No. 13/2012

CdN-Stammtisch & Serie Schlüsselspieler: Innenverteidiger 2 inhalt

Editorial Von

Fazit und Ausblick zum Jahreswechsel „Unser Club der Nationalspieler lebt!“ 4

aktuEll im Blickpunkt

Regionaler CdN- Stammtisch in Berliner Nacht 6

SEriE Perfekte Beißzangen und SchlÜSSElSpiElEr (tEil 2): kreative Kommandanten: innEnVErtEidigEr das Innenleben der Innen verteidiger Einführung: Der Urknall Kaiser & Katsche oder: mit Symbiose ist der halbe Sieg 20 als Initialzündung Mit Überzahl zu Übermacht 10 Von Müller über Heine, Walter und Bransch bis zu Dixie Dörner und Frank Rohde Stets Verlass auf diese innere Sicherheit 26

350 Länderspiele beim Vom Reagieren zum Agieren – CdN-Stammtisch in Berlin – die bahnbrechende Entwicklung WiE Er WurdE, WaS Er iSt und ein schönes Wiedersehen in der Innenverteidigung Smalltalk mit Groß und Hüter der Defensive, , der „König Otto“ 8 Motor der Offensive 14 Abwehrheld aus Günnigfeld Auf der Bettkante mit Wodka, Kaviar und Jaschin 32 3

diagonalpÄSSE Bobic, Neuer, Bode mit Uli Hoeneß „weit über gutem Beispiel voran 40 normal sozial engagiert“ 42 Nach Herzinfarkt: Dieter Müller „geht’s wieder gut“ 38

DFB-Fußballmuseum wird immer deutlicher Realität 42

Dremmler und Kahn für Herberger-Stiftung aktiv 42

Wolfgang Niersbach 10.000 Euro von Jogi Löw mit Laureus-Preis geehrt 38 für Passauer Waisenhaus 40

Oliver Bierhoff über „Druck im Profisport“ 41

Miro Klose: Vorbild als „Wiederholungstäter“ 41 JuBilÄEn/ rundE gEBurtStagE 43

in mEmoriam

Wir trauern um (73), der am 11. Oktober 2012 in verstorben ist Bald Hirsch-Straße und „Einer der ganz Großen ist Fuchs-Platz in Karlsruhe 38 von uns gegangen“ – Nachruf von Franz Beckenbauer 44 Ausstellung präsentiert Fußball als hohe Kunst 39 imprESSum 47

Walther-Bensemann-Preis an HSV-Legende Uwe Seeler 40 4 Editorial

Fazit und Ausblick zum Jahreswechsel

„Unser Club der Nationalspieler lebt!“

Liebe Freunde,

unsere Nationalmannschaft star- feiert, hat im jetzt zu Ende ge­ sung für die WM-Endrunde 2014 tet als Nummer zwei der FIFA- henden 2012 weltweit große An­ statt. Selbstverständlich drücken Weltrangliste ins Jahr 2013. Und erkennung gefunden. Mit ihren wir alle im Club der National­ die ist erstmals seit sensationellen Zuschauerzahlen, spieler unserer Mannschaft die vielen Jahren wieder in kompletter mit ihren zum siebten Mal in Folge Daumen, dass sie auf dem Weg Stärke, das heißt aktuell mit allen erwirtschafteten Rekordumsätzen zur WM in Brasilien in der Erfolgs- sieben Mannschaften dabei, wenn und zudem ganz besonders mit spur bleibt und damit bei der WM- im neuen Jahr beim Achtelfinale ­ihren sportlichen Ergebnissen. Auslosung dabei ist. Zudem wäre in der Champions League und es wichtig für ihr Selbstbewusst- der Europa League die K.o.- ­Daher findet sich auf meinem sein, die WM-Qua­lifikation ähn- Runden beginnen. Dies bedeutet, Wunschzettel für 2013 die Sehn- lich souverän zu absolvieren wie die sportliche Ausgangssituation sucht wieder, dass die Bundesliga zuletzt die EM-Qua­lifikation, um ist mit Blick auf 2013 sehr ver­ die sportlichen Erfolge der ver­ dann in Brasilien 2014 richtig heißungsvoll, und wir können vol- gangenen sechs Monate endlich ­zu­zuschlagen. ler Zuversicht den Auftritten der mal wieder in Titel ummünzen Nationalmannschaft und unserer kann. Vielleicht sogar, so im Mo- Ein besonderes Highlight wird im Klubteams auf internationalem ment der Traum, bei einem rein nächsten Jahr das Heimspiel ge- Parkett entgegenblicken. deutschen Europapokal-Finale. gen Österreich in der WM-Quali­ fikation. Zum einen, weil dies am Die Bundesliga, die im kommenden Für Jogi Löw und seine Jungs ist 6. September eine ganz spezielle Jahr am 24. August mit einer natürlich der 6. Dezember 2013 sportliche Herausforderung sein ­großen Gala in Frankfurt das Jubi- von großer Bedeutung. An diesem wird. Zum anderen aber vor allem läum ihres 50-jährigen Bestehens Tag findet in Brasilien die Auslo- deswegen, weil wir im Rahmen 5

dieses Nachbarschafts-Klassikers onalen Stammtischen des Clubs Engagement für unseren Club nur in der Münchner Allianz-Arena deutlich, die den Kontakt der Nati- aufrichtig danken. unser alljährliches CdN-Mitglieder- onalspieler von gestern und heute treffen ausrichten werden. noch verstärken sollen. Der erste Allen unseren Mitgliedern und fand im vergangenen Februar in ihren Angehörigen wünsche ich Diese Jahrestreffen finden seit Bremen beim Länderspiel gegen schöne Weihnachten sowie viel ihrer Premiere 2008 in Frankreich statt. Der zweite ging Glück und Gesundheit im neuen großen Anklang und verzeichnen im Oktober im Rahmen des Quali- Jahr. Ich freue mich heute schon einen immer stärkeren Zulauf un- fikationsspiels gegen Schweden sehr auf unser Wiedersehen in serer Kollegen. So ging die fünfte in Berlin über die Bühne. Einen München am 6. September. Versammlung, an der ich im Au- Bericht mit Fotos der Teilnehmer gust dieses Jahres in Frankfurt ist ab Seite 6 zu finden. aus privaten Gründen erstmals Herzliche Grüße nicht teilnehmen konnte, mit dem Wenn DFB-Präsident Wolfgang Euer Rekordbesuch von 230 ehema- Niersbach ankündigt, dass diese ligen Nationalspielern einher und Regionalen CdN-Stammtische fand, wie ich mir sagen ließ, in weiterhin am Veranstaltungsort einer fantastischen Atmosphäre eines Heimländerspiels, sofern es und tollen Stimmung statt. möglich ist, stattfinden sollen, so können wir ihm als Initiator des Kein Zweifel, unser Club der Nati- Clubs der Nationalspieler für die- uwe Seeler onalspieler lebt. Dies wird auch ses zusätzliche Entgegenkommen, Vorsitzender des bei den kürzlich gegründeten Regi- aber auch für sein generell starkes Clubs der Nationalspieler 6 aktuEll im Blickpunkt: rEgionalEr cdn-StammtiSch in BErlin Berliner Nacht

Christian Backs,

Artur Ullrich, Christian Backs, Hans-Jürgen Riediger, Frank Terletzki

Thomas Doll, Waldemar Mühlbächer, , 7

Rainer Nachtigall, Peter Kalinke, Günther Wirth

Werner Heine, Waldemar Mühlbächer

Marko Rehmer, Erich Beer, Volkmar Groß

Werner Heine, Volkmar Groß 8 Aktuell im Blickpunkt: Regionaler CdN-Stammtisch in Berlin

350 Länderspiele beim CdN-Stammtisch in Berlin – und ein schönes Wiedersehen

Smalltalk mit Groß und „König Otto“

Fredi Bobic kam aus Stuttgart angereist. Erich Beer unterbrach extra seinen Urlaub an der Ostsee. Thomas Doll eilte aus Quickborn in der Nähe Hamburgs herbei. Und auch Andreas Thom, in Egsdorf wohnhaft, wollte sich dieses Treffen nicht entgehen lassen. Sie folgten, zusammen mit vielen nach wie vor in Berlin und Umgebung beheimateten Nationalspielern von Hertha BSC, des BFC Dynamo und von Vorwärts Berlin einer ­besonderen Einladung des DFB zum WM-Qualifikationsspiel gegen Schweden im .­ Zum Regionalen Stammtisch des Clubs der Nationalspieler (CdN).

Beachtliche Resonanz fand bisher lich ist, so halten“, erläuterte DFB-­ Klar, dass auch Marko Rehmer mit stets das alljährliche Jahres­treffen Präsident Wolfgang Niersbach, auf dabei war. 28 seiner 31 Länder- aller Mitglieder im Club der Nati­ ­dessen Initiative der Club der Nati­ spiele bestritt er als Spieler von onalspieler. Es war jedes Mal, egal onalspieler im April 2008 gegründet Hertha BSC und erinnerte zusam- ob in Dortmund, Hamburg, Berlin, wurde, diese neue Maßnahme zur men mit Erich Beer (24 Länder- Stuttgart oder wie zuletzt im Au- Intensivierung der Kommunikation. spiele), Bobic (11), gust in Frankfurt, beliebte Plattform (7) und Volkmar Groß (1) an eines schönen Wiedersehens im Das Zusammensein in einem klei- höchst unterschiedliche, gleich- Rahmen eines großen Länderspiels. neren Kreis, diesmal im Olympia- wohl einst bessere Hertha-Zeiten. stadion, war erneut sehr viel­ Gute Hertha-Zeiten, dies war auch „Bei diesem einmaligen Treffen versprechend. Erfreulicherweise ein Thema beim Zusammentreffen pro Jahr wollen wir es aber nicht konnten in der Jesse-Owens- von Volkmar Groß und „König belassen. Vielmehr wollen wir den Lounge des Atriums immerhin ­Otto“ Rehhagel, der als Ehrengast Kontakt der Nationalspieler von zwei Dutzend ehemalige Berliner des DFB ebenfalls in der Jesse- gestern und heute, denen der DFB Internationale begrüßt werden. Owens-Lounge Platz genommen so viel zu verdanken hat, unterein- An der Spitze Andreas Thom, der hatte. Viele Jahre hatten sie sich ander noch verstärken. Deshalb für Dynamo Berlin und Bayer Le- nicht gesehen, jetzt gab es natür- haben wir schon Ende Februar verkusen 61 Länderspiele (51/10) lich viel zu besprechen. ­gegen Frankreich in Bremen einen absolviert hat. Oder Thomas Doll, Regionalen Stammtisch der dortigen der als Dynamo-Spieler 19 Län- Wenn auch nicht gemeinsam, so Nationalspieler durchgeführt. Dies derspiele bestritt und dazu als hatten beide früher für den wollen wir auch weiterhin am ­Akteur des HSV und bei Lazio Rom ­Ber­liner Traditionsklub in der Bun- ­Veranstaltungsort eines jeweiligen bei weitere 18 Länderspielen für desliga gespielt. , Heimländerspiels, sofern es mög- den DFB am Ball war. ein Bundesliga-Gründungsspieler, 9

Erinnerungen an gute alte Hertha-Zeiten: Ehrengast Otto Rehhagel und Torwart-Legende Volkmar Groß hatten einander viel zu erzählen.

von 1963 bis 1965 als Verteidiger Torhüter der 70er-Jahre (insge- Da zudem mit den früheren DDR- mit 53 Einsätzen, Volkmar Groß samt 153 Spiele) wieder in Berlin, Ikonen , Dixie von 1968 bis 1972 bei 101 Spielen wo er seit fünf Jahren mit großer ­Dörner, Jürgen Croy, Jürgen Spar- im Tor. Wegen seiner Verwicklung Tapferkeit gegen eine Krebser- wasser oder Bernd Bransch etliche in den damaligen Bundesliga- krankung ankämpft. Nicht-Berliner Alt-Internationale Skandal war er während einer in der Jesse-Owens-Lounge des zwei­jährigen Sperre für Kapstadt Neben Doll und Thom reprä­ Olympiastadions anwesend waren, in Südafrika am Ball und da- sentierten an diesem Abend unter fehlte es weder an Gesprächsstoff nach dann von 1974 bis 1976 anderem Hans-Jürgen Riediger noch an guter Stimmung. für Twente Enschede, wobei er (41 Länderspiele), Otto Fräßdorf mit den Hollän­dern 1975 das (33), Werner Heine (29) Günther „Dieser Regionale Stammtisch ist UEFA-Pokalfinale gegen Borussia Wirth (28), Waldemar Mühlbächer eine wunderbare Ergänzung zum Mönchengladbach erreichte (und (17), Artur Ullrich (13), Rainer alljährlichen Mitgliedertreffen. verlor). Nachtigall (11) und Christian Backs Ich kann Wolfgang Niersbach und (9) als einstige Dynamo- und Vor- den DFB nur beglückwünschen, Nach Bundesliga-Stationen bei wärts-Stars die DFV-Auswahl der dass man sich auch in dieser Form und Schal- früheren DDR. Auch wenn Arne um die ehemaligen Nationalspieler ke 04 ging Groß, der 1970 beim Friedrich, mit 79 Länderspielen kümmert“, sagte früherer 3:1-Sieg in Griechenland sein ein­ Berlins Rekordnationalspieler, Publikumsliebling Erich Beer, der ziges Länderspiel bestritt, 1979 in ­wegen seines Engagements in den für die Hertha 253 seiner 341 die USA, wurde mit San Diego US- USA verhindert war, kamen den- ­Bundesligaspiele absolviert und Hallenmeister und blieb 25 Jahre noch mehr als 350 Länderspiele dabei 83 seiner insgesamt 95 Tore lang in Nordamerika. Seit 2006 an diesem Abend am Berliner erzielt hat. lebt einer der besten Bundesliga- CdN-Stammtisch zusammen. Wolfgang Tobien 10 SEriE SchlÜSSElSpiElEr (tEil 2): innEnVErtEidigEr

EINFÜHRUNG: Der Urknall mit Franz Beckenbauer als Initialzündung Mit Überzahl zu Übermacht

Der Fußball, das schönste aller Spiele, ist eine Teamproduktion. Ein Mannschaftsspiel als Gemeinschaftsaufgabe, deren Bewältigung durch das erfolgreiche Erledigen von Einzelaufgaben ermöglicht wird. Das Spielfeld in seiner Größe von 105 Metern Länge und 68 Metern Breite, es muss von der gesamten Mannschaft systematisch bearbeitet werden. Dennoch bietet es Platz für vielfältige höchst unterschiedliche spontane Einzel- aktionen. Hierbei haben sich während der Entwicklung des Fußballspiels Schlüssel- positionen herauskristallisiert, auf denen das dem Spiel von Natur aus innewohnende Risiko und seine Fehlerhaftigkeit minimiert und das eigentlich nicht Vorhersehbare einem planbaren Ergebnis zugeführt werden soll.

