeschal- Volkswirtschaft in unserem Land. tet als neu gebaut!) Gleichzeitig erklärt Umweltminister Trittin, bei der Mit dem rot-grünen Ausstieg aus der Kernenergie und Fotovoltaik fehlten immer noch Entsorgungskonzepte. der Kernforschung ist es wie mit dem Fahrer auf der Au- Was soll denn mit den defekten Solarkollektoren passie- tobahn, der im Radio hört: „Auf der Autobahn kommt ren? Ihnen ein Falschfahrer entgegen. Fahren Sie äußerst rechts und überholen Sie nicht! Wir melden uns, wenn (Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- die Gefahr vorüber ist.“ Daraufhin sagt sich der Auto- NEN]: Das gibt es schon längst!) fahrer: „Einer? – Tausende!“ Wo sollen diese entsorgt werden? Auch dafür haben Sie (René Röspel [SPD]: Den Witz habe ich noch kein Konzept, predigen aber ständig die angeblich um- nie gehört!) weltfreundliche Energie, ohne dass bisher untersucht wurde, welcher Forschungsbedarf besteht. Auch in die- Ähnlich ist es mit Ihrer Politik, meine Damen und Her- sem Bereich ist Forschung dringend notwendig. ren! 14300 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 152. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Januar 2005

Axel E. Fischer (Karlsruhe-Land) (A) Wie sieht es aktuell in Deutschland aus? In der Si- (Beifall bei der CDU/CSU) (C) cherheitsforschung war Deutschland früher führend. Der europäische Druckwasserreaktor wird ständig weiterent- Wir brauchen wieder Verlässlichkeit und eine positive wickelt und verbessert. Mit dem ITER entwickeln Staa- Sicht des technischen Fortschritts. Wir brauchen eine ten der EU gemeinsam mit den Vereinigten Staaten von Chancendebatte und keine Risikodebatte in unserem Amerika, Russland, Südkorea, Japan und China einen Land. Nicht 0 : 0 spielen, sondern siegen wollen, das Kernfusionsreaktor, der im Erfolgsfall sicher verfügba- muss unsere Maxime sein. Das ist eine notwendige Vo- ren Strom an praktisch jedem Ort der Erde erschwinglich raussetzung für motivierte junge Wissenschaftler und machen wird. Forscher in Deutschland, die die Grundlagen für unseren Wohlstand von morgen legen. (Klaus Barthel [Starnberg] [SPD]: Ist der denn heute rentabel?) Herzlichen Dank. Mit der industriellen Umsetzung der Transmutation (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- wird die Voraussetzung geschaffen, die hoch strahlenden neten der FDP) radioaktiven Abfälle bzw. Kernwaffenplutonium zur Stromproduktion zu nutzen. Das Ergebnis sind kurzle- Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: bige Spaltprodukte. Das würde in Fragen der Entsorgung Das Wort hat der Kollege Dr. Axel Berg, SPD-Frak- radioaktiven Abfalls völlig neue Perspektiven bieten. tion. (Horst Kubatschka [SPD]: Sie sind aber wirk- lich leichtsinnig! – René Röspel [SPD]: Pluto- Dr. Axel Berg (SPD): nium hat eine Halbwertzeit von Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten 24 400 Jahren!) Damen und Herren! Liebe Kollegen! Der CDU/CSU- Antrag, über den wir heute diskutieren, beinhaltet einige Die Endlagerproblematik würde entsprechend ent- Feststellungen, mit denen meine Fraktion durchaus über- schärft. Aber dieser Bereich wird von Ihnen stiefmütter- lich behandelt. einstimmt. Lieber Axel Fischer, was ich aber nicht ganz verstanden habe, ist, warum Sie so viel über die Netzaus- (Dr. Uwe Küster [SPD]: Machen Sie mal ein baustudie der dena gesprochen haben. Das ist zwar ein Endlager in Karlsruhe!) wichtiges Thema. Aber nun geht es um die Forschung. Sie haben ein bisschen wenig zu dem Antrag Ihrer Frak- In all diesen Bereichen zeichnen sich viel verspre- tion gesagt. Insofern fällt es mir nicht leicht, auf Ihre chende Entwicklungen ab, an denen sich deutsche For- Ausführungen einzugehen. (B) scher und die Forschung in Deutschland beteiligen soll- (D) ten. Der Forschungsstandort Deutschland – in der Wir freuen uns jedenfalls, dass viele Erkenntnisse zu Kerntechnik einst führend – soll hierbei jedoch nach Ihnen durchgedrungen sind, zum Beispiel – ich zitiere dem Willen von Rot-Grün außen vor bleiben. Sie wollen aus Ihrem Antrag – dass die „energetischen Ressourcen aus rational nicht nachvollziehbaren, rein ideologischen knapp sind“, dass die „Energieforschung in besonderer Gründen nach dem Ausstiegsbeschluss hinsichtlich der Weise überlebenswichtig“ für Deutschland ist und dass Stromproduktion in Kernkraftwerken auch noch aus der die „erneuerbaren Energien einen zunehmend wichtigen Kernforschung aussteigen. Das ist eine einäugige Poli- Beitrag leisten“ sollten. Solche Aussagen kann ich voll tik, die wir so nicht mittragen. und ganz unterstützen. Aber mit dem Erkenntnisgewinn (Beifall bei der CDU/CSU) allein ist es noch nicht getan. Wir müssen auch die richti- gen Schlussfolgerungen aus den Erkenntnissen ziehen. Was sind nun die Ziele einer zukunftsweisenden Hier hapert es bei Ihnen noch ein bisschen. Energieforschung? Wir müssen eine schlüssige Perspek- tive für die langfristige Energieversorgung in Deutsch- Wie Sie eben zu Recht ausgeführt haben – so steht es land eröffnen. Wir müssen den Zielen der Versorgungs- auch in Ihrem Antrag –, wollen Sie bei der für Deutsch- sicherheit, der Wirtschaftlichkeit, der Kostengünstigkeit land überlebenswichtigen Energieforschung die Schwer- und der Umweltverträglichkeit gleichermaßen Rechnung punkte auf Kernfusion und Kernenergie legen. Sie schei- tragen. Für zukünftige Generationen brauchen wir des- nen Folgendes vergessen zu haben: Trotz 50-jähriger halb Know-how in allen Bereichen. Wir brauchen keine Forschung liegt der Energieversorgungsbeitrag der Denkverbote, sondern Freiheit der Forschung. Das muss Kernfusion heute bei 0 Prozent. Zum Thema Kern- zu unserer Maxime in diesem Bereich werden. energie muss ich Ihnen ebenfalls mitteilen, dass in Deutschland die Stilllegung aller Kernkraftwerke be- (Beifall bei der CDU/CSU) schlossen wurde, und zwar aus mehreren guten Gründen. Angesichts der Unübersichtlichkeit und der offenkun- Wir wissen nicht, wohin mit dem atomaren Abfall. digen Abstimmungsprobleme zwischen den Ministerien (Dr. Uwe Küster [SPD]: Alles nach Karls- auf Bundesebene wäre die Bündelung der Kompetenzen ruhe!) in einem Ministerium von entscheidender Bedeutung. Energieforschung aus einer Hand! Deshalb fordere ich Es gibt nach wie vor noch kein Konzept dafür. Außer- – genauso wie in unserem Antrag –, die Energiefor- dem sind diese Technologien schlichtweg zu teuer. Aus schung beim Bundesministerium für Bildung und For- guten Gründen gibt es in der Bevölkerung keinerlei Ak- schung anzusiedeln. Dorthin gehört sie. zeptanz für ihren Einsatz. Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 152. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Januar 2005 14301

Dr. Axel Berg (A) Letztlich sprechen noch sicherheitspolitische Gründe Lasst uns bitte auch den Wettbewerb zwischen den (C) dagegen. Seit dem 11. September 2001 ist uns die Ge- Forschungseinrichtungen stärken! Das Ringen um die fahr zunehmend bewusst geworden, dass Kernkraft- besten Konzepte und die besten Ergebnisse ist mir noch werke zum Ziel terroristischer Anschläge werden kön- zu wenig ausgeprägt. Große Fortschritte werden wir nur nen. Dagegen können wir nichts, aber auch gar nichts dann erzielen, wenn das entscheidende Kriterium für die tun. Mittelvergabe die Qualität der Forschung ist. Gut fände ich eine Mittelzuteilung nach Exzellenzen. Wer exzellent Sie mogeln sich ebenfalls um die Beantwortung der forscht, bekommt mehr Mittel und umgekehrt. Die reine Frage nach der Finanzierbarkeit herum. Natürlich wäre Grundlagenforschung müssen wir davon natürlich aus- es prima, flächendeckend Forschung in allen Bereichen nehmen. Aber lasst uns das Einstein-Jahr als Auftakt für zu betreiben. Doch den Goldesel, der das alles bezahlen soll, haben wir trotz aller Forschung bisher noch nicht die Änderung mancher Spielregeln nehmen! züchten können. Insbesondere gilt das für die Kerntech- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ nik. Nach meinem Wissen ist das Verhältnis von For- DIE GRÜNEN) schungsaufwand zu Energieausbeute auf keinem Gebiet so schlecht wie bei der Atomkraft. Des Weiteren brauchen wir Markteinführungs- und Modernisierungsanreize. Damit stärken wir wieder die Wir müssen sicherlich Schwerpunkte bei der For- Innovationseffizienz. Damit schaffen wir Wertschöp- schung setzen. Diese dürfen – jedenfalls nach meiner fung, Investitionen und Beschäftigung in Deutschland. Auffassung – aber nicht auf der Kernfusions- und der Durch die Liberalisierung ist der Wettbewerbsdruck be- Kernenergieforschung liegen. In Deutschland müssen reits angestiegen. Deutschland steht unter Handlungs- wir Entscheidungen zugunsten bestimmter Forschungs- druck. Da geht es uns nicht viel anders als unseren Nach- felder fällen, die sich an unserer langfristigen Energiepo- barn in der Europäischen Union. Rund 80 Prozent aller litik orientieren. Priorität sollten dabei die Felder erhal- Kraftwerke in Europa sind älter als 30 Jahre. Man nimmt ten, die die größten Chancen haben, Innovationen von an, dass ab 2010 der europaweite Neubaubedarf eine morgen zu liefern, und die als Wachstumstreiber neue Größenordnung von rund 200 000 Megawatt haben Beschäftigung schaffen. Doch Entschlusskraft bei der wird. Das ist ungefähr das Doppelte des derzeitigen Prioritätensetzung vermisse ich leider bei der Union. Sie deutschen Kraftwerkbestandes. wollen gerne, dass überall ein bisschen geforscht wird. Ich fürchte, dass uns das letztlich gar nichts bringen Weltweit wird die nachholende Industrialisierung der wird. Entwicklungsländer und der Schwellenländer zu einer In Ihrem Antrag fordern Sie mehr Versorgungssi- ordentlichen Steigerung der Nachfrage nach sicherer, (B) cherheit durch „die Entwicklung hin zu einer dezentra- nach umweltverträglicher und nach bezahlbarer Energie (D) len Energieversorgung“. Aber „die heutige Struktur der führen. Diese Entwicklungen sehen wir alle ganz deut- Stromversorgung mit Großkraftwerken“ soll erhalten lich in China und in Indien. Der Energiehunger ist enorm bleiben. Was wollen Sie denn nun? Entscheiden Sie sich und er wird noch steigen. Wir müssen also ohnehin in- doch, ob Sie eine dezentrale oder eine zentrale Strom- vestieren. Bei diesen ohnehin notwendigen Investitionen versorgung wollen. Wie heißt es so schön: Ein entschlos- in Deutschland und im internationalen Kraftwerkspark sener Mensch kann mit einem Schraubenschlüssel mehr ergeben sich riesige Chancen, auch für den Klimaschutz. anfangen als ein unentschlossener mit einem ganzen Wir wollen eine Initiative „Hightech für Effizienz und Werkzeugladen. erneuerbare Energien“, deren Früchte wir natürlich auch beim Export ernten werden. Unser Ziel ist eine am Leitbild der Nachhaltigkeit ausgerichtete, qualitativ hochwertige und umweltver- Mir ist der Punkt wichtig, wie wir die Ergebnisse bei trägliche Energieversorgung. Das erfordert den Einsatz Forschung und Entwicklung zeitnah in ganz konkrete modernster Technologien und natürlich den Ausbau der Investitionsvorhaben umsetzen. Dabei müssen wir erneuerbaren Energien. Potenziale ausschöpfen, aber auch politische und wirt- Deutschland ist heute Europas führender Energie- schaftliche Rahmenbedingungen berücksichtigen. Als standort in Bezug auf Produktion, Verbrauch und Tech- Stichworte nenne ich: Emissionshandel, Regulierung, nologie. Nur mit Spitzenleistungen bei Forschung, Ent- Finanzierung in Bezug auf Binnenmarkt und Steuern. wicklung und modernsten Energieerzeugungsanlagen All das müssen wir zusammenbringen. wird der Energie- und Industriestandort Deutschland Das Ziel dabei sollte sein: die Stärkung der deutschen auch weiterhin für hochwertige Dienstleistungen und Kompetenz im Anlagenbau, bei Forschung und Ent- Produkte international attraktiv und wettbewerbsfähig wicklung sowie bei IT im Sinne eines Forschungsver- bleiben. bundes. Lasst uns die Komponenten Anlagenbau, Sys- (Axel E. Fischer [Karlsruhe-Land] [CDU/ temtechnik und Netzintegration zusammenführen! CSU]: Dann müssen Sie in die Forschung Das Erringen der Marktführerschaft auf dem Gebiet mehr investieren!) der fossilen Kraftwerke bildet die Grundlage für einen Das gilt für die Versorgung in unserem Land genauso hohen deutschen Wertschöpfungsanteil. Was die Moder- wie für den Export. Was brauchen wir dafür? Ich denke, nisierung von deutschen, aber auch von ausländischen wir brauchen dafür eine optimierte Verknüpfung von pri- Kraftwerken, insbesondere ab 2010, angeht: Pro Kraft- vater und öffentlicher Forschung und Entwicklung. werksblock – nehmen wir einmal, Pi mal Daumen, einen 14302 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 152. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Januar 2005

