Plenarprotokoll 16/90

Deutscher

Stenografischer Bericht

90. Sitzung

Berlin, Mittwoch, den 28. März 2007

Inhalt:

Tagesordnungspunkt 1: (FDP) ...... 9071 B Befragung der Bundesregierung: Gesetzent- Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister wurf zur Umsetzung aufenthalts- und asyl- BMI ...... 9071 B rechtlicher Richtlinien der Europäischen Union; Einführung eines Mindestlohnes . . 9065 A Kornelia Möller (DIE LINKE) ...... 9071 C Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister BMI ...... 9065 B BMI ...... 9071 D Josef Philip Winkler (BÜNDNIS 90/ (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) ...... 9066 B DIE GRÜNEN) ...... 9071 D Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister BMI ...... 9066 C BMI ...... 9072 A Sevim Dağdelen (DIE LINKE) ...... 9066 D Dr. (DIE LINKE) . . . . . 9072 A Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister BMI ...... 9067 A BMI ...... 9072 B Ernst Burgbacher (FDP) ...... 9067 C Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister Tagesordnungspunkt 2: BMI ...... 9067 D Fragestunde Wolfgang Wieland (BÜNDNIS 90/ (Drucksache 16/4802) ...... 9072 B DIE GRÜNEN) ...... 9068 B Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister Mündliche Frage 6 BMI ...... 9068 C Hans-Kurt Hill (DIE LINKE) Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ Vorlage einer Novelle des Kraft-Wärme- DIE GRÜNEN) ...... 9068 D Kopplungs-Gesetzes vor dem Hintergrund Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister drängender Investitionsentscheidungen bei BMI ...... 9068 B kommunalen Energieversorgern und der (DIE LINKE) ...... 9069 C Erkenntnisse beim Klimawandel sowie Schaffung von Investitionsanreizen in die Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister klimafreundliche Kraft-Wärme-Kopplungs- BMI ...... 9069 C Technik Josef Philip Winkler (BÜNDNIS 90/ Antwort DIE GRÜNEN) ...... 9070 B Dagmar Wöhrl, Parl. Staatssekretärin Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister BMWi ...... 9072 D BMI ...... 9070 C Zusatzfragen Sevim Dağdelen (DIE LINKE) ...... 9070 D Hans-Kurt Hill (DIE LINKE) ...... 9072 D Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/ BMI ...... 9071 A DIE GRÜNEN) ...... 9073 B II Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 90. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. März 2007

Mündliche Frage 7 musreform festgelegten Kompetenz des Hans-Kurt Hill (DIE LINKE) Bundes für den Artenschutz Maßnahmen im Rahmen einer gezielten Antwort KWK-Förderung zur Erreichung des Klima- Michael Müller, Parl. Staatssekretär senkungsziel von jährlich 20 Millionen BMU ...... 9076 C Tonnen Kohlendioxid im Jahr 2010 sowie Zusatzfragen hierfür zur Verfügung stehende Haushalts- (BÜNDNIS 90/ mittel ab 2008 DIE GRÜNEN) ...... 9076 D Antwort Dagmar Wöhrl, Parl. Staatssekretärin BMWi ...... 9073 C Mündliche Frage 12 Undine Kurth (Quedlinburg) (BÜNDNIS 90/ Zusatzfragen DIE GRÜNEN) Hans-Kurt Hill (DIE LINKE) ...... 9073 D Haltung der Bundesregierung zur in sechs Bundesländern fehlenden Umsetzung des Mündliche Frage 8 nationalen Biotopverbundes in Landes- Cornelia Behm (BÜNDNIS 90/ recht sowie Zeitplan für die Herstellung DIE GRÜNEN) des nationalen Biotopverbundes Zeitplan für die Umsetzung der Flora- Antwort Fauna-Habitat-Richtlinie nach den Vorga- Michael Müller, Parl. Staatssekretär ben des Europäischen Gerichtshofes BMU ...... 9077 B (Rechtssache C-98/03) in das deutsche Pflanzenschutzgesetz Zusatzfragen Undine Kurth (Quedlinburg) (BÜNDNIS 90/ Antwort DIE GRÜNEN) ...... 9077 C Dr. Peter Paziorek, Parl. Staatssekretär BMELV ...... 9074 B Mündliche Frage 13 Zusatzfragen Undine Kurth (Quedlinburg) (BÜNDNIS 90/ Cornelia Behm (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) DIE GRÜNEN) ...... 9074 C Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/ Gründe der Bundesregierung für die Än- DIE GRÜNEN) ...... 9075 A derungen im Ersten Änderungsgesetz zum Dr. (BÜNDNIS 90/ Bundesnaturschutzgesetz bezüglich des DIE GRÜNEN) ...... 9075 B Schutzes der Lebensstätten für besonders geschützte und bestimmte andere Tier- und Pflanzenarten Mündliche Frage 9 Jörg Rohde (FDP) Antwort Michael Müller, Parl. Staatssekretär Gründe für das Fehlen und Möglichkeiten BMU ...... 9078 A der Einbeziehung der Selbsthilfeverbände und ihrer Untergliederungen als Träger Zusatzfragen des freiwilligen sozialen Jahres in den Gel- Undine Kurth (Quedlinburg) (BÜNDNIS 90/ tungsbereich des § 5 Abs. 1 des Gesetzes DIE GRÜNEN) ...... 9078 B zur Förderung eines freiwilligen sozialen Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/ Jahres (FSJG) DIE GRÜNEN) ...... 9078 D Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ Antwort DIE GRÜNEN) (zur Geschäftsordnung) . 9079 A Dr. Hermann Kues, Parl. Staatssekretär BMFSFJ ...... 9075 C Zusatzfragen Mündliche Frage 14 Jörg Rohde (FDP) ...... 9076 A Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Erkenntnisse und Schlussfolgerungen des Sondergutachtens „Umweltverwaltungen Mündliche Frage 11 unter Reformdruck“ des Sachverständi- Cornelia Behm (BÜNDNIS 90/ genrates für Umweltfragen DIE GRÜNEN) Antwort Vorgesehene Regelungskompetenz der Michael Müller, Parl. Staatssekretär Länder bei Ausnahmeregelungen und beim BMU ...... 9079 C Erlass von Bewirtschaftungsregelungen für die Land-, Forst- und Fischereiwirtschaft Zusatzfragen im Änderungsgesetz zum Bundesnatur- Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/ schutzgesetz trotz der durch die Föderalis- DIE GRÜNEN) ...... 9080 A Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 90. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. März 2007 III

Mündliche Frage 15 Mündliche Frage 19 Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/ Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) DIE GRÜNEN) Reaktion der deutschen Natur- und Um- Rechtliche Grundlagen für ein mögliches weltverwaltungen auf Eingriffe in den Na- Verbot des geplanten Imports von turhaushalt 22 000 Tonnen Hexachlorbenzol aus Aus- tralien in die Bundesländer Schleswig-Hol- Antwort stein und Nordrhein-Westfalen Michael Müller, Parl. Staatssekretär BMU ...... 9080 C Antwort Michael Müller, Parl. Staatssekretär Zusatzfragen BMU ...... 9084 A Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/ Zusatzfragen DIE GRÜNEN) ...... 9080 D Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) ...... 9084 B Mündliche Frage 16 Nicole Maisch (BÜNDNIS 90/ Mündliche Frage 20 DIE GRÜNEN) Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE) Erkenntnisse der Bundesregierung hin- Erkenntnisse der Bundesregierung zur sichtlich des Einflusses des Klimawandels Entsorgungsmöglichkeit von Hexachlor- auf die Artenvielfalt in Deutschland benzol (HCB) durch die australische Regie- rung in ihrem Land Antwort Michael Müller, Parl. Staatssekretär Antwort BMU ...... 9081 C Michael Müller, Parl. Staatssekretär BMU ...... 9085 A Zusatzfragen Nicole Maisch (BÜNDNIS 90/ Zusatzfragen DIE GRÜNEN) ...... 9082 A Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE) ...... 9085 A Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) ...... 9085 B Mündliche Frage 17 Nicole Maisch (BÜNDNIS 90/ Mündliche Frage 21 DIE GRÜNEN) Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE) Durch die Bundesregierung finanzierte Rechtliche Grundlagen für ein mögliches bzw. mitfinanzierte Artenschutzpro- Importverbot zur HCB-Entsorgung in gramme für die Wiederansiedlung von Deutschland trotz technischer und logisti- Wildtieren scher Voraussetzungen und einem privaten Entsorgungsangebot Antwort Michael Müller, Parl. Staatssekretär Antwort BMU ...... 9082 C Michael Müller, Parl. Staatssekretär BMU ...... 9085 D Zusatzfragen Nicole Maisch (BÜNDNIS 90/ Zusatzfragen DIE GRÜNEN) ...... 9082 D Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE) ...... 9086 A Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) ...... 9086 C Mündliche Frage 18 Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/ Mündliche Frage 22 DIE GRÜNEN) (BÜNDNIS 90/ Zeitplan für die Umsetzung der beschlosse- DIE GRÜNEN) nen „Potsdam Initiative zur biologischen Gründe und Zeitpunkt für die Erhöhung Vielfalt 2010“ sowie Vorlage weiterer Maß- der Fördersätze und Freibeträge im BAföG nahmen auf dem G-8-Gipfel in Heiligen- damm Antwort , Parl. Staatssekretär Antwort BMBF ...... 9087 A Michael Müller, Parl. Staatssekretär BMU ...... 9083 B Zusatzfragen Kai Gehring (BÜNDNIS 90/ Zusatzfragen DIE GRÜNEN) ...... 9087 A Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/ Jörg Tauss (SPD) ...... 9087 C DIE GRÜNEN) ...... 9083 C (FDP) ...... 9087 D IV Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 90. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. März 2007

Mündliche Frage 23 Development Committee im britischen Un- Cornelia Hirsch (DIE LINKE) terhaus vom 31. Januar 2007 bezüglich Höhe der Anpassung der Bedarfssätze und Konterkarierung jeglicher internationaler Freibeträge des BAföG ab Wintersemester Hilfe für die palästinensischen Gebiete 2008/2009 durch „unverhältnismäßige Maßnahmen“ der israelischen Regierung sowie deren Antwort Auswirkungen auf die deutsche Entwick- Thomas Rachel, Parl. Staatssekretär lungszusammenarbeit BMBF ...... 9088 A Antwort Zusatzfragen , Staatsminister AA ...... 9092 A Cornelia Hirsch (DIE LINKE) ...... 9088 B Jörg Tauss (SPD) ...... 9088 D Zusatzfragen Heike Hänsel (DIE LINKE) ...... 9092 B Mündliche Fragen 27 und 28 Kornelia Möller (DIE LINKE) Mündliche Frage 32 Weitere Veränderungen an verschiedenen Heike Hänsel (DIE LINKE) Instrumenten der Arbeitsmarktpolitik, so zum Beispiel bei Arbeitsbeschaffungsmaß- Haltung der Bundesregierung zur Aussage nahmen oder Entgeltvariante im Vierten Bericht des International Deve- lopment Committee im britischen Unter- Antwort haus vom 31. Januar 2007 zu den Effekten , Parl. Staatssekretär der Isolierung der gewählten palästinensi- BMAS ...... 9089 C schen Regierung durch die internationale Gemeinschaft Mündliche Frage 29 Antwort Dr. Norman Paech (DIE LINKE) Gernot Erler, Staatsminister AA ...... 9093 A Haltung der Bundesregierung zu der im Bericht vom 29. Januar 2007 enthaltenen Zusatzfragen Kritik des UN-Sonderberichterstatters Heike Hänsel (DIE LINKE) ...... 9093 A über die Situation von Menschenrechten in (Wiesloch) (SPD) ...... 9093 C den palästinensischen Gebieten, insbeson- dere zur Mitverantwortlichkeit der Euro- päischen Union für die humanitäre Krise Mündliche Frage 33 Monika Knoche (DIE LINKE) Antwort Gernot Erler, Staatsminister AA ...... 9090 A Umsetzung der UN-Resolution 1325 in der Zusatzfragen Nahostpolitik der Bundesregierung, insbe- Dr. Norman Paech (DIE LINKE) ...... 9090 B sondere im Hinblick auf palästinensische Gert Weisskirchen (Wiesloch) (SPD) ...... 9090 D Gebiete und die Förderung friedenspoliti- scher Frauenorganisationen

Mündliche Frage 30 Antwort Dr. Norman Paech (DIE LINKE) Gernot Erler, Staatsminister AA ...... 9093 D Sicht der Bundesregierung hinsichtlich des Vorschlags der Anforderung eines Gutach- tens des Internationalen Gerichtshofs be- Mündliche Frage 34 züglich rechtlicher Konsequenzen eines Monika Knoche (DIE LINKE) dauerhaften militärischen Besetzungs- Haltung der Bundesregierung zu den For- regimes in den palästinensischen Gebieten derungen israelischer Frauenorganisatio- Antwort nen auf Verzicht auf Waffenlieferungen Gernot Erler, Staatsminister AA ...... 9091 A von Deutschland nach Israel und der Ein- Zusatzfragen beziehung von Konzepten zur Beendigung Dr. Norman Paech (DIE LINKE) ...... 9091 B der Rüstungsspirale im Nahen Osten in die diplomatischen Beziehungen

Mündliche Frage 31 Antwort Heike Hänsel (DIE LINKE) Gernot Erler, Staatsminister AA ...... 9094 A Haltung der Bundesregierung zur Aussage Zusatzfragen im Vierten Bericht des International Monika Knoche (DIE LINKE) ...... 9094 C Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 90. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. März 2007 V

Mündliche Frage 35 Anlage 1 Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE) Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . 9111 A Bildung einer palästinensischen Einheitsre- gierung als Anlass für die Bundesregierung zu einem Engagement hinsichtlich der Auf- Anlage 2 hebung der Sanktionen, insbesondere des Zahlungsboykotts, im Rahmen der EU- Mündliche Fragen 1 und 2 Ratspräsidentschaft Dr. Uschi Eid (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Antwort Gernot Erler, Staatsminister AA ...... 9095 A Beurteilung des Zugangs zu Erstinformati- onen über kulturrelevante europäische Zusatzfragen Förderfonds sowie des Informations- und Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE) ...... 9095 C Beratungsangebots zu Antragsverfahren und der Fördermöglichkeiten kultureller Projekte aus Mitteln der EU-Strukturfonds Mündliche Frage 36 im derzeitigen Informationsangebot der Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE) zuständigen Landesministerien bzw. -be- Haltung der Bundesregierung zum Bericht hörden durch die Bundesregierung, Ver- des UN-Sonderberichterstatters über die besserung der Aufbereitung des Informati- Situation von Menschenrechten in den pa- onsangebots sowie Zusammenarbeit mit lästinensischen Gebieten vom 29. Januar dem Cultural Contact Point Germany 2007 über einen hierin dargestellten Ver- Antwort stoß gegen die Vierte Genfer Konvention , Staatsminister BK ...... 9111 B durch die „Belagerung“ von Gaza mit der Wirkung einer „kollektiven Bestrafung“ Antwort Anlage 3 Gernot Erler, Staatsminister AA ...... 9096 B Mündliche Frage 3 Zusatzfragen Jan Mücke (FDP) Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE) ...... 9096 C Anzahl der Bundespolizisten auf dem Ge- biet des Freistaates Sachsen aktuell sowie Zusatzpunkt 1: nach dem 1. Januar 2008 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion Antwort des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: , Parl. Staatssekretär Nationaler Biotopverbund ...... 9097 B BMI ...... 9112 B Undine Kurth (Quedlinburg) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) ...... 9097 B Anlage 4 Marie-Luise Dött (CDU/CSU) ...... 9098 C Mündliche Fragen 4 und 5 (FDP) ...... 9099 B Uwe Barth (FDP) Christoph Pries (SPD) ...... 9100 B Anzahl der Grundstücke in den Kommu- nen der ostdeutschen Bundesländer im Lutz Heilmann (DIE LINKE) ...... 9101 A Geltungsbereich des Verkehrsflächenberei- Ulrich Petzold (CDU/CSU) ...... 9102 A nigungsgesetzes (VerkFlBerG) mit unkla- ren Eigentumsverhältnissen sowie Pläne Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/ der Bundesregierung zur Verlängerung des DIE GRÜNEN) ...... 9103 A gesetzlichen Ankaufsrechts der Kommu- nen in den neuen Bundesländern über die (SPD) ...... 9103 D am 30. Juni 2007 endende Frist gemäß § 8 (CDU/CSU) ...... 9105 A Abs. 1 Verkehrsflächenbereinigungsgesetz hinaus zur Nutzung der Möglichkeiten aus Michael Müller, Parl. Staatssekretär BMU . . 9106 A dem Verkehrsflächenbereinigungsgesetz auch nach dem 30. Juni 2007 durch die be- Josef Göppel (CDU/CSU) ...... 9107 D troffenen Kommunen Dr. (SPD) ...... 9108 C Antwort Alfred Hartenbach, Parl. Staatssekretär Nächste Sitzung ...... 9109 D BMJ ...... 9112 C VI Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 90. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. März 2007

Anlage 5 Anlage 9 Mündliche Frage 10 Mündliche Fragen 37 und 38 Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE) Frank Spieth (DIE LINKE) Maßnahmen der Bundesregierung zur Ursachen für die befürchtete Schließung kurzfristigen Zulassung der Bundesar- zahlreicher Kinderarztpraxen aufgrund beitsgemeinschaft Selbsthilfe und anderer mangelnder Nachfolger innerhalb der Organisationen von Menschen mit Behin- nächsten fünf Jahre mit einer fast doppelt derungen als Träger des freiwilligen sozia- so hohen Quote in Ostdeutschland sowie len Jahres Maßnahmen der Bundesregierung für eine flächendeckende medizinische Versorgung Antwort von Kindern und Jugendlichen insbeson- Dr. Hermann Kues, Parl. Staatssekretär dere in den neuen Bundesländern BMFSFJ ...... 9113 B Antwort Marion Caspers-Merk, Parl. Staatssekretärin BMG ...... 9114 C Anlage 6 Mündliche Frage 24 Cornelia Hirsch (DIE LINKE) Anlage 10 Mündliche Fragen 39 und 40 Reaktion auf die Kritik des UN-Sonder- Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/ berichterstatters Vernor Muñoz am deut- DIE GRÜNEN) schen Bildungssystem vor dem Hinter- grund der gegenwärtigen Kompetenz- Zeitplan für die Reform der Pflegever- aufteilung zwischen Bund und Ländern im sicherung sowie Berücksichtigung der Er- Bildungsbereich gebnisse einer aktuellen Emnid-Studie zur Pflegesituation Antwort Thomas Rachel, Parl. Staatssekretär Antwort BMBF ...... 9113 D Marion Caspers-Merk, Parl. Staatssekretärin BMG ...... 9115 A

Anlage 7 Anlage 11 Mündliche Frage 25 Mündliche Fragen 41 und 42 Jörg Rohde (FDP) (BÜNDNIS 90/ Pläne der Bundesregierung zu Korrektu- DIE GRÜNEN) ren im Bereich SGB IX und der Frühför- Haltung der Bundesregierung zum Vor- derverordnung zur Verbesserung eines flä- schlag der bayerischen Staatsministerin chendeckenden und trägerübergreifenden Christa Stewens zur Einführung einer pri- Leistungsangebots im Bereich der Frühför- vaten, pauschalen Zusatzprämie von an- derung behinderter und von Behinderung fänglich 6 Euro pro Monat für alle Er- bedrohter Kinder sowie jüngste schon er- wachsenen zur sozialen Pflegeversicherung folgte Verbesserungen sowie zu den ablehnenden Reaktionen an- Antwort derer unionsgeführter Länder sowie Gerd Andres, Parl. Staatssekretär Schlussfolgerungen der Bundesregierung BMAS ...... 9114 A aus diesem Konzept für die weiteren Re- formverhandlungen Antwort Anlage 8 Marion Caspers-Merk, Parl. Staatssekretärin BMG ...... 9115 C Mündliche Frage 26 Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE) Teilnahme von Bundesbehörden sowie Be- Anlage 12 troffenenorganisationen an der Weltkonfe- Mündliche Fragen 43 und 44 renz der Taubblinden vom 25. bis 30. Sep- Elisabeth Scharfenberg (BÜNDNIS 90/ tember 2007 in Australien DIE GRÜNEN) Antwort Umfassende Reform der Pflegeversiche- Gerd Andres, Parl. Staatssekretär rung noch in dieser Legislaturperiode BMAS ...... 9114 C angesichts sich widersprechender Äuße- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 90. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. März 2007 VII rungen der CDU-Führung und der Ge- Anlage 15 sundheitsministerin in der Presse Mündliche Frage 48 Antwort Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE) Marion Caspers-Merk, Parl. Staatssekretärin BMG ...... 9115 D Zahlenmäßige Belegung der angeblichen „Gießkannen-Förderpolitik“ bzw. Darstel- Anlage 13 lung der regionalen Konzentration der Fördermittel in Ostdeutschland Mündliche Frage 45 (CDU/CSU) Antwort Höhe der Mittelzuweisungen für den Fern- Ulrich Kasparick, Parl. Staatssekretär straßenbau der einzelnen Bundesländer in BMVBS ...... 9117 B den Jahren 2001 bis 2006 sowie Deckung des Investitionsbedarfs gemäß Bedarfsplan Antwort Anlage 16 Ulrich Kasparick, Parl. Staatssekretär BMVBS ...... 9116 A Mündliche Frage 49 Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE)

Anlage 14 Haltung der Bundesregierung zu den nega- tiven Einschätzungen des ifo-Institutes für Mündliche Fragen 46 und 47 die zukünftige Entwicklung Ostdeutsch- Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) lands mit gravierenden Unterschieden zum Westen wie einer doppelt so hohen Arbeits- Wirksamere Instrumente zur Steigerung losenquote sowie daraus resultierende der Verkehrssicherheit und zur Verringe- Pläne der Bundesregierung für eine Ände- rung der CO2-Emissionen auf Bundesauto- rung der Förderpolitik beim Aufbau Ost bahnen als ein Tempolimit Antwort Antwort Ulrich Kasparick, Parl. Staatssekretär Ulrich Kasparick, Parl. Staatssekretär BMVBS ...... 9117 A BMVBS ...... 9117 D

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 90. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. März 2007 9065

(A) (C) Redetext

90. Sitzung

Berlin, Mittwoch, den 28. März 2007

Beginn: 13.00 Uhr

Vizepräsidentin : In diesen Gesetzentwurf sind die Erkenntnisse aus der Die Sitzung ist eröffnet. Evaluierung des Zuwanderungsgesetzes eingeflossen. Sie wissen, dass das Zuwanderungsrecht in der letzten Guten Tag, liebe Kolleginnen und Kollegen! Legislaturperiode zum 1. Januar 2005 novelliert worden ist. Die vereinbarte Evaluierung des Zuwanderungsge- Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf: setzes ist im vergangenen Jahr durchgeführt worden. Wir Befragung der Bundesregierung haben eine Praktikeranhörung durchgeführt. Die Ergeb- nisse dieser Evaluierung haben wir, soweit sie gesetzge- Die Bundesregierung hat als Thema der heutigen Ka- berische Konsequenzen erfordern, in den Gesetzentwurf binettssitzung mitgeteilt: Gesetzentwurf zur Umset- aufgenommen. zung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union. Entsprechend der Koalitionsvereinbarung und der Re- gierungserklärung der Bundeskanzlerin vom Beginn die- (B) Das Wort für den einleitenden fünfminütigen Bericht ser Legislaturperiode ist die Integration ein Schwerpunkt (D) hat der Bundesminister des Innern, Dr. Wolfgang der Regierungsarbeit. Dementsprechend versuchen wir Schäuble. mit diesem Gesetz, die Integration zu fördern. Mit die- sem Gesetz, mit den begrenzten Möglichkeiten, die der Gesetzgeber hat, treten wir den arrangierten Ehen entge- Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister des In- gen, die sich bei einem bestimmten Teil unserer Bevöl- nern: kerung mit Migrationshintergrund als Integrationshin- Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Verehrte Kollegin- dernis erwiesen haben. Wenn junge Menschen türkischer nen und Kollegen! Die Bundesregierung hat heute den Abstammung, die in Deutschland geboren und aufge- Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts- und wachsen sind, in einer Größenordnung von bis zu asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union be- 50 Prozent keinen Partner heiraten, der ebenfalls in schlossen. Mit diesem Gesetzentwurf sollen elf EU- Deutschland aufgewachsen ist, gleich welcher Staatsan- Richtlinien umgesetzt werden. Im Wesentlichen geht es gehörigkeit oder Abstammung, dann spricht das dafür, um die Harmonisierung des Asylrechts auf EU-Ebene. dass die arrangierten Ehen Integration nicht befördern, sondern behindern. Mit der Einführung eines Mindestal- Den Bundestag möchte ich schon jetzt bitten, die par- ters und der Einführung von Mindestsprachkenntnissen lamentarischen Beratungen möglichst zügig durchzufüh- wollen wir die Voraussetzungen dafür schaffen, dass sich ren, da wir bei der Umsetzung einiger EU-Richtlinien die Menschen, die im Zuge des Ehegattennachzugs nach verfristet sind. Ich glaube, dass wir mit der heutigen Be- Deutschland kommen, gut integrieren können, damit sie schlussfassung auf Regierungsebene einen wichtigen bessere Lebenschancen haben. Schritt unternommen haben. Wir haben beim Gesetzentwurf auch die Beschlussfas- Mit diesem Gesetzentwurf fördern wir die Integra- sung der Innenministerkonferenz vom Sommer vergange- tion, und zwar vor allem, indem wir den Zugang zum nen Jahres zur Neuregelung des Staatsangehörigkeitsrech- Arbeitsmarkt für die Menschen verbessern, die bereits in tes berücksichtigt, die gesetzgeberische Konsequenzen Deutschland leben. In Zukunft können Menschen, die erfordert. keinen rechtlichen Aufenthaltstitel haben, die sogenann- ten Geduldeten, ohne Vorrangprüfung eine Arbeit auf- Wir haben schließlich Erkenntnisse verwertet, was die nehmen, wenn sie vier Jahre in Deutschland leben. Wir Sicherheit dieses Landes anbetrifft, die wir im Zuge der fördern die Integration, indem wir das Instrumentarium Ermittlungen im Zusammenhang mit den glücklicher- der Arbeitsmarktförderung und der Integration bei die- weise nicht explodierten Kofferbomben gefunden haben. sen Menschen zur Anwendung bringen. Wir haben in der Zusammenarbeit zwischen Sicherheits- 9066 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 90. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. März 2007

Bundesminister Dr. Wolfgang Schäuble (A) und Ausländerbehörden Verbesserungen mit diesem Ge- ( [CDU/CSU]: Das stand nie (C) setzentwurf vorgesehen, sodass dieser Gesetzentwurf im Gesetzentwurf!) insgesamt das friedliche und tolerante Zusammenleben Sie haben bisher nur die Erhöhung der Hürden hinsicht- von Menschen unterschiedlicher Herkunft und der lich der Sprache angesprochen. Aber über ein eigenstän- Mehrheitsgesellschaft in diesem Lande verbessert. diges Aufenthaltsrecht und eine Rückkehroption haben Deswegen ist es ein Gesetzentwurf, der die Integra- Sie nichts gesagt. Wie erklären Sie sich das? tion in diesem Lande fördert. Es hat unter anderem in der Innenministerkonferenz eine Debatte – auch das will ich Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister des In- mit einem Satz erwähnen – über die Bleiberechtsrege- nern: lung und Altfallregelung gegeben. Ich glaube, dass die Erstens. Ich habe nicht zu allem etwas gesagt, Herr Regelung, die wir gefunden haben, den Interessen aller Winkler, weil die Regeln der Regierungsbefragung vor- gerecht wird. Es gibt nicht mehr Zuzug in dieses Land. sehen, dass man einen fünfminütigen einleitenden Be- Es gibt mehr Möglichkeiten für Menschen, die seit lan- richt gibt. Es überschreitet meine Fähigkeiten, Ihnen gem in diesem Lande leben, Arbeit zu bekommen und diesen Gesetzentwurf im Detail in fünf Minuten vorzu- den Sozialversicherungssystemen damit weniger zur stellen. Last zu fallen als bisher. Indem die Länder davon Ge- brauch machen können, ist sichergestellt, dass die Men- Zweitens. Ich habe nicht die Absicht, Ihnen alle Stu- schen, solange sie keine Arbeit finden – auch wenn sie in fen der Beratung und die verschiedenen Entwürfe zu re- den Genuss der gesetzlichen Altfallregelung kommen –, kapitulieren. Das kann ich in der Verantwortung als Mit- nicht mehr Sozialleistungen erhalten, als sie bis zum glied der Regierung nicht tun. Ich lege Ihnen als 1. März dieses Jahres erhalten haben. Dadurch gibt es Mitglied der Regierung vor, was das Kabinett heute ein- keinen Zuzug in die Sozialversicherungskassen. vernehmlich beschlossen hat. Dem sind gründliche Vor- arbeiten vorausgegangen. Wir haben immer versucht, Eine letzte Bemerkung in diesem Zusammenhang: dabei eine richtige Linie zu finden; das ist in Koalitions- Wir haben – das respektiere ich – viel Kritik erfahren, verhandlungen notwendig. Von der Sache her ist es zum Beispiel durch einen offenen Brief der Verbände wichtig, den Missbrauch zu verhindern. Wir möchten, von Migranten. Das ist in unserer pluralistischen, offe- dass diejenigen, die hier leben, möglichst gute Chancen nen Debatte in Ordnung. Wer Integration wirklich för- haben, ihr Leben durch Arbeitsaufnahme zu gestalten. dern will, muss den Missbrauch von gesetzlichen Ange- Wir möchten die Missbrauchsmöglichkeiten bekämp- boten bekämpfen und dafür sorgen, dass denen geholfen fen, weil die Bekämpfung der Missbrauchsmöglichkei- wird, die der Integration, der Förderung und auch Forde- ten eine Voraussetzung dafür ist, dass die Mehrheitsge- rung bedürfen, darüber hinaus muss er dafür sorgen, dass (B) sellschaft in diesem Lande auch weiterhin bereit ist, (D) sich die Mehrheitsgesellschaft von Migranten nicht be- dazu beizutragen, dass in Deutschland große Offenheit droht fühlt und dass das friedliche Miteinander von und Toleranz herrschen. Mehrheit und Minderheit gefördert wird. Nur wem dies gelingt, schafft es im Ergebnis und nicht nur in Absichts- Man muss bei diesen Überlegungen immer im Hinter- bekundungen, die Integration von Migrantinnen und Mi- kopf haben: 20 Prozent unserer Bevölkerung haben ei- granten zu verbessern. nen Migrationshintergrund. Seit 20 Jahren sage ich in diesen Debatten immer wieder: Deutschland ist ein aus- länderfreundliches Land und muss es bleiben. Gerade Vizepräsidentin Petra Pau: deswegen muss man bei der Bekämpfung der Miss- Herzlichen Dank, Herr Minister. – Ich bitte, zunächst brauchsmöglichkeiten behutsam vorgehen. Wir haben Fragen zu dem Themenbereich zu stellen, über den so- uns bemüht, entsprechende Lösungen zu finden. Dies eben berichtet wurde. gilt auch für die Frage, die Sie angesprochen haben. Wir werden alle einzelnen Punkte in den parlamentarischen Das Wort zur ersten Frage hat der Kollege Josef Beratungen intensiv erörtern. Winkler.

Vizepräsidentin Petra Pau: Josef Philip Winkler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Die nächste Frage stellt die Kollegin Dağdelen. NEN): Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Sehr geehrter Minis- Sevim Dağdelen (DIE LINKE): ter Schäuble, Sie sind in Ihrer Eingangsbemerkung auf Herzlichen Dank, Frau Präsidentin. – Herr Minister, die Themen arrangierte Ehe und Zwangsheirat eingegan- Sie haben in Ihrem kurzen Bericht davon gesprochen, gen. Mich würde interessieren, wieso die in den ver- dass mit diesem Gesetzentwurf nicht nur mit Blick auf schiedenen Vorentwürfen enthaltenen Regelungen jetzt die elf EU-Richtlinien, die jetzt umgesetzt werden sol- nicht mehr im Gesetzentwurf stehen, nach denen Frauen len, die Harmonisierung gefördert werden soll, sondern ein eigenständiges Aufenthaltsrecht bekommen können auch im Wesentlichen die Integration. Das ist sehr inte- und eine Rückkehroption haben, wenn sie zum Beispiel ressant. ins Ausland zwangsverheiratet werden, auch wenn eine Frist von sechs Monaten überschritten wurde. Das wurde Gestern wurde von den Teilnehmerinnen und Teilneh- in der Anhörung im zuständigen Familienausschuss von mern des Integrationsgipfels ein offener Brief, der an allen Sachverständigen gefordert. Frau Bundeskanzlerin Merkel gerichtet ist, veröffent- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 90. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. März 2007 9067

Sevim Daðdelen (A) licht. Die Verfasser kommen zu dem Schluss: Die auf- ressen stattfindet: Jeder Verband muss seine eigene Posi- (C) enthaltsrechtlichen Verschärfungen in dem Gesetzent- tion vertreten. wurf, den Sie als integrationsfördernd dargestellt haben, Im Vorfeld der Beschlussfassung der Koalition war zu stehen im krassen Gegensatz zu den Intentionen des von erleben, dass an unserem Gesetzentwurf auch die genau Ihnen initiierten Integrationsgipfels und stellen den Sinn gegenteilige Kritik geübt wurde, und zwar aus mindes- und Zweck des Integrationsgipfels infrage. Darüber hi- tens genauso ernst zu nehmenden Kreisen. Das ist nun naus gab es im März 2007 eine Stellungnahme von Am- einmal so. In der pluralistischen Demokratie gibt es nie nesty International, vom Deutschen Caritasverband, von hundertprozentige Lösungen, sondern man muss für ei- Pro Asyl, vom Paritätischen Wohlfahrtsverband, vom nen Interessenausgleich sorgen. Das drückt sich unter DGB und vielen anderen Organisationen, in der dieser anderem auch darin aus, dass ein solcher Gesetzentwurf Gesetzentwurf als rückwärtsgewandt, integrationshem- aus unterschiedlichen Gründen kritisiert wird, weil er in mend und flüchtlingsunfreundlich bezeichnet wurde. vielerlei Hinsicht hinter den hundertprozentigen Erwar- Wie erklären Sie sich diesen Widerspruch? tungen aus der einen oder anderen Richtung zurückblei- ben muss. Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister des In- nern: Vizepräsidentin Petra Pau: Erstens. Was den offenen Brief betrifft, so werte ich Die nächste Frage stellt der Kollege Burgbacher. ihn zunächst einmal als einen Ausdruck fortschreitender Integration. Denn die Teilhabe von Organisationen von Migranten an unserem öffentlichen Diskurs und an einer Ernst Burgbacher (FDP): pluralistisch streitigen öffentlichen Debatte ist genau Herr Minister, Sie haben gesagt, eigentlich geht es bei das, wozu wir immer einladen, im Rahmen des Integra- diesem Gesetzentwurf um die Umsetzung von elf EU- tionsgipfels wie auch im Rahmen der Islamkonferenz. Richtlinien. Wenn man Richtlinien umsetzt, ist immer Man kann und soll in einer pluralistischen Demokratie auch interessant, wie andere das tun. Mich überrascht streiten, allerdings mit Argumenten und nicht mit Dro- übrigens immer wieder, auch bei Fragen an die Bundes- hungen und Gewalt. Deswegen ist das gut so. regierung, wie wenig die Bundesregierung von der Um- setzung weiß – aber das muss jetzt hier nicht so sein. Ich Zweitens. Wenn man sich mit einem so komplexen will auf einen konkreten Punkt eingehen. Sie haben ge- Gesetzgebungsvorhaben befasst – ich habe versucht, das sagt, in dem Gesetzentwurf steht jetzt, dass Geduldete in meinen kurzen einleitenden Bemerkungen zu erläu- nach vier Jahren Aufenthalt arbeiten dürfen. Mich würde tern –, muss man mehrere Aspekte gleichzeitig im Auge interessieren, ob Ihnen bekannt ist, wie die Richtlinien in (B) haben: die Lebenssituation von Betroffenen, auch die anderen Ländern in diesem Punkt umgesetzt werden. (D) von längerfristig Geduldeten, aber auch die Lebenssitua- tion der anderen Menschen, die in diesem Lande leben Zweitens würde mich interessieren: Warum eigentlich und beispielsweise Sorge haben, weil Sozialleistungen eine Frist von vier Jahren? Wir waren schon immer der gekürzt werden oder weil als Folge aller möglichen Ent- Meinung: Wenn Menschen hier geduldet sind, dann soll- wicklungen die Situation auf dem Arbeitsmarkt proble- ten sie auch arbeiten dürfen. Wir würden damit gerade matisch ist. bei dem Problem, das Sie angesprochen haben, bei dem Problem der Akzeptanz, vieles erleichtern, wenn wir das Gelegentlich beschäftigen wir uns auch mit der Be- zulassen würden. Warum ziehen Sie da also die Schwelle kämpfung des Extremismus, des Linksextremismus und von vier Jahren wieder ein? des Rechtsextremismus. In diesem Zusammenhang spre- chen wir darüber, was wir tun können, um Tendenzen Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister des In- zur Ausländerfeindlichkeit von Anfang an zu ersticken. nern: Wir brauchen Regelungen, die all diesen Gesichtspunk- Herr Kollege Burgbacher, die Frage des Arbeitsauf- ten Rechnung tragen. Nur dann kann Integration wirk- nahmeverbots bzw. der Voraussetzungen, unter denen lich gelingen. Ich bin überzeugt, dass wir mit diesem Ge- Ausländer mit welchem aufenthaltsrechtlichen Status ar- setzentwurf die Integration im Ergebnis fördern; darum beiten dürfen, ist eine Frage, die mit der Umsetzung der haben wir uns bei der Formulierung des Gesetzentwurfes elf EU-Richtlinien nichts zu tun hat. Insofern kann ich bemüht. Ihnen keine Antwort geben, wie das in anderen Ländern Allerdings kann damit nicht allen Erwartungen Rech- ist. nung getragen werden, die von Migrantenorganisationen Wir setzen nicht nur elf EU-Richtlinien um, sondern oder von Organisationen, die Ausländer betreuen – Sie wir haben auch eine Menge anderer Punkte. Ich kenne haben einige genannt –, zum Beispiel von den beiden das Problem, um das es bei dieser Frage geht, schon aus Kirchen, vom Caritasverband oder von der Diakonie, den 70er-Jahren: Zur Zeit der Regierung von Bundes- formuliert werden. kanzler Helmut Schmidt – die Koalitionspartner waren, (Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Gewerk- wenn mich mein Gedächtnis nicht trügt, SPD und FDP, schaften!) Innenminister ist im Zweifel Herr Baum, vielleicht auch noch Herr Maihofer gewesen; das müsste man prüfen –, – Ja, das gilt auch für die Gewerkschaften. – Das liegt in hatten wir die große Zuwanderung von Asylbewerbern. der Natur unserer pluralistischen Debatte und ist in der Schon damals ging es um diese Frage. Man hat, um die Art und Weise begründet, wie die Vertretung von Inte- Attraktivität für die Organisatoren illegaler Migration zu 9068 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 90. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. März 2007

