ZVS 2017-10 Menschen in Beruf, Handel und Handwerk (8) Barbara Stadtfeld-Ehlen: Ein reichhaltiges Leben als Hausfrau und Mutter

Hubert Jates

Hausfrau und Mutter ist ein derartig wertvoller und bedeutender Beruf, dass man ihn fast als „Königin der Be- rufe“ bezeichnen kann. Alleine schon die Fürsorge, die Wärme und Obacht einer Mutter vermitteln Geborgenheit und Liebe, die ein jeder von uns zum Wachstum benötigt

Im März 2017 besuchte ich die 105-jäh- rige Barbara Stadtfeld-Ehlen (a Weesen) aus Hallschlag (Halzesch), die aus ih- rem langen Leben in erstaunlicher Fri- sche berichtete. Sie wurde am 1. Okto- ber 1911 als viertes von 7 Kindern der Eheleute Peter und Luzia Ehlen-Fuhrt in Hallschlag geboren. Ein Kind starb kurz nach der Geburt, derzeit lebt noch eine Schwester in Merzig/Saar im ho- hen Alter von 96 Jahren. Die Eltern betrieben eine kleine Landwirtschaft mit zwei Kühen, einem Schwein, zwei Ziegen, einigen Hühnern und einem Hahn. Der Vater starb bereits 1922, im Alter von nur 38 Jahren, an den Folgen einer Vergiftung durch seine Arbeit in der Munitionsfabrik „Espagit“ in Kehr. Die Mutter hatte dadurch viel Mühe und Probleme, die vaterlose Die Hallschlager Glocken stehen 1942 zum Abtransport in die Schmelzöfen bereit. Familie mit 6 Kindern und der Oma (Alle Fotos: Sammlung Horst Stadtfeld) überhaupt durchzubekommen. Mut- ter und Oma umsorgten die 6 Kinder die Familie des Dorfschmieds Ströder Das Essen war mehr als dürftig und so gut es eben ging. Alle acht schliefen mit 7 Kindern, daneben die Familie knapp. So aßen sie Kohlrabistückchen in einem Raum. Hack (a Schnegder) mit 6 Kindern (von zwischen zwei Brotscheiben und war- denen noch eins lebt). Also in 5 Nach- me „Brotsuppe“, d.h. Brotstücke in Eine Kindheit in Armut barshäusern waren sage und schreibe warmem Wasser mit etwas Maggi ge- 37 Kinder! würzt. Als Brotaufstrich gab’s Kunst- Barbaras Kindheit fand sehr viel honig und Rübenkraut, aber auch draußen statt - es wurde im Dreck Barbara besuchte die Volksschule kleingehackte Stachelbeeren oder gespielt und gejuxt! Möhren wurden in Hallschlag bis zum 8. Jahr. Schon Johannisbeeren mit etwas Zucker da- ganz frisch genascht: aus dem Garten als Kleinkind mussten sie und ihre rauf, dass war dann schon „was Bes- gerupft, kurz am feuchten Gras abge- Schwestern tüchtig mithelfen, z.B. im seres“. Ab und zu gab’s auch Stock- wischt und rein gebissen. In direkter Wald „in die Schanzen“ zum Brotba- fisch. Dieser besorgte ihnen Nachbar Nachbarschaft der Ehlens (5 Kinder) cken. In den Kriegsjahren mussten die Paul, ein Schreiner, der „auf der war immer und allerhand was los. Kinder oft im Wald Säcke voll Blätter Walz“ gewesen war und sich später In einem Haus wohnte die Familie sammeln, die dann an die im Krieg in Hallschlag niedergelassen hatte. Er Michel und Margarete Leisen mit 11 eingesetzten Pferde verfüttert wurden stammte aus Pommern, wohin er hin Kindern, gegenüber die Schreinerfa- - eine mühsame und schwere Arbeit und wieder zurückkehrte. Von dort milie Kaufmann mit 7 Kindern, dann