Dr. Axel Berg (A) Wert von 600 Megawatt an – können Modernisierungs- Die Großforschungseinrichtungen müssen – auch (C) maßnahmen im Anlagenbau inklusive Zulieferer, Ingeni- das ist noch ein sehr wichtiger Punkt – in Zukunft ihre eure etc. einen Beschäftigungseffekt von über Schwerpunkte verlagern. 6 000 Arbeitsplätzen ausmachen. Das ist doch etwas. (Beifall des Abg. Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/ Hinzu kommt der substanzielle Klimaschutzeffekt. DIE GRÜNEN]) Allein die konsequente Umsetzung auf der Grundlage Durch die Aufstockung der Mittel gemäß der Lissabon- des heutigen Standes der Technik und eine Steigerung Strategie müsste das locker zu machen sein. der Effizienz bei deutschen Kraftwerken von 35 Prozent auf 47 Prozent könnte eine Kohlendioxidreduzierung Wir haben unseren Antrag mit dem Titel „Nationales von 2,5 Milliarden Tonnen bis 2020 möglich machen. Energieforschungsprogramm vorlegen“ im letzten De- Das bedeutete bis 2020 eine CO2-Reduktion von zember eingebracht. Nach der politischen Dynamik und 40 Prozent und entspräche damit den Zielen der „Ener- auch marketingtechnisch ist es verständlich, dass Sie gieagenda 2010“. von der CDU/CSU einen eigenen Antrag vorlegen müs- sen. Wir müssen die Energieforschungsmittel also ver- stärkt in Technologieforschung auf dem Erneuer- (Zuruf des Abg. Axel E. Fischer [Karlsruhe- bare-Energien-Sektor und in den Sektor der Effizienz- Land] [CDU/CSU]) technologien umleiten und die Ergebnisse müssen wir – Lieber Axel Fischer, Ihre Aufregung darüber, dass auch den mittelständischen Unternehmen zugänglich heute nicht über den SPD-Antrag beraten wird, ist etwas machen. künstlich. In der sich anschließenden Beratung wird Ihr Antrag einbezogen. In der zweiten und dritten Lesung (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des werden die beiden Anträge gemeinsam behandelt. Viel- BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) leicht ist das auch wieder einmal eine Chance, von den Public-Private-Partnership-Modelle sind bei diesen For- üblichen Ritualen entsprechend den herrschenden Mehr- schungsprojekten unter Beteiligung der Industrie beson- heiten abzugehen. ders zu fördern. Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Deswegen schließe ich mich Ihrer Forderung nach ei- Herr Kollege, Sie müssen jetzt zum Ende kommen. nem nationalen ressortübergreifenden Energiefor- schungsprogramm an. Wir wissen, dass die Zeit des preiswerten, stets verfügbaren Erdöls zu Ende geht. Wir Dr. Axel Berg (SPD): (B) müssen jetzt die Weichen für eine positive wirtschaftli- Danke. Ich komme zu meinem letzten Satz. – Nach (D) che Entwicklung in Deutschland stellen. Die Energiefor- den üblichen Ritualen kommt im Zweifelsfall natürlich schung gehört genauso wie die Bildungs- und die Wis- unser Antrag durch. Deswegen – das wirklich als letzten senschaftspolitik insgesamt zu den Grundpfeilern Satz – bitte ich Ihre Energiepolitiker und Forschungs- unserer Vorsorge. politiker, die wirklich eine konstruktive Arbeitshaltung haben, ihre Vorstellungen einfach in unseren Antrag ein- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ zubringen. Es gibt jede Menge Überschneidungen – au- DIE GRÜNEN) ßer halt bei der Atomkraft. Inhalte eines solchen Programms müssen sein: Die (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Verringerung des Energiebedarfs ist anzustreben. Die Ef- DIE GRÜNEN) fizienz muss mindestens um den Faktor 4 erhöht werden. Erneuerbare Energien und Effizienztechnologien sollten Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: höchste Priorität haben – bei der Grundlagen- und bei Das Wort hat der Kollege Hellmut Königshaus, FDP- der Projektforschung. Die Zusammenarbeit der For- Fraktion. schungseinrichtungen mit dem Forschungsverbund Son- nenenergie und anderen Wissenschaftsbereichen, die et- was mit Energie zu tun haben, muss besser vernetzt Hellmut Königshaus (FDP): werden. Außerdem müssen wir natürlich an die Spei- Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In der chertechnologien denken. Sie sind in Deutschland bisher Tat, es gibt viele Überschneidungen – das kann man im- etwas stiefmütterlich behandelt worden, was auch ver- mer wieder feststellen –, es gibt aber auch viele Unter- ständlich ist. Man hat ja kein Problem, Kohle oder Erdöl schiede. Wir haben beispielsweise schon 2003 die Bun- jahrelang zu lagern; es funktioniert danach genauso gut desregierung aufgefordert – insofern stimmen wir, wie vorher. Aber die Energiespeicherung in dezentralen glaube ich, mit der CDU/CSU überein –, uns doch end- Systemen und die Mehrfachverwertung von Energie lich einmal ein aktualisiertes Energieforschungspro- müssen wir jetzt richtig angehen. gramm vorzulegen. Da müssen nicht immer nur die Fraktionen tätig werden; wir haben auch eine Bundes- Wir haben hier Potenziale von bisher nicht vorstellba- regierung. Eine solche Aktualisierung haben wir immer ren Quellen. Denken Sie an Geothermie! Denken Sie an noch nicht. Obwohl der Bundesregierung eine riesige die Meere, die Wellen-, Strömungs- und Gezeitenkraft- Schar von Experten im eigenen Apparat sowie auch von werke! Es gibt viele spannende und schöne Sachen. Ich vermeintlichen und tatsächlichen Experten aus ihrem po- denke auch an die biogenen Kraftstoffe. litischen Milieu zur Verfügung steht, ist dazu bisher Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 152. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Januar 2005 14303

Hellmut Königshaus (A) noch nichts gekommen. Alle Ihre Redner tun immer so, Wir können die Rahmenbedingungen nicht beliebig (C) als könne man Ihre Parteitagsbeschlüsse eins zu eins um- verändern, wie wir das in der Vergangenheit immer wie- setzen. Was ist denn nun? Wann kommen Sie da endlich der erleben mussten. Die Wirtschaft braucht die Mög- aus dem Knick? Muss die Opposition alles machen lichkeit, die Ergebnisse ihrer Energieforschung rascher aufzunehmen und umzusetzen. Wir können der Wirt- (Heiterkeit bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ schaft nicht den Schwung nehmen, indem wir sie Ihren DIE GRÜNEN) grünen Parteitagsbeschlüssen ausliefern. oder können wir damit rechnen, dass hier auch einmal Dabei kommt insbesondere der Weiterentwicklung die Bundesregierung aktiv wird? der konventionellen Kraftwerkstechnik eine entschei- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) dende Bedeutung zu. Sie führen uns regelmäßig die Windenergie vor. 1 000 Windenergieanlagen könnten Es geht hierbei schließlich um eine existenzielle Frage wir ersetzen, wenn der Wirkungsgrad der herkömmli- für unser Land; denn wir brauchen wirklich neue chen Kraftwerke um 1 Prozent erhöht würde. Energien. Das meine ich jetzt ausnahmsweise einmal (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) (Dr. Uwe Küster [SPD]: Ehrlich!) Das ist der entscheidende Weg. Dass Sie ihn nicht gehen – auf Sie komme ich gleich zu sprechen – nicht nur im wollen, verstehen wir, seit wir wissen, wie in Schleswig- übertragenen Sinn. Holstein der Windenergieverband argumentiert und sich verhält. Sie haben es gerade nötig, mit dem Finger auf Energieforschung ist wirklich eine der entscheiden- andere zu zeigen. den Herausforderungen unserer Zeit. Noch, trotz der rot- grünen Eskapaden, besitzt Deutschland die Fähigkeiten, (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) die wirtschaftliche Kraft sowie das wissenschaftliche und technische Potenzial, sich den künftigen Herausfor- Schon heute zeigt sich zudem, dass der Abschied von derungen und insbesondere der eben schon angesproche- der Kernenergie als nationaler Alleingang ein Irrweg ist. nen Verknappung der herkömmlichen Energieträger zu Sie müssten zumindest für die Sicherheitsforschung in stellen. Aber Sie müssen die Mittel dann natürlich auch den bestehenden Kraftwerken eintreten. Sie können zielgerichtet dafür einsetzen. doch nicht einfach alles abbrechen. Heute importieren wir bereits über zwei Drittel der (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Primärenergie und wir befinden uns demzufolge in einer Dr. Axel Berg [SPD]: Das will überhaupt nie- mand!) (B) extremen wirtschaftlichen und politischen Abhängigkeit (D) von anderen. Diese Abhängigkeit – das ist völlig klar – – Natürlich tun Sie das. wird sich noch weiter verschärfen. (Dr. Uwe Küster [SPD]: Hören Sie doch auf, (Klaus Barthel [Starnberg] [SPD]: Wollen Sie einen Popanz aufzubauen! Sie bauen einen Wismut wieder eröffnen?) Popanz auf, um sich an ihm abzuarbeiten! Ohne Popanz geht hier nichts!) – Ich gehe gleich auf Sie ein. – Nein, ich höre nicht auf. Auch wenn Sie es nicht gerne Für Deutschland steht also sehr viel auf dem Spiel. hören, müssen wir es Ihnen sagen. Wir müssen deshalb bei der Lösung der energiepoliti- schen Aufgaben ohne ideologische Scheuklappen, dafür Die Bundesregierung geht einen sehr gefährlichen mit Verlässlichkeit und Berechenbarkeit vorangehen. Weg der Abkopplung, den wir uns international über- haupt nicht leisten können. Wir sind jedoch nicht so ein- (Klaus Brandner [SPD]: Das machen wir seitig wie Sie. Wir haben nie gesagt, dass alles, was Sie immer!) machen, falsch sei. Unbestreitbar spielen die erneuerba- Rot-Grün tut das, wie wir wissen, nicht. ren Energien im Gesamtkontext eine bedeutende Rolle. Das wollen wir überhaupt nicht in Abrede stellen. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) (Dr. Uwe Küster [SPD]: Da bin ich aber froh, dass Wir reden über die Energieforschung. In der Lehre Sie noch Erkenntnisfähigkeit besitzen!) muss aber ebenfalls Kontinuität gewahrt bleiben; auch das passiert nur zu selten. Denn auch dort, wo es Ihnen Aber sie müssen für einen breiten Einsatz in ein Gesamt- nicht in den Kram passt, müssen wir weiterforschen, konzept eingebunden sein, insbesondere bei den Ener- etwa in der Kernforschung. Ich meine – das habe ich giespeichertechnologien oder beim Wasserstoff. auch in Ihren Beiträgen gehört –, dass es nach wie vor (Dr. Axel Berg [SPD]: Alles in unserem eine sehr gute Zusammenarbeit zwischen den Hochschu- Antrag enthalten!) len, den Forschungsinstituten und der Wirtschaft in der Energieforschung gibt. Diese müssen wir stärken. Wir wollen zu rationellen Energieübertragungs- 70 Prozent der Forschung werden von der Wirtschaft ge- technologien kommen. Wir wissen, dass das viel Geld tragen. Die Wirtschaft braucht aber eine zeitnahe Amor- kostet. Wir müssen dieses Geld aber aufbringen, weil tisation; sie kann nicht einfach in die Welt hineinfor- uns Sparsamkeit am falschen Ende nach aller Erfahrung schen. Sie braucht Verlässlichkeit. teurer zu stehen kommt. Deshalb wollen wir mit Ihnen 14304 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 152. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Januar 2005

Hellmut Königshaus (A) zusammenarbeiten. Schließlich handelt es sich um Zu- schrecken. Es stellt sich nicht nur, Herr Königshaus, die (C) kunftsinvestitionen in den Standort Deutschland. Wir Frage, ob Energie aus anderen Ländern geliefert werden sind zur Kooperation bereit. kann. Es ist auch die Frage zu stellen, ob in anderen Län- dern genügend Energie zur Deckung des Weltenergiebe- Ich danke Ihnen. darfs erzeugt werden kann. Genau dies ist bei einem (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Rückgriff auf fossile und atomare Ressourcen nicht der Fall. Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Die neuesten Studien des Geologennetzwerks der As- Nächster Redner ist der Kollege Hans-Josef Fell, sociation for the Study of Peak Oil and Gas zeigen uns Bündnis 90/Die Grünen. auf, dass unsere Energieversorgung in den nächsten Jah- ren in eine Krise kommen wird, insbesondere hinsicht- Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): lich Erdöl, aber auch Erdgas. Diese Gefährdung der Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Energieversorgungssicherheit müssen wir doch viel Herren! Ich will ein paar Worte zu Herrn Fischer sagen. ernster nehmen, als es in dem Antrag der Union der Fall Ein großer Teil Ihrer Rede hat das Thema verfehlt; ist, der ausschließlich vom Tenor getragen ist: Lasst uns bei der Energieforschung so weitermachen wie bisher. (Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Wir sind Sie setzen damit auf alte Verfahren, für die die Ressour- nicht in der Schule! Sie sind kein Gymnasial- cen nicht ausreichen und die uns viele Probleme berei- lehrer mehr!) ten. denn wir reden heute über Energieforschung und nicht (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ über Markteinführung, über dena-Studien oder sonst et- DIE GRÜNEN und der SPD) was. Ich denke, es hätte Ihnen gut getan, wenn Sie sich darauf konzentriert hätten. Sie sprechen hauptsächlich von Kernenergie und von fossilen Energien. Dass Sie die Energieforschungsmittel, die auch aus unserer Sicht zu gering angesetzt sind, mit den Mitteln (Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Völliger aufrechnen, die wir als Soforthilfe für die Tsunamiopfer Unsinn!) zur Verfügung stellen – Erneuerbare Energien spielen für Sie nur eine ganz (Axel E. Fischer [Karlsruhe-Land] [CDU/ kleine Rolle. Den Aspekt der Energieeinsparung haben CSU]: Habe ich nicht gegeneinander aufge- Sie übrigens völlig vergessen. Das ist nicht unsere Inten- (B) rechnet! Ich habe einen Größenvergleich ge- tion in Bezug auf den Umgang mit Energie. (D) macht!) Auch die Energieforschung muss sich anderen Gebie- – Sie haben das in Ihrer Rede aufgerechnet –, ist für ten zuwenden. Es reicht nicht alleine ein Beharren auf mich ganz schlimm; denn die Opfer brauchen diese Mit- der Kernenergie. Das wird schon deutlich, wenn man tel ganz dringend, und zwar unabhängig davon, wie hoch sich anschaut, wie viele Mittel für die Kernenergiefor- die Mittel für die Energieforschung sind. Ich muss schon schung ausgegeben wurden. Mein Kollege Axel Berg ist sagen: Das hat mich sehr entsetzt. schon darauf eingegangen. Ich will Ihnen aber die Zah- len noch einmal genau nennen: In den letzten 50 Jahren (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN wurden in der gesamten OECD etwa 80 Prozent aller und bei der SPD) Mittel für Energieforschung für die Erforschung von Energie – da stimme ich all meinen Vorrednern zu, Kernspaltung und Kernfusion ausgegeben. Herausge- ausdrücklich auch denen von der Opposition – ist das kommen ist dabei ein minimales Ergebnis: Nur Fundament der Weltwirtschaft. 80 Prozent unserer Ener- 5 Prozent des Weltenergiebedarfs werden so gedeckt. gie wird aus fossilen und atomaren Ressourcen erzeugt. Dieses stellt also den größten Forschungsflop der Welt Dabei muss man wissen, dass dieses Fundament der dar; dem hohen Aufwand an Forschungsmitteln steht ein Weltwirtschaft und das Fundament für unseren Wohl- beschämendes Ergebnis gegenüber. stand selbst die größte Bedrohung für unseren Wohl- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN stand und die Weltwirtschaft darstellt. Warum? und bei der SPD) Zum einen kommen 80 Prozent aller Klimagasemis- Dabei müssen wir zur Kenntnis nehmen, dass mithilfe sionen aus der Verbrennung von Erdöl, Kohle und Erd- der Kernfusion, in die riesige Geldbeträge gesteckt wur- gas. Wie stark die Klimaveränderungen in dieser Welt den, noch nicht eine einzige Kilowattstunde Strom er- bereits unsere Wirtschaft und die Menschen bedrohen, zeugt wurde und auch in den nächsten 50 Jahren kein das wissen wir seit einigen Jahren; denn seitdem nehmen entsprechender Reaktor zu erwarten ist. die Schäden immer mehr zu. Das hat die Münchner Rück aufschlussreich zusammengestellt. (Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Woher wissen Sie denn das?) Zum anderen müssen wir feststellen, dass dieses Energiesystem zu fast 90 Prozent auf begrenzten und zur Man redet davon, dass man den ITER implementieren Neige gehenden Ressourcen, einschließlich der atoma- will. 7 Milliarden Euro Forschungsgelder sollen allein in ren, begründet ist. Dies muss uns doch noch mehr er- den Bau gesteckt werden. Aber auch dann werden wir Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 152. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Januar 2005 14305

