Ausgabe Nr. 72 (2/2018) · Tamus 5778 · € 5,- www.nunu.at

Jüdische Sommerfrische als ambivalentes (Über-)Lebensgefühl

Editorial

VON DANIELLE SPERA VON ANDREA SCHURIAN HERAUSGEBERIN CHEFREDAKTEURIN

Koscher in den Bergen Sommerfrischezeit

Mit großer Freude und erfüllt von den überwältigend Meer, Berge, Seen, Reisen, Kulturgenuss, Festspiele, Tapetenwechsel, vielen aufbauenden Reaktionen auf unser letztes NU, Leichtigkeit des Seins, schöne Erinnerungen, aber auch Antisemitismus, das erste unter einer neuen Chefredaktion und Heraus- Ausgrenzung, Ablehnung – unser Schwerpunktthema beschäftigt sich geberschaft, dürfen wir Ihnen hier die Sommer-Ausgabe diesmal mit jüdischer Sommerfrische einst und jetzt. Zunächst übersie- von NU präsentieren. Passend dazu unser Schwerpunkt: delte die Aristokratie für den „Erholungsaufenthalt der Städter auf dem die (jüdische) Sommerfrische. Menschen aus der Stadt Lande zur Sommerzeit“, wie die Gebrüder Grimm in ihrem Wörterbuch den suchten Erholung in der Natur. Die Bezeichnung aus Begriff „Sommerfrische“ definierten, von ihren Stadtpalais in die Land- dem Italienischen „prendere aria fresca“ wurde tatsäch- schlösser; bald machte es ihnen das – zumeist jüdische – Großbürgertum lich zu einem Inbegriff der Erholungskultur im Sommer. nach und tauschte während der Sommermonate Stadtwohnungen gegen Auch von den Jüdinnen und Juden wurde diese Idee kühle Saisonvillen in der Provinz. Ida Salamon hat mit dem Schauspieler, mit Begeisterung aufgenommen. Erobert wurden der Autor und Kabarettisten Miguel Herz-Kestranek eine Reise in die Vergan- Semmering, das Gasteinertal, das Ausseerland und viele genheit und anseine persönlichen Sehnsuchtsorte unternommen. Es war andere ländliche Gegenden in der Donaumonarchie, wo – auch – eine wehmütige und schmerzvolle Reise. Denn in der Zwischen- Jüdinnen und Juden selbstverständlich auch die örtli- kriegszeit beschied man vielerorts den jüdischen Gästen, unerwünscht zu che Tracht trugen, wie ein legendäres Foto von Sigmund sein, presste ihnen ihre Häuser ab und annoncierte jubelnd „judenfreie“ Freud und seiner Tochter Anna aus dem Jahr 1913 zeigt. Ferienorte, wie Marie-Theres Arnbom, Autorin zahlreicher Bücher zu die- In der Zwischenkriegszeit erlebte die Sommerfrische sem Thema, in Erinnerung ruft. Bäder- und Sommerfrischen-Antisemitis- eine letzte Hochblüte. mus war einer der düsteren Vorboten drohender Nazi-Pest. Ab den frühen 1930er Jahren wurden Jüdinnen und Zu den immer noch vorhandenen braunen Resten und Rändern ge- Juden immer vehementer aus den Erholungsorten ge- sellt sich nun islam(ist)isch geprägter Judenhass. Es sind, schreibt Eric drängt, die Zäsur des Jahres 1938 setzte dieser Kultur Frey in seinem luziden Essay, „zwei unvergleichbare Gefahren“. Erklä- ein Ende. Die Vertreibung der Jüdinnen und Juden be- rungen für islamischen Antisemitismus werden oft in der Politik des deutete den Niedergang vieler klassischer Sommerkur- Nahen Ostens gesucht, weshalb unser Korrespondent Johannes Gerloff orte, von dem sich viele bis heute nicht mehr erfangen nicht nur darüber schreibt, was man in Israel unter Sommerfrische ver- konnten. Seit den 1950er Jahren gab es ein schwaches stehen könnte, sondern anlässlich des 70. Geburtstags Israels auch über Revival der Sommerfrische, das jedoch nicht mehr an dessen Verhältnis zu seinen arabischen Nachbarn. die Glanzzeiten anknüpfen konnte. Heute erleben Orte, Für Diskussionen sorgt die Ankündigung der Regierung, eine Gedenk- in denen koschere Hotels eröffnet wurden, einen regen mauer für die jüdischen Opfer des Holocaust zu errichten. Geschicktes Zustrom an Gästen aus der jüdischen Orthodoxie, und Politmarketing oder echtes Anliegen? Pro und Kontra haben überzeu- muslimische Gäste frequentieren oft in denselben gende Argumente, wie Sie in den Beiträgen von Fritz Rubin Bittmann, Orten Hotels, die auf ihre Bedürfnisse eingestellt sind. Peter Schwarz und René Wachtel nachlesen können. Einer dieser Orte, an denen ich reges jüdisches Leben Eine andere Debatte, die Österreich bewegt, ist das Anti-Raucherge- mit mehreren Bethäusern, unter anderem im örtlichen setz. In seinen „Chassidischen Geschichten“ erläutert Oberrabbiner Paul Kloster, erleben durfte, ist Engelberg, ein in der inner- Chaim Eisenberg, warum man das Rauchen aus jüdisch-religiösen Grün- sten Schweiz gelegener Bergkurort. Es war ein für mich den unterlassen sollte. überraschendes Bild, in einem Bergdorf mitten in der Es freut mich, dass nun so wunderbare Journalisten wie Ronald Pohl Schweiz einen Supermarkt mit einer gut sortierten Ko- und Gregor Auenhammer neu und Petra Stuiber, Fritz Neumann und scher-Abteilung zu finden. Thomas Trenkler nach langer Zeit wieder zum NU-Team gestoßen sind. Neben dem Nachspüren der Sommerfrische-Bege- Schließlich möchte ich mich bei Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, be- benheiten blicken wir zurück auf 70 Jahre Israel und danken. Ich freue mich, dass unsere letzte Ausgabe mit dem Jerusalem- widmen uns den aktuellen Mahnmaldebatten in Wien, Schwerpunkt viele positive und, ja, auch einige kritische Reaktionen aus- nicht ohne auch einen intensiven Blick auf Rachel gelöst hat. Lob freut uns, Kritik bringt uns weiter: Diese Erkenntnis habe Whitereads Schoa-Mahnmal auf dem Wiener Juden- ich von dem großen Theaterguru George Tabori gelernt. In diesem Sinne platz zu werfen. Ich wünsche Ihnen eine bereichernde hoffe ich, dass wir Ihnen mit dieser Ausgabe von NU wieder viel spannen- Lektüre, einen erholsamen und erfrischenden Sommer den Lese- und Diskussionsstoff bieten und wünsche Ihnen von ganzem und freue mich auf Ihr Feedback. nu Herzen eine sommerfrische Zeit. nu

2 | 2018 3 Memos © PRIVAT heilen konnte, sondern wegen der derschöner Frühlingstag. Die Gäste Patienten. Es war für sie selbstver- waren glücklich und gut gelaunt, man ständlich, dass der gutmütige und fühlte sich wohl mit dieser Familie. verständnisvolle Arzt jederzeit und Den zweiten Sohn seiner Nichte hat er unter allen Umständen für sie da war, nicht mehr kennengelernt. Wicki ist um ihnen unbedingt helfen zu kön- viel zu früh gestorben, dieser hochge- nen. Und er tat es. wachsene Mann mit den freundlichen An Wicki mit seiner lieben Familie. Gesichtszügen war plötzlich nicht Mit seiner Schwester, die ihm in sei- mehr unter uns. Sein zweiter Großneffe ner Ordination wie ein Schutzschild heißt Wicki. WIR ERINNERN UNS gegenüber den in die Praxis drängen- Am 23. Mai wurde eine Gedenktafel in an Ludwig Rubin-Bittmann, genannt den Menschen zur Seite gestanden der Lauder Business School von Wickis Wicki. ist. Wie sich die beiden gegenseitig Bruder Fritz Rubin-Bittmann enthüllt. Wicki am Graben, wie er mit seinen unterstützt haben, das ganze Leben langjährigen guten Freunden im hindurch. Und wie Wicki seine Nichte UNS INTERESSIERT „Europe“ im Stehen Kaffee trinkt und und seinen Neffen mit Liebe be- „Interreligiöser Dialog: Begegnung mit ihnen dajgezzt: über Menschen, schenkte. Er war nicht nur der Onkel von Juden, Christen und Muslimen“, Ereignisse, alte Zeiten. Man konnte für sie, er war wie ein Vater, der sie eine viersemestrige Lehrveranstal- sich geehrt fühlen, Teil dieser kleinen mit Geborgenheit und Sicherheit um- tung an der Donau Universität Krems, Gesellschaft zu sein, im Vorbeigehen armte. basierend auf Kooperationen mit der den Witz, die Weisheiten, Ratschläge Und wir erinnern uns an Wicki fast Universität Frankfurt, dem Abraham- und guten Botschaften mitzunehmen. am Ende seines Lebens mit seinem Geiger-Kolleg der Universität Potsdam, An Wicki in der Ordination: Er hatte Großneffen, mit dem ersten Sohn sei- der Universität Sarajevo und dem keine leichte Aufgabe. Nicht wegen ner Nichte. Er hielt das winzig kleine Jerusalemer Institut der Görres-Gesell- der Krankheiten, die er so oft mit Wesen während der Brit Mila (der schaft. seinem guten diagnostischen Blick Beschneidung) in seinem Armen und www.donau-uni.ac.at/de/studium/ und seiner hervorragenden Erfahrung war sichtlich gerührt. Es war ein wun- interreligioeser-dialog/

Salons_NU_JMW_Layout 1 07.05.18 15:07 Seite 1

30. Mai bis 14. Oktober 2018

Dorotheergasse 11, Wien 1 So–Fr 10 – 18 Uhr · www.jmw.at

ThePlacetoBe Salons als Orte der Emanzipation

4 2 | 2018 Inhalt & Impressum

IMPRESSUM

NU – Jüdisches Magazin für © ASTRID PETERLE ASTRID © MARTÍNEZ-FLENER MILAGROS © Politik und Kultur Rachel Whiteread Seite 12 Miguel Herz-Kestranek Seite 28 Erscheinungsweise: 4 x jährlich Auflage: 4.700 Aktuell Ausstellung: „Jüdische Familien Nächste Ausgabe: September 2018 im Waldviertel und ihr Schicksal“ 34 HERAUSGEBER UND MEDIENINHABER Über die geplante Mauer Arbeitsgemeinschaft jüdisches Forum der Erinnerung 6 Schnitzlers Treue zu Reichenau 36 Gölsdorfgasse 3, 1010 Wien KONTAKT Monumente – steinerne Zeugen, Kulturelle Sommerfrischeleien 38 Tel.: +43 (0)1 535 63 44 die uns erinnern sollen 7 Fax: +43 (0)1 535 63 46 Koscher auf der Berghütte – E-Mail: [email protected] Brauchen wir wirklich ein Israelische Touristen in Tirol 39 Internet: www.nunu.at neues Schoa-Mahnmal? 9 BANKVERBINDUNG Jüdisches Leben IBAN: AT78 1100 0085 7392 3300 Gedenkmauer für jüdische NS-Opfer: BIC: BKAUATWW Echtes Anliegen oder PR-Gag? 10 Paul Chaim Eisenberg im Gespräch

SIE SIND AN EINEM mit Andrea Schurian 42 NU-ABONNEMENT INTERESSIERT? Die britische Bildhauerin Rachel Jahres-Abo (vier Hefte) inkl. Versand: Whiteread stellt in Wien aus 12 Das Hakoah-Zentrum in Wien Österreich: Euro 18,– feiert sein zehnjähriges Bestehen 45 Europäische Union: Euro 23,– Zwei ungleiche Gefahren: rechter Außerhalb der EU: Euro 28,– und muslimischer Antisemitismus 14 Zeitgeschichte

ABO-SERVICE, VERTRIEB & ANZEIGEN [email protected] Musikalischer Kampfsport in 1968: Studenten, Kommunisten brauner Jauche 16 und „Antizionisten“ 48 STÄNDIGES REDAKTIONSTEAM Richard Kienzl (Artdirector), Vera Ribarich Nahost Kultur (Lektorat), Ida Salamon (Chefin vom Dienst), Andrea Schurian (Chefredakteurin), Danielle Spera (Herausgeberin) 70 Jahre Israel ... und seine Paulus Manker: Bürgerschreck arabischen Nachbarn 18 mit großem Herzen 50 TITELBILD © Danielle Spera In deine Stadt Jerusalem Als das Wohnzimmer SATZ & LAYOUT kehre zurück ... 21 zum Salon wurde 53 Wiener Zeitung GmbH, Maria-Jacobi-Gasse 1, 1030 Wien, www.wienerzeitung.at Der Veganismus in Israel als Erich Wolfgang Korngold: DRUCK Wallig Ennstaler Druckerei Spiegelbild der Gesellschaft 22 Eine Wiederentdeckung 56 und Verlag Ges.m.b.H. Mitterbergstrasse 36, 8962 Gröbming Schwerpunkt Sommerfrische Das neue Samuel-Bak-Museum in Vilnius/Litauen 57 OFFENLEGUNG GEMÄSS MEDIENGESETZ Verein Arbeitsgemeinschaft jüdisches Jüdische Sommerfrische – Forum mit Sitz in 1010 Wien, Gölsdorfgasse 3 dort, wo es schön ist 24 Rezension Obmann: Martin Engelberg Obmannstellvertreterin: Danielle Spera „Sommer“ ist gut – und „Frische“ Anima: Garten Kassiererin: Ida Salamon kann Israel immer brauchen 26 staunender Seelen 58 Grundsätzliche Richtung: NU ist ein Informationsmagazin für Juden in Mit Miguel Herz-Kestranek auf Das Alte Testament. Österreich und für ihnen nahestehende, an Sommerfrische in St. Gilgen 28 Erzählt von Arik Brauer 61 jüdischen Fragen interessierte Menschen. NU will den demokratischen Diskurs fördern. Die heile Welt der Adam Reynolds „Architecture of an Sommerfrische? 32 Existential Threat“ 62

2 | 2018 5 Aktuell Fünf Granitstelen als Grabsteine für Schoa-Opfer

Über die geplante Mauer der Hannah Lessing, Generalsekretärin Auge gefasst – vom Bahnhof Aspang Erinnerung von Kurt Yakov des Nationalfonds für Opfer des Natio- waren in 47 Transporten 50.000 Men- nalsozialismus, oder auch Klaus Lohr- schen in die Vernichtungslager depor- Tutter. mann, Gründungsdirektor des Instituts tiert worden. für jüdische Geschichte, an. Vor allem Im März kündigten Bundeskanzler VON ANDREA SCHURIAN das Denkmal von Rachel Whiteread am Sebastian Kurz und Vizekanzler Chri- Judenplatz, das am 25. Oktober 2000 stian Strache an, das Projekt an einem enthüllt wurde, bestärkte ihn in sei- zentralen Ort – nach Wunsch Tutters Fünf zwei Meter hohe Stelen aus po- nem Bemühen: „Ich kam zur Einsicht: wäre dies der Schmerlingplatz in Sicht- liertem Granit, in die mehr als 65.000 Das Mahnmal am Judenplatz wird die weite zum Parlament – verwirklichen Namen der von den Nazis ermordeten 65.000 jüdischen Märtyrer Österreichs zu wollen: „Obwohl gerade im Juden- österreichischen Jüdinnen und Juden noch einmal, und jetzt endgültig, im tum ein Gedenkort für die Verstorbe- eingraviert sind: Seit mehr als 20 Jah- Bereich der namenlosen Zahlen und nen von großer Bedeutung ist, existiert ren kämpft der Bildhauer Kurt Yakov Nummern belassen“, sagte er in einem bisher für die Nachfahren der in der Tutter für dieses Monument der Erinne- Interview. Erst mit der Namensnen- Schoa ermordeten jüdischen Österrei- rung in Wien, seiner Geburtsstadt. Seine nung werde den Opfern „die letzte Wür- cherinnen und Österreicher kein Ort Eltern hatten ein Spiel- und Schulwa- digung, als letztes Recht eines Men- der individuellen, namentlichen Erin- rengeschäft in der Leopoldstadt, nach schen“, zuteil. nerung an die Opfer“, sagte Kurz bei der dem Anschluss floh die Familie nach Präsentation. Belgien, Kurt Yakov war damals ge- In Sichtweite zum Parlament Auch Bundespräsident Alexander rade einmal acht Jahre alt. Die weitere Das Dokumentationsarchiv des Van der Bellen sprach sich für das Emigration in die USA missglückte, die Österreichischen Widerstands (DÖW) Mahnmal aus: „Aus vielen Gesprächen Eltern wurden von den Nazis depor- hat eine Datenbank mit den Namen der mit Überlebenden der Schoa, die ich tiert und umgebracht. Kurt und seine Schoa-Opfer angelegt, die auch im In- im Laufe meines Lebens geführt habe, Schwester von einer katholischen Fa- ternet abrufbar ist. „Aber eine CD oder weiß ich, wie wichtig den ihnen und milie in Gent versteckt. Nach Kriegs- eine Internetseite sind keine Gedenk- ihren Nachkommen die Erinnerung an ende wurde er von einer jüdischen Fa- stätte“, so Tutter. die größte Tragödie der Menschheits- milie in Toronto adoptiert. Vor 15 Jahren wurden die Aspang- geschichte ist.“ Er hoffe auf eine zeit- Immer wieder kehrte Tutter später gründe als Ort für die Gedenkstätte ins nahe Realisierung der Gedenkstätte. nach Wien zurück, erstmals 1974, has- Und Wiens grüne Vizebürgermeiste- serfüllt, wie er später einmal sagen rin Maria Vassilakou schrieb auf Fa- sollte, und voller Verachtung für eine cebook: „Seit Beginn meiner Tätigkeit Bevölkerung, die keine Reue, kein als Vizebürgermeisterin unterstütze

Schuldbewusstsein zeigte. Das habe SALAMON IDA © ich dieses Anliegen.“ Die Reaktionen sich erst in den 1990ern gebessert, es der Israelitischen Kultusgemeinde sei „wohltuend tröstlich“ gewesen, als sind – nicht zuletzt wegen der FP- eine jüngere Generation von Journa- Regierungsbeteiligung – verhalten. listen und Historikern sich mit der IKG-Präsident Oskar Deutsch verweist Geschichte auseinanderzusetzen be- auf das Denkmal im Stadttempel in der gann. Trotz bürokratischer Hindernisse Seitenstettengasse. nahm er die österreichische Staatsbür- Zur Diskussion steht, dass in diese gerschaft an, pendelte zwischen To- Granitsteine die Namen aller von den ronto und Wien und gründete hier im Nazis ermordeten Menschen – neben Jahr 2000 den Verein „Gedenkstätte Juden auch Homosexuelle, Roma, Namensmauern“. Dem überparteili- Sinti und politische Opfer – eingra- chen Proponentenkommittee gehörten viert werden sollten. Denn auch deren unter anderem Caspar Einem, Kai Jan Angehörige haben keinen Ort, keinen Krainer, der damalige Planungsstadtrat Grabstein, wo sie um ihre Toten trauern Rudolf Schicker, Vincent Liechtenstein, können. nu

6 2 | 2018 Aktuell Sachor – Gedenke! Vergiss niemals!

Monumente – das latei- „Sachor“ heißt, sich mit der Ge- errichtet, die nach wenigen Monaten nische „monere“ bedeutet schichte zu identifizieren und sich von Gras und Gestrüpp überwuchert das Leid der Opfer zu vergegenwär- wurde. „erinnern“ – sind steinerne tigen. Durch diese Erinnerungsarbeit Leo Luster und Herbert Schwarz, Zeugen einer Vergangen- entsteht eine Anteilnahme, die jede die beide mit ihren Familien von heit, die in Gegenwart und Indifferenz auslöscht. Diese Anteil- diesem Bahnhof deportiert worden nahme bedarf jedoch der emotionalen waren und Ghetto, KZ, Auschwitz und Zukunft reicht. Intelligenz, wie heute die Herzens- Todesmärsche überlebt hatten –ihre bildung heißt. „Sachor“ ist Ausdruck Familienmitglieder waren ermordet VON FRITZ RUBIN-BITTMANN für eine Ethik der lebendigen, fort- worden –, bemühten sich jahrzehn- währenden Erinnerung. Dies unter- telang um ein würdiges Denkmal. scheidet das von Sebastian Kurz in- Rudolf Zabrana, stellvertretender Be- Die Vernichtung der jüdischen tendierte Mahnmal von den bereits zirksvorsteher des dritten Bezirkes, Vorkriegsgemeinde in Wien, die etwa bestehenden. unterstützte diese Bemühungen. Dank 200.000 Menschen zählte, hat geistig seiner Initiative stellte die Bezirksvor- und kulturgeschichtlich eine große „Unfähigkeit zu trauern“ stehung den Antrag an den Gemein- Lücke hinterlassen. Kultur, Wissen- Für das Nachkriegs-Österreich derat, den Platz vor dem ehemaligen schaft und Wirtschaft der jüdischen galt gegenüber den ermordeten und Aspanger Bahnhof als „Platz der Opfer Vorkriegsgemeinde beeinflussten die vertriebenen österreichischen Juden der Deportation“ zu benennen. Seitens Moderne und machten Wien zu einem jene psychische Einstellung, die Alex- der Anrainer und auch einzelner Ma- Zentrum des geistig-wissenschaft- ander Mitscherlich als die „Unfähig- gistratsstellen gab es erbitterten Wi- lichen und kulturellen Fortschrittes. keit zu trauern“ bezeichnete. Man war derstand. Man wollte auf keinen Fall Diese Vorkriegsgemeinde wurde er- froh, dass es keine Juden gab. 70.000 eine Erinnerung an die Ermordeten. barmungslos zerstört. jüdische Wohnungen, 25.000 Ge- Bereits im Jahr 2000 sollte auf Za- Der Wiener Gauleiter Baldur von schäfte und Unternehmungen sowie branas Betreiben ein Mahnmal mit Schirach verkündete stolz, dass Wien zahlreiche Positionen an Universitä- den eingravierten Namen der Opfer „judenrein“ sei und pries das Ver- ten, in Politik und Wirtschaft mach- errichtet werden. Dieser Plan wurde schwinden der Wiener Juden als eine ten viele Österreicher zu Profiteuren aus Kostengründen abgelehnt. Auch der größten kulturgeschichtlichen der Verfolgung und Vernichtung der das auf Vorschlag von Simon Wie- Taten des Dritten Reiches. Es war Juden. Dennoch sahen sie sich selbst senthal errichtete Denkmal am Ju- tatsächlich so, als hätten diese Men- als Opfer Hitlers. Der Antisemitismus denplatz trägt nicht die Namen der schen nie gelebt. bestand weiter und den einzelnen Opfer, sondern symbolisiert das jüdi- Das erste jüdische Mahnmal wird Überlebenden, die zurückkehrten, sche Volk als Volk des Buches. im ersten Buch Moses „Bereschit“ (Ge- begegnete man mit Feindschaft und Im September 2017 – also 70 Jahre nesis Kapitel 35, Vers 20) beschrieben: Ablehnung. nach Kriegsende – wurde ein Denk- Jakob errichtet zum Gedenken an Es dauerte Jahrzehnte, bis es in mal errichtet, das interessanterweise seine geliebte Frau Rachel ein steiner- unermüdlich-beharrlichen Bemü- nicht auf die jüdischen Opfer hinwies, nes Mahnmal. „Sachor“ – „Gedenke“ – hungen einiger weniger gelang, einen sondern nur im Text wandseitig den ist ein religiöses Gebot im Judentum. Erinnerungsort für die Deportierten Begriff „Deportierte“ trägt. Erst eine Dieses Gedenken bedeutet im Juden- und Ermordeten zu schaffen. Auf beigefügte Tafel gibt die notwendigen tum mehr als bloßes Erinnern. „Sachor dem Gelände des ehemaligen As- Erklärungen. Dieses Denkmal ent- – erinnere dich so, als wärest du dabei panger Bahnhofes, von dem aus die spricht nicht den Vorstellungen, die gewesen“, heißt es am Seder-Abend österreichischen Juden in Viehwag- Leo Luster und Herbert Schwarz als beim Verlesen der Haggada. „Sprich gons die Reise in den Tod antraten, Betroffene hatten; als Opfer hatten sie mit deinen Kindern und diskutiere mit wurde auf Betreiben des Historikers das Grauen der Deportation erlebt – ihnen diese biblischen Ereignisse.“ Karl Hauer eine kleine Gedenktafel im Gegensatz zu einer Jury, die eine

2 | 2018 7 Die Nationalsozialisten wollten von ihren Verbrechen keine Spur hinterlassen. Die Opfer sollten de facto zweifach ermordet werden, physisch und namentlich – ganz im Sinne des biblischen Wortes: „Der Name möge für ewige Zeiten ausgelöscht sein.“

unbefriedigende Kompromisslösung durch Arbeit“. Als Sklavenarbeiter war mordung der Juden noch voll im Gang traf. Mit unzähligen Briefen und Te- der persönliche Name als Wesens- war und noch nicht alle sechs Millio- lefonaten an Kulturstadtrat Mailath- merkmal des Menschen nicht erfor- nen ermordet worden waren. Pokorny versuchte der schwerkranke derlich. Es wurden Nummern in die Im August 1953 beschloss die Knes- Leo Luster von Israel aus diese Kom- Haut eingebrannt, die den Namen er- seth, das Parlament des 1948 gegrün- promisslösung zu verhindern. Leider setzten. Damit wurde jede Individuali- deten Staates Israel, die Errichtung vergebens! Wichtig war für die Jury, tät genommen und die De-Humanisie- von Yad Vashem in Jerusalem. Damit dass das Denkmal in das Ensemble rung vollendet. Die Ziffer war für die wurden Millionen Ermordeten, die in der Gemeindebauten passte, die An- industrielle Nutzung wichtig; sie war den Krematorien zu Asche verbrannt rainer nicht mehr als notwendig störte das Symbol der entmenschlichten worden waren, wieder Namen und und den anliegenden Kinderspielplatz Kennzeichnung. Identität gegeben und persönliches nicht beeinträchtigte. Es sollte von jeder Person, die er- Schicksal dokumentiert. Die Natio- Bei der Eröffnung am 7. September mordet wurde, keine Spur übrigblei- nalsozialisten hatten diese Menschen 2017 hob Wiens Kulturstadtrat stolz ben; lediglich die verwertbare orga- ermordet, aber das Ausradieren der das Gelingen dieses Kompromisses nische und anorganische Substanz: Erinnerung an die Opfer wurde ihnen hervor. Bundespräsident und Bürger- Menschenhaar, Asche (verwendet zur damit unmöglich gemacht. meister fehlten beim Gedenken an die Düngung und im Winter zur Bestreu- Die Erinnerung an die ermorde- 66.000 ermordeten Juden, das Fern- ung der Straßen und Gehwege), täto- ten Juden basiert darauf, dass ihre sehen berichtete zwei Minuten über wierte Haut zum Überzug von diver- Namen überdauern. Normalerweise dieses Ereignis. sen Gegenständen sowie Skelette für ist die beste Garantie für das Überdau- Mit dem von Bundeskanzler Se- anatomische und anthropologische ern eines Namens die Nachkommen- bastian Kurz initiierten Mahnmal Institute der SS. Bauchfett von ermor- schaft. So heißt es im 1. Buch Samuel, werden die Opfer namentlich durch deten Frauen wurde herausgeschnit- Vers 24;22: „Darum schwöre mir nun Eingravierung erwähnt und somit ten, um in SS-Hygieneinstituten in beim Herrn, dass du meine Nach- post mortem der Anonymität entris- Konzentrationslagern als Nährböden kommen nicht ausrotten und meinen sen. Die Nationalsozialisten wollten für Bakterienzüchtung zu dienen; zum Namen nicht aus dem Haus meines von ihren Verbrechen keine Spur hin- gleichen Zweck wurden die Brüste der Vaters austilgen wirst.“ terlassen. Die Opfer sollten de facto Opfer abgeschnitten. Am Beginn seiner Kanzlerschaft zweifach ermordet werden, physisch Ein Mahnmal, das den Namen der hat der 31-jährige Sebastian Kurz und namentlich – ganz im Sinne des Ermordeten trägt, gibt diesen ihre mehr Verständnis für die jüdische biblischen Wortes: „Der Name möge Identität und Würde als Person zurück. Tradition gezeigt als alle seine Vor- für ewige Zeiten ausgelöscht sein.“ Dieser Gedanke war auch maßgebend gänger. Er gibt den Ermordeten die für die Gedenkstätte Yad Vashem. Namen wieder. Bedeutung des Namens Bereits 1942 wurde nach Bekannt- Beim Propheten Jeschajahu heißt In der Antike sprach man von werden von Massenerschießungen in es außerdem in Vers 43, 1: „Und nun, so „damnatio memoriae“ bzw. „abolitio Osteuropa in einem Kibbuz die Idee zu spricht der Ewige, dein Schöpfer, dein nominis“. Die Person wurde getötet, einem Mahnmal entsprechend einem Bildner, Israel: Nicht fürchte, denn ich und durch Auslöschung des Namens Vers des Propheten Jeschajahu ge- löse dich; ich rufe dich bei deinem wurde auch die Erinnerung an sie boren: „So gebe ich ihnen in meinem Namen, denn du bist mein.“ komplett getilgt, so als hätte sie nie Haus und meinen Mauern Mahnmal Dieses zu errichtende Mahnmal gelebt. Die Nationalsozialisten waren und Namen, mehr wert als Söhne und hebt die Bedeutung des Namens als sich der Bedeutung des Namens bei Töchter. Ich gebe ihnen einen ewigen konstitutives Merkmal der Persönlich- der Stigmatisierung und Vernichtung Namen, der nimmer wird getilgt.“ Die- keit jedes Einzelnen hervor, denn der ihrer Opfer voll bewusst. ser Vorschlag des Kibbuz-Mitgliedes ermordeten österreichischen Juden Die Mehrzahl der österreichischen Mordechai Schenabi, für die in Eur- wird als einzigartiger Menschen in Juden, die vom Aspanger Bahnhof opa ermordeten Juden eine Gedenk- voller Würde und gemäß der jüdischen die Reise in den Tod antraten, wurde stätte mit dem Namen „Yad Vashem“ Tradition gedacht. Es erinnert nicht von Einsatzkommandos der SS und („Mahnmal und Name“) zu errichten, nur an die Verbrechen der Nationalso- örtlichen Hilfstruppen erschossen und der sich auf den Vers des Prophe- zialisten, sondern auch an den „Win- und vergast. Für Junge und Arbeitsfä- ten Jeschajahu bezog, erfolgte 1942, terschlaf“ des Weltgewissens – also an hige galt das Programm „Vernichtung also zu einem Zeitpunkt, als die Er- jene, die wussten und schwiegen. nu

8 2 | 2018 Aktuell Ein neues Schoa-Mahnmal kommt – ist das notwendig?

