Salzburaer Festspiele ,,Kunst darf alles - vor allem, weil sie

Zur Person: künstlich ist" Sven-Eric Bechtolf hat seit 2014 die künstlerische Gesamtplanung der Salz• burger Festspiele inne. Seit 2012 leitet Sven-Eric Bechtolf künstlerischer Leiter der er das Schauspiel bei den Festspielen. Der in Darmstadt Geborene rst Schau• Salzburger Festspiele, will im Festspielsommer spieler und Regisseur; bei den diesjahri• gen Salzburger Festspielen ist Bechtolf 2016 träumerisch die Wirklichkeit entlarven. Intendant. Regisseur dreier Mozart• Opern uncl Schauspieler ( .. Der Ignorant Interview: Wilhelm Sinl

6 Kultur spezral Ein paar Worte über die Grundzüge der Saizburger Festspiele erwürgt, ist er zu .echt" gewesen. Es gibt keinen .Kunstrnord". Die 2016. Wie zieht man als .Festspielmacher" einen roten Faden Sache ist nach dem, gewiss frenetischem, Applaus nicht wieder durch ein dermaßen reichhaltiges Programm? Braucht es über• gutzumachen und der Kollege bekommt nicht den Nestroypreis haupt übergreifende .Konzepte" von Jahr zu Jahr? verliehen, sondern fünfzehn Jahre Haft. Diese simple Folgerichtig• Es fängt meist mit einem Titel an. Das war in unserem Fall ,,The keit gilt für die gesamte höchst abstrakte und komplexe Verabre• Exterminating Angel". Das Libretto dieses Auftragswerks an Tho• dung, die wir Kunstfreiheit nennen und die durchaus eine Heraus• mas Adès, noch von Alexander Pereira erteilt, hat bekanntlich den forderung, auch für die Künstler, ist. Je kunstloser und brachialer Film des surrealistischen Regisseurs Luis Buüuel als Vorlage. Von ein Künstler auf die Realität eindrischt, desto fragwürdiger wird da gingen unsere Gedanken hin zu den Träumen. Dem Traum als ihm nämlich selbst die Risikolosigkeit erscheinen, die eben diese Metapher für die Irrealität unserer Existenz und dem Traum, den Realität ihm dafür bietet. Wer ständig die dicke Lippe riskiert, die wir vorsätzlich konstruieren, um die sogenannte Wirklichkeit zu er sicher nie bekommt, wirkt irgendwann einmal ziemlich gemüt• entlarven. Im ,,Sturm" sagt Prospero: ,,Wir sind aus jenem Stoff lich. Wer will das schon? Dagegen hilft nur ein höheres Maß an gemacht, aus dem die Träume sind und unser kleines Leben liegt Kunst. Mit der Pressefreiheit verhält es sich ja ähnlich: Beide ver• im Schlaf." Wir lassen Novalis darauf antworten: ,,Wir sind im langen ein hohes Maß an Verantwortlichkeit. Oder Redlichkeit. Es Begriff zu erwachen, wenn wir träumen, dass wir träumen." Das gilt jedenfalls: Kunst darf alles - wenn sie Kunst ist. Spannungsverhältnis dieser beiden Sätze hat uns inspiriert. Gene• Sie sind Intendant, Regisseur dreier Mozart-Opern und stehen rell muss ein roter Faden nicht sein, er trägt aber dazu bei, Gedan- als Schauspieler auf der Bühne. Wie schafft man es, sich immer n zu konkretisieren oder zu begleiten oder zu provozieren. ganz auf die jeweils alctuelle Aufgabe zu fokussieren - um im Richard Strauss pries die Sinnhaftiglceit der ,,mythologischen entscheidenden Moment ganz Intendant beziehungsweise ganz Oper". Die heuer gespielte ,,Liebe der Danae" gehört dazu. Was in der Schauspielrolle zu sein? kann ein Mensch des 21. Jahrhunderts von einem solchen Werle Ich weiß gar nicht, ob ich das immer schaffe. Es gibt schon in seine Zeit mitnehmen? Momente auf der Probe, wo zum Beispiel technische oder organi• Der Mythos ist, glaube ich, eine sinngebende, künstliche, befragbare satorische Dinge auftauchen, bei denen ich mich als Schauspieler und spiegelnde Begrenzung für uns von der Unbegrenztheit dau• als nicht zuständig abgedreht, und die ich als Regisseur kampfes• ernd Gefährdeten. Oder wie Norbert Bolz sinngemäß schrieb: Er lustig beim Intendanten durchgekämpft hätte. Das geht jetzt leider macht ein Bild von der Welt und umstellt die Welt mit Bildern. Er ist nicht mehr. Ich streite dann eben mit mir selbst. Dabei hilft mir auch die Erfindung der ,,Überzeitlichkeit", der ewigen ,,Gültigkeit" als mein Doppelname. eine Hilfskonstruktion im Kampf gegen die Absolutheitsansprüche Hofmannsthal spricht in seinem Konzept für die Salzburger der Gegenwart. Die irrwitzige Verschlungenheit und polytheistische Festspiele ausdrûcklicn vom ,,Glauben an den Europâismus". In Vielgestaltigkeit, gerade der griechischen Mytho• Zeiten der real eixistierenden EU und ange• logie, ist Hinweis auf die höchst differenzierte ,,Das Tneater war 111 sichts der alctuellen Probleme: Welche Aufgabe Weltbefragung ihrer Erschaffer. Die anthropo• hat Kunst, bei Festspielen zumal, in diesem morphen Götter der Griechen sind geeignete seinen a11t1ke11 Sinne? Und wann hätten die Festspiele diese Auf• Spiegel - noch für uns, wie ich glaube. Selbstver• gabe erfüllt? ständlich ist das Ideal, das Richard Strauss vor• Anfangen e111 großer Das ist ein guter Ausdruck: ,,real existierende =chwebt, stark vom Humanismus geprägt - ich Mahner - vrelercht EU". Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass .nn kein abschließendes Urteil über desse..n alles, was real existiert, die Schweizer-Käse-Va• .Aktualität" abgeben. Eine Besonderheit, die die bleibt das auch heu- riante des Plans vorstellt: überall Löcher! Das Rezeption dieser Oper belastet, ist selbstverständ• Theater war in seinen antiken Anfängen ein gro• lich die Tatsache, dass sie 1944 aufgeführt werden te der Kunst zu tun" ßer Mahner, es warnte uns vor der Hybris und sollte. Man kann das Strauss als skandalöse Welt- wies auf die Verhängnishaftigkeit unserer Exis• flucht vorwerfen, ich sehe darin auch den Versuch, während des tenz hin. Vielleicht bleibt das auch heute der Kunst zu tun. Viel• Weltunterganges beharrlich, nahezu blind und gegen jede Wahr• leicht würde die heutige Katharsis uns lehren, die Spannung, die scheinlichkeit auf eben diese untergegangene Welt zu bestehen. zwischen Anspruch und Wirklichkeit notwendigerweise besteht, Grundsätzlich bin ich aber der Meinung, dass nicht so sehr die Frage nicht nur auszuhalten, sondern als Gesetzmäßigkeit anzuerken• gilt: Was hat uns ein solches Werk heute noch zu sagen - als sei dieses nen, ohne dabei zu resignieren oder rabiat zu werden. Europa wäre .Heute" irgendein sagenhafter Vorteil>, sondern eher: Von welcher es jedenfalls wert. Aber Sie stellen die Frage dem Falschen. Ich bin Güte sind die Fragen von uns Heutigen an dieses Werle Also, an die• zwar der Meinung, dass das Theater - die Kunst - an der jeweils ser Stelle keine schmissige Werbung für die .Danae", sondern die herrschenden Debatte, von mir aus auch an einer über die Bedeu• Hoffnung aufungeschürtes Interesse. tung Europas, teilnehmen kann/darf/soll, aber insgeheim kommt Vom einstigen Urauffùhrungsskandal rund um den .Ignoran• mir vor, dass seine echten, tiefen Möglichkeiten das Gegenteil von ten" ist Anekdotisches geblieben. Schon Bernhard selbst macht Debatte sind. Ein ,,politisch-aktuelles" Stück interessiert mich nur, sich im .Theatermacher" über die ,,fünf Minuten ohne Notlicht" wenn es etwas berührt und von etwas berührt ist, das seinen lustig; die damals zur Absetzung der Aufführung vom Spielplan Anlass übersteigt und unabweisbar ist. Nicht debattierbar. Manch• geführt haben. Muss Theater eigentlich immer ästhetische, mal kann ein Interpret alleine solch eine Wirkung haben, besser ist eventuell auch juristische Grenzen ausloten? es, wenn alle, die an einer Aufführung teilhaben, sich wenigstens Kunst darf alles - vor allem, weil sie .künstlich" ist. Wenn ein Schau• unausgesprochen diesem Ziel verpflichten. Vor allem solche Auf• spieler auf der Bühne einen Partner aus künstlerischen Gründen führungen sollten Festspielen gelegentlich gelingen. --f).

Kultur spezial 7

wei Stücke, die scheinbar gar nichts. unterschwellig aber sehr viel miteinander zu tun haben. Jedenfalls haben sie beide Salzburger Festspielgeschichte geschrieben - mit Z zeithistorischem und skandalträchtigem Hintergrund. Da ist einmal die letzte Uraufführung einer Oper von Festspiel-Grün• der Richard Strauss. Das ius primae noctis für ,,Die Liebe der Danae", vorletzte im Bunde der 15 Strauss-Opern, sollte zufallen. Clemens Krauss war als Dirigent ausersehen. Die Pre• miere fand auch statt; allerdings - singulärer Fall in der Opernge• schichte - acht Jahre nach der Generalprobe. Letztere (im August 1944) hat Richard Strauss noch erlebt. Die Uraufführung von 1952 hingegen war bereits eine posthume Ehrung des Komponisten. Dazwischen fielen Bomben, das sogenannte Dritte Reich ging unter, hinterließ Deutschland in Schutt und Asche. Dass die Gene• ralprobe überhaupt stattfinden konnte, verdankte Strauss dem Überredungsgeschick seines liebsten Dirigenten, Clemens Krauss, Franz Welser-Möst l(rassimira Stoyanova ist der bei den Berliner Behörden durchsetzte, dass zumindest ein engagiert sich am Pult der die Danae, die ein einfa• Durchlauf der fertig geprobten Uraufführungsproduktion vor gela• Wiener Philharmoniker fur ches Leben dem göttli• denem Publikum im Festspielhaus gespielt werden durfte. Wenige eine .heitere Mythologie" chen Goldregen vorzieht Tage zuvor hatte Hitlers Propagandaminister Goebbels den ,,tota• len Krieg" proklamiert An Opernpremieren, gar an Festspiele, war nicht mehr zu denken. So unterblieb die .Danae'

Kultur spezial 9 r nach der Uraufführung abgesetzt worden. Thomas •t der Regisseur, Claus Peymann, die erste Bernhards ,Ignorant" ührungen, weil die Festspielleitung sich wurde 1972 stattzugeben, dass in den letzten Minuten nach derUr• ~r Bühne, sondern auch die Notlichter im auffuhrung Iestheaters ausgelöscht werden sollten. abgesetzt. tskandal" machte Schlagzeilen in aller

.. a1 geschehen? Wieder war es eine Generalprobe, um die sich alles drehte. ln selbiger gestattete man die Notlicht-Bizar• rerie und die etwa JOO Anwesenden erlebten den Schluss des .Jgnoranterr', wie er von Bernhard gedacht war. Völlige Dunkelheit. Man hört, wie auf dem Tisch (der zweite Akt des Stücks spielt im Wiener Restaurant Zu den drei Husaren) Gläser und Flaschen umgeworfen werden.

Vorhang, Verwirrung, Hin und Her. Bei der Premiere blieben die Notlichter aufgedreht, wie das den feuerpolizeilichen Vorschriften in Österreich entspricht. Das führte zu einer Verwirrung der Haupt• darstellerin, die sich über den Tisch warf, ehe der Vorhang fiel. Danach gab es ein aufgeregtes Hin und Her zwischen Verlag, Autor, r.0~isseur und Festspielleitung. ,,Eine Gesellschaft, die ein paar tuten Finsternis nicht erträgt, kommt ohne mein Stück aus", ätzte Bernhard. Mancher Kommentator meinte, man käme durch• aus auch ohne Theaterstücke von Thomas Bernhard aus. Mittler• weile hat die Welt ihr Urteil über den Dramatiker Thomas Bern- Viele Untersuch.mgcr beschaft1gen sich mit cler Mus1kal1tat von Bernhards Stucken

hard gesprochen. Er zählt zu den meistgespielten Autoren der jün• geren Vergangenheit. Bruno Ganz, der Doktor der Uraufführungs• Infos inszenierung, die nur einmal gespielt werden durfte, wurde von Richard Strauss: Oper, .Die Lie• 5. und 8. August, 19.30 Uhr den deutschen Theaterkritikern für diesen Auftritt als eindrucks• be der Danae", Großes Fest• 12. August, 20 Uhr vollster Schauspieler preisgekrönt, Bernhards Werk galt denselben spielhaus 15. August, 19 Uhr Juroren als wichtigstes Stück des Jahres 1972. Musikalische Leitung: Unzählige Untersuchungen beschäftigen sich seither mit Bern• Franz Welser-Môst, Thomas Bernhard: Schauspiel, hards Dramaturgie, mit der Musikalität seiner Theaterdichtungen Regie: Alvis Herrnarus ,,Der Ignorant und der Wahnsin• und weisen nach, dass nicht von ungefähr dem .Jgnoranten" ein mit: l

10 l(ultur spezial Die Künstler sind die besten Seismografen

Die Kunst berühre die P-xistenzfragen des Lebens, sagt Festspielpräsidentin Helga Rahl-Stadler im Interview.

