Zeit Im Osten 8
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16 ZEIT IM OSTEN 8. Juli 2021 DIE ZEIT No 28 »Der Krieg muss und wird gewonnen werden. Es soll sich kein Deutscher einbilden, »12 Uhr griff der Iwan dass der Russe an. Ein hartes Gefecht, anständig ist.« er wurde vernichtet.« Tagebucheintrag von Walter Fritzsch, 31. Januar 1945 Tagebucheintrag vom 26. Dezember 1941 Die Aufnahme zeigt Kriegsszenen aus der Schlacht Mit 2000 Panzern und 900.000 Soldaten überfiel von Kursk, 500 Kilometer südlich von Moskau die Wehrmacht im Juli 1943 sowjetische Truppen Walter Fritzsch, geboren 1920, gestorben 1997 Ein Leben, zwei Ideologien inmal ist mir die Legende per- schmeidig durch das deutsche 20. Jahrhundert wie 1940 führt eine Wettkampfreise in die nun- 8. Oktober: »Ruhetag, 4 Eier von unserer Wirtin den Iwan kitzeln.« 7. August: »Jeden Tag Überläu- sönlich begegnet. Am 20. Juni der von Walter Fritzsch. mehr reichsdeutsche »Ostmark«, zu Rapid Wien. gekauft, Eierkuchen gebacken. Wenn man bei den fer vom Iwan.« 1971 stand Dynamo Dresdens Jetzt kann man das lesen und betrachten. Tagebuch In Eger (jetzt »Reichsgau Sudetenland«) unterlie- russischen Öfen zu heiß feuert, brennt gleich das Am 2. Oktober ein singulärer Eintrag: »Besuch Meistertrainer Walter Fritzsch auf für Walter Fritzsch heißt ein biografischer Prachtband, gen die Planitzer der Nationalsozialistischen ganze Haus ab.« 9. Oktober: »5 Uhr wecken, 20 Kilo- der bunten Bühne (...) gibt auch Vorstellungen auf dem Gipfel des Ruhms. Nein, er veröffentlicht vom Dresdner Fußball-Enzyklopä- Turngemeinde, im Tschammer-Pokal schlagen meter, 7000 russischen Gefangenen begegnet.« russisch. Ein ukrainischer Sängerchor singt in den saß, auf einer Kabinenbank im disten und Zeitgeschichtler Uwe Karte. Der eigent- sie den Luftwaffensportverein Pilsen. 10. Oktober: »35 Kilometer marschiert. Bei Ju- vordersten Gräben für die Kameraden auf der an- halleschen Kurt-Wabbel-Stadion, liche Autor des Fünfpfünders ist natürlich Fritzsch, Fritzsch notiert erst Politik, als er am 4. Ok- den übernachtet. Sehr sauber, leben bedeutend deren Seite.« Eumgeben von dampfenden Spielern, die in einer der ein Doppelleben führte, als Akteur und Chronist tober 1940 zum Infanterie- und Ausbildungs- besser als die Russen. Im Nebenquartier machte Das Tagebuch des Soldaten Fritzsch enthält keine Regenschlacht gegen den Berliner FC Dynamo seiner wechselvollen Existenz. 1920 geboren, schrieb bataillon nach Leisnig eingezogen wird. »Meine man bei den anderen Juden nachts eine Haus- sadistischen Genüsse. Auch Landserjargon wird ge- den FDGB-Pokal errungen hatten. Sekunden vor er seit 1938 Tagebuch, 57 Jahre lang. 1997 starb er, Rekrutenzeit verbrachte ich als Fernsprecher.« suchung, da zwei Landser ermordet worden waren.« zügelt, wobei man zu wissen fürchtet, was der Eintrag Schluss der Verlängerung köpfte Klaus Sammer kinderlos. Ein Koffer mit dem Nachlass-Konvolut Nun führt er regelmäßig sein Tagebuch für Wal- 28. November: »Das Dorf vor Sidki ohne einen vom 28. Dezember 1941 bedeutet: »10 Gefangene das 2 : 1. Platzsturm, schwarz-gelbe Ekstase. Im – fünf Dutzend penibel gefüllter Kladden – landete ter Fritzsch. Grüne Überschrift: »Soldatenzeit«, Schuss genommen. Der Iwan riss aus wie die Schafe.