ARCHITEKTURPERLEN IN

MARTINA METTNER Ganz schön anzusehen sind einige Art-Deco-Gebäude respektive Banken. In einer kann man die alte Schalterhalle besichtigen. Die könnte identisch in Wien sein. Ansonsten wenig Glamour. Viele Menschen leben auf der Sraße, man sieht die Armut, wo man geht und steht.

Auf der Rua 25 Marco werden Glimmer und Glitzer im großen Stil verkauft. Es gibt alles mit Strass: Flipflops, Haarreifen, Diademe, Haarspangen, Ringe und alles an Schmuck, was man sich denken kann. Alles ist sehr bunt, sehr laut und und sehr voll. Aber auch faszinierend glitzerig. (Und wie ich retrospektiv feststellen konnte, kommt es in Europa erst Monate später und zu dras- tisch höheren Preisen auf den Markt.)

Wir schaffen in São Paulo nicht einmal die Hälfte von dem, was uns interessieren würde. Die Architektur, die vielen Museen, die unterschiedlichen Stadtviertel – man kann das zeitlich wie körperlich gar nicht bewältigen. Heute waren wir acht Stunden bei 28 Grad, bedecktem Himmel und extrem hoher Luftfeuchtigkeit unterwegs. Da ist man abends platt.

An der Paulista wollten wir ins Kunstmuseum gehen. Der berühmte Bau ist von Lina Bo Bardi. Auf Fotos sieht er ganz spektakulär aus, in der Realität Anfang 2016 jedoch nicht. Die roten Trä- gersäulen sind gerade umkleidet und daher fehlt das optisch signifikante Merkmal. Dienstags ist der Eintritt frei, daher war die Schlange vor dem Kassenschalter ewig lang und wir haben verzich- tet. Beweisfoto unten. Stattdessen besuchten wir den Park „Trianon“ nahebei. Nur um geht es im Reisebooklet „Kurven im Raum“.

REISEBERICHT: ALTER GLANZ UND NEUER GLITZER

Ein „Geheimtipp“ für das Zentrum: Das Dach des . Es wurde 1925 gebaut, der erste Wolkenkratzer Brasiliens. Wir erwischten um 16 Uhr, nach einem Stopp in einem alten feudalen italienischen Café, die letzte Gelegenheit, eingelassen zu werden. Man fährt mit dem Aufzug rauf und hat zwanzig Minuten Zeit, über die Dachterrasse mit ihren diversen balkonarti- gen Ausbuchtungen zu wandeln. Der Blick über São Paulo ist beeindruckend. Es gibt zwar höhe- re Häuser drumherum, aber der Rundblick von diesem ist speziell ergiebig.

Theoretisch kann man auch beim Edificio Italia (Seite 17) zwischen vier und fünf mit dem Auf- zug aufs Dach fahren. Es steht ziemlich nah am Copan Building, dem berühmten Niemeyerbau in Wellenform, der übrigens kürzer ist, als man denken mag, vor allem, wenn man das überhaupt völlig konstruierte Gursky-Bild im Sinn hat. (Detail der Copan-Rückseite siehe Seite 9.) Der Herr Gursky hat ja meine Hochachtung schon dadurch, es überhaupt zu fotografieren, wo es doch dicht zugebaut ist. Jedenfalls: Auf das Italia haben sie uns wegen angeblicher Überfüllung nicht raufgelassen, obwohl es erst kurz nach vier war. In das Copan kommt man eh nicht rein, nur in den Shoppingteil (siehe Seite 10/11). Und von außen ist alles verhängt. Das Licht war un- günstig, es nieselte. Wir wollten dann einen Espresso trinken, wurden aber aus dem Cafe wieder rausgeschickt, mit dem Hinweis, die Maschine sei defekt. So hatte ich mir das alles nicht gedacht!

Im Zentrum stehen bemerkenswerte Art-Deco-Gebäude wie die Banco do Brasil von 1901. Hier abgebildet ist die alte Schalterhalle der ebenso opulenten Banco de São Paulo. Im Bankenviertel befindet sich auch São Paulos Antwort auf das Empire State Building, Prédio do Banespa von 1947. Nächstes Foto: Beeindruckter unbekannter Tourist vor Art-Deco-Gitter.