VON RENÉ WACHTEL

Vor einiger Zeit verkündete Bun- staltet sein sollte, die Besucher förmlich an die „verschwundenen Nachbarn und deskanzler Sebastian Kurz, dass er erschlägt. Eine Mauer mit Namen allein Geschäftsleute“ erinnern, empfinde ich Budgetmittel für ein Mahnmal für die ist auch zu wenig, ein Mahnmal muss als aufwühlender und berührender als österreichischen Opfer des Holocaust mehr können. Es muss die Besucher ein großes Mahnmal mit vielen Namen. bereitstellen werde. Die Stadt Wien, wo ansprechen, fesseln und gleichzeitig Es wächst eine Generation heran, diese Namens-Mauer aufgestellt wer- zum Nachdenken bringen. die den Holocaust nur mehr aus den den soll, müsste ebenfalls zur Finanzie- Ich finde deshalb die „Steine der Geschichtsbüchern kennt. Die letzten rung beitragen. Viele, auch die jüdische Erinnerung“ einfach viel aussagekräf- Zeitzeugen sterben, die Politik ist zu- Community, wurden von dieser Idee tiger. Man steht vor einem Haus, liest nehmend gefordert. In der Arbeit der förmlich überrumpelt. die Namen und sieht: Diese Menschen Erinnerungskultur müssen neue Me- Die Erfahrung zeigt, dass in Gedenk- waren unter uns. Sie waren ein Teil der thoden, neue Akzente gesetzt werden. jahren vielen Politikern daran gelegen Gemeinschaft, Nachbarn, Freunde, man Ich glaube, es wäre ein besseres ist, etwas zu präsentieren, wofür sie sah sie jeden Tag, grüßte sie. Und plötz- Zeichen von Bundeskanzler Sebastian selbst der Nachwelt in Erinnerung blei- lich wurden sie zu Feinden und Hassob- Kurz, im Gedenkjahr die Erinnerung 2.0 ben. Beispiele dafür sind die berühmt jekten gemacht, wurden vertrieben. Er- zu initiieren, indem er neue Denkan- gewordenen Reden von Franz Vra- mordet. Auch das wunderbare Denkmal sätze fördert und einfordert. Das wäre nitzky oder auch von Richard von Weiz- in der Servitengasse, wo 426 Schlüssel ein Zukunftsprojekt für alle. nu säcker. Und man hat das Gefühl, dass Bundeskanzler Kurz es ihnen durch die Steine der Erinnerung Errichtung dieses Memorials im Zen- trum von Wien gleichtun will: etwas für die Ewigkeit schaffen.

Es ist richtig, dass kein öster- SALAMON IDA © reichisches Holocaust-Opfer einen Grabstein hat. Viele von uns haben auf den Grabstein unserer Eltern auch die Namen von deren ermordeten Eltern, also unserer Großeltern, geschrieben und gedenken ihrer. Diese Namens- Gedenkmauer soll also gebaut werden, um für jeden einzelnen Ermordeten einen Platz der Erinnerung zu schaffen. Ist das aber wirklich notwendig? Es gibt am Wiener Judenplatz Rachel White- reads Denkmal für die österreichischen Opfer des Holocaust – an einem für die Wiener jüdische Gemeinde zentralen Platz und eingebettet in einen histori- schen Kontext. Diesen oder einen ähn- lich zentralen Platz kann die geplante Namens-Gedenkmauer nie bekommen. Außerdem sollte man auch noch be- denken, dass es neben den jüdischen viele andere Besucher gibt. Und ich bin sicher, dass eine Mauer mit mehr als 65.000 Namen, wie optimal sie auch ge-

2 | 2018 9 Aktuell Echtes Anliegen oder PR-Gag

Die Regierung beschließt stecken oder auf andere Weise deren die 66.000 Namen der Juden verewigt eine Gedenkmauer für jü- Überleben zu ermöglichen. werden. Juden sind die größte Gruppe der Verfolgten. Es war das dezidierte dische NS-Opfer. Das ist zu Vertrauensverlust über Ziel der Nazis, das Judentum zu ver- begrüßen, wenn mehr als Generationen nichten. Dies hatten sie auch mit an- nur politisches Kalkül der Dieser Verlust des Vertrauens in die deren Minderheiten vor. Alle Ermor- Menschheit übertrug sich in vielen Fäl- deten, unabhängig vom vorgegebenen Hintergrund ist. len auch auf die Nachkommen der Ver- Verfolgungsgrund, also auch Roma, folgten. Auch heute noch sehen viele Sinti, Slowenen, Widerstandskämpfer, VON PETER SCHWARZ der Nachfolgegenerationen der NS- politisch Verfolgte, Homosexuelle und Opfer die Politik und die Gesellschaft so weiter hatten das gleiche Leid zu skeptisch und kritisch. Durch das Aner- ertragen, lagen auf den gleichen Prit- Anlässlich des 80. Jahrestags des kennen des Leids und durch das Wahr- schen im KZ, schleppten die gleichen „Anschlusses“ beschließt die Regie- nehmen dieser Schicksale kann die Ge- Granitblöcke in Mauthausen und wur- rung, „... ein bleibendes Zeichen des sellschaft und eben auch das offizielle den, wie auch kranke und behinderte Erinnerns zu setzen. (...) Das Gedenken Österreich einen wichtigen Beitrag den Menschen, auf bestialische Weise er- an verstorbene Menschen nimmt hier Überlebenden der NS-Verfolgung und mordet. Daher sollte meiner Meinung einen besonderen Stellenwert ein. Ob- deren Nachkommen gegenüber leisten. nach die Republik aller Opfergruppen wohl gerade im Judentum ein Geden- Dieser „Social Support“ ist eine Form gedenken, will man nicht unter den kort für die Verstorbenen von großer der Hilfe und Unterstützung, die jede Opfern eine Hierarchisierung schaffen. Bedeutung ist, existiert jedoch bisher und jeder bieten kann. Man braucht Das schmälert nicht das Andenken an für die Nachfahren der in der Schoa er- dazu keine Ausbildung, kein Diplom. die jüdischen Opfer und macht noch mordeten jüdischen Österreicherinnen Man benötigt Empathie, Respekt vor deutlicher, wie menschenverachtend und Österreicher kein Ort der individu- Menschen, Menschlichkeit. dieses System, die Ideologie und dieses ellen, namentlichen Erinnerung an die In diesem Sinne und als Zeichen Regime waren. Opfer.“ der Verantwortung der Republik Öster- Aus meiner beruflichen Tätigkeit für reich gegenüber NS-Überlebenden, die Inneres Bedürfnis oder das Psychosoziale Zentrum Esra weiß aus Österreich durch Österreicher ver- politisches Kalkül? ich um die große Bedeutung des „Social trieben, verfolgt, gejagt und ermordet Ein bleibendes Zeichen im Anden- Support“ für Menschen, die durch Ver- wurden, ist der Beschluss der Regie- ken an die Opfer der Schoa zu setzen, folgung traumatisiert wurden. Medizi- rung zur Errichtung eines Gedenkortes beschließt eine Regierung, die zum Teil nisch, psychotherapeutisch und sozi- zu begrüßen. Umso mehr, wenn damit aus Mitgliedern besteht, die rechtsradi- alarbeiterisch kann viel für Betroffene die Warnung an heutige und zukünftige kale und auch antisemitische Medien geleistet werden. Die Arbeit für Über- Generationen verbunden ist, wie Poli- bis in die jüngste Vergangenheit un- lebende der NS-Verfolgung und deren tik, wie Populisten große Teile der Be- terstützten. Medien, die KZ-Häftlinge Nachkommen ist eine der Hauptaufga- völkerung zu menschenverachtenden als „Landplage“ bezeichneten. Es sind ben des Psychosozialen Zentrums Esra. Haltungen und Handlungen verleiten Personen, die Karikaturen von Bankern Viele Menschen, die durch das men- können. Ein Mahnen, wie Gruppen der mit Hakennase und Davidstern-Man- schenverachtende NS-Regime, durch Gesellschaft für Missstände im Staat schettenknöpfen verbreiteten. die Gesellschaft, ihre nächste Umge- verantwortlich gemacht und zu Sün- Es drängt sich die Frage auf, ob die- bung verfolgt, gepeinigt und vertrieben denböcken gestempelt werden können. ses „Zeichen“ nun aus einem inneren wurden, verloren das Vertrauen in ihre Bedürfnis der Mitglieder der Regierung Mitmenschen und die Menschlichkeit Aller Opfergruppen gedenken gesetzt wird oder ob auch politisches generell. Sie waren schutzlos einer Es ist zu begrüßen, dass die zehn- Kalkül dahinter steht. Sollen etwa Willkür ausgeliefert, der sich zu wenige tausenden Ermordeten der Anonymi- damit Kritiker der Koalition zwischen entgegenstellten. Nur wenige wagten tät entrissen werden. Gräber gibt es für ÖVP und einer fragwürdigen FPÖ beru- die Verfolgten zu unterstützen, zu ver- fast niemanden von ihnen. So sollen higt werden? Ich frage mich, wie wohl

10 2 | 2018 Ist der Regierung das Gedenken an die jüdischen Ermordeten, eventuell alle Opfer des NS-Regimes, ein echtes Bedürfnis, ein Anliegen aus dem Verständnis des Unrechts, unendlichen Leides und der Verantwortung – oder ist es lediglich ein PR-Gag?

Heinz-Christian Strache noch vor ein Der obige Kommentar erschien parteien am Gedenken an NS-Opfer. paar Jahren auf so ein Vorhaben einer am 19. März 2018 im Online-Standard. Das geht so weit, dass ausgerechnet Vorgängerregierung reagiert hätte. Heute, zwei Monate später, aktualisiere nach dem Eintritt in die Regierung Hätte er dieses Vorhaben unterstützt ich ihn für diese Ausgabe des NU: die FPÖ unbedingt und (meines Wis- oder vielleicht mit Hinweis auf die Ko- Wir alle sind um einige Gedenkver- sens nach) erstmalig bei der jährli- sten regelrecht zerfetzt? Welche Wort- anstaltungen und Gedenkreden klüger. chen Befreiungsfeier in Mauthausen spiele hätte er, mit Hilfe von Herbert Ganz besonders die vielbeachtete Rede dabei sein wollte. Nachdem dies von Kickl, am Aschermittwoch unter to- von Michael Köhlmeier klingt noch den Veranstaltern nicht gewünscht sendem Applaus der Menge zugerufen? nach. Manche meinen: „Die Motivation war, hat die Regierung eine neue Ge- Ja, man sollte Menschen zugeste- zur Schaffung einer Gedenkstätte ist denkveranstaltung erfunden, die hen, dass sie klüger und weiser werden, nicht so wichtig, Hauptsache, sie ma- am gleichen Sonntag, aber in Wien sich ändern können. Mir fiele das viel chen es!“ Ich sehe das anders. Für mich am Albertinaplatz um 8:00 Uhr früh leichter, würde die FPÖ aus eigener In- ist die Motivation entscheidend dafür, stattfand. Faktisch unter Ausschluss itiative sich von Personen trennen, die was der Bevölkerung (und den eigenen der Öffentlichkeit. Dort konnte auch mit antisemitischen oder xenophoben Reihen) vorgelebt wird. Wenn Themen Strache sprechen und fand deutliche Organisationen und Medien Kontakte wie die NS-Vergangenheit Österreichs, Worte inklusive eines längeren Zitates pflegen beziehungsweise diese un- millionenfacher Mord oder Verantwor- von Erich Fried. terstützen. Dazu benötigt man keine tung gegenüber NS-Überlebenden und Wenn er sich tatsächlich von seiner Kommission. Es reichen ein selbstkri- Nachfolgegenerationen zum Spielball, eigenen rechtsextremen Vergangen- tischer Blick, die Berichte vom Doku- zum missbrauchten Instrument der heit distanziert, wenn er bereut, noch mentationsarchiv des österreichischen Politik werden, verliert das Gedenken vor wenigen Jahren antisemitische Widerstands und die Studie von SOS- an Wert und Wirkung. Karikaturen verbreitet zu haben, wenn Mitmensch zur „Systematischen Un- Vielleicht meinen es Kurz und Stra- er und die Partei von sich aus die Funk- terstützung von Antisemitismus durch che wirklich ernst. Dann sollen sie die tionäre und Mitglieder ausschließen, die FPÖ“. nun eingenommene Haltung leben, die menschenverachtendes Gedan- Wenn die FPÖ sich aus eigenem ohne sie demonstrativ vor sich herzu- kengut vertreten, wenn sie dafür sor- Antrieb von menschenverachtender, tragen. Sie sollten Geduld aufbringen. gen, dass z.B. Landbauer nicht in die antisemitischer oder anderer minder- Mir vermitteln sie das Gefühl, dass sie Politik zurückkehrt, wenn Kritik an an- heitenfeindlicher beziehungsweise NS- meinen, den diesen großen Verbre- tisemitischen, rassistischen Positionen Gesinnung tatsächlich trennte, ohne chen gebührenden Umgang gefunden von FPÖ-Funktionären nicht relativiert vom Falter oder Profil „erwischt“ zu zu haben. Seht her! Jetzt sind wir keine wird, dann könnte man beginnen zu werden, wäre die Betroffenheit der Mi- Verleugner und Verdreher der Ge- glauben, dass Strache und die Partei nister über die Opfer des NS-Regimes schichte mehr! sich ändern. glaubhafter. Das dauert doch etwas länger! Die Wenn beide Regierungsparteien Anerkennung für eine anständige Hal- sich mit der Rede von Köhlmeier aus- Finanzierung offen tung stellt sich mit der Zeit von selber einandersetzen und nicht einen (dis- Zwei Tage nach dem Regierungs- ein. Ich finde es großartig, wenn der kutierenswerten) Aspekt herausgrei- beschluss wird bekannt, dass die Fi- Kanzler mit Holocaustüberlebenden fen, um sich die Auseinandersetzung nanzierung für die Gedenkwand noch ihren Geburtstag feiert. Anlässlich der mit der Botschaft zu sparen, wäre das gar nicht steht, also die Regierung ein großen Gedenkfeier zum „Anschluss“ ein echter Fortschritt. Gerade die, die Projekt „ideell“ unterstützt und über die sich öffentlich damit zu brüsten, gibt zu sonst der Gegenseite so gerne Alar- Finanzierung noch nachdenken und denken und erinnert an „Einige meiner mismus und Aufgeregtheit vorwerfen, verhandeln will. besten Freunde sind Juden“. echauffieren sich über den Kritiker. Also nochmals die Frage: Ist der Re- Um es kurz zu machen: Ich habe den Wenn auf Kritik wie jene von Köhl- gierung das Gedenken an die jüdischen Eindruck, Strache bemüht sich wirk- meier ernsthaft eingegangen wird, Ermordeten, eventuell alle Opfer des lich, aus dem Neonazi-ewiggestrig-NS- dann wird auch das Engagement NS-Regimes, ein echtes Bedürfnis, ein Verharmlosungs-Eck herauszukom- glaubhaft. Bis dahin bleibt vieles in Anliegen aus dem Verständnis des Un- men. Das sollte man anerkennen. meinen Augen, auch und gerade das rechts, unendlichen Leids und der Ver- Bemerkenswert ist das große, seit demonstrative Gedenken, Teil der Ta- antwortung – oder ist es lediglich ein der Regierungsbildung deutlich ange- gespolitik – ein Kranz von Feigenblät- PR-Gag? stiegene Interesse beider Regierungs- tern und eben auch PR-Gags. nu

2 | 2018 11 Aktuell Unsichtbare Geschichten

In ihren Skulpturen verbin- die Kritik an der Gestaltung, die von Anders als es Wiener Kritiker for- det die britische Bildhauerin so manchem Wiener Bürger als fanta- mulierten, sind Rachel Whitereads Ar- sielos abgekanzelt worden war. Doch beiten sehr sinnlich und bergen eine Rachel Whiteread Erzählun- gerade durch seine einfache Form be- berührende Emotionalität in sich. Ihre gen aus ihrem privaten und rührt und besticht das Mahnmal bis Skulpturen verstehen sich nicht nur beruflichen Leben. Zu sehen heute. Die Bibliothek mit den immer oft als Sozialkritik, sondern verbinden gleichen umgedrehten Büchern sym- auch ihr privates mit ihrem berufli- sind sie derzeit im Belve- bolisiert die Zerstörung der Identität chen Leben. Die minimalistischen dere 21 in Wien. und der Lebensgeschichten der jüdi- Abgüsse aus so unterschiedlichen schen Opfer der Schoa. Im Gegensatz Materialien wie Beton, Harz oder Gips VON DANIELLE SPERA zu Alfred Hrdlickas Mahnmal gegen befassen sich sehr oft mit Leerräumen, Krieg und Faschismus macht das die an verschiedenste Momente im Schoa-Mahnmal auf dem Judenplatz Leben der Künstlerin erinnern. Eine Rachel Whiteread und Wien, eine die Leere sichtbar und weckt Erinne- ihrer Arbeiten zeigt den Raum unter schwierige Beziehungsgeschichte. rungen an unwiederbringlich Verlo- dem Bett ihres Vaters, den sie nach 1995 wurde der Beitrag der britischen renes. seinem Tod abgenommen hat, oder Künstlerin von einer internationalen Jury zur Gestaltung des Holocaust- Mahnmals am Wiener Judenplatz ausgesucht. Damals war sie die jüng- © ASTRID PETERLE ASTRID © ste Bewerberin, inzwischen ist sie ein Superstar. Als erste Frau hat sie den renommierten Turner Preis, die wich- tigste britische Auszeichnung für mo- derne Kunst, erhalten und ihr Land auf der Biennale in Venedig vertreten. Doch zurück in die 1990er Jahre: Nachdem bei den Arbeiten zur Aufstel- lung des Mahnmals die Überreste der 1421 zerstörten mittelalterlichen Syn- agoge gefunden worden waren, verzö- gerte sich der Bau des Mahnmals um einige Jahre. Von „fünf Jahren Hölle“ sprach Rachel Whiteread immer wie- der und wollte Wien für immer den Rücken kehren. Dass sie jetzt, 18 Jahre nach der Errichtung des Mahnmals, eine große Ausstellung im Belvedere 21 (zuvor 21er Haus) zeigt, ist der frü- heren Belvedere-Direktorin Agnes Husslein geschuldet. Der Grund für die langjährige Ver- stimmung Whitereads lag nicht nur an der Verzögerung, sondern auch an den Protesten, die ein damals am Künstlerin Rachel Whiteread und die Direktorin Judenplatz ansässiger Möbelhändler des Jüdischen Museums Wien Danielle Spera initiiert hatte. Und dann auch noch

12 2 | 2018 Die minimalistischen Abgüsse aus so unterschiedlichen Materialien wie Beton, Harz oder Gips befassen sich sehr oft mit Leerräumen, die an verschiedenste Momente im Leben der Künstlerin erinnern.

auch den Innenraum jenes Kastens, in dem sie sich als Kind versteckte. Abgüsse von Kar- tons erinnern an die Kisten, die nach dem Tod

ihrer Mutter die Erinnerungen aufbewahrten. DANIELLE © SPERA Wärmeflaschen symbolisieren die Suche nach Wärme und Nähe. Es sind die unsichtbaren Geschichten, die Rachel Whiteread erzählt und die uns bei nä- herem Betrachten völlig in den Bann ziehen. „Room 101“ ist der Abguss eines Zimmers im ehemaligen BBC-Hauptquartier, das George Or- well zur Schreckenskammer in seinem Roman 1984 inspiriert haben soll. Auf Rachel White- reads Arbeiten muss man sich einlassen. Sie sind nicht spekulativ, sondern sensibel und einfühlsam. Mit Wien hat sie sich versöhnt. Ist doch auch die Ausstellung im Belvedere 21 noch beein- druckender als auf ihrer ersten Station in der Tate Modern in London, nicht zuletzt durch die Außeninstallation des „Chicken Shed“ im ehemaligen Pfirsichgarten des Belvedere. Wie sie das Mahnmal heute betrachtet? – „Mit viel Stolz und Freude.“ Schon immer wollte ich sie fragen, wie wir damit umgehen sollen, dass sich täglich Menschen auf das Podest des Mahnmals setzen, essen, trinken oder rauchen. „Das ist für mich in Ordnung“, sagt sie fröhlich, um gleich nachzusetzen: „Wenn das allerdings die Gefühle von Menschen verletzt, deren Angehörige um- gebracht worden sind, dann ist es inakzeptabel.“ Einen Ort des Nachdenkens wollte sie damals schaffen. Das ist ihr perfekt gelungen. nu

Durch seine einfache Form berührt und besticht Rachel Whiteread das Holocaust-Mahnmal bis heute. Belvedere 21 und Belvedere-Garten bis 29. Juli 2018 © DANIELLE © SPERA © RACHEL © WHITEREAD

Rachel Whiteread am Judenplatz „Chicken Shed“ im ehemaligen Pfirsichgarten des Belvedere

2 | 2018 13 © DANIEL BOCKWOLDT/DPA/PICTUREDESK.COM DANIEL ©

Zwei unvergleichbare Gefahren

Europas Juden sind heute Als der Künstler Arik Brauer in einer aus. Ob Terrorismus gegen Synagogen mit muslimischem und ORF-Sendung im März erklärte, er oder jüdische Geschäfte, tödliche Ge- fürchte sich mehr vor muslimischem walt gegen jüdische Nachbarn, Angriffe rechtem Antisemitismus als vor rechtsextremem Antisemitis- auf Kippa-Träger auf der Straße oder konfrontiert – aber auf eine mus, löste er lautstarke Proteste aus. Mobbing gegen jüdische Schüler – die ganz andere Weise. Das sei islamophob und verharmlose Täter stammen stets aus Nordafrika, die rechten Kräfte in diesem Land, war- dem Nahen Osten oder der Türkei. fen ihm Kritiker vor. Bald darauf wurde Wenn Berliner Juden sich fürchten, auf VON ERIC FREY Oskar Deutsch, Präsident der Israeliti- der Straße attackiert zu werden, dann schen Kultusgemeinde, im Ö1-Interview halten sie nicht ängstlich nach Skin- gefragt, was er denn für schlimmer heads Ausschau, sondern nach jungen halte. Diese Frage könne man nicht Männern mit arabischem Aussehen. beantworten, wich Deutsch dem Inter- Wenn französische Juden Alija planen, viewer aus. weil sie sich in ihrem Land nicht mehr Bloß: Auch durch Nichtantworten sicher fühlen, dann meinen sie nicht geht die Frage nicht weg, die sich der- Anhänger des Front National, sondern zeit viele Menschen, Juden wie Nichtju- muslimische Migranten. (Selbst die Ver- den, stellen. Und ja, die Frage lässt sich höhnung von Auschwitz-Opfern durch beantworten, wenn auch nicht in einem die Rapper Kollegah und Farid Bang, die Satz. zur Abschaffung des Echo-Musikpreises Wenn es um die physische und auch geführt hat, war von antijüdischen Hal- psychische Bedrohung von Juden in tungen unter Muslimen geprägt.) Europa heute geht, dann geht die Ge- Antisemitismus in der rechtsex- fahr fast ausschließlich von Muslimen tremen europäischen Tradition findet

14 2 | 2018 Außerhalb von Ungarn und Polen, wo mit Antisemitismus immer noch Politik gemacht wird, sterben die alten Judenhasser aus, junge muslimische Antisemiten wachsen nach.

heute in erster Linie in sozialen Me- tismus von einem politischen Konflikt Millionen von Opfern in seiner Schrec- dien statt und ist kaum im Steigen be- gespeist ist, besteht die Hoffnung, dass kensbilanz. griffen. Die Zunahme antisemitischer er im Falle einer Friedenslösung, so un- Im Vergleich zu den sechs Millionen Vorfälle, von der auch die IKG regelmä- wahrscheinlich sie auch sein mag, wie- in der Schoa Ermordeten ist die Zahl der ßig spricht, spiegelt bloß die Tatsache der an Kraft verlieren wird. Das merkt europäischen Juden, die muslimischen wider, dass das frühere Stammtischge- man auch daran, dass jeder Ausbruch Gewalttätern zum Opfer fielen, ver- rede nun schriftlich erfolgt und daher der Gewalt in der Region zu einem An- schwindend klein. Jeder einzelne Fall, dokumentiert werden kann. Nicht ein- stieg antisemitischer Übergriffe auf ob die 85-jährige Mireille Knoll in Paris mal die Weltfinanzkrise von 2008 mit Juden in Europa führt. oder die Kinder, die 2012 vor der jüdi- ihren jüdischen Akteuren hat zu einer schen Schule in Toulouse erschossen neuen Welle des Antisemitismus ge- Europäischer Antisemitismus wurden, ist eine Tragödie. Aber selbst führt. Außerhalb von Ungarn und Polen, Dass heute die Mehrheit der Mus- wenn Antisemitismus unter Muslimen wo mit Antisemitismus immer noch lime in aller Welt Juden mit Israel weiter steigt, schweben Europas Juden Politik gemacht wird, sterben die alten gleichsetzt und sie für alles Leid der nicht in akuter Lebensgefahr. Denn egal Judenhasser aus, junge muslimische Palästinenser verantwortlich macht, ob in Frankreich, Belgien, Schweden, Antisemiten wachsen nach. So gesehen ist entsetzlich. Aber auch jüdische Deutschland oder Österreich: Sie wer- hat Arik Brauer recht. Gemeinden in Europa und den USA den vom Staat und seinen Institutionen Aber auch das macht den muslimi- tragen zu dieser Vermischung bei, so gut wie möglich geschützt. schen Antisemitismus nicht zur le- indem sie sich nach außen hin mit Is- Was den Vergleich von muslimi- bensbedrohenden Gefahr für Europas rael identifizieren und nach innen eine schem und rechtsextremem Antisemi- Zwei unvergleichbare Juden. Das gilt vor allem für Länder unbedingte Unterstützung von Israel tismus besonders schwierig macht, ist wie Österreich, wo die Mehrheit der einfordern. Und Israels Regierung hilft, die Tatsache, dass der Hinweis auf den Muslime aus der Türkei stammt, einem die Grenze zwischen Judentum und einen Ungeist als Rückendeckung für Land mit weniger virulentem Antise- Israel zu verwischen, indem sie Kritik den anderen dienen kann. Rechtspopu- mitismus als im arabischen Raum. In an ihrer Politik schnell als Antisemitis- listen nutzen Judenhass unter Migran- Gefahren Wien kann man weiterhin mit Kippa mus klassifiziert. Wenn auf jüdischen ten für ihre Zwecke und spielen sich auf der Straße gehen, ohne Gefahr zu Veranstaltungen in Europa regelmäßig gerne als Verteidiger der jüdischen Be- laufen, angepöbelt oder gar angegriffen israelische Fahnen wehen, darf man völkerung und Israels auf. Aber gleich- zu werden. Ob sich das viele in Favo- sich nicht wundern, dass die Feinde Is- zeitig setzen sie ihre eigenen antisemi- riten trauen würden, ist eine andere raels zwischen Israelis und Juden nicht tischen Codes ein, etwa wenn Ungarns Frage. unterscheiden. Premier Viktor Orbán dem US-Milliar- Es kann sein, dass der Antisemitis- där George Soros einen Masterplan zur Muslimischer Judenhass mus unter Muslimen sich inzwischen Unterwanderung des christlichen Eu- Und es gibt einen allgemeinen As- verselbständigt hat und auch ohne ropa durch Flüchtlinge unterstellt und pekt, der den muslimischen Judenhass Anlässe weiter kochen wird. Aber er FPÖ-Klubchef Johann Gudenus dies als etwas leichter erträglich macht als den unterscheidet sich doch vom europä- „stichhaltiges Gerücht“ bestärkt. von katholischen Fanatikern oder Neo- ischen religiösen oder rassistischen Und wer sich heute in Öster- nazis: Er hat eine konkrete Motivation, Antisemitismus, der ausschließlich auf reich oder Deutschland stark gegen nämlich den Konflikt zwischen Israel Lügen und Verschwörungstheorien be- Rechtspopulismus und Fremdenfeind- und den Palästinensern. Es gab immer ruht und nicht einmal in Ansätzen eine lichkeit engagiert, neigt manchmal schon Antisemitismus im Islam, aber Rechtfertigung kennt. Und während auch dazu, den Antisemitismus unter er war nie so stark ausgeprägt wie im muslimische Hetze gegen europäische Migranten herunterzuspielen. Schließ- Christentum. Erst der Nahostkonflikt Juden von außen kommt, erwächst lich will man nicht seinen Feinden Ar- hat Juden für viele Muslime zum Feind- rechter Antisemitismus aus der Mitte gumente liefern. bild gemacht – zuerst die Gründung unserer Gesellschaft – und ist deshalb Alle Ausprägungen des Antisemitis- und Existenz des Staates Israel, zuletzt noch bestürzender. Bei jeder antisemi- mus weisen Ähnlichkeiten auf, aber die vor allem die israelische Besatzungspo- tischen Bemerkung, die am Arbeitsplatz Unterschiede zwischen muslimischem litik und die Unterdrückung von Palä- oder in einer Gesellschaft fällt, bei jedem und rechtsextremem Judenhass sind stinensern. hetzerischen Posting, selbst bei einem groß. Auf keinen Fall sollte man die bei- Nichts, was Israel tat oder tut, recht- geschmacklosen Witz geht vielen ein den Phänomene vermischen und dann fertigt irgendeinen Angriff auf israe- Gedanke durch den Kopf: „Hört denn das behaupten, die Lage in Europa sei wie lische Zivilisten oder gar Juden in der niemals auf?“ Dieser Antisemitismus in den 1930er-Jahren – und der nächste Diaspora. Aber weil dieser Antisemi- hat eine tausendjährige Tradition und Holocaust stehe vor der Tür. nu