Zuständig hierfür sind die Schlüs- langem schon die Außenspieler Roland Zorn, der langjährige Fuß- selspieler. Akteure, die zum einen dank ihrer Vielseitigkeit Schlüssel- ballchef der FAZ, untersucht und für das unerlässliche Zusammen- positionen inne. beschreibt die Entwicklung und die wirken der verschiedenen Mann- bahnbrechenden Veränderungen schaftsteile sorgen und damit für In einer mehrteiligen Serie ver- in der Innenverteidigung vor allem eine funktionierende taktische Or- suchen wir, die Besonderheiten der deutschen Nationalmannschaft. ganisation große Verantwortung dieser Schlüsselpositionen und Jürgen Nöldner, 30-maliger Aus- tragen. Die zum anderen aber auch ihrer Schlüsselfiguren an Beispie- wahlspieler der DDR und langjäh- mit ihrem Talent, ihrer Persönlich- len aus der deutschen National- riger kicker-Redakteur, beschreibt keit und Erfahrung die besondere mannschaft und der früheren dazu Werdegang und Wichtigkeit Dramaturgie und Ästhetik sowie DDR- Auswahl herauszukristal- der besten ostdeutschen Innen- die Effizienz eines Fußballspiels lisieren. Hierbei gilt es, die Ent- verteidiger. Und der mehrfach prägen und dabei entscheidende wicklung auf diesen Positionen preisgekrönte Journalist Oskar Aktionen und Impulse geben. aufzuzeigen und zudem den typi- Beck spürt in seinem Beitrag schen mentalen Befindlichkeiten dem besonderen Innenleben der Nach wie vor gelten Mannschaften der Protagonisten auf den ein- höchst unterschiedlichen Zweier- als besonders erfolgreich, die vor zelnen Positionen nachzuspüren. beziehungen in der Innenvertei- allem über eine mit herausragen- Mit dem Torwart als Schlüssel- digung nach. den Schlüsselspielern besetzte spieler hat diese Serie begonnen. Mittelachse verfügen: Torwart, Im zweiten Teil beschäftigen wir Historisch betrachtet war der Innenverteidiger, Defensivstra- uns in dieser Ausgabe nunmehr 14. Dezember 1968 ein ganz be- tege im Mittelfeld, Spielmacher mit der besonderen Rolle der sonderer Tag in der taktischen und Torjäger. Zudem haben seit Innenverteidiger. Entwicklungsgeschichte der deut- 11

Kreatives Wechselspiel: Libero Franz Beckenbauer als Vorbild der offensiven Generation von Innen- verteidigern.

schen Nationalmannschaft. In Rio de Janeiro erfolgte damals der Urknall im Abwehrsystem der DFB- Auswahl: In seinem 27. Länder- spiel durfte Franz Beckenbauer gegen Brasilien erstmals auf sei- ner Lieblingsposition als Libero spielen. Fortan war in der deut- schen Innenverteidigung nichts mehr so, wie es bis dahin auf dieser Schlüsselposition gewesen war.

Mittelläufer – unter diesem Na- men hatten die Protagonisten über Jahrzehnte hinweg in Alleinver- tretung und ohne zusätzliche Absicherung die Aufgabe in der Innendeckung zumeist gegen den gegnerischen Mittelstürmer zu erfüllen. Der Nürnberger Hans Kalb und Ludwig Goldbrunner von Bayern München taten es mit Erfolg in den 20er- und in der legen- dären Breslau-Elf der 30er-Jahren sowie Jupp Posipal und vor allem als Mittelläufer der Weltmeister von 1954 in den Fünfzigern, aber auch die Franken Herbert Erhard und Ferdinand Wenauer.

Eine erste Modifizierung erfuhr das Abwehrsystem, als in den 60er-Jahren die Rollen mit einem Ausputzer, einem Vorstopper und zwei Außendeckern besetzt wur- den. Keiner spielte dabei nüch- terner, schnörkelloser und als reiner Abwehrchef auch effektiver 12 SEriE SchlÜSSElSpiElEr (tEil 2): innEnVErtEidigEr

als Willi Schulz. Sein Aufgaben- entbehrlicher wurde diese Defen- erfolgversprechend ist. Es war bereich erstreckte sich als freier sivphilosophie, als die gegne- Franz Beckenbauer, der mit seinem Mann darauf, ihm zur Seite stehen- rischen Angriffsreihen immer häu- kreativen Wechselspiel zwischen de kompromisslose Verteidiger figer mit nur noch zwei oder sogar Defensive und Offensive die Initial- wie Horst Höttges, , einer Spitze gebildet wurden. Die zündung gegeben hat für modernes oder Wolfgang Zeit war überreif für ein Genie wie Abwehrspiel in der Innenvertei- Weber abzusichern und jene Bälle Franz Beckenbauer, der die offen- digung. zurückzuerobern, die vor und ne- sive Variante in der Innenverteidi- ben ihm verloren gegangen waren. gung für sich erfunden hatte, das Epigonen wie Uli Stielike, Matthias Spiel dabei von hinten aufrollte Herget, oder Hans- Sicherheit zuerst, so hieß die und diese Aufgabe so gut wie kein Jürgen „Dixie“ Dörner in der Devise, von der sich Bundestrainer Zweiter zu seiner Zeit erledigte. DDR-Auswahl und ganz besonders Helmut Schön bis Ende der 60er- verstanden es Jahre leiten ließ. So kamen, wenn Libero, das hieß danach und heißt danach, in Beckenbauers Sinn Schulz verhindert war, reine De- seitdem, Überzahl herzustellen durch Überzahl für Übermacht zu fensivstrategen wie , überall auf dem Spielfeld. Der freie sorgen. Klaus-Dieter Sieloff oder Karl- Mann à la Franz Beckenbauer Heinz Schnellinger auf der Position hatte die Freiheit zu entscheiden, Um rechtzeitig an den von ihm des Westfalen zum Einsatz. wann er in der Defensive agieren beeinflussten Brennpunkten des musste, weil er genau erkannte, Geschehens zu sein, müssen die Die Freiheit von Willi Schulz als wenn er dort gebraucht wurde. Anlaufwege des Liberos in der freiem Mann endete freilich an der Und er nahm sich die Freiheit, sich Offensive jedoch so verkürzt wer- Mittellinie, was bedeutete, dass die nach vorne einzuschalten, weil er den, dass seine Ausgangsposition mit ihm im Defensivbereich er- mit hoher Spielintelligenz das sich häufig vor oder sogar weit vor reichte Überzahl mit personeller Spiel „lesen“ und dabei erfassen dem rein defensiven Innenver tei- Unterbesetzung im Mittelfeld- und konnte, wann sein offensiv orien- diger befindet. Was bedeutet, dass Offensivareal einherging. Immer tiertes Handeln dort sinnvoll und dieser als besondere Vertrauens-

Aufmarsch der Innenverteidiger:

Gemeinsam dagegenhalten: Libero Lothar Matthäus Erfolgreiche Absprache: Matthias Sammer und Thomas und Vorstopper Jürgen Kohler (links) bei der WM 1994. Helmer (rechts) auf dem Weg zum EM-Gewinn 1996. 13

person die Absicherung im er sich nach wie vor als Abwehr- eine solche Vierer-Bande erfordert Deckungszentrum übernehmen spieler im Zweikampf behaupten in ihrem Zentrum Innenverteidiger muss. können. Verlangt wurde und wird besonderen Zuschnitts. aber immer intensiver, dass jeder Auf diese Weise haben sich in die- der beiden Innenverteidiger Situa- Ralf Rangnick, einer der ersten sem Bereich höchst erfolgreiche tionen vorhersehen, den Raum be- Verfechter der Viererkette über- Zweierbeziehungen entwickelt. herrschen und technisch so gut haupt, beschrieb das Anforderungs- Zum Beispiel Beckenbauer/ ausgebildet sein muss, dass er mit profil einmal so: „Der moderne Schwarzenbeck, Stielike/Karl- schnellem und präzisem Passspiel Innenverteidiger muss mindes- heinz Förster, Augenthaler/Kohler das Spiel nach vorne eröffnen kann. tens 1,85 Meter groß sein, benötigt oder in den 90er-Jahren der „Paar- Der Weg zur Dreier- beziehungs- die fußballerischen Fähigkeiten lauf“ mit Matthias Sammer, dem weise vor allem zur Viererkette eines früheren Liberos und die nach der Wende eindrucksvollsten war damit vorgezeichnet und ge- Zweikampfstärke eines damaligen Fußball-Multi in der Bundesliga, ebnet, weil aus der Innenverteidi- Vorstoppers. Zudem muss er vor und Jürgen Kohler, „Europas bes- gung heraus mit guten Aufbau- allem analytische Fähigkeiten haben, ten Abwehrspieler“, so Berti Vogts spielern bei Ballbesitz sofort um die jeweilige Situation sofort über den unbeirr baren Gerade- Überzahl im zentralen Mittelfeld richtig einzuschätzen und hand- ausdenker aus der Mannheimer hergestellt werden kann. lungsschnell ausnutzen zu können.“ Vorstopper-Schule. Oder in der Benötigt werden demnach Spieler, DDR-Auswahl mit Bernd Bransch Ein Deckungsverband mit vier die ohne unnötige Fouls und über- und . Abwehrspielern auf einer Linie, bei flüssige Gelbe Karten das Spiel dem es keine direkte Zuordnung zu schnell nach vorne eröffnen und Längst schon hat sich, um den of- einem Gegenspieler mehr gibt, variieren können. Der erste Pass fensiven Part noch vielseitiger zu sondern der Ball führende Gegner aus der Abwehr heraus, betont machen, das Anforderungsprofil ebenso wie mögliche Anspiel- , dieser erste Pass an die Innenverteidiger generell punkte vom nächststehenden sei oft der entscheidende. erheblich erhöht. Natürlich muss Abwehrspieler attackiert werden, Wolfgang Tobien

EM 2008 auf einer Linie: und Ankurbler und Spielgestalter als Abwehrchef: Per Mertesacker als Innenverteidiger in der Viererkette. „Dixie“ Dörner im Gold-Team der DDR bei Olympia 1976 in Kanada 14 SEriE SchlÜSSElSpiElEr (tEil 2): innEnVErtEidigEr

Vom Reagieren zum Agieren – die bahnbrechende Entwicklung in der Innenverteidigung

Hüter der Defensive, Motor der Offensive

Mittelläufer, Stopper, Vorstopper, Manndecker, Ausputzer, Libero, Innenverteidiger: Aus dieser Siebener-Namenskette ließe sich fast schon eine ganze Mannschaft bilden, bestehend aus lauter Abwehrkräften. Eine Vorstellung, die nicht einmal so weit entfernt ist vom modernen Fußball, in dem jeder Spieler, ob in stürmischer Mission oder in defen- siver Funktion, alles verinnerlicht haben muss, was ein Kollektiv zum Ziel führen kann.