Interview: Claudia Lagier

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12 Kultur spezial Träume stehen als ,,geheime Überschrift" über dem Programm für Salzburg gehört seit 200 Jahren zu Österreich. Ein Grund zu feiern den Sommer 2016. Wovon träumen Sie? oder zu bedauern, dass Salzburg nicht mehr eigenständig ist? Von einem guten Festspielsommer. Wenn ich in einer Probe bin - Die Zugehörigkeit zu Österreich ist für Österreich und für Salzburg wie beispielsweise für die ,,West Side Story" - dann träume ich ein Glücksfall. Nur schade, dass wir 1816 den Rupertiwinkel verlo• schon von der Premiere. Ich habe sehr viele positive Träume. ren haben. Mir gefällt die Idee, das Jubiläum nicht als Selbstbeweih• Die Salzburger Festspiele starten mit der Uraufführung von ,,The räucherung zu feiern, sondern als Anlass zur Standortbestimmung Exterminating Angel" von Thomas Adès. Ein Wagnis? und zum Nachdenken zu nützen. Die Salzburger sind Österreicher Uraufführungen sind immer spannend, im positiven und im negati• und Europäer. ven Sinn. Der Komponist hat - wie zu Mozarts Zeiten - bis zu Beginn Wie würdigen die Festspiele dasJ ubiläum? der Proben komponiert. Ich freue mich, dass wir einen Schwer• lm Rahmen der Ouverture spirituelle gibt es Musik von Salzburger punkt zu Thomas Adès zusammenstellen konnten. Es gibt heuer Hofkapellmeistern. Da ist Johann Michael Haydn, der zu Unrecht mehrere Uraufführungen, die Salzburger Festspiele sind für die im Schatten seines großen Bruders steht, zu hören, oder Heinrich zeitgenössische Kunst ein Fenster zur Welt. Ignaz Franz Biber. Es werden einige Wieder- und Neuentdeckun• Wie bereiten Sie sich auf den Sommer vor? gen für das Publikum dabei sein. Und dann im Schauspielpro• Lesen, lesen, lesen. Ich habe heuer die ganze Geschichte rund um gramm Thomas Bernhard. Das ist der andere Blick auf Salzburg. ,,Die Liebe der Danae" gelesen. Es beschäftigt mich sehr, dass China, Russland, Brasilien: Was bringt die Programmpräsentation Strauss mitten im zweiten Weltkrieg so ein entrücktes mythologi• der Festspiele auf mehreren Kontinenten? sches Thema gewählt hat. Die Geschichte rund um die abgesagte Unser Ziel ist es, neue Kundenschichten zu erschließen. In Asien ist Danae-Uraufführung im Jahr 1944 zeigt auch die Rolle der Fest• das Interesse für die Festspiele enorm. Was mir sehr am Herzen spiele. Es gab bei den Festspielen - wie in Österreich insgesamt - liegt ist auch Südamerika. Bereits zehn Südamerikaner in einem Opfer und Täter. Da saßen die, die gegen Hitler gekämpft haben, Konzert ändern das Klima. Diese Musikalität geht uns Europäern ab. ··ndjene, die sich blenden ließen, nebeneinander. Sie machen gerade eine Umfrage unter Besuchern über Aufenthalts• Welches Buch liegt aufI hrem Nachtkästchen? dauer und Ausgaben - gibt es schon erste Ergebnisse? .,Ach, diese Lücke, diese entsetzliche Lücke" von Joachim Meyer• Ich bin schon sehr gespannt auf das Ergebnis. Wir bekommen hoff habe ich gerade gelesen. Auch das Buch von Clemens Hells• Waschkörbe voller Post. Diese große Reaktion zeigt, wie stark das berg über die Wiener Philharmoniker war sehr spannend. Und das Publikum mit uns verbunden ist. Der Zweck der Umfrage ist natür• neue Buch von Valerie Fritsch. Es zeigt sich, dass die Künstler die lich auch, der Politik vor Augen zu führen, welche Bedeutung die besten Seismografen unserer Gesellschaft sind. Festspiele künstlerisch und ökonomisch haben. Man darf nicht ver- Kommen Sie angesichts Ihres Terminkalenders gessen, dass die Festspiele Stadt und Land gro• überhaupt zum Lesen? ßen Wohlstand bringen. Diese ökonomische Ich lese immer. Es ist meine Art der Erholung. ,,Welches Programm Funktion war auch den Festspielgründern Die Ouverture spirituelle steht im Zeichen des macht man 1n einer bewusst und Max Reinhardt hat sie beim Lan• östlichen Christentums. Viele Mitwirkende stam• deshauptmann Franz Rehrl offen angesprochen. men aus Ländern, aus denen Christen fliehen Zeit, 1n der die reale Not Wie geht es Ihnen mit dem Budgetrahmen von müssen. Wie gehen Sie damit um, wenn Flucht rund 60 Millionen Euro? Reicht das in Zukunft? und Vertreibung plötzlich so nah sind? alles so uberlagert?" Das Budget ist meine größte Sorge. Ich wäre Es ist schwierig. Welches Programm macht man glücklich, würde die Politik einsehen, dass wir in einer Zeit, in der die reale Not alles so überla- eine jährliche Valorisierung in der Höhe der gert? Viele unserer Aufführungen berühren die Existenzfragen des Gehaltssteigerungen brauchen. Sonst fressen uns diese Steigerun• Lebens. Unser Programm will das Publikum zum Nachdenken brin• gen immer ein Stück vom Budget für die Kunst weg. ~en. Auch zur Bereitschaft, sich durch die Musik verändern zu las- Was steht bei den Investitionen an? ~n. Die Festspiele wurden als Friedensprojekt geschaffen, das ist Anders als vergleichbare Häuser müssen wir uns unsere Erhal• unser schönster Gründungsauftrag. tungsinvestitionen selbst zahlen. lm Großen Festspielhaus geht es Was kann ein Festival überhaupt leisten, wenn es um so große Fra• um Investitionen von drei Millionen Euro in neue Elektroleitungen gen wie Krieg, Vertreibung oder Flucht geht? und 10,4 Millionen für den Brandschutz. Ich habe kein Talent zur Wenn wir unser Publikum zum Nachdenken bringen, leisten wir als Frustration, aber ich empfinde es schon manchmal als eine Festspiele sehr viel. Ideal, dass wir bei der ,,West Side Story" das Demutsübung, wie sehr ich um Investitionen in die Festspielhäuser Simon Bolfvar Orchestra wieder zu Gast haben. Dieses Orchester betteln gehen muss. Umso dankbarer bin ich, dass Landeshaupt• beweist, dass Musik auch sozial etwas bewegen kann. Unsere Eröff• mann, Bürgermeister und Finanzminister jetzt die Finanzierung nungsoper .The Exterminating Angel", bei der es um eine einge• des Brandschutzes sichergestellt haben. schlossene Gesellschaft geht, trifft ins Marle Das Haus für Mozart feiert heuer zehnjähriges Bestehen. Ihre Was ist Ihnen bei den Disputationes im Rahmen der Ouverture spi• Bilanz? rituelle ein Anliegen? Ich bin sehr glücklich, dass wir dieses Haus haben. Es waren viele Die Disputationes sind ein echter Mehrwert für die Festspiele. Die Anläufe nötig, um es zu realisieren. Das Haus hat sich sehr bewährt. Themen dieser Diskussionen berühren unsere Grundfragen, wie Heuer wird sogar die Uraufführung ,,The Exterminating Angel" im wir mit Liebe, Glauben, mit Macht und Gegenmacht umgehen. Haus für Mozart gespielt. Glücklich bin ich auch, dass wir gleichzei• Schön, dass die Disputationes gerade von den Salzburgern so gut tig die akustisch und technisch aufrüsten konn• angenommen werden. Wir brauchen diese Verankerung in der ten. Sie ist ein wunderbarer Aufführungsort, besonders auch für Bevölkerung, sonst fehlen uns die Wurzeln. die zeitgenössische Musik. Wird es unter Markus Hinterhäuser eine Ouverture spirituelle Was empfehlen Sie dem Publikum als Einstimmung für den Fest• geben? spielsommer? Auch er plant einen besonderen Beginn der Festspiele. Mehr kann Stefan Zweigs .Die Welt von gestern" - auch wenn man es schon oft ich nicht verraten. gelesen hat. -f).

Kultur spezial 13 s sind ein paar Drei- bzw. Viergespanne, die besondere Schnitt- und Wendepunkte in der Musiktheatergeschichte Mozart, der markieren. Die drei großen erhaltenen Opern von Claudio E Monteverdi, der .Orfeo", der .Ulisse" und die .Poppea". Im 19. Jahrhundert Verdis Dreisprung mit .Rigoletto", .Il trovate" und Erfinder der .,La Traviata" sowie natürlich Wagners .,Ring des Nibelungen", der ja auch für drei Abende, aber unter Hinzuziehung eines Vorabends Psychologie konzipiert ist. Und die sogenannte Da-Ponte-Trilogie von Mozart, die (im Verein mit der späteren .Zauberflöte") die Bildung eines Repertoirekanons im Opernleben eingeläutet hat. Für die Salzburger Festspiele stellt diese Mozart'sche Trias von Mit den drei Opern, zu denen da Ponte Anbeginn eine zentrale Herausforderung der Spielplangestaltung dar. Tatsächlich waren ,,Le nozze di Figaro" (damals ,,Die Hochzeit die Libretti gedichtet hat, beginnt nicht des Figaro"), .Don Giovanni" (noch als .Don Juan") und ,,Cosi fan nur das Zeitalter des Opernrepertoires, tutte" die ersten Opern, die - nota bene an drei aufeinanderfolgen· den Tagen - im August 1922 als Festspiel-Aufführungen im Landes· sondern auch die musikalische theater gezeigt wurden. Richard Strauss stand sowohl beim .Don Juan" als auch bei .Cosï fan tutte" am Dirigentenpult. Und das sagt Seelenkunde. Text: Wilhelm Sinkovicz viel. Vor allem im Hinblick auf das letztgenannte Werle In Wahrheit

14 Kultur spezial schwung in der Wahrnehmung der Fachwelt. .Cosï fan tutte" gilt spätestens seit damals als ebenbürtig und hat in der Salzburger Sta• tistik seither sogar die .Zauberflöre" überholt. Selten aber hat man bei den Festspielen zum inszenatorischen Dreisprung angesetzt. Sven-Eric Bechtolf präsentiert in seinem zweiten Intendantenjahr alle drei Werke in eigener Regie. Das stellt auch für Salzburg eine Rarität dar. Dern Publikum bietet sich die Chance, die Werke, gesungen von einem hochkarätigen jungen Ensemble unter ande• rem mit Anna Prohaska als Susanna, Luca Pisaroni als ,,Figaro"-Graf und Leporello,Julia Kleiter und Angela Brower als Schwesternpaar in ,,Casi fan tutte" unmittelbar hintereinander erleben zu können.

Hochaktuell. Richard Strauss selbst setzt die Wegmarke für die ein• gehendere Betrachtung, indem er - nicht expressis verbis, aber im Gedanken unweigerlich bei Mozart verweilend - die historische Leistung von Textdichter Lorenzo da Ponte in seinem Libretto zur 1942 uraufgeführten Oper ,,Capriccio" umschreibt. In einer gehar• nischten Kritik an den Gepflogenheiten des barocken Musikthea• ters bemängelt der Theaterdirektor La Roche dort: ,,ln fernste Drui• denvergangenheit tauchen unsre Dichter, zu Türken und Persern." Man produziere auf diese Weise am Publikum vorbei, das ,,auf der Bühne leibhaftige Menschen" zu sehen wünsche, ,,und nicht Phan• tome ... " Tatsächlich sieht sich das Auditorium der Wiener Urauf• führung der ,,Nozze di Figaro" mit einem hochaktuellen Stück kon• frontiert, in dem Menschen ihrer Epoche über brisante politische - und, nicht zu vergessen, auch menschlich-allzumenschliche - Pro- bleme diskutieren. Das Stück ist aus dem lm Verein prallen Leben gegriffen, gegenwärtig, hoch• aktuell. Doch führte ein dorniger Weg zu die• mit dem ser Landnahme der Realität auf der Opern• bühne. Mozart hatte nach immer kühneren kongen 1a len psychologischen Charakterisierungen seiner Lorenzo da Bühnenfiguren - tatsächlich römische Kai• ser, arkadische Schäfer oder antike mytholo• Ponte gelang gische Gestalten - spätestens im für Mün• chen komponierten ,,Jdomeneo" (immer es Moza rt, d 1e noch auf einer antiken Vorlage basierend) zu Oper zum aktu- einer musikalischen Dramaturgie gefunden, die den Hörer unmittelbar anzusprechen e 11 en Kunstwerk wusste. Er wollte diese, seine Kunst, von der er ahnte, dass sie ihn weit über alle Zeitge• zu macllen nossen erhob, in seiner neuen Heimatstadt Wien in der damals wichtigsten Gattung prä• sentieren: ,,Eine wälsche Oper", wie er das in kannte die Opernpraxis der Romantik nur den ,,Figaro" und den einem Brief nannte, also eine italienisch gesungene Opera buff a. ,,Don Giovanni". Letzterem kam nicht erst seit der euphorischen Eloge, die E. T. A. Hoffmann auf das Werk gedichtet hatte, geradezu Gespür für Dramaturgie. Antonio Salieri, keine Frage, war in dieser Kultstatus zu. Nicht von ungefähr wurde das neu errichtete Wiener Angelegenheit sein gefährlichster Konkurrent, da er als Hofkapell• Opernhaus an der Ringstraße 1869 damit eröffnet. .Cosi fan tutte" meister alle Vorrechte genoss und damit auch Anspruch auf die aber führte ein Schattendasein, galt selbst hochmögenden Kom• Libretti des neuen Hofpoeten Lorenzo da Ponte hatte. ,,Ist er mit mentatoren wie Beethoven oder Richard Wagner als allzu schlüpf• Salieri verstanden, so bekomme ich mein Lebtag keins", schreibt rig oder geradezu unmoralisch. Manch einer verstieg sich ange• Mozart an seinen Vater und bemüht sich darum, nach den Kalami• sichts des ungeliebten Textes dieser dritten und letzten Da-Ponte• täten um die Münchner ,,Idomeneo"-Premiere noch einmal einen Vertonung Mozarts dazu, auch die Musik schwächer zu finden. Text von Gianbattista Varesco zu bekommen. Der liefert auch Schwächer als die zu ,,Figaro" und .Ciovanni". Es war tatsächlich prompt. Das Stück nennt sich ,,L'oca del Cairo", taucht also nicht in erst Richard Strauss, der zum Anwalt dieses Werks wurde und es als ,,Druidenvergangenheit" oder .zu Türken und Persern", sondern gleichrangig bezeichnete. Strauss, der als Wagnerianer und ,,moder• handelt von einer angeblich aus Ägypten herbeigeflogenen mär• ner Umstürzler" begonnen hatte, fand mehr und mehr zu Mozart chenhaften Riesengans, einer Art Rokokovariante des trojanischen und bekannte sich zu dessen musiktheatralischem Genie. Pferds, in der sich einer der Darsteller versteckt, um zu seiner in einem Turm gefangenen Geliebten vorzudringen. Erkenntnisumschwung. Die Aufführungen der Trilogie im Salz• Mozart beginnt zu komponieren, beendet die Arbeit aber rasch burger Sommer des ersten vollgültigen Festspieljahres 1922 mar• wieder. Sein Gespür für Dramaturgie ist untrüglich; dass ,,keine von kieren in der Aufführungsgeschichte auch einen Erkenntnisum- den zwey Haupt-Frauenzimmern" in den ersten beiden Akten in

Kultur spezial 15 ln ,,Casi fan tutte" (2013 in Salzburg): Malin Hartelius, Martin Mitterrutzner und Gerald Finley.

Erscheinung tritt, weist er als eklatanten Fehler zurück: ,,Einen Act brisanten Dialogen zwischen dem Titelhelden und dem Conte traue ich den Zusehern noch so viel Geduld zu, aber den zweyten Almaviva. Nur den letzten großen Monolog, den Beaumarchais sei• können sie ohnmöglich aushalten". Hingegen erkennt der Kompo• nem Barbier im fünften Akt gewidmet hatte, umging man für ,,Le nist sogleich die Chancen, die sich auf der Opernbühne für ein nozze di Figaro": Statt einer politisch aufrührerischen Arie singt ganz anderes Stück bieten, das hinter vorgehaltener Hand zum Figaro über die Untugend der Frauen. Doch wusste jeder Besucher Tagesgespräch wurde. Pierre Augustin Carron de Beaumarchais, der Uraufführung, die am 1. Mai 1786 im Burgtheater am Michaeler• Uhrmachermeister, Spion und Waffenschmuggler, hatte als Autor platz über die Bühne ging, was wirklich gemeint war, wenn der Ref• die französische Adelsgesellschaft in Aufruhr und gespenstisches rain angestimmt wurde: ,,Il resto no! dico", in der verbreiteten deut• Entzücken versetzt, indem er ein unzweifelhaft prärevolutionäres schen Übersetzung: ,,Das weit're verschweig' ich. Doch", fügt Figaro . .ck dichtete, in dem ein Graf von seinen Untertanten moralisch noch hinzu, ,,doch weiß es die Welt ... " Die .Welt" wusste tatsächlich in die Knie gezwungen wurde: ,,La folle journée ou Le mariage de Bescheid. Sie kannte ihren Beaumarchais und die Worte, die im Figaro" wurde als eine Art aristokratisch-dekadenter Nervenkitzel Theaterstück an dieser Stelle gesprochen werden sollten. in höchsten und allerhöchsten Kreisen herumgereicht, gelesen, Sie vernahm bei aller politischen Aktualität freilich auch die gespielt - und sollte auch in Wien Premiere haben. humane Botschaft von Mozarts Musik. Da Pontes grandiose Text• vorlage inspirierte Mozart zu den innigsten Menschenporträts, die Politisches Kalkül? , der ein paar Jahre spä• bis dahin auf der Opernbühne zu hören und zu sehen waren. ter in Mozarts Leben noch eine wichtige Rolle spielen sollte, stu• Momente wie die melancholische Auftrittsarie der Gräfin, die ent• dierte den ,,Figaro" mit seiner Wandertruppe ein und probte für zückend Klang gewordenen ,,Schmetterlinge im Bauch" des adoles• eine Premiere im kaiserlichen Kärntnertortheater, die am 3. Feb• zenten Charmeurs Cherubino, die selbstvergessen schöne, erotisie• ruar 1785 stattfinden sollte. Sie wurde im letzten Moment verboten. rende .Rosenarie" der Susanna berühren das Publikum bis heute Doch als Lesestoff war die Übersetzung von Beaumarchais' Drama bei jeder Aufführung des ,,Figaro". Vollends der einzigartige Augen• längst in allen Salons verbreitet. Mozart drängte da Ponte, den Stoff blick, in dem der entlarvte Graf vor seiner Frau auf die Knie sinkt: als Opernvorlage zu nutzen; und wie durch ein Wunder gab Joseph ,,Contessa perdono" - man übertreibt gewiss nicht, wenn man jene II., der den .Figaro" als Schauspiel verbieten ließ, Minute, die auf dieses Schuldbekenntnis folgt, zu seine Zustimmung zu einer Aufführung in musi• Pol1t1k, wenn es sein den außerordentlichen Augenblicken der euro• kalischer Form. Vielleicht war es auch politi• muss auch 1m 1nt1ms• päischen Kulturgeschichte zählt. sches Kalkül des Monarchen, dem es immerhin Was die Kunst der psychologischen Durchdrin• gelang, Unheil von seiner Haupt- und Residenz• ten Lebensbereich, gung betrifft, setzten da Ponte und Mozart in stadt abzuwenden. In Paris revoltierten die Bür• den folgenden beiden Werken noch zu. Wobei es ger 1789 und bereiteten der Bourbonen-Monar• bestimmt Mozarts nicht untyptisch ist, dass die Gesellschaft in der chie ein blutiges Ende. In Wien blieb es ruhig. M ktheater Hauptstadt des böhmischen Königreichs, in Man spielte den .Figaro" samt seinen durchaus us Prag, auf die brisanten Aussagen des ,,Figaro"

