Plenarprotokoll 16/129

Deutscher

Stenografischer Bericht

129. Sitzung

Berlin, Mittwoch, den 28. November 2007

Inhalt:

Tagesordnungspunkt II (Fortsetzung): Petra Merkel (Berlin) (SPD) ...... 13556 D a) Zweite Beratung des von der Bundesregie- Monika Grütters (CDU/CSU) ...... 13559 A rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes über die Feststellung des Bundes- (SPD) ...... 13560 A haushaltsplans für das Haushaltsjahr 2008 (Haushaltsgesetz 2008) Namentliche Abstimmung ...... 13563 A (Drucksachen 16/6000, 16/6002) ...... 13519 A b) Beschlussempfehlung des Haushaltsaus- Ergebnis ...... 13567 B schusses zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Finanzplan des Bun- des 2007 bis 2011 (Drucksachen 16/6001, 16/6002, 16/6426) 13519 B Zusatztagesordnungspunkt 1: Wahlvorschlag der Fraktion der SPD: 9 Einzelplan 04 Wahl eines Mitgliedes des Gemeinsamen Bundeskanzlerin und Bundeskanzler- Ausschusses gemäß Artikel 53 a des Grund- amt gesetzes (Drucksachen 16/6404, 16/6423) ...... 13519 B Wahl eines vom Deutschen Bundestag zu Rainer Brüderle (FDP) ...... 13519 D entsendenden Mitgliedes des Ausschusses Dr. , Bundeskanzlerin ...... 13521 A nach Artikel 77 Abs. 2 des Grundgesetzes (Vermittlungsausschuss) Dr. (DIE LINKE) ...... 13527 C Wahl eines Mitgliedes des Parlamentari- Dr. Peter Struck (SPD) ...... 13533 B schen Kontrollgremiums gemäß §§ 4 und 5 Renate Künast (BÜNDNIS 90/ Abs. 4 des Gesetzes über die parlamentari- DIE GRÜNEN) ...... 13537 D sche Kontrolle nachrichtendienstlicher Tä- tigkeit des Bundes (Kontrollgremiumsge- Dr. (CDU/CSU) ...... 13541 D setz – PKGrG) Dr. (FDP) ...... 13545 A (Drucksache 16/7287) ...... 13563 A Joachim Poß (SPD) ...... 13549 B Wahl des Abgeordneten Dr. Lukrezia Jochimsen (DIE LINKE) ...... 13552 B als Mitglied des Gemeinsamen Ausschusses Steffen Kampeter (CDU/CSU) ...... 13553 A gemäß Artikel 53 a des Grundgesetzes, als Mitglied des Ausschusses nach Artikel 77 Wolfgang Börnsen (Bönstrup) Abs. 2 des Grundgesetzes (Vermittlungs- (CDU/CSU) ...... 13554 C ausschuss) und als Mitglied des Parlamenta- Katrin Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/ rischen Kontrollgremiums gemäß §§ 4 und 5 DIE GRÜNEN) ...... 13555 C Abs. 4 des Gesetzes über die parlamenta- II Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 129. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. November 2007 rische Kontrolle nachrichtendienstlicher (FDP) ...... 13591 D Tätigkeit des Bundes (Kontrollgremiums- gesetz – PKGrG) ...... 13563 B Susanne Jaffke (CDU/CSU) ...... 130000592 DA Inge Höger (DIE LINKE) ...... 13594 A Johannes Kahrs (SPD) ...... 13595 C Tagesordnungspunkt IV: (BÜNDNIS 90/ Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und der DIE GRÜNEN) ...... 13598 B SPD: Zurückweisung des Einspruchs des Bundesrats gegen das Gesetz zur Vorberei- Dr. , Bundesminister tung eines registergestützten Zensus ein- BMVg ...... 13599 C schließlich einer Gebäude- und Wohnungs- zählung 2011 (Zensusvorbereitungsgesetz Elke Hoff (FDP) ...... 13600 D 2011 – ZensVorbG 2011) Alexander Bonde (BÜNDNIS 90/ (Drucksachen 16/5525, 16/6455, 16/6456, DIE GRÜNEN) ...... 13601 C 16/6728, 16/7085, 16/7222) ...... 13563 C Birgit Homburger (FDP) ...... 13601 D Namentliche Abstimmung ...... 13563 D (SPD) ...... 13603 B (BÜNDNIS 90/ Ergebnis ...... 13570 A DIE GRÜNEN) ...... 13605 B

10 Einzelplan 05 Kurt J. Rossmanith (CDU/CSU) ...... 13606 B Auswärtiges Amt Ulrike Merten (SPD) ...... 13607 A (Drucksachen 16/6405, 16/6423) ...... 13563 D Bernd Siebert (CDU/CSU) ...... 13608 B Jürgen Koppelin (FDP) ...... 13564 A Jürgen Koppelin (FDP) ...... 13610 A Lothar Mark (SPD) ...... 13565 B Bernd Siebert (CDU/CSU) ...... 13610 B Dr. Norman Paech (DIE LINKE) ...... 13572 B (CDU/CSU) ...... 13573 B 12 Einzelplan 23 Jürgen Koppelin (FDP) ...... 13573 C Bundesministerium für wirtschaftliche () (BÜNDNIS 90/ Zusammenarbeit und Entwicklung DIE GRÜNEN) ...... 13574 D (Drucksachen 16/6419, 16/6423) ...... 13610 D Dr. Frank-Walter Steinmeier, Hellmut Königshaus (FDP) ...... 13611 A Bundesminister AA ...... 13576 A (Wismar) (SPD) ...... 13612 A Dr. (FDP) ...... 13579 A Dr. (CDU/CSU) . . . . . 13580 C Heike Hänsel (DIE LINKE) ...... 13613 D Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE) ...... 13582 C (CDU/CSU) ...... 13614 D (CDU/CSU) ...... 13583 D Alexander Bonde (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) ...... 13616 B Kerstin Müller (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) ...... 13585 A Heidemarie Wieczorek-Zeul, Bundesministerin BMZ ...... 13617 C (Wiesloch) (SPD) ...... 13586 D Jürgen Koppelin (FDP) ...... 13619 A Michael Link (Heilbronn) (FDP) ...... 13587 D Sibylle Pfeiffer (CDU/CSU) ...... 13620 B (CDU/CSU) ...... 13588 D Gert Weisskirchen (Wiesloch) (SPD) . . . . 13589 C Hüseyin-Kenan Aydin (DIE LINKE) ...... 13621 B Dr. Hakki Keskin (DIE LINKE) ...... 13590 A Dr. (SPD) ...... 13622 C Thomas Bareiß (CDU/CSU) ...... 13590 C Thilo Hoppe (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) ...... 13624 A 11 Einzelplan 14 (CDU/CSU) ...... 13625 A Bundesministerium der Verteidigung Ute Koczy (BÜNDNIS 90/ (Drucksachen 16/6413, 16/6423) ...... 13591 C DIE GRÜNEN) ...... 13625 D Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 129. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. November 2007 III

Nächste Sitzung ...... 13627 C Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten (CDU/CSU) zur Abstimmung Anlage 1 über den Einzelplan 04 – Bundeskanzlerin und Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . 13629 A Bundeskanzleramt (Tagesordnungspunkt II.9) 13629 C

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(A) (C) Redetext

129. Sitzung

Berlin, Mittwoch, den 28. November 2007

Beginn: 9.00 Uhr

Präsident Dr. : vor, über die wir am Freitag nach der Schlussabstim- Die Sitzung ist eröffnet. Liebe Kolleginnen und Kol- mung abstimmen werden. legen, ich begrüße Sie alle herzlich. Ich mache darauf aufmerksam, dass wir über diesen Wir setzen unsere Haushaltsberatungen – Tagesord- Einzelplan später namentlich abstimmen werden. nungspunkt II – fort: Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für a) Zweite Beratung des von der Bundesregierung die Aussprache dreieinhalb Stunden vorgesehen. – Dazu eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die höre ich keinen Widerspruch. Dann ist das so vereinbart. Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Das ist dann etwa auch die Zeit, zu der mit der nament- Haushaltsjahr 2008 (Haushaltsgesetz 2008) lichen Abstimmung zu rechnen ist. – Drucksachen 16/6000, 16/6002 – Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort zu- nächst dem Kollegen Rainer Brüderle für die FDP-Frak- (B) b) Beratung der Beschlussempfehlung des Haus- tion. (D) haltsausschusses (8. Ausschuss) zu der Unterrich- (Beifall bei der FDP – Wolfgang Zöller [CDU/ tung durch die Bundesregierung CSU]: Das hätte so ein schöner Tag werden Finanzplan des Bundes 2007 bis 2011 können!) – Drucksachen 16/6001, 16/6002, 16/6426 – Rainer Brüderle (FDP): Berichterstattung: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dank der Abgeordnete Steffen Kampeter Weltkonjunktur ist unser Aufschwung noch stabil. Die (Erfurt) Steuereinnahmen sprudeln. Der Bundesfinanzminister kann sich freuen. Nur die Menschen freuen sich nicht; Dr. Gesine Lötzsch die Deutschen haben das Gefühl, dass der Aufschwung bei ihnen nicht ankommt. Dazu rufe ich jetzt den Tagesordnungspunkt II.9 auf: (Beifall bei der FDP) Einzelplan 04 Das heutige Jackpot-Fieber wundert mich nicht. Die Bundeskanzlerin und Bundeskanzleramt Menschen wollen sich ihre Aufschwungsdividende jetzt selbst holen. Sie sagen sich: Beim Lotto gewinnt viel- – Drucksachen 16/6404, 16/6423 – leicht einer, bei Schwarz-Rot gewinnt keiner. Berichterstattung: (Beifall bei der FDP) Abgeordnete Steffen Kampeter Im Vergleich zu Ihrer Politik sehen die Menschen im Petra Merkel (Berlin) Lotto fast schon eine sichere Form der Vermögensbil- Jürgen Koppelin dung. Alexander Bonde (Heiterkeit bei Abgeordneten der FDP – Petra Anna Lührmann Merkel [Berlin] [SPD]: So ein Miesmacher!) Zu diesem Einzelplan liegen zwei Änderungsanträge Die Regierung befindet sich im Dauerstreit. Die der Fraktion Die Linke vor. Außerdem liegen ein Ent- CDU/CSU wirft der SPD vor, der Wirtschaft und dem schließungsantrag der Fraktion der FDP und ein Ent- Aufschwung zu schaden. Die SPD wirft der Union Wort- schließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bruch und koalitionsuntreues Verhalten vor. Das wird 13520 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 129. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. November 2007