« abgeschmiert«. Es schreibt ein Protokollant. Fanvolksgetümmel ergatterte ich einen Fetzen 2005 auf abenteuerliche Art bei Uwe Karte. Der unterstrichen wie stets mit Lineal. 29. November: »13:30 Großangriff, einige Schuss 19. Juli 1942: »Sehr nettes Mittagessen, Pudding vom Trikot des Torwarts Kallenbach. Die Ordner, konnte die Sütterlin-Notate nicht entziffern. Mutter 22. August 1941: »Es geht gen Osten.« 5. Sep- Artillerie und dann ging es mit Maschinengewehr gekocht.« 20. Juli: »Im Bach gebadet. Post, Heinz ist proletarische Senioren, amüsierte mein roter Kas- Karte transkribierte. tember: »Früh 7 Uhr ging es von Dresden-Neu- und Hurra an die Sache. Hier hörte ich die ersten gestorben.« Das ist Walters Bruder! settenrecorder. Sie schoben mich in die Kabine der Zur Welt kommt Walter Fritzsch in Planitz, das stadt ab.« 6. September: »Posen, 18 Uhr über die Schmerzschreie meiner Kameraden. Vor mir rauschte 21. Juli: »Ruhiges Leben.« Man liest die tagtäg- Sieger. Ich streichelte den Pokal, Haustein, Dörner, 1944 nach Zwickau eingemeindet wird. Ein Indus- litauische Grenze. Man merkt es ganz deutlich, und pfiff es und knallte es. Ich kam mir vor, als wäre lichen Lapidaritäten eines intellektuell und seelisch Ganzera plauderten in mein zitterndes Mikrofon. trie-Revier, seit Generationen von der Steinkohle dass man schon außerhalb Deutschlands ist.« ich im Kino. Jetzt kamen 20-30 Russen vor meinem sehr schlicht uniformierten Menschen, der vermut- Dann spendete mir Walter Fritzsch eine Spiel- geprägt. Vater Ernst ist Bergmann; er stirbt 1935, mit 7. September: »Wilna ist ein schönes Städtchen, mit MG. Auf einmal schrie der Leutnant zu mir – ich soll lich Gründe hat, nicht ausführlicher zu werden. analyse in westsächsischer Mundart. Ich war selig, 42 Jahren. Mutter Ella hinterbleibt mit den Söhnen sauberen Straßen und vielen Kirchen.« Dagegen die schießen – denn es gab bei uns erst noch die Feuer- »Walter Fritzsch gehörte zur 18. Pan zer divi- der hyperkritische Trainer leidlich zufrieden. Gerhard, Heinz und Walter. Letzteren haben die El- Kaserne: »2 Klosetts für 300 Mann, eine Waschan- erlaubnis. Dann ratterte mein 34er das erste Mal auf sion«, kommentiert der Theologe Frank Richter. Das ist nun ein halbes Jahrhundert her. Ich war tern im Alter von sechs Jahren beim Planitzer SC lage genauso, also auf deutsch gesagt – Schweinerei. den Feind.« »Diese beging, wie Militärhistoriker berichten, damals fünfzehn, Fritzsch fünfzig Jahre alt. Dreißig angemeldet. Fußball ist kein Beruf, Walter lernt Waa- Die Juden brachten uns ihre Schieberware (...) Viele Wie im Kino? schwere Kriegsverbrechen. (...) Die Soldaten, die Jahre zuvor hatte er als Panzergrenadier und MG- gerecht-Bohrer im Horch-Werk der Auto Union AG. unserer Kameraden wurden von den Juden ermor- Der Feind heißt Iwan. Zweiter Weihnachtstag: ihm an der Front gegenüberstehen, erscheinen Schütze der Wehrmacht die Sowjetunion überfallen. Alle Freizeit gehört dem Sport. Am 12. August 1938, det. Jeden Tag zwei bis drei Mann.« »12 Uhr griff der Iwan an. Ein hartes Gefecht, er ihm nicht als einzelne Menschen. Sie sind ein Bis zum Abpfiff des Hitler-Regimes träumte er vom zur Einweihung der Planitzer Südkampfbahn, gastiert Der Eintrag ist absurd. Am 22. Juni 1941 überfiel wurde vernichtet.