An der Avenida Pau- lista liegt ein kleiner Park, Trianon genannt, der ein Stück Regen- wald konserviert. 1892 wurde er von den an der Paulista lebenden Familien angelegt.

Man stelle sich vor, in einem Palmenhaus mit tropischer Vegeta- tion zu sitzen, durch das Leute mit ihren Hunden spazieren. In dem feuchtwarmen Klima neigt man zur Schläfrigkeit. Auf jeder der vielen Bänke saß jeweils eine Person, meist mit seitlich ge- neigtem Kopf, kurz weggenickt. Dann fuhr die Militärpolizei mit dem Auto durch, was auch seltsam ist, wenn man gefühlt in einem Tropenhaus sitzt.

Durch die alten Stra- ßenlampen im Park kann man sich in die Zeit zurückversetzen, in der die Kaffeebaro- ne an der Paulista in ihren Villen lebten. Von diesen ist kaum eine übrig. Es reiht sich jetzt ein verspiegeltes Hochhaus ans nächste.

Tokio in São Paulo Hier gibt es die größte Ansiedlung von Japanern außerhalb Japans und schönere Straßenlaternen als dort. Man kann kaum glauben, nicht in Japan zu sein. Oben: Badezuberladen. In der Spiegelung erkennt man die von der Copacabana in Rio bekannte schwarzweiße Pflasterung.

Selbstporträt-Bronze mit Zigarette von Amadeu Zani, 1931

Wir waren in der Pinacoteca de São Paulo und auch in der unweit gelegenen Estação Pinacoteca. Die liegen um den Bahnhof Luz, in dem früher die Züge mit den Immigranten ankamen (vorherige Seite). Die Pinacoteca de São Paulo ist ein supermoder- nes Museum in einem alten Lagerhaus aus Backstein. Immer wieder begeistert bin ich von dem irsinnig schönen alten Parkett. Im strömenden Regen machten wir uns auf zur zweiten Pinacoteca, die anscheinend mitten im Crackviertel liegt. Jedenfalls campieren die Süchtigen entlang des schönen historischen Gebäudes.

Wenn man über São Paulo liest, wird man ständig gewarnt, wie gefährlich und teuer und wieviel Stau hier ist. Das mag alles sein, aber unser Eindruck entspricht dem nicht. Ich fand die Staus in Madrid mindestens ebenso enervierend, die Bausünden sind in allen Metropolen ähnlich. Aufpassen muss man halt überall, wo viele Menschen sind, und viele noch dazu extrem arm und/oder drogenabhängig. Wer sich für moderne Kunst interessiert, für den ist São Paulo eine tolle Stadt. Im Unterschied zu Brasilia markieren die Niemayerbauten hier nur leider nicht das Stadtbild. Rechts: Im stehen die prominenten hiesigen Niemeyerbauten, einschließlich der Überdachung für die Skater (nächste Seite). Man macht sich daheim keine Vorstellung von den Entfernungen. Besichtigungen sind immer mit endlosen Fußmärschen verbunden. Der Herr Niemeyer hat wohl speziell dafür gesorgt, dass ausreichend Fläche um die Bauten frei bleibt, damit sie wirken können.

Oscar Niemeyers Ibirapuera Auditorium innen und der Garten, entworfen von Roberto Burle Marx. Beide arbeiteten häufig zusammen. Wichtige Werke kann man vor allem in Brasilia sehen. Vorherige Doppelseite: Oca - Pavilhão Gov. Lucas Nogueira Garcez, Niemeyer 1951. Casa Modernista, 1927 gebaut von Gregori Warchavchik. Das Haus ist unmöbliert, aber gut erhalten, und es lohnt, seine besondere Atmosphäre zu erleben. Es machte mir wieder klar, was mich an der Architektur der 50erJahre interessiert: Die Elemente, die aus der Moderne „gerettet“ wurden, bevor die ökonomischen Be- lange der Gestaltung übergeordnet wurden.

Vom gleichen Architekten Gregori Warchavchik gebaut, fußläufig in einem schicken Wohnviertel entfernt: das Museum des Malers Lasar Segall, 1956 gestorben. Lange Zeit hatte er in Dresden Titelmotiv und Rückseite: Fußgängerampeln, die in der Nähe von Sehenswürdigkeiten (Copan, gemalt. Hier ein Blick von der Werkstatt in den Innenhof. Opernhaus) deren Emblem zeigen. MARTINA-METTNER.DE