Rainer Brüderle (A) garniert mit Ausdrücken, die der Präsident hier im Parla- nem Beschäftigungsprogramm für Rechtsanwälte, bringt (C) ment nie zulassen würde. aber keine Rechtsklarheit für Investitionen und führt nicht zur Schaffung von Arbeitsplätzen in Deutschland. (Beifall des Abg. Jürgen Koppelin [FDP]) Das ist Ihre gemeinsame Politik. So sieht es in unserer Bundesregierung aus. Nach zwei (Beifall bei der FDP) Jahren ist der Wahlkampf zwischen Schwarz und Rot be- reits voll im Gange. Die Bundeskanzlerin hat hier einmal das Lippenbe- (Beifall bei der FDP) kenntnis abgelegt: weniger Staat, mehr Freiheit. Wir ha- ben mehr Staat. Jedes neue Gesetz, durch das die Hand- Jetzt streitet sich die Koalition sogar über die Außen- lungsfreiheit der Bürger eingeengt wird, bedeutet mehr politik gegenüber China und Russland. Wenn man sich Staat und ist ein Schritt in Richtung mehr Reglementie- schon außenpolitisch nicht einigen kann, wie soll es rung und weniger Freiheit. dann innenpolitisch weitergehen? Immer öfter fallen die Worte Stillstand und Rückschritt. In den wenigen Punk- (Beifall des Abg. Jürgen Koppelin [FDP]) ten, in denen sich die Regierung einigen kann, ist von ei- Von Freiheit zu reden und das Gegenteil zu tun, ist kein ner Politik für den Aufschwung nichts zu merken. Im Fortschritt. Gegenteil: Überall setzt die Regierung auf mehr Staat. Sie gibt mehr aus, sie betreibt interventionistische Poli- (Beifall bei der FDP) tik und macht Märkte kaputt. Mit was beschäftigt sich diese Koalition? Sie beschäf- Sie könnten den Haushalt bereits jetzt ausgleichen. tigt sich mit Mindestlöhnen und Höchstgehältern von Unsere Haushälter haben in mühevoller Arbeit Managern. Sie schwankt zwischen Populismus und Pro- 400 Anträge erarbeitet. Wenn Sie die darin vorgeschla- tektionismus. Es geht im Streit zwischen dem Finanz- genen Maßnahmen umsetzen, können Sie fast 12 Mil- und dem Wirtschaftsministerium doch nur noch darum, liarden Euro einsparen. welche Variante des Protektionismus Sie betreiben. Die (Dr. Peter Struck [SPD]: Lächerlich!) einen wollen Kapital sammeln, um zu verhindern, dass Ausländer investieren, die anderen wollen das Außen- Das wird ignoriert, weil Sie gar nicht sparen wollen. Sie wirtschaftsgesetz manipulieren, um dies zu verhindern. gehen in die Vollen, Sie treiben den Haushalt hoch. Sie Beides ist falsch. Setzen Sie auf den Markt und nicht haben 47 Milliarden Euro Mehreinnahmen; trotzdem ge- auf Reglementierung und Interventionismus! Das ist im- hen Sie weiter in die Verschuldung hinein. Das ist keine mer unsere Stärke gewesen. Politik für die Zukunft. (B) (Beifall bei der FDP) (D) (Beifall bei der FDP) Die Mietkosten werden jetzt besteuert. Ich frage Bei Ihnen macht sich eine Staatsgläubigkeit breit. mich, wann Sie anfangen, auch die Personalkosten zu Die Sozialdemokraten entdecken ihr Programm „Demo- besteuern. kratischer Sozialismus“ neu. (Heiterkeit bei der FDP) (Hüseyin-Kenan Aydin [DIE LINKE]: Gut so! – Heiterkeit bei der FDP) Sie sind doch falsch programmiert. Sie denken falsch, Sie müssten sich anders orientieren. Ich trage hier ein- Die Union macht bei einer solchen Politik auch noch mal ein Zitat aus der Süddeutschen Zeitung zu dem, was mit. Die Bahnreform kommt aufs Abstellgleis, die Re- Sie machen, vor. In der letzten Woche stand dort wört- gierung denkt nach Medienberichten über eine Verstaat- lich: lichung der Bundesdruckerei nach, und bei EADS steht die Bundesregierung mehr als kurz davor, politisch Ein- Die Hauptstadt Berlin entwickelt sich mehr und fluss zu nehmen. mehr zum Biotop für wirtschaftspolitische Dumm- heiten. Es ist zu lesen, dass sich die CDU jetzt klarer positio- nieren und die Reformpolitik fortsetzen will. Der Gene- Genau so ist es. ralsekretär der Union wirft der SPD dabei vor, den Staat als gigantische Umverteilungsmaschinerie zu missbrau- (Beifall bei der FDP) chen. Das Problem der Union ist aber, dass sie das alles Sie machen es falsch. Draußen in der Welt gibt es mitmacht. Turbulenzen, Dollarkrise und Finanzmarktkrise. Führt (Beifall bei der FDP) die wirtschaftliche Entwicklung der USA nur zu einer Delle, oder gibt es eine Rezession? Wir betreiben keine Wir haben jetzt zwei Parteien, die für einen demokra- Vorsorge dafür. Was wir immer gesagt haben, beweisen tischen Sozialismus sind. Beim Ausgeben sind sie voll Sie erneut: Große Koalitionen sind nur scheinbar große mit dabei, bei der Verkomplizierung sind sie voll mit da- Koalitionen. Sie haben große Mehrheiten, sie sind aber bei, und beim Griff in die Kasse der Bundesagentur für kleinmütig, gehen komische Kompromisse ein und brin- Arbeit sind sie voll mit dabei. Sie haben das Antidiskri- gen das Land nicht voran. Sie behindern Deutschland. minierungsgesetz mitbeschlossen, und Sie haben die Das ist die Politik, die Sie hier betreiben. Zinsschranke und die Funktionsverlagerung als Verkom- plizierung des Steuerrechts eingeführt. Das führt zu ei- (Beifall bei der FDP) Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 129. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. November 2007 13521

Rainer Brüderle (A) Wir werden uns nicht einschüchtern lassen und weiter Es kann uns hier in diesem Parlament nicht ruhen las- (C) mit aller Klarheit wirken. Es muss in Deutschland noch sen, dass Israel und die gesamte Region in einem unsi- eine Partei geben, die ihren wirtschaftspolitischen Sach- cheren, instabilen Zustand sind. Ich bekenne mich aus- verstand nicht an der Garderobe abgegeben hat. drücklich zur besonderen historischen Verantwortung (Beifall bei der FDP – Widerspruch bei der Deutschlands für die Sicherheit und Existenz Israels. CDU/CSU, der SPD, der LINKEN und dem (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie Sie folgen dem Mainstream, gehen nach links und laufen bei Abgeordneten der LINKEN) Lafontaine nach. Das Eintreten für die Sicherheit Israels ist Teil der (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Staatsräson Deutschlands und eine Konstante der deut- NEN]: Er ist doch gar nicht hier!) schen Außenpolitik. Es muss noch jemanden geben, der Ludwig Erhard kennt Im kommenden Jahr feiert der Staat Israel den und weiß, wie Marktwirtschaft funktioniert. 60. Geburtstag seines Bestehens. Noch immer ist die Si- cherheit dieses Staates bedroht. Die Führung des Iran (Beifall bei der FDP) stellt das Existenzrecht Israels in unerträglicher Weise Wir wollen Arbeitsplätze schaffen, wir wollen Wachs- infrage. Insbesondere das Nuklearprogramm gibt Anlass tum erzielen, und wir wollen Fortschritt, damit Demago- zu großer Sorge. Deshalb setzen wir uns mit diplomati- gen und Rattenfänger in der deutschen Politik keinen schen Mitteln für ein Einlenken des Iran ein. Das heißt: Boden bereitet bekommen, auf dem sie Resonanz finden. Bei Nichtkooperation des Iran sind weitere und schärfere Es geht auch um die demokratische Zukunft Deutsch- Sanktionen unausweichlich; bei Kooperation wiederum lands. liegen sehr gute Angebote für den Iran auf dem Tisch. Damit wir Erfolg haben, sind zwei Dinge unabdingbar: (Anhaltender Beifall bei der FDP) Entschlossenheit und Geschlossenheit der internationa- len Gemeinschaft. Das ist der Schlüssel zum Erfolg. Präsident Dr. Norbert Lammert: Das Wort hat nun die Bundeskanzlerin, Frau (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Dr. Merkel. Entschlossenheit und Geschlossenheit brauchen wir (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) auch bei einem anderen Konflikt, der in ganz besonderer Weise Europa betrifft, nämlich beim Kosovo. Die Euro- Dr. Angela Merkel, Bundeskanzlerin: päische Union hat in Bezug auf die Stabilität auf dem (B) Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! westlichen Balkan eine ganz besondere Aufgabe. Die (D) Ende März haben wir hier in Berlin den 50. Jahrestag der Weltgemeinschaft schaut an dieser Stelle auf uns. Daher Römischen Verträge gefeiert. Dabei ist uns allen noch war es richtig, dass wir noch einmal Verhandlungspro- einmal deutlich geworden, wie lange ein geeintes, in zesse eingeleitet haben. Herr Ischinger hat nicht nur un- Frieden und Freiheit verbundenes Europa ein bloßer seren Dank verdient, sondern auch unsere gesamte Un- Traum war, ein Traum, der aus schmerzlicher Erfahrung terstützung, alles zu versuchen, um hier zu einer später auf wunderbare Weise Wirklichkeit geworden ist. vernünftigen Lösung zu kommen. Ich möchte von dieser Heute – so haben wir es dann in der Berliner Erklärung Stelle aus noch einmal an die Vernunft aller Beteiligten geschrieben – sind wir Europäer zu unserem Glück ver- appellieren, einen Weg zu gehen, der für die Stabilität in eint. Gesamteuropa verantwortlich ist. Ich sage das, weil in anderen Regionen der Welt ein Wir werden uns damit auseinandersetzen müssen, friedliches Miteinander der Völker nach wie vor in wei- dass wir weiterhin den Einsatz der Bundeswehr inner- ter Ferne liegt. Insbesondere im Nahen Osten sucht die halb der NATO-Mission im Kosovo brauchen. Wir wer- Weltgemeinschaft – und dies jetzt seit Jahrzehnten – den die rechtlichen Grundlagen dafür immer wieder ab- nach Möglichkeiten für eine umfassende Friedenslö- checken, sollten die Verhandlungsprozesse nicht so sung. Hierzu einen Beitrag zu leisten, das war ein erfolgreich sein, wie wir es uns erhoffen. Genauso wer- Schwerpunkt der zurückliegenden EU-Ratspräsident- den wir uns aber an einer zivilen europäischen Sicher- schaft Deutschlands. Das ist und bleibt auch ein Schwer- heits- und Verteidigungsmission beteiligen, die das Poli- punkt der gesamten Bundesregierung. zei- und Rechtswesen aufbaut. Jetzt scheint es neuen Grund zur Hoffnung zu geben, Das heißt: Deutschland und die Europäische Union dass der Traum eines friedlichen Miteinanders von Israel haben hier allergrößte Verantwortung. Der Bundes- und Palästina doch wahr werden könnte. Auch wenn die außenminister und ich werden in den kommenden Räten Erfahrungen mit früheren Lösungsversuchen einen allzu alles dafür tun, um das, was wir auf dem westlichen Bal- naiven Optimismus verbieten: Die Friedenskonferenz in kan schon geschafft haben, weiterzuentwickeln und zu Annapolis ist die Chance auf einen neuen Verhandlungs- einem friedlichen Miteinander zu kommen. prozess, an dessen Ende die Vision einer Zweistaatenlö- sung mit Leben gefüllt werden könnte. Das ist ein hoff- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) nungsvolles Signal. Der Bundesaußenminister wird Diese drei Beispiele – Naher Osten, Iran und Kosovo – heute noch darüber berichten. zeigen genauso wie die anderen Aktivitäten unserer Au- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) ßenpolitik: Die Außen- und Sicherheitspolitik der Bun- 13522 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 129. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. November 2007

Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel (A) desregierung ist immer auf Werten aufgebaut. Sie ist eine Chance haben! Der Beschäftigungsaufbau geht (C) wertebezogen. Deutsche Außenpolitik findet nicht im – das sagen auch die Unternehmen – 2008 weiter. Weni- luftleeren Raum statt. Deshalb gilt: Menschenrechtspoli- ger Menschen müssen Angst um ihren Job haben. Das tik und das Vertreten ökonomischer Interessen sind zwei heißt, es passiert etwas, was wir in diesem Land brau- Seiten einer Medaille und dürfen niemals gegeneinander chen, etwas, das man nicht in Euro und Cent berechnen gestellt werden. kann: Der Aufschwung kommt bei den Menschen an, bei immer mehr Menschen. Das ist eine gute Botschaft für (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der Deutschland. FDP) (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Das ist auch und gerade die Grundlage dafür, dass wir uns für faire Handelsbedingungen im Rahmen der Welt- Die Zuversicht der Menschen ist gewachsen, eine Zu- handelsorganisation einsetzen. Das ist die Grundlage da- versicht, deren Grundlage natürlich mit jedem neuen Ar- für, dass wir uns für den Schutz geistigen Eigentums ein- beitsplatz, mit jeder geglückten Wiedereingliederung in setzen. Das ist die Grundlage dafür, dass wir auf dem das Arbeitsleben verbreitert werden kann. Mit anderen afrikanischen Kontinent insbesondere eine faire Roh- Worten: Die Politik dieser Bundesregierung wirkt. Sie stoffpolitik gegenüber den Ländern betreiben wollen, die wirkt schon im dritten Jahr. Das heißt nicht, dass wir einen wirtschaftlichen Aufschwung brauchen. Das ist leichtfertig werden dürfen. Das heißt nicht, dass wir uns auch die Grundlage, auf der wir eine Novelle zum auf irgendwelchen Lorbeeren ausruhen dürfen. Es gilt Außenwirtschaftsgesetz erarbeiten. Denn es heißt heute für uns nur eine Devise: Wir müssen die Grundlagen des in einer globalen Welt, sich auch um die Sicherung der Aufschwungs stärken, um mehr Menschen in diesem eigenen, kritischen Infrastruktur zu kümmern. Das ma- Land Chancen zu geben, die sie allemal verdient haben. chen die Vereinigten Staaten von Amerika. Das macht Großbritannien. Das macht Frankreich. Warum soll (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Deutschland dies nicht tun? Dies hat mit Protektionis- Dafür gibt es für uns in dieser Bundesregierung einen mus nichts, aber auch gar nichts zu tun. zentralen Maßstab: Wir beschließen Maßnahmen, mit (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) denen weitere Arbeitsplätze geschaffen werden, und un- terlassen alles, was Arbeitsplätze gefährdet. Das ist der Auf dieser Grundlage haben wir durch unser gemein- Maßstab unseres Handelns. sames Engagement in der Koalition das Ansehen Deutschlands in der Welt in den letzten zwei Jahren ge- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- mehrt. Darauf können wir gemeinsam stolz sein. neten der SPD – Widerspruch bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (B) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- (D) neten der SPD) Jetzt werden Sie sagen, dass wir darum manchmal in dieser Koalition ringen. Ja, das tun wir – das gebe ich Deutschland konnte sein Ansehen und sein Gewicht ganz freimütig zu –, aber immer in dem Geist, dass wir auch deshalb mehren, weil wir wirtschaftliche Leis- Arbeitsplätze schaffen und alles verhindern wollen, was tungskraft wieder zurückgewonnen haben. Man sollte Arbeitsplätze kostet. sich keine Illusionen machen: Unsere internationale Re- putation und die wirtschaftliche Lage Deutschlands hän- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- gen für viele Menschen auf der Welt auf das Engste zu- neten der SPD) sammen. Das wird jetzt im Inland und im Ausland Wir werden das fortsetzen, weil wir wissen, dass es bestätigt. Die deutsche Wirtschaft zieht die europäische Sorgen gibt. Es gibt Fragen, ob die Verwerfungen auf Wirtschaft wieder mit nach vorne. Wir sind aus der Rolle den internationalen Märkten auch unseren Aufschwung des Letzten herausgekommen. Das Wirtschaftswachs- in Gefahr bringen könnten. Die amerikanische Immo- tum lag im letzten Jahr bei 2,9 Prozent. Dieses Jahr kön- bilienkrise, der hohe Ölpreis, der starke Euro, steigende nen wir 2,4 Prozent erwarten, nächstes Jahr um die Lebensmittelpreise – das alles kennen wir. Wir können 2 Prozent. Unsere internationale Wettbewerbsfähigkeit nicht versprechen, dass durch die Politik der Bundesre- nimmt zu. Wir sind vom World Economic Forum von gierung diese Risiken nicht eintreten werden. Das wäre Platz sieben auf Platz fünf hochgestuft worden. Das ist unredlich. Aber ich bin von einem überzeugt, und das ist das Ergebnis der Reformen. Das sind die Erfolge der die gute Botschaft dieses Jahres: Wir haben genug Stärke Unternehmen. Das sind in ganz besonderer Weise die Er- wiedergewonnen, um die Herausforderungen, die vor gebnisse der Leistungen der Arbeitnehmerinnen und Ar- uns liegen, wirklich gut bewältigen zu können. Davon beitnehmer, der Bürgerinnen und Bürger dieses Landes. sind wir überzeugt, und in diesem Geist machen wir (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Politik. Nun wissen wir: Wachstum und Wettbewerbsfähig- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) keit allein sind nicht alles. Es ist etwas anderes ganz Das bestimmt unsere Arbeit für Deutschland, die sich in wichtig. Aus Wachstum entstehen wieder Arbeitsplätze. fünf Grundsätzen zusammenfassen lässt. 1 Million zusätzliche Arbeitsplätze seit Amtsantritt die- ser Regierung! 1 Million weniger Arbeitslose seit Amts- Erstens. Wir wollen die Grundlagen des Auf- antritt dieser Regierung! Weniger ältere Arbeitslose, we- schwungs stärken. Das bedeutet: Sanierung der Staats- niger Langzeitarbeitslose, mehr junge Menschen, die finanzen. Was haben wir erreicht? Wir werden erstmals Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 129. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. November 2007 13523

Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel (A) seit der Wiedervereinigung in etwa einen ausgegliche- lassen. Das ist nicht im Interesse des Gemeinwohls. Des- (C) nen Staatshaushalt erreichen. halb haben wir an einigen Stellen Bremsen eingezogen. (Widerspruch bei der FDP) (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Das Haushaltsdefizit des Bundes – ob es Ihnen passt Bei der Erarbeitung der Reform der Erbschaftsteuer oder nicht – ist in den letzten zwei Jahren halbiert wor- – jeder weiß, wie schwierig das nach dem Urteil des den. Die Maastricht-Kriterien werden seit 2006 wieder Bundesverfassungsgerichts geworden ist – wollen wir eingehalten. An diesen Fakten lässt sich nicht vorbeire- vor allen Dingen die Nachfolge innerhalb eines Familien- den. Sie sind da, sie sind gut, und sie sind richtig. unternehmens erleichtern. Genau das werden wir in den weiteren Beratungen immer wieder deutlich machen. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Wir wollen sicherstellen, dass diejenigen, die das Rück- Nun gibt es Forderungen – die werden auch hier erho- grat der Wirtschaft in Deutschland sind – die kleineren ben –, dass jeder zusätzliche Cent aus konjunkturbeding- und mittelständischen Betriebe, die Familienunterneh- ten Mehreinnahmen in den Abbau der Verschuldung ge- men, die oft über Jahre und Jahrzehnte in Deutschland steckt werden sollte, unabhängig davon, ob das in den ihre Heimat haben –, in einer globalen Welt eine faire, kommenden Jahren durchzuhalten ist, unabhängig da- gute Chance in diesem Lande haben und dieses Land von, ob der Staat dann noch Gestaltungsspielraum und nicht verlassen müssen. Das ist unser Ziel, und das wer- Investitionsmöglichkeiten hat. Ich sage freimütig: Genau den wir durchsetzen. das machen wir nicht. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) (Dr. Peter Struck [SPD]: Richtig!) Der zweite Grundsatz neben der Sanierung der Finan- zen heißt: Grundlagen für mehr Beschäftigung fort- Stattdessen haben wir uns für einen langfristigen und entwickeln und dadurch auch mehr Teilhabe für Men- verlässlichen Abbaupfad entschieden, der zusätzlichen schen in diesem Land ermöglichen. Was haben wir Haushaltsspielraum lässt und wonach auf der Basis der erreicht? Mit 40 Millionen Erwerbstätigen, 40 Millionen Steuerschätzungen zwei Drittel der Einnahmen in den Menschen, die sich ihr Geld verdienen können, haben Schuldenabbau, aber ein Drittel in Investitionen für die wir ein Rekordniveau erreicht. Ich habe es schon gesagt: Zukunft gesteckt werden. Wir sind von diesem verläss- Die über 55-Jährigen profitieren jetzt davon. Wir haben lichen Abbaupfad überzeugt. Ich danke dem Finanzmi- ein Minus von 20 Prozent bei den älteren Arbeitslosen. nister, ich danke den Haushältern, und ich danke den Wir kommen endlich wieder in die Situation, zu den Fraktionen für die Kooperation auf diesem Gebiet. Besseren in Europa zu gehören. Es ist bei der Lebenser- wartung, die wir heute haben, doch kein Zustand – darü- (B) (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) (D) ber sind wir uns hier auch alle einig –, dass Menschen Wir haben dabei ein ganz klares Ziel vor Augen, nämlich über 55 keine Chance mehr auf dem Arbeitsmarkt be- 2011 einen ausgeglichenen Bundeshaushalt zu erreichen. kommen. Deshalb halte ich diese Botschaft für ganz Diesem Ziel fühlen wir uns verpflichtet. wichtig. Wir hören auch die Forderungen aus der Opposition, (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) wir sollten Steuern senken, kostet es, was es wolle. Meistens fordern das die Gleichen, die vorher das Geld Was sind die Ratschläge? Es ist, wie es immer ist: Die schon einmal für die Senkung der Neuverschuldung ver- einen sagen, wir könnten eigentlich alle Arbeitsmarktre- plant haben. formen zurücknehmen; denn die Wirkungen zeigen, dass wir auf dem richtigen Pfad sind. Die anderen sagen, die (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Arbeitsmarktreformen seien gar keine echten Reformen; Auch hier sagen wir: Wir machen eine verlässliche Steu- es müsste alles viel härter zugehen. Ich glaube, dass bei- erpolitik. Das spiegelt sich in zwei Maßnahmen wider, des mit der Stimme der Vernunft wenig zu tun hat. Wir die wir ergriffen haben: An der Erbschaftsteuer arbeiten werden deshalb auch nichts von dem machen, sondern wir noch, die Unternehmensteuerreform ist verab- auch hier auf unserem Weg weitergehen. schiedet. Wenn Sie sich den Haushalt für das Jahr 2008 Ich will noch einmal daran erinnern, dass wir die anschauen, dann wissen Sie natürlich, dass sich die Ent- Arbeitslosenversicherungsbeiträge Schritt für Schritt lastungen für die Unternehmen in diesem Haushalt wi- gesenkt haben. Anfang des Jahres 2008 werden sie sich derspiegeln. Wir sind überzeugt davon, dass das richtig innerhalb von zwei Jahren halbiert haben. ist, weil mehr Investitionen in Deutschland mehr Ar- beitsplätze für unser Land schaffen. Deshalb haben wir (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- uns zu diesem Weg entschlossen. neten der SPD) (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Es ist nicht richtig, dass wir darüber die Solidität der Finanzen der Bundesagentur außer Acht gelassen hätten. Wir wollen, dass Gewinne wieder stärker in Deutschland Wir haben uns vorgenommen – wir haben das in Mese- versteuert werden, weil es attraktiver ist, sie hier statt im berg als Bundesregierung beschlossen und dafür in der Ausland zu versteuern. Aber was wir nicht versprechen mittelfristigen Finanzplanung bis 2011 Vorsorge getrof- können – auch dazu haben wir uns ganz bewusst ent- fen –, für die Bundesagentur Rückstellungen für die Al- schlossen –, ist, dass wir alle Steuergestaltungs- und terslasten, die auch für eine Bundesagentur entstehen Steuervermeidungsmodelle der Vergangenheit überleben – davon ist früher nie die Rede gewesen –, zu bilden. 13524 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 129. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. November 2007

Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel (A) Wir sind froh darüber, dass wir zum ersten Mal sagen Erhöhung der Pflegeversicherungsbeiträge der Durch- (C) können: Es gibt eine Trendwende bei den Lohnzusatz- schnittsverdiener im Jahr 2008 netto 270 Euro mehr in kosten nach unten. Wir schaffen es, unter 40 Prozent zu der Tasche haben wird. Das sind die ersten Erfolge der kommen. Das ist eine gute Botschaft, die im Übrigen Politik der Bundesregierung nach der Sanierung des zeigt, dass wir erreicht haben, was wir uns in dem Regie- Bundeshaushalts. rungsprogramm vorgenommen haben. Ich will hier daran erinnern, womit wir begonnen ha- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) ben: Wir haben mit einem strukturellen Defizit von 50 bis 60 Milliarden Euro begonnen. Faktisch war das Wir folgen konsequent dem Prinzip von Fördern und Defizit bei über 30 Milliarden Euro. Dass wir bei Fordern. Es hat eine breite Debatte über die Verlänge- Wachstum, Beschäftigung und Haushaltssanierung heute rung der Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes I für Äl- so dastehen, wie wir dastehen, ist nur durch den Drei- tere gegeben. Wir haben eine Einigung gefunden, die der klang „Sanieren, Reformieren und Investieren“ möglich Tatsache Rechnung trägt, dass Ältere länger brauchen, gewesen. um auf dem Arbeitsmarkt wieder vermittelt zu werden. Ältere erhalten die Chance, besser vermittelt zu werden, (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) indem wir Eingliederungszuschüsse gewähren, um je- Für all die, die dauernd davon reden, wie viel der dem die Möglichkeit zu eröffnen, wieder einen Arbeits- Staat eingreift, ist die wirklich „schlechte“ Nachricht die platz zu bekommen. Das, finde ich, ist die gute Botschaft vom Sinken der Staatsquote. Welche Zahl zeigt eigent- für die Älteren. Deshalb bin ich außerordentlich einver- lich besser als die Staatsquote, wie viel Spielräume die standen mit der Reform des Arbeitslosengeldes I. Bürgerinnen und Bürger wieder haben? Im Jahre 2005 (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) lag die Staatsquote bei 46,9 Prozent. Im Jahre 2008 wird sie bei 43,3 Prozent liegen. Wer einen Vergleich zu den Wir müssen in der Rentenpolitik so vorgehen, dass Staatsquoten der anderen europäischen Länder zieht, der wir wieder ein Reservepolster anlegen. Die Schwan- weiß, dass Deutschland damit gut dasteht und dass wir kungsreserve, das heißt die Vorsorge, ist jetzt wieder bei damit einen guten Platz haben. Das Sinken der Staats- 0,7 Monatsbeiträgen angelangt. Wir wollen sie bis auf quote bedeutet nichts anderes, als dass die Menschen eineinhalb Monatsbeiträge aufbauen. mehr Freiräume haben für das, was in sie in ihrem Leben Ich sage ganz eindeutig: Wir stehen zu der Entschei- selber gestalten wollen. dung bezüglich der Rente mit 67. Allen Experten, die (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) glauben, jeden Tag noch etwas Neues sagen zu müssen, sage ich aber: Die Menschen haben mit uns Verlässlich- Wir werden den Weg für mehr Beschäftigung weiter- (B) keit für die Zukunft bekommen, was die Notwendigkeit gehen. Wir wollen die Arbeitnehmerbeteiligung in Form (D) der Rente mit 67 anbelangt. Darüber hinaus gibt es keine des Investivlohns. Wir wollen die Sanierung der öffentli- Verunsicherung durch diese Bundesregierung; auch das chen Gebäude voranbringen. Wir wollen die Förderung ist wichtig. der haushaltsnahen Dienstleistungen vereinfachen und verbessern, weil wir gerade im Bereich der einfachen (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Tätigkeiten Chancen für Arbeitssuchende sehen. Wir werden im nächsten Jahr die Aufgabe haben, die Wir werden den Bürokratieabbau vorantreiben. Die beschlossene Gesundheitsreform so umzusetzen, dass Bundesregierung ist die erste, die jemals nach den Maß- die Lohnzusatzkosten auch Ende des Jahres 2008 die stäben des Normenkontrollrats die Informationspflichten 40 Prozent nicht übersteigen. Ich glaube, dass die Wett- systematisch erfasst hat: Es sind 10 900. Die Bundesre- bewerbsfähigkeit der Krankenkassen im Rahmen dieser gierung hat klar gesagt: Die Bürokratiekosten sollen um Gesundheitsreform im Augenblick Schritt für Schritt 25 Prozent sinken. Sie tritt dafür ein, dass sich derselbe wächst. Prozess auf europäischer Ebene wiederholt. Wir, die Ich weiß, viele Menschen machen sich Sorgen: über Bundesregierung, haben uns vorgenommen, die Hälfte den eigenen Job, ob die Rente ausreicht oder ob wirklich der Wegstrecke bis zur Erreichung dieses Ziels bis zum ein Ausbildungsplatz zur Verfügung steht. Genau des- Ende dieser Legislaturperiode zurückzulegen. Das ist halb sagen wir: Arbeit ist die beste Form der Teilhabe; nachprüfbar, das ist messbar, das ist systematisch. Eine Arbeit ist die beste Form der Chancengerechtigkeit. solche Form des Bürokratieabbaus hat es in Deutschland Die Linie der Bundesregierung ist daher auch für das noch nicht gegeben, und das ist ein Erfolg der Großen nächste Jahr und das übernächste Jahr „Sanieren, Refor- Koalition. mieren, Investieren“. Das ist tatsächlich ein Dreiklang, (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- und zwar ein richtiger, mit dem wir voranschreiten wer- neten der SPD) den. Natürlich leitet uns die Frage: Wie bekommen wir (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- mehr Beschäftigung, aber auch Beschäftigung zu fairen neten der SPD) Bedingungen bei der Entlohnung? Damit meine ich auch die Frage der Mindestlöhne und alles, was damit Der Aufschwung wird Schritt für Schritt in der Breite zusammenhängt. immer mehr spürbar. Das Wachstum des dritten Quartals 2007 ist zunehmend von der Binnennachfrage Erstens. Bei der Post sehe ich nach wie vor Möglich- getragen. Die Lohnzusatzkosten sinken, sodass trotz der keiten, zu einer Einigung zu kommen. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 129. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. November 2007 13525

Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel (A) Zweitens. Obwohl wir unterschiedliche Auffassungen wichtig – Leuchttürme aufbauen: Spitzenprojekte in den (C) haben, haben wir mit der Entscheidung, ein Mindestar- Bereichen Klimaforschung, Energieeffizienz, Medizin beitsbedingungengesetz zu entwickeln und das Arbeit- und Medizintechnik sowie Verkehrsleittechnik. nehmer-Entsendegesetz im Frühjahr des nächsten Jahres Je besser die Rahmenbedingungen und Strukturen für auszuweiten, die Weichen dahin gehend gestellt, dass Beschäftigung werden, umso stärker macht sich ein mehr faire Löhne gezahlt werden, ohne dass die Tarifau- neues Problem bemerkbar: Wie sieht es aus mit unseren tonomie zerstört wird. Mehr Menschen wird die Chance Fachkräften, mit der Bildungssituation und mit der Aus- gegeben, eine Arbeit zu finden. schöpfung dessen, was wir an menschlicher Kraft in un- Unser Wohlstand lebt ganz wesentlich von der Inno- serer Gesellschaft haben? Deshalb wird auch in den Jah- vationskraft. Deshalb lautet unser dritter Grundsatz: ren 2008 und 2009 das Thema Bildung von ganz Wir wollen den Wohlstand von morgen durch Investitio- besonderer Bedeutung sein. Der Ausbildungspakt in die- nen in Forschung, in Bildung und in die Familien si- sem Jahr hat gewirkt. Ich bin deshalb auch dagegen, dass chern. Der Etat der Forschungsministerin profitiert von wir hier Zwangsabgaben miteinander vereinbaren. den hohen Wachstumsraten: plus 8 Prozent. Die Mittel (Zuruf des Abg. Hüseyin-Kenan Aydin [DIE für die Projektförderung steigen sogar um 16 Prozent. LINKE]) Wir haben uns nämlich entschlossen, durch den Bundes- anteil dazu beizutragen, dass für Forschungs- und Ent- – Mein Gott, wir wissen ja Bescheid. wicklungsaufgaben Mittel in Höhe von 3 Prozent des (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und Bruttoinlandsprodukts zur Verfügung stehen. Wir geben der SPD) dabei nicht einfach mehr Geld in das System, sondern haben eine Vielzahl neuer Instrumentarien entwickelt, In diesem Jahr sind 60 000 neue Ausbildungsplätze die wirklich dafür Sorge tragen, dass die Wirtschaft, ins- geschaffen worden; die Wirtschaft hat ihre Versprechun- besondere der Mittelstand, ihrer Verantwortung bei For- gen erfüllt. Trotzdem gibt es noch ein riesiges Problem schung und Entwicklung besser gerecht werden kann. aus den vergangenen Jahren, weil junge Leute in soge- Deswegen ist die Wissenschaftsunion eine ganz wichtige nannten Warteschleifen sind. Initiative. (Hüseyin-Kenan Aydin [DIE LINKE]: Aha!) Meine Damen und Herren, die Exzellenzinitiative Deshalb müssen wir uns überlegen – dies tun wir auch in hat in Deutschland auch im Hinblick auf den Zusam- der Bundesregierung –, menschluss von Forschungseinrichtungen eine große Bewegung gebracht. Eine schöne Botschaft, die ich ein- (Zuruf von der LINKEN: Wann denn?) fach mit einer Gratulation verbinde: Zwei Nobelpreise (B) wie wir genau diesen jungen Leuten helfen können; denn (D) für Physik und Chemie in diesem Jahr zeigen: In es darf uns kein junger Mensch in diesem Lande verlo- Deutschland kann man Spitzenforschung – – ren gehen, zumal dann nicht, wenn wir anschließend (Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Das war auch wieder über Fachkräftemangel sprechen. die Regierung? Bravo!) (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) – Lieber Herr Westerwelle, das war natürlich nicht die Wir wissen auch über den Zusammenhang von Inte- Regierung. gration und Ausbildung Bescheid. Wir wissen, was es (Heiterkeit bei der CDU/CSU und der SPD) für die Notwendigkeit der Integration und den Fachkräf- tebedarf bedeutet, wenn heute in Großstädten die Hälfte Aber es zeigt doch, dass die Bedingungen dafür, in aller Kinder bei der Einschulung Kinder mit Migrations- Deutschland zu forschen, so sind, dass man auch als hintergrund sind. Daher haben wir eine nationale Quali- Deutscher in Deutschland und nicht nur als Deutscher in fizierungsoffensive geschaffen, die wir Schritt für Schritt Amerika einen Nobelpreis bekommen kann. Das ist die weiter mit Leben erfüllen werden. Wir müssen und wer- Wahrheit. den auch mit den Ländern über die Schnittstellen zwi- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) schen Bildungspolitik der Länder und Ausbildung spre- chen; denn es kann nicht sein, dass 80 000 junge Es ist doch in keinem Interview mit den beiden Nobel- Menschen in Deutschland aus der Schule herauskommen preisträgern versäumt worden, dreimal nachzufragen, und nicht in der Lage sind, anschließend eine Ausbil- wie oft sie schon darüber nachgedacht hätten, nach dung aufzunehmen, sodass es die erste Aufgabe der Amerika oder sonst wohin zu gehen. Sie haben jedes Bundesagentur ist, aus Beitragsgeldern diese jungen Mal erklärt, die Großforschungseinrichtungen in Menschen zu qualifizieren. Auch hier werden wir für Deutschland seien gut. Daran müssen Sie doch nicht weitere Fortschritte sorgen. herummeckern; das haben Sie doch zum Teil mit gestal- tet. Meine Güte, wirklich! (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Wir haben in die Familien investiert – das wird nie- mand bestreiten –: Elterngeld, Erhöhung der Kinderzu- Wir sind dabei nicht am Ende. Wir werden den nächs- lage in der Riester-Rente, um hier mehr Generationenge- ten IT-Gipfel durchführen und für einen Spitzencluster- rechtigkeit zu verwirklichen, wesentliche Schritte zum wettbewerb sorgen. Vor allen Dingen werden wir – das Ausbau der Kinderbetreuung, Hilfe an die Bundesländer ist für die Akzeptanz von Forschung und Entwicklung bei einer Aufgabe, die wir als national wichtige Aufgabe 13526 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 129. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. November 2007

Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel (A) qualifiziert haben. Aber wir wissen auch, dass uns das bei kritischster Betrachtung müssen, glaube ich, alle in (C) Thema Kinderarmut nicht ruhen lassen kann. Wir wol- diesem Hause anerkennen, dass Deutschland beim Kli- len, dass niemand wegen der Kinder in die Bedürftigkeit maschutz sowohl seine Hausaufgaben gemacht hat als fällt; deshalb muss der Kinderzuschlag weiterentwickelt auch seine internationalen Aufgaben im Rahmen von werden. G 8 und der EU-Präsidentschaft erledigt hat und wir bei diesem Menschheitsthema ein Riesenstück vorangekom- (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- men sind. NEN]: „Wegen der Kinder“?) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- – Ja, wegen der Kinder nicht in die Bedürftigkeit fällt, neten der SPD) Frau Künast. So ist es. – Deshalb werden wir den Kin- derzuschlag erhöhen und vereinfachen. Das Bundes- Der Bundesumweltminister wird mit einem Maßnah- finanzministerium wird im Jahre 2008 turnusmäßig den menpaket für nationale Vorhaben, das wir nächste Wo- Existenzminimumbericht vorlegen. Wir werden dann che im Kabinett beschließen werden, nach Bali reisen. aber nicht ein ganzes Jahr warten, um zu überlegen, was Ich will daran erinnern – man kann das heute nachlesen –, wir zusätzlich für Familien tun können, sondern schnell dass Deutschland seinen Verpflichtungen aus dem – im Herbst des Jahres 2008 – daraus die notwendigen Kioto-Abkommen nach allen Voraussagen bis 2012 Schlussfolgerungen ziehen und handeln. nachkommen wird. Die Europäische Union ist noch weit davon entfernt, das zu tun. Ich kann uns nur alle auffor- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) dern, in der Europäischen Union diese Diskussion ver- Meine Damen und Herren, wir haben es trotzdem mit stärkt zu führen. Denn unsere Vorreiterrolle europäi- bedrückenden Zuständen zu tun, wenn wir an Kinder in scherseits wird in vielfacher Weise infrage gestellt Deutschland denken. Der Todesfall der verhungerten werden, wenn wir unsere eigenen Verpflichtungen aus Kioto in Europa nicht erfüllen. Deshalb wird das auch Lea-Sophie war ein letztes aufrüttelndes Beispiel. Ich eine schwierige Diskussion innerhalb der Europäischen sage Ihnen an dieser Stelle ehrlich: Ich halte relativ we- Union werden. nig von diesen schnellen Schuldzuweisungen, wer an welcher Stelle die Verantwortung trägt. Wir stehen vor (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- einer Situation, in der wir denen, die ihrer Erziehungs- neten der SPD) verantwortung nicht gerecht werden können, helfen müssen, ohne gleich die gesamte Gesellschaft für un- Wir haben eine Vielzahl von Maßnahmen vor uns, so- mündig zu erklären. wohl auf der europäischen als auch auf der deutschen Ebene. Ich glaube, wir müssen es schaffen – auch darum (Beifall bei der CDU/CSU) wird die Diskussion gehen –, die Nachhaltigkeit zu unse- (B) (D) Um hier im föderalen System die richtigen Antworten zu rem Leitprinzip zu erklären, das heißt Wirtschaftlichkeit, soziale Verträglichkeit und Umweltschutz immer wieder finden, bedarf es der Kraftanstrengung aller. Ich bitte da- in einen vernünftigen Einklang zu bringen. Darüber wird rum, keine schnelle, sondern die richtige Antwort zu fin- es im Einzelfall sicherlich auch Diskussionen geben; den, um den Kindern in Deutschland wirklich zu helfen. aber diesen Pfad der Nachhaltigkeit als den Grundpfad (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie unserer Politik anzulegen, halte ich für die richtige Wei- bei Abgeordneten der FDP) chenstellung für die Zukunft. Es gibt neben der mangelnden Fürsorge für jüngere Steigende Preise bei Öl, Gas und Strom versprechen, Menschen, für Kinder, noch etwas, das bedrückend ist. die Klimadebatte wieder lebendiger zu machen. Ich sage Das ist die Vereinsamung und Vernachlässigung älterer an dieser Stelle – weil dazu manches geäußert wird –: Menschen. Die Pflegereform versucht, auf diese Fragen Strom und Energie sind nicht zu billig. Die Menschen im eine bessere Antwort zu geben, indem wir verstärkte Lande leiden zum Teil darunter. Unsere Ansage muss Prüfaufträge und Qualitätsberichte über Pflegeheime sein: mehr Energieeffizienz, mehr Energiesparen, Ver- einführen, die jeder einsehen kann und über die sich je- brauch senken. Aber wir müssen auch aufpassen, dass der ein Urteil bilden kann, und Kontrollen ermöglichen, wir einen vernünftigen Pfad der Energie finden, auch für bei denen nicht alles vorher angekündigt wird. Ich unsere nationale Energieversorgung. Ich will nicht ver- glaube, das ist ein richtiger Schritt. Deshalb ist die Erhö- hehlen, dass ich mit einer gewissen Sorge verfolge, wel- hung der Beiträge zur Pflegeversicherung richtig, weil che Formen der Energieversorgung jetzt allesamt auf die Pflegeversicherung Menschen in Not, Menschen im den Prüfstand kommen. Wenn wir keine Kohlekraft- Alter und Menschen, die diese Republik aufgebaut ha- werke mehr wollen und zudem die Kernkraftwerke ab- ben, hilft. Diesen Weg werden wir auch weitergehen. Ob schalten wollen, was nicht meine Position ist – das ist es Alzheimer, Demenzerkrankung oder vieles andere be- bekannt –, dann sehe ich doch erhebliche Probleme für die Zukunft der Energieversorgung in Deutschland. Ich trifft: Ich glaube, dass wir mit der Pflegeversicherung ei- muss ganz ehrlich sagen: Mit mir wird es nicht dazu nen richtigen Schritt gegangen sind. kommen, dass man überall in Europa Kohlekraftwerke (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) baut, in Deutschland die Kernkraftwerke abschaltet und sich anschließend wundert, dass wir kein Energieerzeu- Unser vierter Grundsatz lautet, die Zukunft nicht zu gerland mehr sind. verbauen. Das hat etwas mit Klimaschutz und Energie- politik zu tun, die unauflösbar zusammengehören. In (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- wenigen Tagen findet die Bali-Konferenz statt. Selbst neten der SPD) Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 129. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. November 2007 13527

Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel (A) Wir müssen also die globale Herausforderung sehen. Antworten, ja, ringend um die richtigen Antworten, aber (C) Das Klimathema ist ein globales Thema. Das entscheidet mit der Entschlossenheit, für dieses Land etwas zu tun. sich nicht an der Frage, ob in Saarbrücken oder in Lub- Herzlichen Dank. min ein Kohlekraftwerk steht oder nicht, sondern daran, dass wir international, global zu Reduktionen kommen, (Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU – Beifall den Verbrauch senken und die Effizienz steigern. Das bei der SPD) muss der Maßstab des Handelns sein. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Präsident Dr. Norbert Lammert: Nächster Redner ist Dr. Gregor Gysi, Fraktion Die Meine Damen und Herren, am Thema Klima sehen Linke. Sie exemplarisch wie wahrscheinlich an keinem anderen Thema, dass große Herausforderungen der Menschheit (Beifall bei der LINKEN) heute nicht mehr dadurch zu lösen sind, dass wir Innen- und Außenpolitik als zwei völlig getrennte Bereiche der Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE): Politik behandeln. Vielmehr gehört beides zusammen. Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zuerst Die Frage, wie das geistige Eigentum international ge- durften wir hier Herrn Brüderle hören. Nur mit zwei Sät- schützt wird, und die Frage, wie sich auch die Schwel- zen von ihm will ich mich auseinandersetzen. Sie haben lenländer in die Problematik des Klimawandels einklin- zum einen der Union unterstellt, auch demokratisch-so- ken und Verantwortung übernehmen, sind genauso zialistisch zu sein. Ich glaube, es hilft nichts: Ich muss wichtig, und an deren Lösung muss genauso viel gear- Ihnen irgendwann einmal erklären, was demokratischer beitet werden wie für die Frage, wie wir effiziente Autos Sozialismus ist. bauen und vernünftige Gebäudesanierung durchführen. (Beifall bei der LINKEN – Lachen bei der FDP – Dies erleben wir nicht nur bei dem Thema Klima und [CDU/CSU]: Aber nicht heute!) im gesamten Bereich der klassischen Außenpolitik, son- – Nicht heute, Herr Kauder; Sie können ganz beruhigt dern natürlich auch bei der gesamten Sicherheitspolitik, sein. bei der Herausforderung des internationalen Terrorismus und bei der Frage, wie wir ihn in unserem Lande be- Zum anderen haben Sie gesagt, es gebe glücklicher- kämpfen. Deshalb kommen auch hier internationale Ko- weise eine Partei in diesem Hause, die ihren wirtschaftli- operation mit unseren Partnern in der Welt zum Tragen, chen Sachverstand nicht an der Garderobe abgegeben die Öffnung Europas – ich erinnere nur daran, dass jetzt hat. Das stimmt: Das ist die Linke. Diesem Satz wollte die Grenzübergänge im Rahmen des Schengen-Abkom- ich ausdrücklich zustimmen. (B) (D) mens auch in Richtung Mittel- und Osteuropa geöffnet (Beifall bei der LINKEN – Lachen bei der werden – und eine vernünftige Terrorismusbekämpfung CDU/CSU und der FDP – Volker Kauder in Deutschland, zu der natürlich auch das Projekt der [CDU/CSU]: Wir sind aber nicht im Deut- Onlinedurchsuchung in unserem Regierungsprogramm schen Theater!) hinzukommt. – Ich wusste, dass Sie sich freuen. Ich wollte Ihnen am (Beifall bei der CDU/CSU) Anfang eine kleine Freude machen. Aber jetzt wird es Deshalb heißt der fünfte Grundsatz: Innen- und Au- anders. ßenpolitik sind nicht mehr zu trennen, sondern sie wach- sen zusammen, und dies macht unsere Politik aus. Präsident Dr. Norbert Lammert: Herr Kollege Gysi, jetzt haben Sie zwei Ankündigun- Meine Damen und Herren, nach zwei Jahren können gen gemacht, die Sie im Rahmen Ihrer Redezeit nicht wir sagen: Der Dreiklang von „Investieren, Sanieren, werden abarbeiten können. Darauf mache ich vorsichts- Reformieren“ halber aufmerksam. (Jürgen Koppelin [FDP]: Und Abkassieren!) (Heiterkeit bei der CDU/CSU, der SPD und hat sich bewährt. Weil er sich bewährt hat, bleibt er auch der FDP) die Richtschnur der nächsten zwei Jahre unserer Arbeit. Wir wissen: Nichts von dem, was wir erreicht haben, ist Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE): selbstverständlich. Millionen Menschen auf der Welt ste- Aber ich bitte darum, dass Sie Ihre Zwischenbemer- hen jeden Morgen auf und überlegen für sich und ihre kung nicht auf meine Redezeit anrechnen. Länder, wie sie ihren Wohlstand verbessern können. (Heiterkeit und Beifall bei der LINKEN) Deshalb wäre es die falsche Antwort – wir können auf die entsprechenden Fragen auch gar nicht mehr allein als Frau Bundeskanzlerin, kommen wir einmal zur Außen- Deutschland eine Antwort geben –, die Hände in den politik. Sie stören sich zum Teil daran, wie China versucht, Schoß zu legen. Dies ist uns bewusst, aber bewusst ist Weltmacht zu werden, und Russland versucht, wieder Welt- uns vor allen Dingen, dass diese Große Koalition einen macht zu werden. Sie vergessen nur, darauf hinzuweisen, Auftrag hat, den Menschen in Deutschland in diesem dass der Westen, und zwar in Form der USA, Großbritanni- globalen Wettbewerb eine gute Perspektive zu geben. ens, Frankreichs, Deutschlands und anderer Länder, seinen Deshalb werden wir unsere Arbeit fortsetzen: entschlos- Anteil daran hat. Ich erinnere mich noch sehr gut an die De- sen, geschlossen, gemeinsam ringend um die richtigen batten, die wir im Bundestag geführt haben, als man 13528 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 129. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. November 2007

Dr. Gregor Gysi (A) meinte, Bomben auf Belgrad werfen zu müssen, um Men- Dann zu den Menschenrechten. Frau Bundeskanzle- (C) schenrechte herzustellen. rin, da hatte ich bei Ihnen wirklich auf eine Änderung gehofft. Man kann ja unterschiedliche Wege gehen. (Widerspruch bei der SPD) Schröder, Schmidt und andere haben immer gesagt: Wir – Ich weiß, Sie wollen davon nichts hören. mischen uns nicht in die inneren Angelegenheiten ande- rer Staaten ein, vielleicht in internen Gesprächen, aber (Beifall bei der LINKEN) nicht öffentlich. – Das ist der eine Weg. Herr Scharping sagte, er werde sich davon nicht durch Sie haben in Russland etwas anderes gemacht. Sie ha- ein Veto Chinas abhalten lassen. Verstehen Sie, was das ben mit China etwas anderes gemacht. Ein anderer Weg Problem ist? Jelzin wollte das nicht. Der Premierminis- ist, dass man sagt: Ich spreche das öffentlich an, auch ter musste mit seinem Flugzeug umkehren, weil ihn kei- wenn Putin dabei ist. – Das kann man machen, Frau ner zum Gespräch empfing. Was war denn die Schluss- Bundeskanzlerin. Aber nun hatte ich gehofft, dass Sie folgerung der beiden Führungen? Die Schlussfolgerung nicht einseitig sind, und habe darauf gewartet, was Sie war eben nicht: Wir ziehen uns bescheiden zurück. Die auf der Ranch von Bush sagen. Da haben Sie öffentlich Schlussfolgerung war vielmehr: Unser Nein oder unser nichts gesagt, kein Wort zu Guantánamo. Ja hat nur dann eine Relevanz, wenn dahinter auch Macht steht, nämlich Weltmacht. – Mit dieser Politik ha- (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert ben wir es jetzt zu tun. Winkelmeier [fraktionslos]) (Beifall bei der LINKEN) Ich bitte Sie, Frau Bundeskanzlerin: Guantánamo ist eine schwere Menschenrechtsverletzung. Da sitzen Daran hat doch Deutschland seinen Anteil; das können Menschen seit Jahren. Sie wissen nicht, wie lange noch. wir doch nicht leugnen. Sie haben keine Verteidiger. Es gibt für sie kein Recht. Sie sind rechtlos. Das ist überhaupt nicht hinnehmbar. Nehmen wir die Kriegspolitik; Sie haben dazu kaum Sie werden weder als Kriegsgefangene noch als Be- etwas gesagt. Ich sage es noch einmal: Sie werden Terro- schuldigte behandelt. rismus nicht wirksam mit Krieg bekämpfen können. Krieg erzeugt immer neuen Hass und damit neue Bereit- Der Höhepunkt waren – das muss ich Ihnen sagen – schaft zum Terrorismus. Geheimgefängnisse der CIA in Osteuropa. Sie müssen sich das einmal vorstellen: Da sitzen Menschen, die gar (Beifall bei der LINKEN) nicht wissen, wo sie sind. Sie können keine Briefe an Wenn man sich im Übrigen den Irak, Afghanistan und Angehörige schicken. Es gibt keinen Verteidiger, keinen (B) vor allen Dingen die Drohung der USA in Bezug auf den zuständigen Richter und keinen zuständigen Staatsan- (D) Iran ansieht, dann weiß man: Es geht immer auch um walt. Sie wissen nicht, ob sie dort ihr Leben lang oder Ressourcen. Es geht um Erdöl und Erdgas. Als ob wir nur kurze Zeit einsitzen. Sie wissen gar nichts. Hätte ein seit Jahrhunderten nichts dazugelernt hätten! Immer wie- untergegangener Staat so etwas gehabt, wir hätten ganze der Kriege aus wirtschaftlichen Gründen! Kommissionen und Komitees gebildet, um das auszu- werten, und Sie sagen dazu auf der Ranch nicht ein (Beifall bei der LINKEN) Wörtchen. Das ist nicht hinnehmbar. Eine weitere Sache. Ich bin wirklich sehr für Frauen- (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert rechte und froh darüber, dass sich in Afghanistan etwas Winkelmeier [fraktionslos]) verbessert. Aber ich nehme Ihnen Ihre Ehrlichkeit dies- bezüglich nicht ab vor dem Hintergrund, dass der König Das ist die Einseitigkeit, wie ich sie seit Jahrzehnten von Saudi-Arabien hier ist und Sie zu den Frauenrechten kenne. Beim Gegenüber stellt man immer Menschen- kein einziges öffentliches Wort sagen. rechtsverletzungen fest, und bei Freunden schweigt man dazu. Das ist keine Lösung des Problems. Das ist ein in- (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- strumentelles Verhältnis zu Menschenrechten. neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN (Beifall bei der LINKEN) und des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos]) Aber kommen wir zur Innenpolitik. Frau Bundes- Dann geht es mir darum, dass die Schweiz jetzt gesagt kanzlerin, Sie haben den schönen Satz gesagt: „Der Auf- hat, sie ziehe ihre Soldaten aus Afghanistan ab. Es gibt schwung kommt bei den Menschen an, bei immer mehr drei Felder – das muss ich Ihnen einmal sagen –, auf de- Menschen.“ Offenbar haben Sie nur Kontakt zu nen wir von der Schweiz lernen können. Erstens müssen 10 Prozent der Menschen dort alle mit einem Erwerbseinkommen Beiträge – dies bezogen auf ihr vollständiges Einkommen – in die Ren- (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert tenversicherung einzahlen. Zweitens kennt man in der Winkelmeier [fraktionslos] – Steffen Kampeter Schweiz Volksentscheide, und drittens zieht sie ihre Sol- [CDU/CSU]: Das ist ja Blödsinn!) daten ab, weil sie sagt: ISAF dient nicht mehr der Frie- denssicherung. – In dieser Hinsicht könnte Deutschland und zu 90 Prozent der Menschen nicht. Was glauben Sie, etwas schweizerischer werden. was die Rentnerinnen und Rentner denken, wenn sie hö- ren, dass der Aufschwung bei ihnen ankommt? Wir hat- (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert ten gerade eine Rentensteigerung von 0,5 Prozent und Winkelmeier [fraktionslos]) eine Inflation von 3 Prozent. Das macht ein Minus von Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 129. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. November 2007 13529