für kleine Mädchen. brachte er die getrockneten Fische mit. 215 ZVS 2017-10 Im Sommer wurde die Butter gut hilfinnen verdingt, u.a. nach Baasem Die eigene junge Familie und in Butterpapier eingepackt und da- und Köln. So wurden „Kostgänger“ der Krieg nach in Tücher gewickelt. Die Kinder eingespart. trugen sie dann zum Kühlen zum Fangbach, einem kleinen Bächlein im Als Pflegekind zu Onkel und Josef stammte aus einer Großfamilie Ort. Die Mutter verkaufte die Butter Tante von 9 Kindern. Sein Vater verstarb zumeist an fahrende Händler. Frau schon 1911. Auch dort hatte dann die Stadtfeld erinnerte sich noch gut, dass Mit 10 Jahren kam Barbara zu den Mutter eine schwere Bürde zu tragen. die Oma ein einziges gekochtes Hüh- Pflegeeltern, Onkel Josef und Tante Josef musste daher auch schon sehr nerei an sie als Kinder verteilte. Elisabeth Fuhrt-Schmitz, die am an- früh mithelfen. So fuhr er das Getrei- deren Ende des Dorfes („Im Lohr“, de mit dem Ochsengespann zur Hall- Im Herbst war die große Kohlernte in Richtung Losheim) wohnten. Sie schlager Mühle Fuchs. Dabei kam er angesagt. Dabei wurden Unmengen hatten keine Kinder. Barbara musste immer „Im Lohr“ vorbei, wo die Bar- an Sauerkraut hergestellt. Die Kinder viel mit anpacken, sogar bei der har- bara ja bei den Pflegeeltern wohnte. mussten dann der Mutter beim „rap- ten Feld- und Ackerarbeit - selbst den Nach mehrmaligem ausschließlichem pen“ durch die „Schav“ (Kohlhobel) Pflug musste sie drehen. Die Tante Blickkontakt traute sich Josef dann, helfen. Anschließend kam das Kraut war recht streng und oft hatte Barba- und fragte Barbara nach etwas Wasser in hohe Tonkrüge, wurde gesalzen, ra Heimweh. Daher lief sie nach der für seine Fahrrad-Karbidlampe. gestampft und mit einem Brett und Schule noch schnell bei der Mutter einem „Wackelstein“ belastet. So gärte vorbei, was natürlich die Tante nicht Aus den ersten zaghaften Kontakten das Kraut bis zur Reife und zum Ver- wissen durfte. entstand ein inniges und langjähriges zehr. Eheverhältnis, das am 12. Mai 1934 Als Jugendliche war Barbara begeis- feierlich in der St.-Nikolaus-Pfarrkir- Frau Stadtfeld erzählte auch von der terte Sängerin im örtlichen Chor und che von Hallschlag besiegelt wurde. Weberei Anfang der 1920er Jahre besuchte regelmäßig die Proben. Nach Bereits im Februar 1935 wurde die in Hallschlag. In jedem Jahr, in der der Chorprobe holte die gestrenge Tochter Elisabeth geboren, die heute Herbst- und Winterzeit, trafen sich Tante sie immer persönlich ab. Das ge- in Kerpen/Köln lebt. Sohn Horst kam einige Frauen bei Familie Igelmund fiel Barbara auf Dauer nicht, da sie in- 1939 zur Welt, er wohnt mit seiner zum Leinenweben. Aus Leinen wur- zwischen ein Auge auf Josef Stadtfeld Gattin Marlies nebenan. den Kleider und Bettzeug hergestellt. (*2. Juni 1909) aus Losheim geworfen Familie Igelmund besaß den dafür nö- hatte. Josef Stadtfeld wurde 1935 zur soge- tigen Webstuhl. Einige ihrer Schwes- nannten „Grenzwacht“ eingezogen. tern waren bereits als Haushaltsge- Diese bewachte den Westwall an