Hans-Josef Fell (A) erst in 30 Jahren wissen, ob wir in 50 Jahren einen ent- Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof) (CDU/CSU): (C) sprechenden Reaktor zur Stromerzeugung bauen kön- Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und nen. Ich halte solche Pläne für absurd. Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Fell, Sie haben von dem Zusammenhang zwischen Wohlstand Wir müssen also die Mittel konzentrieren. Vor diesem und Energie gesprochen. In der Tat zeigt die Wirtschafts- Hintergrund will ich etwas zur Kohleforschung sagen. geschichte: Der Aufstieg aller westlichen Industriena- Das CO2-freie Kohlekraftwerk rückt ja immer mehr in tionen und der Wohlstand für alle sind immer von der den Blick. Von der Kohleindustrie werden große Geld- Verfügbarkeit der Energie abhängig gewesen. Die Wirt- beträge für die Forschung daran angemahnt. Ich kann schaftsmacht China ist ein Beispiel für eine Nation, die mich gut erinnern: Letzte Woche hat der Präsident des einen ungeheuren Energiebedarf hat. Die wichtigste Worldwatch Institute, Christopher Flavin, angeregt, dass Aufgabe der Energieforschung wird sein, Antworten auf doch die Energiewirtschaft selbst, die in den letzten die entscheidende Frage zu finden: Wie können wir die Jahrzehnten mit ihren Kohlekraftwerken Dutzende, benötigte Energiemenge zur Verfügung stellen, ohne un- wenn nicht Hunderte Milliarden Euro verdient hat und sere Umwelt zu zerstören? zugleich die Atmosphäre mit Kohlendioxid vollgepumpt hat, die Mittel für die Finanzierung der Forschung an der (Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Clean-Coal-Technik aufbringen sollte. Ich halte diesen NEN]: Die Sonne schafft das! Das ist die Ant- Vorschlag des Präsidenten des Worldwatch Institute für wort!) gut. Wenn Sie diese Frage mithilfe der exzellenten deut- Ich möchte noch einen Vorschlag unterbreiten. Wir schen Wissenschaftler beantworten wollen, dann müs- sollten heute festlegen – das würde ich gerne mit dem sen Sie optimale Rahmenbedingungen für ihre Arbeit Koalitionspartner diskutieren –, dass ab 2020 kein Koh- schaffen. Sie von Rot-Grün machen aber genau das Ge- lekraftwerk mehr CO2 emittieren darf. genteil. Sie schaffen keine optimalen Rahmenbedingun- gen, sondern Sie zerstören sie. (Katherina Reiche [CDU/CSU]: Was sagt denn die SPD dazu?) (Beifall des Abg. Axel E. Fischer [Karlsruhe- Land] [CDU/CSU] – Hans-Josef Fell [BÜND- Daraus würde sich eine enorme Dynamik für die Erfor- NIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein! Wir setzen auf schung dieser Technologie ergeben. Dann werden wir die Energiequelle Sonne!) sehen, ob sie sich am Markt etablieren kann und ob sie kostengünstig umgesetzt werden kann. Ich glaube aber, Zum einen kürzen Sie in unverantwortlicher Weise die dass das nicht der Fall sein wird. Forschungsmittel im Energiebereich. Zum anderen ver- (B) engen Sie das Spektrum der Forschung, indem Sie be- (D) Die Enquete-Kommission hat uns vorgerechnet, dass stimmte Bereiche von vornherein aus ideologischen die Zusatzkosten für CO2-Sequestrierung zwischen Gründen ausblenden. Ich nenne beispielsweise die Kern- 3,5 und 9 Cent im Jahr 2020 liegen werden. Diese Kos- energie. ten kommen zu den Kosten der Stromerzeugung hinzu. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Damit würden die CO2-freien Kohlekraftwerke höhere Stromerzeugungskosten haben, als sie heute bei einem Sie sind mit dieser Politik dabei, deutsche wissen- großen Teil der erneuerbaren Energien anfallen. Dies schaftliche Exzellenzen auf dem Gebiet der Kernenergie, kann nicht das Ziel sein. der Sicherheitstechnik und im Bereich des Ingenieurwe- Ich denke, wir sollten uns – so wie wir das vor- sens zu gefährden. Nachwuchsforscher verlassen dieses schlagen – auf erneuerbare Energien und Energieeinspa- Land – ich sage das, lieber Herr Küster, weil Sie sich rungen konzentrieren. Im Gegensatz zu den Aussagen vorhin so echauffiert haben –, da sie unter der rot-grünen von Herrn Axel Fischer ist klar: Hier hat die Bundes- Regierung in ihrem Forschungsbereich Kernkraft keine regierung bereits neue und effektive Maßnahmen ergrif- Perspektive mehr sehen. fen. Wir haben beispielsweise bei der solarthermischen (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Stromerzeugung, bei der Geothermie, bei der Wind- und Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Wasserkraft herausragende Erfolge zu verzeichnen, die NEN]: General Electric hat ein Forschungs- jetzt in unternehmerisches Handeln umgesetzt werden. zentrum aufgebaut! Sie kommen in dieses Land!) Auf diesem Weg werden wir weitermachen. Wir wer- den die Forschungsförderung im Bereich der Energieein- Sie zerstören damit das volkswirtschaftliche Gut Wissen sparung und der erneuerbaren Energien weiter ausbauen. und Sie schädigen damit das wissenschaftliche Potenzial dieses Landes in unverantwortlicher Weise. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) (Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Das glatte Gegenteil ist der Fall!) Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Herr Berg, Sie haben vorhin Ihren Antrag vom De- Das Wort hat der Kollege Dr. Hans-Peter Friedrich, zember erwähnt. Darin stellen Sie fest, dass Sie eine CDU/CSU-Fraktion. nachhaltige Energiegewinnung wollen. (Beifall bei der CDU/CSU) (Dr. Axel Berg [SPD]: Da sind wir gut!) 14306 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 152. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Januar 2005

Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof) (A) Daneben wollen Sie eine größere Unabhängigkeit von Jetzt komme ich auf das Thema Nachhaltigkeit zu (C) den fossilen Energieträgern. Aber Sie ziehen die fal- sprechen. Nachhaltig heißt, eine Balance zwischen öko- schen Schlussfolgerungen. Wenn wir nämlich unabhän- logischer, ökonomischer und sozialer Tragfähigkeit her- gig von Öl oder Gas werden wollen, dann dürfen Sie die zustellen. Nicht umsonst haben diejenigen Länder in der Kernenergie als alternative Energie zu Öl und Gas nicht Welt, die die größten ökonomischen Probleme haben, ausblenden, sondern müssen sie in den Fokus Ihrer Be- auch die größten ökologischen Probleme. Diesen Zu- trachtungen stellen. sammenhang sollten Sie immer sehen. (Beifall bei der CDU/CSU) Deswegen ist die Politik von Rot-Grün seit 1998, die Energiepreise in Deutschland um 50 Prozent zu erhö- Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: hen, ein Irrweg. Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des (Beifall bei der CDU/CSU) Kollegen Fell? Diese falsche Politik ist mit dafür verantwortlich, dass täglich Hunderte von Arbeitsplätzen im verarbeitenden Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof) (CDU/CSU): Gewerbe ins Ausland verlagert werden. Aber selbstverständlich. (Axel E. Fischer [Karlsruhe-Land] [CDU/ Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): CSU]: So ist es!) Herr Kollege Dr. Friedrich, Sie haben gesagt, dass die Die Energieforschung muss die Wettbewerbsfähigkeit Wissenschaftler und auch die Unternehmen aus der Energieträger verbessern, selbstverständlich auch die Deutschland abwandern würden, weil hier entspre- der regenerativen Energien. Aber es ist ein Denkfehler, chende Rahmenbedingungen nicht vorhanden wären. Ist wenn Sie glauben, die Wettbewerbsfähigkeit der regene- Ihnen bekannt, dass in Garching bei München der große rativen Energien dadurch stärken zu müssen, dass Sie Weltkonzern General Electric ein neues Forschungszen- die anderen Energieträger sozusagen künstlich verteu- trum in Deutschland aufgebaut hat? ern. Die Konsequenz ist nämlich, dass die Industrie und (Katherina Reiche [CDU/CSU]: Die Betonung damit Arbeitsplätze aus unserem Land verschwinden liegt auf München!) und Sie in Deutschland sozusagen künstlich eine Ener- giekrise schaffen, von der wir wissen, dass sie die Kon- Die Begründung dafür war, dass am Wirtschaftsstandort junktur abwürgt und Möglichkeiten eines konjunkturel- Deutschland – nicht am Wirtschaftsstandort Bayern – len Aufschwungs vernichtet. die Forschungsaktivitäten herausragend sind und dass (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Axel Berg [SPD]: (B) die rot-grüne Bundesregierung und das Parlament politi- (D) sche Rahmenbedingungen geschaffen haben, die das Glauben Sie selber diesen Unsinn?) Fundament in der Energieforschung in Bezug auf erneu- Die Energieforschung findet – das ist vom Kollegen erbare Energien sind, worauf das Unternehmen seine Berg angesprochen worden – auch in der Wirtschaft in Aktivitäten besonders konzentrieren will. großem Umfang statt, aber leider nicht mehr in dem Um- fang, wie es noch vor zehn Jahren der Fall war. Wenn Sie Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof) (CDU/CSU): Energieforschung wollen – das hat Kollege Königshaus Lieber Herr Kollege Fell, das ist der entscheidende angesprochen –, dann müssen Sie den Unternehmen die Punkt. Nicht zufällig sind nämlich diese Unternehmer Möglichkeit geben, ihre Kapitalbasis zu verbreitern. bzw. Investoren nach München gegangen. Jede Entlastung der Unternehmen ermöglicht es ihnen, mehr – auch in die Energieforschung – zu investieren. (Rezzo Schlauch, Parl. Staatssekretär: Ach, Bayern ist nicht Deutschland? Sagenhaft!) (Dr. Axel Berg [SPD]: Also weg mit der Eigenheimzulage!) Dort hat die Bayerische Staatsregierung das Thema Garching seit vielen Jahrzehnten zu einem Schwerpunkt Deswegen appelliere ich an die Forschungspolitiker: der bayerischen Forschungspolitik gemacht. Es ist Überlassen Sie die Umsetzung von Forschungsergebnis- Bayern gewesen, das die Rahmenbedingungen in dieser sen den Unternehmen! Denn sie wissen am besten, wie Frage sehr exzellent herausgearbeitet hat. man das, was in der Grundlagenforschung erarbeitet worden ist, in marktfähige Produkte umarbeitet. Dazu (Rezzo Schlauch, Parl. Staatssekretär: Woher brauchen sie keine politischen Ratschläge. stammen die Mittel?) (Beifall bei der CDU/CSU – René Röspel Darauf sind wir – das sage ich hier als Bayer – stolz. [SPD]: Das ist doch gerade das Problem in (Beifall bei der CDU/CSU) Deutschland: die Umsetzung!) Ihre Politik hilft uns nicht weiter. Die Politik des Aus- Letzter Punkt. Es gibt in der Bevölkerung ein Grund- stiegs aus der Kernenergie, liebe Kollegen von Rot- bedürfnis nach individueller Mobilität. Das ist ein Grün, macht uns abhängiger von Öl und Gas als jemals Stück Freiheit; das brauchen unsere Bürger. Die Ener- zuvor. Wir brauchen deshalb einen Energiemix, einen gieforschung muss diesen Bereich schwerpunktmäßig Mix aus allen Energieträgern, und eine Energiefor- einbeziehen; denn die Lebensqualität auch in den ländli- schung, die innerhalb dieses Mix die Nutzung laufend chen Räumen in unserem Land hängt davon ab, wie wir verbessert und optimiert. diese Mobilitätsmöglichkeiten in der Zukunft absichern. Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 152. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Januar 2005 14307

Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof) (A) Es wäre gut, wenn wir als Land der Automobilindustrie (Dr. [CDU/CSU]: Lesen Sie (C) unsere führende Rolle gerade in der Antriebstechnik be- meine Reden von früher! Da steht das alles halten würden. drin!) Die Energieforschung ist einer der Schlüsselbereiche Schauen Sie sich einmal die Situation in diesem Bereich in der Forschungspolitik. Sie ist ökonomisch, ökologisch an! Seit 1998 haben wir eine Steigerung der Zahl der Ar- und sozial von größter Relevanz. Schaffen Sie in der beitsplätze zu verzeichnen. Energieforschung endlich ein Klima der Vielfalt, der (Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Das haben Freiheit, der Innovationen und der Offenheit nach allen wir schon 1991 gesagt, auch schon früher! Sie Richtungen und hören Sie auf, rot-grüne Ideologie zum sind schlecht informiert, Herr Kollege!) Maßstab für die Forschungspolitik in Deutschland zu machen! Nur so können Sie den weiteren Absturz dieses – Sie können gleich eine Zwischenfrage stellen, wenn Landes verhindern. Sie Lust haben. Das ist ja möglich. Danke schön. (Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Ich wollte Sie nur korrigieren! – Dr. Uwe Küster [SPD]: (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Das kann er doch nicht!) 1998 gab es 60 000 qualifizierte Arbeitsplätze, heute Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: sind es über 120 000 Arbeitsplätze im Bereich des Ma- Das Wort hat der Kollege Dieter Grasedieck, SPD- schinenbaus und der Windenergie. Ich könnte noch an- Fraktion. dere Punkte aufführen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Meine Damen und Herren von der CDU/CSU, Sie fordern auch mehr Forschungsmittel für Biomasse. Das wird bereits seit 1998 gemacht. Außerdem fordern Sie Dieter Grasedieck (SPD): mehr Mittel für Kompetenznetzwerke. Wir fördern Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Kompetenznetzwerke bzw. Clusterbildungen bereits Herren! Herr Dr. Friedrich, wir müssen aus dem Jam- seit 2000 sehr intensiv. Wir legen Wert darauf, dass die mertal heraus. Das, was Sie hier dargestellt haben, ist Industrie mit den Universitäten und den Instituten zu- nicht die Realität in Deutschland. sammenarbeitet. 94 Clusterbildungen sind dort entstan- (Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Leider den. doch!) Sie sehen also, dass die Bundesregierung viele Forde- (B) rungen erfüllt hat. Ich kann nur sagen: Das ist späte (D) Ich muss Ihnen sagen: Ich habe manchmal das Ge- CDU/CSU-Erkenntnis. Abschreiben ist wahrlich ein gu- fühl, dass Sie Ihre eigenen Anträge nicht richtig durchle- tes Kompliment für die Politik der Koalition. sen. Denn in vielen Bereichen stimmen wir – das muss man feststellen – absolut überein. In einem Kernbereich Die CDU/CSU fordert allerdings auch mehr For- unterscheiden wir uns natürlich; aber in vielen Bereichen schungsmittel für den Bau von Kernkraftwerken. An sind wir einer Meinung. Ich will gleich einige Punkte an- dieser Stelle sagen wir: Nein, wir brauchen eine sichere führen. und verantwortungsvolle Forschung. Herr Fischer, Sie haben Nachhaltigkeit in der Forschung gefordert. Ist es Herr Königshaus, Sie sprachen von der Sicherheit nachhaltig, wenn man weiß, dass es keine Lösung für die der Nuklearenergie. Schauen Sie sich doch einmal un- Endlagerung des radioaktiven Abfalls gibt? seren Haushalt an! Die Bundesregierung fördert schon seit Jahren die Sicherheitsforschung im Bereich der Nu- (Axel E. Fischer [Karlsruhe-Land] [CDU/ klearenergie, und zwar konstant mit rund 120 Millionen. CSU]: Wir können die Kernkraftwerke doch Sie sollten sich unseren Haushalt einmal etwas genauer nicht nur aus ideologischen Gründen dichtma- ansehen. chen! Wir müssen Optionen offen halten!) Wir wollen eine zukunftsfähige und zukunftssichere Nein, wir glauben, dass unsere Kinder eine zukunftssi- Energieforschung, die in den kommenden Jahren ver- chere und zukunftsfähige Energieerzeugung brauchen. antwortungsvoll gestaltet werden kann. Sie fordern von Wir setzen deshalb auf erneuerbare Energien sowie auf der Bundesregierung mehr Geld für erneuerbare Ener- effiziente Gas- und Kohlekraftwerke und auf Einsparun- gien. Wir stellen dafür schon seit 1998 mehr Mittel zur gen. Verfügung und dies bauen wir immer weiter aus. Auch Die CDU/CSU schreibt in ihrem Antrag, dass wir hier ist es wichtig, sich einmal den Haushalt etwas de- Kernenergie für die heimische Anwendung brauchen. taillierter anzusehen. Wer baut denn Kernkraftwerke und wo werden sie ge- (Beifall des Abg. Dr. baut? Wenn Sie sich einmal mit Vertretern der Industrie [SPD]) unterhalten, werden Sie feststellen, dass niemand ein Kernkraftwerk bauen will. Vor zehn Jahren hat der Veba- Sie stellen unter anderem fest – das ist ganz Chef in einer Diskussion in Bonn darauf hingewiesen, interessant –, dass die Förderung der erneuerbaren Ener- dass es sich nicht lohne, Kernkraftwerke zu bauen. Ers- gien zu mehr Arbeitsplätzen führt. Das ist eine völlig tens seien sie zu teuer – das ist ein wichtiger Faktor; im neue Erkenntnis seitens der CDU/CSU. Moment kostet es 2 Milliarden – und zweitens sei das 14308 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 152. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Januar 2005

Dieter Grasedieck (A) Uranvorkommen begrenzt. Seine Aussage war, dass die Ich rufe die Tagesordnungspunkte 21 a und 21 b auf: (C) Uranvorräte in 25 Jahren erschöpft sein werden. Interes- sant ist auch der Bericht der „Financial Times“, in dem a) Erste Beratung des von den Abgeordneten Karl- darauf hingewiesen wird, dass die Uranpreise enorm ge- Josef Laumann, Dagmar Wöhrl, Veronika stiegen sind. Im Januar 2004 kostete ein Pfund Uran Bellmann, weiteren Abgeordneten und der Frak- noch 7 Dollar, heute müssen 21 Dollar dafür gezahlt tion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines werden. Mit weiteren Preissteigerungen ist zu rechnen. Gesetzes zur Verlängerung der Übergangsfrist So schreibt die „Financial Times Deutschland“. bei der Weiterbildungsförderung im Falle ge- setzlich festgelegter Ausbildungsdauer Ferner muss man berücksichtigen: Fast die Hälfte der – Drucksache 15/4385 – Uranvorräte stammt aus Militärbeständen. Diese Vorräte werden aber in 15 Jahren zu Ende gehen; das kann man Überweisungsvorschlag: berechnen. Deshalb sagen die Vertreter der Energiewirt- Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit (f) schaft: Ein Kernkraftwerk ist nicht wirtschaftlich. – Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Nein, wir brauchen eine zukunftsfähige und sichere Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung Energieforschung. Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Deshalb setzen wir erstens auf erneuerbare Ener- Haushaltsausschuss gien. b) Erste Beratung des von den Abgeordneten Dirk (Axel E. Fischer [Karlsruhe-Land] [CDU/ Niebel, Daniel Bahr (Münster), Rainer Brüderle, CSU]: Sie sind teuer!) weiteren Abgeordneten und der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Si- Kollege Fell sprach schon davon, dass dadurch viele Ar- cherung der Weiterbildungsförderung bei ge- beitsplätze geschaffen wurden. 60 000 Arbeitsplätze setzlich festgelegter Ausbildungsdauer sind im Bereich der Windenergie entstanden. Sie fordern das doch auch in Ihrem Antrag, Herr Fischer. Lesen Sie – Drucksache 15/4147 – sich doch Ihren Antrag einmal durch! Auf diesem Gebiet Überweisungsvorschlag: sind die Bundesregierung und die Koalition erfolgreich. Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit (f) Wir sind bei den erneuerbaren Energien Weltmeister. Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung Zweitens brauchen wir von der Industrie, aber auch Ausschuss für Bildung, Forschung und von der Bundesregierung Mittel zur Erforschung effi- (B) Technikfolgenabschätzung (D) zienter Techniken bei der Erzeugung von Strom aus Haushaltsausschuss Braun- und Steinkohle. Wir brauchen die Clean Coal Technology, die uns hilft, die Wirkungsgrade erheblich Die Rednerinnen und Redner Hans-Werner Bertl, zu verbessern. Wir sind auf diesem Sektor weltweit füh- Alexander Dobrindt, Markus Kurth und Gudrun Kopp rend. Da müssen wir weitermachen, weil unser Ziel das haben ihre Reden zu Protokoll gegeben.1) Deshalb kom- CO2-freie Kraftwerk ist. Das wäre zudem auch noch ein men wir gleich zur Überweisung. Interfraktionell wird Exportschlager für unsere Industrie. Überweisung der Gesetzentwürfe auf Drucksa- chen 15/4385 und 15/4147 an die in der Tagesordnung Drittens wollen wir auch noch weitere Potenziale bei aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es dazu der Energieeinsparung ausschöpfen. anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dann Wir Sozialdemokraten sind für eine sichere, zukunfts- sind die Überweisungen so beschlossen. fähige und verantwortungsvolle Forschung. Machen Sie Ich rufe Tagesordnungspunkt 23 auf: einfach dabei mit und lesen Sie sich Ihren Antrag etwas genauer durch! Wir haben ja noch Zeit; wir werden das Beratung des Antrags der Abgeordneten Horst beraten. Friedrich (Bayreuth), Hans-Michael Goldmann, Joachim Günther (Plauen), weiterer Abgeordne- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ ter und der Fraktion der FDP DIE GRÜNEN – Dr. Uwe Küster [SPD]: Schöne Aufgabe für das Wochenende!) Transparenz und Wettbewerb im öffentlichen Schienenpersonennahverkehr

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: – Drucksache 15/2752 – Ich schließe die Aussprache. Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen (f) Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlage auf Haushaltsausschuss Drucksache 15/4507 an die in der Tagesordnung aufge- Die Rednerinnen und Redner Karin Rehbock- führten Ausschüsse zu überweisen, wobei die Federfüh- Zureich, Enak Ferlemann, Albert Schmidt (Ingolstadt), rung, abweichend von der Tagesordnung, beim Aus- Horst Friedrich (Bayreuth) und die Parlamentarische schuss für Wirtschaft und Arbeit liegen soll. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. 1) Anlage 2 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 152. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Januar 2005 14309

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner (A) Staatssekretärin Angelika Mertens haben ihre Reden Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun- (C) ebenfalls zu Protokoll gegeben.1) Interfraktionell wird destages auf Mittwoch, den 26. Januar 2005, 13 Uhr, ein. Überweisung der Vorlage auf Drucksache 15/2752 an Ich wünsche allen Kolleginnen und Kollegen, den die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorge- Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, aber auch unseren schlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Zuhörern auf der Besuchertribüne ein schönes Wochen- Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. ende. Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tages- (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Dr. Uwe ordnung. Küster [SPD]: Tosender Beifall für die Präsi- dentin!) Die Sitzung ist geschlossen. 1) Anlage 3 (Schluss: 13.19 Uhr)

(B) (D)

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 152. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Januar 2005 14311

(A) Anlagen zum Stenografischen Bericht (C) Anlage 1

Liste der entschuldigten Abgeordneten

entschuldigt bis entschuldigt bis Abgeordnete(r) einschließlich Abgeordnete(r) einschließlich

Dr. Addicks, Karl FDP 21.01.2005 Mogg, Ursula SPD 21.01.2005

Dr. Bietmann, Rolf CDU/CSU 21.01.2005 Multhaupt, Gesine SPD 21.01.2005

Dr. Bötsch, Wolfgang CDU/CSU 21.01.2005 Ostendorff, Friedrich BÜNDNIS 90/ 21.01.2005 DIE GRÜNEN Bury, Hans Martin SPD 21.01.2005 Pfeiffer, Sibylle CDU/CSU 21.01.2005 Carstens (Emstek), CDU/CSU 21.01.2005 Manfred Pieper, Cornelia FDP 21.01.2005

Caspers-Merk, Marion SPD 21.01.2005 Probst, Simone BÜNDNIS 90/ 21.01.2005 DIE GRÜNEN Connemann, Gitta CDU/CSU 21.01.2005 Repnik, Hans-Peter CDU/CSU 21.01.2005 Daub, Helga FDP 21.01.2005 Riemann-Hanewinckel, SPD 21.01.2005 Dött, Marie-Luise CDU/CSU 21.01.2005 Christel

Erler, Gernot SPD 21.01.2005 Ronsöhr, Heinrich- CDU/CSU 21.01.2005 Wilhelm Eymer (Lübeck), Anke CDU/CSU 21.01.2005 (B) Sager, Krista BÜNDNIS 90/ 21.01.2005 (D) Fahrenschon, Georg CDU/CSU 21.01.2005 DIE GRÜNEN

Geis, Norbert CDU/CSU 21.01.2005 Schäfer (Bochum), Axel SPD 21.01.2005

Göllner, Uwe SPD 21.01.2005 Schauerte, Hartmut CDU/CSU 21.01.2005

Göring-Eckardt, Katrin BÜNDNIS 90/ 21.01.2005 Schultz (Everswinkel), SPD 21.01.2005 DIE GRÜNEN Reinhard

Heinrich, Ulrich FDP 21.01.2005 Selg, Petra BÜNDNIS 90/ 21.01.2005 DIE GRÜNEN Homburger, Birgit FDP 21.01.2005 Singhammer, Johannes CDU/CSU 21.01.2005 Janssen, Jann-Peter SPD 21.01.2005 Dr. Stinner, Rainer FDP 21.01.2005 Jonas, Klaus Werner SPD 21.01.2005* Dr. Thomae, Dieter FDP 21.01.2005 Kauch, Michael FDP 21.01.2005 Türk, Jürgen FDP 21.01.2005 Kortmann, Karin SPD 21.01.2005 Weis (Stendal), Reinhard SPD 21.01.2005 Laurischk, Sibylle FDP 21.01.2005 Wicklein, Andrea SPD 21.01.2005 Lips, Patricia CDU/CSU 21.01.2005 Dr. Winterstein, Claudia FDP 21.01.2005 Löning, Markus FDP 21.01.2005 Wohlleben, Verena SPD 21.01.2005 Lohmann, Götz-Peter SPD 21.01.2005

Meckelburg, Wolfgang CDU/CSU 21.01.2005 * für die Teilnahme an den Sitzungen der Parlamentarischen Ver- sammlung des Europarates 14312 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 152. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Januar 2005