« Fritzsch muss auf Spähtrupp, kollektiv zu verachtendes Ganzes. Sie unter- deutschen »Endsieg«. Nun aber wirkte Genosse Schalke 04. Unfassbar, der dreifache deutsche Meister die deutsche Wehrmacht die Sowjetunion, am verirrt sich im Schneesturm und landet beim Iwan. schiedslos zu bekämpfen und zu töten, ist kein Fritzsch als verdienter Aktivist des sozialistischen Leis- unterliegt den Gastgebern 2 : 3. Walter protokolliert 24. Juni erreichte sie die litauische Hauptstadt Wilna. »Ich betete zu Gott (...) und entsicherte meine moralisches Problem.« Der christliche Glaube, in tungssports. Ein Leben, zwei konträre Ideologien? begeistert, alsbald auch eigene Fußballtaten – in Im »Jerusalem des Nordens« lebten 80.000 Juden. Eier handgranaten.« Drei Iwans nahen, Fritzsch dem Walter erzogen wurde, hat sich verflüchtigt. Abermillionen führergläubige Volksgenossen Schönschrift; mittlerweile lernt er Technischer Zeich- Bereits in den ersten Wochen ermordeten Wehr- feuert und entkommt. »Hier sieht man, dass es »Gott an der Ostfront erscheint im Tagebuch wie mutierten nach 1945 zur Bevölkerung der antifaschis- ner. Spielberichte der Lokalpresse werden ausgeschnit- macht-Einheiten, SS und litauische Milizen Tausende einen lieben Gott geben muss.« ein Geheimagent der Wehrmacht, der die Deut- tischen DDR, der freiheitlich-demokratischen BRD. ten und eingeklebt. Stets rot unterstrichen: Fritzsch. im Erschießungswald von Paneriai. Die Übrigen be- 16. Juli 1942: »Unsere Luftwaffe macht Luft schen schützt und für die Russen nichts übrig Doch nicht jeder Lebensweg schlängelte sich so ge- Wohl ein torgefährlicher Flitzer mit feinem Fuß. hausten ein Ghetto mitten in der Stadt. beim Iwan.« 17. Juli: »Neue Divisionen werden hat«, so Richter. ANZEIGE UNSERE LITERATURCOMMUNITY Prominente empfehlen ihre Lieblingsbücher In unserem wöchentlichen Literaturnewsletter »Was wir lesen« erzählen Politikerinnen, Schauspieler, Autorinnen und andere prominente Tim Bendzko Louisa Dellert Senta Berger Louis Klamroth Leserinnen und Leser davon, welche Bücher sie gerade begeistern. Sänger Gründerin und Podcasterin Schauspielerin Journalist und TV-Moderator Anbieter: Zeitverlag Gerd Bucerius GmbH & Co. KG, Buceriusstraße, Hamburg Buceriusstraße, KG, GmbH & Co. Bucerius Gerd Zeitverlag Anbieter: Weitere Buchempfehlungen, Verlosungen und vieles mehr rund um Literatur finden Sie jeden Donnerstag in Ihrem Postfach. Jetzt kostenlos anmelden unter www.zeit.de/waswirlesen DIE ZEIT No 28 8. Juli 2021 ZEIT IM OSTEN 17 »13:30 Uhr Großangriff, einige Schuss Artillerie und dann ging es mit Maschinengewehr und Hurra an die Sache. Hier hörte ich die ersten Schmerzschreie meiner Kameraden. Vor mir rauschte und pfiff es und knallte es. Ich kam mir vor, als wäre ich im Kino.« Tagebucheintrag vom 29. November 1941 Fotos (v. l.): Itar-Tass/imago; ullstein (2); ullstein imago (2); Witters l.): Itar-Tass/imago; (v. Fotos Jahrzehnte später saß Walter Fritzsch (2. v. l.) Mit fünf Meisterschaften und zwei Pokalsiegen als Trainer auf der Bank von Dynamo Dresden ist Fritzsch Dynamos erfolgreichster Trainer Bei der Schlacht