2 | 2018 15 Aktuell Musikalischer Kampfsport in brauner Jauche

Wird Judenfeindlichkeit von vorgeblich migrantischen oder sich troverser Diskussion“ einen formalen zumindest so gebärdenden „Ghettokids“ Ausschluss von „JBG3“ für nicht richtig, und Verharmlosung des für meist wohlstandsverwöhnte Bürger- also wurden Textbausteine wie „mein Holocaust über die kinder. Die plärren dann zum Entsetzen Körper definierter als von Auschwitz- subkulturelle Hintertür ihrer Eltern Kollegahs und Farid Bangs Insassen“ oder „mache wieder mal ’nen frauenverachtende, schwulenfeindli- Holocaust, komm’ an mit dem Molotow“ salonfähig? Echo auf die che Gewaltfantasien wie „dein Chick ist tatsächlich mit dem wichtigsten Mu- Echo-Preisvergabe an das ’ne Broke-Ass-Bitch, denn ich fick’ sie, sikpreis im deutschsprachigen Raum Rapperduo Kollegah und bis ihr Steißbein bricht“ oder „Bitch, ich ausgezeichnet. Nach und nach gaben fülle sein’ Kopf mit Blei per Kalash wie bisherige Preisträgerinnen und -träger, Farid Bang. im Columbine-Massaker“ gedankenlos darunter etwa die Stardirigenten Daniel nach. Barenboim und Christian Thielemann, VON ANDREA SCHURIAN ihren Echo unter lautem Protest zu- Unter lautem Protest rück, Kollegah und Farid Bang behiel- Neben dem Verkaufs- kam BMG ten ihren. Mittlerweile wurde der Echo Können viele Menschen irren? Und auch noch mit dem Totschlagargu- überhaupt abgeschafft. wie sie können! Die Geschichte ist vol- ment der „künstlerischen Freiheit“ Denn braune Jauche stinkt, egal ob ler Beispiele. Nur bis zur Plattenfirma daher. Welch ein eklatantes Missver- sie von rechten Recken oder hippen BMG (Bertelsmann Music Group) hat ständnis! Die Freiheit der Kunst ist ein Rappern abgesondert wird. Das Ver- sich diese Erkenntnis offenbar die läng- schützenswertes Gut, aber sicherlich botsgesetz muss nicht nur für die un- ste Zeit nicht herumgesprochen. Weil kein Schutzmantel für antisemitische, längst publik gewordene, widerliche die Empörung über die Auszeichnung sexistische, rassistische, homophobe Kellernazi-Lyrik in burschenschaftli- des Rapperduos Kollegah und Farid Umweltverschmutzung. Wie der Berli- chen Liederbüchern gelten, sondern Bang mit dem Echo, einem der wich- ner Tagesanzeiger schrieb, beantragte natürlich auch für den Holocaust ver- tigsten deutschen Musikpreise, nicht der Staatsschutz bereits in der Woche harmlosenden Schrott von Rappern wie und nicht abebben wollte, konterte sie vor der Preisverleihung bei der deut- Kollegah, Farid Bang und Co. mit Verkaufszahlen. So viele Menschen schen Bundesprüfstelle für jugend- Oder wird Judenfeindlichkeit über könnten von den antisemitischen und gefährdende Medien, das Album von die sub- und jugendkulturelle Hintertür rassistischen Texten der beiden wohl Kollegah und Farid Bang auf den Index gerade wieder stubenrein? Das Wischi- nicht verletzt sein, ließ BMG reichlich zu setzen. Umso skandalöser das Heru- waschi des Echo-Beirates – „Wir neh- zynisch wissen, denn schließlich sei meiern des 2013 eigens für solche Fälle men wahr, dass nicht nur in der Musik, „Jung, Brutal, Gutaussehend 3“ eines der gegründeten Echo-Ethikrats. Er befand sondern auch in anderen Bereichen der meistverkauften Alben in Deutschland. nach „intensiver und teilweise kon- Kultur, wie in Film, Theater und Male- Aha, danke, die Erklä- rei, eklatante Tabubrüche

rung ist beängstigend und © CC-BY-SA-2.0 zunehmend zu den Merk- nicht genügend, passt aber malen der Kunstfreiheit punktgenau zu den Froh- gehören. Auch sehen wir, lockungen der Platten- dass Hass und Gewalt im bosse vom Dezember des gesamten medialen Um- Vorjahres, mit Felix Blume feld zunehmen“ – lässt alias Kollegah und Farid dies ebenso vermuten Hamed El Abdellaoui, wie die verblüffend offen- Künstlername Farid Bang, herzige Auskunft eines Nummer eins in Deutsch- Burschen in der (online land geworden zu sein. abrufbaren) WDR-Doku Deutscher Gangsta- Die dunkle Seite des deut- und Battle-Rap ist musika- schen Rap. Jude, sagte er lischer Kampfsport, krasse unbekümmert, sei halt ein Provokation, machomäßig gängiges Schimpfwort für rotziges Imponiergehabe einen, der geizig ist. nu

16 2 | 2018

Nahost 70 Jahre Israel … und seine arabischen Nachbarn

Israel ist eine kleine jüdi- jedoch angesichts der harten Realität In den folgenden Jahrzehnten än- sche Insel in einem über- von Kolonialpolitik, Stammesrivalitä- derte sich wenig an der arabischen ten und nationalistischem Fanatismus Einstellung gegenüber Israel. Im Juli wältigenden muslimischen bald im Nichts auf. 1951 wurde König Abdallah I. von Jor- Ozean. Die Beziehungen Als die Briten im Mai 1948 ihr Man- danien vor dem Eingang der Al-Aqsa- zwischen Israel und seinen dat in Palästina verließen, das sie ur- Moschee in Jerusalem ermordet, weil sprünglich nicht anvertraut bekom- es Gerüchte gegeben hatte, er wolle mit arabischen Nachbarn haben men hatten, um das Land aufzuteilen, den jüdischen Nachbarn über Frieden sich in den vergangenen sondern um eine jüdische Heimstätte reden. Abdallahs Enkel, Prinz Hussein, sieben Jahrzehnten drama- einzurichten, waren die arabisch-jü- stand an der Seite seines Großvaters, dischen Beziehungen verbittert und als dieser ermordet wurde, und wurde tisch verändert. feindselig. Palästina blutete durch ara- selbst verletzt. Möglicherweise hielt bische Aufstände und einen brutalen ihn dieses Erlebnis davon ab, mit Israel VON JOHANNES GERLOFF, JERUSALEM Bürgerkrieg. über Frieden zu verhandeln, nachdem er selbst im Jahr 1952 den Haschemi- Arabische tenthron bestiegen hatte. Unmittelbar nach dem Niedergang Ägypten, Syrien, Jordanien, der Irak, Im Frühsommer 1967 war die ara- des Osmanischen Reiches gegen Ende Saudi-Arabien, der Libanon und die bische Welt unter der Führung des des Ersten Weltkriegs vereinbarten Arabische Befreiungsarmee unter dem ägyptischen Präsidenten Gamal Abdel Seine königliche Hoheit Emir Faisal Kommando von Fausi al-Kawukdschi, Nasser in Hochstimmung. Sein erklär- Ibn Hussein in Vertretung des arabi- der den Zweiten Weltkrieg in Nazi- tes Ziel war es, die Juden allesamt ins schen Königreichs Hedschas und Dr. deutschland verbracht hatte, erklärten Mittelmeer zu treiben. Nachdem er die Chaim Weizmann für die Zionistische dem neugeborenen jüdischen Staat den Friedenstruppen der Vereinten Natio- Weltorganisation ein Abkommen. Fai- Krieg. Ihr Ziel war, unter allen Umstän- nen aus dem Sinai ausgewiesen und sal träumte von einem arabischen den eine jüdische Heimstätte in Palä- die Straße von Tiran für israelische Königreich „in Großsyrien und dem stina zu verhindern. Die Resolution 181 Schiffe geschlossen hatte, zerstörte Irak“, genau wie Weizmann von einer der UNO-Generalversammlung vom Israel in einem Präventivschlag die jüdischen Heimstätte in Eretz Israel. 29. November 1947, die eine Teilung Pa- Luftwaffen der Koalition Nassers und Gemeinsam hatten sie „die Blutsver- lästinas in einen jüdischen und einen eroberte im sogenannten Sechstage- wandtschaft zwischen den Arabern arabischen Staat vorsah, ist insofern krieg die Golanhöhen, das Westjord- und dem jüdischen Volk“ beschworen einzigartig unter allen UNO-Resolutio- anland und die Sinai-Halbinsel. Nach und gehofft, „die Einwanderung von nen, als ein Staatenbündnis den Ver- dieser demütigenden Niederlage beant- Juden nach Palästina zu fördern“. Diese such ihrer Umsetzung mit einem Ver- wortete die Arabische Liga in Khartum hochgesteckten Visionen lösten sich nichtungskrieg beantwortete. Anfang September 1967 Israels Angebot

Jüngste Entwicklungen im Gefolge des „Arabischen Frühlings“ haben tiefgehende Auswirkungen darauf, wie Israelis und Araber einander sehen. Die Vereinigten Staaten von Amerika scheinen einen „Sieg“ verkünden zu wollen, um sich dann aus der Region zu verabschieden.

18 2 | 2018 © ROYALTY/TOPFOTO/PICTUREDESK.COM ©

Teilung Israels 1947: Vertreter der arabischen Staaten bei der UN-Versammlung von „Land für Frieden“ mit „drei kate- Schenuda im März 2012 starb. Wenige zug aus dem Südlibanon der eigent- gorischen Nein“: „Nein zu Frieden mit Monate nach Sadats Tod trafen sich 27 liche Auslöser für den zweiten Palä- Israel. Nein zu einer Anerkennung Is- Organisationen, die praktisch die ge- stinenseraufstand war, der im Herbst raels. Nein zu Verhandlungen mit ihm.“ samte gesellschaftliche Elite Ägyptens desselben Jahres begann und heute als Wegen eines nachrichtendienstli- vertraten, und beschlossen, Israel zu „Al-Aqsa-Intifada“ bekannt ist. chen Versagens Israels konnten die boykottieren. Ägypter sich selbst nach dem Okto- Aber Sadats mutiger Schritt war eine Dramatische Veränderungen berkrieg von 1973, der auch als Jom- Wasserscheide in den israelisch-arabi- Trotz derartiger Rückschläge und Kippur-Krieg bekannt ist, zu Siegern schen Beziehungen, obwohl er wegen einer Unzahl von verpassten Gelegen- erklären. Diese Wahrnehmung auf der der Palästinenserfrage vielfach kriti- heiten sehen Israelis heute, dass sich arabischen Seite eröffnete Anwar el- siert wurde. ihre Beziehungen mit der arabischen Sadat ein halbes Jahrzehnt später die Ehud Baraks Rückzug aus dem Süd- Welt dramatisch verändert haben – Möglichkeit, auf Israels Premiermini- libanon im Mai 2000 war ein schwe- und mit atemberaubender Geschwin- ster Menachem Begin zuzugehen. Die rer Schlag für Israels Beziehungen digkeit verändern. Viele Schlüssel- Abkommen von Camp David führten zu seinen nichtjüdischen Nachbarn. personen und Regierungen scheinen die Sinai-Halbinsel zurück unter ägyp- Christliche libanesische Staatsmän- sich für einen Wandel entschieden zu tische Kontrolle, bereiteten den Weg ner weinten, weil sie zusehen mussten, haben. Sie wollen Israel eher als Part- für den ersten arabisch-israelischen wie ihr einziger Verbündeter im Nahen ner sehen denn als die Wurzel alles Friedensvertrag und brachten Sadat, Osten unter dem Druck der Weltöffent- Bösen. Seit Schimon Peres’ Landung in Jimmy Carter und Menachem Begin lichkeit floh und den Libanon de facto Doha 1996 wurden in Katar und Oman den Friedensnobelpreis. iranischer Herrschaft überließ. Israels de facto Botschaften Israels eröffnet, Flucht an seiner seit jeher sensiblen die freilich offiziell „wirtschaftliche Widerstand gegen den Frieden Nordfront lehrte die muslimische Welt Vertretungen“ genannt werden. Nicht nur die Aktivisten des Islami- zweierlei, wie mir ein Palästinenser in Jüngste Entwicklungen im Gefolge schen Dschihad, die Sadat im Oktober Bethlehem anvertraute: „Erstens, ver- des „Arabischen Frühlings“ haben tief- 1981 ermordeten, und die Bewegung der traue niemals einem Juden. Wenn es gehende Auswirkungen darauf, wie Muslimbruderschaft waren gegen den seinem Interesse dient, wird er dich Israelis und Araber einander sehen. Friedensvertrag zwischen Ägypten und allein lassen. Zweitens: Israel ist be- Die Vereinigten Staaten von Amerika Israel. Es gab auch heftige Widerstände siegbar. Die Hisbollah hat die Juden in scheinen einen „Sieg“ verkünden zu unter Christen. Der koptische Papst die Flucht geschlagen.“ Jahre später wollen, um sich dann aus der Region Schenuda III. drohte allen Gläubigen erklärte ein palästinensischer Raketen- zu verabschieden, beobachtet ein is- seiner Kirche mit einem Bann, sollten schütze in Gaza: „Wir werden die Zioni- raelischer Militärexperte. Tatsächlich sie den Frieden mit Israel für eine Pil- sten schlagen, so, wie sie die Hisbollah ist der Einfluss Washingtons in der Re- gerreise nach Jerusalem nutzen. Diese aus dem Libanon gescheucht hat.“ gion in den vergangenen Jahren spür- Bannandrohung war noch gültig, als Es scheint also, dass Israels Rück- bar zurückgegangen. Europa wird von

2 | 2018 19 Arabern und Israelis als naheliegende men hatte. Der einzige Protest dage- schen Institut für regionale Außenpo- und ruhige Ferien- und Shopping-Oase gen kam von El Al, die einen unfairen litik und Dozentin an der Universität geschätzt. Politisch aber ist es irrele- Wettbewerb fürchtet, wenn die Inder in Haifa, zu: „Arabische Länder akzeptieren vant, auch wenn es kaum Politiker gibt, fünf Stunden eine Distanz bewältigen Israelis nur, wenn sie keine Wahl haben. die das öffentlich eingestehen wollen können, für die El-Al-Flugzeuge acht Und auch dann wird israelischen Besu- – aus offensichtlichen wirtschaftlichen Stunden brauchen. Zur gleichen Zeit chen so wenig Aufmerksamkeit wie Gründen. flogen israelische F-16-Kampfjets in nur möglich gewidmet. Im geschäftli- Neben dem Iran ist es vor allem Russ- einem Manöver im griechischen Luft- chen Bereich, in der Technologie und land, das sich als einer der großen Ge- raum neben Mirage-2000-Flugzeugen in Sicherheitsfragen sind die Araber winner im Nahen Osten mausert, aller der Vereinigten Arabischen Emirate. zu einer Kooperation bereit. Kontakte wirtschaftlichen Schwäche und politi- Und schließlich konnte man im März auf hoher Ebene, zwischen Diplomaten, schen Isolation wegen der Ukraine zum auch noch im Weißen Haus in Was- Politikern oder Sicherheitsfachleuten, Trotz. Putin hat es verstanden, sich hington hohe saudische, katarische sind möglich. Aber die Kooperation auf nicht im syrischen „Morast“ festzufah- und omanische Vertreter mit Kollegen ziviler Eben ist gleich null.“ ren und gleichzeitig gute Beziehungen aus den Emiraten und Israel am selben Während auf Regierungsebene die zu allen regionalen Akteuren aufrecht- Tisch sitzen sehen, wo sie sich über die israelisch-arabischen Beziehungen zuerhalten: zum Iran und zu Saudi- humanitäre Lage im Gazastreifen un- ein nie dagewesenes Hoch erleben, Arabien; zu Israel und zu den Palästi- terhielten. Bemerkenswert war dabei tun sich arabische Gesellschaften of- nensern; zur Türkei und zu den Kurden; die Abwesenheit von Vertretern der fensichtlich sehr schwer damit, die zu Ägypten und zu Katar. Im Blick auf Palästinensischen Autonomiebehörde, Legitimität eines jüdischen Staates im Israel sollte nie übersehen werden, die seit der Anerkennung Jerusalems Nahen Osten anzuerkennen. Der fun- dass ungefähr ein Viertel der Bevölke- als Israels Hauptstadt die Trump-Ad- damentalistische Islam und der arabi- rung Israels Wurzeln in Russland hat, ministration boykottiert – was aber die sche Nationalismus sind nach wie vor russisches Essen liebt, russisch denkt, anderen Araber wenig zu kümmern die bestimmenden Kräfte in diesen russisch spricht und sich auch in po- scheint. Noch ein Jahr zuvor hatte man Ländern. litischer Hinsicht eher im russischen sich bei einem Treffen von Israels Ge- Zvi Masel erinnert daran, wie Präsi- Klima wohlfühlt, als in einer europä- neralstabschef Gadi Eisenkot mit sei- dent Sadat 1980 Ariel Scharon einlud ischen oder amerikanischen Kultur. nem saudischen Amtskollegen Abdul und Israel um Hilfe bat, um eine Hun- Rachman Bin Saleh Al-Bunjan auf einer gersnot zu verhindern. Israelische Ex- Präzedenzlose Zusammenarbeit Konferenz in den USA um Geheimhal- perten bauten daraufhin neue Farmen Vor diesem Hintergrund genießt tung bemüht. Heute scheinen derlei in der Wüste an der Straße zwischen Israel eine nie dagewesene Koopera- Kontakte eher normal. Kairo und Alexandrien. Innerhalb we- tion mit pragmatischen sunnitisch- Zvi Masel hat praktisch sein gesam- niger Jahre gelang es Ägypten, im arabischen Staaten in der Nachbar- tes Berufsleben im Dienst des israeli- landwirtschaftlichen Sektor selbstän- schaft. Gemeinsame Interessen und schen Außenministeriums verbracht. dig zu werden. Aber die muslimische gemeinsame Bedrohungen, etwa durch Von 1996 bis 2001 war er Israels Bot- und linke Opposition verbreitete über den Iran oder der den radikalen Islam, schafter in Kairo. Masel erinnert daran, die Medien Gerüchte, die Juden würden verbinden. Die Zusammenarbeit mit dass Israel nach dem Friedensvertrag den Boden der Ägypter vergiften. Daran Ägypten und Jordanien, aber auch mit mit Ägypten 1980 „große Anstrengun- scheiterte jede weitere Kooperation, Golfstaaten, mit denen Israel keine di- gen zu einer Kooperation in allen Le- ganz unabhängig davon, wie erfolg- plomatischen Beziehungen hat, ist in- bensbereichen unternommen hat“. „Die reich sie war. Masel ist im Blick auf die tensiver geworden. Alle schätzen Isra- meisten dieser Bemühungen waren ägyptisch-israelischen Beziehungen els nachrichtendienstliche, technische, Fehlschläge.“ Inmitten aller Begeiste- pessimistisch: „Der kulturelle Graben wirtschaftliche und militärische Unter- rung über einen Neuen Nahen Osten zwischen uns und den Ägyptern kann stützung. Diese neue Nähe ist mittler- gibt Masel zu bedenken: „Es gibt keine in den nächsten hundert Jahren nicht weile für jedermann sichtbar. Normalisierung zwischen den beiden überwunden werden.“ Der pensionierte Mitte März landete auf dem Ben-Gu- Ländern, die ein Friedensabkommen Diplomat warnt vor jeder Euphorie im rion-Flughafen der erste Direktflug von miteinander unterschrieben haben. Wir Kontext von Israels Stellung im Nahen Air India aus Neu-Delhi, nachdem er die haben lediglich Regierungskontakte.“ Osten: „Die arabische Straße hat noch viel kürzere Route durch den Luftraum Ähnlich gibt Moran Saga, politische immer ein Problem, weil sie die Reali- Saudi-Arabiens und Omans genom- Mitarbeiterin bei „Mitvim“, dem israeli- tät verleugnet.“ nu

Während auf Regierungsebene die israelisch-arabischen Beziehungen ein nie dagewesenes Hoch erleben, tun sich arabische Gesellschaften offensichtlich sehr schwer damit, die Legitimität eines jüdischen Staates im Nahen Osten anzuerkennen.

20 2 | 2018 Nahost In Deine Stadt Jerusalem kehre zurück ... (Schmone Esre Gebet)

VON MARTIN ENGELBERG

Neulich fragte mich eine Journali- was das sei und war fassungslos, dass Die europäische Politik gegenüber stin um meine Meinung zur Verlegung es in Israel tatsächlich ein Gefängnis Israel hat die Rückwärtsgewandheit der US-Botschaft nach Jerusalem. Ich gab. Mit einem so idealisierten Bild der Palästinenser übernommen. Man antwortete spontan, dass ich nicht von Israel wuchsen wir auf. verkennt die Realitäten vor Ort und glauben könne, dass sich – zumindest Dann kam im Jahr 1967 die Erobe- hält am Konzept der Zweistaatenlö- in ihrem Innersten – nicht alle jüdi- rung der Altstadt von Jerusalem. Nach sung fest, als ob nicht schon mehrfa- sche Menschen darüber freuten. Bei zwei Jahrtausenden des drei Mal täg- che diesbezügliche Versuche kläglich aller trockenen Rationalität und po- lichen Gebetes war die Klagemauer, gescheitert wären. Die Palästinenser litischen Skepsis: Über Jahrtausende der letzte Rest des Salomonischen verharren in ihrer höchst tragischen sind Generation um Generation mit Tempels, wieder in unseren Händen. Haltung, jede sich bietende gute Ge- dem Wunsch nach der Rückkehr nach Nach Jahrzehnten, in denen Juden legenheit für einen Friedensschluss Jerusalem aufgewachsen. In unseren der Zutritt zu ihrer heiligsten Stätte zu verpassen. Israel dagegen befindet Zeiten wurde sie Wirklichkeit. überhaupt verboten gewesen war. Der sich seit vielen Jahren in einer gigan- Zuerst mit der Gründung des Staa- aus Österreich stammende Fotograf tischen positiven wirtschaftlichen und tes Israel, dessen 70. Geburtstag wir David Rubinger schoss jenes weltbe- militärischen Entwicklung und ist ein dieses Jahr feiern. Israel war der Stolz rühmte Foto, welches die jüdischen integraler Bestandteil der westlichen unserer Eltern und Großeltern. Nach Menschen in aller Welt, egal ob alt Welt geworden. Jahrhunderten der Demütigungen, oder jung, zutiefst bewegte: Drei is- Die USA tragen dem zunehmend Verfolgungen und Vertreibungen, die raelische Fallschirmjäger stehen vor Rechnung. In letzter Zeit gibt es jedoch ihren schrecklichen Höhepunkt in der der soeben eroberten Klagemauer und auch einige europäische Staaten, die Schoa fanden, gab der junge Staat zwei blicken voll Ehrfurcht und Ernsthaf- erste Anzeichen einer Änderung ihrer Versprechen ab: Nie wieder würde tigkeit zu ihr auf. Der zweitausendjäh- Politik gegenüber Israel erkennen las- man untätig zusehen, wie Juden ver- rige Traum hatte sich in diesem einen sen. Derzeit sind es vor allem mittel- folgt würden, und für immer würden Bild erfüllt. und osteuropäische Staaten aus dem Juden einen Platz haben, wohin sie im Viel ist seither geschehen. Viel zu Kreis der ehemaligen Warschauer- Falle von Verfolgung fliehen könnten. viele Kriege, Terroranschläge, Gewalt. Pakt-Staaten. Aber auch Österreich Aber nicht nur das: Israel wurde Israel hat sich zur größten Militär- könnte in naher Zukunft beginnen, zum Inbegriff von Pioniergeist, Aufop- macht des Nahen Osten entwickelt. seine – in der Tradition Kreiskys – tra- ferung für das Land und eines neuen Die unmittelbaren arabischen Nach- ditionell israelkritische Haltung abzu- Gesellschaftsmodells. Uns erfüllt die barstaaten sind keine Bedrohung legen und damit eine Vorreiter-Rolle Romantik der Kibbuzim, in denen es mehr für das Land. Der Konflikt mit in der Europäischen Union einzuneh- nur Gemeinschaftsbesitz gab und wo den Palästinensern ist vor allem ein men. alle die gleichen Rechte und Pflich- ständiger Angriff auf die Ethik und 70 Jahre Israel sind eine Erfolgs- ten hatten. Aber auch in den Städten Rechtsstaatlichkeit des Staates. In- geschichte, wie sie ihresgleichen in verschlossen die meisten Menschen zwischen hat sich das Schlachtfeld der Geschichte sucht. Noch öfter als nicht ihre Wohnungstür. In die Woh- vielmehr in die internationale Politik das Gebet für Jerusalem wird in der nung meiner Tante in Tel Aviv ging und die Medien verlagert. Israel wird jüdischen Liturgie jenes für den Frie- man einfach hinein. oft dämonisiert, mit zweierlei Maß ge- den gesprochen. Vielleicht braucht es Als ich mit zwölf zum ersten Mal messen und delegitimiert. Dort ist der eine fast göttliche Eingebung, wie man in Israel war, kamen wir zufällig auch große Feind heute die BDS-Bewegung diesem wunderbaren Land Israel und an einem für mich merkwürdig ausse- („BDS“ steht für: Boycott, Divestment, dieser wunderbaren Stadt Jerusalem henden Gebäude vorbei, das mit einem Sanctions), die eine moderne „Kauft endlich Frieden bringen kann. Möge hohen Zaun umgeben war. Ich fragte, nicht bei Juden!“-Strategie verfolgt. es bald gelingen. nu

2 | 2018 21 Nahost Israel: bald nicht mehr „das Land, wo Milch und Honig fließen“?

Der Veganismus in Israel Auf dem Carmel Markt von Tel Aviv man gleich gefragt: „Haselnuss-, Man- als Spiegelbild der begegnet man ständig Verkäufern, die del-, Soja- oder Hafermilch?“. Selbst Avocados, Erdbeeren oder Mangos gün- vor vielen Geschäften, die gar keine Gesellschaft. stig verkaufen, sowie Arabern, die mit Lebensmittel verkaufen, verkündet ein ihrem feinen Gebäck Juden wir Araber großes rotes Herz „Veganfriendly“. VON JÉRÔME SEGAL (TEXT UND FOTOS) gleichermaßen anlocken. In einer Quer- straße befindet sich seit kurzem auch Welthauptstadt des Veganismus ein „Vegan Design Studio“. Dort werden Mit einer halben Million Einwohner Taschen aller Art angeboten, garantiert profiliert sich Tel Aviv als die Welt- nur aus synthetischen Materialien und hauptstadt des Veganismus. Der An- ohne Leder hergestellt, da Veganer be- teil von vegan lebenden Menschen in kanntlich auf alles verzichten, dessen Israel insgesamt wird auf drei bis fünf Produktion Tierleid bedingt. Sowohl im Prozent geschätzt. Abseits des Vega- Stadtzentrum als auch in den periphe- nismus, der eher einer Lebensart ent- ren Bezirken auf der anderen Seite des spricht, gibt es viele engagierte Israelis, Ayalons haben fast alle Restaurants die sich als „Antispeziesisten“ bezeich- und Imbisse auf ihren Speisekarten ve- nen: Wenn Rassisten behaupten, es getarische und vegane Gerichte. Wenn gäbe eine Rasse, die der anderen über- man in einem Kaffeehaus einen Cap- geordnet sei, meinen Speziesisten, dass puccino ohne Kuhmilch bestellt, wird eine Spezies (in dem Fall der Homo sapiens) alle Rechte über die anderen Spezies hätte, eben weil sie übergeord- net sei. Antispeziesisten wehren sich dagegen, und dies geschieht in Israel häufiger als in anderen Ländern. Es scheint, als habe es etwas mit dem Judentum zu tun, dass besonders viele Juden ein Herz für Tiere haben – wobei Judentum nicht unbedingt re- ligiös gemeint sein muss. Wie sich in Gesprächen mit Israelis, ob vegan oder nicht, Aktivisten oder nicht, abzeich- net, hat es auch mit dem Palästinenser- Konflikt zu tun. Yehu, Mitte 30, erfolgreicher Biologe, der ein Labor an der Hebrew University in Jerusalem leitet, beobachtet bei- spielsweise, dass viele seiner Freunde aus der Friedensbewegung sich nun im Tierschutz engagieren: „Nach Jahr- zehnten des Engagements haben sie in der Friedensbewegung nichts außer

22 2 | 2018 Enttäuschungen erlebt. Es ist nicht so einfach, feststellen zu müssen, dass man trotz großen Einsatzes nichts er- reicht. Manche haben dann entschie- den, woanders aktiv zu werden, zum Beispiel im Tierschutz.“ Yehu lebt selbst nicht vegan, hat aber seinen Fleischkonsum drastisch reduziert, seit er mit seiner Freundin Taliya zusammenlebt, einer Veganerin und – aus Opposition zur aktuellen is- raelischen Regierungspolitik – Wehr- dienstverweigerin. Sie bestätigt Yehus Worte und fügt hinzu: „Als Veganerin bin ich sofort erfolgreich, sehe jeden Tag die Wirkung meiner Entscheidung, auf Tierprodukte zu verzichten. Mit jeder veganen Mahlzeit rette ich Tier- leben.“ Diese Art von Pragmatismus wird auch von Liza geteilt, einer 40-jährigen französisch-israelischen Frau, die in einer streng orthodoxen Familie auf- wuchs und mittlerweile in einem „Ve- getarierdorf“ in Galiläa lebt. Bereits mit elf Jahren wurde sie Vegetarierin und engagierte sich im Tierschutzbereich, vor sieben Jahren entschied sie, Vega- nerin zu werden und sich noch radika- ler als Antispeziesistin einzubringen. „Die Menschen können sich selber hel- fen, die Tiere nicht. Sie sind die Ver- zweifelten, die keine Stimme haben. Wenn Juden heute einen Auftrag auf dieser Erde haben, ist es genau das: der Kampf für die Befreiung der nicht- menschlichen Geschöpfe!“ Liza glaubt, dass dieses Engagement für den Tier- schleiert werden. Schon hat die israe- schutzaktivisten aus Wien kennt, hält schutz dem Image Israels zuträglich lische Armee nämlich angekündigt, er einen Ordner bereit, in dem Mas- wäre: „Israel als erstes Land, das Nutz- dass vegane Männer oder Frauen, die sentierhaltung dokumentiert wird und tieren Rechte verleiht: Das würde den zwei oder drei Jahre beim Militär die- bittet um eine Spende. Oder er schlägt Ruf des Landes verbessern.“ nen, mit einer komplett veganen, also die „Challenge 22“ vor: Vegane Ernäh- lederfreien Ausrüstung und mit vega- rung für 22 Tage, begleitet von einem „Anonymous for animal rights“ ner Kost versorgt werden. Internet-Coach. Aber geht es nur um ein Art „Veg- Immer öfter passiert es, dass junge Aber in erster Linie ist Veganismus anwashing“? Gideon Levy, Journalist Israelis für den Verein „Anonymous auch in Israel ein kulinarischer Trend. und einer der Herausgeber der libera- for animal rights“, der übrigens sogar Gäste der besten veganen Restaurants len israelischen Tageszeitung Haaretz, einen kleinen Zuschuss vom Umwelt- (wie Meshek Barzilay im Stadtteil Neve nennt als Grund für den wachsenden ministerium bekommt, buchstäblich Tzedek) unterstützen wohl eher nicht Veganismus ebenfalls die komplette auf die Straße gehen. So versucht der radikale Tierschutzorganisationen und Niederlage der Friedensbewegung. 23-jährige Adi vor dem Meir Park in Tel -aktionen. Und Israel wird vorläufig Seine These: Damit solle die Besat- Aviv mit Passanten ins Gespräch zu wohl „das Land, wo Milch und Honig zungspolitik im Westjordanland ver- kommen. Wie man es auch von Tier- fließen“ bleiben. nu

Mit einer halben Million Einwohner profiliert sich Tel Aviv als die Welthauptstadt des Veganismus. Der Anteil von vegan lebenden Menschen in Israel insgesamt wird auf drei bis fünf Prozent geschätzt.