(A) Anlage 2 finanzierung solcher Umschulungen herangezogen wer- (C) den kann. Zu Protokoll gegebene Reden Grundsätzlich dürfen Vollzeit-Umschulungen in aner- zur Beratung kannte Ausbildungsberufe nur gefördert werden, wenn sie im Vergleich zur beruflichen Erstausbildung um min- – Entwurf eines Gesetzes zur Verlängerung destens ein Drittel verkürzt durchgeführt werden. In den der Übergangsfrist bei der Weiterbildungs- dualen Ausbildungsberufen erfolgt die Verkürzung ohne förderung im Falle gesetzlich festgelegter nennenswerte Probleme. Jedoch ist im Bereich der Al- Ausbildungsdauer ten- und Krankenpflege eine Verkürzung der Ausbildung – Entwurfs eines Gesetzes zur Sicherung der durch die Ausbildungs- und Prüfungsverordnungen aus- Weiterbildungsförderung bei gesetzlich fest- geschlossen. Auch die Richtlinie des Europäischen Ra- gelegter Ausbildungsdauer tes vom 27. Juni 1977 schreibt eine spezielle Vollzeit- Berufsausbildung von drei Jahren oder 4 600 Stunden (Tagesordnungspunkte 21 a und b) vor. Um allen Beteiligten ausreichend Zeit für die notwen- Hans-Werner Bertl (SPD): Die höhere Lebens- digen Anpassungen einzuräumen, wurde schon mit In- erwartung wird in Zukunft zu einer höheren Nachfrage Kraft-Treten des SGB III eine befristete Übergangsrege- an Pflegekräften sowohl in der Alten- als auch in der lung geschaffen, nach der vorübergehend – und zwar bis Krankenpflege fuhren. Dadurch liegt es gleichermaßen maximal Ende 1999 – noch eine unverkürzte Umschu- im arbeitsmarkt-, gesundheits- und pflegepolitischen In- lungsförderung zulässig bleiben sollte. Diese Über- teresse, dass ausreichende Ausbildungsstrukturen erhal- gangsfrist wurde seither wiederholt verlängert, zuletzt ten bleiben und bestehende sowie künftige Beschäfti- mit dem Job-AQTIV-Gesetz auf Ende 2004. Wir als gungspotenziale auch für arbeitslose Arbeitnehmerinnen SPD-Fraktion haben auf unserer Klausur in Leipzig be- und Arbeitnehmer genutzt werden können. Es ist uns schlossen, die Übergangsregelung bis 30. Juni 2005 zu deshalb ein wichtiges Anliegen, dass von der Bundes- verlängern, die Bundesregierung plädiert ebenfalls für agentur für Arbeit geförderte Umschulungen in Gesund- diese Lösung. heits- und Pflegeberufe weiterhin möglich bleiben. Die Bundesagentur für Arbeit hat in den letzten Jah- Die vorliegenden Anträge von CDU/CSU und FDP ren insbesondere im Bereich der Altenpflege Umschu- geben aus meiner Sicht zunächst Gelegenheit zur Fest- lungen in erheblichem Umfang finanziert – mit rund stellung, dass in dieser Grundeinschätzung fraktions- 240 Millionen Euro. Sie hat damit nicht nur einen bedeu- tenden Beitrag für eine bedarfsgerechte Versorgung in (B) übergreifend Einvernehmen besteht. Das begrüße ich (D) sehr. Unterschiede bestehen aber in der Frage, unter wel- der Altenpflege geleistet, sondern durch die Zahlung von chen Förderbedingungen künftig eine Weiterbildung Unterhaltsgeld und Übernahme von Weiterbildungskos- durch die Bundesagentur für Arbeit in diesem Bereich ten, zum Beispiel Schulkosten, auch in weitem Umfang erfolgen soll. die dabei entstandenen Ausbildungskosten getragen. Wenn aus fachlichen Gründen in Gesundheits- und Pfle- Lassen Sie mich in dieser Frage zunächst auf den An- geberufen eine längere Umschulungszeit erforderlich ist, trag der FDP eingehen: Wie Sie wissen, hat bereits das so dürfen die damit verbundenen Lasten nicht allein der von Ihnen noch zu Zeiten Ihrer Regierungsbeteiligung Arbeitsmarktpolitik auferlegt werden. miteingebrachte Arbeitsförderungs-Reformgesetz eine Daran hält ganz zu Recht der von der CDU/CSU vor- generell um ein Drittel verkürzte Umschulungsförderung gelegte Antrag fest. Sie erinnern in Ihrem Antrag in aller vorgesehen. Mit dem heutigen Antrag haben Sie sich of- Klarheit an die Finanzierungsverantwortung der Län- fensichtlich von Ihrem ursprünglichen Anliegen verab- der – eine Verantwortung, die trotz der inzwischen über schiedet. Und was ich in diesem Zusammenhang noch siebenjährigen Anpassungszeit noch immer nicht einge- erstaunlicher finde: Der Vorschlag zur Vollfinanzierung löst wurde. von Umschulungen im Gesundheitsbereich durch die Bundesagentur für Arbeit kommt von einer Fraktion, die Jetzt sind endlich weitergehende Anstrengungen er- in der Vergangenheit keine Gelegenheit ausgelassen hat, forderlich, um – wie von diesem Haus stets gefordert – die Effizienz der deutschen Arbeitsmarktpolitik infrage für das dritte Umschulungsjahr eine dauerhafte Finanzie- zu stellen. Mehrmals hat der Kollege Niebel im Namen rung außerhalb der Arbeitsforderung sicherzustellen. seiner Fraktion sogar die Auflösung der BA gefordert. Die Sicherung der Finanzierung des dritten Jahres wird Nun fordern Sie eine bedingungslose Alleinförderung jedoch maßgeblich davon abhängen, ob und inwieweit durch die Beitragszahler genau dieser Bundesagentur, entsprechend der föderalen Aufgabenverteilung insbe- die Sie als „ineffiziente, zentralistische Mammutbe- sondere die Schulkosten von den Ländern übernommen hörde“ bezeichnen. Hinzu kommt Ihre Verfassungsklage werden. gegen den Haushalt. Dies alles ist in meinen Augen schon eine bemerkenswerte Doppelzüngigkeit. Wie Sie wissen, sind Fragen der Finanzierung des dritten Umschulungsjahres Gegenstand von Bund/Län- Der Gesetzgeber hat bereits bei Schaffung des der-Gesprächen, die in Kürze fortgesetzt werden sollen. SGB III in den Jahren 1996/97 – also noch zu Regie- Ich hoffe auf konstruktive Gespräche. Eine entspre- rungszeiten von CDU/CSU und FDP! – eindeutig in der chende Gesetzesänderung wird vonseiten der Bundes- Gesetzesbegründung klargestellt, dass die Bundesagen- regierung in Kürze in die parlamentarischen Beratungen tur für Arbeit nicht dauerhaft zu einer dreijährigen Voll- eingebracht. Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 152. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Januar 2005 14313

(A) Dies ist auch vonseiten unserer Fraktion mit der von beinahe 100 Prozent bei den Altenpflegern kann (C) Erwartung verbunden, dass die Finanzierungsverantwor- man von einer außerordentlich guten Maßnahme der BA tung für unverkürzte, dreijährige Umschulungen ent- reden. sprechend dem geltenden Recht im dritten Weiterbil- Ein weiterer Punkt ist: Wo sollen denn sonst in Zu- dungsjahr nicht auf Dauer von der Bundesagentur für kunft die benötigten Pflegekräfte herkommen, wenn wir Arbeit getragen werden soll. Wir erwarten von den Län- sie nicht fördern und sie von allein nicht in der ge- dern, die in der Föderalismuskommission auf ihrer um- wünschten Zahl zur Verfügung stehen? fassenden Bildungszuständigkeit beharren, dass sie nicht länger auf die Beitragszahler deuten, sondern ihre Ver- Wir haben bereits jetzt ein Problem, genügend moti- antwortung für das dritte Umschulungsjahr in den Ge- vierte Pflegekräfte für die wachsende Zahl von Pflegebe- sundheitsfachberufen wahrnehmen. Sie müssen die er- dürftigen auszubilden. Ein Auslaufen der Übergangsre- forderlichen rechtlichen Rahmenbedingungen für das gelung würde dieses Problem im Jahr 2005 bzw. in den dritte Weiterbildungsjahr außerhalb der Arbeitsförde- folgenden Jahren nochmals verschärfen, und ich gehe rung schaffen. Damit verbunden ist die Forderung, einen davon aus, dass eine ausreichende Versorgung im Pfle- wachsenden Bedarf an Altenpflegerinnen und Altenpfle- gebereich mit Fachkräften zukünftig in hohem Maße ge- gern verstärkt und vorrangig durch berufliche Erstausbil- fährdet wäre. dung zu decken und durch geeignete Maßnahmen die Verbleibsdauer in diesem Beruf nachhaltig zu erhöhen. Man muss sich die Zahlen nur mal vor Augen führen: Wir haben deutlich über zwei Millionen Pflegebedürf- tige in unserem Land. Laut einem Bericht des DIW Ber- Alexander Dobrindt (CDU/CSU): Lassen Sie mich lin wird in den nächsten 15 Jahren die Zahl der Pflegebe- zu Beginn der Debatte sagen, dass ein Auslaufen der dürftigen um 50 Prozent steigen. Das heißt, es wird Übergangsfrist bei der Weiterbildungsförderung zu ei- deutlich mehr als eine Million Menschen zusätzlich in nem drastischen Einbruch bei der Weiterbildung im Be- unserem Land geben, die dringend Pflege benötigen. reich der Gesundheitsfachberufe – ganz besonders bei der Altenpflege – zur Folge haben wird. Verantwortlich dafür ist die demographische Ent- wicklung in unserem Land. Die Menschen werden im- Warum wird das so sein? Ab Januar 2005 werden mer älter, damit steigt auch die Anzahl derer, die pflege- Umschulungen im Bereich der Gesundheitsfachberufe bedürftig sind. Weiterhin kommt es zu einer Ausweitung mit dreijähriger Ausbildungszeit vom Arbeitsamt nur von chronischen Krankheitsbildern und natürlich nimmt noch zweijährig gefördert. Das dritte Jahr muss aller- auch die familiäre Pflegekapazität zunehmend ab. Wir dings vom Beginn der Ausbildung an finanziell gesichert haben heute Doppelverdienerstrukturen in den Familien. sein, ansonsten wird das Arbeitsamt auch die ersten zwei Und wir haben eine große Zahl von allein stehenden Per- (B) (D) Jahre nicht fördern. sonen, wir haben heute ein Familienbild, das eine Pfle- Selbstverständlich bin auch ich der Meinung, dass gesituation, wie sie von einem älteren Menschen heute dies keine originäre Aufgabe der Bundesanstalt für Ar- zum Teil benötigt wird, gar nicht mehr vernünftig be- beit ist. Im Gegenteil, wir machen Vorschläge, die BA werkstelligen kann. finanziell zu entlasten, die Beiträge und damit die Lohn- Diese Pflegebedürftigen brauchen professionelle nebenkosten zu senken. Hilfe. Die steht nur zur Verfügung, wenn wir auch Aus- 55 Milliarden Euro stehen im Haushalt der Bundesan- bildungsmöglichkeiten und Ausbildungsplätze bieten. stalt für Arbeit. Das ist ein Riesen betrag, der von den Zurzeit werden jedes Jahr fast 10 000 Menschen im Be- Beitragszahlern aufzubringen ist. Und natürlich muss reich der Altenpflege ausgebildet, 100 Prozent davon dieser gesenkt werden. finden dann auch wieder einen Arbeitsplatz. Wir wissen weiter, dass wir künftig drastisch mehr Pflegekräfte auf- Dennoch müssen wir feststellen, dass die erheblichen grund des demographischen Wandels in unserem Land Kosten der Ausbildung zum Altenpfleger von demjeni- benötigen. Und wir wissen auch, dass die Altenpflege gen, der sich in einer Umschulungsphase befindet, wohl ein klassischer Umschulungsberuf geworden ist. Kaum kaum aufgebracht werden können. Gleichzeitig lässt einer der jungen Menschen entscheidet, wenn es um das sich eine Verkürzung der Ausbildungsdauer von drei auf Erlernen eines ersten Berufes geht, spontan, Altenpfle- zwei Jahre aufgrund von anderen Bundes-, Landes-, und ger zu werden. Da kann man einem 14-, 15-Jährigen Europagesetzen nicht durchsetzen. auch keinen Vorwurf machen. Im Ergebnis führen diese beiden Problembeschrei- Momentan erlernen circa 60 Prozent der Kranken- bungen zu einer drastischen Verringerung der Zahl der pflegeschüler ihren Beruf im Rahmen einer Umschu- Auszubildenden im Gesundheitsbereich. Diese stehen lung. Und wir wissen weiter, dass die pflegebedürftigen dann später auch nicht als Pflegekräfte zur Verfügung. Menschen, die zwangsläufig in den nächsten Jahren in erhöhter Zahl vorhanden sein werden, unsere Mithilfe Darum bin ich der Überzeugung, dass wir eine wei- brauchen. Daher ist es natürlich unsere Pflicht, dafür zu tere Übergangsregelung finden müssen, die die Ausbil- sorgen, dass die Pflegekräfte in entsprechender Anzahl dung zur Pflegefachkraft auch zukünftig gewährleistet. zur Verfügung stehen. Und weil wir hier über Fördergelder der BA reden müs- sen, wäre auch der Erfolg zu hinterfragen. Nahezu jedem Deswegen ist es auch von entscheidender Wichtig- Umschüler steht nach erfolgreicher Ausbildung ein Ar- keit, dass wir eine gemeinsame Lösung finden. Es geht beitsplatz zur Verfügung. Mit einer Vermittlungsquote hier in keiner Weise um irgendeinen Richtungsstreit. Die 14314 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 152. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Januar 2005

