Plenarprotokoll 16/101

Deutscher

Stenografischer Bericht

101. Sitzung

Berlin, Freitag, den 25. Mai 2007

Inhalt:

Absetzung des Zusatztagesordnungspunktes 6 a ter und der Fraktion des BÜNDNIS- bis c ...... 10406 D SES 90/DIE GRÜNEN: Unterneh- mensteuerreform für Investitionen und Arbeitsplätze Tagesordnungspunkt 30: – zu dem Antrag der Abgeordneten a) – Zweite und dritte Beratung des von Christine Scheel, , den Fraktionen der CDU/CSU und der Dr. , weiterer Abgeord- SPD eingebrachten Entwurfs eines neter und der Fraktion des BÜNDNIS- Unternehmensteuerreformgesetzes SES 90/DIE GRÜNEN: Verlässliche 2008 und aussagekräftige Datenbasis für (Drucksachen 16/4841, 16/5452, die Ermittlung der Unternehmens- 16/5491, 16/5454) ...... 10361 A steuern erfassen – Zweite und dritte Beratung des von der (Drucksachen 16/5249, 16/4857, 16/4855, Bundesregierung eingebrachten Ent- 16/4310, 16/5452, 16/5491) ...... 10361 B wurfs eines Unternehmensteuerre- formgesetzes 2008 Peer Steinbrück, Bundesminister BMF . . . . . 10362 A (Drucksachen 16/5377, 16/5452, Carl-Ludwig Thiele (FDP) ...... 10364 D 16/5491, 16/5454) ...... 10361 A Dr. (CDU/CSU) ...... b) Beschlussempfehlung und Bericht des Fi- 10366 C nanzausschusses (DIE LINKE) ...... 10369 C – zu dem Antrag der Abgeordneten Renate Künast (BÜNDNIS 90/ Dr. Barbara Höll, Dr. , DIE GRÜNEN) ...... 10372 A Werner Dreibus, weiterer Abgeordne- ter und der Fraktion der LINKEN: Un- Christine Scheel (BÜNDNIS 90/ ternehmen leistungsgerecht besteu- DIE GRÜNEN) ...... 10372 C ern – Einnahmen der öffentlichen Joachim Poß (SPD) ...... 10374 B Hand stärken – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. (FDP) ...... 10376 C Dr. Barbara Höll, Dr. Axel Troost, Georg Fahrenschon (CDU/CSU) ...... 10377 D Werner Dreibus, weiterer Abgeordne- ter und der Fraktion der LINKEN: Un- Reinhard Schultz (Everswinkel) (SPD) . . . . . 10379 D ternehmen leistungsgerecht besteu- (CDU/CSU) ...... 10381 B ern – Einnahmen der öffentlichen Hand stärken Namentliche Abstimmung ...... 10382 D – zu dem Antrag der Abgeordneten Christine Scheel, Dr. Gerhard Schick, Kerstin Andreae, weiterer Abgeordne- Ergebnis ...... 10385 A II Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 101. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Mai 2007

Tagesordnungspunkt 31: Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) ...... 10403 A Unterrichtung durch den Parlamentarischen Beirat für nachhaltige Entwicklung: Bericht Marco Bülow (SPD) ...... 10404 A des Parlamentarischen Beirats für nach- (FDP) ...... 10405 C haltige Entwicklung „Demographischer Wandel und nachhaltige Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE) . . . . . 10406 A Infrastrukturplanung“ (Drucksache 16/4900) ...... 10383 C Tagesordnungspunkt 34: Achim Großmann, Parl. Staatssekretär BMVBS ...... 10383 D a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs Patrick Döring (FDP) ...... 10387 B eines Gesetzes zum Schutz vor den Ge- Dr. (CDU/CSU) ...... 10388 D fahren des Passivrauchens (Drucksachen 16/5049, 16/5492) ...... 10407 A Hans-Michael Goldmann (FDP) ...... 10389 C b) Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- Lutz Heilmann (DIE LINKE) ...... 10390 C schusses für Gesundheit zu dem Antrag der Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/ Abgeordneten Detlef Parr, DIE GRÜNEN) ...... 10392 A (Münster), Heinz Lanfermann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Ernst Kranz (SPD) ...... 10393 C Nichtraucherschutz praktikabel und mit Dr. Günter Krings (CDU/CSU) ...... 10394 D Augenmaß umsetzen (Drucksachen 16/5118, 16/5492) ...... 10407 A Dr. (SPD) ...... 10396 A c) Beschlussempfehlung und Bericht des Äl- Julia Klöckner (CDU/CSU) ...... 10397 B testenrates – zu dem Antrag der Abgeordneten Tagesordnungspunkt 32: Bärbel Höhn, , Ulrike Höfken, weiterer Abgeordneter und a) Antrag der Abgeordneten Gudrun Kopp, der Fraktion des BÜNDNISSES 90/ Michael Kauch, , DIE GRÜNEN): Rauchverbot im weiterer Abgeordneter und der Fraktion Deutschen Bundestag umsetzen der FDP: Klimawandel ernst nehmen – Kernenergielaufzeiten verlängern – zu dem Antrag der Abgeordneten (Drucksache 16/3138) ...... 10398 C Birgitt Bender, Bärbel Höhn, (Köln) weiterer Abgeordneter und b) Beschlussempfehlung und Bericht des der Fraktion des BÜNDNISSES 90/ Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und DIE GRÜNEN): Schutz vor Passiv- Reaktorsicherheit rauchen im Deutschen Bundestag direkt umsetzen – zu dem Antrag der Abgeordneten Michael Kauch, Angelika Brunkhorst, (Drucksachen 16/4400, 16/4957, 16/5493) 10407 A Horst Meierhofer, weiterer Abgeord- neter und der Fraktion der FDP: Inter- Marion Caspers-Merk, Parl. Staatssekretärin nationale und europäische Klima- BMG ...... 10407 B schutzoffensive 2007 Detlef Parr (FDP) ...... 10408 B – zu dem Antrag der Abgeordneten Eva Dr. Gerd Müller, Parl. Staatssekretär Bulling-Schröter, Dr. Dagmar BMELV ...... 10409 C Enkelmann, Hans-Kurt Hill, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE) ...... 10410 D LINKEN: Nationales Sofortprogramm Birgitt Bender (BÜNDNIS 90/ und verbindliche Ziele für den Kli- DIE GRÜNEN) ...... 10411 C maschutz festlegen Daniel Bahr (Münster) (FDP) ...... 10412 A (Drucksachen 16/4610, 16/5129, 16/5439) 10398 C Sabine Bätzing (SPD) ...... 10412 B Gudrun Kopp (FDP) ...... 10399 A (Konstanz) (CDU/CSU) . . . . . 10399 C Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE) ...... 10401 B Tagesordnungspunkt 35: Antrag der Abgeordneten Dr. Barbara Höll, Christoph Pries (SPD) ...... 10402 A Dr. , Dr. , Oskar Gudrun Kopp (FDP) ...... 10402 D Lafontaine und der Fraktion der LINKEN: Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 101. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Mai 2007 III

Einkommensteuertarif gerecht gestalten – in Verbindung mit Steuerentlastung für geringe und mittlere Einkommen umsetzen (Drucksache 16/5277) ...... 10413 D Zusatztagesordnungspunkt 7: Dr. Barbara Höll (DIE LINKE) ...... 10414 A Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- (CDU/CSU) ...... 10415 A schusses für Wirtschaft und Technologie zu dem Antrag der Abgeordneten Matthias Dr. Barbara Höll (DIE LINKE) ...... 10416 C Berninger, Dr. Thea Dückert, Margareta Wolf Olav Gutting (CDU/CSU) ...... 10416 D (Frankfurt), weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- Carl-Ludwig Thiele (FDP) ...... 10417 A NEN: Deutsche Steinkohle AG muss zügig belastbares Datenmaterial vorlegen (SPD) ...... 10417 D (Drucksachen 16/1672, 16/3586) ...... 10427 C Christine Scheel (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) ...... 10419 C Nächste Sitzung ...... 10427 D

Tagesordnungspunkt 36: Berichtigung ...... 10428 A a) Antrag der Abgeordneten Volker Beck (Köln), Irmingard Schewe-Gerigk, Birgitt Bender, weiterer Abgeordneter und der Anlage 1 Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . 10429 A NEN: Den 17. Mai als offiziellen Tag ge- gen Homophobie begehen (Drucksache 16/5291) ...... 10420 D Anlage 2 b) Bericht des Ausschusses für Menschen- rechte und Humanitäre Hilfe gemäß § 62 Erklärung des Abgeordneten Volker Beck Abs. 2 der Geschäftsordnung zu dem An- (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zur trag der Abgeordneten Volker Beck (Köln), Abstimmung über die Beschlussempfehlung: Irmingard Schewe-Gerigk, Marieluise Bericht der Bundesregierung über die deut- Beck (Bremen), weiterer Abgeordneter sche humanitäre Hilfe im Ausland 2002 bis und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/ 2005 (100. Sitzung, Tagesordnungspunkt 26) 10429 D DIE GRÜNEN: Meinungs- und Versamm- lungsfreiheit für Lesben und Schwule in ganz Europa durchsetzen Anlage 3 (Drucksachen 16/1667, 16/5442) ...... 10420 D Erklärung des Abgeordneten Volker Beck Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zur DIE GRÜNEN) ...... 10421 A Abstimmung über die Beschlussempfehlung zu dem Antrag: Ächtung des Gesetzes zur Ver- Holger Haibach (CDU/CSU) ...... 10422 A hütung erbkranken Nachwuchses vom 14. Juli Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ 1933 (Drucksache 16/5450, Buchstabe a) DIE GRÜNEN) ...... 10423 B (100. Sitzung, Tagesordnungspunkt 27) . . . . 10429 D Michael Kauch (FDP) ...... 10423 D Angelika Graf (Rosenheim) (SPD) ...... 10424 B Anlage 4 Dr. Barbara Höll (DIE LINKE) ...... 10425 D Erklärungen nach § 31 GO zur Abstimmung über den Entwurf eines Unternehmensteuerre- Burkhardt Müller-Sönksen (FDP) ...... 10426 C formgesetzes 2008 (Tagesordnungspunkt 30 a) (CDU/CSU) ...... 10430 A Tagesordnungspunkt 37: Axel E. Fischer (Karlsruhe-Land) Antrag der Abgeordneten Ulla Lötzer, Hans- (CDU/CSU) ...... 10430 B Kurt Hill, Eva Bulling-Schröter, weiterer Ab- geordneter und der Fraktion der LINKEN: Gabriele Groneberg (SPD) ...... 10430 D Kein Börsengang der Ruhrkohle AG – Bei der Zukunft des Steinkohlenbergbaus so- Gabriele Hiller-Ohm (SPD) ...... 10430 B ziale und ökologische Aspekte berücksich- (CDU/CSU) ...... 10432 A tigen (Drucksache 16/3695) ...... 10427 B (CDU/CSU) ...... 10432 D IV Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 101. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Mai 2007

Anlage 5 Susanne Jaffke, Dr. , Dr. Hans- Heinrich Jordan, , Manfred Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Kolbe, , , Ulrich Petzold und Uda Carmen Freia Heller Bernward Müller (Gera), Peter Rzepka, Ingo (beide CDU/CSU) zur Abstimmung über den Schmitt (Berlin), , Volkmar Uwe Entwurf eines Unternehmensteuerreformge- Vogel, und Karl-Georg Wellmann setzes 2008 (Tagesordnungspunkt 30 a) . . . . . 10433 A (alle CDU/CSU) zur Abstimmung über den Entwurf eines Unternehmensteuerreformge- setzes 2008 (Tagesordnungspunkt 30 a) . . . . 10435 A Anlage 6 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten , Renate Gradistanac, Angelika Anlage 10 Graf (Rosenheim) und Wolfgang Gunkel (alle SPD) zur Abstimmung über den Entwurf ei- Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten nes Unternehmensteuerreformgesetzes 2008 , Patrick Döring, Jörg van (Tagesordnungspunkt 30 a) ...... 10433 C Essen, Paul K. Friedhoff, und Dr. (alle FDP) zur Abstim- mung über den Entwurf eines Gesetzes zum Anlage 7 Schutz vor den Gefahren des Passivrauchens (Tagesordnungspunkt 34 a) ...... 10435 C Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten , Monika Grütters, Anette Hübinger, Dr. , Johann-Henrich Anlage 11 Krummacher, Dr. Max Lehmer, Carsten Müller (Braunschweig), Dr. , Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: und Klaus-Peter Willsch – Antrag: Kein Börsengang der Ruhrkohle (alle CDU/CSU) zur Abstimmung über den AG – Bei der Zukunft des Steinkohlen- Entwurf eines Unternehmensteuerreformge- bergbaus soziale und ökologische Aspekte setzes 2008 (Tagesordnungspunkt 30 a) . . . . . 10433 D berücksichtigen – Beschlussempfehlung und Bericht zu dem Anlage 8 Antrag: Deutsche Steinkohle AG muss zü- gig belastbares Datenmaterial vorlegen Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Dr. , Christoph Strässer, (Tagesordnungspunkt 37 und Zusatztagesord- , René Röspel, Jürgen Kucharczyk, nungspunkt 7) Reinhold Hemker, Dr. , Gerold Reichenbach, , Andreas (Hamm) (CDU/CSU) ...... 10436 A Steppuhn, Anton Schaaf und Marco Bülow Dr. (SPD) ...... 10437 A (alle SPD) zur Abstimmung über den Entwurf eines Unternehmensteuerreformgesetzes 2008 Paul K. Friedhoff (FDP) ...... 10438 A (Tagesordnungspunkt 30 a) ...... 10434 B Ulla Lötzer (DIE LINKE) ...... 10438 D Kerstin Andreae (BÜNDNIS 90/ Anlage 9 DIE GRÜNEN) ...... 10439 C Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten , , Günter Baumann, Anlage 12 , Klaus Brähmig, , , Robert Hochbaum, Amtliche Mitteilungen ...... 10440 B Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 101. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Mai 2007 10361

(A) (C) Redetext

101. Sitzung

Berlin, Freitag, den 25. Mai 2007

Beginn: 9.00 Uhr

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: rer Abgeordneter und der Fraktion der LIN- Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die KEN Sitzung ist eröffnet. Unternehmen leistungsgerecht besteuern – Ich rufe die Tagesordnungspunkte 30 a und 30 b auf: Einnahmen der öffentlichen Hand stärken 30 a) – Zweite und dritte Beratung des von den Frak- – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Barbara tionen der CDU/CSU und der SPD eingebrach- Höll, Dr. Axel Troost, Werner Dreibus, weite- ten Entwurfs eines Unternehmensteuer- rer Abgeordneter und der Fraktion der LIN- reformgesetzes 2008 KEN Unternehmen leistungsgerecht besteuern – – Drucksache 16/4841 – Einnahmen der öffentlichen Hand stärken – Zweite und dritte Beratung des von der Bun- – zu dem Antrag der Abgeordneten Christine (B) (D) desregierung eingebrachten Entwurfs eines Scheel, Dr. Gerhard Schick, Kerstin Andreae, Unternehmensteuerreformgesetzes 2008 weiterer Abgeordneter und der Fraktion des – Drucksache 16/5377 – BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Unternehmensteuerreform für Investitio- aa) Beschlussempfehlung und Bericht des nen und Arbeitsplätze Finanzausschusses (7. Ausschuss) – zu dem Antrag der Abgeordneten Christine – Drucksachen 16/5452, 16/5491 – Scheel, Kerstin Andreae, Dr. Gerhard Schick, Berichterstattung: weiterer Abgeordneter und der Fraktion des Abgeordente Peter Rzepka BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Reinhard Schultz (Everswinkel) Verlässliche und aussagekräftige Datenbasis Dr. Hermann Otto Solms für die Ermittlung der Unternehmenssteu- Dr. Barbara Höll ern erfassen Christine Scheel – Drucksachen 16/5249, 16/4857, 16/4855, bb) Bericht des Haushaltsausschusses (8. Aus- 16/4310, 16/5452, 16/5491 – schuss) gemäß § 96 der Geschäftsordnung Berichterstattung: – Drucksache 16/5454 – Abgeordnete Peter Rzepka Reinhard Schultz (Everswinkel) Berichterstattung: Dr. Hermann Otto Solms Abgeordnete Jochen-Konrad Fromme Dr. Barbara Höll (Erfurt) Christine Scheel Dr. Gesine Lötzsch Zu dem Entwurf eines Unternehmensteuerreformge- setzes 2008, über den wir später namentlich abstimmen werden, liegt je ein Entschließungsantrag der Koalitions- b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- fraktionen sowie der Fraktion der FDP vor. richts des Finanzausschusses (7. Ausschuss) Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Barbara die Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. – Ich Höll, Dr. Axel Troost, Werner Dreibus, weite- höre keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen. 10362 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 101. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Mai 2007

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner (A) Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Bundes- Arbeitnehmer Teilhabe an diesem Aufschwung über er- (C) finanzminister Peer Steinbrück. kennbar bessere Tarifabschlüsse, die das größere Wachs- tum und die höhere Produktivität erlauben. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Zuruf von der LINKEN: Zum Beispiel bei der Tele- Peer Steinbrück, Bundesminister der Finanzen: kom!) Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Die Unternehmensteuerreform wird diesen Auf- Herren! Dass der Finanzminister in einer Debatte über schwung unterstützen. Sie wird dazu beitragen, dass die- die Unternehmensteuerreform das Wort ergreift, war mir ser Aufschwung, diese konjunkturelle Entwicklung ver- klar, aber nicht, wann genau. stetigt wird. Wir werden es mit einer Verbesserung des (Heiterkeit bei der SPD und der CDU/CSU – Investitionsklimas zu tun haben. Wir werden es auch da- Dr. [FDP]: Da müssen Sie mit zu tun haben, dass gleichzeitig die Steuerbasis in jetzt durch!) Deutschland gesichert und damit die Finanzierung öf- fentlicher Aufgaben breiter abgesichert wird. Vielen Unkenrufen zum Trotz ist der Koalition mit dieser Unternehmensteuerreform inhaltlich ein großer Keines der viel diskutierten Probleme in diesem Haus Wurf gelungen. Er zeugt auch von einer sehr guten hand- – die Energieeffizienz, der Klimaschutz, Bildung, Fami- werklichen Regierungsfähigkeit. Die letzten anderthalb lienförderung, Kinderbetreuung, demografiefestere so- Jahre haben bewiesen, dass die Große Koalition hand- ziale Sicherungssysteme, die Entschuldung – lösen wir lungsfähig ist. ohne eine solide Wachstumsbasis, ohne leistungsfähige und wettbewerbsfähige Unternehmen in der Bundes- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) republik Deutschland, die sich im internationalen Wett- Ich möchte mich an dieser Stelle sehr herzlich bei all bewerb auch von der Steuerseite einigermaßen bewegen denjenigen bedanken, die in der politischen Arbeits- und bewähren können. gruppe mitgearbeitet haben; viele Abgeordnete der bei- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten den Koalitionsfraktionen waren daran beteiligt. Ich der CDU/CSU) möchte meinem ehemaligen hessischen Ministerpräsi- denten Koch, der technischen Arbeitsgruppe und den Wenn sich gelegentlich Teile dieses Hauses nicht nur mitwirkenden Parlamentariern danken. um die Verteilungsseite des Bruttosozialproduktes, son- dern auch um die Entstehungsseite dieses Bruttosozial- (Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Warum produktes kümmern würden, dann müssten sie meine (B) ehemalig?) Auffassung teilen, dass wir ein großes Interesse daran (D) – Aus meiner Sicht ehemaligem Ministerpräsidentenkol- haben, dass der Investitionsstandort Deutschland für legen. Das war doch nicht misszuverstehen. Unternehmen in Deutschland wie auch für ausländische Investoren attraktiver gemacht wird. Dies gelingt mit (Heiterkeit bei der SPD – Oskar Lafontaine dieser Unternehmensteuerreform. [DIE LINKE]: Aus seiner Sicht ist das rich- tig!) (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Wie vor anderthalb Jahren angekündigt, wird diese Diese Unternehmensteuerreform sorgt dafür, dass der In- Unternehmensteuerreform am 1. Januar 2008 in Kraft vestitionsstandort Deutschland attraktiver wird für alle, treten. Wie zu erwarten ist, werden der Deutsche Bun- die hier investieren wollen, für alle, die hier in Deutsch- destag und der Bundesrat diese Unternehmensteuer- land Arbeitsplätze schaffen wollen, für alle, die ihre reform vor der Sommerpause verabschieden, sodass die Wertschöpfung in Deutschland versteuern und nicht deutsche Wirtschaft und die deutschen Unternehmen ein etwa ins Ausland verbringen wollen. halbes Jahr lang Zeit haben, sich an den neuen steuerli- Die Steuerbelastung kommt wieder in das europäi- chen Grundlagen zu orientieren, die für die Unterneh- sche Mittelfeld – nicht mehr und nicht weniger. Zumin- mensbesteuerung in der Bundesrepublik Deutschland dest mit Blick auf die Besteuerung der Kapitalgesell- gelten werden. schaften sind wir mit einer Definitivbesteuerung von Nach einer Reihe von Reformen der Vorgängerregie- über 38 Prozent am unteren Ende gewesen. Die Vorgän- rung unter Gerhard Schröder und der Großen Koalition, gerregierung hat mit Blick auf die Personengesellschaf- die nicht populär gewesen sind und die teilweise noch ten bereits viel getan, um zu einer Entlastung der Perso- umstritten sind, gibt es nun einen konjunkturellen Auf- nengesellschaften beizutragen. Aber im Zuge dieser schwung, wie es ihn in den letzten 15 Jahren nicht gege- Unternehmensteuerreform sind wir noch einmal zu deut- ben hat. An diesem Aufschwung haben 850 000 mehr lichen Verbesserungen für den die deutsche Wirtschaft Menschen Teilhabe; das sind diejenigen, die nicht mehr im Wesentlichen tragenden deutschen Mittelstand entge- arbeitslos sind. Darunter befinden sich 550 000 Men- gen allen Unkenrufen gekommen. schen in sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungs- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) verhältnissen. Es haben an diesem Aufschwung Millio- nen von Menschen Teilhabe, die jetzt sicherere Eine Bruttoentlastung von 30 Milliarden Euro und Arbeitsplätze haben als noch vor einem oder zwei Jah- dann eine Gegenfinanzierung von 25 Milliarden Euro ren. Es haben zunehmend mehr Arbeitnehmerinnen und sind aus mehreren Gründen erforderlich gewesen, vor- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 101. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Mai 2007 10363

Bundesminister Peer Steinbrück (A) nehmlich aus Haushaltsgründen. Man kann nicht drei heblichen Bedeutung. Soweit ich die Stellungnahmen (C) Dinge auf einmal haben – einige in diesem Hause vertre- der kommunalen Spitzenverbände verstanden habe, wird ten diesen Standpunkt –: gleichzeitig Steuern senken, In- dieses Element der Steuerreform von ihnen, insbeson- vestitionen erhöhen und eine Entschuldung der öffentli- dere von den Kommunalpolitikern der beiden Koali- chen Haushalte durchführen wollen. Dies funktioniert tionsparteien, ausdrücklich begrüßt und gewürdigt. nicht. Das ist einer der Gründe dafür, warum es erforder- lich ist, sich über eine Refinanzierung einen Teil dieser ( [CDU/CSU]: Genau so ist Bruttoentlastung wieder zu holen. es!) Eine weitere Zielsetzung bewegte die Mitglieder der Ich will noch einige Worte dazu verlieren, dass die politischen Arbeitsgruppe und die Mitglieder der zustän- Mittelstandsfreundlichkeit der Reform in den Beratun- digen Ausschüsse ebenfalls von vornherein in diesen Be- gen im Koalitionskreis bzw. zwischen den Koalitions- ratungen: Wir wollten Gestaltungsmöglichkeiten und fraktionen noch einmal verstärkt worden ist; das Stich- Umgehungstatbestände zulasten des Fiskus in wort lautet „Investitionsabzugsbetrag“. Es gibt eine Deutschland eindämmen bzw. minimieren. Sie wissen, ganze Reihe von Maßnahmen, die ich aus Zeitgründen dass ich in diesem Zusammenhang immer von Verschie- nur erwähne: Thesaurierungspräferenz, Ansparabschrei- bebahnhöfen rede. Es gibt viele Beispiele dafür, wie dies bung – ich könnte diese Aufzählung fortsetzen –, die im Einzelnen funktioniert. Ich erspare es mir aus Zeit- dazu beitragen, dass der Mittelstand gefördert wird. Das gründen, dies darzustellen. Es gibt Annahmen darüber, entscheidende Argument ist: Bei den Instrumenten zur dass der deutsche Fiskus, also letztlich unser Gemeinwe- Refinanzierung dieser Steuerreform – um auf eine Ge- sen, pro Jahr hohe zweistellige Milliardenbeträge ver- samtentlastung von 5 Milliarden Euro zu kommen – ist liert, weil Gewinne, die in Deutschland erzielt werden, der Mittelstand weit unterproportional beteiligt. Der ins Ausland transferiert werden, weil Verluste, die Toch- überwiegende Anteil dieser Refinanzierung liegt auf den terunternehmen im Ausland erzielen, in Deutschland Schultern der größeren Kapitalgesellschaften. steuermindernd geltend gemacht werden. Wir verlieren daher Steuereinnahmen, die wir brauchen, um öffentli- Ich will zum Abschluss auf zwei Folgearbeiten hin- che Aufgaben zu finanzieren. weisen, bei denen ich damit rechne, dass sie in den wei- teren Beratungen heute eine Rolle spielen werden. Zum Im Vorfeld dieser Unternehmensteuerreform hat es einen werden wir die Unternehmensteuerreform noch in viele Vorschläge gegeben, die von weitaus größeren Ent- diesem Jahr um eine Regelung für die steuerliche Be- lastungseffekten ausgegangen sind. Ich vermute, dass handlung von privatem Wagniskapital ergänzen. Sie wis- zumindest die Kolleginnen und Kollegen der FDP der sen, dass es dazu einen ersten Eckpunkteentwurf gibt, (B) Auffassung sind, man könne Steuerentlastungen in Höhe der weiter debattiert werden soll. Ein solches Wagnis- (D) von 10, 15 oder 20 Milliarden Euro in Kauf nehmen. Ich kapitalbeteiligungsgesetz soll zeitgleich mit der Unter- sehe das anders, gerade vor dem Hintergrund des Kon- nehmensteuerreform zum 1. Januar des Jahres 2008 ver- senses, den wir, bezogen auf eine andere Zielsetzung, abschiedet werden; das war seinerzeit die Verabredung gefunden haben, nämlich die Nettokreditaufnahme so zwischen den Koalitionsfraktionen. Ich glaube, dass wir schnell wie möglich auf null zu führen und einen Ein- gut beraten sind, gerade für technologieorientierte Un- stieg in die Entschuldung zu finden, um auch unter dem ternehmen in diesem Zusammenhang etwas zu tun. Ich Gesichtspunkt der Generationsgerechtigkeit auf Dauer füge allerdings hinzu: Diejenigen von Ihnen, die mit gro- nicht diesen riesigen Berg von 1,5 Billionen Euro Schul- ßem Interesse das zugrunde liegende Gutachten der den auf nachfolgende Generationen zu wälzen. TU München gelesen haben, werden wissen, dass dieses Gutachten auf Steuereinnahmeverluste in der Dimension Neben der Zielsetzung einer höheren internationalen von 10 bis 20 Milliarden Euro hinausläuft. Sie werden Wettbewerbsfähigkeit, einer größeren Europatauglich- verstehen, dass der Bundesfinanzminister dem nicht auf- keit unseres Unternehmensteuersystems, der Vermei- geschlossen gegenübersteht. Das sind Dimensionen, die dung allzu großer Steuerausfälle und der Eindämmung einfach nicht verkraftbar sind. von Gestaltungsmöglichkeiten und systematisch-strate- gisch erschlossener Vermeidungsstrategien sind es zwei (Beifall bei der SPD – Eduard Oswald [CDU/ weitere Zielsetzungen, die mit dieser Unternehmensteu- CSU]: Es enthält auch gute Elemente! Man erreform erreicht werden: darf es nicht in den Papierkorb werfen! Man muss es genau anschauen!) Erstens. Es bleibt bei der Gewerbesteuer. Zum anderen liegt Ihnen ein Entschließungsantrag Zweitens. Die kommunale Einnahmebasis wird durch vor, der darauf hinweist, wie das weitere Verfahren im eine ganze Reihe von Maßnahmen verstetigt. Hinblick auf die Erbschaftsteuer sein soll. Sie wissen, (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) dass das Bundesverfassungsgericht uns verpflichtet hat, bis spätestens 31. Dezember 2008 die Erbschaftsteuer Dies ist von einer erheblichen Bedeutung; denn der über- neu zu regeln. Es wird darauf ankommen, dass wir noch wiegende Teil der öffentlichen Investitionen wird von in diesem Jahr, möglichst nach der Sommerpause, zu ei- den Kommunen getätigt. 60 Prozent der öffentlichen In- nem Ergebnis kommen, das auch einbezieht, was die vestitionen werden von den Kommunen getätigt. Das Bundesregierung bereits verabredet hat, nämlich die Er- heißt, eine solidere, verlässlichere und kalkulierbarere leichterung der Unternehmensnachfolge durch die Frei- Einnahmebasis für die Kommunen ist von einer er- stellung der Vererbung von betrieblichem Vermögen. 10364 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 101. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Mai 2007

Bundesminister Peer Steinbrück (A) Ich will zum Schluss einige wenige Worte über die den. Diese Unternehmensteuerreform ist nicht leichtfer- (C) Abgeltungsteuer verlieren. Ich weiß, dass diese Abgel- tig zustande gekommen. Das sage ich auch all jenen tungsteuer von 25 Prozent verteilungspolitisch umstrit- Kritikern, die teilweise sehr spezifische Interessenlagen ten ist. Diese Kritik ist berechtigt. als Begründung für eine generelle Ablehnung dieser Un- ternehmensteuerreform liefern. Wir werden nicht allen (Beifall des Abg. Oskar Lafontaine [DIE spezifischen Interessen hinsichtlich Begünstigungen und LINKE]) Erleichterungen über diese Unternehmensteuerreform Es ist nicht ohne Weiteres einzusehen, dass Kapitalein- entsprechen können. Wir wollten das übrigens auch künfte – die nicht durch Leistung erzielt werden – ein- nicht. Die Bundesregierung und insbesondere die vorbe- heitlich mit 25 Prozent besteuert werden sollen, während reitende Arbeitsgruppe von Herrn Koch und mir haben diejenigen, die mit Kopf und Händen arbeiten, es mit immer den Standpunkt vertreten, dass die überwiegende Grenzsteuersätzen und mit einer durchschnittlichen steu- Anzahl der deutschen Unternehmen durch diese Unter- erlichen Belastung zu tun haben, die weit darüber liegt. nehmensteuerreform begünstigt werden soll. Einige, Dieser Einwand ist stimmig. Nur, man wird sich den Re- nämlich diejenigen, die ihre Unternehmens- oder Kon- alitäten stellen müssen. Die Realitäten sehen so aus, dass zernstruktur bisher an Steuervermeidungsstrategien aus- die Bundesrepublik Deutschland jedes Jahr einen Kapi- gerichtet haben, werden allerdings möglicherweise nicht talabfluss in Milliardenhöhe zu beklagen hat. Das heißt, begünstigt werden. dieses Kapital wird nicht in Deutschland angelegt, führt (Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- demnach nicht zu Zinsen, Dividenden, Kapitaleinkünf- NEN]: Aber nur möglicherweise!) ten jedweder Art, die hier in Deutschland besteuert wür- den, sondern es ist futsch. Dies ist Vorsatz. Das war von vornherein beabsichtigt. Das sage ich diesen Kritikern. (Dr. [CDU/CSU]: Futsch!) (Beifall bei der SPD) Sie wissen, dass ich es vor diesem Hintergrund immer für logisch gehalten habe, zu sagen: Es ist besser, Diese Unternehmensteuerreform ist – daran halte ich 25 Prozent auf X zu haben statt 42 Prozent auf gar nix. fest – eine Investition in und für den Standort Deutsch- So simpel ist die Rechnung. land. Ich bin mir sicher, dass die derzeitige Wachstums- entwicklung, die konjunkturelle Aufhellung, auch hier- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie durch eine deutliche Unterstützung erfährt. bei Abgeordneten der FDP) Ich bedanke mich sehr für die Unterstützung in den Dieses Argument springt einem, wenn man es pragma- letzten anderthalb Jahren. (B) tisch sieht, so ins Auge, dass die berechtigten vertei- (D) lungspolitischen Gesichtspunkte dahinter zurückzustel- Vielen Dank. len sind. Deshalb bin ich ein Befürworter dieser (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Abgeltungsteuer. Sie wissen, dass es am besten gewesen wäre, wenn seinerzeit die Steueramnestie Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: gleich mit einer Abgeltungsteuer kombiniert hätte. Ich gebe das Wort dem Kollegen Carl-Ludwig Thiele, (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/ FDP-Fraktion. CSU und der FDP – Renate Künast [BÜND- (Beifall bei der FDP) NIS 90/DIE GRÜNEN], an die SPD gewandt: Wieso klatscht ihr denn? Das ist doch euer Mann!) Carl-Ludwig Thiele (FDP): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Das wäre für den deutschen Fiskus viel besser gewesen. Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Finanz- Ich will noch darauf hinweisen – gerade an die minister Steinbrück, dass viel Arbeitskraft investiert Adresse der FDP –, dass durch die Verbesserungen, die wurde, bestreiten wir überhaupt nicht. Daran, dass das die beiden Koalitionsfraktionen beschlossen haben, die Ergebnis ein Beitrag zur nächsten Weltausstellung dieses Bürokratiekosten noch einmal deutlich gesenkt worden Landes ist, haben wir Liberale aber erhebliche Zweifel. sind: Die Entlastung der deutschen Wirtschaft liegt bei (Beifall bei der FDP) ungefähr 170 Millionen Euro. Vor der letzten Bundestagswahl – das darf bei der (Zurufe von der FDP: Oh! – Birgit Homburger Union vielleicht noch einmal in Erinnerung gerufen wer- [FDP]: 30 neue Informationspflichten!) den – teilten nahezu alle Parteien die Einsicht, dass unser – Diese Entlastung von 170 Millionen Euro denke ich Steuerrecht einer grundsätzlichen Überarbeitung be- mir nicht aus. dürfe. Die Steuersätze sollten niedriger werden, und das Steuerrecht sollte einfacher und gerechter werden. Der Bundestag verabschiedet heute das Werk von an- Hierzu gab es genügend Reformvorschläge, nicht nur derthalb Jahren. Da ist von hervorragenden Fachleuten, der Parteien, nicht nur der FDP. Mit dieser Unterneh- von Bund und Ländern, von kompetenten Parlamentari- mensteuerreform verzichtet die Große Koalition darauf, ern und auch von den Ministeriumsspitzen der Länder die Steuersätze für alle Bürger und für alle Unternehmen vieles abgewogen worden, vieles geprüft worden. Eini- zu senken. Das ist ein Kardinalfehler, der dieser Steuer- ges ist verworfen worden, einiges ist aufgenommen wor- reform innewohnt. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 101. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Mai 2007 10365

Carl-Ludwig Thiele (A) (Beifall bei der FDP) wer will. Wir verstehen das nicht. Wir halten das für den (C) falschen Weg. Mit dieser Steuerreform wird das Steuerrecht kompli- zierter und ungerechter. Mit dieser Steuerreform wird (Beifall bei der FDP) der Körperschaftsteuersatz von 25 auf 15 Prozent ge- senkt. Diese Maßnahme wird seitens der FDP begrüßt. Ein weiterer Punkt: Die zunehmende Besteuerung Wir haben ihr im Finanzausschuss zugestimmt. von Kosten und damit die Verbreiterung der Bemes- sungsgrundlage zieht sich wie ein roter Faden durch die Die sogenannte Gegenfinanzierung, die Schlechter- komplette Steuerreform, und – das war der Punkt, auf stellung von Millionen von Steuerpflichtigen, erfolgt den Sie im Wesentlichen hinsichtlich der Gegenfinanzie- aber nicht nur im Körperschaftsteuerrecht, sondern auch rung eingegangen sind, Herr Minister – Sie führen eine im Einkommensteuerrecht. Das bedeutet, dass die Fir- Zinsschranke ein mit der Begründung, dass Steuerauf- men, die als Einzelunternehmen oder Personengesell- kommen deshalb aus Deutschland abfließe, weil interna- schaften am Wirtschaftsleben teilnehmen – das sind weit tional operierende Konzerne das Steuersatzgefälle zwi- über 80 Prozent der deutschen Unternehmen –, von der schen Deutschland und anderen Staaten ausnutzten. Körperschaftsteuersenkung nicht profitieren, aber von Dabei muss man fragen, ob dieses Gemälde wirklich der Gegenfinanzierung voll erfasst und häufig schlechter den Tatsachen entspricht. Das in den letzten Jahren ex- gestellt werden, als das derzeit der Fall ist. plosionsartig gestiegene Körperschaftsteueraufkommen (Beifall bei der FDP sowie des Abg. Oskar spricht doch dagegen. 2003 hatten wir Körperschaft- Lafontaine [DIE LINKE]) steuereinnahmen in Höhe von 8 Milliarden Euro, in die- sem Jahr – das wurde gerade festgestellt – haben wir Das ist der Grund, weshalb wir sagen – dabei bleiben dreimal so viel Körperschaftsteuereinnahmen, nämlich wir –: Dieses Gesetz ist mittelstandsfeindlich und unge- 24 Milliarden Euro. Wo ist da ein Schwund des Steuer- recht. Denn es ist überhaupt nicht nachvollziehbar, wer substrates? die Entlastung und wer die Belastung erhält. Zudem können wir feststellen, dass, seitdem Ihre Arbeitsgruppe (Beifall bei der FDP) tätig ist – das ist aber keine Folge Ihrer Arbeitsgruppe –, Ferner muss an dieser Stelle darauf hingewiesen wer- die Steuereinnahmen in unserem Land sprudeln wie den, dass mehr als 90 Prozent der deutschen Unterneh- noch nie. Trotzdem gibt es im Saldo, nach der Gegenfi- men nicht mit Betrieben oder Teilen ihres Unternehmens nanzierung, keine Verbesserung für die Unternehmen in im Ausland tätig sind. Mit dieser Zinsschranke treffen unserem Lande. Das halten wir für falsch; denn Arbeits- Sie in Deutschland tätige Unternehmen und somit Unter- plätze müssen geschaffen und Investitionen getätigt wer- nehmen, die Sie eigentlich nicht treffen wollen. Um mit (D) (B) den, und das können nur gesunde Unternehmen in unse- der Bibel zu sprechen: Um zehn Ungerechte zu treffen, rem Land leisten. nehmen Sie in Kauf, dass tausend Gerechte getroffen (Beifall bei der FDP) werden. Das ist absurd. Diese Reform ist bedauerlicherweise völlig unzusam- (Beifall bei der FDP) menhängend. Sie ist ein Bündel von Einzelmaßnahmen, Ich nenne noch einen Punkt. Die negativen Auswir- die sich teilweise widersprechen. Sie ist unsystematisch, kungen haben Sie sehr wohl erkannt. Deshalb ist im ungerecht und an vielen Punkten verfassungsrechtlich Finanzausschuss an einer Stelle des Gesetzentwurfes äußerst bedenklich. Ich möchte einige konkrete Punkte noch etwas geändert worden, nämlich für die öffentliche vortragen. Hand. Für die öffentliche Hand, das heißt für Unterneh- Zu Beginn dieser Wahlperiode wurden die Abschrei- men der öffentlich-rechtlichen Körperschaften, soll diese bungsbedingungen von der Großen Koalition erheblich Zinsschranke nicht gelten. Aber wenn sie für die öffent- verbessert, um die Wirtschaft anzukurbeln. Das sollte zu liche Hand nicht gelten soll, dann frage ich mich, warum Steuerausfällen für den Staat führen. sie für die normalen Betriebe in unserem Lande gelten soll, die dadurch massiv belastet werden. Das ist über- (Reinhard Schultz [Everswinkel] [SPD]: Das haupt nicht einzusehen und zeigt eine gewisse Staats- ist auch gelungen!) nähe. – Herr Kollege Schultz, ich glaube, das ist nicht der Fall (Beifall bei der FDP) gewesen; die Steuerquellen sprudeln und sind nicht ein- Das Ganze führt dazu, dass die gewinnschwachen, die gebrochen. kapitalschwachen und die forschungsintensiven Unter- Wir erleben gerade, dass sich die Wirtschaft in nehmen zusätzlich belastet werden, während die ertrags- Deutschland besser entwickelt und mehr investiert wird. starken, international tätigen Unternehmen entlastet wer- Dies führt dazu, dass der Staat nicht weniger, sondern den. Das ist genau die falsche Lenkungswirkung. mehr Steuereinnahmen hat, auch durch eine Verbesse- (Beifall bei Abgeordneten der FDP sowie des rung der Abschreibungsbedingungen. Aber mit diesem Abg. Oskar Lafontaine [DIE LINKE]) Gesetzesentwurf werden die Abschreibungsbedingungen wieder verschlechtert. Das heißt, Investitionen werden – Ich bin jetzt etwas irritiert, Herr Lafontaine, aber wo erschwert. Gleichwohl soll der Staat bei weniger Investi- ich recht habe, habe ich recht. Es freut mich, dass dann tionen mehr Steuereinnahmen bekommen. Das verstehe, auch von Ihrer Seite Applaus kommt. 10366 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 101. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Mai 2007

Carl-Ludwig Thiele (A) (Beifall bei der FDP – Joachim Poß [SPD]: Ihr Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: (C) habt beide unrecht! – [Heidel- Herr Kollege, jetzt muss ich Sie an Ihre Redezeit er- berg] [SPD]: Das passt sehr gut zusammen!) innern. Nicht zu Unrecht hat die Bundeskanzlerin noch im März dieses Jahres auf der Handwerksmesse in Mün- Carl-Ludwig Thiele (FDP): chen erklärt, dass dieses Gesetz nicht dazu führen dürfe, Ich komme zum Ende, Frau Präsidentin. dass Forschung in Deutschland erschwert werde und ab- Das Spannendste ist dann noch die Verknüpfung mit wandere. In diesem Bereich ist allerdings am Gesetzes- der Erbschaftsteuer. Sie hat mit diesem Gesetz nichts entwurf nichts geändert worden, sodass die Einsichts- zu tun. Das ist ein reiner Befriedungsakt gegenüber den fähigkeit der Kanzlerin weder im Kabinett noch in der Linken innerhalb der SPD, der auch von der Union mit- Koalition Verbreitung fand. Das halten wir für bedauer- getragen wird. Das führt zu Wischiwaschi-Erklärungen lich. mit der Folge, dass Frau Nahles, die designierte stellver- tretende Parteivorsitzende, bei dem Beschluss schon (Beifall bei der FDP) heute erklären kann, dass die Erbschaftsteuer massiv er- Ein weiterer Punkt: Die Ausweitung der Bemes- höht werden soll. Mit Blick auf die sprudelnden Steuer- einnahmen nur von Steuererhöhung zu reden, halten wir sungsgrundlage bei der Gewerbesteuer durch die Zu- für falsch. Wir brauchen auch in diesem Bereich Entlas- rechnung sämtlicher Zinsen und die Finanzierungsan- tung. teile aus Mieten, Pachten und Leasingraten ist wirtschaftspolitisch unsinnig. Sie führt dazu, dass Unter- Herzlichen Dank. nehmen, wenn sie keine Erträge erwirtschaften, gleich- wohl aus ihrer Substanz Steuern zahlen müssen, weil (Beifall bei der FDP) Kosten zur Bemessungsgrundlage für Steuern erklärt werden. Das ist absurd. Das ist der falsche Weg. Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Ich gebe das Wort dem Kollegen Dr. Michael Meister, (Beifall bei der FDP) CDU/CSU-Fraktion. Ich gehe davon aus, dass das nicht der einzige Punkt ist, (Beifall bei der CDU/CSU) an dem Sie im Laufe dieser Periode oder danach dieses Gesetz noch fundamental werden verändern müssen, Dr. Michael Meister (CDU/CSU): weil es Käse ist. (B) Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! (D) Unter dem Deckmantel des Mantelkaufes – hier Mit dem Unternehmensteuerreformgesetz 2008 liegt uns spreche ich einen weiteren Punkt an – wird erschwert, heute eine wesentliche Strukturreform in dieser Wahl- dass sanierungswürdige Unternehmen saniert werden periode zur Abstimmung vor. Ich glaube, die Koalition können. Denn wenn die Gesellschafter wechseln – das dokumentiert damit, dass unser Land und wir als Koali- ist erforderlich, wenn man einen neuen Investor benö- tion zur Strukturreform fähig sind und die Kraft zu Ver- änderungen in diesem Land haben. tigt, um den Betrieb weiterzuführen –, dann können die entstandenen Verluste nicht mehr berücksichtigt werden. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Das führt dazu, dass weniger sanierungswürdige Be- neten der SPD) triebe saniert werden können. Ich verstehe nicht, dass die SPD dem fröhlich die Hand reicht. Denn die Arbeitneh- Ich will darauf hinweisen, dass man immer eine Ge- mer in diesen Betrieben haben ein Recht darauf, dass samtbetrachtung anstellen sollte. Wir haben die Haus- haltskonsolidierung auf den Weg gebracht. Wir haben ihre Arbeitsplätze erhalten bleiben. Das machen Sie un- die Konjunktur aus dem Koma geholt, und wir sind jetzt möglich. Das halte ich für absurd. dabei, Wachstum und Beschäftigung nachhaltig auszu- (Beifall bei der FDP) gestalten, indem wir nicht nur konjunkturelle, sondern auch strukturelle Veränderungen in unserem Land Bei den Veräußerungsgewinnen werden zukünftig vornehmen. Insofern ist diese Reform ein nachhaltiger auch Spekulationsgewinne – so werden sie genannt – Beitrag für mehr Wachstum und Beschäftigung in steuerpflichtig. Das trifft aber auch die private Alters- Deutschland. Deshalb sind wir hier auf dem richtigen vorsorge. Wir alle wissen: Die Umlageverfahren allein Weg, Herr Kollege Thiele. tragen nicht. Wir brauchen private Altersvorsorge. Der (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Kapitalertrag, der über zehn, 20 oder 30 Jahre angespart neten der SPD) wurde, wird dann steuerpflichtig. Die Steuerpflicht um- fasst auch die Inflationsgewinne, die zwischenzeitlich Ich will ferner feststellen, dass die Unternehmensteu- einen Teil des Wertzuwachses aufgefressen haben. Dass erreform belegt, dass wir in Deutschland in dieser Koali- hierdurch Kapitalbildung für das Alter in unserem Lande tion verlässliche und berechenbare Politik machen. Ver- erschwert wird, ist eine fundamentale Schwäche dieses trauen und Planungssicherheit sind wichtige Aspekte Gesetzes. jenseits der Inhalte einer Reform, die Grundlage für In- vestitionsentscheidungen und damit letztendlich für (Beifall bei der FDP) Wachstum und Beschäftigung sind. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 101. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Mai 2007 10367

Dr. Michael Meister (A) Ich möchte an dieser Stelle all den Kollegen Dank sa- chend eingearbeitet haben. Dafür möchte ich dem (C) gen, die an der Vorbereitung dieser Reform mitgewirkt Vorsitzenden des Finanzausschusses und allen beteilig- haben: Herrn Koch, Herrn Steinbrück und den anderen, ten Kollegen Dank sagen. Ich glaube, auch daran wird die in der Kommission tätig waren. Denn ich glaube, es deutlich, dass wir dieses Thema von der Sache her be- ist gelungen, bei sehr weit auseinanderliegenden Positio- trachten und nicht allein mit Mehrheiten agieren. nen einen sach- und lösungsorientierten gemeinsamen (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vorschlag auf den Tisch zu legen. Darüber hinaus machen wir den Standort Deutschland Die Reform wird sechs Monate vor ihrem Inkrafttre- wettbewerbsfähig. Wir führen einen Steuertarif ein, der ten beschlossen. Wann hatten wir es bei großen Struktur- bei unter 30 Prozent liegt. Ich will ausdrücklich sagen: reformen, dass sich Steuerpflichtige und Verwaltungen Dieser Steuertarif gilt für alle Unternehmen, unabhängig so weit im Vorhinein auf die neue Lage einstellen konn- von ihrer Rechtsform. Wir machen also keine Reform ten? Auch dies ist eine positive Leistung für unser Land. für Kapitalgesellschaften, sondern wir bieten allen Un- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) ternehmen unabhängig von ihrer Rechtsform einen Steu- ersatz auf einbehaltene Gewinne von unter 30 Prozent. Uns wird draußen vorgehalten, es werde eine Reform Dass wir das in unserem Land schaffen, hätte man sich für die Unternehmen gemacht. Ich will hier die These vor zwei Jahren noch nicht vorstellen können. Aber hier aufstellen: Wir machen eine Reform für die Menschen. und heute beschließen wir diese Regelung. Das ist in Wir erhöhen die Chancen auf Arbeitsplätze. Wir erhöhen puncto Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit unseres die Chancen auf mehr Wirtschaftswachstum, auf mehr Standortes für Unternehmensansiedlungen ein gewalti- Investitionen und damit letztendlich auf steigende Ein- ger Schritt nach vorn. kommen und mehr Wohlstand in diesem Land. Daran werden alle teilhaben. Es werden diejenigen teilhaben, Wir tun etwas für den Mittelstand; auch darauf die unternehmerisch tätig sind. Es werden die Beschäf- möchte ich hinweisen. Die Thesaurierungsoption habe tigten der Unternehmen teilhaben und auch diejenigen, ich erwähnt. Wir werden außerdem eine Investitions- wie etwa Rentner, deren Einkommensentwicklung an die rücklage einführen. Das wird eine wesentliche Flexibili- Entwicklung der Nettolöhne gekoppelt ist. Es ist eine sierung zur Folge haben. Wir sorgen dafür, dass die Ge- Reform für alle Menschen in diesem Land; wir sollten werbesteuer besser mit der Einkommensteuer verrechnet das nicht falsch, sondern richtig darstellen. Deshalb werden kann. Vor diesem Hintergrund stelle ich die brauchen wir diese Reform. These auf: Diese Reform ist auch im Interesse des Mit- telstands, nicht nur im Interesse der großen Unterneh- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD men in unserem Land. Dafür hat sich die Union nämlich Joachim Poß [SPD]: Sehr gut! Eigentlich kön- (B) eingesetzt. (D) nen wir jetzt aufhören!) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Meine Damen und Herren, wenn ich die Kritik der neten der SPD) Opposition höre, dann muss ich sagen: Es gibt da nicht allzu viel Substanzielles. Ich möchte ganz deutlich sagen: In Deutschland fin- den wir eine andere Unternehmenskultur als in anderen (Beifall bei Abgeordneten der SPD Wider- Ländern vor. Sie ist geprägt von Familienunternehmen spruch bei der FDP) und mittelständischen Unternehmen. Das ist in anderen An der einen oder anderen Stelle wird im Detail kriti- Ländern nicht der Fall. Natürlich könnten wir unsere siert. Erst wurde uns gesagt, es müsse schneller gehen. Kultur aufgeben und uns vor allen Dingen um Kapital- Jetzt heißt es, es sei nicht ganz der richtige Wurf. Ja, was gesellschaften kümmern. Aber das wollen wir nicht. Wir wollen Sie denn? Ich vermisse Ihren Vorschlag, mit dem wollen an der Kultur der Familienunternehmen festhal- Sie geschlossen darstellen, wie man angesichts der ten. Deshalb haben wir uns bemüht, neue Lösungen zu Haushaltslage eine Strukturreform in einem solchen finden, um auch die Personengesellschaften mitzuneh- Umfang überhaupt vornehmen kann. men. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Es ist nicht nachzuvollziehen, warum Gewinne, die am Standort Deutschland erwirtschaftet wurden, nicht Mehr Steuerentlastung fordern, was zu mehr Löchern auch hier der Besteuerung unterzogen werden sollten. im Haushalt führt, ist einfach. Aber man muss das Ganze Man kann sehr lange über die Frage diskutieren, mit auch in der politischen Darstellung zusammenbekom- welchen Instrumenten man dieses Problem am besten in men. Da fehlt mir ein Vorschlag von Ihnen. den Griff bekommt. Selbstverständlich stellt eine Sen- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) kung der Steuertarife eine Motivation dar, um diesen Effekt zu vermeiden. Aber wir alle mussten zur Kenntnis Meine Damen und Herren, die Große Koalition nehmen: Das allein reicht nicht aus. Auch die bisherigen nimmt das Parlament und den Rat von Experten ernst. Regelungen zur Gesellschafterfremdfinanzierung reich- Wir haben von der ersten Lesung, die im März stattfand, ten nicht aus. Wir müssen dieses Problem auf innovative bis zum heutigen Tag über 40 Änderungen an diesem und kreative Weise lösen. Gesetz vorgenommen. Dies zeigt, dass wir nicht einfach stur mit unserer Mehrheit durch die Wand gehen, son- Herr Kollege Poß, wir haben vereinbart, dass wir zeit- dern dass wir da, wo die Fachleute Veränderungen vor- nah evaluieren wollen, ob unsere Maßnahmen die richti- geschlagen haben, diese ernsthaft geprüft und entspre- gen Ergebnisse liefern. Wir müssen uns – im Kontext der 10368 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 101. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Mai 2007

Dr. Michael Meister (A) Entwicklung in den USA und in Frankreich – der Frage – Da ich weiß, dass der Kollege Oswald ein fleißiger Ar- (C) stellen: Wie können wir dafür sorgen, dass Gewinne, die beiter ist, im eigenen Land erwirtschaftet werden, auch im eigenen Land besteuert werden? Es ist ein vernünftiger Gedanke, (Dr. Peter Struck [SPD]: Das stimmt!) davon auszugehen, dass dann, wenn wir etwas zur Verfü- werden wir das gemeinsam schaffen. gung stellen, auch hier Steuern zu zahlen sind. Meine Damen und Herren, mit der Einführung einer Dadurch, dass wir zukünftig den Gewinn vor Ab- Abgeltungsteuer schaffen wir für den Finanzplatz schreibungen betrachten und darauf die Zinsschranke Deutschland attraktive Rahmenbedingungen. Ich teile anwenden, ist eine wesentliche Entspannung und Ver- die Ausführungen, die der Finanzminister zum Thema besserung der Situation eingetreten. Auf diese Weise ha- Steuerehrlichkeit gemacht hat. Ich möchte hinzufügen: ben wir dafür gesorgt, dass diese Regelung auch aufsei- An dieser Stelle sorgen wir für eine wesentliche Verein- ten der Unternehmen als tragbare Lösung angesehen fachung. Durch die Einführung der Abgeltungsteuer wird. leisten wir einen maßgeblichen Beitrag zum Bürokratie- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- abbau. Auch das sollte gelegentlich einmal festgehalten neten der SPD) werden. Ich sage ganz offen: Der Beitrag, den diese Unterneh- Daneben brauchen wir in Deutschland keine so große mensteuerreform zum Forschungs- und Entwicklungs- Kontrolldichte mehr. Die Zahl der Kontenabfragen kann standort Deutschland leistet, ist aus meiner Sicht noch deutlich geringer ausfallen. Auch das ist hinsichtlich der nicht hinreichend. Aber im Rahmen der Unternehmen- Wahrnehmung unseres Finanzplatzes ein Schritt nach steuerreform werden wir an dieser Stelle nichts mehr än- vorne. dern können. (Beifall bei der CDU/CSU – Carl-Ludwig Mittlerweile liegt uns allerdings ein im Bundesminis- Thiele [FDP]: Abwarten!) terium der Finanzen erarbeitetes Eckpunktepapier vor Der Kollege Thiele hat auf die Altersvorsorge hinge- – dafür möchte ich Ihnen, Herr Finanzminister wiesen. Ich teile die Bedenken, dass wir außerhalb der Steinbrück, ausdrücklich danken –, in dem die Themen gesetzlichen Rente mehr für die Altersvorsorge tun müs- Wagniskapital und Unternehmensbeteiligungen be- sen. Ich will aber auch einmal daran erinnern, dass wir in handelt werden und in dem der Frage nachgegangen der letzten Wahlperiode auf dieser Baustelle gemeinsam wird, wie wir Unternehmen in Deutschland in der Grün- etwas getan haben. Wir haben die nachgelagerte Besteu- dungs- und Wachstumsphase besser fördern können. Ich erung für die Altersvorsorge eingeführt. Man kann im (B) glaube, auf dieser Basis können wir uns in der Koalition Detail darüber reden, welche Rahmenbedingungen ge- (D) darüber unterhalten, wie wir dieses Problem lösen. setzt wurden, ein attraktives Angebot für die Altersvor- Ich glaube, wir müssen die gegenwärtigen Vorschläge sorge ist über die nachgelagerte Besteuerung aber gege- noch ein wenig optimieren. Im Mittelpunkt müssen fol- ben. Deshalb bitte ich, in der Diskussion ehrlich zu gende Fragen stehen: Wie können Verlustvorträge im bleiben. Wer Kapitalanlagen betreibt, dessen Kapital- Rahmen von Finanzierungsrunden – das ist insbesondere ertrag wird besteuert, und wer Altersvorsorge betreibt, für den Innovationsstandort eine essenzielle Frage – bes- dessen Altersvorsorge wird über die nachgelagerte Be- ser mitgenommen werden? Wollen wir uns nur auf das steuerung besteuert. Beides ist attraktiv ausgestaltet. Ich Gründungskapital konzentrieren oder auch die Wachs- bitte um Ehrlichkeit, sodass wir hier nicht mit falschen tumsphasen, die Zweit- und Drittrundeneffekte, mit- Etiketten hantieren; denn ansonsten gleitet die Diskus- finanzieren? An dieser Stelle besteht meiner Meinung sion auf ein Niveau ab, das hier eigentlich fehl am Platze nach die Notwendigkeit, nachzubessern. ist. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich will einen weiteren Punkt ansprechen, nämlich die Steuerausfälle. Ich bin zunächst einmal zufrieden, dass Ich möchte nicht nur bewundern können, was in Lu- die kommunale Ebene diese nicht mitfinanziert. Die xemburg oder in der Londoner City im Bereich Wagnis- 5 Milliarden Euro, über die wir reden, werden voll und und Risikokapital geschieht. ganz vom Bund und von den Ländern aufgebracht. Ich glaube, an dieser Stelle haben wir eine gute Vereinba- (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: rung getroffen. Erst einmal gibt es dort eine Citymaut!) Zu den 5 Milliarden Euro will ich auch sagen, dass sie Ich würde mich freuen, wenn solche Instrumente auch das Ergebnis einer statischen Betrachtung sind. am Finanzplatz Deutschland zur Schaffung von Arbeits- plätzen, Wachstum und Beschäftigung gewinnbringend (Joachim Poß [SPD]: Richtig!) eingesetzt würden. In dem Moment, in dem Wachstums- und Beschäfti- (Beifall bei der CDU/CSU) gungseffekte eintreten und die Unternehmen tatsächlich An dieser Stelle müssen wir gemeinsam arbeiten und aktiv werden, wird es nicht zu diesen Steuerausfällen Lösungen entwickeln. von 5 Milliarden Euro kommen, sondern der Haushalts- minister wird eine bessere Bilanz vorlegen können. Ich (Eduard Oswald [CDU/CSU]: Ja! Da haben glaube, dass wir deshalb durch diese Reform am Ende wir noch eine Menge Arbeit vor uns!) der Zeitschiene kein Minus, sondern ein Plus zu ver- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 101. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Mai 2007 10369