16 Kultur spezial noch euphorischer reagiert als jene in Wien. Die böhmischen Stände geben bei dem Autorenpaar unmittelbar nach der sensatio• nellen ,,Figaro"-Premiere eine neue Oper für das Prager Theater in Auftrag und erhalten ein Jahr später den ,,Don Giovanni", eine Oper über den ,,bestraften Wüstling", die an subtiler Verdichtung der Int• rige, an feinen zwischenmenschlichen Bezügen alles in den Schat• ten stellt, was zuvor im Musiktheater je versucht wurde. Auch hier winkt versteckt aufrührerisches Gedankengut. Wie sehr, zeigt die Tatsache, dass da Ponte für die Wiener Zensur ein eigenes. listig gefälschtes Textbuch drucken lässt: Es lässt den ersten Aufzug des Dramas unmittelbar vor Beginn des Finales enden und geht sogleich in den ,.Atto seconde" über. Warum? Zum einen fürchtete man einen Ein• ,,Don G1ovann1" spruch wegen der drastisch zugespitzten Dar• stellung der sexuellen Eskapaden des Titelhel• heißt auch den: Immerhin kommt es, wenn auch hinter der Szene, beinah zu einer Vergewaltigung der Zer• ,,Der bestrafte lina. Vor allem aber wäre den Zensoren ein Satz Wustl1ng" - verdächtig gewesen, den Don Giovanni anstimmt und in den alle Anwesenden herzhaft und zieht einstimmen: ,,Viva la libertà" heißt es da. Mozart befeuert den Ausruf mit Pauken und Trompeten doch alle in strahlender C-Dur. Zwar geht es vordergrün• Sympathien dig um die Maskenfreiheit auf Don Giovannis Fest, doch camoufliert da die Opernhandlung - auf s1cl1 wie im Fall von Figaros ,,Verschweigung" - den unmissverständlichen tieferen Sinn. .Also stirbt, wer Böses tat", lautete die Moral von Als Don Giovanni: lldebrando D'Arcangelo - der Geschicht' im Schlusssextett des Werks; ver- die Reise aus der Fulle ins Nichts. mut!ich war diese Conclusio aber schon bei den Wiener Reprisen des ,,Don Giovanni" gestrichen. Jedenfalls fehlte sie bei nahezu allen Aufführungen des .Don Juan" im 19. bis ins beginnende 20. Jahrhundert. Man schloss mit der Höllenfahrt des .bestraften Wüst• lings" und überließ das .Slttengericht" den Zuschauern, die nicht Infos selten auch heute noch Sympathie für den .Don Juan" empfinden. ,,Le nozze di Figaro" (Donna Elvira), Alain Coulom Haus für Mozart be (li Commendatore) u. a.; Spiel und Ernst. Das ist eine der großen Stärken des musikalischen Musikalische Leitung: den Wiener Philharmonikern Psychologen Mozart, der auch im folgenden, aus moralisierender Dan Ettinger dem Philharmonia Chor Wie1 Sicht noch viel heikleren Stück, keine seiner Figuren desavouiert. Regie: Sven-Eric Bechtolf Termine: 4. August, 19 Uhr ln ,,Cosl fan tutte" ist die Künstlichkeit mit dem viel kritisierten Ver• mit: Luca Pisaron1 (li Conte Al• (Premiere); maviva), Anett Fritsch (La Con• 7. August. 15.30 Uhr kleidungsschabernack auf die Spitze getrieben. Niemand kann tessa Almaviva). Anna Prohas• 9. August, 19 Uhr; glauben, dass die beiden Damen ihre Verlobten in Kostüm und ka (Susanna), Adam Plachetka 13. August, 19 Uhr; Maske exotischer Ausländer nicht erkennen. Doch die artifizielle (Figaro), Margarita Gritskova 18. August. 19 Uhr Schraube wird so lang gedreht, bis aus vorsätzlichem Spiel tiefer (Cherubino) u. a.; 21 August, 15 Uhr Ernst wird. ,,On ne badine pas avec l'amour" (,,Man spielt nicht mit den Wiener Philharmonikern, der Liebe") dichtete eine Generation später Alfred de Musset. der Konzertvereinigung Wiener ,,Cosl fan tutte" Mozart und da Ponte nehmen die bittersüßen Wirrnisse der Staatsopernchor Felsenreitschule Gefühle vorweg. Ein Jahrhundert Jang sperrte man sich gegen die Termine: 16. August, 19 Uhr Musikalische Leitung: Erkenntnis, dass da aus der frivolen Badinerie tiefe Gefühle (Premiere); 19 August, 19 Uhr; Ottavio Dantone erwachsen. Eine ekstatischere Musik als die, die uns den Fall der 22. August, 19 Uhr; Regie: Sven-Eric Bechtolf mit: Julia l

Kultur spezial Rolando Villaz6n gibt einen Liederabend ganz im Zeichen des Belcanto.

chon die alten Griechen wussten um die Macht des Gesanges: Nicht bloß Menschen, Tiere und auch S Götter kann der mythische Sänger Orpheus rühren, sondern sogar Steine erweichen. Als die Florentiner Camerata, ein Künstler• und lntellektuellenzirkel der italienischen Renaissance, rund um 1600 das antike grie• chische Drama wiederbeleben wollte, geschah das passenderweise ganz im Ver• Sie singen ihre trauen in die Musik - und die Oper wurde geboren. Aber nicht nur auf deren weltli• cher Bühne, auch in der Kirchenmusik und Seele im Konzertsaal, überall entfaltet die menschliche Stimme ihren unvergleichli• Was rührt schon so direkt an unser Herz wie chen Reiz als das privateste, verletzlichste, innigste Musikinstrument, das unsere ausdrucksvoller Gesang? Das Seele gleichsam ohne Umschweife in Festspielprogramm als Kaleidoskop der Schwingung versetzt. Die Kraft und die Herrlichkeit. Auch in sän• Stimmen und Stimmungen. Text: Walter Weidringer gerischer Hinsicht wollen die Salzburger Festspiele selbstverständlich und schon

18 Kultur spezial aus Tradition für höchste Qualität bürgen - selbst wenn man darüber streiten kann, worin diese eigentlich besteht. Anja Har• teros mit den ,,Vier letzten Liedern", Anne Sofie von Otter, Thomas Allen und John Tomlinson in der Uraufführung von Adès' ,,Exterminating Angel", Rolando Villazön mit Belcanto, Thomas Hampson mit Lie• dern nach Shakespeare-Texten, Placido Domingo als sittenstrenger und dann strau• chelnder Eremit in .Thaïs". Allein diese Bei• spiele zeigen, wie Stimmtypen, Reifegrade und auch Musikstile sowie deren Anforde• rungen variieren können. Gerade im Gesang geht es ja um das nur äußerst schwer über einen gemeinsamen Leisten zu schlagende, eigentlich für jede Stimme separat zu bewertende Zusammenwirken von vokaler Ausdruckskraft und techni• schen Fähigkeiten, von Komponenten also, die einander bis zu einem gewissen Grad · iingen und im schönsten Fall untrenn• Mauro Peter singt den Ferrando in .Cosl" Ünd Anja Harteros bringt Strauss· .,Vier letzte Lie•

L ~r miteinander verschmelzen, aber die .,Schone Mullerrn" in einem Liederabend. der" zum trauerumflorten Schimmern. manchmal auch divergieren können: zum Beispiel, wenn mit dem Vibrieren der Stimmbänder auch die Nerven nicht nur Minifestival im Rahmen der Ouverture spiri• wirkender Neunter (25. Juli) - und sogar von Tenören zu zittern beginnen. Das tuelle, das uns an die Eingliederung Salz• noch in Péter Eötvös' mit Augenzwinkern macht die Kunst des Singens freilich nur burgs ins Habsburgerreich im Jahr 1816 zu nehmendem ,,Halleluja" rund um einen noch aufregender. erinnert, zwei Konzerte in der Kollegien• stotternden Propheten (Uraufführung am Dazu passt, dass in der heurigen Ouverture l

Kultur spezial 19 Christian Gerhaher deutet Schubert und den ,.Abschied" aus Mahlers .Lied von der Erde".

rtthias Goerne singt Brahms' ,.Schöne Ma• gelone" und Mahlers ,.Kindertotenlieder".

» Wechsel der Zeiten zu den vornehmsten terrezitativen und Ballett. Gerade der viel• ihm sein Verleger abgeraten hatte, wenige Aufgaben der Festspiele: ln der Trias der schichtigen Titelfigur, die sich vom lebens• Jahre nach Massenets .Manon" denselben Da-Ponte-Opern, inszeniert von Sven-Eric überdrüssigen alten in einen vitalen jungen Stoff erneut zu vertonen: ein Schicksals• Bechtolfund dirigiert von so unterschiedli• Mann zurückverwandeln darf, wird zwi• werk. In privater Hinsicht wurde es das chen Maestri wie Dan Ettinger, Alain Alti• schen tenoraler Verve und lyrischem Zau• auch für Anna Netrebko, als sie im März noglu und Ottavio Dantone, sind vorwie• ber bis hinauf zum hohen C einiges abver• 2014 in Rom mit samtig-dunklem Sopran gend junge, frische Stimmen am Werle langt: Piotr Beczalas Faust findet im erstmals die expansiven Kantilenen der Dem weiten Land der Seele bei Mozart schwarzen Bass von Ildar Abdrazakov sein Partitur ausfüllte - und dabei in der Partie (siehe S. 14ff.) stehen in diesem Festspiel• teuflisch-dunkles Gegenstück. des Des Crieux Yusif Eyvazov kennen• sommer eine szenisch und drei konzertant lernte, mit dem sie mittlerweile verheiratet aufgeführte Opern des 19. Jahrhunderts Luxusgeschöpf und Nobelkurtisane. Ste• ist. Dass er nun an ihrer Seite sein Salzburg• gegenüber, das musikalisch mit dem hen bei Gounod noch die traditionellen Debüt feiert, macht die konzertanten Auf• Schlagwort .Rornantik" nur sehr unzurei• Tugenden des französischen Gesangsstils führungen unter Marco Armiliato gleich• chend und eigentlich irreführend umris• wie diction, clarté und élégance unange• sam zur Familienangelegenheit zwischen sen wird. Als romantisch, nämlich roman- fochten im Zentrum, also ein mit saubers• dem Paar und den beglückten Fans (l./4./7. ;ift im eigentlichen Sinn, mag freilich die ter Aussprache eng verbundener Vortrag, August). veritable Ausgrabung des Programms gel• der zudem einen schlanken, wendigen Ton Apropos Massenet: Den Hunger nach pri• ten, .. Il templario" nach Sir Walter Scott - voller Anmut und Wohlklang kultiviert, hat ckelndem Eros und musikalischer Exotik jenes Werks, dem die Musikwelt eigentlich sich in Italien dreißig Jahre später ein wusste am Ende des 19.Jahrhunderts kaum die Wiener Philharmoniker verdankt. Denn neuer Stil entwickelt. Dieser Verismo sah ein Komponist mit so sublimem Sentiment wäre sein Schöpfer Otto Nicolai nicht sich einer oft reißerischen Wahrheit ver• und funkelnden Klängen zu stillen wie er. wegen des großen Erfolges der Partitur pflichtet und erforderte von den Stimmen Auch .Thaïs" (1894), seine Oper über eine 1841 in Wien prompt als Hofopernkapell• weniger Kunst, dafür mehr naturalistische begehrte und bekehrte ägyptische Nobel• meister engagiert worden, hätte er das Dramatik, die später bis zum blanken kurtisane, ist übervoll mit harmonischer Meisterorchester nicht ins Leben rufen Gebrüll reichte. Von solchen Auswüchsen und melodischer Raffinesse, womit die können. Melomanen könnten sich keine hielt sich Puccini stets fern, doch ließ er Wendepunkte in einer tragischen Liebesge• virtuosere und zugleich noblere Besetzung sich vom Verismo sehr wohl beeinflussen. schichte zwischen Keuschheit und sündi• für diesen italienischen Belcanto aus der Mit ,.Manon Lescaut", seiner dritten Oper, gem Verlangen intensiviert werden. ln der Feder eines Deutschen wünschen: Juan gelang ihm 1893 der Durchbruch, obwohl Titelpartie ist die glänzende junge Kolora• Diego Florez gibt den Kreuzritter Ivanhoe, tursopranistin Sonya Yoncheva zu hören: Joyce DiDonato die schöne Jüdin Rebecca beste Voraussetzungen für ein Fest der (27./30. August). Sinne (16. August). Im Vergleich zu diesem vergessenen Juwel ist Gounods .Faust" rasch eine der interna• Die Junge Generation ist mit Intimität des Liedes. Die deutsche Roman• tional beliebtesten Opern überhaupt tik hingegen ist nicht vorstellbar ohne das geworden und geblieben - 1859 zunächst der Suche nach dem Origi• Lied, jene intime, zwischen erzählendem noch mit gesprochenen Dialogen, dann nalklang aufgewachsen. und erlebendem Tonfall so eigentümlich umgearbeitet zur Grand opéra mit Orches- schwebende Kunstform. Zu den zentralen

20 Kultur spezial Anu l

Werken der Gattung zählen die großen erneut ein Spätromantiker geworden - wurde Natalie Wood als Maria in den Zyklen wie etwa Schuberts ,,Schöne Mülle• oder gar ein Reaktionär? Mit Sicherheit hat Gesangsnummern vom Musical-Profi rin", am 21. August an der Seite Helmut er die Augen verschlossen vor einer Reali• Marni Nixon synchronisiert: Die grandiose Deutschs diesmal vom aufstrebenden tät der Diktatur, des Krieges und der Ver• Sängerin lieh ihre Stimme auch anderen Schweizer lyrischen Tenor Mauro Peter nichtung. Dass er aber zugleich an einer Hollywood-Stars wie Audrey Hepburn (,,My gesungen, der auch den Ferrando in .Cosi" alten, besseren Welt festhalten wollte, lädt Fair Lady") und Deborah Kerr (,,The King gibt - oder Brahms' .. Schöne Magelone". sein Werk doch auch mit spezieller Emo• and I") - ohne Namensnennung, versteht Der gerade im Liedgesang für seinen weich tion auf: Der Glaube an einen unaufhaltsa• sich. Ein Glück, dass dergleichen bei Cecilia strömenden Bariton gerühmte Matthias men, ins Bessere führenden Fortschritt ist Bartoli weder notwendig ist noch über• Goerne und die Pianistin Yuja Wang holen ja auch bestenfalls .Rornantik". haupt möglich wäre: Ihre Stimme ist unver• sich dafür den Schauspieler Ulrich Matthes Ein herbstliches Spätwerk ist jedenfalls kennbar. Aufregende, im Sinn der Roman• als Erzähler von Ludwig Tiecks - somit Strauss' .Liebe der Danae" (siehe S. 8ff.): tik ersonnene Seelenerkundungen stellt umfassend präsentierter - Ritterromanze Krassimira Stoyanova, die gefeierte Mar• auch György Kurtag in seinen .Kafka-Frag• an ihre Seite (9. August). schallin in Harry Kupfers Salzburger rnenten" an: komprimierte Miniaturen voll Dem unerschöpflichen Schubert widmen .Rosenkavalier", ist an der Spitze eines verblüffender Prägnanz, die die finnische si-:': am 31. Juli der Pianist Gerold Huber namhaften Ensembles unter der Leitung Koloratursopranistin Anu Komsi mit der u1._ Christian Gerhaher - jener Meistersin• Franz Welser-Mösts für die fordernde Titel• Geigerin Isabelle Faust aufschlüsselt (16. ger, der Wort und Ton mit höchster Präzi• partie aufgeboten. Strauss hat diese, weit August) - das intime Gegenstück zu Kurtags sion zum gemeinsamen Klingen bringt. Er mehr noch als die ,,Capriccio"-Gräfin, mit größer besetztem Liederzyklus .Botschaf• ist es auch, der mit Philippe Jordan und der Sopranistin Viorica Ursuleac im Ohr ten des verstorbenen Fräuleins R. V. Trous• dem Gustav Mahler Jugendorchester den geschrieben, der effektvoll aufblühende sova", die Natalia Zagorinskaya überbringt rätselhaft schwebenden .Abschied" aus hohe Cis und Des zur Verfügung standen. (6. August). Dass die menschliche Stimme Mahlers ,.Lied von der Erde" zelebriert (24. Der vokale Goldton steht hier im Dienst auch in der Gegenwart als musikalischer August): Allein wie die Stimme da mehr• einer ,.heiteren Mythologie" rund um Weh• Bedeutungsträger keineswegs ausgedient fach mit Anweisungen wie ,.ohne Aus• mut, Abschied und Verzicht. hat.ja, in einem neuen Trend zu narrativen druck", .ohne Espressivo" konfrontiert ist, Stücken sogar eine Art von Renaissance fei• macht diesen bewegenden Gesang zu Camouflage und Authentizität. Roman• ert, ist schließlich und ganz prominent in einem der mysteriösesten, schwierigsten tisch finden kann man getrost auch Leo• der Uraufführung von Thomas Adès sur• der gesamten Literatur. nard Bernsteins .. West Side Story" - dabei realistischer Oper ..T he Exterminating ln Mahlers düster-expressive .Kindertoten• Angel" (siehe S. 22f.) zu erleben. lieder" versenkt sich darüber hinaus Mat• Wie heißt es in Friedrich Cerhas ,,1. Keintate", thias Goerne mit den Wiener Philharmoni• deren Wiener Schmäh Nali Gruber am 12. kern und Zubin Mehta (6./7. August). Da August auskostet? ,.Wauni singa kent/wiara steht auch Bruckners Vierte, die .Rornanti• Das .nnme L1ecl schwebt kanari/daun wari/in gaunzn dog/schdüü/auf sehe", auf dem Programm - und stellt de oat/dedad i eich olle/schdrofm". Das Fest• erneut die Frage nach diesem schwer zu zwischen erzahlendem une! spielprogramm hingegen verspricht dem fassenden Begriff. Ist etwa Richard Strauss erlebendem Tonfall Publikum statt Strafe vokale Belohnungen in nach der kühnen Modeme seiner .Elektra" tausend Gestalten. -fl.