2 | 2018 23 Schwerpunkt Sommerfrische © CC BY 2.0/ANNIA316 Strandbild von Jesolo

Jüdische Sommerfrische

VON ERIC FREY über, aber Jesolo lehnte sie weiter ab. waren einst Sigmund Freud und an- Das änderte sich erst mit der Geburt dere jüdische Dichter und Denker So weit ich mich zurück erinnern unserer Tochter. Sie wurde von mei- auf Sommerfrische, aber hier wurden kann, fuhren meine Eltern mit uns im nen Eltern zuerst auf ein verlängertes auch zahlreiche NS-Kriegsverbrecher Sommer auf Urlaub nach Jesolo – zu- Jesolo-Wochenende mitgenommen, nach 1945 versteckt. Bei jeder Aus- erst auf der 17er-Bundesstraße über das nächste Mal waren auch die Eltern seer Prachtvilla fragt man sich: Wem den Semmering, später über die Süd- meiner Frau dabei. hat die einmal gehört, und wer hat sie autobahn Richtung Italien. In unserem Und über kurz oder lang wurde die sich dann unter dem Nagel gerissen? Hotel am Lido und rundherum gab es Fahrt nach Jesolo schließlich auch zu Und die Tracht- und Dirndlkultur der zahlreiche gleichaltrige Freunde aus unserem Sommerritual. Das hing auch Einheimischen und Wiener Zweit- Wien; sie in Jesolo wiederzusehen, damit zusammen, dass wir Jesolo zum hausbesitzer ist von einem jüdischen war ganz normal. regelmäßigen Treffpunkt mit meinem Lebensgefühl sehr, sehr weit entfernt. Nie kam mir damals in den Sinn, Bruder und meiner Schwägerin aus Wir verbringen jedes Jahr Zeit in dass die Wahl des Urlaubsortes auch New York machten. Zu zwölft fiel die Alt-Aussee, inzwischen reisen auch etwas mit kultureller oder religiöser Familie mit drei Generationen Jahr für unsere erwachsenen Kinder mit ihren Identität zu tun haben kann. Das ge- Jahr im Hotel in Jesolo ein, besetzte Freunden an. Aber da wir alle Tracht schah erst viel später, als ich meine eine halbe Etage und den größten verweigern, kommen wir dort nie ganz heutige Frau traf, die in einem anderen Tisch im Speisesaal. an. Auch das ist ein leiser Protest. Umfeld aufgewachsen war. „Jesolo? In diesem Sommer fährt die Groß- Wer fährt schon nach Jesolo?“, rief sie Dort, wo es schön ist familie – ohne unseren verstorbenen aus, als ich ihr von meinen Kindheits- Meine Frau war stets dabei, aber Vater sind wir nur noch zu elft – nicht erinnerungen erzählte. Ihre Sommer- unter leisem Protest. Nicht, dass sie nach Jesolo, sondern an den Wörther- ferien hatte sie mit Segeln in Kroatien, etwa die Sonne nicht genoss, das gute see. Dort ist, so hoffen wir, etwas mehr in der französischen Provence und an Essen oder die intime Familienatmo- zu tun als nur am Strand oder am Pool vielen anderen Orten verbracht, aber sphäre. Aber nach Jesolo fährt man zu sitzen. sicher nicht in Jesolo. einfach nicht. Ihre Eltern verbringen Aber Moment: Was machen Juden So kam ich drauf, dass das angeb- ihre Sommer in einem Ferienhaus in im Reich von Jörg Haider und Uwe liche Hausmeisterdomizil bei Venedig Alt-Aussee. Es ist ein Ort, den ich vom Scheuch? Gute Frage. Doch Kärnten ist auch ein typischer Sommerfrischeort ersten Moment an geliebt habe und heute auch das Land von Peter Kaiser für Wiener Juden ist – das, was die noch heute liebe. und Maja Haderlap. Und dürfen nicht Catskills einst für New Yorker waren. Allerdings: Aus jüdischer Sicht Juden einfach dort Urlaub machen, wo Meine Frau trat zwar zum Judentum ist es ein zwiespältiger Platz. Hier es schön ist? nu

24 2 | 2018 Familienurlaub in der City Aktion Summer-Outdoor Familie nur € 179,- / Saison Gültig für zwei Erwachsene und zwei Kinder bis zum vollendeten 15. Lebensjahr, von Mai bis September während der gesamten Outdoor-Öffnungszeiten, für die Bereiche Outdoor und Garderobe. Eintritt für Kinder nur in Begleitung eines Erwachsenen.

S.C.HAKOAH -

www.hakoah.at Schwerpunkt Sommerfrische © MENAHEM KAHANA/AFP/PICTUREDESK.COM © MENAHEM Rafting auf dem Jordan

„Sommerfrische“ in Israel

Als aus Wien die Anfrage voll von Gerüchen, die den Sommer die im Sommer der Hitze und dem kam, etwas über „Sommer- ausmachen“ – wie die Neuntklässlerin Gestank in der Stadt entflohen, indem Larissa Völler in einer (online nachzu- sie Zeit auf dem Lande oder an der See frische in Israel“ zu schrei- lesenden) Analyse über Gedichte von verbrachten.“ Die Brüder Grimm haben ben, war meine spontane Nikolaus Lenau schreibt. Das öffent- es in ihrem Wörterbuch kürzer auf den Antwort: „Na klar!“ „Frische“ liche Eingeständnis, dass das Wort Punkt gebracht: „erholungsaufenthalt „Sommerfrische“ bis jetzt nicht wirklich der städter auf dem lande zur som- ist das, was wir hier in Israel zu meinem Wortschatz gehört hat, war merzeit“ oder „eine wohnung auf dem immer brauchen. „Sommer“ an dieser Stelle eigentlich nicht vorge- lande, die man im sommer bezieht“. Üb- ist gut. sehen. rigens schrieb auch Larissa Völler ihren Die Überschrift „Wenn Sie diese Wör- poetischen Satz zur Sommerfrische im ter kennen, sind Sie alt“ in einer deut- Rahmen einer Überlegung zu „wun- VON JOHANNES GERLOFF, JERUSALEM schen Zeitung hat mich dann aber doch derschönen Worten“, „die im heutigen dazu befreit, hier schriftlich zu Proto- Sprachgebrauch leider nicht mehr ver- koll zu geben, dass mir das Wort „Som- wendet werden“ unter der Überschrift Als Schwarzwälder bin ich auch merfrische“ bislang nicht wirklich ge- „Das vergessene Wort“. nach einem Vierteljahrhundert noch wärtig war. Zwischen „Schnurre“ (selt- Ein Wortgebrauch und Verstehens- nicht lange genug im Heiligen Land same, oft unglaubwürdige Geschichte) Horizont hat aber nicht nur mit dem ansässig. Und bei der Kombination und „Maulaffen feilhalten“ (untätig Alter zu tun. In den vierzehn Literatu- von „Sommer“ und „Frische“ spürt man herumstehen. Entstanden aus nieder- rangaben des Wikipedia-Eintrags zu „förmlich den Wind über die Haut fah- deutsch: mit „apen“ [„offenem“] Mund „Sommerfrische“ sind je einmal Ber- ren, den Duft und die Wärme, die er dastehen) wird „Sommerfrische“ defi- lin, Köln, Weimar, Darmstadt und die mitbringt, die Luft, die man einatmet, niert als „Ritual der besseren Stände, Schweiz als Ursprungsorte der Quellen

26 2 | 2018 angegeben, aber dreimal und ferner Zukunft den „Arabischen Früh- „ostalpinen Sommerfrische“. achtmal Wien, sowie eine alleinste- ling“ als „Dritten Weltkrieg“ bezeichnen. Ein Blick in Langenscheidts hende österreichische Radiosendung Wären sich Europäer über die lokale Deutsch-Hebräisches Handwörterbuch makom] טיק-םוקמ zum Thema. In den Erklärungen zum Verankerung und Einzigartigkeit ge- gibt „Sommerfrische“ mit neve-kaiz] ץיק-הונ Gebrauch und Ursprung des Wortes wisser Begriffe im Klaren gewesen, sie kait – Sommerort] oder liegt bei Wikipedia der Schwerpunkt im hätten sich niemals als „Fans des Ara- – Sommeraue] wieder, beides Worte, Venetianischen und im Bozener Raum, bischen Frühlings“ bezeichnen können. die mir im täglichen Sprachgebrauch bevor dann erklärt wird, dass Ludwig Um eine zu Relation geben: Allein im in Israel eigentlich noch nie begegnet Steub, der „Entdecker“ Tirols, das Wort „Arabischen Frühling“ Syriens wurden sind. Auch ein israelischer Abiturient im deutschen Raum popularisiert habe. in den zurückliegenden sieben Jahren konnte mit beiden Begriffen nichts Ein eigener Abschnitt über „Sommer- pro Jahr mehr Menschen getötet, als im anfangen. Aber dann steht im Langen- frischen in Österreich“ beschließt den sogenannten Nahostkonflikt zwischen scheidt für „Sommerfrische“ auch noch Eintrag des Internetlexikons. Die Brü- Israel und seinen arabischen Nach- das Wörtchen [kaitana], ein Wort, das in der Grimm bestätigen die lokale Ver- barn in 70 Jahren, alle Kriege, Palästi- der israelischen Öffentlichkeit zu Be- ankerung des Begriffs „Sommerfrische“ nenseraufstände, Terroranschläge und ginn der Sommerferien allgegenwärtig in den Ostalpen. Es gibt also auch im Vergeltungsmaßnahmen eingerechnet. ist. Frei übersetzt sind damit Jugend- modernen Europa des 21. Jahrhun- Wir haben hier im Orient eigent- freizeitzentren gemeint, in denen die derts noch Begriffe, die auf einen über- lich nur zwei Jahreszeiten: Den Som- Eltern, die trotz der zwei Monate Ferien schaubaren geografischen Bereich be- mer und die Regenzeit. Dabei verbin- im Sommer arbeiten müssen, ihre hy- schränkt sind, die von der Mentalität det sich mit der Regenzeit das Gefühl, peraktiven Sprösslinge abladen. Eine einer bestimmten Bevölkerung und dass alles zu neuem Leben erwacht. wichtige und Anfang Juli in Israel viel einzigartigen klimatischen Verhältnis- Mit dem Ende des Sommers bringt der diskutierte Angelegenheit. sen geprägt sind. Regen die Frische, erweckt das Land zu Das alles mag vielleicht wie eine neuem Leben und lässt es grün werden. „Winterfrische“ Binsenweisheit klingen, die es kaum Der Sommer dagegen ist die Zeit, in der Traditionell gibt es im Nahen Osten wert ist aufgeschrieben, geschweige alles Leben in der Natur von Hitze und aber tatsächlich so etwas wie eine denn veröffentlicht zu werden. Schade Trockenheit erstickt wird. Im Sommer „Sommerfrische“, die sogar ähnlich nur, dass sich Politiker und Journa- ruhen die Pflanzen. Für den Sommer motiviert war wie die ausgedehnten listen, die weit über die Vielfalt Euro- muss man sich hier als Mensch und Sommeraufenthalte des europäischen pas hinaus tätig sind und durch ihre Tier Vorräte anschaffen, um überleben Adels in seinen Sommerresidenzen. Vorstellungen und Worte unsere Welt zu können. Vor diesem Hintergrund Nur sollte man sie vielleicht besser prägen, darüber nicht im Klaren zu wird eine Äußerung verständlich, mit „Winterfrische“ nennen. So zog sich sein scheinen. Der Begriff „Arabischer der Ismail Haniye, ehemaliger Premier- schon der berühmt-berüchtigte König Frühling“ ist ein Paradebeispiel dafür. minister der Hamas im Gazastreifen, Herodes vor zwei Jahrtausenden im Orientalen oder Afrikaner hätten die seine Erleichterung ausdrückte: „Auf Winter vor den herben Unwettern im Ereignisse des zurückliegenden Jahr- den arabischen Frühling ist zum Glück judäischen Bergland ins milde Jericho zehnts niemals als „Frühling“ bezeich- kein Sommer gefolgt, sondern ein isla- zurück. Beeindruckende Ausgrabungen net. Es waren Europäer, die sich infolge mischer Winter.“ Ob Haniye mit diesem von pompösen Palastanlagen im Jor- des Polit-Tsunamis, der die gesamte Satz, der europäische Demokraten eher dantal bezeugen das. Das Wetter und arabische Welt im Nahen Osten und in erschaudern lässt, Recht behalten wird, die Notwendigkeit, sich aus der Land- Nordafrika überrannt und unwieder- soll die Zukunft entscheiden. Fest- wirtschaft zu ernähren, zwingen Bedui- bringlich verändert hat, einen frischen zuhalten bleibt zunächst: Derlei lokal nen bis heute, ihre Herden im Sommer Sommer erhofft haben. verankerte, gefühlsbeladene Begriffe aus dem erdrückend heißen Jordantal lassen sich nur schwer übersetzen – hinauf in die Berge zu treiben. Und eu- Hoffnungsbringer und noch schwerer von einer Region ropäisch akklimatisierte Menschen Der „Arabische Frühling“, den füh- in die andere übertragen. Vielleicht ist freuen sich neuerdings über Billigflüge rende Europäer als Hoffnungsbringer das auch ein Grund dafür, warum der von Tel Aviv nach Baden-Baden, sodass bejubelt haben, hat sich mittlerweile Rest des deutschsprachigen Europas so in letzter Zeit immer mehr Israelis dem als eine der blutigsten Epochen erwie- wenig mit dem Begriff „Sommerfrische“ heißen Sommer ihres Heimatlandes in sen, die der Nahe Osten jemals erlebt anzufangen weiß – und damit wieder die „Sommerfrische“ des Schwarzwal- hat. Vielleicht werden wir in nicht allzu zurück vom „Arabischen Frühling“ zur des entfliehen. nu

Traditionell gibt es im Nahen Osten tatsächlich so etwas wie eine „Sommerfrische“, die sogar ähnlich motiviert war wie die ausgedehnten Sommeraufenthalte des europäischen Adels in seinen Sommerresi- denzen. Nur sollte man sie vielleicht besser „Winterfrische“ nennen.

2 | 2018 27 Schwerpunkt Sommerfrische

28 2 | 2018 Unterwegs in der Sommerfrische

Miguel Herz-Kestranek ist treffen einander in seinem Interview- tionalsozialistische Volkswohlfahrt zweifach beheimatet: in der Stammlokal „Maria Treu“ im Schatten richtete ein Müttererholungsheim ein. der barocken Piaristenkirche und in „Die Mütter, die dem Führer genügend Josefstadt und in St. Gilgen allernächster Nähe zum Theater in Söhne geboren haben, durften dort am Wolfgangsee, wo er seit der Josefstadt. Mit leiser, gleichwohl Urlaub machen“, sagt Herz-Kestranek der Kindheit nicht nur seine markanter Stimme spricht er über mit resignierend-ironischem Unter- seine Kindheit, den Familiensitz am ton. Zwar wurde der Besitz an die Fa- Sommerfrische verbringt. Wolfgangsee und unterstreicht mit milie zurückgegeben, doch die Angst bedachten Bewegungen seine Erzäh- – „eine atavistische Angst!“ – vor dem VON IDA SALAMON (TEXT) UND lungen. Verlust sei noch immer da. MILAGROS MARTÍNEZ-FLENER (FOTOS) Jugenderinnerungen an etliche in Seine Heimat dieser Bucht am See gelegenen Villen Miguels Großonkel, der Großindu- mit den großen Gärten tauchen auf. Lange bevor Miguel Herz-Kestra- strielle Wilhelm Kestranek, ließ im Der kleine Miguel war das jüngste von nek den See und sein Haus sehen Jahr 1906 eine Villa mit eigener Eisen- vielen Kinder in der Nachbarschaft, kann, schon in der Gegend von Linz, bahnhaltestelle, mit Tennisplatz und gemeinsam bildeten sie eine Bande beginnt er Geborgenheit zu fühlen. Theater errichten. Viele aus der gro- nach dem Vorbild von Huckleberry Etwa 120 Kilometer trennen ihn noch ßen Familie, wie auch sein Großvater Finn. In den langen Sommern spiel- von seinem Zuhause im Salzkammer- Eugen Herz, bauten später weitere Vil- ten sie bei jedem Wetter und ohne gut. Malerische Berglandschaften, len. Hier wuchs Miguel auf, die Häuser viel „richtiges“ Spielzeug am und im dann öffnet sich der Blick auf den stehen heute noch. Allerdings wurden Wasser, in den Bootshütten, auf den Mondsee. Gleich danach taucht der sie von den Nazis enteignet, die Na- Dachböden, in den Ruderbooten. Sie Wolfgangsee auf, und er habe Herz- klopfen, sagt Herz-Kestranek, als ob er eine Geliebte zum ersten Mal sähe. „Diese Reihe von Sesseln hier, das ist wie in Bad Ischl.“ Am meisten beeindruckt ihn der Blick von seinem Haus, vom klaren Wolf- gangsee hinauf auf die Berge, mit ihren oft noch im späten Frühjahr weißen Spitzen. In siebzig Jahren habe er diesen Anblick „geschätzte 35.000 Male“ erlebt, und immer wieder sei er anders, neu und überraschend. Es gibt hunderttausende Licht- und Wetterstimmungen, hunderttausende Luftspiegelungen. Und manchmal färbt ein Regenbogen den Himmel bunt. „Ich bin ein Sommerfrische-Fan und fahre sonst fast nirgendwo hin. Reisen habe ich nur beim Arbeiten ge- macht, es ging um die halbe Welt. Mir ist aber die Sommerfrische mit dem Leben, das diese bedeutet, eines der wichtigsten Dinge meines Daseins“, sagt der Schauspieler und Autor. Wir

2 | 2018 29 „Man sucht freiwillig Einsamkeit und die damit verbundene Erholung und Wiederbesinnung. Ich versuche, mein Leben mindestens zwischen Anfang Mai und Ende Oktober in diese Richtung zu fokussieren. Aber es gelingt leider nie ohne Arbeit.“

spielten Räuber und Gendarm „in und befreundeten Familien ihre Fe- Leben mindestens zwischen Anfang einer gefühlt unendlichen Zeit, die als rien in St. Gilgen. Man geht gemein- Mai und Ende Oktober in diese Rich- Ganzes einfach da war. Das alles hat sam wandern und segeln, besucht tung zu fokussieren. Aber es gelingt mich sehr geprägt, und dieser Platz ist einander zur Jause oder zum Tee. leider nie ohne Arbeit.“ meine Heimat.“ „Man sucht freiwillig Einsamkeit und Apropos Arbeit: Im Sommer macht Seit mehr als hundert Jahren ver- die damit verbundene Erholung und er Sommerfrische der besonderen Art bringen Generationen der eigenen Wiederbesinnung. Ich versuche, mein an der Rax: Bei den Festspielen Rei- chenau tritt er – gemeinsam mit Peter Matić, Nicolaus Hagg, Boris Eder, Chris Pichler und Maria Schuchter – in der kabarettistischen Revue Schau’n Sie sich das an! mit Sketches, Texten und Couplets von Karl Farkas, Hugo Wie- ner und Fritz Grünbaum auf.

Wahrheiten über Familie und Beruf Der Nachfahre aus katholisch-jü- dischem Industrieadel ist Kabarettist und Conférencier, er spielt Theater, hält Vorträge, ist politisch engagiert, er forscht, musiziert und schreibt. Auch in St. Gilgen schreibt er viel, doch das geistige Zentrum seines Daseins ist sein Schreibtisch in Wien. Hier in der Josefstadt, von einer riesigen Biblio- thek umgeben, findet man alles, was er bisher verfasst hat – Zeitgeschicht- liches, Biografisches, Sachliches, Hu- morvolles, außerdem unzählige Bilder, Fotos und Erinnerungen. Seine nächsten Projekte sind zwei Bücher, die „eigentlich nicht geschrie- ben werden können“. Eines davon handelt von seinem Leben, wie es wirklich gewesen ist. „Es leben noch zu viele der zusammengewürfelten Familie, Patchwork nennt man das heute fesch, von denen ich psychisch wie körperlich gequält wurde und die ich netterweise schonen will.“ Dieses plötzliche Geständnis lässt eine tiefe Traurigkeit ahnen, die ihn sein gan- zes Leben begleitet und sich auch in seinem Blick widerspiegelt. „Es gibt sicher Millionen Menschen mit einem ähnlichen Schicksal. Es ist halt müh- sam, es im Laufe der Zeit überwinden zu lernen, durch Therapien, durch Lei- den und eben durch Leben.“ Wir schlendern über den florentinisch anmutenden Platz gegenüber und weiter Das zweite Buch soll „meine Wahr- zum Schönborn-Park. heit über diese oft so schreckliche

30 2 | 2018 Branche“, über Schauspieler, Theater und Film erzählen. Zu vermuten ist, dass hier auch einige nicht so nette Dinge vorkommen werden.

Immer dem Kaiser nah Wir verlassen das Wiener Traditi- onslokal, schlendern über den floren- tinisch anmutenden Platz gegenüber und weiter zum Schönborn-Park. Vor der Büste des Komponisten Edmund Eysler bleiben wir stehen. Eysler er- lebte mit seinen Operetten große Er- folge am Wiener Bürgertheater, bis die Nationalsozialisten wegen seiner jü- dischen Abstammung die Aufführung seiner Werke verboten. Hier nimmt Herz-Kestranek ein neues Thema auf: „Wissen Sie, den Sommerfrische-An- Der sensible Künstler erzählt gerne die Geschichte der Sommerfrische. tisemitismus gab es schon lange vor Hitler. Bereits im Jahr 1922 haben ei- Stubenmädel oder eine Köchin, weil ter geteilt hat. Die damals viel gelebte nige Orte um Salzburg gemeldet: ,Wir er im Gasthaus isst. Er fährt nur am typische Doppelmoral: Man liebte sind judenfrei, zu uns kann man kom- Wochenende zur Familie – und dann und ehrte die Ehefrau, betrog sie aber men.‘“ kommen alle, die sich aus Wien ken- trotzdem mit der jungen Schauspiele- Der sensible Bühnen- und Lein- nen, wieder zusammen.“ rin oder dem Ballettmädel.“ wandstar ist mit der Geschichte der Wir setzen uns im Park auf eine 1938 wurde auch das Haus in Krit- Sommerfrische in vielen Aspekten weiße Bank: „Diese Reihe von Sesseln zendorf enteignet. Als Herz-Kestran- vertraut und weiß zu erzählen: „Schon hier, das ist wie in Bad Ischl“, sagt eks Vater im Jahr 1946 aus dem Exil die Eltern von Kaiser Franz Josef fuh- Herz-Kestranek. Es fehlt uns nur die zurückkehrte, forderte er das Haus ren wegen ihrer Kinderlosigkeit nach Wärme eines Sommertags. nicht zurück. Er wollte auch nicht in Ischl und haben dann durch die Bä- Wien bleiben, sondern ging nach St. derkur Kinder bekommen. So wurde Kritzendorfer Sommerfrische Gilgen, wo dann auch Miguel Herz- Bad Ischl für 83 Jahre der Urlaubsort Miguel Herz-Kestranek kennt nicht Kestranek aufwuchs: „Mit 16 Jahren des Kaisers und dadurch sozusagen nur die mondäne Sommerfrische St. war ich zum ersten Mal in Wien und zum gelobten Sommerfrische-Land: Gilgen. Großvater Eugen Herz ließ in besuchte auch das Haus in Kritzen- immer dem Kaiser nah.“ den zwanziger Jahren ein Haus in dorf. Später wurde mir das Haus an- Damals witzelte man in den Som- Kritzendorf bauen, wo die Familie im geboten, aber ich hatte kein Interesse mermonaten: „Es gibt keine Juden Frühjahr und Herbst die Wochenen- daran.“ Seine Heimat bleibt St. Gilgen. mehr in Wien.“ – „Wieso?“ – „Weil alle den verbrachte: „Ab Mai“, erinnert sich Und die Josefstadt. nu in Bad Ischl sind!“ Wohlhabende Wie- Herz-Kestranek, „ist man dort am Wo- ner Familien, jüdische Großbürger, chenende gewesen, um mit Freunden Miguel Herz-Kestranek, Schauspieler und Autor vor allem ihre Ehefrauen und Kinder, und Verwandten, die dort auch Häuser mit derzeit 13 Buchveröffentlichungen. 1948 brachen oft schon im Juni „mit Sack hatten, den Donaustrand zu genießen. als Sohn jüdischer Remigranten in St. Gallen/ und Pack“ in die Sommerfrische auf. Auch darüber schreibt mein Vater in Schweiz geboren. 2008 bis 2018 Vizepräsident der Österreichischen Gesellschaft für Exilfor- Die Möbel in den geräumigen Grün- seinen Heimweh-Briefen aus dem schung, Kuratoriumsmitglied DÖW–Dokumen- derzeit-Wohnungen wurden mit wei- Exil.“ tationszentrum des Österreichischen Wider- ßen Tüchern zugedeckt, die Rollos In Kritzendorf war alles einfach standes, Beiratsmitglied der Österreichischen heruntergelassen, obwohl die Ehe- und klein, nicht so großzügig wie in Gesellschaft für Europapolitik. 2000 bis 2010 Vizepräsident des Österreichischen PEN-Clubs. männer der Arbeit wegen in der Stadt St. Gilgen: „Es war aber auch ein Nest Theater, Musical, Soloprogramme sowie ca. blieben. Doch ein Mann allein „braucht für verschwiegenes Fremdgehen, das 180 zum Teil internationale TV- und Filmrollen. nicht die ganze Wohnung, auch kein mein Vater auch mit meinem Großva- www.herz-kestranek.com

„Ich bin ein Sommerfrische-Fan und fahre sonst fast nirgendwo hin. Reisen habe ich nur beim Arbeiten gemacht, es ging um die halbe Welt. Mir ist aber die Sommerfrische mit dem Leben, das diese bedeutet, eines der wichtigsten Dinge meines Daseins.“

2 | 2018 31 Schwerpunkt Sommerfrische Die heile Welt der Sommerfrische?