Dr. Michael Meister (A) zeichnen haben werden. Deshalb können wir sie auch (Beifall bei der LINKEN – Dr. h. c. Hans (C) guten Gewissens mittragen. Michelbach [CDU/CSU]: Der Weltöko- nom!) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Oskar Lafontaine (DIE LINKE): Der Kollege Thiele hat hier über das Körperschaft- Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und steueraufkommen im Laufe der Zeit gesprochen. Weil Herren! Zunächst ein Wort an Sie, Herr Kollege Kolb, ich weiß, dass er fachkundig ist, hätte ich mir auch einen weil Sie so erschrocken waren, dass ich Ihnen Beifall ge- Hinweis auf die Unternehmensteuerreform 2000 ge- spendet habe. wünscht. Deren wesentlicher Effekt war es nämlich, dass sich das Körperschaftsteueraufkommen entsprechend (Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Thiele heißt entwickelt hat. Dies in diesem Zusammenhang nicht an- er!) zusprechen, rückt die Argumentation an dieser Stelle na- türlich in ein etwas diffuses Licht. Wenn Sie in der Sache recht haben, muss ich Ihnen na- türlich Beifall spenden. Ich glaube, wir sollten uns (Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- durchaus vorstellen können, dass man auch Kollegen NEN]: Vielen Dank!) Beifall spenden kann, die normalerweise nicht die Auf- fassung vertreten, die man selbst vertritt. Zum Parlamen- – Jawohl, Sie waren auch beteiligt, Frau Scheel, und ha- tarismus gehört es, dass man dann Beifall spendet, wenn ben dafür gesorgt, dass wir in Deutschland kein Körper- man ein Argument für richtig hält. Das sollten wir auch schaftsteueraufkommen hatten und dass die Unterneh- in Zukunft so halten. men nichts bezahlt haben. Dies geschah aber nicht, weil Sie es wollten, sondern weil Sie als Vorsitzende des Fi- (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- nanzausschusses Fehler gemacht haben, die zu großen neten der FDP) Steuerausfällen geführt haben. Eigentlich hätte man an dieser Stelle eine größere fachliche Kompetenz erwarten Damit Sie nicht allzu sehr erschrecken: In Grundsatz- können. fragen der Wirtschaftspolitik gibt es durchaus Über- schneidungen zwischen meinen und vielleicht auch Ih- (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. ren Überlegungen mit denen anderer. Wenn es um die Oskar Lafontaine [DIE LINKE] – Lothar Kontrolle wirtschaftlicher Macht geht, stützen wir uns Binding [Heidelberg] [SPD]: Herr Meister, Sie beispielsweise auf Walter Eucken, der die Verhinderung wissen, dass das verkehrt war!) wirtschaftlicher Macht zum Kernanliegen einer Wettbe- werbsordnung gemacht hat. Die Verhinderung wirt- (B) Meine Damen und Herren, nach der Reform ist vor (D) der Reform. Die Vereinfachung muss trotz der Priorisie- schaftlicher Macht ist ja kein Thema mehr. Die Kon- rung der Unternehmensteuerreform weitergeführt wer- trolle wirtschaftlicher Macht war noch ein Schwerpunkt den. Deshalb werden wir als Unionsfraktion an der Ver- der SPD im Godesberger Programm. Aber auch davon einfachung des Steuerrechts dranbleiben. Wir wollen ist heute keine Rede mehr. eine weitergehende Vereinfachung. Wenn es um Ordnungspolitik geht – zum Beispiel bei (Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Die ist auch der Netzprivatisierung –, dann kommen wir nicht auf die nötig!) Idee, einen Zeitgenossen zu zitieren. Ich zitiere lieber John Stuart Mill, der niemals auf die Idee gekommen Für uns steht auch das Thema Gewinnermittlung un- wäre, der Marktwirtschaft Bereiche zu unterwerfen, die terhalb der Besteuerungsebene auf der Tagesordnung. nicht marktwirtschaftlich zu organisieren sind. Herr Steinbrück, ich glaube, wir sind uns einig, dass wir uns dieser wichtigen Aufgabe zuwenden und die Frage (Beifall bei der LINKEN) beantworten müssen, wie es bei der Bilanzierung der Wenn wir über Vermögensbildung in Arbeitnehmer- Unternehmen im Sinne von mehr Einfachheit, aber auch hand reden – ich komme noch darauf zurück –, dann be- mehr Klarheit zu einem Gewinn für den Standort kom- ziehe ich mich gerne auf Karl-Hermann Flach und men kann. Werner Maihofer, die mit dem Freiburger Programm Es liegen schwierige Probleme vor uns. Wir zeigen, Positionen vorgelegt haben, die ich heute noch unter- dass die Große Koalition zu Strukturreformen fähig ist. schreiben könnte. So viel zu den Auflockerungsübun- Sie ist damit aber nicht am Ende. Weitere große Projekte gen, die Sie vielleicht überrascht haben. liegen vor ihr. Ich habe sehr viel Vertrauen, dass wir das (Beifall bei der LINKEN) gemeinsam schaffen. Ich wünsche mir dafür Ihre Zu- stimmung und Unterstützung. Wenn es um die Erbschaftsteuer geht, erwähne ich gerne große amerikanische Liberale wie Bill Gates oder Vielen Dank. Warren Buffett, die eine andere Position als Sie vertreten (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) und der Auffassung sind, dass es Erben sehr wohl zu- zumuten ist, sich durch eigene Leistung ein eigenes Ver- mögen aufzubauen, statt sich auf dem Vermögen der Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Eltern auszuruhen. Nächster Redner ist der Kollege Oskar Lafontaine, Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) 10370 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 101. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Mai 2007

Oskar Lafontaine (A) Das macht deutlich, dass man mit unterschiedlicher Jahr, sondern auch um die Erbschaftsteuerreform. Die (C) Sichtweise an bestimmte Fragen herangehen kann; man Erbschaftsteuer soll bei erfolgreicher Fortführung eines sollte aber in seiner Denkweise einigermaßen konse- Unternehmens über zehn Jahre vollständig erlassen wer- quent sein. den. Auch das sind Milliardengeschenke an die Unter- nehmen, wie auch immer Sie es definieren. Nun zu unserer Position: Wenn es in diesem Lande darum geht, Unternehmen (Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Jetzt zurück zu zu bedienen, dann ist die große Mehrheit dieses Hauses Karl Marx!) dabei. Das steht im krassen Widerspruch zur Einkom- Im Gegensatz zu den meisten Vorrednerinnen und Vor- mensverteilung in diesem Lande. Darauf wollen die rednern bin ich nicht in der Position, der Regierung und Linken aufmerksam machen. denjenigen, die an dem Gesetzentwurf mitgearbeitet ha- (Beifall bei der LINKEN) ben, meinen Dank für die großartigen Leistungen auszu- sprechen; vielmehr stelle ich für unsere Fraktion fest: Wenn in diesem Hause immer wieder solche Milliar- Nach der verteilungspolitischen Entwicklung der letzten densegen beschlossen werden, dann frage ich mich trotz Jahre und den vielen Unternehmensteuerreformen, die der freudigen Einlassung des Bundesfinanzministers, wir schon beschlossen haben, ist ein weiterer Milliarden- was die Rentnerinnen und Rentner denken, die mit segen für die Großkonzerne unvertretbar. Das ist die einer Rentenerhöhung um 0,54 Prozent – welch großar- Position der Linken. tige Leistung, Herr Bundesarbeitsminister! – rechnen dürfen. Sie stellen sich die Frage, warum für die Unter- (Beifall bei der LINKEN) nehmen Milliarden zur Verfügung stehen, wenn sie Problematisch ist auch, dass Sie es nicht bei diesem selbst nur ein paar Brotkrumen erhalten. Diese Einkom- Milliardensegen bewenden lassen wollen. Die nächsten mensentwicklung können wir nicht tolerieren. Milliardengeschenke für die Unternehmen werden be- (Beifall bei der LINKEN) reits angekündigt. Mit Erschrecken habe ich festgestellt, dass der Kollege Poß kürzlich öffentlich weitere Sen- Sie erwähnen immer wieder stolz die Entwicklung bei kungen der Lohnnebenkosten angekündigt hat. Ich den sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätzen. Ich hoffe, Sie sind richtig zitiert worden. frage mich, wie die Leiharbeiter darüber denken, die un- ter Tarif in den Betrieben beschäftigt werden und deren (Joachim Poß [SPD]: Es war etwas differen- Zahl immer weiter zunimmt. zierter! Aber Sie neigen ja zu Vereinfachun- gen, Herr Lafontaine!) (Zuruf von der SPD: So ein wirres Zeug!) (B) – Herr Kollege Poß, früher wussten Sie selber, dass eine Ich rate dazu, nicht alles durch eine rosarote Brille zu (D) Senkung der Lohnnebenkosten immer auch ein Milliar- betrachten. Es ist zwar erfreulich, wenn die Wirtschaft in dengeschenk an die Unternehmen bedeutet. Bewegung kommt – das habe ich mehrfach ausgeführt –, aber es ist unverständlich, dass Sie alles durch eine rosa- (Beifall bei der LINKEN – Joachim Poß [SPD]: rote Brille betrachten. Was denken insbesondere die Aber auch an die Arbeitnehmer!) 50 000 Bediensteten der Telekom, die zum Teil 40 Pro- Nachdem wir in dieser Legislaturperiode schon einmal zent Ihres Einkommens einbüßen, wenn sie Ihre Lo- den Unternehmen durch die Senkung der Lohnneben- beshymnen hören und von den Milliardengeschenken an kosten ein Milliardengeschenk beschert haben, frage ich die Unternehmen erfahren? Diese Frage möchte ich in mich, warum ein Sozialdemokrat angesichts der Ein- den Raum stellen. kommensentwicklung der Arbeitnehmer und Rentner (Beifall bei der LINKEN) weitere Milliardengeschenke an die Unternehmen for- dert. Sie sollten diese Position noch einmal überdenken. Ich möchte noch eine weitere Überschneidung an- sprechen. Erschrecken Sie jetzt nicht, Herr Kollege (Beifall bei der LINKEN – Renate Künast Kolb! [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Machen Sie doch Ihre Therapie woanders! Das ist Ihre Pri- (Zurufe von der FDP: Herr Thiele!) vatgeschichte!) Jetzt wäre die Gelegenheit, die vielen kleinen Unter- nehmen im Einkommensteuertarif zu entlasten, die Die CDU/CSU hat bereits angekündigt, dass in einem zum Teil nicht mehr als 30 000 Euro bis 40 000 Euro Jahr die nächste Unternehmensteuerreform ansteht. Ich Jahresgewinn erzielen. Das wäre auch in ökonomischer bin sicher, dass es dazu kommt. Die nächste Unterneh- Hinsicht sehr viel sinnvoller als die Milliardengeschenke mensteuerreform wird die Unternehmen sicherlich nicht an die Großkonzerne, mit denen Sie sich offensichtlich nur um 130 Millionen Euro entlasten. Es ist jetzt schon so gut verstehen. abzusehen, dass die Geschenke an die Unternehmen ei- nen größeren Umfang haben werden. Ich bin bereit, mit (Beifall bei der LINKEN – Eduard Oswald [CDU/ Ihnen Wetten abzuschließen, dass wir demnächst in die- CSU]: Herr Kolb heißt Herr Thiele!) sem Hause wieder über ein solches Vorhaben diskutie- ren. – Herr Kollege Thiele, ich bitte vielmals um Entschuldi- gung. Ich nehme aber an, es war keine Beleidigung, Sie Es geht aber nicht nur um die Senkung der Lohn- mit dem Kollegen Kolb zu verwechseln. Das war keine nebenkosten und um Ihre weiteren Vorhaben in einem Absicht. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 101. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Mai 2007 10371

Oskar Lafontaine (A) Es wäre jetzt viel sinnvoller, den Einkommensteuer- (Beifall bei der LINKEN – Zuruf von der (C) tarif zu korrigieren und den sogenannten Mittelstands- CDU/CSU: Weil Sie aus dem letzten Jahrhun- bauch zu entfernen. Dies wäre nicht nur sinnvoll für die dert kommen!) vielen Kleinbetriebe, die davon profitieren würden. Es Nun komme ich zur wunderbaren Betrachtung des wäre ebenfalls sinnvoll für die Facharbeiter, die für uns Herrn Bundesfinanzministers zur Abgeltungsteuer. Er nach wie vor zu den Leistungsträgern dieser Gesellschaft hat kühn, wie das so seine Art ist, gesagt – wer wollte gehören – nicht nur die Großkonzerne! ihm da widersprechen? –: (Beifall bei der LINKEN) 25 Prozent auf x sind besser als 42 Prozent auf gar nix. Wenn man zu viel Geld hat, dann kann man das machen. Das ist logisch; dagegen kann niemand etwas sagen. Nur Wenn man schon dabei ist, Unebenheiten im Ein- sind diejenigen, die Geld haben, genauso schlau wie Sie. kommensteuertarif auszugleichen, dann wäre es auch Die sagen sich, dass 0 Prozent auf x in Luxemburg bes- sinnvoll, einen Inflationsausgleich in den Einkommen- ser sind als 25 Prozent in Deutschland. Sie sind genauso steuertarif einzubauen. Das ist in den letzten Jahren ver- schlau wie Sie. Wirklich! nachlässigt worden. Es gab Jahre, in denen die Brutto- (Beifall bei der LINKEN – Christine Scheel zuwächse der Arbeitnehmer unter der Inflationsrate [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Unsinn! – lagen, sodass die damit verbundenen leichten Steuer- Weiterer Zuruf von der FDP: Quatsch!) zuwächse ihr Einkommen noch einmal geschmälert ha- ben. Es gibt in anderen Ländern Beispiele dafür. Ich – Doch, sie sind so. Sie rechnen so, Herr Steinbrück. weiß, dass solche Überlegungen auch einmal in Ihrer Deshalb geht diese wunderbare Rechnung nicht auf. Fraktion angestellt worden sind. Neben der Entlastung Im Übrigen ist es für mich wirklich ein Phänomen der Facharbeiter und Kleinstbetriebe wäre eine Korrek- – wie soll ich Sie anreden? –, verehrte Damen und Her- tur des Einkommensteuertarifs erforderlich. ren der Sozialdemokratie, (Beifall bei der LINKEN) (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Machen Sie doch Ihre private Therapie Ich habe das Freiburger Programm aus folgendem woanders als hier im Plenum!) Grund angesprochen: Wenn Sie schon meinen, bei der Erbschaftsteuer hätten Sie weitere Gründe, Milliarden- dass Sie einfach zustimmen, dass die – leistungslosen – geschenke an die Unternehmen zu geben, dann wäre es Erträge aus dem Geldvermögen steuerlich viel besser be- doch sinnvoll – wenn Sie ökonomische Gründe heran- handelt werden als die harte Arbeit der Arbeitnehmerin- (B) ziehen wollen –, das Vermögen nach zehnjähriger Be- nen und Arbeitnehmer. (D) triebsfortführung nicht beim Erben zu belassen, son- (Beifall bei der LINKEN) dern Anteilsscheine an die Belegschaften auszugeben. Ich verstehe eine solche Fehlentwicklung nicht. Das wäre wirklich einmal eine Innovation, und es wäre dem Rechnung getragen, was Sie alle wollen, dass näm- Als ich gerätselt habe, wie das wohl weitergehen wird lich das Kapital im Unternehmen bleibt und die Arbeit- und wie die einzelnen Fraktionen wohl abstimmen wer- nehmerinnen und Arbeitnehmer am Zuwachs des Pro- den, ist mir zufällig ein Bericht der „Welt Online“ in die duktivkapitals beteiligt werden. Hand gefallen, der mit dem Titel „Wirtschaft investiert am liebsten in die CDU“ überschrieben war. Ich zitiere: (Beifall bei der LINKEN – Lachen bei der CDU/CSU) Im Wahljahr 2005 hat die CDU ihre Spendenein- nahmen fast verdoppelt. Wie aus dem Rechen- – Ihr Lachen, verehrter Herr Kollege – Ihren Namen schaftsbericht der Parteien hervorgeht, geben Wirt- kenne ich leider nicht –, zeigt, dass Sie sehr jung sind. schaftsgrößen und Unternehmen am liebsten Geld Das war vor vielen Jahren Konsens in diesem Hause. für die Union. Und die FDP … Das steht so im Freiburger Programm, wenn Sie das bitte (Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Uns aber noch schön noch einmal nachlesen würden. Wenn Sie bei- zu wenig!) spielsweise die Reden von Karl Schiller – ich wende mich jetzt an die SPD-Fraktion in diesem Hause – noch Dann steht weiter in dem Artikel, dass die SPD und die einmal nachlesen, dann werden Sie sehen, dass es ein Grünen etwas weniger bekommen. Die Linke bekommt großes Problem ist, dass der Zuwachs des Produktivver- natürlich nichts. mögens im Laufe einer langjährigen Betriebsführung al- (Beifall des Abg. Dr. Guido Westerwelle lein den Anteilseignern zugute kommt, obwohl er doch [FDP] und der Abg. Renate Kühnast [BÜND- ebenfalls durch den Fleiß der Mitarbeiterinnen und Mit- NIS 90/DIE GRÜNEN]) arbeiter erarbeitet worden ist. Ich habe das gelesen und mich mit der Frage geplagt, (Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Das war die wieso wir eigentlich nichts bekommen. Union, das waren die Schwarzen!) (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Sie lassen sich doch von der SED be- Warum denken Sie über solche Alternativen überhaupt zahlen, Herr Kollege!) nicht mehr nach? Die Linke vertritt nach wie vor diese Alternativen. Wir dachten, dass die Wirtschaft irgendwie – – 10372 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 101. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Mai 2007

(A) Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Christine Scheel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): (C) Herr Kollege Lafontaine, gestatten Sie eine Zwi- Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle- schenfrage der Kollegin Künast? gen! Zu dieser Therapiestunde sage ich besser nichts. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Oskar Lafontaine (DIE LINKE): Lachen bei der LINKEN) Selbstverständlich. Bitte schön, Frau Kollegin Ich möchte gerne auf das eingehen, was Herr Meister Künast. gesagt hat. Er hat gesagt, die Große Koalition habe die Konjunktur aus dem Keller geholt. Ich sage dazu: Trotz dieser Großen Koalition ist die Konjunktur gut, weil die Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Menschen in diesem Land arbeiten und weil vor allem Sehr geehrter Herr Kollege, bei dem Satz, Sie, die die Auftragslage der Unternehmen gut ist. Wohlgemerkt: Linke, bekämen nichts, ging mir ein historisches Licht trotz dieser Koalition. auf. Sind Sie eigentlich sicher, dass Sie alles, was Sie aus SED-Zeiten illegal mitgenommen haben, zurückgegeben (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) haben? Herr Meister, ich bin froh, sieben Jahre Finanzaus- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, schussvorsitzende gewesen zu sein; denn in dieser Zeit bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP – sind genau die Entscheidungen gefallen, mit denen die Zurufe von der LINKEN: Oh!) Strukturen grundlegend verändert worden sind, sodass wir heute vernünftige Bedingungen auf dem Arbeits- markt und im Steuerrecht vorfinden. Oskar Lafontaine (DIE LINKE): Frau Kollegin Künast, ich kenne die Entwicklung et- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) was besser als jeder andere, weil ich damals im Zentrum Ihre Behauptung, Sie hätten eine wesentliche Struk- war. Deshalb wäre ich an Ihrer Stelle generell etwas vor- turreform durchgeführt, ist reine Augenwischerei. Der sichtig und insbesondere hier noch vorsichtiger. vorliegende Gesetzentwurf ist Stückwerk. In Wirklich- (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- keit stimmen Sie – sowohl aufseiten der Union als auch NEN]: Ich habe nur gefragt!) aufseiten der SPD – diesem Gesetzentwurf in großen Teilen nur mit zusammengebissenen Zähnen zu. Sie haben keine Blockpartei geschluckt und insofern auch kein Vermögen. Aber hier sind Parteien vertreten, (Dr. Norbert Röttgen [CDU/CSU]: Sie würden die ebenfalls eine Blockpartei oder sogar zwei Blockpar- gerne zustimmen!) (B) (D) teien geschluckt haben, die Vermögen hatten. Sie sollten Denn wie wir alle wissen, herrscht ein sehr großes Un- also Ihre Frage den Richtigen stellen. wohlsein angesichts der unkalkulierbaren Auswirkungen (Beifall bei der LINKEN – Renate Künast dieser Reform auf die Unternehmen, aber auch auf die [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo ist Ihr Steuereinnahmen. Um diesen Risiken zu begegnen, ha- Geld?) ben Sie schon angekündigt, dass Sie eine Vielzahl von Überprüfungen vornehmen werden. Deswegen ist es Die Linkspartei wurde juristisch so verfolgt und gejagt, völlig übertrieben, heute zu sagen: Wir haben eine super- dass sie unterschreiben musste, dass jeder Betrag, der große Strukturreform durchgeführt. Das bedeutet, nach auftaucht, dreifach zurückgezahlt wird. Hören Sie also der Reform ist vor der Reform. Ich behaupte, dass diese mit diesen Verdächtigungen auf! Reform nicht lange Bestand haben wird. Es wird in zwei bis drei Jahren substanzielle Korrekturen geben. (Beifall bei der LINKEN – Lachen bei der CDU/CSU – Dr. Norbert Röttgen [CDU/ Wir Grüne haben immer darauf hingewiesen, dass CSU]: Das ist die Opferfraktion der DDR!) diese Reform enorme Mängel hat. Ich mache das einmal an fünf Beispielen deutlich. Erstens. Die Finanzierung Ihr Ablenkungsversuch ist allzu durchsichtig, Frau ist nicht solide. Zweitens. Die Mittelstandslücke ist nicht Kollegin Künast. Auch Ihre Partei ist in der erwähnten geschlossen worden. Drittens. Die Finanzierung ist un- wunderbaren Liste aufgeführt. Es ergibt sich ein merk- systematisch und investitionsfeindlich. Viertens. Die würdiger Zufall: Das Abstimmungsverhalten der betref- Vorzüge der Abgeltungsteuer wurden demontiert. Fünf- fenden Parteien spiegelt in etwa die freundliche Gesin- tens. Die Aktiensparer werden massiv zur Kasse gebe- nung der Wirtschaft gegenüber diesen Parteien wider. ten. (Joachim Poß [SPD]: Pfui!) (Zuruf von der FDP: Richtig!) Das ist natürlich ein reiner Zufall. Aber ich werde weiter Dann zu sagen, diese Reform sei gut, ist einfach darüber nachdenken. falsch. (Anhaltender Beifall bei der LINKEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich werde die einzelnen Punkte belegen. Die Reform Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: ist nicht solide finanziert. Das sagen die Kommunen und Ich gebe das Wort der Kollegin Christine Scheel, die Länder; denn die müssen die Milliardenausfälle Bündnis 90/Die Grünen. verkraften. Ob Steuermehreinnahmen in Höhe von Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 101. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Mai 2007 10373

Christine Scheel (A) 4 Milliarden Euro in dieses Land kommen, weil Sie auf lung hier am Standort. Sie machen das Steuerrecht kom- (C) die Rückverlagerung von Gewinnen aus dem Ausland plizierter und bürokratischer. In Ihrem Gesetzentwurf hoffen, ist zweifelhaft. Das ist das Prinzip Hoffnung. sind 23 neue Mitteilungspflichten vorgesehen. Das Das hat mit der Realität sehr wenig zu tun. spricht eine eigene Sprache. 23 neue Mitteilungspflich- ten bedeuten mehr Bürokratie für die Unternehmen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Die radikale Kürzung der Sofortabschreibungen auf ge- Die Datenbasis ist schlecht. Das wissen wir. Sie set- ringwertige Wirtschaftsgüter belastet 5 Millionen Unter- zen darauf – das, so finde ich, ist das Schwierige an der nehmen in diesem Land mit mehr Bürokratie. Das ist der Situation –, dass konjunkturbedingte Steuermehreinnah- Punkt, an dem Anspruch und Wirklichkeit enorm aus- men die Finanzlöcher dieser Reform verdecken werden. einanderfallen. So wird die SPD-Linke nämlich nie erfahren, was diese (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Reform wirklich gekostet hat. Wenn die Konjunktur wei- und bei der FDP) ter anhält, wird das verwischt. Sie haben gesagt, dass Sie auf den Bestand der Konjunktur hoffen. Damit geben Sie Wir sehen auch, dass die neuen Regeln und die Ent- zu, dass es Finanzrisiken auf allen Ebenen bei dieser Re- scheidungen, die jetzt im Zusammenhang mit den Ände- form gibt. rungsanträgen im Finanzausschuss getroffen worden sind, zahlreiche Fußangeln für die Steuerpflichtigen be- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) reithalten. Zukünftig entscheidet noch stärker als die Der zweite Mangel: Die Reform hat eine Mittel- Höhe des Einkommens die Qualität des Steuerberaters standslücke. Sie behaupten immer, das stimme nicht. oder der Steuerberaterin über die Höhe der Steuerlast. Alle reden von der Entlastung der Kapitalgesellschaften. Das kann doch nicht wahr sein angesichts der Tatsache, Was ist denn eigentlich mit den kleinen und mittleren dass Sie davon reden, mehr Transparenz und eine Ver- Unternehmen, die eine andere Rechtsform haben und die einfachung im Steuerrecht schaffen zu wollen. Am Ende 80 Prozent der Arbeitsplätze in diesem Land stellen und weiß niemand wer, wie die tatsächliche Einkommens- 70 Prozent der Ausbildungsplätze in Deutschland schaf- situation ist. Sie aber stellen sich hin und behaupten, al- fen? Ich weiß, das sind alles altbekannte Zahlen, aber sie les besser gemacht zu haben. Die Qualität des Steuerbe- verdeutlichen eine Tatsache, die heißt: Eine Unterneh- raters wird darüber entscheiden, wie viele Steuern mensteuerreform, mit der Wachstum und Beschäftigung bezahlt werden, in der Zukunft geschaffen und erhalten werden sollen, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – darf nicht an diesen kleinen und mittleren Unternehmen Dr. h. c. [CDU/CSU]: Da vorbei gemacht werden. kennen Sie sich ja aus!) (B) (D) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und das ist nicht in Ordnung für die Zukunft; vielmehr und bei der FDP) sollte die Leistungsfähigkeit ausschlaggebend sein. Genau das tut diese Große Koalition, und sie geht noch Diese Einschätzung hat in der Sachverständigenanhö- weiter; denn die Entlastung von international operieren- rung eine breite Mehrheit der Experten geteilt. Hier et- den Unternehmen wird zu großen Teilen auch von den was anderes darzustellen, grenzt schon wirklich an kleinen Unternehmen in der Bundesrepublik bezahlt. Realitätsverlust. Das ist unfair, und das ist der Punkt, den wir hier an die- Sie haben auch die Vorzüge der Abgeltungsteuer be- ser Stelle massiv kritisieren. nannt. Das vom Finanzminister hier formulierte Ansin- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) nen, zu Vereinfachung, mehr Transparenz und Gleichbe- handlung aller Kapitaleinkünfte zu kommen, ist richtig. Wir haben uns die Zahlen vom Zentralverband des Aber was haben Sie daraus gemacht? Sie haben dafür Deutschen Handwerks und vom Deutschen Industrie- gesorgt, dass Gewinne durch die Veräußerung von Ak- und Handelskammertag sehr genau angesehen und stel- tien einer Sonderbehandlung unterliegen. Diese Abgel- len fest, dass Ihre Aussage, die Sie hier getroffen haben, tungsteuer hat beispielsweise haarsträubende Auswir- nämlich dass diese Unternehmen etwas davon hätten, sie kungen auf die Unternehmensfinanzierung: Durch die thesaurieren und zum Beispiel den Investitionsabzugsbe- Ausgestaltung der Abgeltungsteuer werden Eigenkapi- trag in Anspruch nehmen könnten, genauer betrachtet talfinanzierungen mit fast 50 Prozent doppelt so hoch werden muss. Wenn man sich die Zahlen anschaut, dann besteuert wie Fremdkapitalfinanzierungen, die mit sieht man, dass maximal 12 Prozent aller Unternehmen 25 Prozent besteuert werden. Das ist eine massive steu- überhaupt von diesen Maßnahmen profitieren werden. erliche Benachteiligung. Es lohnt jetzt noch mehr, mit Aber die anderen 88 Prozent zahlen das mit. Das ist Krediten als mit Eigenkapital zu finanzieren. Die Start- nicht in Ordnung. ups, die Wagniskapital dringend brauchen, werden zu- nehmend leer ausgehen. Das kommt hinzu. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Die Finanzierung der Reform ist unsystematisch, Das heißt, Sie haben hier völlig unsystematische und sie ist investitionsfeindlich. Sie ist konzeptionslos, Finanzierungsvorschläge gemacht, um die Wirkung Ih- und sie ist zusammengestoppelt. Die Finanzierungsmaß- rer merkwürdigen Zinsschranke – dieses eigenartige nahmen gefährden – diese Kritik haben wir schon in der Produkt, das in Wirklichkeit kaum jemand versteht – zu ersten Lesung vorgetragen – Forschung und Entwick- mildern. Auf der anderen Seite haben Sie eine Gegen- 10374 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 101. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Mai 2007

Christine Scheel (A) finanzierung vorgenommen, die wahrscheinlich Verwer- nicht. Sie müssten doch mit uns darin übereinstimmen, (C) fungen auf den Finanzmärkten auslösen wird, über die dass es richtig ist, auch in Zukunft die Erbschaftsteuer Sie sich noch die Haare raufen werden. zur Finanzierung des Gemeinwesens in Deutschland – zur Finanzierung von Bildung und Betreuung – einzu- Wir meinen außerdem, dass Schwarz-Rot gegen Per- setzen. Angesichts dessen müssten Sie diesem Entschlie- sonen, die langfristig Geld in Aktien anlegen, völlig ßungsantrag doch zustimmen. ungerechtfertigt vorgeht. Ihr erster Schritt war, den Spa- rerfreibetrag zu halbieren. Ihr zweiter Schritt war, den zu (Beifall bei der SPD – Christine Scheel versteuernden Anteil an Dividenden zu verdoppeln. Ihr [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo ist denn dritter Schritt war, festzulegen, dass beim Verkauf von das Gesetz? – Renate Künast [BÜNDNIS 90/ Aktien anfallende Veräußerungsgewinne – auch solche, DIE GRÜNEN]: Wo ist er denn, der Rechtsan- die langfristig erzielt worden sind – zu einem Viertel spruch?) besteuert werden. Auch das ist Ausdruck einer unkalku- lierbaren Politik. Es schadet der Aktienkultur in Sie regen sich an der falschen Stelle auf. Ich verstehe das Deutschland. Wir befürchten, dass auch die private Al- gar nicht. Ich kann Ihnen auch nicht ersparen, zu sagen, tersvorsorge dadurch Schaden nehmen wird. Es kann dass Sie die Ergebnisse der gemeinsamen Arbeit in sehr doch nicht sein, dass Sie die Bürger jahrelang auffor- kurzer Zeit offenbar vergessen haben. Wir haben doch dern, Altersvorsorge zu betreiben, um anschließend die gemeinsam dafür gesorgt, Steuerkeule zu schwingen. Das ist nicht in Ordnung, und (Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- es ist unfair gegenüber den Menschen in diesem Land, NEN]: Wo ist denn das Gesetz? – Britta die in den letzten Jahren etwas für ihre Altersvorsorge Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: getan haben und dies fortsetzen möchten. Legen Sie mal ein Gesetz vor!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) dass kleine und mittlere Unternehmen, die im Jahr 1998 An die Adresse der SPD gerichtet, möchte ich sagen: noch eine effektive Steuerbelastung von 25,2 Prozent Sie irren, wenn Sie glauben, es gehe hier immer nur um hatten, im Jahr 2005 nur noch 19 Prozent Steuern ge- die Besserverdienenden. Vielmehr geht es auch um zahlt haben. Kleinsparer, um diejenigen, die vermögenswirksame Leistungen beziehen, und um diejenigen, die – Herr (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Beck hat das gesagt – Produktivkapital in Arbeitnehmer- Es ist doch ein Erfolg gewesen, dass wir die Anrechen- hand entstehen lassen wollen. Durch die von Ihnen hier barkeit der Gewerbesteuer auf die Einkommensteuer- getroffenen Maßnahmen wird genau das Gegenteil des- schuld realisiert haben. Ich verstehe gar nicht, wie Sie (B) sen passieren, was gewollt ist. hier agieren. Sie verleugnen das, was Sie an Positivem (D) Abschließend möchte ich noch eine Bemerkung ma- bewirkt haben. Diese Arbeit und die Weichenstellungen, chen. Zu dem vorliegenden Gesetzentwurf gibt es einen die wir in der rot-grünen Koalition vorgenommen haben, Entschließungsantrag zur Reform der Erbschaftsteuer. haben natürlich mit dem gegenwärtigen Aufschwung zu Die SPD ist nur dann bereit, diesem Gesetzesentwurf tun. heute zuzustimmen, wenn dieser Entschließungsantrag (Beifall bei der SPD – Christine Scheel angenommen wird. Ich kann Ihnen nur sagen: Dieses Pa- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das habe ich pier hätten Sie sich sparen können. Die Annahme dieses doch gesagt!) Entschließungsantrags schafft keinerlei Rechtssicher- heit. Ich finde, es ist eine politische Frechheit, in dieser Ebenso ist nicht zu leugnen, dass das „Binnenkonjunk- Situation – kleine und mittlere Unternehmen sollen an turprogramm“, das wir in der Großen Koalition aufge- Nachfolger übergeben werden und Erbschaftsfolgen ste- legt haben, sehr wohl die Binnenkonjunktur beflügelt hen an – einen Entschließungsantrag vorzulegen, dessen hat. Wenn man die Länderanteile mitrechnet, sind es Annahme nichts als einen Placeboeffekt zur Folge hat. 37 Milliarden Euro gewesen. Fragen Sie doch bei der Das zeigt im Prinzip nur, dass das Misstrauen in der Gro- KfW und woanders! Natürlich hat die Politik den gegen- ßen Koalition sehr groß ist. Dieser Entschließungsantrag wärtigen Wirtschaftsaufschwung befördert, und das ist hilft denjenigen, die auf ein solches Gesetz warten und auch gut so. Dazu kann man stehen. die endlich Rechtssicherheit haben wollen, überhaupt nicht. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]) Danke schön. Ein Wort vielleicht zu Herrn Lafontaine. Es lohnt sich (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) nicht, glaube ich, mehr an ihn zu verschwenden. – Herr Lafontaine, die SPD ist seit 143 Jahren der Aufklärung Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: verpflichtet, nicht der Täuschung. Bei Ihnen ist das um- Ich gebe das Wort dem Kollegen Joachim Poß, SPD- gekehrt. Fraktion. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Zurufe von der LINKEN) Joachim Poß (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! – Bei Ihnen ist es aber Absicht; Sie sind ja nicht sachun- Frau Kollegin Scheel, ich verstehe Ihre Aufregung gar kundig. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 101. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Mai 2007 10375

Joachim Poß (A) Was ist der eigentliche Skandal? Der Skandal ist, dass möglichst großen Einnahmeausfällen für Bund, Länder (C) Sie und andere von Milliardengeschenken sprechen, wo und Gemeinden geführt hätten. Ich will jetzt eigentlich es um ganz etwas anderes geht. Es geht darum – Sie ken- keine Beispiele nennen. Aber die Vorschläge des Sach- nen sicherlich die Studie des DIW –, dass auf der Grund- verständigenrats oder der Stiftung Marktwirtschaft hät- lage des geltenden Rechts bis zu 100 Milliarden Euro an ten zu Ausfällen von bis zu 40 Milliarden Euro geführt. Gewinnen, die bei uns in Deutschland erwirtschaftet Das ist für uns nicht darstellbar. Das ist weder für die werden, im Ausland zur Versteuerung ankommen. Weil Länder noch für die Kommunen, noch für den Bund zu es uns gemeinschaftlich nicht gelungen ist – das ist verkraften. Deswegen haben wir ein Reformkonzept ge- schon seit Ihrer Zeit als Finanzminister so –, in Europa zimmert, das wirklich an die Probleme herangeht und einen Rahmen zu schaffen, der das verhindert. Das ist nicht so viel kostet. die Realität, und diese Realität müssen wir verändern. Die Diskussion über die 5 Milliarden Euro ist eine (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Diskussion mit Scheingenauigkeit. Natürlich stimmt der CDU/CSU) das: Wir haben derzeit eine Dynamik in der wirtschaftli- chen Entwicklung, die genau dazu führen wird, dass wir Selbst wenn Sie eine absolute Mehrheit in Bundestag bei der Gewerbesteuer schon im Jahr 2009 in absoluten und Bundesrat hätten, müssten Sie den Status quo verän- Zahlen ein höheres Aufkommen haben werden als im dern, um die Gerechtigkeitslücke, mit der wir es gegen- Jahr 2007. Bei der Körperschaftsteuer spätestens 2010, wärtig zu tun haben, zu schließen. möglicherweise aber schon 2009. Deswegen trifft diese Es wird DAX-Unternehmen geben – wir wollen da Debatte, die auch in der SPD geführt wurde – man keine Namen nennen –, die jetzt zum ersten Mal richtig braucht hier kein Schattenboxen zu veranstalten –, nicht Steuern zahlen werden, die jetzt nämlich das Gemeinwe- den Kern dessen, worum es hier geht. Es geht uns um die sen nicht mitfinanzieren. Das ist auch der Kern dessen, Sicherung der deutschen Steuerbasis bei gleichzeitiger was wir in sehr konstruktiver Atmosphäre in der Großen Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit und bei gleich- Koalition, in einer Arbeitsgruppe mit Roland Koch und zeitiger Förderung von Investitionen in Deutschland, die Peer Steinbrück an der Spitze, zustande gebracht haben. wiederum Arbeitsplätze sichern und helfen, neue zu Wir haben uns um die wirklichen Probleme gekümmert. schaffen. Das ist der Kern der Reform, für die wir hier Wir haben auf ideologische Schaukämpfe verzichtet. In stehen. Die Sozialdemokraten können stolz auf diese Re- diesem Geist lief es auch im Finanzausschuss des Deut- form sein. schen Bundestages. Es gab nur wenige substanzielle (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Veränderungen – trotz lautstarker Forderungen verschie- denster Lobbygruppen nach weitaus größeren Eingriffen Deshalb stehen wir auch zu dem, was wir mit dem (B) in die geplante Reform. Koalitionspartner vereinbart haben. Es gibt keine zu (D) hohe effektive Belastung. Darüber brauchen wir gar Fakt ist, auch daran muss man erinnern: Die Gewinn- nicht zu reden. Es geht hier um nominale Steuersätze. situation ist glänzend. Das führt Gott sei Dank dazu, dass Das DIW und auch andere Institutionen sagen: Leute, die Unternehmen derzeit – Herr Thiele, offenbar miss- wenn ihr das verändern wollt, dann müsst ihr mit den fällt Ihnen das – so viel Steuern zur Finanzierung des nominalen Steuersätzen runter, dann müsst ihr entspre- Gemeinwesens zahlen wie seit Jahren oder Jahrzehnten chende Instrumente schaffen. Wie diese wirken werden, nicht mehr. Und das ist auch gut so. wird man abwarten müssen. Ich bin hier vorsichtig. Es (Beifall bei der SPD) ist die Frage, wie die Zinsschranke wirken wird. Wir ma- chen die Gewerbesteuer mit den Hinzurechnungen stabi- Das entspricht dem Maßstab der Besteuerung nach der ler. Das ist eine sozialdemokratische Vorstellung, für die wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit. Daran gibt es einige – unter anderem ich – seit drei Jahrzehnten kämp- nichts zu kritisieren. Wer gut verdient, soll auch Steuern fen. Das, was bislang nicht durchzusetzen war, setzen zahlen. Das tun die Unternehmen Gott sei Dank. Allein wir jetzt in der Großen Koalition durch. Nicht umsonst bei der Gewerbesteuer waren das im letzten Jahr äußert sich der Städtetag so positiv über das, was wir 38 Milliarden Euro brutto. hier erarbeitet haben. Also: Es geht nicht um einen Milliardensegen für (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Konzerne, sondern um die Schließung der Gerechtig- Er weiß, dass die Kommunen jetzt aus der Gefahr keitslücke, wie ich das beschrieben habe. Wir haben die sind, in der sie sich seit Jahrzehnten befunden haben. Länder im Vorfeld einbezogen. Das führt dazu, dass wir Diese Gefahr bestand darin, mit einer Gewerbesteuer le- auf Verhandlungen im Vermittlungsausschuss verzichten ben zu müssen, die immer ertragsabhängiger und immer können. Das hat auch Vorteile. Die Konstellation der konjunkturanfälliger wurde. Jetzt haben wir das Gegen- Großen Koalition war hilfreich, um die ideologischen teil erreicht. Das, was hier realisiert wurde, ist ein star- Beschränkungen und Polarisierungen zu überwinden, kes Stück sozialdemokratischer Steuerpolitik. die die steuerpolitische Debatte im Land in den vergan- genen Jahren geprägt haben. (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Das kann man wohl sagen!) Diese Standortdebatte war irrational. Sie hat dem Standort – das muss man eindeutig sagen – eher gescha- – Daher Ihre Kritik. Ich will nicht sagen, ich bin stolz det. Von all den Reformvorschlägen, die da gemacht darauf, denn das wäre das falsche Wort, aber als jemand, worden sind, galten nur diejenigen als mutig, die zu der seit 27 Jahren genau das will, was wir heute 10376 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 101. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Mai 2007

Joachim Poß (A) verabschieden, bin ich damit einverstanden. Das werden ein solides Stück Arbeit der Großen Koalition. Wir sind (C) Sie verstehen. Wir sind im Sinne der Programmatik vo- die wirklichen Probleme mit Entschlossenheit und rangekommen, die im Jahre 2003 in unserer Partei be- Augenmaß angegangen, wobei insbesondere den Be- schlossen worden ist. Gemessen an diesen Maßstäben, dürfnissen des Mittelstandes Rechnung getragen wurde. sind wir vorangekommen. Ich sage, das ist gut so. Wir Gleiches gilt für die weitere Konsolidierung der öffentli- beseitigen eine Gerechtigkeitslücke. chen Haushalte. Das Ding kann sich sehen lassen. Es gibt keine Mittelstandslücke. Darauf ist der Kol- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten lege Dr. Meister schon eingegangen. Mit der Gewerbe- der CDU/CSU) steuer haben wir jetzt die eigentliche Unternehmen- steuer. Die Bedeutung der Körperschaftsteuer nimmt ab, Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: weil sie so gestaltungsanfällig ist und weil der Europäi- Ich gebe das Wort dem Kollegen Dr. Hermann Otto sche Gerichtshof uns ein Urteil nach dem anderen be- Solms, FDP-Fraktion. schert, die alle zu Steuerausfällen führen werden. Der Europäische Gerichtshof nimmt überhaupt keine Rück- Dr. Hermann Otto Solms (FDP): sicht auf die Haushaltssituation. Das, was wir heute ver- Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten abschieden, ist eine Selbstschutzmaßnahme für den Damen und Herren! Ich möchte mich zunächst entschul- Standort Deutschland. Auch deshalb ist es neben all den digen, dass ich zu spät gekommen bin. Das war ver- anderen Argumenten, auf die ich eingegangen bin und kehrsbedingt; in Berlin war die Autobahn gesperrt, und die genannt worden sind, richtig, am heutigen Morgen Ja ich saß im Stau. zu sagen. Zu dieser Reform ist zu sagen: Der Name „Reform“ (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der ist eine glatte Übertreibung. Es ist keine Reform, son- CDU/CSU) dern ein Steueränderungsgesetz mit guten und schlech- Es liegt ein Entschließungsantrag zur Erbschaft- ten Teilen. Der gute Teil ist einfach zusammengefasst: steuer vor. Dazu habe ich eingangs schon etwas gesagt. Das ist die Tarifsenkung der Körperschaftsteuer um Auch mit diesem sind wir sehr einverstanden. Der An- 10 Prozentpunkte auf 15 Prozent. Damit, Herr Finanz- trag enthält alle Festlegungen, die wir 2003 auf dem minister, geben Sie ausdrücklich zu, dass die Forderung Bochumer Parteitag im Zusammenhang mit der Erb- der FDP nach einer wettbewerbsfähigen Besteuerung in schaftsteuer beschlossen haben. Wir bekräftigen auch Europa und in der globalisierten Welt richtig war, dass bei der Erbschaftsteuer den Maßstab der Besteuerung wir die deutschen Unternehmen nicht höher besteuern nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit. dürfen, als sie in den anderen Industriestaaten im Durch- (B) schnitt besteuert würden. Insofern ist das eine richtige (D) (Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Entscheidung. NEN]: Wo ist das Gesetz?) (Beifall bei der FDP) – Gibt es da etwas zu kritisieren, Frau Scheel? Wenn die- ser Maßstab bekräftigt wird, dann ist das doch wohl rich- Aber jetzt kommt der andere Aspekt dieser Steuerre- tig. Wir wollen doch das Gleiche wie Sie. Wir wollen form, nämlich: Sie darf nichts kosten; die Steuersenkung Regelungen, die den Betriebsübergang nicht erschweren. darf die Haushalte der öffentlichen Hand nicht belasten. Darauf wird man sich doch verständigen können. In ei- Das ist die Quadratur des Steuerkreises; das ist über- nen Entschließungsantrag kann man kein Gesetz schrei- haupt nicht machbar. Weil das nicht machbar ist, kommt ben. Dort kann man nur Eckpunkte aufgreifen. so ein Murks heraus wie der, den Sie uns hier vorlegen. (Dr. Peter Struck [SPD]: Richtig!) (Beifall bei der FDP) Über das Aufkommen waren wir im Dissens. Wir wer- Dieser Aspekt führt nämlich dazu, dass Sie, anstatt die den sehen, wie sich das entwickelt. Das hängt von der Bemessungsgrundlage zu verbreitern – da ist ja auch Ausgestaltung ab. Wir werden sehen, welche Bewertun- nicht mehr sehr viel übriggeblieben, und an die Bestand- gen die Länder vornehmen. teile, die noch da sind, trauen Sie sich nicht heran, bei- spielsweise die Steuerfreiheit der Sonntags-, Feiertags- (Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- und Nachtarbeitszuschläge –, neue Steuertatbestände er- NEN]: Das ist genau das Problem, dass Sie das finden. Sie gehen dazu über, systematisch Kostenele- nicht wissen!) mente in die Besteuerungsgrundlage einzubauen, in der Gewerbesteuer genauso wie in der Körperschaftsteuer Die Länder sind auf einem guten Weg. Ich glaube, es und der Einkommensteuer. gibt in diesen Tagen in Husum schon einen Zwischenbe- richt. Ich bin zuversichtlich, dass wir in der Großen Ko- Das hat fatale Auswirkungen; alition auch das schaffen werden. Jedenfalls ist die Un- sicherheit aus der öffentlichen Debatte genommen (Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Sehr richtig!) worden. Durch den Entschließungsantrag wird die Unsi- denn von der Steuerentlastung wird am Ende nichts cherheit noch weiter genommen. übrig bleiben. Bei den 5 Milliarden Euro, um die sich die SPD gestritten hat, können Sie ganz ruhig bleiben: Mein Fazit lautet also: Die Unternehmensteuerreform ist kein Wunschkonzert für Lobbyisten geworden. Sie ist (Joachim Poß [SPD]: Bei Ihnen bleiben wir kein Geschenk an Konzerne und reiche Anleger, sondern auch immer ruhig!) Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 101. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Mai 2007 10377

Dr. Hermann Otto Solms (A) Es wird ein Steuermehraufkommen geben, keine Steuer- Die Aktiensparer werden belastet. Das Investieren ins (C) entlastung. Nur, das Verheerende an diesen Vorschlägen Risiko wird nahezu doppelt so hoch besteuert wie das In- ist, dass Sie damit in die Wirtschaftsstrukturen, die Un- vestieren in risikoarme Zinsprodukte. Dadurch, dass Sie ternehmensstrukturen, die Finanzierungsstrukturen der das Halbeinkünfteverfahren abgeschafft haben, muss der Unternehmen eingreifen; Sie behandeln und belasten die Aktionär die Dividende versteuern. Diese wird also erst Unternehmen vollkommen unterschiedlich. Das führt im Unternehmen mit 30 Prozent besteuert, dann bei der erstens dazu, dass die Unternehmen, die Wirtschaft ihre Ausschüttung noch einmal mit 25 Prozent Abgeltung- Steuerentlastung selbst bezahlen müssen, und zweitens steuer. Dann muss man noch den Soli und die Kirchen- dazu, dass ausgerechnet die Unternehmen belastet wer- steuer hinzurechnen. Schon liegt man bei 50 Prozent. Ist den, die das auf keinen Fall vertragen können: Die kapi- das etwa vernünftig? Mit Ihrer Reform bewirken Sie talschwachen, erwerbsschwachen, gewinnschwachen eine totale Fehllenkung der Kapitalströme in Deutsch- Unternehmen, die forschungsintensiven Unternehmen, land. die jungen Unternehmen, die noch kein Eigenkapital aufbauen konnten, werden die Zeche bezahlen. Das wer- (Beifall bei der FDP) den Sie noch bitter bereuen; das sage ich Ihnen. Schließlich bleibt auch der liberale Rechtsstaat auf (Beifall bei der FDP) der Strecke, weil Sie Ihre Zusage, dass das Kontenab- rufverfahren eingestellt wird, nicht einhalten werden. Sie Seit wann weiß denn der Finanzminister besser, wie verschaffen dem Fiskus sogar Vorteile gegenüber ande- ein Unternehmen optimal finanziert wird, als das Unter- ren Gläubigern, was die Vollstreckung angeht. Denn der nehmen selber? Das ist ein völlig neuer Ansatz. Sie grei- Fiskus kann zugreifen, bevor die anderen Gläubiger in- fen direkt in die Finanzierungsstrukturen der Unterneh- formiert sind. men ein. (Beifall bei der FDP) Ich will ein paar Beispiele nennen, bei denen die ne- gativen Auswirkungen zum Tragen kommen: Abschließend möchte ich sagen: Wir haben der Steu- erreform 2000, die unter Rot-Grün und Herrn Eichel auf Die Handelsunternehmen haben geklagt. Sie haben den Weg gebracht wurde, zugestimmt und ihr im Bun- im letzten Moment noch einmal geschrieben. Warum die desrat sogar zur Mehrheit verholfen. Es ist also nicht so, Klage? Weil die Immobilien der Handelsunternehmen dass wir kategorisch alles ablehnen, was auf dem Tisch gemietet oder geleast sind. Nun werden die Miet- und liegt. Aber dieser Reform können wir nicht zustimmen. Leasingkosten Bestandteil der Besteuerungsgrundlage. Das ist eine fundamentale Belastung für die Handelsun- Herr Kollege Meister, wir haben – es ist nicht so, dass ternehmen und wird sich ganz schädlich auch auf den wir nichts vorgelegt haben – einen Entwurf für eine inte- (B) (D) Ausbau und Erhalt der Innenstädte auswirken. grierte Reform der Unternehmensteuer sowie der Ein- kommen- und Lohnsteuer im Bundestag eingebracht; er (Beifall bei der FDP) liegt nun im Finanzausschuss. Das ist eine echte Reform. Die Leasinggesellschaften verlieren teilweise ihre Exis- Aber dafür gibt es keine Mehrheit. Deswegen ergibt es tenzgrundlage. Sie haben uns gesagt, sie werden ihren keinen Sinn, weiter darüber zu beraten. Sitz ins Ausland verlagern müssen, wenn das umgesetzt Wir warten auf die nächste Wahl und die nächste Le- wird, was im Gesetzentwurf steht. gislaturperiode. Ich sage Ihnen, dass es eine Beteiligung Große Personenunternehmen werden trotz der The- der FDP an einer Regierung nur geben wird, wenn damit saurierungsrücklage schlechter als Kapitalgesellschaf- eine echte Reform in Richtung eines einfachen und ver- ten behandelt. Die Mittelstandslücke bleibt sehr wohl; ständlichen Steuerrechts verbunden ist, durch die alle was Herr Meister gesagt hat, stimmt nicht. Der Bundes- Bürger und Unternehmen entlastet werden. wirtschaftsminister hat recht, der das auf den Tisch ge- Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. bracht hat. Natürlich bleibt eine Mittelstandslücke. Sie wird durch die Veränderungen, die Sie jetzt vorgenom- (Beifall bei der FDP) men haben, nur etwas kleiner. Überhaupt bestätigen Sie durch Ihre Veränderungen, dass unsere Kritikpunkte be- Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: rechtigt waren. Nur, wenn Sie negative Auswirkungen Nächster Redner ist der Kollege Georg Fahrenschon, reduzieren, bleibt das Ganze ja immer noch negativ; es CDU/CSU-Fraktion. wird nichts Positives daraus. Deswegen sind diese Ände- rungsvorschläge in Ordnung, aber sie lösen das Problem (Beifall bei der CDU/CSU) nicht. Georg Fahrenschon (CDU/CSU): Ich habe von der Mittelstandslücke gesprochen. Aber Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und die jungen Unternehmen oder Unternehmen in Existenz- Herren! Das Ziel der heute zur Abstimmung vorliegen- not, Sanierungsfälle, werden aufgrund der Mantelkauf- den Reform der Besteuerung von Unternehmen ab dem entscheidungen nicht mehr saniert werden können. Dann 1. Januar 2008 ist es, die Rahmenbedingungen für werden die Vermögensgegenstände herausgekauft, das Wachstum und Beschäftigung zu verbessern. Denn mit Unternehmen geht unter, und die Arbeitnehmer bleiben der Reform wollen wir bestehende Arbeitsplätze sichern auf der Strecke. Das ist die Konsequenz Ihrer Politik. und darüber hinaus neue Unternehmen mit neuen Ar- (Beifall bei der FDP) beitsplätzen für Deutschland gewinnen. 10378 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 101. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Mai 2007

Georg Fahrenschon (A) Wir wollen die Attraktivität des Investitionsstand- Ausfälle als 5 Milliarden Euro möglich, ohne dabei die (C) ortes Deutschland im internationalen Wettbewerb ver- kommunale Ebene zu belasten. bessern. Das gelingt uns auch; denn mit der Senkung der Drittens. Wir wollten im Vergleich zu früheren Refor- Gesamtsteuerbelastung für Unternehmen um 10 Prozent- men von Steuersystematiken bereits mindestens ein hal- punkte auf unter 30 Prozent – genauer gesagt: auf bes Jahr vor Inkrafttreten dieser Reform die gesetzgebe- 29,83 Prozent – liegen wir im Vergleich mit den wichti- rischen Arbeiten beendet haben, damit sich die gen Industriestandorten Europas endlich wieder im Mit- Wirtschaft und die steuerberatenden Berufe und alle an- telfeld: deren Beteiligten gut auf die neuen Systeme vorbereiten (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- können. neten der SPD) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Frankreich 33,1 Prozent, Italien 32,8 Prozent und die neten der SPD) Niederlande 31,2 Prozent. Deutschland liegt sogar noch Alle diese drei Ziele haben wir erreicht. Wir haben darunter. darüber hinaus im Verlauf der parlamentarischen Bera- (Eduard Oswald [CDU/CSU]: So ist es!) tungen noch an der einen oder anderen Stelle Verbesse- rungen erzielen können. Mit dem heute vorliegenden Das ist das Signal. Unser Fazit lautet daher: Wir haben Gesetzentwurf haben wir für den deutschen Mittelstand, das Ziel erreicht. die landwirtschaftlichen Bereiche sowie investitions- Bezogen auf die einbehaltenen Gewinne gibt es kei- offensive Branchen wie Forschung und Entwicklung nen Unterschied mehr zwischen Kapitalgesellschaften noch einmal Verbesserungen durchsetzen können. Ich einerseits und Personengesellschaften andererseits. bedanke mich an dieser Stelle bei allen Beteiligten für die Arbeiten an den Details, die wir meines Erachtens Mit der heutigen Schlussabstimmung ist allerdings zur Zufriedenheit abschließen konnten. die finanzpolitische Arbeit in Deutschland nicht beendet. Die Unternehmensteuerreform stellt einen guten und Ich will auf nur wenige Punkte eingehen: Auf der wichtigen Zwischenstand, aber eben nur einen Zwi- Seite der Gegenfinanzierung wird die Beschränkung des schenstand dar. Wir halten uns deshalb auch an die Ideen Zinsabzugs auf 30 Prozent des Gewinns vor Steuern und und Initiativen des Bundeswirtschaftsministers Michael Zinsaufwendungen um die Rechenbasis Steuern, Zins- Glos. aufwendungen und Abschreibungen, EBITDA, erwei- tert. Das ist ein gutes und wichtiges Zeichen, weil wir (Eduard Oswald [CDU/CSU]: Guter Mann!) der betriebswirtschaftlichen Notwendigkeit Rechnung An dieser Stelle dürfen wir uns nicht auf unseren Lor- tragen, dass Investitionen teilweise auch fremdfinanziert (B) (D) beeren ausruhen. Das nächste Ziel in der Finanzpolitik werden müssen. Insbesondere wird durch diese Verände- muss die Senkung der Einkommensteuerbelastung rung die Wirkung der Zinsschranke für wesentliche sein. Branchen, auf dem Finanzmarkt für die Leasingbranche, im Norden für die Werften, aber auch für das Factoring (Beifall bei der CDU/CSU) und Public-Private-Partnership-Projekte, deutlich. Denn was für die Unternehmensteuerreform 2008 (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- gilt, gilt natürlich auch als Argument für sinkende Ein- neten der SPD) kommensteuern. Eine geringe Steuerlast erhöht erstens die Investitionsbereitschaft im Mittelstand, der überwie- Bei der Gewerbesteuer ging der Referentenentwurf gend im System der Einkommensteuer veranlagt wird, pauschal von einer Hinzurechnung von 25 Prozent aller und zweitens die Attraktivität des Standortes für alle Ar- Zinsen, Skonti und Boni sowie der Finanzierungsanteile beitnehmerinnen und Arbeitnehmer. aus Mieten, Pachten und Leasingraten aus. Bei dem pau- schalen Satz auf Mobilien konnten wir uns auf einen Angesichts der überdurchschnittlichen Wachstums- niedrigeren Satz, auf einen Satz von 20 Prozent, einigen. entwicklung und einer erfolgreich fortschreitender Kon- Auch die Einbeziehung von Skonti und Boni ist hier solidierung des Bundeshaushaltes geht es an dieser vom Tisch. Stelle nicht um Populismus oder um den großzügigen Spendieronkel, sondern es geht um die Tatsache, dass Der Gesetzentwurf sah ursprünglich zudem vor, dass eine Senkung der Einkommensteuerlast auch aus haus- bilanzierende Betriebe mit einem Betriebsvermögen von halterischen und aus ökonomischen Gesichtspunkten der bis zu 210 000 Euro in den Genuss der neuen Investi- einzig richtige Weg ist. tionsabzugsregelung nach § 7 g EStG kommen. Hier konnten wir gemeinsam das Größenmerkmal auf (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) 235 000 Euro erhöhen und die Investitionsfrist auf drei Bezogen auf die Ihnen heute zur Abstimmung vorlie- Jahre verlängern. Das ist ein wichtiges Zeichen für den gende Reform der Unternehmensbesteuerung standen deutschen Mittelstand. von Anfang an drei Eckpunkte fest: (Beifall bei der CDU/CSU) Erstens. Wir wollten die Gesamtsteuerbelastung auf Für den Bereich der Landwirtschaft konnte durchge- unter 30 Prozent senken. setzt werden, dass die Betriebsgröße nicht mehr durch Zweitens. Im Entstehungsjahr waren uns angesichts den Wohnungswert des Landwirts beeinflusst wird. Da- des Zieles der Haushaltskonsolidierung keine höheren mit wird der relevante Einheitswert in der Regel um Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 101. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Mai 2007 10379