Kultur spezial 21 Anne Sofie von Otter. Große schwedische Thomas Adès. l

lm Luxus gefangen Mit der Opern-Uraufführung ,,The Exterminating Angel" nach Luis Bunuels ,,Der Würgeengel" kann der 45-jährige Brite Thomas Adès sein Gespür als einer der bedeutendsten

Opernkomponisten seiner Generation beweisen. Text: Walter Weid ringer

22 Kultur spezial ür gestandene Surrealisten und auch für Science-Fiction• fand Adès seine Geschichte in der Realität: ln Rückblenden erzählt Fans, die mit Zeitreise-Paradoxa vertraut sind, dürfte der das Werk das Leben der schönen Millionenerbin Margaret Whig• Fall klar sein: Die diesjährige Festspiel-Opernuraufführung ham, deren zweite Ehe mit dem Duke von Argyll 1963 in einem F haben wir eigentlich Woody Allen zu verdanken. Oder Skandalprozess geschieden wurde - nicht zuletzt aufgrund eines genauer: einer seiner Filmfiguren, nämlich dem amerikanischen Fotos, das die Herzogin beim Oralsex mit einem Unbekannten Drehbuchautor Gil. Der erlebt in der Liebeskomödie ,,Midnight in zeigt. Sie überlebte den Image-Knick jedenfalls mit überraschend Paris" Flashbacks in die Kunstgeschichte der Stadt und trifft dabei geringem gesellschaftlichen, dafür aber erheblichem finanziellen auch einen humorlos-steifen Spanier, der sich als Luis Buüuel her• Schaden. Ihr luxuriöser Lebensstil ließ sie schließlich verarmt ster• ausstellt. Gil schlägt ihm kühn vor, einen Film über eine Festgesell• ben. Adès und sein Librettist Philip Hensher stilisieren sie freilich schaft zu drehen, die den Ort ihrer Feier mysteriöserweise nicht weder zur Heiligen noch zur Hure oder zum reinen Opfer einer mehr verlassen kann. Doch der übellaunige Regisseur weist die bigotten Männerwelt, sondern zeichnen eine rätselhaft-vielschich• Idee als blanken Unsinn von sich. Und die Kenner kichern: Genau tige Figur. das ist nämlich der Inhalt von Buûuels surrealistischem Streifen .El Mit seiner zweiten Oper hielt der Shootingstar der britischen Korn• angel exterminador" aus dem Jahr 1962 - jener Film also, der die ponistenszene dann 2004 bereits Einzug in die heil'gen Hallen von Grundlage für Thomas Adès' Oper .The Exterminating Angel" lie• Covent Garden - und mit dem noblen Schauplatz schien der Griff fert, die ab 28. Juli im Haus für Mozart zu erleben ist. Eine illustre zu einem beliebten Sujet der Weltliteratur nur passend: .The Tem• Riege älterer bis neuer Opernstars mimt die angesichts ihrer Gefan• pest" nach Shakespeare nahm seit der Uraufführung auch zahlrei• genschaft bald verstörten Gäste aus Adel und gehobenem Bürger• che weitere Bühnen wie im Sturm, darunter die Wiener Staatsoper. tum: Die geschlossene Gesellschaft wird zur geschlossenen Abtei• Schon damals wollte Adès eigentlich Buriuels ,,Würgeengel" zu lung. Regie führt der irische Theatermacher Tom Cairns, von dem einer Oper machen, sah sich aber noch mit Urheberrechtsproble• a· -·, das Libretto stammt, am Pult des ORF fnen konfrontiert. Diese sind mittlerweile gelöst. Re. o-Symphonieorchesters Wien steht Tho• Ein Film als Opernvorlage. Luis Bunuels un sieht er seine dritte Oper gewissermaßen mas Adès selbst. surrealistischer ,.Wurgeengel" (1962). als .Kind" der ersten beiden, indem sie Society• Tragikomödie und das magisch umflorte Schick• Patentrezept? Künstlerisches Risiko! Woody sal von Shakespeares Schiffbrüchigen im Sur• Allens Filmszene ist freilich mehr als ein blo• realen miteinander vereint. ßer Insidergag. Denn in verblüffender Manier scheint sie, ihre eigenen Grenzen sprengend, Musikalisches Profil mit allen Mitteln. Zweiter zugleich etwas Wesentliches über die Musik Wegweiser zum Erfolg: Rollen, in denen Sänger• von Thomas Adès zu erzählen: Auch in ihr füh• darsteller glänzen können. Die .Dirty Duchess" ren nämlich manchmal zirkelschlüssige Ver• ist eine Glanzpartie für eine moderne Diva, die weise in die Musikhistorie und wieder retour, Glamour, Grandezza und die Tragik äußerer wie klingen Beziehungen quer durch alle Stilepo• ,,Man hort deutlich, innerer Abgründe zu verkörpern und auszudrü• chen an, die paradoxerweise geleugnet zu wer• cken weiß. Im .Tempest" sind die Interpreten den scheinen und dabei dennoch aufrechtblei• dass Thomas' Musik fast durchwegs extrem gefordert - aber haben ben. .Die alten Grundbestandteile" wirkten sie die Einstudierungshürden erst einmal über• .frisch und neu gehört und geordnet", fasste aus unserer Zeit wunden, setzen sich die Puzzlesteine aus extre• der britische Kritiker Andrew Porter den Sach• stammt Gle1chze1t1g men Lagen, mit historischer Bedeutung aufgela• verhalt einer jeweils auf die expressiven Erfor• denen Koloraturen, noblen Kantilenen und vie• dr ·isse sich einstellenden und dabei doch sind viele ihrer Kornpo- lem mehr zu konturenscharfen Porträts zusam• se.ostständig bleibenden Adès'schen Tonspra• wohlbekannt" men, die zugleich stark aufs Publikum wirken. che zusammen: ,,So leben Bach, Couperin, Ber• nen.er Audrey Luna reüssierte da mit Stratosphärenso• lioz, Sibelius, Berg - neu gehört, verstanden Anne Sofie von Otter pran als Ariel und ist im ,,Würgeengel" nun wie• und geliebt - in jener aufregenden zeitgenössi• der dabei - inmitten eines Ensembles, aus dem schen Klangwelt weiter, in die Adès seine nicht zuletzt die große schwedische Mezzosop• Zuhörer entführt:' Wenn er wüsste, warum seine Opern so erfolg• ranistin Anne Sofie von Otter hervorragt. reich seien, würde er das Patent verkaufen, scherzte der 1971 in London geborene Komponist vor Kurzem in einem Interview. Ganz aus unserer Zeit. Damit sind wir schon - drittens und Schon früh - und ganz seinem großen Vorgänger Benjamin Britten untrennbar verbunden mit den Gesangspartien - bei der Musik im entsprechend - konnte er auch als Pianist, Dirigent und Festivallei• Allgemeinen. Farbreich schillernde Klänge, die die Handlung ter im besten Sinn von sich reden machen. So groß die Geheim• zugleich illustrieren und dabei ungeniert Erinnerungen ans Barock nisse, Rätsel und rational unfasslichen, nicht berechenbaren Reste über die Romantik bis zur Atonalität aufrufen, aber das Geschehen ganz allgemein in der Kunst und besonders in der diffizilen Gat• doch auch emotional vertiefen, mit Bedeutung anreichern, auf tung der Oper auch sein mögen: Ein paar Bestimmungsstücke las• eine höhere Ebene heben, zu einem neuen Ganzen verschmelzen. sen sich schon ermitteln, die zwar nicht automatisch Erfolg erzeu• ,,Man hört deutlich, dass Thomas' Musik aus unserer Zeit stammt", gen, die aber umgekehrt an vielen gern nachgespielten Werken sagt von Otter. .Cleichzeitig sind viele Komponenten wohlbekannt, ablesbar sind - und das Nachspielen jenseits der Uraufführungen rhythmisch und harmonisch etwa. Das Werk spannt einen großen ist es ja, was eine tiefere Rezeption erst ermöglicht. Bogen, die Musik macht eine starke Entwicklung durch, genau wie die Charaktere." Adès selbst ist überzeugt: ,,Opern muss man auf Sexskandal, Zauberinsel, goldener Käfig. Da ist zunächst einmal instinktive Weise schreiben, oder man lässt es besser sein." In Salz• das Sujet, eine möglichst packende Story. Bei seinem Bühnenerst• burg lässt sich nun miterleben, wohin ihn sein Instinkt diesmal ling, der 1995 uraufgeführten Kammeroper .Powder Her Face", geführt hat. --f}.

Kultur spezial 23 György Kurtag. ein Meister cler Recluktio, cler Tone mit enormer Emotion aufladt.

Quartett der neuen Klänge

Friedrich Cerha, György Kurtag, Péter Eötvös, Thomas Ades. Gleich vier Komponisten der Gegenwart rückt Salzburg contemporary ins Zentrum - und lässt ihre Werke in anregenden Austausch mit der Tradition treten.

Text: Walter Weidringer

Péter Eötvös' Musik tragt Theater in sich, auch sein neues Stotteroratonum.

Friedrich Cerha hat einen Traum als .Eine blassblaue Vision" Klang werden lassen.

24 Kultur spezial omit verdienen Opernregisseure ihr Geld? Sie inter• plötzlich vermisst, ja es stellte sich heraus, dass er nie dort einge• pretieren die von Librettisten und Komponisten troffen war. Erst nach geraumer Zeit konnten ihn die Besorgten geschaffenen Werke nach ihrem eigenen, hoffentlich aufstöbern - in der Garderobe der Musiker, die zuvor beim Festakt W besten künstlerischen Wissen und Gewissen, bringen aufgetreten waren. Kurtag hatte sie, die Welt um sich herum ver• ;ie mehr oder minder neu auf die Bühne. Damit bilden sie einen gessend, in penible, aber unerhört fruchtbare Proben verwickelt ... Ier einflussreichsten (und keineswegs immer beliebtesten) Fakto• ·en im Musiktheaterbusiness. Wie aber kann es klingen, wenn ein Von Wurzeln und Novitäten. Wie schön, dass in Salzburg in Kur• Komponist den Spieß umdreht? Wenn er Regisseure auf musikali• täg'scher Manier ,,komponierte Programme" zu erleben sind, also sehe Weise deutet und von seinem persönlichen Blickwinkel aus beziehungsreich ersonnene Werkabfolgen, die zusammen für JOrträtiert? Peter Eötvös hat 1986 vier Große der Zunft in einem Interpreten wie fürs Publikum mehr ergeben als bloß die Summe Vorspiel" und drei .Szenen" zu Klang werden lassen: Peter Brook, ihrer Teile: Da greifen etwa mit Pierre-Laurent Aimard am Klavier Luc Bondy, Klaus Michael Grüber und Patrice Chéreau. Das schil• Kurtags ,,Hommage à R. Sch." mit Kammermusik eben dieses lernde, freilich rein instrumentale Ganze heißt ,,Chinese Opera". Robert Schumann sowie mit Kurtag-Hommagen jüngerer Kollegen \Jicht weil Eötvös darin konkret auf die chinesische Oper anspielen ineinander (14. August), da treten beim Calder Quartet Kurtags würde, sondern weil diese gerade durch eine Fülle lokaler Traditio• ,,Moments musicaux" mit Schuberts Streichquartett ,,Der Tod und nen und Spielarten geprägt wird. Das Klangforum Wien, weltweit das Mädchen", aber auch mit dem auf Schubert bezogenen Streich• eines der virtuosesten Ensembles für die Musik der Gegenwart, quartett .. Arcadiana" und dem Klavierquintett von Thomas Adès in wird in Salzburg diesen wortlosen Theater(macher)reigen Revue Verbindung (2. August). Und das Klangforum spürt den Wurzeln passieren lassen, am Pult steht der Komponist selbst (I. August). Kurtags und Cerhas bei Anton Webern nach (6. August). Mit besonderer Spannung aber werden die beiden großen Urauf• Ausdrucksgewalten. Vom Quartett der Regisseure en détail zum führungen im Konzertprogramm der Festspiele erwartet. Zum Quartett der Komponisten en gros - denn gleich vier bedeutende einen steht eine Cerha-Novität für Orchester an, die Cornelius Tonschöpfer aus drei Generationen rücken in diesem Festspiel• Meister mit elem ORF Radio-Symphonieorchester Wien am 11. sommer bei Salzburg contemporary ins Zentrum: die beiden großen August aus der Taufe hebt. ,,Eine blassblaue Vision" (2013/14) Neunziger, Friedrich Cerha und György Kurtag, dann der 1944 basiert auf einer morgendlichen Erscheinung des Komponisten, im geborene Péter Eötvös sowie schließlich Thomas Adès, mit 45 Jah• für ihn kreativ immer wieder besonders anregenden Dämmerzu• ren gerade halb so alt wie die beiden Nestoren in diesem Bunde stand zwischen Schlaf und Wachen. Cer ha erzählt von einer umne- und mit der Uraufführung der Oper .The Exter• belten, pulsierenden Gestalt: ,,In zartes Licht minating Angel" (siehe S. 22f.) auch besonders im Bei allen gehüllt, stand die Gestalt zunächst vor einem Rampenlicht. nachtschwarzen Hintergrund. Mit zunehmen• Bei allen radikal unterschiedlichen Lebenswe• Unterschieden eint der Nähe zum Erwachen löste sie sich langsam gen durch die Zeitläufte, stilistischen Eigenhei• die

Kultur spezial 25 ln der Rolle der Maria. Cecilia Bartoli, Gustavo Dudamel. Er dirigiert die ,,West Künstlerische Leiterin der Pfingstfestspiele. Side Story" in Salzburg.

Broadway-Elan und Operntiefsinn Mit Stars wie Cecilia Bartoli und Gustavo Dudamel verspricht Bernsteins geniale ,,West Side Story" in der Regie von Philip Wm. McKinley nach der Premiere zu

Pfingsten auch ein Highlight des Festspielsommers zu werden. Text: Walter Weid ringer

26 Kultur spezial ie Wiener Philharmoniker hat Gustavo Dudamel eigent• verlegter Version des Romeo-und-Julia-Stoffes mit dem Simon lich schon mit sieben Jahren dirigiert: 1988 in seiner Hei• Bolivar Symphony Orchestra unter Gustavo Dudamel auf die matstadt, Barquisimeto in Venezuela. Damals hatte der Bühne der Felsenreitschule kommt, ist für Cecilia Bartoli ,,ein veri• D Sohn einer Gesangslehrerin und eines Posaunisten seine tabler Coup", denn: ,,Niemand kann wohl die Sharks so temporeich Spielsachen als Orchester vor sich arrangiert und schwang mit Hin• und rhythmisch antreiben wie siebzig Latinos im Orchestergraben! gabe den Kochlöffel zu den Schätzen der elterlichen Plattensamm• Und die Amis, die Jets vom Broadway, werden mit ihren von Regis• lung, darunter natürlich auch Aufnahmen mit Leonard Bernstein. seur Philip Wm. McKinley und seinem Team konzipierten Tanz• Bis zu Dudamels wirklichem Debüt am Pult der Wiener sollten und Shownummern mit dem mitreißenden Sound aus dem Graben zwar noch 19 Jahre vergehen - aber vor einem realen Orchester wetteifern." stand der kleine Gustavo dennoch schon wenig später, nämlich mit Die Künstlerische Leiterin der Pfingstfestspiele, genau wie der Diri• zwölf. Seine rasch erkannte Begabung führte dazu, dass er neben gent schon in jungen Jahren berühmt geworden, aber nach wie vor dem Violinunterricht bald auch Dirigieren studieren konnte ... the ein vor positiver Energie nur so sprühender Star ohne störende rest is history. Möglich gemacht hat das alles .El Sistema", das Allüren, fügt der Reihe der starken Frauen, die sie in den vergange• umfassende venezolanische Musikschulprogramm, das eigentlich nen Jahren in Werken des 18. und 19. Jahrhunderts hier verkörpert ~- machst als hauptsächlich soziale Förderung gedacht war. hat, nun die .möderne" Maria hinzu. Etwaiger Kritik an der Pro• grammierung eines Musicals im hehren Kunsttempel nimmt sie Einer unter vielen. Doch mittlerweile hat das System nicht nur sogleich den Wind aus den Segeln: Genau wie Bernsteins ,,Candide" unzähligen Kindern und Jugendlichen des Landes eine erstklassige sei auch die ,,West Side Story" ,,in einem eigenen Zwischenbereich musikalische Ausbildung ermöglicht, sondern darüber hinaus zwischen Oper, Operette und Musical" angesiedelt: Die beiden auch fixe Größen im internationalen Musikleben geschaffen: Die Werke integrierten zwar ,,die damals aktuellen Tendenzen der Besten spielen im Orquesta Sinfönica Simon Bolïvar, dem Dudamel Unterhaltungsmusik und des Jazz, in jedem Fall aber auch der Klas• seit seinem 18. Lebensjahr als Chefdirigent vorsteht - wobei er sik und sogar der Neuen Musik! Die hochkomplexe Orchesterparti• sich bis heute nicht als deren abgehobener Maestro fühlt, sondern tur und viele der stimmlich anspruchsvollen Solopartien können als ein Bruder unter vielen Geschwistern einer nur von klassisch ausgebildeten Leuten großen Musikerfamilie. .Auf die Partie der bewältigt werden - das hat ja Bernstein selbst Daran haben auch sein prestigeträchtiger Chef• mit seiner legendären Aufnahme bewiesen, für posten in Los Angeles und seine regelmäßige Maria freue ich mich die er Kiri Te Kanawa, José Carreras, Tatiana Zusammenarbeit etwa mit den Berliner und Troyanos und Marilyn Horne holte." Wiener Philharmonikern nichts ändern kön• wie ein Kind und kann nen. Letztere haben ihm sogar mit der Ver• es kaum erwarten, ihre Wie beim ersten Mal. So sieht sie die Unterneh• pflichtung für das Neujahrskonzert 2017 eine mung keineswegs als Experiment oder gar Grat• ihrer größten Ehren zuteilwerden lassen: Mit Hits anzustimmen I" wanderung an, sondern als die Erfüllung eines knapp 36 wird er der jüngste Dirigent des Traums: ,,Auf die Partie der Maria freue ich - -~ltweit übertragenen Musikereignisses sein. Cecilia Bartoli mich selbst wie ein Kind und kann es kaum . , mpathisches äußeres Zeichen für Dudamels erwarten, Hits wie ,Tonight', ,One Hand, One unvermindert bescheidene Haltung ist die Tatsache, dass er den Heart', .I Feel Pretty' und .Sornewhere' anzustimmen", jubelt sie. durchwegs frenetischen Publikumsjubel niemals auf dem Podest, Die ungebrochene soziale Relevanz des Stückes rund um sondern immer Schulter an Schulter mit seinen Freunden im Geschlechterrollen, gesellschaftliche Brüche und die Akzeptanz Orchester entgegennimmt. Ja, Jubel: Zusammen haben sie die kul• von Zuwanderern liegt dabei auf der Hand. turellen Hochburgen des alten Europa, darunter gerade auch die Darüber hinaus hat sich die Bartoli vorgenommen, die Vielschich• Salzburger Festspiele, längst im begeistert-begeisternden Sturm tigkeit und Tiefe von Bernsteins Partitur zu ihrem Recht kommen erobert - ohne Kampf, sondern lächelnd, nur mit der geballten zu lassen. Deshalb trete ein Team an, ,,das alle Aspekte vereint: im Kraft ansteckenden Elans und unbändiger Liebe zur Musik. Blut eine unbändige Energie und lateinamerikanische Rhythmen, Virtuosität und Flexibilität, eine Nähe und Liebe zum Idiom sowie Leitstern Bernstein. .Als ich Gustavo dirigieren sah, erkannte ich da, wo es die Partien erfordern, eine große Erfahrung mit amerika• diese Energie und Genauigkeit des Ausdrucks wieder", stellte nicht nischem Musiktheater. Gleichzeitig machen wir natürlich auch zuletzt Jamie Bernstein mit Bewunderung fest: ,,Ich hatte das alles Theater. Unser internationales Creative Team besteht aus Leuten, schon früher erlebt." Aus den Händen der Tochter des großen die gleichermaßen Erfahrung im Showbusiness wie auf der Thea• Dirigenten und Komponisten durfte Gustavo Dudamel 2014 den terbühne haben. Unsere Aufführung soll eine Balance zwischen Leonard Bernstein Lifetime Achievement Award for the Elevation der musikalischen und der szenischen Seite des Werks herstellen. of Music in Society empfangen. Nicht von ungefähr zählen die Vor allem soll es das Publikum begeistern und berühren, so, als mitreißenden .Symphonic Dances" aus der ,,West Side Story" zu erlebte es die ,West Side Story' zum ersten Mal!" den Visitenkartenwerken der jungen Venezolaner, in denen Cool ,,Wir geben unser Bestes, um durch Musik Hoffnung, Harmonie und Jazz und südamerikanische Rhythmen explosiv aufeinandertref• Liebe zu bringen", sagte Gustavo Dudamel bei der Verleihung des fen. Dass nun in Salzburg zu Pfingsten und im Sommer eine Neu• Bernstein-Preises - und traf damit genau das, was der Komponist produktion von Bernsteins unsterblicher, ins ew York der 1950er der ,,West Side Story" wollte. -Ji.