Sommerfrische. Für viele Gegenbild zum „frommen Landmann“: nerseits die Nichthakenkreuzler lieber Menschen der Inbegriff von Der fremde und verhasste Städter war in die Schweizer Berge gehen, wenn nun – auch noch – jüdisch. Die neue, man den politischen Bürgermeistern Erholung, guter Luft, Berg- wirtschaftlich erfolgreiche Schicht aus dem Wege geht, wenn man Län- partien und Schwimmaus- verbrachte den Sommer am Land und der aufsucht, wo der Gast Gast ist und flügen, Jausen und Musi- unterstützte die Gemeinden mit Wohl- nicht ein geduldetes Subjekt. Auch tätigkeitsveranstaltungen, die viel Geld für die Sommerfrischen des Salzkam- zieren. Eine Lebenskultur, zur Erhaltung und Verschönerung in mergutes gilt Ähnliches, auch dort gibt die heute nur mehr in Rest- die Ortskassen spülte. Doch die Som- es Orte, die Hakenkreuze an den Ort- beständen vorhanden ist. mergäste blieben Fremde, schon früh seingängen aufpflanzen – wenn man fanden sich antisemitische Karikatu- durchaus Politik machen muss, dann Und die eigentlich gar nicht ren, welche die Meinung der Einheimi- muss man eben den Fremdenverkehr spezifisch „jüdisch“ war. schen widerspiegelten. 1914 veröffent- lassen und auf seine Erträgnisse ver- Und doch war auch diese lichte etwa die Zeitung Im deutschen zichten. Da kann nur eines helfen: ra- Reich. Zeitschrift des Centralvereins dikale Unterdrückung aller politischen Lebensform schon früh vom deutscher Bürger jüdischen Glaubens Geschichten in den Sommerfrischen aufkommenden Antisemi- eine Mitteilung des Kitzbühler Frem- und die Angleichung an europäische tismus betroffen. denverkehrsvereins: „Anfragen von Umgangsweise!“ Juden bleiben unberücksichtigt.“ 1922 zog die Wiener Morgenzeitung Entfesselter Neid VON MARIE-THERES ARNBOM ein ernüchterndes Resümee der Som- Jüdische Zeitungen publizierten Li- merfrischen-Saison: „Man will Juden sten von Gemeinden, die offen antise- „Viele sehr stark besuchte Sommer- nicht im österreichischen Alpenland.“ mitisch agierten, unter anderem infor- frischen in Österreich sind bis Mitte Sommerfrischler hätten „Plakate mit mierte die Central-Vereins-Zeitung im Juni radikal antisemitisch, von Mitte Schmähungen und Drohungen“ oder Mai 1931 über, „Kurorte und Gasthäuser, Juni bis Mitte September verlogen mit Hakenkreuzen „verzierte“ Ho- deren Besuch unseren Freunden nicht judenfreundlich – Judengeld ist eben tels vorgefunden, auch der Zutritt zu anempfohlen werden kann: Schönberg doch auch Geld – und vom halben Schutzhütten wäre verwehrt worden: am Kamp: Im Jahre 1925 antisemiti- September an wieder radikal antise- „So könnte man nun von den öster- sche Exzesse. St. Georgen im Attergau: mitisch.“ reichischen Sommerfrischen sagen, Der Gasthof ,Bauern-Löcker‘ inseriert: Wiener Allgemeine Zeitung, 4. Juni es herrsche der Haß, gemildert durch Nur christliche Sommergäste erhal- 1927 Profitgier.“ ten Unterkunft. Schörfling: Alle Wirte Unter dem Titel „Sommerfrischen mit Ausnahme des Gasthofes ,Blaue Bereits im 19. Jahrhundert fanden – leer!“ berichtete Der Morgen Ende Traube‘. Schladming versieht seine sich in Kur- und Sommerfrischeorten Juli 1925 über die katastrophale Si- Prospekte mit dem Vermerk: ,Juden Vorbehalte und Vorurteile gegenüber tuation des österreichischen Frem- nicht erwünscht‘. Weißensee/Kärnten: Gästen, die „anders“ als die Einhei- denverkehrs und deren Ursachen: „In Juden sind am Weißensee in sämt- mischen waren: Dieses „Anderssein“ Tirol sieht man den Fremden auch lichen Sommerfrischen ungebetene fußte auch auf Minderwertigkeitsge- heute als lästigen Ausländer an, der Gäste, da gemäß einem Beschluß der fühlen gegenüber den Städtern, die an- sein Geld dazulassen und zu kuschen dortigen Fremdenverkehrsverbände dere, „fremde“, Werte hatten und sich hat. Dazu kommt noch die unwider- die Sommerfrischen ,judenrein‘ zu der Scholle nicht verbunden fühlten. sprochene Verlautbarung der Tiroler sein wünschen. Zillertal: gilt als teil- Am Ende des 19. Jahrhunderts kam Fremdenverkehrsverbände, dass jüdi- weise antisemitisch; es dürfte sich es zu einer neuen Facette des uralten sche Gäste in Tirol nicht gern gesehen empfehlen, jeweils zuvor Erkundigun- Klischees vom „verderbten Städter“ als werden! Ist es da ein Wunder, wenn ei- gen einzuziehen.“

32 2 | 2018 Die Sommermonate verbrachten die Städter in Dirndl und Trachten- PRIVAT © anzug, was heute vielfach als Verklei- dung belächelt wird. Doch das jüdische Bürgertum trug die Tracht mit Stolz und als Ausdruck inniger Verbunden- heit mit der Habsburger-Monarchie. Die Kleidung war geradezu Sinnbild der Integration – bis 1938. Im Sommer dieses Jahres ordnete die Salzburger Polizeidirektion an: „Juden ist das öf- fentliche Tragen von alpenländischen Trachten wie Lederhosen, Joppen, Dirndlkleidern, weißen Wadenstutzen usw. verboten.“

Kleidungscodes Schratt-Villa Keine lebensbedrohende Maß- nahme, aber ein Zeichen der Aus- nach Bad Ischl reisen würden. Daher Es bleibt ein schaler Nachge- grenzung, der Wegnahme eines inte- bestellte er sie in sein Wiener Büro schmack: Fast alle Villen wurden nach grierenden und selbstverständlichen und presste ihnen die Villen ab: Er war langwierigen Verhandlungen restitu- Bestandteils des Lebens, zumal Klei- nun Treuhänder zahlreicher Villen und iert – widerwillig, meist ohne Mobiliar dungscodes damals noch viel grö- konnte schalten und walten, bedrohen und oft in verlottertem Zustand. Und ßere Bedeutung zugemessen wurde. und stehlen. Der Gau Oberdonau sah was nun? Ein Weiterverkauf weit unter Wenn man Menschen verbot, am Land das gerne, weil man sich davon eine dem tatsächlichem Wert stellte die Tracht zu tragen, wurde auf einen rasche Behebung bestehender Finanz- einzige Lösung dar, lebten die Eigen- Blick deutlich, dass sie „anders“ waren. probleme erwartete. Doch die einzel- tümer doch verstreut auf der ganzen Kultivierten Menschen wurden nen Nazi-Organisationen stritten, wer Welt oder geografisch nahe, jedoch plötzlich ihre Rechte aberkannt. Be- denn nun profitierten durfte von die- hinter dem undurchlässigen Eisernen sitz, Kultur, ja Leben galten nichts sem großangelegten Diebstahl. Viele Vorhang. mehr. Neid und Missgunst förderten jüdische Eigentümer ertrugen die Si- Im Sommer 2017, nach Erscheinen die primitivsten Instinkte, zerstörten tuation nicht und verübten Selbstmord. meines Buches über die Villen in Bad Werte, Würde, Menschenleben – eine Andere wurden in Konzentrationslager Ischl, wurde ich mit der Kritik einer ganze Kultur, die Mitteleuropa geprägt verschleppt und ermordet. Sommerfrischlerin konfrontiert: Bei hatte. Eine Kultur des Respekts, des li- einem Abendessen war über mein beralen Denkens, der Offenheit. Bürokratischer Hürdenlauf Buch gesprochen worden, wie inter- Die Art und Weise, wie den jüdi- Nach dem Ende des Krieges erwar- essant es geschrieben sei, doch dann schen Villenbesitzern ihr Hab und tete man eine Entspannung, ein Zu- kam plötzlich die Frage: „Muss die Gut genommen wurde, ist beispiellos sichkommen, eine Deeskalation. Eine immer so viel über die Juden schrei- in ihrer Radikalität und Menschen- Illusion. Die Rückstellungsverfahren ben?“ und der resignative Nachsatz: verachtung. Etwa 250 Villen wurden gestalteten sich teilweise unfassbar „Naja, das ist halt ihr Thema.“ Es gibt allein im Salzkammergut enteignet, langwierig. Die Bestohlenen wurden also noch viel zu tun. nu davon 68 in Bad Ischl, in Gmunden 25, einmal mehr als rechtlos betrachtet, in Bad Aussee und Alt-Aussee 55. es lag an ihnen und nicht etwa an den Federführend war unter anderem Profiteuren, die unrechtmäßige Ent- Buchempfehlungen: Wilhelm Haenel, seine Geschäfts- eignung zu beweisen. Ein bürokrati- Marie-Theres Arnbom, Die Villen von Bad Ischl. grundlage war ein unfassbarer Raub- scher Hürdenlauf setzte ein. Anstatt Wenn Häuser Geschichten erzählen zug durch Bad Ischl und die Region, be- einer lösungsorientierten Vorgehens- (Amalthea Signum 2017, 256 Seiten) gleitet von Drohungen und Einschüch- weise regierten Kleingeist und Bloc- Die Villen vom Attersee. Wenn Häuser Ge- schichten erzählen terungen. Haenel eröffnete im Sommer kierertum – „die Sache in die Länge (Amalthea Signum 2018, 288 Seiten) 1938 ein Büro an der Wiener Ringstraße zu ziehen“ war das vom damaligen Gertrude Enderle-Burcel, Ilse Reiter-Zatloukal, in der richtigen Annahme, dass die Vil- Innenminister Oskar Helmer ausgege- Antisemitismus in Österreich 1933 – 1938 lenbesitzer diesen Sommer nicht mehr bene Motto. (Böhlau Verlag)

Die Art und Weise, wie den jüdischen Villenbesitzern ihr Hab und Gut genommen wurde, ist beispiellos in ihrer Radikalität und Menschenver- achtung. Etwa 250 Villen wurden allein im Salzkammergut enteignet.

2 | 2018 33 Schwerpunkt Sommerfrische „Die Nazis haben sich geholt, was sie wollten“

Der Kunsthistoriker Fried- alten Fotos zeigen, die Musik geliebt Friedrich Polleroß berichtet, unter an- rich Polleroß berichtet bis haben muss. Er war Jude und wurde, derem in St. Pölten und gegen Ende nachdem ihn ein anderer Knecht ver- des Zweiten Weltkriegs in der Rossauer 30. September in Neupölla raten hatte, 1942 in der Euthanasiean- Kaserne in Wien inhaftiert. Im Gegen- in einer Sonderausstellung stalt Bernburg ermordet. satz zu ihrer Mutter aber überlebte sie über „Jüdische Familien Oder von Olga Frommer. Sie war den Holocaust. Sie kehrte zurück nach die uneheliche Tochter einer Piani- Neupölla, arbeitete als Landarbeiterin im Waldviertel und ihr stin in Wien, wuchs als Ziehkind in am Truppenübungsplatz, den Adolf Schicksal“. Altpölla auf. Ihr Vater soll zwar kein Hitler hatte anlegen lassen, heiratete Jude gewesen sein, aber das ließ sich und starb schließlich 1996. VON THOMAS TRENKLER nicht beweisen. Und so wollte der Friedrich Polleroß hat viele solcher Bürgermeister, dass Olga, 1928 gebo- Biografien gesammelt. Denn er be- ren, weggeschafft wird. Der Richter in schäftigt sich schon seit Jahrzehnten Es sind berührende Geschichten, Zwettl soll sich menschlich verhalten mit der Geschichte der Juden im Wald- die Friedrich Polleroß aus seiner Hei- und sie nach Hause geschickt haben. viertel. 1978, als Student der Kunstge- matgemeinde Neupölla im Waldviertel Auch andere hätten sich für das Mäd- schichte in Wien, schrieb er eine Semi- zu erzählen weiß. Zum Beispiel vom chen eingesetzt, heißt es. Allerdings nararbeit über Georg Ritter von Schö- Knecht Josef Sonnenfeld, der, wie die erfolglos: Olga Frommer wurde, wie nerer aus Rosenau, der ihm aus der Schule ein Begriff war, und dessen An-

© ARCHIV POLLEROSS tisemitismus. Bei seinen Recherchen entdeckte er, dass es keine Literatur über die Juden im Waldviertel gab. Pol- leroß begann zu forschen, er sammelte Informationen über die jüdischen Fa- milien – und veröffentlichte schließ- lich 1983 ein Buch unter dem Titel 100 Jahre Antisemitismus im Waldviertel.

Sonderausstellungen Das Thema ließ ihm keine Ruhe, sein Archiv wuchs stetig. 1997 grün- dete er ein Heimatmuseum, das erste österreichische Museum für Alltags- geschichte: Die Gemeinde Neupölla kaufte 1997 ein altes Bauernhaus und renovierte es, Polleroß stellt seither die Sonderausstellungen zusammen – zum Beispiel über Kinos im Waldvier- tel, über die Kraftwerke, den Truppen- übungsplatz und die Motorisierung. Ihm war wichtig, dass die „Nachtseite der Heimatgeschichte“ nicht ausge- blendet wird. Aufgrund seiner Bemü- hungen, ein dunkles Kapitel der Ver- gangenheit aufzuarbeiten, kam er in In Heidenreichstein mussten Juden die Gehsteige waschen. Kontakt mit Nachfahren emigrierter

34 2 | 2018 © LIND Juden, darunter mit dem 1937 gebo- dass die Nachbarn die Fensterschei- renen Tom Biegler, der mit seiner Fa- ben eingeschlagen und das Geschäft milie über England und Kanada nach geplündert haben. Es gab auch Denun- Australien geflohen war. ziationen. In Gmünd wurden Leute mit Tom Biegler interessierte sich nicht dem Schild ,Ich arisches Schwein kauf sonderlich für seine Herkunft. Aber bei einem Juden ein‘ durch die Gassen 2003, als der Chemiker bei einer Ta- getrieben.“ gung in London war, blätterte er im Telefonbuch. Er fand eine Laura Bieg- Ausweisung nach Wien ler, rief sie an – und diese sagte ihm: Für die bei der Gründung des neuen „Dein Vater war mein Lieblingscousin.“ Truppenübungsplatzes Allentsteig So besuchte Tom Biegler Neupölla, er abgesiedelte Bevölkerung wurde jüdi- wandte sich an Polleroß – und erfuhr, scher Besitz herangezogen, darunter dass von seiner Familie, die sich 1860 die Güter Schwarzenau, Pfaffenschlag, in Neupölla angesiedelt hatte, elf Mit- Brunn an der Wild oder Dross, aber glieder im Holocaust umgekommen auch Privathäuser, u.a. in Kirchberg am waren. Walde. Die Sparkassen Allentsteig und Die Bekanntschaft mit Tom Biegler Zwettl sowie die Stadtgemeinden Horn war für Polleroß Anlass für ein Vorha- und Krems „arisierten“ jüdischen Be- ben: „Heuer, zum Gedenkjahr, möchte sitz. Im Herbst 1938 wurden die Wald- ich das Thema wieder aufgreifen.“ Vor viertler Juden nach Wien ausgewiesen. 80 Jahren, Mitte März 1938, wurden Etliche konnten fliehen, aber vermut- Adolf Hitler und der „Anschluss“ ans lich mehr als ein Drittel der Waldviert- Deutsche Reich frenetisch bejubelt. ler Judenschaft wurde deportiert und Polleroß’ Beitrag zum Gedenkjahr ist ermordet. die bis 30. September geöffnete Son- Die Synagoge in Krems wurde 1978 Eine besondere Rolle spielte Gmünd, derausstellung „Jüdische Familien abgerissen. so Polleroß: „Dort gab es mehrere jüdi- im Waldviertel und ihr Schicksal“. Er sche Betriebe, die enteignet wurden, hätte, sagt er, als er vor zwei Jahren fen gegründet, ein weiterer Friedhof darunter eine Stärkefabrik, in der ab mit den Planungen begann, nicht ge- folgte in Zwettl. Um 1900 erreichte der 1944 jüdische Zwangsarbeiter aus Un- dacht, „dass die Thematik noch immer jüdische Bevölkerungsanteil im Wald- garn eingesetzt wurden. Es waren über beziehungsweise wieder so politisch viertel seinen Höhepunkt, er lag jedoch tausend, und 500 von ihnen sind um- aktuell ist, weil es Landespolitiker gibt, noch immer unter einem Prozent. gekommen.“ die sich dumm stellen und so tun, als Der Antisemitismus grassierte be- Von den im Ausland überlebenden ob sie das alles nichts anginge.“ reits. „Nach dem Ersten Weltkrieg kam Juden kehrten nach 1945 nur einzelne es zu Diskussionen wegen jüdischen Unternehmer ins Waldviertel zurück, „Juden-Aquarium“ Sommerfrischlern. Im Gegensatz zu z.B. die Familien Schwarz und Löwy in Nach der Revolution 1848 ließen anderen Kamptalorten gab es in Gars Gmünd oder Fürnberg in Eggenburg. sich böhmische und mährische Juden zunächst kein Judenverbot“, sagt Pol- Jüdische Gemeinden bildeten sich im Waldviertel als Händler nieder. leroß. „Aber in den lokalen Zeitungen keine mehr im Waldviertel. Und trotz- Nachdem Juden im Reichsgrundge- war abschätzig vom Schwimmbad als dem findet Polleroß keine vernünftige setz von 1867 als Bürger gleichgestellt ,Juden-Aquarium‘ die Rede.“ Erklärung dafür, warum die Synagoge worden waren, wanderten weitere Die 1920 gegründete NSDAP er- in Krems 1978 abgerissen wurde. Sie Familien nach Niederösterreich ein. reichte bei den Wahlen 1932/33 in war zwar in der „Reichskristallnacht“ Neben einigen großen Holzhändlern Großpoppen, Zwettl und Gmünd die geplündert, aber nicht, wie die meisten im Weinsberger Wald und Textilin- relative Mehrheit. Die Zahl der Juden jüdischen Gebetshäuser, in Brand ge- dustriellen in Gmünd, Litschau oder begann zu sinken. Nach dem „An- steckt worden. Nach dem Krieg diente Heidenreichstein sowie dem „Kohlen- schluss“ setzte auch im Waldviertel sie unter anderem als Lager für die baron“ Wilhelm von Gutmann in Jaid- die Diskriminierung ein. So drastisch Flüchtlinge aus dem Sudetenland. Und hof waren dies vor allem Kaufleute, die wie in Wien, wo es sogleich zu „wilden sie war auch noch 1978 intakt, wie ein mit landwirtschaftlichen Produkten, Arisierungen“ kam, dürfte es, sagt Pol- Foto beweist. nu Leder, Vieh und Stoffen handelten. leroß, zwar nicht gewesen sein. „Aber Auch zahlreiche Ärzte, Apotheker und es gab alles. In Gmünd haben die Nazis Juristen aus Galizien und Ungarn lie- die Häuser der jüdischen Mitbürger ge- „Jüdische Familien im Waldviertel und ihr ßen sich nieder, und in vielen kleine- stürmt und sich geholt, was sie wollten. Schicksal“ – bis 30. September 2018 jeden Sonn- und Feiertag 14–17 Uhr geöffnet, zur ren Orten gab es jüdische Greißler. In Auch in Jaidhof gab es Plünderungen. Ausstellung erscheint ein umfangreicher Ka- Krems, Horn sowie Waidhofen an der In Heidenreichstein mussten Juden talog. Thaya wurden Israelitische Kultusge- die Gehsteige waschen, davon gibt es Erstes österreichisches Museum für Alltagsge- meinden mit Synagogen und Friedhö- ein Foto. Laura Biegler erzählte mir, schichte, 3593 Neupölla 10

2 | 2018 35 Schwerpunkt Sommerfrische © FESTSPIELE DIMOV REICHENAU/DIMO „Das Vermächtnis“: Stefanie Dvorak, Regina Fritsch, Joseph Lorenz, Nanette Waidmann

Schnitzlers Treue zu Reichenau

Nicht nur Arthur Schnitzler Die Vorliebe Arthur Schnitzlers nur verkleidet zu inszenieren. Von erkor Reichenau zu seinem (1862–1931) für Reichenau geht auf die der Aufhebung der Wirklichkeit durch 1870er-Jahre zurück. Eines Nachts die Macht des Kostüms aber handelt Lieblingssommersitz. Seit stand der Bub im Banne einer sternen- Schnitzlers Literatur selbst da noch, wo der Gründung der Fest- klaren Nacht im Schatten der Rax. Der sie den Zauber der Montur, die Autori- spiele Reichenau vor genau Anblick des Himmelszelts gab dem tät der Amtskluft mit säuerlicher Miene späteren Autor die Idee ein, von hier leugnet. Die Entwicklung des Luftkur- dreißig Jahren hat das aus die Welt zu erobern. Arthur hatte orts Reichenau/Payerbach folgte den Intendanten-Ehepaar sich im Beisein des Schauspieler-Soh- üblichen Gesetzen der kakanischen Renate und Peter Loidolt nes Felix Sonnenthal als Teufel ver- Umraumerschließung. In sicherer Nähe kleidet. An diesem Ausbruch kindlicher zum Erz-Kaiserhaus wusste sich das dreißig Schnitzler- Begeisterung, der auch in der Autobio- wohlhabende liberale Bürgertum auch Produktionen auf die grafie Jugend in Wien dokumentiert dann noch gut aufgehoben, wenn die Bühne gebracht, heuer ist ist, scheint nun zweierlei bedeutsam: Arbeit saisonal bedingt stillstand. Vom Der kindliche Usurpator wählte aus- akuten Flintenfieber des Kaisers und es Schnitzlers Zeitstück gerechnet die Enge des Schwarzatals etwaiger Erzherzöge abgesehen, ent- „Das Vermächtnis“. zum Ausgang einer Fantasie, die der stand im 19. Jahrhundert in Rax-Nähe Niederzwingung der ganzen Welt galt. eine Ruheoase, deren solide Anlage Zum Zweiten jedoch wusste Klein mit allerhand Villen und Kureinrich- VON RONALD POHL Arthur seinen kindlichen Übermut tungen ein behagliches, von keinerlei

36 2 | 2018 Einschränkung betroffenes Leben sicherzustellen hatte. „Sommerfrische“ meint jedenfalls in den Dichtungen Sommerfrische am Theater Schnitzlers stets mehr als nur die Flucht aus der geschäf- tigen Kaisermetropole Wien. Schnitzler-Helden sind häufig Was als Geheimtipp begann, wurde alsbald zu einem nervenleidende Charmeure. Ihnen allen eignet die Bega- der wichtigsten Sommerfestivals des Landes. Waren es bung, kopfüber auf die eigene Sensibilität hereinzufallen. Sie anfänglich gerade einmal dreitausend Theaterfreunde, wirken verquält und werden von plötzlichen Eingebungen die nach Reichenau an die Rax pilgerten, sind es mittler- hingerissen, ohne doch die Ursache für ihr geistiges Unwohl- weile 40.000 Besucher pro Saison. Jahr für Jahr gelingt sein in den objektiven Gegebenheiten zu suchen respektive es dem Intendantenpaar Renate und Peter Loidolt, die das zu finden. Festival 1988 gründeten und mit großem persönlichen En- gagement leiten, Publikumslieblinge der großen Wiener Gelockerte Sitten Bühnen sowie Film- und Fernsehstars zu verpflichten. Reichenau, als geistiger Topos verstanden, stillt das Gespielt wird zwischen Anfang Juli und Anfang August Fernweh, ohne dass der Wiener aber darum weit verreisen täglich, auf dem Programm stehen Werke österreichi- müsste. Der kakanische Saisonalurlauber weiß sich unter scher – meist jüdischer – Dichter von Weltrang, die mit seinesgleichen sicher aufgehoben. Zugleich vermag er jenes der Region eng verbunden waren, etwa Franz Werfel, sittliche Band zu lockern, das ihn daheim, in Rufnähe der Stefan Zweig, Heimito von Doderer, aber auch Johann Hofburg, im Einzugsbereich des Schlosses Schönbrunn, zu Nestroy. lebenslanger Monogamie und eiserner Maßhaltung ver- In dreißig Festspiel-Sommern haben die Loidolts dreißig dammt. Man weiß viel über Schnitzlers Beziehung zur Thal- Produktionen von Stücken Arthur Schnitzlers auf die hof-Wirtin Olga Waissnix – das „Abenteuer seines Lebens“, Bühne gebracht, dieses Jahr hat Schnitzlers Vermächtnis wie der Autor, im Grunde ein Feind der pathetischen Be- Premiere, ein sozialkritisches Porträt der großbürgerli- schwörung, niederschrieb. Schnitzler hielt Reichenau auch chen Wiener Gesellschaft um 1900. dann unverbrüchlich die Treue, als Waissnix sehr früh, 1897, Die Vorstellungen – und das ist dieses Jahr nicht anders verstarb. – sind meist schon ausverkauft, sobald die Karten aufge- Von nicht geringerer Relevanz ist Arthur Schnitzlers Rei- legt werden. chenauer Bekanntschaft mit Olga Gussmann. Am 6. Juli 1900 trifft er per Fahrrad, von Admont her kommend, in Reichenau ein und steigt im Kurhaus Reiche- nau ab. Das Tagebuch vermerkt dazu: „6/7 Reichenau. V[or] m[ittag] Dina M. – 7/7 Mit D. M. spazieren – 8/7 Sonntag. Premieren Spazierg[ang] Mit D. M. – 9/7 Vorm[ittag] D. M., Payerbach – Küb. – Ihre Lebensgeschichte. –Sturm und Wetter. – Die 1. Juli: 30 Künstlerinnen und Künstler feiern um 15.30 Uhr nächsten 8 Tage: Spaziergänge mit D. M. und Schwester, mit einem Festakt 30 Jahre Festspiele Reichenau, am auch Bertha, die Freundin.“ gleichen Tag gibt Rudolf Buchbinder zwei Klavierkon- Dina Marius war der Künstlername der jungen Schauspie- zerte (Matinee 11 Uhr, Abendkonzert 19:30 Uhr). lerin Olga Gussmann. Sie heiratete der überzeugte Jungge- 2. Juli, 19:30 Uhr: Schau’n Sie sich das an! Sketches, Texte selle schließlich am 26. August 1903, nachdem bereits am 9. und Couplets von Karl Farkas, Hugo Wiener und Fritz August 1902 der gemeinsame Sohn Heinrich das Licht der Grünbaum. Revue mit Miguel Herz-Kestranek, Peter Welt erblickt hatte. Matić u.a. Die Fruchtbarkeit Reichenaus als Schauplatz von Som- Tennessee Williams’ Endstation Sehnsucht (Regie: Beverly merspielen gründet nicht allein auf Schnitzlers entschie- Blankenship) mit Petra Morzé, Johanna Arrizas, Daniel dener Vorliebe für einen Ort, von dem aus er „die Welt zu Jesch, Dirk Nocker u.a. erobern“ gedachte. Immerhin bezeichnet Intendantin Re- 3. Juli, 19:30 Uhr: Das Vermächtnis von Arthur Schnitzler nate Loidolt sich selbst als „Kind aus der Prein“ (Prein/Rax). (Regie: Hermann Beil), mit Joseph Lorenz, Regina und Mögen nach – und neben – Schnitzler die großen Dichter Alina Fritsch, David Jakob, Johanna Prosl, Marcello de auch in die mondäneren Semmering-Hotels übersiedelt sein, Nardo u.a. so lassen sich Spuren bis in die 1950er-Jahre herauf verfol- 4. Juli, 15:30 Uhr: Nikolaus Haags Bühnenfassung des gen, als Karl Farkas oder Heimito von Doderer die schönste Romans Cella von Franz Werfel (Regie: Michael Gampe), Zeit des Jahres im Schatten der Rax zubrachten. mit Julia Stemberger, August Schmölzer, André Pohl, Heute ist Reichenau längst ein Theaterort aus eigenem Martin Schwab u.a. Recht: im erweiterten Umland von Wien gelegen, eigensin- 7. Juli, 11 Uhr: Joseph Roths Roman Das falsche Gewicht in nig auf hauptstädtische Traditionen pochend, wenn Schau- der Reihe „Literatur in Szene“ (Idee, Fassung, Gestaltung: spieler vom , vom Volkstheater oder aus der Renate Loidolt) mit Joseph Lorenz, Marcello de Nardo Josefstadt hier Rollen von Schnitzler, Zweig, Tolstoi oder und Julia Stemberger sowie Helmut T. Stippich (Akkor- Nestroy spielen. Auch Letzteres kommt nicht von ungefähr. deon), Reinhard Uhl (Klarinette) und Aliosha Biz (Geige). Johann Nestroy versteckte sich schon 1856 hier „vor den Wiener Nachmachern und Abschauern“ und schrieb in Rei- www.festspiele-reichenau.com chenau seine unsterbliche Posse Umsonst. nu

2 | 2018 37 Schwerpunkt Sommerfrische Kulturelle Sommerfrischeleien

VON ANDREA SCHURIAN

Leider finden die Sommerfesti- auch dieses Jahr wieder die Titelrolle Der Carinthische Sommer vom 14. vals, wie ihr Name schon sagt, im in Hugo von Hofmannsthals Jeder- Juli bis 26. August bietet unter dem Sommer statt, was mich jedes Jahr in mann (Regie: Michael Sturminger), Titel Wia a Spiegl Klassik, Jazz, Orgel-, einen gröberen Zwiespalt katapultiert. seine Buhlschaft ist Stefanie Reinsper- Volks- und Wassermusik und steht Denn ich gehöre der vom Aussterben ger (Premiere: 22. 7.) ganz im Zeichen junger Frauen: Jaz- bedrohten Neigungsgruppe statio- Frank Castorf inszeniert auf der zerinnen, Solistinnen, Sängerinnen, näre Sommerfrische an. Heißt: Ich Perner Insel die Dramatisierung von Saxofonistinnen, eine Dirigentin. übersiedle Anfang Juli Mann, Kinder, Knut Hamsuns Roman Hunger (Pre- Im Stift Ossiach, im Congress Cen- Hund, Arbeitsutensilien sowie aus- miere: 4. 8.). ter Villach, im Arkadenhof der Dom- reichend Lesestoff in mein ebenso Im Landestheater interpretiert Salz- kirche St. Andrä, in der Bergkirche kleines wie idyllisches Bootshaus an burg-Debütant Ulrich Rasche das älte- Tiffen, im Alban Berg Konzertsaal, im einem Kärntner See. Und rühre mich ste Drama der Theatergeschichte, Die Domenig Steinhaus in Steindorf und nur in äußersten Notfällen – etwa für Perser von Aischylos (Premiere: 18. 8.), im Schloss Damtschach gastieren u.a. den Nachschub von Zeitungen, Milch, Heinrich von Kleists Penthesilea wird die Wiener Taschenoper, das MIAGI Brot, Sonnen- und Eiscremes – von in einer Neuinszenierung von Johan Jugendorchester aus Südafrika, das der idyllischen Stelle. Und, ja, eben Simons zu sehen sein (Premiere: 31. 7.). renommierte Barockensemble La Ve- doch für allerlei Festspielereien. Im Republic inszeniert Dušan David nexiana, der junge Wiener Philharmo- Musicals, Operetten und Dramen Pařízek Kommt ein Pferd in die Bar, niker Sebastian Bru, das Ebonit Saxo- spielen sich ab vom Boden- über eine Dramatisierung des gleichna- phone Quartet, das Ensemble Prisma Wörther-, Ossiacher- und bis zum Neu- migen Romans von David Grossman, und Stammgast Rudolf Buchbinder. siedler See, mittendrin Salzburg, diese einem der bedeutendsten zeitgenössi- Das Radio-Symphonieorchester Wien Festung des hohen Kunstgeschmacks. schen Schriftsteller Israels (Premiere: spielt ein Happy-Birthday-Programm Mutter aller Festspiele. 8. 8.) zu den CS-Granden Leonard Bernstein www.salzburgfestival.at und Gottfried von Einem. Die Salzburger Festspiele bieten www.carinthischersommer.at unter dem Motto „Ekstase und Leiden- Die Bregenzer Festspiele dauern schaft“ an 42 Tagen 206 Aufführungen von 18. Juli bis 20. August. An 29 Aben- Die Seefestspiele Mörbisch zeigen an 18 Spielstätten. den geht Georges Bizets Carmen (In- in der ersten Saison des neuen Inten- Die Ouverture Spirituelle trägt den szenierung: Kasper Holten) über die danten Peter Edelmann vom 12. Juli Untertitel „Passion“ und startet mit der Bregenzer Seebühne (Premiere: 19. 7.). bis 25. August Emmerich Kálmáns Lukaspassion von Krzysztof Pende- Im Festspielhaus inszeniert Johan- Operette Gräfin Mariza. recki unter der Leitung von Kent Na- nes Erath die österreichische Erstauf- www.seefestspiele-moerbisch.at gano am 20. 7. in der Felsenreitschule. führung von Bertholdt Goldschmidts Ebenfalls in der Felsenreitschule Oper Beatrice Cenci (Premiere: 18. 7.) Weitere Infos zu (fast) allen Festivals: wird Richard Strauss’ Salome vom Für die und auf der Werkstattbühne www..info/at/aktivitaten/stadt- italienischen Starregisseur Romeo konzipiert Oliver Tambosi Astor Piaz- und-kultur/festspiele-festivals-in- Castellucci inszeniert (Premiere: 28. zollas Tango-Oper María de Buenos osterreich 7.) Krzysztof Warlikowski führt bei der Aires (Premiere: 21. 7.), und Karl Mar- theaterfest-noe.at/Home/Produktionen 1966 in Salzburg uraufgeführten Oper kovics inszeniert die Uraufführung The Bassarids von Hans Werner Henze von Thomas Larchers Auftragswerk sommernachtskomoedie-rosenburg.at/ Regie (Premiere: 16. 8.) Das Jagdgewehr (Premiere: 15. 8.) www.kultursommer-ooe.at/ Im Goßen Festspielhaus inszeniert Im Theater am Kornmarkt wird www.festwochen-gmunden.at/ Regisseurin Lydia Steier Mozarts Zau- Rossinis Barbier von Sevilla in der www.wellenklaenge.at berflöte, aus der Perspektive der drei Regie von Brigitte Fassbaender (Pre- Knaben interpretiert (Premiere: 31. 7.), miere: 13. 8.) sowie Nikolaus Habjans www.ensemble-porcia.at und Hans Neuenfels die Tschaikow- Puppenspiel Böhm (Premiere: 25. 7.) www.kaernten.at/aktivitaeten/ ski-Oper Pique Dame (Premiere: 5. 8.) aufgeführt. sommer/kultur-kulinarik/kaerntner- Am Domplatz spielt Tobias Moretti www.bregenzerfestspiele.com kultursommer/ nu