Spezialist und Generalist in einem, chef dürfe nicht die Mittellinie Vorwärts zu denken und zu han- übernimmt jeder seinen Part bei überqueren. Mit dem Wandel der deln gehört in heutiger Zeit auch den gebündelten Bemühungen, Formationen vom WM-System zu den Grundanforderungen an den Gegner aufzuhalten, das ei- bis hin zum heute gebräuchlichen die Spitzenprofis der hinteren gene Spiel aufzubauen und, falls 4-2-3-1 ist ein Wandel in der Abteilung eines Teams, das nach es die Situation erlaubt, selbst Aufgabenzuteilung an die längst wie vor aus den Blöcken Ab- Teil der Abteilung Attacke zu sein. multifunktional gebrauchten Hüter wehr, Mittelfeld und Angriff seine Das komplexe, auf dicht mitein- der defensiven Grundordnung ein- Dynamik entwickelt. ander verwobener Gruppenarbeit hergegangen. fußende Spielverständnis einer Es war Franz Beckenbauer, der Mannschaft von heute bestimmt Der Dortmunder Nationalspieler Libero aller Liberos, der in den die Aktionen – von ganz weit hinten Mats Hummels etwa wird wie 70er-Jahren mit seiner Inter- bis ganz nach vorn. Auch deshalb Gerard Piqué vom FC Barcelona pretation des freien Mannes vor hat sich das Anforderungsprofil als ein Musterbeispiel des zeit- und hinter der Abwehr das Fanal an einen Abwehrspieler über die gemäßen Innenverteidigers wahr- zur mutigen Vernetzung setzte. Jahre so kontinuierlich erweitert genommen, weil er mit seiner Wenn er nach dem Motto, Platz wie die Positionsbeschreibung für Kopfball- und Zweikampfstärke da, mit raumgreifendem Tempo, das, was er tut. nicht nur als erster Nothelfer sei- erlesener Technik und dem Drang ner Mannschaften gilt, sondern zum Tor die Fesseln der herkömm- Vorbei die Zeiten des Kampfes auch als erster Aufbauspieler, der lichen Abwehrstrategien sprengte, Mann gegen Mann, anachronis- mit seinen punktgenauen Pässen staunten alle über die elegante tisch die Vorstellung, da grätsche wie ein konstruktiver Fußball- Entschlossenheit des Münchners jemand laufend seine Widersacher Architekt die Richtung des Spiels und dessen situative Fähigkeit, ab, passé die Idee, ein Abwehr- blitzartig umgestalten kann. Räume zu erkennen, die er zum 15

Doppelpass mit dem genialen Gerd alle vom Franz profitiert“, sagte Beckenbauer oder den Mönchen- Müller als Jahrhundertstürmer dessen Vertrauter aus der großen gladbacher Spielmacher Günter des FC Bayern München und der Zeit der Bayern, die von 1974 bis Netzer bejubelt wurden. „Ramba- deutschen Nationalelf nutzte. 1976 dreimal nacheinander den Zamba“, es war die Zeit, in der sich Europapokal der Landesmeister neue Möglichkeiten für den Mann- Auf diese Weise überrumpelte der eroberten, und der Nationalmann- schaftssport Fußball andeuteten. letzte Mann oft genug als Tor- schaft, die mit diesen beiden Ach- schütze oder Torvorbereiter die senspielern 1972 Europameister Längst war die Periode vorbei, in letzte Bastion beim Gegner und und 1974 Weltmeister wurde. der sich furchtlose Mittelläufer kreierte auf seine Weise eine oder Stopper wie der Kaiserslaute- Position im Spiel, deren Inter- Beckenbauer als Vorausdenker rer Werner Liebrich gegnerischen pretation jahrelang nur ihm, dem und Schwarzenbeck als Vorweg- Mittelstürmern entgegenstemm- „Kaiser“, gehörte. arbeiter, das war in den 70er- ten und mit viel Härte und Über- Jahren die Inkarnation zentraler sicht eine Art letzte Instanz im Gleichwohl brauchte das Fußball- Abwehrtugenden, als Mann- WM-System mit einem Stopper, genie Beckenbauer in den Momen- deckung noch gefragt und raum- zwei Verteidigern, zwei Außen- ten, da ihn als Solisten nichts und greifende Aktionen wie die durch läufern, zwei Halbstürmern, zwei niemand mehr aufhielt, einen oder mehrere Unterstützer, die ihn in seinem Vorwärtsdrang absicher- ten. Da war an erster Stelle der „Putzer des Kaisers“, also der all- zeit loyale, zuverlässige, abwehr- bereite Vorstopper Hans-Georg, genannt „Katsche“, Schwarzen- beck. Dieser vom Typus und Ha- bitus her ganz andere Münchner garantierte dafür, dass der Defen- sivkünstler und Offensivstratege Beckenbauer einen Handwerks- meister an seiner Seite hatte, der ganze Arbeit verrichtete.

Fünfzehn Jahre lang beschied sich Schwarzenbeck mit seiner die- nenden Rolle im Schatten eines glamourösen Chefs – und bremste dabei renommierte Mittelstürmer mit einer Selbstverständlichkeit aus, die er im Nachhinein nicht zu erläutern pflegte. „Wir haben doch

„Prototyp“ des zeitgemäßen Innen verteidigers: Mats Hummels. 16 SEriE SchlÜSSElSpiElEr (tEil 2): innEnVErtEidigEr

Außenstürmern und einem Mittel- pern. Schulz dirigierte mit dem nahmefällen – bis Beckenbauer stürmer bildeten. Als das „Wunder Kölner als Vor- kam und wie ein Münchner Fuß- von Bern“ Gestalt annahm und dermann die Abschirm- und Auf- ballkindl der 68er-Generation die Deutschland 1954 durch ein 3:2 fangdienste der Nationalmann- alte Ordnung spielend in Frage über die damals für unschlagbar schaft bei der WM 1966 in England stellte. Er machte aus dem Libero, gehaltenen Ungarn Weltmeister höchst effektiv. „Worldcup-Willi“ den die Italiener einst erfanden, wurde, bewachte in des Wortes verfügte dazu wie viele „letzte um ihren Catenaccio aus vier Ab- ureigener Bedeutung der 1,76 Männer“ seiner Zeit über eine wehrhaudegen um eine weitere Meter lange Pfälzer den „Major“ solide Technik, gepaart mit dem Absicherung zu betonieren, einen Ferenc Puskas, eine Ikone des Blick dafür, das Nötige zur rechten Solisten, der im Mannschafts- Fußballs der 50er-Jahre, mit Zeit zu tun und somit Unheil von verbund wie ein Freigeist schalten eisenharter Konsequenz. Er orga- seinem Team abzuwenden. und walten durfte. nisierte dazu die gesamte Defen- sivarbeit wie die späteren Aus- Die besten Ausputzer zeichneten Da sich nach dem „Kaiser“ nie- putzer, die anders als Liebrich Handlungsschnelligkeit und stra- mand mehr fand, der den Fußball davon befreit waren, spezielle tegische Fähigkeiten aus. Die aus der Tiefe des Raumes so un- Manndeckeraufgaben zu lösen. Spieler mit der Rückennummer 5 widerstehlich prägte, nahmen die waren nicht zuletzt deshalb erfah- Jahre danach auf der Position der In Deutschland verkörperte vor rene Anführer ihrer Teams. Über Nummer 5 wieder eine konserva- allem der Westfale Willi Schulz die Mittellinie hinaus aber trauten tivere Prägung an. Aus deutscher diese Variante des Abwehrchefs sie sich, eingehegt durch die Vor- Sicht kam Uli Stielike dem Münch- hinter einem, später zwei Vorstop- gaben ihrer Trainer, nur in Aus- ner noch am nächsten mit seiner

„Hart am Mann“: Werner Liebrich im Zweikampf mit Ferenc Puskas bei der Weltmeisterschaft 1954.

Weltmeisterschaft 1974:

Der „Kaiser“ im Vorwärtsgang: Franz Beckenbauer beim Doppel- pass mit Gerd Müller, dazwischen Konrad Weise (oben).

„Turm in der Schlacht“: „Katsche“ Schwarzenbeck im Duell mit Johan Neeskens, beobachtet von Maier, Beckenbauer und Cruyff (unten). 17 18 SEriE SchlÜSSElSpiElEr (tEil 2): innEnVErtEidigEr

ausbalancierten Art, den Libero agierten ganz besonders der Ham- mals üblichen 3-5-2-System mit mal defensiv-robust, mal offensiv- burger , den Team- zwei Vorstoppern die Arbeit in der intuitiv zu geben. Stielike lenkte die chef Franz Beckenbauer bei der zentralen Zone vor dem eigenen deutsche Abwehr gemeinsam mit Weltmeisterschaft 1986 zu sei- Tor teilte. Deutsche Vorstopper dem Weltklasse-Vorstopper Karl- nem Defensivkoordinator machte, von internationaler Klasse gab es heinz Förster zum EM-Titel 1980 und , der Welt- zu jener Zeit reichlich. in Italien und bis zu Platz zwei bei meister von 1990. Der Münchner der WM 1982 in Spanien. vor allem war kraft seiner Profes- Unter jenen, die die harte Arbeit sionalität und Persönlichkeit ein des Manndeckers besonders auf- Auch Matthias Herget bei der typischer Fußballboss, der auch in merksam und aufopferungsvoll EM 1988 oder der im Mittelfeld turbulenten Momenten mit bayeri- auf sich nahmen, ragten Förster zum Weltstar gewordene Lothar scher Bierruhe bei Gefahr im Ver- und Jürgen Kohler noch ein Stück Matthäus bei den WM-Endrunden zug notfalls rustikal zur Stelle war. heraus. Beide litten mitunter auch 1994 und 1998 waren eher ge- Ein Libero oder Ausputzer musste ein wenig darunter, dass sie allzu stalterische Liberos als Ausputzer. sich in den 90er-Jahren nur selten oft auf ihre Qualitäten als Störer Safety first – in diesem Sinne einsam fühlen, da er sich im da- oder Zerstörer reduziert wurden. „Ich habe hart gespielt“, sagte der frühere Profi des VfB Stuttgart einmal, „aber ich habe nie ab- Abwehrchef mit Offensivdrang: Uli Stielike beim Zweikampf mit dem sichtlich Foul gespielt. Ich habe in Franzosen Manuel Amoros im WM-Halbfinale 1982. 81 Länderspielen nur zwei oder drei Gelbe Karten gesehen.“

Dass Weltklasse-Abwehrspieler wie Karlheinz Förster zu ihrer bes- ten Zeit als Rückhalt des deut- schen Fußballs galten, brachte ihnen aber auch Ruhm und Ehre oder im Fall des ebenfalls durch die Waldhöfer Fußballschule ge- gangenen Jürgen Kohler den Namen „Fußballgott“ ein. Dieses Prädikat wurde ihm in Diensten von zuteil, als er 1997 im Halbfinale der Champions League bei Manchester United eine spektakuläre Rettungstat auf der Torlinie vollbrachte und so den BVB ins gewonnene Finale gegen Juventus Turin hievte.

Vorboten der neuen Zeit mit Vierer- kette und ballorientierter Raum- deckung waren die deutschen Europameister 1996, die in Mat- thias Sammer einen temperament- vollen Libero hatten, der defensiv wie offensiv dachte und dabei nie das große Ganze aus den Augen verlor. Um ihn herum gruppierten sich flexible Spieler wie die Mann- decker und Mar- kus Babbel, die Außenverteidiger und sowie , der im defensiven Mittelfeld wie bei der WM 1990 auch Manndecker-Aufgaben mit grim- 19

Defensiver und offensiver Allroundkönner: Matthias Sammer im EM-Halbfinale 1996 vor dem anstürmenden Engländer Paul Gascoigne, links: .

miger Entschlossenheit übernahm. einer Schautafel plakativ hervor. zu erzwingen, Passwege zu ver- Bundestrainer Berti Vogts’ da- Der Schwabe zeigte auf, warum schließen, das eigene Tor kon- maliges Diktum, „der Star ist die Innenverteidiger in einer Vierer- sequent abzusichern und den Geg- Mannschaft“, mutete zwar, weil kette auch Angreifer sind, warum ner ständig unter Druck zu setzen. ständig wiederholt, eine Spur ste- sich das Spiel gegen den Ball in Vorbei die Zeit der Manndecker und reotyp an, traf aber in dem Sinne Verbindung mit den dadurch her- klassischen Liberos? Otto Reh- zu, dass der von vielen Verlet- beigeführten Pressing- und Ge- hagel hat diese Frage auf alther- zungen gesäumte Turniertriumph genpressing-Situationen lohnt, gebrachte Art und Weise, als der in England auch ein Ausweis kol- warum nach Balleroberungen Essener Trainerfuchs mit Griechen- lektiver neudeutscher Stabilität in freie Bahn zum gegnerischen Tor land 2004 sensationell Europa- der Defensive war. winken kann, warum also Abwehr- meister wurde, beantwortet. spieler im Zweifel eher agieren als Er platzierte seinen „Koloss von Die Viererkette heutiger Prä- reagieren sollen. Rhodos“, den Abwehrhünen Traia- gung wurde in Deutschland zu- nos Dellas, als letzten Mann hin- erst vom früheren Mainzer Trainer Seit der WM 2002 gehört die Vie- ter seine Viererabwehrkette und im Winter 1995 rerkette auch zum Inventar der gewann damit den großen Preis. eingeführt und danach öffent- Nationalmannschaft – mit den lichkeitswirksam von Ralf Rang- Innenverteidigern als ersten Auf- „Modern ist, wer gewinnt“, sagte nick 1998 propagiert. Im „Aktuel- baukräften. Zur seitdem gültigen der Altmeister dazu. Die Zeiten- len Sportstudio“ des ZDF hob der Raumordnung gehört das selbst- wende aber konnten diese Grie- damalige Trainer des Zweitliga- verständliche Verschieben ganzer chen mit ihrem Schritt zurück zum klubs SSV Ulm 1846 die Vorzüge Mannschaftsteile, um im Kampf Glück nicht aufhalten. des modernen Verteidigens an um den Ball Überzahlsituationen Roland Zorn 20 SEriE SchlÜSSElSpiElEr (tEil 2): innEnVErtEidigEr

Perfekte Beißzangen und kreative Kommandanten: das Innenleben der Innenverteidiger Kaiser & Katsche oder: Symbiose ist der halbe Sieg

Für die folgende Abhandlung müssen wir uns vorab gleich entschuldigen: Aus Platz- gründen können wir unsere Innenverteidiger gar nicht alle aufzählen, die mit Fug und Recht durchs Land reisen und abendfüllende Lichtbildervorträge halten könnten über ihre gewinnbringenden Grätschen, heldenhaften Tacklings oder ballzaubernden Hexe- reien im Zentrum der Abwehr – es sind deren zu viele. Wie aber muss einer gestrickt sein, um eine solche Schlüsselposition und die dazugehörige Verantwortung auszuhalten?