Kultur spezial 27 Grigory Sokolovs Auftritte sind fur viele besondere Hohepunkte im konzerqahr. irtuosität am Klavier - man assoziiert das Wort zunächst vielleicht mit Klängen von Franz Liszt, von Sergei Rach• maninow. Die kommen bei den Salzburger Festspielen zu V Ehren, denn zwei prominente Solistinnen, die Grande Dame Martha Argerich und die junge, feurige Khatia Buniatishvili haben sich Klavierkonzerte der genannten Meister für ihre Fest• spielauftritte 2016 ausgesucht. Die Argerich spielt Listzs Es-Dur• Konzert, ein Stück, das schon anlässlich der ersten Aufführungen die Geister schied. Romantischen Überschwang orteten die einen, Chaos die anderen. Der gestrenge Wiener Kritiker Eduard Hanslick sprach zynisch vom ,,Triangelkonzert". Er konnte Liszt nicht aus• stehen und spöttelte, weil der Komponist, ungewöhnlich genug, in sein Werk ein Scherzo einfügte und dieses auch noch - wohl einzig• artig in der Musikgeschichte - mit einigen Solotönen des Triangels anheben ließ. Freilich: Dem Klavier bleibt genug zu tun an kraftvol• ler Oktaven-Attacke, aber auch lyrischer Entfaltung. Was Liszt hier innerhalb von kaum 25 Minuten an expressiven Virtuosität Gegensätzen vereint, findet sich auch in Rachmaninows viel später entstandenem c-Moll-Klavierkonzert, das manche wiederum als Vorläufer der Hollywood-Filmmusik deuten; und doch: Die heftig nach außen tönenden Gefühlsaufwallungen sind auch bei dem russischen Meister formal klar und sicher gebündelt. Irgendwie scheint noch immer die klassische Konzertform durch, die etwa bei Andras und nach innen Schiff im allerletzten Konzert dieses Festspielsommers zu Ehren kommt: Der ungarische Pianist musiziert mit dem Gewandhausor• chester aus Leipzig unter Herbert Blomstedt Beethovens Fünftes. Die Pianisten der Salzburger Festspiele Schiff gehört auch zu den Auserwählten, die heuer im Rahmen des Festivals ein Solorecital spielen. vereinen das Wissen um das Gestern Wie alle Kollegen hat er Musik von Robert Schumann in seinem Programm - allerdings ist er der Einzige, der seinem Abend durch wie um das Heute, das Gespür für Hinzuziehung ganz besonderer Gäste eine dramatische Note ver• Gefühle wie für Visionen. leiht. Mit Schiff ziehen diesmal die Spieler des Salzburger Mario• nettentheaters in den Konzertsaal ein und machen Kompositio• Text: Wilhelm Sinkovicz nen, die ausdrücklich etwas mit ihrem Metier zu tun haben, zu

28 Kultur spezial Maurizio Pollini. Der Pianist gehört zu den Rudolf Buchbinder ist schon lang Andras Schiff tritt heuer mit dem Salzbur• Salzburger Fixstartern. selbstverständlicher Gast der Festspiele. ger Marionettentheater auf

einem ungewöhnlichen Klangtheater: .Cetanzt" wird zu Robert ner in Schutz nahm und ihn vom angeblichen Lordsiegelbewahrer hurnanns .Papillons" und Claude Debussys ,,Boite à jouxjoux" der klassischen Form zum Fortschrittlichen stempelte. Gerade in «ier ,,Spielzeugschachtel"). den späten Klavierwerken fand der Vater der musikalischen Modeme höchst originelle, zukunftsweisende melodisch-harmoni• Den Bogen spannen. Mit der .Arabeske" beginnt auch Grigory sche Entwicklungen, fantastisch wuchernde, unsymmetrische Sokolov seinen diesjährigen Salzburger Abend. Der bedeutende Strukturen. russische Interpret macht nun schon seit Jahren regelmäßig im Es ist Arcadi Volodos, der die Salzburger Hörer diesmal anregen Großen Festspielhaus Station. Dass seine Auftritte von vielen als wird, Hörgewohnheiten zu hinterfragen. Auch er spielt in seinem besondere Höhepunkte im Konzertjahr begriffen werden, verdeut• Programm Schumanns .Papillons" und kombiniert sie mit Brahms' licht die Tatsache, dass nun schon von mehreren der Salzburger nicht minder freien, epischen Intermezzi op. 117, in denen sich tra• Gastspiele auch CD-Mitschnitte in den Handel gelangt sind, die gisch versonnene, introvertierte Monologe finden, die wie Tage• Sokolovs klug aufgebaute Programme und deren immense inhaltli• buchaufzeichnungen anmuten, die gar nicht für die öffentliche che und dramaturgische Spannung dokumentieren. Diesmal geht Zurschaustellung taugen. Sokolov von Schumanns zarter .Arabeske" aus und schwingt den Bogen über die große C-Dur-Fantasie und einige der Nocturnes von Frühe Extravaganzen. Wer da meint, dergleichen ln-sich-Versin• Chopin zu dessen b-Moll-Sonate, ken sei eine Errungenschaft der Spätromantik, irrt gewaltig. Volo• Das bedeutet einen zweimaligen Anlauf von der kleinen, poeti• dos· Konzert mündet in Franz Schuberts große A-Dur-Sonate aus schen Form zur Neudeutung der klassischen Sonate, wobei in bei• der Trias der Klaviersonaten aus des Komponisten letztem Lebens- den Fällen, bei Schumann wie bei Chopin, pro- jahr. Da stößt Schubert, wiewohl auf den Spu• grammatische Inhalte suggeriert werden. Im Die Meister der ren der Wiener Klassik wandelnd, das Tor zur 11 der b-Moll-Sonate mit ihrem berühmten subjektiven Romantik weit auf: lm langsamen , rauermarsch liegen die Assoziationsmöglich• Romantik selbst sug- Satz dieses selten gespielten Werks scheint sich keiten auf der Hand; der gespenstisch vorüber• die Musik einmal völlig zu verlieren, klingt, als huschende Finalsatz, der alles andere als ein gerieren Verbindun• ob sie taumelte, aus der Zeit und der Realität zu affirmatives Ende der Erzählung mit sich bringt, gen, an die spatere stürzen drohte; ein irritierender Moment, der spricht für sich. Auch Schumann umgeht das viel von den Brüchen und harten Schnitten der .Final-Problem", indem er sein Werk, das auf Generationen nicht frühen Modeme vorwegnimmt. Derlei Extrava• Beethoven Bezug nimmt und das große Vorbild ganzen stehen ja laut Musikgeschichtslehrbuch auch zitiert, nicht Sonate, sondern Fantasie mehr denken erst bei Gustav Mahler oder der Schönberg- nennt und mit einem langsamen, freilich zwei- Schule auf dem Programm. mal hymnisch gesteigerten langsamen Satz schließen lässt. Die Ein Pianist, der um solche Querverbindungen weiß, ist Maurizio Fantasie ist, wiewohl durch die Erinnerung an Beethoven angeregt, Pollini. Er gehört zu den Salzburger Fixstartern und unternimmt es Franz Liszt gewidmet - der nach Ansicht vieler späterer Kommen• diesmal nicht, seine Hausgötter Schumann und Chopin auch noch tatoren doch Schumanns Antipode war, der dem Kollegen aber als mit Musik des 20.Jahrhunderts anzureichern. Kollege Rudolf Buch• Revanche seine in einem durchgehenden Satz gearbeitete h-Moll• binder, über Jahre hin auch selbstverständlicher Gast bei den Fest• Sonate zueignete. spielen, führt die historische Linie diesmal an die Wurzeln: Er Oie Meister der Romantik selbst suggerieren Verbindungen und bezieht Schumanns .Carnaval" mit dem hintergründigen Masken• Verwandtschaften, an die spätere Generationen nicht mehr den• spiel auf zwei Beethoven-Sonaten und die späte, gewichtige Es• ken. Da ist viel falsches Gedankengut im Spiel, ein Richtungsstreit Dur-Sonate von Joseph Haydn. Und man wird dabei staunen, wie zwischen vermeintlich avantgardistischen und vermeintlich kon• wenig klassisch sich schon dieser Komponist in der scheinbar servativen Komponisten. Arnold Schönberg hat in einer gewichti• engen formalen Sonatenform bewegt. Auch Haydn war schon ein gen Wortmeldung dergleichen Verallgemeinerung über den Hau• Geschichtenerzähler, der zumindest im Geist die Marionetten tan• fen geworfen, indem er etwa Johannes Brahms gegen seine Lobred- zen ließ. -tJ.

Kultur spezral 29 Die Dynamik der Jungen im l(onzertsaal Es ist nicht, wie mancher meint, die Optik, die den Klassikbetrieb immer jugendlicher aussehen lässt: Die Jungen sind exzellente Musiker. Text: Wilhelm Sinkovicz

30 Kultur spezial s ist zuletzt oft bemerkt worden, der sich, wie da zu hören sein wird, nicht dass Klassikkünstler und vor allem nur (man denke an seine ,,Lustigen Weiber -künstlerinnen in jüngster Zeit auf von Windsor") auf die deutsche Spieloper, E Plakaten oder CD-Covern aussähen sondern auch auf lupenreinen italieni• wie Models. Das hat etwas Wahres, doch schen Belcanto verstanden hat. sieht man die Sache verkürzt, wollte man Ob in film reifen Inszenierungen oder - wie das Phänomen optischer Attraktivität im - Countertenor Bejun Mehta im Rahmen doch per definitionem aufs Ohr konzent• eines barocken Kantatenabends über .zit• rierten - musikalischen Geschäft als neu• ternde Herzen" (,,mi palpita il cor" am 3. zeitliche Erfindung brandmarken. August): Mit der optischen Präsenz ist es l

Kultur spezial 31 )) lina in Mozarts .Don Giovanni" und heuer absolviert. Mit 26 gewann sie den Echo• wohl auch bei ihrem Debüt als Susanna im Preis, niemand Geringerer als Martha Arge• .Figaro" gekonnt um den Finger wickelt - rich holte die junge Kollegin zu ihrem Pro• Dirigiert das RSO Wien: ,,Nestlé and Young dank vokaler und artikulatorischer Perfek- getto-Festtval, Wiens Musikverein und Conductors Award"-Preistrager tian auch auf dem Konzertpodium zu fes• Konzerthaus schickten Buniatishvili 2012 Lorenzo Viotti. seln. Sie tut es heuer gegen Ende der als Rising Star um die halbe Welt. Festspiele wieder im Verein mit Veronika Der mittlerweile 32-jährigen Russin Alina Eberle & Friends im Mozarteum (26. Pogostkina ging es nicht ganz so gut, nach• August), wenn Werke von so unterschiedli• dem ihre Familie im Zuge der Perestroika chen Meistern wie Giovanni Battista Pergo• in den Westen ging. ln Heidelberg spielte lesi, Franz Schubert und Anton von Webern die junge Geigerin in der Fußgängerzone, auf dem Programm stehen. bei kleinen Festen oder in Kir- 01 e Offnung 1m mehr chen,ehesieinChristophPop• Dynamisch. lm selben Saal pens Violinklasse in der musiziert drei Tage vorher das und mehr von Berliner Hanns-Eisler-Musik• Quatuor Ébène, ein Ensemble Jugendlichen Ge• hochschule Aufnahme fand. von vier jungen Musikanten, Von diesem Moment an war dem es gelungen ist, das gera• sichtern beherrsch• die Karriere nicht mehr aufzu• dezu heilige Streichquartett halten. Pogostkina musiziert ohne jede Entweihung mit ten l

32 Kultur spezral Mit Musik verzaubern Für die jüngsten Zuhörer bieten die Salzburger Festspiele heuer unter anderem eine Adaption von Henry Purcells ,,Fairy Queen" - nach Motiven von

Shakespeares ,,Sommernachtstraum". Text: Daniela Tomasovsky

er kann besser zaubern? Titania oder Obe• Oper aufgeführt. Für Kinder, die auch gern selbst einmal ron? Der Elfenkönig Oberon und seine auf der Bühne stehen möchten, bieten die Salzburger Frau Titania streiten so heftig darüber, dass Festspiele szenische Einführungsworkshops als Vorbe• W selbst die Jahreszeiten durcheinandergera• reitung auf die Kinderoper an: Bei ,.Spiel und Spaß mit ten. Ja sogar die Aufführung stürzt ins Chaos. Eine Zau• Purcell" - jeweils vor den Aufführungen - lernen die Kin• '--~rblume soll Abhilfe schaffen. Wird es der Waldgeist der die Figuren und Handlung des Stücks, aber vor allem JCk schaffen, Frieden zu stiften oder wird er nur noch die Inszenierung der Oper spielerisch kennen. Auf krea• mehr Unordnung hineinbringen? Die .,Feenkönigin" tive Art und Weise ermöglichen die Einführungen den nach Motiven aus William Shakespeares .Sornmer• jungen und jüngsten Besuchern der Festspiele, Oper nachtstraurn" und Henry Purcells .,The aktiv zu entdecken. Fairy Queen" ist die heurige Kinderoper der Salzburger Festspiele. Sie entführt das Karrieresprungbrett für junge Sänger. junge Publikum in die zauberhafte Welt der Gesungen wird die .. Feenkönigin" von den Feenkönigin Titania. Mit dem Shakespeare• Sängerinnen und Sängern des Young Sin• Original hat die Kinderfassung allerdings gers Project (YSP). Dieses Programm zur nur am Rand zu tun. .Jm ,Sommernachts• Nachwuchsförderung wurde von den Salz• traurn' geht es um das große Thema Liebe. burger Festspielen vor acht Jahren als Kar• Den Plot haben wir etwas kindgerechter rieresprungbrett für junge Talente ins gestaltet. Henrik Albrecht und ich haben Leben gerufen. eine Spielfassung erstellt, die sich für Kin• Im Rahmen des YSP-Programms erhalten der ab sechs Jahren eignet. Wir haben junge Nachwuchskünstler aus aller Welt die dabei nicht versucht, Shakespeares Spra• Möglichkeit, an Meisterklassen mit Fest• che zu imitieren," sagt Regisseurin Elena spielkünstlern (etwa Kammersängerin Tzavara. Christa Ludwig, Ann Murray, Thomas Hampson, Malcolm Martineau) teilzuneh• ~ründerin der ersten Kinderoper. Tzavara men sowie an Produktionen der Salzburger weiß, wie man Kinder für Oper begeistert: Festspiele mitzuwirken. Neben der .Feen• Die 38-Jährige hat fünf Jahre lang die Kin• königin" werden die Young Singers auch in deroper in Köln geleitet - europaweit das anderen Produktionen zu sehen (und vor erste eigene Opernhaus für Kinder und allem zu hören) sein. Außerdem präsentie• Vorbild für die Kinderoper auf dem Dach ren sie sich am 25. August in einem der Wiener Staatsoper. Sie war lange Zeit Abschlusskonzert im Großen Saal des als Regieassistentin und Produktionsleite• Mozarteums. rin bei den Salzburger Festspielen tätig und hat bereits im Vorjahr den .Barbier von Günstige Tickets. Neben den alljährlich Sevilla" für Kinder auf die Bühne gebracht. Die Musik der Das Plakat zur ausgebuchten Operncamps fördern die Salzburger Fest• .Feenkönigin" ist original von Henry Purcell - Henrik l

Kultur spezial 33 Sonya Yoncheva gibt die Titelheldin in .Thais".