(A) Einigung ist wichtig für die Menschen in unserem Land zusammenkommen und feststellen müssen, dass wir (C) und deswegen lassen Sie uns dieses Problem gemeinsam auch für das Jahr 2006 eine neue Ausnahmeregelung fin- angehen, damit es auch dieses Jahr Pflegeschüler in aus- den müssen. reichender Zahl gibt und keine Lücke entsteht, die wir Ich freue mich dennoch sehr, dass Herr Niebel mit dann später mühsam werden füllen müssen. diesem Antrag endlich einmal die Bedeutung von BA- Ausreichendes Personal wird zukünftig wieder wich- geförderten Weiterbildungen anerkennen muss. Herr tiger werden. Es bleibt die Voraussetzung für die gute Niebel, ansonsten stehen Sie doch immer hier an dieser und angemessene Pflege und es ist die Voraussetzung für Stelle und rechnen uns die immensen Kosten vor, die die die Sicherung der Qualität der Pflege sowohl in stationä- so genannte Weiterbildungsindustrie nach Ihrer Auffas- ren als auch in mobilen Einrichtungen. Neben den gro- sung völlig sinnlos verpulvert. Obwohl sie sonst nicht ßen technischen Fortschritten in der Apparatemedizin müde werden, den effizienten Umgang der BA mit Bei- wird die Frage des ausreichenden Personals die größte tragsgeldern hoch und runter zu fordern, stellen Sie heute einen Antrag, der eine Mehrbelastung der BA- Bedeutung für den Erhalt unseres Gesundheitssystems in Haushaltes um 250 Millionen Euro bedeutet. Meine Da- der Zukunft haben. men und Herren von der FDP: Ihre späte Einsicht, dass Lassen Sie uns jetzt in den nächsten Monaten die öffentlich finanzierte Weiterbildung ein sinnvolles In- Grundlagen für eine vernünftig finanzierte und gestraffte strument moderner Arbeitsmarktpolitik ist, honoriere ich pflegerische Ausbildung schaffen, um den Bedarf der sehr. nächsten Jahre zu decken. Dann sind wir auf einem gu- Die Gesundheitsberufe sind ein zukunftsweisendes, ten Weg. personalintensives und zugleich gesellschaftspolitisch bedeutendes Arbeitsmarktsegment. Den teilweise sehr Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wir hohen Kosten der Weiterbildung stehen ebenso hohe beraten heute an dieser Stelle zwei Anträge der Opposi- Vermittlungsquoten gegenüber. Gleichzeitig steigt in un- tionsfraktionen, deren Zielrichtung ich nur unterstützen serer alternden Gesellschaft der Bedarf an gut ausgebil- kann. CDU/CSU und FDP setzen sich für die Verlänge- deten Fachkräften in pflegerischen Berufen. Über die rung einer sehr sinnvollen und in meinen Augen unver- Erstausbildung ist dieser Bedarf an Fachkräften nicht zu zichtbaren Regelung ein: Die Finanzierung von Weiter- decken, hier sind wir unbedingt auf die Weiterbildung bzw. Zweitausbildung angewiesen. bildungen in Gesundheitsberufen muss auch weiterhin für die gesamte notwendige Dauer von drei Jahren gesi- Die Fraktionen von Bündnis 90/Die Grünen und SPD chert sein. Es ist doch selbstverständlich, dass wir bei werden daher in der kommenden Woche einen Gesetz- Berufen, für die auch in der Zweitausbildung eine sehr entwurf vorlegen, der eine weitere Verlängerung der (B) hohe Qualifikation vermittelt werden muss, weiterhin Ausnahmeregelung um ein halbes Jahr vorsieht. Damit (D) auf eine unverkürzte Lehrdauer eintreten. geben wir den Trägern der Weiterbildungsmaßnahmen Planungssicherheit, ohne den – aus meiner Sicht – be- Ich möchte auch daran erinnern, dass wir nur durch dauerlicherweise notwendigen Druck auf die laufenden die Untätigkeit der Bundesländer in eine Situation ge- Bund/Länder-Gespräche zurückzunehmen. Wir erwarten kommen sind, in der der Bundesgesetzgeber nun kurz- aber gleichzeitig von den Ländern, dass sie spätestens fristig eine Verlängerung der Ausnahmegenehmigung zum Ablauf dieser Übergangsregelung eine dauerhafte formulieren muss. Es war allen Bundesländern seit Jah- Finanzierung des letzten Maßnahmedrittels außerhalb ren klar, dass ab dem 1. Januar 2005 eine Förderung der der Arbeitsförderung sicherstellen. Weiterbildung in Gesundheitsberufen durch die BA nur dann erfolgt, wenn bei Beginn der Ausbildung eine Gudrun Kopp (FDP): Für die Weiterbildungsförde- Finanzierung des letzten Ausbildungsjahres durch Dritte rung nach dem Recht der Arbeitsförderung des SGB III zugesagt ist. Diese Anschlussförderung sollte in der Re- gilt seit 1. Januar 1998 der Grundsatz, dass die Dauer gel aus den Landeshaushalten erfolgen. Kein Bundes- von staatlich geförderten Weiterbildungen im Vergleich land bemühte sich aber bisher, eine entsprechende An- zur Dauer beruflicher Erstausbildung um mindestens ein schlussfinanzierung auf die Beine zu stellen. Drittel der Ausbildungszeit verkürzt sein muss. Dies be- deutet, dass Berufsabschlüsse, die als Erstausbildung Nun lese lese ich aber in Ihrem Antrag, dass sie für drei Jahre dauern, als Weiterbildung also innerhalb von eine Verlängerung der ursprünglich bis zum 31. Dezem- längstens zwei Jahren abgeschlossen sein müssen. ber 2004 befristeten Übergangsregelung um ein weiteres Jahr plädieren. Glauben Sie allen Ernstes, dass sie mit ei- In einigen Gesundheitsfachberufen – so zum Beispiel ner solchen zugegebenermaßen sehr großzügigen Rege- auch in der Logopädie – scheidet eine Verkürzung der lung die teilweise doch sehr trägen Länderministerien Umschulungsdauer jedoch aufgrund von Berufsgesetzen dazu bekommen werden, endlich durch eine abge- oder bestehender Bundes- und Landesgesetze, teilweise stimmte Lösung für die Förderung des dritten Jahres Pla- auch aufgrund von EU-Richtlinien, aus. Das deutsche nungssicherheit zu schaffen? Das Gegenteil wird der Förderungsrecht sah bisher eine befristete Sonderrege- Fall sein: Die Länder werden sich mit Verweis auf die lung vor, wenn die Ausbildungsdauer bundes- oder lan- großzügige Verlängerung des Bundes beruhigt zurück- desrechtlich geregelt, aber noch nicht verkürzbar war. lehnen und auch im Jahr 2005 keine Anstalten überneh- Danach braucht eine Umschulung, die bis zum 31. De- men, gemeinsam eine tragfähige Lösung für die Zukunft zember 2004 beginnt, nicht verkürzt durchgeführt zu der Weiterbildung in Gesundheitsberufen zu finden. Im werden, wenn dies aufgrund gesetzlicher Regelung nicht November 2005 werden wir alle wieder in dieser Runde möglich ist. Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 152. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Januar 2005 14315

(A) In der Konsequenz heißt das, dass seit dem 1. Januar Bevor wir nun inhaltlich zu diesen Fragen diskutieren, (C) 2005 beginnende Umschulungen in Gesundheitsfachbe- müssen wir uns den rechtlichen Rahmen anschauen. rufen zwar weiterhin durch die Bundesagentur für Arbeit Nur zu Ihrer Erinnerung: Mit der Bahnreform haben gefördert werden können. Dies gilt aber nur für zwei der Deutsche Bundestag und Bundesrat bestimmt, dass Drittel der Ausbildungszeit und auch nur dann, wenn die der Schienenpersonennahverkehr von den Bundeslän- Finanzierung der Gesamtdauer der Maßnahme von An- dern wahrgenommen wird. Für die Übernahme dieser fang an anderweitig sichergestellt ist. Verantwortlichkeit erhalten sie vom Bund Regionalisie- Dies ist eine unbillige Härte für die Auszubildenden rungsmittel in beträchtlicher Höhe. Über die Verwen- in diesen Gesundheitsfachberufen. Und es ist auch ar- dung dieser Mittel bestimmten – dies ist auch nach der beitsmarktpolitisch nicht sinnvoll. In der Regel finden Neuordnung von 2002 so geblieben – die Bundesländer erfolgreiche Absolventinnen und Absolventen nach der allein verantwortlich. Die Bundesebene hat hier keine Ausbildung schnell einen Arbeitsplatz. Insbesondere in Handhabe – das bedauere ich sehr –, in diesem Bereich den neuen Bundesländern besteht zum Teil bereits heute Rechenschaft zu fordern. Das betrifft sowohl uns als ein erheblicher Mangel an Arbeitskräften in Gesund- Parlament und dies betrifft auch die Bundesregierung. heitsfachberufen. Die Vermittlungsquote von Logopäden Der korrekte Adressat für Ihren Antrag sind also die beträgt nach Abschluss der Ausbildung nahezu Landesregierungen und die Landesparlamente. Zum Teil 100 Prozent. Hierbei handelt es sich zu einem großen können sie Ihre Forderungen sogar direkt an Ihre Partei- Teil um Umschülerinnen, wie zum Beipiel Frauen nach freunde, die in einigen Landesparlamenten an der Regie- der Erziehungsphase, die eine berufliche Neuorientie- rung beteiligt sind, weitergeben. rung anstreben. Dass aber die Vorgänge um die Vergabe von Ver- Die befristete Ausnahmeregelung betrifft Umschüler kehrsleistungen im Personenverkehr unbedingte Trans- und nicht Auszubildende in der Erstausbildung. Das be- parenz brauchen und wir diese Transparenz von den je- deutet, dass zukünftig die Umschüler die Kosten für das weiligen Bundesländern auch fordern sollten, halte ich dritte Ausbildungsjahr selbst tragen müssten. Zwar ha- für sehr wichtig. Denn es gibt in diesem Bereich erhebli- ben die Umschüler im Vergleich zu jungen Menschen in chen Nachholbedarf – in vielen Ländern. Allerdings der Erstausbildung eine größere Berufs- und Lebens- wird, was die Ausschreibungsquote angeht, das Bench- erfahrung und sind zu einer intensiveren schulischen mark von Schleswig-Holstein gesetzt, einem Land – das Ausbildung fähig. Aber sie haben häufig auch schwer- finde ich sehr bezeichnend –, das von einer rot-grünen wiegendere soziale Probleme als junge Menschen in der Koalition geführt wird. Dort im Norden der Republik Erstausbildung. In der siebenjährigen Übergangsphase gibt es das ordentlichste Ausschreibungskonzept für den (B) konnten keine Finanzierungsbeteiligungen durch Dritte Schienenpersonennahverkehr und den höchsten Aus- (D) geschaffen werden. Auch eine Verkürzung der Ausbil- schreibungsprozentsatz. dungsdauer konnte nicht erreicht werden. Wenn der Ge- Dreierlei möchte ich in der Diskussion deutlich ma- setzgeber eine Mindestausbildungszeit ohne Verkür- chen: zungsmöglichkeit verlangt, darf dies nicht zulasten der Umschüler gehen. In Anbetracht der nicht unerheblichen Erstens. Im bestehenden Rechtsrahmen können die Kosten für die Ausbildung werden sich nur wenige Um- Länder ausschreiben; eine direkte Vergabe ist aber auch schüler die Ausbildung leisten können, wenn sie sie noch möglich, und wird praktiziert: Nutznießer dieser selbst bezahlen müssen. freihändigen Vergaben sind aber nicht nur die DB Regio, sondern auch andere Anbieter. Die Union will die Länder stärker zur Finanzierung des dritten Ausbildungsjahres in die Pflicht nehmen. Die Zweitens. Die SPD-Bundestagsfraktion hat immer Union will die Übergangsfrist um ein Jahr verlängern. deutlich gemacht, dass sie den Ausschreibungswettbe- Das wird nichts nützen. Die FDP will die Befristung der werb als Chance sieht, Qualität, Menge und Wirtschaft- Ausnahmeregelung streichen, weil aus der Vergangen- lichkeit des Nah- und Regionalverkehrs auf der Schiene heit ersichtlich ist, dass eine Finanzierung durch Dritte durch Ausschreibungs- und Vergabepolitik zu erhöhen. nicht erreicht wird, die Vermittlungsquote überaus er- Drittens. Dass dabei die Mittelverwendung transpa- folgreich ist und durch die demographische Entwicklung rent erfolgen sollte, ist klar. Wir brauchen Transparenz ein weiterer Fachkräftemangel programmiert ist. von der Wurzel her. Die Länder sollten offen legen, wel- che Summen der Regionalisierungsmittel in welche Pro- jekte fließen. Anlage 3 Eins ist klar: Die Regionalisierungsmittel dürfen nicht Zu Protokoll gegebene Reden dazu dienen, ländereigene Aufwendung für den ÖPNV und SPNV zu ersetzen. Die Regionalisierungsmittel sind zur Beratung des Antrags: Transparenz und zur Verbesserung des Mobilitätsangebots da, nicht zur Wettbewerb im öffentlichen Schienenpersonen- Sanierung klammer Länderhaushalte. nahverkehr (Tagesordnungspunkt 23) Festzuhalten bleibt: Das Modell der Regionalisierung des Personennahverkehrs ist aufgegangen. Die Nutzer- Karin Rehbock-Zureich (SPD): Wir beraten heute zahlen steigen, allein im letzten Jahr verzeichnete der den Antrag der FDP zum Schienenpersonennahverkehr. SPNV 1,5 Prozent mehr Fahrgäste. Und auch der 14316 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 152. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Januar 2005

(A) Wettbewerb hat sich entwickelt: Mittlerweile gibt es eine Personal. Diesen Vorsprung müssen sich mögliche Kon- (C) stattliche Anzahl von Konkurrenzunternehmen der kurrenten erst erarbeiten. Das braucht Zeit, Geld und DB AG, die erfolgreich in den Regionen Verkehr ma- eine Wettbewerbsstruktur, die Neueinsteigern eine profi- chen. Der Anteil der Wettbewerber steigt auf derzeit table Chance eröffnet. rund 11 Prozent des Marktvolumens. Von den durchge- Außerdem ist der Nahverkehr so organisiert, dass die führten Ausschreibungsverfahren seit 1996 hat die Anbieter im Nahverkehr Zuschüsse aus Steuergeldern DB Regio rund 50 Prozent gewonnen. erhalten. Nur so lohnt es sich für die Unternehmen, auch Einfach und kurz: Wir lehnen den Antrag der FDP ab. wenig einträgliche Strecken zu befahren. Denn die Fahr- Transparenz tut Not, da sind wir uns einig. Aber die von geldeinnahmen reichen oft nicht aus, um die Betriebs- Ihnen geforderte Transparenz und damit auch die Kon- kosten vollständig zu decken. Das bedeutet eine zusätzli- trollmöglichkeiten der gewählten Parlamente müssen in che Schwierigkeit im SPNV. Des Weiteren ist in den den Landesparlamenten eingefordert und ausgeübt wer- Nahverkehr je nach Gewinnmöglichkeit der Bahn AG den. investiert worden oder auch nicht. Die Ausgangslage ist damit nicht günstig. Es besteht ein enormer Nachholbe- Nun noch einige Worte zu aktuellen Meldungen aus darf, was nebenbei auch für die Bahnhöfe selber gilt. der Presse. Wir als SPD-Bundestagsfraktion werden ei- Zwangsläufig bestimmt dieser Nachholbedarf die Strate- ner pauschalen Kürzung der Regionalisierungsmittel gien der Länder: Investitionen statt konsumtiver Mittel. nicht zustimmen. Im Rahmen der Beratungen zwischen Nur das ist sinnvoll und richtig. Ländern und Bundesregierung zur Revision des Regio- nalisierungsgesetzes wird aber sehr wohl genau zu prü- Mit diesen Schwierigkeiten müssen die Länder der- fen sein, welche Bundesländer mit ihren Geldern verant- zeit umgehen, auch wenn sie mittel- bis langfristig den wortlich und zweckentsprechend wirtschaften und Wettbewerb wollen, um dann auch Erfolge für die Kun- welche möglicherweise die Gelder für den ÖPNV und den zu erreichen. Die Ursache dafür, dass der offene SPNV nicht bestimmungsgemäß verwenden. Unabhän- Wettbewerb nur step by step, also in Wettbewerbsstufen gig davon brauchen wir in der mittelfristigen Finanzpla- in Gang kommt, liegt natürlich auch in den gesetzlichen nung Sicherheit für die Investitionsmittel in das Schie- Rahmenbedingungen für die Vergaben, nach denen Di- nennetz. Die durch das Kabinett angekündigte rektvergaben an die DB Regio ohne die Beteiligung von zusätzliche Milliarde für die Schiene in Deutschland ist Wettbewerbern ermöglicht werden. unbedingt notwendig, um Ausbau und Erhalt unseres Zur Begründung für den Abschluss langfristiger Ver- Schienennetzes zu gewährleisten. kehrsverträge wird die Planungssicherheit für die DB Regio angeführt, die im Gegenzug erhebliche Investitio- (B) Enak Ferlemann (CDU/CSU): Auch nach zehn Jah- nen in neue Fahrzeuge für den SPNV zusichert und eine (D) ren Bahnreform beherrscht die DB AG den Markt der Qualitätssteigerung bei der Leistungserbringung ver- bestellten Zugkilometer. Was für den Fernverkehr trau- spricht. Der Wettbewerb kommt also nur sukzessive in rige Tatsache ist, gilt auch für den öffentlichen Schienen- Gang und ist letztendlich derzeit ein Drohmittel für den personennahverkehr, den SPNV. Ein Blick auf die Fall, dass die DB Regio AG die zugesagten Investitionen Marktanteile der DB AG für den SPNV zeigt, dass die nicht realisiert. Konkurrenz nur ganz allmählich gegen die übermächtige Nun kann man bei den Ländern ja hinterfragen, wa- Dominanz der DB AG Zugkilometer übernehmen kann. rum das so ist. Die haben schließlich ihr Konzept zur Seit 1996 stellt der Bund den Ländern über das Entwicklung des Wettbewerbs vor dem Hintergrund der Regionalisierungsgesetz Mittel zur Bestellung von Nah- Perspektiven und Problembereiche und damit Gründe verkehrsleistungen zur Verfügung. Die Länder haben ein für ihr Vorgehen. Und diese sind: Der Wettbewerb befin- hohes Interesse daran, dass sich Wettbewerb entwickelt. det sich noch am Anfang und auch die Wettbewerber der Denn nur dadurch sind Einsparungen zu erreichen, die DB AG können nicht von heute auf morgen, sondern nur finanzielle Spielräume eröffnen. An der Vorherrschaft behutsam expandieren. Die Expansion des Wettbewerbs der Bahn AG hat sich aber nur wenig geändert. Bisher ist nicht nur aufseiten der Unternehmen, sondern auch sind von der Konkurrenz der Bahn AG nur wenige Stre- aufseiten der Aufgabenträger nur schrittweise möglich. cken übernommen worden. Und damit hat der Bahn- Ausschreibungen müssen von den Aufgabenträgern kunde keinen Einfluss auf den Wettbewerb. Das ist ein nicht nur vorbereitet und durchgeführt, sondern auch mit Zustand, den wir nicht wollen, und deshalb findet der erheblichem Arbeitsaufwand nachbereitet werden. Au- Antrag der FDP-Fraktion unsere Unterstützung. ßerdem besteht Handlungsbedarf in den Bereichen Ta- rife, Vertrieb und Einnahmeaufteilung. Warum ist der Wettbewerb im Schienenpersonennah- verkehr nach wie vor so unterentwickelt? Die Länder Das Ziel unternehmensübergreifender Vertriebsstruk- stehen schließlich nicht im Verdacht, den Wettbewerb turen und einheitlicher Regeln zur Einnahmeaufteilung verhindern zu wollen. Der Blick hinter die Kulissen nimmt viel Zeit in Anspruch. Es ist aber richtig. Deshalb macht einiges klarer. bilanzieren die Länder die Regionalisierung des Schienen- personennahverkehrs im Zuge der Bahnreform, soweit sie Ausgangspunkt der Vormachtstellung der Bahn AG sich dazu geäußert haben, grundsätzlich als positiv, aller- ist der historische Vorteil der Bahn. Als sie sich 1994 dings nicht ohne kritisch anzumerken, dass für einen von der Behörde zum Unternehmen wandelte, war die funktionierenden SPNV auch die Rahmenbedingungen gesamte Infrastruktur bereits vorhanden: Züge, Gleise, stimmen müssen. Daher muss der Bund seiner Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 152. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Januar 2005 14317