Die Antwort ist überliefert in alten Ausputzer? Igittigitt, ekeln sich da hund. Aber dann, im Wembley- Schriften, genau gesagt in einem heutzutage die Feinschmecker und Finale, stand es 2:1 für England, es Interview, das Willi Schulz, unser schließen die Augen, um die alten war die letzte Minute, und Kom- weltweit gefürchteter und hoch- Filme nicht sehen zu müssen, in mandant Schulz scheuchte ihn geachteter „Worldcup-Willi“ von denen Deutschlands rustikalster nach vorn. ’66, einmal dem Kollegen Horst Strafraumstaubsauger aller Zeiten Vetten im „Stern“ gab – der säbel- den Ball, wenn es sein musste, „Wohin?“, soll Weber gerufen ha- beinige Schalker redete um den schmucklos übers Stadiondach ben, denn er kannte sich da vorne Brei nicht lange herum, sondern hinausdrosch – im äußersten Fall nicht aus, aber er hat sich durch- sagte unwiderlegbar, dass es wäre er auch bereit gewesen gefragt und vor dem englischen Situationen gibt, in denen das zum Flugkopfball gegen die Bord- Tor dann instinktiv getan, was er friedfertige Sozialverhalten nur die steinkante. immer tat: Rein mit seinem Bein, zweitbeste Lösung sei. Hören wir 2:2, Verlängerung. In der über- kurz rein: „Wommer ma sagen, da Schulz war eine Kante, und bei der schlug sich die Dramatik mit dem liegt ainer im Strafraum, und du WM ’66 stand ihm als Komplize unerträglichen dritten Tor, und bist nicht bereit, dem dä Kopp der Kölner Wolfgang Weber bei. wem war dieses mitreißende abzutreten, dann wirste kainer.“ Auch der war sogar hart gegen Wahnsinnsspiel zu verdanken? Für Schulz, den Chef der Abteilung sich – im Europacup gegen Liver- Einem Zerstörer. Sicherheit, fing das Alphabet des poool brach er sich einmal die Fußballs mit A an: A wie Abwehr, Wade, spielte aber durch, vermut- Heutzutage schnalzen alle mit der A wie Aua, A wie Abräumer, lich mit einem Beißring zwischen Zunge angesichts der späteren A wie Ausputzer. den Zähnen. Weber war ein Wach- Künstler, Ballstreichler und sons- 21

„Frankfurter Wasserschlacht“ bei der WM 1974: Hans-Georg Schwarzenbeck im Zweikampf mit dem Polen Kazimierz Deyna, „beaufsichtigt“ von Kapitän Franz Beckenbauer; links: ; rechts: Berti Vogts.

tigen beckenbauerschen Ele- zum Dank in allen Stadien dann dann so: Mit dem Außenrist jong- ganten im Abwehrzentrum – und unterstützt mit einem langgezo- lierte der flinke Franz dem ein- verdrängen vollkommen, dass sich genen „Williiii“ – obwohl er nur ein schussbereiten gegnerischen Tor- die Geschichte vier Jahre danach Verhinderungskämpe vom alten jäger den Ball vom Fuß, strebte fast exakt wiederholte: im Halb- Schlag war wie Hans Kalb in den leichtfüßig vorwärts, überquerte finale der WM 1970 im Azteken- 20ern oder später Werner Liebrich den Anstoßkreis, ein kurzes Drei- stadion. Diesmal war Karl-Heinz und Ertl Erhard. Doch alle wuss- fachpässchen noch mit Bomber Schnellinger der Ausputzer, und ten: Wo ein Willi ist, ist auch ein Müller, und der Ball war drin – Schulz war der Kettenhund, und Weg (siehe Story ab Seite 32). oder Beckenbauer krönte den weil die Italiener 1:0 führten, rief Vorstoß selbst, per Schlenzer ins „Worldcup-Willi“ in letzter Minute: Bis er dem Kaiserschnitt zum Lattenkreuz. „Geh schon!“ Schnellinger trabte Opfer fiel. Franz Beckenbauer los, und, siehe oben: Grätsche schaffte den Ausputzer ab, der Der Kaiser war der Schlüsselspie- gegen den Ball, Ausgleich, Verlän- Künstler übernahm: Z wie Zauberer. ler im wahrsten Wortsinn: Hinten gerung. machte er dicht, vorne öffnete er Der Bayer, eigentlich gebürtiger Tür und Tor – das Genie war im Die Fußballgeschichte verdankt Mittelfeldspieler und ganz am Besitz des Generalschlüssels. also ihre zwei größten Jahr- Anfang sogar Linksaußen, war der hundertspiele der Wertarbeit geborene Libero. Er war so frei, Aber dieses lockere Liberoleben deutscher Innenverteidiger, die gleichermaßen ein filigranes Ge- hatte auch seine riskante Seite. notfalls mehr tun als ihre Pflicht, fühl für den Ball, den Raum und Beckenbauer brauchte einen, der und der Anführer Schulz wurde den Gegner zu haben. Das ging ihm den Rücken freihielt und, 22 SEriE SchlÜSSElSpiElEr (tEil 2): innEnVErtEidigEr

Nachfolgerduo von „Kaiser & Katsche“: und Rolf Rüßmann in einem Länderspiel gegen Italien im Jahr 1977.

wenn er da vorne herumturnte, Nein, den Laden hat „Katsche“ nur „will i vom Franz was abschauen, notfalls für zwei verteidigte. Und dicht gemacht, wenn der Franz von aber i kriegs ned hin.“ Also hat er der wusste, wie er tickt, der seine seinen Ausflügen zu spät zurück- allen Ruhm dem Chef gelassen. Bewegungen kannte, jeden Ge- kam. Selber hat er sich, à la Schulz, Der war der Star in der Fernseh- danken ahnte. Er brauchte einen Weber und Schnellinger, allenfalls werbung („Knorr in den Teller“), Vertrauten. Das war „Katsche“. in höchster Not über die Mittellinie er war der Schlagersänger („Du geschlichen. Wie im Europacup- allein“) und der Filmschauspieler Hans-Georg („Katsche“) Schwar- finale ’74 gegen Atletico Madrid. („Libero“) – während „Katsche“ nur zenbeck wurde zum „Putzer vom 0:1 stand es, letzte Minute, und der einmal Kinoheld sein durfte, in der Kaiser“. Verlässlicher konnte ein ratlose Beckenbauer schob den Komödie „Wehe, wenn Schwarzen- Partner nicht sein. Sein Pflicht- Ball zum „Katsche“. Dem fiel über- beck kommt“. bewusstsein beschreibt eine Ge- haupt nichts mehr ein, also hat er schichte von später. Beckenbauer die 30 Meter zum Tor mit einem rief an und sagte ihm, dass Ex- Schuss überbrückt und sich hin- Bundestrainer Helmut Schön zum terher erinnert: „Der Ball ist Siebzigsten lud – doch „Katsche“, zwischen alle Füß durch, einfach der inzwischen den Schreibwaren- so, und dann war er im Tor.“ Als laden seiner Tanten führte, hat nur die Journaille auf eine etwas traurig abgewinkt: „Woaßt, Franz, heldenhaftere Schilderung drang, i kann ned weg, s’ is Schulanfang, bat „Katsche“ händeringend: „Geh, do muaß i in mei’m Laden sein.“ fragts halt den Franz.“ „Manndecker kennen keine Weil die Kinder mit ihren Ranzen Verwandten“: Stopper Karl-Heinz kamen und neue Hefte wollten, Der Kaiser, das Genie. „Jeden Tag Förster im WM-Finale 1986 mit und Spitzer und Radiergummi. im Training“, hat „Katsche“ gesagt, dem Argentinier Jorge Valdano.

24 SEriE SchlÜSSElSpiElEr (tEil 2): innEnVErtEidigEr

Auch der Kaiser hat, wie umge- stellen zwischen Uli Stielike (dem stören, beschränkte er sich auf die kehrt, seinen „Katsche“ nie hängen Libero) und Karlheinz Förster (dem eigene Hälfte – das aber war so lassen und seinen Erfolgsschlager Stopper) hat keine Bild-Zeitung wirkungsvoll, dass er samt Stielike „Gute Freunde kann niemand gepasst, ideal haben die zwei 1980 Europameister und 1982 trennen“ in die Praxis umgesetzt – Badener sich ergänzt, nicht nur Vize-Weltmeister wurde, ja sogar auf Kosten beispielsweise des sprachlich. Stielike war der Denker „Fußballer des Jahres“. Frankfurters Charly Körbel, der und Lenker, taktisch versiert, für Deutschland nur spielen durfte, schnell, und reinhauen konnte er Förster war die Höchststrafe. wenn „Katsche“ Kreuzschmerzen auch – „Steellike“ wurde er im Schon nach zehn Minuten hatte hatte. „Der Franz“, stöhnt Charly englischsprachigen Ausland zu- er den gegnerischen Torjägern in bis heute, „ließ nichts auf ihn kom- weilen genannt, auf Deutsch: Wie aller Regel den Tarif erklärt, flan- men“. Mit Erfolg: Europameister Stahl. Aber woraus war dann erst kiert von seiner kompromisslosen ’72, Weltmeister ’74, Vize-Europa- sein Nebenmann? Körpersprache: „Ich habe nie meister ’76. mit einem Gegenspieler geredet, Förster war als Mensch herzens- kein Wort.“ Wie ein altes Ehepaar haben die gut, aber als Manndecker das, was Zwei funktioniert, sie hätten auch ihm den Kosenamen „Der Klopper Manndecker kennen keine Ver- das Synchronschwimmen bei den mit dem Engelsgesicht“ einbrach- wandten. Fragen Sie Jürgen Olympischen Spielen gewonnen. te. Der angeschnittene Zuckerpass Kohler. Seinetwegen sah sich eine Und das nächste glorreiche Tan- war nicht seine Spezialität, und große Sportartikelfirma sogar dem in der Abwehrmitte hat es um das ästhetische Empfinden der gezwungen, für die Qualität ihrer dann nach dem gleichen Rezept Zuschauer und das Aufbauspiel Erzeugnisse mit Kohlers Konterfei gemacht. Auch in die Schnitt- der eigenen Mannschaft nicht zu und der Botschaft zu werben:

Feiner Techniker: Libero Matthias Herget im Vorrundenspiel der EURO ’88 gegen Italien; links: Gianluca Vialli. 25

Überragend: Jürgen Kohler im WM-Finale 1990 gegen die Argentinier Maradona und Lorenzo, Klaus Augenthaler sichert ab.

„Spieler und Trikot sind aus in seiner fortgeschrittenen Blüte langen hat er nicht ausschließ- demselben Stoff.“ Made in Ger- war er plötzlich auch kreativ und lich Kohler, Helmer oder Babbel many: Reißfest – und mit Teflon angriffslustig – und hat sich sogar überlassen. beschichtet. in einem Jahresrückblick der Hexereien wiedergefunden, als er Sammer war der Anführer unserer Als der Teamchef Beckenbauer einem Engländer den Ball über Europameister von 1996 und ein dem Kämpen Kohler zur EM 1988 den Kopf gelupft, die Kugel an- kreativer Kommandant. Wenn er auch noch den hochbegabten schließend in der Luft butterweich sich die Stirn blutig gerannt hatte, Uerdinger Matthias Herget an die wieder aufgenommen und volley nahm er den Kopf unter den Arm, Seite stellte („Der beste Libero weiterjongliert hat. In diesem ließ sich am Spielfeldrand mit fünf- aller Zeiten“, meinte der Kaiser in Moment ist der Fußballwelt nichts zehn Stichen tackern, und weiter falscher Bescheidenheit), schien und niemand mehr eingefallen – ging es. Es ist ein Jammer, dass klar: Wir werden Europameister. höchstens der junge Pelé. Sammer und Kohler nicht ein paar Doch Marco van Basten fand die Jahre mehr miteinander hatten – Lücke. Dafür wurden wir dann Soviel zum Lauf der Zeit. Auch der das hätte hinhauen können wie bei zwei Jahre später Weltmeister: Innenverteidiger muss im mo- Kaiser & Katsche. Klaus Augenthaler war zwar weni- dernen Fußball alles können, die ger elegant, aber die Beziehung Dinge sind komplizierter gewor- Die Symbiose dahinten ist der mit Kohler dafür engmaschiger. den. „Dreierkette, Viererkette, halbe Sieg. Zwar spielen in der Das neue Paar war wieder die Fahrradkette“, hat einmal einer ge- liberofreien Gegenwart „die Zwei“ perfekte Beißzange – und das spottet, und alles fing damit an, im Zentrum – egal, ob sie Mertes- Stück Weltmeisterrasen, das dass der Libero sich plötzlich nicht acker/Metzelder hießen oder sich Kohler am 8. Juli 1990 aus mehr hinter der Abwehr, sondern Hummels/Badstuber heißen – die dem Römer Olympiastadion ge- davor herumtrieb. Wir sagen nur ungefähr gleiche Rolle, auf etwa schnitten hat, hat er sich in Wahr- Lothar Matthäus, der beim WM- derselben Höhe, aber es muss heit vermutlich herausgegrätscht. Sieg 1990 noch der große An- zwischen ihnen stimmen. Wie sagt Doch am Ende wurde auch er treiber im Mittelfeld war, oder Lothar Matthäus immer: „Der Gür- „Fußballer des Jahres“, und durch Matthias Sammer, der an guten tel muss zu den Schuhen passen.“ die Stadien donnerte der Ruf: Tagen sogar beides gleichzeitig „Jürgen Kohler Fußballgott!“ Denn fertigbrachte. Und auch das Hin- Oskar Beck 26 SEriE SchlÜSSElSpiElEr (tEil 2): innEnVErtEidigEr

Von Müller über Heine, Walter und Bransch bis zu Dixie Dörner und Frank Rohde

Stets Verlass auf diese innere Sicherheit

Vom Stopper über den Ausputzer zum modernen Libero. In der DDR-Auswahl vollzog sich in dieser Abfolge der Wandel des taktischen Systems im Bereich der Innen verteidigung. Wurde einst vor allem Härte auf dieser Abwehr-Position gefordert und gepriesen, spendete man später Lob der Eleganz und dem zusätzlichen Bemühen um erfolgreiche Initial- zündungen für die Offensive. Auch im Osten Deutschlands prägten die „letzten Männer“, egal wie sie ihr Spiel zeitgemäß interpretierten, maßgeblich den Stil ihrer Mannschaft.