Hochzeit von Josef Stadtfeld und Barbara Ehlen am 12. Mai 1934. 216 ZVS 2017-10 der Grenze sowie die neu erbauten Bunker. Die Wache geschah in zwei Schichten von je 12 Stunden. Josef war hauptsächlich im Raum am „Goldberg“ im Einsatz. Ab 1937 muss- te er zur militärischen Ausbildung nach Paderborn. Kurz vor der Geburt des Sohnes wurde er zum Polenfeld- zug abkommandiert. 1940 kam er in Frankreich zum Einsatz und ab April 1941 machte er den Russlandfeldzug ab Tilsit (Ostpreußen) mit. Sein Ba- taillon wurde 1943 auf die schweren Granatwerfer „Ka12“ umgestellt. Mit der Einheit blieb er an der eisigen Ost- front bis zur Kapitulation, geriet in russische Gefangenschaft, die 4 Jahre andauerte. Erst im Juni 1949 kam er, schwer an Leib und Seele gezeich- net, wieder nach Hause zurück. Sohn Horst ergänzte: „Ich sah auf einmal ei- nen abgemagerten Mann in zerlump- ter Kleidung im Hof stehen, den ich nicht kannte. Es war mein Vater, den ich zum ersten Mal sah!“

In Hallschlag, Richtung Ormont, be- fand sich ein RAD-Lager (Reichsar- beitsdienst), in dem zwischen 1942 und 1945 russische Gefangene un- tergebracht waren. Die Gefangenen konnten zum Arbeitsdienst in den Bauernfamilien eingesetzt werden, deren Männer im Krieg waren. Die Barbara Stadtfeld mit Tochter Elisabeth und „Jott” (1938). Gefangenen wurden am Morgen ge- gen Unterschrift abgeholt und nach den beiden Kindern von so dass man 1951 wieder einziehen getaner Arbeit am Abend wieder zu- nach Hause zurück. Dort war alles konnte. Danach betrieb er die kleine rückgebracht. Frau Stadtfeld erinnerte zerschossen und zertrümmert. Landwirtschaft und arbeitete bei ver- sich an diese „armen Schlucker“ und schiedenen Hoch- und Tiefbaufirmen ihre bittenden Gesten. Wiederaufbau der Gegend, bis zur Rente 1974.

Barbara musste in der Kriegszeit zwei- In den Nachkriegsjahren musste Bar- Schmuggel mal flüchten: einmal zu Kriegsbeginn bara für die 2 Kinder sowie Onkel (Sept. 1939), als die Familien mit Kin- und Tante Fuhrt sorgen. Sie hielt sich Ein guter und willkommener „Ne- dern und die älteren Leute am West- über Wasser, indem sie für die Zöllner benverdienst“ war in den Nachkriegs- wall die Heimat verlassen mussten, kochte, die aufgrund der nahen Gren- jahren natürlich das Schmuggeln. so auch die hochschwangere Barbara ze hier Dienst taten. Es waren zumeist Hierfür war die nahe Grenze wie mit Tochter Elisabeth. Sie flohen per Junggesellen, die sich besonders über geschaffen! Kaffee, Pudding, Zigaret- Güterzug nach Wolfenbüttel/Nieder- eine tägliche warme Mahlzeit freuten. ten und Tabak waren die begehrten sachsen, konnten aber nach einem Artikel. Dabei ahnten die Zöllner na- Monat wieder nach Hause zurück. Im Barbara betrieb auch die kleine Land- türlich etwas. Aber man konnte ja hier September 1944 floh die Familie nach wirtschaft der Fuhrts - ein guter Ne- und da auch mal ein Auge zudrücken, Wiesbaum (). Mit einem benverdienst. Sie kochte viel für Frem- zwinkerte Frau Stadtfeld. von zwei Kühen gezogenen Karren de und Vorbeifahrende und unterhielt konnten sie beim dortigen Pfarrer einen kleinen Garten, damit immer Ab Krewinkel (Reiters Chrest) wurden unterkommen. Ab und zu musste das Nötigste zum Essen vorhanden etwa 10 kg Kaffee pro nächtliche Tour sie nach Hause zurück, um Nötiges war. (pro Person) geschmuggelt. Es ging zu holen. Das waren mühselige und über Stock und Stein, durch Wasser angstvolle Wege, da Reisende bzw. Ihr Mann Josef baute nach seiner und Schlamm. Im Winter spürte man Flüchtende immer unter Beschuss wa- Rückkehr aus der Gefangenschaft vor lauter Aufregung keine Kälte. Ihre ren. Im April 1945 kehrte Barbara mit das Haus in Eigenleistung wieder auf, Tante Fuhrt betete dann immer vor 217 ZVS 2017-10 Tipps zum alt werden?