(A) Aufgabenverantwortung im Bereich des Netzes künftig bereits höchst erfolgreich und wirkungsvoll. Unbestrit- (C) besser gerecht werden. Ausbau und Erhalt des Netzes ten bestehen aber Optimierungspotenziale. Deshalb wer- müssen den Interessen aller Nutzer, nicht nur denen der den wir im Hinblick auf die Revision der Regionalisie- DB AG dienen. Das muss der Bund als Eigentümer der rung sehr genau zu analysieren haben, inwiefern wir von DB sicherstellen. Bundesseite Anreize setzen können, damit die vom Bund nach dem Regionalisierungsgesetz zur Verfügung Die Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen zu stellenden Mittel von den Ländern noch effizienter im Schleswig-Holsteinischen Landtag haben gegen Ende eingesetzt werden. des Jahres 2004 einen Antrag in den Landtag einge- bracht. In diesem Antrag wird das ganz entscheidende Allerdings werden auch zukünftig die Länder in der Problem der Länder, den Wettbewerb zu entwickeln, be- politischen Verantwortung für die Organisation des Nah- leuchtet. Es gibt weiterhin Defizite in der Modernisie- verkehr bleiben. Wenn Landesverkehrsminister mit ihren rung der Schieneninfrastruktur. Deshalb soll den Län- DB-Regionalbereichen auf Schmusekurs gehen und un- dern zukünftig nach dem Willen der dortigen SPD und professionell im Hinterzimmer große Verkehrsverträge der Grünen ein größeres Mitspracherecht beim Einsatz abschließen, dann müssen die gleichen Minister ihren von Bundesmitteln in die Schieneninfrastruktur zugebil- Bürgern und den Gerichten auch Rede und Antwort ste- ligt und der Anteil der Finanzierung des Bundes für hen, warum sie die Chancen der quantitativen und quali- regionale Schienenstrecken erhöht werden. Zu meiner tativen Verbesserung des SPNV-Angebotes nicht ausrei- Freude und zur Unterstützung dessen, was meine Frak- chend genutzt haben. tion stets gefordert hat, sieht man auch vonseiten der Wie man erfolgreich Nahverkehr organisiert, zeigen SPD und der Bündnisgrünen in Schleswig-Holstein nur die rot-grün regierten Bundesländer Schleswig-Holstein den Weg, Netz und Betrieb vor einem möglichen Bör- und Nordrhein-Westfalen. Schleswig-Holstein beispiels- sengang der Bahn zu trennen. Die Forderung nach weise hat bereits über 40 Prozent seiner bestellten Transparenz zur Stärkung der Position der Länder wird SPNV-Leistungen im Wettbewerb vergeben. gleichermaßen erhoben, sodass das Anliegen der FDP- Fraktion auch aus dem rot-grün regierten Schleswig- Im Übrigen hat der Deutsche Bundestag bereits am Holstein unterstützt wird. 9. November 2004 beschlossen, dass die Bundesregie- rung im Zusammenwirken mit den Ländern einen Be- Vor diesem Hintergrund wird aber auch klar, dass wir richt erstellt, der die Erfahrungen zur Vergabepraxis im die DB Regio AG bzw. die Bahn AG nicht weiterma- SPNV in den Ländern analysiert. Einen gleich lautenden chen lassen können wie bisher. In allen Debatten waren Wettbewerbsbericht werden wir deshalb nicht mehr wir immer übereinstimmend der Meinung, dass nur brauchen, wodurch der Antrag der FDP-Fraktion ins (B) durch Wettbewerb mehr Verkehr auf die Schiene zu brin- Leere läuft. (D) gen sein wird.

Meine Fraktion unterstützt daher den Antrag und Horst Friedrich (FDP): Seit 1996 stellt der Bund kann die Kolleginnen und Kollegen von der Regierungs- und damit der Steuerzahler, hauptsächlich der Auto fah- koalition auch mit Blick auf die Schleswig-Holsteiner rende Steuerzahler, den Ländern über das Regionalisie- nur ermuntern, dies ebenfalls zu tun. rungsgesetz Mittel für die Bestellung von Nahverkehrs- leistungen zur Verfügung. Das hat dazu geführt, dass der Albert Schmidt (Ingolstadt) (BÜNDNIS 90/DIE einst belächelte Nahverkehr auf der Schiene mittlerweile GRÜNEN): Für Bündnis 90/Die Grünen steht eine wei- zur so genannten Cash-cow der Deutschen Bahn gewor- tere Stärkung des öffentlichen Verkehrs auf Straße und den ist. Es verwundert deshalb nicht, wenn die derzeit Schiene im Zentrum einer nachhaltigen Verkehrspolitik. rund 7 Milliarden Euro, die pro Jahr mit einer Steigerung um jeweils 1,5 Prozent bis 2007 ausgegeben werden, ge- Mit der Bahnreform 1994 wurden die Strukturen der wisse Begehrlichkeiten wecken. öffentlichen Finanzierung und der Marktorganisation im Bereich des Schienenpersonennahverkehrs – SPNV – Folgerichtig wird im Gutachten von Morgan Stanley vollständig neu geordnet. Diese Regionalisierung des über die Börsenfähigkeit der Deutschen Bahn unter an- Schienenpersonennahverkehrs mit der Umstellung auf derem festgestellt, dass weitere Verluste bei Ausschrei- ein klares Besteller-Ersteller-System war überaus erfolg- bungen im Schienenpersonennahverkehr vermieden reich und wird übereinstimmend als erfolgreichster Teil werden müssen, wenn die Deutsche Bahn weiterhin Ka- der Bahnreform 1994 betrachtet. pitalmarktfähigkeit erreichen möchte. Das ist allerdings genau der Knackpunkt. Nach § 8 Abs. 1 des Regionali- Auch wenn bisher nur rund 10 Prozent der SPNV- sierungsgesetzes sollen die Mittel der Finanzierung des Leistungen von den Bundesländern im Wettbewerb ver- bedarfsgerechten Grundangebotes im Schienenperso- geben werden, so hat der Wettbewerbsdruck natürlich nennahverkehr dienen. Die Masse der Nahverkehre auf auch dazu geführt, dass die von den Ländern bei der der Schiene wird auch zehn Jahre nach der Bahnreform DB AG verbliebenen 90 Prozent der SPNV-Leistungen – allen Beteuerungen der Bahn zu mehr Wettbewerb deutlich kostengünstiger eingekauft werden konnten. zum Trotz – immer noch zu 91 Prozent der bundesweit Mit den eingesparten Mitteln konnten die Länder vieler- bestellten Zugkilometer von der Deutschen Bahn gefah- lei zusätzliche Leistungen einkaufen und dadurch das ren. Besonders bedenklich ist es, wenn die Länder dabei Angebot des öffentlichen Verkehrs vielerorts deutlich at- – auch noch in den letzten Jahren – langfristige Nahver- traktivieren. Die Einführung von Wettbewerb ist deshalb kehrsverträge mit der Deutschen Bahn vereinbaren, ohne 14318 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 152. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Januar 2005

(A) dabei auf die Ersparnispotenziale einer Ausschreibung ausüben kann, wie sie es derzeit macht. Es kann nicht (C) im größeren Umfang einzugehen. Bundesweit liegt das angehen, dass wegen des Ausbaus eines Bahnhofs über über Ausschreibungen erzielbare Sparpotenzial bei über das eigentliche Planungsziel hinaus oder der Bedienung 1 Milliarde Euro. eines Bahnhofs mit einer bestimmten Zugqualität als Preis dafür – sehr vereinfacht dargestellt – die freihän- Ausschreibungen sind zum einen nicht verboten und dige Vergabe von Nahverkehrsleistungen über zehn erreichen zum anderen in aller Regel, dass die gleichen Jahre verlangt wird. Dies ist nicht im Sinne der Bahnre- Leistungen zu günstigeren Kosten angeboten werden form und dies sollte die Bundesregierung auch beenden. bzw. für den gleichen Betrag höherwertigere Leistungen Ich freue mich auf interessante Diskussionen im Aus- von Mitbewerbern erbracht werden. Es überrascht des- schuss und wäre für Unterstützung sehr dankbar. halb nicht, dass die DB Netz AG ausgerechnet in den Bereichen, in denen Mitbewerber der Bahn Verkehre ab- genommen haben oder aber in die Lücke gesprungen Angelika Mertens, Parl. Staatssekretärin beim Bun- sind, weil die Bahn dort nicht mehr anbieten wollte, desminister für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen: Die durch Regionalfaktoren die Preise für die Trassenbenut- FDP setzt sich für Transparenz und Wettbewerb im öf- zung teilweise drastisch erhöht hat. Hier muss man sich fentlichen Schienenpersonennahverkehr ein. Auf den die Frage stellen, ob die Deutsche Bahn und die DB Netz ersten Blick liest sich das erfreulich. Transparenz ist ja AG tatsächlich die von ihr verlangten Regionalfaktoren etwas, was wir alle immer und überall gerne haben. dann in diese Strecken zurückfließen lässt, weil die Er- Wenn man aber genauer hinsieht, dann verbirgt sich hin- hebung der Regionalfaktoren ja mit der Begründung er- ter dem vorliegenden Antrag etwas ganz anderes. Hier folgt ist, dass der Wartungsaufwand für diese Nebenstre- wird mal wieder kräftig ins Horn der DB-Gegner getutet, cken erheblich höher sei als auf den Hauptstrecken. Und das auch noch auf plumpe Art, denn der Antrag geht von völlig falschen Voraussetzungen aus. So ganz nebenbei: Mit Wirkung von 1. Januar 2005 hat die Deutsche Bahn ihre Stationsgebühren für die Das gilt insbesondere für die Kernbehauptung, die Nutzung verfünffacht Es ist auch kein gutes Signal, DB Regio erziele überhöhte Bestellerentgelte für ihre wenn ein Land wie zum Beispiel Brandenburg einen Leistungen. Das ist einfach falsch. Tatsache ist vielmehr, langfristigen Verkehrsvertrag mit der Deutschen Bahn dass das durchschnittliche Bestellerentgelt pro gefahre- schließt – immerhin geht es um 2,5 Milliarden Euro für nen Zugkilometer bei DB Regio seit 1996 nahezu kon- den Zeitraum von 2002 bis 2012 – und der verhandelnde stant ist. Alle Kostensteigerungen, die seit 1996 im Nah- Minister während der Verhandlungen offenbart, dass er verkehr angefallen sind, wurden nicht durch überhöhte in absehbarer Zeit auf der anderen Seite, nämlich bei der Bestellerentgelte an die Länder weitergereicht, sondern Deutschen Bahn, als Mitarbeiter tätig sein wird. Auch durch Rationalisierungsmaßnahmen im Unternehmen (B) (D) wenn strafrechtlich nichts zu beweisen war, unterstützt es kompensiert. Anderes zu behaupten, geht an der Wahr- eigentlich unsere Forderung nach deutlich mehr Trans- heit vorbei und schadet in erster Linie dem Unternehmen parenz bei der Vergabe dieser Nahverkehrsverträge. und seinen Mitarbeitern. „Bahn-Bashing“ scheint weiter Konjunktur zu haben. Vor dem Hintergrund der Tatsache, dass die Regiona- lisierungsmittel ausschließlich aus dem Mineralölsteuer- Dieser Antrag versucht, den Eindruck zu erwecken, aufkommen des Bundes über die Länder weitergereicht im SPNV herrsche Klüngelei und Vetternwirtschaft, das werden, fordern wir deshalb richtigerweise mit unserem alles natürlich zu Lasten des Steuerzahlers, dessen bester Antrag die Bundesregierung auf, im Rahmen ihrer Ei- Freund ja bekanntlich die FDP ist. Das ist nun wirklich gentümerfunktion gegenüber der Deutschen Bahn durch weit an der Wahrheit vorbei. Denn der von der Bundes- ihre Vertreter im Aufsichtsrat sicherzustellen, dass die regierung gestaltete Ordnungsrahmen gewährleistet Transparenz der gültigen Verträge, soweit sie durch frei- Transparenz und Wettbewerb, übrigens auch im Ein- händige Vergabe und nicht durch Ausschreibungen zu- klang mit dem hier maßgeblichen europäischen Recht. stande gekommen sind, hergestellt wird. Ich will noch einmal daran erinnern, dass dieses Par- Wir fordern darüber hinaus, dass dem Deutschen lament in ungewohnter Eintracht die Bahnreform be- Bundestag und dem Verkehrsausschuss ein Wettbe- schlossen hat. Dazu gehörte auch die Übertragung der werbsbericht vorgelegt wird, in dem die Entwicklung Ausgaben- und Aufgabenverantwortung für den SPNV des Wettbewerbs im Schienenpersonennahverkehr auf- vom Bund auf die Länder. Deshalb liegt heute folgerich- gezeigt wird und – wenn nötig – die Ursachen für man- tig die Zuständigkeit für den SPNV bei den Ländern und gelnden Wettbewerb offen analysiert werden. Wir for- nicht beim Bund. Die von den Ländern eingerichteten dern ferner die Bundesregierung auf, ein Konzept Bestellerorganisationen entscheiden eigenverantwort- vorzulegen, wie der Wettbewerb im Schienenpersonen- lich, ob sie die jeweiligen Leistungen freihändig oder nahverkehr schnell und effektiv verstärkt werden kann. über Ausschreibungen an die jeweiligen Verkehrsunter- nehmen vergeben wollen. Das ist eine Regelung, mit der Es wird Sie nicht überraschen, wenn die FDP-Frak- wir seither auch gut gefahren sind. tion, für die ich hier spreche, als Ergänzung ein Gesamt- schienenkonzept fordert, das der Bahn auch die Druck- Entgegen den Annahmen der Wettbewerbstheologen möglichkeiten mit dem Fernverkehr nimmt. Es wird für ist eine Offenlegung der abgeschlossenen Verkehrsver- alle Länder bei der Bestellung von Nahverkehrsverkeh- träge nicht erforderlich. Denn die wettbewerblichen ren deutlich einfacher sein, wenn die Bahn das Drohpo- Eckpunkte der jeweiligen Verkehrsverträge wie Lauf- tenzial Fernverkehr nicht mehr so in der Hand hat und zeit, Leistungsvolumen, Ausschreibungsnetze und Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 152. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Januar 2005 14319