Wer die Mittelstürmer in der DDR- mehr Eleganz löste, tolerierten die Otto Fräßdorf, der schnelle Oberliga Mitte der 50er-Jahre Auswahl-Verantwortlichen aller- Spieler von Vorwärts Berlin, nach den unangenehmsten Gegen- dings nicht unbedingt. Jedenfalls bekam es einmal besonders zu spielern fragte, musste nicht lange stand Zapf in der DDR-Auswahl spüren. Als er bei einem Konter auf die Antwort warten. Schön und zumeist im Schatten von Schön. davonziehen wollte, bekam Zapf und Müller – so kam es zu- „Binges“ Müller gerade noch des- meist wie aus der Pistole geschos- Der Dritte im Bunde war Bringfried sen Wade zu fassen und vergrub sen. Die drei hatten einen legen- Müller aus Aue. Wenn im Stadion seine Zähne in Fräßdorfs Stutzen. dären und vor allem knallharten Ruf. der damaligen DDR-Spitzenelf „Jetzt beißt er auch noch“, Da war der Berliner Dynamo-Stop- aus dem Erzgebirge, welche die Fräßdorfs erschrockener Ausruf per Herbert Schön: Resolut in den Spieler wegen der Tantiemen aus machte die Runde. Zweikämpfen, schonte er weder dem Uran-Bergbau förmlich an- Ball noch Gegenspieler, wenn Ge- zog, das Feuer loderte, dann krem- Durch das Überangebot an erst- fahr für seinen Strafraum drohte. pelten Müller in der Abwehr und klassigen Stoppern musste Müller Den Stürmer vorbeilassen, das Willy Tröger als Torjäger ganz in der Auswahl häufiger auf die stand bei ihm auf der Verbotstafel. vorne die Ärmel hoch und ver- Außenverteidiger-Position aus- Das galt auch für den Rostocker setzten die Gegenspieler mit ihrer weichen. Wer bei „Binges“ Eleganz Kurt Zapf, den es durch eine der deftig/handfesten Art in Angst und erleben wollte, musste sich später ersten Umstrukturierungen im Schrecken. Eine andere Spielweise an seiner Tochter erfreuen. Gaby DDR-Fußball aus Lauter im Erz- hätten die Kumpels auf den Rängen, Seyfert verzückte als Welt- und gebirge an die Ostsee verschlagen von einer Flasche „Kumpeltod“ oft Europameisterin im Eiskunstlauf hatte. Dass das Rostocker Idol die innerlich schon angeheizt, ihren damals die Massen an den Fern- Probleme in der Abwehr mit etwas Lieblingen gar nicht gestattet. sehschirmen. 27

Von den gegnerischen Stümern gefürchtet: Kurt Zapf (linkes Bild, Zweiter von rechts) und Herbert Schön (rechtes Bild, rechts) gehörten zu den härtesten Verteidigern der DDR-Fußballhistorie.

Von ganz anderem Naturell waren ein. Heine zählte dazu und schaffte Olympischen Spiele 1964 zu sper- die Nachfolger dieses Trios auf der sogar den großen Sprung in die ren, machte die Suche nach einem Stopper-Position. Werner Heine, DDR-Elf, brachte es bis 1964 auf neuen Abwehrchef erforderlich. der gebürtige Roßlebener, debü- 29 Länderspiele. Enorme Schnel- tierte im Oktober 1958 gegen ligkeit war seine große Stärke, so Auswahl-Trainer Karoly Soos, ein Bulgarien (1:1). 1954 zählte er als dass ihm kaum ein Stürmer davon- Ungar, entschied sich für Manfred 18-Jähriger zu den Talenten, die in eilen konnte. Er praktizierte in Walter von Chemie Leipzig – von zwei Mannschaften an der DHfK in seinem damaligen Spiel schon das, jener Elf, die 1964 völlig über- Leipzig zusammengezogen und in was heute im Fußballdeutsch mit raschend den DDR-Meistertitel die DDR-Liga, der zweithöchsten „Ablaufen“ umschrieben wird. gewann. Auch dank des Abwehr- Spielklasse, eingereiht wurden. recken. Er entsprach mit seiner Davon hatten sich die Verantwort- Das Wort Tempo spielte auch in rustikalen Spielweise, die an die lichen des DDR-Fußballs neue Heines persönlichem Leben eine Stopper der 50er-Jahre erinnerte, Impulse und eine deutlich stär- große Rolle, denn mit seiner Ehe- nicht unbedingt den Vorstellungen kere Entwicklung versprochen. Das frau Gudrun Züchner, einer der von Soos, der 1954 bei der WM in Experiment ging schief und wurde erfolgreichsten Sprinterinnen der der Schweiz Ungarns favorisierte nach einem Jahr eingestellt. DDR, bildete er das wohl schnellste und im Endspiel gegen Deutsch- Ehepaar der DDR. Wenn man so land gescheiterte Ballzauberer als Während ein Teil der jungen Spie- will, setzte die FIFA seiner Aus- Co-Trainer betreute. ler zu Vorwärts Berlin delegiert wahl-Karriere ein Ende, denn der wurde und zur späteren Meisterelf Beschluss, Akteure, die in WM- Schließlich dann rang Soos sich heranreifte, verleibte sich Dynamo und EM-Qualifikationsspielen zum aber für Walter durch. Seine Berlin den anderen Teil der Talente Einsatz gekommen waren, für die Begründung: „Techniker habe ich 28 SEriE SchlÜSSElSpiElEr (tEil 2): innEnVErtEidigEr

„Der Lange“ in Aktion: Klaus Sammer und sein Gegenspieler Dick van Dijk im EM-Qualifikationsspiel Niederlande – DDR im Jahr 1971.

genug in der Mannschaft, einer derte sich Branschs Aufgabe. muss auch für das Rustikale Auf der Position des Mannes hinter sorgen.“ Was der 16-malige Nati- der damals praktizierten Dreier- onalspieler dann auch erfolgreich Abwehrkette war Not an Mann. tat, als er mit der DDR-Olympia- Also wurde er umgeschult. „Die mannschaft 1964 in Tokio Bronze ersten Qualifikationsspiele für die gewann. WM 1974 bildete ich noch mit dem Dresdner Klaus Sammer das Ab- Mit dem unverwüstlichen Kämpen wehrtandem. Der Lange räumte Manfred Walter verschwand auch ab und ich besorgte den Rest“, er- in der DDR der Stopper alter Prä- innert sich der langjährige Kapitän gung. Die Zeit des modernen Mit- der DDR-Auswahl. spielens begann. Bernd Bransch war einer der ersten Vertreter, Dank seiner technischen Fertig- wenngleich er noch nicht ganz den keiten gab es jetzt einen gezielten, Prototyp des modernen Liberos durchdachten Spielaufbau schon verkörperte. Der gebürtige Hallen- aus der Abwehr heraus. Nur die ser debütierte noch als Linksver- ganz großen Offensivausflüge teidiger in der Nationalmannschaft leistete er sich nicht. „Bei Stan- und avancierte zur unumstrittenen dardsituationen aber wurde ich Nummer eins auf dieser Position. nach vorn beordert, auch wenn ich nur 1,80 Meter groß war. Doch „Beckenbauer des Ostens“: Doch mit der Übernahme des Gardemaße wie bei den heutigen Der Dresdner Hans-Jürgen „Dixie“ Cheftrainerpostens der DDR-Aus- Abwehrspielern waren damals Dörner gilt als der beste Abwehr- wahl durch än- noch nicht an der Tagesordnung. spieler der DDR-Fußballgeschichte.

30 SEriE SchlÜSSElSpiElEr (tEil 2): innEnVErtEidigEr

Und für Freistöße in Strafraum- konnte auch Torjäger Gerd Müller Jahre nach der WM gehörten dann nähe war ich zudem bestens geeig- bei der WM ein Lied singen. Denn jedoch dem Dresdner. net.“ In der Tat. Mit zwei verwan- beim legendären Spiel in Hamburg delten Freistößen aus der Distanz konnte der sonst so gefürchtete Bis 1985 war Dörner auf dieser schoss Bransch im entschei- Bayern-Stürmer keinerlei Torge- Position unumstritten und begeis- denden Spiel gegen Rumänien in fahr ausstrahlen. Die DDR-Abwehr terte die Fans mit seiner brillanten, Leipzig (2:0) die DDR zur Endrunde stand im Zentrum wie ein Fels, und offensiven Spielweise. In den in die Bundesrepublik. den Rest besorgte ein gewisser westlichen Medien wurde er nicht Sparwasser mit seinem Siegestor selten als „Beckenbauer des Os- Mit dem Jenaer Konrad Weise, der zum 1:0. tens“ tituliert, „doch mit dieser Sammer abgelöst hatte auf dem Etikette hatte ich nicht viel am Vorstopperposten, bildete Bransch All’ das verfolgte Hans-Jürgen Hut“, stellte Dörner immer wieder ein exzellentes Abwehrgespann. Dörner zu seinem Leidwesen nur klar. „Schon beim UEFA-Turnier Als die Hallenser 1973 aus der am Bildschirm. „Ich war zutiefst der Junioren 1969 habe ich diese DDR-Oberliga abstiegen, musste enttäuscht, dass ich nicht dabei Rolle offensiv interpretiert. Mir der Kapitän sogar nach Jena war“, sagt „Dixie“ Dörner noch kam zugute, dass ich in meiner wechseln und gab dort ein einjäh- heute. Nach einer langwierigen Spielauffassung von meinen Trai- riges Gastspiel, um die Vorberei- Gelbsucht fand er nicht rechtzeitig nern im Klub und in der Auswahl tung auf die WM nicht zu gefähr- zur notwendigen Form zurück, immer unterstützt und nie einge- den. Vom Gespann Bransch/Weise und Buschner ließ ihn daheim. Die schränkt wurde.“

Zuverlässiges DDR-Abwehrduo bei der Weltmeisterschaft 1974 in Deutschland: Bernd Bransch (links) und Konrad Weise blocken gemeinsam Mittelstürmer Gerd Müller ab. 31

Begegnung 1989 in der DDR-Oberliga: der Berliner Frank Rohde im Zweikampf mit dem Dresdner Torsten Gütschow.

Bei eigenem Ballbesitz hielt es ihn verteidigung, auf deren Stärke sich 1. FC Union Berlin) seine Entwick- nicht auf der Position des letzten die DDR-Auswahl und ihre Fans lungsstufen bis hin zum Auswahl- Mannes, vielmehr kurbelte er immer schon verlassen konnten. Libero. Organisation und Stellungs- als zusätzlicher Mittelfeldspieler Frank Rohde vom BFC Dynamo spiel waren seine Stärken. die Aktionen an, schlüpfte nicht war in der Berliner Meistermann- selten in die Rolle eines Stür- schaft zu einem erstklassigen Rohdes Qualitäten als Libero setz- mers. Das konnte er sich nur leis- Libero herangereift. ten sich auch nach der Wieder- ten, weil auf seine Vorderleute im vereinigung durch. Drei Jahre lang Abwehrzentrum Verlass war. Auf „Eigentlich habe ich als Stürmer dirigierte er die Abwehr des Ham- Klaus Sammer und später Udo begonnen, bin dann ins Mittelfeld burger SV, wurde nach dem Wech- Schmuck bei , in zurückgerückt, landete schließlich sel von Dietmar Beiersdorfer zu der Auswahl auf Konrad Weise bei Dynamo auf dem Vorstopper- Werder Bremen sogar Kapitän, oder den Magdeburger Abwehr- posten vor Norbert Trieloff, bevor bevor er bei Hertha BSC seine recken Klaus Stahmann. Hans- man mir die Libero-Position im Karriere ausklingen ließ. „Da habe Jürgen Dörner war nach einhel- Verein anvertraute. Vielleicht, weil ich vor allem im Mittelfeld wieder liger Meinung der Experten und mir ein Schuss Schnelligkeit ausgeholfen.“ So schloss sich der Mitspieler der eleganteste und fehlte.“ So schildert der gebürtige Kreis von Frank Rohdes Karriere ex zellenteste Abwehrspieler in Rostocker aus der Rohde-Dynastie wieder in Berlin. Im Osten hatte der Fußball-Geschichte der DDR. (auch die älteren Brüder Peter und sie einst begonnen, im Westen der In seinem 100. und letzten Län- Rainer zählten zu den profiliertesten neuen deutschen Hauptstadt ging derspiel bildete Dörner 1985 mit DDR-Oberliga-Spielern beim BFC sie schließlich zu Ende. seinem Nachfolger die Innen- Dynamo beziehungsweise beim Jürgen Nöldner 32 WiE Er WurdE, WaS Er iSt

Willi Schulz, der Abwehrheld aus Günnigfeld Auf der Bettkante mit Wodka, Kaviar und Jaschin

„Wer an Willi Schulz vorbeikommt, hat selber schuld.“ So hieß es in den ersten Jahren der Fußball-Bundesliga landauf, landab. Es kam allerdings auch höchst selten mal einer an Schulz vorbei, denn er war nicht nur ein „harter Hund“, sondern sowohl als Außenläufer als auch später als Stopper und Abwehrchef ein Weltklassemann. Der heute, im Alter von 74 Jahren, auf eine Bilderbuchkarriere zurückblicken kann.