Bundesminister Dr. Wolfgang Schäuble (A) verringern, für Menschen, die noch keinen rechtlichen Drittens. Warum gibt es eine Klausel, wonach derje- (C) Aufenthaltsstatus haben, das Arbeitsaufnahmeverbot nige, der seine Aufenthaltsbeendigung vorsätzlich ver- eingeführt. Dann hat man lange diskutiert: Ein Jahr? zögert hat, nicht unter diese Regelung fällt, ohne dass Zwei Jahre? Dann hat man es weiter verlängert. Im Zu- dabei „rechtsmissbräuchlich“ gefordert wird, sodass wanderungsrecht ist es noch einmal verlängert worden. auch ein legales Verzögern – jedenfalls nach der Inter- pretation von kleinlichen Ausländerbehörden, die es in Die Regelungen, die wir heute haben – de lege lata –, diesem Land gibt – darunter subsumiert werden könnte? sind so, dass ein Geduldeter – also jemand, der keinen rechtlichen Aufenthaltsstatus hat, aber hier ist, nicht ab- geschoben werden kann, aus rechtlichen oder tatsächli- Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister des In- chen Gründen – Zugang zum legalen Arbeitsmarkt hat, nern: wenn das Arbeitsamt bescheinigt, dass für diesen Ar- Herr Kollege Wieland, Sie reden von der Altfallrege- beitsplatz kein deutscher Bewerber bzw. kein Bewerber lung, die in diesem Gesetzentwurf enthalten ist. Ich muss aus der EU zur Verfügung steht. Diese Vorrangprüfung darauf hinweisen, dass es bei dem Gesetzentwurf insge- wirkt sich in den einzelnen Teilen der Bundesrepublik samt – zu weit mehr als 90 Prozent – um andere Fragen Deutschland – auch wegen der jeweiligen Arbeitsmarkt- als um die Altfallregelung geht. situation – sehr unterschiedlich aus. Der Arbeitsminister (Reinhard Grindel [CDU/CSU]: So ist es!) sagt in seiner Verantwortung: Ich kann das nicht völlig aufgeben. – Es gibt auch starke Argumente dafür. Des- Bei der Altfallregelung geht es um Menschen, die min- wegen, glaube ich, ist es ein guter Weg, dass wir uns ver- destens sechs Jahre – wenn sie verheiratet sind – bzw. ständigt haben und mit diesem Gesetzentwurf vorschla- mindestens acht Jahre – wenn sie nicht verheiratet sind – gen, dass in Zukunft nach vier Jahren Aufenthalt keine hier leben, ohne einen rechtlichen Titel dafür zu besit- Vorrangprüfung mehr erfolgt; das ist schon mal ein zen, hier sein zu dürfen, aber aus tatsächlichen oder Schritt. rechtlichen Gründen von den Ländern nicht abgescho- ben werden können. Es gibt gute Argumente, zu fragen: Warum über- haupt? Aber dann haben wir das Problem wieder, dass Für diese haben wir nun eine begrenzte Regelung ge- sofortiger Zugang zum Arbeitsmarkt, ohne Arbeitsauf- fasst. Darüber gab es viele Diskussionen – auch mit den nahmeverbot, zu einer Verstärkung der illegalen Migra- Innenministern der Länder, die diese Gesetze vollziehen tion führt. Die weltweit operierenden Schleuserbanden müssen. Es ist ganz selbstverständlich, dass man bei sol- sind sehr aktiv, und das ist für die Attraktivität dieses chen Gesetzen ein Einvernehmen mit denen anstreben Geschäfts ein starkes Element. Deswegen muss man da muss, die beim Gesetzesvollzug auch die tatsächliche (B) – das gilt wie für andere Argumente auch – versuchen, Last tragen. Deswegen muss man aber trotzdem noch (D) eine vermittelnde Linie zu fahren. über einige Punkte diskutieren und sachlich richtige Lö- sungen finden. Hierbei haben wir eine Regelung gefun- den, durch die die Lage gegenüber dem heutigen Zu- Vizepräsidentin Petra Pau: stand wesentlich verbessert wird. Das Wort hat der Kollege Wolfgang Wieland. Als jemand, der – ich darf Sie zitieren – niemanden, also keinen Verband, vertritt, sagen Sie, es reiche Ihnen Wolfgang Wieland (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): nicht aus und Sie hätten sich eine weitergehende Rege- Herr Minister, als jemand, der überhaupt keine 100-Pro- lung gewünscht. Das ist legitim. Da Sie aber Angehöri- zent-Erwartungen hatte und auch keine der Organisatio- ger einer Fraktion sind, die in der letzten Legislaturpe- nen vertritt, von denen Sie gesprochen haben, sondern riode Regierungsverantwortung getragen hat, sage ich der lediglich als Teil eines Gesetzgebungsorganes die Ihnen: Gemessen an dem, was Sie nicht getan haben, ist Erwartung hatte, das man hier nun einmal eine groß- das schon einmal ganz gut. zügige Regelung für einen Personenkreis bekommt, der (Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Das ist wohl seit langem auf eine Bleiberechtsregelung wartet, frage wahr! Die Grünen haben nichts getan!) ich Sie: Das muss ich Ihnen wirklich sagen. Sie wissen das auch. Erstens. Warum war es nötig, eine Klausel aufzuneh- men, nach der – ähnlich einer Sippenhaft – keine Auf- (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- enthaltserlaubnis erteilt werden soll, wenn auch nur ein NEN]: Dass das nicht an uns lag, wissen Sie!) in häuslicher Gemeinschaft lebendes Familienmitglied straffällig wurde und dafür eine bestimmte Mindeststrafe Vizepräsidentin Petra Pau: erhielt, sodass also durchaus beispielsweise auch Eltern Wir sind in der Regierungsbefragung. Die Debatte für ihren Sohn aufenthaltsrechtlich haften? darüber bleibt uns ja erhalten. – Die nächste Frage stellt der Kollege Volker Beck. Zweitens. Warum soll eine Familie, die beispiels- weise ergänzender Sozialhilfe bedurfte, am Ende keine Aufenthaltserlaubnis erhalten, obwohl der Vater in der Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Zeit gearbeitet und zum Familieneinkommen beigetra- Falls Zeugenschaft zu diesem Punkt verlangt wird: gen hat, dies aber – beispielsweise bei einer großen Fa- Ich stehe gerne als Zeuge zur Verfügung, um zu klären, milie – nicht in ausreichender Höhe? an wem es gelegen hat. An der SPD-Fraktion hat es auch Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 90. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. März 2007 9069

Volker Beck (Köln) (A) nicht gelegen, aber unter anderem an einem Mitglied der der Befragung der Bundesregierung. Ich nehme Ihre (C) SPD-Fraktion. Wortmeldung gerne auf, wenn Sie noch eine Nachfrage stellen möchten. – Ansonsten hat jetzt die Kollegin Ich möchte Sie aber zu einem weiteren Punkt fragen: Jelpke das Wort. Mir macht die Einbürgerungsregelung für junge Erwach- sene, die Sie in diesem Entwurf geändert haben, ein we- nig Sorge. Bislang gab es für unter 23-Jährige ja Erleich- Ulla Jelpke (DIE LINKE): terungen bei der Einbürgerung. Diese Erleichterungen Herr Minister Schäuble, ich würde Sie gerne fragen, werden jetzt gestrichen. Sie müssen bei der Einbürge- warum Sie in Deutschland wo es allein 2005 etwa rung zukünftig nämlich auch nachweisen – so ist zumin- 6 000 Widerrufsverfahren gegen anerkannte Asylbewer- dest die Information; wenn Sie das richtigstellen können, ber und Flüchtlinge mit irakischer Staatsangehörigkeit würde ich mich freuen –, dass sie den Lebensunterhalt gab, weiterhin an diesen Verfahren festhalten. Sie wissen selbst bestreiten können. wahrscheinlich, dass in keinem anderen EU-Staat eine Regelüberprüfung stattfindet; Widerrufe gibt es ohnehin Das ist bei dieser Altersgruppe natürlich besonders kaum. unsinnig, weil diejenigen, die eine weitergehende Aus- bildung machen bzw. studieren, diesen Nachweis natür- Ich würde darüber hinaus gerne wissen, inwiefern be- lich gerade nicht erbringen können. Deshalb fände ich es rücksichtigt worden ist, was der Widerruf für die ge- bildungs- und integrationspolitisch verfehlt, wenn man samte Familie bedeutet diese Ausnahme, diese erleichterte Einbürgerungsrege- (Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Das hat mit lung, für diese Gruppe zurücknähme. dem Gesetzentwurf nichts zu tun! Aber es ist Ich frage Sie nach der Begründung dafür. Falls Sie auch eine interessante Frage!) mit mir übereinstimmen, dass das integrationspolitisch und warum Sie an jeder rationalen Rechtssystematik keinen Sinn macht, bitte ich Sie um den Hinweis, dass vorbei im Asylverfahrensgesetz die Frage des Asylstatus Sie das genau so sehen wie die grüne Fraktion. mit dem Einbürgerungsverfahren verknüpfen.

Vizepräsidentin Petra Pau: Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister des In- Bitte, Herr Minister. nern: Frau Kollegin Jelpke, wie Sie vielleicht wissen, ge- Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister des In- höre ich diesem Haus schon relativ lange an. Deshalb nern: habe ich auch an die 70er-Jahre erinnert. Sie spielen (B) Wenn ich Sie richtig verstehe, Herr Kollege Beck, auch bei der Antwort auf Ihre Frage eine große Rolle. (D) dann haben Sie nach der Streichung der Regelung in Nach Deutschland sind mehr Menschen gekommen als § 10 Abs. 1 Satz 3 des Staatsangehörigkeitsgesetzes ge- in jedes andere europäische Land. In den 70er-Jahren fragt, wonach Jugendliche bis zu ihrem 23. Lebensjahr war die Regierung des Bundeskanzlers Schmidt – ich de lega lata eingebürgert werden können, wenn sie den habe bereits darauf hingewiesen – mit einem starken An- Lebensunterhalt ohne Inanspruchnahme staatlicher Leis- drang von Asylbewerbern konfrontiert. tungen bestreiten können. Unser Land war aufnahmebereiter und hat mehr Asyl- (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/ bewerber aufgenommen als alle anderen europäischen DIE GRÜNEN]: Ja!) Länder zusammen. Wir haben uns immer bemüht, zu verhindern, dass daraus ein Agitationspotenzial für aus- Darauf lautet die Antwort: Auch nach der neuen Re- länderfeindliche Bestrebungen bzw. für Rechts- oder gelung können solche Jugendlichen eingebürgert wer- Linksextremisten wird. Von Ihrer Partei habe ich aus den, obwohl sie Leistungen nach dem Zweiten oder dem Wahlkampf in Erinnerung, dass Sie von „Fremdar- Zwölften Buch des SGB beziehen, wenn sie den Bezug beitern“ gesprochen haben. Diesen Sprachgebrauch dieser Leistungen nicht zu vertreten haben; wenn sie kenne ich, und den verabscheue ich. zum Beispiel trotz Bemühens keine Arbeits- oder Aus- bildungsstelle finden. Lediglich die Verweigerung von (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der Arbeit oder Ausbildung soll nicht mehr privilegiert wer- SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- den. NEN) (Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Es ist eine Versuchung, solche brisanten Situationen NEN]: Was ist, wenn sie studieren?) politisch zu missbrauchen. Gegen diese Versuchung ist Ihre Partei jedenfalls offenbar nicht gefeit. Damit verwirklicht unser Vorschlag das Prinzip „För- dern und Fordern“. Wir haben beispielsweise Mitte der 90er-Jahre mehr Flüchtlinge aus dem ehemaligen Jugoslawien aufgenom- (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- men als der Rest der Welt; mehr als die Hälfte der NEN]: Ich hätte gerne eine Klarstellung!) Flüchtlinge kamen nach Deutschland. Damals wurden Turnhallen belegt und vieles andere. Wenn Menschen Vizepräsidentin Petra Pau: hier aufgenommen werden, muss man das der Bevölke- Kollege Beck, Sie haben im Moment nicht das Wort rung erklären. Wir haben gesagt: „Deutschland ist ein zur Debatte und auch nicht zur Klarstellung. Wir sind in ausländerfreundliches Land und muss es auch bleiben.“ 9070 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 90. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. März 2007

Bundesminister Dr. Wolfgang Schäuble (A) Wir haben der Bevölkerung gesagt: „Das sind arme barrieren bzw. Sprachkenntnisse gelten erst für Zwangs- (C) Menschen, in deren Heimatland Krieg herrscht oder in verheiratete, die in Zukunft kommen, und nicht für dem sie – wie in den 70er-Jahren – verfolgt werden; wir diejenigen, die schon hier sind. Finden Sie es richtig, müssen sie aufnehmen. Seid großzügig!“ Auch wir dass denjenigen, die bereits hier sind, mit dem Gesetz Deutschen haben in früheren Zeiten Großzügigkeit er- wider besseres Wissen nicht geholfen wird? fahren, und wir wollen sie beibehalten. Wir haben aber auch darauf hingewiesen, dass die Flüchtlinge in ihr Hei- Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister des In- matland zurückkehren werden, wenn die Aufnahmevo- nern: raussetzungen wegfallen. Meine Antwort lautet: Ja. Die Asylbewerber aus dem Irak haben politisches Asyl bekommen, weil sie zu Zeiten Saddam Husseins (Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- politisch verfolgt wurden. NEN]: Das nehmen wir zu Protokoll!) (Reinhard Grindel [CDU/CSU]: So ist es!) Es ist aber nicht wider besseres Wissen. Insofern lautet meine Antwort: Nein. Aber auf die Frage, ob ich es rich- Inzwischen ist diese Voraussetzung weggefallen. tig finde, was wir vorschlagen, lautet meine Antwort: Ja. Ich habe versucht, der Kollegin vorher zu erklären, dass (Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- wir bei der Behandlung dieser Frage eine Abwägung im NEN]: Das ist zynisch! – Gegenruf des Abg. Hinblick auf die Missbrauchsmöglichkeiten vorzuneh- Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Nein! Das ist men hatten, Aufenthaltsrechte zu erwerben, für die es die Rechtslage!) ansonsten keinen gesetzlichen Grund gibt. Ich behaupte Infolgedessen ist es doch logisch: Wenn man die Auf- nicht, dass wir in 100 Prozent der Einzelfälle zielgenau nahmebereitschaft der Bevölkerung erhalten und Aus- treffen. Das gelingt bei keiner Gesetzgebung. Aber ich länderfeindlichkeit und Rechtsextremismus bekämpfen behaupte – deswegen lautet meine Antwort: Ja –, dass will – und zwar nicht nur durch Akademieprogramme, wir eine gute Regelung gefunden haben, die die ver- an denen keiner der Betroffenen teilnimmt, sondern auch schiedenen Gesichtspunkte berücksichtigt. unter Einbeziehung ihrer Lebenswirklichkeit –, dann darf man die Menschen nicht belügen. Man muss ihnen Vizepräsidentin Petra Pau: vielmehr sagen: „Helft diesen armen Menschen und Das Wort hat die Kollegin Dağdelen. nehmt sie auf!“ Wenn sie nicht mehr verfolgt sind, kön- nen sie wieder nach Hause gehen. Wenn wir dieses Prin- (B) zip aufgeben, fördern wir Rechtsextremismus und Aus- Sevim Dağdelen (DIE LINKE): (D) länderfeindlichkeit. Mit mir ist das nicht zu machen. Herzlichen Dank, Frau Präsidentin. – Erlauben Sie mir eine Anmerkung, weil Sie meine Partei so angegrif- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- fen haben, Herr Minister. Das Boot ist voll – diese Logik neten der FDP) und Mentalität kommen nicht aus unserer Partei, ge- nauso wenig wie die von Abgeordneten Ihrer Fraktion Vizepräsidentin Petra Pau: und Ministern mitgetragenen Sprüche „Wir brauchen Liebe Kollegen, wir haben noch sieben Minuten. Mir Ausländer, die uns nutzen, und nicht Ausländer, die uns liegen noch fünf Wortmeldungen vor. Ich möchte sie alle ausnutzen“ oder „eine durchrasste Gesellschaft“. Das zulassen, appelliere aber, Fragen zu stellen und nicht mit stammt nicht aus meiner Partei, sondern von Herrn der Fragestellung schon Zeit für die Beantwortung weg- Stoiber und Herrn Beckstein. Ich hoffe, dass Sie sich zunehmen. darüber im Klaren sind, dass das von der CDU/CSU kommt und entsprechende Auswirkungen hat. Das Wort hat der Kollege Winkler. Vizepräsidentin Petra Pau: Josef Philip Winkler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Jetzt stellen Sie eine Frage. NEN): Wie der Zuwachs beim Rechtsextremismus im letzten Sevim Dağdelen (DIE LINKE): Jahr auf die Anzahl der Iraker in Deutschland zurückzu- führen sein soll, die nun keinen Flüchtlingsstatus mehr In dem Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung au- haben, können Sie vielleicht ein anderes Mal erklären. fenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäi- schen Union ist von einem „besonders integrationsfeind- Ich möchte auf die Frage zurückkommen, die ich Ih- lichen Charakter“ und einem „verwerflichen Verhalten“ nen eben vielleicht nicht versiert genug gestellt habe. die Rede. Damit begründen Sie Ihre Sanktionsverschär- Finden Sie es richtig, dass in dem Gesetzentwurf – im fungen. Ich möchte fragen, ob darunter auch solche Gegensatz zu den allerersten Entwürfen, die Ihr Haus Menschen wie Herr Stoiber und Herr Beckstein fallen, vorgelegt hat – keinerlei aufenthaltsrechtliche Verbesse- die mit der Willkommenskultur nichts anfangen können rungen für Opfer von Zwangsverheiratung, also für und mit ihren Äußerungen in der Öffentlichkeit nicht be- Frauen, die in Deutschland zwangsverheiratet wurden sonders integrationsfördernd sind, und ob man diese, wie oder die ins Ausland zwangsverheiratet wurden, vorge- es Herr Wiefelspütz so nett formuliert hat, mit einer Inte- sehen sind? Die von Ihnen für richtig gehaltenen Sprach- grationspolizei im Lande verfolgt und dann sanktioniert? Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 90. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. März 2007 9071

(A) Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister des In- ten Jahr vorgenommen haben. Sie kennen die Praktiker- (C) nern: anhörung, und wir haben einen umfangreichen Bericht Ich glaube, diese Frage beantworte ich am besten mit dazu vorgelegt und diskutiert. Ferner ziehen wir gesetz- Nein. Das ist so nicht gemeint. Ich habe ein bisschen geberische Konsequenzen aus der Entscheidung der Mühe, die Art, wie Sie den Gesetzentwurf missverstehen Konferenz der Innenminister der Länder vom Frühsom- und missinterpretieren, mer vergangenen Jahres in Garmisch-Partenkirchen zur Novellierung des Staatsangehörigkeitsrechts. Außerdem (Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Das zu verste- ziehen wir Konsequenzen aus den Erkenntnissen im Zu- hen!) sammenhang mit dem Ermittlungsverfahren wegen der nachzuvollziehen. Ich wollte Ihnen mit dem Hinweis auf glücklicherweise nicht explodierten Kofferbomben. Das das Wort „Fremdarbeiter“ nur sagen: Die Versuchung, alles habe ich zum Ausdruck zu bringen versucht. Inso- Ressentiments gegenüber Ausländern zu miesen politi- fern ist der Titel des Gesetzes einer Ergänzung bedürftig. schen Zwecken auszubeuten, ist offensichtlich groß. Deswegen habe ich dies in meinem einleitenden Vortrag Deswegen bemühen wir uns – weil wir die Integration ausdrücklich ergänzt. Am liebsten wäre es mir, wenn wir fördern wollen – – uns darauf verständigen könnten – das ist eine Anregung für die parlamentarische Beratung –, zu sagen, es sei ein (Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Das macht Gesetz zur Verbesserung der Integration. doch Ihre Partei jeden Tag!) (Lachen des Abg. Josef Philip Winkler – Ich dachte, ich soll Ihre Frage nach den Regeln der Re- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) gierungsbefragung beantworten. Ich sage Ihnen: Meine Überzeugung ist – diese liegt Vizepräsidentin Petra Pau: dem Gesetzentwurf zugrunde –, dass wir Integration nur Das Wort hat die Kollegin Möller. erreichen, wenn wir nicht nur gute Absichten unterstel- len, sondern wenn wir auch an die Möglichkeit des Missbrauchs denken. Kornelia Möller (DIE LINKE): Vielen Dank. – Herr Minister, mit dem Gesetzentwurf Ich gebe zu – ich habe das auch gegenüber dem Kol- wird der Familiennachzug eines ausländischen zu sei- legen Winkler zugegeben –, dass wir nicht erreichen nem oder ihrem inländischen, deutschen Ehe- oder Le- werden, dass dies in 100 Prozent aller Einzelfälle treff- benspartner an den finanziellen Nachweis der Lebensun- genau sein wird. Aber wir bemühen uns, in möglichst terhaltssicherung geknüpft. Dies bedeutet, dass einem vielen Einzelfällen eine vernünftige Lösung in alle Rich- Hartz-IV-Beziehenden von Staats wegen verweigert (B) tungen zu erreichen. Sie ist Voraussetzung dafür, dass In- wird, mit dem Lebens- oder Ehepartner oder der Lebens- (D) tegration, Ausländerfreundlichkeit und Toleranz in unse- oder Ehepartnerin in Deutschland zusammenzuleben. rem Lande erhalten bleiben. Warum haben nach Ihrer Auffassung Menschen mit einem Arbeitsplatz ein Recht auf Ehe und Familie, Vizepräsidentin Petra Pau: Hartz-IV-Beziehende dagegen nicht? Das Wort hat der Kollege Burgbacher. (Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Den Gesetz- entwurf nicht begriffen!) Ernst Burgbacher (FDP): Herr Minister, ich komme auf meine vorhergehende Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister des In- Frage zurück. Das Gesetz heißt „Gesetz zur Umsetzung nern: von Richtlinien der Europäischen Union“; Sie haben Frau Kollegin, wir wollen mit dem Gesetzentwurf er- auch bestätigt, dass es darum geht. Da heute vieles reichen, dass wir Instrumente zur missbräuchlichen Zu- – manches auch unberechtigterweise – auf Europa ge- wanderung in Sozialversicherungssysteme nicht auswei- schoben wird, noch eine Nachfrage: Zu dem einzigen ten, sondern sie nach Möglichkeit zurückführen. Das ist von mir angesprochenen Punkt haben Sie gesagt, dass es der Sinn dieser von uns im Gesetzentwurf vorgeschlage- sich nicht um eine Umsetzung handele. Können Sie an- nen Regelung. dere Punkte nennen, die über die europarechtlichen Vor- gaben hinausgehen? Es ist nämlich schon hochinteres- (Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Angeregt von sant, wo wir umsetzen und wo wir Dinge unter der Frau John!) Vorspiegelung einer Umsetzung in Gesetze schreiben. (Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Vizepräsidentin Petra Pau: NEN]: Die mogeln da ganz viel rein!) Herr Beck, Sie haben das Wort.

Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister des In- Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): nern: Nur eine Nachfrage zu meiner Grundfrage von vorhin Herr Kollege Burgbacher, ich bitte um Nachsicht, – es ging um den Begriff Bildung und Ausbildung –: falls ich mich nicht klar genug ausgedrückt haben sollte. Ausbildung im Sinne des Rechtes ist kein Studium an Dieser Gesetzentwurf setzt nicht nur elf EU-Richtlinien der Universität oder der Fachhochschule. Was gilt im um. Vielmehr ziehen wir auch Konsequenzen aus der Hinblick auf eine erleichterte Einbürgerung bei der Evaluierung des Zuwanderungsgesetzes, die wir im letz- Gruppe derjenigen, die studieren oder einen anderen Bil- 9072 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 90. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. März 2007

Volker Beck (Köln) (A) dungsweg als den eines Ausbildungsberufes eingeschla- schäftsbereich der Bundeskanzlerin und des Bundes- (C) gen haben? Dies bezieht sich auf Personen unter 23. kanzleramtes. Die Fragen 1 und 2 der Kollegin Dr. Uschi Eid werden schriftlich beantwortet. Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister des In- Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundes- nern: ministeriums des Innern. Zur Beantwortung hätte der Es gilt das, was ich Ihnen vorgetragen habe, Herr Parlamentarische Staatssekretär Peter Altmaier zur Ver- Kollege Beck. fügung gestanden, aber die Frage 3 des Kollegen Jan (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Mücke wird ebenfalls schriftlich beantwortet. NEN]: Das heißt, Studenten bekommen keine Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesmi- erleichterte Einbürgerung, weil sie keine Aus- nisteriums der Justiz. Die Fragen 4 und 5 des Kollegen zubildenden im Sinne des Rechts sind?) Barth werden gemäß Nr. 2 Abs. 2 unserer Richtlinien – Soweit sie es nicht zu vertreten haben, dass sie Leis- schriftlich beantwortet. Somit wird der Parlamentarische tungen bezogen haben, können sie weiterhin von der Staatssekretär Alfred Hartenbach hier im Plenum nicht Ausnahme Gebrauch machen. Rede und Antwort stehen. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/ Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundes- DIE GRÜNEN]: Okay!) ministeriums für Wirtschaft und Technologie. Zur Be- antwortung steht die Parlamentarische Staatssekretärin Dagmar Wöhrl zur Verfügung. Vizepräsidentin Petra Pau: Herzlichen Dank, Herr Minister. – Ich lasse noch die Ich rufe die Frage 6 des Kollegen Hans-Kurt Hill auf: Frage der Kollegin Enkelmann zu den übrigen Themen Wann wird die Bundesregierung mit Blick auf drängende der Kabinettssitzung zu. Investitionsentscheidungen bei kommunalen Energieversor- gern und die besorgniserregenden Erkenntnisse beim Klima- wandel dem Deutschen Bundestag eine Novelle zum Kraft- Dr. Dagmar Enkelmann (DIE LINKE): Wärme-Kopplungsgesetz, KWKG, vorlegen, und wie soll Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Herr Minister, in diese dafür Sorge tragen, dass kommunale Energieversorger dieser Woche wurde bekannt, dass zwei der Regierung ausreichend Anreize erhalten, in die klimafreundliche Kraft- Wärme-Kopplungstechnik zu investieren? zumindest nahestehende Organisationen, die SPD und die CDA, gegenwärtig eine Unterschriftenkampagne Bitte, Frau Staatssekretärin. für den Mindestlohn gestartet haben. Sind Sie nicht mit mir der Auffassung, dass zum Beispiel den vom Hunger- Dagmar Wöhrl, Parl. Staatssekretärin beim Bundes- (B) (D) lohn Betroffenen eher durch eine entsprechende Geset- minister für Wirtschaft und Technologie: zesinitiative, über die wir hier abstimmen könnten und Herzlichen Dank. – Ich beantworte die Frage des Kol- zu der es eine klare Mehrheit geben könnte, geholfen legen Hill wie folgt: In dem Bericht vom September 2006 wäre? über die Ergebnisse der Zwischenüberprüfung des Kraft- Wärme-Kopplungsgesetzes haben das Bundesministe- Vizepräsidentin Petra Pau: rium für Wirtschaft und Technologie und das Bundesmi- Wer von der Bundesregierung möchte antworten? – nisterium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Bitte, Herr Minister. angekündigt, dass die Bundesregierung unter Berück- sichtigung der vorliegenden Erkenntnisse über die Um- Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister des In- setzung der „Vereinbarung der Bundesregierung mit der nern: Wirtschaft zur Minderung der CO2-Emissionen und der Da ich wachen Ohres und Verstandes an der Kabi- Förderung der Kraft-Wärme-Kopplung, in Ergänzung der nettssitzung teilgenommen habe, kann ich Ihnen wahr- Klimavereinbarung vom 9. November 2000“ und vor heitsgemäß versichern, dass über diesen Punkt in der dem Hintergrund der aktuellen Diskussion über das ener- Kabinettssitzung heute nicht gesprochen worden ist. giepolitische Gesamtkonzept einen Vorschlag für die No- vellierung des Kraft-Wärme-Kopplungsgesetzes unter- (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- breiten wird. Der Vorschlag wird in Kürze vorgelegt NEN]: Keine Unterschriften gesammelt! Das werden. Wir werden natürlich auch die Hinweise der enttäuscht uns!) Branchenverbände und des Verbandes kommunaler Un- ternehmen dabei beachten. Vizepräsidentin Petra Pau: Herzlichen Dank. – Damit beende ich die Befragung Vizepräsidentin Petra Pau: der Bundesregierung. Sie haben die Möglichkeit zur ersten Nachfrage. Ich rufe Tagesordnungspunkt 2 auf: Hans-Kurt Hill (DIE LINKE): Fragestunde Vielen Dank, Frau Staatssekretärin. Es macht immer – Drucksache 16/4802 – wieder Spaß, mit Ihnen diese Fragestunde zu bestreiten. Ich rufe die Fragen auf Drucksache 16/4802 in der üb- (Heiterkeit – [CDU/CSU]: lichen Reihenfolge auf. Wir beginnen mit dem Ge- Schönes Kompliment!) Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 90. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. März 2007 9073

Hans-Kurt Hill (A) – Doch, das macht wirklich Spaß. Vor allen Dingen ma- 2010 durch die KWK-Anlagen um 20 Millionen Tonnen (C) chen mir die Antworten sehr viel Spaß. – Es ist sehr inte- reduziert wird. Wir wissen, dass es nicht so ausschaut, ressant, zu wissen, dass Sie etwas planen. Ich mag über- als ob wir dieses Ziel erreichten. Auch deswegen denken schaubare Schritte. Wir haben jetzt den Monat März, wir über eine Novellierung des Kraft-Wärme-Kopp- und es geht auf Ostern zu. Dann kommen beinahe schon lungsgesetzes nach. Unsere gegenwärtigen Minderungs- die Sommerferien, und die Klimaprobleme häufen sich. ziele werden unter den jetzigen Voraussetzungen nicht Ich hätte gerne eine konkretere Antwort von Ihnen auf erreicht werden können. die Frage, bis wann wir mit der Vorlage einer solchen Novelle zu rechnen haben. (Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Darf ich um Beantwortung meiner Frage bit- ten?) Dagmar Wöhrl, Parl. Staatssekretärin beim Bundes- minister für Wirtschaft und Technologie: Lieber Herr Kollege, dass Sie sich immer auf meine Vizepräsidentin Petra Pau: Antworten freuen, freut mich wiederum. Ich kann Ihnen Die Antwort steht der Bundesregierung frei, und Ih- nur sagen: Wir befinden uns in der Osterzeit – Sie haben nen steht es wiederum frei, daraus Ihre Schlüsse zu zie- es erwähnt –, und wir sprechen hier über ungelegte Eier. hen. Die Arbeiten sind noch nicht abgeschlossen. Wir erar- beiten momentan im Hause eine Klimaschutzstrategie, Wir kommen jetzt zur Frage 7 des Kollegen Hans- in die diese Arbeiten einfließen sollen. Die Arbeiten Kurt Hill: werden zügig vorangebracht. Welche Maßnahmen müssen aus Sicht der Bundesregie- rung eingeleitet werden, damit im Rahmen einer gezielten Hans-Kurt Hill (DIE LINKE): KWK-Förderung das Klimagassenkungsziel von jährlich Noch einmal eine kurze Terminnachfrage. Können 20 Millionen Tonnen Kohlendioxid im Jahr 2010 erreicht wird, und in welcher Höhe sollen dafür ab 2008 Mittel im wir noch vor der Sommerpause oder müssen wir nach Haushalt bereitgestellt werden? der Sommerpause damit rechnen? Bitte, Frau Staatssekretärin. Dagmar Wöhrl, Parl. Staatssekretärin beim Bundes- minister für Wirtschaft und Technologie: Dagmar Wöhrl, Parl. Staatssekretärin beim Bundes- Lieber Kollege, schon durch meine vorhergehenden minister für Wirtschaft und Technologie: Antworten habe ich darzustellen versucht, dass wir be- Vielen herzlichen Dank. – Diese Frage zielt in eine müht sind, dieses Thema so schnell wie möglich anzuge- ähnliche Richtung wie die der Kollegin Höhn. Die (B) hen. Ich verweise darauf, dass die EU-Richtlinie bis zum (D) Kraft-Wärme-Kopplung wird sowohl über das beste- 7. August 2007 umgesetzt werden muss. Unsere Be- hende Kraft-Wärme-Kopplungsgesetz und das EEG im richtspflicht haben wir inzwischen erfüllt: Wir haben das Wege eines KWK-Bonus auf die Vergütungssätze für Potenzial hocheffizienter Kraft-Wärme-Kopplungsanla- Biomasse als auch im Rahmen des Emissionshandels be- gen untersucht. Wir haben noch eine Umsetzungspflicht sonders begünstigt. Hier gilt es anzusetzen. Haushalts- hinsichtlich des Herkunftsnachweises zu erfüllen. Daran mittel stehen dafür nicht zur Verfügung; sie waren auch arbeiten wir im Moment. Die Ergebnisse dieser Arbeit in der Vergangenheit nicht vorgesehen. sollen natürlich einfließen.

Wir erwarten, dass die KWK-CO2-Vereinbarung, die Vizepräsidentin Petra Pau: mit der Wirtschaft geschlossen worden ist – das ist eine Bevor der Kollege Hill seinen fröhlichen Austausch Selbstverpflichtung der Wirtschaft –, darüber hinaus ei- mit der Frau Staatssekretärin fortsetzen kann, hat die nen wesentlichen Beitrag zur Erreichung der Ziele leis- Kollegin Höhn eine Nachfrage. tet, nämlich durch einen marktgetriebenen KWK-Aus- bau. Die Wirtschaft hat sich dazu verpflichtet. Ein Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Monitoring-Bericht steht noch aus. Wenn dieser Bericht Frau Staatssekretärin, Sie wissen, dass die vorliegt, werden wir unsere Schlüsse daraus ziehen. Kraft-Wärme-Kopplung einer der wichtigsten Wege ist, um den CO2-Ausstoß zu verringern. Ungefähr Vizepräsidentin Petra Pau: 42 Prozent des CO -Ausstoßes gehen auf die Energie- 2 Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage. produktion zurück. Nur wenn wir da effizienter werden, werden Sie, die Bundesregierung, Ihr ehrgeiziges CO2- Ziel erreichen. Wie hoch müsste der Anteil der Hans-Kurt Hill (DIE LINKE): Kraft-Wärme-Kopplung an der Energieproduktion sein, Vielen Dank. – Sie haben gerade den Monitoring- um das ehrgeizige Ziel, das Sie sich selber gesetzt haben Bericht angesprochen. Das Ganze dauert schon sehr – unser Ziel geht darüber hinaus –, zu erreichen? lange. Ich hoffe, dass wir relativ kurzfristig zu einem Er- gebnis kommen. Wir wissen, dass wir 20 bis 23 Millio- Dagmar Wöhrl, Parl. Staatssekretärin beim Bundes- nen Tonnen CO2 pro Jahr einsparen können, was nicht minister für Wirtschaft und Technologie: unerheblich ist. In diesem Zusammenhang interessiert Wir hatten uns schon vorher ein Ziel gesetzt: Wir mich natürlich auch, ob durch die Novellierung die wollten erreichen, dass der CO2-Ausstoß bis zum Jahr 2-Megawatt-Grenze aufgehoben werden soll. 9074 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 90. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. März 2007

(A) Dagmar Wöhrl, Parl. Staatssekretärin beim Bundes- umzusetzen; vielmehr müssten die in Art. 12 und 13 der (C) minister für Wirtschaft und Technologie: FFH-Richtlinie genannten Verbote explizit genannt wer- Wie ich Ihnen schon in meiner Antwort auf Ihre vor- den. herige Frage gesagt habe, befinden wir uns momentan Der Referentenentwurf zur Änderung des Pflanzen- im Prozess der Abstimmung. Uns ist natürlich bewusst, schutzgesetzes ist in dieser Woche zwischen den Res- dass der Emissionshandel zwar die großen Anlagen un- sorts abgestimmt worden. Die Beteiligung der Länder terstützt, aber nicht die kleineren Anlagen, also die mit und Verbände ist in Vorbereitung und wird in den nächs- weniger als 20 MW thermisch. Dieser Punkt wird bei der ten Tagen erfolgen. Die Kabinettszuleitung wird noch Novellierung eine Rolle spielen. vor der Sommerpause angestrebt.

Vizepräsidentin Petra Pau: Vizepräsidentin Petra Pau: Ihre zweite Nachfrage. Ihre erste Nachfrage, bitte. Hans-Kurt Hill (DIE LINKE): Cornelia Behm (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Ich habe noch eine provokante Frage, von der ich nicht weiß, ob Sie mir sie Vielen Dank für die Beantwortung meiner Frage. – beantworten können oder wollen. Ich habe das Gefühl, Ursprünglich hat die Bundesregierung zurückgewiesen, dass einer der beiden Koalitionspartner ein bisschen auf dass die Regelung nicht klar genug ist, wie es die EU ge- die Bremse tritt. Ist dieser Eindruck, den ich da habe – er rügt hatte. Können Sie kurz darstellen, in welcher Weise bezieht sich mehr auf das konservative Lager –, falsch der § 6 im Sinne der EU-Forderung jetzt doch konkreter oder richtig? gefasst wird?