Juan Diego Florez ehrt den Meister der deut• schen Spieloper, Otto Nicolai.

Anna Netrebko liebt, lebt und leidet als Puccinis Manon Lescaut.

Placido Domingo lasst sich in Massenets .Thais" von Sonya Yon• cheva bezirzen.

Superstars und rare Schätze Die Sängerelite erschließt dem Festspielpublikum in konzertanten Aufführungen heuer besondere Preziosen aus dem Opernrepertoire.

Text: Wilhelm Sinkovicz eich pulsierendes Leben in der Gattung Oper steckt, Wiener Philharmoniker, indem er mit dem Orchester der kaiserli• offenbart sich immer wieder anlässlich konzertanter chen Oper symphonische Konzerte veranstaltete. Aufführungen. Zwar stellt die Präsentation eines W Musiktheaterwerks im Konzertsaal eine Art von Per• Rittern um die Liebe. Der Rest ist Geschichte, zum Teil auch Salz• version dar, denn der Wortteil Theater scheint dadurch obsolet zu burger Festspielgeschichte, denn seit Gründung des Festivals sind werden. Und doch: Die Musik, die bei dieser Umwidmung als ein• die Philharmoniker in Oper und Konzert dort das führende Orches• zige treibende Kraft bestehen bleibt, hat, so scheint es, theatrali• ter. So ist es nur richtig, dass auch sie es sind, die bei .. Il templario", sches Potenzial genug, um einen Abend lang den Ausfall der quasi der nun sein Österreich-Debüt in der Originalsprache feiert, unter systemimmanenten Szene vergessen zu machen. Andrés Orozco-Estrada zündend begleiten, wenn Luca Saisi den Immer wieder bekennen Opernfreunde, aus guten konzertanten Titelhelden singen wird - und Juan Diego Florez, den Musikern in Aufführungen denselben Gewinn gezogen zu haben wie aus eben• Belcanto-Partien wie dieser aus ihrem Wiener Staatsopern-Brotbe• solchen inszenierten. Ganz zu schweigen von missliebigen szeni• ruf bestens vertraut, den Vilfredo. eine Partie, die alle Register des schen Verballhornungen, die manch sensiblen Geist schon des Tenors fordert, das Allerhöchste zuvörderst, und die gespickt ist öfteren dazu gezwungen haben, während einer Produktion die mit Vokalfinessen. Was wiederum erklärt, warum sich ein Spitzen• Augen zu schließen. Im Fall der konzertanten Aufführungen der tenor wie Florez gern für eine derartige Rarität einsetzt. Salzburger Festspiele 2016 dürfte die Besetzungsriege garantieren, .,Il templario" ist erst vor einem knappen Jahrzehnt durch ein klei• dass den Besuchern bei ,,Manon Lescaut", .Thaïs" und ,,Il templa• neres deutsches Operntheater der Vergessenheit entrissen wor• rio" nichts abgehen wird. Da ist Anna Netrebko, die die Titelheldin den, doch bekamen manche bedeutende Solisten Lust, sich an die• in Giacomo Puccinis Version der .Manon" des Abbé Prevost dar• ser spannenden Aufgabe zu beweisen. Die Dame, die bei den Auf• stellen wird. Das Verb ist bewusst gewählt: Diese Sängerin braucht führungen am 27. und 30. August 2016 im Großen Festspielhaus keine Bühnenbilder, keine Kostüme, keine besonderen Beleuch• zwischen dem Tempelritter und dem Ritter Wilfried steht, ist eine •··'lgseffekte, um sich mit Haut und Haar - und Stimmbändern - in der gefeierten Mezzosopranistinnen unserer Zeit: Joyce DiDonato ~--·e vollblütige Bühnenfigur zu verwandeln. singt die Rebecca, der Hexerei angeklagt. Um ihre Errettung vom Scheiterhaufen liefern beide Herren einander ein Duell. Zwar siegt Besondere Debüts. In diesem Fall steht sie - eine Salzburger Pre• der Tenor und Rebecca gesteht ihm ihre Liebe; doch die Pflicht ruft miere nach vielen umjubelten Netrebko-Auftritten in den vergan• - wie einst Lohengrin seine Elsa muss Wilfried Rebecca verlassen. genenJahren - an der Seite ihres Ehemanns, YusifEyvazov, der den Ein trauriges Happy End, sozusagen. Des Crieux singen wird. Armando Pina gibt den Lescaut, Carlos Sieht man genauer hin, wie besagter Wilfried mit Nachnamen heißt, Chausson den Geronte, das Münchner Rundfunkorchester, geübt weiß man auch rasch Bescheid, worum es in diesem .,Tempelritter" in derlei halb szenischen Aktionen, begleitet unter Marco Ar• gehen könnte: Der Titelheld nennt sich Vilfredo d'Ivanhoé. Walter miliato. Aufführungen sind am l., 4. und 7. August. Nach der Der• Scotts berühmter Roman liegt der Oper zugrunde, wobei sich die nière ist eine Gala für Anna Netrebko avisiert, Autoren allerdings - anders als bei der Verfil• deren Reinerlös der Jugendarbeit der Salzbur• Der Philharmoniker- mung - für das Musiktheater auf die Grundzüge ger Festspiele zugutekommen wird. Eine sym• der Geschichte beschränkt haben. Nicolai, sou• pathisches Geste, immerhin waren es die Fest• Grunder als veräner Melodiker, zeichnet die Charaktere im spiele, die den internationalen Karrierestart der Me1ster-Belca ntist Gefolge des verehrten Vincenzo Bellini. Der russischen Diva markierten: zunächst mit dem Philharmoniker-Gründer als Meister-Belcantist: Debüt als Donna Anna in der von Nikolaus Har- Oas wird auch e1n1ge Das wird vermutlich auch einige der Mitglieder ; noncourt dirigierten .Don Giovannir-Prerniere, des Orchesters verwundern. I dann 2005 mit dem legendären Auftritt als Vio- Orchesterm 1tgl ieder i 1 ··a Valery in Verdis ,,La Traviata", deren Video- erstaunen. Bestrickend. Das Münchner Rundfunkorches• u.-.,1mmentation mittlerweile zu den rneistver- ter begleitet die dritte konzertante Aufführung kauften Opern-DVDs überhaupt gehört. der Sommersaison, die Jules Massenets .Thaïs" Ein Debüt der besonderen Art verzeichnet in der zweiten konzer- gewidmet ist und einen der längstdienenden Salzburger Festspiel• : tanten Produktion dieses Sommers das Stück selbst: Wenige Opern• stars zurück aufs Podium bringt. Placido Domingo ist der Athanaël -_i freunde kennen .n templario" aus der Feder von Otto Nicolai. Mit und bringt als Leiter des Operalia-Wettbewerbs einen jener Jung• " dem Komponisten assoziiert man eher das deutsche Operngenre. stars mit, die bei diesem Wettbewerb erste Sporen verdient haben: i Nicolai, Schöpfer der ,,Lustigen Weiber von Windsor", ist in die Sonya Yoncheva gibt die Titelheldin. ~ Annalen eingegangen als einer der bedeutendsten Meister der Die Geschichte ist bestrickend. Thaïs ist eine Kurtisane, Athanaël W heutzutage sträflich vernachlässigten komischen Oper. Dass er ein Mönch. Er ist besessen von seiner Traumvision, die ihm sugge• s , dabei durchaus auf veritable Italianità aufgebaut hat, kann man als riert, er könne Thaïs von .,den Fesseln des Fleisches" befreien und ~ gutwilliger deutschsprachiger Opernfreund durchaus ahnen. zu einem Leben im Glauben bekehren. Das Raffinement von Masse• ~""- -~_Nun liefern die Salzburger Festspiele den Beweis. Als 30-Jähriger nets Musik ermöglicht es nachzuvollziehen, dass die Verwandlung ; reüssierte der als Schüler Carl F. Zelters künstlerisch in Berlin und der Thaïs zwar gelingt, doch in Athanaël tiefe Verwundungen daher durch und durch deutsch sozialisierte Komponist mit Opern zurückbleiben. Zuletzt ist es der Mönch, der sich eingestehen muss, im italienischen Seria-Stil in Turin. Die örtlichen Kenner bestätig• sich in Thaïs verliebt zu haben. ten dem Tedesco seine Originalität. Der .Templario" wurde Nico• Was die Handlung vordergründig verbietet, lässt hinter- und tief• lais dritte große Seria und schaffte es als .,Tempelritter" in deut• gründig die Musik hören. Patrick Fournillier steht am Dirigenten• scher Sprache dann auch auf die Bühne des Wiener Kärntnertor• pult, es wird sich weisen, dass in diesem Stück keineswegs nur die theaters. Dort war Nicolai schon vor seiner Italien-Tour Kapell• berühmte .Meditation" mit ihrem verzehrend schönen Violinsolo meister gewesen. Der Erfolg des Stücks führte zu einem Neuenga• zu den Ohrwürmern der hartnäckigsten Spezies gehört. Bühne gement, das für die Musikgeschichte nicht unbedeutend bleiben braucht es jedenfalls keine, um zu begreifen, was in den Figuren sollte. Der .,eingewienerte" Nicolai wurde zum Gründervater der vor sich geht. -J1

Kultur spezial 35 Die wahren Helden sind die Komponisten In den Konzerten der Gastorchester finden sich 2016 Abschiede - und Aufbrüche. Text: Wilhelm Sinkovicz

38 Kultur spezial eife, überreife, Abschiede - die beschieden sein wird, wenn der göttliche immer nicht, wann sie das erstemal aufge• Programme der Gastorchester bei .Kuss der ganzen Welt" verabreicht wird. führt wurden. Wie auch immer: Sie stellen den Salzburger Festspielen sind Nikolaus Harnoncourt hätte diese Neunte drei höchst unterschiedliche Spielarten R 2016 voll von Bezügen zu künst• dirigieren sollen, erstmals mit seinem Con• der viersätzigen Symphonieform dar und lerischen Endspielen, transzendenten centus Musicus, der seinen Gründer nun spiegeln drei ebenso unterschiedliche Betrachtungen, Todesahnungen. Als sollte posthum mit dieser Salzburger Festspiel• emotionale Welten wider - und wer sie in die Idee der Ouverture spirituelle, mit der aufführung ehren wird, die von Andrés unmittelbarer Folge hintereinander hört die Festspiele seit einiger Zeit anheben, Orozco-Estrada geleitet wird (25. Juli). (was in Salzburg vor Harnoncourt etwa konsequent in die Veranstaltungsreihe Harnoncourt hat im Rahmen der Ouverture schon bei Karl Böhm der Fall war), erlebt integriert werden und bis zum Finale spirituelle zuletzt transzendente Qualitäten die Musik tatsächlich als eine große künst• durchgehalten, immer neu interpretiert in der Trias der letzten Mozart-Sympho• lerische Einheit. werden. nien aufgespürt und diese taxfrei zu einem Arn Anfang steht traditionsgemäß und ,,Oratorium ohne Worte" erklärt, das jeden• Werden und Vergehen. Dem Harnoncourt• sozusagen in einer spirituellen Chrono• falls von den letzten Dingen handelt. Wie sehen ,,Oratorium" folgt heuer der Drei• logie unausweichlich die ,,Schöpfung". spekulativ eine solche Deutung auch sprung des West Eastern Divan Orchestra Joseph Haydns grandioses Spätwerk, vor immer sein mag, große Dirigenten waren unter Daniel Barenboïm (JO. August). Die dessen intensiven Klangbildern schon die stets von der Möglichkeit angezogen, diese Musikergemeinschaft aus israelischen und Zeitgenossen erschauerten: Der Komponist drei Symphonien, von denen man bis palästinensischen Instrumentalisten wid• iefleißigt sich da, geläutert durch die jahr• heute nicht weiß, warum der Komponist, met sich in ihrem zweiten Konzert zehntelange Arbeit an einem Dutzend der sonst in der Regel große Projekte nur (JI. August) nebst einem jüngeren Werk von Opern, einer Hundertschaft an Sympho• über Auftrag realisierte, sie im Sommer Jörg Widmann den tönenden Urerfahrun• nien, Sonaten und Streichquartetten einer 1788 schuf. Heutige Kommentatoren glau• gen aus Richard Wagners ,,Götterdämme• überwältigenden Simplizität. ben nicht, dass Mozart drei dermaßen rung", wo mit .Morgendärnmerung", Sieg• Der berühmte Fortissimo-C'Dur-Akkord, gewichtige Werke ohne Anlass geschrieben frieds .Rheinfahrt" und .Trauerrnarsch" mit dem es ,,Licht ward", ist durch keine haben könnte. Und doch weiß man noch Werden und Vergehen mit gewaltigen noch so raffinierte Schichtung der Roman• Orchesterschlägen thematisiert werden. tik oder der Modeme je überboten wor• Zwischendrin begleitet man die wunder• den. Die einfachste aller Lösungen ent• bare Martha Argerich, die das Es-Dur-Kla• puppt sich in der Rückschau als die vierkonzert von Wagners Schwiegervater effektivste. Nur: Vor Haydn war sie wohl Franz Liszt spielen wird, einem der Versöh• vermutlich im Schöpfungsplan vorgese• ner unter den romantischen Meistern, dei hen, aber noch nicht ans Licht geholt. - anders als Wagner - stets als Vermittle: und Menschenfreund galt. Gipfelstürmer. Insofern spiegelt der künst• Einer, der beiden, Wagner und Liszt glei lerische den göttlichen Schöpfungsakt. Festsp1elgrunder Strauss chermaßen, viel verdankt, Richard Strauss Was dem Haydnschen ,.Fiat lux" (22. Juli schlug ebenfalls transzen• kommt anlässlich des Gastspiels des Cleve mit dem Chamber Orchestra of Europe land Orchestra unter Franz Welser-Möst z1 unter Yannick Nézet-Séguin) in der Salz• dentale Tone an, allerdings Ehren. Der Festspielgründer hat als Sym burger Festspielchronik des Jahres 2016 phoniker des Öfteren auch transzendent! folgt, sind Stationen auf dem steinigen aus der Perspektive eines Töne angeschlagen, allerdings aus der Pers Weg, den die Komponisten in der Erhel• bekennenden Atheisten pektive eines bekennenden Atheisten. Mehr lung unseres Blicks auf die Wahrheit gegan• mals klingt Friedrich Nietzsche an, nad gen sind. Einige Gipfel sind dabei gestürmt ,,Also sprach Zarathustra" sollte die heut: worden, einer der höchsten, versteht sich, als .Alpensyrnphonie" bekannte letzt. von , der mit seiner Wagner und Liszt widmet sich Daniel Barenboim große Tondichtung .,Der Antichrist" hei Neunten Symphonie gleich noch einmal mit dem West Eastern Divan Orchestra. ßen. Und auch die davor entstandene .,Sin den Schöpfungsakt tönend nach• fonia domestica" ist ja so etwa vollzogen hat, um nach dem wie ein Hohelied der Säkularisie gewaltigen Urknall, mit dem das rung. Aus dem Lob Gottes ist eine Werk beginnt, keinen Zweifel zu freilich originelle, Variante de lassen, dass die Menschheit sich ungenierten Eigenlobs geworder im Chaos der Welt zu einer Ver• ,,Ich sehe nicht ein", verteidigt sammlung der ,,Mühseligen und sich der Komponist gegen diesbe Beladenen" entwickeln wird, der zügliche Kritik, .,warum ich kein die verheißene Erquickung nur Sinfonie auf mich selbst mache nach dreieinhalbsätzigen emotio• sollte. Ich finde mich ebenso inte nalen Wechselbädern, Leiderfah• ressant wie Napoleon und Ale) rungen und Ahnungen eines ander." Das Ergebnis (zu höre fernen Glücks erst ganz zuletzt am 18. August) ist jedenfalls ein

Kultur spezial 3 meisterhaft gesetzte Partitur, in rend Napoleons Herrschaft der der es statt existenzieller Gewit• 100 Tage in London' - Gioachino terstürme einen Ehekrach zwi• Rossinis Ouvertüre zu ,,Wilhelm schen Richard Strauss und seiner Tell". Wenn man so will, ist auch Pauline in Gestalt einer enormen das ein bedeutendes Spätwerk, Doppelfuge zu bewundern gibt, jedenfalls das Vorspiel zu jener einen bajuwarischen Tsunami, Oper, die der berühmteste Kom• dem die Clevelander tags darauf ponist seiner Zeit seinen jüngeren die nicht minder heftigen Todes• Kollegen, die gerade dabei waren, kämpfe der viel früher entstande• die Grand opéra als neue Form zu nen Tondichtung ,,Tod und Verklärung" Ehren den Festspielgründer Richard Strauss: entwickeln, als ideales Musterstück hinter• entgegensetzen, von denen der Altmeister Franz Weiser-Most und das Cleveland Orchestra. ließ, bevor er sein kreatives Potential aus auf dem Totenbett meinte: Genau so, wie er der Kornponierstube in die Küche verlegte. das Sterben als junger Mann in Töne Wirkliche .Abschiede" erklingen im Kon• gesetzt hätte, höre es sich nun in der Reali• zert des Gustav Mahler Jugendorchesters tät auch an. Das war 1949. (24. August) unter Philippe Jordan: Chris•