(A) Ausschreibungszeitpunkt werden heute bereits veröf- – Neuntes Gesetz zur Änderung des Parteiengeset- (C) fentlicht. Verträge, die nach § 4 Abs. 3 der Vergabever- zes ordnung abgeschlossen werden, müssen nach Abschluss in geeigneter Weise publiziert werden. Damit ist die For- – Gesetz zur Änderung dienst- und arbeitsrecht- licher Vorschriften im Hochschulbereich derung nach Offenlegung der Verkehrsverträge überflüs- (HdaVÄndG) sig. Ähnlich verhält es sich mit der Forderung nach Vor- lage eines Wettbewerbsberichtes: Den legt die DB AG – Gesetz zum internationalen Familienrecht bereits jährlich vor. – Gesetz zur Änderung des Ehe- und Lebenspart- Der vorhandene Ordnungsrahmen ermöglicht Wettbe- nerschaftsnamensrechts werb im SPNV. Er hat den vielfältigen Markt der Ver- – Gesetz zur Neugestaltung des Umweltinforma- kehrsanbieter erst ermöglicht. Der beste Beweis dafür ist tionsgesetzes und zur Änderung der Rechts- der zunehmende Anteil von Verkehrsleistungen, die grundlagen zum Emissionshandel nicht an die DB Regio AG vergeben werden: So stieg der Anteil von Wettbewerbern der DB AG am Bestell- – Gesetz zur Durchsetzung der Gleichstellung von Sol- volumen seit der Bahnreform von rund 3 auf 11 Prozent; datinnen und Soldaten der Bundeswehr (Soldatin- von 1995 bis 2004 wurden rund 90 Millionen Zugkilo- nen- und Soldatengleichstellungsdurchsetzungs- meter im Wettbewerb vergeben; der Anteil der DB gesetz – SDGleiG) Regio an den im Wettbewerbsverfahren vergebenen Leistungen liegt bei knapp 50 Prozent, Stand: August – Drittes Gesetz zur Änderung des Verkehrswege- 2004, Quelle: VDV. planungsbeschleunigungsgesetzes – Gesetz zur Änderung eisenbahnrechtlicher Vor- Diese Zahlen zeigen, dass uns um den Wettbewerb im schriften hinsichtlich der Regelung der Interope- SPNV wirklich nicht bange sein muss. Deshalb unter- rabilität des transeuropäischen Eisenbahnsystems stützen wir auch die europäische Politik, die mit der No- vellierung der einschlägigen EG-VO 1191/69 auch den – Erstes Gesetz zur Änderung des Signaturgesetzes Wettbewerb im SPNV gestalten will. Denn natürlich (1. SigÄndG) kann man die nationalen Entwicklungen nicht losgelöst von der europäischen Integration betrachten. Die ge- – Gesetz zur Fortentwicklung der Berufsaufsicht winnt auch im SPNV an Bedeutung und wird dort zu ei- über Abschlussprüfer in der Wirtschaftsprüfer- ordnung (Abschlussprüferaufsichtsgesetz – nem gestaltenden Element. APAG) (B) (D) Der Antrag der FDP ist der Zeit hinterher. SPNV- – Gesetz zu dem Protokoll V vom 28. November Markt und Verkehrspolitik sind heute schon weiter. 2003 zum VN-Waffenübereinkommen – Gesetz zu dem Abkommen vom 18. November Anlage 4 2002 zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mit- Amtliche Mitteilungen gliedstaaten einerseits und der Republik Chile an- dererseits Der Bundesrat hat in seiner 807. Sitzung am 17. De- zember 2004 beschlossen, den nachstehenden Gesetzen – Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie über den zuzustimmen, einen Antrag gemäß Artikel 77 Absatz 2 rechtlichen Schutz biotechnologischer Erfindun- Grundgesetz nicht zu stellen bzw. einen Einspruch ge- gen mäß Artikel 77 Absatz 3 nicht einzulegen: – … Strafrechtsänderungsgesetz – §§ 180 b, 181 StGB – Gesetz über die Feststellung eines Nachtrags zum (… StrÄndG) Bundeshaushaltsplan für das Haushaltsjahr 2004 (Nachtragshaushaltsgesetz 2004) Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben mitgeteilt, dass der Ausschuss gemäß § 80 Abs. 3 Satz 2 – Gesetz zur Änderung des Gräbergesetzes der Geschäftsordnung von einer Berichterstattung zu den nachstehenden Vorlagen absieht: – Gesetz zur Neuregelung der präventiven Tele- kommunikations- und Postüberwachung durch das Zollkriminalamt und zur Änderung der Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Investitionszulagengesetze 2005 und 1999 (NTPG) Landwirtschaft – Erstes Gesetz zur Änderung des Transfusionsge- – Bericht gemäß § 56 a GO-BT des Ausschusses für Bildung, setzes und arzneimittelrechtlicher Vorschriften Forschung und Technikfolgenabschätzung Technikfolgenabschätzung – Fünfundzwanzigstes Gesetz zur Änderung des hier: TA-Projekt – „Potenziale zur Erhöhung der Nah- Abgeordnetengesetzes und Einundzwanzigstes rungsmittelqualität – Entwicklungstendenzen bei Nah- Gesetz zur Änderung des Europaabgeordnetenge- rungsmittelangebot und -nachfrage und ihre Folgen“ setzes – Drucksache 15/1673 – 14320 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 152. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Januar 2005

(A) – Bericht gemäß § 56 a GO-BT des Ausschusses für Bildung, EU-Vorlagen bzw. Unterrichtungen durch das Europäi- (C) Forschung und Technikfolgenabschätzung sche Parlament zur Kenntnis genommen oder von einer Technikfolgenabschätzung Beratung abgesehen hat. hier: TA-Projekt – „Potenziale zum Ausbau der regio- nalen Nahrungsmittelversorgung – Entwicklungsten- denzen bei Nahrungsmittelangebot und -nachfrage und Auswärtiger Ausschuss ihre Folgen“ Drucksache 15/3403 Nr. 1.5 – Drucksache 15/1674 – Drucksache 15/3403 Nr. 2.3 Drucksache 15/3779 Nr. 1.2 – Bericht gemäß § 56 a GO-BT des Ausschusses für Bildung, Drucksache 15/3779 Nr. 1.4 Forschung und Technikfolgenabschätzung Drucksache 15/3779 Nr. 1.23 Technikfolgenabschätzung Drucksache 15/3779 Nr. 1.42 Drucksache 15/3779 Nr. 1.70 hier: TA-Projekt – „Potenziale für eine verbesserte Ver- Drucksache 15/3779 Nr. 1.71 braucherinformation – Entwicklungstendenzen bei Drucksache 15/4213 Nr. 1.5 Nahrungsmittelangebot und -nachfrage und ihre Fol- Drucksache 15/4213 Nr. 2.5 gen“ Drucksache 15/4213 Nr. 2.8 – Drucksache 15/1675 –

Finanzausschuss Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Drucksache 15/3779 Nr. 1.107 Reaktorsicherheit Drucksache 15/4085 Nr. 1.2 Drucksache 15/4085 Nr. 1.3 – Unterrichtung durch die Bundesregierung Drucksache 15/4085 Nr. 1.10 Übereinkommen über nukleare Sicherheit Drucksache 15/4085 Nr. 1.16 Bericht der Regierung der Bundesrepublik Deutsch- Drucksache 15/4213 Nr. 2.1 land für die Dritte Überprüfungstagung im April 2005 Drucksache 15/4213 Nr. 2.2 – Drucksachen 15/3650, 15/3693, Nr. 1.10 – Drucksache 15/4213 Nr. 2.16 Drucksache 15/4213 Nr. 2.20 Drucksache 15/4213 Nr. 2.27 Haushaltsausschuss Drucksache 15/4213 Nr. 2.28 Drucksache 15/4213 Nr. 2.29 Drucksache 15/4213 Nr. 2.30 – Unterrichtung durch die Bundesregierung Drucksache 15/4213 Nr. 2.45 Haushalts- und Wirtschaftsführung 2004 Drucksache 15/4296 Nr. 1.4 Überplanmäßige Ausgabe bei Kapitel 06 25 Titel 671 01 – Drucksache 15/4296 Nr. 1.5 Erstattungen an Dritte für die Durchführung der Flug- Drucksache 15/4296 Nr. 1.8 (B) gast- und Reisegepäckkontrolle – (D) – Drucksachen 15/4128, 15/4290 Nr. 1.3 – Haushaltsausschuss – Unterrichtung durch die Bundesregierung Drucksache 15/4213 Nr. 2.14 Drucksache 15/4213 Nr. 2.52 Haushalts- und Wirtschaftsführung 2004 Überplanmäßige Ausgabe bei Kapitel 1513 Titel 636 82 – Zuschuss des Bundes an die Rentenversicherung der Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit Arbeiter und Angestellten in den neuen Ländern (ein- schließlich ehemaliges Ost-Berlin) Drucksache 15/3779 Nr. 1.12 Drucksache 15/3779 Nr. 1.13 – Drucksachen 15/4129, 15/4290 Nr. 1.4 – Drucksache 15/4001 Nr. 1.2 Drucksache 15/4001 Nr. 1.4 Drucksache 15/4001 Nr. 1.11 Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen Drucksache 15/4001 Nr. 1.12 Drucksache 15/4001 Nr. 1.16 – Unterrichtung durch den Präsidenten des Bundesrech- Drucksache 15/4001 Nr. 1.18 nungshofes Drucksache 15/4085 Nr. 1.11 Bericht nach § 99 BHO zum Gemeindeverkehrsfinan- Drucksache 15/4085 Nr. 1.12 zierungsgesetz als Instrument der Mischfinanzierung Drucksache 15/4213 Nr. 2.6 von Bund und Ländern nach Artikel 104 a Abs. 4 Drucksache 15/4213 Nr. 2.19 Grundgesetz Drucksache 15/4213 Nr. 2.24 Drucksache 15/4213 Nr. 2.25 – Drucksachen 15/4080 – Drucksache 15/4213 Nr. 2.33 Drucksache 15/4213 Nr. 2.35 Drucksache 15/4213 Nr. 2.50 Auswärtiger Ausschuss Drucksache 15/4213 Nr. 2.51 Drucksache 15/4213 Nr. 2.55 – Unterrichtung durch die deutsche Delegation in der Parla- Drucksache 15/4213 Nr. 2.57 mentarischen Versammlung der OSZE über die Dreizehnte Jahrestagung der Parlamentari- schen Versammlung der OSZE vom 5. bis 9. Juli 2004 in Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Edinburgh/Großbritannien Landwirtschaft – Drucksachen 15/3668, 15/4009 Nr. 1.1 – Drucksache 15/3779 Nr. 1.30 Drucksache 15/3779 Nr. 1.35 Drucksache 15/4085 Nr. 1.9 Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben Drucksache 15/4213 Nr. 1.1 mitgeteilt, dass der Ausschuss die nachstehenden Drucksache 15/4213 Nr. 1.2 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 152. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Januar 2005 14321

(A) Drucksache 15/4213 Nr. 1.3 Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und (C) Drucksache 15/4213 Nr. 2.13 Entwicklung Drucksache 15/4213 Nr. 2.18 Drucksache 15/4213 Nr. 2.21 Drucksache 15/3779 Nr. 1.75 Drucksache 15/4213 Nr. 2.26 Drucksache 15/3779 Nr. 1.110 Drucksache 15/4213 Nr. 2.32 Drucksache 15/3779 Nr. 1.112 Drucksache 15/4213 Nr. 2.37 Drucksache 15/4085 Nr. 1.4 Drucksache 15/4213 Nr. 2.56 Drucksache 15/4213 Nr. 2.53 Drucksache 15/4296 Nr. 1.11 Drucksache 15/4296 Nr. 1.17

Ausschuss für Tourismus Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen Drucksache 15/2373 Nr. 2.22 Drucksache 15/4213 Nr. 2.12

Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Reaktorsicherheit Union Drucksache 15/4213 Nr. 2.15 Drucksache 15/3403 Nr. 2.13 Drucksache 15/3546 Nr. 2.16 Drucksache 15/3696 Nr. 2.25 Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Drucksache 15/4213 Nr. 2.7 Drucksache 15/3546 Nr. 1.3 Drucksache 15/4213 Nr. 2.43

(B) (D) Gesamtherstellung: H. Heenemann GmbH & Co., Buch- und Offsetdruckerei, Bessemerstraße 83–91, 12103 Berlin Vertrieb: Bundesanzeiger Verlagsgesellschaft mbH, Amsterdamer Str. 192, 50735 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Telefax (02 21) 97 66 83 44 ISSN 0722-7980