Georg Fahrenschon (A) 90 Prozent entlastet. Dies ist ebenfalls von nicht uner- steht unserer Auffassung nach angesichts verbesserter (C) heblicher Bedeutung für die deutsche Landwirtschaft. Konjunktur- und Haushaltslage eine Senkung der Ein- kommensteuer – entweder über die Anpassung der (Beifall bei der CDU/CSU – Eduard Oswald Freibeträge oder über die Senkung des Eingangssteuer- [CDU/CSU]: Das ist ein sehr wichtiger satzes – auf der Tagesordnung. Punkt!) (Beifall des Abg. [CDU/ Trotz dieser guten Ergebnisse unserer Beratungen CSU]) bleibt natürlich eine Handvoll von Arbeitsfeldern offen, Stichwort: Private Equity. Aus Sicht der CDU/CSU- Gerade während der jetzigen, positiven konjunkturellen Bundestagsfraktion sind die vom BMF vorgelegten Eck- Lage ist es nicht nur möglich, sondern auch nötig, beide punkte zwar ein erster Schritt. Aber die Vorschläge des Ziele – die Konsolidierung des Staatshaushalts einerseits BMF markieren erst den Anfang der Debatte und nicht und eine Entlastung der Bürger durch eine Senkung der den Schluss. Einkommensteuer andererseits – weiter zu verfolgen. Dies müssen wir zumindest beginnen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Im Hinblick auf die Stichworte „Verlustverrechnung“ Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: und „Mantelkauf“ muss es aufgrund der zentralen be- Herr Kollege, Sie müssen zum Ende kommen. triebswirtschaftlichen Funktion der Verlustverrechnung das Ziel sein, die Verluste mindestens in Höhe der vor- handenen stillen Reserve auch in Zukunft nutzbar zu ma- Georg Fahrenschon (CDU/CSU): chen, weil wir sonst den Unternehmen die Möglichkeit Frau Präsidentin, ich komme zum Schluss. – Vor dem zu wichtigen Entwicklungen verwehren. Das kann nicht Hintergrund dessen, dass angesichts der Steuermehrein- unser Ziel sein, wenn wir für Wachstum und Beschäfti- nahmen mittlerweile Wunschlisten kursieren, möchte ich gung in Deutschland sind. für die CSU-Landesgruppe festhalten: Wir sind eher da- ran interessiert, eine Diskussion über zukünftige Steuer- (Beifall bei der CDU/CSU) sätze zu führen – Bezogen auf das Thema „Funktionsverlagerung“ ha- ben wir selbstverständlich Verständnis für weltweit ab- Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: gestimmte Verfahren. Aber wir haben in der Vergangen- Herr Kollege! heit richtig gehandelt, wenn wir europäische Richtlinien an keiner einzigen Stelle über eine Eins-zu-eins-Umset- Georg Fahrenschon (CDU/CSU): (B) zung hinaus umgesetzt haben. Deshalb werden wir in – als eine Debatte über weitere Ausgabenerhöhungen. (D) Zukunft gemeinsam mit dem Bundesrat darauf achten, in diesem Punkt keinen deutschen Sonderweg zuzulassen. Herzlichen Dank. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Eduard Oswald [CDU/CSU]: Sehr gut!) neten der SPD) Stichwort Erbschaftsteuer. Die Ihnen vorliegende Entschließung setzt den Rahmen für die weiteren Bera- Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: tungen. Der Kollege Poß hat zu Recht darauf hingewie- Nächster Redner ist der Kollege Reinhard Schultz, sen, dass die Länderfinanzminister auf ihrer Jahresta- SPD-Fraktion. gung die Arbeiten abschließen werden. Aber eines ist für (Beifall bei Abgeordneten der SPD) die CSU/CDU-Bundestagsfraktion klar: Mehreinnah- men aus der Erbschaftsteuer haben wir nicht vereinbart; Reinhard Schultz (Everswinkel) (SPD): der Text der Koalitionsvereinbarung lautet anders. Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Eduard Es ist sicherlich keine prägende Eigenschaft des Kolle- Oswald [CDU/CSU]: Text ist Text!) gen Fahrenschon, den ich als sachlichen und sachkundi- gen Mitkämpfer auf allen Steuergebieten, insbesondere Last, but not least, bleibt – insbesondere, aber nicht auf dem Gebiet der Unternehmensteuern, sehr schätze, nur im Zusammenhang mit der Veränderung der Grenze dafür, was geringwertige Wirtschaftsgüter sind – das (Eduard Oswald [CDU/CSU]: Da haben Sie Thema Bürokratieabbau aktuell. Daran werden wir uns recht!) heute nicht messen lassen können, weil wir eine Gegen- finanzierung brauchten. Aber die Frage des Abbaus von mit einer Friedenspalme herumzulaufen. Eher fordert er Bürokratie im deutschen Steuersystem wird uns auch in uns zu neuen Auseinandersetzungen heraus. Deswegen Zukunft beschäftigen. möchte ich zunächst einmal anmerken: Wir sollten froh und glücklich sein, dass wir diese bedeutende Reform (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – der Großen Koalition – im Gegensatz zu manch anderen Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Das kann man sa- Reformen – in dieser Legislaturperiode sachorientiert, gen! Gerade nach diesem Gesetz!) konstruktiv, still und leise und im Ergebnis gut über die Bühne gebracht haben. Ich will zum Schluss nochmals betonen: Neben den erfolgreichen Arbeiten an der Unternehmensbesteuerung (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) 10380 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 101. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Mai 2007

Reinhard Schultz (Everswinkel) (A) Natürlich, nach dem Spiel ist vor dem Spiel. Ich gesichts unserer Infrastruktur, der Qualifikation unserer (C) werde keine Prognosen darüber abgeben, ob in der Mitte Arbeitskräfte und der Sicherheit in diesem Land ist des nächsten Jahrzehnts noch einmal über die Einkom- Deutschland insgesamt gesehen sehr attraktiv, und zwar mensteuer geredet wird oder, gegebenenfalls früher, über sowohl für deutsche Unternehmen als auch für ausländi- die Belastung von Arbeitnehmern durch Sozialversiche- sche Investoren. rungsbeiträge. Was ich allerdings schon sagen kann, ist: Wir wissen, dass die Körperschaftsteuer gestaltungs- Im Zusammenhang mit Private Equity wird es mit anfällig ist und auch künftig unter Wettbewerbsdruck Sicherheit nicht dazu kommen, dass durch unternehme- stehen wird. Deswegen haben wir die Verhältnisse zwi- rische Entscheidungen initiierte große Verluste über das schen Körperschaftsteuer und Gewerbesteuer umge- Steuerrecht und somit durch die Gemeinschaft, durch kehrt. Wir haben die Gewerbesteuer aufgebohrt und zur den Fiskus abgesichert werden. Das wird nicht passie- eigentlichen Unternehmensteuer gemacht. Das ist die ren. große strukturelle Veränderung, die wir mit der Unter- (Beifall bei der SPD) nehmensteuerreform vornehmen. Das zur Abgrenzung des Terrains und der Claims. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Ich glaube, dass die Unternehmensteuerreform eine Durch maßvolle Hinzurechnung von Zinsen, Pachten, steuerpolitische Antwort auf die Globalisierung ist, Leasingraten und Lizenzgebühren haben wir die Gewer- ähnlich wie die Reform der Sozialversicherungssysteme besteuer weitgehend konjunkturunanfällig gemacht. Wir eine Antwort auf die Herausforderung des veränderten haben stabile finanzwirtschaftliche Rahmenbedingungen Altersaufbaus ist. Erst durch die Globalisierung, durch für unsere Städte und Gemeinden geschaffen. global aufgestellte Unternehmen und durch den Steuer- (Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des wettbewerb einzelner Länder konnte es zu Verschiebe- Abg. Dr. Norbert Röttgen [CDU/CSU]) bahnhöfen kommen, wurden die Unternehmen in die Lage versetzt zu entscheiden, wo sie Steuern bezahlen Bedenken wir, dass sich im Jahr 2005, vor der Bun- wollen. Wir wollen die Internationalisierung unserer destagswahl, die großen politischen Lager gegenüber- Wirtschaft, wir sind stolz auf ihre Wettbewerbsfähigkeit. standen, von denen eines die Gewerbesteuer vollständig Aber wir wollen auch, dass sich erfolgreiche deutsche abschaffen wollte. Darüber kann man sich heute eigent- Konzerne an der Finanzierung der Staatsausgaben ange- lich nur noch die Augen reiben. Die Gewerbesteuer wird messen beteiligen. so stark sein wie noch nie. Angesichts ihrer Bedeutung für das Steueraufkommen insgesamt wird sie in den (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) nächsten Jahrzehnten nicht so schnell wieder zur Dispo- (B) Ich denke, das erreichen wir mit dieser Steuerreform. sition gestellt werden können. Auch das ist ein ganz (D) Für die willkürliche Fremdfinanzierung schaffen wir wichtiges Ergebnis dieser Operation. Grenzen und Regeln. (Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des (Unruhe – Eduard Oswald [CDU/CSU] zur Abg. Eduard Oswald [CDU/CSU]) SPD gewandt: Jetzt hört doch eurem Redner Die deutschen Unternehmen brauchen eine bessere zu! – Gegenruf des Abg. Joachim Poß [SPD]: Eigenkapitalausstattung und mehr Investitionskraft. Wir hören doch zu!) Das gilt insbesondere für den Mittelstand, und zwar so- – Wenn sich Herr Scholz und Ihr Fraktionsvorsitzender wohl für die Körperschaften als auch für die Personen- etwas zu erzählen haben, höre ich natürlich gerne zu. unternehmen. Das, was wir zustande gebracht haben, die verbesserte Besteuerung thesaurierter Gewinne von Kör- (Eduard Oswald [CDU/CSU]: Wird schon perschaften und Personenunternehmen, ist eine Einla- wichtig sein!) dung zum Investieren. Durch den Investitionsabzugsbe- – Es wird schon wichtig sein; das denke ich mir auch. trag haben wir ferner dafür gesorgt, dass nicht so ertragsstarke Unternehmen leichter investieren können. Durch die vernünftige Bewertung der in das Ausland Auch das ist eine Strukturreform. verbrachten Patente und Verfahren sowie durch eine Nachbesteuerung von Nutzungsrechten und Lizenzge- Personenunternehmen sind von der Gewerbesteuer schäften ziehen wir Grenzen ein. Wir erreichen dadurch, in Zukunft so gut wie überhaupt nicht mehr betroffen. dass alle, Bund, Städte und Gemeinden, von den wirt- Sofern man Einkommensteuerzahler ist, wird sie voll- schaftlichen Früchten der Globalisierung profitieren und ständig neutralisiert. Auch das ist ein Ergebnis, das man nicht einige arm und nackt am Rande stehen, während den Unternehmen einmal offen mitteilen sollte. andere sich ausschließlich privat bereichern. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Der Mittelstand ist Gewinner der Unternehmensteuer- Wir wissen, dass es einen weltweiten Steuerwettbe- reform. Er wird echt und dauerhaft entlastet. Manche, werb zwischen den Wirtschaftsstandorten gibt. Deswe- insbesondere die FDP, sprechen von der sogenannten gen stehen wir zur Unternehmensteuerreform und zur „Mittelstandslücke“. Sie entpuppt sich bei näherer Be- Senkung des Steuersatzes auf unter 30 Prozent. Auch ich trachtung als demagogischer Flop. glaube, dass wir mit einem Steuersatz von unter 30 Prozent auf einem guten Mittelfeldplatz liegen. An- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 101. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Mai 2007 10381

Reinhard Schultz (Everswinkel) (A) Mit der Unternehmensteuerreform haben wir insge- Es reicht nicht, Herr Kollege Solms, sich hierhin zu stel- (C) samt 30 Milliarden Euro umgeschichtet. Wir haben len und zu sagen: Die Senkung der Körperschaftsteuer 30 Milliarden Euro in die Steuersatzsenkung gesteckt. von 25 auf 15 Prozent tragen wir mit – Sie wissen, dass 25 Milliarden Euro haben wir aufwachsend in die Ge- das 20 Milliarden Euro kostet –, die Gegenfinanzierung genfinanzierung gesteckt. Dabei mussten natürlich aber nicht. Das ist keine verantwortungsvolle Politik. Ich Operationen vorgenommen werden, die sich für einige bin von den Freien Demokraten tief enttäuscht. Betroffene zunächst einmal unangenehm auswirken kön- nen. Ich sage aber ganz deutlich: In einer wachsenden, (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und stabilen Konjunktur, bei einem Aufschwung, wie wir ihn der SPD – Zurufe von der FDP: Oh!) zurzeit erleben, ist es angesichts sehr niedriger Steuer- sätze nicht zwingend erforderlich, Investitionen durch Wir standen vor folgender schwierigen Frage: Sie die Aufrechterhaltung der degressiven Abschreibung zu wissen, dass wir in Deutschland mit einer nominellen fördern. Bei einem solchen Aufschwung finanzieren sich Besteuerung von circa 39 Prozent die Spitzenposition in Investitionen selbst. Europa haben. Sie kennen die Veröffentlichungen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, die besa- (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der gen, dass dieser Tatbestand dazu führt, dass Gewinne in CDU/CSU) Höhe von etwa 100 Milliarden Euro in Deutschland ent- Das ist auch keine Aussage bis ans Ende aller Tage, aber stehen, aber nicht in Deutschland versteuert werden. Vor im Rahmen eines Aufschwungs – da bin ich ein alter diesem Hintergrund war es notwendig – ich glaube, das Keynesianer – ist es nicht zwingend erforderlich. Da ist wird hier mit Ausnahme der Linken von niemandem be- der niedrige Steuersatz die zentrale Einladung. zweifelt –, die nominellen Steuersätze auf unter 30 Prozent zu senken. Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Wir sind uns sicher einig, dass wir diese Vergünsti- Herr Kollege, denken Sie bitte an Ihre Redezeit. gung auch auf die Personengesellschaften übertragen müssen. Diese beiden Wohltaten – Kollege Poß hat da- Reinhard Schultz (Everswinkel) (SPD): rauf hingewiesen – kosten Steuerausfälle in Höhe von Ja. – Ich denke: Starkes Wirtschaftswachstum, starke 30 Milliarden Euro. Das ist nicht finanzierbar. Wir haben Unternehmen, steigendes Eigenkapital, hohe Investitio- von Anfang an gesagt: Das Ziel „Sanierung der öffentli- nen, mehr Beschäftigung und zugleich stabile öffentliche chen Finanzen“ hat eine hohe Bedeutung. Deshalb haben Haushalte und gut ausgestattete Städte und Gemeinden – wir uns in der Großen Koalition geeinigt, von diesen das ist ein Bild von einer schönen Zukunft für unser 30 Milliarden Euro 25 Milliarden Euro gegenzufinanzie- (B) Land. Dazu trägt die Unternehmensteuerreform ent- ren; so nennen es die Fachleute. Das war eine schwierige (D) scheidend bei. Aufgabe. Ich finde, es ist eine tolle Leistung, dass es der Großen Koalition gelungen ist, dieses Ziel zu erreichen (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) und heute ein Reformwerk vorzulegen, das nur die ver- einbarten Steuerverluste in Höhe von 5 Milliarden Euro Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: mit sich bringt. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben jetzt noch einen Redner mit neun Minuten Redezeit. Im Saal (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- sind genügend Plätze für alle Kolleginnen und Kollegen neten der SPD) vorhanden. Diejenigen, die sich unterhalten wollen, mö- gen das bitte außerhalb des Saales tun. Ich habe in der ersten Lesung von dieser Stelle aus für meine Fraktion gesagt, dass wir bei fünf Punkten Dis- Ich gebe dem letzten Redner, dem Kollegen Otto kussionsbedarf haben. Ich kann heute sagen, dass wir bei Bernhardt, CDU/CSU, das Wort. all diesen fünf Punkten zu Veränderungen gekommen sind, ohne die 5 Milliarden Euro infrage zu stellen. Die (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- entscheidende Veränderung bezog sich auf das Instru- neten der SPD) ment der Zinsschranke. Es ist nicht so, dass es dieses Instrument im Rest der Welt nicht gibt – ganz im Gegen- Otto Bernhardt (CDU/CSU): teil –, aber die ursprüngliche Form brachte die Gefahr Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und mit sich, dass Firmen, die besonders viel investieren, Herren! Wir verabschieden heute eines der ganz großen „bestraft“ werden. Deshalb haben wir in die Bemes- Reformvorhaben der Großen Koalition. sungsgrundlage die Abschreibung mit einbezogen. Das (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- war der Wunsch der Fachwelt. Ich glaube, nun kann man neten der SPD) mit der Zinsschranke einigermaßen leben. Ich habe in dieser Debatte in den Beiträgen der Redner (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) der drei Oppositionsfraktionen keine schlüssige Alter- native zu unserem Reformprojekt gehört. Zweiter Punkt. Wir alle waren entsetzt über die hohen Bürokratiekosten, die im ursprünglichen Entwurf ge- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- nannt worden sind. Ich kann heute die Aussage machen, neten der SPD – Dr. [DIE LINKE]: Wir verzichten!) (Zuruf von der FDP: Das bleibt so!) 10382 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 101. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Mai 2007

Otto Bernhardt (A) dass das neue Gesetz zu weniger Bürokratiekosten führt Zwei große Ziele haben wir mit diesem Gesetz er- (C) als die jetzige Rechtslage. Das ist ein hervorragendes Er- reicht, ein drittes nicht: Wir haben erstens erreicht, dass gebnis, auf das wir von der Großen Koalition stolz sind. die Steuersätze in Deutschland für Firmen jetzt im euro- päischen Standard liegen. Wir haben zweitens erreicht, (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) dass wir mit der Abgeltungsteuer ein modernes Instru- Dritter Punkt. Ich kann das Thema Mittelstandslücke ment für die Besteuerung von Kapitalerträgen haben. nicht mehr hören. Ein drittes Ziel haben wir nicht erreicht, und da ist die (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Kritik berechtigt. Wir wollten eine gemeinsame Bemes- der SPD) sungsgrundlage für die Körperschaftsteuer und für die Gewerbesteuer schaffen. Aber die Meinungen innerhalb Es entspricht nicht den Tatsachen. Das wird auch durch der Großen Koalition gingen zu weit auseinander, um zu Wiederholungen nicht wahr. Das Europäische Zentrum einer entsprechenden Lösung zu kommen; dies bedauern für Wirtschaftsforschung – nicht wir, nicht die Sozialde- wir. Aber ein Gesetz darf auch einen Schönheitsfehler mokraten – hat ganz klar gesagt: Diese Steuerreform haben, wenn der Rest in Ordnung ist. kommt im Wesentlichen gerade dem Mittelstand zugute, weil die Gegenfinanzierungsmaßnahmen den Mittel- Ich stelle abschließend fest: Die Große Koalition legt stand nicht treffen. Wir haben die Maßnahmen für den heute ein zukunftsweisendes Konzept zur Unterneh- Mittelstand weiter verbessert. Vor diesem Hintergrund mensbesteuerung vor. Dieses Konzept wird den Wirt- ist dies ein mittelstandsfreundliches Gesetz. Darauf le- schaftsstandort Deutschland weiter stärken. Es ist letzt- gen wir Wert. Sonst hätten unsere Mittelständler nicht lich ein Beitrag zur Sicherung vorhandener und zur zugestimmt. Schaffung neuer Arbeitsplätze. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Eduard Oswald [CDU/CSU]: Darum geht es! Der vierte Punkt ist ein sehr schwieriger. Er betrifft Das ist das Ziel! Die Schaffung neuer Arbeits- die Frage der Vernichtung von Verlustvorträgen. Hier plätze!) haben wir ein Spezialproblem. Das bezieht sich auf Wagniskapital bei Existenzgründungen und Unterneh- Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: mungen, die für Wagniskapital infrage kommen. Wir werden im Private-Equity-Gesetz die notwendigen Vo- Wir kommen zur Abstimmung über die von den Frak- raussetzungen dafür schaffen, dass in diesen Fällen die tionen der CDU/CSU und der SPD sowie von der Bun- desregierung eingebrachten Entwürfe eines Unterneh- (B) Verlustvorträge erhalten bleiben, wie sie auch bei Sanie- (D) rungen erhalten bleiben; auch das haben wir geregelt. mensteuerreformgesetzes 2008. Zu dieser Abstimmung liegt uns eine Vielzahl persönlicher Erklärungen nach Letzter Punkt, die Funktionsverlagerung. Hierzu ha- § 31 unserer Geschäftsordnung vor.1) ben wir uns innerhalb der Großen Koalition darauf geei- nigt – so steht es im Bericht des Finanzausschusses –, Der Finanzausschuss empfiehlt unter Nr. 1 seiner Be- dass sich die deutschen Maßstäbe für die Funktionsver- schlussempfehlung auf Drucksache 16/5452, die ge- lagerung am europäischen Standard zu orientieren ha- nannten Gesetzentwürfe der Fraktionen der CDU/CSU ben. Ich glaube, auch damit kann man hervorragend und der SPD auf Drucksache 16/4841 sowie der Bundes- leben. regierung auf Drucksache 16/5377 zusammenzuführen und als Entwurf eines Unternehmensteuerreformgeset- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und zes 2008 in der Ausschussfassung anzunehmen. der SPD – Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Verhal- Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der tener Beifall!) Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzei- Meine Damen und Herren, ich glaube allerdings, dass chen. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Ge- Frau Professor Hey Recht hat, wenn sie in einem Kom- setzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stim- mentar schreibt: Diese Steuersenkungen geben uns nur men der Koalition bei Gegenstimmen der Opposition einen Freiraum für einige Jahre. – Sie können jetzt schon angenommen. feststellen, dass andere europäische Länder folgen. Vor Dritte Beratung diesem Hintergrund unterstützen wir das Bemühen des Bundesfinanzministers, innerhalb der EU dafür zu sor- und Schlussabstimmung. Die Fraktionen der CDU/CSU gen, dass die Bemessungsgrundlage für die Besteuerung und der SPD verlangen namentliche Abstimmung. Ich und möglichst auch die Steuersätze in einem bestimmten weise darauf hin, dass nach dieser namentlichen Abstim- Rahmen festgelegt werden. Auf Dauer können wir die mung weitere Abstimmungen folgen. Sätze nicht weiter senken. Sonst werden wir mit dem Ziel der Staatssanierung in Konflikt kommen. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. Sind die Plätze an (Beifall des Abg. Lothar Binding [Heidelberg] den Urnen besetzt? – Das ist der Fall. Ich eröffne die Ab- [SPD]) stimmung. Das ist ein sehr wichtiger Punkt für alle weiteren Überle- gungen. 1) Anlagen 4 bis 9 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 101. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Mai 2007 10383

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner (A) Ist ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Nr. 5 sei- (C) Stimme noch nicht abgegeben hat? – Das ist nicht der ner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/5452 die Fall. Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schrift- Ablehnung des Antrags der Fraktion des Bündnisses 90/ führerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu Die Grünen auf Drucksache 16/4310 mit dem Titel „Ver- beginnen. Das Ergebnis der namentlichen Abstimmung lässliche und aussagekräftige Datenbasis für die Ermitt- wird Ihnen später bekannt gegeben.1) lung der Unternehmensteuern erfassen“. – Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, die Plätze Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den einzunehmen, weil ich die Abstimmungen fortsetzen Stimmen der Koalition bei Gegenstimmen der Opposi- möchte. – Das gilt auch für die Kolleginnen und Kolle- tion angenommen. gen vor der Bank der CDU/CSU. Ich rufe Tagesordnungspunkt 31 auf: Wir kommen zur Abstimmung über die Entschlie- ßungsanträge. Unterrichtung durch den Parlamentarischen Bei- rat für nachhaltige Entwicklung Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD auf Drucksache 16/5480? – Bericht des Parlamentarischen Beirats für Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Entschlie- nachhaltige Entwicklung ßungsantrag ist mit den Stimmen von SPD und CDU/ „Demographischer Wandel und nachhaltige CSU bei Gegenstimmen der FDP und einiger der Frak- Infrastrukturplanung“ tion Die Linke sowie Enthaltung einiger der Fraktion Die Linke und Enthaltung der Fraktion des Bündnis- – Drucksache 16/4900 – ses 90/Die Grünen angenommen. Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (f) Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Frak- Finanzausschuss tion der FDP auf Drucksache 16/5481? – Wer stimmt da- Ausschuss für Wirtschaft und Technologie gegen? – Enthaltungen? – Der Entschließungsantrag ist Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und bei Zustimmung der FDP gegen die Stimmen des Rests Verbraucherschutz des Hauses abgelehnt. Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Wir setzen die Abstimmungen zu der Beschlussemp- Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und fehlung des Finanzausschusses auf Drucksache 16/5452 Entwicklung fort. Ausschuss für Tourismus

(B) Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 2 seiner Be- Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die (D) schlussempfehlung auf Drucksache 16/5452 die Ableh- Aussprache eine Stunde vorgesehen. – Ich höre keinen nung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Druck- Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. sache 16/5249 mit dem Titel „Unternehmen leistungsge- recht besteuern – Einnahmen der öffentlichen Hand stär- Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Parla- ken“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – mentarische Staatssekretär Achim Großmann. Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die Beschluss- empfehlung ist mit den Stimmen von SPD, Bündnis 90/ Achim Großmann, Parl. Staatssekretär beim Bun- Die Grünen, CDU/CSU und FDP bei Gegenstimmen der desminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: Fraktion Die Linke angenommen. Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Bundesregierung ist dem Parlamentarischen Beirat Unter Nr. 3 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt dafür dankbar, dass er sich dem wichtigen Thema „De- der Ausschuss, den Antrag der Fraktion Die Linke auf mografischer Wandel“ zugewandt und dem Bundestag Drucksache 16/4857 mit dem Titel „Unternehmen leis- einen Bericht vorgelegt hat. tungsgerecht besteuern – Einnahmen der öffentlichen Hand stärken“ für erledigt zu erklären. Wer stimmt für Wenngleich sich der Bericht mit seinen Empfehlun- diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – gen auf die nachhaltige Infrastrukturplanung – also Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stadt- und Raumentwicklung, Mobilität und technische, Stimmen des ganzen Hauses angenommen. leitungsgebundene Infrastruktur – konzentriert, so will ich von Beginn an unterstreichen, dass eine erfolgreiche Weiterhin empfiehlt der Ausschuss unter Nr. 4 seiner Gestaltung des demografischen Wandels nur dann ge- Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der lingt, wenn sie politik-, ressort- und ebenenübergreifend Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen auf Druck- erfolgt. Sie muss auf der Grundlage eines Gesamtkon- sache 16/4855 mit dem Titel „Unternehmensteuerreform zepts stattfinden. für Investitionen und Arbeitsplätze“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – (Vorsitz: Vizepräsidentin ) Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Die Zahlen des Statistischen Bundesamtes zur Pro- Stimmen der Fraktionen Die Linke, der SPD und der gnose der Bevölkerungsentwicklung bis 2050 sind be- CDU/CSU bei Gegenstimmen des Bündnisses 90/Die sorgniserregend. Sie gehen davon aus, dass die Bevölke- Grünen und Enthaltung der FDP angenommen. rung in ganz Deutschland bei Fortsetzung der aktuellen demografischen Entwicklung von fast 82,5 Millionen 1) Ergebnis siehe Seite 10835 C Einwohnern im Jahr 2005 auf bis zu knapp 69 Millionen 10384 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 101. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Mai 2007

Parl. Staatssekretär Achim Großmann (A) Einwohner im Jahr 2050 abnehmen wird. In den alten nungs- und Städtebau, bei denen es um kind-, alters- und (C) Ländern wird eine Abnahme um 14 Prozent erwartet. familiengerechte Städte geht, alternative ÖPNV- und Ein besonders dramatischer Bevölkerungsrückgang ist in Mobilitätskonzepte und neue Anforderungen an die Ver- den neuen Ländern abzusehen. Bis 2050 – so die Zahlen kehrssicherheit und Fahrzeugtechnik im Zuge der Alte- des Statistischen Bundesamtes – wird von einem weite- rung der Bevölkerung. ren Rückgang um fast ein Drittel ausgegangen. Ausge- hend vom Zeitpunkt der Wiedervereinigung würde sich (Zuruf von der LINKEN: Tempolimit!) damit die Bevölkerungszahl in den neuen Bundesländern Im Sommer 2007 wird das BMVBS zudem mit zwei bis 2050 halbieren. von der demografischen Entwicklung besonders betrof- Der allgemeine Bevölkerungsrückgang geht mit ei- fenen Regionen in den neuen Ländern ein Projekt zur nem deutlichen Rückgang der Zahl der Menschen im Zukunftsgestaltung der Daseinsvorsorge in diesen Ge- erwerbsfähigen Alter einher. 2050 wird nach den Pro- bieten starten. Dieses Projekt findet bereits großen Zu- gnosen nur noch etwa jeder zweite Einwohner im er- spruch und soll Best-Practice-Ansätze für andere Regio- werbsfähigen Alter sein. In Ostdeutschland werden dann nen in den alten und den neuen Ländern liefern. auf 100 Erwerbsfähige nicht mehr wie heute 35, sondern Ferner hält die Bundesregierung an ihrem Ziel fest, 80 Rentnerinnen und Rentner kommen. dass 2008 bei 98 Prozent aller deutschen Haushalte Parallel zum Bevölkerungsrückgang und zur Alterung breitbandiger Internetzugang über Festnetz, Kabel oder werden weiterhin innerdeutsche Wanderungen zwi- terrestrische Funktechnologie möglich sein soll. Trotz schen den alten und den neuen Ländern sowie innerhalb einer bereits heute hohen Gesamtverfügbarkeit haben der einzelnen Länder mit einem Wanderungsgewinn zu- immer noch über 1 Million Haushalte in Deutschland gunsten wachstumsstärkerer Regionen stattfinden. Die- keine kostengünstige Breitbandanschlussmöglichkeit. ser Trend wird die Problemlage in den peripheren Regio- Fast 700 Gemeinden sind nur über Satellit mit breitban- nen zusätzlich verschärfen. Die Siedlungsdichte in den digem Internet versorgbar. Jetzt geht es um die ländli- ländlichen Regionen wird weiter abnehmen, was unmit- chen Regionen, die sogenannten weißen Flecken. Die telbare Konsequenzen für die Wirtschaftlichkeit, Tragfä- Bundesregierung wird zur weiteren Erschließung Unter- higkeit und Erreichbarkeit der verkehrlichen, techni- stützung bei der Inanspruchnahme öffentlicher Förder- schen und sozialen Infrastrukturen vor Ort hat. mittel anbieten; ich denke zum Beispiel an die Struktur- und Regionalfonds der EU. Denn Breitbandzugänge er- Alle diese Fakten liegen vor. Wir haben also – und möglichen eine bessere Teilnahme aller Bürgerinnen und zwar schon seit geraumer Zeit – kein Erkenntnisproblem Bürger an unserer Informations- und Wissensgesell- mehr. Dennoch werden sich diese langfristigen Entwick- schaft. Das wird immer wichtiger. (B) lungen auch durch eine noch so erfolgreiche Politik (D) kaum verhindern, sondern nur abmildern lassen. Erst in Ich habe von einer Doppelstrategie gesprochen. Des- einer sehr langfristigen Perspektive könnte erfolgreiche halb will ich auch den zweiten Ansatz schildern. Wir Politik zu einer Trendwende hin zu einer höheren Gebur- müssen mit unserer Infrastrukturpolitik aktive Stand- tenrate und damit zu einem Sinken des Durchschnittsal- ortpolitik im Interesse der Regionen und ihrer Zukunfts- ters führen. Entscheidende Voraussetzung dafür bleibt fähigkeit betreiben. Die Aufwertung der Städte und Re- aber, dass die Menschen in unserem Land Zutrauen in gionen, die Stärkung der Wachstumszentren und die die Politik, in die Zukunftsfähigkeit unserer Gesellschaft Anbindung der sie umgebenden Regionen sind im globa- und mithin auch in ihre eigene Lebensplanung haben. len Wettbewerb wirtschafts- und gesellschaftspolitisch von höchster Priorität. Unsere Politik muss unter dem Primat des sozialen und regionalen Zusammenhalts in unserer Gesellschaft Städte und Regionen sind Zentren der Innovation und eine Doppelstrategie verfolgen: Einerseits müssen wir konzentrieren die Stärken Deutschlands im internationa- uns damit beschäftigen, wie wir Strukturen der len Wettbewerb. Ohne lebenswerte Städte und Regionen Daseinsvorsorge bündeln und anpassen und dabei noch mit einer attraktiven Infrastruktur werden wichtige Rah- kreativere, flexiblere und mobilere Lösungen einsetzen menbedingungen für eine positive wirtschaftliche Ent- können. Dazu werden wir unser raumordnerisches Prin- wicklung und für die Schaffung gleichwertiger Lebens- zip der zentralen Orte fortentwickeln und mehr regionale verhältnisse in unserem Land nicht mehr erfüllt. Das gilt Kooperationen der Leistungserbringer in der Daseins- für die Entwicklung ansässiger und die Gewinnung vorsorge vor Ort anregen. Mit dem Beschluss der Raum- neuer Unternehmen genauso wie für das Halten und das ordnungsministerkonferenz im vergangenen Jahr zu den Gewinnen von Fachkräften. neuen Leitbildern der Raumordnung haben wir einen Die vielfältigen Auswirkungen der Bevölkerungsent- ersten Schritt in diese Richtung unternommen. wicklung sind vielerorts als Tatsachen anerkannt. Als Darüber hinaus hat das Bundesministerium für Ver- kontinuierlicher Prozess erfordert dies aber ständig neue kehr, Bau und Stadtentwicklung in den vergangenen Jah- Antworten, die langfristig orientierte Strategien, Kon- ren bereits seine Programme und Modellprojekte auf zepte und Maßnahmen immer wieder auf den Prüfstand diese neue Zielsetzung ausgerichtet. Ich nenne zum Bei- stellen. Alle Politikfelder und -ebenen einschließlich ih- spiel die Städtebauförderung und die Stärkung der In- rer Investitions- und Förderinstrumente müssen demo- nenstädte, den Stadtumbau Ost und West mit der Förder- grafiefest gemacht werden. Die Überprüfung dieser möglichkeit des Rückbaus technischer Infrastrukturen, Instrumente muss in immer kürzeren Abständen stattfin- die Programme Soziale Stadt und Experimenteller Woh- den, weil sich immer schneller Trends entwickeln, die in Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 101. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Mai 2007 10385

Parl. Staatssekretär Achim Großmann (A) diese Prognosen eingearbeitet werden müssen; sonst ge- Vielen Dank, dass Sie mir zugehört haben. (C) hen wir in die falsche Richtung. Anpassungen und Um- bau müssen schrittweise, aber mit zunehmender Ver- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) bindlichkeit und fachlicher Integration angegangen werden. Die Bündelung von Kräften, die Qualitätssiche- Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: rung und die regionale Anpassung der Infrastruktur rü- cken dabei in den Mittelpunkt. Bevor ich dem nächsten Redner das Wort erteile, komme ich zurück zum Tagesordnungspunkt 30 a und Die Bundesregierung hat bereits eine Vielzahl der gebe das von den Schriftführerinnen und Schriftführern Empfehlungen des Parlamentarischen Beirats aufgegrif- ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung fen und wird diese in Zukunft weiterhin aktiv bearbeiten. über den Entwurf des Unternehmensteuerreformgesetzes Gerade die Infrastrukturpolitik wird im Interesse der 2008 bekannt: Abgegebene Stimmen: 557. Mit Ja haben Nachhaltigkeit weiterhin ihren Beitrag sowohl für An- gestimmt: 391. Mit Nein haben gestimmt: 149. Enthal- passungs- wie auch für Präventionsstrategien leisten. tungen: 17. Der Gesetzentwurf ist damit angenommen.

Endgültiges Ergebnis Hartwig Fischer (Göttingen) Dr. Hans-Heinrich Jordan Stefan Müller (Erlangen) Abgegebene Stimmen: 557; Dirk Fischer (Hamburg) Dr. Bernward Müller (Gera) davon Axel E. Fischer (Karlsruhe- Andreas Jung (Konstanz) Land) Bartholomäus Kalb Dr. Georg Nüßlein ja: 391 Dr. Hans-Werner Kammer Franz Obermeier nein: 149 Klaus-Peter Flosbach Eduard Oswald enthalten: 17 Bernhard Kaster Dr. Hans-Peter Friedrich Siegfried Kauder (Villingen- Rita Pawelski Ja (Hof) Schwenningen) Dr. Peter Paziorek Erich G. Fritz Ulrich Petzold CDU/CSU Jochen-Konrad Fromme Dr. Dr. Michael Fuchs Jürgen Klimke Sibylle Pfeiffer Ulrich Adam Hans-Joachim Fuchtel Julia Klöckner Ilse Aigner Dr. Jens Koeppen Peter Albach Dr. Jürgen Gehb Kristina Köhler (Wiesbaden) (B) Dorothee Bär Manfred Kolbe Daniela Raab (D) Thomas Bareiß Norbert Königshofen Dr. Rolf Koschorrek Dr. Peter Ramsauer Günter Baumann Ralf Göbel Hartmut Koschyk Peter Rauen Ernst-Reinhard Beck Dr. Reinhard Göhner Michael Kretschmer Eckhardt Rehberg (Reutlingen) Josef Göppel Veronika Bellmann Peter Götz Dr. Günter Krings Dr. Heinz Riesenhuber Dr. Dr. Wolfgang Götzer Dr. Martina Krogmann Franz Romer Otto Bernhardt Johann-Henrich Johannes Röring Krummacher Kurt J. Rossmanith Hermann Gröhe Dr. Hermann Kues Dr. Norbert Röttgen Dr. Maria Böhmer Michael Grosse-Brömer Andreas G. Lämmel Dr. Christian Ruck Markus Grübel Dr. (Weiden) Wolfgang Börnsen Manfred Grund Katharina Landgraf Peter Rzepka (Bönstrup) Monika Grütters Dr. Max Lehmer Anita Schäfer (Saalstadt) Dr. Karl-Theodor Freiherr zu Hermann-Josef Scharf Klaus Brähmig Guttenberg Dr. Andreas Scheuer Michael Brand Olav Gutting Eduard Lintner Karl Schiewerling Holger Haibach Norbert Schindler Dr. Gerda Hasselfeldt Dr. Michael Luther Georg Schirmbeck Monika Brüning Ursula Heinen (Altötting) Uda Carmen Freia Heller Wolfgang Meckelburg Christian Schmidt (Fürth) Gitta Connemann Dr. Michael Meister Andreas Schmidt (Mülheim) Leo Dautzenberg Jürgen Herrmann Dr. (Berlin) Bernd Heynemann Laurenz Meyer (Hamm) Dr. Ernst Hinsken Maria Michalk Dr. Ole Schröder Thomas Dörflinger Dr. h. c. Hans Michelbach Bernhard Schulte-Drüggelte Marie-Luise Dött Robert Hochbaum Philipp Mißfelder (Lübeck) Klaus Hofbauer Dr. Eva Möllring Wilhelm Josef Sebastian Georg Fahrenschon Franz-Josef Holzenkamp Joachim Hörster Dr. Gerd Müller Kurt Segner Dr. Hans Georg Faust Anette Hübinger Hildegard Müller Bernd Siebert Hubert Hüppe Carsten Müller Ingrid Fischbach Susanne Jaffke (Braunschweig) 10386 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 101. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Mai 2007

Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt (A) Petra Ernstberger Dirk Manzewski Jörn Thießen (C) Karin Evers-Meyer Lothar Mark Franz Thönnes Christian Freiherr von Stetten Annette Faße Simone Violka Jörg Vogelsänger Rainer Fornahl Hilde Mattheis Dr. Marlies Volkmer (Heilbronn) Gabriele Frechen Petra Merkel (Berlin) Hedi Wegener Hans Peter Thul Dr. Matthias Miersch Petra Weis Peter Friedrich Ursula Mogg Gunter Weißgerber Dr. Hans-Peter Uhl Marko Mühlstein Arnold Vaatz Detlef Müller (Chemnitz) (Wiesloch) Volkmar Uwe Vogel Iris Gleicke Michael Müller (Düsseldorf) Dr. Rainer Wend Andrea Astrid Voßhoff Günter Gloser Gesine Multhaupt Lydia Westrich Renate Gradistanac Franz Müntefering Dr. Kai Wegner Angelika Graf (Rosenheim) Dr. Rolf Mützenich Andrea Wicklein Marcus Weinberg Dieter Grasedieck Dr. Dieter Wiefelspütz Peter Weiß (Emmendingen) Engelbert Wistuba Gerald Weiß (Groß-Gerau) Holger Ortel Waltraud Wolff Achim Großmann Heinz Paula (Wolmirstedt) Karl-Georg Wellmann Wolfgang Grotthaus Johannes Pflug Heidi Wright Annette Widmann-Mauz Wolfgang Gunkel Joachim Poß Klaus-Peter Willsch Hans-Joachim Hacker Christoph Pries Manfred Zöllmer Elisabeth Winkelmeier- Dr. Wilhelm Priesmeier Becker Klaus Hagemann Florian Pronold Nein Alfred Hartenbach Dr. Dagmar Wöhrl Michael Hartmann SPD Wolfgang Zöller (Wackernheim) (Cottbus) Willi Zylajew Nina Hauer Maik Reichel Dr. Carola Reimann Rüdiger Veit SPD Rolf Hempelmann Christel Riemann- FDP Dr. Lale Akgün Dr. Barbara Hendricks Hanewinckel Petra Heß Karin Roth (Esslingen) Ingrid Arndt-Brauer Stephan Hilsberg Michael Roth (Heringen) Daniel Bahr (Münster) (Essen) Uwe Barth (B) (Neuruppin) Gerd Höfer Marlene Rupprecht Rainer Brüderle (D) (Wismar) (Tuchenbach) Ernst Burgbacher Dr. Hans-Peter Bartels Frank Hofmann (Volkach) Anton Schaaf Patrick Döring Eike Hovermann Axel Schäfer (Bochum) Mechthild Dyckmans Sören Bartol Klaas Hübner Bernd Scheelen Jörg van Essen Sabine Bätzing Christel Humme Ulrike Flach Brunhilde Irber Otto Fricke Johannes Jung (Karlsruhe) Dr. Frank Schmidt Paul K. Friedhoff Dr. (Aachen) (Bayreuth) Johannes Kahrs Silvia Schmidt (Eisleben) Dr. Edmund Peter Geisen Dr. h. c. Susanne Kastner (Nürnberg) Dr. Wolfgang Gerhardt Lothar Binding (Heidelberg) Heinz Schmitt (Landau) Hans-Michael Goldmann Carsten Schneider (Erfurt) Miriam Gruß Hans-Ulrich Klose Joachim Günther (Plauen) Astrid Klug Reinhard Schultz Dr. Christel Happach-Kasan Dr. Dr. Bärbel Kofler (Everswinkel) Heinz-Peter Haustein Klaus Brandner (Spandau) Fritz Rudolf Körper Birgit Homburger (Hildesheim) Karin Kortmann Michael Kauch Rolf Kramer Dr. Angelica Schwall-Düren Dr. Heinrich L. Kolb Hellmut Königshaus Ernst Kranz Rita Schwarzelühr-Sutter Gudrun Kopp Dr. Michael Bürsch Nicolette Kressl Wolfgang Spanier Heinz Lanfermann Volker Kröning Dr. Margrit Spielmann Harald Leibrecht Marion Caspers-Merk Dr. Hans-Ulrich Krüger Jörg-Otto Spiller Ina Lenke Dr. Angelika Krüger-Leißner Dr. Ditmar Staffelt Sabine Leutheusser- Helga Kühn-Mengel Schnarrenberger Martin Dörmann Ute Kumpf Rolf Stöckel Michael Link (Heilbronn) Dr. Carl-Christian Dressel Dr. Uwe Küster Dr. Peter Struck Markus Löning Elvira Drobinski-Weiß Joachim Stünker Horst Meierhofer Christian Lange (Backnang) Dr. Rainer Tabillion Patrick Meinhardt Detlef Dzembritzki Dr. Jörg Tauss Jan Mücke Waltraud Lehn Jella Teuchner Burkhardt Müller-Sönksen Siegmund Ehrmann Gabriele Lösekrug-Möller Dr. h. c. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 101. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Mai 2007 10387

Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt (A) Hans-Joachim Otto Dr. Barbara Höll Grietje Bettin (C) (Frankfurt) Dr. Lukrezia Jochimsen Hans-Christian Ströbele Detlef Parr Dr. Hakki Keskin Ekin Deligöz Jürgen Trittin Dr. Thea Dückert Wolfgang Wieland Gisela Piltz Dr. Uschi Eid Josef Philip Winkler Jörg Rohde Katrin Kunert Hans-Josef Fell Margareta Wolf (Frankfurt) Frank Schäffler Oskar Lafontaine Katrin Göring-Eckardt Ulla Lötzer Fraktionslose Abgeordnete Dr. Hermann Otto Solms Dr. Gesine Lötzsch Anja Hajduk Carl-Ludwig Thiele Ulrich Maurer Britta Haßelmann Henry Nitzsche Christoph Waitz Dorothée Menzner Gert Winkelmeier Dr. Guido Westerwelle Kornelia Möller Peter Hettlich Priska Hinz (Herborn) Dr. Claudia Winterstein Kersten Naumann Enthaltung Dr. Wolfgang Nešković Ulrike Höfken Dr. Hartfrid Wolff (Rems-Murr) Dr. CDU/CSU Bärbel Höhn Elke Reinke Thilo Hoppe Dr. Peter Jahr DIE LINKE Paul Schäfer (Köln) Ute Koczy Sylvia Kotting-Uhl Hüseyin-Kenan Aydin Volker Schneider (Saarbrücken) Renate Künast SPD Dr. Herbert Schui Markus Kurth Dr. Lothar Bisky Dr. Ilja Seifert Undine Kurth (Quedlinburg) Niels Annen Dr. Willi Brase Eva Bulling-Schröter Frank Spieth Anna Lührmann Marco Bülow Dr. Nicole Maisch Gabriele Groneberg Sevim Dağdelen Dr. Axel Troost Reinhold Hemker Dr. Kerstin Müller (Köln) Gabriele Hiller-Ohm Werner Dreibus Jörn Wunderlich Jürgen Kucharczyk Dr. Dagmar Enkelmann Omid Nouripour Sabine Zimmermann Helga Lopez Brigitte Pothmer Wolfgang Gehrcke Gerold Reichenbach BÜNDNIS 90/ (Augsburg) Diana Golze Sönke Rix DIE GRÜNEN Heike Hänsel Elisabeth Scharfenberg René Röspel Lutz Heilmann Kerstin Andreae Christine Scheel Dr. Ernst Dieter Rossmann Hans-Kurt Hill Volker Beck (Köln) Irmingard Schewe-Gerigk Andreas Steppuhn (B) Cornelia Hirsch Dr. Gerhard Schick Christoph Strässer (D) Inge Höger Birgitt Bender Rainder Steenblock Dr. Wolfgang Wodarg

Damit kommen wir zurück zur Debatte. Ich erteile Unterschiede geben wird. Diese erste Debatte und die das Wort dem Kollegen Patrick Döring für die FDP- weitere Debatte in den Fachausschüssen werden aber Fraktion. deutlich machen, dass wir an vielem über die Fraktions- grenzen hinweg weiter gemeinsam arbeiten werden. (Beifall bei der FDP) Wir haben bisher die demografische Entwicklung Patrick Döring (FDP): – der Staatssekretär hat gesagt, wir hätten an dieser Frau Präsidentin, herzlichen Dank! Liebe Kollegin- Stelle kein Erkenntnisproblem; darin stimme ich ihm nen und Kollegen! Die erneute Einrichtung und Vergrö- ausdrücklich zu – überwiegend unter sozialpolitischen ßerung des Parlamentarischen Beirats für nachhaltige Aspekten betrachtet. Uns ist es besonders wichtig, dass Entwicklung zu Beginn dieser Legislaturperiode war wir erkennen, dass wir die technische Infrastruktur – wenn ich das richtig überblickt habe – nicht von An- und die Verkehrsinfrastruktur in Deutschland in den fang an unumstritten. Ich denke aber, mit dem ersten Be- langen Planungsräumen, in denen wir arbeiten, wahr- richt über unsere Arbeit haben wir deutlich gemacht, scheinlich nicht an diese Entwicklung anpassen werden dass es bei einem solch wichtigen Thema über alle Frak- können. Ich beginne mit dem Bundesverkehrswegeplan. tionsgrenzen hinweg – der Herr Staatssekretär hat das Es ist fraglich, ob dieses Instrument mit seinen langen angedeutet – tatsächlich zu gemeinsamen Positionen in Planungszeiträumen noch geeignet ist, wirksam auf die Bezug darauf kommen kann, wie wir zukünftig die de- Anforderungen wachsender und schrumpfender Regio- mografische Entwicklung und die Planung und Umpla- nen, wachsender und schrumpfender Städte zu reagieren. nung unserer Infrastruktur in Deutschland aufeinander Ich fände es spannend, wenn wir auch darüber im Fach- abstimmen können. Ich glaube, das ist schon einmal ein ausschuss diskutierten. gutes Ergebnis. (Beifall bei der FDP) (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und der SPD) Das Gleiche gilt für die Entwicklung in unseren Städ- Ich will nicht verschweigen, dass es bei der Ausge- ten. Wir haben wachsende und schrumpfende Städte in staltung im Detail natürlich zwischen den Fraktionen ganz unterschiedlichen Regionen Deutschlands. Wir ha- 10388 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 101. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Mai 2007

Patrick Döring (A) ben besondere Probleme in den Ballungsräumen in kleinteilig agierenden Akteuren und Kommunalpolitik (C) Nordrhein-Westfalen. Gleichzeitig gibt es sich entlee- vom Bund bestenfalls angestoßen und finanziell geför- rende ländliche Räume in einigen Regionen. Aus mei- dert werden kann, dass aber das Leben von dieser ner früheren kommunalpolitischen Tätigkeit möchte ich Kooperation vor Ort gestaltet werden muss. ein Beispiel nennen: Während wir in der Landes- hauptstadt Hannover noch darüber diskutiert haben, ob (Beifall bei der FDP) die U-Bahn alle vier oder alle fünf Minuten fahren soll, Wenn wir es schaffen, die vorhandenen Programme gab es 20 Kilometer weiter gar keinen Nahverkehr mehr. so umzubauen, dass wir mit ihnen die Ziele erreichen, Diese Disparitäten, diese Zerklüftungen gilt es ebenfalls, die wir in dem vorliegenden Bericht versucht haben zu durch Politik zu überwinden. skizzieren, wenn wir anerkennen – das haben wir gestern Wir werden darauf achten müssen, dass die ländli- überwiegend einmütig besprochen –, dass Subsidiarität chen Räume weiter angebunden und versorgt sind. Bei und kommunale Eigenverantwortung gewahrt bleiben aller Harmonie haben wir an dieser Stelle häufig kontro- müssen, wenn wir darauf achten, dass unsere Förder- vers diskutiert. Der Kollege Scheuer, der einen ländli- instrumente nicht einseitig einen Akteur oder einen Ver- chen Wahlkreis hat, hat oft die Fahne des ländlichen kehrsträger motivieren, sich zu entwickeln, sondern für Raumes hochgehalten, wie wir meinen: zu Recht. die Entwicklung neuer, flexibler Systeme insbesondere für den ländlichen Raum in den Bereichen Schiene und (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Straße sorgen, und wenn wir die Belange der Akteure in der CDU/CSU und der SPD – Zuruf von der den Städten, im Wohnungswesen sowie in Handel und FDP: Mal muss er ja recht haben!) Gewerbe berücksichtigen, wird es uns gelingen, unsere Infrastruktur nachhaltiger zu entwickeln. Das ist das Denn wir kommen in die Situation, dass viele unserer Ziel, und das ist das Ziel auch meiner Fraktion. starren Verkehrssysteme insbesondere im öffentlichen Personennahverkehr wahrscheinlich nicht mehr in allen Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ländlichen Regionen kostengünstig aufrechterhalten werden können. Wir müssen uns daher fragen – Stich- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten wort „Regionalisierungsmittel“ –, ob man mit den dafür der CDU/CSU und der SPD) verwendeten Mitteln nicht eine andere Art Verkehr im ländlichen Raum organisieren kann. Auch das wird eine Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Herausforderung in den nächsten Diskussionen in die- Nächster Redner ist der Kollege Dr. Andreas Scheuer sem Haus sein. für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der FDP – Zuruf: Was hat der (Beifall bei der CDU/CSU) (B) (D) Bund damit zu tun?) Kommen wir zur Entwicklung unserer Städte. Der Dr. Andreas Scheuer (CDU/CSU): Herr Staatssekretär hat gestern darauf hingewiesen, dass Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle- wir mit dem Planungsbeschleunigungsgesetz gemeinsam gen! Vorneweg muss man für die Öffentlichkeit sagen: viel für die innere Entwicklung auf den Weg gebracht Wir haben mit dem Parlamentarischen Beirat für nach- haben. Der Trend zur Reurbanisierung in unserem haltige Entwicklung ein Gremium, das manchmal außer- Land ist nur zu begrüßen. Wir stellen fest, dass inzwi- halb der öffentlichen Aufmerksamkeit Arbeitsberichte schen drei von fünf Europäern in Städten wohnen und vorlegt. Man muss dazu sagen, dass es viele Gremien im dass wir in Deutschland in den letzten Jahren vielleicht Deutschen Bundestag gibt, die über den nächsten Wahl- beim Thema innerstädtische Entwicklung ein bisschen tag hinaus schauen. Die Stellungnahmen und Arbeitsbe- hinterhergehinkt sind. Auch das macht der vorliegende richte, die wir vorlegen, sind kein Selbstzweck. Wir sit- Bericht deutlich. Viele der laufenden Programme wur- zen auf diesen schönen Stühlen nicht unsere Zeit ab und den bereits angesprochen. Die Sorge meiner Fraktion ist, beschäftigen uns nicht mit uns selbst, sondern wir versu- dass wir bei einigen dieser Programme zu sehr auf die chen, für die Bürgerinnen und Bürger das Beste zu errei- Kommunen und die kommunalen Unternehmen schauen chen. Dazu gehört die demokratische Streitkultur. Der und zu wenig auf die eigentlich wichtigen Akteure in un- Parlamentarische Beirat für nachhaltige Entwicklung ist seren Städten, auf Handel, Gewerbe sowie private Woh- aber ein Gremium, in dem fraktionsübergreifend ver- nungs- und Immobilienbesitzer. sucht wird, Kompromisse zu schließen und gemeinsame Arbeitsberichte vorzulegen. (Beifall bei der FDP) (Zuruf von der LINKEN: Aha!) Ich persönlich bin der Auffassung: Die drei Säulen der Nachhaltigkeit – Ökonomie, Ökologie und Soziales – – Frau Bulling-Schröter, wenn da ein „Aha“ von der sind in kaum einem anderen Wirtschaftszweig so eng Linksfraktion kommt, dann muss ich sagen, dass es aus- miteinander verzahnt wie in der Wohnungswirtschaft; nahmsweise auch einmal Herr Heilmann geschafft hat, denn kein Mieter hat ein Interesse daran, in einem ab- konstruktiv zu sein. gleitenden Stadtteil zu wohnen und zu bleiben. Deshalb (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) entwickeln sich gerade die Quartiere, die wir zurzeit mit einem hohen staatlichen Anteil aufwerten wollen, eher Das, was ich festgestellt habe, betrifft alle Fraktionen. zu Bürgerquartieren. Ich weise aber in dieser politischen Ich denke, wir haben einen guten Arbeitsbericht vorge- Debatte darauf hin, dass das Miteinander von einzelnen, legt. Herr Staatssekretär, wir haben auch einen Anforde- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 101. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Mai 2007 10389

Dr. Andreas Scheuer (A) rungskatalog erstellt. Herr Kollege Döring, ich bedanke Gestern Abend wurde hier zu später Stunde – es war (C) mich für das Lob und kann dieses Lob als Koordinator nach 22 Uhr; das Fernsehen hat schon nicht mehr über- dieser Runde zurückgeben. Alle Berichterstatter der tragen – über städtische Umweltpolitik diskutiert. Dazu Fraktionen haben bei dem Thema „Demografischer sage ich ganz eindeutig – Herr Kollege Goldmann, Sie Wandel und nachhaltige Infrastrukturplanung“ sehr kon- sind schon in Lauerstellung, um eine Zwischenfrage zu struktiv zusammengearbeitet. Das möchte ich an dieser stellen; Frau Präsidentin, ich lasse sie zu; lassen Sie Stelle deutlich sagen, und ich möchte mich sehr herzlich mich diesen Gedanken aber noch zu Ende führen –: Wir dafür bedanken. dürfen uns von der Europäischen Union nicht aufok- troyieren lassen, eine Citymaut einzuführen oder be- (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der stimmte Themen zu behandeln. Darüber kann man in FDP sowie bei Abgeordneten der LINKEN Deutschland auf kommunaler Ebene, auf Länderebene und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) und hier im Deutschen Bundestag besser als irgendwo anders entscheiden. Verehrte Kolleginnen und Kollegen, liebe Bundesre- gierung, lieber Herr Staatssekretär, wir haben Ihnen ei- (Beifall bei der CDU/CSU) nen Aufgabenkatalog gegeben. Wir haben uns wirklich viel Zeit genommen. In vielen Anhörungen – wir werden Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: noch einige Arbeitsberichte zu den Stichworten Genera- Herr Kollege Goldmann, Sie haben das Wort zu einer tionenbilanz und Nachhaltigkeitsprüfung vorlegen – ha- Zwischenfrage. ben wir uns sehr dezidiert mit dem Thema Demografie und Infrastruktur beschäftigt. Wir werden das in den fe- Hans-Michael Goldmann (FDP): derführenden Verkehrsausschuss eingeben. Zunächst einmal möchte ich feststellen: Ich bin weder Herr Kollege Goldmann, Sie haben völlig überra- in einer Lauerstellung, noch habe ich meinen Kollegen schend für mich Ihren Fraktionskollegen Döring mit ei- Döring hier kritisiert. nem Zwischenruf in Bezug auf die Kompetenzen von Es geht mir um den Ansatz. Die Entwicklung des Kommunen und Bund kritisiert. Ich denke, der Deutsche ländlichen Raumes wird weitestgehend über Landes- Bundestag hat schon das Recht, sich einzumischen, raumordnungsprogramme geregelt. Zu meinem großen wenn es um interkommunale Zusammenarbeit geht Bedauern wird die Entwicklung von Metropolregionen und wenn wir koordinieren und Anreizsysteme, nicht dagegen sehr stark über Bundesaktivitäten geregelt. Ist Strafsysteme, für Kommunen und auch Bundesländer es nicht klüger, den Entwicklungen in den ländlichen schaffen, um wirkliche Strukturpolitik zu betreiben. Ich Räumen dadurch mehr Geltung zu verschaffen, dass (B) komme aus dem Freistaat Bayern – man hört es nicht man aufhört, sie sozusagen von oben zu steuern? Halten (D) wirklich – und bemühe mich, das immer deutlich zu ma- Sie das Prinzip „von oben nach unten“ für das bessere? chen. Ich stelle diese Frage auch vor dem Hintergrund, dass wir eine substanzielle Föderalismusreform durchgeführt (Zuruf von der SPD: Man hört es!) haben, die unter anderem regelt, welche Aufgaben Län- – Danke, Frau Kollegin, ich stehe dazu, und ich bin stolz der und Kommunen haben. darauf. – Wir haben in der Expertenanhörung mehrmals gehört – auch der Herr Staatssekretär hat es in seiner Dr. Andreas Scheuer (CDU/CSU): Rede gesagt –, dass gerade in den neuen Bundeslän- Herr Kollege Goldmann, die FDP-Fraktion wird im dern besorgniserregende Wanderungsbewegungen Parlamentarischen Beirat für nachhaltige Entwicklung stattfinden. Wir müssen die Chancengerechtigkeit der durch die Kollegen Döring und Kauch repräsentiert. Ich jungen Generation aufrechterhalten. Darüber müssen wir lade Sie im Namen aller Fraktionen ganz herzlich ein, an offen diskutieren. Im Freistaat Bayern haben wir einer Beiratssitzung oder an einer vom Beirat durchge- Strukturpolitik betrieben. Der ländliche Raum hat eine führten Anhörung einfach einmal teilzunehmen. Chance. Der ländliche Raum hat Lebensqualität. Der ländliche Raum bietet Investoren günstige Bedingungen. Was Ihre Frage angeht: Ich bin für das Prinzip der Subsidiarität, der Stärkung der kleinen Einheiten und (Hans-Michael Goldmann [FDP]: Haben Sie der unteren Ebenen. Wir haben mit dem Parlamentari- auf den Bund gewartet?) schen Beirat aber ein Gremium, dessen Arbeit darauf an- gelegt ist, über den nächsten Wahltag hinauszudenken. – Herr Goldmann, die Fraktionen stimmen darin überein. Die Politik muss immer wieder den Vorwurf zur Kennt- Vielleicht hat sich das nach Erscheinen des fraktions- nis nehmen, dass sie nur bis zum nächsten Wahltermin übergreifenden Arbeitsberichts noch nicht herumgespro- denkt. Das stimmt so nicht. Wir versuchen wirklich, fun- chen. Sie als erfahrener Kommunalpolitiker werden mir damentale Entscheidungen zu treffen, durch die die Wei- sicherlich zustimmen, wenn ich behaupte, dass wir, der chen für die nächsten zehn oder 15 Jahre richtig gestellt Deutsche Bundestag, die Möglichkeit haben müssen, uns werden. Wir machen uns Gedanken – auch im Deut- mit kommunalen Zusammenhängen, mit Strukturpolitik schen Bundestag gibt es kein Denkverbot, was Kommu- – Stichwort „ländlicher Raum und Stadtentwicklung“ – nalpolitik betrifft – über strukturpolitische Entscheidun- zu beschäftigen. Ich verweise auf alle Anreizsysteme gen, die keinerlei Bestrafung von Ländern und – ich denke nicht an Strafsysteme –, die uns zur Verfü- Kommunen vorsehen. Wir wollen das Prinzip der Subsi- gung stehen. diarität stärken. 10390 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 101. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Mai 2007