0 "' nigeJahre zuvor, nach Ende des Zweiten tian Gerhaher singt den .Abschied" aus .itkrtegs, hat Strauss noch einmal vier dem ,,Lied von der Erde", aus dessen ver• melancholisch-schöne Abschiedsgedichte klingendem Schluss der Beginn der Neun• in Musik gesetzt. Diese ,,Vier letzten Lieder" ten Symphonie geradezu herauszuwach• singt im zweiten der Konzerte unter Wel• sen scheint, die wiederum nach dem ser-Möst Anja Harteros. An diesem Abend Vorbild von Tschaikowskis .Pathétique" (19.August) erklingt im ersten Teil die Igor Strawinsky scheint die Wirren und Kämpfe eines Menschenle• kühnste und in ihrer rhythmischen Ener• bens in Symphonieform packt, um still und getik und klanglichen Raffinesse vielleicht wenig M1tle1d mit seinem entsagend auszuklingen. überzeugendste Vereinigung klassischer Formbeherrschung und musikalischer armen ,,Petruschka" zu Happy End. Zwei Stufen zuvor in Mahlers Modeme aus der Feder von Béla Bart6k, verspuren Ist Ja doch nur symphonischer Biographie finden wir die die .Musik für Saiteninstrumente, Schlag• Siebente Symphonie, die Sir Simon Rattle zeug und Celesta". Festspielbesucher eine Puppe? und seine Berliner Philharmoniker am mögen da Vergleiche anstellen zwischen 28. August Pierre Boulez' .Eclat" gegen• diesem richtungsweisenden Werk und der überstellt: Da findet der Komponist nach in ihrer Radikalität zurückgenommenen, ja zauberischen und sinistren ,,Nachtmusi• geradezu abgeklärten Tonsprache des ken" sowie ,,schattenhaften" Scherzo-Kap• ,,Konzerts für Orchester", das nebst Musik riolen zu einer frohgemuten Klang-Welt• ·')n Ravel und einer Novität von Friedrich reise, die in Reflexion strahlender ~erha am 11.August im Konzert des ORF C-Dur-Klänge aus Mozarts .Entführung" Radio-Symphonieorchesters unter Corne• und Wagners .Meistersingern" noch ein• lius Meister zu hören ist. Fast zur nämli• mal ein Happy End beschwört. chen Zeit, in der Richard Strauss mit welt• Die Meister der frühen Modeme verwei• abgewandten Klängen in den ,,Vier letzten gern uns ein solches meist: Claude Debussy Liedern" Abschied nimmt, träumt auch der beschreibt in seiner letzten großen Orches• todkranke Bart6k inmitten eines virtuosen ter-Partitur, dem Ballett .jeux", das vage Orchester-Showdowns noch einmal gera• Beziehungsgeflecht der Spieler auf einem Ein ,,l

40 Kultur spezial Alles, was zählt Thomas Bernhard, der große Ich-Erzähler, und Friederike Mayröcker, die große

Du-Schwärmerin. Lesungen. Text: Barbara Petsch

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ren Art mit Bernhard (Foto .Die Hölle", Film).

Bernhards Texten. Am 5. August liest Beil im unter dem Motto ,.Ich will in die entgegenge• setzte Richtung" aus Bernhards autobiografischen Roma· nen ,,Der Atem", .Der Keller" und .Die Ursache". In .Der Kel• Trauer. Friederike Ier" geht es erneut um Bernhards Zeit als junger Mann in on den ersten und den letzten Dingen handeln Mayröcker schrieb Salzburg: Nachdem er die Schule abgebrochen hatte und heuer Lesungen der Salzburger Festspiele. In eine Totenklage aus dem Internat geflüchtet war, trat er nach einigem .Die Ursache, eine Andeutung" erzählt Thomas fur ihren Lebens• Zögern - allein die Szene des widerspenstigen Jünglings aui Bernhard von seinen Kriegserlebnissen, die menschen Ernst dem Arbeitsamt mit der teils fürsorglichen, teils befremde V Jandl. Lesch wohl ein Urgrund für den späteren pessimistischen und ten Betreuerin ist köstlich - in das Lebensmittelgeschäft dei Schmidt vertonte abgründigen Ton seiner Dichtung waren. j\ls Heran• von Musik begeisterten Karl Podlaha ein. den Text, Dagmar wachsender, der die Schule hasste und die Musik liebte, Manzel rezitiert. erfuhr Bernhard die Zerstörung der Salzburger Altstadt Entziehung. Bernhard entzog sich dem bürgerlicher zu Kriegsende fast am eigenen Leib. Geige übend in der Lebensweg, den er als Dichter oft so plastisch und sar Schuhkammer, versäumte er den Alarm und schaffte es kastisch geschildert hatte, und er erlebte eine Entzie nur mehr mit dem verhassten Lehrer Grünkranz und sei• hung, wie der Untertitel des Buches lautet: Denn bei Pod ner Frau in den Hauskeller. Er überlebte, sah aber auf sei• ]aha ging es ihm gut - und außerdem konnte er seine nem Schulweg täglich die Leichenberge und die Ruinen. musikalische Ausbildung fortsetzen. Tobias Moretti lies .Für mein ganzes Leben habe ich in dieser Zeit, indem dann am 11. August unter dem Motto .Entweder-oder ~ ich dieses auch in dieser Stadt, was niemand mehr weiß aus Bernhards .Der Wetterfleck" (übrigens ein Bernhard ] oder wissen will, fürchterlichste und erbarrnungswür- Wahrzeichen, das man in seinem Haus in Ohlsdorf bi: c ~ digste Menschenelend beobachtet, gelernt und die heute besichtigen kann) und der urkomischen Literatur é':: 1 Erfahrung gemacht, wie furchtbar das Leben und die satire ,.Goethe schtirbt": Davor lobt sich der Dichterfürs c! Existenz überhaupt sind und wie wenig wert, überhaupt noch einmal kräftig selbst und schikaniert seine Umge : nichts wert im Krieg", schreibt Bernhard. bung auf das Herrlichste. Eine Trauermusik der besonde ~ ren Art hat Friederike Mayröcker für ihren Lebensmen Weggefährten. Hermann Beil, langjähriger Weggefährte sehen Ernst Jandl (1925- 2000) geschrieben: ,.in de ~ Claus Peymanns und Thomas Bernhards, der den beiden Küche stehen wir beide/rühren in dem leeren Topf ~ c auch ein literarisches Denkmal setzte (,,Claus Peymann und schauen aus dem Fenster beide/haben 1 Gedicht in Î Hermann Beil auf der Sulzwiese"), hat heuer zwei der drei Kopf". ,,Requiem für Ernst Jandl" wird am l. August ir i7. Lesungen für die Salzburger Festspiele arrangiert, insze• Republic zu erleben sein; eine Schilderung des Balance ï niert, beziehungsweise leiht er auch seine sonore Stimme akts zwischen Liebe und künstlerischer Arbeit. -f).

Kultur spezial 4 Festspieldebüt. Miranda, Sara Tamburini, zweifelt an Prosperos Vaterweisheit.

Forscherblick. Regisseurin Deboral Warner sieht den .. Sturm" immer l(ontrollwahn wieder neu. und Vergebung Verzeihung! Ist Verzeihung möglich? Regisseurin Deborah Warner und Miranda-Darstellerin Sara Tamburini im Gespräch über Shakespeares .Sturrn" auf der Pern er-Insel. Text: Teresa Schaur-Wünsch, Barbara Petsch

42 Kultur spezial iranda ist ein überfordertes Kind. Zum einen behütet ihr das Stück zu machen und gab mir auch das Vertrauen in mich Vater Prospero sie, zum anderen wird sie von ihm bevor• selbst. Das war der Anfang." mundet. Wird ihre Ehe mit dem .Migranten" Ferdinand, M der mit seiner Entourage zu Schiff auf Prosperos Eiland .,Sturm" auf Bengalisch. Für das Theater von Manchester habe sie strandet, glücklich sein? ,,Woher will Prospero wissen, dass Ferdi• dann ihre erste .Sturm-Produktion erweitert und wieder aufge• nand der beste Mann für Miranda ist?", fragt Miranda-Darstellerin nommen, erzählt Warner. In den 1980ern sandte sie der British Sara Tamburini zurück. Council auf eine siebenwöchige Tour durch Jugoslawien. 1987 Die 27-jährige Schweizerin hat an der Bayerischen Theaterakade• inszenierte sie den .Sturrn" in Bangladesch: ,,Mein dritter .Sturrn" mie studiert und unter anderem am Münchner Residenztheater in war zugleich der erste der Welt in bengalischer Sprache." Tatsäch• Gerhart Hauptmanns ,,Die Ratten" gespielt. Nun ist Tamburini in lich aber müsse man in jede Theaterarbeit unvoreingenommen Deborah Warners Inszenierung von Shakes- einsteigen und immer einen neuen Weg finden: peares .Sturrn" auf der Halleiner Perner-lnsel Wie Prospero war .Es ist wie beim Weitsprung. Es geht nicht ums zu sehen. Prospero weiß, dass er Miranda nicht Höher-, sondern ums Weiterkommen. Man ewig bei sich behalten kann. Er will einen guten auch Shakespeare 1n muss weiter reisen, als man je zuvor gereist ist, Mann für sie. Ferdinand, der Sohn des Königs und versuchen, Dinge zu sehen, die man nie ::m Neapel, ist standesgemäß, ,,aber wie schaut dieser spaten Phase zuvor gesehen hat. Die Hoffnung ist, dass sich es mit seinen menschlichen Qualitäten aus?", seines Lebens auf der dieser Effekt auch auf den Zuseher überträgt, überlegt Tamburini. .Aus väterlicher Sicht bat der ,König Lear', .Harnlet', ,Don Giovanni' oder Prospero sicher das Beste für seine Tochter im der Hohe seiner ,Die Zauberflöte' wie zum ersten Mal erlebt." Sinn, aber er ist ein wenig kontrollsüchtig. Er Besonders freue sie sich, dass ihre ,,Sturm"-ln• gesteht ihr nicht zu, ihre Zukunft frei zu gestal• Zauberkunste szenierung auf der Perner-lnsel in Hallein statt- ten. Er hat Glück, dass sie sich sofort in Ferdi- finden wird: ,,Ich finde es vorteilhaft, wenn ein nand verliebt. Aber was wäre, hätte sie Ferdinand nicht so toll Festival sich auch aus dem Stadtzentrum hinausbewegt. Nebenbei gefunden? Hoffen wir, dass er ein guter Mann wird. Die beiden sind ist es reizvoll, auf einer Insel, eben der Pern er-Insel, ein Stück über ja recht jung." Lässt sich Tamburini selbst gern beschützen? ,,Wenn ein Eiland herauszubringen." Lieber als in Mikros und Technik Sie Schutz mit Sicherheitgeben gleichsetzen, ja. Es ist doch toll, möchte Warner in eine Verbesserung der Akustik investieren, um wenn man weiß: Da ist jemand, der für mich da ist." Was ist für sie das Spiel so natürlich wie möglich ablaufen zu lassen. ,,Der .Sturrn' das Besondere am ,,Sturm"? - .Die Magie!" braucht Intimität", ist Warner überzeugt: ,,Prosperos Insel ist eine Art Laboratorium, wo er seine Zauberkünste vertieft. Man weiß Die Disziplin des Weitsprungs. Was sind Tamburinis Lieblingsbü• nicht genau, was er tut, aber er ist auf der Höbe seiner magischen cher, Geschichten? .Da gibt es so viele. Momentan gerade ,Das Fähigkeiten." achte Leben' von Nino Haratischwili und ,Shantaram' von Gregory David Roberts." Zum Theater kam Tamburini übers Musiktheater: Vergebung. ,,Der Sturm" gilt als Shakespeares letztes Stück und als .Jch war im Kinderchor des Opernhauses Zürich. Ich stand schon eine Art Vermächtnis. Auch der Dichter war auf der Höhe seiner .rüh auf der Bühne und es war mir bald klar: Das will ich für immer ,,magischen" Künste. Warner: ,,Shakespeare hat mit dem ,Sturm', so machen." denke ich, seine großartigste Dichtung geschrieben - auch über das Für Deborah Warner, die Peter Stein für Shakespeares .Coriolan" Wesen des Theaters. .Der Sturm" ist nicht zuletzt eine Liebeserklä• nach Salzburg holte, als er in den Neunzigern Schauspieldirektor rung an die Bühnenkunst. Mit dieser Idee einer Parabel über das der Festspiele war, ist der heurige .Sturrn" der vierte, aber ,,der Theater werde ich in meiner Inszenierung spielen." Ein weiteres erste in meinen reiferen Jahren", scherzt die 57-jährige Britin. Als wichtiges Motiv in den späten Shakespeare-Stücken wie .Winter• Warner das erste Mal beim .Sturrn" Regie führte, war sie 23. .Nach• märchen" oder ,,Maß für Maß" ist für Warner die Vergebung: ,,lm dem ich die Schauspielschule verlassen hatte, gründete ich meine vierten Akt ist es Ariel, der Prospero zur Milde auffordert. Ariel ist eigene Theaterkompanie, weil das im Grunde der einzige Weg war, kein Mensch, sondern ein Geist. Er schildert Prospero die Depres• mit dem Inszenieren zu beginnen. Es gab keine Regieausbildung, sion, den Terror und die Verzweiflung, in die er seine Feinde ver als ich 21 war. Ich inszenierte Büchners ,Woyzeck' und serienweise setzt hat. Sie seien in alle Winde zerstreut, ,Tränen rinnen deinerr Shakespeare. Wir hatten kein Geld, wir bekamen keine Subventio• alten Freund Gonzalo über die Wangen', erzählt Ariel seinem Herrr nen. Ich tat mich mit einer Gruppe von Schauspielern zusammen - und fügt hinzu: ,Wäre ich ein Mensch, mein Herz würde brechen' und wir gastierten beim Edinburgh Festival", das auch ein bedeu• Ariel überzeugt Prospero schließlich, dieser lässt von seiner Tortu: tendes Fringe- oder Off-Gruppen-Festival hat. Warner weiter: ,,Das ab und das Stück bewegt sich in eine andere Richtung." Shakes Großartige ist, wenn man jung ist, denkt man nicht an mögliche peares Stücke sind oft sehr lang und wortreich, heute sind viele Probleme. Man freut sich einfach über die Arbeit und den Zauber Theaterabende sehr kurz. Wie geht das zusammen? Warner: ,,Mar der Stücke. In unserer Kompanie gab es einen wundervollen, schon darf nicht die Verse, die Textlängen zählen: Miranda und Ferdi älteren Schauspieler, er hieß Robert Demigan, leider ist er voriges nand haben 110 Zeilen. Prospero hat 620! Aber man merkt es nicht Jahr gestorben. Er war damals 37, viel älter als wir, ist aber jung weil man stets gespannt ist, wie er reagiert, was er als Nächstes tu geblieben. Er war vorher Englischlehrer, er hatte Autorität und - und es wird allgemein akzeptiert, dass er viel spricht, weil da. wusste. wie er uns anleiten musste. Er fachte meine Sehnsucht an, eben eine große Rolle ist." -f).

Kultur spezial 4'. ,,,Jedermann', dieses göttliche Spektakel!" Miriam Fussenegger, die neue Buhlschaft, und Julia Gschnitzer als Jedermanns Mutter über Frömmigkeit und Leidenschaft. Text: Elisabeth Hofer, Barbara Petsch s ist ganz gleich, welcher der bis dato 16 verschiedenen Jedermann-Darsteller, von Alexander Moissi bis Cornelius Obonya, auf der Bühne stand - der Jedermann ist immer E auch ein Macho. Gerade jene Szenen, in denen er auf Frauen trifft, stellen ihn betont männlich dar und zeugen von Unbelehrbar• keit und Wollust. Sommer für Sommer sind daher die Figur der Buhl• schaft, aber auch die von Jedermanns Mutter besonders zentrale Persönlichkeiten bei den Salzburger Festspielen. Seit 2013 verkör• pert Julia Gschnitzer leise, bedacht und vorwurfsvoll die Rolle der Mutter. Diese sorgt sich um das Seelenheil ihres zügellosen Sohnes, der so gar nicht an den Tod und ein höheres Gericht denken mag, und zu allem Überfluss mit seinen 40 Jahren immer noch nicht ver• heiratet ist. Für Gschnitzer sind .,die echte, tiefe Gläubigkeit und die Sorgen um ihren Sohn, der in ihren Augen ein Lotterleben führt und verloren ist, wenn er sich nicht ändert" die Eigenschaften, die für die Persönlichkeit der Mutter entscheidend sind.