Da ich danach nicht mehr das Wort haben werde, Dr. Peter Paziorek, Parl. Staatssekretär beim Bun- wünsche ich Ihnen schon jetzt ein schönes Osterfest. desminister für Ernährung, Landwirtschaft und Verbrau- cherschutz: Dagmar Wöhrl, Parl. Staatssekretärin beim Bundes- Frau Kollegin, ich möchte heute hier der Beratung im minister für Wirtschaft und Technologie: Ausschuss zu diesen Punkten nicht vorgreifen. Wir wer- Auch ich wünsche Ihnen schon jetzt ein schönes den jetzt die Abstimmung mit den Ländern vornehmen. Osterfest und beantworte Ihre Frage mit Nein. Danach werde ich natürlich sofort den betreffenden Aus- schuss informieren. Wir werden auf jeden Fall alles das, Hans-Kurt Hill (DIE LINKE): was das EuGH-Urteil von uns verlangt, übernehmen. (B) (D) Danke schön. Wir haben in der Ressortabstimmung auch die strittigen Fragen hinsichtlich der Regelung des Bußgeldes geklärt. Weitere Detailpunkte werde ich erst dann vortragen kön- Vizepräsidentin Petra Pau: nen – das sehen Sie mir bitte nach –, wenn auch die Ab- Herzlichen Dank, Frau Staatssekretärin. stimmung mit den Ländern erfolgt sein wird. Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Bun- desministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Ver- Vizepräsidentin Petra Pau: braucherschutz. Zur Beantwortung steht der Parlamen- Ihre zweite Nachfrage. tarische Staatssekretär Dr. Peter Paziorek zur Verfügung. Ich rufe die Frage 8 der Kollegin Cornelia Behm auf: Cornelia Behm (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Welche Gründe veranlassen die Bundesregierung, bislang Können Sie uns schon Angaben zum Zeitplan ma- die Vorgaben des Europäischen Gerichtshofes (Rechtssache chen? C-98/03) hinsichtlich der Umsetzung des FFH-Rechtes – FFH: Flora-Fauna-Habitat – im deutschen Pflanzenschutzge- setz zu ignorieren, und wann ist mit einer Umsetzung zu rech- Dr. Peter Paziorek, Parl. Staatssekretär beim Bun- nen? desminister für Ernährung, Landwirtschaft und Verbrau- cherschutz: Dr. Peter Paziorek, Parl. Staatssekretär beim Bun- Die Einbringung ins Kabinett vor der Sommerpause desminister für Ernährung, Landwirtschaft und Verbrau- ist der späteste Zeitpunkt. Wir werden versuchen, so cherschutz: schnell wie möglich nach der Osterpause das Kabinett Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Meine Antwort lau- mit diesem Thema zu befassen. tet wie folgt: Um den Beratungsgang abzukürzen, stellt sich die Zur Umsetzung des EuGH-Urteils zur FFH-Richtlinie Frage, ob es bei einer normalen Regierungsvorlage blei- ist neben einer Änderung des Bundesnaturschutzgeset- ben soll, die dann den ganzen Gang über den Bundesrat zes auch eine Änderung des § 6 des Pflanzenschutz- und die weiteren Stellen nehmen müsste, obwohl schon gesetzes erforderlich. In seinem Urteil hat der EuGH jetzt eine Abstimmung mit den Ländern erfolgt. Man gerügt, das in § 6 enthaltene Verbot der Anwendung von muss in der Tat prüfen, ob eine Einbringung durch die Pflanzenschutzmitteln bei möglichen schädlichen Aus- Fraktionen des Bundestages möglich ist, um dann so wirkungen auf den Naturhaushalt sei nicht ausreichend, schnell wie möglich kurz nach der Sommerpause eine um die Artenschutzbestimmungen der FFH-Richtlinie gesetzgeberische Entscheidung zu erreichen. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 90. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. März 2007 9075

(A) Cornelia Behm (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Vizepräsidentin Petra Pau: (C) Schönen Dank. Herzlichen Dank, Herr Staatssekretär. – Ich rufe jetzt den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Fami- lie, Senioren, Frauen und Jugend auf. Zur Beantwortung Vizepräsidentin Petra Pau: steht der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Hermann Die Kollegin Höhn hat noch eine Nachfrage. Kues zur Verfügung. Ich rufe die Frage 9 des Kollegen Jörg Rohde auf: Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Warum sieht § 5 Abs. 1 des Gesetzes zur Förderung eines Herr Staatssekretär, Sie haben eben schon erwähnt, freiwilligen sozialen Jahres, FSJG, Selbsthilfeverbände und dass das wieder ein langwieriges Verfahren wird, auch ihre Untergliederungen im Gegensatz zu Verbänden der freien mit den Ländern. Deutschland ist das letzte Land, das die Wohlfahrtspflege und ihrer Untergliederungen nicht als Trä- FFH-Richtlinie umgesetzt hat. Auch bei der weiteren ger des freiwilligen sozialen Jahres vor, und unter welchen Umständen sieht die Bundesregierung eine Möglichkeit, auch Konkretisierung der Umsetzung gibt es massive Pro- Selbsthilfeverbände und ihre Untergliederungen als Träger bleme und massive Zeitverzögerungen. Wie wollen Sie des freiwilligen sozialen Jahres in den Geltungsbereich des eigentlich garantieren – durch die Föderalismusreform FSJG einzubeziehen? ist insofern keine Besserung erreicht worden, sondern, im Gegenteil, mit dem Pingpongspiel eine Verschlechte- Dr. Hermann Kues, Parl. Staatssekretär bei der rung –, dass Sie auf diesen Gebieten auch aufgrund der Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Ju- Strukturen in Deutschland nicht immer hinterherhinken, gend: was die Umsetzung zum Beispiel von Naturschutzricht- Nach dem Gesetz zur Förderung eines freiwilligen so- linien angeht? zialen Jahres sind die in der Bundesarbeitsgemeinschaft der freien Wohlfahrtspflege zusammengeschlossenen Dr. Peter Paziorek, Parl. Staatssekretär beim Bun- Verbände und ihre Untergliederungen kraft Gesetzes desminister für Ernährung, Landwirtschaft und Verbrau- Träger des freiwilligen sozialen Jahres. Sie sind also so- cherschutz: genannte geborene Mitglieder. Nach § 5 Abs. 1 FSJG Im Naturschutzrecht, das in der Zuständigkeit des kann die zuständige Landesbehörde weitere Träger des Umweltministeriums liegt, haben wir in der Tat eine Re- freiwilligen sozialen Jahres zulassen, wenn sie eine den gelung, an die wir alle uns erst gewöhnen müssen. Ich Bestimmungen des freiwilligen sozialen Jahres entspre- bin aber nicht so pessimistisch wie Sie. Ich glaube chende Durchführung gewährleisten. Sie sind dann so- schon, dass wir uns gemeinsam – die beteiligten Res- genannte gekorene Träger. Selbsthilfeverbände und ihre Untergliederungen sind daher nicht von der Trägerschaft (B) sorts und die Länder – auf diesen neuen Verfahrensgang (D) des freiwilligen sozialen Jahres ausgeschlossen. Sie im Naturschutzrecht einstellen können und dass es auf müssen jedoch ein Anerkennungsverfahren durch die je- Dauer nicht zu solchen Verzögerungen kommt, wie Sie weilige Landesbehörde durchlaufen. das jetzt angedeutet haben. Diese Regelung existiert in dieser Form seit den An- Vizepräsidentin Petra Pau: fängen des FSJ-Gesetzes im Jahre 1964. Das freiwillige soziale Jahr wurde nicht erst durch das Gesetz ins Leben Eine weitere Nachfrage, und zwar vom Kollegen gerufen – das erklärt im Grunde diese Regelung –, son- Hofreiter. dern wurde bereits zuvor von Wohlfahrtsverbänden und Kirchen durchgeführt. Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Die in der Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege zusammengeschlossenen Verbände Ich habe eine ganz konkrete Nachfrage: Sie haben ge- nehmen seit jeher Aufgaben der sozialen Wohlfahrt sagt, Sie glauben und hoffen, dass es bei der Umsetzung wahr. Deswegen ist die Durchführung des freiwilligen im Naturschutzrecht nicht weiterhin diese Probleme ge- sozialen Jahres ein Bestandteil dieser Gesamtaufgabe. ben wird. Worauf gründen sich aufgrund all der negati- Aus diesen Gründen wurde von einem staatlichen Zulas- ven Erfahrungen Ihr Glaube und Ihre Hoffnung? sungsverfahren für die in der Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege zusammengeschlossenen Dr. Peter Paziorek, Parl. Staatssekretär beim Bun- Verbände abgesehen. desminister für Ernährung, Landwirtschaft und Verbrau- Um eine Durchführung zu gewährleisten, die dem cherschutz: Bildungscharakter des freiwilligen ökologischen Jahres Das gründet sich ganz einfach darauf, dass wir zum und der besonderen Verantwortung für die teilnehmen- Beispiel bei den Beratungen zu diesem Punkt auch den jungen Menschen gerecht wird, ist es gerechtfertigt, durchaus schwierige rechtliche Tatbestände verhältnis- bei den übrigen, nicht kraft Gesetzes anerkannten Trä- mäßig zügig einer Lösung zugeführt haben. Ich glaube, gern ein Anerkennungsverfahren im Einzelfall durchzu- das kann auch nach der neuen Zuständigkeitsverteilung führen. Die Bundesregierung prüft den Ausbau der Ein- zwischen Bund und Ländern im Bereich des Natur- satzfelder befürwortend, um informelle Lernprozesse zu schutzrechtes für zukünftige Beratungsabläufe Vorbild befördern. Es gibt außerdem eine Stellungnahme der sein. Bundesregierung zum Evaluationsbericht der FSJ-För- 9076 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 90. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. März 2007

Parl. Staatssekretär Dr. Hermann Kues (A) dergesetze. Darüber ist heute auch im Ausschuss ausgie- Etwa bis zum Sommer soll der Gesetzentwurf fertig und (C) big diskutiert worden. beschlossen sein und dann jedenfalls so zeitig ins parla- mentarische Verfahren gegeben werden, dass das Gesetz Als neue Einsatzfelder könnten demnach für eine För- zum 1. Januar 2008 in Kraft treten kann. derung in Betracht kommen: Selbsthilfegruppen und Fa- milien, wobei die Schwerpunkte sind: Mehrgeneratio- nenhäuser, Kinderbetreuung, Schulen und insgesamt Vizepräsidentin Petra Pau: Benachteiligte. Die Frage 10 des Kollegen Dr. Ilja Seifert wird schriftlich beantwortet. – Deshalb herzlichen Dank, Herr Staatssekretär. Vizepräsidentin Petra Pau: Ihre erste Nachfrage, bitte. Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesminis- teriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit. Jörg Rohde (FDP): Die Fragen beantwortet der Parlamentarische Staatsse- kretär Michael Müller. Vielen Dank für die Antwort, Herr Staatssekretär. – Es deutet sich im Moment ja an, dass durch das bisherige Ich rufe die Frage 11 der Kollegin Cornelia Behm Gesetz etwas Bürokratie zum Beispiel auf die Selbsthil- auf: fegruppen zukommt, weil man sich jeweils auf Landes- Warum überlässt die Bundesregierung – obwohl mit der ebene, in jedem Bundesland, bewerben müsste. Da sich Föderalismusreform dem Bund gerade im Artenschutz eine die Selbsthilfegruppen auf Bundesebene zu einer Bun- abweichungsfeste Regelungsmöglichkeit zugestanden wurde – desarbeitsgemeinschaft zusammengeschlossen haben, im Ersten Gesetz zur Änderung des Bundesnaturschutzgeset- zes den für den Artenschutz besonders kritischen Bereich von wäre es hilfreich, das auf Bundesebene zu regeln. Sie ha- Ausnahmeregelungen und des Erlasses von Bewirtschaftungs- ben jetzt angedeutet, es gebe Pläne dazu und es würden regelungen für die Land-, Forst- und Fischereiwirtschaft den auch weitere Gruppen positiv bewertet werden. Gibt es Ländern und sogar nachgeordneten Behörden? einen Zeitplan – zum Beispiel vor der Sommerpause –, wann diese konkreten Überlegungen in die Beratungen Michael Müller, Parl. Staatssekretär beim Bundesmi- zu diesem Gesetz einfließen sollen? nister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: Liebe Kollegin, Sie fragen zu einem alten Thema, das Dr. Hermann Kues, Parl. Staatssekretär bei der hier immer wieder kontrovers diskutiert wurde, nämlich Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Ju- der Verteilung der rechtlichen Möglichkeiten zwischen gend: Bund und Ländern im Bundesnaturschutzgesetz. Ich Wir werden sicherlich etwa bis zur Sommerpause den nehme an, Sie fragen das auch vor dem Hintergrund des (B) neuen Gesetzentwurf für diesen Bereich vorlegen – wir europäischen Gerichtsurteils, nach dem eine Reihe von (D) haben in diesem Zusammenhang auch noch andere Fra- Verschärfungen vorgesehen sind. gen zu klären, etwa die Frage der Umsatzsteuerpflichtig- Dennoch: Die im Gesetzentwurf der Bundesregierung keit –, und wir glauben, dass ein neues Freiwilligen- vorgesehenen Bestimmungen zur Zuständigkeit bei Aus- gesetz zum 1. Januar 2008 in Kraft treten kann. nahmeregelungen bzw. beim Erlass von Bewirtschaf- tungsregelungen betreffen den Gesetzesvollzug. Da sind Vizepräsidentin Petra Pau: nach Art. 83 Grundgesetz nach wie vor die Länder am Sie haben die Möglichkeit zu einer zweiten Nach- Zug bzw. es obliegt ihnen auch nach der Föderalismusre- frage. form.

Jörg Rohde (FDP): Vizepräsidentin Petra Pau: Eine Frage noch. Die Vertreter der Bundesregierung Ihre erste Nachfrage. waren beim parlamentarischen Abend der BAG Selbst- hilfe in der letzten Woche durchaus positiv gestimmt. Cornelia Behm (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Gibt es irgendeinen Dissens zwischen den Koalitions- Vielen Dank für die Beantwortung meiner Frage. Ich partnern, oder war das die einhellige Meinung in der frage weiter: Gehen Sie mit mir konform, dass es doch Bundesregierung, sodass wir mit einem schnellen Ver- einige Grundsätze hinsichtlich der Bewirtschaftung von fahren rechnen können, wenn wir uns darüber einig sind, land-, forst- und fischereiwirtschaftlichen Anlagen gibt, dass diese Träger auf Bundesebene berücksichtigt wer- die durchaus über das, was in den Ländern aufgrund den können? standortlicher Gegebenheiten geregelt werden müsste, hinausgehen, und dass es sinnvoll ist, so etwas auf Bun- Dr. Hermann Kues, Parl. Staatssekretär bei der Bun- desebene ganz grundsätzlich zu regeln? desministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend: Ich habe die Stimmung auf dem parlamentarischen Michael Müller, Parl. Staatssekretär beim Bundes- Abend nicht verifizieren oder an bestimmten Personen minister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher- festmachen können. Ich kann nur etwas zu unseren Zeit- heit: planungen sagen. Sie sehen so aus, dass wir den Bereich Es geht hier um zwei Bereiche, nämlich zum einen der Zivilgesellschaft insgesamt strukturieren und fördern um die Eingriffsregelungen und zum anderen um die Be- wollen, soweit es die Seite des Staates angeht. Da sind stimmungen bei der Nutzung sowohl land-, forst- als wir in der Abstimmung. Ich kann nur noch einmal sagen: auch fischereiwirtschaftlicher Art. Da gibt es sicherlich Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 90. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. März 2007 9077

Parl. Staatssekretär Michael Müller (A) eine gewisse Bandbreite; das ist schon richtig. Trotzdem Horizont der tatsächlichen Herstellung eines umfassen- (C) ist der Vollzug Ländersache. Wir können eigentlich nur den Biotopverbunds zu treffen. durch die Rahmensetzung bzw. im Dialog mit den Län- dern bestimmte Interpretationen des Vollzugs klarma- Vizepräsidentin Petra Pau: chen; aber da sind unsere Möglichkeiten begrenzt, al- Ihre Nachfrage, bitte. leine aufgrund der föderalistischen Struktur. Das muss man einfach sehen. Undine Kurth (Quedlinburg) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Vizepräsidentin Petra Pau: Vielen Dank, Herr Staatssekretär. – Meine erste Nach- Die zweite Nachfrage. frage. Die Zahlen, die Sie eben vorgetragen haben, stim- men nicht mit den Zahlen überein, die Ihre Kollegin Cornelia Behm (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Klug im Februar in ihrer Antwort genannt hat. Ich Sie meinen nicht, dass es im Zuge der Rahmenset- möchte daher nachfragen, ob es sich um neue Erkennt- zung doch sinnvoll sein könnte, verschiedene Dinge nisse handelt. Damals hatte es geheißen, dass fünf Län- vonseiten des Bundes zu regeln? der noch nicht zum Biotopverbund beitragen. Das würde also bedeuten, dass in den letzten zwei Monaten relativ viel passiert ist. Michael Müller, Parl. Staatssekretär beim Bundes- minister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher- heit: Michael Müller, Parl. Staatssekretär beim Bundes- Sie wissen, dass der Bund bei der letzten Fassung des minister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher- Bundesnaturschutzgesetzes alles versucht hat, um die heit: Handlungsmöglichkeiten des Bundes so weit wie mög- Ich sage noch einmal: Es gibt drei Länder, die noch lich zu stärken. Ich weiß nicht, ob darüber hinaus noch nicht zu diesem Biotopverbund beitragen, und es gibt viel möglich ist; ich kann das im Augenblick nicht beur- fünf Länder, die noch nicht hinreichend dazu beitragen. teilen. Wir werden das im Zuge der Novelle noch einmal Es mag sein, dass es diesbezüglich unterschiedliche In- diskutieren. terpretationen und Darlegungen gibt.

(Cornelia Behm [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Undine Kurth (Quedlinburg) (BÜNDNIS 90/DIE NEN]: Ich wünschte, Sie würden es versu- GRÜNEN): chen!) Vielen Dank. – Meine zweite Nachfrage. Der Herr (B) Bundesminister hat heute in der Bundespressekonferenz (D) Vizepräsidentin Petra Pau: sehr eindrücklich unterstrichen, wie wichtig für die Auf- Damit kommen wir zur Frage 12 der Kollegin Undine gaben des Biodiversitätsschutzes auch der Erhalt und der Kurth: Schutz von Biotopen sowie die Herstellung eines Bio- Wie bewertet die Bundesregierung die Tatsache, dass topverbundes sind. Da das ganz offensichtlich noch sechs Bundesländer noch immer nicht landesrechtliche Rege- nicht hinlänglich realisiert worden ist, frage ich Sie, ob lungen zur Umsetzung des nationalen Biotopverbundes erlas- Sie ein nationales Monitoring-Zentrum für sinnvoll hal- sen haben, und wann wird nach ihrer Auffassung der nationale ten und ob die Bundesregierung der Meinung ist, dass Biotopverbund hergestellt sein? dies für die Erreichung des Ziels, einen nationalen Bio- Bitte, Herr Staatssekretär. topverbund herzustellen, hilfreich und dienlich wäre.

Michael Müller, Parl. Staatssekretär beim Bundes- Michael Müller, Parl. Staatssekretär beim Bundes- minister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher- minister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher- heit: heit: Liebe Frau Kollegin, Sie fragen nach den landesrecht- Ich glaube, das ist vor dem Hintergrund des Klima- lichen Regelungen zur Umsetzung des nationalen Bio- wandels und der damit verbundenen Veränderung bioge- topverbunds. Die bundesrechtlichen Vorgaben zum Bio- ner Faktoren notwendig. Wir werden aus meiner Sicht topverbund sind in drei Ländern noch nicht und in fünf im Zusammenhang mit dem Klimawandel diese Frage weiteren Ländern aus unserer Sicht noch nicht hinrei- sehr viel intensiver behandeln müssen, als es bisher der chend umgesetzt worden. Die Bundesregierung erwartet, Fall gewesen ist. Das Bundesamt für Naturschutz berei- dass die Länder ihren Verpflichtungen zur Umsetzung tet für die folgende FFH-Berichtsperiode 2007 bis 2012 des geltenden Rahmenrechts auch nach der Föderalis- derzeit ein bundeseinheitliches Monitoringdesign vor. musreform umfassend nachkommen. Eine landesweite Biotopverbundplanung liegt inzwischen in den meisten Vizepräsidentin Petra Pau: Ländern vor. Sie haben noch eine Nachfrage? Hinsichtlich des Stands der praktischen Umsetzung dieser Biotopverbunde in der Fläche und in den einzel- Undine Kurth (Quedlinburg) (BÜNDNIS 90/DIE nen Ländern liegen uns allerdings keine umfassenden, GRÜNEN): also keine ausreichenden Informationen vor. Von daher Da diese Vorbereitungen von Ihnen angesprochen ist es leider nicht möglich, eine Aussage zum zeitlichen worden sind, möchte ich Sie fragen: Gibt es einen kon- 9078 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 90. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. März 2007

Undine Kurth (Quedlinburg) (A) kreten zeitlichen Horizont, wann man mit diesem Moni- Lebensräume bezieht, sondern der auch im Falle beson- (C) toring wirklich beginnen will? ders geschützter Arten ganzjährig gilt?

Michael Müller, Parl. Staatssekretär beim Bundes- Michael Müller, Parl. Staatssekretär beim Bundes- minister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher- minister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher- heit: heit: Wenn ich es richtig im Kopf habe, dann soll dies An- Ob Ihre umfassende Interpretation richtig ist, vermag fang 2008 der Fall sein. Das genaue Datum werde ich Ih- ich im Moment nicht zu sagen. Es handelt sich aber in nen aber nachliefern. jedem Fall um eine Ausweitung des Schutzes, weil auch (Undine Kurth [Quedlinburg] [BÜNDNIS 90/ das Nahrungshabitat einbezogen wird. DIE GRÜNEN]: Danke schön!) Vizepräsidentin Petra Pau: Vizepräsidentin Petra Pau: Die zweite Nachfrage. Damit kommen wir zur Frage 13 der Kollegin Undine Kurth: Undine Kurth (Quedlinburg) (BÜNDNIS 90/DIE Warum sieht die Bundesregierung im Ersten Gesetz zur GRÜNEN): Änderung des Bundesnaturschutzgesetzes nicht mehr den Ich komme noch einmal auf die heutige Pressekonfe- Schutz der Lebensstätten für besonders geschützte und be- renz des Bundesministers zurück. Um die Situation der stimmte andere Tier- und Pflanzenarten vor – § 42 –, sondern streicht das bewährte Verbot, Nist-, Brut-, Wohn- und Zu- Rote-Liste-Arten und der Biotope beurteilen zu können, fluchtsstätten zu zerstören, und warum werden streng ge- brauchen wir auch eine Kenntnis über die Situation in schützte Arten nicht mehr räumlich, sondern nur noch zeit- der freien Natur. Deshalb frage ich Sie, wie Sie das lich, nämlich während der Fortpflanzungs-, Aufzucht-, große Engagement der Verbände und der Naturschützer Mauser-, Überwinterungs- und Wanderungszeiten, geschützt? bewerten, die dafür sorgen, dass wir genaue Erkennt- Bitte, Herr Staatssekretär. nisse über die zu schützenden Arten und Biotope erhal- ten. Michael Müller, Parl. Staatssekretär beim Bundes- minister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher- Michael Müller, Parl. Staatssekretär beim Bundes- heit: minister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher- Die im Gesetzentwurf der Bundesregierung vorgese- heit: henen Änderungen in § 42 des Bundesnaturschutzgeset- Es ist ganz entscheidend, dass Umweltschutz nicht nur (B) zes dienen der Anpassung an die entsprechenden Be- als eine technologische Frage verstanden wird. Aus mei- (D) stimmungen der Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie und der ner Sicht muss er auch die Artenvielfalt und – damit ver- Vogelschutzrichtlinie. In diesem Rahmen werden auch bunden – den Schutz der Arten umfassen. Insofern be- weiterhin die Fortpflanzungs- und Ruhestätten für be- grüßen wir es nicht nur, wenn bestimmte Verbände so sonders geschützte Arten vor Entnahme, Beschädigung vorgehen, sondern halten es auch für eine Notwendig- und Zerstörung geschützt. keit, um überhaupt zu einem umfassenden Umweltschutz Es gibt allerdings eine etwas veränderte Logik auf- zu kommen. Gerade das Engagement von Umweltver- grund der Übernahme der europäischen Rechtsbestim- bänden, Naturschutzverbänden und Artenschutzverbän- mung. Der Begriff der Fortpflanzungs- und Ruhestätte den ist also aus unserer Sicht eine wesentliche Vorausset- umfasst alle Elemente des bisherigen Begriffs Nist-, zung für einen wirkungsvollen Umweltschutz. Dieses Brut-, Wohn- und Zufluchtsstätte. Die Anbindung des Engagement sollte gestärkt und anerkannt werden. Störungsverbots an bestimmte Zeiträume folgt unmittel- (Undine Kurth [Quedlinburg] [BÜNDNIS 90/ bar aus der FFH-Richtlinie und der Vogelschutzrichtli- DIE GRÜNEN]: Vielen Dank!) nie. Dieses Störungsverbot gilt in den genannten Zeiten überall. Es ist nicht mehr räumlich begrenzt; es bezieht Vizepräsidentin Petra Pau: sich also nicht nur auf die Nist-, Brut-, Wohn- und Zu- fluchtsstätte, sondern auch auf die Nahrungshabitate. Es Das Wort zu einer Nachfrage hat der Kollege ist also im Kern sogar erweitert. Dr. Hofreiter.

Vizepräsidentin Petra Pau: Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Ihre erste Nachfrage. NEN): Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Sehr geehrter Herr Staatssekretär, vielen Dank für die Beantwortung Ihrer Undine Kurth (Quedlinburg) (BÜNDNIS 90/DIE Fragen zu diesem Thema. Ich hätte eine Nachfrage: Wie GRÜNEN): erklären Sie sich und teilen Sie die Stellungnahme des Danke, Herr Staatssekretär. – Da juristische Texte ei- Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der ner breiten Interpretationsvielfalt unterliegen, frage ich „Mitteilung der Kommission: Eindämmung des Verlusts ausdrücklich nach: Die von Ihnen eben vorgetragene In- der biologischen Vielfalt bis zum Jahr 2010 – und da- terpretation heißt, dass über den bisherigen Schutz hi- rüber hinaus“? In diesem Bericht steht wörtlich: naus inzwischen sogar ein erweiterter Schutz geltend ge- macht werden kann, der sich nicht nur auf die genannten Zwischen Anspruch und Wirklichkeit Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 90. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. März 2007 9079

Dr. Anton Hofreiter (A) – dieser Bericht bezieht sich auch auf Deutschland – Michael Müller, Parl. Staatssekretär beim Bundesmi- (C) nister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: klaffen extreme Lücken, die geschlossen werden müssen, will man der drohenden Gefahr des Glaub- Liebe Kollegin Kotting-Uhl, ich selbst habe dieses würdigkeitsverlustes entgegenwirken. Sondergutachten des Sachverständigenrats überreicht bekommen und hatte die Gelegenheit, mit den Vertretern Arbeitet der Wirtschafts- und Sozialausschuss an den des Sachverständigenrats intensiv über dieses Papier zu Tatsachen vorbei, oder wie erklären Sie sich diese Stel- diskutieren. Wir sehen es sehr wohl als einen wichtigen lungnahme? Beitrag zur Versachlichung der Diskussion an; denn dies ist in der Tat eine empirisch sehr sorgfältige und in den Michael Müller, Parl. Staatssekretär beim Bundesmi- Empfehlungen sehr klare Untersuchung des Sachver- nister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: ständigenrats, was aus meiner Sicht schon dadurch un- Ich wüsste jetzt nicht, wieso Sie da einen Gegensatz zu terstrichen wird, dass in diesem Papier sehr deutlich alle meinen Aussagen konstruieren könnten. Ich habe das Stärken und Schwächen des heutigen Vollzugs im Um- nicht gesagt. Ich sage nach wie vor: Ich finde, dass sich weltbereich herausgearbeitet werden. Insofern ist es eine der Umweltschutz vor allem in der Frage bewähren muss, gute Gelegenheit, damit zu arbeiten. wie er zum Naturschutz und zum Artenschutz steht. Das ist die eigentliche Frage. Dass Deutschland da noch eine In seinem Gutachten befasst sich der Sachverständi- ganze Menge zu tun hat, ist sicher unbestritten. genrat im Schwerpunkt mit aktuellen Reformtrends zur Neuordnung der Umweltverwaltung in den Ländern. In- sofern ist ein Großteil der Debatte an die Länder gerich- Vizepräsidentin Petra Pau: tet; trotzdem will ich mich dem hier nicht entziehen. Mit Danke, Herr Staatssekretär. – Bevor wir zur Frage 14 der umfassenden Bestandsaufnahme vor allem der soge- kommen können, möchte der Kollege Beck völlig über- nannten Verwaltungsmodernisierungsprozesse weist der raschend einen Geschäftsordnungsantrag stellen. Sachverständigenrat unter anderem – das halten wir für sehr bedenklich – auf Einsparungen beim Personal und Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): bei Ressourcen der Umweltverwaltungen der Länder Ich beantrage nach § 106 und Anlage 5 unserer Ge- und Kommunen insbesondere beim Naturschutz hin. Al- schäftsordnung eine Aktuelle Stunde zu dem, glaube lerdings wird in dem Bericht auch herausgestellt, dass ich, Thema „Anspruch und Wirklichkeit im Bereich diese Kritik nicht gegenüber dem Bund erhoben wird, des Naturschutzes“. Die Tatsache, dass acht Länder eu- wo die Verhältnisse doch erheblich anders liegen. Auf ropapolitische Vorgaben gar nicht oder unvollständig Bundesebene ist in den letzten Jahren keine vergleich- umgesetzt haben, erfordert es, dass das Hohe Haus über bare Entwicklung wie in einigen Ländern erfolgt. (B) dieses wichtige Thema debattiert. Ich bitte darum, diese (D) Aktuelle Stunde im Anschluss an die Fragestunde vorzu- Der Sachverständigenrat setzt sich mit verschiedenen sehen. Reformmodellen auseinander und beleuchtet ihre jewei- ligen Stärken und Schwächen. Dabei betont er den Vizepräsidentin Petra Pau: Stellenwert leistungsfähiger, gut organisierter und funk- Es ist Ihr gutes Recht, namens Ihrer Fraktion eine Ak- tionsgerecht ausgestatteter Verwaltungen, die einen we- tuelle Stunde zu beantragen. Aber ich bitte dann schon sentlichen Beitrag zu einem hohen Umweltschutzniveau, um die genaue Bezeichnung der Frage, auf die sich Ihr zur Standortqualität und letztlich zu Innovationen in Geschäftsordnungsantrag bezieht; denn das, was Sie Deutschland leisten. Das Gutachten geht im Einzelnen glauben zu beantragen, können wir hier nicht beschlie- auf den Aufbau der Verwaltungsorganisation der Länder, ßen. auf Binnenmodernisierungen, auf umweltrechtliche As- pekte ein. Wir glauben, dass damit die Grundlagen ge- schaffen werden, um zwischen Bund und Ländern, aber Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): auch in der Gesellschaft sehr intensiv über die fachlichen Ich beziehe meinen Geschäftsordnungsantrag auf die Herausforderungen des Umwelt- und Naturschutzrechtes Fragen 12 und 13 der Abgeordneten Undine Kurth. debattieren zu können.

Vizepräsidentin Petra Pau: Die Einzelergebnisse des Gutachtens werden jetzt in Gut. – Die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen hat den zuständigen Gremien ausgewertet; sicherlich wird zu den Antworten der Bundesregierung auf die dann in vielen Gremien darüber beraten. Die entspre- Fragen 12 und 13 eine Aktuelle Stunde verlangt. Das ent- chenden Schlussfolgerungen und Empfehlungen betref- spricht Nr. 1 b der Richtlinien für die Aktuelle Stunde. fen allerdings in erster Linie den Zuständigkeits- und Die Aussprache findet im Anschluss an die Fragestunde Verantwortungsbereich der Länder; sie können einen statt. wesentlichen Beitrag zur Versachlichung der Diskussion leisten. Mit dieser fahren wir jetzt fort. Ich rufe die Frage 14 der Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl auf: In diesem Zusammenhang sind uns auch die Empfeh- Welche sind für die Bundesregierung die wichtigsten Er- lungen des Sachverständigenrats zum Thema Umwelt- kenntnisse des Sondergutachtens „Umweltverwaltungen unter recht wichtig. Wir sehen uns in dem Kurs bestätigt, die Reformdruck“ des Sachverständigenrates für Umweltfragen, Schaffung eines Umweltgesetzbuches voranzutreiben. SRU, und welche Schlussfolgerungen zieht sie aus diesen? Wir wollen eine anwenderfreundlichere und einfachere Bitte, Herr Staatssekretär. Handhabung erreichen. Unsere Formel heißt aber nicht 9080 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 90. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. März 2007

Parl. Staatssekretär Michael Müller (A) „Deregulierung“, sondern „intelligente Neuregulierung“. Michael Müller, Parl. Staatssekretär beim Bundes- (C) Wir wollen, wo immer es geht, entbürokratisieren, damit minister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher- es einfacher und transparenter wird. heit: Hierbei geht es natürlich um eine Grundsatzfrage. Si- cherlich ist es sinnvoll, Dezentralität zu ermöglichen, wo Vizepräsidentin Petra Pau: auch immer man besonders nah am Problem sein kann. Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage. Ich stimme aber Ihrer Grundposition zu: Es muss eine gewisse Qualifikation gegeben sein. Insofern teile ich Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ihre Position, dass ohne einen gewissen Mindeststan- dard, ohne eine gewisse Mindestqualifikation Umwelt- Herr Staatssekretär Müller, vielen Dank für die Ant- und Naturschutz nur begrenzt möglich sind. Es kommt wort und dafür, dass Sie sich der Beantwortung nicht also darauf an, genau hinzuschauen, welche Ebene in entzogen haben, obwohl die Frage – Sie haben das aus- Zukunft verantwortlich sein soll. drücklich betont – ganz stark die Kompetenz der Länder betrifft. (Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Danke!) Sie von der Großen Koalition, SPD und Union, haben mit der Föderalismusreform, der Sie zugestimmt und die Vizepräsidentin Petra Pau: Sie auch in die Wege geleitet haben, gemeinsam dazu Damit kommen wir zur Frage 15 der Kollegin beigetragen, dass die Kompetenz in diesem Bereich in Kotting-Uhl: Zukunft in noch höherem Maße bei den Ländern liegt. Stimmt die Bundesregierung der Feststellung des SRU zu, Ich gehe davon aus, dass wir uns einig sind, dass es dass die deutschen Natur- und Umweltverwaltungen zuneh- keine gute Entwicklung ist, dass laut dem SRU-Gutach- mend nicht mehr in der Lage sind, langfristige, kumulative, ten 20 Prozent des Personals der Umweltbehörden und indirekte und chronische Wirkungen von Eingriffen in den Naturhaushalt zu beobachten und auf diese zu reagieren? sogar 30 Prozent des Personals der Naturschutzverwal- tungen – das ist viel zu viel – abgebaut worden sind. Bitte, Herr Staatssekretär. Auch wenn das sehr stark die Länderkompetenz betrifft, möchte ich Sie – Ihre Partei, die SPD, und die Parteien Michael Müller, Parl. Staatssekretär beim Bundes- des Koalitionspartners sind in den Ländern vorrangig in minister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher- Regierungsverantwortung – fragen: Was gedenken Sie, heit: diesem Trend zum Abbau entgegenzusetzen? Die Frage knüpft in gewisser Weise an das an, was eben gefragt wurde. Meine Antwort lautet: Der Sachver- (B) (D) Michael Müller, Parl. Staatssekretär beim Bundes- ständigenrat hat – wir haben schon darüber gesprochen – im Gutachten darauf hingewiesen, dass im Bereich des minister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher- Naturschutzes überproportional Ausgaben und Personal heit: eingespart werden und dass die Konsequenzen daraus in Ich hoffe, dass vor allem die aktuelle Diskussion über der Tat ernst genommen werden müssen. die Bedeutung der Umwelt- und Naturschutzpolitik ei- nen Beitrag dazu leistet, bei diesen Fragen umzudenken. Das Bundesamt für Naturschutz hat bereits im Vorfeld Sie können sicher sein, dass unser Haus eine klare Posi- des Sachverständigenratsgutachtens – dadurch bekommt tion dazu hat. es eine noch größere Bedeutung – an die Fernuniversität Hagen ein Forschungsvorhaben mit der Fragestellung vergeben, welche Auswirkungen die zunehmende Euro- Vizepräsidentin Petra Pau: päisierung des Umwelt- und Naturschutzrechts und die Sie haben das Wort zu einer zweiten Nachfrage. veränderten finanziellen und administrativen Rahmenbe- dingungen auf spezielle Aufgabenbereiche des Natur- schutzes, beispielsweise auf die Eingriffsregelung, auf Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): den Vertragsnaturschutz und auf Natura 2000, haben. Danke schön. – Ich glaube, dass Sie eine klare Posi- Wir gehen davon aus, dass dieses Gutachten im Mai vor- tion haben; ich hoffe auf die Kraft des Durchsetzens. liegen wird. Dann können wir umfassend auf diese Fra- gen antworten. Die zweite Frage bezieht sich auf das Stichwort „Kommunalisierung“. Wir sehen eine ganz starke Ten- Vizepräsidentin Petra Pau: denz zur Kommunalisierung. In manchen Bereichen ist Ihre erste Nachfrage. das positiv zu bewerten, in sehr vielen jedoch eher nega- tiv; denn auf kommunaler Ebene fehlen einfach die Res- sourcen: Zum Teil fehlt Fachkompetenz, es fehlt das Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Personal. Nicht jede Kommune kann es sich leisten, sel- Ich danke Ihnen. Trotzdem möchte ich jetzt nachfra- ber Labore zu errichten. Nicht zuletzt fehlt die Möglich- gen und nicht bis Mai warten. keit, sich bei bestimmten Fragen eine gewisse Routine Neben der zunehmenden Europäisierung in Umwelt- anzueignen, weil nicht jeder Fall andauernd in jeder fragen – Sie haben sie gerade angesprochen – und der Kommune vorkommt. – Wie positionieren Sie sich zunehmenden Kommunalisierung beim Vollzug – da- dazu? rüber haben wir eben schon gesprochen – wurde im SRU- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 90. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. März 2007 9081

Sylvia Kotting-Uhl (A) Gutachten eine zunehmende Tendenz zur Privatisierung Welche Erkenntnisse liegen der Bundesregierung hinsicht- (C) von gesetzlichen Aufgaben im Umweltbereich festge- lich des Einflusses des Klimawandels auf die Artenvielfalt in Deutschland vor, und welche Schlussfolgerungen zieht sie stellt. Ist die Bundesregierung der Ansicht, dass private daraus? Dienstleister im Bereich Natur- und Umweltschutz in der Lage sind, die notwendigen Aufgaben zu erfüllen? Bitte, Herr Staatssekretär.

Michael Müller, Parl. Staatssekretär beim Bundesmi- Michael Müller, Parl. Staatssekretär beim Bundes- nister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: minister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher- Der Sachverständigenrat hat diese Tendenzen aus- heit: drücklich kritisiert, weil er damit einen deutlichen Quali- Bei dieser Frage geht es um die Auswirkungen des tätsverlust verbindet. Wir müssen sagen: Unbeschadet Klimawandels auf die Artenvielfalt. Ich weiß nicht, ob der Frage, wie die Aufgabenverteilung zwischen priva- Ihnen bekannt ist, dass kurz vor Ostern die zweite Ar- ten und staatlichen Trägern ausgestaltet ist, müssen der beitsgruppe des Zwischenstaatlichen Ausschusses für Erhalt der naturschutzrechtlichen Regelungen und die Klimawandel ihr Gutachten zum Thema „Sektorale und Sicherstellung der Qualität der Maßnahmen unsere regionale Folgen“ vorlegen wird. Darin werden die Fra- obersten Ziele bleiben. Daran müssen wir uns orientie- gen behandelt: Welche Folgen hat das für bestimmte Re- ren. Dementsprechend müssen wir das bewerten. gionen? Was hat das für Folgen für die Artenvielfalt, für die Meeressysteme usw.? Die Zahlen, die im Rahmen dieses Gutachtens vorgetragen und beraten werden, be- Vizepräsidentin Petra Pau: stätigen eindeutig, dass gerade die biologischen Folgen Sie haben das Wort zu einer zweiten Nachfrage. des Klimawandels viel größer sind, als manche bisher befürchtet haben. Das gilt beispielsweise für die Verän- Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): derungen bei den Fischzügen, den Bergwäldern oder der Ich sehe, wir sind uns bei der Einschätzung in vielen Fruchtbarkeit von Pflanzen. Punkten einig. In der Tat ist es so, dass vor allem die Geschwindig- Beim Zusammenspiel privater, öffentlicher und ge- keit des Klimawandels erhebliche Folgen für den Natur- sellschaftlicher Kräfte spielen die Umweltverbände – ich haushalt haben wird. Ich will ein paar Punkte nennen: möchte dieses Stichwort aufgreifen – als gesellschaftli- Für viele der in Deutschland vorkommenden Tier- und cher Sachverstand eine große Rolle. Der SRU wider- Pflanzenarten werden sich die klimatisch geeigneten Le- spricht der häufig geäußerten Einschätzung, dass die bensräume deutlich nach Norden bzw. Osten, in höhere Öffentlichkeitsbeteiligung die Genehmigungsverfahren Lagen der Gebirge oder in Regionen mit günstigeren (B) verlängere, und empfiehlt, die Öffentlichkeitsbeteili- Feuchteverhältnissen verschieben. Wir werden hier nach (D) gung, die sich als effektiv erwiesen hat, bei der Einfüh- dem, was wir wissen, eine deutliche Verlagerung erle- rung der integrierten Vorhabengenehmigung zu erhalten, ben. Wenn das tatsächliche oder potenzielle Verbrei- eher sogar auszubauen. Er empfiehlt, die Öffentlich- tungsgebiet im Zuge dieser Prozesse schrumpft oder keitsbeteiligung erstens zu einem frühen Zeitpunkt und ganz verloren geht – das können wir nicht aufhalten –, zweitens in einer Form auszubauen, die die Öffentlich- können Arten durch den Klimawandel sogar in ihrer keit als ökologisch sinnvolle Begleitung bei der Planung, Existenz bedroht sein. der Genehmigung und dem Betrieb von Anlagen zulässt. Dasselbe gilt, wenn die neuen Lebensräume nur eine Wie positioniert sich die Bundesregierung in diesem Be- vergleichsweise geringe Ausbreitungsfähigkeit haben reich? oder andere Reproduktionszeiträume erforderlich sind. Geringere Vermehrungsraten werden befürchtet. Das gilt Michael Müller, Parl. Staatssekretär beim Bundes- insbesondere für Tier- und Pflanzenarten, die bisher eine minister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher- hohe Ortstreue haben oder besonders spezialisierte Habi- heit: tat- oder Nahrungsansprüche stellen. Hinzu kommt, dass Es gibt in diesem Zusammenhang unterschiedliche bei einer Ausbreitung nach Norden und Osten die an- Studien. In der Mehrheit der Studien heißt es aber aus thropogenen Faktoren, also die menschlichen Einflüsse, meiner Sicht, dass eine erhöhte Öffentlichkeitsbeteili- Barrieren sein können, die wir nur begrenzt bestimmen gung in der Regel zu größerer Rechtssicherheit, zu einer können. Wir befürchten auch, dass es in bestimmten Be- intensiveren und besseren Prüfung und damit im Kern zu reichen zu einer verstärkten Konkurrenz unterschiedli- einer Verkürzung der Verfahren führt, weil Klagen nicht cher Arten kommt und dadurch wiederum verstärkt zu erhoben werden und gerichtliche Verfahren dementspre- einer Verdrängung der heimischen Pflanzen- und Tierar- chend nicht stattfinden. Das ist auch mir bekannt. Aus ten. unserer Sicht kommt es darauf an, die Bürgerbeteiligung Lassen Sie mich das zusammenfassen: Das Bundes- so zu organisieren, dass vor allem die Rechtssicherheit amt für Naturschutz befürchtet, dass durch den Klima- des Verfahrens und die Qualifizierung der Prozesse ver- wandel – je nach Annahme – ein Verlust von 5 bis bessert werden. 30 Prozent der derzeit vorhandenen Pflanzen- und Tier- arten in den nächsten Jahrzehnten möglich ist, wobei Vizepräsidentin Petra Pau: sich diese Klimaveränderungen besonders im Hochge- Vielen Dank, Herr Staatssekretär. – Wir kommen da- birge, in Mooren, im Wattenmeer und in küstennahen mit zur Frage 16 der Kollegin Nicole Maisch: Salzwiesen auswirken. 9082 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 90. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. März 2007

Parl. Staatssekretär Michael Müller (A) Ich will einen weiteren Punkt nennen. Wir befürchten Insofern müssen wir sowohl direkte als auch indirekte (C) bedeutende Verluste bei wildlebenden Arten und Öko- Maßnahmen unternehmen. Direkte Maßnahmen bedeu- systemen. Insofern müssen wir im Rahmen einer Klima- ten, dass man dies verhindert, wo immer es geht. Indi- schutzstrategie zwei Ziele verstärkt verfolgen: Wir müs- rekte Maßnahmen bedeuten, dass man zum Beispiel sen einerseits alles tun, um den Klimawandel, soweit es durch entsprechende Systeme von Bewässerung ver- geht, zu begrenzen. Außerdem müssen wir sehr viel stär- sucht, Reservoire zu binden. ker, als noch vor zehn oder 15 Jahren gedacht, Anpas- sungsmaßnahmen zum Erhalt der Natur, der Pflanzen- Vizepräsidentin Petra Pau: und Tierarten durchführen. – Es gibt in diesem Zusam- Sollten Sie noch eine Nachfrage haben, haben Sie nun menhang ein Forschungsvorhaben. Das Bundesamt für die Möglichkeit dazu. Naturschutz wird Anfang 2008 über die Folgen des Kli- mawandels für die Artenvielfalt einen sehr umfangrei- chen Bericht vorlegen. Er wird aus meiner Sicht sehr gut Nicole Maisch (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): zu dem passen, was jetzt das IPCC in seinem 4. Bericht Danke, habe ich nicht. vorlegt. Vizepräsidentin Petra Pau: Insgesamt kommt es darauf an, sowohl in der nationa- Danke. – Dann kommen wir zur Frage 17 ebenfalls len Klimaschutzstrategie als auch in einer Strategie „Na- der Kollegin Maisch: turschutzkonzeption Klimawandel“ – so nennen wir das – entsprechende Qualitätsziele festzulegen, um möglichst Welche Artenschutzprogramme für die Wiederansiedlung von Wildtieren in Deutschland werden durch die Bundesre- frühzeitig Anpassungsstrategien zu ermöglichen. gierung in welchem Umfang finanziert respektive mitfinan- ziert? Vizepräsidentin Petra Pau: Sie haben die Möglichkeit zu zwei Nachfragen. – Michael Müller, Parl. Staatssekretär beim Bundesmi- Bitte. nister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: Im Augenblick laufen im Rahmen der verfügbaren Nicole Maisch (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Finanzierung keine ausgesprochenen Artenschutzpro- Eine Nachfrage haben Sie mir in vorauseilendem Ge- gramme, aber wir haben ein paar Artenschutzvorhaben. horsam schon beantwortet. Das ist ganz schön. Die nachfolgende Darlegung, die ich Ihnen gebe, be- rücksichtigt die kürzlich abgeschlossenen bzw. noch lau- fenden oder jetzt begonnenen acht Projekte: erstens eine Michael Müller, Parl. Staatssekretär beim Bundes- Pilotstudie zur Abwanderung und zur Ausbreitung von (B) (D) minister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher- Wölfen in Deutschland, zweitens eine Kooperation im heit: Wolfsschutz zwischen Polen und Deutschland, drittens Ich habe keinen vorauseilenden Gehorsam. Ich will ein Fachkonzept für ein Wolfsmanagement in Deutsch- nur informieren. land, viertens Maßnahmen zur Arterhaltung und zum Bestandsschutz des Störs in Nord- und Ostsee, fünftens Nicole Maisch (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): zur Sicherung und Optimierung der Fledermauswinter- Danke schön. – Meine zweite Frage bezieht sich auf quartiere vor allem in Ostdeutschland, sechstens zur eine konkrete Maßnahme, und zwar hinsichtlich der Wiederansiedlung von Wisenten im Rothaargebirge, Moore. Durch die kontinuierliche Entwässerung unserer siebtens eine Machbarkeitsstudie zur Ausbreitung von Moore schrumpfen deren Torfkörper und werden große Luchsen, und achtens beschäftigen wir uns mit der Mengen von Klimagasen freigesetzt. Die Klimarelevanz Frage, was wir tun können, um verstärkt Wisenten zu- einer solchen Moordevastierung ist enorm. Meine Frage rückzuholen. lautet: Was unternimmt die Bundesregierung in diesem (Jörg Tauss [SPD]: Und die Nachfolger von Zusammenhang? Bruno wieder nach Bayern!)