38 2 | 2018 Schwerpunkt Sommerfrische © WWW.SCHULTZ-SKI.AT

Koscher auf der Berghütte

Im Sommer und mittler- lertal zu einem Tirol-Israel-Abend im Schultz. Im Sommer sei Tirol ein äu- weile auch im Winter ist Schnee. Auf der exklusiven Kristall- ßerst beliebter Urlaubsort für israeli- hütte, die zum Hotelimperium der sche Gäste. Tirol beliebter Urlaub- Schultz-Gruppe zählt, fand die Begeg- Aber wenn es um Israel geht, denkt sort für israelische Gäste. nung der besonderen Art statt, mit Ti- die Geschäftsfrau Schultz nicht ans Ge- Großen Anteil daran hat roler Volksmusik und Tel Aviver DJ, schäft. Israel ist Marthas Leidenschaft. sowie alpin-mediterraner Fusionskü- Seit vielen Jahren schon. Schon als Martha Schulz. Ein Porträt. che, unter der Leitung eines israeli- junges Mädchen reiste sie nach Israel, schen Spitzenkochs. und vom ersten Tag an habe sie eine VON PETRA STUIBER Warum dieser Abend? Ging es um besondere Bindung zu diesem Land Werbung für das Skigebiet Zillertal? verspürt: „Die Natur, die Geschichte – Falafel und Glühwein, Hummus und Gilt Israel als Hoffnungsmarkt für den und die Leute sind wirklich einmalig“, Tiroler Gröstl, Tel Aviv meets Snow? Tiroler Tourismus? „Das war gar nicht schwärmt Martha Schultz. Seit Jahr- Warum nicht, dachte sich Martha die Absicht“, sagt Martha Schultz und zehnten pflegt sie den Kontakt zu is- Schultz im vergangenen Winter und lacht ihr entwaffnendes Lachen. Na- raelischen Freunden, lädt ein und wird brachte genau diese scheinbaren Ge- türlich wäre es schön, wenn mehr eingeladen. Und als Vizepräsidentin gensätze zusammen. Die Unterneh- Gäste aus Israel im Winter kämen, sagt der Wirtschaftskammer und Vorsit- merin lud Freunde und Bekannte aus sie – da spricht die Vizepräsidentin zende der Interessengemeinschaft Israel, darunter die israelische Bot- der Wirtschaftskammer aus ihr. Wobei „Frau in der Wirtschaft“ hat sie auch schafterin in Österreich, ins Hochzil- es keinen Grund zur Klage gebe, sagt einen geschulten Blick für die israeli-

2 | 2018 39 Wenn es um Israel geht, denkt die Geschäftsfrau Schultz nicht ans Geschäft. Israel ist Marthas Leidenschaft. Seit vielen Jahren. Bereits als junges Mädchen reiste sie nach Israel, und vom ersten Tag an habe sie eine besondere Bindung zu diesem Land verspürt. © WWW.HOCHZILLERTAL.COM/FILMINGPOOL sche Gegenwart: „Israelische Frauen sind beherzte Unternehmerinnen“, er- zählt sie, „sicher härter und auch risi- kobereiter als Österreicherinnen.“ Das habe nur zum Teil damit zu tun, dass Unternehmertum in Israel einen höhe- ren Stellenwert habe als hierzulande und auch stärker gefördert werde. Die andere Seite sei, dass Israelinnen ganz allgemein „hart im Nehmen“ seien – wohl auch gestählt durch den ver- pflichtenden Militärdienst. In einem Bereich sind Österreich und Israel frei- lich sehr ähnlich: „Die Startup-Szene ist da wie dort männlich dominiert.“

Helfer der Verfolgten Die Affinität zu Israel hat Tradition in Martha Schultz’ Familie mütterli- Die israelische Botschafterin Talya Lador-Fresher und WKÖ-Vizepräsidentin cherseits. Antisemitismus hatte dort Martha Schulz auch zu Zeiten nichts verloren, als man als „Judenfreund“ das eigene Leben gesagt, dass die einfach wieder ver- Was ihr Großvater damals leistete, riskierte. Martha erzählt, dass ihre Ur- schwanden. sei ihr erst viel später so richtig be- großeltern und ihr Großvater, die in der Freilich sei das nur gelungen, weil wusst geworden, als sie den Namen Nazi-Zeit noch eine Landwirtschaft ihr Großvater große Autorität und Hirschhuber im Buch des Tiroler Wi- betrieben, Verfolgten halfen – Juden, Ansehen im Tal genoss – das hätte derstandes las: „Er hat enorm viel ris- „Politischen“ oder auch den „Fahren- nicht jeder gekonnt, das sei ihr klar, kiert.“ Er habe das nie an die große den“ (Roma), trotz permanenter Gefahr. sagt Schultz. Zudem wusste, zu ihrem Glocke gehängt, und als sie ihn, schon Martha Schultz: „Mein Großvater ist Glück, niemand, dass Familie Hirsch- als Erwachsene, darauf ansprach, tat er auch angezeigt worden, aber er hat den huber (der Mädchenname ihrer Mutter) das ab. Aber er konnte ihr noch immer Gendarmen so gehörig die Meinung eine Roma-Familie versteckt hatte. genau sagen, wer im Tal Nazi gewesen © WWW.HOCHZILLERTAL.COM/FILMINGPOOL © WWW.HOCHZILLERTAL.COM/FILMINGPOOL

Auf der exklusiven Kristallhütte, die zum Hotelimperium der Schultz-Gruppe zählt, fand die Begegnung mit Tiroler Volksmusik und Tel Aviver DJ sowie alpin-mediterraner Fusionsküche statt.

40 2 | 2018 Schwerpunkt Sommerfrische

war, wer sich niederträchtig verhalten und wer mitgelaufen war. Prägend für sie sei gewesen, „dass ich Werte mitbe- Jüdischer geht nicht kommen habe: jeden leben lassen, aber auch mitmenschlich sein, die Starken fordern, die Schwachen fördern.“ VON MARTIN ENGELBERG Klingt alles super, aber wie geht Martha Schultz mit der Tatsache um, dass die ÖVP, der die Wirtschaftskam- Betreiber von koscheren Hotels und mit dem Wirt argumentieren, dass das mer nicht gerade fernsteht, mit der Gastronomiebetrieben können zahl- arme Kind sich doch nur einfach noch FPÖ koaliert, aus deren Reihen antise- lose Anekdoten darüber erzählen, wie ein wenig Milch holen wollte. mitische „Einzelfälle“ fast wöchentlich sich talmudisch geschultes, dialekti- Schon Friedrich Torberg schilderte sprießen? „Ich finde jeden einzelnen sches Denken im geschäftlichen Dis- in seiner wunderbaren Anekdoten- dieser Fälle furchtbar, und ich werde kurs zwischen Wirt und Gast auswirkt. sammlung Die Tante Jolesch ein ko- natürlich von meinen israelischen Dies sah dann zum Beispiel in scheres Restaurant, welches schlicht Freunden darauf angesprochen“, sagt einem streng koscheren Hotel in der und einfach am Sonntag geschlossen sie. Sie habe aber die Hoffnung nicht Schweiz so aus: Dass es nicht er- halten wollte. Dafür hätte es ganz aufgegeben, „dass sich Menschen auch wünscht ist, dass Gäste selber in die einfach heißen können: „Sonntag ge- bessern können“. Küche gehen, versteht sich normaler- schlossen“. Dann würde sie gerne das Thema weise von selbst. Hier muss es jedoch Offensichtlich bedrängten dann wechseln: Viel lieber möchte Martha schon ausdrücklich an der Küchen- die Stammgäste den Wirt, ob er denn Schultz noch mehr von dem Abend tür auf einem Blatt Papier vermerkt nicht vielleicht zu Mittag oder wenig- auf der Kristallhütte erzählen, und von werden: „Eintritt in die Küche nicht stens am Abend aufmachen könnte. ihrer Absicht, dass es künftig noch erlaubt“ – so weit, so gut. Dann steht Der unwillige Wirt erweiterte also den viel mehr Abende a la „Tel Aviv meets aber darunter ein erster Zusatz: „Auch Text auf „Sonntag den ganzen Tag ge- Snow“ geben soll. Und von der Reise, für Kinder“. Es gab also offensichtlich schlossen“. Daraufhin wurden andere die sie für österreichische Unterneh- Gäste, die meinten, ein solches Verbot Ausnahmemöglichkeiten erdacht. Ob merinnen im Herbst plant. Wohin es wird doch wohl nicht für Kinder gel- er nicht wenigstens nur jeden zweiten gehen soll? Nach Israel, klar. Denn da ten. Dann aber steht eine weitere Prä- Sonntag geschlossen halten könnte. wie dort gilt für die quirlige Unterneh- zisierung darunter: „Auch wenn die Womit sich die bemerkenswerte End- merin die Devise: „Wir Frauen müssen Kinder nur Milch wollen“. Man hat so- fassung des Schildes ergab: „Jeden uns mehr vernetzen.“ Wenn man sie fort das klare Bild vor Augen, wie fas- Sonntag den ganzen Tag geschlos- fragt – sie ist schon mittendrin. nu sungslose jüdische Mütter und Väter sen“. Jüdischer geht nicht. nu

Kohnversationen

VON RUTH LEWINSKY (ZEICHNUNG) UND CHARLES LEWINSKY (TEXT)

2 | 2018 41 Jüdisches Leben „Man darf sich selbst nicht schädigen“

Der ehemalige Oberrabbiner Na, das hab ich doch gewusst! Ich bin Art, sie halten einander die Waage. Wiens, Paul Chaim Eisen- ja nur in „Halbpension“ gegangen, ich Rituelle Gebote betreffen Schabbat, bin zwar nicht mehr Oberrabbiner koscher essen, beten, Feiertage und berg, ist bestens gelaunt. Er von Wien, aber zuständig für die Ge- so weiter. Nicht weniger wichtig sind ist schlank, dreißig meinden außerhalb Wiens, vor allem aber die zwischenmenschlichen Ge- Kilogramm hat er nach entlang der Weststrecke – Innsbruck, bote, die zum Großteil auch in der Salzburg, Linz. In diesen Bundeslän- Bibel stehen: Man soll nicht stehlen, einer Magen-Bypass-Opera- dern leben jeweils weniger als hundert man soll nicht morden. Das können tion abgenommen. Eigent- Juden, und trotzdem können die Leiter wir leichter einhalten, da wenige von lich will er sowieso nur über der Gemeinden dort ein Gemeindele- uns Mörder oder Diebe sind. Aber da ben organisieren. Das ist eine sensa- steht auch, dass man nicht böse über ein einziges Thema reden, tionelle Leistung. Außerdem bin ich andere reden soll. Das ist vielleicht die nämlich über das Rauchen, auch in Wien noch tätig, die Synagoge Vorschrift, die am schwersten einzu- „über das andere reden wir und religiöse Gemeindeführung ist halten ist. meinem Nachfolger namens Folger das nächste Mal.“ überantwortet. In der „Halbpension“ Gelingt es Ihnen? bleibt mir viel Zeit zum Nachdenken. Nein, das gelingt niemandem. Aber VON ANDREA SCHURIAN (TEXT) UND Im Judentum gibt es rituelle Gebote man kann täglich ins Kaffeehaus MILAGROS MARTÍNEZ-FLENER (FOTOS) und Gebote zwischenmenschlicher gehen und die halbe Stadt durch den

NU: Sind Sie eigentlich eitel? Eisenberg: Ich bin berühmt für meine Bescheidenheit! Aber ich habe die Mi- krofonkrankheit: Wo immer ein Mikro- fon ist, bin ich dort, ob es nur für mich aufgestellt ist oder nicht.

Naja, hie und da was Schlagfertiges sagen kann nicht schaden. Ich habe viel im Fernsehen gearbeitet, deshalb hat man es ORF – „Oberrabbi- ner-Fernsehen“ – genannt. Sie dürfen eh fragen, was Sie wollen, nur bei der ersten Frage würde ich Ihnen helfen.

Nämlich? Was macht ein Oberrabbiner, wenn er in Pension geht?

Interessante Frage! Das wollte ich Sie Der ehemalige Oberrabbiner Wiens Paul Chaim Eisenberg und NU-Chefredakteurin sowieso fragen. Andrea Schurian

42 2 | 2018 „Gesetze zwischen Mensch und Gott und zwischen Mensch und Mensch soll man nicht komplett voneinander trennen.“

Kakao ziehen, um nach zwei Tagen, besuchen, der dieses großartige Buch Ich spreche Leute auf der Straße an, wenn man fertig ist, wieder von vorne geschrieben hat.“ Und der Rabbiner frage, warum sie rauchen, auch die anzufangen. Oder aber man bemüht sagt über sich selbst: „Naja, eigent- jungen Leute vor meiner Haustür, die sich, es nicht zu tun. Diese zwischen- lich ist der auch nichts Besonderes.“ nicht im Büro rauchen dürfen. Da habe menschlichen Dinge sind bedeut- Darauf wird der Jude so böse, dass er ich schon einige Freundschaften ge- sam. „Liebe deinen Nächsten wie dich dem Rabbi eine runterhaut. Am näch- schlossen. Ich mache es humorvoll, selbst“ steht schon in der jüdischen sten Tag kriegt er seine Audienz beim aber ich sage auch, dass ich es wirk- Bibel, Leviticus 19/18, und daraus er- Rabbi und ist voller Schuldgefühle, lich ernst meine. Ich melde mich da geben sich viele andere ethische Vor- als er erkennt, wen er geschlagen hat. bei etwas zu Wort, was eigentlich kein schriften. Doch der Rabbi sagt: „Jetzt habe ich rabbinisches Gebiet zu sein scheint. Gesetze zwischen Mensch und Gott von Ihnen etwas dazugelernt: Man Aber ich bin anderer Meinung. (Siehe und zwischen Mensch und Mensch darf auch über sich selbst nichts Böses „Chassidische Geschichten“, Anm.) soll man nicht komplett voneinander sagen!“ Das ist sehr wichtig: Man darf Früher waren Talmudschulen so ver- trennen. Dazu erzähle ich eine chas- nicht nur andere, sondern auch sich qualmt, dass man glauben konnte, sidische Geschichte: Ein Rabbiner hat selbst nicht schädigen. man sei in einer der Raucherkabinen über Laschon Hara, böse Nachrede, ein am Flughafen. Talmud lernen und Zi- ganzes Buch geschrieben und präsen- Womit wir bei dem Thema wären, über garetten rauchen gehörte früher zu- tiert es in der Nachbarstadt. Auf dem das Sie mit mir reden wollten, das Rau- sammen, heute stehen die jungen Her- Weg nach Hause trifft er im Zug einen chen. ren vor der Jeschiwa, wenn sie ein Zi- anderen Juden und fragt ihn, wohin er Genau! Es beschäftigt mich sehr, weil garetterl inhalieren. Also, man beginnt unterwegs sei. Der erkennt ihn nicht Rauchen etwas ist, das die Menschen zu verstehen, dass man nicht rauchen und antwortet: „Ich möchte den Rabbi in Gefahr bringt. soll, wo andere sind. Jetzt muss man

„Man soll nicht stehlen, man soll nicht morden. Das können wir leichter einhalten, da wenige von uns Mörder oder Diebe sind. Aber man soll nicht böse über andere reden. Das ist vielleicht die Vorschrift, die am schwersten einzuhalten ist.“

2 | 2018 43 „Ich möchte nicht politisch und schon gar nicht parteipolitisch spre- chen und ich bin auch kein Arzt. Ob man in Lokalen oder Teilen davon raucht oder nicht, muss nicht nur eine Frage der Gesetzgebung sein.“

nur noch darauf achten, in seiner ei- Wissen über die Schädlichkeit un- Darf ich Sie zur aktuellen politischen genen Nähe nicht zu rauchen (lächelt). glaublich viel größer geworden. Es ist Lage etwas fragen? doch ein großer Fortschritt, dass vor Nicht gern, denn dafür ist in der Kul- Soll es ein gesetzliches Rauchverbot in zwanzig Jahren auf einem Zigaretten- tusgemeinde der Präsident zuständig. den Lokalen geben? packerl nichts draufstand und heute Aber vor ein paar Wochen wurde mir Ich möchte nicht politisch und schon ist aufgelistet, welche grauslichen dieselbe Frage gestellt, als ich mein gar nicht parteipolitisch sprechen und Krankheiten das Rauchen verursacht. Buch Auf das Leben! in Tainach/Tinje ich bin auch kein Arzt. Ob man in Lo- Ich hatte eine total genial witzige Idee in Südkärnten präsentiert habe. Und kalen oder Teilen davon raucht oder – naja, also genial darf man über sich da habe ich gesagt, was ich Ihnen nicht, muss nicht nur eine Frage der natürlich nicht sagen –, also die Idee jetzt auch sage: „Ich habe ein Buch Gesetzgebung sein. Außerdem arbeite ist, dass man aus allen alten Filmen geschrieben. Aber es ist kein Lieder- ich nicht gern mit den Begriffen des die Szenen herausschneidet, in denen buch...“. Dabei wären meine Texte viel Verbietens oder Erlaubens, denn dann geraucht wird. Leider habe ich dafür schöner für ein Liederbuch! Und ich passiert das, was wir aus der Zeit der noch keinen Sponsor gefunden. bleibe unpolitisch, wenn ich sage, dass Prohibition kennen. Statt mit Verbo- Mensurenschlagen unjüdisch ist, weil ten müsste man mit Aufklärung und Dann hätten wir ziemlich kurze Filme, man sich und andere nicht gefährden Erziehung arbeiten, mehr auf die Ärzte was bedeutet, man könnte gleich meh- darf, was wir gerade vom Rabbiner ge- hören. Man wusste ja immer schon, rere hintereinander sehen. lernt haben! nu dass Rauchen ungesund ist, aber in Ja, zum Beispiel alle fünf Folgen des den letzten zehn Jahren ist dieses Paten an einem Abend!

CHASSIDISCHE GESCHICHTEN VON PAUL CHAIM EISENBERG

Da wir Juden keinen Papst haben, am Wegrand sein Nachmittagsge- bringen darf. Noch weniger als sich kann man auf verschiedenen Gebie- bet, als der König vorbeikam und selbst darf er andere Menschen ten von verschiedenen Rabbinern ihn begrüßte. Doch der Rabbi ließ gefährden. Der Rabbiner hatte aber verschiedene Antworten bekom- sich nicht abhalten und betete wei- eine Ausrede. Er sagte: „Ich habe men. Man soll zwar nicht immer ter. Der König wartete eine Zeit lang gerade mit einem noch größeren zu dem Rabbiner laufen, der alles und sagte dann: „Eigentlich müsste König gesprochen, ich konnte diese erlaubt – aber man muss auch nicht ich dich jetzt töten lassen, denn ich Unterredung nicht unterbrechen.“ zu dem gehen, der alles verbietet. habe dich als König angesprochen, Andere Rabbiner wenden ein an- Statt eines allwissenden Papstes du aber hast nicht einmal geantwor- deres jüdisches Prinzip an, um haben wir würdige und gelehrte tet. Die Bibel sagt, ein Jude – oder das Rauchen doch zu erlauben: Es Rabbiner, deren Ideen und Werke genauer gesagt: ein Mensch – darf besagt, dass ein Rabbiner seiner „sogar“ international anerkannter sich nicht in Gefahr begeben, denn Gemeinde keine Pflichten auferle- sind als die des früheren Wiener das Leben ist vom lieben Gott gege- gen soll, wenn er weiß, dass die Ge- Oberrabbiners. Aber er darf wider- ben. Aber du“, sagte er zum Rabbi, meinde sie nicht bewältigen kann. sprechen, wenn er bessere Argu- „du hast dich in Gefahr begeben. Du Das betrifft nicht Gesetze wie den mente hat. hättest dein Gebet unterbrechen Schabbat und koscher essen, denn Im Zusammenhang mit dem Rau- müssen, denn es ist lebensgefähr- das steht ja in der Tora. Aber es chen gibt es bei Rabbinern zwei lich, den König nicht zu grüßen. Ich betrifft ein Rauchverbot, denn das Meinungen. hätte dich köpfen lassen können, steht nirgends wörtlich. Die einen meinen, man solle das wenn du mir nicht einmal einen Und so rauchen die Raucher fleißig Rauchen aus jüdisch-religiösen Blick gönnst.“ weiter, indem sie sich auf die zweite Gründen verbieten, denn man darf Aus dieser Talmudstelle lernen wir, Auslegung beziehen. Neu ist, dass nicht etwas tun, was einen offen- dass alles, was unser Leben oder un- man in Anwesenheit von Nichtrau- sichtlich krankmacht. Es gibt dazu sere Gesundheit gefährdet, verboten chern größte Rücksicht anwenden eine Geschichte im Talmud: Ein ist, dass der Mensch auf sein Leben muss. Rabbiner war unterwegs und sprach achten soll und sich nicht in Gefahr

44 2 | 2018 Jüdisches Leben © RONALD GELBARD

Eine Brücke vom Semmering in den Prater

Das Hakoah-Zentrum im Das nennt man eine Brücke, was die Denn während das Hakoah-Zen- Hakoah dieser Tage schlägt. In echt trum am Rande des Praters auf seine Wiener Prater feiert sein wäre diese Brücke ungefähr 80 Kilo- ersten zehn Jahre zurück- und vielen zehnjähriges Bestehen – meter lang, de facto ist sie virtuell. Die weitere Jahren entgegenblickt, ist die und erinnert auch an die Hakoah-Brücke reicht vom Semmering legendäre Hakoah-Hütte auf der stei- in den Wiener Prater. Sie verbindet also rischen Semmering-Seite längst in legendäre Hakoah-Hütte am zwei Erholungsgebiete, vor allem aber Privatbesitz übergegangen. Vor neun- Semmering. führt sie durch die Hakoah-Geschichte. zig Jahren wurde das Blockhaus er- Es stehen nämlich zwei Jubiläen an, richtet, das so vielen Hakoahnern in wobei sich nur eines der beiden auch den Jahren vor und speziell nach dem VON FRITZ NEUMANN gebührend und vor Ort begehen lässt. Krieg so viel bedeutete hat. Die Anzahl

2 | 2018 45 Die Türen der Hakoah stehen nicht nur für Juden offen, sondern allen. Das gilt auch für den großzügig und mit neuesten Geräten ausgestatte- ten Fitness- und Wellnessbereich. Nicht zuletzt hier wird die betriebli- che Gesundheitsvorsorge vorangetrieben. der Jahre bis Kriegsbeginn war über- auch für junge Leute. Man hatte nicht hatten schreckliche Erlebnisse hinter schaubar geblieben, die Hütte wurde viel, man brauchte nicht viel. Die Le- uns. Und wir haben versucht, uns phy- beschlagnahmt und der Wiener Polizei bensmittel stammten aus CARE-Pake- sisch und psychisch zu erholen.“ übereignet, die sie als Erholungsheim ten und von Bauern in der Umgebung. Auch Hans und Marietta Gelbard, nützte. In den letzten Kriegstagen Außer Polenta hat es fast nur Polenta die Eltern von Hakoah-Geschäftsfüh- diente die Hütte der 9. Gebirgsdivision gegeben. rer und Vizepräsident Ronald Gelbard, als Gefechtsstand. Unter dem Dach, also im zweiten haben sich auf der Hakoah-Hütte ken- Stock, befand sich ein großer Raum nengelernt. Das war Mitte der 60er- Gesellschaftliche Zentren mit Stockbetten, im ersten Stock gab Jahre, da hatte die Hütte ihre Blüte- Dass sie unmittelbar nach dem es mehrere Zimmer mit bis zu sechs zeit, aus hakoahnischer Sicht, beinahe Krieg der Hakoah zurückgegeben Einzelbetten. Männlein und Weiblein schon wieder hinter sich. Der Krieg wurde, war „nicht selbstverständ- waren strikt getrennt. Dennoch war war weiter weg, für junge Menschen lich“, sagt der heutige Hakoah-Prä- ein Besuch der Hakoah-Hütte „keine in Wien gab es immer mehr Freizeit- sident Paul Haber, der die Rückgabe schlechte Gelegenheit, sich näher ken- angebote, Familien fuhren auf Urlaub. auch auf eine gewisse Unterstützung nenzulernen“, sagt Präsident Haber. Im Jahr 1978, auch schon wieder vor seitens der russischen Besatzungs- Davon kann etwa Kitty Sinai ein Lied vierzig Jahren, wurde die Hakoah- macht zurückführt: „Die Hakoah war singen, der seinerzeit beim Volleyball- Hütte verkauft. Präsident Haber hat die ein Sammelbecken für Juden, die in spielen vor der Hütte ein junger Mann neuen Eigentümer etliche Jahre spä- Wien überlebt hatten oder nach Wien ins Auge stach. 65 Jahre lang sind Kitty ter einmal besucht und sich darüber zurückgekehrt sind.“ Und die Hütte und Erich Sinai dann ein Paar gewesen, gefreut, dass diese die Hütte liebevoll wurde rasch zum gesellschaftlichen 62 Jahre lang, bis zu seinem Tod im restauriert, aber auch Vieles erhalten Zentrum mit ausgedehnten, wochen- Jahr 2012, waren sie verheiratet. Kitty hatten, das an die Hakoah erinnert. langen Sommer- und etwas kürzeren Sinai über die Bedeutung der Hakoah- „Die alte Hüttenordnung, wenn auch Winterlagern. Ein Treffpunkt speziell Hütte: „Wir waren viele junge Leute, wir vergilbt, hing an der Wand.“

Hakoahner um 1950 am Semmering © PRIVAT

46 2 | 2018 © HAKOAH Heute treffen sich Hakoahner aller Altersstufen im Zentrum im Prater. Dort, in der Krieau, hatte sich seit 1922 die Sportstätte des S.C. Hakoah be- funden, mit einem Fußballstadion in- klusive Laufbahn sowie Tribünen mit 3.500 Sitz- und 25.000 Stehplätzen, mit einem Hockeyfeld, sieben Tennisplät- zen und zwei Kabinenanlagen, eine für Fußball, die andere für Leichtath- letik. 1938 war der Sportplatz von den Nazis beschlagnahmt worden. Erst 2005 wurde das Grundstück für den Campus, auf dem sich nun auch ein Schulzentrum sowie das Senioren- wohn- und -pflegeheim Maimonides- Zentrum befinden, nach jahrelangen Verhandlungen mit der Republik Österreich und auf Basis des Washing- toner Abkommens von 2001 restituiert. 2007 erfolgte die Grundsteinlegung, Hakoah-Sportzentrum Wien im März 2008 wurde das Hakoah-Zen- trum eröffnet. In den ersten zehn Jah- seinem 20. Geburtstag ein echtes Ver- diziner Haber an der Spitze verschrie- ren hat sich die Anzahl der Mitglieder sprechen für die Zukunft ab. ben hat. Die große, mehr als neun Meter auf mehr als 400 fast verdreifacht, es Löwy hat seinen 20. Geburtstag hohe Sporthalle mit einer Tribüne für gibt sechs Sektionen: Schwimmen, schon hinter sich, er ist Baujahr 1966, knapp 300 Zuseher lässt sich mittels Tennis, Tischtennis, Judo, Basketball zählt in seiner Altersklasse zu den be- schwerer Trennvorhänge dritteln. und Bowling. sten Schwimmern der Welt und sam- Sie wird auch von der Schule ge- Ronald Gelbard, dem Vizepräsiden- melt Medaillen bei Mastersbewerben. nützt, die einen eigenen Zugang hat, ten, ist bei einer kleinen Führung die Die Hakoah-Schwimmerinnen und und sie wird vermietet – etwa für Spor- Freude anzumerken, mit der ihn die Schwimmer verteilen sich zwecks tevents (Fußball, Tanzen, Rollerderby), Hakoah-Entwicklung erfüllt. „Jetzt Training auf diverse Wiener Bäder, aber auch für private Feiern. geht’s erst richtig los“, sagt er. „Jetzt der 12,5 Meter lange Pool im Hakoah- In dem Gang, der zu den Tribünen ernten wir langsam die Früchte.“ Zentrum würde den Ambitionen nicht der Sporthalle führt, befindet sich ein Die Aufbauphase ist jedenfalls abge- gerecht werden. kleines Hakoah-Museum mit alten schlossen, nun kann man sich darauf Die Idee, unter dem Parkplatz ein 25 Fotos, Pokalen et cetera. Erinnerungen konzentrieren, die wichtigsten Stand- Meter langes Becken zu installieren, an eine Zeit, in der die Hakoah viele beine zu stärken. Die Konzentration wurde schon mehrmals diskutiert, sie große Erfolge gefeiert hat. Mag sein, gilt dem Breiten- wie dem Spitzen- ist auch aktuell ein Thema. Von einem dass es auch dort wieder hingehen sport. Plan würde Gelbard aber noch nicht kann und wird. Vielleicht noch wichti- sprechen, dem klar ist, dass es sich ger aber ist, was sich nun, da fast an- Die Türen stehen allen offen um ein aufwändiges Projekt handeln satzlos der Sommer eingezogen ist, im Aushängeschilder der Hakoah sind würde, dessen Finanzierung man zu- Freien abspielt, auf den Tennisplätzen der Judoka Stephan Hegyi und der nächst klären müsste. und am Swimmingpool. Da kommen Schwimmer Thomas Löwy. Als sich Generell wird Gelbard nicht müde zu vor allem am Wochenende Familien Hegyi, damals elf Jahre alt, bei der Ha- erwähnen, dass die Türen der Hakoah zusammen, da geht es, wenn auch in koah einschrieb, stellte ihm Gelbard nicht nur Juden, sondern allen offen- geregeltem Rahmen, rund. die klassische Frage, was er denn stehen. Das gilt auch für den großzügig Und da ist die Hakoah als ein gesell- werden wolle. Und Hegyi gab zurück: und mit neuesten Geräten ausgestat- schaftlicher Mittelpunkt am Rande des „Ich werde Olympiasieger.“ Kürzlich teten Fitness- und Wellnessbereich. Wiener Praters wieder genau dort, wo holte er bei der EM in Tel Aviv die Nicht zuletzt hier wird die betriebliche sie vor vielen Jahren in der Hütte auf Bronzemedaille in der Klasse über 100 Gesundheitsvorsorge vorangetrieben, der steirischen Seite des Semmerings Kilogramm und gab damit noch vor der sich die Hakoah mit dem Sportme- war, am anderen Ende der Brücke. nu

In dem Gang, der zu den Tribünen der Sporthalle führt, befindet sich ein kleines Hakoah-Museum mit alten Fotos und Pokalen. Erinnerungen an eine Zeit, in der die Hakoah viele große Erfolge gefeiert hat.