Hingabe. Gleichzeitig stellen eben diese Charakterzüge für sie aber auch die große Herausforderung bei der Rolle dar. Gschnitzer ist selbst weder Mutter noch gläubig, wie sie sagt, darum musste sie sich erst langsam an die Rolle ,,Kokett, ausgelassen, cherin folgt Brigitte Hobmeier nach. In Hof• herantasten. Dabei hilft ihr die Vorstellung von mannsthals Originaltext hat die Buhlschaft nur itterlichkeit, die sie als eines von sieben Kin• besorgt und za rtl rch 30 Sätze zu sprechen, dennoch ist ihre Darstelle• dern von ihrer eigenen Mutter erfahren hat. rin einer der ganz großen und viel besproche• ,,Mütterlichkeit ist für mich das Höchste und - aber ob das L rebe nen Stars der Festspiele - und jeweils vor der Schönste durch diese restlose Hingabe an Kinder ber der Buhlschaft rst. Ernennung eines der am besten gehüteten und Familie. Meine Mutter hat dies in bewunde- Geheimnisse. Lang wurde spekuliert, wer die rungswürdiger Weise wirklich gelebt. Sie war das Weiß man nrcht" Rolle 2016 übernehmen wird. Fussenegger war immer für uns da, ohne sich je aufzudrängen schließlich eine Überraschung. Ausgebildet und in einem Ausmaß, wie ich das nie gekonnt Miriam Fussenegger wurde sie am Wiener Reinhardt-Seminar. Schon hätte", sagt die 85-Jährige. Gschnitzers Laufbahn während des Studiums spielte sie in Horvâths begann am Tiroler Landestheater in Innsbruck. Von 1960 bis 1990 ,,Kasimir und Karoline" oder in ,,Maries Lieben" nach Schnitzlers war sie am Wiener Volkstheater engagiert, danach bis 1994 am .Anatol" in der Inszenierung von Klaus Pohl im Schönbrunner Salzburger Landestheater. Bekannt ist Gschnitzer aber auch von Schlosstheater. In Klaus Maria Brandauers Lesung von ,,Peer Cynt", Film und Fernsehen: Axel Corti drehte 1971 den .Fall Jägerstätter'' gemeinsam mit dem NDR-Symphonieorchester, war Fussenegger über den katholischen Widerstandskämpfer Franz Jägerstätter, als Solveig zu erleben. Mit Nikolaus Leytner drehte sie den Land• Gschnitzer spielte dessen Frau Franziska, und auch die Alte Nanne krimi .Der Tote am Teich" und mit Andreas Prochaska den dreitei- in .Die Siebtelbauern" von Stefan Ruzowitzky. Gschnitzer war in ligen Historienfilm .Maximilian", 2015 debütierte Fussenegger bei ,,Tatort"-Folgen zu sehen und bei den Tiroler Volksschauspielen in den Festspielen als Lucy in .Mackie Messer. Eine Salzburger Drei• Telfs. Letztlich liebt sie die Rolle vonJedermanns Mutter auch, weil groschenoper" (Julian Crouch/Sven-Eric Bechtolf). sie die Herausforderung schätzt, die nicht zuletzt mit Hofmanns- .als extra für den .,Jedermann" geschaffener Kunstsprache zusam• Innigkeit und l

Kultur spezial 45 ,,Oas Altern fallt mir seit meiner K1ndhe1t schwer Altersrollen bieten mir die Mog- lichke1t, mich dem Thema zu stellen"

Michael Maertens

Zwingend. ,,ln .Endspiel' wabert enorme theatrale Wucht", meint Nicholas Ofczare+

l

Abgründiger und feiner Humor Apocalypse now! Michael Maertens und Nicholas Ofczarek über Samuel Becketts geheimnisvolles .Endspiel"

Interview: Barbara Petsch

46 Kultur spezial alter Krieg, Wettrüsten, Flüchtlingskrise in Ungarn nach dem niedergeschlagenen Aufstand gegen die kommunisti• sche Partei und die sowjetische Besatzungsmacht, das war das Jahr 1956. Nobelpreisträger Samuel Beckett (1906-1989), d

fi~o:espieltes Team. In Salzburg inszeniert Altmeister Dieter Dorn. L langjährige Intendant der Münchner Kammerspiele und danach des Residenztheaters, das seit 2011 Martin Kusej leitet, brachte unter anderem 1974 in Salzburg die Uraufführung von Tho• mas Bernhards ,,Die Macht der Gewohnheit" heraus - gleichzeitig seine erste Arbeit bei den Festspielen. Neben Schauspiel führt Dorn in Salzburg auch bei Opern Regie; so inszenierte er etwa 2003 in Salzburg die Uraufführung der Oper ,,L'upupa und der Triumph der Sohnesliebe" von Hans Werner Henze. Zuletzt war Dorn 2010 mit seiner Regiearbeit bei Christoph Willibald Clucks Oper ,,Orfeo ed Euridice" bei den Salzburger Festspielen vertreten. Ist es eigentlich noch mutig, bei den Salzburger Festspielen In den Hauptrollen des Beckett'schen .Endspiels" ist ein eingespiel• .Endspiel" zu zeigen, das heuer seinen 60. Geburtstag feiert - tes Team zu erleben - und es sind zwei Publikumslieblinge, die oder ist das Stück längst kanonisiert? schon oft auf der Bühne die Klingen gekreuzt haben: Michael Maer• Ofczarek: Es ist weder mutig noch ist das Stück kanonisiert. tens und Nicholas Ofczarek. Am Burgtheater sah man die beiden Es ist einfach zwingend, es zu spielen. unter anderem in Tschechows ,,Onkel Wanja", ,,Lorenzaccio" nach Stimmt einen das Stück noch immer betroffen? Alfred de Musset, in Nestroys .Lurnpazivagabundus" oder in der Ofczarek: Einen Klassiker zu sehen, impliziert nun nicht, dass man ,,Affäre in der Rue de Lourcine" von Eugène Labiche in der Über• davon betroffen ist. In .Endspiel" wabert eine enorme theatrale setzung und erweiterten Neufassung von Elfriede Jelinek. Wucht. Oie Angst vor dem nahenden Ende wohnt wohl dem Men• schen inne. lenn man .Endspiel" sieht, denkt man immer: Ist die Welt jetzt Ist das Stück schwer zu spielen? tatsächlich untergegangen oder nur im Leben - oder in den Köp• Ofczarek: Man wird sehen. fen - von Clov und Hamm? Was meinen Sie? Sie haben schon oft mit Michael Maertens gespielt. Was macht Nicholas Ofczarek: Ich persönlich habe das Stück noch nie gese• Ihre Zusammenarbeit auf der Bühne aus? Spaß, Ernst, Wett• hen, es liest sich jedoch wie ein theatraler Entwurf einer postapo• lcampf oder Zufall? Hat sich Ihr Verhältnis zueinander verän• kalyptischen Welt. Selbst in dieser ausweglosen Situation nehmen dert durch die vielen Stücke, in denen Sie gemeinsam aufgetre• sich die Protagonisten noch immer zu ernst. ten sind? Treffen Sie einander auch privat? Haben Sie Angst vor dem Weltuntergang? Ofczarek: Ich schätze Michael Maertens sehr. Wir respektieren und Ofczarek: Wir sind mittendrin. fordern einander. Wie ist Ihre Beziehung zu Beckett? Maertens: Nicholas Ofczarek ist ein wunderbarer Schauspieler und Ofczarek: Mir wurde bisher noch nicht die Ehre zuteil, Herrn ein großartiger Kollege - und unser Verhältnis würde ich mittler• Beckett zu begegnen. Ich erahne jedoch einen schier grenzenlosen weile als freundschaftlich bezeichnen. Ich profitiere unglaublich Kosmos eines rätselhaften, abgründigen, feinen Humors. von seiner Spiellust, von seiner Fantasie und von seinem Talent. Michael Maertens: Ich würde meine Beziehung zu Beckett als neu• Sie haben sich von den schönen Jünglingen wie Hamlet oder gierig beschreiben. Ich kann ihn immer wieder lesen und entdecke Jason zu den abgewrackten älteren Herren, zum Beispiel dem immer wieder etwas Neues. Absurd finde ich eigentlich gar nicht, Bürgermeister in Gogols .Revisor", bewegt. Gibt es da einen was ich da entdecke. Wohl aber manchmal sehr komisch! Unterschied beim Spielen oder in der Rollenannäherung? Gibt es eine Verwandtschaft zwischen Thomas Bernhard und Maertens: Da sprechen Sie ein heikles Thema an. Das Altern fällt Samuel Beckett? mir schon seit meiner Kindheit schwer! Die Bühne - und die vielen Maertens: Nein, beide sind zwei eigenständige Planeten. Vielleicht wunderbaren Rollen, auch und speziell die Altersrollen - bieten kreisen sie umeinander und beobachten einander ab und zu - doch mir eine Möglichkeit, mich mit diesem für mich etwas unangeneh• jeder lebt für sich. men Thema zu beschäftigen. -fJ.

Kultur spezial 4 7 Ensemble. Barbara De Koy, Christian Grashof, Annett Renneberg, Sven• Eric Bechtolf und Regisseur Gerd Heinz (v I. n. r.) er• kunden Thomas Bernhards .Der Ignorant und der Wahnsinnige" in Salzburg.

zum 222. Mal die Königin der Nacht war. Für den jugendlichen Tho• Eine Notenschrift mas Bernhard war der erste Besuch dieser Oper ein lebensprägen• der Grundeindruck, mit dem er sich immer wieder befasst hat. Er war ja ein Mozartschwärmer und bei aller Raffiniertheit der Spra• der Angst che, bei allen wüsten Ausfällen gegen Gesellschaft, Politik, Kultur• politik war immer ein Leitstrahl seiner Kunst die Musik Mozarts. Was bedeutete Ihnen Mozart, Frau Renneberg? Sie wollten Annett Renneberg, Darstellerin der zunächst Sängerin werden, sind darin auch ausgebildet? Annett Renne berg: Meine Einstellung zu Mozarts Opern hat sich im Königin der Nacht, und Regisseur Gerd Lauf der Jahre stark verändert. ln meiner Pubertät, in der ich ja mit dem Gesangsuntericht begann, wollte ich immer die dramatischen Heinz über Bernhards Stück ,,Der Ignorant Partien studieren und singen, aber meine Lehrerin sagte, dass ich eine Mozartstimme hätte. Das war für mich damals kein Kompli• .id der Wahnsinnige". Text: Barbara Petsch ment und ich habe, während ich Arien der Zerlina oder Barbarina oder Bastienne gelernt habe, von der Violetta in .. La Traviata" geträumt. Heute genieße ich Mozarts Musik, ohne in bestimmten Kategorien zu denken und tatsächlich berührt und bewegt sie mich ie Sängerin übt ihre Koloraturen, ihr Vater trinkt und der immer stärker, je älter ich werde. Doktor seziert - im Geiste, versteht sich. Von der tragischen Die Königin der Nacht ist bei Bernhard und Mozart eine dämo• und der komischen Mühsal für die Kunst, von Euphorie, nische Figur. D Gipfelsturm, Zweifeln und Vergänglichkeit handelt Tho• Renneberg. .,Die Zauberflöte" ist ein Geniestreich und ich bin voller mas Bernhards .. Der Ignorant und der Wahnsinnige". In Salzburg Bewunderung für die Virtuosität der Königin der Nacht. Ich habe inszeniert Gerd Heinz. 1940 in Aachen geboren, war er Schauspieldi• noch einmal viele Aufnahmen angehört in Vorbereitung auf das rektor in Darmstadt, arbeitete bei Boy Gobert am Hamburger Thalia Bernhard-Stück und mir gefällt Diana Damrau als Königin momen• Theater und war in den 1980er-jahren sieben Jahre lang Intendant tan am besten. Ich denke, dass es für jeden Künstler wichtig ist, ver• des Zürcher Schauspielhauses. Annett Renneberg wurde 1978 in schiedene Seiten seiner Kunst zu leben und zum Leben zu erwe• Rudolstadt geboren. Sie wollte zunächst Sängerin werden und cken. Die Königin im Stück tut das nicht, sie singt immer nur diese begann eine Musikausbildung. Dann lernte sie Peter Zadek kennen eine Partie und gerät darüber natürlich in die tiefste Krise. und wechselte zum Schauspiel. Ihre bekannteste TV-Rolle ist die Sig• Warum wurden Sie nicht Sängerin? norina Elettra in den Verfilmungen der Donna-Leon-Venedig-Krimis Renneberg. Das hat mit Peter Zadek zu tun. Nach .,Mahagonny" kam über Commissario Brunetti. Für Künstler und Künstlerinnen sei es sein Rollenangebot für die Ophelia und das reizte mich dann ein• wichtig, immer neue Wege zu beschreiten, ist Renneberg überzeugt: fach zu sehr. Heute bin ich froh, wie ich überhaupt denke, dass alles Die Krise der Königin der Nacht sei Monotonie und Wiederholung. so kommt, wie es soll. Das ist ein Lebensmotto, das ich von meiner Welche Beziehung hatte Thomas Bernhard zur ,,Zauberflöte"? Mutter übernommen habe. Peter Zadek kennengelernt zu haben, ist Gerd Heinz: Das Stück spielt in der Garderobe einer Sängerin, die eines der großen Geschenke meines Lebens. Sein vertrauensvolles

48 Kultur spezial Abwarten uns Schauspielern gegenüber, seine Geduld und seine das sowohl zur Steigerung des Gefühls wie auch zur Sinnschärfung universelle Bildung haben mich immer beeindruckt. Er wusste stets dient. Zu erwähnen sind auch Weglassungen, Verdichtungen, Ände• genau, was er wollte, aber er konnte auch lang zusehen, was der ein• rungen per detractionem, musikalisch zum Beispiel in der zweiten zelne Schauspieler für ein Verständnis der Rolle mitbrachte. Er Arie, wenn die Königin der Nacht zunächst singt: ,,Verstoßen sei auf hatte eine ganz besondere Ausstrahlung und viel Charisma. ewig, verlassen sei auf ewig, zertrümmert sei auf ewig", das wird Was war Ihr erstes Theatererlebnis? dann später in der Wiederholung zu ,,verstoßen, verlassen, zertrüm. Renneberg Mein erstes und prägendes Theatererlebnis war ,,Schwa• mert", Ein Mittel, das auch im Stück sehr häufig vorkommt. Oder der nensee" in der Staatsoper Berlin. Ich war vier und hielt die ganze Chiasmus, die verdrehende Wiederholung. Sie findet sich bei Bern• Zeit den Atem an. Ich stand, ich konnte mich vor lauter Anspannung hard sehr oft, auch in seiner Prosa. Ein musikalisches Beispiel dafür nicht hinsetzen. Danach wollte ich Ballerina werden. Ich dachte, die findet sich bei Papageno, wenn er singt: ,,Sicher ließ ohne alle Gna• Pause sei vor allem für die Zuschauer da und dass die Tänzer, als der den mich Sarastro rupfen braten, braten rupfen, rupfen braten, Vorhang zur Pause fiel, dahinter in ihren Posen stehenbleiben müss• setzte mich den Hunden für ... ". Im Stück: ,,Eine ausgezeichnete Per• ten, bis alle zurück seien. Mein erster Opernbesuch, da war ich elf son - zweifellos - zweifellos ausgezeichnet - die Vargo ist zweifellos oder zwölf, war auch in der Berliner Staatsoper .Die Zauberflöte" eine ganz und gar ausgezeichnete Person." Und natürlich gibt es mit Carola Höhn als Pamina und - ich glaube - Peter Schreier als ganz einfache musikalische Grundformen wie Arie, Duett, Terzett Tamino. Carola Höhn war ja erst 27 damals und es war sehr beein• und Quartett. Eigentlich sind esja zwei Quartette. lm l. Akt wird das druckend für mich, wie toll sie auf der Bühne sang und spielte. Als Trio infernale - der Doktor, die Königin der Nacht und der Vater - Peter Zadek am Berliner Ensemble Intendant war, hatte ich ein durch Frau Vargo, die Garderobiere, und im 2. Akt durch Herrn Win• Schülerabonnement und habe .Das Wunder von Mailand" bestimmt ter, den Oberkellner bei den 3 Husaren, zum Quartett komplettiert. sechsmal, ,,Ich bin das Volk" von Kroetz bestimmt zehnmal gesehen. Neben diesem formalen Interesse des Autors gibt es aber doch Ich fand darin Urs Hefti besonders toll. Peter mehr realistischen oder psychologischen ideks .Rosmersholrn" war für mich eine Thea• Fond, als man das so beim ersten Lesen des .ersternstunde, aber auch Ben Becker in .Ber• Textes vermuten würde. lin Alexanderplatz". Heinz: Absolut! Wir haben vielleicht damals, Kehren wir zurück zu Bernhard. Er stellt in den Siebzigerjahren, diese insistierende seinem Stück einen Satz von Novalis voran: musikalische Sprachkunst nicht richtig ver• ,,Das Märchen ist ganz musikalisch". Ist standen, sondern waren erst einmal über• das ein Auftrag für Sie als Regisseur? rascht, verblüfft, viele auch verärgert ob die• Heinz: Damit sind wir beim zentralen Thema ser Merkwürdigkeiten, dieser ständigen - des Stückes wie auch der Behandlung der Wiederholungen und Verschraubungen, Bernhard'schen Sprache. Er schrieb einmal, besonders, wenn es sich um die Beschimp• dass für ihn am Anfang der Arbeit - sei es an fungstiraden handelte. Ich glaube aber, dass einem Prosatext, sei es an einem Stück - immer wir mittlerweile gelernt haben, dass Bern• das Problem der musikalischen Ausformung hards Stücke in ihren Amplituden sozusagen stünde. Der Grundeinfall ist also immer ein nach oben in die Musikalität und nach unten musikalischer. in die Tiefenpsychologie ausschlagen. Das kor• Wie verhalten sich Sprache und Musik kon• respondiert mit seiner außerordentlichen kret im Stück und zur ,,Zauberflöte"? Fähigkeit, die Perspektiven des Ganzen und Heinz: Es gibt ganz einfache Dinge, beispiels• des Einzelnen, also des Komischen und des weise die Wiederholung des Textes einer Per- Tragischen, bis zur Vertauschbarkeit anzunä• ·n durch eine andere Person oder durch das hern. Der Hochseilakt einer Bernhard-Auffüh• Orchester, meist in einer anderen Stimme, das rung besteht meines Erachtens darin, auf der nennt man in der musikalischen Syntax das einen Seite die Form zu respektieren und auf Polyptoton. Ein Mittel, das im Stück wie in der der anderen Seite die Psychologie der Figuren Oper immer wieder verwendet wird. Oder die Doppelbödigkeit. Annett Renneberg bewun- mitzuspielen. Also man sollte weder dem psy- Palilogia, also die Wiederholung der eigenen dert Bernhards l

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