Michael Müller, Parl. Staatssekretär beim Bundes- Vizepräsidentin Petra Pau: minister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher- Ihre erste Nachfrage, bitte. heit: Was wir unternehmen, ist klar: Wir müssen alles tun, um den Klimawandel so schnell wie möglich zu stoppen. Nicole Maisch (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich möchte aber auf Folgendes hinweisen: Das Haupt- Meine erste Nachfrage ist: Von welchen Laufzeiten ist problem ist – ich nehme wieder einmal den IPCC-Be- bei den geplanten Projekten auszugehen, und wie wer- richt zur Grundlage –, dass fast 60 Prozent der Landflä- den sie evaluiert? chen auf der nördlichen Halbkugel Permafrostgebiete sind. Das Problem wird dort in aller Schärfe deutlich Michael Müller, Parl. Staatssekretär beim Bundesmi- werden, da dort riesige Methanreservoire in den Böden nister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: gebunden sind. Dieses Problem ist umso größer, je nach- Sie werden vom Bundesamt für Naturschutz evalu- dem, wie tief die Erwärmung geht. Es ist ein sehr ernstes iert. Die Projekte sind zum Teil abgeschlossen, zum Teil Problem, dass gerade in solchen Feuchtgebieten entspre- laufen sie noch. Ich würde Ihnen vorschlagen, dass wir chende Treibhausgase freigesetzt werden. Ihnen eine kurze Übersicht senden. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 90. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. März 2007 9083

(A) Vizepräsidentin Petra Pau: Vizepräsidentin Petra Pau: (C) Ihre zweite Nachfrage, bitte. Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.

Nicole Maisch (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Meine zweite Nachfrage ist: Im Zusammenhang mit Herzlichen Dank. Diese Möglichkeit will ich gerne solchen Programmen, vor allem im Hinblick auf die wahrnehmen. – Im Rahmen der Potsdam-Initiative ist Wölfe, wird immer wieder von Konflikten mit der Be- festgelegt worden, dass ein wissenschaftlicher Bericht völkerung vor Ort gesprochen. Welche Erkenntnisse lie- über die ökonomischen Folgen des Artensterbens erstellt gen der Bundesregierung mit Blick auf Konflikte bei werden soll. Mich würde interessieren, ob dieser Bericht Wiederansiedlungsprogrammen vor, und welchen Bei- schon vor der COP 9, der 9. Vertragsstaatenkonferenz, trag kann die Bundesregierung leisten, um vor Ort als die im nächsten Jahr in Bonn stattfindet, vorliegen wird Mediatorin tätig zu werden? und welche Forschergruppe dafür verantwortlich sein wird. Michael Müller, Parl. Staatssekretär beim Bundes- minister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher- Michael Müller, Parl. Staatssekretär beim Bundes- heit: minister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher- Wenn man die gegenwärtigen Debatten über die Wie- heit: deransiedlung des Wolfes betrachtet, kann man feststel- len, dass es dafür vor Ort mittlerweile sehr breite Unter- Diese Frage kann ich Ihnen deshalb noch nicht beant- stützung gibt. Man kann also sagen: Wenn man eine worten, weil das noch nicht entschieden ist. Wenn das solche Maßnahme vernünftig organisiert und die örtli- geschehen ist, kann ich Sie darüber informieren. chen Akteure mit einbezieht, dann findet sie durchaus Akzeptanz. Vizepräsidentin Petra Pau: (Nicole Maisch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Ihre zweite Nachfrage. NEN]: Danke schön!) Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Vizepräsidentin Petra Pau: Ich habe bereits erwähnt, dass die große Vertragsstaa- Damit kommen wir zur Frage 18 der Kollegin Bärbel tenkonferenz im nächsten Jahr in Bonn stattfinden wird. Höhn: Mich würde interessieren, welche öffentlichkeitswirksa- (B) Welchen konkreten Zeitplan für die Umsetzung der be- men Maßnahmen Sie planen, um die Bevölkerung auf (D) schlossenen „Potsdam-Initiative zur biologischen Vielfalt das Problem des Artensterbens hinzuweisen, und welche 2010“ haben die Minister auf dem G-8-Umweltministertref- Maßnahmen Ihrer Meinung nach im Vorfeld der Ver- fen – 15. bis 17. März 2007 in Potsdam – beschlossen, und tragsstaatenkonferenz auf deutschem Boden, in Bonn, welche weiteren konkreten Maßnahmen und Umsetzungs- beschlüsse zum Schutz und zur nachhaltigen Nutzung der bio- durchgeführt werden sollten, um diesem Trend entge- logischen Vielfalt wird die Bundesregierung während ihrer genzuwirken. G-8-Präsidentschaft auf dem G-8-Gipfel in Heiligendamm vorlegen? Michael Müller, Parl. Staatssekretär beim Bundes- minister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher- Michael Müller, Parl. Staatssekretär beim Bundes- heit: minister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher- heit: Ich wiederhole, dass Naturschutz, insbesondere der Erhalt der biologischen Vielfalt, das Kernthema jeder Die Kollegin Höhn fragt nach dem konkreten Zeit- Umweltpolitik sein muss und bleiben muss. Deshalb plan für die Umsetzung der „Potsdam-Initiative zur bio- wird das Ministerium bei diesem Thema einen Schwer- logischen Vielfalt 2010“. Ich kann diese Frage wie folgt punkt setzen, was seine Öffentlichkeitsarbeit und die beantworten: Das Bundesministerium wird die Ergeb- nisse des Umweltministertreffens der G-8-Staaten – dabei Ausrichtung seiner Tätigkeit betrifft. Die notwendigen handelt es sich um die sogenannten Schlussfolgerungen Vorbereitungen haben wir bereits getroffen. Die entspre- des Vorsitzenden; Sie wissen, dass es unterschiedliche chenden Daten und die umfassenden Pläne werden in Kategorien gibt –, die unter anderem die in Potsdam be- Kürze veröffentlicht. handelte Initiative einbeziehen, in den Vorbereitungspro- zess des G-8-Gipfels einspeisen. Vizepräsidentin Petra Pau: Unsere Ziele sind, erstens diese Initiative auf dem G-8- Ich rufe die Frage 19 der Kollegin Bärbel Höhn auf: Gipfel zu besprechen und zweitens zur Umsetzung ein- Welche rechtlichen Grundlagen gibt es nach Ansicht der zelner Aktivitäten nicht nur mit unseren G-8-Partnern, Bundesregierung für ein mögliches Verbot des geplanten Im- sondern auch mit den G-5-Staaten – Brasilien, China, In- ports von 22 000 Tonnen Hexachlorbenzol aus Australien in dien, Mexiko und Südafrika – weitere Schritte zu be- die Bundesländer Schleswig-Holstein und Nordrhein-West- falen, und welche Landes- oder Bundesbehörden wären sprechen und vor allem gemeinsam mit Japan das wei- jeweils für den Erlass eines solchen Verbotes zuständig? tere Vorgehen im G-8-Rahmen zu diskutieren, weil Japan die nächste Präsidentschaft haben wird. Bitte, Herr Staatssekretär. 9084 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 90. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. März 2007

(A) Michael Müller, Parl. Staatssekretär beim Bundes- Vizepräsidentin Petra Pau: (C) minister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher- Wir sind in der Fragestunde. Ich denke, der Staats- heit: sekretär sollte Gelegenheit zur Antwort bekommen. Die in Deutschland geltenden rechtlichen Grundlagen für die Genehmigung von grenzüberschreitenden Abfall- Michael Müller, Parl. Staatssekretär beim Bundes- verbringungen bzw. deren Ablehnung sind einerseits in minister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher- der Verordnung der EWG zur Überwachung und Kon- heit: trolle der Verbringung von Abfällen in der, in die und Ich weiß, was Hexachlorbenzol ist; ein bisschen aus der Europäischen Gemeinschaft – das ist die soge- kenne ich mich da schon aus. Die Frage ist, ob das da- nannte EG-Abfallverbringungsverordnung vom 1. Fe- runter fällt. Das ist bestimmt nicht der Fall. Unsere bruar 1993 – und andererseits in dem Gesetz über die Rechtsauffassung hat sich auch nach neuerer Prüfung so Überwachung und Kontrolle der grenzüberschreitenden bestätigt. Verbringung von Abfällen – das ist das Abfallverbrin- gungsgesetz vom 30. September 1994 – geregelt. Das Entscheidende ist der § 4: Vizepräsidentin Petra Pau: Die zweite Nachfrage. Zuständig für Maßnahmen im Zusammenhang mit der Verbringung von Abfällen in den Geltungsbe- Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): reich dieses Gesetzes ist die Behörde des Landes, in dem die Abfälle erstmals behandelt, gelagert oder Vor Ort hat das natürlich einen Riesenwirbel ausge- abgelagert werden sollen. löst und zu großem Protest geführt. Ich war am 6. Februar in Herten – das ist einer der Orte, wo dieser Das umfasst dann auch die Genehmigung von grenz- Abfall verbrannt werden soll – auf einer Veranstaltung. überschreitenden Verbringungen. Das heißt, zuständig Da hat der Geschäftsbereichsleiter der Abfallentsor- sind in dem Fall Schleswig-Holstein und Nordrhein- gungs-Gesellschaft Ruhrgebiet, AGR – das ist die Firma, Westfalen. die diesen Abfall verbrennen soll –, gesagt, dass dieser Abfall von Australien nach Herten verbracht wird, weil das – Zitat – „von einer Bundesbehörde empfohlen“ Vizepräsidentin Petra Pau: worden sei. Können Sie bestätigen, dass eine Bundesbe- Ihre erste Nachfrage. hörde die Anlagen in Nordrhein-Westfalen für Giftmüll aus Australien empfohlen hat? Wenn ja: Welche Bundes- Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): behörde war das? (B) Es gibt jetzt einen Kompetenzstreit, wer dafür zustän- (D) dig ist: Das Umweltministerium von Nordrhein-Westfa- Michael Müller, Parl. Staatssekretär beim Bundes- len sagt, das sei der Bund. Staatssekretär Machnig hat minister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher- daraufhin dem Staatssekretär in Nordrhein-Westfalen ei- heit: nen Brief geschrieben, um die Situation noch einmal Erstens weiß ich es nicht; ich kann es mir aber nicht darzustellen. Interessanterweise sagt er dazu – Zitat aus vorstellen. Zweitens muss ich sagen: Es ist doch oft so, dem Brief –: dass man sich entlastet. Zuständig dafür sind nach dem Abfallverbringungs- gesetz die von den Bundesländern bestimmten Be- Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): hörden. Können Sie da bei sich nachhaken und mir das schriftlich beantworten? – Das ist das, was Sie eben bestätigt haben. – Eine eigene Zuständigkeit für den Bund (außer Michael Müller, Parl. Staatssekretär beim Bundes- beim Transit) besteht nicht – und wäre auch nur minister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher- durch Änderung unserer Verfassung erreichbar. heit: Das werden wir natürlich tun. Können Sie einmal erläutern, was für eine Zuständigkeit Sie beim Transit haben? Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das wäre nett. Michael Müller, Parl. Staatssekretär beim Bundes- minister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher- heit: Vizepräsidentin Petra Pau: Ich muss in dem Punkt sagen: Der Transit ist, wenn Danke sehr. ich das jetzt richtig interpretiere, nur für höchstproble- Dann kommen wir zur Frage 20 der Kollegin Eva matischen Abfall geregelt. Bulling-Schröter: Liegen der Bundesregierung Informationen darüber vor, Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): ob und wo die australische Regierung die Entsorgung von Hexachlorbenzol, HCB, in ihrem Land vornehmen könnte? Darum geht es: Das ist einer der zwölf höchstproble- matischen Abfälle. Bitte, Herr Staatssekretär. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 90. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. März 2007 9085

(A) Michael Müller, Parl. Staatssekretär beim Bundes- Inwieweit wird die Bundesregierung angesichts die- (C) minister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher- ser Tatsachen darauf drängen, dass diese Fakten mitbe- heit: rücksichtigt werden? Offensichtlich ist ja der entschei- Es geht hier um denselben Sachverhalt, der hier so- dende Punkt, um den Transport dieses Giftmülls nach eben angesprochen wurde: Sie fragen, ob Informationen Deutschland zu verhindern. ob es in Australien genü- vorliegen, wonach die australische Regierung die Ent- gend große Anlagekapazitäten gibt. sorgung von HCB auch im eigenen Land vornehmen könne. – Nein, wir haben darüber keine Kenntnis. Es Michael Müller, Parl. Staatssekretär beim Bundes- wurden bei den Notifizierungsbehörden in Australien minister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher- Rückfragen gemacht. Ob diese bereits beantwortet wur- heit: den, ist der Bundesregierung unbekannt. Noch einmal: Ich sage noch einmal, dass ich das genauso sehe wie Wir haben die Bundesländer gebeten, zu fragen, ob in Sie. Wir haben nur die Chance, einen Einwand zu erhe- Australien entsprechende Kapazitäten existieren; denn ben, wenn in Australien die Möglichkeit dazu besteht, das wäre der Grund, die Verbringung abzulehnen. Da- wenn wir also begründen können, dass dieser Transport rüber haben wir bisher keine Kenntnis. nicht nötig ist. Die Position, die uns bisher vermittelt wurde, ist anders als die, die Sie uns schildern. Deshalb Vizepräsidentin Petra Pau: nehme ich das gerne zum Anlass, noch einmal nachzu- Ihre erste Nachfrage. prüfen.

Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE): Vizepräsidentin Petra Pau: Danke schön. – Herr Staatssekretär, das heißt, Ihnen Damit kommen wir zur Frage 21 der Kollegin ist auch nicht bekannt, dass bereits im September 2006 Bulling-Schröter: ein Angebot der Firma Dolomatrix vorlag, den HCB- Sofern die HCB-Entsorgung in Australien nicht möglich Müll in Australien zu entsorgen? ist, kann – und wenn ja, wie – Deutschland bzw. können die von der HCB-Entsorgung betroffenen Bundesländer den Im- port verhindern, auch wenn technisch und logistisch die Vo- Michael Müller, Parl. Staatssekretär beim Bundes- raussetzungen für die Entsorgung in Deutschland gegeben minister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher- sind und eine Firma sich bereit erklärt hat, die Entsorgung heit: vorzunehmen? Nein, ist mir nicht bekannt. Aber was Sie sagen, ist Bitte, Herr Staatssekretär. interessant. (B) Michael Müller, Parl. Staatssekretär beim Bundes- (D) Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE): minister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher- Meine zweite Frage: Besteht zurzeit bezüglich der heit: HCB-Importe vonseiten Ihres Ministeriums Kontakt zur Ich erspare mir nähere rechtliche Ausführungen und australischen Regierung? Wie sehen diese Kontakte aus? verweise auf das, was ich vorhin bei der Frage der Kolle- Welche aktuellen Dinge werden hier besprochen? gin Höhn zu den rechtlichen Grundlagen gesagt habe: Einschlägig sind die EU-Abfallverbringungsverordnung Michael Müller, Parl. Staatssekretär beim Bundes- und das Abfallverbringungsgesetz. Ich habe auch gesagt, minister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher- dass für Maßnahmen im Zusammenhang mit der Ver- heit: bringung von Abfällen in den Geltungsbereich dieses Gesetzes die Behörde des Landes zuständig ist, in dem Noch einmal: Weil es, wie gesagt, Sache der Länder die Abfälle gelagert werden, in diesem Fall also des Lan- ist, entsprechend zu entscheiden, haben wir sie um An- des Schleswig-Holstein bzw. Nordrhein-Westfalen. frage gebeten. Ich nehme dies zum Anlass, noch einmal rückzufragen. Nach den Regeln dieser Abfallverbringungsverord- nung ist die Genehmigung der Verbringung eine gebun- Vizepräsidentin Petra Pau: dene Entscheidung. Das ist der entscheidende Punkt, auf den wir soeben ja auch eingegangen sind. Das heißt, die Bevor wir zur Frage 21 der Kollegin Bulling-Schröter notifizierende Person hat einen Anspruch auf Erteilung, kommen, hat die Kollegin Höhn die Möglichkeit zu ei- wenn nicht ein vorher genannter Einwandsgrund – bei- ner Nachfrage. spielsweise, dass im eigenen Land eine entsprechende Kapazität vorhanden ist – gemäß der Verordnung vor- Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): liegt. Dies kann zum Beispiel der Einwand sein – damit Herr Staatssekretär, es gibt ein Gutachten einer aus- gebe ich noch einmal unseren Stand wieder –, dass die tralischen Provinzregierung, welches zu dem Schluss vorgesehene Anlage in Deutschland für andere Abfälle kommt, dass auch in Australien entsprechende Bearbei- benötigt wird bzw. dass der Einsatz von Abfällen in der tungsanlagen für diesen Giftmüll zur Verfügung stehen, Anlage gegen deutsches Recht verstößt. Das wären so- und in einer Anhörung, die jetzt stattgefunden hat, haben zusagen Gründe in Deutschland. Ein anderer Grund sich drei Unternehmen bereit erklärt, diesen Giftmüll zu wäre, wenn auch in Australien entsprechende Kapazitä- behandeln. Es geht wohl um die Fragen, ob es dort teurer ten bestünden. Für einen Einwand bzw. eine Ablehnung ist und ob es dort etwas länger dauert als hier. unter Hinweis auf diese Gründe haben wir bei den bishe- 9086 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 90. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. März 2007

Parl. Staatssekretär Michael Müller (A) rigen Prüfungen keine ausreichende Grundlage gefun- problematische Stoffe von Deutschland in andere Länder (C) den. Das ist der Sachstand. exportiert werden. Ich höre von der Kollegin Höhn, dass zumindest in ei- (Jörg Tauss [SPD]: Das hat es noch nie gege- ner Anhörung in Australien andere Fakten genannt wor- ben!) den sind. Wir werden dem gerne noch einmal nachge- hen. Das ist im Augenblick aber sozusagen unser Ich wäre ein bisschen vorsichtiger mit dieser pauschalen aktueller Stand: Wir können nur darauf verweisen, dass Aussage. Es ist keine Lösung des Problems, aber ich es in Deutschland bei den Importen, bei denen kein Ein- wäre ein bisschen zurückhaltender in meiner Bewertung. wandsgrund geltend gemacht werden konnte, bisher Auf jeden Fall muss – das ist ein wichtiger Grundsatz; noch keinen Versagensfall gab. es ist auch meine Grundlinie und sicherlich auch die die- ses Hauses – gefährlicher Abfall, wo immer dies mög- Vizepräsidentin Petra Pau: lich ist, entweder vermieden oder zumindest möglichst Ihre erste Zusatzfrage. dezentral oder verbrauchsnah entsorgt werden. Leider ist dies nicht in allen Fällen möglich. Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE): Herr Staatssekretär, wie sehen Sie denn die Risiken, Vizepräsidentin Petra Pau: die durch den Transport von Giftmüll durch zum Teil Die Kollegin Höhn hat noch eine Nachfrage. wirklich dicht besiedelte Gebiete entstehen? Sind Sie der Meinung, dass sie der Bevölkerung zuzumuten sind? Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Der Hintergrund meiner Frage ist Ihnen sicher be- Das ist ein spannendes Thema. Ich habe noch eine kannt: Der Rhein ist jetzt bis Freitag gesperrt, weil es Frage, Herr Staatssekretär. Ich habe eben den Brief des dort zu einer Frachthavarie gekommen ist, bei der Ge- Staatssekretärs Machnig an die Landesregierung von fahrgutcontainer, die Chemikalien enthalten, ins Wasser Nordrhein-Westfalen erwähnt, in dem er seine Auffas- gefallen sind. Das sind ja Anzeichen dafür, dass hier sung dargelegt hat, wer für die Genehmigung zuständig wirklich gefährliche Stoffe transportiert werden. Wie ist. Nachdem dieser Brief der Landesregierung vorlag, schätzen Sie das ein? hat der nordrhein-westfälische Umweltminister Uhlenberg in der Landtagssitzung vom 7. März 2007 die Michael Müller, Parl. Staatssekretär beim Bundes- Auffassung geäußert, dies sei Sache des Bundes, und ge- minister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher- sagt – Zitat –: heit: (B) Es kann daher keinesfalls Sache einzelner Bundes- (D) Ich würde nie eine solche Kausalität zur Grundlage länder sein, Abfallimporten aus einem weit entfern- machen, sondern der Grundsatz der Bundesregierung ten hochindustrialisierten Vertragsstaat des Baseler muss immer Risikominimierung lauten. Das finde ich Übereinkommens entgegenzutreten. auch richtig. Ich würde keinen Automatismus von einem Unfall zu einem anderen unterstellen. Ich glaube nicht, Teilen Sie diese Auffassung? dass Sie das so gemeint haben. Ich wollte das hier aber wenigstens einmal gesagt haben. Michael Müller, Parl. Staatssekretär beim Bundes- minister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher- Natürlich ist es uns lieb, wenn solche Mengen in Aus- heit: tralien selbst entsorgt werden; das ist gar keine Frage. Ich sage aber auch, dass wir natürlich an bestimmtes Ich wiederhole: Ich habe ein bisschen den Eindruck, Recht gebunden sind. Das ist in diesem Fall das europäi- dass manche mit Blick auf andere versuchen, sich zu sche Recht. entlasten.

Vizepräsidentin Petra Pau: Vizepräsidentin Petra Pau: Ihre zweite Zusatzfrage. Es scheint angeraten, die wechselseitig vorhandenen Informationen zu diesem Thema im Anschluss an die Fragestunde zusammenzuführen. Es gibt sicherlich An- Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE): regungen für parlamentarische Initiativen, aber auch für Mich würde noch interessieren, wie die Bundesregie- die Vorhaben, die der Staatssekretär angekündigt hat. rung die Tatsache rechtfertigt, dass immer mehr und zu- Wir sind auf jeden Fall am Ende dieses Geschäftsberei- dem auch gefährliche Abfälle nach Deutschland impor- ches. tiert werden und damit auch die absolute Menge an Emissionen steigt, die bei der Verbrennung entstehen Wir kommen jetzt zum Geschäftsbereich des Bundes- und die Bevölkerung in der näheren und weiteren Umge- ministeriums für Bildung und Forschung. Die Fragen be- bung belasten. antwortet der Parlamentarische Staatssekretär Thomas Rachel. Michael Müller, Parl. Staatssekretär beim Bundesmi- Ich rufe die Frage 22 des Kollegen Kai Gehring auf: nister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: Zu welchem Zeitpunkt plant die Bundesregierung eine Er- Ich bin nicht sicher, ob diese pauschale Aussage rich- höhung der Fördersätze und Freibeträge im Bundesausbil- tig ist. Ich bin auch nicht sicher, ob nicht beispielsweise dungsförderungsgesetz, BAföG, und aufgrund welcher neuen Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 90. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. März 2007 9087

Vizepräsidentin Petra Pau (A) Erkenntnisse hat die Bundesregierung in dieser Sache ihre Po- Thomas Rachel, Parl. Staatssekretär bei der Bun- (C) sition innerhalb der letzten Wochen geändert? desministerin für Bildung und Forschung: Die Äußerung, die Sie der Ministerin in Ihrer Frage Thomas Rachel, Parl. Staatssekretär bei der Bun- unterstellt haben, kann ich ausdrücklich nicht bestätigen. desministerin für Bildung und Forschung: Die Bundesregierung hat für dieses Jahr eine Novelle Frau Präsidentin! Die Bundesregierung hat, wie Sie vorgelegt. Alle anderen Überlegungen beziehen sich auf wissen, sehr geehrter Herr Kollege Gehring, bereits im die Frage, ob sich Spielräume aus dem konjunkturellen 17. Bericht nach § 35 des BAföG angekündigt, die fi- Wachstum insgesamt ergeben. Auch die jetzt vorgelegte nanzpolitische Situation, die sie bewogen hat, wegen der Novelle sieht eine Reihe von Verbesserungen für die Be- dringend notwendigen Konsolidierung der öffentlichen troffenen vor. Ich denke zum Beispiel an die Ausbil- Haushalte keine sofortige Anpassung der BAföG-Sätze dungsförderung für Migranten oder den Kinderbetreu- vorzuschlagen, fortlaufend beobachten und gegebenen- ungszuschlag, der Studierenden mit Kindern neben dem falls auch unabhängig von der Vorlage des nächsten Be- Studium eine qualifizierte Kinderbetreuung gewährleis- richts mit geeigneten Vorschlägen reagieren zu wollen. ten soll. Dies gilt weiterhin. Dass derzeit angesichts der immer deutlicheren An- Vizepräsidentin Petra Pau: zeichen für eine sich verfestigende konjunkturelle Bele- Der Kollege Tauss hat das Wort zu einer Nachfrage. bung innerhalb der Bundesregierung über Spielräume ei- ner BAföG-Anpassung in 2008 diskutiert wird, ist keine Jörg Tauss (SPD): Änderung, sondern eine konsequente Fortsetzung der Ganz herzlichen Dank, Frau Präsidentin. – Ich freue bereits geäußerten Position. mich sehr, dass die Pressemitteilungen der SPD-Fraktion bei den Grünen so gründlich studiert werden. Verbreiten Vizepräsidentin Petra Pau: Sie sie bitte weiter. Ihre erste Nachfrage, bitte. Mein Nachfrage ist: Lieber Herr Staatssekretär Rachel, können Sie mir bestätigen, dass es zu keinem Kai Gehring (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Zeitpunkt – entgegen der Unterstellung des Kollegen Vielen Dank. – Ich habe das als Positionswechsel Gehring – beabsichtigt war, den zweiten Bildungsweg in wahrgenommen, möchte aber eine Frage zur Problema- Deutschland abzuschaffen oder zu beeinträchtigen, son- tik des zweiten Bildungsweges stellen. Die SPD-Frak- dern dass es lediglich eine Diskussion darüber gibt, ob in tion hat in ihrer Pressemitteilung vom 20. März erklärt, jedem Fall eine elternunabhängige Förderung für Kolle- (B) eine Einschränkung, zum Beispiel die Begrenzung des giaten und diejenigen, die das Abitur nachholen, erfor- (D) elternunabhängigen BAföG von Schülerinnen und Schü- derlich ist und ob es aus Gerechtigkeitsgründen, mögli- lern im zweiten Bildungsweg, „auf keinen Fall“ mitzu- cherweise zugunsten anderer Gruppen wie Studierenden tragen. Macht sich die Bundesregierung diese Position mit Kindern und derjenigen, die sonst Abitur machen, zu eigen? nicht überlegenswert ist, gegebenenfalls zu einer eltern- abhängigen Förderung zu kommen, und zwar – ich sage Darüber hinaus möchte ich wissen, wie die Bundesre- das in aller Klarheit; das ist unsere Position – ohne Ein- gierung zum Bundesratsvorstoß des Freistaates Bayern schränkung des zweiten Bildungsweges? steht, die von der Bundesregierung geplanten Einschrän- kungen beim zweiten Bildungsweg ersatzlos aus der No- Thomas Rachel, Parl. Staatssekretär bei der Bun- velle zu streichen. desministerin für Bildung und Forschung: Herr Kollege Tauss, ich darf Ihnen bestätigen, dass Thomas Rachel, Parl. Staatssekretär bei der Bun- Sie präzise die Auffassung der Bundesregierung und der desministerin für Bildung und Forschung: beiden Koalitionsfraktionen wiedergegeben haben. Die Bundesregierung hat einen Regierungsentwurf eingebracht, der Gegenstand der Abstimmung innerhalb Vizepräsidentin Petra Pau: der Bundesregierung ist. Alles andere wird sich im wei- Das Wort zur nächsten Nachfrage hat der Kollege teren Verlauf zeigen. Barth.

Vizepräsidentin Petra Pau: Uwe Barth (FDP): Ihre zweite Nachfrage. Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Sehr geehrter Herr Staatssekretär, wenn ich Sie richtig verstanden habe, ha- Kai Gehring (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): ben Sie eben auf die Frage des Kollegen Gehring, zu Sieht die Bundesregierung im BAföG eine zukunfts- welchem Zeitpunkt die Bundesregierung eine Erhöhung fähige Form der Ausbildungsförderung, oder hält sie es der Fördersätze und der Freibeträge beabsichtigt, sinnge- – wie die Bundesministerin noch vor wenigen Monaten mäß geantwortet, dass Sie die Entwicklung in diesem deutlich gemacht hat – eher für ein Auslaufmodell? Plant Bereich weiter beobachten und gegebenenfalls reagieren die Bundesregierung mittelfristig, noch in dieser Legis- werden. Jetzt frage ich Sie: Was müsste über das hinaus, laturperiode, eine grundlegende Strukturreform beim was wir im letzten BAföG-Bericht über die Notwendig- BAföG? keit einer Anpassung sowohl bezüglich der Bedarfslücke 9088 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 90. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. März 2007

Uwe Barth (A) als auch hinsichtlich des sehr langen Zeitraums seit der Thomas Rachel, Parl. Staatssekretär bei der Bun- (C) letzten Anpassung gelesen haben, gegeben sein, damit desministerin für Bildung und Forschung: die Bundesregierung reagiert? Frau Kollegin, natürlich findet auch die Diskussion über Bildungspolitik und BAföG nicht im luftleeren Raum statt, sondern immer in Würdigung volkswirt- Thomas Rachel, Parl. Staatssekretär bei der Bun- schaftlicher Zusammenhänge. Auch dies ist hier gewähr- desministerin für Bildung und Forschung: leistet gewesen. Herr Kollege, ein wichtiges Kriterium für uns ist an- gesichts der Haushaltslage, die uns für das laufende Jahr Vizepräsidentin Petra Pau: finanzielle Restriktionen auferlegt, die sich abzeich- Ihre zweite Nachfrage. nende positive konjunkturelle Veränderung. Wenn sich diese verstetigt, werden wir – so glauben wir – Spiel- Cornelia Hirsch (DIE LINKE): räume gewinnen. Dies wird aber im Bundeskabinett zu Wenn dies gewährleistet gewesen ist und weil die besprechen sein. Zudem werden wir die für den Sommer Bundesregierung schon mehrfach uns gegenüber er- zu erwartende BAföG-Statistik des Statistischen Bun- wähnt hat, welch hohe Priorität sie den Zukunftschancen desamtes in Ruhe betrachten. der jungen Generation beimisst und für wie wichtig sie es hält, die soziale Ungleichheit an den Hochschulen ab- Vizepräsidentin Petra Pau: zubauen, Damit sind wir bei Frage 23 der Kollegin Hirsch: (Beifall des Abg. Jörg Tauss [SPD]) Welche Höhe einer Anpassung der Bedarfssätze und Frei- interessiert mich, ob sie hierin nicht einen gewissen beträge des BAföG ab dem Wintersemester 2008/2009 Widerspruch zu der aktuellen Politik sieht, die sie hier möchte die Bundesministerin für Bildung und Forschung, Dr. , für die Haushaltsverhandlungen 2008 verfolgt. Offensichtlich sind ihr ja an dieser Stelle Steu- einbringen? ergeschenke an Unternehmen wichtiger als die Zukunfts- chancen der jungen Generation. Bitte, Herr Staatssekretär. Thomas Rachel, Parl. Staatssekretär bei der Bun- Thomas Rachel, Parl. Staatssekretär bei der Bun- desministerin für Bildung und Forschung: desministerin für Bildung und Forschung: Die von Ihnen behaupteten Steuergeschenke sehe ich nicht. Im Gegenteil, es geht darum, dass durch eine Un- Frau Kollegin Hirsch, Sie fragen im Prinzip nach dem ternehmensteuerreform auch ein Beitrag dazu geleistet gleichen Thema. Deshalb werden Sie eine ähnliche Ant- (B) wird, dass in einer veränderten Wettbewerbslage – auch (D) wort erhalten. Die Bundesregierung prüft angesichts der in einer veränderten steuerpolitischen Wettbewerbs- sich deutlich abzeichnenden und sich verfestigenden lage – die Unternehmen in Deutschland den Standort konjunkturellen Belebung derzeit, ob und welche Spiel- Deutschland weiterhin als attraktiv empfinden und hier räume für eine Anpassung der Bedarfssätze, der Freibe- investieren und Arbeitsplätze schaffen. Dies alles kann träge und der Sozialpauschalen im BAföG im Jahr 2008 zur Festigung der konjunkturellen Aufwärtsentwicklung vorhanden sind. Die im Bundeskabinett hierzu gemein- beitragen. Wird diese gewährleistet, werden daraus wie- sam getragene Einschätzung wird selbstverständlich der Spielräume für die Politik erwachsen, was sich dann auch bei der gemeinsamen Beschlussfassung über den auch im Bereich der Bildungs- und BAföG-Politik aus- Regierungsentwurf für den Haushalt 2008 eine Rolle wirken wird. spielen. Vizepräsidentin Petra Pau: Vizepräsidentin Petra Pau: Zu einer weiteren Nachfrage hat der Kollege Tauss Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage. das Wort. (Cornelia Hirsch [DIE LINKE]: Jetzt vertei- Cornelia Hirsch (DIE LINKE): dige mal die Unternehmensteuerreform!) Danke schön, Frau Präsidentin. – Meine Nachfrage Jörg Tauss (SPD): ist: Sie haben gesagt, dass Sie die Anpassung der BAföG-Sätze von der Haushaltslage abhängig machen Nein, dass muss ich gar nicht tun. Die Unternehmen- steuerreform ist mit Ausnahme von ein paar Punkten, die möchten. Stimmen Sie mir zu, dass die Haushaltslage wir im Verfahren besprechen werden, gut. Das ist doch nicht irgendein Naturereignis ist, sondern dass die Bun- gar keine Frage. desregierung selbstverständlich darauf Einfluss nimmt? Ich erwähne nur die Unternehmensteuerreform, über die Herr Staatssekretär, weil die Frage der Kollegin am Freitag in erster Lesung beraten werden soll. Hirsch intendierte, dass es hier Zusammenhänge gebe, frage ich Sie, ob Ihnen schon bekannt ist, dass die Kolle- Hat die Bundesregierung darüber diskutiert, inwie- gin Hirsch vor wenigen Minuten an einer Beratung über weit dort in irgendeiner Form auch Einnahmen für die eine BAföG-Anhörung teilgenommen hat, die wir exakt öffentlichen Kassen verloren gehen, die für so etwas wie unter dem Gesichtspunkt durchführen wollen, welche eine BAföG-Reform verwendet werden könnten? Möglichkeiten und Gestaltungsspielräume es gibt, um Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 90. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. März 2007 9089

Jörg Tauss (A) im Bereich des BAföG etwas zu tun, und ob Sie mir da- Stimmt es, dass die mit Erfolg angewandte Entgeltvariante (C) rin zustimmen, dass das, was das Deutsche Studenten- künftig nicht mehr als sozialversicherungspflichtiges Be- schäftigungsverhältnis gestaltet werden soll, und wie wird werk mit dem kommenden Sozialbericht der Studieren- diese Veränderung begründet? den, der im Juni erwartet wird, vorlegen wird, sehr viel mehr mit der Politik der Bundesregierung und der sie Gerd Andres, Parl. Staatssekretär beim Bundes- tragenden Koalition im Hinblick auf eine BAföG-Erhö- minister für Arbeit und Soziales: hung zu tun hat als die konstruierten Vorgänge, die Kol- legin Hirsch hier in den Raum stellt. Sie fragen danach, ob es die Absicht gibt, Instrumente der Arbeitsmarktpolitik zu verändern und zu überarbei- ten; außerdem fragen Sie nach bestimmten Instrumenten Thomas Rachel, Parl. Staatssekretär bei der Bun- und ihrer Ausgestaltung. Ich beantworte Ihre Fragen 27 desministerin für Bildung und Forschung: und 28 wie folgt: Auch in diesem Fall vermag ich Ihnen nicht zu wider- sprechen, Herr Kollege Tauss, (Vorsitz: Vizepräsident Dr. ) (Jörg Tauss [SPD]: Habe ich jetzt aber ge- Im Koalitionsvertrag der Großen Koalition vom hofft!) 11. November 2005 heißt es: sondern ich kann dies nur unterstreichen. Im Übrigen CDU, CSU und SPD werden … alle arbeitsmarkt- freue ich mich, zu hören, dass Sie zwischen der Beendi- politischen Maßnahmen auf den Prüfstand stellen. gung der Sitzung des Bildungs- und Forschungsaus- Das, was sich als wirksam erweist und zur Verbes- schusses und dieser Fragestunde als Berichterstatter der serung der Beschäftigungsfähigkeit oder zur Be- Fraktionen zusammengesessen und tatsächlich diese An- schäftigung führt, wird fortgesetzt. Das, was un- hörung zum BAföG beschlossen haben. Sie wird einen wirksam und ineffizient ist, wird abgeschafft. Diese weiteren Beitrag dazu leisten, dass wir noch mehr Infor- Überprüfung soll bis Ende kommenden Jahres ab- mationen für eine abgewogene Entscheidung erhalten. geschlossen sein. Auf der Grundlage dieser Wirksamkeitsanalyse Vizepräsidentin Petra Pau: wird spätestens im Jahr 2007 die aktive Arbeits- Nachdem wir nun erfahren haben, dass dieser Gegen- marktpolitik insgesamt grundlegend neu ausgerich- stand in einer öffentlichen Anhörung weiterhin erörtert tet und sichergestellt, dass die Mittel der Beitrags- werden wird, kommen wir zur Frage 24 der Kollegin und Steuerzahler künftig so effektiv und effizient Hirsch. Da wir uns im Plenum des Bundestages mit dem wie möglich eingesetzt werden. (B) Gegenstand der Frage in dieser Woche noch befassen (D) werden, wird die Frage gemäß Nr. 2 Abs. 2 der Richtli- Die Überprüfung der arbeitsmarktpolitischen Maß- nien schriftlich beantwortet. – Damit danke ich Herrn nahmen wurde Ende 2006 abgeschlossen und die Ergeb- Staatssekretär Rachel. nisse im Bericht des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales zur Wirksamkeit moderner Dienstleistungen am Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundes- Arbeitsplatz zusammengefasst. Der Bericht ist dem ministeriums für Arbeit und Soziales. Zur Beantwortung Deutschen Bundestag als Drucksache 16/3982 zugeleitet steht der Parlamentarische Staatssekretär Gerd Andres worden. Wir sind damit im Zeitplan des Koalitionsver- zur Verfügung. trages. Eine Neuregelung der arbeitsmarktpolitischen In- Die Frage 25 des Kollegen Jörg Rohde wird schrift- strumente muss sorgfältig vorbereitet werden, damit der lich beantwortet, ebenso die Frage 26 des Kollegen Komplexität des Regelungsgegenstandes und der weit- Dr. Ilja Seifert. reichenden Auswirkungen, die mit einer Flexibilisierung der arbeitsmarktpolitischen Instrumente verbunden sind, Ich rufe die Frage 27 der Kollegin Kornelia Möller Rechnung getragen werden kann. Diese Vorbereitung ist auf: derzeit im Gange. Festlegungen zur inhaltlichen Ausge- Entspricht es den Tatsachen, dass die Bundesregierung be- staltung des Vorhabens gibt es noch nicht. absichtigt, weitere Veränderungen an verschiedenen Instru- menten der Arbeitsmarktpolitik vorzunehmen, so zum Bei- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: spiel sogenannte Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen künftig zu entfristen, und von welchen Überlegungen lässt sich die Bun- Nachfrage? – Bitte schön, Frau Kollegin Möller. desregierung dabei leiten? Kornelia Möller (DIE LINKE): Gerd Andres, Parl. Staatssekretär beim Bundesmi- Ich habe keine Nachfragen, da diese keinen Sinn er- nister für Arbeit und Soziales: geben, wenn Sie noch nicht so weit sind. Ich werde die Frau Präsidentin, wenn Sie und die Fragestellerin da- Fragen bei Gelegenheit stellen. Ich danke Ihnen. mit einverstanden sind, würde ich wegen des engen Zu- sammenhangs die Fragen 27 und 28 zusammen beant- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: worten. Vielen Dank. – Danke schön, Herr Staatssekretär. Wir kommen dann zum Geschäftsbereich des Aus- Vizepräsidentin Petra Pau: wärtigen Amtes. Zur Beantwortung steht der Staatsmi- Ja, natürlich. Dann rufe ich auch die Frage 28 auf: nister Gernot Erler zur Verfügung. 9090 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 90. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. März 2007

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms (A) Ich rufe zunächst die Frage 29 des Kollegen hingewiesen, welche umfangreichen Maßnahmen von (C) Dr. Norman Paech auf: der EU getroffen worden sind, um zwei Interessen mit- Beabsichtigt die Bundesregierung, auf die im Bericht vom einander zu vereinbaren. Es war unmöglich, nachdem 29. Januar 2007 (A/HRC/4/17) enthaltene Kritik des UN-Son- die Hamas die Regierung im letzten Jahr in den palästi- derberichterstatters über die Situation von Menschenrechten nensischen Gebieten übernommen hatte, direkt dorthin in den palästinensischen Gebieten zu reagieren, wonach unter Gelder zu überweisen. Die Europäische Union hat aber anderem die Europäische Union mitverantwortlich für die hu- manitäre Krise in den palästinensischen Gebieten ist (Seite 3 alles getan, um herauszufinden, welche Wege man nut- und 20), und wenn ja, in welcher Weise? zen kann, um die Folgen abzumildern. Das ist durch um- fangreiche Zahlungen geschehen. Zum Beispiel hat die Gernot Erler, Staatsminister im Auswärtigen Amt: deutsche Seite andere Adressaten – private oder kommu- Herr Kollege Paech, Ihre Frage nach dem Bericht nale Adressaten, NGOs – genutzt. Wir haben unsere Ent- vom 29. Januar 2007 des UN-Sonderberichterstatters wicklungshilfemaßnahmen gar nicht reduziert, sondern über die Situation der Menschenrechte in den palästinen- nur anders organisiert. Daraus lässt sich nach unserer sischen Gebieten beantworte ich folgendermaßen: Auffassung eine solche Verantwortungszuweisung nicht ableiten. Die in der Fragestellung enthaltene Kritik, die Euro- päische Union sei mitverantwortlich für die Krise im Ga- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: zastreifen, weist die Bundesregierung zurück. Die Euro- Zweite Nachfrage, bitte. päische Union hat schnell auf die sich verschlechternde humanitäre und sozioökonomische Lage im Gazastreifen reagiert und bereits im Mai 2006 die Einrichtung eines Dr. Norman Paech (DIE LINKE): Übergangsmechanismus, der die Abkürzung TIM trägt, Ich möchte auf einen anderen Aspekt der humanitären zur Unterstützung der öffentlichen Versorgung im Ga- Situation zu sprechen kommen. John Dugard hat eben- zastreifen beschlossen und umgesetzt. Die Zahlung einer falls bezüglich Gaza darauf hingewiesen, dass ein Groß- zweiten deutschen Tranche für die Finanzierung des teil dieser Misere darin besteht, dass die Israelis durch durch das Nahostquartett um weitere drei Monate ver- ihre Besatzungspolitik dort Kriegsverbrechen begehen, längerten TIM wird derzeit geprüft. Aus dem TIM wur- und zwar: direkte Angriffe auf Zivilisten, keine Unter- den 2006 zeitweise die kompletten Ausgaben für Strom scheidung zwischen militärischen und zivilen Zielen, ex- und Wasser für den Gazastreifen bestritten. Insgesamt zessive Gewaltanwendung durch unverhältnismäßige betrug die Entwicklungshilfe aus der Europäischen Angriffe auf Zivilisten, Verbreitung von Terror unter der Union – Kommission und Mitgliedstaaten zusammenge- Zivilbevölkerung und Verletzung des Verbots kollektiver nommen – im Jahr 2006 650 Millionen Euro. Im Bestrafung. All das sind nach den Genfer Konventionen (B) Jahr 2005 waren es 565 Millionen Euro. von 1949 und dem Zusatzprotokoll I von 1977 Kriegs- (D) verbrechen. Das ist unstrittig. In welcher Weise reagiert Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: eigentlich die Bundesregierung mit ihren sehr engen Nachfrage, Herr Kollege Paech? – Bitte schön. Kontakten zur israelischen Regierung darauf?