2 | 2018 47 Zeitgeschichte 1968: Studenten, Kommunisten und „Antizionisten“

Nach Schätzungen des Polnischen Vereinigten Arbeiterpartei aktiven Warschauer Studenten war Historikers und Politologen und deutet den März 1968 als Konflikt die Empörung über den verordneten zwischen progressiven und reaktionä- Aufführungsstopp groß. Am 30. Jän- Dariusz Stola, der das ren Kräften innerhalb der kommunisti- ner, nach der letzten Aufführung, ver- Museum der Geschichte der schen Parteikader. Doch keine dieser sammelten sich Studenten vor dem polnischen Juden (Polin) in Erzählungen wäre vollständig ohne Adam-Mickiewicz-Denkmal in der Adam Mickiewicz, den 1855 in Konstan- Warschauer Altstadt, um mit Transpa- Warschau leitet, verließen tinopel verstorbenen polnischen Natio- renten und Sprechchören gegen den 1968 knapp 4000 Personen nalheiligen, Dichter und Verfasser des Beschluss zu protestieren. Die Ver- das Land mit einem mythisch verklärten Dramenzyklus To- sammlung wurde von der Volksmiliz tenfeier („Dziady“), das am Anfang des gewaltsam aufgelöst, mehrere Dutzend Einfachticket Richtung realen Dramas um die Vertreibung der Teilnehmer verhaftet. Besonders auf- Westen. Der Höhepunkt der polnischen Juden vor 50 Jahren steht. müpfige Studenten ließ man von der Ausreisewelle war das Jahr Universität verweisen – woraufhin die „Totenfeier“ Proteste weiter anschwollen und der 1969, als rund 7600 Die Entscheidung über die Insze- Entschluss gefasst wurde, für den 8. Personen Polen verlassen nierung der Totenfeier am Warschauer März eine Demonstration als Zeichen mussten. Nationaltheater fiel im Kontext der Vor- der Solidarität mit den gegen ihren bereitung der Feierlichkeiten zum 50. Willen exmatrikulierten Kollegen zu VON MICHAEL LACZYNSKI Jahrestag der sowjetischen Oktober- organisieren. revolution. Doch bereits kurz nach der Premiere des Stücks am 25. November Machtkampf 1967 fiel Intendant Kazimierz Dejmek Spätestens an dieser Stelle kam die Die Geschichte darüber, wie die in Ungnade. Zu eindeutig waren für die Parteipolitik ins Spiel. Was vermutlich Volksrepublik Polen ihre jüdischen kommunistischen Zensoren die Bezüge die allerwenigsten unter den protestie- Bürger im Jahr 1968 ins Ausland ver- zwischen Mickiewiczs Botschaft vom renden Studenten wussten (zu denen trieb, lässt sich auf viele Weisen er- patriotischen Widerstand gegen das übrigens auch der spätere Dissident zählen. Man kann sie anhand der an- zaristische Russland, das im 19. Jahr- Adam Michnik zählte), war die Tatsa- tisemitischen Vorurteile erläutern, die hundert gemeinsam mit Preußen und che, dass in der Chefetage der polni- selbst nach dem Horror des Zweiten Österreich über ein geteiltes Polen ge- schen Arbeiterpartei ein Machtkampf Weltkriegs in Teilen der polnischen Be- herrscht hatte, und der aktuellen Situa- im Gange war. Auf der einen Seite stan- völkerung schlummerten und von Ma- tion der Volksrepublik als gehorsamem den die sogenannten „Partisanen“ rund nipulateuren der öffentlichen Meinung Satellit der UdSSR. Die Zahl der Auffüh- um Innenminister Mieczysław Moczar, geweckt und geschürt wurden. rungen und der Kartenverkauf wurden auf der anderen Seite technokratische Man kann die Vorfälle geostrate- gedrosselt, und Anfang 1968 ließ man Kader, die sich um den hohen Partei- gisch einbetten und die Hetzkampa- Dejmek wissen, dass die Totenfeier funktionär Edward Gierek scharten. Die gne als Teil des Ost-West-Konflikts nach der Vorstellung am 30. Jänner „Partisanen“ kamen aus dem Milieu der beschreiben – und als Reaktion des aus dem Programm gestrichen werde – Widerstandskämpfer gegen das Nazi- Ostblocks auf Israels Sieg über die ara- nach gerade einmal elf Aufführungen. Regime, waren überzeugte Nationali- bischen Verbündeten der Sowjetunion Allerdings hatten die Machthaber sten, hüllten ihre Ressentiments gegen im Sechstagekrieg. Oder man blickt ihre Rechnung ohne das Publikum ge- Juden in ein antiimperialistisches Ge- auf die Causa aus der Perspektive der macht. Vor allem unter den politisch wand und sahen in den sich abzeich-

48 2 | 2018 nenden Unruhen eine wunder- das Land mit einem Einfachticket bare Gelegenheit, um ihre Posi- Richtung Westen. Der Höhepunkt tion auf Kosten der Ingenieure der Ausreisewelle war das Jahr des real existierenden Sozialis- 1969, als rund 7600 Personen Polen mus zu stärken – und zwar, weil verlassen mussten. Unter ihnen sowohl unter den Protestierenden waren Geistesgrößen wie der So- als auch unter den Parteimitglie- ziologe Zygmunt Bauman, der in dern Juden waren. Als Brand- Folge von der University of Leeds beschleuniger wirkte in diesem aus eine Weltkarriere startete, der Zusammenhang die von Moskau Philosoph Leszek Kołakowski, der orchestrierte Kampagne gegen an der Universität Oxford Unter- den „Zionismus“ – sprich Israels schlupf und Beschäftigung fand, militärischen Sieg gegen sowje- und der Theaterkritiker Jan Kott, tische Klienten im Nahen Osten. der an der Yale University in den Die Vorbereitungen für einen USA unterkam. Zu diesem Zeit- Schlag gegen eine vermeintliche punkt hatte an der Parteispitze zionistische „fünfte Kolonne“ in bereits ein Umdenken eingesetzt. den staatlichen Institutionen der Das Ausreisedokument für die aus Allzu offensive Judenverfolgung Volksrepublik liefen seit Monaten Polen vertriebenen Juden war nicht mehr opportun. Doch auf Hochtouren. Die Studenten- der Schaden war bereits angerich- proteste boten sich als Startschuss für treuen „Zionisten“ gerne die Ausreise tet. Polen hatte einige seiner brillante- Säuberungen an. aus Polen ermöglichen könne, wurde sten Köpfe vertrieben. Und unter den er von Sprechchören angefeuert: „Mehr schikanierten Studenten gab es jene Repressionsmaschinerie Mut, mehr Mut!“ Die „Partisanen“ rund wie Michnik, die aufgrund ihrer Er- Und so kam es, wie es kommen um Innenminister Moczar interpretier- fahrungen von 1968 den Kampf gegen musste. An der Demonstration am 8. ten die Ansprache als Aufforderung. Als das Regime weiterführten – und zwölf März vor der Universitätsbibliothek Aufwärmübung wurden jene Universi- Jahre später zu den wichtigsten Un- nahmen rund 1000 Schüler und Stu- tätsmitarbeiter ins Visier genommen, terstützern und Beratern der Gewerk- denten teil. Die Veranstaltung verlief die es gewagt hatten, die demonstrie- schaft Solidarność zählten. friedlich, bis mehrere Busse mit der renden Studenten in Schutz zu nehmen. Und was wurde aus Mieczysław Beschriftung „Ausflug“ am Platz hiel- Im Anschluss an die Wissenschaftler Moczar? Als es im Jahr 1970 um die ten. Aus ihnen strömten Milizionäre nahm man sich die jüdischen bzw. jü- Nachfolge von Gomułka an der Spitze in Zivil, die mit Schlagstöcken auf die dischstämmigen Parteimitglieder vor, der polnischen Arbeiterpartei ging, in- Demonstranten losgingen. Die „Befrie- danach Armeeoffiziere und Angehörige tervenierte Alexei Kossygin, der Pre- dung“ (wie die gewaltsame Auflösung der Miliz, Medien, Verwaltung, Schulen mier der UdSSR, gegen den obersten einer Demo euphemistisch bezeichnet und Spitäler. Den Betroffenen machte „Partisanen“: Moczar sei ein hinterlisti- wurde) dauerte mehrere Stunden. Ge- man ein Angebot, das diese nur schwer ger Antisemit, dem man nicht trauen löst wurde das Problem dadurch nicht, ablehnen konnten: Entweder sie wür- könne, ließ Kossygin die polnischen denn in den Folgewochen kam es in den die polnische Staatsbürgerschaft Genossen wissen. Das Rennen machte Warschau und anderen polnischen abgeben und schleunigst das Weite der Technokrat Gierek. nu Großstädten zu Demonstrationen und suchen, oder die Staatsgewalt würde Ausschreitungen. Flankierend dazu andere Saiten aufziehen und ihnen das wurde das Gerücht gestreut, wonach Leben zur Hölle machen. Angesichts Israel und die Bundesrepublik Deutsch- der Tatsache, dass jeder Arbeitsplatz, land die Drahtzieher der Proteste seien. jede Ausbildungsstelle am Staat hing, Rund 2500 Personen wurden verhaftet. war das keine leere Drohung. Während die Studentenproteste im Laufe des Monats abebbten, lief in- Ausreisewelle nerhalb der Arbeiterpartei die Repres- Nach Schätzungen des Historikers Buchempfehlung: sionsmaschinerie gerade an. Als der und Politologen Dariusz Stola, der das Michael Laczynski Parteivorsitzende Władysław Gomułka Museum der Geschichte der polni- Augen auf und durch Gebrauchsanweisung für unruhige Zeiten in seiner Rede an die Kader am 19. März schen Juden (Polin) in Warschau leitet, Residenz Verlag, Wien 2018 davon sprach, dass man vaterlandsun- verließen 1968 knapp 4000 Personen 184 Seiten, EUR 20,-

Die Vorbereitungen für einen Schlag gegen eine vermeintliche zionistische „fünfte Kolonne“ in den staatlichen Institutionen der Volksrepublik liefen seit Monaten auf Hochtouren. Die Studentenproteste boten sich als Startschuss für Säuberungen an. 2 | 2018 49 Kultur © JEFF MANGIONE / KURIER / PICTUREDESK.COM

Bürgerschreck mit großem Herzen

Am 13. Juli hat in der Roigk- Als Kind, sagt Paulus Manker, morbegabten Journalistin und Mode- Sohn des Regisseurs und legendären ratorin Elisabeth Auer einen romanti- halle in Wiener Neustadt Volkstheaterdirektors Gustav Manker schen Heiratsantrag. „Eigentlich“, sagt Paulus Mankers Inszenie- (1913–1988) und der nicht minder le- er, „verdiene ich so eine tolle Frau ja rung von Karl Kraus‘ „Die gendären Schauspielerin Hilde Sochor gar nicht.“ Klingt fast altersmilde, ist (1924–2017), als Kind sei er eine echte er aber nicht, im Gegenteil, Aufregung Letzten Tage der Mensch- Rotzpip’n gewesen: „Meine Mutter hat und Empörung sind untrennbar mit heit“ als sechsstündiges mir, als sie mich einmal nicht mehr seiner Person verbunden: „Man darf Simultandrama Premiere, erwischen konnte, den Gesundheits- nicht nachlassen, weil sonst die Leute schlapfen nachgeworfen. Aber die gleich sagen: Ah, alt ist er g’worden! im August feiert sein Poly- Eltern waren schon sehr verständ- Das ist wie ein Fluch, der einen ver- drama „Alma – A Show Biz nisvoll. Ihnen war klar: Das müssen folgt – bis ins Grab!“ ans Ende“ die 500. Vorstel- sie irgendwie überstehen, zur Adop- Zum Beispiel bringt ihn verlässlich tion weggeben können sie den Buben auf die Palme, wenn Fiaker unter dem lung. Ein Porträt. nicht, weil den nimmt niemand.“ Fenster seiner Wohnung über das Im Jänner ist die Rotzipip’n sechzig Kopfsteinpflaster im Schulhof rum- Jahre alt geworden. Auf der Geburts- peln und dabei den Touristen erzählen, VON ANDREA SCHURIAN tagsparty machte er als Mitternachts- hier sei die erste öffentliche Schule überraschung seiner langjährigen unter Maria Theresia gestanden. Sogar Lebensgefährtin, der ebenso schönen dem Bezirksvorsteher habe er schon wie klugen und in hohem Maße hu- geschrieben, was das für ein kapitaler

50 2 | 2018 Überlebenskampf inmitten menschlicher Grausamkeit, Hybris, Ver- bohrtheit, Sehnsucht nach Schönheit und Liebe: Kunst ist vermutlich die einzige Möglichkeit, um ein Bauwerk mit so blutgetränkter Ver- gangenheit neu zu definieren, ohne seine Geschichte zu verdrängen.

Blödsinn sei, und darum gebeten, eine den die Demokratie nicht abschaffen. Alma – A Show Biz ans Ende, dessen Tafel anzubringen mit der Informa- Und außerdem“, fügt er ironisch grin- 500. Vorstellung im August mit einem tion, dass hier früher eine Schul, also send hinzu, „ist Kanzler Kurz zu fesch Feuerwerk gefeiert wird, als auch für eine Synagoge, stand und sich auf dem und zu groß, als dass der Vergleich mit Karl Kraus’ Antikriegscollage Die Letz- Areal des heutigen Palais Collalto der Dollfuß stimmen könnte.“ ten Tage der Menschheit, die am 13. dazugehörige Garten befand. „Dass Juli Premiere hat: Ein Mammutwerk hier im Mittelalter die Judenstadt war, Mauthausen-Außenstelle an einem Mammutort, mit 32 Schau- kann ja jeder, der will, auf alten Plänen Paulus Manker, Regisseur, Film- spielerinnen und Schauspielern, die in einsehen.“ Tafel ist noch keine ange- und Bühnenschauspieler, ist ein Thea- sechs Stunden insgesamt hundert der bracht, auch die Fiakerinnung hat auf terwahnsinniger im besten Sinn des 220 Szenen aufführen, bis zu sieben Mankers Proteste nicht reagiert, „aber Wortes. Seit 2014 hat er seine sommer- Szenen parallel. ich möchte nicht annehmen, dass die lichen Theaterzelte in einer ehemali- Für das Publikum gibt es nicht nur, einfach judenfeindlich sind. Immer- gen Eisenbahn- und Waffenfabrik am wie auch bei Alma, ein gesetztes Essen hin habe ich einige Fiaker durch Ein- Industrierand von Wiener Neustadt in der Pause. Sondern es kann sich schüchterung schon dazu gebracht, aufgeschlagen. Nur mehr wenige während der gesamten Aufführung an das Richtige zu sagen.“ Menschen kennen die tragische Ge- vier Imbissständen mit Balkanspezia- schichte der im Volksmund „Serben- litäten laben oder in einem der fünfzig Streitbarer Theaterwahnsinniger halle“ genannten, dreihundert Meter Lazarettbetten unterm Dach ein Nic- Nein, Auseinandersetzungen geht langen und 35 hohen Roigkhalle, die kerchen einlegen. der personifizierte Bürgerschreck mit 1942 von den Nazis in Serbien erbeu- Manker sprengt mit seinem Simul- dem großen Herzen und ebensolchem tet, in vierhundert Eisenbahnwaggons tantheater die berühmte vierte Wand, Mundwerk prinzipiell nicht aus dem nach Wiener Neustadt transportiert jeder Besucher montiert in und mit Weg. Er streitet mit Regisseuren, die und zur Mauthausen-Außenstelle um- seiner eigenen Fantasie Theaterbil- er für unfähig hält, ebenso wie mit Mä- funktioniert wurde, wo die KZ-Häft- der und -sequenzen zu seinem ganz zenen, wenn es sein muss, auch vor linge Waffen und Raketen produzieren individuellen Film. Zu jeder Szene Gericht. Und Politikern richtet er aus, mussten, unter anderem die berühmt- können übrigens mittels QR-Code auf dass er sie – „ich weiß, Trotteln darf berüchtigte V2. den Smartphones Informationen zu man ja nicht sagen“ – quer durch alle Tatsächlich ist dieses Gebäude den Figuren, den historischen Hinter- Parteien als „unsere größten zeitge- eine geradezu schaurig passende gründen und Schauplätzen abgerufen nössischen Enttäuschungen“ betrach- Residenz, sowohl für Joshua Sobols werden: „Das Wissen um gewisse hi- tet: „Es ist ein Trauerspiel: Im Kielwas- international gefeiertes Polydrama storische Gegebenheiten erhöht den ser von Kreisky glaubten die Sozialde- mokraten, die ‚Kinschtler‘, die haben Paulus Manker als Oskar Kokoschka wir im Sackl. Irrtum! Und jetzt suhlt © SEBASTIAN KREUZBERGER sich die SPÖ im jämmerlichen Selbst- mitleid, Pilz hat sich selbst ins Out ge- schossen, die Grünen haben sich auf- gelöst. Und die VP-FP-Koalition agiert radikal enttäuschend, aber nicht über- raschend. Dass sie nicht ständig strei- ten, ist allerdings angenehm.“ Dass die aktuelle Regierung immer wieder mit dem Ständestaat und Sebastian Kurz mit Engelbert Dollfuß argumentativ in einen Topf geworfen wird, hält er allerdings auch für groben Unfug: „Der Vergleich mit den dreißiger Jahren ist dumm, wer mit Austrofaschismus und Nazikeule argumentiert, hat schon verloren. Die Situation damals war eine völlig andere als heute. Wir wer-

2 | 2018 51 © SEBASTIAN KREUZBERGER ein grässlicher Judenhasser, sondern überhaupt ein furchtbar schlechter Charakter. Hans von Bülow stahl er die Frau – Cosima; auch seinen Förderer Otto Wesendonck betrog er mit dessen Frau. Selbst König Ludwig, der ihm das Leben rettete, als er 1864 – übrigens in Frauenkleidern! – aus Wien floh, be- schiss er. Er nutzte die Menschen aus.“

Selbst- und Fremdausbeutung Penible Recherchen für seine Stücke gehören ebenso zu seiner „Die Letzten Tage der Menschheit“ (Serbenhalle, Wiener Neustadt) theatralen Grundausstattung wie das Jonglieren am finanziellen Hochseil. Genuss. Aber anders als beim Zweiten „Leider“, sagte die Künstlermuse ein- Die Produktionskosten von 600.000 kennen sich viele Menschen beim Er- mal abfällig, „haben mich ja immer nur Euro für die Die Letzten Tage der sten Weltkrieg nicht mehr so gut aus. Juden verehrt.“ Und doch drängte die Menschheit muss er unter Selbst- und Während man den Schauspielern zu- unverbesserliche Antisemitin ihren Fremdausbeutung selber aufbringen, schaut, kann man nachlesen und sich dritten und letzten Ehemann Franz weder Bund noch Land subventio- darüber informieren. Wir haben auch Werfel nach der Unterzeichnung des nieren das spektakuläre Großprojekt. Texte aus anderen Kraus-Werken Berchtesgadener Abkommens im Fe- „Damit habe ich ehrlich gestanden dazugenommen, collagiert, dazuge- bruar 1938 zur Flucht und begleitete nicht gerechnet. Der ehemalige Lan- dichtet. Kraus hat beispielsweise die ihn auf der strapaziösen, lebensretten- deshauptmann Erwin Pröll, der mich Kriegsberichterstatterin Schalek sehr den Reise ins Exil. ja mit Alma nach Niederösterreich verunglimpft – zu Unrecht, denn das „Das Stück Alma besteht aus fünf- geholt und für die Produktion im Stile war eine patente Frau und gute Schrei- zehn Schauspielern und einem Star: des aufgeklärten Absolutismus Gel- berin, pfiffig, emanzipiert. Dass sie in dem Gebäude“, hieß es bereits 1996, als der zur Verfügung gestellt hat, sagte eine Männerdomäne eingedrungen ist, Manker es quer durch das stillgelegte mir seinerzeit auch für Die Letzten hat Kraus nicht ausgehalten. Wir zitie- Sanatorium Purkersdorf und den da- Tage eine Subvention zu. Aber das gilt ren aus ihren Originalartikeln, die man zugehörigen Park inszenierte. Später nichts mehr, seine Nachfolgerin fühlt ja im Anno, dem Zeitungsdienst der wurde in Los Angeles in einem von sich daran nicht gebunden.“ Nationalbibliothek, nachlesen kann.“ Charlie Chaplin erbauten Filmpalast Darf aber in einem historisch so be- gespielt, in Venedig in einem alten lasteten Gebäude wie der Serbenhalle Blutgetränkte Vergangenheit Palazzo, in Lissabon in einem Kloster gelacht, geweint und sogar gegessen Mankers Recherchen zu Kraus, Er- und in Jerusalem im ehemaligen Zen- werden? Oder muss es als giganti- stem Weltkrieg und den Letzten Tagen tralgefängnis der britischen Mandats- sches Nazi-Industriedenkmal leer ste- füllen drei große Bände, „diese inten- verwaltung. Zwischendurch kehrte henbleiben – und seine Monstrosität sive, jahrelange Beschäftigung war Alma auch nach Österreich zurück, letztlich der Vergessenheit anheimfal- natürlich auch für die theatralische gastierte im Kurhaus am Semmering len? Verloren- und Verlogenheit, Ori- Umsetzung letztlich sehr hilfreich.“ oder im ehemaligen Wiener k.u.k. entierungssuche, Bösartigkeit, Über- Anlässlich der 500. Aufführung Post- und Telegraphenamt. lebenskampf inmitten menschlicher von Alma erscheint im Verlag Lam- Dort, im Labyrinth der kühlen Grausamkeit, Hybris, Verbohrtheit, merhuber auch ein umfangreiches feuchten Katakomben, inszenierte Sehnsucht nach Schönheit und Liebe: Bilderbuch über die Tochter des Land- Manker 2013 auch ein fulminantes Ja, Kunst ist vermutlich die einzige schaftsmalers Emil Jakob Schindlers, Richard-Wagner-Personality-Drama. Möglichkeit, um ein Bauwerk mit so über ihr Lieben und Leiden mit den be- Mehr als vierzig Wagner-Opernauf- blutgetränkter Vergangenheit neu zu rühmtesten Künstlern ihrer Zeit – Gu- führungen weltweit und monatelange definieren, ohne seine Geschichte zu stav Mahler, Walter Gropius und Franz intensive Recherchen lagen dieser verdrängen. nu Werfel als ihre mehr oder minder un- Wagnerdämmerung zugrunde: „Ich glücklichen Ehemänner, Gustav Klimt, hänge nicht der Theorie an, Wagner Alexander Zemlinsky und Oskar Ko- habe dem Holocaust Vorschub gelei- www.letztetage.com koschka als ihre rasenden Geliebten. stet. Das ist Unsinn! Er war ja nicht nur www.alma-mahler.at

Paulus Manker, Regisseur, Film- und Bühnenschauspieler, hat seit 2014 seine sommerlichen Theaterzelte in einer ehemaligen Eisenbahn- und Waffenfabrik am Industrierand von Wiener Neustadt aufgeschlagen.

52 2 | 2018 Kultur Als das Wohnzimmer zum Salon wurde

In einer aktuellen Sonder- waren, für das Wiener Judentum und vitäten nur aufgrund ihrer privilegier- für die Entwicklung einer bürgerlich- ten sozialen Stellung entfalten. Sie ver- ausstellung beschäftigt sich kritischen Zivilgesellschaft. Die Salo- fügten durch ihre Ehemänner und/oder das Jüdische Museum Wien nièren öffneten ihre Häuser an einem Familien über die finanzielle, architek- unter dem Titel „The Place bestimmten Tag bzw. Abend der Woche tonische und personelle Infrastruktur. einem ausgewählten Kreis von Bürge- to Be“ mit Salons als Orten rinnen und Bürgern sowie Angehöri- Verstummte Gastgeberinnen der Emanzipation. gen des (niederen) Adels. Sie taten dies Retrospektiv präsentieren die Sa- meist ohne dezidierte bzw. schriftlich lons sich an der Schnittstelle zwischen verfasste Einladungen. Man wusste, an öffentlicher Privatheit und privater VON ASTRID PETERLE welchem Tag der Salon stattfand; Ein- Öffentlichkeit. Aus heutiger Sicht ist tritt erhielt, wer erwartet wurde und als kaum rekonstruierbar, was in den Zum nostalgischen Blick auf das ein sogenannter Habitué des Hauses meisten Salons tatsächlich passierte, Wien des 19. Jahrhunderts gehört galt. Die Salonièren konnten ihre Akti- was gesprochen wurde, wer zu Gast

heute neben der Huldigung der künst- © IMAGNO/PICTUREDESK.COM lerischen Leistungen und des intellek- tuellen Lebens auch die mit einer Prise Sehnsucht eingefärbte Erinnerung an die einst so florierende Salon-Kultur dieser Stadt. Sie wurde ab dem Ende des 18. Jahrhunderts vor allem von jü- dischen Gastgeberinnen geprägt und war keine genuin wienerische Erfin- dung, sondern fand ihre Vorläufer in Frankreich und Berlin, von wo auch eine der ersten prägenden Salonièren Wiens, Fanny von Arnstein, stammte. Als Tochter des Berliner Gemeindevor- stehers und Bankiers Daniel Itzig heira- tete sie den Wiener Bankier Nathan von Arnstein. Ihr Salon am Hohen Markt in Wien galt als einer der beliebtesten Treffpunkte der großbürgerlichen Ge- sellschaft ihrer Zeit. 1814 stellte sie den ersten Christbaum Wiens in ihrem Salon auf – ein Brauch, den sie aus ihrer Heimat Berlin übernahm – und rief damit die Geheimpolizei auf den Plan. Die große österreichische Litera- tin Hilde Spiel setzte dem Leben dieser großen Salonière in ihrem Buch Fanny Arnstein oder die Emanzipation (1962) ein Denkmal. Die Wiener Salons waren in mehr- facher Hinsicht Orte der Emanzipation und der Ermächtigung: für Frauen, die von der Öffentlichkeit ausgeschlossen Berta Zuckerkandl

2 | 2018 53 Die Wiener Salons waren in mehrfacher Hinsicht Orte der Emanzipation und der Ermächtigung: für Frauen, die von der Öffentlichkeit ausgeschlossen waren, für das Wiener Judentum und für die Entwicklung einer bürgerlich-kritischen Zivilgesellschaft.

war, wie es um die Verpflegung stand, Seestern auch führen können.“ Die Sa- des Frauenwahlrechts, die sogenannte wie ein Salon sozusagen „backstage“ lonièren verstanden ihre Tätigkeit als „Frauenfrage“ wurde in ihren Salons aussah. Erhalten sind nur vereinzelte Gastgeberinnen vielfach als Selbstauf- nicht diskutiert. Auch die Kunst, die in Zeugnisse „bedeutender“ Persönlich- gabe, als Aufopferung für die Sache und den Salons eine prägende Rolle spielte, keiten, meist Männer, sowie einige für die anderen. entsprach zu dieser Zeit eher klassi- Schilderungen von Abenden, meist Von Fanny von Arnstein ist folgende schen ästhetischen Konventionen. zum Zwecke der Wohltätigkeit, an Aussage ganz in diesem Sinne über- Die Salongesellschaft des 19. Jahr- denen die Salons durch Erwähnung in liefert: „Ich war trotz meinen Launen hunderts gehörte auch zu den Pionie- Zeitungen „öffentlich“ wurden. Berichte und eigen meiner Art, eine liebevolle ren der Sommerfrische in Österreich. der Salonièren selbst sind kaum erhal- gute Mutter, eine gute Hausfrau, gute Im Sommer wurden die Salons bevor- ten, sie sind als Gastgeberinnen fast Schwester und gute Freundin – was zugt in Kurbäder, an Seen und in die verstummt. ich gutes zu thun unterlassen, stand Berge verlegt. Josephine von Wert- gewiß nicht in meiner Macht, dies darf heimstein reiste ab den frühen 1850er- Starre Geschlechterkonventionen ich, ohne mich zu schmeicheln, wohl Jahren regelmäßig gen Westen, vor Viele der Salonièren, so auch Jose- sagen, immer war mir die Freude An- allem nach Bad Aussee. phine und Franziska von Wertheim- derer näher als die Meinige.“ Selbstbewusst und engagiert, starr stein, führten ein Leben als Drahtseilakt Salonièren wie Mutter und Toch- verankert in den Geschlechterrollen zwischen glanzvoller Anerkennung für ter Wertheimstein und Fanny von ihrer Zeit, wissenshungrig und doch ihre Errungenschaften und dem Lei- Arnstein schufen in ihren Häusern vor allem Ehemann, Haus und Fami- den am Ich, das vor allem ein Leiden an Ermächtigungsräume, die ihnen und lie zugewandt – die Salonièren des 19. den starren Geschlechterkonventionen den Frauen ihrer Zeit im öffentlichen Jahrhunderts waren sowohl Ausnah- war. Josephine von Wertheimsteins Leben zumeist verwehrt blieben. Ihre meerscheinungen als auch „konventio- Lebensresümee passt wenig in das Bild Salons waren kultivierte Orte der Poli- nelle“ Bürgersfrauen ihrer Zeit. vom vermeintlich erfüllten und gla- tik und gleichzeitig politische Orte der Mit Berta Zuckerkandl, Eugenie mourösen Leben einer der berühmte- Kultur. Die Salonièren des 18. und 19. Schwarzwald, Helene Scheu-Riesz und sten und einflussreichsten Salonièren: Jahrhunderts schrieben sich jedoch Yella Hertzka brach um 1900 eine neue „Das Vegetations-Daseyn, das ich ge- keine politischen Parolen auf die Fah- Ära der Salons an. Die Gastgeberinnen führt habe, hätte eine Pflanze oder ein nen. Sie waren keine Verfechterinnen führten ein erfolgreiches berufliches © JÜDISCHES MUSEUM WIEN Salon Arnstein

Porträt Fanny von Arnstein © JÜDISCHES MUSEUM WIEN

54 2 | 2018 © JÜDISCHES MUSEUM WIEN Leben außerhalb ihrer Salons und propagierten als solche nicht nur die Emanzipation der Frauen. Sie förderten die künstlerische Avantgarde ihrer Zeit, sie ließen ihre Wohnungen und Häuser von den Stararchitekten Adolf Loos und Josef Hoffmann gestalten und ver- netzten Künstler und Intellektuelle der Wiener Moderne. So wurden etwa die Gründungen der Wiener Secession, der Wiener Werkstätte und der Salzburger Festspiele in Berta Zuckerkandls Salon initiiert.