Dr. Andreas Scheuer (A) Die Anhörung des Parlamentarischen Beirats zum (Beifall bei der LINKEN) (C) Thema „Demographie und Infrastruktur“ hat besorgnis- erregende Entwicklungen aufgezeigt; ich verweise auf Lutz Heilmann (DIE LINKE): die Aussagen des Bundesamtes für Bauwesen und Raumordnung. Jeder, der sich das Protokoll dieser An- Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! hörung durchliest und erfährt, wie sich unser Land bis Werte Gäste! Ich danke meinem Kollegen Scheuer für 2030 entwickelt, stellt fest: Dieses Thema muss uns alle das Lob. miteinander bewegen. Jeder von uns, der an dieser An- (Dr. Andreas Scheuer [CDU/CSU]: Das haben Sie hörung teilgenommen hat, ist kreidebleich geworden irgendwie falsch verstanden!) und hat zur Kenntnis nehmen müssen, dass sich Land- schaften in Deutschland in weiße Flecken verwandeln Ich werde mir das zu Herzen nehmen und trotzdem auch werden. Im Zentrum unserer Diskussion steht, dass wir ein paar kritische Bemerkungen zu dem Thema machen. uns dieser Themen annehmen und unsere Besorgtheit Der demografische Wandel ist eine ernsthafte Heraus- zum Anlass nehmen, die richtigen Schlussfolgerungen forderung für Deutschland. Ich sage bewusst „Heraus- zu ziehen. forderung“ und nicht „Problem“, weil sich daraus auch (Beifall des Abg. Ernst Hinsken [CDU/CSU]) Chancen eröffnen. – Herr Kollege Hinsken, herzlichen Dank für den Ap- Wir haben es neben der massiven Alterung der Bevöl- plaus. kerung mit einem Bevölkerungsrückgang zu tun. Ich als Umweltpolitiker sehe in diesem Bevölkerungsrück- (Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Wenn einer rich- gang auch eine Chance. Wenn Straßen zurückgebaut tig Gutes sagt, bekommt er Beifall!) werden, werden zerschnittene Lebensräume von Tieren Abschließend möchte ich sehr deutlich sagen, Herr und Pflanzen wiederhergestellt. Der Natur wird wort- Staatssekretär, dass wir uns Gedanken darüber machen wörtlich wieder mehr Raum gegeben. Dazu müssen wir müssen, wie der im Kanzleramt angesiedelte Nachhal- uns aber von den Konzepten der Vergangenheit verab- tigkeitsrat der Bundesregierung stärker in die Öffent- schieden und innovative Lösungen vorantreiben. lichkeit treten kann. Sie haben die Staatssekretärsebene Mir ist es wichtig, dass schrumpfende Regionen Ent- dadurch gestärkt, dass Sie das Thema Nachhaltigkeit ins wicklungsmöglichkeiten erhalten. Es kann nicht ange- Zentrum der Betrachtungen gerückt haben. Der Nach- hen, dass wir ganze Dörfer und Kleinstädte aufgeben; im haltigkeitsrat der Bundesregierung nennt im Indikatoren- Gegenteil: Wir müssen uns dem Wandel stellen und zu- bericht 21 Indikatoren. Meine Damen und Herren, liebe gleich die Lebensqualität aufrechterhalten. Dazu will (B) Zuhörer, durch diesen Indikatorenbericht schafft es die der Bericht des Beirats einen Beitrag leisten. (D) Politik, transparenter, nachprüfbarer und für den Bürger verständlicher zu werden. Wir haben mit Schlüsselbe- Der Bericht beschränkt sich auf die technischen Infra- griffen zu übergeordneten Kapiteln erreicht, dass eine strukturen. Das heißt aber selbstverständlich nicht, dass Bundesregierung auch nach der Politik – nicht nur nach die sozialen Infrastrukturen weniger wichtig sind. Wir Emotionen, sondern auch nach dem politischen brauchen natürlich soziale Einrichtungen wie Kitas oder Handeln – bewertet wird. Das ist ein zentraler Punkt, Schulen. Sie sind für lebenswerte Gemeinden genauso dessen sich auch der Nachhaltigkeitsbeirat des Deut- von Bedeutung wie die technische Ausstattung. Für die schen Bundestages annehmen wird. Wir haben dazu Menschen ist es wichtig – um nur ein Beispiel zu nen- schon eine Referentenbesprechung gehabt. nen –, dass ihre Kinder zu Fuß zur Schule kommen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie kennen die Dis- Wir müssen im Deutschen Bundestag auch Gremien kussion aus Ihren Wahlkreisen. Bei mir in Lübeck sind haben, die versuchen, Themen mit Bedeutung über die die Schulwege ein wichtiges Thema für die Menschen. nächsten zehn Jahre hinaus aufzugreifen, mutig zu sein Es geht ihnen darum, wie weit ihre Kinder zur Schule und fraktionsübergreifend zu arbeiten. Ich weiß, dass laufen müssen. viele heilige Kühe der einzelnen Fraktionen für diesen Arbeitsbericht geschlachtet werden mussten, weil es Grundsätzlich können wir eines feststellen: Bei den eben ein Kompromiss ist. Ich sage für meine Fraktion: In Bürgerinnen und Bürgern kommt die Veränderung der der zweiten Runde, wenn es in den federführenden Aus- Bevölkerungsstruktur mehr und mehr an. Leider wird schuss geht, hat jede Fraktion die Möglichkeit, separat fast ausschließlich über die sozialen Sicherungssysteme Anträge zu stellen. Herr Heilmann, dann können Sie be- diskutiert. Ein Stichwort ist: Wer zahlt unsere Rente? weisen, ob Ihre Fraktion in ihrer Verteilungseuphorie im Vor den weiteren Folgen für die Gemeinden verschlie- Jetzt auch die Fähigkeit hat, den Nachhaltigkeitsbegriff ßen viele aber die Augen. Das ist nach Jahrzehnten des wirklich zu leben. Wachstums, vor allem im Westen, verständlich. Den- noch kann es so nicht weitergehen. Wir müssen den Tat- Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. sachen ins Auge sehen und begreifen, dass es nicht in al- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) len Regionen Wachstum im herkömmlichen Sinne geben kann und wird. Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Fakt ist: Wir müssen uns den Herausforderungen stel- Das Wort hat nun der Kollege Lutz Heilmann für die len. Ich sage Ihnen: Der Westen kann dabei einiges vom Fraktion Die Linke. Osten lernen. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 101. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Mai 2007 10391

Lutz Heilmann (A) (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN sowie und das schreibt sogar die Bundesregierung in ihrem (C) des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos]) „Wegweiser Nachhaltigkeit 2005“. Beim nächsten Bun- desverkehrswegeplan muss dies, bitte schön, auch umge- Dort ist der demografische Wandel, unterstützt durch setzt werden. Beim aktuellen Plan haben Sie genau das Ihre Politik und durch Ihre politischen Fehlentscheidun- Gegenteil gemacht. Die Bewertungsmethodik darin war gen im Zusammenhang mit dem Anschluss der DDR an so ausgeklügelt, dass im Grunde jede Straße sinnvoll ist; die Bundesrepublik, in vollem Gange. Im Westen findet die eine, weil der Bedarf groß ist, und die andere, weil die gleiche Entwicklung zeitversetzt statt. kein Bedarf da ist. So kann es nicht weitergehen. Der ak- (Dr. Andreas Scheuer [CDU/CSU]: Im Osten tuelle Plan bietet noch mehrere schöne Beispiele, die ist einfach alles gut gelaufen, oder?) zeigen, dass die Herausforderungen, die der demografi- sche Wandel stellt, außer Acht gelassen wurden. Der Die Vorhersagen für manche Regionen in meinem Bun- Herr Staatssekretär hat es angesprochen: Allen Progno- desland Schleswig-Holstein sind nicht gerade rosig. sen zum Trotz wurden steigende Bevölkerungszahlen Ich habe gesagt, dass der Westen viel vom Osten ler- und damit steigende Verkehrszahlen angenommen. Da- nen kann. Nehmen wir den schon angesprochenen mit wurde letztlich ein höherer Bedarf an Straßen kon- Stadtumbau Ost! Damit hat man ein gutes Beispiel ge- struiert. Als Begründung dafür musste eine nie einge- geben. Viele der sogenannten Arbeiterschließfächer, im führte „Green Card Plus“-Regelung herhalten. So kann Westen auch „Plattenbausiedlungen“ genannt, man sich irren. (Dr. Andreas Scheuer [CDU/CSU]: Die hat Was muss passieren? Der Bundesverkehrswegeplan Ihre Vorgängerpartei so geschaffen, oder?) muss künftig einem Nachhaltigkeitscheck unterworfen werden, und zwar nicht nur, um eine Anpassung von wurden schon zu lebenswerten Orten umgebaut. Planungen an den demografischen Wandel zu erreichen, Ich nenne hier den Großen Dresch in Schwerin. Un- sondern auch, um Nachhaltigkeit mit der gleichberech- sere Fraktion hat sich im letzten Sommer davon über- tigten Berücksichtigung sozialer, ökologischer und wirt- zeugt. Was wurde gemacht? Ganz einfach: Es wurden schaftlicher Belange zu erzielen. Herr Kollege Scheuer, Stockwerke abgetragen und Wohnungen familienfreund- die Unternehmensteuerreform, über die wir heute disku- lich zusammengelegt. Zusätzlich wurde eine vorbild- tiert haben, ist alles andere als ein Beispiel für nachhal- liche energetische Sanierung vorgenommen. Das alles tige Entwicklung oder nachhaltige Politik in diesem geschah, ohne einen einzigen Acker zuzupflastern. Ich Sinne. nenne ein weiteres Beispiel: Bei der Abwasserentsor- (Beifall bei der LINKEN) gung hat Mecklenburg-Vorpommern unter Rot-Rot Vor- (B) bildliches geleistet. Dort hat man neben zentralen Ab- Im Verkehrsbereich werden soziale Belange bislang (D) wasseranlagen auch den Bau kleiner dezentraler praktisch nicht berücksichtigt, denn der angebliche Ver- Anlagen vermehrt zugelassen und stärker gefördert. Das kehrsbedarf ist meist der einzige Bewertungsmaßstab. spart Zeit und Geld. Was nützt den Menschen, die gar kein eigenes Auto ha- ben, eine neue Straße? Statt isoliert die einzelnen Ver- Bei der Ausstattung mit Verkehrsinfrastrukturen kehrsträger zu betrachten, brauchen wir einen integrier- muss man sowohl im Osten als auch im Westen noch er- ten Ansatz. heblich dazulernen. Nach wie vor sehen viele Städte und Gemeinden in einem Autobahnanschluss einen Segen. (Zuruf von der CDU/CSU: Wenn es nach Ih- Es macht aber überhaupt keinen Sinn, Milliarden auszu- nen geht, sanierten wir heute noch! – Zurufe geben, um schrumpfende Regionen an das Autobahnnetz von der SPD) anzuschließen, wenn auf diesen Straßen am Ende keine Autos fahren. Wir müssen also vom Mobilitätsbedürfnis und nicht vom Verkehrsbedarf ausgehen. Mobilität bedeutet für (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – mich mehr als Autofahren. Es bedeutet für mich die Dr. Andreas Scheuer [CDU/CSU]: Interessant, Möglichkeit, am sozialen Leben teilzunehmen. Daraus Herr Kollege!) folgt: Wir brauchen mehr als nur Verkehrsinfrastruktur. Wir brauchen neue und innovative Mobilitätsangebote Es ist doch Unsinn, in der vagen Hoffnung auf wirt- für alle. Hierzu hat der Beirat einige Vorschläge unter- schaftliche Entwicklung Geld zum Fenster hinauszuwer- breitet. fen. Ein Paradebeispiel dafür ist die zusammenhängende Planung der Autobahnen A 14 und A 39 in Brandenburg Ich hoffe, dass sich die Bundesregierung diese Vor- und Niedersachsen. Maßgabe für die Politik kann nicht schläge zu Herzen nimmt. Inwieweit das geschieht, wer- sein, dass ein großes Loch auf der Autobahnkarte be- den wir am Ende dieser Legislaturperiode prüfen. Ich steht. Diese Auffassung vertrat Herr Stolpe seinerzeit als werde mich jedenfalls dafür einsetzen. Warum? Das Verkehrsminister. Leitbild nachhaltiger Entwicklung wirkt in der Gesell- (Hans-Joachim Hacker [SPD]: Das ist ja inte- schaft, wenn es durch konkrete Maßnahmen in der Ge- ressant, dass Sie gegen die A 14 sind!) sellschaft spürbar wird. Die Vorschläge des Beirats tra- gen dazu bei. Deshalb wäre es schade, wenn der Beirat Infrastrukturen müssen vielmehr die demografische zu einem netten Gesprächskreis ohne Einfluss auf die Entwicklung berücksichtigen und an den tatsächlichen Politik verkäme und ein zahnloser Tiger würde. Herr Bedarf angepasst werden. Das empfiehlt auch der Beirat, Kollege, hier sind wir uns einig. 10392 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 101. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Mai 2007

Lutz Heilmann (A) Ein abschließender Gedanke: Vor zwei Wochen fand Ebene sind wir massiv angewiesen, wenn wir den demo- (C) die 15. Sitzung der UNO-Kommission für nachhaltige grafischen Wandel gestalten wollen. Entwicklung in New York statt. Dort rief Frau Brundtland, die das Leitbild einer nachhaltigen Entwick- Bei der Gestaltung dieser tiefgreifenden Veränderun- lung entscheidend geprägt hat, dazu auf, der Debatte gen ist eine vorausschauende Planung, die gleichzeitig über nachhaltige Entwicklung endlich Taten folgen zu soziale, ökonomische, aber vor allen Dingen ökologi- lassen. Beginnen wir hier in der Bundesrepublik sche Folgen abwägen muss, dringend erforderlich. Wir Deutschland! wissen, dass der demografische Wandel sich regional völlig unterschiedlich darstellen wird. Er wird zu einem Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit und wünsche Ih- Nebeneinander von Schrumpfungsregionen und Wachs- nen ein schönes Pfingstfest. tumsregionen in Deutschland führen, und das nicht nur in Ostdeutschland, sondern auch in Westdeutschland. Es (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert ist ganz wichtig, dass dieses Thema nicht als „Ostpro- Winkelmeier [fraktionslos]) blem“ wahrgenommen wird. Ich komme aus NRW; dort sind zum Beispiel die Veränderungen im nördlichen Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Ruhrgebiet dramatisch. Nächste Rednerin ist die Kollegin Britta Haßelmann für die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen. (Zuruf von der FDP: So ist es!) Sie liegen ganz klar auf der Hand und müssen durch eine Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): veränderte Politik gestaltet werden. Deshalb gehen wir Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und hier von einer gemeinsamen Betrachtung Ost- und West- Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bereits in sei- deutschlands aus. nem ersten Arbeitsbericht in der 15. Legislaturperiode hatte der Parlamentarische Beirat festgestellt, dass der (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN demografische Wandel im damaligen Fortschrittsbericht sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der der Bundesregierung zur nationalen Nachhaltigkeitsstra- SPD und der FDP) tegie überwiegend unter dem Aspekt der sozialen Siche- So weit, so gut. Im Sinne einer nachhaltigen Infra- rung, der sozialen Auswirkungen auf die Infrastruktur strukturpolitik für die Städte und den ländlichen Raum beleuchtet wurde, und deshalb schon damals angeregt, ergeben sich differenzierte Lösungsansätze. Es nutzt dass in dieser Legislaturperiode eine Anhörung zum nichts, von Verlierer- und Gewinnerregionen zu spre- Thema „Demografie und Infrastruktur“ stattfinden solle. chen. Man stelle sich nur einmal vor, man lebte selber in (B) So viel zur Erläuterung, auch für die Gäste. Deshalb geht einer solchen „Verliererregion“. Es ist ganz wichtig, (D) es heute explizit nicht um die soziale Infrastruktur, die allen Regionen, im ländlichen wie im städtischen, pros- natürlich ein wichtiger Aspekt der demografischen Ent- perierenden Raum, deutlich zu machen, dass wir ver- wicklung ist. Aber der Nachhaltigkeitsbeirat wollte das suchen, die Situation vor Ort positiv zu gestalten, ge- Thema einmal auf die technische, bauliche und ver- meinsam mit den Menschen, die dort leben. Auch das kehrliche Infrastruktur für Deutschland fokussieren. Thema Bürgerbeteiligung wird angesichts der verän- Den meisten von uns ist klar: Der demografische derten Bedingungen durch den demografischen Wandel Wandel ist längst Realität, und dieser Realität gilt es ins noch eine ganz andere Bedeutung bekommen. Denn in Auge zu sehen, nüchtern und völlig ohne Alarmismus; einem solchen Prozess gilt es immer, die Bürgerinnen denn die Entwicklungen und Trends sind klar und ein- und Bürger mitzunehmen, sie auf solche Entwicklungen deutig und nicht revidierbar. Sie sind allenfalls beein- vorzubereiten und bei der Gestaltung einzubeziehen. Ich flussbar und gestaltbar. Darin liegt eine Chance für Poli- glaube, das erfordert bei vielen von uns noch ein Um- tik. denken und ein Einlassen darauf, was Partizipation und Gestaltung vor Ort wirklich bedeuten. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Die Bevölkerungszahl wird schrumpfen. Der Anteil älterer Menschen wird stark ansteigen. Die Schichtung Auch im Nachhaltigkeitsbeirat – Herr Scheuer hat es der Bevölkerung, das heißt das Verhältnis von jungen vorhin angesprochen – bestand Einigkeit über die Frak- und alten Menschen zueinander, wird sich verändern. Es tionsgrenzen hinweg, dem Parlament heute einen frak- wird sehr viele alte und sehr wenige junge Menschen in tionsübergreifenden Bericht vorzulegen. Ich will mich Deutschland geben. Außerdem werden wir durch die an dieser Stelle für die Zusammenarbeit bedanken. Las- Migration in jedem Fall eine buntere Gesellschaft wer- sen Sie mich an der Stelle deutlich sagen: Wenn der Bei- den. rat im Rahmen dieser Debatte zukünftig eine Rolle in diesem Parlament spielen will, dann ist es wichtig, a) ei- Meine Damen und Herren, ich bin mir sicher, dass nur nen solchen Schritt zu tun und b) dafür Sorge zu tragen, die Anerkennung dieser Trends dazu führen kann, dass dass das, was wir diskutieren, auch in die Politik Ein- in der Politik wirklich über Chancen und Gestaltungs- gang findet. willen gesprochen wird, und zwar auf allen drei politi- schen Ebenen: der Bundesebene, der Landesebene und (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der kommunalen Ebene; denn auch auf die kommunale bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP) Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 101. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Mai 2007 10393

Britta Haßelmann (A) Ich persönlich habe kein Interesse daran, in einem soge- Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: (C) nannten Alibigremium zu sitzen, in dem wir zwar Das Wort hat nun der Kollege Ernst Kranz für die schöne Beschlüsse fassen, die aber keine nachhaltige SPD-Fraktion. Wirkung zeigen. Wir sind uns sehr einig, wenn wir über den demogra- Ernst Kranz (SPD): fischen Wandel allgemein reden und wenn wir die Dinge Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! beschreiben. Wir sind uns aber ganz schnell nicht mehr Meine Kollegen haben schon sehr viel zum Beirat ge- einig – auch das muss man an dieser Stelle deutlich sa- sagt. Wir stehen hier erst am Anfang einer Entwicklung; gen –, wenn es um konkrete Politik geht. den Beirat gibt es erst seit drei Jahren. Es ist wichtig, dass wir uns heute zu Wort melden. Ich glaube, dass die Ich frage Sie, Herr Staatssekretär Großmann: Warum von mir genannte Entwicklung intensiver werden und geht man beispielsweise im Bundesverkehrswegeplan mehr Auswirkungen auf die Politik in diesem Land ha- – das gilt auch für andere Politikfelder – bei der Erstel- ben muss. lung von Verkehrsprognosen noch immer von einem Be- völkerungswachstum aus? (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP und der Abg. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Warum konzipiert man immer noch Autobahnprojekte NEN]) – ich nenne beispielsweise die A 14 und A 29 – in Ge- Statt nur Alternativen oder Kosten zu prüfen, wäre es genden, von denen wir wissen, dass es sich um Regionen unserer Meinung nach sehr ratsam, zu untersuchen, ob mit einer schrumpfenden Bevölkerungszahl handelt? bei Gesetzen die aktuellen Prognosen zum demografi- Warum werden in ungebremster Art und Weise Flächen schen Wandel beachtet wurden und ob die Teilhabe am ausgewiesen, anstatt im Interesse einer nachhaltigen gesellschaftlichen Leben gewährleistet ist. Wir sollten Entwicklung den Flächenverbrauch durch entspre- auch darüber nachdenken, welche Auswirkungen unsere chende Programme der Bundesregierung zu stoppen? Entscheidungen für nachfolgende Generationen haben. Wir wissen doch, dass die Flächenversiegelung eines der Wir müssen uns fragen, ob wir nicht über Maßnahmen größten ökologischen Probleme ist. entscheiden, die uns zwar heute Kosten sparen, aber un- seren nachfolgenden Generationen sehr hohe Kosten In NRW zieht der Ministerpräsident durch die Lande aufbürden, weil sie die Folgen unseres Handelns rück- und beklagt, dass 1 000 Schulen geschlossen werden. gängig machen müssen. Der Klimawandel ist in der Trotzdem leistet man sich dort eine Debatte über das aktuellen Diskussion. Ich glaube, daraus lässt sich die dreigliedrige Schulsystem. (B) Erkenntnis ableiten, was kurzfristiges Denken bewirkt. (D) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Es geht um die Frage, ob die eingeschlagene Richtung Das setzt sich in allen Politikfeldern fort: Wir sehen sozial, ökonomisch und ökologisch nachhaltig ist oder die Notwendigkeit einer Veränderung. Allein es fehlt der ob sie nicht in wenigen Jahren teuer korrigiert werden Wille – auch in der Bundesregierung, Herr Großmann – muss. Das bedeutet also: Es muss nach Möglichkeiten zur Umsetzung von Maßnahmen gerade im ökologi- gesucht werden, wie das Denken im Voraus gefördert schen Bereich. Der sollte aber vorhanden sein, wenn wir werden kann. Bei allen Kollegen ist angeklungen, dass die Nachhaltigkeit ernst nehmen. das unsere gemeinsame Grundlage ist. Da wir mit der Arbeit in unserem Beirat gerade am Anfang stehen, ist es Wir brauchen einen Paradigmenwechsel: weg vom wichtig, dass wir mit einer Stimme sprechen und uns Leitbild des Wachstums der Zahl der Einwohnerinnen nicht schon im Beirat auseinanderdividieren, sondern und Einwohner, weg vom Leitbild einer größeren Infra- erst einmal dazu beitragen, dass dieser Beirat in der Poli- struktur und eines größeren Flächenverbrauchs hin zu tik ein gewichtiges Wort bekommt und wahrgenommen einem qualitativen Ansatz der Nachhaltigkeit. Hier brau- wird. chen die Kommunen unsere Unterstützung; denn sie sind die zentralen Orte, an denen der demografische Wandel Natürlich ist es sehr schwierig – das ist angeklungen –, zu spüren ist. gemeinsame Standpunkte über Fraktionen hinweg zu formulieren. Aber wir haben gesehen: Es geht, ohne dass Lassen Sie mich abschließend sagen: Eigentlich wir uns dabei verbiegen, ohne dass wir das Endziel aus klingt die Formel: „Wir werden weniger und damit ver- dem Auge verlieren. Ich halte die Arbeit des Beirates ge- brauchen wir weniger Ressourcen und Flächen“ doch rade deshalb für bereichernd, weil sie außerhalb der ge- äußerst einleuchtend und verlockend. Was hindert die wohnten Pfade stattfindet und jeder Weg, der beschritten Große Koalition und die Bundesregierung eigentlich da- wird, stets neue Fragen aufwirft und zu verblüffenden ran, im Interesse der Nachhaltigkeit und einer wirklich neuen Antworten führt. Das ist die richtige Arbeitsweise. generationengerechten Politik endlich Konsequenzen für Diese sollten wir beibehalten. Wir sollten versuchen, sie konkretes politisches Handeln zu ziehen und nicht nur zu intensivieren. Absichtserklärungen zu formulieren? Frau Haßelmann hat es gesagt: Schon der letzte Beirat (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat begonnen, sich mit dem Thema „Infrastruktur und sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und Demografie“ zu beschäftigen. Wir haben das mit einer der SPD) Anhörung im Oktober fortgeführt. Zur Infrastruktur 10394 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 101. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Mai 2007

Ernst Kranz (A) zählen wir Verkehrswege und den ganz wichtigen Be- (Patrick Döring [FDP]: So ist es!) (C) reich der Raumordnung; er ist heute intensiv angespro- Das ist schon ein Widerspruch in sich. Wir alle sollten chen worden. Ich möchte Ihnen dazu die Definition aus darüber nachdenken, wie wir diese Entwicklung stoppen „Wikipedia“ vorlesen: Darunter können. Das ist etwas ganz Wichtiges. ist die planmäßige Ordnung, Entwicklung und Si- (Beifall bei der SPD) cherung von größeren Gebietseinheiten … zur Ge- währleistung der bestmöglichen Nutzung des Le- bensraumes zu verstehen. Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Herr Kollege, denken Sie bitte an Ihre Redezeit. Gerade diese Definition macht unser Anliegen deutlich. Frau Haßelmann hat auch gesagt, wir hätten uns auf Ernst Kranz (SPD): die technische Infrastruktur beschränkt, weil wir in ab- Natürlich. sehbarer Zeit zu einem Ergebnis hätten kommen wollen. Ich möchte ganz kurz etwas zum Stadtumbau Ost sa- Selbstverständlich ist die soziale Infrastruktur, Bildung, gen. Gesundheit, Kultur und Versorgung, zumindest ebenso wichtig. Der Beirat sollte sich hiermit gesondert be- schäftigen und intensiv darüber reden. Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Sie sind am Ende Ihrer Redezeit. Der Begriff „demografischer Wandel“ braucht garan- tiert nicht noch einmal erläutert zu werden. Aber die (Heiterkeit) zwei wichtigsten Punkte, Abnahme der Zahl der Bevölkerung und Alterung, sollte man noch einmal Ernst Kranz (SPD): deutlich hervorheben, weil das die Kernpunkte sind. Schade. Dann komme ich zum Schluss, Frau Präsi- dentin, und danke für Ihren Hinweis. (Dr. Andreas Scheuer [CDU/CSU]: Ja, so ist es!) Ich möchte an dieser Stelle feststellen: Den demogra- fischen Wandel dürfen wir nicht als Gefahr sehen. Damit Ich möchte an dieser Stelle darauf verweisen, dass wir werden wir niemals die richtigen Lösungsansätze für un- in der SPD-Fraktion am Montag eine Veranstaltung hat- ser Handeln finden. Der demografische Wandel muss ten, die sich damit beschäftigt hat, den demografischen eine Chance und eine Aufgabe für uns sein. Wandel als Herausforderung für die Kommunen zu be- trachten. Auch heute bestand, so glaube ich, Konsens Danke schön. (B) darüber, dass die Kommunen die Hauptbetroffenen des (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (D) demografischen Wandels sind, dass dort letztendlich die der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE Hauptgestaltungsebene liegen muss. Ich stimme mit GRÜNEN und des Abg. Lutz Heilmann [DIE Herrn Döring in dem Sinne überein, dass ich sage: Wir LINKE]) müssen den Kommunen diese Gestaltungschance auch einräumen; das ist ganz wichtig. Aber an dieser Stelle darf es kein Einbahnstraßendenken geben, Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Nächster Redner ist der Kollege Dr. Günter Krings, (Patrick Döring [FDP]: Das ist der Punkt!) CDU/CSU-Fraktion. indem wir sagen: entweder von oben nach unten oder (Beifall bei der CDU/CSU) von unten nach oben. Jede Ebene muss vielmehr die Aufgabe, die sie hat, wahrnehmen Dr. Günter Krings (CDU/CSU): (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und bei Abgeordneten der FDP, der LINKEN und Herren Kollegen! Es ist gut, dass wir heute zu prominen- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – ter Stunde über das Thema „demografischer Wandel“ Dr. Andreas Scheuer [CDU/CSU]: Das ist aber debattieren, und zwar nicht, wie in vielen anderen De- nicht die Andeutung einer sozial-liberalen Ko- batten, mit dem Schwerpunkt Renten- und Pflegekasse, alition!) sondern mit dem Schwerpunkt Infrastrukturplanung. Denn es gibt kaum eine politische Entscheidung mit und den anderen Ebenen die Freiheiten, die sie haben, langfristigeren Auswirkungen als Investitionen in unsere lassen. Infrastruktur: Wir fahren heute zum Teil noch auf Stra- ßen, deren Trassen aus der napoleonischen Zeit stam- Ich habe gesagt: Ein Schwerpunkt in unserem Bericht men. Wir sitzen in Zügen, die auf einen Schienennetz war und ist die Raumordnung, die Stadtentwicklung. unterwegs sind, das im Wesentlichen im 19. Jahrhundert Ferner habe ich gesagt: Eine wichtige Auswirkung des ausgelegt worden ist. Schulen stehen oft mehrere Jahr- demografischen Wandels ist die Abnahme der Bevölke- hunderte. Unsere Abwasserkanäle sollen etliche Jahr- rungszahl und die Alterung. In der Praxis ergibt sich, zehnte halten. daraus resultierend, eine Abnahme der Siedlungsdichte. Aber – jetzt kommt mein Aber – wenn wir genau hin- Diese langfristige Lebensdauer unserer Infrastruktur schauen, stellen wir fest, dass das bei einer gleichzeiti- verlangt eine langfristige Planung. Dies setzt voraus, den gen Zunahme der Siedlungsfläche geschieht. Bedarf künftiger Generationen zu prognostizieren – so Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 101. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Mai 2007 10395

Dr. Günter Krings (A) gut das aus heutiger Sicht möglich ist – und die planeri- welchem Ort unseres schönen Landes sie leben möchten. (C) schen Weichenstellungen auf Grundlage dieser Progno- Zur politischen Ehrlichkeit gehört es, den Menschen zu sen vorzunehmen. Genau hier ist das Kernprinzip der sagen, dass sich die Idee gleicher Lebensbedingungen Nachhaltigkeit berührt: Künftige Generationen dürfen in Deutschland angesichts der Bevölkerungsentwick- nicht zu den Geiseln kurzsichtiger Entscheidungen von lung noch weniger verwirklichen lässt als bisher. Es gibt heute werden. Wir müssen schon heute darauf Rücksicht da Unterschiede, und es wird weiterhin Unterschiede ge- nehmen, wie sich Bevölkerung und Bedürfnisse in den ben. nächsten Jahrzehnten entwickeln. Das kann man nur un- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und vollkommen tun, man kann nur abschätzen. Aber mit ei- der FDP – Ulrich Kelber [SPD]: Das ist Ver- nem suboptimalen Radar unterwegs zu sein, ist allemal fassungsverrat!) besser, als ohne Radar ins Unbekannte zu fliegen. Es gehört zu den unangenehmen Wahrheiten, dass ange- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der sichts der Bevölkerungsentwicklung „gleichwertige Le- SPD und der FDP) bensverhältnisse“ nicht „gleiche Lebensverhältnisse“ Die neuen Länder – das klang bereits mehrfach an – sind. Öffentliche Daseinsvorsorge kann in ländlichen befinden sich bereits mitten im demografischen Um- und bevölkerungsschwachen Gebieten nicht auf dem ab- bruch. Seit 1990 sind etwa 2 Millionen Menschen aus solut gleichen Niveau wie in Städten angeboten werden. den neuen Bundesländern weggezogen. Mecklenburg- Dafür genießt man dort andere wichtige Vorteile, zum Vorpommern zum Beispiel war 1990, zum Zeitpunkt der Beispiel hinsichtlich Freizeitgestaltung und Lebensqua- deutschen Einheit, im Bevölkerungsschnitt das jüngste lität. deutsche Bundesland, heute ist es wohl das älteste – das Wenn nur noch ein oder zwei Fahrgäste im Linienbus alles in gerade einmal 17 Jahren. Es gibt Regionen, in sitzen, ist das nicht mehr bezahlbar und auch ökologisch denen künftig – da dürfen wir uns nichts vormachen – nicht verantwortbar. Die Alternative heißt aber nicht: die Abrissbirne regieren wird, es wird Infrastruktur ge- kein öffentlicher Nahverkehr. Wir sind vielmehr aufge- ben, die kaum ausgelastet ist. Dadurch werden Pro- fordert, kreative, vernünftige Lösungen zu finden. Zur Kopf-Kosten entstehen, die schwer zu bezahlen sind. Beruhigung will ich deutlich sagen: Die Bandbreite der Aber auch im Westen findet dieser Bevölkerungswan- Unterschiede wird in Deutschland wahrscheinlich auch del statt, auch hier werden wir weniger Menschen und in Zukunft geringer sein als in jedem anderen Flächen- ältere Menschen haben. Insofern können wir vom Osten staat der Erde. Ich habe dabei volles Vertrauen in den lernen, der diese Entwicklung früher durchläuft. Im deutschen Hang zur Nivellierung, zur Herstellung von Westen wird es vor allem strukturschwache und ländli- Gleichheit. Wir werden daher aufpassen, dass Mindest- (B) che Regionen treffen. Es wird aber auch Metropolregio- standards eingehalten werden. Auch hinsichtlich der Er- (D) nen geben, in denen die Bevölkerung im Schnitt jünger reichbarkeit von Einrichtungen der Daseinsvorsorge dür- ist und ihre Zahl sogar noch wachsen wird. Beide Phäno- fen Mindeststandards nicht unterschritten werden. mene – sowohl „Boomtown“ als auch „Schrumpfhau- Fehler dürfen wir auf keinen Fall machen: Wir dürfen sen“ – sind deutsche Realitäten im 21. Jahrhundert. nicht vor Angst erstarren und versuchen, an allen beste- Ich habe persönlich die Sorge, dass der demografi- henden Einrichtungen krampfhaft, ohne jede Änderung, sche Wandel in den Städten und Gemeinden, in denen festzuhalten. Wir müssen vielmehr auf Zusammenarbeit klar ist, dass die Bevölkerungszahl abnimmt, zwar ab- setzen. strakt zur Kenntnis genommen wird, aber, wenn es um Bevölkerungsentwicklungen und Bevölkerungsbe- konkrete Entscheidungen geht, jeder Bürgermeister das wegungen hat es in Deutschland – das zu sagen, gehört letzte Neubaugebiet in der Region ausweisen möchte, ebenfalls zur Ehrlichkeit – immer wieder gegeben. Es damit seine Gemeinde gegen den Trend noch etwas gab Regionen mit Abwanderungen und Regionen mit wächst. Zuwanderungen. Ich will nicht von Verlierer- und Ge- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der winnerregionen sprechen; denn auch in einer Abwande- SPD und der FDP) rungsregion können Gewinner leben, Menschen, die gut mit den Veränderungen umgehen können, und können Tatsächlich brauchen wir heute in weiten Bereichen un- öffentliche Einrichtungen gut weiterentwickelt werden. seres Landes mehr den Umbau, weniger den Neubau; das ist das Gebot der Stunde. Wir wollen im Parlamenta- Richtig ist auch: Hätte die Politik vor 100 Jahren ver- rischen Beirat für nachhaltige Entwicklung gemeinsam sucht, jegliche Bevölkerungswanderung von den ländli- das Bewusstsein hierfür schaffen. Im Bericht des Beirats chen Regionen in die aufstrebenden Industriegebiete zu wird daher vorgeschlagen, dass die Kommunen mehr unterbinden, würden wir noch heute in einem Agrarstaat kooperieren, anstatt den verzweifelten Versuch zu ma- leben und hätten ein wahrscheinlich nicht einmal halb so chen, sich auf Kosten des Nachbarn zu entwickeln, und hohes Bruttosozialprodukt wie jetzt. Es geht nicht da- dass sie für die Daseinsvorsorge gemeinsam nach intelli- rum, Dämme zu errichten, sondern darum, Kanäle zu genten Antworten auf den demografischen Wandel su- bauen, sinnvoll zu steuern und zu gestalten. chen. Wir müssen – das ist der letzte Gedanke, den ich an- Aus meiner Sicht gehört es zu den glücklichsten Ent- sprechen möchte – die Chancen des demografischen wicklungen der jüngeren deutschen Geschichte, dass seit Wandels beachten: Der Landschaftsverbrauch kann be- 1990 alle Deutschen wieder die freie Wahl haben, an grenzt werden, Flächen können entsiegelt werden, neue 10396 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 101. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Mai 2007

Dr. Günter Krings (A) Entfaltungs- und Erholungsräume können geschaffen und wir bei unserem politischen Handeln Konsequenzen (C) werden. aus dem Bericht ziehen. Ich bedanke mich bei allen Fraktionen für die gute Wir haben hier die Chance, das Thema interdiszipli- Zusammenarbeit bei diesem ersten großen Projekt des när anzugehen, es nicht nur aus der sozialen, der ver- Nachhaltigkeitsbeirates. Ich hoffe und erwarte, dass un- kehrlichen oder der wirtschaftlichen Perspektive zu be- sere Vorschläge bei der Bundesregierung Gehör finden, trachten, sondern als Ganzes. Insofern müssen sich und zwar sowohl bei der Entwicklung der Nachhaltig- verschiedene Gremien des Hohen Hauses mit diesem keitsstrategie 2008 als auch bei konkreten politischen Thema beschäftigen, wenn am Ende gute und weitrei- Entscheidungen; denn darauf kommt es letztlich an. Von chende Beschlüsse stehen sollen. den Kommunen und Ländern erhoffe und erbitte ich, dass sie diese Themen ernst nehmen und zur Grundlage Auf einige Aspekte, die mir wesentlich zu sein schei- eigener politischer Entscheidungen machen. Wir wollen nen, möchte ich hier eingehen. Herr Staatssekretär, Sie ihnen nichts aufoktroyieren, sondern ihnen dabei helfen, haben recht: Wir haben kein Erkenntnisproblem. Aber im Interesse ihrer Bürger und in ihrem eigenen Interesse wir haben ein Bewusstseinsproblem. Das Thema „De- vernünftige Schritte in die Zukunft zu unternehmen. mografie und Infrastruktur“, die demografische Ent- wicklung überhaupt ist noch nicht auf allen Ebenen und Vielen Dank. bei allen Entscheidungsträgern angekommen. Wir brau- (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der chen ein Bewusstsein auf Bundesebene, auf Landes- FDP) ebene und auf kommunaler Ebene. Ich glaube, wir müs- sen überall, auch in allen Fraktionen, für dieses Thema werben. Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Nun hat das Wort der Kollege Dr. Matthias Miersch, (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten SPD-Fraktion. der CDU/CSU, der FDP und des BÜNDNIS- (Beifall bei der SPD) SES 90/DIE GRÜNEN) Ein zweiter Aspekt zu dem Thema „Demografie und Dr. Matthias Miersch (SPD): Infrastruktur“ ist, dass es um Kooperation und nicht pri- Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! mär um Konkurrenz geht. Das ist natürlich ein hervorra- Der Parlamentarische Beirat für nachhaltige Entwick- gendes Schlagwort. Spannend wird es, wenn es konkret lung hat eine wichtige Aufgabe erfüllt. Der Beirat be- wird. Hier sind wir gerade auf bundespolitischer Ebene schäftigt sich mit einer Aufgabe – das kommt schon im gefordert, die richtigen Weichen zu stellen. (B) Titel zum Ausdruck –, die heutzutage aus meiner Sicht (D) auf allen Ebenen inflationär verwendet wird. Alle arbei- (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/ ten inzwischen nachhaltig. In jeder Hochglanzbroschüre CSU und der FDP) ist der Begriff „Nachhaltigkeit“ enthalten. In fast jeder Ich bin nach wie vor Mitglied eines Rates einer Stadt mit Rede, die in diesem Haus gehalten wird, wird der Begriff 40 000 Einwohnern und weiß deshalb, wie schwierig es mindestens einmal verwendet. aus rechtlichen Gründen ist, interkommunal zusammen- Die Frage lautet also: Was ist nachhaltige Entwick- zuarbeiten. Wir müssen darauf achten, dass die rechtli- lung? Bei den heutigen Redebeiträgen haben wir zur chen Rahmenbedingungen so sind, dass dies nicht an Kenntnis nehmen können: Spannend wird es erst, wenn wettbewerbsrechtlichen Problemen scheitert. Wir sind es konkret wird. Die nachhaltige Entwicklung ist für als Bundesgesetzgeber, aber auch als Lobbyisten auf mich die Schlüsselfrage und das Leitbild jeglichen poli- europäischer Ebene gefordert, den Kommunen bessere tischen Handelns. Möglichkeiten zu bieten. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der der CDU/CSU) FDP) Die Brundtland-Kommission der Vereinten Nationen Bei meinem dritten Aspekt werden Sie wahrschein- hat bereits Anfang der 90er-Jahre festgestellt: Nachhal- lich nicht mehr klatschen, Herr Goldmann; Herr Döring, tige Entwicklung bedeutet, die Bedürfnisse der heutigen ich glaube, da unterscheiden wir uns elementar. Wenn Generation mit den Bedürfnissen der künftigen Genera- wir über Demografie und Infrastruktur reden, stellen wir tionen zu vereinen. Dass das ganz viele Lebensbereiche sehr schnell fest, dass es um Bereiche der Daseinsvor- betrifft, ökologische, ökonomische und soziale, ist klar. sorge geht, die dem Wettbewerb entzogen sind, weil wir Wenn wir das reale politische Handeln betrachten, stel- diese Bereiche nicht dem Markt überlassen können. len wir aber sehr schnell fest, dass wir von diesem An- spruch an der einen oder anderen Stelle noch sehr weit (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des entfernt sind. BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Das Thema „Demografie und Infrastruktur“ betrifft Es wird sehr spannend, wenn wir über öffentlichen Per- die nachhaltige Entwicklung im Kern. Es ist gut, dass es sonennahverkehr, über Bildung, über Gesundheitssys- dem Parlamentarischen Beirat gelungen ist, dieses teme und deren Ausgestaltung reden. Ich glaube, dass Thema auf die Tagesordnung des Bundestages zu setzen. wir uns in einigen Fragen einig sind, dass sich aber hin- Wir müssen jetzt zu Recht anmahnen, dass es weitergeht sichtlich der einen oder anderen Frage sehr schnell zei- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 101. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Mai 2007 10397

Dr. Matthias Miersch (A) gen wird, welches Staatsverständnis wir haben. Das wird Eine Chance in unserem Nachhaltigkeitsbeirat besteht in (C) ein Ringen um den besten Weg. der Weitung des Blickes, weg von den tagespolitischen Auseinandersetzungen hin zu dem, was die nachfolgen- Wir haben am vergangenen Montag in der SPD-Frak- den Generationen anlangt. tion eine Expertenanhörung durchgeführt und uns über 30 Beispiele aus der Praxis angesehen. Dabei haben wir Mir ist aufgefallen – Ihnen sicherlich auch –, dass das festgestellt, dass das Thema „Demografische Entwick- Wort Nachhaltigkeit sehr oft gebraucht wird. Die Nach- lung und Infrastruktur“ vom 500 000 Kilometer umfas- haltigkeit hat einen immensen Aufschwung genommen, senden Rohrleitungssystem in Deutschland bis hin zu zumindest verbal. Nachhaltigkeit kommt übrigens aus Qualifizierungsmaßnahmen von älteren Mitbürgerinnen der Landwirtschaft. und Mitbürgern reicht. Wir müssen diese Projekte auf- zeigen und voneinander lernen. Dann gewinnt diese De- (Hans-Michael Goldmann [FDP]: Forstwirt- batte an Fahrt und macht Sinn. schaft!) Bevor wir ein Fazit unserer Beratung ziehen, sind wir – Forstwirtschaft; danke schön, Herr Kollege Goldmann. gefordert, in den Gremien dafür zu sorgen, dass wir im Ich wollte einmal testen, ob Sie dabei sind. Hinblick auf die Gesetzgebung – das betrifft die Bau- (Heiterkeit – Ernst Burgbacher [FDP]: gesetzgebung, die Umweltgesetzgebung und die Raum- Goldmann ist immer dabei! Goldmann ist ordnungsgesetzgebung – folgende Frage beantworten: nachhaltig dabei!) Wie schaffen wir es, die Gesetze so anzupassen, dass ein Rahmen für die Förderung von Nachhaltigkeit und Da- Der Begriff kommt aus der Forst- und Landwirtschaft. seinsvorsorge entsteht und Förderprogramme daran aus- gerichtet werden können? Wenn wir dies schaffen, hat Der Begriff der Nachhaltigkeit hat sich geweitet: Poli- sich die Arbeit gelohnt. Wir freuen uns, dass die Arbeit tik soll nachhaltig sein. Unternehmen sollen nachhaltig jetzt in den Gremien des Deutschen Bundestages be- handeln. Versicherungen bieten nachhaltige Verträge an. ginnt. Literatur, Kunst und Architektur, alles ist auf einmal nachhaltig. Wenn man ins Internet geht und den Begriff Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. „Nachhaltigkeit“ in eine Suchmaschine eingibt, also (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der klassisch googelt, dann erhält man innerhalb von weni- CDU/CSU, der FDP und der LINKEN) gen Sekunden 2,5 Millionen Treffer. – Im Jahre 2000 wussten gerade einmal 13 Prozent der Bürgerinnen und Bürger überhaupt etwas mit dem Begriff der Nachhaltig- Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: keit anzufangen. Das sieht heute anders aus. Zumindest Letzte Rednerin in dieser Debatte ist die Kollegin (B) wird der Begriff sehr oft verwendet. (D) Julia Klöckner, CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Die inflationäre Verwendung des Begriffs der Nach- haltigkeit sollte jedoch nicht unser Ziel sein. Wir sollten das Erreichte nicht an der Quantität messen, also daran, Julia Klöckner (CDU/CSU): wie oft „Nachhaltigkeit“ letztlich als Modewort verwen- Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und det wird. Kollegen! Ich darf die Debatte, die heute zu einer promi- nenten Zeit, zur Kernzeit, stattfindet, beschließen. Sie (Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Sehr richtig!) haben gemerkt, die Debatte ist nicht, wie man es sonst gewohnt ist, sehr kontrovers zwischen Opposition und Es geht um die Qualität, also um das, was die Einstu- Koalitionsfraktionen geführt worden, und es ist hier fung als nachhaltig auch wirklich verdient. nicht zu großen Zusammenstößen gekommen. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Grund dafür ist das, was einige der Vorredner schon Deshalb ein mahnendes Wort an uns alle: Wir dürfen in herausgestellt haben, nämlich dass wir in der Zielbe- unserem Engagement um die Nachhaltigkeit diese nicht schreibung, aber auch in der Wahrnehmung und Analyse zu einem inhaltsleeren Schlagwort verkommen lassen. sehr nahe beieinander liegen. Das ist schon ein sehr gro- ßer Wert; das muss sicherlich festgehalten werden. Aber Das haben wir uns als Nachhaltigkeitsbeirat auf die dann, wenn es konkret wird, wenn es um einzelne An- Fahnen geschrieben. Nachhaltigkeit ist für uns das Den- träge oder Gesetze in den unterschiedlichen Ausschüs- ken an morgen, aber auch das Handeln für morgen. Für sen geht, geht das Gefühl, das wir uns im Nachhaltig- uns ist der integrative, aber auch der globale Politikan- keitsbeirat – auch dank unseres Vorsitzenden, Herrn satz sehr wichtig. Was zum Beispiel eine Erbschaft für Günter Krings – den Einzelnen bedeutet, kann, denke ich, fast jeder nach- empfinden. Schwieriger aber gestaltet es sich, mit kol- (Beifall des Abg. Dr. Martina Krogmann lektiven Erblasten oder Erbschaften umzugehen bzw. [CDU/CSU]) sich da hineinzuversetzen und auf dieser Grundlage vo- erarbeitet haben, nämlich das Gefühl des Zusammen- rausschauend die richtigen Weichenstellungen vorzu- arbeitens auch über die Fraktionsgrenzen hinweg im nehmen. Deshalb darf sich die Idee der Nachhaltigkeit Sinne der nachfolgenden Generationen, leider allzu nicht auf das Hier und Jetzt beschränken; das wäre fatal. schnell verloren, weil die Tagespolitik, das Tages- Wir müssen uns im Hier und Jetzt Gedanken machen. geschäft den Blickwinkel dann doch wieder verengt. Aber selbstgenügsam zu sein und heute nach dieser 10398 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 101. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Mai 2007

Julia Klöckner (A) Debatte festzuhalten: „Irgendwie sind wir uns doch alle Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: (C) einig“, wäre sicherlich viel zu wenig. Ich schließe die Aussprache. (Beifall bei der CDU/CSU) Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 16/4900 an die in der Tagesordnung aufge- Gerade für uns als Junge Gruppe – ich spreche heute führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein- nicht nur als Mitglied des Beirates, sondern auch als verstanden? – Dann ist die Überweisung so beschlossen. Mitglied der Jungen Gruppe unserer Fraktion – ist die Generationengerechtigkeit integrativer Bestandteil der Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 32 a und 32 b Nachhaltigkeit. auf: (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Gudrun Kopp, Michael Kauch, Angelika Brunkhorst, Natürlich müssen wir dafür sorgen, dass die im Hier und weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Jetzt bestehenden Bedürfnisse befriedigt werden; wir möchten keinen Generationenkonflikt. Aber die Bedürf- Klimawandel ernst nehmen – Kernener- nisse, die jeder Mensch hat und die natürlich immer zu gielaufzeiten verlängern toppen sind, müssen auf eine Art befriedigt werden, dass auch die nachkommenden Generationen noch Ressour- – Drucksache 16/3138 – cen vorfinden. Wir müssen über den Tag hinaus denken. Überweisungsvorschlag: Für mich als Vertreterin einer christlich-demokratischen Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (f) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Partei hat das auch etwas mit dem christlichen Men- schenbild und mit der Bewahrung der Schöpfung zu tun. b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- richts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz (Eva Bulling-Schröter [DIE LINKE]: Hört! und Reaktorsicherheit (16. Ausschuss) Hört!) – zu dem Antrag der Abgeordneten Michael Sie ist nicht unser Eigentum; es darf nicht darum gehen, Kauch, Angelika Brunkhorst, Horst dass sie uns im Hier und Heute zugutekommt. Meierhofer, weiterer Abgeordneter und der Natürlich führt das immer zu Debatten. Das merken Fraktion der FDP wir, wenn wir uns in ganz konkreten Fragen einigen Internationale und europäische Klima- müssen, zum Beispiel bei der Steuergesetzgebung, beim schutzoffensive 2007 Schuldenabbau und im Hinblick auf das Rentensystem und die Pflegeversicherung. Wir sollten uns daher ein- – zu dem Antrag der Abgeordneten Eva Bulling- (B) deutig für die Einführung von Generationenbilanzen Schröter, Dr. Dagmar Enkelmann, Hans-Kurt (D) aussprechen, durch die die Verteilung der Lasten zwi- Hill, weiterer Abgeordneter und der Fraktion schen den Generationen transparent gemacht werden der LINKEN könnte. Es darf nicht alle fünf Jahre darüber geredet wer- Nationales Sofortprogramm und verbindli- den, wie hoch die Verschuldung ist, die jedes neugebo- che Ziele für den Klimaschutz festlegen rene Kind quasi als „Begrüßungsgeschenk“ bekommt. Mit einer transparenten und jährlich aufzustellenden Ge- – Drucksachen 16/4610, 16/5129, 16/5439 – nerationenbilanz schaffen wir es, die Themen Ökono- Berichterstattung: mie, Ökologie und Soziales langfristig miteinander zu Abgeordnete Andreas Jung (Konstanz) verbinden. Frank Schwabe Michael Kauch Zudem würde sich dadurch auch die große Chance ei- Eva Bulling-Schröter ner Gesetzesfolgenabschätzung bieten. Das haben wir, Dr. Reinhard Loske die Junge Gruppe in der CDU/CSU-Fraktion, gefordert. Wir hoffen, dass es die Regierung schaffen wird, ihren Der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktor- Politikansatz nicht ressortisoliert, sondern ministerien- sicherheit hat in seine Beschlussempfehlung auf übergreifend zu gestalten. Drucksache 16/5439 den Antrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/4610 mit dem Titel „Internationale (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) und europäische Klimaschutzoffensive 2007“ einbezo- Das ist unser Wunsch an die Regierung. Ich bin zuver- gen. Über diese Vorlage soll ebenfalls abschließend be- sichtlich, dass wir dieses Ziel gemeinsam mit den jungen raten werden. Ich gehe davon aus, dass Sie auch damit Abgeordneten, die im Parlament vertreten sind, und mit einverstanden sind. – Das ist offensichtlich der Fall. den vernünftigen älteren Abgeordneten erreichen wer- Dann wird so verfahren. den. Das macht unser Land lebenswert. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für diese Vielen Dank. Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die Fraktion der FDP sechs Minuten erhalten soll. – Ich höre (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie dazu keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. bei Abgeordneten der FDP – Lutz Heilmann Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort der [DIE LINKE]: Das ist aber nicht nachhaltig, Kollegin Gudrun Kopp für die FDP-Fraktion. wenn Sie von vernünftigen und anderen Abge- ordneten sprechen!) (Beifall bei der FDP) Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 101. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Mai 2007 10399

(A) Gudrun Kopp (FDP): zu verhindern, und sagen Sie Ja zu einer Verlängerung (C) Frau Präsidentin! Sehr geehrte Herren und Damen! Es der Laufzeiten der Kernkraftwerke. gibt sehr ehrgeizige Klimaschutzziele, die richtig sind, sich aber in ihrer tatsächlichen Umsetzung bewahrheiten Vielen Dank. müssen. So möchte ich darauf hinweisen, dass die Bun- (Beifall bei der FDP – Ulrich Kelber [SPD]: desregierung das Ziel der Minderung des CO2-Ausstoßes Sie sind die einzige, die die Fakten nicht gele- um 40 Prozent gegenüber 1990 für realistisch hält. Für sen hat! Sie sind ideologisch! Bringen Sie ein Kohlekraftwerke wird dabei CO2-Neutralität ab dem einziges Mal Fakten, wenn Sie ans Rednerpult Jahre 2012 unterstellt. Hier wird ein sehr ehrgeiziges gehen!) Ziel formuliert, das im Vorgriff auf die nächsten 20 Jahre zum Teil auf einer bestimmten Technologie basiert. Das ist sehr unsicher. Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Nächster Redner ist der Kollege Andreas Jung, CDU/ (Ulrich Kelber [SPD]: Sie müssen die Szena- CSU-Fraktion. rien mal lesen! Das steht da überhaupt nicht drin!) (Beifall bei der CDU/CSU) Wir müssen erkennen, dass wir hinsichtlich der Min- derung der CO2-Emissionen gerade in den letzten beiden Andreas Jung (Konstanz) (CDU/CSU): Jahren immer weiter zurückgefallen sind. Die Aufgaben Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! werden schwieriger: Im Jahre 2005 betrugen unsere Wir können in diesen Tagen nicht über den Klimaschutz CO2-Emissionen 872 Millionen Tonnen. Die Franzosen, diskutieren, ohne einen Blick nach Heiligendamm zu die 78 Prozent ihrer Stromproduktion mit kerntechnolo- werfen; gischen Anlagen abdecken, hatten im Vergleich dazu nur 353 Millionen Tonnen. – Ich bin davon überzeugt – und (Eva Bulling-Schröter [DIE LINKE]: Genau!) mit mir meine Fraktion –, dass wir das Klimaschutzziel nicht erreichen können, wenn wir im Zeitraum bis 2020 wir wissen, dass viele Bürgerinnen und Bürger in auf die Kernenergie verzichten. Deutschland, in Europa und auf der ganzen Welt dies ebenfalls tun. Der Zwischenruf seitens der Linkspartei Ein Verzicht auf die Kernenergie könnte schiefge- zeigt, dass manche Menschen dies auch mit einer gewis- hen; denn wir müssen bedenken, dass ein Drittel der sen Sorge tun, nämlich der Sorge, ob es dort wirklich ge- deutschen Stromproduktion durch die 17 noch existie- lingt, einen Durchbruch zu erzielen. Genau das hat sich renden Kernkraftwerke erfolgt, die auf eine mögliche die Bundeskanzlerin zum Ziel gesetzt. Die Bundesregie- (B) Laufzeitverlängerung hoffen. Das heißt, 50 Prozent der rung hat dies von Anfang an in den Mittelpunkt der Vor- (D) Grundlast basieren auf der Kerntechnologie, auf die wir bereitungen gestellt: Wir wollen auf diesem G-8-Gipfel zumindest kurz- und mittelfristig schlecht verzichten die Vorarbeiten dafür leisten, dass Ende dieses Jahres auf können. Bali der Durchbruch für ein internationales Klima- (Ulrich Kelber [SPD]: Haben Sie die Experten- schutzregime für die Zeit nach 2012 erreicht werden szenarien gelesen? Sie reden dran vorbei!) kann. Wir wissen, wenn dieser Durchbruch nicht gelingt, dann wird es unglaublich schwer werden. Diese 50 Prozent können nicht allein durch erneuerbare Energien ersetzt werden; denn nicht alle sind grundlast- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) fähig. Das ist das Problem. Ich glaube, von uns allen als Vertretung der Bürgerin- (Beifall bei der FDP) nen und Bürger Deutschlands, als gesamtes Haus, sollte von dieser Stelle aus ein Signal an die Bundesregierung Das bedeutet im Umkehrschluss, dass wir auf neue ausgehen, dass wir diese Initiative unterstützen. Wenn in Kraftwerke setzen müssen, auf Kraftwerke, die fossile Heiligendamm demonstriert wird, dann doch mit dem Brennstoffe wie Kohle, Öl oder Gas nutzen. Das führt je- Ziel, die Bundesregierung zu unterstützen; denn wir wis- doch wieder zu mehr CO2-Emissionen und damit zu hö- sen, dass die G-8-Staaten, die dort vertreten sind, für den heren Kosten. Es führt auch zu weniger Sicherheit bei Großteil der CO2-Emissionen in der Welt – nur acht der Versorgung, weil eine größere Abhängigkeit von Im- Staaten verursachen fast 50 Prozent – verantwortlich porten entsteht. Das macht unsere Energielage in sind. Damit haben diejenigen, die dort versammelt sind, Deutschland insgesamt kritischer. Die Erreichung unse- den Schlüssel in der Hand. rer ehrgeizigen Klimaschutzziele, die wir unterstreichen, wird dadurch immer weniger wahrscheinlich. Es ist daher richtig, dass die Bundeskanzlerin auch deutliche Worte gegenüber dem amerikanischen Präsi- Ich muss schließen. Ich hoffe darauf, dass auch Sie, denten findet und die USA immer wieder drängt, er- die Herren und Damen der Koalitionsfraktionen, einse- mahnt und auffordert, sich in den Klimaschutzprozess hen, einzubringen. Nach meiner Überzeugung müssen wir (Ulrich Kelber [SPD]: Wir haben die immer wieder deutlich machen, dass wir ohne die USA Szenarien gelesen!) nichts erreichen können, weil ihnen als weltweit größter Emittent eine Schlüsselrolle zukommt. dass aufgrund Ihrer Ideologie die Energie teurer wird und es der Umwelt schlechter geht. Versuchen Sie, das (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) 10400 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 101. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Mai 2007