Dr. Norman Paech (DIE LINKE): Gernot Erler, Staatsminister im Auswärtigen Amt: Herr Staatsminister Erler, Sie haben gelesen, dass der Herr Kollege, die Bundesregierung macht die Beach- Berichterstatter John Dugard in seinem Bericht, der auch tung der Menschenrechte der Palästinenser bei ihren Be- diese Frage sehr detailliert behandelt hat, ausgeführt hat, gegnungen mit israelischen Politikern ständig zum dass trotz der Überweisung der von Ihnen zitierten TIM Thema. Das tut auch die EU. Es geht dabei um den fort- die Situation in der Westbank so ist, dass zwei Drittel der gesetzten Siedlungsbau, um den Bau der Sperranlage, Haushalte unter der offiziellen Armutsgrenze leben, und um die außergerichtlichen Tötungen und um die Verhaf- dass in Gaza, das Sie eben erwähnt haben, 80 Prozent tungen, einschließlich der von Ministern und Abgeord- der Menschen unterhalb der Armutsgrenze von 2 US- neten. All das sprechen wir in all unseren Begegnungen Dollar pro Tag leben. Er sagt ausdrücklich, dass dies mit israelischen Politikern an, ohne dabei etwa das eine unmittelbare Folge der Sanktionspolitik gegenüber Selbstverteidigungsrecht Israels infrage zu stellen. der palästinensischen Regierung ist. Das heißt, er macht trotz der Überweisungen, die nicht an die Regierung ge- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: hen, sondern an dritte Organisationen, die EU-Sank- Zu einer weiteren Nachfrage erteile ich dem Kollegen tionspolitik dafür verantwortlich, dass es eine humani- Gert Weisskirchen das Wort. täre Katastrophe in den besetzten Gebieten und in Gaza gibt. Sind Sie angesichts dieser Kritik nicht bereit, Ihre Gert Weisskirchen (Wiesloch) (SPD): Sanktionspolitik zu überdenken? Sehr geehrter Herr Staatsminister, wären Sie so freundlich und würden Sie, wenn es möglich wäre, den Gernot Erler, Staatsminister im Auswärtigen Amt: Herrn Kollegen Paech darauf hinweisen, dass es sinnvoll Herr Kollege Dr. Paech, ich kann nur wiederholen, sein kann, sich zu überlegen, ob nicht Hamas selbst und dass wir die Fakten natürlich kennen, die Dugard aufge- die palästinensische Autorität dazu übergehen sollten, schrieben hat, aber seine Behauptung, dass die Europäi- die bestehenden Möglichkeiten zu nutzen, um einen sche Union für die unbestreitbare Krise dort mitverant- Friedensprozess in Gang zu setzen? Man könnte bei- wortlich ist, von uns nicht geteilt wird. Ich habe darauf spielsweise die Angebote des Quartetts annehmen. Wenn Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 90. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. März 2007 9091

Gert Weisskirchen (Wiesloch) (A) das geschähe, könnte ein Prozess in Gang gesetzt wer- tinas zerstören und damit eigentlich auch, dem Ziel der (C) den, der relativ rasch dazu führen kann, dass die Situa- Bundesregierung, zwei Staaten zu gründen, das heißt tion in Palästina und im Gazastreifen sich entspannt, wo- auch ein lebensfähiges Palästina zu schaffen, diametral durch es zu einem zivilen, sich selbst tragenden Prozess entgegengesetzt sind. kommen kann. Gernot Erler, Staatsminister im Auswärtigen Amt: Gernot Erler, Staatsminister im Auswärtigen Amt: Herr Kollege Paech, Ihre ausführlichen Zitate aus Herr Kollege Weisskirchen, ich bestätige gern, dass dem Gutachten ändern nichts daran, dass wir Ihre ur- die drei Quartettkriterien – Anerkennung des Existenz- sprüngliche Frage, nämlich wie wir uns dazu stellen, rechts Israels, Gewaltverzicht und Anerkennung der bis- eine solche „advisory opinion“ einzuholen, nur beant- her geschlossenen Friedensabkommen – weiterhin beste- worten können, indem wir darauf hinweisen, wer das tun hen und dass die Erfüllung dieser Kriterien kann und wer nicht. Das habe ich getan. selbstverständlich auch Folgen für den internationalen (Uwe Barth [FDP]: Das zeigt aber, dass der Unterstützungsmechanismus hätte. Ich verbinde das mit Kollege fleißig ist!) einem Hinweis auf unsere Hoffnung, die wir im Zuge der Bildung der Regierung der nationalen Einheit natür- lich haben. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Weitere Nachfrage? – Bitte. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Wir kommen zur Frage 30 des Kollegen Dr. Paech: Dr. Norman Paech (DIE LINKE): Spricht aus Sicht der Bundesregierung etwas gegen den in Wenn Sie meinen, dass Sie das nicht können – das ist dem oben genannten Bericht (A/HRC/4/17) enthaltenen Vor- nur eine Frage der politischen Ansicht und nicht der ju- schlag, ein Gutachten – Advisory-Opinion – des Internationa- ristischen Unmöglichkeit –, möchte ich nur noch eines len Gerichtshofes, IGH, zu der Frage anfordern zu lassen, sagen. John Dugard hat auch darauf hingewiesen, dass welche rechtlichen Konsequenzen sich aus einem dauerhaften gerade das System der Checkpoints und der Straßensper- militärischen Besetzungsregime ergeben, das Züge von Kolo- nialismus und Apartheid trage (Seite 3 und 22 bis 24), und, ren etwas ist, was ihn an Südafrika erinnert, an das Sys- wenn ja, was? tem der Passgesetze, und dass das eigentlich das System gewesen ist, was den Hass der Bevölkerung und die Ab- Gernot Erler, Staatsminister im Auswärtigen Amt: lehnung des Systems am meisten forciert hat. Das steht Herr Kollege Dr. Paech, Art. 96 der Charta der Ver- auch im vollständigen Gegensatz zu Ihren Bemühungen, einten Nationen bestimmt, dass nur der Sicherheitsrat den Bemühungen der Bundesregierung, Ausgleich und (B) und die Generalversammlung sowie mit entsprechender Frieden zu schaffen. (D) Ermächtigung durch die Generalversammlung andere Wenn Sie schon nicht meinen, dass der IGH hilfreich Organe der Vereinten Nationen und Sonderorganisatio- ist, ist die Frage: Was machen Sie stattdessen? Wir ha- nen ein Gutachten des Internationalen Gerichtshofs über ben zum Beispiel nie einen öffentlichen Protest gehört, eine Frage des Völkerrechts anfordern können. Einem obwohl es den andernorts gibt. Sie wissen, dass dem Un- Mitgliedstaat der Vereinten Nationen steht diese Mög- terhaus in Großbritannien jetzt ein Antrag auf Suspen- lichkeit nicht offen. sion der EU-Assoziation vorliegt. Es gibt von anderen Regierungen durchaus öffentliche Proteste. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Nachfrage, bitte. Gernot Erler, Staatsminister im Auswärtigen Amt: Vielleicht hätte ich bei meiner Antwort auf Ihre erste Dr. Norman Paech (DIE LINKE): Zusatzfrage noch anfügen sollen, Herr Kollege Paech, Herr Staatsminister, ist Ihnen auch bekannt, dass man dass wir nicht nur das Thema der Sperranlagen und die einen solchen Prozess, der meistens von der UN-Gene- Tatsache, dass sie nicht der „Grünen Linie“ folgen, son- ralversammlung ausgeht, initiieren kann? Man kann den dern natürlich auch das der Straßenkontrollen und der Antrag stellen, dass die Situation vom IGH überprüft Behinderung praktisch der Freizügigkeit der palästinen- wird. sischen Bevölkerung – das stellt natürlich ein großes so- ziales, kulturelles, aber auch wirtschaftliches Problem Wir haben das im Fall des Mauerbaus in Israel, in Pa- dar – in unseren Begegnungen mit der israelischen Seite lästina gehabt. Ich darf daran erinnern, dass bei der Be- regelmäßig kritisch ansprechen. Das werden wir auch setzung Südwestafrikas durch Südafrika der Internatio- fortführen. nale Gerichtshof insgesamt viermal Gutachten erstellt hat. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Der Gutachter Dugard hat Formen des Kolonialismus Ich rufe die Frage 31 der Kollegin Heike Hänsel auf: in den besetzen Gebieten insbesondere darin gesehen, Wie bewertet die Bundesregierung die Aussage im Vierten dass die Siedlerzahlen in Jerusalem auf 200 000 und in Bericht des International Development Committee im briti- der Westbank auf 260 000 gestiegen sind, auch gegen- schen Unterhaus vom 31. Januar 2007, wonach jegliche in- wärtig noch permanent steigen, und dass die Pläne, die ternationale Hilfe für die palästinensischen Gebiete von der israelischen Regierung durch „unverhältnismäßige Maßnah- drei Siedlungsblöcke Gush Etzion, Ma’aleh Adumim men“ wie die Errichtung der Mauer, die Grenzposten und die und Ariel zu integrieren, die territoriale Integrität Paläs- Einschränkungen der palästinensischen Wirtschaft und des 9092 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 90. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. März 2007

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms (A) Handels konterkariert werde (Seite 6), und über welche dies- (Beifall des Abg. Gert Weisskirchen [Wies- (C) bezüglichen Erfahrungen der deutschen Entwicklungszu- loch] [SPD]) sammenarbeit, zum Beispiel im Zusammenhang mit der Ver- teuerung von Entwicklungsmaßnahmen durch derartige Maßnahmen, verfügt sie? Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Ihre zweite Nachfrage, bitte. Gernot Erler, Staatsminister im Auswärtigen Amt: Frau Kollegin Hänsel, Sie haben den Bericht des In- Heike Hänsel (DIE LINKE): ternational Development Committee im britischen Un- Danke schön. – Meine zweite Nachfrage: Ich sehe das terhaus von Ende Januar angesprochen. Meine Antwort nicht so optimistisch. Ich sehe bisher eigentlich noch gar lautet folgendermaßen: keine konkreten Ergebnisse im Zusammenhang mit die- Die EU weist regelmäßig auf die besondere Verant- sen Sitzungen. Es stimmt: Es gab viele Sitzungen mit wortung der Konfliktparteien hin sowie darauf, die Zer- hohem Sicherheitsaufwand, auch hier in Berlin. Aber ei- störung ziviler Infrastruktur zu unterlassen und die Ver- gentlich ist bisher wenig dabei herausgekommen. Es hältnismäßigkeit der Mittel zu beachten. Der der Frage wurden auch bereits früher viele Abkommen unterzeich- zugrunde liegende Sachverhalt, dass die Entwicklungs- net. maßnahmen in einem nicht gelösten bewaffneten Kon- Ich möchte noch einmal nachfragen: Was macht die flikt besonderen Hemmnissen unterliegen, ist weithin Bundesregierung? Die israelische Regierung hat zum unbestritten. Es ist jedoch nicht möglich, die entstandenen Beispiel im November 2005 das Agreement on Move- und noch entstehenden Erschwernisse zu quantifizieren. ment and Access unterschrieben, in dem es genau um die Fest steht, dass sich die volkswirtschaftlichen Kosten Fragen der Freizügigkeit von Palästinensern und Palästi- des Konflikts auch nachteilig auf die Durchführung und nenserinnen geht. Es geht um genau dieses ganze Sys- die Zielerreichung der Entwicklungsmaßnahmen auswir- tem von Checkpoints und Roadblocks, das aufgehoben ken. Maßnahmen der Entwicklungszusammenarbeit werden muss, um zu einer Verbesserung der Situation zu werden durch Einschränkungen der Bewegungsfreiheit kommen. Es würde ja auch das Klima für Verhandlun- verzögert, was zu zusätzlichen Kosten und einem erhöh- gen verbessern, wenn die Bevölkerung merkt: Es gibt ten Koordinierungsaufwand bei der Umsetzung von Pro- ein Goodwill auf der anderen Seite. jekten führt. Meine Frage: Was tun Sie, um zu erreichen, dass die israelische Regierung dieses Dokument, das sie unter- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: zeichnet hat, auch umsetzt? Nachfrage. (B) (D) Gernot Erler, Staatsminister im Auswärtigen Amt: Heike Hänsel (DIE LINKE): Frau Kollegin Hänsel, Ihren nicht vorhandenen Opti- Danke schön. – Herr Staatsminister, ich habe eine mismus bedauere ich natürlich. Ich glaube, dass man Nachfrage. Sie haben Kontakt zu den deutschen Durch- ohne ein Mindestmaß an Optimismus mit einem Kon- führungsorganisationen, die uns bei der Reise vor Ort flikt wie diesem eigentlich gar nicht umgehen kann. Ich schon aufgelistet haben, wie teuer Entwicklungsprojekte kann nicht nur auf irgendwelche Sitzungen verweisen, aufgrund der erhöhten Sicherheitsauflagen plötzlich sondern zum Beispiel auch darauf, dass jetzt konkret werden und wie vieles nicht durchgeführt werden kann vereinbart worden ist, dass alle 14 Tage Gespräche zwi- oder sich verzögert. Dazu gibt es natürlich schon kon- schen Premierminister Olmert und Präsident Abbas statt- krete Erfahrungen. Meine Frage: Streben Sie an, einmal finden sollen. Bis vor kurzem gab es überhaupt noch aufzulisten, um wie viel solche Projekte aufgrund viel- keine Aktivitäten im lange unterbrochenen Nahostfrie- leicht unverhältnismäßig hoher Sicherheitsauflagen teu- densprozess. Ich schließe daraus schon, dass ein biss- rer werden? Immerhin geht es hier um Gelder der Steu- chen Bewegung in den Prozess kommt. erzahler und Steuerzahlerinnen. Zu dem zweiten Teil Ihrer Nachfrage verweise ich Gernot Erler, Staatsminister im Auswärtigen Amt: noch einmal auf meine Antwort an Ihren Kollegen Herrn Dr. Paech. Überall da, wo es sich anbietet und wo es not- Frau Kollegin, ich habe ja eben schon bestätigt, dass wendig ist, fragen wir nach und sprechen die Behand- es solche Erschwernisse und dadurch auch erhöhte Kos- lung der palästinensischen Bevölkerung durch die israe- ten gibt. Ich weiß bloß nicht, ob es irgendeinen Sinn lische Seite in unseren Begegnungen an, und wir werden macht, das im Detail statistisch zu erheben. Wir setzen das auch weiter tun. politisch eigentlich auf eine andere Karte. Wie Sie sicher beobachtet haben, setzt die Bundesregierung darauf, den Nahostfriedensprozess wieder in Gang zu bekommen. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Sie hat sich in den letzten Monaten sehr intensiv darum Wir kommen nun zur Frage 32 der Kollegin Hänsel. bemüht, und inzwischen hat es schon wieder zwei Sit- Wie bewertet die Bundesregierung die Aussage im vierten zungen des Nahostquartetts gegeben. Es gibt also Hoff- Bericht des International Development Committee im briti- nung, dass sich hier wieder etwas bewegt. Ich glaube, schen Unterhaus vom 31. Januar 2007, wonach die Politik der das ist die bessere politische Antwort, als statistische Er- internationalen Gemeinschaft, die gewählte palästinensische Regierung zu isolieren, zu nicht gewünschten Effekten wie ei- hebungen darüber durchzuführen, wie einzelne Entwick- ner Annäherung der Hamas an den Iran führe und daher nicht lungsmaßnahmen behindert werden. dazu beitrage, den Konflikt zu lösen? Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 90. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. März 2007 9093

(A) Gernot Erler, Staatsminister im Auswärtigen Amt: EU ist konsequent darin, nach den drei Kriterien, die for- (C) Frau Kollegin Hänsel, die in dem Bericht des Interna- muliert worden sind – ich will sie jetzt nicht noch einmal tional Development Committee im Britischen Unterhaus nennen –, zu handeln, völlig offen zu bleiben für eine angesprochene Vermutung, durch das Ausbleiben von Regierung – das ist vor kurzem von der EU, aber auch Zahlungen an die palästinensche Regierung habe sich von dem Nahostquartett noch einmal erklärt worden –, die Hamas mehr dem Iran angenähert, teilt die Bundes- die sich zu diesen drei Kriterien endlich bekennt, und regierung nicht. Es besteht nach Einschätzung der Bun- prinzipientreu zu bleiben, indem sie keine Zahlungen an desregierung kein unmittelbarer Zusammenhang zwi- eine Organisation leistet, die, auch nachdem sie Regie- schen der Politik der internationalen Gemeinschaft rungsverantwortung übernommen hat, nicht von kampf- gegenüber der palästinensischen Regierung und der Be- betonten, gewaltbereiten Aktionen abgeht und interna- ziehung der Hamas zum Iran. tional, auch bei der EU, auf den Listen mit Terrororganisationen steht. Das hat nichts mit Boykott Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: zu tun, sondern das ist Prinzipientreue. Eine Nachfrage. Bitte schön. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Heike Hänsel (DIE LINKE): Eine Frage des Kollegen Weisskirchen. Bitte schön. Danke schön, Herr Staatsminister. – Auch dazu noch eine Nachfrage. Aber Sie können sich doch vorstellen, Gert Weisskirchen (Wiesloch) (SPD): dass sich die legitim gewählte Regierung bei der prekä- Herr Staatsminister, ich habe die Frage von Frau ren Situation, in der sich die palästinensische Bevölke- Hänsel so verstanden, dass es eine Alternative geben rung befindet – die Berichte des UN-OCHA sind ja dra- solle zu dem Prozess, der vom Quartett erfunden worden matisch; mein Kollege hat es auch angesprochen –, auch ist und jetzt wieder belebt werden soll. Ich sehe keine re- nach anderen Geldgebern und nach anderen Geldquellen alistische Alternative und frage Sie, ob Sie entsprechend umschaut. Würden Sie mir dahin gehend recht geben, dem Grundtenor der Frage der Kollegin eine andere Al- dass diese Vermutung vielleicht stimmt? ternative sehen als den Friedensprozess, der vom Quar- tett in Gang gesetzt worden ist. Gernot Erler, Staatsminister im Auswärtigen Amt: Ich unterscheide hier zwischen persönlicher Vorstel- Gernot Erler, Staatsminister im Auswärtigen Amt: lungskraft und Erkenntnis. Natürlich kann ich mir das Ich kann nur noch einmal bestätigen, dass aus unserer vorstellen, aber meine Kenntnis bezieht sich darauf, dass Sicht im Augenblick das Wichtigste ist, das Momentum Hamas schon lange intensive Beziehungen zum Iran un- für eine Wiederbelebung des Nahostfriedensprozesses zu (B) terhält. Der Iran ist übrigens auch von sich aus in Rich- nutzen, bei gleichzeitig erklärter Offenheit für eine In- (D) tung Hamas aktiv geworden. Es ist ja auch nicht ganz tensivierung der Zusammenarbeit mit der neuen palästi- unbekannt, dass hier schon in der Vergangenheit, längst nensischen Regierung, der nationalen Einheit, wenn bevor Hamas Regierungsmitglied geworden ist, erhebli- nicht nur die Plattform, sondern auch die ersten Aktivitä- che Gelder geflossen sind. Deswegen teile ich eben nicht ten dieser Regierung in die Richtung der Kriterien des die Einschätzung, das sei eine neue Entwicklung. Das ist Nahostquartetts gehen. eine schon bekannte Tatsache, und deswegen brauche ich auch meine Vorstellungskraft nicht zu bemühen. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Wir kommen jetzt zur Frage 33 der Kollegin Monika Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Knoche: Eine zweite Nachfrage. In welcher Form setzt die Bundesregierung die UN-Reso- lution 1325 (2000) bei ihrer Nahostpolitik, insbesondere im Heike Hänsel (DIE LINKE): Hinblick auf palästinensische Gebiete und die Förderung Würden Sie mir nicht recht geben, dass die internatio- frauen- und friedenspolitischer Organisationen, um? nale Gemeinschaft dann umso mehr gefordert wäre, eine alternative Politik zu entwickeln, um neue Optionen für Gernot Erler, Staatsminister im Auswärtigen Amt: die palästinensische Regierung zu ermöglichen, dass es Frau Kollegin Knoche, Sie haben nach der UNO- dann umso wichtiger wäre, dass wir in der Region prä- Resolution 1325 vom Jahr 2000 gefragt. Ich beantworte sent sind, statt zu boykottieren und zu sanktionieren? die Frage wie folgt: Ähnlich handeln wir ja auch im Libanon: Wir stärken Die Resolution 1325 des Sicherheitsrats der Verein- eher „radikalere Kräfte“, indem wir Sanktionen, Boykott ten Nationen vom 31. Oktober 2000 fordert die stär- und Abwesenheit vorziehen, statt in dieser Region prä- kere Beteiligung von Frauen bei nationalen, regionalen sent zu sein und den Aufbau mitzugestalten. Diese Isola- und internationalen Konfliktverhütungs-, Konfliktbear- tionspolitik ist angesichts des Ziels, auch bei der palästi- beitungs- und Konfliktlösungsmechanismen. Die Bun- nensischen Regierung eine andere Richtung zu desregierung unterstützt nachdrücklich die Zielrichtung befördern, doch völlig kontraproduktiv. und alle konkreten Ansätze zur Umsetzung der Sicherheitsratsresolution 1325 im Rahmen der Verein- Gernot Erler, Staatsminister im Auswärtigen Amt: ten Nationen. Die deutsche Unterstützung für die paläs- Frau Kollegin Hänsel, Ihre Beurteilung, dass die EU tinensischen Gebiete betrug im Jahr 2006 42,5 Millio- boykottiert, isoliert und sanktioniert, teile ich nicht. Die nen Euro. Die damit finanzierten Maßnahmen, unter 9094 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 90. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. März 2007

Staatsminister Gernot Erler (A) anderem Projekte im Sinne der Resolution 1325 zur Gernot Erler, Staatsminister im Auswärtigen Amt: (C) Konfliktbearbeitung und stärkeren Beteiligung von Herzlichen Glückwunsch. Frauen, dienen dazu, die Lebensbedingungen von Pa- lästinensern und Palästinenserinnen zu verbessern und Monika Knoche (DIE LINKE): damit Grundlagen für die Lösung des Nahostkonflikt zu Ich bitte Sie also um Verständnis, dass ich mit den schaffen. Bei jeder einzelnen Maßnahme wird auch das Gewohnheiten einer Fragestunde noch nicht allzu sehr Kriterium der Geschlechtergerechtigkeit beachtet. vertraut bin. Herr Staatsminister, ich wollte Sie fragen: Unterstützt Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: die Bundesregierung konkret und ganz gezielt Frauenor- Nachfrage? ganisationen in Israel, die sich gegen eine Waffenimport- politik aussprechen? Ihre allgemeine Beschreibung, dass Monika Knoche (DIE LINKE): man die Ziele der Geschlechtergerechtigkeit aufnimmt Nein. und im Geiste der UN-Resolution 1325 handelt, beinhal- tet eigentlich noch keine Aussage darüber, ob denn die Projekte der vielen Frauenorganisationen, die in den Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Konfliktgebieten tägliche Friedensarbeit verrichten und Dann kommen wir zur Frage 34 der Kollegin Knoche: an den Grenzübergängen vor Ort tätig sind, gefördert werden. Wie steht die Bundesregierung zu den Forderungen israe- lischer Frauenorganisationen, keine Waffen mehr aus Mit Blick auf das innergesellschaftliche Verhältnis in Deutschland nach Israel zu liefern und Konzepte für ein Ende der Rüstungsspirale im Nahen Osten in ihre diplomatischen Israel, wo auch arabische Israelinnen eine wichtige Rolle Beziehungen einzubringen? spielen, und mit Blick auf das israelisch-palästinensische Verhältnis muss diese tägliche Friedensarbeit der Frau- enorganisationen viel stärker international beachtet wer- Gernot Erler, Staatsminister im Auswärtigen Amt: den. Das war der Hintergrund meiner Fragen, die aus ei- Frau Kollegin Knoche, Sie fragen nach Forderungen ner Reise einer Delegation der Linksfraktion dorthin der israelischen Frauenorganisationen, was Waffenex- resultieren. porte angeht. Ich beantworte die Frage wie folgt: Die Bundesregierung verfolgt generell eine restriktive Gernot Erler, Staatsminister im Auswärtigen Amt: Linie beim Export von Rüstungsgütern. Entscheidungen Frau Kollegin Knoche, Sie haben nun eine Verbin- werden nach Einzelfallprüfungen vorgenommen. Dabei dung zwischen Ihrer ersten und Ihrer zweiten Frage her- (B) spielt die aktuelle politische Lage ebenso eine Rolle wie gestellt. (D) die historischen Sonderbeziehungen zwischen Deutsch- land und Israel. Die Bundesregierung setzt sich nach- Monika Knoche (DIE LINKE): drücklich für eine Lösung des israelisch-palästinensi- Ja. schen Kernkonfliktes und der anderen Konflikte im Nahen Osten im Wege von Verhandlungen ein. Gernot Erler, Staatsminister im Auswärtigen Amt: Auch im Rahmen der EU-Ratspräsidentschaft und des Ich muss Sie aber darauf hinweisen, dass in der Reso- G-8-Vorsitzes stehen politische Lösungen und ein fried- lution 1325 des UN-Sicherheitsrates aus dem Jahr 2000 licher Interessenausgleich im Nahen Osten im Mittel- gefordert wird, dass die Rolle von Frauen im Rahmen punkt aller unserer Anstrengungen. Mit dieser Politik von Konfliktlösungsstrategien stärker gefördert werden trägt die Bundesregierung dazu bei, militärische Span- soll. Das tun wir; dafür könnte ich Ihnen viele einzelne nungen abzubauen. Beispiele nennen. Deutschland wird für seinen Einsatz auf diesem Gebiet international – es gibt einen speziellen Ich möchte hinzufügen – das ist eigentlich selbstver- Freundeskreis der Resolution 1325 – respektiert und ge- ständlich –: Das Existenzrecht Israels ist deutsche Ver- lobt. pflichtung. Seine Sicherung ist unveräußerliche Grund- lage deutscher Außenpolitik. Das galt unter allen Aber, Frau Kollegin Knoche, das heißt natürlich Regierungen der Bundesrepublik und steht im partei- nicht, dass dadurch ein Automatismus entsteht, sich jede übergreifenden Einklang. Dazu gehört auch die Bereit- einzelne konkrete Forderung einer Frauenorganisation, schaft der Bundesrepublik Deutschland, Israel die zu sei- die sich mit dem Frieden beschäftigt, zu eigen zu ma- ner Verteidigung notwendigen Waffen zu liefern. chen. Sie haben als Beispiel eine israelische Frauenorga- nisation genannt. Dazu kann ich Ihnen nur sagen, dass diese Organisation im Gegensatz zu der überwiegenden Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Mehrheit der israelischen Öffentlichkeit steht, die kei- Nachfrage? neswegs die Kritik dieser Organisation an einer Unter- stützung, wie sie auch Deutschland leistet, übernimmt. Monika Knoche (DIE LINKE): Eine Unterstützung jeder Forderung wäre weder im Herr Staatsminister Erler, ich möchte zunächst sagen, Sinne der Resolution 1325 noch würde dadurch unserem dass ich trotz mehrjähriger Abgeordnetentätigkeit heute Verhältnis zum Staat Israel ein Dienst erwiesen werden. zum ersten Mal aktiv an der Fragestunde teilnehme. Man muss zwischen einer Unterstützung der Rolle von Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 90. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. März 2007 9095

Staatsminister Gernot Erler (A) Frauenorganisationen und von Einzelforderungen unter- Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE): (C) scheiden, die nicht immer automatisch von uns über- Herr Staatsminister, ich glaube, dass man ohne Über- nommen werden können. treibung sagen kann, dass die neue palästinensische Ein- heitsregierung und namentlich Präsident Abbas ein sehr Monika Knoche (DIE LINKE): hohes Risiko eingegangen sind, um diese Regierung zu Danke schön. bilden. Erinnern Sie sich an die Ankündigung, für den Fall, dass es keine Übereinkunft gibt, Neuwahlen auszu- schreiben. Erinnern Sie sich an die bürgerkriegsähnli- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: chen Zustände in Palästina, die auch auf die schwierige Dann kommen wir zur Frage 35 des Kollegen Konferenz in Mekka zurückzuführen sind. Wolfgang Gehrcke: Meinen Sie nicht auch, dass es für die neue Regierung Sollte die Bundesregierung die Bildung einer palästinensi- – und nicht nur für den Präsidenten – eine Ermutigung schen Einheitsregierung als Anlass nehmen, um als EU-Rats- präsidentin auf die Aufhebung der Sanktionen insbesondere wäre, wenn sie verspüren könnte, dass auch vonseiten des Zahlungsboykotts hinzuwirken, und falls nicht, wie be- der Europäischen Union auf sie zugegangen wird und gründet sie dies? Hindernisse, die noch vorhanden sind, aus dem Weg ge- räumt werden? Wäre es jetzt nicht der richtige Moment, Gernot Erler, Staatsminister im Auswärtigen Amt: die bestehenden Sanktionen zu beenden, um überhaupt Herr Kollege Gehrcke, ich beantworte Ihre Frage wie Bewegung in den ganzen Prozess zu bekommen? Denn folgt: die Absage Israels, mit der neuen Regierung Gespräche zu führen und zu ihr Kontakte herzustellen, war ja sehr Die Bundesregierung hat sich in ihrer Eigenschaft als brüsk. Präsidentschaft der EU bereits am 17. März 2007 in ei- ner anlässlich der Vereidigung der neuen palästinensi- Gernot Erler, Staatsminister im Auswärtigen Amt: schen Regierung herausgegebenen und im EU-Rahmen Herr Kollege, es ist in der Tat sehr zu begrüßen, dass abgestimmten Erklärung zu der Frage geäußert, ob die die neue Regierung der nationalen Einheit gebildet wor- Sanktionen gegen die palästinensischen Gebiete aufge- den ist. Dies haben auch die EU und das Nahostquartett hoben werden sollen. In der Erklärung wird auch auf die begrüßt. Allerdings ist es so, dass die drei Kriterien, die Bereitschaft der EU verwiesen, „mit einer rechtmäßigen erfüllt werden sollen, in der von mir genannten Plattform palästinensischen Regierung, die eine Plattform verab- noch nicht zu sehen sind. Am Ende kommt es natürlich schiedet, welche die Grundsätze des Quartetts wider- darauf an, was tatsächlich passiert. spiegelt, zusammenzuarbeiten und ihre Hilfe wieder auf- (B) zunehmen“. Ich selber habe – das wissen Sie – erste Gespräche (D) mit zwei Ministern aus der neuen Regierung geführt und Weiter heißt es – ich zitiere erneut –: zum Beispiel zum Ausdruck gebracht, dass es natürlich Die EU wird die Plattform und die Maßnahmen der ganz wichtig wäre, dass Bewegung in die Frage der Frei- neuen Regierung und ihrer Minister sorgfältig be- lassung des Soldaten Schalit kommt und dass die neue werten. Eingedenk der Bedürfnisse des palästinen- Regierung ein Signal setzt, was den alltäglichen Be- sischen Volkes wird die EU ihre lebenswichtige schuss mit Quassam-Raketen, der leider immer noch Unterstützung durch den Vorläufigen Internationa- stattfindet, angeht. Das würde natürlich helfen, einen len Mechanismus Prozess einzuleiten, der schneller zu einer Beendigung der Sanktionen führt. – TIM – Wenn Sie die Texte der EU und des Nahostquartetts so lange fortsetzen, bis die finanzielle Lage und die genau lesen, dann stellen Sie fest, dass durchaus nicht künftigen Bedürfnisse bewertet werden können und nur beschlossen worden ist, noch einmal für drei Monate ein tragfähiger Rahmen für die Unterstützung ge- TIM fortzusetzen. Da wird vielmehr ganz klar gesagt: schaffen werden kann. Wir brauchen diese Zeit, um eine Wiederherstellung des alten Mechanismus vorzubereiten. Das hat übrigens Die EU fordert in diesem Zusammenhang die Frei- auch der neue, uns gut bekannte Finanzminister der pa- gabe der von Israel einbehaltenen palästinensischen lästinensischen Regierung der nationalen Einheit gesagt. Steuer- und Zolleinnahmen an den palästinensischen Er hat zum Ausdruck gebracht, auch er selber brauche Präsidenten bzw. an den internationalen Finanzierungs- ein paar Monate, um den damals bestehenden Finanzme- mechanismus. chanismus wiederherzustellen.

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Wir sollten also nicht ungeduldiger sein, Herr Kollege Eine Nachfrage, Kollege Gehrcke? Gehrcke, als unsere Partner auf der palästinensischen Seite selber, die durchaus Verständnis dafür haben, dass, auch wenn Evidenz für den neuen Charakter dieser Re- Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE): gierung vorhanden ist, nicht über Nacht sofort alles wie- Herr Präsident, ich würde gerne nachfragen. der geändert werden kann.

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Bitte schön. Eine zweite Nachfrage? 9096 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 90. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. März 2007

(A) Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE): Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: (C) Ja, eine zweite Nachfrage. – Herr Staatsminister, ich Ihre Nachfrage, bitte. hätte mich gar nicht getraut, Sie öffentlich nach Ihren Gesprächen mit Ministern der neuen palästinensischen Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE): Regierung, die der Fatah angehören, zu fragen. Aber da Herr Präsident, wenn Sie mir die Gelegenheit einräu- Sie diese selber angesprochen haben, frage ich Sie: Mei- men, zwei Nachfragen zu stellen, werde ich davon Ge- nen Sie nicht auch, dass in Palästina und in anderen brauch machen. Teilen der Welt die sehr unterschiedlichen europäischen Haltungen wahrgenommen werden? Es gibt keine ge- Meine erste Nachfrage ist: Sie wissen, dass das Völ- meinsame europäische Position. Die Differenzen sind kerrecht gerade für meine Fraktion immer eine außeror- größer, als sie öffentlich zugegeben werden. Ich erinnere dentlich große Bedeutung hat. Unabhängig vom Völker- daran, dass Norwegen – ich weiß, Norwegen ist kein recht registriert aber doch jeder, dass insbesondere in Mitglied der EU; Kollege Weisskirchen braucht sich Gaza, aber auch in der Westbank eine geballte soziale nicht zu melden – auf der Ebene eines Unterstaatssekre- Katastrophe geschieht, die es notwendig macht, dem tärs direkte Beziehungen zu der neuen Regierung aufge- Eindruck einer kollektiven Bestrafung offensiv entge- nommen hat. Sie kennen die Erklärungen, die aus der genzutreten, am besten dadurch, dass die Hilfsmaßnah- belgischen Regierung zu vernehmen sind. Sie kennen men auch auf offizieller Ebene wieder vollständig aufge- die Erklärungen des italienischen Außenministers nommen werden und dass man praktische Hilfe leistet. D’Alema. Sie alle sagen: Es muss jetzt rasch ein deutli- ches Zeichen an die palästinensische Regierung geben. Gernot Erler, Staatsminister im Auswärtigen Amt: Macht man das nicht am besten, indem man die Sanktio- Herr Kollege Gehrcke, es stimmt natürlich, dass das nen generell zurücknimmt? Völkerrecht eine kollektive Bestrafung der Bevölkerung verbietet; darauf weisen wir die israelische Seite bei ent- Gernot Erler, Staatsminister im Auswärtigen Amt: sprechenden Gelegenheiten hin. Ich habe schon gesagt, Herr Kollege Gehrcke, ich stelle bei Ihnen zum zwei- dass wir hier die israelische Seite an ihre finanzielle Ver- ten Mal eine geradezu revolutionäre Ungeduld fest; ich antwortung erinnern, indem wir sie auffordern, die zu- sehe darin eher einen Ansporn als eine Gefährdung. rückgehaltenen Zoll- und Steuerrückzahlungen zur Ver- fügung zu stellen; dies haben wir nicht ohne Erfolg Die Bundesregierung ist in der Tat daran interessiert, getan. Im Dezember ist, wie Sie wissen, eine Abschlags- die nächsten Chancen zu nutzen, sich hier möglichst mit zahlung – so kann man das vielleicht nennen – von den anderen europäischen Staaten auf eine gemeinsame 100 Millionen Dollar geleistet worden. Das Geld ist di- Haltung zu verständigen. In dieser Woche gibt es eine rekt in die palästinensischen Kassen geflossen. (B) gute Gelegenheit, hier weiterzukommen: das bevorste- (D) hende Gymnich-Treffen der europäischen Außenminis- ter am kommenden Wochenende in . Auf der Ta- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: gesordnung steht eine Beratung darüber, wie man jetzt Zweite Nachfrage, bitte schön. auf die neugebildete Regierung der nationalen Einheit reagiert. Die Regierung wurde am 17. März bestätigt, Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE): heute haben wir erst den 28. März; deshalb muss man in Zu meiner zweiten Nachfrage. Wenn ich mich nicht Kauf nehmen, dass in der Zwischenzeit einige der euro- täusche, liegt die Gesamtsumme, die Israel den Palästi- päischen Staaten noch nicht völlig abgestimmt reagiert nensern allein auf dieser Ebene schuldig ist, bei rund haben. 600 Millionen Dollar.