Salons im Exil Mit der Machtübernahme der Na- tionalsozialisten 1938 und der Verfol- gung und Vertreibung der Jüdinnen und Juden aus Wien wurde die Salon- kultur größtenteils zerstört. Unter ein- geschränkten Bedingungen führten manchen Gastgeberinnen, oftmals ge- meinsam mit ihren Ehemännern, ihre Salon Wertheimstein Salons im Exil in Palästina, Großbri- tannien, den USA und Mexiko weiter. Die Sehnsucht nach der Heimat, die Fotoalbum Todesco, Familie Wertheimstein © JÜDISCHES MUSEUM WIEN Konversation in der Muttersprache, die Verbindung zu anderen Exilanten und die politische Diskussion über die Lage in Europa spielten eine große Rolle. Und oft gab es ein Stück Sachertorte als Erinnerung an ein Wien, das es für die Exilanten nicht mehr gab. Nach dem Ende des Zweiten Welt- kriegs konnte sich die Salonkultur nicht mehr in der Form etablieren, wie es sie vor ihrer Zerstörung durch die Nationalsozialisten gegeben hatte. tet wurde, setzt es sich zur Aufgabe, Highlight ist die Präsentation eines der Heute erfolgen Vernetzung und Kon- die Salonièren als außergewöhnliche letzten erhaltenen Wiener Salon-Inte- versation häufig über Soziale Medien, Protagonistinnen in aller Ambivalenz rieurs des 19. Jahrhunderts. Der Salon das Etikett „Salon“ ist zu einem Marke- ihrer Lebenssituationen darzustellen Wertheimstein befindet sich heute im ting-Tool geworden. Nur mehr wenige und ihre bleibenden Leistungen für die Bezirksmuseum Döbling und ist für die Gastgeberinnen und Gastgeber pflegen Wiener Kultur-, Wirtschafts- und Poli- Dauer der Ausstellung im Jüdischen in Wien die Salonkultur und sind auch tikszene zu verdeutlichen. Zahlreiche Museum zu Gast. gewillt, öffentlich darüber zu sprechen. eindrucksvolle Objekte und Archivalien Die deutsche Philosophin Hannah Die Ausstellung „The Place to Be. machen die flüchtige und verlorene Arendt brachte die Salonkultur jeden- Salons als Orte der Emanzipation“ im Welt der Wiener Salons erfahrbar und falls auf den Punkt: „Im Salon treffen Jüdischen Museum Wien, die vom ge- zeichnen ein Bild der Gastgeberinnen sich die, welche gelernt haben, im Ge- samten kuratorischen Team gestal- jenseits nostalgischer Verklärung. Ein spräch darzustellen, was sie sind.“ nu

Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs konnte sich die Salonkultur nicht mehr in der Form etablieren, wie es sie vor ihrer Zerstörung durch die Nationalsozialisten gegeben hatte. Heute erfolgen Vernetzung und Konversation häufig über Soziale Medien, das Etikett „Salon“ ist zu einem Marketing-Tool geworden.

2 | 2018 55 Kultur „Manchmal nimmt die Geschichte Umwege“ © ÖNB, BILDARCHIV AUSTRIA Heuer jährt sich zum 121. einfach so Klavier spielen kann, mag Mal der Geburtstag des wohl mit Korngolds eigenen Fähigkei- ten zusammengehangen sein: Richard Komponisten und zweifa- Strauss hatte einst abgeraten, ihn in chen Oscar-Preisträgers ein Konservatorium zu geben, weil es Erich Wolfgang Korngold. dort nichts mehr gebe, was er noch ler- nen könnte. „Abgesehen davon habe Mit seiner Oper „Die tote ich ihn in erster Linie als liebenswer- Stadt“ schrieb er sich in die ten Großvater in Erinnerung“, so Gary Reihe großer Komponisten Korngold weiter. „Seine Bedeutung wurde mir erst später bewusst, als ich des 20. Jahrhunderts ein. seine Musik im Konzert hörte.“ Eine Wiederentdeckung. „Jubel wie für einen Filmstar“ Zu Korngolds Lebzeiten war man, VON MARTIN RUMMEL besonders in den USA, entweder Kom- ponist klassischer Musik oder eben Filmkomponist – und wurde von der 1943, vor 75 Jahren, wurde der Wie- klassischen Musikszene nicht ernst- ner Komponist Erich Wolfgang Korn- genommen. Erst in der zweiten Hälfte gold amerikanischer Staatsbürger, 35 des 20. Jahrhunderts sollten diese Erich Wolfgang Korngold, 1927 Jahre nach dem aufsehenerregenden Grenzen verschwimmen. „Er hatte Erfolg seines Balletts Der Schnee- immer gehofft, an seine Karriere in mann. Dieses Werk des damals Elfjäh- Europa anknüpfen zu können, aber die Rückkehr, blieb aber trotz zweier rigen wurde 1908 an der Wiener Hof- seine Konzertmusik wurde in Amerika Europareisen erfolglos; weniger beim oper aufgeführt und legte den Grund- damals überhaupt nicht gespielt.“ Das Publikum als bei der Kritik. 1954 lehnte stein für eine erstaunliche musikali- sollte sich ändern: „Inzwischen hat die Gesellschaft der Musikfreunde die sche Karriere des „Wunderkindes“, das jeder bedeutende Geiger sein Violin- Uraufführung seiner Symphonie ab, als Mozart des neuen Jahrhunderts konzert irgendwann einmal gespielt, und so kam es „nur“ zu einem Rund- galt. Ein entscheidender Wendepunkt und die Opern werden auch regelmä- funkkonzert der Wiener Symphoniker. in Korngolds Laufbahn war 1934 die ßig aufgeführt. Wenn meine Frau und Hätte – wäre – würde … Am 29. Emigration in die USA, wo er sich – in ich aber zu Filmfestivals gehen, gibt es November 1957 starb Erich Wolfgang erster Linie aus finanziellen Gründen Jubel wie für einen Filmstar. Er wäre Korngold in Los Angeles mit dem Ge- – der Komposition von Filmmusik zu- wahrscheinlich geradezu schockiert, fühl, seiner eigentlichen Karriere be- wandte und zwei Oscars gewann. 1956 wenn er wüsste, wie sehr er heute bei- raubt worden zu sein. Obwohl er selbst erlitt er einen Schlaganfall und starb nahe als ‚Vater der Filmmusik‘ gefeiert glaubte, „irrelevant geworden zu sein“, im Jahr darauf im Alter von nur 60 wird.“ erleben seine Kompositionen seit rund Jahren in Los Angeles. Es mag ironisch erscheinen, aber es 30 Jahren eine Renaissance: Sein Vio- Sein Enkel Gary Korngold (Jahrgang ist ausgerechnet Korngolds immen- linkonzert ist über 50 Mal aufgenom- 1951) ist Präsident einer Pharmafirma ser Begabung zuzuschreiben, dass er men worden; Auszüge aus Die tote in den USA und beobachtet die Renais- sich in den USA als Konzertkompo- Stadt finden sich auf mehr als hundert sance von Korngolds Konzertmusik nist nicht durchsetzen konnte: Wären CDs. Obwohl es immer noch Werke mit Genugtuung. „In meiner ersten seine Filmmusiken schlechter gewe- zu entdecken gilt, ist Erich Wolfgang Klavierstunde spielte mir mein Groß- sen, hätte er sich wohl als Klavier- oder Korngold heute, 61 Jahre nach seinem vater ein ziemlich kompliziertes Stück Kompositionslehrer durchgeschlagen Tod, als einer der größten Komponi- vor und sagte dann einfach: ‚Und jetzt und wäre vielleicht dauerhaft nach Eu- sten des 20. Jahrhunderts anerkannt. du!‘ Den Klavierunterricht übernahm ropa zurückgekehrt, um an seine frü- „Manchmal nimmt die Geschichte dann meine Großmutter.“ Das Unver- here Kompositionstätigkeit anzuknüp- Umwege“, sagt Gary Korngold nach- ständnis, dass ein kleines Kind nicht fen. Nach dem Krieg versuchte er zwar denklich. nu

56 2 | 2018 Kultur „Das Verlorene wieder aufbauen“

Das neue Samuel-Bak- können. Bei der Eröffnung erklärte mir Museum in Vilnius/Litauen der 84-jährige Künstler seine Motive für die Schenkung. Er wolle damit die versucht, die weitgehend jüdischen Opfer des NS-Terrors in Vil- ausgelöschte jüdische nius, unter ihnen viele Verwandte und Kultur im Baltikum zu Freunde, ehren und rechtzeitig ein Mahnmal setzen. rekonstruieren. An Gott könne er schon seit vielen Jahren nicht glauben, da dieser nichts gegen den Holocaust unternommen VON OTMAR LAHODYNSKY habe: „Ich werde erst dann wieder (TEXT UND FOTO) beten, wenn Gott auf den Knien bei mir um Verzeihung bittet, dass die meisten meiner engsten Familienmitglieder er- „Heute fühle ich mich nicht allein. mordet wurden.“ Irgendwie habe ich das Gefühl, dass mich eine Menge Leute umgibt. Mein Surrealistisch anmutende Gemälde Vater, meine Großeltern, Tanten und Samuel Baks Großväter und Groß- Onkel, viele Juden des alten Vilnius, mütter zählten zu den ersten Opfern ein Drittel der Einwohner der Stadt, des Massakers von Ponary im Jahr deren Leben so tragisch endete. Und 1941, bei dem SS-Männer zehntau- Samuel Bak alle sind stolz auf ihren Burschen“: Sa- sende Menschen in einem Wald bei muel Bak, der 1933 in Wilna/Vilnius ge- Vilnius erschossen. Sein Vater Jonas borene Maler mit internationaler Repu- wurde 1944 kurz vor dem Einmarsch Seine surrealistisch anmutenden tation, erinnerte bei der Eröffnung des der Roten Armee in Vilnius von deut- Gemälde zeigen utopische Landschaf- nach ihm benannten Museums in der schen Soldaten ermordet. Seine Mutter ten mit mythischen Gestalten. Der litauischen Hauptstadt am 16. Novem- und er überlebten nur knapp in einem „ewige Jude“ läuft mit einem Akten- ber 2017 an den Beginn seiner Karriere. Versteck in einem Nonnenkloster. In koffer seinem Ebenbild nach. Der von Schon als Neunjähriger nimmt Bak einem US-Camp für „Displaced Per- einem Foto bekannte Bub aus dem 1943 an einer Kunstausstellung im sons“ im deutschen Landsberg malt Warschauer Ghetto steht mit erhobe- Ghetto von Wilna teil. Es sind Zeich- Bak und gilt bald als Wunderkind. An nen Armen vor einer Mauer mit einem nungen eines begabten Kindes, die den einer Ausstellung 1947 nimmt sogar Fragment des Davidsterns. Alltag unter den NS-Peinigern, darun- David Ben-Gurion teil. Warum er überhaupt male, erklärt ter der aus der Steiermark kommende Mit seiner Mutter wandert der Bak in seinem Museum so: „Ich er- SS-Mann Franz Murer, zeigen. Zwei Künstler 1948 nach Israel aus, wo er zähle Geschichten über ein Volk, das Schriftsteller im Ghetto übergeben das an der Bezalel-Akademie Kunst stu- zwei Weltkriege überlebte und dessen offizielle jüdische Gemeinderegister, diert und Bühnenbilder und Kostüme Welt in Trümmern liegt. Überlebende den Pinkas, an Samuel, in der Hoff- für das Habima-Theater entwirft. Nach wie ich müssen versuchen, den Scha- nung, dass wenigstens das Kind samt seinem Militärdienst erhält er 1956 den zu reparieren und das Verlorene Buch überleben wird. Samuel zeich- einen Studienplatz an der Ecole des wieder aufzubauen. Sie müssen all net auf den leeren Seiten weiter. Und Beaux-Arts in Paris. Er lebt und arbei- das wieder erschaffen, was an die für so wie er übersteht auch das Buch auf tet später in Israel, Frankreich und in immer verlorene Welt erinnert und so wundersame Weise die düsteren Jahre der Schweiz. 1993 übersiedelt er mit – wenn möglich – auch künftiges Leid der NS-Mordmaschinerie. seiner Frau Josée, einer Psychoanaly- verhindern.“ nu Heute wird es im neuen Flügel des tikerin, in die USA, wo er in der Nähe „Vilna Gaon State Jewish Museum“ von Boston sein Atelier hat. Da ist er Samuel-Bak-Museum in Vilnius ausgestellt, wo viele Ölge- längst weltweit arrivierter Künstler mit Naugarduko-Straße 10/2, Vilnius, Litauen. mälde, Aquarelle und Zeichnungen regelmäßigen Ausstellungen in inter- www.jmuseum.lt/en/samuel-bak-museum/ von Samuel Bak besichtigt werden nationalen Museen und Galerien.

2 | 2018 57 Rezension © BRANDSTÄTTER-VERLAG

Anima: Garten staunender Seelen

In der Nähe von Marrakesch Zunächst war Staunen, war Wüste, für ein Wunder geziemt, dient es kei- war Erdreich, porös, karg, archaisch, nerlei Nutzen, außer dem, bewundert, verwirklichte André Hel- leblos. Vereinzelt Palmen. Am An- bestaunt, gehegt, geschätzt, gepflegt ler mit dem Garten Anima fang war ein Traum, war die Idee, in und geliebt zu werden. Es ist ein poe- einen langgehegten Traum. Demut vor der Schöpfung, der Natur tisches Experiment, ein botanisches etwas Paradiesisches zurückzugeben. Gedicht – ein Versuch, der Schöpfung Nun ist ein Bildband Einstmals wird „Anima“ zu den großen nahezukommen. In Einfachheit und darüber erschienen. Wundern der Erde zählen. Und wie Dankbarkeit der Vision des Idealen es sich für ein Wunder geziemt, gibt vielleicht doch nahezukommen. In es dafür keinen Auftraggeber, son- Demut vor der Natur, vor der Fragilität VON GREGOR AUENHAMMER dern nur einen Schöpfer. Wie es sich des Seins.

58 2 | 2018 Es ist ein poetisches Experiment, ein botanisches Gedicht – ein Versuch, der Schöpfung nahezukommen. In Einfachheit und Dankbarkeit der Vision des Idealen vielleicht doch nahezukommen. In Demut vor der Natur, vor der Fragilität des Seins.

Aus der eingangs beschriebenen Atlasgebirges, unweit von Marrakesch, versteckt sind Bilder, Gemälde, Skulp- Vision gebar André Heller, der Un- entstand im Brachland der maghrebi- turen, Kunstinstallationen, Reflexio- bequeme, der Unangepasste, als per- nischen Wüste eine moderne Arche nen, Irritationen. Der nun publizierte sonifizierter Verwirklicher, als Inge- Noah. In Wahrheit ein botanisches Bildband präsentiert luzide die Meta- niosus des scheinbar Unmöglichen Poem mit Palmenhainen, Labyrinthen, morphosen, die Stationen einst und in jahrelanger Arbeit eine Oase, eine Alleen aus Olivenbäumen, Rosengär- jetzt – und die Hybris. Autorin [und Art irdisches Paradies, einen Garten ten, rankenden Grünpflanzen und NU-Chefredakteurin] Andrea Schurian Eden. Abgetrotzt der marokkanischen Farnen aus aller Herren Länder, mit fasste Hellers Wirken einfühlsam in Wüste am Fuß des schneebedeckten Pappeln, Kakteen, Strelizien, Papyrus, Worte. Albina Bauer dokumentierte fo- Atlas. Wider jede Vernunft, wider ge- Jacarandas, Mimosen, mit Feuerlilien tografisch diese selten leise Schönheit, wohnte Resignation, als Gegenentwurf vom Ussuri, Bambus vom Jangtseki- die verborgenen Winkel, die sensibel in zu einer utilitaristisch determinierten ang. Inmitten der mäandernden Natur die natürliche Botanik inkorporierten Welt. Unter Selbstaufgabe, kraft seiner

poetischen Imagination, unter Einbe- © PRIVAT ziehung der Talente einheimischer Gärtner und Baumeister verlegte er Wasserleitungen, versetzte er Berge und Palmen, verwirklichte er ein „bo- tanisches Gedicht“.

Impresario der Träume Das spürbar aus tiefster Sehn- sucht geborene, aus dem tiefsten In- neren, der innersten Überzeugung kommende Herzensprojekt des aus Österreich stammenden, in Wien ge- borenen, in Wahrheit aber überall auf der Welt, auf Reisen rund um den Globus zu Hause Seienden dreht sich um nicht mehr und nicht weniger als um die „Seele“. Die Seele des Lebens, der Erde, des Universums, des Seins. Der Name des Projekts ist Programm: „Anima“. Seit seiner Jugend führt uns André Heller als Impresario der Träume die Nichtigkeit des Daseins vor Augen. Er entwarf Kathedralen des Wissens, des Staunens, der Lust und der Leiden- schaft, des Denkens, Bedenkens und Gedenkens, der Verantwortung und Integrität. Verpflichtet Tradition und Moderne, Abendland und Morgenland. In Einheit und Frieden. Kopfgesteuert, wortgewandt. Höchst emotional. Elo- quent, stets beredt. Hellers Idee, sich in Marokko an- zusiedeln, reicht Jahrzehnte zurück, die Verwirklichung – einen Garten inmitten der archaischen Wüste an- zulegen – dauerte Jahre. Am Fuße des André Heller und Andrea Schurian

2 | 2018 59 © BRANDSTÄTTER-VERLAG © PRIVAT Kunstwerke, die erratischen Momente Formen, von Fauna und Flora, von und all die zauberhaften Überraschun- Kunst und Natur, von exzentrischer gen, Inszenierungen und die inspirie- Leichtigkeit, kontemplativer Aura, von renden Perspektivenwechsel. Stille und Besonnenheit, von bewus- „Dieser Stern ist uns doch nur gelie- sten Brüchen und Ironisierung. hen, von Künftigen, die nach uns sind“, Bizarr die Pracht inmitten Marok- sang Heller dereinst; hier hat er einen kos archaischer Kargheit. Am Anfang Ort der Stille, der Einkehr, der Spiritua- stand Hellers Staunen – und seine lität erschaffen – abseits von Befind- Idee. Am Ende steht der Betrachter lichkeiten und Eitelkeiten, jenseits der staunend vor des Universalkünstlers Niederungen und Widrigkeiten hei- Hymnus an die Schöpfung. nu mischer Kleingeister und Neidgenos- senschaften. „Misstrauet der Idylle“, mahnte der 1947 geborene Univer- salkünstler schon vor langem. „In all seiner Pracht und Herrlichkeit“ werde Heller seinen Garten nicht sehen, „weil man ihm Jahrzehnte der Entwicklung gönnen muss. Aber wenn ich meine Augen schließe und einatme, sehe und rieche ich schon jetzt das Wunder, das Albina Bauer (Fotografien), er einmal sein wird.“ Besucht man den Andrea Schurian (Text) „Zaubergarten“, verfällt man der Magie André Heller Anima. Der Zaubergarten in Marrakesch der vielfältigen exotischen Pflanzen, Christian-Brandstätter-Verlag, Wien 2018 Albina Bauer und Andrea Schurian des Zusammenspiels von Farben und 160 Seiten, EUR 29,90

60 2 | 2018 Rezension „Tohuwabohu“

Gregor Auenhammer über „Das Alte Testament. Erzählt von Arik Brauer“.

Im Anfang war das Wort – einer Zehnjährigen: „Was war vor dem Ur- knall?“ Als „Jahrtausendkunstwerk” bezeichnet der 1929 in Wien geborene Universalist und bekennende Agno- stiker Arik Brauer das Alte Testament, als grandioses Zeugnis menschlicher Weisheit, menschlicher Irrtümer, als Zeugnis des Abendlandes. Brauer hin- terfragte also, so die Fama, angeregt von seiner Enkelin, Wissenschaft und Bibel, und ließ virtuell drei Menschen gleichzeitig das Alte Testament studie- ren. Liest ein Agnostiker die Heilige Schrift, wird er beeindruckt sein von der sprachlichen Gewalt, der Poesie und Fantasie, ein Religiöser wird (al- lein wegen der Schöpfung) unzufrieden sein, ein Gläubiger aber wird jedes Wort als gottgegeben akzeptieren. Ist besag- ter Agnostiker, so Brauer, „zufällig auch Künstler, verwendet er Figuren und Erzählungen, die ihn besonders beein- drucken, für sein Schaffen. Die mora- lischen Forderungen des Alten Testa- ments sind zum Teil Grundlage seiner Sozialisierung, aber zum Teil inakzep- tabel für den Agnostiker der westlichen Kultur des 21. Jahrhunderts.“ Brauer diagnostiziert und analysiert eloquent und amüsant diese Divergenzen – und die Konsequenzen, die im Gegensatz geistreichen Melange aus Eloquenz, tuationen handeln und reagieren“. zu wissenschaftlichem Wissensstand Wissen und Wortklauberei, Charme Man lernt, „auch auf die Gefahr hin, ge- interpretierbar sind. und Chuzpe geht er dem Original auf kreuzigt, am Scheiterhaufen verbrannt Seine Nacherzählung reicht von der den Grund und verbindet den Text, oder aus der IKG ausgeschlossen zu Schöpfung über die Geschichte Mose, reich illustriert mit dem Hier und Jetzt. werden“, was „Tohuwabohu“ auf He- naturgemäß Sintflut, Sodom und Go- Seine Erzählung ist angereichert bräisch bedeutet und dass der Beginn morrha, bis hin zu Isaak und Rebekka, mit Weisheit, Leidenschaft und Em- der Schöpfungsgeschichte nach Mose, den Zehn Geboten, der Geschichten pathie. Mit Augenzwinkern, aber ohne statt der Luther’schen Übersetzung von König Saul, von Davids Sünden- Blasphemie kommt der Maler, Lieder- der Bibelstelle, „Am Anfang schuf Gott fall, Samuel, Esther, Hiob, von Ruth und macher, Architekt, Dichter, Chanson- Himmel und Erde” – wortwörtlich über- Naemi und anderen. Zu Wort kommen nier und politische Aktivist für Freiheit setzt – eigentlich „Zuerst schuf Götter auch zahlreiche Propheten und deren des Individuums und unabhängige De- Himmel und die Erde“ heißt. Genial! nu Weissagungen. mokratie zur Conclusio, dass das Alte Der Phantastische Realist erzählt die Testament zwar nicht erklärt, was vor Arik Brauer Das Alte Testament. Erzählt von Arik Brauer Bibel konsequenterweise in eigenen dem Urknall war, aber „wer wir sind Amalthea Verlag, Wien 2018 Worten. Und wie! In einer amüsanten, und wie wir in unterschiedlichen Si- 184 Seiten, EUR 25,–

2 | 2018 61 Rezension „Topografie des Schreckens“

Gregor Auenhammer über stellen, die Menschen vor direkter unterirdischen Schutzräumen. Die Di- Adam Reynolds „Architecture Gefahr bewahren sollen, verströmen rektorin des Jüdischen Museums und diese Räume eine Aura der Verstö- NU-Herausgeberin erinnert sich an of an Existential Threat“. rung. Enge, Kälte, dickes Mauerwerk, ihren Vater, der zu Aufräumarbeiten Beton, Stahl und die Vorstellung von gezwungen war, sowie an Gespräche Lebensgefahr sind die Ingredienzien, mit Hermann Nitsch, dessen Spiritua- Nach israelischem Gesetz müssen die unangenehme und irritierende lität auch vom Schrecken der Kriegs- alle Einwohner Zugang zu Bunkern Empfindungen auslösen.“ In ihrem zeit und der von Gebeten begleiten- haben, die im Falle eines Angriffs mit Vorwort zu Adam Reynolds’ Fotobuch den Todesangst als Kind beeinflusst unkonventionellen Waffen auch ab- über Luftschutzbunker in Israel be- ist: „Als wir aus den Kellern heraus- gedichtet werden können. „Obwohl schreibt Danielle Spera auch ihre ganz gekommen sind, war alles verbrannt. Bunker schützende Bauwerke dar- persönlichen Bezüge zu den meist Die Fabriken, alles war schwarz. Schwarze Wolken. Alles hat gebrannt. © ADAM © REYNOLDS ADAM Die Häuser waren zum Teil vollkom- men zerstört oder so zur Hälfte abra- siert, da hat man ein Klavier gesehen, das zur Hälfte heruntergehangen ist, oder die Gewürzständer in der Küche eines bombardierten Hauses ...“ Spera erinnert sich persönlich an Besuche in Israel, in Tel Aviv, erzählt von einer menschenleeren Geisterstadt nach einem Gasangriff von Saddam Hus- sein im Jahr 1991. Seit seiner Gründung im Jahr 1948 fühlt sich der Staat Israel isoliert und von Feinden bedroht. Dieses kollek- tive Gefühl einer Belagerung manife- stiert sich in mehr als einer Million öf- fentlichen und privaten Bunkern, die im Land zu finden sind. Die Israelis haben diese „Weltuntergangsräume“ längst in ihren Alltag integriert und quasi in Wohnräume „verwandelt“, tapeziert, eingerichtet, sodass sie wie ganz normale Tanzstudios, Beiseln, Bars, Schulen, Wohnzimmer oder Bet- häuser aussehen. Diese Räume hat Adam Reynolds in seinen Fotoserien dokumentiert. Für die Bewohner Isra- els, die mit persönlichen Geschichten von Exil und Verfolgung leben (müs- sen), sind diese Schutzräume die Ar- chitektur einer existenziellen Bedro- hung – sehr real und immerwährend. Befremdend, beklemmend, berührend, bisweilen auch bizarr. nu

Adam Reynolds, Danielle Spera Architecture of an Existential Threat (Deutsch/Englisch/Hebräisch) Edition Lammerhuber, Baden/Wien 2017 144 Seiten, EUR 39,90

62 2 | 2018 Autorinnen und Autoren

Marie-Theres Arnbom Ronald Pohl ist Historikerin, Autorin, Kuratorin und Kulturmanagerin. ist Feuilletonredakteur und erster Theaterkritiker Sie veröffentlicht Bücher und Beiträge zu zeit- und kultur- der Tageszeitung Der Standard. Zahlreiche historischen Themen, die sie als Kuratorin auch in Museen belletristische Publikationen, zuletzt im Verlag in Szene setzt. 2004 gründete sie das Kindermusikfestival Ritter: Kind aus Blau. Roman der Rückbildung. Ein St. Gilgen. Miles-Davis-Brevier.

Gregor Auenhammer Fritz Rubin-Bittmann Arbeitet seit 1988 bei der Tageszeitung Der Standard, seine Geboren 1944 in einem Keller in Wien-Leopoldstadt, überlebte Schwerpunkte als Rezensent sind Zeitgeschichte, Kunst mit seinen Eltern Josef und Sidonie als „U-Boot“. Schule und und Fotografie. Er hat auch zahlreiche Bücher publiziert, Medizinstudium in Wien, danach als Arzt für Allgemeinmedizin darunter im Metro-Verlag sowie bei Styria. in Wien tätig. 2017 Auszeichnung mit dem Berufstitel „Professor“. Publikationen zu Zeitgeschichte und Religionsphilosophie.

Martin Engelberg Martin Rummel ist Psychoanalytiker, Consultant und Coach, geschäfts- Der Cellist ist international als Solist und führender Gesellschafter der Consulting Group, Kammermusiker tätig. Als leidenschaftlicher Abgeordneter zum Nationalrat, Präsident der Sigmund- Musikvermittler ist er Eigentümer und Freud-Gesellschaft, Mitbegründer, langjähriger Mastermind von „paladino media“. Herausgeber (bis 2017) und Autor von NU.

Eric Frey Ida Salamon ist Chef vom Dienst bei der Wiener Tageszeitung Der Die NU-Chefin vom Dienst ist in Belgrad geboren, Standard, Österreich-Korrespondent der Londoner wo sie Ethnologie, Kultur- und Sozial- Wirtschaftszeitungen Financial Times und The anthropologie studierte. Sie ist im Jüdischen Economist sowie Buchautor. Museum Wien in den Bereichen Sponsoring, Marketing und Veranstaltungsmanagement tätig.

Johannes Gerloff Andrea Schurian hat in Tübingen, Vancouver und Prag evangelische Die NU-Chefredakteurin ist Autorin einer ständigen Kolum- Theologie studiert und lebt seit 1994 mit seiner Familie ne in der Tageszeitung Die Presse. Die ehemalige ORF- in Jerusalem. Journalistin und Moderatorin leitete mehr als neun Jahre lang das Kulturressort in der Tageszeitung Der Standard. Sie studierte Publizistik und Politikwissenschaften.

Michael Laczynski Peter Schwarz schreibt über Europapolitik für Die Presse und gelegent- ist Geschäftsführer des Psychosozialen Zentrums Esra, das lich Bücher. Zuletzt erschienen: Augen auf und durch. Überlebende der NS-Verfolgung und deren Nachkommen Gebrauchsanweisung für unruhige Zeiten (Residenz Ver- behandelt und betreut. Er ist der Sohn eines aus Wien lag). vertriebenen Juden und einer Widerstandskämpferin, die ihre Gestapo-Haft überlebte.

Otmar Lahodynsky Jérôme Segal ist EU-Koordinator beim Nachrichtenmagazin profil. ist Assistenzprofessor an der Pariser Sorbonne, lebt Früher Brüssel-Korrespondent und stv. Chefre- aber vor allem in Wien, wo er als freier Forscher dakteur der Zeitung Die Presse und Außenpolitik- und Journalist tätig ist. Ressortchef beim Kurier. Präsident der „Association of European Journalists“ (AEJ).

Charles Lewinsky Danielle Spera ist Schriftsteller. Sein jüngster Roman schildert das Leben Die NU-Herausgeberin ist Direktorin des Jüdischen des Schauspielers und Regisseurs Kurt Gerron. Museums Wien. Davor war sie ORF-Journalistin Ruth Lewinsky und Moderatorin. Sie studierte Publizistik und begann als Grafikerin, wurde dann Cranio-Sacral-Thera- Politikwissenschaft. peutin. Sie veröffentlichte 2011 einen ersten Gedichtband.

Milagros Martínez-Flener Petra Stuiber wurde in Lima geboren, wo sie Geschichte studierte. studierte Kommunikations- und Theaterwissen- 1991 kam sie nach Wien und schloss ihr Doktorats- schaften und ist stellvertretende Chefredakteurin studium in Geschichte hier ab. Auch den Lehrgang des STANDARD. für Pressefotografie absolvierte sie in Wien.

Fritz Neumann Thomas Trenkler ist Sportredakteur der Tageszeitung Der Standard. Er ist Kulturredakteur beim Kurier. ist Vater zweier Söhne.

Astrid Peterle René Wachtel ist Chefkuratorin am Jüdischen Museum Wien und lebt in Wien, ist selbständig. auf Kulturgeschichte, zeitgenössische und Perfor- mance-Kunst spezialisiert.

2 | 2018 63 P.b.b. • Verlagspostamt 1010 Wien • Zulassungsnr.: 02Z033113M

Die älteste Tageszeitung der Welt ist jünger als je zuvor.

Sie mag mehr als 300 Jahre alt sein, aber dennoch steht die Wiener Zeitung für eine völlig neue Zeitungsgeneration. Denn ein in Österreich einmaliges ressortübergreifendes Redaktions- konzept in Verbindung mit einer der jüngsten Redaktionen machen die älteste Tageszeitung der Welt zugleich zu einer der jüngsten und innovativsten des Landes. Überzeugen Sie sich selbst. Testen Sie die Wiener Zeitung jetzt 4 Wochen gratis. www.wienerzeitung.at/abo Zusammenhänge verstehen