Andreas Jung (Konstanz) (A) Solange die USA nicht mitmachen, können sich viel zu (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- (C) viele Länder darauf berufen und sich ebenfalls untätig neten der SPD) zurücklehnen. Insofern meine ich – das war auch Gegenstand der An- Insofern bitte ich alle, zu demonstrieren. Sie sollten hörung zum Klimaschutz, die diese Woche im Bundes- aber nicht gegen etwas demonstrieren, sondern für et- tag stattgefunden hat –, dass die Europäische Union alles was, nämlich für die Ziele, die die Bundesregierung in tun muss, um die Voraussetzungen zu verbessern. Heiligendamm erreichen will. Die Bundesrepublik Deutschland hat den G-8-Gipfel Ich will einen weiteren Punkt ansprechen. Ich finde es unter das Motto „Wachstum und Verantwortung“ ge- ausgesprochen gut, dass nicht nur geredet wird, sondern stellt. Ich bin der Überzeugung, dass darin der Schlüssel dass auch durch Handeln dokumentiert wird, dass sich in für die Diskussion in der internationalen Klimaschutz- Heiligendamm kein Club einiger reicher und mächtiger politik liegt. Wir sollten vorleben, dass Wachstum und Industriestaaten trifft – es ist kein „Closed Shop“, in dem Verantwortung keine Gegensätze sind; denn derjenige, man unter sich bleibt –, sondern dass dort auch Gesprä- der Verantwortung für das Weltklima und den Klima- che mit den Regierungschefs der Schwellenländer ge- schutz übernimmt, muss nicht auf Wachstum verzichten. führt werden. Die Bundeskanzlerin hat in der gestrigen Ein erhöhter CO2-Ausstoß ist keine Voraussetzung für Debatte darauf hingewiesen, dass wir ohne die Schwel- ein erhöhtes Wirtschaftswachstum. Unsere Verantwor- lenländer viele Ziele nicht erreichen können. Sie hat in tung besteht darin, im eigenen Land zu beweisen, dass diesem Zusammenhang ausdrücklich den Klimaschutz beides möglich ist: Unsere Wirtschaft wächst, obwohl erwähnt. Es ist richtig: Wir brauchen dafür auch die wir ehrgeizige Maßnahmen zugunsten des Klimaschut- USA. Wir haben hier als Industriestaaten eine besondere zes durchführen. Verantwortung. Es wird aber nicht ohne die Länder ge- Energieeffizienz – in Gebäuden, aber auch im Privat- hen, die derzeit wirtschaftlich aufholen – manche von ih- haushalt – ist eines der wichtigsten Themen dieser Gro- nen, wie China, sind auf dem Weg, sogar die USA zu ßen Koalition. überholen – und dadurch verstärkt zu den CO2-Emissio- nen beitragen. Insofern ist es gut, dass China, Indien, (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Brasilien und Mexiko beteiligt sind, damit gemeinsam neten der SPD) beraten werden kann, wie wir vorankommen können. Bei Haushaltsgeräten treten wir für das Top-Runner-Pro- Es ist auch richtig, dass Afrika im Fokus dieses Gip- gramm ein, mit dem das beste Gerät zum Standard wer- fels steht. Darauf hat die Bundeskanzlerin gestern sehr den soll. So entsteht in der Wirtschaft Handlungsdruck, dezidiert hingewiesen. dem „besten“ Hersteller zu folgen und nicht hinter sei- (B) nem Niveau zurückzubleiben. Effizienz ist auch im Ver- (D) (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) kehrsbereich ein wichtiges Gebot. Alle Maßnahmen, die wir bereits umgesetzt haben oder vorhaben – wie die Sie hat auch das mit dem Klimaschutz verknüpft. Wir Umstellung der Kfz-Steuer auf den CO2-Verbrauch, die müssen uns fragen, wie wir den Belangen der Entwick- Klimaschutzvorgaben bei den Personenkraftwagen oder lungsländer gerecht werden können, die zu Recht bekla- die Einbeziehung des Flugverkehrs in den CO2-Emis- gen, dass sie die Hauptlast der negativen Folgen der sionshandel –, zielen doch darauf ab, mit möglichst we- CO2-Emissionen tragen, obwohl sie nur einen ver- nig Energie möglichst viel zu erreichen und bei mög- schwindend geringen Anteil daran haben. Weil sie wis- lichst wenig CO2-Ausstoß möglichst viel Mobilität und sen, dass wir über neue Technologien verfügen und er- Wirtschaftswachstum zu haben und diesbezüglich nicht neuerbare Energien nutzen, treten diese Länder mit der in irgendeiner Weise zurückstecken zu müssen. – Wir Forderung an uns heran, auch ihnen Zugang zu diesen müssen in all diesen Bereichen effizienter werden. Möglichkeiten zu verschaffen. Wir stehen unsererseits vor der Problematik, dass diese Technologien nicht in Das gilt selbstverständlich auch für die Energie- staatlicher Hand sind; sie sind in privatem Besitz, und erzeugung. Wir müssen darüber nachdenken, wie wir das geistige Eigentum ist durch Patente geschützt. mit neuen, umweltfreundlichen Energien unsere Ener- gieversorgung sicherstellen können. Deshalb ist es über- Es ist deshalb aber umso wichtiger, dass wir uns da- haupt keine Frage, dass die Große Koalition erneuerbare rum bemühen, die im Kiotoprotokoll vorgesehenen In- Energien und nachwachsende Rohstoffe fördert. Wir strumente, zum Beispiel den CDM, zu nutzen, sodass sie wollen immer mehr und möglichst viel unseres Energie- nicht nur auf dem Papier fortbestehen. Wir haben uns als bedarfs damit abdecken. Große Koalition dafür ausgesprochen, den Anteil sol- cher Entwicklungshilfeprojekte am nationalen Budget (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) im Emissionshandelssystem auf 20 Prozent zu erhöhen. Deshalb ist es auch wichtig, dass wir das Ziel der Ener- Ich halte das für richtig. Wir denken in der Union sogar gieeffizienz im Rahmen des Emissionshandelsplans ver- darüber nach, ob man nicht noch mehr machen kann. folgen. Wir haben ein Cap vorgelegt, mit dem wir unsere Kiotoverpflichtung, die Reduktion des CO -Ausstoßes Es ist aber auch danach zu fragen, wie die praktische 2 um 21 Prozent bis zum Jahre 2012, erreichen werden. Umsetzbarkeit verbessert werden kann; denn es ist fest- zustellen, dass vielleicht in China manche Projekte um- Es ist schon gesagt worden, dass wir noch ehrgeizi- gesetzt werden, aber gerade in Afrika noch viel zu wenig gere Ziele haben. Wir als Deutscher Bundestag haben in diesem Bereich geschieht. das Ziel formuliert, unsere CO2-Emissionen bis zum Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 101. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Mai 2007 10401

Andreas Jung (Konstanz) (A) Jahr 2020 um 40 Prozent zu reduzieren. Minister Gabriel lich Handlungsbedarf. Jetzt gibt es auch noch den alar- (C) hat in seiner Regierungserklärung ein Acht-Punkte-Pro- mierenden Hinweis, dass die CO2-Emissionen seit der gramm vorgelegt, mit dem das seiner Meinung nach er- Jahrhundertwende weltweit dreimal schneller ansteigen reicht werden kann. Liebe Kolleginnen und Kollegen der als in den 90er-Jahren. Wir müssen aufpassen, dass sie FDP, Sie sagen jetzt, dass wir unser Ziel ohne die Nut- nicht weiter ansteigen. zung der Kernenergie nicht erreichen können Auch hierzulande steckt der Klimaschutz in einer (Ernst Burgbacher [FDP]: Das meinen Sie Sackgasse. In Deutschland ist der CO2-Ausstoß heute doch auch!) höher als 1990. Wenn wir nicht aufpassen, steigt er wei- und stellen einen Antrag auf Laufzeitverlängerung. Sie ter. Jetzt wird der Bau neuer Kohlekraftwerke geplant, kennen doch unsere Koalitionsvereinbarung. Sie wissen, 40 an der Zahl. Vonseiten der SPD wird immer wieder dass wir diesem Antrag nicht zustimmen werden. gesagt, sie würden gar nicht gebaut werden. Deshalb mein Appell: Tun Sie endlich etwas dafür, dass wir in Ich finde richtig, dass wir, wie Sie in Ihrem Antrag diesem Land einen ökologischen Energiemix erhalten schreiben, dieses Thema ideologiefrei diskutieren müs- und dass die Kohlekraftwerke nicht gebaut werden! Set- sen. Wenn man das tut, stehen sich zwei Dinge gegen- zen Sie sich dafür beim nächsten Energiegipfel ein! Tun über: auf der einen Seite die Risiken, die sich aus dem Sie etwas! Ein CO2-freies Kohlekraftwerk gibt es nicht. Umgang mit radioaktivem Material ergeben, auf der an- Das ist eine Lüge. Diese Mär sollte öffentlich so nicht deren die Möglichkeit einer weitgehend CO2-freien stehen bleiben. Energieproduktion. Diese Diskussion wird man beizei- ten führen müssen. (Beifall bei der LINKEN) (Ernst Burgbacher [FDP]: Wann?) Die FDP meint in ihrem Antrag, der Bundesregierung Man wird fragen müssen, wann das Risiko größer ist: fehle eine schlüssige Strategie. Wir, Die Linke, meinen, wenn man die Laufzeit sicherer, bestehender Kraftwerke dass ihr der Wille fehlt, sich mit den Konzernen anzule- um einige Zeit verlängert oder wenn man neue Kohle- gen. Die Liberalen wollen die Laufzeiten der Atomkraft- kraftwerke baut und damit die Energieerzeugung auf Ba- werke verlängern. Herr Jung hat sich dazu seltsamer- sis des Kohlenstoffdioxidausstoßes fortsetzt, die ja ge- weise gar nicht geäußert. Haben Sie vergessen, dass es rade für den Klimawandel verantwortlich ist? Diese Tschernobyl gab? Von Ihnen war doch im letzten Jahr Diskussion müssen wir führen, sobald sich diese Frage jemand dabei, als es um den 20. Jahrestag der damaligen stellt. Ich freue mich darauf, dies mit Ihnen allen in den Katastrophe ging. Oder was ist mit Forsmark? Hat das kommenden Monaten und darüber hinaus zu diskutieren. nicht existiert? Auch dass Kernbrennstoffe in einem hal- (B) ben Jahrhundert aufgebraucht sein werden, blendet die (D) Herzlichen Dank. liberale Fraktion aus. Um ein paar Großkonzerne ein (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- paar Jahre länger zu bedienen und ihnen Profite zu er- neten der SPD) möglichen, wollen die Liberalen den strahlenden Abfall- berg weiter vergrößern. Es gibt Zahlen darüber, welche Profite ein abgeschriebenes Atomkraftwerk pro Jahr er- Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: wirtschaftet. Nächste Rednerin ist die Kollegin Eva Bulling- Schröter, Fraktion Die Linke. Es gibt den Vorschlag von Herrn Glos – Sie haben (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert darüber leider nicht gesprochen –, diese Gewinne abzu- Winkelmeier [fraktionslos]) schöpfen und anschließend in regenerative Energien zu investieren; darüber werden wir noch sprechen. Aber ist das glaubhaft? Sie schaffen es bislang noch nicht einmal, Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE): die Sonderprofite abzuschöpfen. Und dann wollen Sie Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! einen neuen Vertrag schließen, der wahrscheinlich wie- Ich habe gestern einem Wettlauf von Vertretern der G-8- der nicht eingehalten wird? Ihre Glaubwürdigkeit ist Staaten gegen einen Eisbären beigewohnt. Leider ist in gleich null. Dieser Vorschlag verhindert eine nachhaltige diesem Szenario der Eisbär gefallen. Damit das nicht Energiewende. Wir brauchen keine zentralisierte Ener- Wirklichkeit wird, werden wir darüber nachdenken und gieinfrastruktur, sondern regenerative Energien. etwas dafür tun müssen, damit das Klima gerettet wer- den kann. Die Aktion fand gestern in der Frühe in der Dass der Atomstrom wirtschaftlicher ist, wie Sie es Nähe des Bundestages statt. Sie wurde von G-8-Gipfel- uns immer weismachen wollen, stimmt nicht, Frau Gegnern veranstaltet, die sich große Sorgen machen, Kopp. Gehen Sie einmal zur Strombörse in Leipzig und dass das Klima den Mächtigen dieser Welt geopfert schauen Sie sich an, wie sich der Börsenpreis zusam- wird. Das wollen wir nicht. mensetzt. Abgeschriebene Atomkraftwerke erwirtschaf- ten dort Milliardenprofite, weil Steinkohle oder Gas (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert den Grenzpreis bilden. Kein Cent wird an die Kunden Winkelmeier [fraktionslos]) weitergegeben. Im Übrigen ist es merkwürdig, dass aus- Der jüngste IPCC-Bericht spricht für sich; am Diens- gerechnet Sie die ideologiefreien Klimaretter sein wol- tag hat uns Herr Pachauri noch einmal sehr eindrucks- len. Ich kann mich noch an die letzten Legislaturperio- voll die Probleme dargelegt. Am Mittwoch hatten wir den erinnern. Damals saßen Sie auf dem Schoß von eine Anhörung zum Thema Klimawandel. Es gibt wirk- RWE und Vattenfall. 10402 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 101. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Mai 2007

Eva Bulling-Schröter (A) All das wollen wir nicht. Der von uns eingebrachte eine günstigere Bilanz als Atomstrom. Blockheizkraft- (C) Antrag, über den heute abgestimmt wird, sieht ein werke auf Erdgasbasis liegen bei den CO2-Emissionen Sofortprogramm vor. Wir wollen eine Reduktion der nahezu gleichauf mit Atomkraftwerken; denn Atom- Treibhausgase um 40 Prozent bis zum Jahr 2020, egal ob kraftwerke erzeugen nur Strom, aber keine Wärmeener- andere Industrieländer ebenfalls reduzieren. Wir halten gie. Die Berechnungen des Öko-Instituts lassen zudem es auf jeden Fall für dringend notwendig. Bis 2050 muss die zusätzlichen Emissionen der Endlagerung für radio- die Reduktion bei 80 Prozent liegen. aktive Abfälle unberücksichtigt. Es bleibt also festzuhal- ten: Die CO2-Freiheit der Atomenergie ist eine Mär, die Das Top-Runner-Programm wurde bereits angespro- auch durch permanente Wiederholung nicht wahr wird. chen. Bitte legen Sie ein solches Programm auf. Wir werden das unterstützen. (Beifall bei der SPD – Gudrun Kopp [FDP]: Das stimmt nicht! Das ist falsch!) Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Mehr noch: Die Klimabilanz der Atomenergie wird Frau Kollegin, bitte denken Sie an Ihre Redezeit. sich in den kommenden Jahren weiter verschlechtern, Frau Kopp. Warum? Für die Befriedigung des weltwei- Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE): ten Uranbedarfs müssen zukünftig immer schlechtere Die Vorschläge liegen auf dem Tisch. Sie müssen sie Erzqualitäten ausgebeutet werden. Der höhere Auf- nur annehmen. wand führt zu einer Steigerung der CO2-Emissionen. Gleichzeitig verschlechtert sich die Energiebilanz der Danke. Atomkraft. Das heißt, der Energiebedarf zur Urangewin- nung nimmt im Vergleich zur neu erzeugten Energie- Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: menge der Atomkraftwerke zu. Im Endstadium wird die Das Wort hat nun der Kollege Christoph Pries für die Atomenergie mehr Energie verbrauchen, als sie produ- SPD-Fraktion. ziert. Das ist eine Feststellung, die im übertragenen Sinne bereits für die heutige Debatte gilt. Wir erhitzen (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) seit Jahren unsere Gemüter in der Diskussion über eine Energieform, die gerade einmal 3 Prozent des weltwei- Christoph Pries (SPD): ten Verbrauchs deckt. Eine Marginalie, liebe Kollegin- Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und nen und Kollegen. Kollegen! Wir diskutieren heute zum wiederholten Mal in dieser Wahlperiode über die Zukunft der deutschen Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: (B) Atomkraftwerke. Niemand von uns wird von der heuti- Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der (D) gen Aussprache ernsthaft neue Erkenntnisse erwarten. Kollegin Kopp? Stellt sich die Frage, warum wir trotzdem ständig da- rüber diskutieren. Die Ursache ist eine geradezu rüh- rende Besorgnis zweier Oppositionsfraktionen um die Christoph Pries (SPD): Position der SPD. Da sind zunächst die Grünen. Sie kön- Ja, gerne. nen einfach nicht glauben, dass wir beim Atomausstieg nicht wackeln. Da ist die FDP. Sie will einfach nicht Gudrun Kopp (FDP): glauben, dass wir beim Atomausstieg nicht wackeln. Um Herr Kollege, sind Sie bereit, zu akzeptieren, dass es kurz zu machen: Die SPD wird beim Atomausstieg nach seriösen und neuesten Studien während des gesam- nicht wackeln. ten Lebenszyklus von Uran – von der Gewinnung bis hin (Beifall bei der SPD) zur Endlagerung – zwischen einem und drei Hundertstel der CO2-Emissionen entstehen, die bei einem Braunkoh- Für uns ist die Atomenergie keine Zukunftstechnologie. lekraftwerk anfallen? Die Vergleiche kann man für alle Für uns ist die Atomtechnologie keine Übergangstech- anderen Kraftwerke fortsetzen. Ihr Parteivorsitzender, nologie. Für uns ist die Atomenergie ein Auslaufmodell. Herr Beck, hat schon einmal eine Aussage zu diesem Thema getroffen. Ich denke, diese Informationen sollten (Beifall bei der SPD) inzwischen bei allen Mitgliedern der SPD-Fraktion an- Liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP, die gekommen sein. Atomenergie leistet keinen nennenswerten Beitrag zum Klimaschutz. Dies belegen mehrere aktuelle Szenarien Christoph Pries (SPD): unabhängig voneinander. Frau Kopp, ich hoffe, dass Meine liebe Frau Kopp, ich habe es gerade ausge- Sie sie auch einmal lesen. Sie machen deutlich, dass führt: Die Qualität des Uranerzes wird immer schlechter das 40-Prozent-Ziel bei der Reduktion der Treibhaus- werden, sodass die Energiebilanz insgesamt schlechter gase und der Atomausstieg bis 2020 zu vertretbaren wird. Man kann eines sagen: Je mehr Atomkraftwerke Kosten realisiert werden können. Ein Beispiel: Das Öko- gebaut werden, desto problematischer wird diese ganze Institut hat die Klimabilanzen der Strombereitstellung Angelegenheit. Wir müssen sehen, dass wir auch dem aus nuklearen, fossilen und erneuerbaren Energien für Klimaschutz zuliebe so schnell wie möglich bis zum den gesamten Lebenszyklus verglichen. Das Ergebnis: Jahre 2020 aus dieser Energieform aussteigen. Mit Biogas betriebene Blockheizkraftwerke, erneuerbare Energien und Maßnahmen zur Energieeffizienz haben (Beifall bei der SPD) Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 101. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Mai 2007 10403

Christoph Pries (A) Wenn wir den Anteil an Atomenergie signifikant stei- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (C) gern wollten, wäre ein gigantisches Ausbauprogramm sowie bei Abgeordneten der SPD und der LIN- erforderlich. Das ist finanziell utopisch und sicherheits- KEN) politisch und sicherheitstechnisch unverantwortlich. Was Wie ist es denn nun mit dem Argument des Klima- wir brauchen, sind nicht mehr Megawatt in der Produk- schutzes? Die Konzerne machen sich Sorgen um das tion, sondern weniger Megawatt im Verbrauch. Wir Klima und um den Ausbau der erneuerbaren Energien. brauchen eine höhere Energieproduktivität und mehr er- Beides ist neu, beides ist unglaubwürdig. Denn was tun neuerbare Energien. Dezentrale, effiziente und flexible sie gerade? Bauen sie Biomassekraftwerke? Bauen sie Versorgungsstrukturen sind die Lösung, nicht längere Solarparks? Ja, in homöopathischen Dosen. In großer Laufzeiten für Uraltreaktoren. Lassen Sie uns deshalb Zahl beantragen und planen sie Genehmigungen für gemeinsam auf der Basis des Atomkonsenses an einer Kohlekraftwerke. Würden all die geplanten Kohle- zukunftsfähigen und klimaverträglichen Energieversor- kraftwerke ans Netz gehen, dann läge der CO -Ausstoß gung arbeiten. Die SPD-Fraktion ist dazu bereit. 2 bei 170 Millionen Tonnen im Jahr. So viel zum An- Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. spruch der Chefs der Energiekonzerne, Klimaschützer zu sein. (Beifall bei der SPD) Ökonomisch gedacht, ist das Ganze angesichts der Angebote, die Ihr Minister den Energiekonzernen zum Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Bau neuer Kohlekraftwerke macht – Stichwort „Emis- Das Wort hat nun die Kollegin Sylvia Kotting-Uhl für sionshandel“ –, übrigens wenig verwunderlich. Ich sage die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen. Ihnen: Wer der Argumentation Ihres Ministers – wer die Kohle nicht will, wird Atom bekommen – folgt, der wird am Ende beides haben. Die Argumentation ist nämlich Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): diese: die Atomkraft als Brücke zur CCS-Technologie, Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe und die CCS-Technologie als Brücke zu den erneuer- Kolleginnen und Kollegen von der FDP, ein Vergnügen baren Energien. So viel Übergangstechnologie hin zu teilen wir bei diesen Debatten, nämlich den Spaß an der einer Energieform, die – ganz im Gegensatz zur CCS- Uneinigkeit in der Großen Koalition über dieses Thema. Technologie – bereits heute da ist! (Zuruf der Abg. Dr. Maria Flachsbarth [CDU/ (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN CSU]) sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Wie sah es denn im Januar 2007 aus? Hören Sie sich (B) – Ja, damit ist unsere Einigkeit natürlich ausgeschöpft, (D) die Zahlen gut an: 9 483 Gigawatt Strom aus erneuerba- nicht aber die Uneinigkeit der Koalition. ren Energien wurden ins Netz eingespeist, und das bei Ein besonders drastisches Beispiel für diese Uneinig- einer Gesamtmenge von 44 136 Gigawatt. Das heißt, es keit erleben wir gerade wieder: Minister Gabriel lehnt gab fast 10 000 Gigawatt Strom aus erneuerbaren Ener- – ganz auf dem Boden des Atomgesetzes – den Haupt- gien. Das Vergnügen, sich den Prozentsatz auszurech- antrag von RWE zur Verlängerung der Laufzeit von nen, überlasse ich Ihnen gerne selbst. Die VDN-Pro- Biblis A ab. gnose für 2007 von 15,84 Prozent werden wir wahrscheinlich deutlich übertreffen. Der WBGU (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN schließt daraus, dass wir im Jahr 2025 global zwei Drit- sowie bei Abgeordneten der SPD) tel des Strombedarfs aus erneuerbaren Energien herstel- len können. Es handelt sich um einen Reaktor, der als Vertreter der „unverzichtbaren Atomenergie“ seit einem halben Jahr Schauen wir zurück. Atomstrom hat im Jahr 2006 – übrigens völlig unbemerkt – wegen seiner fehlenden einen Anteil von 26,3 Prozent gehabt. Der Anteil der er- Dübel stillsteht, und keiner merkt irgendetwas in Bezug neuerbaren Energien lag in diesem Jahr bereits bei auf den Strombedarf. Gleichzeitig unterstützt Minister 12 Prozent. Ich sehe nicht, inwiefern diese Zahlen be- Glos das Vertragsangebot von EnBW-Chef Claassen, der weisen, dass wir das eine unverzichtbar brauchen, weil vorgeschlagen hat, den Atomausstieg im Grundgesetz das andere so schwach ist. festzuschreiben, gegen Verlängerung der Laufzeiten (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN über die im Ausstiegsgesetz festgelegten Fristen. Wahr- sowie bei Abgeordneten der SPD) lich ein großzügiges Angebot! Die Konzerne werden die erneuerbaren Energien Hatten wir nicht schon einmal Verhandlungen? Hat- nicht voranbringen. Dezentrale Energiestrukturen brau- ten wir nicht schon einmal einen Vertrag? Ist dieser Ver- chen keine Konzerne. Erneuerbare Energien brauchen trag nicht unterschrieben worden? Welche Botschaft keine Großkraftwerke, und Effizienz und Großkraft- geht von diesem neuen Verhandlungsangebot aus? Viel- werke passen nicht zusammen. Das Zauberwort für die leicht die, dass die Unterschrift von Chefs von Energie- klimaschützende Nutzung von Biomasse, Gas und Kohle konzernen erst dann gültig ist, wenn sie im Grundgesetz – solange wir sie noch brauchen – heißt aber Kraft- verankert ist? Die Lehre daraus kann nur sein: Hände Wärme-Kopplung. Sie funktioniert weder in AKWs weg von Verträgen mit Atomkonzernen! Bitte, keine noch mit der CCS-Technologie. Sie funktioniert dezen- Neuauflage davon! tral, und sie funktioniert in einem zukunftsfähigen 10404 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 101. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Mai 2007

Sylvia Kotting-Uhl (A) Klimaschutzkonzept. Deshalb, liebe Kolleginnen und zwar nicht mehr Geld für die Bürgerinnen und Bürger, (C) Kollegen von der FDP: Besinnen Sie sich auf Ihre Mit- sondern für die großen Konzerne. telstandspolitik, die Sie immer so gern vor sich her ge- tragen haben, und helfen Sie uns, die Regierung dazu zu Schauen wir uns die Stromrechnungen in Baden- bringen, die innovationsverhindernden und effizienz- Württemberg oder in Bayern, wo der Atomanteil am armen Großkraftwerke abzuschaffen! höchsten ist, doch einmal an! Sind die Stromrechnungen da günstiger? Zum Schluss an diejenigen, die das vergessen haben: Das Risiko der Atomkraft, das die Begründung für den (Gudrun Kopp [FDP]: Die zahlen auch Steuern in Deutschland beschlossenen Atomausstieg ist, relati- und Abgaben!) viert sich auch angesichts des Klimawandels nicht. Nein, sie sind es nicht. Schauen wir uns die Strombör- Vielen Dank. sen, die EEX-Börse an! Frankreich hat, was Strom an- geht, den gleichen Level an Kosten wie Deutschland. In (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Frankreich gibt es aber viel mehr Atomkraftwerke. Ich sowie bei Abgeordneten der SPD und der LIN- frage Sie: Warum ist der Strom dort nicht billiger? Ich KEN) kann es sagen: weil der Preis nicht umgelegt wird. Der Preis wird vom Handel bestimmt und richtet sich nicht Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: nach den einzelnen Sorten. Nächster Redner ist der Kollege Marco Bülow für die (Gudrun Kopp [FDP]: Auch von der Politik! SPD-Fraktion. Steuern und Abgaben!) (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Ich freue mich schon auf den Hitzesommer, der den von 2003 übertreffen wird. Schon damals mussten viele Marco Bülow (SPD): Atomkraftwerke abgeschaltet werden. Wenn die Franzo- Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! sen die Deutschen nicht gehabt hätten, die nämlich Der Antrag ist betitelt „Klimawandel ernst nehmen“. Ja- Strom zu zivilen Preisen geliefert haben, dann wäre das wohl, das ist ein guter Titel. Allerdings frage ich mich, Netz zusammengebrochen. Es konnte nur aufrechterhal- wie eine Fraktion einen solchen Titel wählen kann, ob- ten werden, weil wir Gott sei Dank nicht nur Atomkraft- wohl sie alle Klimaschutzmaßnahmen unter Rot-Grün werke haben. und auch unter Schwarz-Rot abgelehnt hat. Ihre einzige (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem Klimaschutzmaßnahme besteht darin, zu fordern, Atom- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) kraftwerke länger laufen zu lassen. (B) Wie wollen Sie das weltweit überhaupt hinbekom- (D) (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem men? Herr Kauch wird noch reden; er kann es dann viel- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) leicht erläutern. Der Gesamtenergieverbrauch weltweit Das ist Etikettenschwindel höchsten Grades. So etwas wird zu 3 Prozent durch Atomkraft gedeckt, mit unge- muss man dann auch auseinandernehmen. fähr 435 Atomkraftwerken. Sollten die Atomkraftwerke einen kleinen Beitrag mehr leisten, müsste die Zahl ver- Die erneuerbaren Energien wurden von der FDP ve- dreifacht oder vervierfacht werden. Das würde einen Zu- hement bekämpft; ich denke da an die Diskussion über bau von 1 500 Atomkraftwerken bedeuten. Ich brauche die Einführung bzw. Novellierung des Erneuerbare- nicht zu sagen, wie lange dann das Uran noch reicht. Das Energien-Gesetzes. heißt, wir wären dann ganz schnell in der Plutonium- (Gudrun Kopp [FDP]: Das stimmt überhaupt wirtschaft. Dann muss mir auch einmal erklärt werden, nicht! – Ernst Burgbacher [FDP]: So ein wo diese Atomkraftwerke gebaut werden sollen, wer sie Quatsch!) finanzieren soll und wo sie angeschlossen werden sollen. Dann können wir uns weiter unterhalten und auch da- Jetzt, wo man sie nicht mehr bekämpfen kann, fördert rüber nachdenken, ob sie tatsächlich einen Beitrag zum man sie aber auch nicht. Man denkt: Na ja, unter Um- Klimaschutz leisten. ständen kann man die erneuerbaren Energien fördern, aber nur im breiten Energiemix; wenn der Energiemix (Beifall bei der SPD) das nicht trägt, setzen wir vor allem auf die anderen Ich bin eindeutig der Meinung: Wer auf Atomkraft- Energieträger. werke setzt, verhindert neue Investitionen. Es ist schön, Wenn die FDP mit der gleichen Verve, mit der sie dass die FDP mittlerweile sagt, es sei eine Übergangs- Atomkraftwerke voranbringen möchte, Biogaskraft- technologie. Da hat sich etwas geändert. Nur: Eine Über- werke mit KWK voranbringen würde, dann könnten wir gangstechnologie könnte man relativ schnell durch eine vernünftige Diskussion führen, und die wäre dann Zukunftstechnologien ersetzen, und das sind die erneu- ideologiefrei. erbaren Energien. Aber da kommen, gerade von der Seite der FDP, immer noch Querschüsse, um die erneu- (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem erbaren Energien einzuschränken. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich will nur zwei Beispiele nennen, die für die Dis- Was Sie machen, ist Ideologie und nichts anderes. Das kussion, die wir über erneuerbare Energien führen, signi- einzige Argument für Atomkraft ist „mehr Geld“, und fikant sind. Mittlerweile kommt niemand mehr darum Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 101. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Mai 2007 10405

Marco Bülow (A) herum, zu sagen: Ja, auch ich bin für erneuerbare Ener- Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: (C) gien. – Das gilt selbst für die, die vor zehn oder 20 Jah- Letzter Redner in dieser Debatte ist nun der Kollege ren das alles noch ins Reich der Utopie verwiesen haben. Michael Kauch für die FDP-Fraktion. Heute ist eher der Weg der, öffentlich zu sagen: „Ja, ich bin für erneuerbare Energien“, aber im Hintergrund doch (Beifall bei der FDP) dagegen anzukämpfen. Michael Kauch (FDP): Es gibt also zwei signifikante Beispiele. Nehmen wir das schöne Land Baden-Württemberg mit dem schönen Meine Damen und Herren! Ich freue mich immer, Schwarzwald! Auch ich bin nicht dafür, in jedes Natur- wenn aus meinem Wahlkreis heraus in diesem Haus schutzgebiet Windkraftanlagen zu stellen. Aber ich muss Stimmung gemacht wird. Deshalb habe ich mich über doch sagen: Auf der einen Seite wird darauf hingewie- die Rede von Marco Bülow gefreut. Inhaltlich war das sen, dass auf dem Feldberg keine Windkraftanlagen ge- natürlich blanker Populismus. baut werden dürfen, weil dieser so schön und so wichtig (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – ist, aber auf der anderen Seite wird dort mittlerweile die Widerspruch von der SPD) 27. Skipiste gebaut, obwohl man weiß, dass durch den Klimawandel dort wahrscheinlich leider kein Schnee Das war in keiner Weise etwas, was in unseren Anträgen mehr fallen wird. steht. (Ernst Burgbacher [FDP]: Sie wissen aber Wir haben heute zwei Anträge zu beraten. Einer da- auch alles!) von macht explizit Aussagen darüber, wie wir erneuer- bare Energien in der Welt fördern wollen. Die Sozialde- Zu sagen, da dürfe keine Windkraftanlage hin, aber dann mokratische Partei und die Christlich Demokratische auch noch die 28. Skipiste bauen zu wollen, das ist eine Union sollten sich mit Blick auf das Wärmegesetz über- Vorgehensweise, die man nicht akzeptieren kann. legen, ob sie diejenigen sind, die der Opposition erklären müssen, dass diese keine Vorschläge zu den erneuerba- (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem ren Energien hat. Die Koalition hat keine Vorschläge. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der FDP) In Baden-Württemberg beträgt der Anteil der Wind- kraft 0,5 Prozent. Dort steht kaum eine Windkraftanlage. Mit mehr Energieeffizienz, mit erneuerbaren Ener- gien und mit CO2-armer Kohleverstromung können wir (Ernst Burgbacher [FDP]: Das stimmt doch ambitionierte Klimaschutzziele erreichen. Die Kernener- gar nicht! Das ist doch Quatsch! – Siegfried (B) gie kann uns als Übergangstechnologie dafür Zeit geben. (D) Kauder [Villingen-Schwenningen] [CDU/ Lieber Marco Bülow, die Entscheidung über ihren Ein- CSU]: Das ist absoluter Unsinn!) satz liegt in der Tat bei jedem einzelnen Land. Wir ma- Das kann eigentlich nicht sein, weil es in diesem Gebiet chen hier keine Politik, die vorgibt, wie jedes Land das mehrere windhöffige Bereiche gibt. Das darf einfach zu regeln hat. Das hat nicht der Deutsche Bundestag zu nicht Stand der Dinge bleiben; ansonsten werden wir entscheiden. Wir entscheiden hier für Deutschland. Alle Klimaschutz nicht erreichen. anderen Entscheidungen sind nationale Entscheidungen der anderen Staaten. (Ernst Burgbacher [FDP]: Erzählen Sie doch keine Märchen!) Lassen Sie mich an dieser Stelle einige Worte zum Thema CO2-Abscheidung bei Kohle- und bei Gaskraft- – 0,5 Prozent! Das ist überall nachlesbar. werken sagen. Die SPD ist hier zögerlich. Die Grünen sind skeptisch, und die Linke ist ablehnend. Ich hätte Ich frage mich, warum sich Leute für Innovationen mich darüber gefreut, wenn die Kollegin Bulling- einsetzen und die Technik voranbringen – das macht die Schröter sich aus der Anhörung, die wir am Mittwoch im Windkraftbranche –, wenn andererseits eine Höhenbe- Umwelt- und Forschungsausschuss hatten, nicht nur die grenzung eingezogen wird. Wenn man will, dass der Dinge herausgepickt hätte, die ihr passen, sondern auch Preis sinkt und dass die Windkrafträder wirtschaftlicher die, die ihr vielleicht nicht so gefallen haben. Wenn Herr sind, muss man die Höhenbegrenzung aufheben. Dann Töpfer, der in diesem Haus als ehemaliger Chef des UN- bekommen wir einen Riesenbeitrag zum Klimaschutz, Umweltprogramms insgesamt eine große Zustimmung und dann könnten wir die Atomenergie allemal substi- genießt, sagt, es sei blanke Augenwischerei, dass man tuieren und hätten eine ganze andere Diskussion. ohne die Kohle und ohne die CO2-Abscheidung die Kli- (Beifall bei der SPD) maschutzziele und die Energieversorgung im globalen Maßstab erreichen kann, dann sollte Sie das zum Nach- Ein letzter Satz: Man darf den Teufel nicht mit dem denken bringen, Frau Kollegin Bulling-Schröter. Beelzebub austreiben, erst recht nicht, wenn man einen Erzengel zur Hand hat. Ich glaube, wir sollten die erneu- Aus Sicht der FDP ist die Technologie der CO2-Ein- erbaren Energien und die Energieeffizienz wählen. Dann sparung in der Tat eine Brückentechnologie. Sie ist aber können wir auf die Atomenergie verzichten. eine Brücktechnologie, die notwendig ist, um unsere Klimaschutzziele perspektivisch bis 2050 zu erreichen. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem Alle Energieszenarien zeigen, dass wir danach in die BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) verstärkte Nutzung der erneuerbaren Energien kommen. 10406 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 101. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Mai 2007

(A) Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: wollen es genauso machen wie die Länder, die vorange- (C) Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der gangen sind. Kollegin Bulling-Schröter? Die Frage ist: Wie bekommen wir das nötige Geld? Da sind die flexiblen Mechanismen des Kiotoprotokolls Michael Kauch (FDP): entscheidend. Notwendig sind eine konsequente Nut- Sehr gern. zung der Aufforstungsprojekte und bessere Anrech- nungsmöglichkeiten für Klimaschutzprojekte der Indus- Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE): trieländer in den Entwicklungsländern. Das müssen wir Herr Kauch, wir haben uns schon des Öfteren über ohne Begrenzung machen, ohne ideologische Scheu- CCS unterhalten. Geben Sie mir recht, dass die For- klappen. Leider hat die Koalition, aber auch die Grüne schungen zu CCS noch einen weiten Weg vor sich haben Fraktion dazu bisher nicht den Mut. Ich würde mich und dass diese Technologie erst im Zeitraum von 2015 freuen, wenn Sie einige Punkte aufgriffen, die in unse- bis 2030 eingesetzt werden kann? Geben Sie mir weiter rem Antrag zur Klimaschutzoffensive 2007 stehen. Das recht, dass es jetzt darum geht, bis zum Jahr 2020 auch sind Punkte, bei denen wir über die ideologischen Grä- ben hinweg gemeinsam Lösungen finden können. in Deutschland 40 Prozent der CO2-Emissionen einzu- sparen? Vielen Dank. Hier gibt es also Differenzen im Zeithorizont. Hinzu kommt, dass ein Kohlekraftwerk, das später über diese (Beifall bei der FDP) Technologie verfügen wird, einen um 10 bis 15 Prozent verminderten Wirkungsgrad haben wird. Wir waren ge- Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: meinsam bei der Parlamentarierkonferenz in Washing- Ich schließe die Aussprache. ton. Der Chef der dortigen größten Kohlekraftwerke hat Wir kommen nun zu den Abstimmungen, zunächst all dies bestätigt. Sie müssen verstehen, dass es daher zum Tagesordnungspunkt 32 a. Hier wird interfraktionell unsererseits große Skepsis gibt. Sie sind diejenige Partei, die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 16/3138 an die keine staatlichen Subventionen will. die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorge- schlagen, wobei die Federführung beim Ausschuss für Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit liegen soll. Frau Kollegin, ich denke, die Frage wurde verstan- Ich gehe davon aus, dass Sie damit einverstanden sind. – den. Das ist offensichtlich der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. (B) Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE): Tagesordnungspunkt 32 b. Beschlussempfehlung des (D) Genau diese Forschung soll vom Staat aber entspre- Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsi- chend bezahlt werden. cherheit zu dem Antrag der Fraktion der FDP mit dem Titel „Internationale und europäische Klimaschutzoffen- Michael Kauch (FDP): sive 2007“. Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 1 seiner Frau Bulling-Schröter, die Analyse, ab wann diese Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/5439, den An- Technologie im großtechnischen Maßstab zur Verfügung trag der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/4610 abzu- stehen wird, ist ja richtig. Wir reden in der Tat über einen lehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Zeitraum ab ungefähr 2020, vielleicht 2015, vielleicht Wer ist dagegen? – Enthaltungen? – Dann ist diese Be- 2025; das wird die Zeit zeigen. Aber es ist natürlich rich- schlussempfehlung mit den Stimmen der Koalitionsfrak- tig, dass sie uns heute noch nicht unmittelbar zur Verfü- tionen, der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen und gung steht. Deshalb ist das, was die Kollegin Kopp ge- der Fraktion Die Linke gegen die Stimmen der FDP- sagt hat, richtig, nämlich dass wir mit Blick auf die Fraktion angenommen. Klimaschutzziele bis 2020 durchaus noch die Kernener- Unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt gie brauchen. der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion (Beifall bei der FDP) Die Linke auf Drucksache 16/5129 mit dem Titel „Na- tionales Sofortprogramm und verbindliche Ziele für den Wir müssen aber mit Blick auf das Klima für die Klimaschutz festlegen“. Wer stimmt für diese Beschluss- kommenden Generationen auch die Perspektive bis 2050 empfehlung? – Wer ist dagegen? – Enthaltungen? – und bis 2100 im Auge behalten. Bis 2050 – das zeigen Dann ist diese Beschlussempfehlung mit den Stimmen die Technologieszenarien – hat die CCS-Technologie, der Koalitionsfraktionen und der FDP-Fraktion bei Ge- die CO2-Abscheidung, eine zentrale Bedeutung. Erst da- genstimmen der Fraktion Die Linke und Enthaltung der nach werden die erneuerbaren Energien weltweit ihren Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen angenommen. großen Siegeszug antreten können. Liebe Kolleginnen und Kollegen, bevor ich nun den Um diesen Siegeszug voranzutreiben, will die FDP in nächsten Tagesordnungspunkt aufrufe, teile ich Ihnen den nächsten Jahren den Export deutscher Solartechnik mit, dass die Fraktionen sich darauf verständigt haben, und anderer erneuerbarer Energien forcieren. Wir wollen die Zusatzpunkte 6 a bis 6 c – dabei geht es um Vorlagen ausgewählte Partnerländer zu Modellregionen für den zum Unterhaltsrecht – von der Tagesordnung abzuset- Einsatz von Solartechnik machen. Denn wir müssen zen. Ich gehe davon aus, dass Sie mit dieser Vereinba- Leuchttürme schaffen, damit andere Länder sagen: Wir rung einverstanden sind. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 101. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Mai 2007 10407

Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt (A) Damit rufe ich die Tagesordnungspunkt 34 a bis 34 c Deutschland. Mit der heutigen zweiten und dritten Le- (C) auf: sung des vorliegenden Gesetzes ist der Weg frei für einen wirksamen Nichtraucherschutz in den Einrich- a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre- tungen des Bundes. Niemand – ob Mitarbeiterin, Mit- gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes arbeiter oder Besucher – muss sich dort mehr den ge- zum Schutz vor den Gefahren des Passivrau- fährlichen Schadstoffen aufgrund des Passivrauchens chens aussetzen. Nach einer langen Diskussion ist dies, wie ge- – Drucksache 16/5049 – sagt, ein guter Tag für den Nichtraucherschutz. Ich möchte noch hinzufügen, dass wir uns durch die Teil- Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus- nahme des SPD-Fraktionsvorsitzenden Peter Struck an ses für Gesundheit (14. Ausschuss) dieser Debatte besonders geehrt fühlen. – Drucksache 16/5492 – (Beifall bei der SPD) Berichterstattung: Die vorliegenden Regelungen gelten nicht nur für den Abgeordneter Dr. Ilja Seifert Bereich der Ministerien, sondern auch für über b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- 500 Einrichtungen bis hin zur Bundesagentur für Arbeit. richts des Ausschusses für Gesundheit (14. Aus- Dazu gehören aber auch die Deutsche Welle und die schuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Detlef Stiftung Preußischer Kulturbesitz. Parr, Daniel Bahr (Münster), Heinz Lanfermann, (Vorsitz: Vizepräsident Dr. Hermann Otto weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Solms) Nichtraucherschutz praktikabel und mit Au- genmaß umsetzen Auch das Personal und die Nutzer öffentlicher Ver- kehrsmittel sind nicht mehr den Schadstoffen ausge- – Drucksachen 16/5118, 16/5492 – setzt. Die Bahn wird in Zukunft komplett rauchfrei sein. Berichterstattung: Dies ist ein großer Erfolg angesichts der Tatsache – das Abgeordneter Dr. Ilja Seifert können Vielreisende bestätigen –, dass man in der Ver- gangenheit am Wochenende häufig nur noch eine Sitz- c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- platzreservierung für ein Raucherabteil ergattern konnte. richts des Ältestenrates Tabakkonsum ist weltweit die zweithäufigste Todes- – zu dem Antrag der Abgeordneten Bärbel Höhn, ursache. Die WHO hat dazu jüngst neue Zahlen vor- Birgitt Bender, Ulrike Höfken, weiterer Abge- gelegt. Wir wissen, dass in Deutschland rund 40 000 To- ordneter und der Fraktion des BÜNDNIS- (B) desfälle – verursacht durch Lungenkrebs – mittelbar (D) SES 90/DIE GRÜNEN bzw. unmittelbar mit dem Rauchen zusammenhängen. Rauchverbot im Deutschen Bundestag um- Aber auch das Problem Passivrauchen wurde über Jahre setzen gesundheitspolitisch unterschätzt. Die Schätzungen des Deutschen Krebsforschungszentrums belegen, dass wir – zu dem Antrag der Abgeordneten Birgitt fast 4 000 Todesfälle pro Jahr haben, die auf das Passiv- Bender, Bärbel Höhn, Volker Beck (Köln), wei- rauchen zurückzuführen sind. Ich will an dieser Stelle terer Abgeordneter und der Fraktion des betonen: Beim Thema Passivrauchen geht es nicht um BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN die Freiheit in der Lebensführung. Es geht vielmehr da- Schutz vor Passivrauchen im Deutschen rum, dass man mit seinem Verhalten andere nicht schädi- Bundestag direkt umsetzen gen darf. – Drucksachen 16/4400, 16/4957, 16/5493 – (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Berichterstattung: Präsident Dr. Norbert Lammert Ich glaube, die wichtige Botschaft ist, dass vor allem diejenigen von dem Gesetz profitieren, die schon lange Zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung liegt ein durch das Passivrauchen in ihrer Gesundheit beeinträch- Änderungsantrag der Fraktion des Bündnisses 90/Die tigt wurden. Grünen vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Ich bin sehr froh, dass die Fraktionen entschieden ha- Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich sehe ben, dass für den Deutschen Bundestag – auch für die dazu keinen Widerspruch. Dann werden wir so verfah- Abgeordneten – genau das gelten soll, was für die Bun- ren. deseinrichtungen gilt. Damit zeigen wir als Abgeord- nete, dass es keine Ausnahmen geben soll und dass uns Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort für der Nichtraucherschutz überall gleich viel Wert ist. die Bundesregierung der Frau Parlamentarischen Staats- sekretärin Marion Caspers-Merk. Ein besonderer Dank gilt den anderen Verfassungsor- ganen Bundespräsident, Bundesrat und Bundesverfas- sungsgericht, die auf ihren ausdrücklichen Wunsch in Marion Caspers-Merk, Parl. Staatssekretärin bei der den Geltungsbereich des Gesetzes einbezogen werden. Bundesministerin für Gesundheit: Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit dem vorliegenden Gesetz wird außerdem der Heute ist ein guter Tag für den Nichtraucherschutz in Jugendschutz bei der Abgabe von Zigaretten weiter 10408 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 101. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Mai 2007

Parl. Staatssekretärin Marion Caspers-Merk (A) verbessert, indem das Abgabealter auf 18 Jahre angeho- Der Worte sind genug gewechselt, lasst mich auch (C) ben wird. Unsere Bemühungen, immer mehr Jugend- endlich Taten sehen. liche vom Rauchen abzubringen, waren in den letzten Jahren erfolgreich. Die Raucherquote unter den Jugend- (Birgitt Bender [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- lichen ist von 28 Prozent auf 20 Prozent gesunken. Aber NEN]: Die FDP wollte doch keine Taten se- leider liegt das Einstiegsalter immer noch bei 13 Jahren. hen!) Das zeigt uns, dass wir noch mehr tun und die Präven- Eine Großtat ist das, Frau Staatssekretärin, Frau Ministe- tionsanstrengungen verstärken müssen. Wir geben mit rin, worüber wir heute abstimmen, aber nicht, eher eine diesem Gesetz die klare Botschaft, dass das Nichtrau- Alibireaktion auf den geschickt gesteuerten öffentlichen chen in Deutschland der Normalfall ist und dass es uns und veröffentlichten Druck, dem Sie sich irgendwie beu- mit dem Jugendschutz ernst ist. gen mussten. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der Abg. Dr. Dagmar Die Fronten sind und bleiben verhärtet. Eigentlich Enkelmann [DIE LINKE]) gibt es nichts Neues zu debattieren. Wäre da nicht die Anhörung gewesen! Danach ist mir deutlich geworden: Für uns ist besonders wichtig, dass dieses Gesetz Gesundheitspolitik wird für manche mehr und mehr noch unter der deutschen EU-Ratspräsidentschaft ver- missionarisch-eifernd zur Religion. Glaubensbekennt- abschiedet wird. Im europäischen Vergleich haben wir nisse sollen wohl Argumente ersetzen. Radikalität bislang keine besondere Rolle gespielt. Ich bin froh, dass scheint an die Stelle von Sachlichkeit zu treten. wir endlich mit anderen europäischen Ländern wie Ita- lien, Irland und Schweden auf gleicher Augenhöhe sind. (Beifall bei der FDP – Birgitt Bender [BÜND- In diesen Ländern gibt es Nichtraucherschutzregelungen NIS 90/DIE GRÜNEN]: Seit wann sind Ge- schon seit 2004. sundheitsfragen Glaubensfragen?) Ich appelliere an dieser Stelle an die Bundesländer Dabei muss es beim Nichtraucherschutz um Augen- – sie sind jetzt an der Reihe, nachdem der Bund für sei- maß und Praktikabilität gehen. Natürlich müssen wir nen Bereich Regelungen vorgelegt hat –, nun das Glei- Kinder und Jugendliche besser schützen. Natürlich müs- che für ihren Bereich zu tun. Es gibt hierzu eine Verabre- sen Menschen an Orten, an denen sie sich aufhalten, vor dung. Ich bin sehr froh, dass erste Bundesländer bereits dem Passivrauchen geschützt werden. Natürlich müsste Gesetzentwürfe eingebracht haben oder diese in der Res- es aber auch Orte geben, an denen es den Bürgern freige- sortabstimmung sind. Ich gehe davon aus, dass in der stellt ist, zu rauchen oder eben nicht zu rauchen. Bundesrepublik Deutschland bis zum Ende dieses Jahres (B) ein hohes Schutzniveau verwirklicht sein wird und dass (Beifall bei der FDP) (D) wir mit anderen europäischen Ländern auf gleicher Insofern begrüßen wir, dass nach dem Gesetzentwurf Augenhöhe sein werden. gesonderte und entsprechend gekennzeichnete Räume Am Ende möchte ich mich bei vielen Kolleginnen vorgehalten werden können. Wir begrüßen, dass die und Kollegen aus der Mitte fast aller Fraktionen – bis Bundesregierung den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit auf die FDP-Fraktion – sehr herzlich bedanken, die die- wahren und zum Schutz des allgemeinen Persönlich- ses Thema über lange Jahre begleitet keitsrechts Ausnahmeregelungen zulassen will. Wir be- grüßen, dass sie neue technische und wirksame Entwick- (Daniel Bahr [Münster] [FDP]: Haben wir lungen im Hinblick auf Be- und Entlüftungsmaßnahmen auch!) im Auge behalten will – ganz im Gegensatz zum Deut- und mit fraktionsübergreifenden Initiativen und Anträ- schen Krebsforschungszentrum, das nicht einmal in Ge- gen wichtige Vorarbeiten geleistet haben. Ich glaube, es spräche mit den Herstellern eintreten will. ist am Schluss ein sehr gutes Gesetz geworden. Ein be- Mit dem Großteil Ihres Gesetzentwurfes rennen Sie sonderer Dank gilt den Mitgliedern der Arbeitsgruppe offene Türen ein. In unzähligen Behörden und Dienst- der beiden Koalitionsfraktionen und den Kollegen vom stellen sind Rauchverbote bereits über das Hausrecht er- Bundesverbraucherschutzministerium. lassen. In S- und U-Bahnen, in Straßenbahnen und Bus- Herzlichen Dank. sen darf schon lange nicht mehr geraucht werden. Flüge sind rauchfrei, und über die Arbeitsstättenverordnung ist (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten das Rauchen am Arbeitsplatz bereits sehr stark einge- der CDU/CSU) schränkt.

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: (Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Und es gab keine Probleme! Wunderbar!) Das Wort hat der Kollege Detlef Parr von der FDP- Fraktion. Trotz dieser und anderer Übereinstimmungen wird (Beifall bei der FDP) die FDP dem Gesetzentwurf nicht zustimmen können. Wir haben immer den notwendigen Schutz von Kin- dern und Jugendlichen besonders betont. Durch Ihre Detlef Parr (FDP): Verbotspolitik erreichen Sie aber das genaue Gegenteil. Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Goethe führt uns heute hier zusammen: (Beifall bei der FDP) Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 101. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Mai 2007 10409

Detlef Parr (A) Die neuesten Daten des Umweltbundesamtes im „Kin- Freiheit und Verantwortung. Das dokumentiert auch die- (C) der-Umwelt-Survey“ zeigen, dass durch Reglementie- ser „Rauchfrei“-Würfel, den ich in einem Dresdner rung des Nikotinkonsums die Belastung für Kinder zu Restaurant erhielt. Er trägt die Aufschrift: Hause in letzter Zeit dramatische Ausmaße angenom- men hat. Lieber Gast, mit der Aktion „Sie haben die Wahl“ wollen wir, dass sich jeder Gast bei uns wohlfühlt. (Beifall bei Abgeordneten der FDP) Unterstützen auch Sie ein tolerantes Miteinander von Rauchern und Nichtrauchern. Vielen Dank. Grund für die zunehmende Qualmbelastung der Kinder ist: Viele Eltern rauchen mehr am heimischen Herd als in (Lachen bei Abgeordneten des BÜNDNIS- der Öffentlichkeit. Vor diesen Folgen der Verbotspolitik SES 90/DIE GRÜNEN) haben wir immer gewarnt. Sie haben das zu verantwor- ten. Ist das nicht eine sympathischere Gesellschaft, für die es sich zu streiten lohnt? Sie dagegen treten für eine ver- Sie beharren in einem weiteren Bereich auf einem Irr- kniffene Verbotsrepublik ein. glauben, auf dem Irrglauben, dass die Anhebung der Al- tersgrenzen das Verhalten der Jugendlichen ändert. Aus Ich danke Ihnen fürs Zuhören. der Schweiz hören wir, dass der Bundesrat zwar ein Ver- (Beifall bei der FDP – Birgitt Bender [BÜND- bot des Tabakverkaufs an Minderjährige befürwortet. NIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann brauchen die Ein generelles Konsumverbot für Jugendliche unter Nichtraucher die Atemschutzmaske!) 18 Jahren lehnt er jedoch ab. Eine solche Maßnahme sei in der Praxis kaum umsetzbar und ihre präventive Wir- kung wissenschaftlich nicht belegt, heißt es aus dem Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Nachbarland. Das Wort hat jetzt der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Gerd Müller. Verzichten Sie, meine Damen und Herren von Union und SPD, Frau Ministerin, Frau Staatssekretärin, auf sol- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) che Pseudomaßnahmen! Dann brauchten die soeben auf verbesserten Jugendschutz hin weiterentwickelten Ziga- Dr. Gerd Müller, Parl. Staatssekretär beim Bundes- rettenautomaten nicht erneut umgestellt zu werden, und minister für Ernährung, Landwirtschaft und Verbrau- die Frist zur Umstellung brauchte nicht willkürlich ver- cherschutz: kürzt zu werden, wie Sie es in einem Änderungsantrag Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe fordern. Raucherinnen und Raucher, hätte ich fast gesagt! Wir (B) Zu den weiteren Missgriffen der Bundesregierung ge- freuen uns, nach einer langen Wegstrecke der Diskussion (D) hört, den Bundestag zunächst mit den obersten Bundes- – auch im Parlament; wenn man zurückblickt, stellt man behörden gleichzusetzen und ihn später mit den übrigen fest, es sind über zehn Jahre; vielleicht muss man aber Verfassungsorganen in das Gesetz einzuarbeiten. Die auch die vorigen Jahrhunderte dazuzählen – sagen zu Absichtserklärungen aller Fraktionen, das Gesetz über können: Heute ist der Tag der Nichtraucher. unser Hausrecht eins zu eins auch hier umzusetzen, soll- Herr Kollege, es geht, wie meine Kollegin Staats- ten doch reichen. Von welchem Selbstverständnis sind sekretärin Caspers-Merk dargelegt hat, um den Nichtrau- die Kolleginnen und Kollegen, die hier zustimmen und cherschutz, es geht nicht um eine Diskriminierung der die Bundesregierung ermächtigen, in dieses Hohe Haus Raucher. Wir sind in einem freien Land, wir haben Kul- hineinzuregieren, eigentlich geprägt? tur im Umgang. Deshalb – davon sind wir überzeugt – (Beifall bei der FDP – Irmingard Schewe- brauchen wir keine Raucherpolizei, die durch Restau- Gerigk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Für rants und Abgeordnetenräume patroulliert. Diese Rege- alle Rauchverbot, nur nicht für die Abgeordne- lung wird zur Kultur werden, sie wird sich durchsetzen, ten!) sie wird ein Erfolg. Welche skurrilen Folgen solch gesetzgeberischer Wir wollten zunächst eine einheitliche Regelung für Übereifer haben kann, hat die Anhörung gezeigt: Da Bund und Länder. Wir haben dann den Ländern Mög- finden sich – in Anführungszeichen – Visionen von ver- lichkeiten gelassen, möchten aber, dass in den bunkerten Raucherräumen, von Atemmasken tragenden 16 Bundesländern möglichst gleichwertige Regelungen Reinigungskräften, von Verboten der Ausstrahlung von gelten. Ab 1. September wird das Rauchen in Einrich- Filmen mit rauchenden Schauspielern, vom Verzicht auf tungen des Bundes verboten. Wir haben dabei – das Lüftungsanlagen als Klimaschutzmaßnahme, von über- möchte ich klarstellen – den Verfassungsorganen über- dachten Haltestellen, die als hochgefährdend eingestuft lassen, ob sie sich dem anschließen. Sie übernehmen werden, und von einem Bußgeldsystem von 100 Euro diese Regelungen. Es ist selbstverständlich, dass der über 1 000 Euro bis zu einem Vielfachen der Mindest- Bundestag diese Regelungen in seinen Räumen umsetzt. sätze. Wir sagen: Der Nichtraucher muss geschützt sein; Liebe Kolleginnen und Kollegen, so etwas führt in aber dort, wo es ausgewiesene Raucherräume gibt, soll eine Gängelungsgesellschaft. Statt des Aktionismus Rauchen erlaubt sein. Diese Regelung muss der Bundes- schwarzer Sheriffs, roter Regulierer und grüner Gouver- tag für sich umsetzen. Ich bin sicher, das wird vernünftig nanten brauchen wir mehr Freiräume für persönliche und tolerant im Umgang miteinander passieren. 10410 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 101. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Mai 2007

Parl. Staatssekretär Dr. Gerd Müller (A) (Detlef Parr [FDP]: Nach Ihrem Gesetz macht Jeder muss sich in der Familie mit diesen Fragen aus- (C) das die Bundesregierung per Rechtsverord- einandersetzen. nung!) (Detlef Parr [FDP]: Warum dann ein Gesetz?) Wir sind überzeugt, dass dies der richtige Weg ist. Es Hier wurde gesagt, das Gesetz treibe die Pfeifenrau- gibt keine Diskriminierung oder Ausgrenzung. Klar ist cher nach Hause, an den Herd. Das gilt sicherlich nicht allerdings: Der Weg der Freiwilligkeit, für den auch wir für den Fraktionsvorsitzenden der SPD, Herrn Struck, plädiert haben, hat nicht zum Erfolg geführt, weder in und auch nicht für den Fraktionsvorsitzenden der CDU/ den öffentlichen Einrichtungen noch an den Arbeitsstät- CSU, Herrn Kauder. Beide sind zwar Raucher, sie sind ten noch in den Gaststätten. Wir haben mit dem Deut- aber tolerant und wissen, was sich zu Hause gehört. Die schen Hotel- und Gaststättenverband eine Freiwillig- Pfeife hat auch vor dem Fernseher zu Hause aus zu sein. keitsvereinbarung auf den Weg gebracht. Doch diese hat Das ist aber eine persönliche Entscheidung. Das müssen nicht dazu geführt, sie mit ihren Frauen und Kindern ausmachen. Es wäre (Detlef Parr [FDP]: Ein Jahr!) vernünftig, andere, insbesondere Kinder, auch in der Wohnung und im Auto zu schützen. dass die entsprechenden Regelungen umgesetzt wurden. (Detlef Parr [FDP]: Das mit dem Auto wollten Deshalb werden die Bundesländer für diesen Bereich Sie doch auch noch gesetzlich regeln!) jetzt verbindliche Regelungen treffen. Ich glaube, das ist der richtige Weg. Das liegt aber in der individuellen Verantwortung. Ich möchte mich bei den Kolleginnen und Kollegen (Beifall bei Abgeordneten der SPD) im Deutschen Bundestag, die dieses Thema über Jahre Das Signal eines starken Nichtraucherschutzes in den hinweg bearbeiten haben, bedanken. Frau Kollegin Einrichtungen des Bundes ist klar: Raucher müssen in Eichhorn und Herr Binding, mit Ihnen ist diese Initiative Zukunft an die frische Luft. Bei der Umsetzung setzen ganz massiv verbunden. Es war Zeit für diese Regelung. wir aber auf Vernunft und Einsicht der Betroffenen. Wir Es wurde darauf hingewiesen, dass an den Folgen des sind überzeugt, dass wir bei der Umsetzung keine Poli- Passivrauchens in Deutschland jährlich 3 300 Menschen zei brauchen. Das wird sich nämlich als Kultur unseres sterben. Rauchen und Passivrauchen sind tödlich. Das Landes durchsetzen. Rauchfrei ist in Zukunft in. brauche ich nicht noch einmal zu betonen. Herzlichen Dank. Ich möchte an dieser Stelle aber noch einmal deutlich machen, dass eine möglichst einheitliche Regelung für (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und (B) Deutschland das Ziel sein muss. Ich appelliere an die der SPD) (D) Bundesländer, jetzt nicht 16 verschiedene Regelungen herbeizuführen, sodass quasi Rauchergrenzpfähle die ein- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: zelnen Bundesländer voneinander abgrenzen. Wir wollen Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Ilja Seifert von der möglichst einheitliche, durchgehende und nachvollzieh- Fraktion Die Linke. bare Regelungen. Die gedankliche Grundvorgabe lautet: Rauchen ist in öffentlichen Räumen, möglichst auch in (Beifall bei der LINKEN) Gaststätten, verboten. Unser ursprünglicher Vorschlag an die Länder lautete: Dort, wo gegessen wird, in Speise- Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE): restaurants, ist das Rauchen verboten; Ausnahmen nur in Herr Präsident! Meine Damen und Herren auf den geschlossenen, dafür ausgewiesenen Räumen. Ansonsten Tribünen! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir unter- gilt selbstverständlich: Raucher an die frische Luft. nehmen heute zwar nur einen kleinen Schritt, dafür aber in die richtige Richtung, und deswegen geht die Linke Wir wollen, dass Bund und Länder diese einheitliche mit. Regelung nach Möglichkeit bis zum 1. September ge- meinsam auf den Weg bringen. Wie es ausschaut, brau- Erlauben Sie mir trotzdem, ein paar kritische Anmer- chen die Länder aber noch etwas mehr Zeit für die Dis- kungen zu machen. kussion. Wir hoffen aber, dass wir bis zum Jahresende Hier ist bereits ausführlich erörtert worden, worum es eine gemeinsame Regelung haben. in diesem Gesetz geht. Wir haben uns in der Debatte Neben den Verboten brauchen wir natürlich auch ei- aber ziemlich lächerlich gemacht. Ursprünglich hieß es nen Bewusstseinswandel bei den Menschen; das ist das – das war der Sinn der ganzen Sache –: Wir wollen die Entscheidende. Das Verhalten der jungen Menschen Nichtraucherinnen und Nichtraucher schützen. Uns ist muss verändert werden. Die Entscheidung, ob man für dann eine Diskussion aufgezwängt worden, bei der man oder gegen seinen Körper, für oder gegen seine Gesund- den Eindruck gewinnen konnte, dass es um ein Rauch- heit handelt, muss aber jeder für sich treffen, auch für verbot geht. Die ganze Zeit wurde in diesem Sinne de- seine Familie, seine Kinder. battiert. Niemand hier sprach von einem Rauchverbot. Aber in der öffentlichen Debatte wurde so getan, als ob Wir wollen – das möchte ich klar sagen – ein Signal wir den Rauchern das Rauchen verbieten wollten. Dabei setzen. Wir wollen und können aber keinen Eingriff in wurde ganz und gar vergessen, dass es eigentlich darum die Privatsphäre vornehmen. Die Gefahren des Rau- ging, vor allem Kinder, aber auch Erwachsene vor dem chens gelten natürlich auch für das Zuhause; das ist klar. Passivrauchen zu schützen. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 101. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Mai 2007 10411