Willi Schulz hat das geschafft, Amateurverein, der zu jener Zeit 1. FC Köln, für die Spielvereinigung was im heutigen Fußball wohl zwei Ligen unter der höchsten Fürth, Borussia Dortmund, den niemandem mehr gelingen wird. deutschen Spielklasse, der Ober- HSV und Borussia Mönchenglad- Vier Tage vor Heiligabend im Jahr liga West, angesiedelt war: Union bach spielten. 1959 erhielt der damals 21-Jäh- Günnigfeld. Die Experten horchten rige ein ganz besonderes Weih- auf, die Laien wunderten sich. Trockener Kommentar von Schulz: nachtsgeschenk, eines, von dem Willi wer? „Und der kleine Willi aus Günnig- jeder junge Fußballer einmal feld war dabei – das hatte schon träumt: Er debütierte in der Nati- „Nobody“ Schulz traf bei seinem was.“ Er sagt es mit einem kleinen onalmannschaft. ersten Auftritt in der National- Augenzwinkern und mit einem mannschaft immerhin auf so spitzbübischen Lächeln auf den Bundestrainer berühmte Mitspieler wie die Tor- Lippen. Und auch mit einer kleinen hatte den o-beinigen Schlacks wart-Legende Günter Sawitzki, Portion Stolz in der Stimme. Vier für das Länderspiel in Hannover Karl-Heinz Schnellinger, Herbert Länderspiele machte Willi Schulz gegen Jugoslawien nominiert. Erhard, , Welt- für Union Günnigfeld, bevor er zum Und damit für eine handfeste meister , dazu auch FC Schalke 04 und später zum Überraschung im deutschen Fuß- Alfred „Aki“ Schmidt, Uwe Seeler HSV wechselte. Auf 66 Länder- ball gesorgt. Willi Schulz spielte und Albert Brülls. Stars, die alle- spiele brachte es der Disziplin- damals nämlich in einem kleinen, samt für Spitzenklubs wie zum fanatiker, der den eingangs zitier- fast unbekannten westfälischen Beispiel den VfB Stuttgart, den ten Spruch auch noch heute nicht 33

In gespannter Körperhaltung: Wolfgang Weber und „Worldcup-Willi“ Schulz bei der Weltmeisterschaft 1966 in England.

gerne hört. Mit leicht finsterer war eigentlich ein ganz logischer von Sepp Herberger betreut wur- Miene sagt er: „So etwas gefällt Weg, auch wenn der kleine Verein den. Wir siegten 2:1 und 2:0, fuhren mir ganz und gar nicht. Ich war Union Günnigfeld natürlich für später aber doch nicht nach Rom. glashart, stimmt, aber ich habe alle gewöhnungsbedürftig war“, Weil wir noch an den A-Teams nicht mit Haken und Ösen gespielt. sagt Schulz. Finnland und Polen scheiterten.“ Und ich bin auch kein einziges Mal vom Platz gestellt worden.“ Sein Weg in die große Fußball-Welt Für Willi Schulz aber waren diese wurde aber auch durch eine be- Begegnungen der Startschuss Der Entdecker von Willi Schulz ist sondere deutsch-deutsche Be- zur ganz großen Karriere. Rück- der damalige Trainer des West- gegnung geebnet. Vor den Olympi- blickend – und im Original-Ton – deutschen Fußball-Verbandes, schen Spielen 1960 in Rom gab es befindet er heute: „Ich hatte gegen . „Er berief mich eine interne Qualifikation zwischen die DDR ganz gut gespielt, da sagte erst in die Westfalen-Auswahl, der Amateur-Nationalmannschaft der Seppl zu mir: ‚Hör mal, bei der dann in die West-Auswahl.“ So der BRD und der DDR – zwei Spiele nächsten Nummer lade ich dich begann der kontinuierliche Auf- unter Ausschluss der Öffentlich- ein …‘ Herberger hielt Wort.“ stieg: Je ein Junioren- und ein keit. Schulz erinnert sich: „Wegen B-Länderspiel folgten, zudem acht der politischen Brisanz dieser bei- Von Sepp Herberger ist Schulz Einsätze in der Amateur-National- den Partien wurde von ganz oben noch heute angetan: „Das war eine mannschaft, dann der Sprung in angeordnet, dass wir nicht nur von lebende Legende, eine absolute die A-Nationalmannschaft. „Das Georg Gawliczek, sondern auch Autorität – in jeder Beziehung.

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Gefragter Interviewpartner: Willi Schulz und Moderator Rudi Cerne beim „Tag der Legenden“ im März 2008 in Freiburg.

Er arbeitete akribisch, überließ Besonders ein kleines, aber feines habe dabei viel von den erfahre- nichts dem Zufall. Und damals Detail hat Willi Schulz nie ver- nen, abgeklärten Spielern gelernt.“ hieß es ja immer: Wenn man es in gessen: „Man bekam auch oft Post Besonders angetan war der junge Herbergers Notizbuch geschafft vom Bundestrainer. Wenn man Schulz von Cracks wie „Boss“ hat, dann ist das eine Sensation. zum Beispiel in seinem Verein Rahn und Erhard: „Zu ihnen habe Wohl gemerkt, sein Notizbuch! nicht gut gespielt hatte, dann gab ich besonders aufgeschaut. Das Der musste nur einmal gucken, es ermunternde Tipps. Aber er waren Weltmeister, da guckt man dann wusste man, was die Stunde fand auch schon mal mahnende dann schon mal ganz genau hin. geschlagen hat.“ Worte. Eines jedoch gab es nicht: Trotz allem ist man überrascht, Er hat nie einen Spieler öffentlich wie kumpelhaft die Jungs dann kritisiert. Das hat er alles per Post gemacht.“

Am 18. Dezember 1959 traf sich die Nationalmannschaft vor dem Jugoslawien-Spiel in Hannover. Mit Neuling Schulz. „Man kannte den einen oder anderen Spieler schon von Lehrgängen, so ganz jungfräulich wurde ich dann doch nicht in den Teich geworfen. Den- noch war die Situation natürlich „Wo der Willi ist, ist auch völlig neu. Deswegen war meine ein Weg“: Willi Schulz mit Klaus Fichtel, Reinhard „Stan“ Devise: Ruhe bewahren, beob- Libuda und Co-Trainer Jupp achten, Mund halten. Ich kam nicht Derwall (von links). zu Wort, hörte aber gut zu – und 36 WiE Er WurdE, WaS Er iSt

trotz ihrer Größe sind. Ich bin befördert. In Rotterdam lief fol- Spiel viele Freiheiten und hatte bestens aufgenommen worden.“ gende deutsche Läuferreihe beim damit Erfolg.“ 4:2-Sieg gegen die Niederlande auf Ganz besonders kümmerte sich den Rasen: Franz Beckenbauer, Ein Beispiel hat Willi Schulz auch auch der Hamburger Uwe Seeler Willi Schulz, Wolfgang Weber. parat: „Wir spielten 1969 in der um den „Neuling“. Willi Schulz er- „Erst war man Mittelläufer und WM-Quali in Hamburg gegen innert sich an den nur zwei Jahre Stopper, dann Libero. Ich habe Schottland, gewannen 3:2. Vor älteren Mittelstürmer: „Der Uwe alles gerne gespielt. Ohnehin muss dem Spiel liefen sich die Schotten hatte mitbekommen, dass sich ich sagen, von einem National- in Trainingsanzügen warm, und als einige West-Klubs um mich be- spieler muss man verlangen kön- sie die auszogen, hatten alle Spie- mühten, und er sagte mir damals nen, dass er sich jeder Situation ler ganz andere Rückennummern immer wieder: ‚Willi, mach keinen anpassen und verschiedene Posi- als uns vorher gesagt worden war. Fehler, komm zum HSV.‘ Aber tionen spielen kann“, so Schulz. Ich lief zum Trainer an den Spiel- obwohl ich mich mit dem Uwe auf feldrand: ‚Herr Schön, was nun? Anhieb ganz hervorragend ver- Über die unterschiedliche Arbeits- Die spielen jetzt ja ganz anders.‘ standen habe, was bis heute weise der Bundestrainer befindet Helmut Schön blieb ruhig und auch so geblieben ist – ich bin dann er heute: „Herberger war wie ein sagte nur: ‚Du bist doch alt genug, doch erst zu Schalke 04 gegangen.“ kleiner Fußball-Diktator, er gab dann musst du die Mannschaft Als Außenläufer. Erst Jahre spä- genau eine Linie vor, die war einzu- eben umstellen. Das müsst ihr ter, am 22. März 1966, wurde halten – sonst war man draußen. selbst auf die Reihe bringen.‘ Und Schulz von Bundestrainer Helmut Schön dagegen ließ uns an der das haben wir auch gemacht – es Schön zum Stopper der Nation langen Leine, ließ uns auch im hat funktioniert.“

„Keep Smiling“: Willi Schulz, Rafael van der Vaart und Uwe Seeler bei der Saisonabschlussfeier 2006 des Hamburger SV. 37

Der „Walk of Fame“ am Hamburger Stadion: Fußabdruck von Willi Schulz.

Später, nach dem Erstliga-Abstieg Willi Schulz erinnert sich: „Ich saß Und gut geht es ihm heute – sogar Schalkes 1965, wechselte Willi auf der Bettkante, als Jaschin he- bestens. Gelegentlich verspürt er Schulz dann doch zum HSV. Weil reinkam. Und als er seinen Koffer zwar ein Zwicken im linken Knie, Uwe Seeler nie aufgegeben hatte. öffnete, staunte ich nicht schlecht. aber ansonsten ist alles okay. Er „In Hamburg habe ich dann mein Wir hatten alle Hemden, Anzug spielt Golf, in seinem Haus stehen Glück gefunden, so gesehen und andere Klamotten dabei, Lew in Schränken und Vitrinen Pokale habe ich dem dicken Seeler schon aber holte nur zwei Dosen Kaviar über Pokale, die er gewonnen einiges zu verdanken.“ hervor – und dazu zwei Flaschen hat – mit Handicap 11,9. Und auch Wodka. Dann holte er die Zahn- beruflich ist Willi Schulz eine Willi Schulz nahm an drei Welt- putzgläser aus dem Badezimmer Klasse für sich. Er arbeitet immer meisterschaften teil, wurde 1966 und goss uns einen Wodka ein. Wir noch wie eh und je, fleißig und der „World-Cup-Willi“, drückte als saßen gemeinsam auf der Bett- emsig, er steht jeden Morgen Vize-Weltmeister der Queen die kante und ließen es uns gut gehen.“ eisern um sieben Uhr auf: „Das ist Hand, trank ein Bier mit Prinz Gesetz. Nur der frühe Vogel fängt Philipp – und spielte in der Europa- Mit 35 Jahren beendete Willi den Wurm, das weiß man ja.“ Und und Welt-Auswahl. 1965 trat die Schulz, der ein großes Stück deut- dann kann die Arbeit gelegent- FIFA-Mannschaft vor 150.000 scher Fußballgeschichte mitge- lich auch bis Mitternacht dauern. Zuschauern im Maracana-Stadion schrieben hat, seine überaus er- Vier Firmen tragen seinen Namen, zu Rio auf. Willi Schulz war ge- folgreiche Fußballlaufbahn. „Weil Schulz macht in Versicherungen meinsam mit Franz Beckenbauer morgens die Knochen schon mal und in Immobilien – und vieles und nach Bra- knackten“, sagt er. In Hamburg mehr. Über ihn sagt man, dass er silien geflogen, bezog ein Doppel- ist er sesshaft geworden, dem HSV längst Multi-Millionär sei. Sein zimmer mit dem Torwart der Aus- ist er ebenfalls treu geblieben. Resümee dazu fällt kurz, aber wahl: Lew Jaschin. Während die Regelmäßig sieht er die Spiele im durchaus treffend aus: „Ja, der Deutschen alle einen riesigen Volkspark („Ein vernünftiges Fuß- kleine Junge aus Günnigfeld hat Koffer mitgeschleppt hatten, be- ballspiel ist wie eine Droge“), auch etwas aus seinem Leben gemacht.“ trat der große Jaschin das Zimmer Mitglied im Aufsichtsrat des Ver- mit einem kleinen Handköfferchen. eins war er schon. Dieter Matz 38 diagonalpÄSSE