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Gernot Erler, Staatsminister im Auswärtigen Amt: Wir kommen zur Frage 36 des Kollegen Gehrcke: Deswegen spreche ich von einer Abschlagszahlung. Stimmt die Bundesregierung dem UN-Sonderbericht- erstatter über die Situation von Menschenrechten in den paläs- Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE): tinensischen Gebieten in seinem Bericht vom 29. Januar 2007 In der Antwort auf die Frage meines Kollegen zu, wonach die „Belagerung“ von Gaza eine „kollektive Bestrafung“ darstelle und daher gegen die vierte Genfer Kon- Norman Paech haben Sie im Grunde angedeutet – ich vention verstoße, und, falls nicht, wie begründet sie dies? glaube, ich habe Sie da richtig verstanden –, dass die Bundesregierung ihre Hilfsmaßnahmen nicht verringert, Gernot Erler, Staatsminister im Auswärtigen Amt: sondern umgeschichtet hat, und zwar zugunsten ziviler Herr Kollege Gehrcke, die Bewertung, ob in Gaza ge- und anderer Organisationen. Das kann ich folgenderma- gen die vierte Genfer Konvention verstoßen wird, hängt ßen interpretieren: Sie haben trickreich die offiziellen vom völkerrechtlichen Status des Gazastreifens seit dem Sanktionen unterlaufen und betreiben praktisch eine an- Abzug der israelischen Truppen im August 2005 ab. dere Politik. Hierbei klammern Sie die Regierung – sie Dieser Status wird unterschiedlich beurteilt: Während Is- hat die Autorität – aus. Meinen Sie, dass das auf Dauer rael der Ansicht ist, dass mit diesem Abzug die Verant- tragfähig ist? wortung für die Zivilbevölkerung des Gazastreifens auf die palästinensische Autonomiebehörde übergegangen Gernot Erler, Staatsminister im Auswärtigen Amt: ist, wird von anderer Seite die Meinung vertreten, das Ich weiß nicht, ob die Bundesregierung hier „trick- Besatzungsregime bestehe auch nach dem Abzug fort. reich“ war. Sie hat völlig korrekt gehandelt, weil sie ver- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 90. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. März 2007 9097

Staatsminister Gernot Erler (A) hindert hat, dass irgendeine bilaterale Zahlung der Bun- ten auf unsere Fragen vorhin gesagt, dass Naturschutz (C) desrepublik Deutschland auf das falsche Konto ging. ein Kernthema von Umweltpolitik sei. Wir haben den Weg gewählt, weiterhin etwas für die Auch Minister Gabriel wird nicht müde, richtiger- Versorgung der palästinensischen Bevölkerung zu tun; weise immer wieder zu sagen, wie stark die Verpflich- die Zahlungen hatten einen Umfang von 42,5 Millio- tung Deutschlands ist, für den Erhalt der Natur, für den nen Euro. Dabei haben wir mit anderen Partnern, priva- Erhalt des Artenschutzes, für den internationalen Bio- ten Partnern, Kommunen und NGOs, kooperiert. Außer- diversitätsschutz einzutreten. Auf der Bundespressekon- dem haben wir uns im letzten Jahr mit 20 Millio- ferenz zum Thema „Rote Listen gefährdeter Biotop- nen Euro an dem TIM-Prozess beteiligt. Hinzu kommen typen“ sagte er heute richtigerweise: Wir können jährlich etwa 5 Millionen Euro an direkter humanitärer Indonesien schlecht auffordern: „Lasst die Wälder ste- Hilfe. hen, damit der Berggorilla leben kann!“, wir können Diese Politik kann man, so denke ich, durchaus recht- nicht Afrika auffordern: „Liebe Afrikaner, kommt mit fertigen, weil sie ausgeglichen ist. Wir haben darauf ge- Elefanten und Löwen gut aus!“, wenn wir hier nicht ge- achtet, dass die Kriterien erfüllt werden und aus dem nug tun, um die eigene Natur, den oft gescholtenen Feld- Ganzen nicht irgendeine potenzielle Finanzierung von hamster und die Mopsfledermaus, zu schützen. – All das Hamas abgeleitet werden konnte. Wir haben im Interesse ist richtig. Er hat heute auch gesagt, dass wir gerade da- der palästinensischen Zivilbevölkerung aus unserem bei sind, die Datenbank der Natur zu löschen, und zwar Geld das Beste gemacht. Ich glaube, das ist eine Politik, nicht auf der Diskette, sondern auch auf der Festplatte. zu der man stehen kann. Die Aussterberate ist nämlich so hoch wie noch nie. Auf dem G-8-Treffen der Umweltminister wurde eine „Pots- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: dam-Initiative zur biologischen Vielfalt 2010“ verein- Vielen Dank, Herr Staatsminister. bart. Es soll definiert werden, was wir tun müssen, um das Artensterben aufzuhalten. Die Zeit für die Fragestunde ist abgelaufen. Die nicht aufgerufenen Fragen werden nach den Vorschriften der Zum großen Thema Klimawandel. Alle reden da- Geschäftsordnung behandelt. Die Fragen 37 bis 44 aus rüber. Allen wird plötzlich bewusst, was es bedeutet, dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Ge- wenn wir nichts unternehmen. Herr Staatssekretär, Sie sundheit sowie die Fragen 45 bis 49 aus dem Geschäfts- haben vorhin richtigerweise gesagt, dass es Annahmen bereich des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und gibt, nach denen zwischen 5 und 30 Prozent der uns be- Stadtentwicklung werden schriftlich beantwortet. kannten Tier- und Pflanzenarten in absehbarer Zukunft – das werden wir noch erleben können – aussterben wer- Die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen hat zu den, wenn wir nicht handeln. All dem stimmen wir zu. (B) (D) den Antworten der Bundesregierung auf die Fragen 12 Da gibt es nichts zu widersprechen. und 13 der Abgeordneten Undine Kurth zum nationalen Biotopverbund eine Aktuelle Stunde verlangt. Diese Uns liegt ein Sondergutachten des Sachverständigen- werden wir jetzt abhalten. rates für Umweltfragen vor, das darlegt, wie kompliziert die Verwaltung im Bereich Umwelt in unserem Land or- Ich rufe den Zusatzpunkt 1 auf: ganisiert ist. Der Vorsitzende dieses Sachverständigen- rates, Professor Koch, überschreibt sein Gutachten mit Aktuelle Stunde der provokanten Überschrift „Umweltverwaltung an der auf Verlangen der Fraktion des Bündnisses 90/ Grenze ihrer Leistungsfähigkeit“. Das heißt ganz offen- Die Grünen sichtlich, dass der von allen beschworenen Aufgabe in Nationaler Biotopverbund diesem Land momentan zu wenig Aufmerksamkeit ge- widmet wird. Ich eröffne die Aussprache. Als erste Rednerin hat die Kollegin Undine Kurth von Bündnis 90/Die Grünen das Wenn der Erhalt der Biodiversität eine existenzielle Wort. Frage ist, wenn es nicht nur darum geht, ob es uns drau- ßen gefällt oder ob es schön aussieht, sondern wenn die Undine Kurth (Quedlinburg) (BÜNDNIS 90/DIE Biodiversität unsere Lebensgrundlage ist, dann müssen GRÜNEN): wir uns darüber unterhalten, dass Artenschutz Regeln braucht. Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Liebe Gäste auf den Rängen! Vor unge- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) fähr einem Jahr, am 30. Mai 2006, fand in Bonn der Festakt „100 Jahre Naturschutz als Staatsaufgabe“ statt. Es gibt Regeln als Gesetzesgrundlage und Regeln im Die Bundeskanzlerin sagte damals den klugen Satz, dem Vollzug. Im Vollzug sieht es nicht so großartig aus. Das man nur zustimmen kann: Naturschutz ist kein Luxus, haben wir ja gerade gehört. Wie sieht es bei der Geset- sondern zentraler Bestandteil von Umweltpolitik. zesgrundlage aus? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir sind vom Europäischen Gerichtshof aufgefordert worden, das Naturschutzgesetz dieses Landes europäi- Professor Klaus Töpfer hat auf der gleichen Veranstal- schen Regeln anzupassen, weil wir den Vorgaben der tung gesagt: Naturschutz ist nicht emotionale Neigung, FFH-Richtlinien nicht in jedem Punkt entsprechen. Wir sondern ökonomisches Denken. – Auch das verdient ei- wussten das. Jedem, der uns fragen wird, was wir früher gentlich Applaus. Der Staatssekretär hat in den Antwor- getan haben, antworten wir: Wir haben diesen Mangel 9098 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 90. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. März 2007

Undine Kurth (Quedlinburg) (A) immer benannt. Die Abstellung dieses Mangels war aber Marie-Luise Dött (CDU/CSU): (C) leider gegen andere nicht durchzusetzen, auch gegen un- Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe seren damaligen Koalitionspartner – nicht in Gänze, son- Frau Kurth, als mich die Nachricht ereilte, dass die Grü- dern einzelne Personen – nicht. Das heißt, das Gesetz nen eine Aktuelle Stunde zum Thema Biodiversität be- muss jetzt novelliert werden. antragt haben, habe ich mich spontan gefreut. Noch einen Punkt, um die Aktualität dieser Aktuellen ( [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Stunde zu begründen: Noch in dieser Woche wird im NEN]: Schön!) Bundesrat über die von der Bundesregierung vorgelegte Ich habe angenommen, dass die Grünen die schönen Novelle entschieden. Wir glauben, dass das nicht ohne Fernsehbilder der vergangenen Wochen von und mit öffentliche Aufmerksamkeit passieren sollte. Denn die Knut noch einmal bei uns hier im Plenum des Bundesta- Regeln, die da geplant sind, lassen sehr viele Fragen of- ges Revue passieren lassen wollen. Aber das wäre zu fen. Ich frage: Ist das die richtige Richtung? schön gewesen, um wahr zu sein. Immer wenn Juristen etwas ändern, kommt es auf je- (Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- des Wort an. Wir lassen uns nicht erzählen, dass es ei- NEN]: Das ist nicht ernst gemeint, oder?) gentlich ganz nett gemeint ist und dass nichts Schlimmes passieren wird, wenn so unbestimmte Rechtsbegriffe wie Nun ist aus dieser Aktuellen Stunde leider eine Trauer- „zumutbare Alternativen“ eingeführt werden, wenn es stunde geworden. Denn mit dem Pandabärenweibchen darum geht, welche Ausnahmen vom Artenschutz zuge- Yan Yan hat uns wenige Tage nach den schönen Fern- lassen werden sollen. Was bitte ist eine „zumutbare Al- sehbildern vom putzigen Knut eine Sympathieträgerin ternative“? Ein weiteres Beispiel: Es sollen keine „unzu- der deutschen Biodiversität verlassen müssen. Wir trau- mutbaren Belastungen“ für diejenigen, die Eingriffe ern um Yan Yan und wünschen ihr ein angenehmes Le- tätigen wollen, entstehen. Was bitte ist eine „unzumut- ben im Pandabärenhimmel. bare Belastung“? Das sind, wie die Juristen sagen, nicht Jetzt aber einmal im Ernst. Ich kann den Kolleginnen legal definierte Begriffe. Jeder kann sie fröhlich ausle- und Kollegen von der Grünenfraktion, genauso aber de- gen. Es ist kein besserer Schutz. Es werden verschwom- nen von der FDP hinsichtlich des Klimawandels – wir mene Begriffe eingeführt. Das kann nicht das Ziel einer hatten vor vier Wochen eine Aktuelle Stunde zu diesem Novelle des Bundesnaturschutzgesetzes sein, die dazu Thema – den Vorwurf nicht ersparen, bei einem wichti- dienen soll, dass das Gesetz den FFH-Richtlinien ent- gen Thema wieder einmal zu kurz zu springen. Mit einer spricht. Aktuellen grünen Stunde leistet man der Biodiversität ei- nen Bärendienst. Knut, Yan Yan und der selige Bruno (B) (D) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) mögen mir verzeihen. Mein Kollege Dr. Hofreiter wird das im Näheren aus- Bemüht versuchen die Grünen mit ihrer Presseerklä- führen. Wer sich die Kritikpunkte im Einzelnen ansehen rung vom vergangenen Montag, ein paar Themen zu will, findet sie auf unserer Website. Dort haben wir sie konstruieren, die sie dann zu einer Bundestagsdebatte aufgelistet. hochstilisieren. Es führt kein Weg daran vorbei, festzu- stellen: Diese Aktuelle Stunde ist wieder einmal die ver- Hier geht es mir darum, darauf aufmerksam zu ma- krampfte Suche nach einer weiteren Schlagzeile in den chen, dass man die notwendige Anpassung des Bundes- Medien und damit so überflüssig wie ein Kropf. naturschutzgesetzes an europäisches Recht nicht dazu missbrauchen darf und kann, die Standards im Arten- (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Anton schutz abzusenken und aufzuweichen. Wir können nicht Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: immer davon reden, wie wichtig und existenziell das al- Kommen Sie einmal zur Sache!) les ist, und dann die notwendigen Schritte unterlassen. Gleichwohl möchte ich den Anlass nutzen, zu einem Das passt einfach nicht zu dem, was Herr Minister vor- Thema Stellung zu nehmen, hin gesagt hat, nämlich dass es keinen Grund zur Ent- warnung gibt und dass wir Anstrengungen auf allen Ebe- (Undine Kurth [Quedlinburg] [BÜNDNIS 90/ nen brauchen. Wir brauchen auch Anstrengungen auf DIE GRÜNEN]: Das freut uns!) nationaler Ebene und müssen bitte schön endlich konse- quent handeln und nicht nur darüber reden. auch wenn Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, dieses Thema möglicherweise überhaupt Ich hoffe, wir haben Ihre Unterstützung. nicht in den Kram passt. Im Zusammenhang mit dem Klimawandel und dem notwendigen verstärkten Einsatz (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) erneuerbarer Energien wird die Nutzung der Biomasse immer häufiger und intensiver in die Diskussion einge- bracht. Ich sehe diese Entwicklung mit wachsender Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Sorge. Das Wort hat jetzt die Kollegin Marie-Luise Dött von der CDU/CSU-Fraktion. Landnutzung und Landnutzungsänderungen bergen immer die Gefahr in sich, die Vielfalt der Lebensräume, (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- die Vielfalt der Arten und die genetische Vielfalt inner- neten der SPD) halb der Arten zu beeinträchtigen. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 90. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. März 2007 9099

Marie-Luise Dött (A) (Undine Kurth [Quedlinburg] [BÜNDNIS 90/ nen Aktuellen Stunde erreicht werden sollte. Sie wissen, (C) DIE GRÜNEN]: Ein gutes Gesetz!) dass die Entscheidung in der Bundesratssitzung am kom- menden Freitag fallen wird, so oder so. In diesen drei Das ist aktuell an den Palmölplantagen zu beobachten. Tagen ist nichts mehr zu bewirken. Die Pressekonferenz, Dabei sind Palmölplantagen auf brandgerodeten Regen- die der Bundesumweltminister heute zur Liste der waldflächen in Südostasien nur ein Teil des Problems, gefährdeten Arten und Biotoptypen gegeben hat, war das in diesem Fall auch noch sehr weit weg liegt. vielleicht ein Aufhänger, diese Aktuelle Stunde zu bean- Die Gefährdungen für die Biodiversität haben wir tragen. Aber wir konnten wirklich keine neuen Erkennt- auch im eigenen Haus. Großflächige Monokulturen mit nisse gewinnen. eigens für die Energiegewinnung gezüchteten Energie- Dennoch möchte ich den Ball, den Sie in die Mitte ge- pflanzen, Nutzung auch des letzten Quadratmeters land- worfen haben, aufnehmen und einiges zu diesem Thema wirtschaftlich bebaubarer Fläche, Walddüngung – dies sagen. Bereits am 5. Januar dieses Jahres hat ein Gesetz- sind mögliche Zukunftsszenarien für die Nutzung der entwurf des BMU zur Novellierung des Bundesnatur- Biomasse zur Energiegewinnung, die der Biodiversität schutzgesetzes vorgelegen. Am 14. Februar dieses in unserem eigenen Lande gewiss nicht zuträglich wä- Jahres ist der aktualisierte Gesetzentwurf vom Bundes- ren. kabinett beschlossen worden. Es wäre also durchaus Zeit Ich bin deshalb sehr dafür, dass in enger Kooperation gewesen, einige Bedenken dazu zu formulieren. Das ha- mit den betroffenen Menschen – das sind ganz besonders ben Sie aber nicht getan. Stattdessen haben Sie uns diese die Landwirte und die Waldbesitzer – rasch klare Regeln Aktuelle Stunde beschert. Also, schauen wir mal. Ich für eine tatsächlich nachhaltige Biomassegewinnung denke, der Bundesrat wird diesen Gesetzentwurf am aufgestellt werden. Es darf nicht so weit kommen, dass Freitag ohne weitere Debatte verabschieden. wir den Teufel des Klimawandels mit dem Beelzebub ei- ner verarmten Natur auszutreiben versuchen. Ich möchte diese Möglichkeit nutzen, um die Vorstel- lungen der Liberalen zu erläutern. Gerade in Deutsch- (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. land haben wir es mit Kulturlandschaften zu tun, also Undine Kurth [Quedlinburg] [BÜNDNIS 90/ vom Menschen mitgestalteten und mitbeeinflussten Na- DIE GRÜNEN]) turzuständen. Es ist auch unser Ziel, die Biodiversität zu fördern. Wir müssen unsere Aufmerksamkeit verstärkt Ich möchte in diesem Zusammenhang über einen be- auf dieses Thema lenken, um auf diesem Gebiet mehr zu merkenswerten Vorgang berichten, der sich in der ver- erreichen. Aber die Forderung der Grünen nach einer gangenen Woche zugetragen hat: Der Gemeinderat der Regelung, die stärker auf bundesstaatlicher Ebene veran- Samtgemeinde Schwarmstedt hat sich auf Antrag der kert ist, ist genau das Gegenteil dessen, was wir möch- (B) CDU gegen die Nutzung von Palmöl für das geplante (D) ten. Wir sind angesichts der Vielfältigkeit der Land- Blockheizkraftwerk ausgesprochen. Die Vorsitzende der schaften und der Regionen in unserem Lande dafür, dass CDU-Gemeinderatsfraktion hat dies damit begründet, keine besonders dezidierten Vorgaben gemacht werden, dass es keine garantierte Zertifizierung für eine nachhal- was zum Beispiel die Bewirtschaftungsregelungen be- tige Gewinnung von Palmöl gibt. Brandrodungen für trifft, weil wir befürchten, dass dies zu einer Überregu- Palmölplantagen seien unakzeptabel, lieber setze man lierung führen könnte. Das widerstrebt dem Prinzip der auf heimische regenerative Energien. Subsidiarität und ist auch in der Praxis vielfach nicht (Beifall bei der CDU/CSU) umsetzbar. Ich halte diese Ausführungen und den Beschluss des Uns geht es insbesondere darum, etwas flexiblere und Gemeinderates für mutige Zeichen wider den wachsen- fallgerechtere Beurteilungen von Projekten und Bewirt- den Zeitgeist, die wirklich unseren Applaus verdienen. schaftungen zu ermöglichen. Im Grunde genommen könnten wir uns sogar eine Verschmelzung der FFH- und (Beifall bei der CDU/CSU) der Vogelschutzrichtlinie vorstellen, und wir werden Umso wichtiger ist es, jetzt für die Nutzung der Bio- noch Vorschläge in diese Richtung machen. masse in unserem eigenen Land Nachhaltigkeitsregeln aufzustellen – der Biodiversität zuliebe. (Lutz Heilmann [DIE LINKE]: Aha!) Vielen Dank. – Herr Heilmann, das machen wir. (Beifall bei der CDU/CSU) Am vorliegenden Gesetzentwurf ist aus unserer Sicht zu kritisieren, dass die Definition des Projektbegriffs sehr unklar ist; es kann nicht genau bestimmt werden, Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: welches Vorhaben von dem Projektbegriff erfasst wird. Das Wort hat jetzt die Kollegin Angelika Brunkhorst Da ist also noch Nachbearbeitung notwendig. Ich denke von der FDP-Fraktion. auch, dass die Naturschutzbehörden dadurch Gefahr lau- fen, hier einen sehr hohen, ausufernden Verwaltungsauf- Angelika Brunkhorst (FDP): wand betreiben zu müssen. Dennoch muss ich an dieser Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In Anbe- Stelle sagen: Die Einschränkung hinsichtlich der ord- tracht der vom Bündnis 90/Die Grünen zum Ausdruck nungsgemäßen land-, forst- und fischereiwirtschaftli- gebrachten Dringlichkeit dieses Themas stellt sich mir chen Nutzung scheint uns in diesem Maße nicht notwen- die Frage, welches zeitnahe Ziel mit der vorangegange- dig zu sein. Es bleibt abzuwarten, wie der jetzige 9100 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 90. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. März 2007

Angelika Brunkhorst (A) Gesetzentwurf vom EuGH beurteilt wird und inwieweit Die positive Artenschutznachricht des Tages lautet: (C) die Anpassungen ausreichend sind. Knut geht’s gut. Aber was nützt uns die weltweite Auf- merksamkeit für den kleinen Eisbären, wenn wir gleich- Ich gehe davon aus, dass gerade wir in Deutschland zeitig den Lebensraum seiner wild lebenden Artgenos- große Potenziale haben, Naturschutz und Nutzung in sen durch den Klimawandel unwiderruflich und Einklang zu bringen, dass wir mit freiwilligen Maßnah- unwiederbringlich zerstören? men, mit dem Vertragsnaturschutz, viel bewirken kön- nen und dann auch eine höhere Akzeptanz der Bürger für (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Naturschutzmaßnahmen haben werden. Wir denken, DIE GRÜNEN) dass die föderale Struktur unseres Landes einen Wettbe- Wir brauchen deshalb eine Kombination aus konkreten werb der Lösungen anbietet und es gebietet, diesen zu- Artenschutzmaßnahmen und ein verstärktes globales En- zulassen. Wir sehen darin eher eine Chance als eine Ge- gagement im Klimaschutz. Genau dies ist die Politik der fahr. In diesem Sinne unterstützen wir die Pläne des Bundesregierung. Landes Niedersachsen, anstelle von Ausgleichs- und Er- satzmaßnahmen auch Ersatzzahlungen – in einen Fonds – (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der zu ermöglichen, die insbesondere von Fachleuten und CDU/CSU) von Naturschutzverbänden genutzt werden können, um bereits bestehende Naturschutzgebiete intensiver und ef- Mit den Beschlüssen des Europäischen Rates über- fizienter zu betreuen und zu beobachten. Ich glaube, es nimmt die Europäische Union eine Vorreiterrolle beim wird sehr viele weitere Debatten über dieses Thema ge- internationalen Klimaschutz. Mit der „Potsdam Initiative ben. Ich freue mich darauf. zur biologischen Vielfalt 2010“ nutzen wir unsere G-8- Präsidentschaft, um gemeinsam mit den führenden In- Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. dustrienationen und den Schwellenländern den Verlust an biologischer Vielfalt zu reduzieren. (Beifall bei der FDP) Im Rahmen der anstehenden Konferenzen der Inter- nationalen Walfangkommission sowie hinsichtlich des Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Washingtoner Artenschutzabkommens und der Konven- Das Wort hat jetzt der Kollege Christoph Pries von tion über die biologische Vielfalt wird Deutschland wie- der SPD-Fraktion. der eine aktive Rolle übernehmen. Das war in der Ver- gangenheit so, und das wird in Zukunft auch so bleiben. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) (Beifall bei Abgeordneten der SPD) (B) Christoph Pries (SPD): Die Regierungskoalition unterstützt dieses Engagement. (D) Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kollegin- Ich möchte hier nur unsere Anträge zur biologischen nen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Vielfalt und zum Schutz sensibler Ökosysteme der Tief- Herren! Wir diskutieren heute über den Schutz der biolo- see erwähnen. Darüber hinaus bringen wir in dieser Wo- gischen Vielfalt. Die Debatte zeigt, wir alle sind uns ei- che einen Antrag zum Walschutz ein. Darin sprechen wir nig: Der Erhalt der biologischen Vielfalt ist neben dem uns gegen eine Aufhebung des internationalen Walfang- Klimaschutz die zentrale Herausforderung des 21. Jahr- moratoriums aus. hunderts. Insbesondere seit Beginn der Industrialisie- Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind uns be- rung haben wir die Ressourcen der Natur geplündert. wusst, dass wir die Schwellen- und Entwicklungsländer Wir haben uns keine Gedanken darüber gemacht, welche nur dann für ein stärkeres Engagement im Bereich des Auswirkungen dies für unser eigenes Überleben hat. Erst Umwelt- und Klimaschutzes gewinnen können, wenn spät haben wir erkannt, welche Leistungen und ökono- wir selbst mutig vorangehen. Nur wenn es uns gelingt, mischen Potenziale eine intakte Natur bietet. Erst die Umweltpolitik als Fortschrittspolitik im Bewusstsein der Konfrontation mit den konkreten Folgen unseres Han- Menschen zu verankern, haben wir eine Chance, das Ru- delns hat zu einem Umdenkprozess geführt. der herumzureißen. Auch wenn wir in den vergangenen Jahrzehnten be- Wirtschaftliches Wachstum, Wohlstand und Umwelt- reits vieles auf den Weg gebracht haben – wir sind noch schutz schließen sich nicht aus. Sie sind zwei Seiten der- lange nicht am Ziel. Noch immer nimmt die biologische selben Medaille. Dass dies so ist, wurde unlängst im Vielfalt weltweit, auch in Deutschland, kontinuierlich UN-Weltwaldbericht festgestellt. Wenn der Bericht auch ab. Dies zeigt auch die heute vom Bundesamt für Natur- zu dem Ergebnis kommt, dass die Entwaldung weltweit schutz vorgestellte Liste der gefährdeten Biotoptypen. voranschreitet, so enthält er doch auch eine positive Bot- Trotz einiger Erfolge – das macht die Liste deutlich – schaft: Wo es den Menschen wirtschaftlich gut geht, geht sind noch immer 72 Prozent der Lebensraumtypen in es auch dem Wald besser. Genau hier müssen wir anset- Deutschland bedroht oder akut gefährdet. Die Rate des zen. weltweiten Artensterbens übersteigt die angenommene natürliche Rate noch immer um das 100- bis 1 000-Fa- Die Bundesregierung tut dies auch auf nationaler che. Eine weitere besondere Herausforderung stellt die Ebene durch eine Vielzahl von Maßnahmen. Beispiel- globale Klimaerwärmung dar: Sie strapaziert die Anpas- haft seien hier nur drei erwähnt: Erstens. Die Bundesre- sungsfähigkeit unserer Ökosysteme und bedroht das gierung erarbeitet zurzeit eine nationale Strategie zur Überleben zahlreicher Arten. biologischen Vielfalt. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 90. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. März 2007 9101

Christoph Pries (A) (Lutz Heilmann [DIE LINKE]: Nach Umweltpolitik sein. Das ist richtig so, aber die prakti- (C) 15 Jahren wird die erarbeitet!) sche Politik sieht leider ganz anders aus. Unser Ziel ist es, den Rückgang der biologischen Viel- (Beifall bei der LINKEN) falt zu stoppen und gleichzeitig deren nachhaltige Nut- Das heißt nicht nur, dass wir erhebliche Anstrengun- zung zu ermöglichen. gen im Klimaschutz unternehmen müssen, sondern wir Zweitens. Die Regierungskoalition hat vereinbart, müssen auch die Natur dabei unterstützen, den Klima- 125 000 Hektar Naturschutzflächen des Bundes unent- wandel zu bewältigen. Einerseits müssen wir für eine geltlich in eine Bundesstiftung oder an die Länder zu Vernetzung sorgen, damit die Arten künftig wandern übertragen. Damit leisten wir einen wichtigen Beitrag können. Andererseits müssen wir endlich die unter zur Sicherung des nationalen Naturerbes. Schutz gestellten Gebiete auch wirklich schützen. In Wirklichkeit werden die Schutzgebiete nämlich nicht ge- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) schützt; vielmehr sind sie vielfach bedroht. So plant Drittens. Wir werden ein modernes Naturschutzrecht RWE, im Nationalpark Wattenmeer nach Öl zu bohren. schaffen, wodurch sowohl der Schutz als auch die nach- (Eva Bulling-Schröter [DIE LINKE]: Pfui!) haltige Nutzung der Natur verbessert wird. Schleswig-Holstein hat zwar 1985 gesetzlich verankert, Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. dass es außer der einen bestehenden Ölplattform im Na- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) tionalpark keine weiteren geben darf; ich befürchte aber, dass sich die heutige Landesregierung nicht mehr darum Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: scheren wird. Das Wort hat jetzt der Kollege Lutz Heilmann von der In den anderen Bundesländern sieht es fast noch Fraktion Die Linke. schlimmer aus. In den Wahlkämpfen rückt der Natur- (Beifall bei der LINKEN) schutz oft an die zweite Stelle. Ich sage nur: Autobahn gegen Feldhamster. Lutz Heilmann (DIE LINKE): Was aber macht die Landesregierung meines Heimat- Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ar- bundeslandes Schleswig-Holstein? Das einst vorbildli- tenschutz fristet in Deutschland ein Schattendasein. Die che Landesnaturschutzgesetz wird verstümmelt. Andere Gelder im Bundesetat werden von Jahr zu Jahr gekürzt. Bundesländer haben Ähnliches vor. Dafür werden im nächsten Jahr mal eben über Ganz schlimm sieht es im praktischen Naturschutz 2,5 Millionen Euro für die 9. Vertragsstaatenkonferenz aus. Das Sondergutachten des Sachverständigenrates für (B) der Biodiversitätskonvention lockergemacht. Umweltfragen belegt, dass die Umwelt- und Natur- (D) ( [SPD]: Ist auch richtig!) schutzverwaltungen kaputt reformiert werden. Die Aus- gaben für den Naturschutz sind von 1994 bis 2001 um Wie ernst Sie den Artenschutz nehmen, sieht man ein Drittel zurückgegangen. In den Kommunen fiel jede auch daran, dass Sie eine Bürgschaft über 100 Mil- dritte Stelle im Naturschutz weg. lionen Euro für den Ilisu-Staudamm in der Türkei über- nehmen. Dieser wird eine beispiellose Vernichtung der Die Linke meint, die Regierung tut sich mit der No- Artenvielfalt in der Region zur Folge haben. Ich war am velle zum Bundesnaturschutzgesetz keinen Gefallen. Sie Freitag vergangener Woche dort und habe mir ein Bild wird ebenso wie die letzte Fassung des Bundesnatur- davon gemacht. Vielleicht hätten Sie das auch einmal schutzgesetzes wieder beim EuGH landen, der Deutsch- tun sollen. land erneut verurteilen wird. So viel dazu, dass Sie immer davon sprechen, dass Nun zu den Grünen: Sie wollen sich wieder als wir den internationalen Artenschutz fördern müssen oberste Naturschützer aufspielen. usw. usf. Die reale Politik, insbesondere auch die der (Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/ Großen Koalition, spricht eine ganz andere Sprache. DIE GRÜNEN]: Wir sind es!) Auch mit der sogenannten kleinen Novelle zum Bun- Dabei ist die Novelle zum Naturschutzgesetz doch nur desnaturschutzgesetz zeigen Sie, wie ernst Sie es mit deshalb notwendig, weil Sie es 2002 versäumt haben, dem Artenschutz meinen: Statt 2 600 Arten stehen dem- das Bundesnaturschutzgesetz vernünftig auszugestalten. nächst nur noch 600 Arten unter Schutz. Auf eine natio- nale Strategie zur biologischen Vielfalt – der Kollege (Beifall bei der LINKEN) Pries sprach es gerade an – warten wir nun schon seit Ihre heute gestellten Fragen sind fast wörtlich der 15 Jahren. Sieben Jahre davon waren übrigens mit Re- NABU-Stellungnahme entnommen. Dabei haben Sie ge- gierungsbeteiligung der Grünen. flissentlich die Feststellung unter den Tisch fallen lassen, (Hans-Kurt Hill [DIE LINKE]: Aha!) dass die generelle Freistellung der Land-, Forst- und Fi- schereiwirtschaft im Bundesnaturschutzgesetz nicht ak- Nichts als leere Worte. Da kann ich Herrn Gabriel nur zeptabel war. Seien Sie doch wenigstens so ehrlich, das zustimmen, der heute sagte: Wir müssen zur Kenntnis mit aufzunehmen! nehmen, dass es nach wie vor eine Vielzahl von Bio- topen gibt, die hochgradig gefährdet sind und auch wei- (Undine Kurth [Quedlinburg] [BÜNDNIS 90/ ter zurückgehen. Der Staatssekretär, Herr Müller, traf DIE GRÜNEN]: Hätten Sie mir zugehört, hät- vorhin die Aussage: Naturschutz muss Kernthema jeder ten Sie es mitbekommen!) 9102 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 90. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. März 2007

Lutz Heilmann (A) Sagen Sie jetzt nicht, dass Sie es damals nicht gewusst (Undine Kurth [Quedlinburg] [BÜNDNIS 90/ (C) haben! Denn erstens ist die FFH-Richtlinie eindeutig DIE GRÜNEN]: Deshalb haben wir auch den formuliert, und zweitens haben die Verbände seinerzeit Artenschutz!) sehr deutlich darauf hingewiesen. Ein Blick auf das Biosphärenreservat Mittlere Elbe hätte (Undine Kurth [Quedlinburg] [BÜNDNIS 90/ Ihnen für die heutige Diskussion sicherlich einiges ge- DIE GRÜNEN]: Wir auch!) bracht, verehrte Kollegin Kurth. Insofern fällt alles, was Sie an der jetzigen Regierung Die intensive Holzwirtschaft in der staatlichen Forst- kritisieren, auf Sie selbst zurück. wirtschaft der DDR wurde nach der Wende durch eine weit extensivere Nutzung ersetzt, die natürlich weniger Auch wir Linken sagen: Die Grünen reden viel, wenn Personal benötigte. Forstflächen wurden nach der Wende der Tag lang ist, handeln aber nicht entsprechend. wieder den privaten Eigentümern zur Nutzung und Be- Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. wirtschaftung übertragen und fielen dadurch aus der Be- wirtschaftung durch die Forstämter heraus. Nicht zuletzt (Beifall bei der LINKEN) wurden in relevanten Größenordnungen Forstflächen den Naturschutzverwaltungen übertragen. Dadurch ent- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: standen bei den Forstverwaltungen Personalüberhänge insbesondere von Forstfacharbeitern, die natürlich als Das Wort hat der Kollege Ulrich Petzold von der Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes ein Anrecht auf CDU/CSU-Fraktion. Kündigungsschutz hatten. Für dieses überzählige Perso- (Beifall bei der CDU/CSU) nal in den Forstverwaltungen der Bundesländer wurden sehr oft die Naturschutzverwaltungen als Auffangbecken genutzt. Leider nutzten einige Forstverwaltungen die Ulrich Petzold (CDU/CSU): Möglichkeiten der Personalübertragung auch dazu, äl- Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her- tere und nach ihrer Meinung nicht mehr so leistungsfä- ren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Heilmann, hige Mitarbeiter loszuwerden. Darüber, dass dies kein seitdem die Partei, deren Nachfolgepartei Sie angehören, haltbarer Zustand ist, sind wir uns alle einig, glaube ich. keine Verantwortung mehr für die Elbe trägt, ist wieder eine ganze Reihe von Fischarten dorthin zurückgekehrt. (Beifall bei der CDU/CSU) Ich glaube, die Natur hat sich wieder erholt. Diese erfahrenen Forstleute waren natürlich in den (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Naturschutzverwaltungen willkommen, hatten jedoch das Handicap, dass anschließend keine ausgeglichene (B) neten der SPD – Hans-Kurt Hill [DIE (D) LINKE]: Was ist mit dem Donaukanal in Bay- Altersstruktur in den Naturschutzverwaltungen vorhan- ern, Herr Petzold?) den war und dass sie die Personalvoraussetzungen für die Naturschutzverwaltungen nicht mitbrachten. Es ka- In Ihrer Pressemitteilung, in der die Grünen die heu- men Forstfacharbeiter, aber eigentlich wäre mittleres tige Aktuelle Stunde begründen, behaupten Sie, dass die Leitungspersonal an dieser Stelle erforderlich gewesen. Bundesregierung infolge eines auf den ersten Blick sehr Im Ergebnis wurde gerade in Verantwortung von Frau hohen Personalabbaus in den Naturschutzverwaltungen Umweltministerin Heidecke, die Ihnen ja nicht unbe- kannt sein dürfte, Frau Kurth, dieses Personal auf kw- (Undine Kurth [Quedlinburg] [BÜNDNIS 90/DIE Stellen gesetzt. Ein richtiges Personalkonzept mit einem GRÜNEN]: Auch auf den zweiten Blick!) ordentlichen Stellenplan wurde nicht erarbeitet. Erst die als Gastgeberin für die 9. Vertragsstaatenkonferenz schlecht Landesregierung nach 2002 hat gemeinsam mit den Na- aufgestellt ist, und machen die Bundesregierung für den turschutzverwaltungen klare Personalentwicklungskon- Personalabbau in diesem Bereich verantwortlich. Dies zepte erarbeitet. Natürlich saß in dieser Zeit das übertra- grenzt an Schaumschlägerei. Die Beantragung der Aktu- gene Personal nicht untätig herum. Viele Projekte ellen Stunde zeigt, wie weit sich die Grünen von der Fö- wurden auf den Weg gebracht. deralismusrealität entfernt haben. Ganz wichtig war dabei der Vertragsnaturschutz, der (Undine Kurth [Quedlinburg] [BÜNDNIS 90/ sich gerade in den Randbereichen, den Schutzzonen III DIE GRÜNEN]: Wir reden über das Bundes- und IV des Biosphärenreservats Mittlere Elbe, sehr gut naturschutzgesetz!) entwickelt hat. Naturschutzverwaltungen sind Landesverwaltungen. (Marie-Luise Dött [CDU/CSU]: Ganz genau!) Das weiß eigentlich jeder von uns. Ein Blick in die Pra- Jetzt ist der Vertragsnaturschutz zum Selbstläufer gewor- xis hätte Sie von der unsinnigen Formulierung der Pres- den. Viele Arbeiten, die bis vor kurzem noch durch Per- semitteilung zu der heutigen Aktuellen Stunde abgehal- sonal der Naturschutzverwaltung ausgeführt werden ten. mussten, werden jetzt durch die Agrarbetriebe der Re- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- gion erledigt. Damit war es natürlich möglich, das Perso- neten der SPD) nal auf den kw-Stellen sozialverträglich zu reduzieren – darauf lege ich Wert – und bei altersbedingtem Aus- Insofern zeigt sich immer wieder: Die Praxis ist das scheiden die Stellen nicht wieder zu besetzen. Damit ha- Kriterium der Wahrheit. ben die Bundesländer nicht anders gehandelt als Ihre Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 90. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. März 2007 9103