Dr. Ilja Seifert (A) (Detlef Parr [FDP]: § 1 Rauchverbot!) Birgitt Bender (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): (C) Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die schö- Als das alles nichts genutzt hat, zwang uns die öffent- nen Worte der Regierungsvertreter können nicht darüber liche bzw. veröffentlichte Meinung ein noch alberneres hinwegtäuschen, dass dieser Gesetzentwurf, der angeb- Argument auf. Wir mussten plötzlich in aller Breite da- lich den Nichtraucherschutz gewährleisten soll, halbher- rüber diskutieren, ob der Bundestag eine oberste Bundes- zig und hasenfüßig ist. Er ist nur dann ein großer Schritt, behörde ist. Wer sind wir, dass wir uns solch eine Diskus- wenn man bedenkt, wie weit er sich angesichts des sion aufzwingen lassen? Ich fand das mehr als peinlich. Widerstandes in den eigenen Reihen vorwagt. Aber das (Detlef Parr [FDP]: Richtig! Ja!) kann nicht der Maßstab sein. Nach einer neuen Umfrage sind 88 Prozent der EU- Wir haben nicht das getan, was wir eigentlich hätten Bürger für umfassende Rauchverbote auch am Ar- tun müssen, nämlich breite Aufklärung darüber zu be- beitsplatz. In Deutschland gibt es ähnliche Mehrheiten. treiben, was Nichtraucherschutz eigentlich bedeutet und Die Regierung hat einfach nicht den Mut, dem zu folgen was es bedeutet, die Droge Tabak zu ächten. Das wäre und für einen konsequenten Nichtraucherschutz in gut für die Sache gewesen. Stattdessen haben wir uns Deutschland zu sorgen. solche lächerlichen Debatten aufzwingen lassen. Wir müssten uns überall in der Öffentlichkeit dafür rechtfer- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) tigen, dass wir keine oberste Bundesbehörde sind, son- dern ein Verfassungsorgan. Was lassen wir uns denn al- Sie drücken sich davor, im Arbeitsschutzrecht Rauchver- les gefallen? bote zu verankern und dafür zu sorgen, dass Beschäftigte umfassend geschützt sind. Das wäre im Übrigen für die Dann kam als Nächstes: Die Altersgrenze für die Ab- Gaststätten schon die halbe Miete. Nicht umsonst haben gabe von Tabakwaren und das Rauchen in der Öffent- die Bundesratsausschüsse für Arbeit und für Gesundheit lichkeit wird auf 18 Jahre angehoben, aber erst in andert- Entsprechendes angeregt. halb Jahren. Man bekommt gesagt, es sei ein toller Erfolg, dass die Zigarettenindustrie das Ganze schon in Es fehlt Ihnen der politische Wille für einen umfas- anderthalb Jahren umsetzt und nicht erst in zwei Jahren, senden Nichtraucherschutz. Deswegen wird Deutsch- weil die Automatenindustrie nicht in der Lage sei, das land, wenn dieses Gesetz Wirklichkeit wird, weiterhin schneller zu machen. Wir lassen uns wieder einmal wie hinter den Standards in der EU zurückbleiben. Unser der Bär am Ring durch den Zirkus ziehen. Wenn die Au- Schutzstandard wird Schlusslicht sein. tomatenindustrie aufgefordert wird, Fahrkartenautoma- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) ten umzustellen, weil die Fahrpreise bei den öffentlichen (B) Verkehrsmitteln erhöht werden, wird das in zwei Tagen Meine Damen und Herren, vielleicht sollte man sich (D) umgesetzt. Sie hat gar keine Probleme damit; das geht darüber auch nicht wirklich wundern. Wenn ich mir die sofort. Bei Zigarettenautomaten ist die gleiche Technik Anzeige ansehe, anzuwenden. Dafür braucht sie angeblich anderthalb (Die Abgeordnete hält eine Anzeigenseite Jahre, und wir müssen sie noch dazu zwingen. Kann hoch) denn das sein? die dieser Tage im SPD-Parteiblatt „Vorwärts“ erschie- Entweder sind wir ein Organ, das etwas zu sagen hat, nen ist, dann muss ich sagen: Der SPD ist offenbar nicht nämlich der Gesetzgeber. Dann teilen wir der Automa- bekannt, dass in der EU, inzwischen auch in Deutsch- ten- und der Zigarettenindustrie mit, was sie zu tun ha- land, ein Tabakwerbeverbot gilt. ben. Oder wir lassen uns von den Lobbyisten vorführen und bitten sie, das Gesetz, das wir hier beschließen, um- (Zuruf von der SPD: Das wissen wir! Es hat zusetzen. Entweder meinen wir es ernst, wenn wir sagen, schon einen entsprechenden Briefwechsel ge- dass wir die Nichtraucherinnen und Nichtraucher, insbe- geben!) sondere die Kinder, schützen wollen, und tun es richtig, 18 000 Euro waren offenbar doch zu verlockend. Daran oder wir sagen gleich: Die Industrie macht, was sie will. kann man sehen, wie es um das Engagement für den Das ist aber nicht Sinn und Zweck von demokratischen Nichtraucherschutz bestellt ist. Entscheidungsorganen. Dann können wir uns gleich ab- schaffen. Ich finde, die Gesundheit geht vor. Unsere Ge- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) setzgebungskompetenz sollten wir nicht aus der Hand geben. Also lassen Sie nicht zu, dass wir wie der Bär am In der Anzeige geht es außer um die Werbung für das Ring durch den Zirkus gezogen werden, sondern sagen Rauchen auch um Technik. Gegen Technik muss man wir, wo es langgehen soll. nichts haben. Gescheite Entlüftungssysteme wären ge- nau das, was Sie für die Raucherräume hätten vorschrei- Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit. ben sollen, damit wir nicht das erleben, was noch heute in vielen Zügen der Fall ist, nämlich dass die Schwaden (Beifall bei der LINKEN) aus den Raucherräumen durch den gesamten Zug ziehen. Das kann bei Ihrer Regelung auch in öffentlichen Ge- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: bäuden der Fall sein. Als nächste Rednerin hat das Wort die Kollegin (Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: So ist Birgitt Bender von Bündnis 90/Die Grünen. das nicht!) 10412 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 101. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Mai 2007

Birgitt Bender (A) Daher müsste man hier konsequent sein und sagen: Ein Wir schaffen für den Bereich des Bundes und die öffent- (C) Raucherraum muss gewissen Standards genügen. Da ge- lichen Verkehrsmittel rauchfreie Räume. Die Deutsche hört der technische Schutz dann auch hin, damit die Bahn hat ein deutliches Signal gesetzt, indem sie ihre Rauchschwaden aus den Raucherräumen eben nicht Verkehrsmittel komplett für rauchfrei erklärt hat. Wir überall hinziehen. können diese rauchfreien Räume, liebe Kolleginnen und Kollegen, auch im Deutschen Bundestag zukünftig ge- Wir stellen heute Anträge für einen umfassenden meinsam mit unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern Nichtraucherschutz. Wir geben Ihnen damit Gelegenheit genießen. – weil viele von Ihnen im persönlichen Gespräch immer wieder versichern, dass wir eigentlich Recht haben, ich (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- schaue jetzt niemanden direkt scharf an –, sich anders zu SES 90/DIE GRÜNEN) entscheiden. Vielleicht tun Sie das ja noch; dann könnte Liebe Kollegin Bender, ich bin zuversichtlich, dass es ein wirklich guter Tag für den Nichtraucherschutz in durch die Gänge des Deutschen Bundestages keine Deutschland werden. Rauchschwaden wabern werden; denn bei den Raucher- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) räumen handelt es sich um abgetrennte Räumlichkeiten. Das ist ganz klar definiert. Wir werden ab 1. September Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: 2007 hier die Rauchfreiheit genießen. Frau Kollegin Bender, erlauben Sie, bevor Sie abtre- (Beifall bei der SPD) ten, noch eine Frage des Kollegen Daniel Bahr? Deswegen bin ich froh, dass wir dieses Gesetz, dieses Nichtraucherschutzgesetz – man kann es nur immer wie- Birgitt Bender (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): der betonen –, heute passend zum Weltnichtrauchertag Gerne. verabschieden.

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Liebe Kolleginnen und Kollegen, seit 1988 wird der Bitte schön. Weltnichtrauchertag international begangen. Jahrelang war Deutschland in Sachen Nichtraucherschutz im inter- nationalen Vergleich eher auf den hinteren Plätzen zu Daniel Bahr (Münster) (FDP): finden. Viele unserer europäischen Nachbarn – das müs- Frau Kollegin Bender, Sie haben dargestellt, warum sen wir uns eingestehen – sind an uns vorbeigezogen, die Grünen ein so umfassendes Rauchverbot und einen auch Länder wie Italien, Frankreich oder Irland, von de- so umfassenden Schutz vor dem Konsum der Droge Ta- nen wir das nie erwartet hätten. Aber in Deutschland bak wollen. In ihrem Grundsatzprogramm sowohl 2002 sind Fortschritte zu verzeichnen. Dazu zählen sowohl (B) als auch 2005 und nach der Beschlusslage der Fraktion gesetzliche Regelungen als auch breitangelegte Maßnah- (D) des Bündnisses 90/Die Grünen treten sie für eine Legali- men der Tabakprävention. Der Stimmungswechsel, der sierung von Cannabis ein, obwohl wir gerade in dieser sich in Deutschland manifestiert, ist förmlich spürbar. Woche in der Sitzung des Gesundheitsausschusses erfah- ren haben, wie gesundheitsschädlich auch der Cannabis- Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Maßnahmen so- konsum ist. Gehe ich deshalb richtig in der Annahme, wohl gesetzlicher als auch präventiver Art zeigen Wir- dass die Grünen zunächst den Cannabiskonsum legali- kung, und zwar beim Gesundheitsschutz. sieren wollen, um dann den konkreten Konsum wie- (Detlef Parr [FDP]: Ja, seit Jahren!) derum so umfassend zu verbieten, dass man lediglich noch an Baggerseen kiffen darf? Wurden im Jahr 1996 durchschnittlich 372 Millionen Zi- garetten konsumiert, waren es im Jahr 2005 nur noch (Beifall bei der FDP – Zuruf von der SPD: Wo 263 Millionen. Auch die Quote der jugendlichen Rau- treiben Sie sich denn herum?) cher ist in den letzten Jahren deutlich gesunken. Rau- chen gilt für viele Jugendliche nicht länger als cool. Mit Birgitt Bender (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): dem heutigen Tag sind wir auch in Sachen Schutz vor Lieber Kollege Bahr, Sie können sicher sein: Wir Passivrauch nicht mehr das Schlusslicht in Europa. zwingen niemanden zum Mitkiffen, auch Sie nicht. Wir haben mehrfach gehört: Rauchen ist das größte (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) vermeidbare Gesundheitsrisiko. Wir haben die Gefah- ren durch das Passivrauchen jahrelang unterschätzt. Jetzt Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: müssen wir zu dem Schluss kommen, dass ein Schutz Als letzte Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt vor dem Passivrauchen erforderlich ist. Da durch das hat die Kollegin Sabine Bätzing von der SPD-Fraktion Rauchen nicht nur die Gesundheit der Rauchenden, son- das Wort. dern auch die Gesundheit von Nichtrauchern stark ge- fährdet wird, sind klare und einheitliche Regelungen zum Schutz von Unbeteiligten erforderlich. Das Nicht- Sabine Bätzing (SPD): raucherschutzgesetz hat auch präventiven Charakter. Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Das zeigen uns die Erfahrungen anderer Länder, in de- Kollegen! Am 31. Mai ist Weltnichtrauchertag. Das nen solche Gesetze auch einen gewissen Präventionscha- Motto in diesem Jahr lautet: „Smoke-free inside: Create rakter entfaltet haben. and enjoy“, oder auf Deutsch: „Rauchfrei genießen“. Selten hat das Motto des Weltnichtrauchertages so gut Zwar konnte der Bund aufgrund seiner begrenzten gepasst wie in diesem Jahr; denn genau das machen wir: Kompetenzen nur in einem bestimmten Bereich tätig Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 101. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Mai 2007 10413

Sabine Bätzing (A) werden. Aber hier haben wir Maßstäbe gesetzt, an denen Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koali- (C) sich nun auch die Bundesländer orientieren sollten. Un- tionsfraktionen und der FDP-Fraktion bei Zustimmung sere Linie ist klar: Grundsätzlich gilt das Rauchverbot. der Fraktion Die Linke und der Fraktion des Ausnahmen sind, wenn gewollt, nur in abgeschlossenen Bündnisses 90/Die Grünen abgelehnt. Raucherräumen möglich. Ich verweise an dieser Stelle Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der darauf, dass im Bundesministerium für Gesundheit Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzei- Rauchfreiheit eingeführt wurde. Wir haben uns gegen chen. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetz- Raucherräume entschieden. Ich kann nur empfehlen, entwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen der Ko- dieses Vorgehen nachzuahmen. alitionsfraktionen und der Fraktion Die Linke bei (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Enthaltung der FDP-Fraktion und der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen angenommen. Wenn dieses Beispiel Schule macht – in den Ländern, in den Kommunalbehörden, in Krankenhäusern, in Schulen Dritte Beratung und vor allem in Gaststätten –, dann hat Deutschland und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem gute Chancen, beim Nichtraucherschutz bald einen der Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – vorderen Plätze in Europa zu belegen. Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf Kollegin Bender hat darauf aufmerksam gemacht, ist mit gleichem Stimmenverhältnis angenommen. dass die Bevölkerung dieses Konzept unterstützt. In (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Deutschland wünschen sich 90 Prozent der Bürgerinnen und Bürger eine rauchfreie Umgebung und rauchfreie Beschlussempfehlung des Ausschusses für Gesund- Räume. Wir haben diesen Wunsch aufgegriffen. An die- heit zu dem Antrag der Fraktion der FDP mit dem Titel ser Stelle danke ich ganz ausdrücklich den Kolleginnen „Nichtraucherschutz praktikabel und mit Augenmaß um- und Kollegen aller Fraktionen, die sich an dieser Initia- setzen“. Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 2 seiner Be- tive beteiligt haben. schlussempfehlung auf Drucksache 16/5492, den Antrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/5118 abzuleh- Abschließend appelliere ich noch einmal an die Bun- nen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Ge- desländer, selbst entsprechende gesetzliche Regelungen genstimmen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfeh- zu verabschieden, damit wir geschützt vor den Gefahren lung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen, der des Passivrauchens in das Jahr 2008 starten können. Der Fraktion Die Linke und der Fraktion des Bündnisses 90/ Ball liegt jetzt bei ihnen. Politik und Gesellschaft müs- Die Grünen gegen die Stimmen der FDP-Fraktion ange- sen ihre Verantwortung gemeinsam wahrnehmen und nommen. klare Signale setzen, damit wir in Zukunft überall (B) rauchfrei genießen können, ganz nach dem Motto des Beschlussempfehlung des Ältestenrats zu dem Antrag (D) Weltnichtrauchertages „Smoke-free inside: Create and des Bündnisses 90/Die Grünen mit dem Titel „Rauch- enjoy“. verbot im Deutschen Bundestag“ umsetzen. Danke schön. Der Ältestenrat empfiehlt unter Nr. 1 seiner Be- schlussempfehlung auf Drucksache 16/5493, den Antrag (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen auf der CDU/CSU) Drucksache 16/4400 für erledigt zu erklären. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegenstim- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: men? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist Ich schließe die Aussprache. einstimmig angenommen. Unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt Bevor wir zur Abstimmung kommen, gebe ich be- der Ältestenrat, den Antrag der Fraktion des Bündnis- kannt, dass von einigen Kolleginnen und Kollegen der ses 90/Die Grünen auf Drucksache 16/4957 mit dem Ti- FDP-Fraktion eine persönliche Erklärung zum Abstim- tel „Schutz vor Passivrauchen im Deutschen Bundestag mungsverhalten gemäß § 31 der Geschäftsordnung vor- direkt umsetzen“ für erledigt zu erklären. Wer stimmt für liegt, die wir zu Protokoll nehmen.1) diese Beschlussempfehlung? – Gegenstimmen? – Ent- Jetzt kommen wir zur Abstimmung über den Entwurf haltungen? – Die Beschlussempfehlung ist einstimmig eines Gesetzes der Bundesregierung zum Schutz vor den angenommen. Gefahren des Passivrauchens. Der Ausschuss für Ge- Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 35 auf: sundheit empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfeh- lung auf Drucksache 16/5492, den Gesetzentwurf der Beratung des Antrags der Abgeordneten Bundesregierung auf Drucksache 16/5049 in der Aus- Dr.Barbara Höll, Dr.Lothar Bisky, Dr.Gregor schussfassung anzunehmen. Gysi, Oskar Lafontaine und der Fraktion der LINKEN Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen vor, über den wir zuerst ab- Einkommensteuertarif gerecht gestalten – stimmen. Wer stimmt für den Änderungsantrag der Steuerentlastung für geringe und mittlere Ein- Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen auf Druck- kommen umsetzen sache 16/5502? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – – Drucksache 16/5277 – Überweisungsvorschlag: 1) Anlage 10 Finanzausschuss 10414 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 101. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Mai 2007

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms (A) Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die men von Facharbeiterinnen und Facharbeitern, aber auch (C) Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die dem Jahresgewinn vieler kleiner Unternehmer – eine Fraktion Die Linke fünf Minuten erhalten soll. Gibt es Entlastung von 960 Euro pro Jahr erzielt werden kann. Widerspruch? – Das ist nicht der Fall. Dann ist so be- Es ist ein großer Unterschied, ob man im Monat 80 Euro schlossen. mehr oder weniger im Portemonnaie hat. Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Red- Die Voraussetzungen für die Umsetzung unseres Vor- nerin der Kollegin Dr. Barbara Höll von der Fraktion Die schlages sind günstig wie noch nie. Wir erwarten in die- Linke das Wort. sem und im nächsten Jahr beträchtliche steuerliche (Beifall bei der LINKEN) Mehreinnahmen, die zu einem guten Teil aus den Porte- monnaies der kleinen Leute gespeist werden. Denn diese Mehreinnahmen sind nicht nur der guten Konjunkturent- Dr. Barbara Höll (DIE LINKE): wicklung und den Exporterlösen, sondern auch den ge- Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die stiegenen Einahmen aus der Lohnsteuer und vor allem heutige Debatte im Bundestag begann mit der Diskus- der Mehrwertsteuererhöhung zu verdanken, mit der Sie sion zur Unternehmensteuerreform. Es ist beschlossene der Bevölkerung tief in die Tasche greifen. Insofern stel- Sache, dass die großen Konzerne massive Steuerge- len wir fest: Wir haben die Möglichkeit und stehen vor schenke bekommen: 6,6 Milliarden Euro im nächsten der Notwendigkeit, das Gerechtigkeitsproblem zu lösen Jahr. und eine dauerhafte Entlastung vorzunehmen. Herr Fahrenschon von der CSU bemerkte innerhalb (Beifall bei der LINKEN) dieser Debatte zu Recht, dass im Bereich der Einkom- mensteuer etwas geschehen muss und dass die Bürgerin- Es ist bezeichnend für die Sozialdemokratinnen und nen und Bürger endlich etwas vom Aufschwung merken Sozialdemokraten: Wenn die CSU Änderungen im Tarif- müssen. Ich kann ihm da nur zustimmen. Allerdings ha- verlauf – das heißt tatsächlich bei der steuerlichen Belas- ben wir damit nicht bis heute gewartet, sondern wir ha- tung – in Erwägung zieht, reagieren Sie mit der Anre- ben unseren Vorschlag dazu schon ins Parlament einge- gung, die Sozialabgaben zu senken. Die Senkung der bracht. Wir schlagen Ihnen vor, die Einkommensteuer zu Sozialabgaben stellt aber keine dauerhafte Entlastung senken, indem der Tarif geändert wird, den Mittelstands- dar, weil Sie in einem nächsten Schritt wieder Erhöhun- bauch abzubauen und den Spitzensteuersatz anzuheben. gen beschließen würden, wenn die Sozialkassen zu we- (Beifall bei der LINKEN) nig Geld haben. Auch Herr Glos bemerkte zum Beispiel am (Widerspruch bei der SPD) (B) 20. Mai 2007: (D) Hinzu kommt, dass jede Senkung der Sozialabgaben Als Erstes senken wir die Unternehmensteuern, um nur zur Hälfte den Arbeitnehmerinnen und Arbeitneh- mehr Jobs zu schaffen. Niedrigere Steuern im Be- mern zugute kommt. Von der anderen Hälfte profitieren reich Lohn und Einkommen sind der nächste die Unternehmer und Unternehmerinnen. Was Sie als Schritt. Entlastung verkaufen wollen, würde nur zur Hälfte bei Ich sage ganz klar: Die Linke hat diese Unternehmen- den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern ankommen. steuerreform, die Geschenke an die großen Konzerne, Das machen wir nicht mit. abgelehnt, und das werden wir auch weiter tun. Wir se- Unser Vorschlag ist sehr gut umsetzbar. Wir schlagen hen ein massives Gerechtigkeitsproblem; denn im Ge- vor, den Einkommensteuertarif zu senken. Damit gehen gensatz zu den großen Konzernen werden die Bezieher wir darauf ein, dass die Unternehmensteuerreform in von kleinen und mittleren Einkommen massiv belastet. vielen Fällen zu einer Belastung von kleinen und mittel- Im vergangenen Jahr hatten die Lohnabhängigen effek- ständischen Unternehmen führt. In diesem Bereich muss tiv weniger Geld zur Verfügung als im Jahr davor. eine Entlastung erfolgen. Mit einem linear-progressiven Was aber tut die schwarz-rote Regierung? Sie ver- Tarif muss der sogenannte Mittelstandsbauch abgetragen schlechtert die Situation der Betroffenen weiter. Durch werden. Änderungen bei der Kilometerpauschale und die De- Ich hoffe auf die wohlwollende Unterstützung zumin- facto-Streichung der steuerlichen Absetzbarkeit häusli- dest vonseiten der CSU. Dann können wir in einer der cher Arbeitszimmer hat sich die steuerliche Belastung nächsten Debatten vielleicht feststellen, dass Sie nach massiv erhöht. Ihre Politik belastet die Bezieher von vielem Drängen wieder in der Lage sind, etwas für Ar- kleinen und mittleren Einkommen in abhängiger Be- beitnehmerinnen und Arbeitnehmer und Kleinunterneh- schäftigung. Das machen wir nicht mit. mer und Kleinunternehmerinnen zu tun. (Beifall bei der LINKEN) Ich danke Ihnen. Deshalb haben wir unseren Antrag vorgelegt. Wenn Sie unseren Vorschlag wohlwollend prüfen – das kann (Beifall bei der LINKEN) ich zumindest von den Vertretern der CSU annehmen –, dann werden Sie merken, dass dadurch zum Beispiel bei Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: einem zu versteuernden Jahreseinkommen von Das Wort hat jetzt der Kollege Olav Gutting von der 30 000 Euro – das entspricht in etwa dem Jahreseinkom- CDU/CSU-Fraktion. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 101. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Mai 2007 10415

(A) Olav Gutting (CDU/CSU): (Dr. Barbara Höll [DIE LINKE]: Interessen- (C) Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! vertretung!) Die Einkommensteuer ist neben der Umsatzsteuer die er- Ihr angeblicher Kampf für mehr Gerechtigkeit in der Ge- tragsreichste Steuer in diesem Land. Sie berücksichtigt sellschaft ist im Grunde nichts anderes als die Fortset- neben der objektiven auch die subjektive Leistungsfä- zung des sozialistischen Klassenkampfs. higkeit des einzelnen Steuerpflichtigen und wahrt damit das Leistungsfähigkeitsprinzip. (Dr. Barbara Höll [DIE LINKE]: Oh Gott!) Als direkte und damit für jeden Bürger auch direkt Hierzu ist Ihnen wirklich jedes Mittel recht. Sie schre- spürbare Steuer eignet sich die Einkommensteuer – wie cken, wie gewohnt, auch nicht vor falschen Behauptun- der Antrag der Linken zeigt – sehr gut dazu, eine soge- gen zurück. nannte Reform auf den Weg zu bringen und damit Auf- merksamkeit zu erhaschen. Die Forderung nach einem Ich will ein Beispiel nennen und zitiere dazu aus Ih- gerechteren Steuersystem ist nicht neu. In Deutschland rem Antrag die Begründung am Ende des zweiten Absat- haben sich schon einige daran versucht. zes: Leider ist bisher ein durchschlagender Erfolg versagt Dies führt in der Konsequenz dazu, dass auf geblieben. Eine Ursache dafür waren in der Vergangen- 12 700 Euro bereits 23,5 Prozent Steuern gezahlt heit immer wieder der Bund-Länder-Finanzausgleich, werden müssen. die Finanzverflechtungen zwischen Bund und Ländern. Sie setzen damit auf die steuerpolitische Unbedarftheit Diesbezüglich gibt es jetzt aktuelle Verhandlungen im Ihrer Klientel. Das, was Sie in der Begründung Ihres An- Rahmen der Föderalismusreform II. Bei diesen Verhand- trags als Gesamtsteuerabgabe etikettieren, ist in Wirk- lungen könnte die Grundlage geschaffen werden für ei- lichkeit nichts anderes als die Grenzsteuerbelastung. nen neuen Anlauf zu einer durchgreifenden Reform der Das bedeutet, dass bei einem Einkommen von Einkommensteuer. 12 700 Euro nur der zwölftausendsiebenhundertste Euro Das wäre dringend notwendig. Insbesondere das Ein- – dieser eine Euro! – mit 23,5 Prozent zu versteuern ist kommensteuerrecht in diesem Land ist mittlerweile zu und nicht, wie Sie es weismachen wollen, der gesamte einem Steuerdschungel verkommen. Kein noch so ge- Betrag von 12 700 Euro. wiefter Steuerexperte kann heute für sich in Anspruch (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) nehmen, den Wust von Steuergesetzen, Verordnungen, unzähligen Paragrafen, rund 100 000 Verwaltungsvor- Sie schrecken vor keiner noch so platten Tatsachen- (B) schriften und nahezu ebenso vielen Finanzgerichtsent- verdrehung zurück. Sie muss nur geeignet sein, Stim- (D) scheidungen zu durchschauen. mungen zu schüren. Hauptsache ist, dass es irgendwie in Ihre sozialistischen Planspiele passt. Die Wahrheit ist, (Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Da kommen ja dass der Durchschnittssteuersatz bei dem Betrag von jetzt noch einige dazu!) 12 700 Euro lediglich 7,7 Prozent beträgt. Wo Steuerberater, Finanzbeamte und Fachpolitiker den Lassen Sie mich noch auf eine weitere populistische Überblick verlieren, da hat auch der einfache Bürger und Attitüde in Ihrem Antrag aufmerksam machen. Sie kriti- Steuerzahler keinen Durchblick mehr. sieren, dass Steuerpflichtige mit einem Jahreseinkom- men von lediglich 20 000 Euro durch die letzte Einkom- Aber es ist nicht allein die Schuld der Politik, dass wir mensteuerreform von Rot-Grün nur um 1 170 Euro heute einen Steuerdschungel haben. Es hat sich in den entlastet wurden, während Steuerpflichtige mit einem letzten Jahrzehnten eine Art Schaukel entwickelt: Auf Einkommen von 500 000 Euro um über 40 000 Euro ent- der einen Seite werden immer neue Abschreibungs- lastet wurden. Sie sollten wissen, dass es bei einem modelle und Steuersparmodelle von Abschreibungsspe- linear-progressiven Steuersystem mathematisch na- zialisten ausgetüftelt werden, die in der Regel legal, aber hezu zwingend ist, dass Steuerentlastungen konsequen- trotzdem äußerst grenzwertig sind. Auf der anderen terweise zu einer nominal höheren Entlastung bei höhe- Seite stehen die Politik und die Finanzverwaltung, die ren Einkommen führen. entsprechende Gegenmaßnahmen ergreifen müssen. Das Ganze schaukelt sich so seit Jahren hoch und verursacht (Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Das eine immer höhere Komplexität, gerade auch bei der muss man ihnen erklären!) Einkommensteuer. Wenn jemand nur 1 000 Euro an Steuern zahlt, kann man Jetzt versucht Die Linke mit der wiederholten Forde- ihm eben keine 2 000 Euro an Steuern erlassen. Das ist rung nach noch mehr Umverteilung, eine erneute Neid- nicht möglich. kampagne zu entfachen. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) (Dr. Barbara Höll [DIE LINKE]: Steuersen- kungen!) Im Übrigen gibt es durch den progressiven Verlauf der Einkommensteuerkurve eine Besteuerung nach dem Den Linken geht es dabei in erster Linie darum, mit Leistungsfähigkeitsprinzip. Dieses Leistungsfähigkeits- populistischen Forderungen auf sich aufmerksam zu ma- prinzip ist keine Einbahnstraße. Das gilt für beide Rich- chen. tungen. 10416 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 101. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Mai 2007

Olav Gutting (A) (Dr. Barbara Höll [DIE LINKE]: Deswegen (Klaus-Peter Flosbach [CDU/CSU]: Das ist (C) brauchen wir auch einen hohen Spitzensteuer- doch gar kein Konzept, das die vorgelegt ha- satz!) ben!) Lassen Sie mich noch einmal darauf aufmerksam ma- gehört jedoch nicht dazu und muss deswegen abgelehnt chen, dass in Deutschland die Einkommen von über werden. 57 000 Euro jährlich – obwohl sie nur 15 Prozent aller (Beifall bei der CDU/CSU) Einkommen ausmachen – 65 Prozent zu der insgesamt vereinnahmten Einkommensteuer beitragen. Das heißt, die Hälfte aller Einkommensteuerzahler trägt zu Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: über 90 Prozent zu der vereinnahmten Einkommensteuer Ich erteile der Kollegin Dr. Barbara Höll zu einer kur- und die andere Hälfte, die eher gering verdienenden zen Kurzintervention das Wort. Schichten, trägt weniger als 10 Prozent zu den Einkom- mensteuereinnahmen bei. Die starken Schultern in die- Dr. Barbara Höll (DIE LINKE): sem Land, die Leistungsträger wie der Facharbeiter und Sehr geehrter Herr Kollege Gutting, da Sie uns vorge- der Schichtarbeiter, tragen also bereits heute in unserem worfen haben, die Zahlen in unserem Antrag seien nicht Land fast die gesamte Steuerlast bei der Einkommen- richtig, erlaube ich mir, Sie darauf hinzuweisen, dass in steuer. Wer ihnen noch mehr aufbürden will – das wollen unserem Antrag eindeutig vom Grenzsteuersatz die Rede Sie mit Ihrem Antrag erreichen –, der zerstört letztend- ist und davon, dass der Eingangssteuersatz bei lich die Grundlage des Wohlstandes in diesem Land. 15 Prozent liegt. Dass wir nicht innerhalb eines Satzes Nehmen Sie den Leistungsträgern die Motivation, sich vom Grenzsteuersatz zur Durchschnittsteuerbelastung anzustrengen, und Sie haben bald gar nichts mehr zum wechseln, liegt auf der Hand. Das versteht man auch. Umverteilen! Des Weiteren möchte ich anmerken, dass Sie fälschli- (Beifall bei der CDU/CSU) cherweise dargelegt haben, dass es zu einer Belastung von Facharbeiterinnen und Facharbeitern durch den von Ich habe manchmal den Eindruck, dass die Linke erst uns vorgeschlagenen linear-progressiven Tarif komme. dann zufrieden ist, wenn in diesem Land alle arm sind. Das stimmt nicht. Wenn Sie das nachrechnen, stellen Sie fest, dass es durch unseren Tarif zu einer Absenkung der (Dr. Barbara Höll [DIE LINKE]: Was?) durchschnittlichen Steuerbelastung bis zu einem zu ver- Die Forderung nach mehr Steuergerechtigkeit ist für steuernden Einkommen in Höhe von etwa 55 000 Euro sich genommen ein ehrenwertes und erstrebenswertes kommt. Das ist auf alle Fälle die Grenze, unter die die (B) (D) Ziel. Wie Sie wissen, haben auch wir von der Union uns Mehrheit der abhängig Beschäftigten fällt. Es geht um eine Mehrbelastung der wirklichen Spitzenverdiener. dieser Zielsetzung verschrieben. Ich darf auf die Kon- zepte von Uldall, Merz und zuletzt von Kirchhof hinwei- Danke. sen. Leider ist die Umsetzung dieser Konzepte im Moment in dieser Koalition nicht möglich. Aber aufge- (Beifall bei der LINKEN) schoben ist nicht aufgehoben. Ich bin der Meinung, dass wir zukünftig primär über einen Weg zur Steuerverein- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: fachung nachdenken sollten; denn nur ein einfaches und Herr Kollege Gutting, wollen Sie erwidern? – Bitte. verständliches Einkommensteuerrecht ist auch ein ge- rechtes Steuerrecht. Olav Gutting (CDU/CSU): (Beifall bei der CDU/CSU) Nur ganz kurz. Der vorhandene Steuerdschungel führt dazu, dass die Frau Kollegin Dr. Höll, die Begründung Ihres Antra- Steuergerechtigkeit auf der Strecke bleibt. Auch das ges ist so zu verstehen, wie ich es eben vorgetragen Wirtschaftswachstum bleibt gehemmt. Der Wohlstand habe. Anderenfalls hätten Sie es deutlicher machen müs- der Gesellschaft insgesamt wird dadurch beeinträchtigt. sen. Sie beziehen sich nicht exakt auf den Grenzsteuer- wert. Vielmehr soll die Gesamtsteuerbelastung für den Die Arbeit der Großen Koalition ist durch die An- genannten Betrag bei 23,5 Prozent liegen. strengungen geprägt, die Staatsfinanzen zu sanieren und Ich weiß nicht, wie es in Ihrer Heimat aussieht. Ich das Wirtschaftswachstum anzukurbeln. Es gelingt. Bei- komme aus Baden-Württemberg. des wurde mit Erfolg auf den Weg gebracht. Ich will hier nur an das 25-Milliarden-Euro-Impulsprogramm aus (Dr. Barbara Höll [DIE LINKE]: Ich komme dem Jahr 2006 erinnern. In den nächsten Jahren werden aus Sachsen!) wir uns verstärkt um die Eindämmung der Paragrafenflut Bei uns verdienen die Facharbeiter und die Schichtarbei- kümmern. Eine Vereinfachung gerade beim Einkom- ter – Gott sei Dank – sehr gutes Geld; das haben sie ver- mensteuerrecht führt automatisch zu mehr Steuergerech- dient. Sie sind die Leistungsträger in unserem Land. Mit tigkeit. Das gilt gleichermaßen für große und kleine der von Ihnen vorgeschlagenen Reform würde dieser Steuerzahler. Geeignete Konzepte hierzu liegen zur Ge- Personenkreis zusätzlich belastet. nüge vor. Das Konzept von der Linken zur Umverteilung und Zerstörung von Leistungsanreizen (Beifall bei der CDU/CSU) Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 101. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Mai 2007 10417

(A) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: und die hart arbeitende Bevölkerung, weiter belastet (C) Ich erteile jetzt dem Kollegen Carl-Ludwig Thiele werden. Deshalb lassen Sie uns einmal die Fakten be- von der FDP-Fraktion das Wort. trachten und schauen, ob die Gerechtigkeitslücke, die immer kritisiert wird, in der Form überhaupt besteht. Carl-Ludwig Thiele (FDP): Das Finanzministerium mit einem SPD-Finanzminis- Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten ter an der Spitze hat eine Datensammlung zum Steuer- Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Gutting, Sie aufkommen des Jahres 2005 vorgelegt. Diese Daten soll- haben vom Steuerdschungel und davon gesprochen, dass ten auch die versammelten Linken im Parlament zur in den nächsten Jahren eine Eindämmung der Paragra- Kenntnis nehmen. Die oberen 10 Prozent der Steuer- fenflut erfolgen soll. Es wäre gut gewesen, wenn die pflichtigen zahlen mehr als 50 Prozent der Einkommen- heute Morgen stattgefunden hätte und nicht das Gegen- steuer, und die oberen 50 Prozent der Steuerpflichtigen teil dessen heute vom Deutschen Bundestag beschlossen zahlen mehr als 93 Prozent der Einkommensteuer. Die worden wäre. unteren 50 Prozent der Steuerpflichtigen zahlen keine (Otto Bernhardt [CDU/CSU]: Hier geht es um 7 Prozent der Einkommensteuer. Diese Zahlen zeigen: die Einkommensteuer!) Eine Gerechtigkeitslücke besteht nicht. – Herr Kollege Bernhardt, die Einkommensteuer ist (Beifall bei der FDP) durch Gegenfinanzierungselemente in dem Gesetz, wel- Wer finanziell leistungsfähiger ist, wird auch stärker zur ches heute Vormittag verabschiedet worden ist, reichlich Finanzierung des Gemeinwohls herangezogen. Dies tangiert worden. Insofern ging es auch heute Morgen sollten auch die vereinten Linken in diesem Haus end- schon um die Einkommensteuer. lich zur Kenntnis nehmen. Im letzten Jahr haben Union und SPD die größte Für die FDP sage ich Ihnen: Bei den sprudelnden Steuererhöhung unseres Landes beschlossen, nämlich Steuerquellen ist es geboten, den Bürgern einen Teil der eine Mehrwertsteuererhöhung um 3 Prozentpunkte. Die- Steuermehreinnahmen zu ihrer finanziellen Entlastung, ser Steuererhöhung hat auch die SPD zugestimmt, die für Investitionen und für Konsum zurückzugeben. noch im Bundestagswahlkampf strikt gegen eine Steuer- erhöhung war und erklärt hatte: „Keine Merkel-Steuer (Beifall bei der FDP) mit der SPD.“ Dies sage ich für die gesamte Fraktion, auch für die (Otto Bernhardt [CDU/CSU]: Das ist jetzt ver- Haushälter in unserer Fraktion; denn wir brauchen bei- jährt!) des, eine Rückführung der Neuverschuldung und eine Entlastung der Bürger. Deshalb fordert die FDP eine (B) (D) Die Große Koalition hat ferner die Reichensteuer einge- grundsätzliche Steuerreform mit einer deutlichen Netto- führt – wir sind in dieser Debatte beim Einkommensteu- entlastung für alle Bürger. Zusätzlich braucht unser Land ertarif –, und der Spitzensteuersatz ist von 42 Prozent gerade nach der Verwüstung des Steuerrechts von heute auf 45 Prozent erhöht worden. Auch diese Erhöhung er- Vormittag durch die Große Koalition im Bereich der folgte mit Zustimmung der Union. Steuerpolitik eine grundsätzliche Reform für ein niedri- geres, einfacheres und gerechteres Steuersystem. (Ernst Burgbacher [FDP]: Oh ja!) (Beifall bei der FDP) Am 11. März haben die Steuerschätzer festgestellt, dass in diesem Jahr fast 10 Prozent mehr Steuern als im Die FDP wird sich weiter hierfür und für die steuerliche vergangenen Jahr eingenommen werden. Der Staat Entlastung der Bürger einsetzen. nimmt also mit 535 Milliarden Euro etwa 50 Milliarden Herzlichen Dank. Euro mehr ein als im Vorjahr. Deshalb können wir, so glaube ich, hier gemeinsam feststellen: Noch nie gab es (Beifall bei der FDP) so große Steuererhöhungen, und noch nie sprudelten die Steuerquellen so ergiebig wie heute. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Genau zu diesem Zeitpunkt reicht die PDS-Fraktion Das Wort hat jetzt der Kollege Florian Pronold von diesen Antrag ein, mit dem der Spitzensteuersatz sogar der SPD-Fraktion. auf 50 Prozent steigen soll. Wir erleben also trotz der sprudelnden Steuerquellen weiter reflexhafte Forderun- Florian Pronold (SPD): gen der Linken im Parlament – sowohl von Teilen der Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und SPD als auch von der Linkspartei –: Der Staat braucht Kollegen! Herr Thiele, ich glaube, niemand gibt so weitere Steuererhöhungen, der Staat braucht eine stär- schnell wie unser Staat Steuereinnahmen an die Bürge- kere Belastung der Bürger, und der Staat weiß besser mit rinnen und Bürger zurück. Warum sollte der Staat die dem Geld der Bürger umzugehen als der Bürger selbst. Steuern behalten? Wohin fließen seine Steuereinnahmen denn? Das Gegenstück zu Steuern sind Investitionen, (Ernst Burgbacher [FDP]: Das meinen die!) zum Beispiel in Bildung, in Krankenhäuser, in Straßen, Die von der Linken behauptete Gerechtigkeitslücke und Ausgaben für soziale Leistungen wie BAföG, – das hat Herr Kollege Gutting gerade dargestellt – kann Arbeitslosengeld II usw. Der Staat behält also keinen angeblich nur dadurch geschlossen werden, dass die leis- einzigen Cent seiner Steuereinnahmen; vielmehr gibt er tungsfähigen Bürger in unserem Land, der Mittelstand sie den Bürgerinnen und Bürgern zurück. 10418 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 101. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Mai 2007

Florian Pronold (A) Unsere Steuereinnahmen sind zurzeit Gott sei Dank eine Familie mit einem Jahreslohn von rund 24 700 Euro. (C) gut; sie sind höher, als wir es erwartet haben. Das ist des- Ich beziehe mich einmal auf eine Familie mit einem Jah- wegen so, weil wir ein Investitionsprogramm aufgelegt reslohn von 30 000 Euro, die Sie in Ihrer Rede angeführt haben, das die Binnenkonjunktur massiv angekurbelt haben. Ein Vergleich zwischen 1998 und 2005 unter Ein- hat. Die Steuermehreinnahmen sind nicht durch die zu- beziehung der Erhöhung des Kindergeldes zeigt: Eine Fa- letzt beschlossenen Steuererhöhungen zustande gekom- milie mit zwei Kindern war im Jahr 2005 um jährlich men, sondern überwiegend durch die bessere konjunktu- 2 350 Euro – das entspricht etwa 4 600 DM – entlastet. relle Situation. Mit anderen Worten: Diese Familie hatte mehr Geld im (Dr. Barbara Höll [DIE LINKE]: Die Mehr- Geldbeutel. wertsteuererhöhung hat nicht gewirkt?) (Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- – Frau Höll, schauen Sie sich einmal die Gewerbesteuer- NEN]: Die Rechnung stimmt nicht, weil die und die Körperschaftsteuereinnahmen an: Sowohl das Lohnsteigerung nicht enthalten ist!) Netto- als auch das Bruttoaufkommen haben in den letz- ten zehn Jahren einen deutlichen Zuwachs erfahren. Die – Ich danke für den Zwischenruf. Ich bin in meiner Gewerbesteuer- und die Körperschaftsteuereinnahmen Rechnung davon ausgegangen, dass die Löhne gleich waren in der Geschichte der Bundesrepublik noch nie so geblieben sind. Ihr Zwischenruf hilft mir, zu dem über- hoch wie in diesem Jahr. zuleiten, worauf ich zu sprechen kommen wollte. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der In der Zeit, über die wir reden, sind die Löhne leider CDU/CSU) kaum gestiegen. Aufgrund der unter Rot-Grün durchge- führten Steuerentlastungen sind die Reallohneinkommen Man kann Fakten nicht einfach immer wieder ignorie- fast mehr gestiegen als durch die Tariferhöhungen, die es ren, nur weil sie einem nicht passen. in diesem Zeitraum gab. Sie selber schreiben in Ihrem Jetzt komme ich auf Ihre Propaganda zu sprechen. Antrag, dass die primäre Einkommensverteilung ent- Herr Kollege Gutting hatte recht. Ich lese einfach einmal scheidend für die Frage der Umverteilung ist. Leider einen Absatz Ihres Antrags vor: wird dies nur in einem einzigen Satz zum Ausdruck ge- bracht. Anschließend erwecken Sie den Eindruck, als Schuld daran ist die Gestaltung des Tarifverlaufs könne der Staat alles, was durch die primäre Einkom- bei der Einkommensteuer. Hier hebt die Bundesre- mensverteilung nicht gelingt, über eine entsprechende gierung zwar gern die Senkung des Eingangssteuer- Steuerpolitik korrigieren, Stichwort „Umverteilung“. satzes auf 15 Prozent hervor. Das geht nicht. (B) Jetzt kommt es: (D) Zur Frage der Ungleichbehandlung. Schauen wir uns Allerdings steigt der Steuersatz bis zu einem jährli- an, was das effektiv bedeutet. Ich beziehe mich wieder auf chen Einkommen in Höhe von 12 700 Euro deut- die Familie mit 30 000 Euro Einkommen, die Sie als Bei- lich stärker als bei einem Einkommen von mehr als spiel angesprochen haben! Bei einer Familie mit 30 000 12 700 Euro. Dazu kommt ein zu geringes steuer- Euro Einkommen beträgt die Entlastung unter Berück- freies Existenzminimum. sichtigung des Abzugs von Steuern und Sozialabgaben 8,2 Prozentpunkte, bei einer Familie mit 100 000 Euro Dann folgt der entscheidende Satz – er ruft bei jedem Menschen eine falsche Vorstellung hervor –: Einkommen 3,6 Prozentpunkte, also deutlich weniger. Jetzt können Sie wieder auf die absoluten Beträge verwei- (Dr. Barbara Höll [DIE LINKE]: Stellen Sie sen, und dann wird es wieder so aussehen, als würden die- Ihr Licht nicht unter den Scheffel!) jenigen, die in der Gesellschaft oben sind, mehr entlastet. Von der prozentualen Entlastung her ist es genau anders- – Rufen Sie nicht dazwischen! Hören Sie zu, oder lesen herum. Sie mit, was ich aus Ihrem Antrag zitiere! – Dies führt in der Konsequenz dazu, dass auf Auch ich stelle die Frage danach: Wie kann ein ge- 12 700 Euro bereits 23,5 Prozent Steuern gezahlt rechter Steuertarif aussehen? Natürlich könnte man werden müssen. über den Tarif, den Sie aufgezeichnet haben, diskutieren. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der (Dr. Barbara Höll [DIE LINKE]: Darüber CDU/CSU) muss man reden!) Damit führen Sie Menschen in die Irre. – Ja, aber dann muss man auch darüber diskutieren, wie Der Kollege Gutting hat zu Recht darauf hingewie- man den finanziert. Dann muss man diskutieren – unter sen, dass die durchschnittliche Steuerbelastung bei Rot-Grün sind wir dafür gescholten worden –, welche 7,7 Prozent liegt. Richtig ist: Ab dem 12 700. Euro – erst Gegenfinanzierung für die Steuerentlastungen angeboten ab diesem Wert – gilt der Grenzsteuersatz von 23,5 Pro- werden kann. Es wird immer nur beklagt – – zent, und das steht nicht in Ihrem Antrag. Ich wieder- (Dr. Barbara Höll [DIE LINKE]: Hätten Sie hole: Sie versuchen, die Menschen in die Irre zu führen. heute auf die Unternehmensteuerreform ver- Sie beziehen sich in Ihrem Antrag nicht auf eine Fami- zichtet, hätten Sie schon im nächsten Jahr was lie mit einem Jahreslohn von 30 000 Euro, sondern auf dafür!) Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 101. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Mai 2007 10419

(A) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: siert worden ist. Das Problem ist, dass die Leute das (C) Herr Pronold, Sie haben das Wort. nicht gespürt haben, weil nämlich weniger im Geldbeu- tel war, Florian Pronold (SPD): (Dr. Barbara Höll [DIE LINKE]: Und die Sie dürfen nicht alles glauben, was Sie selbst im Mehrwertsteuer?) „Neuen Deutschland“ schreiben. aber nicht wegen der Politik, sondern wegen der Realität Wir haben das heute diskutiert. Fakt ist: Nach dem der Einkommensverteilung in der Gesellschaft, die zwi- DIW gibt es in Deutschland jedes Jahr 100 Milliarden schen den Tarifparteien ausgehandelt worden ist. Euro, die hier steuerpflichtig wären, hier aber nicht ver- steuert werden. Vielen Dank. (Dr. Barbara Höll [DIE LINKE]: Mit der Ab- (Beifall bei der SPD – Dr. Barbara Höll [DIE geltungsteuer treffen Sie sogar noch die klei- LINKE]: Und die Mehrwertsteuererhöhung ist nen Sparer!) vom Himmel gefallen?!) Wenn wir das durch die Unternehmensteuerreform zu- künftig auch nur zu einem Teil zurückbekommen – das Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: ist in das Finanztableau kaum eingerechnet –, dann er- Jetzt hat als letzte Rednerin die Kollegin Christine zielen wir mehr Steuereinnahmen, und zwar auch von Scheel vom Bündnis 90/Die Grünen das Wort. den Richtigen, nämlich denen, die bisher Gestaltungs- möglichkeiten nutzen. Das ist Sinn und Zweck dieser Christine Scheel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Steuerreform. Ich kann ein Gerechtigkeitsverständnis Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es nicht akzeptieren, das sich der Realität verweigert und ist ein bisschen schade, Frau Dr. Höll, dass Sie sich in dies eben nicht in den Blick nimmt. Ihrem Antrag nur auf den Tarif konzentriert haben und (Dr. Barbara Höll [DIE LINKE]: Ihre Politik auf das, was die Menschen in diesem Land umtreibt, ist Entlastung der großen Unternehmen!) nämlich dass unser Steuersystem zu kompliziert ist, dass alles zu bürokratisch ist, dass es zu wenig transparent ist, Wie sieht es denn mit dem Spitzensteuersatz aus? mit keinem Wort eingegangen sind. Das ist im Prinzip Wie der Kollege Thiele richtig festgestellt hat, haben wir unser Hauptproblem. Danach kann man über den Tarif unter der Großen Koalition das wieder ein Stück weit be- und über die Ausgestaltung des Tarifs reden. hoben, was der SPD eh nicht gepasst hat, nämlich dass der Spitzensteuersatz auf 42 Prozent gesenkt worden ist. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, (B) (D) Wir haben die 45 Prozent zurückerkämpft. bei der CDU/CSU und der FDP) (Dr. Barbara Höll [DIE LINKE]: Aber das ist Richtig an dem Vorschlag ist, dass die Steuerbelastun- doch ein Placebo! Das ist doch minimal! – Zu- gen der Beschäftigten infolge von nominellen Einkom- ruf von der FDP: Das ist immer noch zu hoch!) menssteigerungen von Jahr zu Jahr steigen. Das ist das Interessante. Florian Pronold hat einen Vergleich über – Entschuldigung! Die SPD-Position in den damaligen die Jahre 1998 bis heute angestellt. Das Kindergeld ist in Verhandlungen im Vermittlungsausschuss war nicht ein diesen Jahren angehoben worden. Wir haben unter der Satz von 42 Prozent, sondern ein Satz von 45 Prozent. rot-grünen Regierung wirklich viel in diesem Bereich Sonst hätten wir das auch nicht ins Wahlprogramm auf- gemacht. Hier ist es zu einer Entlastungswirkung ge- genommen. Wir brauchten damals eine Mehrheit im kommen. Auf der anderen Seite muss man sehen, dass Bundesrat. Dadurch kam es zu den 42 Prozent. Jetzt ha- wir bei dem progressiven Einkommensteuertarif, den ben wir das zurückerkämpft. Deswegen sind wir da auf wir in Deutschland haben, nicht den Inflationsindex be- dem richtigen Weg. rücksichtigen. Das heißt, dass wir in der Bundesrepublik Es handelt sich um eine wirkliche Entlastung vor al- jedes Jahr heimliche Steuererhöhungen haben. lem für die unteren und mittleren Einkommen, übrigens (Zuruf von der CDU/CSU: Das ist richtig!) auch für den Mittelstand. Noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland ist der Mittelstand so stark Das Lohnsteueraufkommen nimmt bei gleicher Be- entlastet worden wie unter der rot-grünen Steuerpolitik. schäftigungssituation zum Beispiel um 1,6 Milliarden Die Anrechenbarkeit der Gewerbesteuer auf die Ein- Euro im Jahr zu, wenn die Löhne, was realistisch ist, um kommensteuer und die Absenkung des Spitzensteuersat- 1,5 Prozent steigen. Das sind Mehreinnahmen des Staa- zes bei der Einkommensteuer haben dies bewirkt. Wir tes. Wenn die Löhne um 2,5 Prozent steigen würden, haben die echten Leistungsträger in der Gesellschaft mit hätte der Staat im Lohnsteuerbereich mehrere Milliarden unserer Steuerpolitik bessergestellt, damit auch Gerech- Euro mehr. tigkeit in die Einkommensverteilung gebracht und dazu (Christian Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: beigetragen, dass die Entwicklung bei den Reallöhnen Auch die Kirchen!) – Erhöhungen konnten nicht erkämpft werden; die Real- löhne sind sogar zurückgegangen; das stellt man fest, Das sind Zahlen, die man nicht wegdiskutieren kann. wenn man sich anschaut, was den Beschäftigen in der Der Effekt kann in der jetzigen konjunkturellen Lage mit Zeit an Urlaubs- und Weihnachtsgeld gestrichen worden relativ guten Lohnabschlüssen natürlich noch viel höher ist – durch Steuerentlastungen ein Stück weit kompen- ausfallen. Wir Grünen halten es für richtig, dass wir uns 10420 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 101. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Mai 2007

Christine Scheel (A) im Einkommensteuertarif im Hinblick auf die Lohnent- zahlt über 1 Million Menschen weniger Steuern. Man (C) wicklung im Prinzip eine Anpassung überlegen müssen. sieht, dass im unteren Bereich viel passiert ist. (Zuruf der Abg. Dr. Barbara Höll [DIE Eine letzte Bemerkung – wir haben heute bereits da- LINKE]) rüber debattiert –: Sie unterschlagen völlig, was mit den Personenunternehmen und den Selbstständigen geschieht. Deshalb ist die Aussage richtig, dass die Steuerentlas- Sie zahlen dann plötzlich auch 50 Prozent Steuern. Wir tungen im Laufe der nächsten Jahre im Zeitablauf aufge- haben heute Morgen von der Koalition eine Beschluss- fressen werden. Es gibt Untersuchungen darüber, dass vorlage erhalten, in der es hieß, dass die Körperschaft- die Steuerlasten für Arbeitnehmerinnen und Arbeitneh- steuer 25 Prozent betragen solle. mer in etwa drei Jahren aufgrund der kalten Progres- sionswirkung wieder so hoch sein werden wie zum Ende (Dr. Barbara Höll [DIE LINKE]: Sie kennen der Regierungszeit von Helmut Kohl. Das ist richtig. doch die Zahlen!) Hier gebe ich Ihnen recht. Sie ziehen aber die falsche Sie ignorieren völlig, dass die Personenunternehmen und Schlussfolgerung. die Selbstständigen in der Spitze bei einem Steuersatz (Dr. Barbara Höll (DIE LINKE): Nein!) von 50 Prozent liegen. Hinzu kommt – neben anderen Effekten – noch der Soli. Das ist zutiefst ungerecht. Sie sagen, dass das Existenzminimum angehoben werden soll. Ich denke, es gibt niemanden hier im Raum, (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) der sagen würde, das wäre falsch. Das Existenzminimum Sie bestrafen die Selbstständigen und die Handwerker in auf 8 000 Euro anzuheben, ist eine gute Überlegung. Es ihrer wirtschaftlichen Situation. Das machen wir nicht ist völlig klar, dass man das finanzieren muss, aber es ist mit. eine gute Überlegung. Wenn Sie aber sagen, wir erhöhen den Spitzensteuersatz auf 50 Prozent, dann kann ich nur (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sagen: Sie vergessen die Gesamtbelastung der Menschen sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und in diesem Land, deren Einkommen in diesem Bereich lie- der FDP) gen. Hier geht es nicht nur um die Steuern. Hier geht es auch um die Abgabenwirkungen in den sozialen Siche- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: rungssystemen – bei den Rentenversicherungen und bei Ich schließe die Aussprache. anderen Versicherungen –, sodass Arbeitnehmerinnen oder Arbeitnehmer eine Belastung haben, die einschließ- Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf lich der Abgaben 60 Prozent erreicht. Bei denjenigen, die Drucksache 16/5277 an den Finanzausschuss vorge- (B) bei einer Anhebung im Bereich des Spitzensteuersatzes schlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der (D) wären, würde von jedem Euro, der zusätzlich verdient Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. wird, nicht mal ein Drittel im Geldbeutel der Menschen Ich rufe die Tagesordnungspunkte 36 a und 36 b auf: bleiben. Ich glaube nicht, dass sich das bei den Selbst- ständigen und bei den abhängig Beschäftigten in der 36 a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Volker Bundesrepublik Deutschland positiv auf die Leistungsfä- Beck (Köln), Irmingard Schewe-Gerigk, Birgitt higkeit auswirken würde. Bender, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und Den 17.05. als offiziellen Tag gegen Homo- der FDP – Zurufe von der LINKEN) phobie begehen Eine kurze Bemerkung: Sie machen es sich verdammt – Drucksache 16/5291 – leicht. Sie nehmen die Realität nicht an. Sie müssen ein- Überweisungsvorschlag: mal gucken, wer von den Steuerpflichtigen zum Steuer- Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe (f) aufkommen beiträgt. Auswärtiger Ausschuss Innenausschuss (Dr. Barbara Höll [DIE LINKE]: Nach der Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Leistungsfähigkeit!) b) Beratung des Berichts des Ausschusses für Men- Einige Kollegen haben bereits darauf hingewiesen. schenrechte und Humanitäre Hilfe (17. Aus- 8 Prozent aller Steuerpflichtigen – das sind diejenigen schuss) gemäß § 62 Abs. 2 der Geschäftsordnung mit hohen Einkommen – zahlen 44 Prozent des gesam- zu dem Antrag der Abgeordneten Volker Beck ten Einkommensteueraufkommens. 8 Prozent zahlen (Köln), Irmingard Schewe-Gerigk, Marieluise 44 Prozent. Beck (Bremen), weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN (Dr. Barbara Höll [DIE LINKE]: Nach der Meinungs- und Versammlungsfreiheit für Les- wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit!) ben und Schwule in ganz Europa durchsetzen Schauen wir uns an, was das für den unteren Bereich – Drucksachen 16/1667, 16/5442 – bedeutet. Wir von Rot-Grün haben sehr viel gemacht. Sehr viele Menschen sind völlig aus der Steuerschuld Berichterstattung: herausgefallen. Durch die rot-grüne Reform von damals Dr. Herta Däubler-Gmelin Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 101. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Mai 2007 10421