Nach Herzinfarkt: Dieter Müller „geht’s wieder gut“

„Mir geht’s wieder gut“. Voller Optimis- mus äußerte sich Ex-Nationalspieler Dieter Müller, nachdem er Mitte No- vember nach sechswöchigem Kranken- haus- und Reha-Aufenthalt nach Hause entlassen worden war. Am 30. Septem- ber hatte der Vize-Europameister von 1976 einen schweren Herzinfarkt er- litten und war in Ohnmacht gefallen. Seine Lebensgefährtin Johanna Höhl hatte sofort den Notarzt gerufen und bis zum Eintreffen des Mediziners Herz- massagen vorgenommen. „Johanna hat mir das Leben gerettet. Wenn sie nicht gewesen wäre, gäbe es mich nicht mehr“, sagte der 58-Jährige der „Bild“-Zeitung. „Später erfuhr ich, dass Laureus-Preisträger 2012: DFB-Präsident Wolfgang Niersbach. mein Herz insgesamt 31 Minuten still gestanden hat.“ 1978 zwölf Länderspiele (neun Tore) Wolfgang Niersbach Offenbachs Fußball-Idol lag nach dem bestritt, seitdem abgenommen. „Mir mit Laureus-Preis geehrt Zusammenbruch in seinem Haus in wurde ein zweites Leben geschenkt. Maintal fünf Tage lang im künstlichen Das will ich genießen und mein ak tuel les Im Rahmen einer feierlichen Veran- Koma. 14 Kilo hat der frühere Stürmer, Gewicht halten“, sagt Dieter Müller, der staltung erhielt Wolfgang Niersbach (62), der in 303 Bundesligaspielen für Kickers bis zum Juli 2012 Präsident des Dritt- stellvertretend für den DFB, wie er be- Offenbach, den 1. FC Köln, VfB Stuttgart ligisten war, dieses tonte, im vergangenen Monat den zum und 1. FC Saarbrücken insgesamt 177 Amt nach zwölf Jahren dann aber we- achten Mal vergebenen „Laureus-Medien- Tore erzielte und zwischen 1976 und gen Unstimmigkeiten abgegeben hatte. Preis“. Vor 300 geladenen Gästen wurde der DFB-Präsident in Kitzbühel zudem mit dem „Ehrenpreis für Wohltätigkeit“ ausgezeichnet. Die launige Laudatio hielt Franz Beckenbauer, der Ehrenspielführer der deutschen Nationalmannschaft, der Niersbach seit dessen Einstieg beim DFB als Pressechef 1988 sehr schätzt. „Diese Auszeichnung ist Anerkennung und An- sporn zugleich“, freute sich Niersbach. Sie gilt dem DFB-Projekt „Kicking Girls“, das Mädchen mit Migrationshintergrund in und über den Fußball integriert.

Bald Hirsch-Straße und Fuchs-Platz in Karlsruhe

Karlsruhe bekommt demnächst mög- licherweise eine Julius-Hirsch-Straße und einen Gottfried-Fuchs-Platz. Dies hat der Karlsruher Gemeinderat auf einen CDU-Antrag hin einstimmig beschlossen. Entsprechende Gespräche mit den Anwohnern sollen jetzt geführt werden. Julius Hirsch und Gottfried Fuchs waren zwei deutsche National- spieler jüdischen Glaubens, die gemein- „Zweites Leben geschenkt“: Dieter Müller erlitt im September einen schweren Herzinfarkt. sam für den damaligen Karlsruher FV 39

Gemeinsam für den Karlsruher FV aktiv: Gottfried Fuchs (links) und Julius Hirsch wurden wegen ihres jüdischen Glaubens verfolgt.

spielten und zwischen 1911 und 1913 lung: „Unter Spielern – Die National- Bundestrainer Jogi Löw. Anfang 2011 sechs beziehungsweise sieben Länder- mannschaft“. Unter diesem Titel zeigt hatte , Manager der spiele bestritten, wobei Fuchs mit der Martin-Gropius-Bau noch bis zum Fußball-Nationalmannschaft, die inter- zehn Toren beim 16:0-Sieg gegen Russ- 6. Januar 2013 mit 45 großformatigen national renommierte Fotografin in land die bis heute meisten Treffer bei Schwarz-Weiß-Fotografien der Künst- einer Münchner Galerie kennengelernt. einem DFB-Länderspiel erzielte. Julius lerin Regina Schmeken Fußball als hohe So entstand das gemeinsame Projekt, Hirsch wurde 1943 in Auschwitz ermor- Kunst. Entstanden sind die Werke in das Regina Schmeken gemeinsam mit det. Gottfried Fuchs floh vor den Nazis den vergangenen beiden Jahren am der Nationalmannschaft durch viele 1937 zunächst in die Schweiz und wan- Rande der Länderspiele des Teams von europäische Stadien führte. derte später nach Kanada aus. Nach Julius Hirsch ist ein seit 2005 alljährlich vom DFB vergebener Preis für besonde- re Verdienste um Toleranz und Respekt sowie gegen Diskriminierung, Ras- sismus und Antisemitismus benannt. 2012 wurde das Fan-Projekt des 1. FC Kaiserslautern mit dem Preis ausge- zeichnet. „Für das entschlossene Vor- gehen gegen rassistische und anti- semitische Beleidigungen gegen den israelischen FCK-Spieler Itay Shechter“, so die Begründung der Jury.

Ausstellung präsentiert Fußball als hohe Kunst

Sie werden oft fotografiert, so aber hat man die Nationalspieler noch nicht gesehen. Zum Beispiel , über den Grasspitzen schwebend, fili- gran wie ein Balletttänzer. Die Last seines durchtrainierten Körpers ruht allein auf einer Fußspitze. Oliver Bier- hoff und Kulturstaatsminister Bernd Neumann eröffneten dieser Tage in Berlin eine außergewöhnliche Ausstel- Ausstellungseröffnung: Regina Schmeken mit Kulturstaatsminister Bernd Neumann (links). 40 diagonalpÄSSE

Stiftung derzeit 104 Projekte. Manuel Neuer hat derweil auch als Profi beim FC Bayern München seine Wurzeln nicht vergessen. Mit seiner „Kids Foundation“ unterstützt der National- torwart benachteiligte Kinder aus seiner Heimatregion Gelsenkirchen. Zudem setzt er sich als Pate der RTL- Aktion „Wir helfen Kindern“ für den Bau eines Kinderhauses im Stadtteil Buer ein. Die Probleme von Jugendlichen liegen auch dem aktuellen U 21-Nati- onalspieler Sebastian Rode (22) am Her- zen. Der Shooting-Star der Frankfurter Eintracht wurde vor wenigen Tagen als Hessens neuer Präventionsbotschafter gegen Gewalt und Kriminalität vor allem bei Jugendlichen vorgestellt. Der Mittelfeldspieler will in den nächsten Monaten in hessischen Schulen dafür werben, dass man Streit und Konflikte besser im Gespräch und damit ohne Gewalt löst.

Hohe Auszeichnung: DFB-Ehrenspielführer und CdN-Vorsitzender Uwe Seeler. 10.000 Euro von Jogi Löw für Passauer Waisenhaus Walther-Bensemann-Preis November die Funktion als „Botschafter an HSV-Legende Uwe Seeler der Laureus Sport for Good Stiftung In Sachen sozialem Engagement will Deutschland“. Nach seiner Ernennung der Bundestrainer seinen National- Uwe Seeler, Ehrenspielführer der deut- ist der Europameister von 1996 und spielern nicht nachstehen. So machte schen Nationalmannschaft und Vorsit- heutige Sportdirektor des VfB Stuttgart kurz vor Weihnachten die Passauer zender des Clubs der Nationalspieler, ist jetzt Schirmherr für das Straßenfuß- Neue Presse öffentlich, dass Joachim der siebte Träger des von der Deutschen ballprojekt „KICKFORMORE“ in Baden- Löw aus seiner Privatschatulle den Akademie für Fußballkultur verliehe- Württemberg. Weltweit unterstützt die neun Kindern des örtlichen Lukas- nen Walther-Bensemann-Preises. Mitte November trat das Idol des Hamburger SV damit die Nachfolge von Franz Beckenbauer, Alfredo di Stefano, , César Luis Menotti, Otto Rehhagel und Sir Bobby Charlton an. „Uns Uwe“ sei, so die Begründung der Jury des nach dem Gründer des „kicker“ benannten Preises, „Symbol und Mythos, Prototyp eines ehrlichen, aufrichtigen und allürenfreien Men- schen, als Fußballer geliebt und ver- ehrt“, wie kicker-Herausgeber Rainer Holzschuh bei der Ehrung in der Nürnberger Tafelhalle betonte.

Bobic, Neuer, Bode mit gutem Beispiel voran

Nationalspieler des DFB sind sich ihrer Vorbildrolle immer wieder bewusst und gehen mit gutem Beispiel voran. So übernahm (41) Mitte Botschafter der Laureus Sport for Good Stiftung Deutschland: Fredi Bobic, Europameister 1996. 41

Kern-Kinderheims 10.000 Euro zu- kommen lässt. Mit der Spende sollen den Kindern zweckgebunden im kommen- den Jahr ein schöner Urlaub oder andere pädagogisch sinnvolle Freizeitbeschäf- tigungen ermöglicht werden. Ein Freund Jogi Löws hatte den Kontakt nach Passau hergestellt, wo in dem Lukas-Kern-Kinderheim derzeit neun Kinder, Sozialwaisen zwischen acht und 16 Jahren dauerhaft untergebracht sind. „Wir freuen uns riesig über diese un- gemein großzügige Spende und danken dem Spender jetzt einfach mal stell- vertretend für die Kinder ganz herzlich für dieses Highlight“, sagte Heimleiter Frank Schmidt.

Vorbild in Sachen Fair-Play: der 127-malige Nationalspieler Miroslav Klose. Oliver Bierhoff über „Druck im Profisport“ Miro Klose: Vorbild war, vor dem Anpfiff des WM-Quali- Die Erwartungen im Umfeld werden als „Wiederholungstäter“ fikationsspiels gegen Schweden die immer größer. Der Anspruch, auch an Fair-Play-Medaille des DFB verliehen. sich selbst, immer höher. Der Druck im 121 Tore hatte Miroslav Klose in der Schon 2005 war der Stürmer, damals Sport, speziell im professionellen Fuß- Bundesliga geschossen. 67 sind es in- noch bei Werder Bremen, für sein vor- ball, wird immer stärker. So befasste zwischen für die deutsche National- bildlich faires Verhalten ausgezeichnet sich kürzlich eine Podiumsdiskussion mannschaft. 17 Treffer waren es bis zu worden. Als der Schiedsrichter damals in der EBS Universität für Wirtschaft jenem Zeitpunkt in Italiens . ein angebliches Foul an Klose mit Elf- und Recht in Oestrich-Winkel nicht nur Dieses Tor aber wollte er nicht. Das meter ahnden wollte, korrigierte der mit einem brandaktuellen Thema. In vermeintliche 1:0 für Lazio Rom am Nationalspieler die Entscheidung des Oliver Bierhoff, Europameister von 1996, fünften Punktspieltag in Neapel. Wäh- Unparteiischen. „Am Fernseher schau- und Profifußballer in Deutschland, Ös- rend die Kollegen ihn noch feierten, en auch viele Kinder und Jugendliche terreich und Frankreich sowie Meister ging Klose (34) zum Schiedsrichter und zu. Auch deshalb müssen gerade wir und Torschützenkönig in Italien, besaß klärte ihn über das unabsichtliche die Fairness im Sport bewahren“, die Diskussionsrunde zudem neben Handspiel im Strafraumgetümmel auf, sagte der Vater von Zwillingen. „Bravo, DFL-Chef Christian Seifert, Hans- mit dem er seinen Treffer erzielt Klose“ – mit dieser Schlagzeile ver- Joachim Watzke, Vorsitzender der Ge- hatte. Das Tor wurde annulliert, Lazio neigten sich die größte italienische schäftsführung von Borussia Dortmund, verlor die Begegnung mit 0:3. Miroslav Tageszeitung, „Gazetta dello Sport“, und Dr. Michael Illgner, Vorstandschef Klose aber wurde für diese Aktion, und andere italienische Publikationen der Deutschen Sporthilfe, ein weiteres die für ihn eine Selbstverständlichkeit vor dem deutschen Torjäger. kompetentes Mitglied, das den „Druck im Profisport“, so das Diskussions- thema, in allen Facetten immer wieder gespürt und auch weiterhin zu bewäl- tigen hat. „Durch das immer größer werdende Medien-Aufkommen und das immens gewordene öffentliche Inte- resse wird der Druck gerade im Profi- fußball zunehmend größer. So gehört es heutzutage zu den Anforderungen an einen Profi, sich darauf einzustellen und damit umzugehen. Dementspre- chend müssen wir als Verantwortliche aber auch sinnvolle Lösungen beim Anbieten von Hilfestellung finden“, lautete das Resümee des früheren

70-maligen Nationalspielers und heuti- Podiumsdiskussion zum „Druck im Profisport“: Dr. Michael Illgner, Christian Seifert, gen Managers der Nationalmannschaft. Oliver Bierhoff und Hans-Joachim Watzke (von links). 42 diagonalpÄSSE

will, so betonte Niersbach, „im Mann- schaftsbus der Nationalmannschaft auf dem Platz von Jogi Löw Platz nehmen“.