Barbara meinte, ihr Blutdruck sei heute noch wie vor 50 Jahren: 130 zu 85. Daher meinte Sie zum Hausarzt: „Üren Apparat oss secher kappott, ech ha jo noch logter de sälwejen!“ Bisher hatte sie noch keine einzige Operation und keine schwere Krankheit. Ab und zu gönnt sie sich ein Gläschen vom selbst gemachten „Opjesatte“.

Mit 95 Jahren hätte sie „dem aalen Her- jott“ gesagt: „Ich würde gerne 105 Jah- re alt.“ Die erreichte sie ohne Mühe. Sie meinte lachend: „Mama wurde ja auch 98! Dat schengt bij oss ene jode Schlar ze seen!“ Haus Ehlen 1949, Barbaras Elternhaus. brennender Kerze den Rosenkranz. Diamantene Hochzeit, 1999 Eiserne Eines Abends vergaß sie die Kerze Hochzeit und 2004 Gnaden-Hochzeit. auszublasen, so dass das Nachttisch- Im Jahre 2006, am 26. Juni, verstarb chen fast verbrannte. Ein dadurch Josef im hohen Alter von 97 Jahren. halb versengtes Gebetbuch besitzt Barbaras Pflegeeltern sind schon frü- Barbara heute noch. her verstorben: Josef Fuhrt 1961 mit 83 Jahren, seine Frau Elisabeth Schmitz Einmal hatte sie den Kaffee etwa 200 1985 mit 85 Jahren. Barbaras Mutter Meter vom Haus in einem Kanalrohr Luzia starb hochbetagt mit 98 Jahren versteckt. Nach einem starken Gewit- im Jahre 1978. ter war das kostbare Schmuggelgut natürlich fortgeschwommen. Den ge- Heute wohnt Barbara im Nachbar- schmuggelten Kaffee verkaufte sie auf haus bei ihrem Sohn Horst und seiner einer regelmäßigen Fahrradtour an Frau Marlies. Sie erledigt „kleine Sa- Verklärter Herbst treue Kunden in der bis hinauf chen“ immer noch eigenständig. Zur nach Hillesheim. Ihr Verdienst lag bei Familie gehören zudem 4 Enkelsöhne Gewaltig endet so das Jahr 5 DM/Pfund. mit Familien und 7 Urenkel. Mit goldnem Wein und Frucht der Gärten. Barbara und Josef Stadtfeld durften Rund schweigen Wälder wunderbar in späten Jahren mehrere Ehejubi- Und sind des Einsamen Gefährten. läen feiern: 1984 Goldhochzeit, 1994

Da sagt der Landmann: Es ist gut. Ihr Abendglocken lang und leise Gebt noch zum Ende frohen Mut. Ein Vogelzug grüßt auf der Reise.

Es ist der Liebe milde Zeit. Im Kahn den blauen Fluss hinunter Wie schön sich Bild an Bildchen reiht - Das geht in Ruh und Schweigen unter.

Georg Trakl (1887-1914)

Das Nachbarhaus Leisen um 1940. 218