Ulrich Petzold (A) Bundesregierung damals. Wenn Sie sich die Personalent- schutzgesetz hinein, dass der Schutz vom Individuum (C) wicklung in den Bundesbehörden UBA und BfN in den auf die Population heruntergestuft werden soll. Welche letzten Jahren Ihrer Regierungszeit ansehen, stellen Sie Folge hat dies in der Praxis? Die Folge in der Praxis ist, fest, dass auch dort Personal in beträchtlichem Umfang dass Sie einzelne Individuen töten können, wenn Sie be- abgebaut wurde. Man sollte nicht mit Steinen schmei- haupten, die Population dadurch nicht zu gefährden. ßen, wenn man selbst im Glashaus sitzt. Aber wer stellt denn fest, ob die Population gefährdet ist? Vielleicht die unteren Naturschutzbehörden, deren Danke schön. Personal total ausgedünnt ist, oder die Universitäten, in (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- denen nach und nach fast alle Lehrstühle, die für den Be- neten der SPD – Hans-Kurt Hill [DIE LINKE]: reich der Artenvielfalt zuständig waren, zu Lehrstühlen Aber man kann es ja ändern!) für Biotechnologie umgewidmet worden sind, sodass wir fast kein Fachpersonal mehr haben, weder auf uni- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: versitärer noch auf behördlicher Ebene? Das Wort hat der Kollege Dr. Anton Hofreiter von Sie nehmen relativ kleine und geschickte Änderungen Bündnis 90/Die Grünen. vor, die, wenn man sich nicht wirklich über die Folgen im Klaren ist, auf den ersten Blick harmlos wirken. Aber Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- es ist ein gigantischer Unterschied, ob Sie Populationen NEN): schützen oder ob Sie festschreiben, dass gefährdete Ar- Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kollegin- ten grundsätzlich nicht getötet werden dürfen. nen und Kollegen! Die Debatte in diesem Haus verläuft (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN wie so viele Debatten über die Biodiversität und Arten- sowie bei Abgeordneten der LINKEN) schutz zuvor: Man ist sich insgesamt einig, dass mehr Schutz notwendig ist und dass sowohl international als Im Bundesrat wird es noch schlimmer: Aus „lokalen auch europaweit, überall, viel getan werden muss. Wenn Populationen“ will der Bundesrat allgemeine Populatio- es aber konkret werden soll, schaut es meistens sehr mau nen machen. Es gibt Arten, die europaweit vorkommen, aus. es gibt Arten, die zirkumpolar vorkommen, es gibt Ar- ten, die sehr weit verbreitet sind. Wer definiert das dann? (Widerspruch der Abg. Marie-Luise Dött Dürfen wir sie in der Bundesrepublik ausrotten, weil es [CDU/CSU]) noch woanders eine Population gibt? Dann wird nicht darauf eingegangen bzw. nicht begrün- (Ulrich Kelber [SPD]: Fordert überhaupt nie- det, wo die Novelle zum Bundesnaturschutzgesetz bes- mand! Wir sind hier nicht im Bundesrat!) (B) ser oder schlechter ist. Es wird letztendlich allgemein (D) besprochen. Das ist wieder ganz typisch für die Gesetzesarbeit der Großen Koalition: Auf den ersten Blick schaut es harm- Schauen wir uns doch einmal die Realität in der Bun- los aus. Schauen wir uns dann die Wörter in ihrer prakti- desrepublik an! Man muss anerkennen: Nicht nur in den schen Konsequenz an, dann wird daraus ein Skandal. Tropen, sondern auch in der Bundesrepublik befinden wir uns mitten in der Aussterbekatastrophe; das muss ei- (Ingbert Liebing [CDU/CSU]: Das glauben nem klar sein. Sie doch selber nicht!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) – Diejenigen, die hier jetzt schreien, verstehen schlicht- weg nicht, was das Wort Population bedeutet, Das ist keine politische Aussage, sondern eine wis- senschaftliche Erkenntnis. Schauen wir uns einmal die (Ingbert Liebing [CDU/CSU]: Das ist doch Aussagen zur momentanen Lage in Europa an! Wenn Sie Ideologie!) gestatten, zitiere ich ganz kurz aus dem Bericht des Wirt- was das Wort lokal bedeutet und was in diesem Zusam- schafts- und Sozialrates. menhang Individuum bedeutet. Befassen Sie sich vorab Zwischen Anspruch und Wirklichkeit klaffen ex- damit; dann wird es Ihnen im Detail klar. treme Lücken, die geschlossen werden müssen, will (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – man der drohenden Gefahr des Glaubwürdigkeits- Ulrich Kelber [SPD]: Weil der Bundesrat es verlustes entgegenwirken. ändern will, verstehen wir es nicht! Das ist Mit dieser Novelle machen Sie aus der klaffenden Lücke eine interessante Logik!) einen tiefen Graben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dirk Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Becker [SPD]: Das ist doch nicht wahr!) Das Wort hat nun der Kollege Dirk Becker von der SPD-Fraktion. Um das Problem der Novelle klarzumachen, muss man sich vergegenwärtigen, welches die Hauptursachen (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) für das bereits stattfindende Artensterben in der Bundes- republik sind. Es sind Landwirtschaft, Forstwirtschaft Dirk Becker (SPD): und Jagd. Wie gehen Sie denn jetzt mit den Problemen Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! um? Sie schreiben in die Novelle zum Bundesnatur- Wir sind zu einer Aktuellen Stunde zusammengekom- 9104 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 90. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. März 2007

Dirk Becker (A) men, die den Titel „Schutz der Biodiversität in der EU (Undine Kurth [Quedlinburg] [BÜNDNIS 90/ (C) ohne Deutschland“ trägt. Ich habe selbst in den Beiträ- DIE GRÜNEN]: Das ist eine Frage!) gen der Grünen dazu bisher recht wenig gehört; sie ver- steifen sich auf einige wenige Punkte. zu beantragen, ist nach meiner Einschätzung abenteuer- lich, unbegründet und geht am Thema weit vorbei. Ich (Undine Kurth [Quedlinburg] [BÜNDNIS 90/ will das sehr deutlich machen; denn Sie stellen auch ein DIE GRÜNEN]: Die sind aber wichtig!) Stück Ihrer eigenen Politik der Vergangenheit und die Politik des Bundestages und der Bundesregierung insge- Ich vermisse ein bisschen die sogenannte ganzheitli- samt in Frage. che Betrachtung, wenn man von der Rolle und der Ver- antwortung Deutschlands in der Europäischen Union (Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- spricht. NEN]: Ach herrje!) (Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE Ich möchte daher an dieser Stelle Achim Steiner be- GRÜNEN]: Wir sprechen von der Novelle mühen. Achim Steiner ist Chef der UNEP und hat zur zum Bundesnaturschutzgesetz! Politik kon- Rolle Deutschlands im Rahmen der G-8-Politik anläss- kret!) lich der Unterzeichnung der „Potsdam-Initiative“ zur biologischen Vielfalt Folgendes gesagt: Mit der „Pots- – Sie sollten von der Aktuellen Stunde sprechen, die Sie dam-Initiative“ erleben wir einen Wendepunkt in der in- selber beantragt haben, oder sich die Fragestellung vor- ternationalen Politik im Rahmen des Schutzes der Bio- her besser überlegen, Herr Hofreiter. diversität. Nie zuvor ist im Rahmen eines G-8-Vorsitzes so früh und weitreichend ein Beschluss zum Schutz der (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Biodiversität gefasst worden. – Kollege Pries hat auf die Bedeutung des Verlusts der (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) biologischen Vielfalt hingewiesen. Wir sind uns alle hin- sichtlich dieser Bedeutung einig und wissen, dass im öf- Das basiert auf dem Engagement des BMU und der deut- fentlichen Bewusstsein diese Bedeutung nicht hinrei- schen Politik. Darauf können wir ein Stück stolz sein. chend verankert ist. Das ist eine Herausforderung an Wir sagen dem BMU ausdrücklich Dank für diese vor- Politiker aller Parteien und dürfte im Deutschen Bundes- bereitenden Arbeiten. tag nicht zum Streit führen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Dies gilt ebenso für das gemeinsame Ziel, bis 2010 Ich könnte dies fortführen. Sie haben die Rolle der den Verlust der Biodiversität signifikant einzuschränken EU angesprochen. Bitte nehmen Sie zur Kenntnis, dass (B) und auf europäischer Ebene ganz zu stoppen. Ich sage gerade der Schwerpunkt Biodiversität ein entscheiden- (D) ganz deutlich, dass wir von diesem Ziel noch ein ganzes des Kriterium der EU-Ratspräsidentschaft sein wird. Stück entfernt sind. Dies muss man deutlich sagen; da Erstmalig hat eine Nation im Rahmen der Ratspräsident- gibt es nichts schönzureden. Bevor man diesbezüglich schaft die beiden folgenden Präsidentschaften mit ins auf andere Nationen zeigt, muss man natürlich vor der Boot genommen, um politische Akzente – in diesem Fall eigenen Haustür kehren und feststellen, was wir selber für die Biodiversität – für einen Zeitraum von noch mehr tun können, um diesem Ziel nahe zu kom- 18 Monaten zu setzen, das heißt Kontinuität zum Schutz men. Ich will selbst durchaus kritisch mit den Fragen der Biodiversität zu erreichen. Ich finde, auch dies ist ein möglicher nationaler Missstände umgehen. lohnenswerter Beitrag und macht die Verantwortung der Sie haben heute Mittag in der Fragestunde beispiels- deutschen Politik zum Schutz der Biodiversität mehr als weise die Tatsache angesprochen, dass in einigen Bun- deutlich. desländern die Umsetzung der FFH- und der Vogel- Die Rolle Deutschlands im Rahmen der CBD ist an- schutzrichtlinie zumindest schleppend, wenn nicht geklungen. Ich möchte sehr deutlich machen, dass unvollständig ist. Dies muss man als Umweltpolitiker Deutschland als Gastgeber der nächsten Vertragsstaaten- deutlich missbilligen; das ist doch völlig klar. Ebenso konferenz mit vielen Vorschusslorbeeren, aber auch mit müssen wir deutlich machen, dass ein nationaler Biotop- vielen Erwartungen bedacht wird. Das hat einen guten verbund für den Bereich der Biodiversität von herausra- Grund. Diese Erwartungshaltung hat sich die deutsche gender Bedeutung ist. Der Bundesumweltminister und Politik erarbeitet. Wer schon einmal mit Vertretern ande- auch der Parlamentarische Staatssekretär – der eine bei rer Nationen gesprochen hat, der weiß, wie hoch das An- der Pressekonferenz, der andere hier im Parlament – ha- sehen Deutschlands aufgrund des Wirkens im Rahmen ben das sehr deutlich unterstrichen und die Position der der Konvention für die biologische Vielfalt ist. Die Staa- Bundesregierung, die wir voll und ganz teilen, klarge- ten setzen eine sehr hohe Erwartung in Deutschland, stellt. weil sie wissen, dass Deutschland Motor und verlässli- cher Partner im Bereich des Schutzes der biologischen (Beifall bei der SPD) Vielfalt ist. Aus der Benennung einiger Defizite – ich könnte den (Lutz Heilmann [DIE LINKE]: Lächerlich!) andauernden Flächenverbrauch in Deutschland hinzufü- gen; es gibt, wie gesagt, Missstände – eine Aktuelle Die Mitarbeiter des BMU arbeiten aufklärend hinter den Stunde mit dem Thema „Schutz der Biodiversität in der Kulissen und versuchen, andere Nationen mitzunehmen. EU ohne Deutschland“ Die deutsche Politik, insbesondere die Arbeit des deut- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 90. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. März 2007 9105

Dirk Becker (A) schen Umweltministeriums, ist wirklich hoch geschätzt kanzlerin auf internationalem Parkett (C) und anerkannt. überrascht waren. Ich finde, Defizite zu benennen ist das eine, aber zu (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- sagen, Schutz der Biodiversität finde in Europa ohne neten der SPD) Deutschland statt, Ich darf gern daran erinnern, dass im Juni dieses Jah- (Undine Kurth [Quedlinburg] [BÜNDNIS 90/ res die 14. Vertragsstaatenkonferenz des Washingtoner DIE GRÜNEN]: Fragezeichen!) Artenschutzübereinkommens in Den Haag stattfinden wird. Hier hat Deutschland ebenfalls die Verantwortung geht völlig am Thema vorbei. Wir haben auch in Zukunft übernommen, einen wesentlichen Schwerpunkt, insbe- einen verantwortungsvollen Umgang mit der Umwelt. sondere zum Schutz der marinen Arten, zu setzen. Wir wollen diese Verantwortung wahrnehmen. Ich würde mich freuen, wenn auch die Opposition zu einem Ich möchte einen konkreten Lebensraum ansprechen, verantwortungsvollen Umgang mit diesem Thema zu- der gerade für die Biodiversität eine besondere Bedeu- rückfinden würde. tung hat, nämlich die Weltmeere. Dies ist eines der ar- tenreichsten Ökosysteme überhaupt. Man ist bisher da- Vielen Dank. von ausgegangen, dass es auf unserem Planeten etwa (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Jan 1,4 Millionen unterschiedliche Arten gibt. Erst seit we- Mücke [FDP]: Aber immer!) nigen Jahren wissen wir aufgrund neuer Forschungs- ergebnisse, dass in den Tiefen der Meere über diese 1,4 Millionen Arten hinaus noch etwa 10 bis 30 Millio- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: nen weitere, bisher völlig unbekannte und unerforschte Das Wort hat jetzt der Kollege Ingbert Liebing von Arten existieren. Insofern ist dies sicherlich einer der der CDU/CSU-Fraktion. sensibelsten Lebensräume, der gefährdet ist. (Beifall bei der CDU/CSU) Der Klimawandel macht vor den Meeren nicht halt. Wir kennen die Folgen der Erderwärmung, der Meeres- Ingbert Liebing (CDU/CSU): erwärmung. Die Versauerung und natürlich auch die Verschmutzung durch menschliches Handeln machen Herr Präsident! Meine sehr geehrten Kolleginnen und den Meeren zu schaffen. Die Meere beherbergen zu- Kollegen! Die Fraktion der Grünen hat ihren Antrag auf gleich die größten Tiere, die Wale, die wegen ihrer gerin- Durchführung dieser Aktuellen Stunde mit dem Vorwurf gen Vermehrungsrate ebenfalls besonders gefährdet verbunden, Deutschland würde den Natur- und Arten- sind. All diese Themen gehen wir an, und wir setzen (B) schutz eher schwächen als stärken. In der Debatte ist (D) Signale, insbesondere für die internationalen Verhand- deutlich geworden, dass diese Vorwürfe ins Leere gehen lungen. und diese Debatte eigentlich an den Haaren herbeigezo- gen ist. Ich darf an den Antrag erinnern, den die Koalitions- fraktionen im vergangenen Jahr im Plenum zur Abstim- (Beifall bei der CDU/CSU – Undine Kurth mung gestellt haben; er wurde verabschiedet. Mit ihm [Quedlinburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- bekennen wir uns zum Schutz der Ökosysteme der Tief- NEN]: Das sehen wir anders!) see und schlagen konkrete Maßnahmen vor. Wir treten Dennoch bin ich Ihnen in gewisser Hinsicht sogar für die Ausweisung von Meeresschutzgebieten auf hoher dankbar dafür, dass wir diese Debatte führen, weil sie See und für die Ausweisung eines globalen Netzes von die Gelegenheit gibt, Ihre falschen Vorwürfe zurückzu- Meeresschutzgebieten ein. Wir treten für eine konkrete weisen und auf die Leistungen und das Engagement nachhaltige Fischerei ein, und wir engagieren uns gegen Deutschlands bei diesem wichtigen Thema – auch das zerstörerische und illegale Fischereipraktiken sowie ge- Engagement der Bundesregierung in diesem Bereich – gen Überfischung. hinzuweisen. Deutschland nimmt seine Verpflichtung Gern darf ich auch an den Koalitionsantrag erinnern, für den Naturschutz, für den Artenschutz wahr, insbe- der morgen im Plenum auf der Tagesordnung steht. Mit sondere im internationalen Rahmen. Die Erwartungen diesem Antrag bekennen wir uns zum Schutz der Wale gegenüber Deutschland sind sehr hoch. Der Kollege und treten für konkrete Maßnahmen zum Schutz der Becker hat dies gerade zum Ausdruck gebracht. Wale ein. Damit machen wir gegen den kommerziellen Deutschland, das derzeit eine Führungsrolle in der Walfang Front. Europäischen Union einnimmt – es hat die Ratspräsi- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- dentschaft inne –, hat in dieser Funktion einen Schwer- neten der SPD) punkt auf die Vorbereitung der 9. Vertragsstaatenkon- ferenz gesetzt, die im kommenden Jahr in Bonn stattfin- Dennoch kommen wir nicht an der Tatsache vorbei, den wird. Ich bin sehr sicher, dass diese Konferenz zu ei- dass der Klimawandel natürlich auch Auswirkungen auf nem guten Erfolg führen wird. Genauso sicher bin ich, die Meere und die Biodiversität dort hat. Es gibt invasive dass manche Kritiker und Skeptiker von heute noch Arten, die selber aggressiv gegen andere Arten auftreten: überrascht sein werden, so wie manche Kritiker der Bun- Die Pazifische Auster legt sich wie Beton in der Nordsee desregierung in den letzten Wochen über die erfolgrei- über andere Arten, und die Rippenqualle in der Ostsee che Politik der Bundesregierung und unserer Bundes- verdrängt dort andere Fischarten, wie wir es vom 9106 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 90. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. März 2007

Ingbert Liebing (A) Schwarzen Meer kennen. Wir können über Probleme allen europäischen Naturschutzverbänden eine Debatte (C) wie Ballastwasser reden: An dem Thema Klimawandel zu diesem Thema statt – das hat es bisher nicht gegeben! –, und seinen Auswirkungen auf die Biodiversität kommen auf deutsche Initiative. Auch das erwähnen Sie nicht. wir nicht vorbei. Deswegen ist auch dies ein Gegenstand Die Naturschutzdirektoren werden im Mai in Potsdam der „Potsdam-Initiative“ zum G-8-Gipfel. zusammenkommen, um ein europäisches Programm vorzubereiten. Das erwähnen Sie ebenfalls nicht. Sie Dies alles zeigt: Deutschland handelt. Deutschland schreiben einfach: ohne deutsche Beteiligung. Wenn nimmt seine Verantwortung ernst, international wie im man ein Thema so behandelt, dann muss man sich auch eigenen Land. Wir, die CDU/CSU-Fraktion, unterstützen gefallen lassen, dass man gefragt wird – es tut mir leid, die Bundesregierung bei ihrer Arbeit. wenn ich das so sagen muss –, ob man die Fakten über- Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. haupt zur Kenntnis nimmt. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie des Abg. Hans-Kurt Hill [DIE LINKE]) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Ich bin auf Ihrer Seite, wenn Sie sagen, dass man bei Das Wort hat jetzt der Parlamentarische Staatssekretär diesem Thema ernsthaft diskutieren muss, weil unser Michael Müller. Verständnis von Natur sehr viel mit europäischer Kultur zu tun hat. Es ist leider so, dass es in der europäischen Michael Müller, Parl. Staatssekretär beim Bundesmi- Geschichte immer eine Art Naturvergessenheit gegeben nister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: hat. Das geht sehr tief. Fast alle großen Philosophen, Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben auch der europäischen Moderne, der Aufklärung, von vorhin in der Fragestunde schon ziemlich ausführlich John Locke über Newton bis hin zu Descartes, haben über manche der jetzt anstehenden Aspekte gesprochen. Natur immer so verstanden, dass man sie beherrschen Aber es ist wichtig, das noch einmal im Zusammenhang muss. Es galt das Verständnis: Wir sind Meister der Na- darzustellen; da ist, glaube ich, auch etwas falsch ver- tur, Herrscher über die Natur. – Selbst Kant hat noch in standen worden. der „Kritik der Urteilskraft“ geschrieben: Nur der Mensch ist alles, und die Natur hat sich dem unterzuord- (Zuruf von der CDU/CSU: Das scheint mir nen. – Das ist eine tiefe Prägung im europäischen Geist. auch so zu sein!) Wir wissen auch, dass beispielsweise die Naturver- Man kommt dadurch aus meiner Sicht zu Schlussfolge- gessenheit, die Entsinnlichung im Verhältnis zur Natur rungen, die sich – wenn man genauer hinschaut, erkennt eigentlich eines der tragenden Elemente der modernen man das – eigentlich ein bisschen auf die eigene Ge- (B) Fortschrittsgeschichte war, die wir erst im 20. Jahrhun- (D) schichte beziehen. dert zu überwinden begonnen haben. Insofern kann man Klaus Töpfer hat in seiner Zeit als Umweltminister das nicht aus einem, wie ich finde, überheblichen Stand- gesagt, dass die klaffende Wunde der deutschen Um- punkt heraus behandeln, sondern muss schon versuchen, weltpolitik das fehlende Naturschutzgesetz war. Da diese europäische Geschichte aufzugreifen und – das muss man, was die eigene Geschichte angeht, auch wenn halte ich für wichtig – zu einem anderen Verständnis von wir sicherlich erst ein Stück des Weges gegangen sind, Natur zu kommen. froh sein, dass wir in Deutschland in den letzten Jahren ein gutes Naturschutzgesetz geschaffen haben. Ich kann (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) nicht verstehen, warum man das jetzt hier kleinmachen Drei zentrale Themen gibt es, bei denen sich die Um- will. weltpolitik auszeichnen muss; sie gehören sehr stark zu- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Zu- sammen: ruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Erstens. Zunehmende Ressourcenknappheit. – Ich komme auf Sie zurück. Sie haben wirklich etwas Zweitens. Klimawandel. Der Klimawandel ist auch eklatant missverstanden. Ich will versuchen, das zu er- ein zentrales Problem für den Artenschutz, also für die klären. Tier- und Pflanzenwelt. Ich habe die Zahlen vorhin Da wird ein Titel wie „Biodiversitätsschutz in der EU schon zitiert. In den nächsten Jahrzehnten sind 5 bis ohne deutsche Beteiligung“ formuliert. Dahinter wird 30 Prozent der Pflanzen- und Tierarten durch den Klima- nicht einmal ein Fragezeichen gesetzt. Da ist man doch wandel gefährdet. In Deutschland werden wir vor allem irgendwo in einer anderen Welt. Ich kann das nicht nach- erleben, dass sich die Standorte von Tieren und Pflanzen vollziehen; es tut mir leid. sehr nach Norden bzw. Nordosten verlagern, dass in ei- nigen Gebieten zum Teil dramatische Zuspitzungen mit (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der Aussterbeprozessen stattfinden, insbesondere dort, wo es FDP) größere Trockenheit geben wird. Das ist in der Tat ein Ich beziehe das jetzt einmal auf die EU. Die Dreier- ganz großes Problem. präsidentschaft, also Slowenien, Portugal und Deutsch- Drittens. Biodiversität. land, wird ein sehr anspruchsvolles Biodiversitätspro- gramm für die EU vorlegen. Das ist vorbereitet, und das Wenn wir das alles wissen, dann müssen wir das wissen Sie auch. Zum ersten Mal überhaupt findet mit schon in den richtigen Zusammenhang stellen. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 90. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. März 2007 9107

Parl. Staatssekretär Michael Müller (A) Wir kommen zu einer Novelle, weil im deutschen Na- Kriterien. Noch einmal: Man kann es noch schärfer ma- (C) turschutzrecht das europäische Recht nur unzureichend chen, aber es ist eindeutig mehr als bisher. umgesetzt wurde. Das ist der Kern. Ich will hier nicht Dasselbe gilt für die Infrastruktur und bei Siedlungs- besserwisserisch sein, aber zweifellos war das Natur- vorhaben. Auch da waren zugelassene Eingriffe bisher schutzgesetz ein Produkt rot-grüner Politik. Insofern frei von Auflagen. Jetzt gelten die Verbote direkt bzw. müssen wir uns ein bisschen selbstkritisch fragen, wa- mit der Maßgabe der ökologischen Stabilität. Es ist eine rum wir es nicht in der Form umgesetzt haben, wie es die Stufe mehr; ich kann es immer nur wiederholen. Europäische Union jetzt verlangt. Das gilt dann auch für uns; da kann man sich nicht hinstellen und auf andere Noch einmal: Sie haben recht, wenn Sie sagen, wir zeigen. Das finde ich, ehrlich gesagt, unangemessen. müssen für den Naturschutz sehr viel mehr tun. Aber bitte akzeptieren Sie, dass wir mit den jetzigen Novellie- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten rungsvorschlägen mehr tun, als das bisherige Natur- der CDU/CSU) schutzgesetz, das unter der Regie von Jürgen Trittin ver- Herr Hofreiter, ich muss schon sagen, dass Sie ein abschiedet wurde, fordert. Lesen Sie die Vorschläge paar Punkte wohl falsch verstanden haben. Denn die No- wenigstens einmal, lesen Sie die Kommentare! Nehmen vellierung ist in der Regel eine Verschärfung. Der Popu- Sie die wenigstens zur Kenntnis, auch wenn Sie eine an- lationsbegriff ist beispielsweise im Gegensatz zum heu- dere Meinung vertreten. tigen Zustand ein schärferer Anspruch. (Zuruf von der CDU/CSU: Guter Ratschlag!) (Widerspruch des Abg. Dr. Anton Hofreiter Lesen Sie es nach, dann sehen Sie, dass es mehr ist als [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) das, was im bisherigen Gesetz von Jürgen Trittin steht. Ich gebe ja zu: Dieses Gesetz haben wir damals so ma- – Doch. Entschuldigung, lassen Sie mich das einmal er- chen müssen – ich war ja dabei –, weil wir große klären. In der Land- und Forstwirtschaft, wo wir bisher Schwierigkeiten mit der Zustimmung des Bundesrates den Bezug nur auf die Einhaltung der guten fachlichen hatten. Das ist gar keine Frage. Trotzdem gehen die jet- Praxis hatten, gilt jetzt der Populationsbezug. Den gab es zigen Vorschläge weiter als das bisherige Gesetz. Das bisher nicht. Es ist eine Verschärfung. Sie können natür- muss man bitte akzeptieren und nicht immer gleich nie- lich sagen, das reiche Ihnen nicht aus. Das finde ich in dermachen. Ordnung, aber gegenüber dem heutigen Zustand ist es eine Verstärkung. Ich habe auch den Eindruck, dass Sie die Aktuelle Stunde brauchen, um in Zeiten der ökologischen Debatte Bisher galt, wenn es nicht einen willkürlichen Verstoß wieder einmal deutlich zu machen, dass Ihre Partei ei- (B) gab, die Einhaltung der guten fachlichen Praxis als Ga- gentlich aus dieser Richtung kommt. (D) rantie für die Freistellung von den artenschutzrechtli- chen Verboten. Jetzt fordert man etwas mehr, nämlich (Zuruf von der CDU/CSU: Der Kollege Trittin den Erhalt der Population bzw. der ökologischen Stabili- ist ja gar nicht gekommen!) tät. Das ist mehr, und deshalb ist das, was Sie sagen, ob- Unter taktischen Gesichtspunkten verstehe ich das, aber jektiv falsch, wie uns auch alle an diesem Prozess Betei- in der Sache sind Ihre Vorwürfe nicht gerechtfertigt. Das ligten bestätigen. muss man schon einmal zur Kenntnis nehmen. Sie haben das Problem aus meiner Sicht auf die allge- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) meine Ebene gesetzt, aber es geht nicht um die allge- meine Ebene. Es geht um die speziellen Bereiche, in de- Meine Damen und Herren, ich finde es richtig, dass nen Siedlung und Landwirtschaft sich bisher wir im nächsten Jahr einen Schwerpunkt bei der Biodi- ausschließlich an der fachlichen Praxis zu orientieren ha- versität setzen, die in der Tat neben Klimaschutz und ben. Da fordern wir jetzt ein Kriterium mehr. Das müs- Ressourcenknappheit das dritte große ökologische sen Sie schon akzeptieren. Sie können sagen – das finde Thema ist. Wir werden uns in Umweltfragen nur dann ich ja in Ordnung –: Das reicht nicht aus, wir wollen viel glaubwürdig rechtfertigen können, wenn wir auch den mehr. – Nur muss ich dann sagen: Das ist bisher im Bun- Naturschutz sehr viel ernster nehmen, als das bisher der desnaturschutzgesetz nicht enthalten. Das, was wir jetzt Fall ist. machen, ist zumindest eine Stufe mehr als das bisherige (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Naturschutzgesetz. Wir sollten bitte immer noch bei den Fakten bleiben. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: (Beifall bei der SPD) Das Wort hat der Kollege Josef Göppel von der CDU/ CSU-Fraktion. Zweiter Punkt: Wir verschärfen eindeutig den Pro- jektbegriff. Der Projektbegriff wird jetzt deutlicher ge- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- fasst. Wir unterscheiden nicht mehr zwischen Flächen neten der SPD) innerhalb und außerhalb von Schutzgebieten, sondern es gilt jetzt eine gewisse Generalisierung in den Vorschrif- Josef Göppel (CDU/CSU): ten. Auch das ist eine Verschärfung. Sie kommen an dem Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Punkt nicht vorbei. Auch in dem Bereich korrigieren wir Zurzeit sorgen sich viele Deutsche um die Urwälder, ein Defizit im bisherigen Gesetz und verschärfen die weil zur Gewinnung von Palmöl Wälder abgeholzt wer- 9108 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 90. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. März 2007

Josef Göppel (A) den. Ich finde diese Sorgen gut und richtig, aber wir sel- den Artenschutz mehr erreichen, weil die Akzeptanz (C) ber sind nur dann glaubwürdig, wenn wir den Arten- wächst. schutz und den Naturschutz in unserem Land ernst nehmen. Deswegen ist das jetzige Urteil des Europäi- (Beifall bei der CDU/CSU) schen Gerichtshofes ein Anlass, sich wieder zu fragen: Ich möchte noch ein Beispiel aus dem Land Schles- Tun wir genug, und sind wir bisher den richtigen Weg wig-Holstein erwähnen. Umweltminister Christian von gegangen? Boetticher Eines ist sicher: Durch mehr Anbau von nachwach- (Michael Brand [CDU/CSU]: Der ist gut!) senden Rohstoffen und Biomasse in Deutschland be- kommen wir wieder mehr Nutzungsdruck. Als ich in den verfolgt mit lokalen Bündnissen ein neues Konzept, um 60er-Jahren meine Ausbildung als Förster begonnen die Managementpläne in den europäischen Schutzgebie- habe, war es noch so, dass möglichst jeder Quadratmeter ten umzusetzen. Wir werden sehen, dass er damit großen genutzt wurde. Dieser Nutzungsdruck steht uns nun wie- Erfolg hat. Denn wenn die örtliche Bevölkerung einbe- der bevor. Das ist natürlich eine besondere Herausforde- zogen und ihr Ehrgeiz geweckt wird, dann erreicht man rung für den Artenschutz. Ich bin deshalb froh, dass wir mehr, als wenn mit starren Vorschriften Gegnerschaften die europäischen Schutzgebiete haben, Natura 2000. Das aufgebaut werden. hebt die Qualität unseres Landes mit Blick auf den Tou- (Beifall bei der CDU/CSU) rismus, aber natürlich auch die Attraktivität insgesamt. Regionale Wirtschaftsentwicklung hängt in vielen Teilen Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: unseres Landes eng mit einer intakten Naturqualität zu- sammen. Das gilt immer mehr. Als letzter Redner in dieser Aktuellen Stunde hat nun der Kollege Dr. Sascha Raabe von der SPD-Fraktion das Wenn man nun aber wissen will, warum diese euro- Wort. päischen Schutzgebiete eine so geringe Akzeptanz haben und warum es so viele Widerstände gibt, dann muss man (Beifall bei der SPD – Zuruf von der SPD: sich mit der traditionellen Nutzung beschäftigen. Diese Raabe spricht zum Artenschutz! Hervorra- Gebiete sind ja deshalb in den großen europäischen Ver- gend!) bund aufgenommen worden, weil sie durch die traditio- nelle Nutzung eine bestimmte Qualität behalten haben. Dr. Sascha Raabe (SPD): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen Werte Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, und Kollegen! Nachdem wir hier jetzt viel über den Na- nehmen Sie einmal folgendes Beispiel: Da ist ein alter turschutz in Deutschland gesprochen haben und die Ar- (B) Baumbestand, ein Buchenbestand; die Bäume sind (D) gumente dazu eigentlich schon ausgetauscht sind, 120 oder 130 Jahre alt und sollen nun genutzt werden. In möchte ich die Gelegenheit nutzen, in einer Aktuellen einigen Bäumen gibt es eine Spechthöhle. Diese Bäume Stunde, die den Begriff „Biodiversität“ im Titel trägt, et- darf der betreffende Waldbesitzer, obwohl es in diesem was zum Engagement der Bundesregierung sowie unse- Wald auch viele andere alte Bäume mit Spechthöhlen rer Fraktion, der SPD, gemeinsam mit der CDU/CSU im gibt, nicht umschneiden. Das ist in meinen Augen eine Bereich der Entwicklungsländer zu sagen; denn 80 Pro- zu enge Auslegung der europäischen Vorschrift. zent aller genetischen und biologischen Ressourcen lie- Ich glaube, dass die Novellierung des Gesetzes, die gen nun einmal in den Entwicklungsländern. auf die lokale Population abzielt, genau richtig ist. Deswegen ist es gut, dass wir Maßnahmen, die sicher- (Beifall bei der CDU/CSU) lich auch schon die Vorgängerregierung getroffen hat, fortführen und 180 Projekte in den Partnerländern be- Denn damit schaffen wir mehr Akzeptanz; die Zustim- treiben. mung zu solchen Gebieten wächst. Ich nenne einmal schlagwortartig ein paar Zahlen. Das gilt auch für die Arten, deren Bestand sich erfreu- Wir geben im Augenblick 300 Millionen Euro für die lich entwickelt. Ein typisches Beispiel in Süddeutsch- laufenden Biodiversitätsprojekte aus, um die biologische land ist der Biber. Der Biber steht für eine sehr erfolgrei- Vielfalt zu schützen. Wir geben allein 125 Millionen che Wiedereinbürgerung einer Art in Deutschland. Aber Euro für den Schutz des Waldes und vor allem für den wir müssen sehen, dass er sich so erfolgreich vermehrt, Schutz des Tropenwaldes aus. Ich nenne beispielsweise dass es an einigen Stellen Probleme gibt. Deshalb plä- auch das PP-G7-Programm in Brasilien – es dient dem diere ich auch hier für Flexibilität. Wenn er den Damm Schutz des Amazonas-Regenwaldes –, in das bereits von Kläranlagen durchlöchert oder an Straßen heran- 360 Millionen US-Dollar geflossen sind. Der deutsche geht, dann muss es möglich sein, einzelne Exemplare im Anteil betrug 45 Prozent. Das ist eines der erfolgreichs- Sinn der Gesamtpopulation wegzunehmen. ten Projekte von GTZ und KfW. Dieses Projekt findet (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – eine große Akzeptanz in der brasilianischen Bevölke- Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE rung. An der globalen Umweltfazilität, GEF genannt, hat GRÜNEN]: Das ist doch jetzt schon möglich!) sich Deutschland bisher mit 365 Millionen US-Dollar beteiligt und ist damit der drittgrößte Geber. Deswegen, Herr Kollege Hofreiter, brauchen wir eine flexiblere Handhabung des Begriffes „erhebliche Schä- Was verbirgt sich hinter diesen Zahlen? Ich will ein- den“. Glauben Sie mir: Im Ergebnis werden Sie dann für mal im Bereich Tropenwaldschutz bleiben. Dieser ist für Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 90. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. März 2007 9109

Dr. Sascha Raabe (A) die Biodiversität von großer Bedeutung. In den Regen- zung ermöglichen – das tun wir mit unseren Waldschutz- (C) wäldern kann man auf jedem Meter die Vielfalt sozusa- programmen –, damit die Bevölkerung mittels der gen greifen; viele Arten sind noch gar nicht entdeckt Erzeugung von Pflanzenprodukten oder mittels FSC worden. Aber auch für den Klimaschutz ist dieses – das ist ein Gütesiegel für Holz – den Tropenwald auch Thema ganz wichtig; denn die Brandrodungen und die in den Randzonen nutzen kann. Abholzungen haben einen Anteil von etwa 20 Prozent an Wir wissen, dass allein der Welthandel mit Heilpflan- der durch den CO2-Ausstoß verursachten Erwärmung. Deswegen ist es ganz wichtig, dass sich Deutschland in zen 800 Million US-Dollar ausmacht. Das Schlagwort diesem Bereich international engagiert. vom gerechten Vorteilsausgleich, der auch in den inter- nationalen Verhandlungen thematisiert wird, ist wichtig. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Nicht nur die Pharmaziebetriebe und Konzerne in den Industrieländern dürfen von der Biovielfalt profitieren. Nicht nur mit Geld, sondern auch durch Armutsbe- Vor allem muss sie den Menschen vor Ort zugutekom- kämpfung muss die Biodiversität erhalten und der Wald men. geschützt werden. Deswegen hängt Entwicklungszusam- menarbeit ganz eng mit dem Thema Biodiversität zu- Lassen Sie mich enden mit dem Satz „Global denken sammen. Wenn Menschen kein Land haben, dann wer- und lokal handeln“. Wer möchte, dass im Sinne der Bio- den sie eher gezwungen sein, Waldflächen zu roden. vielfalt zum Beispiel die Löwen in Afrika geschützt wer- Wenn Menschen keinen Zugang zu moderner Energie- den, der darf in Deutschland nicht Bruno, den Problem- versorgung haben – in Afrika beispielsweise decken die bären, abschießen, nur weil er ein paar Schafe gerissen Menschen zu 70 bis 80 Prozent ihren Energiebedarf hat. Die Farmer in Afrika haben die gleichen Probleme. durch Holz –, dann ist es eine wichtige Aufgabe für uns, Wir müssen lernen, mit wildlebenden Tieren, wenn sie dass wir mit erneuerbaren Energien wie Windkraft oder hier angesiedelt werden sollen, umzugehen. Wir müssen Photovoltaik den Menschen eine Energieversorgung er- lernen, mit der Natur zu leben. möglichen, sodass sie nicht auf Holzressourcen zurück- greifen müssen. In dem Sinne sage ich: Lasst künftig Brunos Kinder leben! Dann werden wir weltweit glaubwürdig sein. So (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten können wir die Biodiversität erhalten und schützen. des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich danke für die Aufmerksamkeit. Natürlich müssen wir auch schauen, dass die Ent- wicklungsländer einen Ausgleich dafür bekommen, dass (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem sie auch für uns ihre Biodiversität sozusagen zur Verfü- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (B) gung stellen. Angesichts der Tatsache, dass wir in (D) Europa in der Vergangenheit zum großen Teil unsere Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Wälder genutzt haben, fragen sich Länder wie Brasilien Die Aktuelle Stunde ist beendet. und Indonesien, warum sie die grüne Lunge der Welt sein sollen und warum sie Naturschutzparks einrichten Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tages- sollen. Gleichzeitig müssen diese Länder ihre Bevölke- ordnung. rung ernähren. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun- Ich glaube, darauf müssen wir zwei Antworten geben. destages auf morgen, Donnerstag, den 29. März 2007, Zum einen müssen wir Schutzprogramme in Kernzonen 9 Uhr, ein. weiterhin durchführen und den Regierungen die Mittel Die Sitzung ist geschlossen. geben, der Bevölkerung vor Ort einen Ausgleich zu ge- währen. Zum anderen müssen wir eine nachhaltige Nut- (Schluss: 16.50 Uhr)

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(A) Anlagen zum Stenografischen Bericht (C)

Anlage 1 sche Förderfonds sowie das existierende Informations- und Beratungsangebot zu Antragsverfahren sowie Fördermöglich- Liste der entschuldigten Abgeordneten keiten kultureller Projekte aus Mitteln der EU-Strukturfonds im derzeitigen Informationsangebot der zuständigen Landes- ministerien bzw. -behörden? entschuldigt bis Hält sie eine verbesserte kulturspezifische Aufbereitung Abgeordnete(r) einschließlich des Informationsangebots für die Nutzung der EU-Struktur- und Regionalprogramme durch die fondsverwaltenden Behör- den und Kontaktstellen in den Ländern und deren verstärkte von Bismarck, CDU/CSU 28.03.2007 Zusammenarbeit mit dem Cultural Contact Point Germany als Carl-Eduard Informations- und Kontaktstelle des Bundes für sinnvoll?