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms (A) Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die sich friedlich zu versammeln, das ist ein Anliegen, das (C) Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei Bünd- der Staat zu gewährleisten hat. Gegen Faschisten, die auf nis 90/Die Grünen fünf Minuten erhalten soll. Gibt es der Straße mit Prügeln auf die Demonstranten warten, Widerspruch? – Das ist nicht der Fall. Dann ist das so muss eine Sicherheitspolitik friedliche Demonstranten beschlossen. auf jeden Fall schützen. Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Red- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, ner das Wort dem Kollegen Volker Beck von Bündnis 90/ bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und der Die Grünen. LINKEN) In Moskau ist leider das Gegenteil der Fall. Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Leider Herr Luschkow, der Bürgermeister, spricht von Sata- gibt es allen Grund, heute über dieses Thema, über die nismus auf der Straße, hetzt gegen Schwule und Lesben, Frage der Grundrechte von Lesben und Schwulen in den und niemand wehrt sich dagegen, dass schon heute zu Mitgliedstaaten der Europäischen Union und des Euro- Gewalttaten bei eventuellen Aktionen am Sonntag auf parats, zu sprechen. Moskaus Straßen aufgerufen wird. Nicht die Gewalttäter werden verhaftet, sondern Leute, die dafür bekannt sind, In Riga wurde das Verbot des Christopher-Street- dass sie friedlich für Demokratie und Menschenrechte Days gerade von einem Verwaltungsgericht aufgehoben; auf die Straße gehen. Das ist ein Skandal. Dem stellen dort gibt es eine funktionierende Justiz. wir uns als demokratisches Parlament der Bundesrepu- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN blik Deutschland gemeinsam entgegen. sowie des Abg. Burkhardt Müller-Sönksen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, [FDP]) bei der SPD, der FDP und der LINKEN) Aber in Vilnius wurde gerade ein CSD-Verbot rechtsgül- Ich finde es sehr bedauerlich, dass bislang nur ein ein- tig ausgesprochen. In Chişinău in Moldawien wurde vor ziger Duma-Abgeordneter, nämlich der stellvertretende einigen Wochen der CSD verboten. Gestern erreichte Vorsitzende der Verfassungskommission, Herr Alexej auch die Organisation des Moskauer Gay-Pride 2007 ein Mitrofanow, gesagt hat, das Versammlungsrecht sei zu Verbot der Moskauer Stadtregierung für den Gay-Pride respektieren. Herr Mitrofanow ist leider eine sehr schil- in diesem Jahr. lernde Person. Er gehört zur Schirinowskij-Partei und Alle diese Länder sind Signatarstaaten der Europäi- hat fürchterliche Dinge zu Frauenrechten, Minderheiten, schen Menschenrechtskonvention. Wer es noch nicht ethnischen Minderheiten, Ausländern und zum Verhält- (B) (D) wusste, kann es seit neuestem beim Europäischen Ge- nis zu den Nachbarstaaten Russlands gesagt. richtshof für Menschenrechte nachlesen, der Anfang Es ist zwar gut, dass er sich zu einem Grundrecht im Mai dieses Jahres der Republik Polen ins Stammbuch demokratischen Sinne äußert. Das allein macht aus ihm geschrieben hat, dass man auch Demonstrationen von aber noch keinen Demokraten. Wir werden genau beob- Lesben und Schwulen dulden muss. Auch wenn die achten, ob er Mitglied in der demokratischen Familie Mehrheit der Bevölkerung sich nicht mit ihnen identifi- werden kann. Zuvor muss er sich von seinen früheren zieren mag, wenn die politische Klasse und die Perso- Äußerungen zur Ausländerpolitik, zur Frauenpolitik und nen, die die Versammlungsbehörde anführen, das ekel- zur Außenpolitik rückhaltlos distanzieren. Nur eine rich- haft finden, sind die Grundrechte zu wahren, die tige Erkenntnis reicht für politische Gemeinsamkeiten Demonstrationen zuzulassen; friedliche Demonstranten zwischen ihm und uns demokratischen Politikern nicht sind vor Gewalt zu schützen, und der Rechtsweg gegen aus. ungerechtfertigte Beschränkung der Versammlungsfrei- heit ist so auszugestalten, dass man vor der Veranstal- Das werde ich Herrn Mitrofanow bei meinem Besuch tung eine Chance hat, vor Gericht Recht zu bekommen. in Moskau persönlich sagen. Ich fahre nämlich nach die- ser Debatte zusammen mit Europaabgeordneten und mit (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, einer Kollegin aus dem italienischen Parlament dorthin. bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Ab- Wir wollen an der Seite der Menschenrechtsverteidiger geordneten der SPD) in Russland zum Ausdruck bringen, dass wir als demo- Leider müssen wir feststellen: In vielen Ländern kratische Politiker sie nicht alleine lassen. Wir haben – man sieht es zurzeit am Beispiel Moskaus – schert sich großen Respekt vor ihrem Kampf in dieser schwierigen keiner darum. Deshalb sollten wir heute als Deutscher Situation. Unsere Parlamente stehen hinter uns, auch Bundestag ein deutliches Signal über alle Fraktionsgren- wenn nicht aus allen Parlamenten Vertreter nach Moskau zen hinweg aussenden, dass wir diese Verletzung der fahren können. Versammlungs- und Meinungsfreiheit nicht akzeptie- Das klare Signal ist: Menschenrechtsverteidiger kön- ren. nen sich auf demokratische Politiker aus unserem Land Es ist traurig, festzustellen, dass es in Moskau fak- verlassen. tisch keine Politikerinnen und Politiker gibt, die die Vielen Dank. Rechte von Lesben und Schwulen unterstützen, unab- hängig davon, wie sie zu den Forderungen stehen. Diese (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Forderungen zu äußern, dafür auf die Straße zu gehen, bei der SPD, der FDP und der LINKEN) 10422 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 101. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Mai 2007

(A) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: (Beifall im ganzen Hause) (C) Das Wort hat jetzt der Kollege Holger Haibach von der CDU/CSU-Fraktion. Auch wenn vielleicht Unterschiede darüber bestehen, wie wir am Ende des Tages mit der Frage der Rechte für Homosexuelle – nicht was das Ziel, sondern was den Holger Haibach (CDU/CSU): Weg betrifft – umgehen, will ich für meine Fraktion Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her- deutlich machen, dass wir Versammlungsfreiheit und ren! Einer aktuellen Umfrage der Gesellschaft GfK Meinungsfreiheit für absolut wichtige Rechte halten. Polonia zufolge betrachten 53 Prozent der Polen Homo- Wie gesagt, es gibt auch außerhalb von Europa sehr viele sexualität als Sünde. 57 Prozent denken, Homosexuelle Orte, an denen Menschen, die „anders“ sind – ich sage sollten sich nicht öffentlich zu erkennen geben. das sehr bewusst –, sehr viele Repressalien zu fürchten 45 Prozent der Polen denken, Homosexuelle sollten ver- haben. suchen, sich zu ändern. 58 Prozent der Befragten erklär- ten, Homosexuelle sollten nicht die Möglichkeit zur öf- Der Menschenrechtsausschuss hat sich im letzten Jahr fentlichen Kundgebung haben. und speziell in diesem Jahr mit Usbekistan und Turk- menistan auseinandergesetzt. Wir sind dort gewesen, Ich glaube, dass dies ausgesprochen besorgniserre- der Kollege Beck und ich sogar zweimal. Usbekistan gende Zahlen sind. Sie zeigen, dass das Problem, über und Turkmenistan sind die einzigen Länder der ehemali- das wir heute sprechen, sich nicht allein in den Köpfen gen Sowjetunion, die in ihrem Strafgesetzbuch noch ei- von Politikern abspielt, sondern dass dieses Problem auf nen Paragrafen haben, der freiwillige sexuelle Handlun- Mentalitäten von Menschen zurückgeht. Außerhalb des gen zwischen Männern unter Strafe stellt. Bereiches des Europarates und der Europäischen Union können wir sehen – darauf möchte ich später noch zu- Wenn man sich anschaut, wie im arabischen Raum rückkommen –, dass das noch in einer ganz anderen Art über Homosexuelle gedacht wird, dann stellt man sehr und Weise eine Rolle spielt. schnell fest, dass dort sehr viele von vornherein sagen: Das ist etwas, was in unserer Gesellschaft keinen Platz Wir haben vor zwei Wochen im Deutschen Bundestag hat, was wir nicht tolerieren können. – Die meisten der- über die Situation in Russland im Rahmen einer Aktuel- jenigen, die dort homosexuell sind, bekennen sich nicht len Stunde gesprochen. Es ging um das Demonstrations- dazu, weil sie einfach zu viel Angst davor haben. recht und die Meinungsfreiheit im Allgemeinen. Wir wa- ren uns über die Parteigrenzen hinweg einig, dass wir Dies ist also insgesamt ein Problem, das uns immer das Vorgehen russischer Behörden nicht tolerieren kön- noch – auch über die Grenzen von Europa hinaus – be- nen. Demonstranten, die friedlich für ihre Rechte eintra- schäftigen muss. Ich glaube, das ist sehr wichtig, auch (B) ten, wurde nicht nur die Möglichkeit dazu verweigert, wenn sich der vorliegende Antrag im Speziellen mit dem (D) sondern sie wurden darüber hinaus noch verhaftet und Thema der Meinungs- und Versammlungsfreiheit für müssen nun Repressalien fürchten. Lesben und Schwule in Europa beschäftigt. Ein Bericht der Heinrich-Böll-Stiftung über die De- Wir haben es heute noch mit einem zweiten Antrag zu monstration, die im letzten Jahr stattgefunden hat und an tun. Darin geht es darum, den 17. Mai zum internatio- der der Kollege Beck, wie wir uns alle erinnern können, nalen Tag gegen Homophobie auszurufen. Dazu sage teilgenommen hat – er wird daran wahrscheinlich ich: Wir sind uns in dem Ziel einig. Ob aber die Ausru- schmerzhafte Erinnerungen haben –, fasst die Situation fung eines internationalen Tages das richtige Mittel ist, sehr gut zusammen. Es geht nicht nur um die Rechte von ist eine Frage, über die man noch einmal intensiv nach- Homosexuellen, sondern auch um die Rechte all derer, denken muss. Es gibt vom Wissenschaftlichen Dienst die für Demokratie und Menschenrechte eintreten. des Deutschen Bundestages eine sehr schöne Aus- arbeitung aus dem Jahr 2005 über wiederkehrende Der Bericht hat die Überschrift „Anders ist gefähr- Gedenk- und Feiertage. In diesem Bericht werden lich“ und enthält Äußerungen der Vertreter der drei gro- 136 Gedenktage nur von internationalen Organisationen, ßen Weltreligionen, die in Russland ansässig sind, zu also nicht länderspezifisch, genannt. Das reicht vom In- diesem Thema: ternationalen Frauentag bis hin zum Tag gegen das Stot- Der Leiter des kirchlichen Außenamtes Metropolit tern. Wenn man sich das einmal bei „Wikipedia“ an- Kyrill entwickelte gleich eine ganz neue Theorie schaut, stellt man fest, dass allein am heutigen Tag der Menschenrechte, in der Wert und Würde eines – heute ist der 25. Mai – der Afrikatag, der Tag der ver- Menschen getrennt betrachtet werden. Alle Men- missten Kinder und der Towel Day – das ist der Hand- schen seien gleichviel wert, so Kyrill, aber Würde tuchtag – ist und dass am heutigen Tag die Woche der hätten einige mehr als andere. Homosexuellen Solidarität mit den Völkern der Gebiete ohne Selbst- spricht der Metropolit die Würde ab. Einer der regierung beginnt. Ohne das ins Lächerliche ziehen zu wichtigsten russischen Muftis machte es sich einfa- wollen: Man sollte sich wirklich überlegen, ob eine cher. Er rief alle gläubigen Muslims auf, Schwule, Inflation von Gedenktagen wirklich die Wirkung hat, derer sie habhaft würden, gut durchzuprügeln. Der die wir von einem Gedenktag erwarten würden. Deswe- Oberrabbiner bekundete sein „Mitleid“ mit den ar- gen ist an dieser Stelle durchaus Vorsicht geboten. men, vom rechten Weg Abgeirrten. Wir werden weiterhin über die Anträge diskutieren. Das ist eine Geisteshaltung, die wir auf keinen Fall tole- Wir haben sie im Menschenrechtsausschuss schon das rieren können. eine oder andere Mal angesprochen. Es ist sicherlich Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 101. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Mai 2007 10423

Holger Haibach (A) richtig, dass gerade wir als Mitglieder des Menschen- Recht gesondert absprechen kann, auseinandergesetzt (C) rechtsausschusses diesem Thema die notwendige Auf- und ist zu dem Ergebnis gekommen, dass dies nicht sein merksamkeit beimessen. Deswegen halte ich diese De- darf. batte für richtig. Nichtsdestoweniger würde ich gerne zum Schluss Holger Haibach (CDU/CSU): ganz kurz auf die Debatte eingehen, die wir gestern zum Herr Kollege Beck, ich bin ausgesprochen gerne be- Thema Religionsfreiheit geführt haben. Denn ich halte reit, das zur Kenntnis zu nehmen. Mein Einwand hat sich es schon für bemerkenswert, dass der Kollege Beck dort weniger auf die Praxis in diesen Ländern bezogen und an uns etwas kritisiert hat, was er heute für sich in An- auch nicht darauf, dass – worauf Sie zu Recht hinweisen – spruch nimmt. Er hat gesagt – ich zitiere aus dem Plenar- das für diese Gruppen ein spezielles Problem ist. Mein protokoll –: Einwand hat sich darauf bezogen, dass, wenn ich fest- stelle, dass Christen in speziellem Maße Schwierigkei- Ich finde, die Diskussionslage, die in dieser Debatte ten haben – und von solchen Ländern gibt es mehr als herrscht, ist ein Ärgernis ... Wir dürfen nicht nur genug; das wissen Sie genauso gut wie ich –, ich ver- Solidarität mit Christen üben, wie Sie es in Ihrem pflichtet bin, darauf hinzuweisen, gerade weil die Dis- Antrag fordern, meine Damen und Herren von der kussion über so etwas in Deutschland selten geführt Großen Koalition. wird. Etwas weiter heißt es: (Beifall bei der CDU/CSU – Abg. Volker Beck Sie führen diese Debatte kulturalistisch und verlo- [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] mel- gen. det sich zu einer weiteren Zwischenfrage)

Dazu will ich Ihnen eines sagen, Herr Beck: Wenn ich Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: so bösartig wäre, wie manche Leute glauben, dass ich es Nein, wir wollen jetzt kein Frage-und-Antwort-Spiel bin, würde ich Ihnen sagen, lieber Herr Beck: Warum machen. Es ist Freitagnachmittag, wir müssen zum fordern Sie Demonstrationsfreiheit nur für Lesben und Schluss kommen. Schwule, nur für Homosexuelle? Ich muss sagen: Ich kann nicht ohne Weiteres erkennen, wo da der große Un- Herr Haibach, ich bitte Sie, Ihre Rede fortzusetzen. terschied besteht. Wenn ich als Christenmensch sage: (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE „Ich setze mich für die Religionsfreiheit aller ein“ – das GRÜNEN]: Unser Antrag integriert Christen, ist übrigens meine Auffassung davon, wie man als Christ Juden, Bahai und alle anderen!) zu handeln hat –, dann muss ich bitte sehr auch das (B) Recht haben, mich für die Religionsfreiheit von Chris- (D) ten, von meinen verfolgten Glaubensbrüdern einzuset- Holger Haibach (CDU/CSU): zen. Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich möchte gerne zum Schluss kommen, auch im Hinblick auf die (Beifall bei der CDU/CSU) Mahnung des Präsidenten, dass es Freitagnachmittag ist. Ich glaube, dass wir über ein wichtiges Thema diskutie- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: ren. Ich meine nur, wir sollten darüber mit Augenmaß Herr Kollege Haibach, erlauben Sie eine Zwischen- diskutieren frage des Kollegen Beck? (Mechthild Rawert [SPD]: Und mit Leiden- schaft und Wärme!) Holger Haibach (CDU/CSU): und uns genau überlegen, was die richtigen Maßnahmen Mit allergrößtem Vergnügen. sind. Das Thema verdient es.

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Danke sehr. Bitte schön. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der SPD und der FDP) Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wenn Sie so böse wären, wie es nach Ihrer Meinung Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: manche Menschen von Ihnen glauben könnten, wie wür- Das Wort hat jetzt der Kollege Michael Kauch von den Sie dann die Frage beantworten, ob Sie bereit sind, der FDP-Fraktion. zur Kenntnis zu nehmen, dass wir uns in unserer Men- schenrechtspolitik gegenüber Russland selbstverständ- (Beifall bei der FDP) lich allgemein für die Demonstrationsfreiheit von Oppo- sitionellen und allen anderen Gruppen einsetzen? Denn Michael Kauch (FDP): wir erleben gegenwärtig, dass sich in mehreren osteuro- Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir päischen Staaten Probleme bei der Demonstra- – zwei Kolleginnen und Kollegen von der SPD, zwei tionsfreiheit für Lesben und Schwule abzeichnen. Das von den Grünen und ich für die Liberalen – waren am hat aktuell zu einem einschlägigen Urteil des Europäi- letzten Wochenende in Polen, in Warschau. Es war sehr schen Gerichtshofs für Menschenrechte geführt. Man hat positiv, dass zumindest am Vortag auch ein Kollege von sich mit der Frage, ob man Schwulen und Lesben dieses der Union aus dem Abgeordnetenhaus von Berlin dort 10424 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 101. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Mai 2007

Michael Kauch (A) war. Es war schade, dass niemand von der Union mit zur regierungskonforme Weltanschauung oder Lebensweise (C) Demonstration gegangen ist. So etwas wäre gerade in haben, dann ist das keine Freiheit mehr. diesen Ländern sehr wichtig. Ich habe deshalb die Bitte an die Konservativen in diesem Haus, aber auch im (Beifall bei der SPD) Europäischen Parlament, in diesen Ländern deutlich zu Das Recht auf Meinungs- und Versammlungsfreiheit machen, dass das Eintreten für Schwule und Lesben kann auch nicht der Religion untergeordnet sein, insbe- nicht die Sache von Linken oder Liberalen ist, sondern sondere nicht in säkularen Systemen. dass unser ganzes Haus für die Demonstrationsfreiheit eintritt. Deshalb würde ich mich über mehr Präsenz an (Beifall bei der SPD, der FDP und dem solcher Stelle freuen. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der FDP, der SPD und dem Die Meinungs- und Versammlungsfreiheit und damit BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Ab- auch die Demokratie leben davon, dass Kritik und Wi- geordneten der LINKEN) derworte zugelassen und ertragen werden. Trotz der Angriffe vonseiten der rechtspopulistischen Die Unterdrückung der Meinungs- und Versamm- Regierung, denen Schwule und Lesben in Polen ausge- lungsfreiheit erleben trotz einer Vielzahl von europäi- setzt sind, haben wir eine machtvolle Demonstration er- schen Diskriminierungsverboten leider viele Lesben und lebt, haben wir erlebt, wie sich eine Bürgermeisterin Schwule. Sie müssen auch in Europa damit rechnen, dahintergestellt hat, wie Polizei und Gerichte die De- dass Demonstrationen, auf denen sie zum Beispiel auf monstrationsfreiheit in Warschau durchgesetzt haben. Ungleichbehandlung oder systematische Unterdrückung Bei aller Kritik, die wir im letzten Jahr geäußert haben, aufmerksam machen wollen, nicht genehmigt werden. sollten wir auch das Positive einmal erwähnen. Wenn Demonstrationen doch genehmigt werden, ist es oft so, dass die Polizei und damit der Staat die Teilneh- (Beifall bei der FDP und der SPD) mer vor Anfeindungen und Gewalt während dieser De- monstrationen nicht schützt. Insbesondere Russland sollte sich an den positiven Entwicklungen in unserem Nachbarland ein Beispiel Heuer habe ich auf der einen Seite erfahren, dass die nehmen. Wenn Herr Putin zum G-8-Gipfel kommt, sollte Demonstration in Warschau relativ positiv verlaufen ist. man ihn vielleicht nicht nur auf die Rolle Russlands in Darüber kann man sich nur freuen. Auf der anderen der Welt ansprechen oder auf Russlands Energieressour- Seite haben wir aber erfahren, dass sich die Polizei und cen, sondern einmal nach dem Demonstrationsverbot, damit der Staat sowohl in Polen als auch in Russland nach der inneren Verfassung dieses G-8-Landes fragen, mit dem pöbelnden, gewaltbereiten Mob verbündet hat, (B) das ein großer Spieler auf diesem Planeten sein will. sich eher gegen die Demonstranten gestellt hat und den (D) Dazu gehört die Haltung gegenüber Schwulen und Les- Mob damit quasi zur Gewalt angestiftet hat. Ähnliche ben. Situationen gibt es in Litauen, in Lettland, in Estland und in Serbien. All das wurde schon vorgetragen. Das Gleiche gilt für einige Länder, die der Europäi- schen Union angehören. Es ist ein Skandal, dass in Ein Übriges leisten meiner Ansicht nach öffentlich- einem EU-Land wie Litauen ein Demonstrationszug ver- mediale Hasstiraden. Zum Teil handelt es sich um wenig boten wird. Die EU ist nicht nur eine Wirtschaftsgemein- versteckte Aufrufe zu Gewalt gegen die Demonstranten. schaft, sondern auch eine Wertegemeinschaft; daran soll- Auch Politiker und Vertreter christlicher Kirchen sind ten wir hier im Haus immer wieder erinnern. davor nicht gefeit. Vielen Dank. Ich meine, als Menschenrechtspolitiker in Deutsch- land und in Europa dürfen wir die Augen davor nicht (Beifall bei der FDP, der SPD und dem verschließen; denn wenn wir nicht den Schutz der Mei- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Ab- nungs- und Versammlungsfreiheit für Homosexuelle for- geordneten der CDU/CSU) dern, dann können wir genau diese Freiheit auch nicht glaubwürdig für Oppositionelle oder religiöse Minder- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: heiten einklagen. Das sollte uns allen sehr wohl bewusst sein. Das Wort die Kollegin Angelika Graf von der SPD- Fraktion. Die Unterzeichnerstaaten der Europäischen Men- schenrechtskonvention haben die Aufgabe, die Mei- Angelika Graf (Rosenheim) (SPD): nungs- und Versammlungsfreiheit für alle Bürgerinnen und Bürger – Lesben und Schwule sind davon nicht aus- Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die genommen – zu sichern. In der Praxis haben wir leider Meinungs- und Versammlungsfreiheit ist ein hohes Gut erlebt, dass die geschriebenen Worte auf den Straßen der Demokratie. Diese Freiheit muss für alle Menschen Moskaus und Warschaus nicht viel wert sind. Umso gelten – ob uns die Meinung im Einzelfall passt oder wichtiger ist es, dass wir es nicht einfach dabei belassen, nicht. Nur demjenigen, der verfassungsfeindliche Ziele sondern klarstellen, dass Deutschland auf die Einhaltung verfolgt und der offen zu Gewalt aufruft, kann das der Europäischen Menschenrechtskonvention pocht. Recht, seine Meinung öffentlich zu sagen, zu demon- strieren, versagt werden. Wenn Meinungs- und Ver- Ich begrüße daher ausdrücklich die Entschließung des sammlungsfreiheit nur für diejenigen gelten, die eine Europäischen Parlaments gegen Homophobie, die von Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 101. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Mai 2007 10425

Angelika Graf (Rosenheim) (A) der Sozialdemokratischen Partei Europas sehr stark un- (Beifall im ganzen Hause) (C) terstützt worden ist. Uns muss bewusst sein, dass Homo- phobie, also die auf Vorurteilen basierende irrationale Wenn wir in Deutschland keinen klaren Standpunkt in Furcht vor oder Abneigung gegen Homosexuelle, der Menschenrechtspolitik vertreten, können wir auch Bisexuelle oder Transsexuelle, der Nährboden für viele von anderen Staaten nicht verlangen, dass sie es tun. Menschenrechtsverletzungen ist. Wenn wir uns gegen (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Homophobie einsetzen, setzen wir uns also für die Men- der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE schenrechte ein. GRÜNEN) (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem Die Forderung nach Meinungs- und Versammlungsfrei- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) heit für Lesben und Schwule ist daher auch eine Forde- Das Ausmaß der Homophobie in Europa ist teilweise rung nach Demokratie in diesen Staaten, eine Forderung, wirklich erschütternd. Ein Beispiel dafür ist der Welt- sich in demokratischen Strukturen einzurichten. kongress der Familien, der vor kurzem fast parallel zu Ich hoffe sehr, dass wir in der Großen Koalition doch der Demonstration, wo viele von Ihnen waren, mit inter- noch zu einem gemeinsamen Antrag finden. Herr nationalen Referenten und über 2 000 Teilnehmern Haibach, die Zahlen und Fakten, die Sie vorgelegt ha- ebenfalls in Warschau stattgefunden hat. Das Ausspielen ben, sprechen eine ganz deutliche Sprache. So weit lie- der – ich sage das in Anführungszeichen – „natürlichen gen wir dabei nicht auseinander. Ich würde mich sehr Familie“ gegen Schwule und Lesben sowie eine Atmo- freuen, wenn uns ein gemeinsamer Antrag gelingen sphäre aggressiver Homophobie haben sich offensicht- würde. Ich lade Sie und Ihre Kollegen noch einmal herz- lich wie ein roter Faden durch die gesamte Veranstaltung lich dazu ein, mit uns in diese Diskussion einzutreten. gezogen. Dass alle Lesben und Schwule Eltern, Groß- eltern, meist auch Geschwister, manchmal eigene Kinder (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten und in der Regel auch einen Partner oder eine Partnerin des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) haben, wird schlichtweg ignoriert. Wenn wir nicht für die Meinungs- und Versamm- Diese künstliche Frontenbildung – hier die „natürli- lungsfreiheit von Lesben und Schwulen kämpfen, dann che Familie“ und dort Lesben und Schwule als angebli- verabschieden wir uns vom Kampf um die Meinungs- che Feinde der Familie – wird leider sowohl von der und Versammlungsfreiheit insgesamt. Wir verlieren Politik als auch von der Kirche, und zwar nicht nur in dann unsere Glaubwürdigkeit und senden die falschen Polen, vorgebracht. Signale an die zahlreichen Gegnerinnen und Gegner der Meinungs- und Versammlungsfreiheit. Lassen Sie uns So manche Regierung macht Lesben und Schwule zu (B) daher für die Meinungs- und Versammlungsfreiheit und (D) Sündenböcken, zum Beispiel für sinkende Geburtenra- für die Demokratie in Europa gemeinsam klar und deut- ten, und lenkt damit von eigenen Versäumnissen ab. lich Stellung beziehen. Ich würde mich freuen, wenn uns Menschenrechte unterliegen keiner Rangordnung von das gelingen würde. schützenswert bis weniger schützenswert. Menschen- rechtspolitik nach Rangordnungen ist zum Scheitern Vielen herzlichen Dank. verurteilt; denn sie wird dann nur als punktuelle Lobby- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten politik wahrgenommen, nicht als genuine Menschen- der FDP, der LINKEN und des BÜNDNIS- rechtspolitik. Nur Menschenrechtspolitik aus einem SES 90/DIE GRÜNEN) Guss hat eine Chance, ernst genommen zu werden; denn sie legt sich unmissverständlich fest. Eine Diskriminie- rung, zum Beispiel aufgrund des christlichen Glaubens, Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: zu beklagen – wir hatten gestern eine Diskussion über Als nächste Rednerin hat das Wort die Kollegin das Thema Religionsfreiheit –, sie aber aufgrund sexuel- Dr. Barbara Höll von der Fraktion Die Linke. ler Orientierung zu akzeptieren bzw. nicht ausdrücklich (Beifall bei der LINKEN) zu bekämpfen, wäre eine völlig kontraproduktive Klas- senschaffung innerhalb der Menschenrechtspolitik. Dr. Barbara Höll (DIE LINKE): (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) „Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situa- tion, in der er lebt“ – so lautet der Titel eines uns allen si- Das wäre ein Senden von sehr widersprüchlichen Signa- cher bekannten Films von Rosa von Praunheim, den er len an die Staaten, an die sich der Protest wendet, und 1970 drehte. 20 Jahre später, am 17. Mai, strich die würde den Protest konterkarieren. WHO Homosexualität von der Liste der psychischen Er- Viele Staaten in Ost- und Südosteuropa befinden krankungen. Trotzdem ist und bleibt es ein Thema für sich noch im Transformationsprozess und entdecken erst uns, solange wir hier in Europa noch immer Menschen- Schritt für Schritt die Demokratie. Die Stärkung der De- rechte für nicht ausschließlich heterosexuelle Menschen mokratie in diesen Staaten erreichen wir nur durch klare einklagen müssen, solange Meinungs- und Versamm- Standpunkte. Ein solcher klarer Standpunkt dabei muss lungsfreiheit noch nicht für alle Menschen gewährleistet sein, dass die Meinungs- und Versammlungsfreiheit für ist, solange in Afghanistan und in Teilen Nigerias Men- alle Bürgerinnen und Bürger gilt und nicht nur für be- schen gefoltert und getötet werden, weil sie Menschen stimmte Gruppen. des gleichen Geschlechts lieben, solange hier in 10426 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 101. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Mai 2007

Dr. Barbara Höll (A) Deutschland häufig noch suggeriert wird, dass die Fami- phobie eintreten und dass der 17. Mai tatsächlich ent- (C) lie aus Mama, Papa und Kind bestehen muss, und homo- sprechend anerkannt wird. Wir glauben, es ist richtig sexuellen Paaren das Adoptionsrecht verwehrt wird, so- und wichtig, dass wir uns diesem Thema immer wieder lange „schwul“ an unseren Schulen immer noch ein widmen, so lange, bis weltweit wirklich erkennbare Ver- beliebtes Schimpfwort ist und junge Menschen psy- besserungen zu verzeichnen sind. chisch erkranken und suizidgefährdet sind, wenn sie bei ihrem Coming-out alleingelassen werden. Ich danke Ihnen. Junge Menschen in unserer aufgeklärten Gesellschaft (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- halten Homosexualität nicht selten noch immer für eine NIS 90/DIE GRÜNEN) Krankheit oder Extravaganz. Allzu oft begegnet uns in deutschen Medien das Klischee vom geschminkten, Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: strassgeschmückten schwulen Mann und der unattrakti- Als letztem Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ven vermännlichten Lesbe, und das völlig ungestraft. erteile ich dem Kollegen Burkhardt Müller-Sönksen von Menschen aus Afrika und Asien, die aufgrund ihrer Ho- der FDP-Fraktion das Wort. mosexualität verfolgt werden und bei uns Schutz suchen, können ausgewiesen werden, weil gleichgeschlechtliche Burkhardt Müller-Sönksen (FDP): Liebe kein anerkannter Asylgrund ist. Verpartnerte Paare Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das sind im Einkommen- und Erbschaftsteuerrecht und auch Europäische Parlament wies vor fast genau vier Wochen im Beamtenrecht immer noch nicht gleichgestellt. in einer Entschließung – ich zitiere – Diese Liste ließe sich sicher fortführen. Aber ich mit Nachdruck darauf hin, dass die Europäische glaube, dies spricht eine deutliche Sprache und zeigt, Union zuallererst eine Wertegemeinschaft ist, in der warum ein Gedenktag, ein Tag zum Gedenken darüber, die Achtung der Menschenrechte und Grundfreihei- dass Homophobie nicht einer demokratischen Gesell- ten, der Demokratie und der Rechtsstaatlichkeit, der schaft entspricht, wichtig und notwendig ist. Gleichstellung und der Nichtdiskriminierung zu (Beifall bei der LINKEN) den Werten gehört, denen die größte Wertschätzung entgegengebracht wird. Solange die Vielfalt menschlichen Liebens und Le- bens keine politische, juristische und gesellschaftliche Intoleranz gegenüber Lesben und Schwulen und Dis- Gleichstellung erfährt, so lange sind politische Aus- kriminierung von Homosexuellen haben in Europa kei- einandersetzungen zum Thema Homophobie und Men- nen Platz. Das ist aber nichts Neues. Wie schon vor zwei schenrechte notwendig. Homophobie beschreibt das Jahren anlässlich der Auflösung einer Demonstration in (B) (D) feindselige, diskriminierende Verhalten von Einzelper- Posen, die dem Internationalen Tag für Toleranz der Ver- sonen und ganzen Gesellschaften gegenüber nicht hete- einten Nationen galt, fordern wir Liberale alle Mitglied- rosexuellen Menschen. staaten der Europäischen Union auf, sich zur Wertege- meinschaft Europa zu bekennen. Europa ist ein Ich glaube, es ist aber auch wichtig, in dieser Debatte gemeinsamer Raum der Freiheit, der Sicherheit und des festzustellen, dass besonders diejenigen Menschen und Rechts. Gesellschaften anfällig sind für Homophobie, die sich selbst ihrer nicht sicher sind, Menschen, die Angst um (Beifall bei der FDP) ihre Existenz, um ihre Zukunft haben. Sie zeigen nicht Die Würde des Menschen ist in der Europäischen nur eine höhere Neigung zu homophobem Verhalten, Union ein zentraler Wert. Daher sollten sich alle Mitglie- sondern auch zu rassistischem und sexistischem Verhal- der der europäischen Wertegemeinschaft aufgefordert ten. fühlen, sich eindeutig zur Meinungs- und Versamm- Die erschreckende Unwissenheit, gerade bei jungen lungsfreiheit zu bekennen. Das gilt auch für die Mitglie- Leuten, zu diesem Thema treffen wir nicht nur in Polen der der katholischen Kirche in Europa; damit meine ich und Bulgarien an, sondern auch hier mitten unter uns. nicht nur die in Polen, wie im vorliegenden Antrag auf- Dies zeigen repräsentative Umfragen, in denen nach- geführt, sondern auch die in Belgien, Irland und Italien. zulesen ist, dass sich das Verständnis gerade der 14- bis Es kann nicht sein, dass in Europa das Recht zu de- 18-Jährigen gegenüber den nicht Heterosexuellen nicht monstrieren, gerichtlich erstritten werden muss. Herr verbessert, sondern eher verschlechtert hat. Unwissen- Kollege Beck, es ist schon ein Skandal, dass sich die heit und Aversion sind verbreitet. Oftmals sind auch un- Verwaltungen nicht an Recht und Gesetz halten. Der ter der Jugend nicht nur hinzunehmender Gleichmut und Rechtsweg ist das letzte Mittel. An dieser Stelle stimmen interessierende Neugier, sondern Abneigung und Hass wir Ihnen ausdrücklich zu. An die Adresse der Verwal- festzustellen. tungen sage ich: Auch sie müssen das Recht einhalten. Es ist sicher unstrittig, dass sich das allgemeine Klima (Beifall bei der FDP sowie der Abg. Mechthild und die Lebensumstände für Homosexuelle in der Bun- Rawert [SPD]) desrepublik sehr verbessert haben. Trotz allem ist das, was wir erreicht haben, noch nicht ausreichend. Deshalb Es kann nicht sein, dass in Europa LGBT-Organisa- schließen wir uns den Forderungen an, die in den beiden tionen, also Organisationen von Lesben, Schwulen, Bi- Anträgen erhoben werden, nämlich dass wir im Rahmen sexuellen und Transsexuellen, verbalen Angriffen in der EU-Ratspräsidentschaft noch aktiver gegen Homo- Form von Drohungen und Hasstiraden nicht nur von reli- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 101. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Mai 2007 10427

Burkhardt Müller-Sönksen (A) giösen Oberhäuptern, sondern auch von führenden Poli- Überweisungsvorschlag: (C) tikern sowie von Vorfeldorganisationen von Regierungs- Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f) Ausschuss für Arbeit und Soziales parteien ausgesetzt sind. Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Es kann nicht sein, dass in Europa Teilnehmer und Haushaltsausschuss Organisatoren von Gleichstellungs- und Homosexuellen- Interfraktionell ist vereinbart, die heutige Tagesord- veranstaltungen von körperlicher Gewalt bedroht sind – nung um die Beratung der Beschlussempfehlung des trotz ihrer Grundrechte auf freie Meinungsäußerung und Ausschusses für Wirtschaft und Technologie auf Vereinigungsfreiheit. Drucksache 16/3586 zum Antrag der Fraktion des Bünd- nisses 90/Die Grünen auf Drucksache 16/1672 mit dem Es kann nicht sein, dass LGBTs in Europa durch fa- Titel „Deutsche Steinkohle AG muss zügig belastbares denscheinige Überprüfungen ihrer Finanzierung krimi- Datenmaterial vorlegen“ zu erweitern und sie als nalisiert werden. Zusatzpunkt 7 mit diesem Tagesordnungspunkt zu bera- Es kann nicht sein, dass die Polizei in Europa bei ge- ten. Gibt es Widerspruch? – Das ist nicht der Fall. – walttätigem Vorgehen gegen Teilnehmer von Veranstal- Dann ist so beschlossen: tungen der LGBTs wegschaut. Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- Es kann nicht sein, dass in Europa homosexuellen richts des Ausschusses für Wirtschaft und Tech- nologie (9. Ausschuss) zu dem Antrag der Abge- Lehrern die Entlassung droht, wenn sie sich outen. ordneten , Dr. Thea Dückert, (Beifall bei der FDP, der SPD und dem Margareta Wolf (Frankfurt), weiterer Abgeordne- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Ab- ter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE geordneten der LINKEN) GRÜNEN Herr Beck, die Frage, die sich manch ein Bürger stel- Deutsche Steinkohle AG muss zügig belastba- len wird, wenn er Ihren Antrag liest, ist, wie die Toleranz res Datenmaterial vorlegen gegenüber Lesben und Schwulen in Europa durch einen – Drucksachen 16/1672, 16/3586 – Antrag, der in den Deutschen Bundestag eingebracht wird, gestärkt werden soll. Toleranz und Miteinander Berichterstattung: müssen in den Köpfen der Menschen stattfinden, nicht Abgeordneter Rolf Hempelmann auf der Ebene eines abstrakten Beschlusses im Parla- Für die Aussprache ist eine halbe Stunde vorgesehen, ment. Daher halte ich die Signalwirkung Ihres Antrags aber es sollen alle Reden zu Protokoll genommen wer- für relativ gering. den.1) Es handelt sich um die Reden der Kollegen (B) (D) Um auf den Kollegen Haibach zurückzukommen, Laurenz Meyer (Hamm), CDU/CSU, Rainer Wend, sage ich: Ich finde den Antrag der Grünen, einen Inter- SPD, , FDP, Ulla Lötzer, Die Linke, und nationalen Tag gegen Homophobie auszurufen, zustim- Kerstin Andreae, Bündnis 90/Die Grünen. mungspflichtig und -würdig. Da Sie allerdings gesagt Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf haben, es gebe zu viele Anträge dieser Art, schlage ich Drucksache 16/3695 an die in der Tagesordnung aufge- vor, den Handtuchtag zu streichen und ihn durch den In- führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einver- ternationalen Tag gegen Homophobie zu ersetzen. standen? – Das ist der Fall. Dann ist das so beschlossen. In diesem Sinne wünsche ich Ihnen frohe Pfingsten. Zusatzpunkt 7: Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie zum Antrag der Fraktion (Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/ des Bündnisses 90/Die Grünen mit dem Titel „Deutsche DIE GRÜNEN) Steinkohle AG muss zügig belastbares Datenmaterial vorlegen“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschluss- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: empfehlung auf Drucksache 16/3586, den Antrag der Ich schließe die Aussprache. Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen auf Druck- sache 16/1672 abzulehnen. Wer stimmt für diese Be- Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf schlussempfehlung? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Drucksache 16/5291 an die in der Tagesordnung aufge- Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein- Koalitionsfraktionen, der FDP-Fraktion und der Fraktion verstanden? – Das ist Fall. Dann ist so beschlossen. Die Linke bei Gegenstimmen des Bündnisses 90/Die Grünen angenommen. Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 37 auf: Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tages- Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulla ordnung. Lötzer, Hans-Kurt Hill, Eva Bulling-Schröter, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der LIN- Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun- KEN destages auf Mittwoch, den 13. Juni 2007, 13 Uhr, ein. Kein Börsengang der Ruhrkohle AG – Bei der Die Sitzung ist geschlossen. Zukunft des Steinkohlenbergbaus soziale und (Schluss: 14.54 Uhr) ökologische Aspekte berücksichtigen

– Drucksache 16/3695 – 1) Anlage 11 10428 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 101. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Mai 2007

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms (A) Berichtigung (C) 100. Sitzung, Seite 10204, (C) 2. Absatz, der zweite Satz ist wie folgt zu lesen: „Mittlerweile greift eine Is- lam-Phobie in diesem Land um sich, und wir trennen nicht mehr zwischen dem Muslim, den wir sehr begrü- ßen, und dem Fundamentalisten.“

(B) (D) Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 101. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Mai 2007 10429

(A) Anlagen zum Stenografischen Bericht (C)

Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten

entschuldigt bis entschuldigt bis Abgeordnete(r) einschließlich Abgeordnete(r) einschließlich

Dr. Addicks, Karl FDP 25.05.2007 Schauerte, Hartmut CDU/CSU 25.05.2007

Altmaier, Peter CDU/CSU 25.05.2007 Dr. Schavan, Annette CDU/CSU 25.05.2007

Dr. Bartsch, Dietmar DIE LINKE 25.05.2007 Dr. Schwanholz, Martin SPD 25.05.2007

Beckmeyer, Uwe SPD 25.05.2007 Dr. Stadler, Max FDP 25.05.2007

von Bismarck, Carl- CDU/CSU 25.05.2007 Strothmann, Lena CDU/CSU 25.05.2007 Eduard Stübgen, Michael CDU/CSU 25.05.2007 Blumenthal, Antje CDU/CSU 25.05.2007 Dr. Terpe, Harald BÜNDNIS 90/ 25.05.2007 Bodewig, Kurt SPD 25.05.2007* DIE GRÜNEN

Brunkhorst, Angelika FDP 25.05.2007 Toncar, Florian FDP 25.05.2007

Dr. Bunge, Martina DIE LINKE 25.05.2007 Dr. Uhl, Hans-Peter CDU/CSU 25.05.2007

Eichel, Hans SPD 25.05.2007 Wächter, Gerhard CDU/CSU 25.05.2007

Eichhorn, Maria CDU/CSU 25.05.2007 Wieczorek-Zeul, SPD 25.05.2007 (B) Heidemarie (D) Ferner, Elke SPD 25.05.2007 Willsch, Klaus-Peter CDU/CSU 25.05.2007 Frechen, Gabriele SPD 25.05.2007 Zypries, Brigitte SPD 25.05.2007 Dr. Hoyer, Werner FDP 25.05.2007

Kasparick, Ulrich SPD 25.05.2007 * für die Teilnahme an den Sitzungen der Parlamentarischen Ver- sammlung der NATO Knoche, Monika DIE LINKE 25.05.2007 Anlage 2 Koppelin, Jürgen FDP 25.05.2007 Erklärung Kossendey, Thomas CDU/CSU 25.05.2007 des Abgeordneten Volker Beck (Köln) (BÜND- Dr. Lamers (Heidelberg), CDU/CSU 25.05.2007* NIS 90/DIE GRÜNEN) zur Abstimmung über Karl die Beschlussempfehlung: Bericht der Bundes- regierung über die deutsche humanitäre Hilfe Laurischk, Sibylle FDP 25.05.2007 im Ausland 2002 bis 2005 (100. Sitzung, Tages- ordnungspunkt 26) Dr. Lippold, Klaus W. CDU/CSU 25.05.2007 Ich erkläre im Namen der Fraktion des BÜNDNIS- SES 90/DIE GRÜNEN, dass unser Votum „Nein“ lautet. Merten, Ulrike SPD 25.05.2007

* Mogg, Ursula SPD 25.05.2007 Anlage 3 Pau, Petra DIE LINKE 25.05.2007 Erklärung des Abgeordneten Volker Beck (Köln) (BÜND- Raidel, Hans CDU/CSU 25.05.2007* NIS 90/DIE GRÜNEN) zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung zu dem Antrag: Dr. Schäuble, Wolfgang CDU/CSU 25.05.2007 Ächtung des Gesetzes zur Verhütung erbkran- 10430 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 101. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Mai 2007

(A) ken Nachwuchses vom 14. Juli 1933 (Druck- ort nachhaltigen Schaden erleiden könnte. Dies bezieht (C) sache 16/5450, Buchstabe a ) (100. Sitzung, Ta- sich insbesondere auf die Problematik der Transferpa- gesordnungspunkt 27) ket-Regelung und die Funktionsverdoppelungen. Ich halte die in der Gesetzesbegründung aufgenommene Ich erkläre im Namen der Fraktion des BÜNDNIS- Feststellung, Deutschland dürfe in der Frage der Funk- SES 90/DIE GRÜNEN, dass unser Votum „Ja“ lautet. tionsverlagerung keine negative Vorreiterrolle einneh- men, für essenziell. Es bleibt allerdings unklar, wie die Zusage – die steuerliche Behandlung der Funktionsver- Anlage 4 lagerung müsse sich an internationalen Maßstäben orien- Erklärung nach § 31 GO tieren – mangels internationaler Vergleichsgrößen einge- halten werden soll. Deutschland beschreitet hier einen zur Abstimmung über den Entwurf eines Un- negativen Sonderweg. Anders als in der Gesetzesbe- ternehmensteuerreformgesetzes 2008 (Tages- gründung ausgeführt, hat keines der angeführten Länder ordnungspunkt 30 a) (Frankreich, Niederlande, Großbritannien, USA, Ka- nada) eine Transferpaket-Regelung. Vielmehr besteuern Gitta Connemann (CDU/CSU): Mit der Unterneh- alle OECD-Staaten Funktionsverlagerungen auf Basis mensteuerreform wird der Standort Deutschland weiter der einzelnen übergehenden Wirtschaftsgüter; keines- gestärkt. Sie ist ein weiterer Schritt, die Konjunktur falls aber – wie angeführt – in zusammenfassenden langfristig zu sichern. Daher begrüße ich das Unterneh- Transferpaketen auf mögliche Gewinnpotenziale im mensteuerreformgesetz 2008 ausdrücklich. Ausland. Die OECD will einen ersten Vorschlag 2008 Die Umsetzung des Vorschlages hin zum EBITDA, veröffentlichen. Falls, wie ich befürchte, dieser Vor- statt – wie ursprünglich geplant – das EBIT zur Grund- schlag sich nicht an der deutschen Regelung orientiert lage zu machen, verringert die Gefahr, dass Unterneh- und/oder nicht angenommen wird, bedeutet dies für den men unter die Zinsschranke fallen könnten. Dies hat Forschungs- und Entwicklungsstandort Deutschland auch positive Auswirkungen auf die Werftindustrie, die eine Benachteiligung. Ferner sehe ich in den vorgelegten gerade jetzt ertragsstarke Jahre hat. Allerdings kehrt sich Eckpunkten zum Wagniskapital lediglich einen ersten die Situation, bei unter Umständen zukünftig geringeren Schritt. Die Regelungen müssen meines Erachtens aber Auftragsvolumina und damit Erträgen ins Gegenteil um. noch an die realen Verhältnisse innovativer Unterneh- Ich sehe die Gefahr der Substanzbesteuerung. Die Zwi- men angepasst werden. Das Wagniskapitalgesetz muss schenfinanzierung der Werften für unfertige Schiffe zwingend zeitgleich mit der Unternehmensteuerreform kann sich auf bis zu 400 Millionen Euro pro Jahr belau- in Kraft treten, um die Neuregelungen zum Mantelkauf (B) fen. Gekoppelt mit einer geringen oder gar negativen Er- für wachsende, forschende Unternehmen zu kompensie- (D) tragslage kann es so zu der besagten Substanzbesteue- ren. rung der Unternehmen kommen. Speziell Werften, die in internationale Konzernstruk- Gabriele Groneberg (SPD): Grundsätzliche und turen eingebunden sind, stehen eher weniger im Ver- tiefgreifende politische Entscheidungen gründen im bes- dacht, mithilfe von konzerneigenem Fremdkapital Steu- ten Sinne auf einer demokratischen Legitimation durch ersubstrat ins Ausland verlagern zu wollen. Vielmehr ist das Votum der Wählerinnen und Wähler zu Wahlpro- die Spezifik der Branche so, dass in kleinen Serien bei grammen der Parteien, die dann auch wirklich Richt- hoher Vorfinanzierungsleistung gefertigt wird. Die Es- schnur in der konkreten Politik sind. Sie sind im weite- cape-Klausel mit der Möglichkeit des Vergleichs der ren abgesichert durch Koalitionsvereinbarungen, die von Fremdkapitalquote innerhalb eines Konzerns greift hier den Parteien in Kenntnis aller relevanten Umstände und nicht, da es sich um Mischkonzerne handelt und die Verabredungen zur Regierungsbildung getroffen wur- Fremdkapitalquoten jeweils branchenspezifisch sind. Ich den. Und sie zeichnen sich durch soziale Balance, Kal- halte es gerade auch deshalb für begrüßenswert, wenn kulierbarkeit und Augenmaß aus. die Bundesregierung die Wirkungen der Zinsschranke nach deren Einführung evaluieren und nach einer ange- Erstens. Zu dem zur Abstimmung stehenden Gesetz- messenen Zeit einen Erfahrungsbericht veröffentlichen entwurf zur Unternehmensteuerreform stelle ich fest, würde. dass im Wahlprogramm der CDU/CSU zur Bundestags- wahl 2005 formuliert ist: „Als weiteren Schritt zu einer Ich vertraue auf eine zügige Lösung dieses Sachstan- umfassenden Unternehmensteuerreform senken wir die des, sollte die von mir aufgeführte Problematik tatsäch- Körperschaftsteuer auf 22 Prozent, gegenfinanziert im lich zukünftig auftreten. unternehmerischen Bereich.“ Im SPD-Wahlmanifest zur Bundestagswahl vom 31. August 2005 heißt es: „Der Axel E. Fischer (Karlsruhe-Land) (CDU/CSU): Ich Körperschaftsteuersatz für Kapitalgesellschaften wird begrüße ausdrücklich, dass mit der Unternehmensteuer- von 25 auf 19 Prozent reduziert. Die Absenkung des reform der Standort Deutschland gestärkt wird. Die Un- Körperschaftsteuersatzes wird vollständig aus dem Be- ternehmensteuerreform ist ein wichtiger Schritt, den er- reich wirtschaftlicher Betätigung (aufkommensneutral) freulichen Wirtschaftsaufschwung in unserem Land gegenfinanziert.“ Kein Wähler oder keine Wählerin der langfristig zu sichern und zu verstärken. Forschungspoli- regierungstragenden Parteien durfte und konnte damit tisch habe ich Bedenken, dass durch die Regelungen zur rechnen, dass nur ein dreiviertel Jahr nach dem Wahltag Funktionsverlagerung Deutschland als Forschungsstand- eine Absenkung auf 15 Prozent mit der Vereinbarung des Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 101. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Mai 2007 10431

(A) Koalitionsausschusses vom 3./4. Juli 2006 faktisch be- bei privaten Kapitalerträgen garantiert, dass erzielte Er- (C) schlossene Sache sein würde. Diese Diskrepanz wird um träge auch tatsächlich versteuert werden. Als besonderer so mehr zum Problem, als selbst auch im Koalitionsver- Verhandlungserfolg der SPD-Bundestagsfraktion ist da- trag, an dem die Parteien demokratisch mitwirken konn- rüber hinaus die Sicherung und Stabilisierung der Ge- ten, keine konkrete Korrektur dieser Aussagen aus den werbesteuer als wichtigste Einnahmequelle der Städte Wahlprogrammen vollzogen wurde. Im Gegenteil wurde und Gemeinden zu bewerten. Der Gesetzentwurf sieht im Koalitionsvertrag für die Öffentlichkeit festgehalten: aber auch vor, die Steuern für Unternehmen und private „Angesichts des bestehenden Konsolidierungsdrucks in Kapitalanlage-, Dividenden- und Veräußerungsgewinne allen öffentlichen Haushalten werden Nettoentlastungen deutlich zu senken. Der allgemeine Unternehmensteuer- kaum zu realisieren sein.“ höchstsatz soll von derzeit 38,7 Prozent auf 29,8 Prozent gesenkt werden. Private Kapitalerträge werden in Zu- Nur kurze Zeit später allerdings, nachdem im Parla- kunft mit höchstens 25 Prozent statt wie bisher mit dem ment für viele kleinere und mittlere Einkommensbezie- individuellen Einkommensteuersatz von bis zu 42 Pro- her sehr schmerzhafte Maßnahmen wie die Erhöhung zent besteuert. Diese Steuersatzsenkungen führen, trotz der Mehrwertsteuer um drei Punkte und zum Beispiel der im Gesetzentwurf vorgesehenen Maßnahmen zur Einsparungen bei der Pendlerpauschale als unabdingba- Gegenfinanzierung, zu erwarteten Einnahmeverlusten rer Beitrag zur Haushaltskonsolidierung beschlossen von über 25 Milliarden Euro für die öffentlichen Haus- worden sind, wurden Festlegungen zur Reform der Un- halte bis 2012. In Verbindung mit der Mehrwertsteuerer- ternehmensteuer getroffen und öffentlich gemacht, die höhung führt die Reform zu einer sozialen Schieflage, da zumindest für einen Zeitraum von fünf Jahren sehr weit- progressive Besteuerungsarten mit Umverteilungswir- reichende Steuerverzichte im Gesamtumfang bis zu kung von oben nach unten zurückgefahren werden und 25 Milliarden Euro festschreiben sollten und praktisch die Einnahmeverluste durch eine Steuerart, die beson- festgeschrieben haben. Ich sehe bei allem Respekt vor ders Haushalte mit niedrigem Einkommen belastet, der mit bestem Wissen und Wollen getroffenen Mehr- gegenfinanziert werden. Die Mehrwertsteuererhöhung heitsentscheidung meiner Fraktion für mich keine Mög- von 16 Prozent auf 19 Prozent durch die Große Koali- lichkeit, diese Entscheidung mitzutragen, weil diese in tion wurde aufgrund der Notwendigkeit, die öffentlichen meinen Augen in der Gesamtbewertung Legitimation, Haushalte zu sanieren, trotz der belastenden Auswirkun- Augenmaß und soziale Balance vermissen lassen. gen auf Haushalte mit niedrigen und mittleren Einkom- Zweitens. Dass eine moderne Unternehmensteuerge- men von der SPD-Bundestagsfraktion mitgetragen. staltung notwendig und begrüßenswert ist, wird von den Durch das Unternehmensteuerreformgesetz sollen nun Unterzeichnenden damit überhaupt nicht bestritten. auf Kosten der Staatseinnahmen all diejenigen Haushalte entlastet werden, die an Gewinnen aus Unternehmenstä- (B) Zahlreiche wichtige Elemente des vorgelegten Kon- (D) zeptes finden im Übrigen auch meine ausdrückliche tigkeit und privaten Kapitalerträgen profitieren. Dies Zustimmung, wie die überfällige Schließung von sind in der Regel Haushalte, die ein hohes Einkommen Steuerschlupflöchern und standortschädlichen Gestal- beziehen und größere Geldsummen besitzen, die sie tungsmöglichkeiten im Unternehmensbereich (Zins- auch auf längere Sicht nicht für ihren Lebensunterhalt schranke etc.) und weitere Einzelregelungen. Besonders benötigen. positiv hervorzuheben ist hierbei der grundsätzliche Er- halt und die nachhaltige Stabilisierung der Gewerbe- Die Bundesregierung erwartet, dass durch die Steuer- steuer. Die Gewerbesteuer bleibt als wichtigste städti- senkung die Attraktivität des Standortes Deutschland für sche Steuer erhalten, und ihre Bemessungsgrundlage Unternehmen steigt und zusätzliche Investitionen mit wird sogar erweitert. Das ist ein Erfolg für die Kommu- dem Aufbau neuer Arbeitsplätze ausgelöst werden. Die nen. Ich sehe mich hierin auch in Übereinstimmung mit Reform soll langfristig, nach 2012, zu steigenden Steuer- vielen Wählerinnen und Wählern, Mitgliedern und Orga- einnahmen führen. Dass dies jedoch auch tatsächlich so nen meiner Partei und für mich wichtigen Partnern in der eintritt, ist nicht belegt. Die Ankündigung mehrerer eu- Politik wie den deutschen Gewerkschaften. Ich teile al- ropäischer Regierungen, in Reaktion auf die in Deutsch- lerdings auch deren grundsätzliche Kritik an der Ge- land geplante Steuerentlastung für Unternehmen eben- samtstruktur der Unternehmensteuerreform. Mit der Ent- falls die Unternehmensteuern in ihrem Land zu senken, haltung mache ich zugleich deutlich, dass ich das unterminiert die positiven Erwartungen der Bundesre- Gesamtkonzept sehr wohl differenziert betrachte und be- gierung für den Standort Deutschland. Es ist vielmehr zu werte, ohne dass dieses meine grundsätzlichen Beden- erwarten, dass durch die Reform der Steuersenkungs- ken zu Verfahren, Risiken und sozialer Balance letztlich wettbewerb zwischen den EU-Staaten angeheizt wird ausräumen kann. und die erhofften Steuermehreinnahmen letztendlich nicht realisiert werden können. Die geplante Unterneh- mensteuersenkung des „Exportweltmeisters Deutsch- Gabriele Hiller-Ohm (SPD): Der Entwurf des Un- land“ ist deshalb das falsche Signal. ternehmensteuerreformgesetzes 2008 enthält wichtige Änderungen, die eine effizientere Besteuerung sicher- Die Unternehmensteuerreform widerspricht darüber stellen: Die Besteuerungsgrundlage von Personen- und hinaus dem im Wahlkampf 2005 von CDU/CSU und Kapitalgesellschaften wird angeglichen, die Möglichkei- SPD gegebenen Versprechen, eine aufkommensneutrale ten der Gewinnverrechnung über Tochtergesellschaften Unternehmensteuerreform zu beschließen. Bei allem Re- im Ausland werden durch die Einführung einer Zins- spekt vor der getroffenen Mehrheitsentscheidung meiner schranke verringert, die Einführung einer Quellensteuer Fraktion stimme ich dem Gesetz aus den genannten 10432 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 101. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Mai 2007

(A) Gründen nicht zu und enthalte mich der Stimme. Ich Absenkung der Geringwertigkeitsgrenze von 410 Euro (C) sehe mich mit meiner Kritik an der Reform in Überein- auf 150 Euro in § 6 Abs. 2 Satz 1 EStG. stimmung mit vielen Wählerinnen und Wählern, Mit- gliedern und Organen meiner Partei und bedeutenden Besonders unerfreulich ist für uns aber eine erst in die- gesellschaftlichen Organisationen, wie den Gewerk- ser Woche vom Bundesfinanzministerium ausgehende schaften. Änderung des Investitionszulagengesetzes, wonach dort in einem neuen § 12 a für die Zwecke der Investitionszu- lage ein vom Einkommensteuergesetz abweichender Be- Michael Kretschmer (CDU/CSU): Ich begrüße aus- griff des geringwertigen Wirtschaftsgutes definiert wird. drücklich, dass mit der Unternehmensteuerreform der Für ostdeutsche Unternehmen bedeutet dies – neben den Standort Deutschland gestärkt wird. Die Unternehmen- von allen deutschen Unternehmen zu tragenden zusätzli- steuerreform ist ein wichtiger Schritt, den erfreulichen chen bürokratischen Aufwand durch die Einschränkung Wirtschaftsaufschwung in unserem Land langfristig zu der Sofortabschreibung bei GWG – einen weiteren zu- sichern und zu verstärken. Forschungspolitisch habe ich sätzlichen und erheblichen Bürokratieaufwand Ost, da Bedenken, dass durch die Regelungen zur Funktionsver- sie Investitionsgüter nun in vier unterschiedliche Katego- lagerung Deutschland als Forschungsstandort nachhalti- rien einsortieren müssen, nämlich: gen Schaden erleiden könnte. Dies bezieht sich insbe- sondere auf die Problematik der Transferpaket-Regelung – Wirtschaftsgüter mit einem Wert unter 150 Euro sind und die Funktionsverdoppelungen. Ich halte die in der Ge- GWG gemäß § 6 Abs. 2 Satz 1 EStG. setzesbegründung aufgenommene Feststellung, Deutsch- – Wirtschaftsgüter zwischen 150 Euro und 410 Euro land dürfe in der Frage der Funktionsverlagerung keine sind zwar nach dem Einkommensteuergesetz nicht negative Vorreiterrolle einnehmen, für essenziell. Es mehr geringwertig und unterliegen insoweit der bleibt allerdings unklar, wie die Zusage – die steuerliche Poolabschreibung gem. § 6 Abs. 2 a EStG, während Behandlung der Funktionsverlagerung müsse sich an in- sie im Sinne des neuen § 12 a Investitionszulagenge- ternationalen Maßstäben orientieren – mangels interna- setzes weiterhin geringwertig sind. tionaler Vergleichsgrößen eingehalten werden soll. Deutschland beschreitet hier einen negativen Sonder- – Wirtschaftsgüter zwischen 410 Euro und 1 000 Euro weg. Anders als in der Gesetzesbegründung ausgeführt, sind nach beiden Gesetzen nicht geringwertig und im hat keines der angeführten Länder (Frankreich, Nieder- Pool abzuschreiben. lande, Großbritannien, USA, Kanada) eine Transferpa- ket-Regelung. Vielmehr besteuern alle OECD-Staaten – Für Wirtschaftsgüter über 1 000 Euro gelten die übli- Funktionsverlagerungen auf Basis der einzelnen überge- chen Abschreibungsregelungen. (B) henden Wirtschaftsgüter; keinesfalls aber – wie ange- Unseres Erachtens ist dieser zusätzliche Bürokratie- (D) führt – in zusammenfassenden Transferpaketen auf mög- aufwand für ostdeutsche Unternehmen höher, als die liche Gewinnpotenziale im Ausland. Die OECD will vergleichsweise geringe Ausweitung der Investi- einen ersten Vorschlag 2008 veröffentlichen. Falls, wie tionszulage gekostet hätte. Die europarechtlichen Be- ich befürchte, dieser Vorschlag sich nicht an der deut- denken hätten durch eine Übergangsregelung problem- schen Regelung orientiert und/oder nicht angenommen los ausgeräumt werden können. wird, bedeutet dies für den Forschungs- und Entwick- lungsstandort Deutschland eine Benachteiligung. Ferner sehe ich in den vorgelegten Eckpunkten zum Wagniska- Eckhardt Rehberg (CDU/CSU): Mit der Unterneh- pital lediglich einen ersten Schritt. Die Regelungen müs- mensteuerreform wird der Standort Deutschland weiter sen meines Erachtens aber noch an die realen Verhält- gestärkt. Sie ist ein weiterer Schritt, die Konjunktur nisse innovativer Unternehmen angepasst werden. Das langfristig zu sichern. Daher begrüße ich das Unterneh- Wagniskapitalgesetz muss zwingend zeitgleich mit der mensteuerreformgesetz 2008 ausdrücklich. Die Umset- Unternehmensteuerreform in Kraft treten, um die Neure- zung des Vorschlages hin zum EBITDA, statt wie ur- gelungen zum Mantelkauf für wachsende, forschende sprünglich geplant das EBIT zur Grundlage zu machen, Unternehmen zu kompensieren. verringert die Gefahr, dass Unternehmen unter die Zins- schranke fallen könnten. Dies hat auch positive Auswir- Die ostdeutschen Abgeordneten der CDU/CSU-Bun- kungen auf die Werftindustrie, die gerade jetzt ertrags- destagsfraktion begrüßen grundsätzlich die Unterneh- starke Jahre besitzt. Allerdings kehrt sich die Situation mensteuerreform 2008. Insbesondere die Senkung des bei unter Umständen zukünftig geringeren Auftragsvolu- Körperschaftsteuersatzes, die Einführung einer Begüns- mina und damit Ertrag ins Gegenteil um. Ich sehe die tigung von thesaurierten Gewinnen bei Personengesell- Gefahr der Substanzbesteuerung. Die Zwischenfinanzie- schaften und die Einführung einer Abgeltungsteuer ver- rung der Werften für unfertige Schiffe kann sich auf bis bessern die Attraktivität des Standorts Deutschland. zu 400 Millionen Euro pro Jahr belaufen. Gekoppelt mit einer geringen oder gar negativen Ertragslage kann es so Wegen der vereinbarten Begrenzung der Entlastungs- zu der besagten Substanzbesteuerung der Unternehmen wirkung auf 5 Milliarden Euro waren auch teilweise kommen. komplexe und für die Unternehmen mit zusätzlichem bürokratischem Aufwand verbundene Gegenfinanzie- Speziell Werften, die in internationale Konzernstruk- rungsmaßnahmen erforderlich. Besonders kritisch sehen turen eingebunden sind, stehen eher weniger im Ver- wir hier die Einschränkungen bei der Sofortabschrei- dacht, mithilfe von konzerneigenem Fremdkapital Steu- bung geringwertiger Wirtschaftsgüter (GWG) durch die ersubstrat ins Ausland verlagern zu wollen. Vielmehr ist Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 101. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Mai 2007 10433