Dr. Gregor Gysi (A) 2,5 Prozent. Da sind die Rentnerinnen und Rentner aber tig wäre. Sie führen ihn nicht einmal bei den Briefzustel- (C) begeistert von dem Aufschwung! lerinnen und Briefzustellern ein. Wir haben dafür noch eine Woche im Dezember Zeit; ich bin sehr gespannt, ob (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Sie in dieser Zeit eine Lösung finden. Winkelmeier [fraktionslos]) Sie haben nichts gegen den Verdacht unternommen, Sie haben auch einen Satz aufgegriffen, den ich schon Frau Bundeskanzlerin, dass die beiden Konkurrenzkon- von Herrn Kauder kannte. Er hat in der Sendung Hart, zerne, die gerne viel Geld verdienen und an denen Sprin- aber fair gesagt: Sozial ist alles, was Arbeit schafft, und ger beteiligt ist, bei Ihnen vorstellig wurden und gesagt unsozial ist alles, was Arbeit vernichtet. – Sie machen haben, sie wollten den Mindestlohn nicht. Nun muss ich sich das viel zu einfach. Es gibt auch Arbeit in Unwürde. Springer einmal verteidigen. Ich verstehe ja, dass sie mit (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Billiglöhnen eine hohe Rendite erzielen wollen. Ich ver- Winkelmeier [fraktionslos]) stehe sogar, dass sie Sie anrufen und sagen, dass sie das gerne weiterhin verdienen wollen. Das Einzige, was ich Die ist nicht sozial. Wir brauchen gute Arbeit, wir brau- nicht verstehe, ist, dass Sie nicht den Mut und die Kraft chen Arbeit in Würde. Das ist ein großer Unterschied. haben, zu sagen: Das ist ganz nett, aber wir machen das Ich will Ihnen einmal sagen, bei wem alles der Auf- nicht; wir werden den gesetzlichen Mindestlohn für die schwung nicht ankommt. Fangen wir einmal mit der Briefzustellerinnen und Briefzusteller einführen. Vermögensverteilung in Deutschland an, bei der die (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Ungleichheit übrigens unter Ihrer Verantwortung, Frau Winkelmeier [fraktionslos]) Bundeskanzlerin, noch zugenommen hat. 10 Prozent der Bevölkerung in Deutschland besitzen zwei Drittel des Das ist das Problem, mit dem wir es zu tun haben. Vermögens, und zwei Drittel der Bevölkerung besitzen Zum Kombilohn sagt selbst der Vorstand der Bun- kein Vermögen. Das waren einmal weniger. Der Reich- desagentur für Arbeit, dass er lieber einen gesetzlichen tum hat zugenommen, und die Armut hat zugenommen. Mindestlohn hätte als die Lohndrückerei über Kombi- Wir sind von sozialer Gerechtigkeit weiter entfernt als löhne. Jeder kann sich vorstellen, was in unserer Wirt- zu Beginn Ihrer Koalition. Das ist die Wahrheit. schaft passiert, wenn Sie per Gesetz regeln, dass Sie den (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Rest sowieso immer draufzahlen. Dafür haben wir ja die Winkelmeier [fraktionslos]) Steuerzahlerinnen und Steuerzahler. 2,6 Millionen Kinder leben in Armut. Sie haben kei- Auch die 6,6 Millionen Menschen in Minijobs mer- nen Satz dazu gesagt, was Sie dagegen tun wollen. ken übrigens nichts von Ihrem Aufschwung. Deren Zahl (B) 7,4 Millionen Menschen in Deutschland leben – entwe- hat ebenfalls zugenommen. Außerdem sind inzwischen (D) der ausschließlich oder zusätzlich – von ALG II. Die 800 000 Menschen in Leiharbeit. Ich sage Ihnen noch merken nichts von dem Aufschwung, gar nichts. Darun- einmal: Das ist eine moderne Form der Sklaverei. ter sind 1,3 Millionen Aufstocker. Deren Zahl hat zuge- (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert nommen. Das muss man sich einmal überlegen – Herr Winkelmeier [fraktionslos]) Kauder, Sie sagen, das sei sozial –: Aufstocker sind Leute, die einen Vollzeitjob haben, aber von dem Lohn Es geht nicht an, dass man zwischen einem Drittel und nicht leben können. der Hälfte von dem verdient, was andere für dieselbe Ar- beit verdienen. Ebenso geht es nicht an, dass die Stamm- (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Aufstocker arbei- belegschaften schrittweise ausgewechselt werden, weil ten nicht Vollzeit! Das wissen Sie, Herr Gysi!) sie über die Leiharbeiterinnen und Leiharbeiter unter Deshalb müssen sie zusätzlich Sozialleistungen beantra- Druck gesetzt werden. gen. (Zuruf von der CDU/CSU) Das ist überhaupt der Gipfel. Sie sagen immer: weni- – Wir können ja gerne zu mehr sozialer Gerechtigkeit ger Staat, mehr Markt. Aber die Risiken der Marktwirt- kommen: Für die ALG-II-Empfänger haben wir einen schaft soll der Staat tragen. Weihnachtszuschlag beantragt. Aber die christliche Par- (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert tei sagt natürlich Nein zum Weihnachtszuschlag. Am Winkelmeier [fraktionslos]) 24. Dezember werden Sie aber schwülstige Reden hal- ten. Sie hätten Ja sagen müssen zum Weihnachtszu- Die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler müssen Steuern schlag für ALG-II-Empfänger. bezahlen, damit wir die Löhne wieder aufstocken. Das wollen Sie auch noch vertiefen; Sie wollen ja den Kom- (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert bilohn erst richtig einführen. Ich kann nur sagen: Das ist Winkelmeier [fraktionslos]) unserer Meinung nach ein völlig falscher Weg. Die Regelsatzerhöhung haben Sie abgelehnt. Die In- Den gesetzlichen Mindestlohn lehnen Sie ab. Der flationsrate beträgt 3 Prozent, Sie erhöhen aber trotzdem würde das beseitigen. Dann wäre klar, was mindestens nicht den ALG-II-Regelsatz. Die Kindergelderhöhung gezahlt werden muss. Dann gäbe es keine Aufstocker haben Sie verschoben. Frau Bundeskanzlerin, Sie haben mehr, und die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler müss- hier die Entscheidung für das Elterngeld und Frau von ten nicht zusätzlich Mittel zur Verfügung stellen. Aber der Leyen gewürdigt. Ich muss Ihnen einmal sagen, was das machen Sie nicht, obwohl der Mindestlohn so wich- da Übles passiert ist: Die Ärmeren bekamen zwei Jahre 13530 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 129. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. November 2007

Dr. Gregor Gysi (A) lang 300 Euro Erziehungsgeld pro Monat. Die Bezugs- 40 Berufsjahre hinter sich hat. Er hätte Anspruch auf (C) dauer haben Sie jetzt halbiert. Sie haben dafür gesorgt, eine Rente von 1 051 Euro. Wenn Sie ihn, weil er ar- dass sie nur ein Jahr lang Elterngeld erhalten. Dafür er- beitslos ist, jetzt zu einer Frühverrentung zwingen und halten die Besserverdienenden bis zu 1 800 Euro Eltern- der höchste denkbare Abzug von 18 Prozent greift – das geld pro Monat. Ich sage Ihnen: Das ist die direkteste entspricht einem Abzug von 190 Euro –, bekommt er Umverteilung von Arm zu Reich, die hier je beschlossen statt 1 051 Euro nur 861 Euro Rente, und zwar auch, worden ist. wenn er 88 oder 89 Jahre alt ist. Wenn Sie mit einer Rente in dieser Größenordnung leben müssten, wüssten (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Sie, dass das ein Verlust ist, der einfach nicht hinnehm- Winkelmeier [fraktionslos]) bar ist. Den Menschen jede Entscheidungsfreiheit zu Über die Hälfte derjenigen, die Elterngeld beziehen, er- nehmen, halte ich wirklich für indiskutabel. halten nur 300 Euro. Die Bezugsdauer ist aber um zwölf (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Monate verkürzt worden. Das hat mit sozialer Gerech- Winkelmeier [fraktionslos]) tigkeit wirklich überhaupt nichts zu tun. Ich appelliere noch einmal an Sie: Es gibt noch eine Zu den Rentnerinnen und Rentnern – ich habe sie Sitzungswoche in diesem Jahr. Lassen Sie uns hier eine ja schon angesprochen –: Sie haben die Formel verän- Lösung finden. Wir sind diesbezüglich für eine nament- dert. Es gibt keine Beteiligung der Rentnerinnen und liche Abstimmung. Die Sozialdemokratinnen und So- Rentner an der Produktivitätsentwicklung mehr. Auch an zialdemokraten können bei diesem Thema nicht mit der der Lohnentwicklung sind sie kaum noch beteiligt. Wir Koalitionsdisziplin kommen. Sie müssen dann jährlich haben Nullrunde für Nullrunde gehabt. Real sind das im- 120 000 bis 150 000 Leuten erklären, warum Sie mit da- mer Minusrunden, weil es immer Beitrags- und Preis- für gesorgt haben, dass sie zwangsverrentet werden. steigerungen gab. Auch in diesem Jahr hatten wir letzt- lich eine Minusrunde, nichts anderes – das ist doch ganz (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert klar –, weil die Preise viel stärker steigen als die Renten. Winkelmeier [fraktionslos]) Es geht den Rentnerinnen und Rentnern in Deutschland – das sind Millionen Menschen – wieder schlechter. Das Noch eine Anmerkung, die das Thema Rente betrifft: ist die Wahrheit. Und es wird ihnen auch im nächsten Schröder hat ja noch die Riester-Rente eingeführt. Mit Jahr nicht besser gehen. der Riester-Rente hat man der Wirtschaft im Grunde ge- sagt: Ihr braucht nicht mehr mitzubezahlen. Die Arbeit- (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert nehmerinnen und Arbeitnehmer müssen das alles alleine Winkelmeier [fraktionslos]) bezahlen. (B) Dann haben Sie noch beschlossen, das Renteneintritts- ( [Hildesheim] [SPD]: So (D) alter auf 67 Jahre zu erhöhen. Frau Bundeskanzlerin, das einen Schwachsinn habe ich lange nicht ge- ist doch nichts anderes als eine Rentenkürzung. Sie wol- hört!) len einfach zwei Jahre lang keine Rente zahlen. Das ist alles, was dahintersteckt. – Moment. – Das ist doch ein großes Geschäft für die privaten Versicherungen. Die privaten Versicherungen (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert haben sich doch als dankbar erwiesen. Winkelmeier [fraktionslos]) (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Die SPD hat da mitgemacht. Winkelmeier [fraktionslos]) Kommen wir nun zur Zwangsverrentung. Frau Bun- Die Allianz-Versicherung hat im Juli 2007 an die CSU deskanzlerin, ich appelliere noch einmal an Sie: Wir ha- 60 001 Euro gespendet, an die CDU 60 001 Euro ge- ben in diesem Jahr noch eine Sitzungswoche. Wir kön- spendet, an die SPD 60 001 Euro gespendet und – man nen da noch etwas machen. Ich will das so seicht wie höre und staune – an die Grünen 60 001 Euro gespendet. möglich machen. Herr Westerwelle, was Sie falsch gemacht haben, weiß (Joachim Poß [SPD]: „Seicht“ war schon sehr rich- ich nicht. tig! Von Ihnen kommt sehr viel Seichtes!) (Heiterkeit bei der LINKEN) Diese Zwangsverrentung ist wirklich nicht hinnehmbar. Sie haben nur 50 001 Euro bekommen. Die Strafe von Jährlich sollen 120 000 bis 150 000 Menschen zwangs- 10 000 Euro habe ich nicht verstanden. Meine Partei hat verrentet werden. Diesen Menschen nimmt man die Ent- gar nichts bekommen. scheidungsfreiheit. Einem älteren Menschen von bei- spielsweise 60 Jahren, der ALG II erhält, sagen Sie: Du (Zurufe: Oh!) darfst nicht länger ALG II beziehen. Du musst in Früh- Ich muss Ihnen sagen: Ich bin froh, dass es noch eine rente gehen, und zwar mit Abzügen, die dein Leben lang nicht von der Allianz gesponserte Partei im Deutschen gelten. – Ich halte das für grundgesetzwidrig. Bundestag gibt. (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos]) (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos] – Volker Kauder Ich habe die Auswirkungen an einem Beispiel ausge- [CDU/CSU]: Ihr habt das Vermögen von der rechnet: Nehmen wir einen Durchschnittsverdiener, der alten SED übernommen!) Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 129. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. November 2007 13531