Dremmler und Kahn für Herberger-Stiftung aktiv

Die DFB-Stiftung Sepp Herberger hat kürzlich einen weiteren Botschafter für ihre sozialen und gesellschaftspoli- tischen Aktivitäten ernannt. Wolfgang Dremmler (58) ist nach der zweite ehemalige Bayern-Spieler in dieser Funktion. Seinen ersten Einsatz hatte der 27-malige Nationalspieler dieser Tage im Münchner Olympiapark bei der Meisterehrung der Bundesliga- Vielfältiges soziales Engagement: Bayern-Präsident Uli Hoeneß. Blindenfußballer, als die Mannschaft aus Marburg den Meisterpokal aus den Händen des Vizeweltmeisters von 1982 Uli Hoeneß „weit über 2014 soll das Museum fertiggestellt sein, entgegennehmen konnte. Wie der heu- normal sozial engagiert“ in dem auf 7.000 Quadratmetern die tige Leiter des Nachwuchsleistungszen- Historie des deutschen Fußballs doku- trums der Bayern war auch Oliver Kahn Erneute Ehrung für den auch sozial mentiert wird. In dem 90 Meter langen, dieser Tage für die Sepp-Herberger- ungemein engagierten Präsidenten des verglasten und futuristisch anmuten- Stiftung unterwegs. In Schifferstadt, FC Bayern München. Die bayerische den Quaderbau stellt der DFB neben wo sechs Teams aus Strafanstalten im Staatsministerin für Arbeit und So- wichtigen Erfolgsgegenständen wie Rahmen der Resozialisierungsinitiative ziales, Familie und Frauen, Christine WM- und EM-Pokale alltägliche Dinge „Anstoß für ein neues Leben“ um den Haderthauer, zeichnete Uli Hoeneß aus dem Fußballerleben aus. Dazu kom- Sepp-Herberger-Pokal gekämpft haben, dieser Tage für seine „sozialen Ver- men unter anderem filmischen Doku- überreichte der frühere Welttorhüter dienste weit über das normale Maß mentationen und interaktive Installa- die Trophäe an die Siegermannschaft hinaus“ mit der Staatsmedaille aus. tionen. Und im Erdgeschoss kann, wer aus Hameln und Vechta. Unter anderem hatte der Weltmeister von 1974 eine Stiftung mit dem Namen Dominik Brunners, der 2009 getötet wurde, als er sich schützend vor Kinder stellte, ins Leben gerufen. „Wir alle wissen, dass wir auf der Sonnenseite des Lebens stehen. Einen Teil dieser Sonne sollten wir abgeben“, sagte der Preisträger.

DFB-Fußballmuseum wird immer deutlicher Realität

Bislang konnte man sich nur virtuell einen Eindruck von dem Projekt ver- schaffen. Jetzt aber bekommt das DFB- Fußballmuseum auch real immer deut- licher Konturen, seitdem dieser Tage der erste Spatenstich in Dortmund voll- zogen wurde. Unter Anleitung von DFB- Präsident Wolfgang Niersbach griffen zahlreiche Prominente wie die ehema- ligen Nationalspieler Uwe Seeler, Siggi Held, , und die Kremers-Zwillinge zur Schaufel. Neuer Botschafter der DFB-Stiftung Sepp Herberger: Wolfgang Dremmler, Vize-Weltmeister 1982. JuBilÄEn/rundE gEBurtStagE 43

Runde Geburtstage 30 Jahre (In Klammern Anzahl der Länderspiele) SIMON ROLFES (12) am 21. Januar, 40 Jahre ANDREAS GÖRLITZ (2) am 31. Januar, KEVIN KURANYI (50) am 2. März, STEFAN BEINLICH (5) am 13. Januar, (17) am 26. März, CHRISTIAN ZIEGE (72) am 1. Februar, THOMAS HITZLSPERGER (38) am 5. April, ALEXANDER MADLUNG (2) am 11. Juli.

Jubiläen

Debütantenball vor 20 Jahren (1992) (insgesamt 7 Län- derspiele, Alter und Verein beim 1. Län- Abschiedsspiel vor 20 Jahren (1992) derspiel: 30 Jahre, Borussia Dortmund) am 25. März gegen Italien (0:1), CHRIS- MANFRED BINZ (insgesamt 14 Länder- TIAN WÖRNS (66, 19, Bayer Lever- spiele, Alter und Verein beim letzten kusen) am 22. April gegen Tschecho- Länderspiel: 26 Jahre, Eintracht Frank- slowakei (1:1), MARTIN WAGNER furt) am 18. Juni gegen die Niederlande (6, 24, 1. FC Kaiserslautern) am 16. De- (1:3), (19, 28, zember gegen Brasilien (1:3), THOMAS VfB Stuttgart) am 9. September gegen WOLTER (1, 29, Werder Bremen) am Dänemark (2:1), (8, 26, Christian Ziege 16. Dezember gegen Brasilien (1:3), Bayer Leverkusen) am 14. Oktober ge- MICHAEL ZORC (7, 30, Borussia Dort- gen Mexiko (1:1), KNUT REINHARDT MARKO REHMER (35) am 29. April, mund) am 16. Dezember gegen Brasilien (7, 24, Borussia Dortmund) am 16. De- CHRISTIAN WÖRNS (66) am 10. Mai, (1:3), BRUNO LABBADIA (2, 26, Bayern zember gegen Brasilien (1:3), THOMAS HEIKO GERBER (2) am 11. Juli, MARKUS München) am 20. Dezember gegen WOLTER (1, 29, Werder Bremen) am BABBEL (51) am 8. September. Uruguay (4:1). 16. Dezember gegen Brasilien (1:3).

Marko Rehmer Kevin Kuranyi Heiko Scholz

Markus Babbel Michael Zorc Thomas Wolter 44 IN MEMORIAM

Wir trauern um Helmut Haller (73), der am 11. Oktober 2012 in Augsburg verstorben ist.

„Einer der ganz Großen ist von uns gegangen“

Drei Meistertitel mit Bologna und Juventus Turin sowie 1964 die Wahl als erster Ausländer zu Italiens „Fußballer des Jahres“ stehen für eine der erfolgreichsten deutschen Fußball-Karrieren in Italien. Für die deutsche Nationalmannschaft bestritt Helmut Haller von seinem 19. Lebensjahr an 33 Länderspiele, erzielte 13 Tore und nahm an drei WM-Endrunden teil, wobei er 1966 mit sechs Treffern Vize-Weltmeister wurde. Damals teilte sich der Augsburger das Zimmer mit Franz Becken- bauer. Aus Anlass von Helmut Hallers Tod blickt der DFB-Ehrenspielführer im CdN-Magazin zurück auf gemeinsame Zeiten mit einem „liebenswerten Menschen und einem ganz besonderen Fußballspieler“.

Es war eine bewegende Trauer- mit ihm aus Italien waren damals dritten Vorrunden-Spiels gegen feier, mit der wir am 18. Oktober eine Rarität. So dauerte es bis Spanien in Birmingham. Wir lagen Abschied genommen haben von 1964, als wir uns das erste Mal zur Mittagsruhe in unseren Betten, Helmut. Nicht nur in Augsburg, wo persönlich begegneten. Das war als Dettmar Cramer ins Zimmer er und seine Fußballkunst verehrt beim ersten Vorbereitungs-Lehr- kam. Er war damals der Assistent und geliebt wurden, sondern weit gang für die WM 1966. von Helmut Schön und wandte darüber hinaus hat sein Tod große sich direkt an meinen Spezi. Trauer ausgelöst. Dies zeigte die Danach war er wieder verschwun- „Helmut“, sagte Cramer, „ich soll riesige Anteilnahme. Auch Abord- den in Italien, ehe wir 1966 in dir vom Bundestrainer die Mittei- nungen vom DFB, vom FC Bologna Irland unser erstes gemeinsames lung überbringen, dass du heute und von Juventus Turin brachten Länderspiel bestritten. Ein paar nicht spielst.“ Wir waren beide beim Requiem in der Kirche und Wochen später ging dann die WM total erstaunt, weil wir bis dahin in bei der Beisetzung auf dem Fried- in England los, und dort habe ich guter Stimmung waren. Schließ- hof die emotionale Verbundenheit, lich hatte ja jeder von uns beim die große Anerkennung und den WM-Auftakt gegen die Schweiz enormen Respekt vor Helmuts Von Franz Beckenbauer zwei Tore geschossen – und nun Lebensleistung im Fußball sehr das. Der Helmut war völlig eindrucksvoll zum Ausdruck. verstummt und stocksauer, hat den Helmut genauer kennenge- überhaupt nichts gesagt. Mit Helmut Haller ist ein ganz lernt. Er war mein Zimmerkollege Großer, einer der Besten des während der knapp vier Wochen Doch als Dettmar Cramer das Zim- Fußballs, von uns gegangen, ein bei diesem Turnier. Seitdem weiß mer verlassen hatte, stand er auf, wirklich ganz besonderer Spieler. ich, welch ein fröhlicher und le- packte seinen Koffer und rief mir Es war für mich als der sechs benslustiger Junge er in all’ den zu: „Jetzt fahr i hoim, i fahr hoim.“ Jahre Jüngere nicht ganz einfach, Jahren gewesen ist. , Ich sagte ihm: „Helmut, spinnst ihn und seine Spielkunst Anfang und der Helmut, sie du. Das gibt doch einen Riesen- und Mitte der 60er-Jahre wahrzu- waren die großen Stimmungs- aufruhr.“ Schließlich konnte ich nehmen. Er ging ja 1963 für zehn kanonen in unserer Truppe. ihn überreden, dass er bleibt. Zu Jahre von Augsburg nach Italien, unserem Glück. Denn nach der hat also nie in der Bundesliga ge- Nur einmal verschlug es ihm die Spanien-Partie kehrte er ins Team spielt. Und Fernsehausschnitte Sprache. Das war am Tag des zurück und schoss uns mit drei Empfang der Vize-Weltmeister 1966 in München: Franz Beckenbauer und Helmut Haller.

Toren in den beiden Spielen gegen Länderspiele bestreiten müssen. In den vergangenen Jahren hat Uruguay und die Sowjetunion ins Der Helmut war ein Kumpel, ein der Kontakt zwischen uns etwas Finale von Wembley, und auch Freund, ein wunderbarer Mensch, nachgelassen. Ich habe ihn mal dort erzielte er unser erstes Tor. immer hilfsbereit, mit einer er- bei der WM 2006 gesehen. Und bei Wie schon gesagt, er war ein ganz staunlichen psychischen Ver- einem unserer Jahrestreffen im besonderer Spieler. Und er wäre fassung. Ich habe viele Spieler Club der Nationalspieler konnten mit seiner Spielart gerade auch kennengelernt, die waren vor wir 2009 in Hamburg miteinander heute prädestiniert, da wieder das dem Spiel cool und selbstbe- plaudern. Er hat sich wegen seiner schnelle Kurzpass-Spiel im Offen- wusst, doch wenn sie dann auf Krankheit dann immer mehr zu- sivsystem angesagt ist. Darin war dem Platz standen, war plötzlich rückgezogen. Was mir an ihm als er ein Meister, ein anderer Spieler- eine große Nervosität da. Beim Mensch ganz besonders gefiel, typ wie Günter Netzer und Wolf- Helmut war es genau umgekehrt. war seine Bodenständigkeit, mit gang Overath, die eher den langen Der war vorher kribbelig und der er vor und nach seiner Zeit Pass bevorzugt haben. Beim Zu- hibbelig, mit dem Anpfiff aber war in Italien Augsburg und seinem sammenspiel mit ihm musstest du er die Ruhe selbst. Das hat mich Verein dort die Treue gehalten hat. höllisch aufpassen und immer immer verblüfft. hellwach sein, weil er dich immer Wenn ich ehrlich bin, bin ich ein mit einbezogen hat. Ein Kombina- Noch eine kleine Rückblende: Ich bisschen froh, dass ich ihn nicht tionskünstler und toller Techniker persönlich habe durch den Helmut mehr gesehen habe zum Schluss. im offensiven Mittelfeld und dazu zum ersten Mal erfahren, was Ich kannte ihn vor allem lachend noch sehr torgefährlich. Mode ist. In Italien waren sie doch und fröhlich, fast wie ein Kind. Als immer weit voraus. Bei uns sind einen, der immer für jeden Blöd- Die 33 Länderspiele, die er wegen wir noch im Baumwoll-Jankerl sinn zu haben war – und dennoch seiner Abwesenheit in Italien rumgelaufen, da kam der Helmut als eine vitale, agile und elanvolle nur absolviert hat, weil der Bun- schon in eleganten Seidenhemden Persönlichkeit. Ein total liebens- destrainer zur damaligen Zeit ja daher. Ich habe ihn dann gebeten, werter Mensch, der sich auch mit der Postkutsche zur Beob- mir immer wieder mal eine solche sozial sehr engagiert hat. Diese achtung hätte hinfahren müssen, Kollektion an Hemden aus Italien Bilder sind es, die ich mit ihm bringen seine Weltklasse nicht mitzubringen. Der Helmut war, so verbinde. Und so will und werde annähernd zum Ausdruck. Nor- kann man sagen, der erste Mode- ich meinen Freund in Erinnerung malerweise hätte er an die 100 berater für mich. behalten. Fußball ist Zukunft!

Der DFB wünscht allen Cd N-Mitgliedern und deren Angehörigen frohe Weihnachten und ein gutes neues Jahr. imprESSum

herausgeber: Verantwortlich gastautoren: Deutscher Fußball-Bund für den inhalt: Oskar Beck, Dieter Matz, Otto-Fleck-Schneise 6 Ralf Köttker Roland Zorn 60528 Frankfurt/Main (DFB-Direktor Kommunikation Telefon: (0 69) 67 88-0 und Öffentlichkeitsarbeit) Bildquellen: Telefax: (0 69) 67 88-2 04 Getty Images, Imago, dpa E-Mail: [email protected] chefredaktion/konzeption: www.dfb.de Wolfgang Tobien (c/o DFB) gesamtherstellung: Braun & Sohn projektleiter redaktionelle mitarbeit: Druckerei GmbH & Co. KG club der nationalspieler: Klaus Koltzenburg, Am Kreuzstein 85 Michael Kirchner (c/o DFB) Jürgen Nöldner 63477 Maintal www.dfb.de | www.nationalspieler.dfb.de