(A) die Spezifik der Branche so, dass in kleinen Serien bei Drittens. Wirtschaftsgüter zwischen 410 Euro und (C) hoher Vorfinanzierungsleistung gefertigt wird. Die Es- 1 000 Euro sind nach beiden Gesetzen nicht geringwer- cape-Klausel mit der Möglichkeit des Vergleichs der tig und im Pool abzuschreiben. Fremdkapitalquote innerhalb eines Konzerns greift hier nicht, da es sich um Mischkonzerne handelt und die Viertens. Für Wirtschaftsgüter über 1 000 Euro gelten Fremdkapitalquoten jeweils branchenspezifisch sind. Ich die üblichen Abschreibungsregelungen. halte es gerade auch deshalb für begrüßenswert, wenn Unseres Erachtens nach ist dieser zusätzliche Büro- die Bundesregierung die Wirkungen der Zinsschranke kratieaufwand für ostdeutsche Unternehmen höher, als nach deren Einführung evaluieren und nach einer ange- die vergleichsweise geringe Ausweitung der Investi- messenen Zeit einen Erfahrungsbericht veröffentlichen tionszulage gekostet hätte. Die europarechtlichen Be- würde. Ich vertraue auf eine zügige Lösung dieses Sach- denken hätten durch eine Übergangsregelung problem- standes, sollte die von mir aufgeführte Problematik tat- los ausgeräumt werden können. In Anbetracht der sächlich zukünftig auftreten. gesamtgesellschaftlichen Bedeutung und der Wichtig- keit der zügigen Umsetzung der Unternehmensteuer- reform werde ich dennoch zustimmen. Anlage 5 Erklärung nach § 31 GO Anlage 6 der Abgeordneten Ulrich Petzold und Uda Carmen Freia Heller (beide CDU/CSU) zur Ab- Erklärung nach § 31 GO stimmung über den Entwurf eines Unterneh- der Abgeordneten Hilde Mattheis, Renate mensteuerreformgesetzes 2008 (Tagesordnungs- Gradistanac, Angelika Graf (Rosenheim) und punkt 30 a) Wolfgang Gunkel (alle SPD) zur Abstimmung Die ostdeutschen Abgeordneten der CDU/CSU-Bun- über den Entwurf eines Unternehmensteuerre- destagsfraktion begrüßen grundsätzlich die Unterneh- formgesetzes 2008 (Tagesordnungspunkt 30 a) mensteuerreform 2008. Insbesondere die Senkung des Körperschaftssteuersatzes, die Einführung einer Begüns- Die Unternehmensteuerreform wird nicht aufkom- tigung von thesaurierten Gewinnen bei Personengesell- mensneutral sein. Dies widerspricht dem Koalitionsver- schaften und die Einführung einer Abgeltungsteuer ver- trag und der Wahlaussage der SPD. bessern die Attraktivität des Standorts Deutschland. Die Ausgestaltung der Abgeltungsteuer wird einen Wegen der vereinbarten Begrenzung der Entlastungs- (B) Personenkreis begünstigen, von dem wir erwarten, dass (D) wirkung auf 5 Milliarden Euro waren auch teilweise er sich über Steuern stärker an der Finanzierung gesamt- komplexe und für die Unternehmen mit zusätzlichem gesellschaftlicher Aufgaben beteiligt. bürokratischem Aufwand verbundene Gegenfinanzie- rungsmaßnahmen erforderlich. Besonders kritisch sehen Positiv bewerten wir, dass steuerliche Schlupflöcher, wir hier die Einschränkungen bei der Sofortabschrei- die am Finanzmarkt bislang zwischen steuerpflichtigen bung geringwertiger Wirtschaftsgüter, GWG, durch die Zinseinnahmen und steuerfreien Veräußerungsgeschäf- Absenkung der Geringwertigkeitsgrenze von 410 Euro ten ausgenutzt worden sind, grundsätzlich gestopft wer- auf 150 Euro in § 6 Abs. 2 Satz 1 EStG. den. Besonders unerfreulich ist für uns aber eine erst in Wichtig ist uns vor allem, dass die Gewerbesteuer dieser Woche vom Bundesfinanzministerium ausge- grundsätzlich erhalten und nachhaltig stabilisiert wird, hende Änderung des Investitionszulagengesetzes, wo- sodass die Finanzkraft der Kommunen weniger konjunk- nach dort in einem neuen § 12 a für die Zwecke der turanfällig ist und kommunale Investitionen besser plan- Investitionszulage ein vom Einkommensteuergesetz ab- bar sind. weichender Begriff des geringwertigen Wirtschaftsgutes Wir begrüßen nachdrücklich die im Entschließungs- definiert wird. Für ostdeutsche Unternehmen bedeutet antrag festgehaltene Vereinbarung der Regierungskoali- dies – neben dem von allen deutschen Unternehmen zu tion über die Reform der Erbschaftsteuer und erwarten, tragenden zusätzlichen bürokratischen Aufwand durch dass diese wieder zu mehr Steuergerechtigkeit führt. die Einschränkung der Sofortabschreibung bei GWG – einen weiteren zusätzlichen und erheblichen Bürokratie- In Abwägung dieser Punkte stimmen wir dem Unter- aufwand Ost, da sie Investitionsgüter nun in vier unter- nehmensteuerreformgesetz 2008 zu. schiedliche Kategorien einsortieren müssen, nämlich:

Erstens. Wirtschaftsgüter mit einem Wert unter Anlage 7 150 Euro sind GWG gemäß § 6 Abs. 2 Satz 1 EStG. Erklärung nach § 31 GO Zweitens. Wirtschaftsgüter zwischen 150 Euro und 410 Euro sind zwar nach dem Einkommensteuergesetz der Abgeordneten Ilse Aigner, Monika Grütters, nicht mehr geringwertig und unterliegen insoweit der Anette Hübinger, Dr. Rolf Koschorrek, Johann- Poolabschreibung gemäß § 6 Abs. 2 a EStG, während sie Henrich Krummacher, Dr. Max Lehmer, Carsten im Sinne des neuen § 12 a Investitionszulagengesetzes Müller (Braunschweig), Dr. Heinz Riesenhuber, weiterhin geringwertig sind. Marcus Weinberg und Klaus-Peter Willsch (alle 10434 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 101. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Mai 2007

(A) CDU/CSU) zur Abstimmung über den Entwurf unternehmerischen Bereich.“ Im SPD-Wahlmanifest zur (C) eines Unternehmensteuerreformgesetzes 2008 Bundestagswahl vom 31. August 2005 heißt es: „Der (Tagesordnungspunkt 30 a) Körperschaftsteuersatz für Kapitalgesellschaften wird von 25 auf 19 Prozent reduziert. Die Absenkung des Ich begrüße ausdrücklich, dass mit der Unternehmen- Körperschaftsteuersatzes wird vollständig aus dem Be- steuerreform der Standort Deutschland gestärkt wird. reich wirtschaftlicher Betätigung (aufkommensneutral) Die Unternehmensteuerreform ist ein wichtiger Schritt, gegenfinanziert.“ den erfreulichen Wirtschaftsaufschwung in unserem Land langfristig zu sichern und zu verstärken. Deshalb Kein Wähler oder keine Wählerin der regierungstra- werde ich dem Gesetzentwurf zustimmen. genden Parteien durfte und konnte damit rechnen, dass nur ein drei viertel Jahr nach dem Wahltag eine Absen- Ich halte die in der Gesetzesbegründung aufgenom- kung auf 15 Prozent mit der Vereinbarung des Koali- mene Feststellung, Deutschland dürfe in der Frage der tionsausschusses vom 3./4. Juli 2006 faktisch beschlos- Funktionsverlagerung keine negative Vorreiterrolle ein- sene Sache sein würde. Diese Diskrepanz wird umso nehmen, für essenziell. Die Regelungen zur Funktionsver- mehr zum Problem, als selbst auch im Koalitionsvertrag, lagerung – Transferpaket-Regelung und die Funktionsver- an dem die Parteien demokratisch mitwirken konnten, doppelung – betreffen unmittelbar den Forschungs- und keine konkrete Korrektur dieser Aussagen aus den Wahl- Entwicklungsstandort Deutschland. Deshalb ist es für programmen vollzogen wurde. Im Gegenteil wurde im mich entscheidend, dass die Zusage, die steuerliche Be- Koalitionsvertrag für die Öffentlichkeit festgehalten: handlung der Funktionsverlagerung müsse sich an inter- „Angesichts des bestehenden Konsolidierungsdrucks in nationalen Maßstäben ausrichten und im internationalen allen öffentlichen Haushalten werden Nettoentlastungen Vergleich wettbewerbsneutrale Verrechnungspreise si- kaum zu realisieren sein.“ cherstellen, durch die Formulierung der vorgesehenen Rechtsverordnung eingehalten wird. Nur kurze Zeit später allerdings, nachdem im Parla- ment für viele kleinere und mittlere Einkommensbezie- Ferner sehe ich in den vorgelegten Eckpunkten zum her sehr schmerzhafte Maßnahmen wie die Erhöhung Wagniskapital lediglich einen ersten Schritt. Die Rege- der Mehrwertsteuer um drei Punkte und zum Beispiel lungen müssen aber noch stärker an die Bedürfnisse Einsparungen bei der Pendlerpauschale als unabdingba- innovativer Unternehmen angepasst werden. Das Wag- rer Beitrag zur Haushaltskonsolidierung beschlossen niskapitalgesetz muss zeitgleich mit der Unternehmen- worden sind, wurden Festlegungen zur Reform der Un- steuerreform in Kraft treten, um die Auswirkungen der ternehmensteuer getroffen und öffentlich gemacht, die Neuregelungen zum Mantelkauf für wachsende, for- zumindest für einen Zeitraum von fünf Jahren sehr weit schende Unternehmen zu kompensieren. reichende Steuerverzichte im Gesamtumfang bis zu (B) 25 Milliarden Euro festschreiben sollten und praktisch (D) festgeschrieben haben. Anlage 8 Die Unterzeichnenden sehen bei allem Respekt vor Erklärung nach § 31 GO der mit bestem Wissen und Wollen getroffenen Mehr- heitsentscheidung ihrer Fraktion für sich keine Möglich- der Abgeordneten Dr. Ernst Dieter Rossmann, keit, diese Entscheidung mitzutragen, weil diese in unse- Christoph Strässer, Willi Brase, René Röspel, ren Augen in der Gesamtbewertung Legitimation, Jürgen Kucharczyk, Reinhold Hemker, Augenmaß und soziale Balance vermissen lassen. Dr. Wolfgang Wodarg, Gerold Reichenbach, Niels Annen, Andreas Steppuhn, Anton Schaaf Zweitens. Dass eine moderne Unternehmensteuerge- und Marco Bülow (alle SPD) zur Abstimmung staltung notwendig und begrüßenswert ist, wird von den über den Entwurf eines Unternehmensteuer- Unterzeichnenden damit überhaupt nicht bestritten. reformgesetzes 2008 (Tagesordnungspunkt 30 a) Zahlreiche wichtige Elemente des vorgelegten Konzep- tes finden im Übrigen auch unsere ausdrückliche Zu- stimmung, wie der grundsätzliche Erhalt und die nach- Grundsätzliche und tiefgreifende politische Entschei- haltige Stabilisierung der Gewerbesteuer, die überfällige dungen gründen im besten Sinne auf einer demokrati- Schließung von Steuerschlupflöchern und standort- schen Legitimation durch das Votum der Wählerinnen schädlichen Gestaltungsmöglichkeiten im Unterneh- und Wähler zu Wahlprogrammen der Parteien, die dann mensbereich (Zinsschranke etc.) und weitere Einzelrege- auch wirklich Richtschnur in der konkreten Politik sind. lungen. Sie sind im Weiteren abgesichert durch Koalitionsver- einbarungen, die von den Parteien in Kenntnis aller rele- Wir sehen uns hierin auch in Übereinstimmung mit vanten Umstände und Verabredungen zur Regierungsbil- vielen Wählerinnen und Wählern, Mitgliedern und Orga- dung getroffen wurden. Und sie zeichnen sich durch nen unserer Partei und für uns wichtigen Partnern in der soziale Balance, Kalkulierbarkeit und Augenmaß aus. Politik wie den deutschen Gewerkschaften. Wir teilen al- lerdings auch deren grundsätzliche Kritik an der Ge- Erstens. Zu dem zur Abstimmung stehenden Gesetz- samtstruktur der Unternehmensteuerreform. Mit der Ent- entwurf zur Unternehmensteuerreform stellen wir fest, haltung machen wir zugleich deutlich, dass wir das dass im Wahlprogramm der CDU/CSU zur Bundestags- Gesamtkonzept sehr wohl differenziert betrachten und wahl 2005 formuliert ist: „Als weiteren Schritt zu einer bewerten, ohne dass dieses unsere grundsätzlichen Be- umfassenden Unternehmensteuerreform senken wir die denken zu Verfahren, Risiken und sozialer Balance letzt- Körperschaftsteuer auf 22 Prozent, gegenfinanziert im lich ausräumen kann. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 101. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Mai 2007 10435

(A) Anlage 9 lage gekostet hätte. Die europarechtlichen Bedenken (C) hätten durch eine Übergangsregelung problemlos ausge- Erklärung nach § 31 GO räumt werden können. der Abgeordneten Ulrich Adam, Peter Albach, Günter Baumann, Veronika Bellmann, Klaus Brähmig, Manfred Grund, Bernd Heynemann, Anlage 10 Robert Hochbaum, Susanne Jaffke, Dr. Peter Erklärung nach § 31 GO Jahr, Dr. Hans-Heinrich Jordan, Jens Koeppen, Manfred Kolbe, Katharina Landgraf, Maria der Abgeordneten Ernst Burgbacher, Patrick Michalk, Bernward Müller (Gera), Peter Döring, Jörg van Essen, Paul K. Friedhoff, Uwe Rzepka, Ingo Schmitt (Berlin), Arnold Vaatz, Barth und Dr. Wolfgang Gerhardt (alle FDP) Volkmar Uwe Vogel, Kai Wegner und Karl- zur Abstimmung über den Entwurf eines Geset- Georg Wellmann (alle CDU/CSU) zur zes zum Schutz vor den Gefahren des Passiv- Abstimmung über den Entwurf eines Unterneh- rauchens (Tagesordnungspunkt 34 a) mensteuerreformgesetzes 2008 (Tagesordnungs- punkt 30 a) Wir lehnen den Gesetzentwurf der Bundesregie- rung zum Schutz vor den Gefahren des Passivrau- Die ostdeutschen Abgeordneten der CDU/CSU-Bun- chens (16/5049) ab, und zwar aus mehreren Gründen. destagsfraktion begrüßen grundsätzlich die Unterneh- mensteuerreform 2008. Insbesondere die Senkung des Wir halten es grundsätzlich für falsch, dass die obers- Körperschaftssteuersatzes, die Einführung einer Begüns- ten Verfassungsorgane in dieses Gesetz einbezogen wer- tigung von thesaurierten Gewinnen bei Personengesell- den. Aufgrund seiner verfassungsrechtlichen Stellung schaften und die Einführung einer Abgeltungsteuer ver- sollte der Deutsche Bundestag seine inneren Angelegen- bessern die Attraktivität des Standorts Deutschland. heiten selbst regeln und sich so von den Verwaltungsbe- hörden des Bundes abgrenzen. Nach unserer Auffassung Wegen der vereinbarten Begrenzung der Entlastungs- wäre es für den Deutschen Bundestag problemlos mög- wirkung auf 5 Milliarden Euro waren auch teilweise lich, die Bestimmungen des Gesetzes in seine Hausord- komplexe und für die Unternehmen mit zusätzlichem nung zu übernehmen. Die Einbeziehung des Parlaments bürokratischem Aufwand verbundene Gegenfinanzie- in eine gesetzliche Regelung trägt hingegen dazu bei, rungsmaßnahmen erforderlich. Besonders kritisch sehen dessen Stellung als Verfassungsorgan auszuhöhlen. wir hier die Einschränkungen bei der Sofortabschrei- bung geringwertiger Wirtschaftsgüter (GWG) durch die (B) In der Begründung des Gesetzentwurfs heißt es am (D) Absenkung der Geringwertigkeitsgrenze von 410 Euro Ende des Absatzes A I: „Bemühungen, auf freiwilliger auf 150 Euro in § 6 Abs. 2 Satz 1 EStG. Basis einen wirksamen Nichtraucherschutz zu erreichen, haben nicht in allen Bereichen ausreichenden Erfolg er- Besonders unerfreulich ist für uns aber eine erst in die- zielt.“ Dem widersprechen wir ausdrücklich. Denn ser Woche vom Bundesfinanzministerium ausgehende vielversprechende Initiativen wie die freiwillige Zielver- Änderung des Investitionszulagengesetzes, wonach dort einbarung mit dem Deutschen Hotel- und Gaststätten- in einem neuen § 12 a für die Zwecke der Investitionszu- verband wurden dadurch konterkariert, dass nur wenige lage ein vom Einkommensteuergesetz abweichender Be- Wochen nach der Unterzeichnung immer stärker ein ge- griff des geringwertigen Wirtschaftsgutes definiert wird. nerelles Rauchverbot in die Diskussion gebracht wurde. Für ostdeutsche Unternehmen bedeutet dies – neben dem Dies beeinträchtigte verständlicherweise die Bereitschaft von allen deutschen Unternehmen zu tragenden zusätzli- von Gastronomen, in technischen Nichtraucherschutz chen bürokratischen Aufwand durch die Einschränkung und andere Lösungen zu investieren. Die starke Auswei- der Sofortabschreibung bei GWG – einen weiteren zu- tung von Nichtraucherbereichen wurde von den Verbots- sätzlichen und erheblichen Bürokratieaufwand Ost, da befürwortern weitgehend ignoriert. sie Investitionsgüter nun in vier unterschiedliche Katego- rien einsortieren müssen, nämlich: Wirtschaftsgüter mit Es hat sich allerdings in vielen Bereichen gezeigt, einem Wert unter 150 Euro sind GWG gemäß § 6 Abs. 2 dass es eine Menge freiwilliger Ansätze zum Nichtrau- Satz 1 EstG; Wirtschaftsgüter zwischen 150 Euro und cherschutz gibt, die erfolgreich sind. So nutzen viele öf- 410 Euro sind zwar nach dem Einkommensteuergesetz fentliche und private Träger von Einrichtungen mit nicht mehr geringwertig und unterliegen insoweit der Publikumsverkehr mehr und mehr über das Hausrecht Poolabschreibung gem. § 6 Abs. 2 a EStG, während sie die Möglichkeit, Regelungen für das Nichtrauchen zu im Sinne des neuen § 12 a des Investitionszulagengeset- treffen. Flüge, Bahnhöfe, der öffentliche Personennah- zes weiterhin geringwertig sind; Wirtschaftsgüter zwi- verkehr etc. sind rauchfrei bzw. nahezu rauchfrei. Hotels schen 410 Euro und 1 000 Euro sind nach beiden Geset- bieten Nichtraucheretagen an. Die Nichtraucherbereiche zen nicht geringwertig und im Pool abzuschreiben; für in der Gastronomie nehmen zu. Das ist eine gesellschaft- Wirtschaftsgüter über 1 000 Euro gelten die üblichen Ab- liche Entwicklung, die sich auch ohne ein bundesweites schreibungsregelungen. allumfassendes Verbot vollziehen und fortsetzen lässt. Unseres Erachtens ist dieser zusätzliche Bürokratie- Nach unserer festen Überzeugung muss der Staat aufwand für ostdeutsche Unternehmen höher, als die nicht alles regeln. Daher lehnen wir den Gesetzentwurf vergleichsweise geringe Ausweitung der Investitionszu- ab. 10436 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 101. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Mai 2007

(A) Anlage 11 Mit der Grundsatzvereinbarung über die Beendigung (C) des subventionierten Steinkohlenbergbaus ist der Weg Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: für eine Umstrukturierung des RAG-Konzerns frei ge- – Antrag: Kein Börsengang der Ruhrkohle worden. Der Vereinbarung liegt das gemeinsame Ver- AG – Bei der Zukunft des Steinkohlenberg- ständnis zugrunde, diesem über Jahrzehnte gewachsenen baus soziale und ökologische Aspekte be- Beteiligungsbereich der RAG die nötigen Perspektiven rücksichtigen für die weitere Entwicklung zu öffnen. – Beschlussempfehlung und Bericht zu dem Mit dem Gang an die Börse wird diese Perspektive Antrag: Deutsche Steinkohle AG muss zügig Wirklichkeit. Der Beteiligungsbereich erhält Zugang belastbares Datenmaterial vorlegen zum Kapitalmarkt. Damit wird eine Neuausrichtung mit neuen Investoren ermöglicht. Gleichzeitig werden über (Tagesordnungspunkt 37 und Zusatztagesord- eine vom RAG-Konzern zu gründende Stiftung die Mit- nungspunkt 7) tel für die Finanzierung der Ewigkeitslasten des Berg- baus wie Dauerbergschäden und Wasserhaltung aufge- Laurenz Meyer (Hamm) (CDU/CSU): Mit der An- bracht und durch die Revierländer abgesichert. Es ist fang Februar 2007 zustande gekommenen Vereinbarung geplant, dass die derzeitigen Anteilseigner ihre Anteile zwischen Bund, Revierländern und Bergbau über die ge- für den symbolischen Preis von 1 Euro auf die Stiftung ordnete und sozialverträgliche Beendigung des subven- übertragen, die dann ihrerseits die Eigentumsrechte an tionierten Steinkohlenbergbaus in Deutschland hat die der jetzigen RAG-Beteiligungs-AG übernimmt. Die In- Koalition eine der bedeutendsten wirtschafts- und ener- teressen der öffentlichen Hand bleiben gewahrt, da Stif- giepolitischen Grundsatzentscheidungen der letzten tungssatzung und Stiftungsgründung im Einvernehmen Jahrzehnte getroffen. Wir stellen damit einmal mehr un- mit der öffentlichen Hand abgestimmt werden. sere Bereitschaft und Fähigkeit unter Beweis, die not- Die Konstruktion macht deutlich, dass der von Ihnen wendigen Strukturveränderungen im Energiebereich ak- erhobene Vorwurf, „dass die Gewinne privatisiert und tiv zu gestalten. die Verluste sozialisiert werden“, jeder Grundlage ent- Mir ist es wichtig hervorzuheben, dass wir die Ent- behrt. Der Gegenwert des weißen Bereichs mit seinen scheidung über die Zukunft der deutschen Steinkohle in Aktivitäten in der Chemie, bei Kraftwerken und einem breiten Konsens mit allen Beteiligten – ein- Wohnimmobilien kommt keinen privaten Interessen zu- schließlich der Gewerkschaft – getroffen haben. Die sub- gute, sondern wird zugunsten der Stiftung und ihres ventionierte Förderung der Steinkohle in Deutschland Zwecks, der Bewältigung der Bergbaufolgelasten, ver- (B) wird bis 2018 sozialverträglich beendet. Alle Beteiligten wendet. (D) werden daran mitwirken, dass es nicht zu betriebsbe- Mit dem von der Bundesregierung in Auftrag gegebe- dingten Kündigungen kommt. So ist es vereinbart! nen KPMG-Gutachten haben wir jetzt belastbares Zah- Der Deutsche Bundestag wird den Auslaufbeschluss lenmaterial zu den Ewigkeitslasten. Das Gutachten ist im Jahr 2012 überprüfen. Sollte sich die Wettbewerbs- allen Fraktionen des deutschen Bundestages zur Verfü- situation der deutschen Steinkohle bis dahin grundle- gung gestellt worden. Es kommt zu dem Schluss, dass gend verändert haben, gibt es die Möglichkeit zu reagie- die ab 2018 anfallenden Ewigkeitslasten mithilfe des Er- ren. Einen Sockelbergbau, der die Subventionspolitik löses aus einem Börsengang im Gesamtverbund erzielt ohne Rücksicht auf die Wettbewerbsfähigkeit fest- werden können. Deshalb wurde im letzten Spitzenge- schreibt, darf und wird es nicht geben. Eine Grundför- spräch der Regierungskoalition am 14. Mai vereinbart, dermenge heimischer Steinkohle ist nach jetziger Lage diesen Weg zu gehen. Eine endgültige Entscheidung im Vergleich zum Weltmarktpreisniveau für Kraftwerks- kann aber erst nach Vorlage der noch ausstehenden Gut- kohle ohne Subventionen nicht darstellbar. Je geringer achten und einer abschließenden Bewertung durch das die Förderung, desto höher der pro Tonne zu zahlende Parlament erfolgen. Subventionsbeitrag. Wo Bergbau wirtschaftlich betrie- Es ist absurd, zu behaupten, der Börsengang verstoße ben werden kann, unterstütze ich dies ausdrücklich. Des- gegen die Interessen der Arbeitnehmer. Das Gegenteil ist wegen ist es beispielsweise richtig, auf dem sogenannten richtig. Durch den Börsengang wird der sozialverträgli- Donarfeld mit seinen reichhaltigen Kokskohlevorkom- che Auslaufprozess bis 2018 überhaupt erst ermöglicht. men weitere Untersuchungen anzustellen, ob eine Aus- Auch die erfolgreiche Weiterqualifizierung und Um- beutung ohne Subventionen möglich ist. schulung der Bergbaumitarbeiter findet bereits seit Jah- Der sogenannte weiße Bereich mit seinen Sparten ren weiter statt und wird im Rahmen des finanziell Mög- Chemie, Energie und Wohnungswirtschaft ist als inte- lichen fortgeführt. grierter Industriekonzern in der RAG-Beteiligungs-AG Damit ist klar: Wer sich gegen den Börsengang rich- zusammengefasst. Mit über 40 000 Beschäftigten bildet tet, handelt gegen die Interessen der im Bergbau be- er heute den größten Anteil im RAG-Konzern. Im Stein- schäftigten Menschen. Bezeichnenderweise enthält Ihr kohlenbergbau sind hingegen nur noch circa 34 000 Mit- Antrag keinerlei Aussagen über ein alternatives Finan- arbeiter beschäftigt. Diese Entwicklung zeigt, dass sich zierungskonzept. die deutsche Steinkohle schon seit längerer Zeit in einem tiefgreifenden Veränderungs- und Anpassungsprozess Zwischen dem heute debattierten Börsengang der befindet. Ruhrkohle AG und dem von Ihnen geforderten Ansied- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 101. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Mai 2007 10437

(A) lungsprogramm im Bereich erneuerbarer Energien spe- Börsengang verbundene Impuls für die heimische (C) ziell für die Kohlenbergbauregionen, vermag ich keinen Wertschöpfung und den Erhalt von rund 100 000 Ar- Zusammenhang zu erkennen. Richtig ist, dass die betrof- beitsplätzen von elementarer Bedeutung. Wir stehen als fenen Regionen einem tiefgreifenden Strukturwandel Politiker also vor der konkreten Aufgabe, Handlungsfä- unterliegen. Dies ist aber keine neue Erkenntnis sondern higkeit zu beweisen und sehr rasch ein Steinkohlefinan- ein Prozess, der nun schon mehr als zwei Jahrzehnte an- zierungsgesetz auf den Weg zu bringen und die noch of- dauert. Die Regionen haben sich darauf eingestellt und fenen Fragen für die Stiftungsgründung, inklusive des in vielen Fällen ihre Chance zur Erneuerung genutzt. Stiftungsvorsitzes, zu klären. Eine weitere Verzögerung Dabei müssen wir sie unterstützen. der notwendigen Entscheidungen sollte sich für alle Be- teiligten von selbst verbieten. Es bringt uns nicht weiter, ein Subventionsprogramm durch ein anderes zu ersetzen. Das gilt besonders, wenn In diesem Prozess muss endlich auch der nordrhein- es sich um einen bereits so hochgradig durch öffentliche westfälische Ministerpräsident seiner Verantwortung für Mittel geförderten Sektor handelt wie den der erneuerba- das Land gerecht werden. Am 8. Februar, also einen Tag ren Energien. Das Eckpunktepapier hat zur Strukturför- nach der Kohleeinigung, hat Jürgen Rüttgers vor dem derung bewusst nichts gesagt, da die regionale Wirt- Düsseldorfer Landtag wörtlich erklärt: „Dem Börsen- schaftsförderung gemäß Grundgesetz eine Aufgabe der gang der RAG steht nichts mehr im Weg.“ Tatsächlich Bundesländer ist. aber ist der Ministerpräsident das größte Hindernis für dieses industriepolitisch so wichtige Vorhaben. Seit Mo- Wir sollten alle unsere Anstrengungen jetzt allein da- naten blockiert er eine sachorientierte Lösung auf Kos- rauf richten, die für den Börsengang erforderlichen ten der Menschen in NRW. Dieses Verhalten ist eines Umsetzungsschritte zeitnah einzuleiten, das heißt, die Ministerpräsidenten unwürdig und muss ein Ende haben. Stiftungsgründung zu vollziehen und das Steinkohle- An die Stelle parteitaktischer Spielereien gehört die finanzierungsgesetz auf den Weg zu bringen. Das sind Rückkehr zur Verlässlichkeit. Die Winkelzüge aus Düs- wir den im Bergbau tätigen Unternehmen und ihren Be- seldorf müssen aufhören, damit das Unternehmen und schäftigten schuldig. Dafür werde ich mich einsetzen. vor allem seine Beschäftigten endlich die Planungssi- cherheit erhalten, die sie verdienen. Insbesondere ist Dr. Rainer Wend (SPD): Wir befassen uns heute auf nicht länger zu tolerieren, dass eine zielführende Lösung Antrag der Fraktion Die Linke mit dem geplanten Bör- für den Stiftungsvorsitz wegen persönlicher Animositä- sengang der RAG, mit einem Thema also, das für diese ten hintertrieben wird. Koalition, seit sie Regierungsverantwortung trägt, weit oben auf der wirtschaftspolitischen Agenda steht. Fakt ist, dass Werner Müller als Vater der Idee des (B) Börsengangs für den Stiftungsvorsitz prädestiniert ist. (D) CDU/CSU und SPD haben sich bereits in ihrem Ko- Fakt ist auch, dass alle Versuche, ihn als potenziellen alitionsvertrag zum Börsengang bekannt – dazu stehen Stiftungsvorsitzenden zu diskreditieren – wie zuletzt die wir heute mehr denn je –, und wir sind auf dem Weg Gerüchte über angebliche Verhandlungen zwischen der dorthin bereits ein erhebliches Stück vorangekommen. RAG und der russischen Gasprom –, jeder Grundlage Der Kohlekompromiss vom 7. Februar, an dem neben entbehren. Es ist deshalb eine geradezu zwangsläufige dem Bund die Kohleländer NRW und Saarland, die Entwicklung, dass Jürgen Rüttgers mit seiner Blockade- IGBCE und die RAG beteiligt waren, war ein wichtiger haltung weitgehend alleine dasteht. Verständnis für diese Meilenstein. Die Verständigung beinhaltet eine klare Zu- Haltung existiert weder in den Reihen der Arbeitnehmer kunftsperspektive für die Bergleute bis mindestens 2018. noch bei den wichtigsten Aktionären des Unternehmens. Sie schließt betriebsbedingte Kündigungen aus und Die jüngst von interessierter Seite lancierten Gerüchte schafft die Grundlage, um den sogenannten weißen Be- über einen angeblichen Verzicht des RAG-Vorsitzenden reich der RAG als Ganzes an die Börse zu bringen. Es ist Werner Müller auf den Stiftungsvorsitz sind nur eine gut, dass im Koalitionsausschuss in diesem Punkt Kurs weitere taktische Rochade innerhalb der von Teilen der gehalten und zuletzt noch einmal allen Gedankenspielen Union betriebenen Verzögerungs- und Vernebelungstak- an eine Einzelveräußerung von Unternehmensteilen eine tik. Absage erteilt wurde. Alle, die um die Gefahr möglicher Marktbereinigungseffekte im Falle einer Unternehmens- Gegenüber ihrem irrlichternden Parteifreund ist nicht zerschlagung wissen, werden diese Haltung nur begrü- zuletzt die Bundeskanzlerin in der Pflicht. Wer wie Rütt- ßen können. gers auf zynische Weise mit den Zukunftsängsten der Beschäftigten des Unternehmens spielt, der muss nöti- Es darf kein Zurück zur Zeit vor der Einigung vom genfalls durch ein parteiinternes Machtwort zur Räson Februar geben. Im Gegenteil: Es geht jetzt darum, die gebracht werden. Die heutige Einlassung des stellvertre- noch notwendigen Voraussetzungen zu schaffen, damit tenden Regierungssprechers Thomas Steg, die Regie- das Vereinbarte tatsächlich umgesetzt wird. In diesem rung wolle auf Sachverstand, Erfahrung und Kenntnisse Zusammenhang – wie die Linke – einen Angriff auf so- Müllers keinesfalls verzichten, weist daher in die rich- ziale Standards zu erkennen, ist abwegig. Richtig ist tige Richtung und muss durchgesetzt werden. vielmehr, dass der Börsengang der RAG ein wesentli- ches Element einer zukunftsgerichteten wirtschaftspoli- Als SPD-Fraktion sind wir aus wirtschaftspolitischer tischen Strategie für die Region sein muss. Gerade für Überzeugung und im Interesse der betroffenen Men- die strukturschwachen Bergbauregionen mit überdurch- schen zu einer konstruktiven Lösung bereit. Wir werden schnittlich hoher Arbeitslosigkeit ist der mit dem aber nicht zulassen, dass die Profilierungsbedürfnisse ei- 10438 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 101. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Mai 2007

(A) nes selbst ernannten Arbeiterführers auf dem Rücken der Mit dem hart verdienten Geld der Steuerbürger kön- (C) Beschäftigten befriedigt werden. Dazu ist die Bedeutung nen in anderer Weise und an anderer Stelle viel mehr Ar- des Themas bei weitem zu groß. beitsplätze entstehen als in den Gruben der Vergangen- heit. Das nordrhein-westfälische Wirtschaftsministerium Paul K. Friedhoff (FDP): Seit über zwanzig Jahren muss jedes Jahr 500 Millionen Euro und damit die Hälfte fordert die FDP ein Ende des subventionierten Steinkoh- seines Etats in die unsinnige Aufrechterhaltung von lebergbaus in Deutschland. Mit der Koalitionsvereinba- 34 000 unrentablen Arbeitsplätzen pumpen. Rein rechne- rung in Nordrhein-Westfalen haben wir die Weichen risch könnten mit dem Geld aber auch 13 000 neue Leh- gestellt, damit das irrsinnige Verbuddeln von Steuermil- rer im Land eingestellt werden. Allein diese Beispiels- liarden nun beendet wird. Darauf sind wir stolz. rechnung zeigt, wie man staatliche Mittel besser in die Köpfe als in dunkle Schächte investieren könnte. Wohl- Der Ausstieg aus dem Subventionsbergbau und der gemerkt: Die 500 Millionen Euro aus NRW reichen gar Börsengang der RAG bedingen sich wechselseitig: ohne nicht aus, um die 34 000 Kohlekumpel und ihre Arbeits- Börsengang kein Ausstieg und ohne Ausstieg kein Bör- kulisse aufrechtzuerhalten. Hinzu kommen noch einmal sengang. Alle Beteiligten, die den Steinkohlebergbau in 2 000 Millionen vom Bund – und zwar jedes Jahr. Deutschland realistisch und ohne Nostalgie betrachten, sind sich darin einig, dass erst durch diese Verknüpfung Arbeitsplätze, die im „schwarzen“ Bereich der RAG der bestmögliche Weg für den geordneten Ausstieg aus zwangsläufig wegfallen werden, sollten durch Beschäfti- dem Subventionsbergbau möglich wurde. So wird aus gung im „weißen“ Bereich aufgefangen werden. Die Er- einem hoch subventionierten Unternehmen mit nicht öffnung von neuen Beschäftigungsperspektiven in wett- wettbewerbsfähiger Kohleförderung durch Strukturwan- bewerbsfähigen Branchen ist allemal sozial verträglicher del ein Unternehmen mit wettbewerbsfähigen Produkten als der Erhalt von Arbeitsplätzen im Bergbau. Oder ist es und sicheren Arbeitsplätzen im Ruhrrevier. etwa sozial verträglich, jeden Arbeitsplatz mit rund 75 000 Euro Steuergeld zu subventionieren? Es ist eben Die FDP hat den Weg zu diesem Ausstieg vorange- nicht sozial, den einen Bürgern das Geld aus der Tasche zu trieben, mitgestaltet und unterstützt die Akteure in Ber- ziehen, um es den anderen zuzustecken. Dies können lin, in Düsseldorf und in Essen. selbst die Sozialisten nicht anders sehen. Den 900 000 Ar- Mit der Trennung von weißem und schwarzem Be- beitssuchenden in Nordrhein-Westfalen jedenfalls wer- reich und dem folgenden Börsengang wird ein schlag- den die Linken ihre Forderungen nach einem weiter an- kräftiges neues DAX-30-Unternehmen entstehen, das dauernden Vergraben von Subventionsmilliarden kaum zukunftsfähige, neue Arbeitsplätze schafft. Hier werden erklären können. Auch den Kohlearbeitern, die in den die Arbeitskräfte gebraucht – im Bergbau haben sie neuen Bundesländern nach der Wende bei der Abwick- (B) längst keine Perspektive mehr. Dass dieser Konzern lung großer Teile des Braunkohleabbaus ohne Subven- (D) dann auch Gewinne erwirtschaftet, können wir ihm nur tionen entlassen wurden, werden sie Wünsche nach Dau- wünschen. ersubventionen im Westen nicht erklären können. Diese Gewinne gleich wieder in Steinkohleschächten Für die Ewigkeitskosten hat die RAG bereits Reser- zu versenken, kann jedoch nur dem Wunschdenken der ven angehäuft: Den vorliegenden Gutachten zufolge Linken entspringen. Viel zu lange schon wurde echtes können die zu erwartenden Ewigkeitskosten mit dem unternehmerisches Handeln bei der RAG durch die Gegenwert der Firmen des „weißen“ Bereichs gedeckt staatliche Subventionspolitik verhindert. Durch die ge- werden. Wir wollen, dass auf der einen Seite die Stiftung plante Trennung der Bereiche entstehen alle Chancen für über ihr Kapital verfügen kann und daraus für die Folgen ein subventionsfreies, „strotznormales“ Unternehmen: des Bergbaus aufkommt. Auf der anderen Seite soll ein Diese Chancen wollen wir ergreifen! zukunftsfähiges Unternehmen entstehen können, das frei ist von den Lasten des bisher staatlich angeordneten Mit den Chancen für neue Arbeitsplätze sind natür- Bergbaus. Niemandem wäre damit gedient, wenn die lich auch neue Ausbildungsplätze verbunden: Selbstver- „weißen“ Bereiche der RAG ausbluten müssten, um ständlich sollen doch junge Menschen in Berufen ausge- nachträglich für die Fehler jahrzehntelanger Subventions- bildet werden, die es auch in Zukunft geben wird. Dafür politik zu haften. ist ein staatsfreies Unternehmen denkbar besser geeignet als eine Branche, die allein noch durch staatliche Zu- schüsse künstlich am Leben gehalten wird. Ulla Lötzer (DIE LINKE): Es ist schon bezeichnend, wenn in den letzten Wochen mehr über die Zukunft von Zu den Forderungen der Zulieferindustrie nach Bei- Werner Müller als über die Zukunft der Menschen im behaltung eines Referenzbergbaus ist zu sagen, dass ihr Ruhrgebiet diskutiert wird. In dem Gerangel um die Wunsch, vor der eigenen Haustür Kohlebergwerke zum Machtstellung eines Herrn Müller gehen die Bedürfnisse Testen ihrer Fördertechnologie zu erhalten, verständlich und Nöte der Menschen im Ruhrgebiet völlig unter. ist. Unverständlich ist jedoch, dass die Zulieferindustrie erwartet, dass alle Steuerzahler in Deutschland ihr diese Wochenlang fanden Debatten darüber statt, ob die Demonstrationsanlagen bezahlen. Wenn die Bergma- Degussa an Lanxess oder die STEAG an RWE verhökert schinenindustrie – die bereits heute über 80 Prozent ihres werden sollen. Herr Müller soll dem Stahlkonzern Ar- Umsatzes im Ausland erzielt – ihre Maschinen in deut- celor-Mittal, ohne Zustimmung des Aufsichtsrats, eine schen Kohlegruben ausprobieren will, darf das nicht zu- Option auf die Übernahme der RAG-Tochter Saar Fern- lasten der Steuerzahler gehen. gas eingeräumt haben. Die Filetierung des Konzerns Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 101. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Mai 2007 10439

(A) wurde sowohl von der nordrhein-westfälischen Wirt- von Systemen und Komponenten für die Offshore-Wind- (C) schaftsministerin, Frau Thoben, als auch den Grünen im- energie, genutzt werden. Um dies zu nutzen, bedarf es mer präferiert, weil das mehr einbrächte. Eine Filetie- jedoch einer gezielten Ansiedelungsstrategie. Auch in rung würde jedoch noch mehr Arbeitsplätze vernichten. der energetischen Häusersanierung gibt es im Ruhrge- biet nachweislich einen hohen Arbeitskräftebedarf und Mit der Verständigung der Koalitionsfraktionen am gute Kenntnisse. Den Bergleuten muss dafür nur ein 14. Mai, den weißen Bereich der RAG als integrierten Qualifizierungsangebot gemacht werden. Konzern an die Börse zu bringen, traten diese Gerüchte erst einmal wieder in den Hintergrund, um gleich von ei- nem neuen abgelöst zu werden: So soll es Geheimge- Kerstin Andreae (Bündnis 90/Die Grünen): Es ist spräche zwischen Gazprom und RAG über einen Ein- gut, dass es jetzt wenigstens einen Beschluss über das stieg des russischen Energiekonzerns bei der RAG Auslaufen der Steinkohlesubventionen bis 2018 gibt. geben. Da verhandelt dann ja wohl der ehemalige Bun- Allerdings sind wir der Meinung, dass es besser wäre, deskanzler mit seinem ehemaligen Wirtschaftsminister. die Steinkohlesubventionen bereits 2012 auslaufen zu Natürlich werden die Gerüchte gleich wieder dementiert, lassen. Nach Zahlen des BMWi können bei einem frühe- was jedoch bleibt ist, ist eine Gewissheit: Es wird einige ren Börsengang 20 Milliarden Euro eingespart werden. wenige Gewinner bei den Geschäften geben und viele Diese Gelder könnten sinnvoller für Zukunftsenergien, Verlierer, nämlich die Arbeitnehmerinnen und Arbeit- Klimaschutz und die vielen ungelösten Altlastenpro- nehmer. bleme, wie der Sanierung der stillgelegten Schacht- anlagen in NRW und anderswo ausgegeben werden, Dieses Hin und Her zeigt nur eins: Die Zukunft der auch im Sinne der Schaffung zukunftsfähiger Arbeits- Menschen, die im weißen Bereich arbeiten, wird ebenso plätze. mit Füßen getreten wie die Zukunft der Bergleute. Ma- chen wir uns doch nichts vor, wenn der weiße Bereich an Es macht in der Tat keinen Sinn, die Subventionen bis die Börse gebracht wird und den reinen Profitinteressen 2018 weiterlaufen zu lassen. Nach dem vorliegenden des Shareholder-Value unterworfen wird, wird dies auto- KPMG-Gutachten zur Bewertung der Stillsetzungskos- matisch zu Arbeitsplatzverlusten führen. Auch die Vor- ten und der Ewigkeitslasten liegen die Kosten der Still- bereitung des Konzerns auf den Börsengang hat doch be- legung für die Termine 2012, 2014, 2016 und 2018 in reits Tausende von Arbeitsplätzen gekostet. Da die gleicher Höhe, nämlich bei 14 Milliarden Euro. In kei- Personalkosten die Höhe der gesamten Betriebskosten nem der Fälle wird es zu betriebsbedingten Kündigun- mitbestimmen, die in den verschiedenen Berechnungs- gen kommen. modellen den Shareholder-Value zum Teil beträchtlich Die Koalitionen in Berlin und Düsseldorf verfolgen beeinflussen, wächst der Druck, diesen Faktor kontinu- (B) stur das Ziel eines Börsengangs des sogenannten weißen (D) ierlich zu senken. Was interessiert den Shareholder die Bereichs, also der Degussa, der STEAG und der RAG Existenz der Beschäftigten und ihrer Familien? Nichts! Immobilien, als Konglomerat, obwohl jeder weiß, dass Das einzige, was zählt, ist Rendite, Rendite und noch dies mit einem erheblichen Ertragsabschlag verbunden einmal Rendite. wäre. Schon heute liegen Gebote nur für die Degussa In der letzten Woche wurde bekannt, dass die RAG vor, die den geschätzten Gesamterlös des Börsengangs den Bundesanteil an der RAG Immobilien aufkauft. Da- als Konglomerat übertreffen! mit verstärkt sich die Gefahr, dass auch dieser Wohnbe- Der RAG argumentiert mit der strukturpolitischen stand den Heuschrecken ausgeliefert werden wird. Auch Bedeutung der Schaffung eines neuen Dax-Konzerns im der besondere Schutz der Bergleute, die in diesen Woh- Ruhrgebiet für die Weiterführung des weißen Bereichs nungen leben ist damit gefährdet. als Konglomerat. Dieses Argument relativiert sich je- Gleichzeitig werden dem Ruhrgebiet keine Perspekti- doch dadurch, dass die drei Bereiche Spezialchemie, ven für die Zukunft eröffnet. 3 000 Ausbildungsplätze Stromerzeugung und Immobilien sowohl bei der Veräu- sind akut gefährdet. Bisher verliert die RAG kein Wort ßerung im Konglomerat wie auch bei Veräußerung als darüber, die Auszubildenden zu übernehmen. Und die einzelne Unternehmen aller Voraussicht nach an ihren Landesregierung kümmert sich auch nicht darum, was Standorten erhalten blieben. Der Sitz der Degussa AG mit den Jugendlichen passieren soll. Im Kohlekompro- wäre weiterhin Düsseldorf. Die STEAG AG hat ihren miss vom Februar dieses Jahres findet sich kein Wort zur Sitz ohnehin in Essen, die RAG Immobilien AG auch. Förderung von Ersatzarbeitsplätzen. Ausdrücklich ruft Die zusätzliche Wertschöpfung am Standort Essen durch der nordrhein-westfälische Ministerpräsident einen Fortführung der Holding an diesem Standort wäre ge- Wettbewerb der Regionen um Fördermittel aus. Nach ring. dem Willen der Landesregierung kann das Ruhrgebiet Ein weiterer Wertverlust wird sich durch die dauer- ruhig absaufen, ein besonderes Strukturprogramm soll es hafte Beteiligung der Stiftung von geplanten 30 Prozent nicht geben. Auch die Bundesregierung will nur Subven- an dem Konglomerat ergeben. Welcher Investor wird In- tionen einsparen. Auch von ihr sind keine Mittel oder teresse an der Beteiligung an einem so weitgehend poli- Maßnahmen für Ersatzarbeitsplätze geplant. tisch beeinflussten Unternehmen haben? Wir halten Damit werden jedoch die vorhandenen Potenziale der nichts davon. Die Stiftung sollte die Unternehmen ver- Region einfach ignoriert. Das Wissen im industriellen äußern und sich mit dem Erlös um die Bergbaufolgelas- Anlagenbau in der Region kann in neuen Technologiebe- ten kümmern. Im Kuratorium muss auf jeden Fall ein reichen, wie zum Beispiel der Entwicklung und dem Bau Vertreter der Bergschadensbetroffenen vertreten sein. 10440 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 101. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Mai 2007

(A) Werner Müller rechnet mit einem Erlös aus dem Bör- reichend Zeit zur Umstellung auf die neuen recht- (C) sengang als Konglomerat von 5,9 Milliarden Euro. Der lichen Anforderungen zu geben. Barwert der Stillsetzungs- und Ewigkeitskosten wird bei rund 14 Milliarden Euro liegen. Wie soll sichergestellt b) Der Bundesrat weist jedoch darauf hin, dass eine werden, dass die öffentliche Hand nicht in die Zahlungs- rasche Umsetzung nicht zu Lasten der Aufsichts- pflicht genommen wird? Die große Koalition war ja so standards im deutschen Börsen- und Kapital- großzügig, sich für den Bund gegenüber NRW mit ei- marktrecht gehen darf. Der Bundesrat hält es nem Drittel an möglichen Kosten zu beteiligen. vielmehr für dringend erforderlich, die Melde- pflichten im Wertpapierhandelsgesetz auch zu- Die Bundesregierung und die Landesregierung in künftig auf alle mit Finanzinstrumenten handeln- NRW stehen in der Pflicht, die Risiken zu minimieren, den inländischen Handelsteilnehmer zu Erlöse für Zukunftsinvestitionen zu maximieren und we- erweitern, statt lediglich auf Wertpapierdienst- nig produktive Subventionen so schnell wie möglich zu leistungsunternehmen zu beschränken. beenden. Deshalb sollten die Subventionen 2012 auslau- fen, der weiße Bereich sollte von der Stiftung getrennt c) Der Bundesrat hält es ferner für notwendig, die werden, optimal veräußert und in zukunftsfähige unter- Aufsichtsstandards für Waren und Warenderi- nehmerische Strukturen integriert werden. vatebörsen, besonders im Bereich des rasch Wie das „Handelsblatt“ heute schreibt, wird der Bör- wachsenden Energiehandels, weiterzuentwickeln sengang derzeit durch den Kampf zweier eitler Männer und an die bewährten Standards im Wertpapier- gefährdet, wer denn nun Chef der Steinkohlenstiftung bereich anzugleichen. Das ist eine unabdingbare werden soll: Werner Müller, unterstützt von der SPD auf Voraussetzung für eine bessere Marktaufsicht, die der einen, und Jürgen Rüttgers, unterstützt von Kanzle- Steigerung des Vertrauens in eine wettbewerbsge- rin und Union auf der anderen Seite. Der Börsengang rechte Preisbildung sowie eine größere Markt- droht zur Posse zu verkommen. Das muss sofort aufhö- transparenz und -integrität. Die Erfahrungen ge- ren. Es geht um eine wichtige strukturpolitische Ent- rade im börslichen Stromgroßhandel zeigen, dass scheidung und nicht um die Installation eines neuen Waren und Warenderivate besser von dem beste- Ruhrbarons. henden aufsichtsrechtlichen Rahmen erfasst wer- den müssen, so dass den zuständigen Aufsichts- behörden alle Instrumente für eine wirksame Anlage 12 Kontrolle etwaigen missbräuchlichen Verhaltens zur Verfügung stehen. Das gilt für die Melde- Amtliche Mitteilungen pflichten und die Möglichkeiten der Insiderüber- (B) (D) Der Bundesrat hat in seiner 833. Sitzung am 11. Mai wachung, die bei Warenderivategeschäften, so- 2007 beschlossen, den nachstehenden Gesetzen zuzu- weit sie an organisierten Märkten getätigt werden stimmen bzw. einen Antrag gemäß Artikel 77 Abs. 2 des oder über sie abgewickelt werden, ausgeweitet Grundgesetzes nicht zu stellen: werden müssen. Es ist außerdem erforderlich, da- bei in geeigneter Weise auch Warengeschäfte ein- – Gesetz zur Änderung des Absatzfondsgesetzes zubeziehen, die Basiswerte von Finanzinstrumen- und des Holzabsatzfondsgesetzes ten im Sinne der Finanzmarktrichtlinie sind und – Drittes Gesetz zur Änderung des Künstlersozial- an organisierten Märkten getätigt werden. Das versicherungsgesetzes und anderer Gesetze Schließen dieser Regelungslücken würde dazu beitragen, das Gütesiegel besonders guter Auf- – Gesetz zu der Akte vom 29. November 2000 zur sichtsstandards, das mit börslichen Marktplätzen Revision des Übereinkommens vom 5. Oktober allgemein verbunden wird, auch für Waren- und 1973 über die Erteilung europäischer Patente Warenterminbörsen besser zur Geltung zu brin- (Europäisches Patentübereinkommen) gen. – Gesetz zur Umsetzung der Akte vom 29. Novem- d) Der Bundesrat begrüßt, dass die Bundesregierung ber 2000 zur Revision des Übereinkommens über den Handlungsbedarf bei der Weiterentwicklung die Erteilung europäischer Patente der Aufsichtsstandards besonders für Waren- und – Gesetz über die Feststellung des Wirtschaftsplans Warenderivatemärkte grundsätzlich anerkennt. Er des ERP-Sondervermögens für das Jahr 2007 begrüßt darüber hinaus die Ankündigung der (ERP-Wirtschaftsplangesetz 2007) Koalitionsfraktionen im Bundestag, weitergehende Regelungen für den Energiemarkt durch eine – Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie über Märkte generelle Überarbeitung der Regulierungsvor- für Finanzinstrumente und der Durchführungs- schriften treffen zu wollen (Bundestagsdrucksa- richtlinie der Kommission (Finanzmarkt-Richtli- che 16/4899). Der Bundesrat sieht die Schaffung nie-Umsetzungsgesetz) zeitgemäßer regulatorischer Rahmenbedingungen a) Der Bundesrat erkennt die Bemühungen der Bun- in diesem Bereich auch als einen wichtigen desregierung an, die Finanzmarktrichtlinie zügig Standortfaktor an. Der Bundesrat fordert die Bun- in deutsches Recht umzusetzen, um den betroffe- desregierung daher auf, alsbald Eckpunkte für ei- nen Wertpapierdienstleistungsunternehmen im nen Gesetzesentwurf vorzulegen, und bittet sie, Hinblick auf das Inkrafttreten der Richtlinie aus- die betroffenen Länder hierbei einzubeziehen. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 101. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Mai 2007 10441

(A) Die Abgeordnete Margareta Wolf (Frankfurt) hat Ausschuss für Wirtschaft (C) mitgeteilt, dass sie ihre Unterschrift auf dem Antrag und Technologie Flugverkehrskonzept für den Großraum Berlin Drucksache 16/820 Nr. 1.30 überprüfen – Flughafen Berlin-Tempelhof offenhal- Drucksache 16/820 Nr. 1.31 Drucksache 16/3196 Nr. 1.32 ten auf Drucksache 16/4813 zurückzieht. Drucksache 16/3196 Nr. 1.37 Drucksache 16/3196 Nr. 1.40 Drucksache 16/3196 Nr. 1.45 Die Vorsitzende des folgenden Ausschusses hat mit- Drucksache 16/3196 Nr. 1.50 geteilt, dass der Ausschuss gemäß § 80 Abs. 3 Satz 2 der Drucksache 16/3382 Nr. 2.8 Geschäftsordnung von einer Berichterstattung zu der Drucksache 16/3382 Nr. 2.18 Drucksache 16/4501 Nr. 2.2 nachstehenden Vorlage absieht: Drucksache 16/4501 Nr. 2.3 Drucksache 16/4501 Nr. 2.4 Drucksache 16/4501 Nr. 2.5 Ausschuss für Gesundheit Drucksache 16/4501 Nr. 2.6 Drucksache 16/4501 Nr. 2.7 – Unterrichtung durch die Bundesregierung Drucksache 16/4501 Nr. 2.13 Aktionsplan zur Umsetzung der HIV/AIDS-Bekämp- Drucksache 16/4501 Nr. 2.15 fungsstrategie der Bundesregierung Drucksache 16/4501 Nr. 2.21 – Drucksache 16/4650 – Drucksache 16/4819 Nr. 1.5 Drucksache 16/4939 Nr. 2.7

Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und mitgeteilt, dass der Ausschuss die nachstehenden EU- Verbraucherschutz Vorlagen bzw. Unterrichtungen durch das Europäische Drucksache 16/4501 Nr. 2.41 Parlament zur Kenntnis genommen oder von einer Bera- Drucksache 16/4939 Nr. 2.3 tung abgesehen hat.

Ausschuss für Arbeit und Soziales Auswärtiger Ausschuss Drucksache 16/4105 Nr. 2.12 Drucksache 16/4105 Nr. 1.15 Drucksache 16/4258 Nr. 1.5 Drucksache 16/4105 Nr. 1.17 Drucksache 16/4258 Nr. 2.16 Drucksache 16/4105 Nr. 2.48 Drucksache 16/4501 Nr. 2.25 Drucksache 16/4105 Nr. 2.50 Drucksache 16/4501 Nr. 2.32 Drucksache 16/4105 Nr. 2.74 Drucksache 16/4635 Nr. 2.4 (B) Drucksache 16/4105 Nr. 2.79 Drucksache 16/4819 Nr. 1.16 (D) Drucksache 16/4105 Nr. 2.80’ Drucksache 16/4819 Nr. 1.23 Drucksache 16/4501 Nr. 1.3 Drucksache 16/4501 Nr. 2.20 Drucksache 16/4501 Nr. 2.35 Ausschuss für Familie, Senioren, Drucksache 16/4501 Nr. 2.36 Frauen und Jugend Drucksache 16/4501 Nr. 2.37 Drucksache 16/4501 Nr. 2.38 Drucksache 16/4635 Nr. 2.13 Drucksache 16/4501 Nr. 2.48 Drucksache 16/4501 Nr. 2.50 Drucksache 16/4635 Nr. 2.3 Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Drucksache 16/4635 Nr. 2.11 Drucksache 16/4635 Nr. 2.16 Drucksache 16/4819 Nr. 1.10 Drucksache 16/4819 Nr. 1.15 Drucksache 16/4939 Nr. 2.15

Finanzausschuss Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Drucksache 16/4819 Nr. 1.9 Drucksache 16/4819 Nr. 1.22 Drucksache 16/1942 Nr. 2.18

Gesamtherstellung: H. Heenemann GmbH & Co., Buch- und Offsetdruckerei, Bessemerstraße 83–91, 12103 Berlin Vertrieb: Bundesanzeiger Verlagsgesellschaft mbH, Amsterdamer Str. 192, 50735 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Telefax (02 21) 97 66 83 44 ISSN 0722-7980