Dr. Gregor Gysi (A) Nun kommen wir zu den Arbeitnehmerinnen und Ich komme zum zweiten Beispiel. Das betrifft die (C) Arbeitnehmern. Der Aufschwung soll ja so stark sein. Beiträge zur Sozialversicherung, und zwar aus folgen- Nehmen wir einmal das Pro-Kopf-Einkommen. Ich habe dem Grund: Sie alle haben eine Beitragsbemessungs- wirklich gestaunt, als ich die neue OECD-Statistik gele- grenze beschlossen und gesagt: Für ein höheres Einkom- sen habe. Es ist interessant, so etwas zu lesen. Nach die- men muss man nicht mehr einzahlen. Wenn Sie sagen, ser neuen OECD-Statistik ist es so, dass wir in Deutsch- für ein höheres Einkommen müsse man nicht mehr ein- land im Vergleich der 15 alten EU-Mitgliedsländer beim zahlen, dann müssen Sie beim Normalverdienst den Pro- Pro-Kopf-Einkommen auf Platz 11 liegen. Die OECD zentsatz erhöhen, damit das Geld reicht. Wieder trifft es sagt: Im nächsten Jahr überholt uns Spanien; dann liegen die durchschnittlich Verdienenden. Sie müssen auf ihr wir auf Platz 12. Darauf sind Sie stolz, Frau Bundes- ganzes Einkommen Beiträge zahlen, während die Best- kanzlerin? Das ist wirklich kein Grund, stolz zu sein. und Besserverdienenden nur auf einen Teil ihres Ein- kommens Beiträge zahlen müssen. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Ich kann Ihnen Punkt für Punkt belegen, wie Sie ge- Die UNO hat gestern eine neue Statistik herausge- rade die durchschnittlich Verdienenden in Deutschland bracht, in der sie feststellt: Wir sind hinsichtlich der Le- immer stärker zur Kasse bitten. Auch das hat nicht nur bensqualität um einen Platz nach hinten gerutscht. Wir die Linke festgestellt, sondern die OECD hat jetzt ge- sind jetzt auf Platz 22. Im Durchschnitt ist die Lebens- sagt, dass die niedrigen und die durchschnittlichen Ein- qualität in Italien, Spanien und den USA höher als in kommen in Deutschland im internationalen Vergleich Deutschland. Das hat die UNO festgestellt, nicht die übermäßig stark belastet sind, während die hohen Ein- Linke. Verstehen Sie? Sie reden hier, als ob in Deutsch- kommen im internationalen Vergleich stark entlastet land alles blühend sei. Davon kann doch gar keine Rede sind. Das ist das Ergebnis der Politik von Union und sein! SPD. (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos] – Zurufe von der Winkelmeier [fraktionslos]) FDP) Was hat sich für die Ostdeutschen verbessert? Frau Wir hatten in den letzten zehn Jahren – daran waren Bundeskanzlerin, auch Sie sind Ostdeutsche. Gibt es ei- übrigens auch Sie beteiligt; seien Sie von der FDP ein- nen einzigen Schritt zur Angleichung der Renten, einen mal nicht so laut – in Deutschland einen Reallohnverlust einzigen Schritt zur Angleichung der Löhne und Gehäl- von 6 Prozent. In denselben Jahren gab es eine Reallohn- ter, einen einzigen Schritt zur Angleichung der Arbeits- steigerung in Frankreich von 10 Prozent, in den USA zeiten? Es gibt ihn nicht. Die Transferleistungen sind (B) von 23 Prozent, in Großbritannien von 24 Prozent und in vereinbart; das ist okay. Aber davon müsste man – das (D) Schweden von 29 Prozent. Daher resultiert doch unser will ich nicht machen; ich will es nur ansprechen – jetzt Abstieg im internationalen Vergleich. wieder abrechnen, dass Sie bei den übrigen Fördertöpfen den Osten immer benachteiligen, Bei uns boomt nur die Exportwirtschaft, nicht die Binnenwirtschaft. Denn die Kaufkraft ist nicht gestie- (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Blödsinn!) gen. Was passiert jetzt? Jetzt erleben wir den Verfall des Dollars. Damit kommt die Exportwirtschaft wieder ins zum Beispiel bei Wissenschaft und Forschung und auf Schlingern. Sie haben binnenwirtschaftlich nichts vorbe- anderen Gebieten. reitet, um dafür einen Ausgleich zu haben. Es gibt noch eine Schwäche. Sie machen nichts für (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert strukturschwache Regionen, ganz egal ob in Ost oder Winkelmeier [fraktionslos]) West. Die Kommunen strukturschwacher Regionen brauchen eine Investitionspauschale, damit sie eigene Jetzt sage ich Ihnen – da werden Sie sich wundern –: Wirtschaftskreisläufe in Gang setzen können. Nicht nur für die armen Schichten in Deutschland be- steht eine große Gefahr, sondern auch für die Mittel- (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert schicht. Sie zerstören die Schicht der durchschnittlich Winkelmeier [fraktionslos]) Verdienenden, Sie zerstören die Mittelschicht. Ich nenne Kommen wir einmal zu den Steuern, weil darüber Ihnen dafür zwei Beispiele. Das eine Beispiel ist: Sie immer diskutiert wird. Uns wird Populismus vorgewor- wissen, Sie haben den Spitzensteuersatz der Einkom- fen. Dazu muss ich Ihnen etwas sagen. Die Körper- mensteuer von 53 auf 42 Prozent gesenkt. Das kostet uns schaftsteuer haben Sie allesamt von 45 Prozent auf in- übrigens jährlich 11 Milliarden Euro. Das sage ich, da- zwischen ab 1. Januar 2008 15 Prozent gesenkt. Aber mit die Leute einmal wissen, auf wie viel Geld Sie da Sie vergessen immer, zu erwähnen, dass die Körper- verzichtet haben. Aber okay, das haben Sie gemacht. Sie schaftsteuer in Großbritannien 30 Prozent, in Frankreich haben die Steuer beim Einkommen allerdings nicht li- 33,3 Prozent und in den USA 35 Prozent beträgt. near gestaltet, sondern es gibt einen sogenannten Steuer- bauch. Das heißt, dass die durchschnittlich Verdienenden (Peer Steinbrück, Bundesminister: Die zahlen stärker in Anspruch genommen werden, weil Sie bei den auch keine Gewerbesteuer! – Bernhard Bestverdienenden nachgelassen haben. Damit zerstören Brinkmann [Hildesheim] [SPD]: Da gibt es Sie sozusagen die Schicht der Normalverdienenden, die auch keine Gewerbesteuer! Aber das weißt du Mittelschicht. nicht! Keine Ahnung!) 13532 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 129. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. November 2007

Dr. Gregor Gysi (A) Ich habe schon gesagt: Den Spitzensteuersatz haben lands, Litauens, Estlands, Bulgariens und Rumäniens be- (C) Sie von 53 auf 42 Prozent gesenkt. rücksichtigt, liegt bei 40,8 Prozent. Das wirtschaftlich stärkste Land der EU, Deutschland, hat eine Steuer- und Ich erwähne noch einmal, dass ein Unternehmen, das Abgabenquote von 36,3 Prozent. Es ist also nicht etwa etwas verkauft, eigentlich Steuern auf Veräußerungser- so, dass Deutschland an der Spitze liegt, wie man es er- löse zahlen muss. Der Bäckermeister muss heute das warten würde, sondern wir liegen sogar unter dem Doppelte zahlen, die Deutsche Bank aber gar nichts Durchschnitt. Würde Deutschland bei dem, was ich ge- mehr. Diese Steuer haben Sie unter Schröder einfach ge- rade genannt habe, im europäischen Durchschnitt liegen, strichen. Damals haben Sie von der Union gemeckert, dann hätten wir jährliche Mehreinnahmen von wieder eingeführt haben Sie diese Steuer aber nicht. 120MilliardenEuro. (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert (Zurufe von der SPD: Ui! Ui! – Toll! – Na, so Winkelmeier [fraktionslos]) etwas!) Es gibt in Deutschland keine Vermögensteuer, wie es Damit ließe sich all das bezahlen, was wir vorgeschlagen in anderen Ländern der Fall ist. Es gibt in Deutschland haben. Genau das lehnen Sie aber ab. keine Börsenumsatzsteuer, wie es in anderen Ländern der Fall ist. Die deutsche Erbschaftsteuer ist lächerlich. (Beifall bei der LINKEN) Da ich Beispiele liebe, habe ich einmal Folgendes be- rechnen lassen: Auf ein Firmenvermögen von 4 Millio- Wie ich gehört habe, hat die SPD einen Linksruck nen Euro zahlt man in Deutschland eine Erbschaftsteuer hinter sich, von 168 000 Euro, in der Schweiz zahlt man (Dr. Peter Struck [SPD]: So, so!) 262 000 Euro, in Frankreich zahlt man 660 000 Euro, in den Niederlanden zahlt man 1,2 Millionen Euro, und weil sie eine geringe Verlängerung der Bezugsdauer des – gleich fallen Sie wahrscheinlich um – in den USA ALG I beschlossen hat. Ich erinnere daran, dass Union muss man darauf eine Erbschaftsteuer von umgerechnet und FDP einmal eine 32-monatige Bezugsdauer des 1,6 Millionen Euro zahlen. Unsere Erbschaftsteuer ist lä- Arbeitslosengeldes I eingeführt haben, nicht bloß eine cherlich, aber Sie korrigieren daran so gut wie gar 24-monatige. Wenn die Verlängerung der Bezugsdauer nichts! des ALG I auf 24 Monate einen Linksruck bedeutet, dann müssen Union und FDP damals wohl linksextre- (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert mistisch gewesen sein. Vor diesem Ruf will ich Sie aber Winkelmeier [fraktionslos] – Steffen in Schutz nehmen! Kampeter [CDU/CSU]: Aha! Sie fordern also (B) amerikanische Verhältnisse! Das ist ja interes- (Beifall bei der LINKEN – Renate Künast (D) sant!) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, ja! Und Sie waren einmal links-staatstragend! – Fritz Eine Steuer haben Sie allerdings erhöht – das muss Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist man Ihnen lassen –: die Mehrwertsteuer. doch wirklich dummes Zeug, was Sie da re- (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Diese neue den!) Erkenntnis ist wirklich erstaunlich! Sie überra- Sie haben den Beitragssatz zur Arbeitslosenversiche- schen mich immer wieder!) rung gesenkt, und zwar zunächst von 6,5 Prozent auf Die Mehrwertsteuererhöhung trifft wieder die durch- 4,2 Prozent und jetzt von 4,2 Prozent auf 3,3 Prozent; schnittlich Verdienenden, sie trifft die Armen, sie trifft damit will ich mich heute allerdings nicht näher ausei- die Rentnerinnen und Rentner, die Arbeitslosen usw., nandersetzen. während es die anderen nicht weiter stört. (Bernhard Brinkmann [Hildesheim] [SPD]: Nun komme ich auf das Thema Populismus zu spre- Das ist auch schwierig für dich! – Weitere Zu- chen. rufe von der SPD: Ach, nein? – Warum denn nicht? – Mach doch mal! Los!) (Lachen bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP – Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Ihre Da nach einem Aufschwung immer ein Abschwung ganze Rede war eine populistische Inszenie- folgt, möchte ich Sie nur fragen: Was machen Sie im rung!) Abschwung, – Für Sie ist soziale Gerechtigkeit populär, für mich (Volker Schneider [Saarbrücken] [DIE auch. Sie sollten allerdings einmal versuchen, für mehr LINKE]: So ist es!) soziale Gerechtigkeit zu sorgen. Das ist das Problem, also dann, wenn die Arbeitslosenzahlen wieder steigen? über das wir streiten. Ich kann mir schon jetzt vorstellen, dass es in den Debat- (Beifall bei der LINKEN) ten, die wir dann führen werden, wieder heißen wird: Wir können doch die Beitragssätze nicht erhöhen. Wir Ich möchte etwas zur durchschnittlichen Steuer- und müssen also die Leistungen kürzen. – Das, was Sie hier Abgabenquote in der EU sagen; ich beziehe mich also beschlossen haben, wird sich für die Arbeitslosen wieder nicht nur auf die Höhe der Steuern. Damit das niemand nachteilig auswirken. vergisst: Diese durchschnittliche Quote, die auch die Steuer- und Abgabenquote der Slowakei, Polens, Lett- (Beifall bei der LINKEN) Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 129. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. November 2007 13533