Bulmahn, Edelgard SPD 28.03.2007 Zu Frage 1: Burkert, Martin SPD 28.03.2007 Es besteht sowohl auf europäischer als auch auf natio- naler Ebene ein vielfältiges und miteinander vernetztes Dreibus, Werner DIE LINKE 28.03.2007 Informationsangebot für den Zugang Kulturschaffender zu Erstinformationen über kulturrelevante europäische Ernstberger, Petra SPD 28.03.2007 Förderfonds. Gleiches gilt für Informationsangebote zur Durchführung der konkreten Antragstellung zur Einlei- Friedhoff, Paul K. FDP 28.03.2007 tung einer Fördermaßnahme. Die Informationsangebote der einzelnen Akteure verfügen im Regelfall über eine Dr. Götzer, Wolfgang CDU/CSU 28.03.2007 Präsenz im Internet und sind dort untereinander verbun- Hilsberg, Stephan SPD 28.03.2007 den. Über die kulturspezifischen europäischen Förder- programme (beispielsweise im Rahmen von Kultur 2000 Dr. Koschorrek, Rolf CDU/CSU 28.03.2007 bzw. 2007 bis 2013) informiert die Internetseite der Ge- neraldirektion Bildung, Audiovisuelles und Kultur der Dr. Krüger, Hans-Ulrich SPD 28.03.2007 Europäischen Kommission. Hier finden sich auch wei- terführende Links zu den Informationsseiten der im Ja- Lintner, Eduard CDU/CSU 28.03.2007* nuar 2006 neu gegründeten „Exekutivagentur Bildung, (B) Audiovisuelles und Kultur“ und der Culture Contact (D) Lopez, Helga SPD 28.03.2007 Points (CCP) aller europäischer Mitgliedstaaten, darun- ter auch des CCP in Bonn. Aufgabe der europäischen Merten, Ulrike SPD 28.03.2007 Exekutivagentur ist die Durchführung einzelner Pro- grammteile, unter anderem auch die Fondsverwaltung Dr. Priesmeier, Wilhelm SPD 28.03.2007 der Förderprogramme Kultur 2000 bzw. Kultur 2007 bis 2013. Über das für Medienvorhaben geeignete Förder- Raidel, Hans CDU/CSU 28.03.2007 programm MEDIA 2007 und das hierfür erforderliche Antragsverfahren informieren die europäischen MEDIA Reichel, Maik SPD 28.03.2007 Desks, deren Beratungsangebot mit den Cultural Contact Points vergleichbar ist. Eine Übersicht aller öffentlichen Roth (Esslingen), Karin SPD 28.03.2007 Förderprogramme in Europa für die Filmindustrie bzw. den audiovisuellen Sektor auf nationaler und europäi- Runde, Ortwin SPD 28.03.2007 scher Ebene bietet darüber hinaus KORDA. Sie ist eine Thönnes, Franz SPD 28.03.2007 im Zuge des „Audiovisuellen EUREKA“ entstandene europäische Einrichtung des öffentlichen Rechts und Wellenreuther, Ingo CDU/CSU 28.03.2007 wurde im Rahmen des Europarates etabliert. Von den kulturspezifischen europäischen Förderfonds zu unter- scheiden sind die Fördermöglichkeiten kultureller Pro- * für die Teilnahme an den Sitzungen der Parlamentarischen Ver- jekte aus Mitteln der EU-Strukturfonds. Aufgabe der sammlung des Europarates EU-Strukturpolitik ist in erster Linie das im Art. 158 EG-Vertrag genannte Ziel der Stärkung des wirtschaftli- chen und sozialen Zusammenhalts der Gemeinschaft, Anlage 2 das heißt insbesondere der Abbau von regionalen und Antwort sozialen Disparitäten. Deutlicher als bisher sollen die EU-Strukturfonds in der aktuellen Förderperiode 2007 des Staatsministers Bernd Neumann auf die Fragen der bis 2013 zur Stärkung von Wachstum, Wettbewerbsfä- Abgeordneten Dr. Uschi Eid (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- higkeit und Beschäftigung in Europa beitragen. Die EU- NEN) (Drucksache 16/4802, Fragen 1 und 2): Strukturfonds stellen ein regionalpolitisches Instrument Wie beurteilt die Bundesregierung den Zugang für Kultur- dar. Sie können nur dann für kulturelle Zwecke einge- akteure zu Erstinformationen über kulturrelevante europäi- setzt werden, wenn die geförderten Maßnahmen einge- 9112 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 90. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. März 2007

(A) bettet sind in eine Gesamtstrategie des Mitgliedstaates Derzeit sind auf dem Gebiet des Freistaates Sachsen (C) bzw. der Region zur Überwindung strukturpolitischer rund 3 800 Vollzugsbeamtinnen und -beamte der Bun- Probleme. Die Entscheidung über die Nutzung dieser despolizei beschäftigt. Möglichkeit obliegt den Regionen. Da die EU-Struktur- Eine Aussage über den Personalbestand in Sachsen politik nicht auf die Förderung bestimmter Zielgruppen, nach dem 1. Januar 2008 kann aufgrund der vorgesehe- Sektoren oder Branchen ausgerichtet ist, liegt der nen Neuorganisation der Bundespolizei derzeit noch Schwerpunkt der Informationsangebote auf allgemeinen nicht getroffen werden. Fragen der Förderung, der Förderinhalte, des Antrags- und Bewilligungsverfahrens, der Zuständigkeiten etc. Die für die EU-Strukturfonds zuständigen Länder stellen Anlage 4 hier ein breites Informationsangebot zur Verfügung, das sowohl Webseiten, als auch Publikationen in gedruckter Antwort Form und Informationsveranstaltungen umfasst. Auf- des Parl. Staatssekretärs Alfred Hartenbach auf die Fra- grund der Vielzahl der hier tätigen Landesbehörden und gen des Abgeordneten Uwe Barth (FDP) (Drucksache der daraus folgenden Größe des Informationsangebots 16/4802, Fragen 4 und 5): ist eine abschließende Beurteilung durch die Bundesre- gierung nicht möglich. Es ist auch nicht Aufgabe der Ist der Bundesregierung bekannt, dass es in den Kommu- nen der ostdeutschen Bundesländer noch viele Grundstücke Bundesregierung, einzelne Informationsangebote der gibt, die unter Umständen im Geltungsbereich des Verkehrs- Länder zu kommentieren. flächenbereinigungsgesetzes (VerkFlBerG) liegen, bei denen aber die Eigentumsverhältnisse, insbesondere die Adressaten Zu Frage 2: möglicher Kaufvertragsangebote bis heute unklar sind, und wenn ja, wie viele dieser Fälle sind der Bundesregierung in Die von der Bundesregierung geförderte Beratungs- den jeweiligen Bundesländern bekannt? stelle Cultural Contact Point in Bonn und die Webseite Plant die Bundesregierung vor dem Hintergrund, dass das „Europa fördert Kultur“ (http://www.europa-foerdert- gesetzliche Ankaufsrecht der Gemeinden und Städte in den ostdeutschen Bundesländern gemäß § 8 Abs. 1 VerkFlBerG kultur.info) informiert Interessenten sowohl über die am 30. Juni 2007 erlischt und dass eine Vielzahl der betroffe- Kulturförderprogramme der EU als auch über Förder- nen Kommunen ihr notarielles Kaufvertragsangebot wegen möglichkeiten aus Strukturfonds. Diese Informationen ungeklärter Eigentumsfragen nicht bis zum Ablauf dieser werden ergänzt durch von den Ländern eingerichtete In- Frist an die Grundstückseigentümer übermitteln können, eine Verlängerung dieser Frist, und wenn nein, welche gesetzgebe- formationsbüros und EU-Kontaktstellen, die das Bera- rischen Maßnahmen wird die Bundesregierung ergreifen, da- tungsangebot um eine regionale Perspektive erweitern. mit die betroffenen Kommunen die Möglichkeiten aus dem Grundsätzlich sind Verbesserungen zu begrüßen, die auf VerkFlBerG auch nach dem 30. Juni 2007 noch nutzen kön- (B) die bessere Nutzung der europäischen Förderprogramme nen? (D) abzielen, sowohl im Hinblick auf Informationsangebote als auch die Zusammenarbeit der in diesen Bereichen tä- Zu Frage 4: tigen staatlichen und privaten Stellen. Dies gilt auch für Der Bundesregierung ist bekannt, dass es nach wie die EU-Strukturfonds-Programme. Eine kulturspezi- vor Grundstücke in privatem Eigentum gibt, die zu öf- fisch ausgerichtete Aufbereitung von Informationen zu fentlichen Zwecken genutzt werden und bei denen die den EU-Strukturfonds durch die fondsverwaltenden Rechtsbereinigung nach dem Verkehrsflächenbereini- Stellen wäre allerdings nicht durch die primären Zielset- gungsgesetz noch nicht erfolgt ist. Darüber liegen insbe- zungen der EU-Strukturpolitik geboten und zielte auch sondere Informationen aus Thüringen vor, die auf den nicht auf die Hauptadressaten dieser Förderpolitik ab. Es dortigen Gemeinde- und Städtebund zurückgehen. Die ist Angelegenheit der Länder zu entscheiden, ob sie Bundesregierung hat über den Umfang der noch ausste- – etwa mit Blick auf die Förderung der Kulturwirtschaft henden Bereinigungsfälle keine Kenntnisse. oder den Kulturtourismus – dem Bereich der Kultur als Wirtschaftsfaktor größeres Gewicht einräumen und in Zu Frage 5: diesem Zusammenhang die Öffentlichkeitsarbeit bei der Die Bundesregierung plant weder gesetzgeberische EU-Strukturförderung intensivieren wollen. In diesem Initiativen zur Verlängerung der Abschlussfrist nach § 8 Falle würde sich eine Zusammenarbeit aller Stellen des Gesetzes noch weitergehende gesetzgeberische – den CCP eingeschlossen – anbieten, die die Nutzung Maßnahmen. Die Gründe dafür sind folgende: Erstens. von europäischen Förderprogrammen durch Kultur- Das Verkehrsflächenbereinigungsgesetz ist Ergebnis lan- schaffende erleichtern wollen. ger Beratungen in einer Bund-Länder-Arbeitsgruppe, die auf Initiative der Ost-Justizministerkonferenz im April 1999 gebildet worden war. In den Beratungen zum Ge- Anlage 3 setzentwurf ist zwischen den widerstreitenden Interessen Antwort der Grundstückseigentümer und der öffentlichen Nutzer die geltende Regelung über die Abschlussfrist als Kom- des Parl. Staatssekretärs Peter Altmaier auf die Frage des promiss vorgeschlagen worden. Dabei wurde berück- Abgeordneten Jan Mücke (FDP) (Drucksache 16/4802, sichtigt, dass die Eigentümer der Grundstücke bei Ab- Frage 3): lauf der Frist über einen Zeitraum von insgesamt fast Wie viele Bundespolizisten gibt es zurzeit auf dem Gebiet 17 Jahren nach der Wiedervereinigung keinen Zugriff des Freistaates Sachsen, und wie viele Bundespolizisten wird auf das Grundeigentum hatten und die Fremdnutzung es nach dem 1. Januar 2008 in Sachsen geben? hinnehmen mussten. Zugleich war den öffentlichen Nut- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 90. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. März 2007 9113

(A) zern bereits bei der Erarbeitung des Gesetzes das Pro- Wohlfahrtspflege auch die BAG Selbsthilfe und andere Orga- (C) blem der noch ausstehenden sachenrechtlichen Bereini- nisationen von Menschen mit Behinderungen als Träger des freiwilligen sozialen Jahres (§ 5 Abs. 1 FSJG) kurzfristig zu- gung seit langem bekannt. Es konnte erwartet werden, gelassen werden? dass die notwendigen vorbereitenden Maßnahmen zur rechtlichen Bereinigung bereits in Angriff genommen Nach dem Gesetz zur Förderung eines freiwilligen so- waren. Dabei wurde auch an ausstehende Vermessungs- zialen Jahres (FSJG) sind die in der Bundesarbeitsge- arbeiten und die Feststellung der Eigentumsverhältnisse meinschaft der freien Wohlfahrtspflege zusammenge- an den Grundstücken gedacht. Zweitens. Der Fristablauf schlossenen Verbände und ihre Untergliederungen kraft am 30. Juni 2007 bedeutet nicht, dass die zugrunde lie- Gesetzes Träger des freiwilligen sozialen Jahres (soge- genden Rechtsverhältnisse nicht mehr einer Rechtsberei- nannten „geborene Träger“). Nach § 5 Abs. 1 FSJG kann nigung zugeführt werden können. Er hat zunächst zur die zuständige Landesbehörde weitere Träger des frei- Folge, dass nach Ablauf der Abschlussfrist allein der willigen sozialen Jahres zulassen, wenn sie für eine den Grundstückseigentümer darüber entscheiden kann, ob er Bestimmungen des freiwilligen sozialen Jahres entspre- die Fläche an den öffentlichen Nutzer verkauft oder die chende Durchführung Gewähr leisten (sogenannten „ge- Zahlung eines Nutzungsentgeltes fordert oder aber korene Träger“). Selbsthilfeverbände und ihre Unterglie- schlicht nichts unternimmt. Wenn der öffentliche Nutzer derungen sind daher nicht von der Trägerschaft des an der Erlangung des Eigentums am Grundstück gegen freiwilligen sozialen Jahres ausgeschlossen, müssen je- den Willen des Grundstückseigentümers interessiert ist, doch ein Anerkennungsverfahren durch die jeweilige müsste im Einzelfall geprüft werden, ob die Vorausset- Landesbehörde durchlaufen. Die Regelung existiert in zungen einer Enteignung nach den jeweiligen Spezial- dieser Form seit den Anfängen des FSJ-Gesetzes im Jahr vorschriften (unter anderem nach den Straßengesetzen 1964. Das freiwillige soziale Jahr wurde nicht erst durch der Länder) vorliegen. Gegebenenfalls liefe dies aber auf das Gesetz ins Leben gerufen, sondern wurde bereits zu- eine Entschädigung in Höhe des Verkehrswertes des vor von Wohlfahrtsverbänden und Kirchen durchgeführt. Grundstücks hinaus. Drittens. Einer Fristverlängerung Da die in der Bundesarbeitsgemeinschaft der freien stehen darüber hinaus verfassungsrechtliche Bedenken Wohlfahrtspflege zusammengeschlossen Verbände seit entgegen: Die trotz der – in vielen Fällen auf Dauer an- jeher Aufgaben der sozialen Wohlfahrt wahrnehmen, ist gelegten – öffentlich-rechtlichen Nutzung der Grundstü- die Durchführung des freiwilligen sozialen Jahres ein cke bestehenden (eingeschränkten) Eigentumsrechte der Grundstückseigentümer fallen unter den Schutz des Bestandteil dieser Gesamtaufgabe. Aus diesen Gründen Art. 14 Abs. 1 Satz 1 des Grundgesetzes (GG). Jede Än- wurde von einem staatlichen Zulassungsverfahren für derung der mit dem Verkehrsflächenbereinigungsgesetz die in der Bundesarbeitsgemeinschaft der freien Wohl- vorgenommenen Ausgestaltung der Rechtsverhältnisse fahrtspflege zusammengeschlossenen Verbände abgese- muss sich an Art. 14 GG, insbesondere an den Grundsät- hen. Um eine Durchführung zu gewährleisten, die dem (B) (D) zen des Vertrauensschutzes und der Verhältnismäßigkeit, Bildungscharakter des freiwilligen ökologischen Jahres messen lassen. Unter Berücksichtigung der erheblichen und der besonderen Verantwortung für die teilnehmen- Belastung der Grundstückseigentümer, die über einen den jungen Menschen gerecht wird, ist bei den übrigen, langen Zeitraum zur Passivität gezwungen sind, und der nicht kraft Gesetzes anerkannten Träger, gerechtfertigt, Tatsache, dass den öffentlichen Nutzern der Ablauf der ein Anerkennungsverfahren im Einzelfall durchzufüh- Abschlussfrist frühzeitig bekannt war, sind aus verfas- ren. Die Bundesregierung prüft den Ausbau der Einsatz- sungsrechtlicher Sicht ernsthafte Bedenken gegen die felder befürwortend, um informelle Lernprozesse zu be- Verlängerung der Frist zu erheben. Die Grenze des den fördern – (siehe Stellungnahme der Bundesregierung Grundstückseigentümern Zumutbaren dürfte im Falle zum Evaluationsbericht der FSJ-Fördergesetze auf der Fristverlängerung überschritten sein. Viertens. Die Drucksache 16/2191). Als neue Einsatzfelder könnten Bundesregierung hat frühzeitig daran erinnert, dass es demnach Selbsthilfegruppen für eine Förderung in Be- den Bundesländern unbenommen bleibt, ihre Interessen tracht kommen, neben Familien mit Schwerpunkten im Wege einer Bundesratsinitiative zu vertreten. Eine Mehrgenerationenhäuser und Kinderbetreuung, Schulen Gesetzesänderung dürfte wegen der verfassungsrechtli- und Benachteiligte. chen Probleme aber kaum möglich sein, wenn allein die Abschlussfrist verlängert wird. Vielmehr müsste wohl das Konzept des Gesetzes in einer Weise verändert wer- Anlage 6 den, die den geschützten Interessen beider Seiten Rech- nung tragen würde. Antwort des Parl. Staatssekretärs Thomas Rachel auf die Frage der Abgeordneten Cornelia Hirsch (DIE LINKE) Anlage 5 (Drucksache 16/4802, Frage 24): Antwort Hält die Bundesregierung die gegenwärtige Kompetenz- aufteilung zwischen Bund und Ländern im Bildungsbereich des Parl. Staatssekretärs Dr. Hermann Kues auf die für angemessen, um erfolgreich auf die Kritik des UN-Son- derberichterstatters Vernor Muñoz am deutschen Bildungssys- Frage des Abgeordneten Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE) tem reagieren zu können (bitte mit Begründung)? (Drucksache 16/4802, Frage 10): Die Kompetenzen von Bund und Ländern sind durch Was wird die Bundesregierung tun, damit – wie auf dem das Grundgesetz geregelt. Die Bundesregierung sieht in Parlamentarischen Abend der Bundesarbeitsgemeinschaft (BAG) Selbsthilfe am 20. März 2007 von Vertreterinnen der der im Konsens mit den Ländern entwickelten Moderni- Bundesregierung zugesagt – neben den Verbänden der freien sierung der bundesstaatlichen Ordnung einen wichtigen 9114 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 90. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. März 2007

(A) Schritt zur Stärkung der Handlungsfähigkeit von Bund, Anlage 8 (C) Ländern und Kommunen. Im Rahmen der neuen Gemein- Antwort schaftsaufgabe nach Art. 91 b Abs. 2 GG stehen Bund und Ländern neue Instrumente zur Verbesserung der des Parl. Staatssekretärs Gerd Andres auf die Frage des Leistungsfähigkeit des Bildungswesens zur Verfügung, in Abgeordneten Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE) (Drucksa- deren Mittelpunkt die gemeinsame Bildungsberichter- che 16/4802, Frage 26): stattung steht. Die in der neuen Gemeinschaftsaufgabe Mit welchen Vertretern von Bundesbehörden sowie aus vorgesehenen gemeinsamen Empfehlungen geben Bund Betroffenenorganisationen (zum Beispiel dem Kulturverein und Ländern die Möglichkeit, auf der Grundlage der wis- der sehbehinderten Gehörlosen und Taubblinden e. V.) wird die Bundesrepublik Deutschland an der Weltkonferenz der senschaftlich fundierten Berichterstattung gemeinsam Taubblinden vom 25. bis 30. September 2007 in Australien Ziele für die Weiterentwicklung des Bildungswesens fest- teilnehmen? zulegen und durch koordinierte Maßnahmen in den je- weiligen verfassungsmäßigen Zuständigkeitsbereichen Bei der vom 25. bis 30 September 2007 in Perth (Aus- umzusetzen. tralien) stattfindenden Weltkonferenz der Taubblinden handelt es sich um eine Konferenz der Hilfe- und Selbst- hilfeorganisationen, zu der die Bundesregierung keine Einladung erhalten hat. Die Konferenz wird organisiert Anlage 7 von Deaf-Blind International (DBI), der Weltorganisation der Taubblinden und ihrer Selbsthilfe- und Hilfeorganisa- Antwort tionen. Die deutsche „Arbeitsgemeinschaft der Einrich- des Parl. Staatssekretärs Gerd Andres auf die Frage des tungen und Dienste für taubblinde Menschen“ (AGTB) ist Abgeordneten Jörg Rohde (FDP) (Drucksache 16/4802, in dieser Vereinigung als Large Corporate Member maß- Frage 25): geblich (im Council) vertreten. Im Namen der AGTB wird Herr Fuchs, der Vorsitzende des Verbandes der Blin- Welche konkreten Verbesserungen im Bereich der Früh- den- und Sehbehindertenpädagoginnen und -pädagogen, förderung behinderter und von Behinderung bedrohter Kinder hat es seit der gemeinsamen Erklärung der Beauftragten der an der Konferenz teilnehmen. Bundesregierung für die Belange behinderter Menschen, Karin Evers-Meyer, und der Beauftragten der Bundesregie- rung für die Belange der Patientinnen und Patienten, Helga Anlage 9 Kühn-Mengel, am 12. April 2006 (http://www.behindertenbe- auftragte.de/index.php5?nid=273&Action=home) gegeben, und Antwort erwägt die Bundesregierung Korrekturen im Bereich des der Parl. Staatssekretärin Marion Caspers-Merk auf die Neunten Buches Sozialgesetzbuch (SGB IX) und der Frühför- (D) (B) derverordnung, damit umgehend und flächendeckend allen Fragen des Abgeordneten Frank Spieth (DIE LINKE) behinderten und von Behinderung bedrohten Kindern die (Drucksache 16/4802, Fragen 37 und 38): Frühförderung als gemeinsame trägerübergreifende Komplex- leistung angeboten werden kann? Welche Ursachen sieht die Bundesregierung für den vom Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte festgestellten Die Regelungen des SGB IX und die Frühförderver- Sachverhalt, dass innerhalb der nächsten fünf Jahre zahlreiche Kinderarztpraxen aufgrund mangelnder Nachfolger schließen ordnung sind unmissverständlich und bieten eine zuver- müssen, und weshalb wird Ostdeutschland davon mit 60 Pro- lässige Rechtsgrundlage. Ergänzungen der bundesge- zent der Kinderarztpraxen fast doppelt so häufig betroffen setzlichen Regelungen sind nicht zwingend notwendig; sein wie Westdeutschland mit 35 Prozent? es handelt sich um ein Umsetzungsdefizit in einigen Welche Maßnahmen ergreift die Bundesregierung, um die Ländern. Vor dem Hintergrund, dass die Möglichkeit des flächendeckende medizinische Versorgung von Kindern und Jugendlichen zu gewährleisten, und inwiefern richtet sie ihre Abschlusses von Landesrahmenempfehlungen auf Bemühungen insbesondere auf die neuen Bundesländer? Wunsch der Länder in die Frühförderungsverordnung aufgenommen wurde, ist der Stand der Umsetzung auf Nach den der Bundesregierung vorliegenden Zahlen Ebene der Länder enttäuschend. Die rechtlichen Voraus- ist es zutreffend, dass in den nächsten Jahren ein Fünftel setzungen für die Weiterentwicklung der interdisziplinä- aller Kinderärzte in den Ruhestand gehen wird. Richtig ren Frühförderung waren nie besser. Dort, wo die ist aber auch, dass in den Ländern Berlin, Brandenburg, Beteiligten dazu bereit sind, sich entsprechend fortzuent- Bremen, , Sachsen, Schleswig-Holstein und wickeln, geben ihnen das SGB IX und die Frühförde- Thüringen Anfang 2005 wegen Überversorgung Zulas- rungsverordnung den rechtlichen Rahmen. Die bundes- sungssperren bestanden. Dies zeigt, dass die Ihrer Frage rechtlichen Vorgaben lassen den Beteiligten aber auch offenbar zugrunde liegende Vermutung, dass jeder aus- die notwendigen Spielräume, die zur Erhaltung der ge- scheidende Kinderarzt für die ambulante Versorgung der wachsenen Strukturen erforderlich sind. So müssen etwa Kinder zwingend erforderlich ist, nicht gerechtfertigt ist. dort, wo die frühen Hilfen für behinderte Kinder allein Hinzu kommt, das auch die demografische Entwicklung über sozialpädiatrische Zentren organisiert werden, zu berücksichtigen ist. So ist insbesondere in den neuen keine Strukturen wegbrechen. Die Beauftragten der Bun- Ländern in den letzten Jahren ein erheblicher Geburten- rückgang zu verzeichnen. desregierung für die Belange behinderter Menschen und für Patientinnen und Patienten setzen sich dafür ein, dass Der Bundesregierung liegen im Übrigen auch keine die Landesrahmenempfehlungen so zügig wie möglich Erkenntnisse darüber vor, dass „innerhalb der nächsten umgesetzt werden. Sie haben zu dem Thema wiederholt fünf Jahre zahlreiche Kinderarztpraxen aufgrund man- Veranstaltungen durchgeführt. gelnder Nachfolger schließen müssen“. Eine entspre- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 90. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. März 2007 9115

(A) chende Prognose entbehrt schon deshalb jeglicher Grund- (PflEG) wurden zusätzliche Leistungen und verbesserte (C) lage, weil das Niederlassungsverhalten von Ärzten nicht Versorgungsangebote für Pflegebedürftige mit erhebli- präzise vorhersehbar ist. Zudem sehen das Vertragsarzt- chem allgemeinem Betreuungsaufwand eingeführt und rechtsänderungsgesetz sowie das GKV-Wettbewerbsstär- damit wichtige Weichenstellungen getroffen, die die mit kungsgesetz zahlreiche Maßnahmen zur Sicherstellung der Pflege verbundenen Belastungen für die Familien einer flächendeckenden medizinischen Versorgung vor. aufzufangen helfen. Im Rahmen der Weiterentwicklung Erwähnen möchte ich hier insbesondere die Verbesserun- der Pflegeversicherung soll der Weg, der mit dem Pfle- gen bei der Zahlung von Sicherstellungszuschlägen an geleistungs-Ergänzungsgesetz beschritten wurde, weiter Vertragsärzte. So wurde mit dem Vertragsarztrechtsände- ausgebaut werden. rungsgesetz die Möglichkeit geschaffen, solche Sicher- stellungszuschläge nicht nur in unterversorgten Pla- nungsbereichen, sondern auch im Falle eines zusätzlichen lokalen Versorgungsbedarfs in einem nicht unterversorg- Anlage 11 ten Planungsbereich zu zahlen. Mit dem GKV-Wettbe- Antwort werbsstärkungsgesetz ist zudem vorgesehen, dass in den Jahren 2007 bis einschließlich 2009 die dann allein von der Parl. Staatssekretärin Marion Caspers-Merk auf die den Krankenkassen zu zahlenden Sicherstellungszu- Fragen der Abgeordneten Birgitt Bender (BÜND- schläge nicht mehr auf die Gesamtvergütung angerechnet NIS 90/DIE GRÜNEN) (Drucksache 16/4802, Fra- werden und außerdem die globale Begrenzung auf 1 Pro- gen 41 und 42): zent der Gesamtvergütung entfällt. Ab dem Jahr 2010 Wird die Bundesregierung den jüngsten Vorschlag der werden Versorgungsdefizite dann im Rahmen des neuen bayerischen Staatsministerin für Arbeit und Sozialordnung, Christa Stewens, nach dem von allen erwachsenen Versicher- Vergütungssystems durch Zu- und Abschläge zum ärztli- ten der sozialen Pflegeversicherung eine private, pauschale chen Honorar berücksichtigt. Zusatzprämie in Höhe von anfänglich 6 Euro pro Monat erho- ben werden soll, die jährlich zudem um 1 Euro steigen soll, aufgreifen, und wie begründet sie ihre Entscheidung? Anlage 10 Welche Schlüsse zieht die Bundesregierung aus der ableh- nenden Reaktion auf das bayerische Konzept aus einigen Antwort unionsregierten Ländern, wie zum Beispiel Nordrhein-West- falen oder Niedersachsen, trotz der Aussagen des bayerischen der Parl. Staatssekretärin Marion Caspers-Merk auf die Sozialministeriums, das Konzept sei unionsintern abge- Fragen der Abgeordneten Britta Haßelmann (BÜND- stimmt, für die weiteren Reformverhandlungen? NIS 90/DIE GRÜNEN) (Drucksache 16/4802, Fra- Zu Frage 41: (B) gen 39 und 40): (D) Welchen Zeitplan für die Reform der Pflegeversicherung Die Bundesregierung wird ein Konzept zur Reform verfolgt die Bundesregierung vor dem Hintergrund der jüngs- der Pflegeversicherung erarbeiten. Der Vorschlag der ten Auseinandersetzungen innerhalb der großen Koalition als bayerischen Ministerin für Arbeit und Sozialordnung auch innerhalb der Unionsparteien um die Finanzreform, und wann soll die Reform in Kraft treten? wird dabei als Diskussionsbeitrag zur Kenntnis genom- men. Welche Konsequenzen für die weitere Reformdiskussion zieht die Bundesregierung aus den Erkenntnissen einer aktuel- len Emnid-Studie, nach der sich 65 Prozent aller pflegenden Zu Frage 42: Angehörigen bei der Pflege eines Familienmitglieds unzurei- chend von Staat und Gesellschaft unterstützt fühlen und min- Dass im Vorfeld von wichtigen Reformen ein breiter destens 50 Prozent mit der Pflegesituation älterer Menschen Meinungsbildungsprozess unter den Ländern stattfindet, „überhaupt nicht“ bis „eher unzufrieden“ sind, und inwieweit ist notwendig, sinnvoll und üblich. werden diese Ergebnisse bei der Reform konkret berücksich- tigt?

Zu Frage 39: Anlage 12 Antwort Die Reform der Pflegeversicherung soll in diesem Jahr sorgfältig beraten werden und im Laufe des kom- der Parl. Staatssekretärin Marion Caspers-Merk auf die menden Jahres in Kraft treten. Dabei geht Qualität vor Fragen der Abgeordneten Elisabeth Scharfenberg Schnelligkeit. (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Drucksache 16/4802, Fragen 43 und 44): Zu Frage 40: Teilt die Bundesregierung die in der Presse vertretene Be- fürchtung, zum Beispiel der „Leipziger Volkszeitung“ vom Die Unterstützung pflegender Angehöriger ist von je- 22. März 2007, nach der bei der CDU-Führung die Überzeu- her ein wichtiges Anliegen der Bundesregierung. Viele gung reift, dass eine umfassende Reform der Pflegeversiche- Studien – und nicht nur die von den Marseille-Kliniken rung angesichts der Differenzen mit der SPD eher unwahr- in Auftrag gegebene Emnid-Umfrage – belegen, wie scheinlich sei und womöglich zu einem Thema des wichtig etwa die soziale Absicherung der Pflegeperso- Bundestagswahlkampfes 2009 werden könnte? nen, Schulungskurse oder auch andere individuelle Be- Erscheint der Bundesregierung angesichts dieser Beden- ratungsleistungen für die Aufrechterhaltung der häusli- ken der CDU ein Kompromiss der Koalitionsfraktionen der CDU/CSU und SPD zur Pflegereform überhaupt noch wahr- chen Pflegesituation sind. Schon mit dem zum l. Januar scheinlich, auch in Anbetracht der eindeutigen Aussage der 2002 eingeführten Pflegeleistungs-Ergänzungsgesetz Bundesministerin für Gesundheit, , ebenfalls in 9116 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 90. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. März 2007

(A) der „Leipziger Volkszeitung“, dass eine Verschiebung der Re- Welche Höhe hatten die Mittelzuweisungen für den Fern- (C) form auf die nächste Legislaturperiode unverantwortlich sei, straßenbau der einzelnen Bundesländer in den Jahren 2001 bis und welcher Kompromiss könnte dies sein? 2006, und in welchem Maße konnte damit der Investitionsbe- darf gemäß Bedarfsplan für die Bundesfernstraßen in den ein- Zu Frage 43: zelnen Ländern gedeckt werden? In der nachfolgenden Tabelle sind länderweise die In- Nein. vestitionsvolumen des Vordringlichen Bedarfs (VB) so- wie die jeweiligen Bedarfsplaninvestitionen im Zeitraum Zu Frage 44: 2001 bis 2006 dargestellt. Ja. Die Inhalte eines Kompromisses stehen naturge- Die Ausgaben 2001 bis 2006 ergeben sich einerseits mäß erst nach Abschluss der Beratungen fest. aus zeitbezogenen Sonderzuweisungen, wie zum Bei- spiel VDE, Antistauprogramm, Schwerpunktfinanzie- rung Stadtstaaten oder das 2-Milliarden-Euro- Anlage 13 Programm, und andererseits aus dem jeweiligen Länder- Antwort anteil an den um die Sonderzuweisungen reduzierten Be- darfsplanmitteln, der sich aus dem Quotienten des län- des Parl. Staatssekretärs Ulrich Kasparick auf die Frage derspezifischen Projektvolumens und des gesamten der Abgeordneten Veronika Bellmann (CDU/CSU) Investitionsvolumens für den Vordringlichen Bedarf er- (Drucksache 16/4802, Frage 45): gibt.

Maßnahmenvolumen Ausgaben Erfüllungsgrad2 Vordringlicher Bedarf1 2001 bis 2006 Millionen Euro Millionen Euro Prozent Baden-Württemberg 7 109 1 402 19,7 Bayern 7 675 2 620 34,1 Berlin 865 304 35,1 Brandenburg 2 771 1 006 36,3 (B) (D) Bremen 779 257 33,0 Hamburg 1 385 297 21,4 Hessen 4 358 620 14,2 Mecklenburg-Vorpommern 2 245 1 256 55,9 Niedersachsen 4 383 1 037 23,7 Nordrhein-Westfalen 8 916 1 834 20,6 Rheinland-Pfalz 2 802 651 23,2 Saarland 479 181 37,8 Sachsen 3 321 1 654 49,8 Sachsen-Anhalt 3 032 1 391 45,9 Schleswig-Holstein 2 460 355 14,4 Thüringen 4 296 2 419 56,3 56 876 17 284 30,4

1 Die Tabelle berücksichtigt die Kostensteigerungen der Projekte seit 2001, sodass sich ein aktuelles Gesamtvolumen von rund 57 Milliar-den Euro ergibt. Das ursprüngliche VB-Volumen des BVWP 2003 betrug 51,5 Milliarden Euro, wobei hierin wie bei dem fortgeschriebenen Maß- nahmenvolumen eine Planungsreserve in Höhe von 30 Prozent enthalten ist. Hierzu kommt, dass insbesondere bei größeren Projekten maßge- bende Finanzierungsanteile erst nach 2015 anfallen. 2 Der Erfüllungsgrad bezieht sich auf das aktuelle VB-Maßnahmenvolumen einschließlich der Planungsreserve. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 90. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. März 2007 9117

(A) Anlage 14 zahlenmäßig belegen, und wenn nein, wie stellt sich die regio- (C) nale Konzentration der Fördermittel in Ostdeutschland dar? Antwort Für die Behauptung, dass in Ostdeutschland mit der des Parl. Staatssekretärs Ulrich Kasparick auf die Fragen „Gießkanne“ gefördert wird, gibt es keinen Beleg. Aus- des Abgeordneten Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/ sagen zur regionalen Verteilung der Fördermittel lassen DIE GRÜNEN) (Drucksache 16/4802, Fragen 46 und 47): sich im Übrigen nicht treffen, weil es keine Statistik gibt, In welchem quantifizierbaren Maß sind die von der Bun- in der die Verteilung der Fördermittel aller Programme, desregierung als vorzugswürdig bezeichneten Instrumente zur mit denen der wirtschaftliche Aufbau in den neuen Län- Steigerung der Verkehrssicherheit auf Bundesautobahnen dern gefördert wird, auf die Regionen zusammengeführt wirksamer als ein Tempolimit auf Bundesautobahnen, und in- wird. Zweifellos war die Förderpolitik der Bundesregie- nerhalb welchen Zeitraumes greifen diese Instrumente? rung in den neuen Ländern insbesondere in den ersten In welchem quantifizierbaren Maß sind die von der Bun- Jahren darauf gerichtet, durch eine breit angelegte För- desregierung als vorzugswürdig bezeichneten Instrumente zur derung den in Ostdeutschland bestehenden Struktur- Verringerung der CO2-Emissionen auf Bundesautobahnen wirksamer als ein Tempolimit auf Bundesautobahnen, und in- schwächen zu begegnen. Die Bundesregierung hat je- nerhalb welchen Zeitraumes greifen diese Intrumente? doch bereits in den letzten Jahren die Fördermittel stärker auf die wachstumsrelevanten Bereiche, Investi- Zu Frage 46: tionen und Innovationen konzentriert. Bei der Investi- tionszulage werden nur noch Erstinvestitionen gefördert Die Autobahnen sind die sichersten Straßen Deutsch- und die Zulage wurde auf das verarbeitende Gewerbe lands. Die positive Entwicklung der Verkehrssicherheit und die produktionsnahen Dienstleistungen fokussiert. in den letzten Jahren ist Folge vielfältiger Maßnahmen Im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung im Bereich der Kraftfahrzeugtechnik, der Straßenver- der regionalen Wirtschaftsstruktur“, in der gewerbliche kehrstechnik und der Aufklärung der Kraftfahrer sowie Erstinvestitionen nur dann förderfähig sind, wenn der der Verkehrserziehung und der Überwachung. Das Zu- überregionale Absatz gewährleistet ist und Arbeitsplätze sammenwirken der vielfältigen Aktivitäten in diesen un- geschaffen oder gesichert werden, gibt es schon deshalb terschiedlichen Bereichen hat zu einem historischen keine Gießkannenförderung, da auf die Förderung kein Tiefstand der Anzahl der Verkehrstoten geführt. Auf- Rechtsanspruch besteht und die Länder Einzelfallent- grund der engen inhaltlichen Verknüpfung dieser Maß- scheidungen treffen. Dabei können sie regionale und nahmen, ist eine Quantifizierung der Wirkung von Ein- sachliche Schwerpunkte setzen und tun dies auch. Eine zelmaßnahmen in diesem Maßnahmenbündel nicht Basisförderung zur Existenzgründung oder für kleine möglich. Vielmehr verfolgt die Bundesregierung auch in und mittlere Unternehmen zum Beispiel zur Finanzie- Zukunft einen integrierten Ansatz, in den alle Bereiche rung von Investitionen und Innovationen ist jedoch (B) zur weiteren Verbesserung der Verkehrssicherheit einbe- (D) ebenso wichtig. Diese wird beispielsweise durch die zogen werden. KfW- und ERP-Programme, die im Wesentlichen den gewerblichen kleinen und mittleren Unternehmen in Zu Frage 47: ganz Deutschland zur Verfügung stehen, gewährleistet. Die Bundesregierung betrachtet es als vorrangig, den Verbrauch der Fahrzeuge deutlich zu verringern. Die Automobilindustrie ist dafür in der Pflicht, verbrauchs- ärmere Motoren zu entwickeln und auch am Markt zu Anlage 16 platzieren. Die europäische Autoindustrie hat sich dazu Antwort verpflichtet, den CO2-Ausstoß der Neuwagenflotte bis 2008 auf maximal 140 Gramm pro Kilometer zu be- des Parl. Staatssekretärs Ulrich Kasparick auf die Frage grenzen, im zweiten Schritt auf 120 Gramm pro Kilome- der Abgeordneten Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE) ter. Die Umsetzung dieser Selbstverpflichtung, auch (Drucksache 16/4802, Frage 49): durch klare, rechtsverbindliche Ziele auf EU-Ebene, Wird die Bundesregierung angesichts der Einschätzung muss Vorrang haben. Das Thema gehört zu den Schwer- des Präsidenten des ifo-Instituts, Dr. Hans-Werner Sinn, Ost- punkten der deutschen EU-Ratspräsidentschaft in den deutschland werde ein zweites Mezzogiorno und die Men- Bereichen Umwelt und Verkehr. Dazu sollen in einem schen in Ostdeutschland müssten auch zukünftig mit den gra- vierenden Unterschieden zum Westen wie einer doppelt so ersten Schritt Ratsschlussfolgerungen sowohl auf dem hohen Arbeitslosenquote leben, zukünftig eine Kurskorrektur Umweltministerrat wie auf dem Verkehrsministerrat im in der Förderpolitik beim Aufbau Ost einschlagen, und, wenn Juni dieses Jahres beschlossen werden. ja, wie soll diese Kurskorrektur aussehen („Frankfurter Allge- meine Zeitung“ 21. März 2007)? Die Bundesregierung teilt nicht die Ansicht, dass die Anlage 15 Entwicklung in Ostdeutschland stagniert. In dem Presse- Antwort artikel, auf den Sie Bezug nehmen, ist die Rede davon, dass das Bruttoinlandsprodukt je Einwohner in Ost- des Parl. Staatssekretärs Ulrich Kasparick auf die Frage deutschland bei 67 Prozent des Werts von Westdeutsch- der Abgeordneten Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE) land verharren würde. Bereits 2005 hat sich dieser Wert (Drucksache 16/4802, Frage 48): aber auf 69,5 Prozent entwickelt. Da Ostdeutschland Lässt sich die immer wieder aufgestellte Behauptung der 2006 ein höheres Wirtschaftswachstum verzeichnete als angeblichen „Gießkannen-Förderpolitik“ in Ostdeutschland Westdeutschland, ist davon auszugehen, dass die Kon- 9118 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 90. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. März 2007

(A) vergenz weiter voranschreitet. Der Wachstumsmotor der monat. So lag die Zahl der Arbeitslosen im Februar 2007 (C) positiven wirtschaftlichen Entwicklung in den neuen um mehr als 236 000 unter der des Vorjahres. Besonders Ländern ist das verarbeitende Gewerbe, dessen Brutto- positiv ist dabei zu vermerken, dass auch die Sozialver- wertschöpfung im vergangenen Jahr um 11,5 Prozent sicherungspflichtige Beschäftigung in Ostdeutschland und damit deutlich stärker als in den alten Ländern (4,5 Pro- im letzten verfügbaren Vergleichsmonat, im Dezember zent) gestiegen ist. Auch die Prognosen sind günstig. So 2006, um 2 Prozent gegenüber dem Vorjahresmonat ge- sieht das „Handelsblatt“-Konjunkturbarometer für Ost- stiegen ist (Quelle: Bundesagentur für Arbeit – Monats- deutschland im zweiten Quartal 2007 ein Wirtschafts- bericht Februar 2007). Die Daten belegen, dass die Stra- wachstum von 4,5 Prozent voraus, während nur 2,1 Pro- tegie der Bundesregierung für die neuen Länder, die zent für Deutschland gesamt angegeben werden. Auch Förderung auf Investitionen im verarbeitenden Gewerbe die Arbeitslosigkeit in Ostdeutschland verringerte sich sowie Innovationen zu konzentrieren, richtig ist und so- im Februar 2007 deutlich im Vergleich zum Vorjahres- mit auch fortgesetzt wird.

(B) (D)

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