Dr. Gregor Gysi (A) Eine Entwicklung ist mittlerweile allen deutlich ge- 150 Milliarden Euro Mehrausgaben pro Jahr für den (C) worden – das ist übrigens eine vernünftige Entwicklung –: Staat bedeuten würde. Das ist nicht finanzierbar; das ist Je stärker die Linke ist, desto sozialdemokratischer wird doch völlig klar. Sie versprechen eine Politik nach dem die SPD. Motto: „Im Himmel ist Jahrmarkt; ich führe euch alle hin.“ So kann man unser Land doch nicht regieren. Das (Volker Schneider [Saarbrücken] [DIE geht nicht. LINKE]: Sehr richtig!) Je stärker die Linke ist, desto sozialer und friedenspoli- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie tisch engagierter werden die Grünen. Nur bei der Union bei Abgeordneten der FDP) erleben wir die umgekehrte Entwicklung: Die CDU hat Natürlich wären auch wir für eine Rentenerhöhung. für ihren Parteitag einen Leitantrag beschlossen, in dem Natürlich wären auch wir dafür, vieles anders und besser gefordert wird: – zu machen. Aber es muss auch finanziell möglich sein; es muss auch darstellbar sein. Das, was Sie hier als Al- Präsident Dr. Norbert Lammert: ternative vorlegen, ist keine Alternative. Herr Kollege Gysi, denken Sie bitte an die Redezeit. ( [DIE LINKE]: Das ist eine Frechheit! 25 Milliarden Unternehmensteuern Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE): geschenkt!) – kein Mindestlohn, keine Einschränkung der Zeitar- beit, keine Einheitsschule! – Frau Bundeskanzlerin, wir Zu zwei Punkten, die Sie mit Recht angesprochen ha- beide haben eine Gemeinschaftsschule besucht. So ben, will ich ganz konkret etwas sagen, weil wir darüber schlecht sind wir doch gar nicht ausgebildet! Gespräche führen. Die Koalitionsfraktionen sind mit der Bundesregierung im Gespräch über eine Neuregelung (Heiterkeit und Beifall bei der LINKEN sowie der Frühverrentung. Sie haben das Thema angespro- bei Abgeordneten der SPD – Wolfgang chen. Gehen Sie davon aus, dass wir noch in der nächs- Meckelburg [CDU/CSU]: Sie überschätzen ten Sitzungswoche dazu ein Gesetz beschließen werden, sich mal wieder ein wenig, Herr Kollege!) das den Menschen, die davon betroffen wären, hilft. Die Damit haben Sie sich dagegen entschieden, bei der Bil- Koalition ist sich darin einig. Das ist ein großer Erfolg dung für mehr Chancengleichheit zu sorgen. Außerdem für unsere gemeinsame Arbeit und auch für den neuen haben Sie sich gegen ein Aufweichen der Rente mit 67 Arbeitsminister , meine Damen und Herren. gewandt. Mit anderen Worten: Sie wollen die Armut er- höhen und den Reichtum stärken. Genau das ist nicht un- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (B) sere Linie. Deshalb bin ich froh, dass es in diesem Hause der CDU/CSU) (D) eine linke Opposition gibt. Wir werden Ihnen unsere Entscheidung dazu in der Danke. nächsten Woche mitteilen, und wir werden in der nächs- ten Sitzungswoche im Bundestag auch eine entspre- (Anhaltender Beifall bei der LINKEN) chende Regelung beschließen.

Präsident Dr. Norbert Lammert: Frau Bundeskanzlerin, Sie haben eine Rede gehalten, Dr. Peter Struck ist der nächste Redner für die SPD- die mir heute sehr gut gefallen hat. Das ist ja nicht im- Fraktion. mer so. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Heute! Die der CDU/CSU) Betonung liegt auf „heute“! „Heute hat sie ge- fallen“, wollen Sie sagen!) Dr. Peter Struck (SPD): – Ich habe es ja gesagt: Es ist nicht immer so. – Trotz- Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und dem kann ich es sagen: Ich unterstütze Ihre Politik, so Herren! Wenn Politik nur so einfach wäre, wie der Kol- wie Sie sie dargestellt haben, voll und ganz, wenngleich lege Gysi es gerade dargestellt hat: höhere Rente, weni- wir natürlich in manchen Fragen schon noch Differenzen ger Steuern, keine weiteren Abgaben. So kann man Poli- haben. Das ist ja auch kein Geheimnis. tik nicht machen, Herr Kollege Gysi. So kann sich ein Land wie Deutschland nicht verhalten. Ich will ein Thema offen ansprechen. Wir haben un- terschiedliche Auffassungen zum Thema Mindestlohn. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Die SPD ist der Meinung, dass es in Deutschland einen Wir haben einmal durchgerechnet, was die Verwirkli- Mindestlohn geben muss. Sie ist der Meinung, dass je- chung Ihrer Vorstellungen und Ihrer politischen Alterna- mand, der den ganzen Tag arbeitet, auch davon leben tiven zum Haushalt, die Sie auch in den Debatten hier im können muss, ohne Sozialhilfe in Anspruch zu nehmen. Bundestag vorgetragen haben, kosten würde. (Beifall bei der SPD) (Rainer Fornahl [SPD]: Solide durchgerechnet!) – Die Union klatscht nicht. Sie sieht das anders. Das ist Ich kann Ihnen nachweisen, Herr Kollege Gysi – und normal in einer Koalition. Wir müssen über bestimmte zwar nicht so flach, wie Sie es hier darstellen, sondern Dinge reden, um herauszufinden, wo es Möglichkeiten fundiert –, dass die Verwirklichung Ihrer Vorschläge für eine Einigung gibt. 13534 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 129. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. November 2007

Dr. Peter Struck (A) Wir hatten eine schwierige Debatte zum Thema Post- glaube, da spreche ich nicht nur für meine Fraktion, son- (C) mindestlohn, die nach dem jetzigen Stand noch nicht be- dern auch für viele andere in diesem Haus. endet ist. Ich gehe davon aus, dass wir in den anstehen- den Gesprächen die große Chance haben, doch noch eine (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie Einigung über einen Postmindestlohn zu erreichen, so- bei Abgeordneten der FDP und des BÜND- dass der Deutsche Bundestag in der nächsten Sitzungs- NISSES 90/DIE GRÜNEN) woche beschließen kann, die Briefdienstleister in das Die Kanzlerin hat zum Thema Arbeitslosengeld I das Entsendegesetz aufzunehmen. Das wäre ein Erfolg für Richtige gesagt. Es ging nach meiner Auffassung auch alle, die in diesen Unternehmen beschäftigt sind. Wir ha- darum, dass man zum Beispiel den Menschen, die älter ben einen guten Weg verabredet. Davon können wir aus- als 60 Jahre sind und lange eingezahlt haben, das Gefühl gehen. vermitteln muss, dass sie anders behandelt werden als (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Hartmut diejenigen, die weniger eingezahlt haben und jünger Koschyk [CDU/CSU] – Dr. sind. Das heißt, der Übergang von ALG I zu ALG II [DIE LINKE]: Da klatscht bei der CDU keiner!) sollte nicht so abrupt sein. Wir haben eine Regelung da- für gefunden. Ich hoffe, dass die Menschen das auch in Ich weiß, dass dazu noch Gespräche unter den Beteilig- Anspruch nehmen. Wir wissen genau, dass wir im Au- ten zu führen sind, aber wir sind auf einem guten Wege. genblick die Chance haben, bessere Vermittlungsmög- Die Kanzlerin hat dargestellt, dass eine Reihe von lichkeiten für ältere Arbeitslose zu erreichen. Die Zahlen Branchen beim Arbeitsminister Anträge auf Aufnahme sind genannt worden. Wir sind auf einem guten Weg. Es in das Entsendegesetz stellen können, zum Beispiel das war eine schwierige Debatte; aber das Ergebnis, das die Bewachungsgewerbe, Zeitarbeitsfirmen, Gartenbaufir- Koalition hier erreicht hat, ist ein gutes Ergebnis. Wir men und viele andere. Ich bin schon der Auffassung, haben dazu Arbeitsminister Olaf Scholz den Auftrag ge- dass wir eine Regelung finden müssen, um diesen Bran- geben, ein entsprechendes Gesetz vorzubereiten. Die chen zu helfen. Es geht ja nicht nur darum – das ist mein SPD-Fraktion geht davon aus, dass dieses Gesetz eine erster Ansatz –, dass die Menschen für die harte Arbeit, solche Wirkung entfaltet, auch rückwirkend, dass die, die sie leisten, einen ordentlichen Lohn bekommen, son- die gemeinhin davon betroffen sind, von dieser Verbes- dern es geht mir auch um die Unternehmen und die Un- serung beim Arbeitslosengeld I etwas haben. ternehmer, die darunter leiden, dass andere ihnen über Es gibt einen Kommunalkombi, es gibt viele Förde- Dumpinglöhne die Aufträge wegnehmen. Es gibt also rungsinstrumente. Ich finde es richtig, dass vereinbart ein beiderseitiges Interesse, einen bestimmten gesetzli- worden ist, dass der Arbeitsminister uns einen Vorschlag chen Mindestlohn zu vereinbaren. Wir lassen von die- macht, wie man die Zahl der vielen Förderinstrumente (B) sem Thema jedenfalls nicht ab, meine Damen und Her- der Arbeitspolitik komprimieren kann. Das Ministerium (D) ren, wenn es sein muss, bis zur Bundestagswahl im Jahre ist dabei, und wir werden in Kürze etwas vorlegen. Ein 2009. Kommunalkombi für Kommunen, die eine höhere Ar- (Beifall bei der SPD) beitslosigkeit als 15 Prozent haben, ist absolut richtig. Das hat eine gute Steuerungswirkung, gerade im Osten, Im Bereich des Arbeitsmarktes macht mir ein Pro- Kollege Gysi. Auch da müssen wir solche Förderungs- blem große Sorgen: die Ausweitung der Leiharbeit in maßnahmen ansetzen. Es gibt gar keinen Zweifel, dass Deutschland. Wenn ich höre, dass in einem großen Auto- wir das tun werden. mobilwerk in Ostdeutschland inzwischen 40 Prozent der Beschäftigten über Leiharbeitsfirmen in dieses Unter- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) nehmen gehen, dann ist in Deutschland etwas nicht in Wir – auch die Kanzlerin und andere – haben viel Ordnung. über die Zukunft geredet. Was sind die Zukunftsfragen (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des Landes? Ich glaube, die Große Koalition hat wegen der LINKEN) der breiten Mehrheit, die wir hier haben, und wegen ih- rer breiten Mehrheit im Bundesrat eine große Verantwor- Leiharbeit war gedacht als Möglichkeit, in bestimmten tung. Das kann übrigens nicht heißen, dass wir die Sondersituationen zusätzliches Personal zu beschäftigen, nächsten beiden Jahre, weil angeblich alles abgearbeitet mit dem die Firmen nicht dauerhaft belastet sind. Leihar- sei, nur Wahlkampf machen. Das würden uns die Men- beit bedeutet aber nicht, dass normale Arbeitsplätze out- schen nicht verzeihen. Wir sind für andere Aufgaben ge- gesourct werden und die Kollegen die gleiche Arbeit wie wählt worden: etwas für die Menschen in Deutschland vorher zu schlechteren Bedingungen leisten. Das darf zu tun. nicht sein, das wollen wir ändern. Ich nehme als Beispiel die Kinder. Wir haben hier (Beifall bei der SPD) eine Menge gemacht, zum Beispiel das Elterngeld einge- Wir haben darüber gesprochen, wie lange das führt. Wir diskutieren über den Rechtsanspruch auf ei- Arbeitslosengeld I gezahlt werden soll. Das ist, wie Sie nen Krippenplatz wissen, eine schwierige Debatte, auch in meiner Partei (Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Und über das und in meiner Fraktion. Ich will an dieser Stelle ein Wort Betreuungsgeld!) zu Franz Müntefering sagen, der heute nicht mehr hier ist. Ich danke Franz Müntefering, der als Arbeits- und und werden den Gesetzentwurf von Frau von der Leyen, Sozialminister viel bewegt hat in unserem Land. Ich der auf dem Weg ist, in Kürze, denke ich, verabschieden. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 129. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. November 2007 13535

Dr. Peter Struck (A) Es ist ein großer Erfolg, dass wir ab dem Jahr 2011 Wir wollen zum Beispiel eine Schulspeisung und ein (C) 750 000 Plätze in Krippen haben werden und der Bund Schulpaket ermöglichen, sodass Kinder beispielsweise dies mitfinanziert. Normalerweise ist das nämlich keine auch in die Schule gebracht werden. Darüber werden wir Aufgabe des Bundes. noch debattieren. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Sehr richtig!) Ich sage nicht, dass manche Eltern nicht mit ihren Kindern umgehen können. Wie könnte ich das sagen? Wir diskutieren das gerade in der Föderalismuskommis- Ich weiß aber auch, dass es Situationen gibt, in denen sion; dazu komme ich noch. Dass wir als Bund bereit der Staat zum Beispiel auch über eine solche Maßnahme sind, Geld zu geben, damit Eltern einen Rechtsanspruch regulierend eingreifen muss. Es ist strittig, und wir wer- auf einen Krippenplatz für ihre Kinder bekommen, ist den darüber diskutieren. Ich bin aber optimistisch, dass ein großer Erfolg. wir das schaffen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Zur Nachhaltigkeit und zur Zukunftssicherung gehört der CDU/CSU) natürlich auch die Finanzpolitik. Das ist gar keine Frage. Herr Kollege Gysi, was Sie zu den Finanzen gesagt ha- Wir führen eine Debatte über das Betreuungsgeld. Ein ben, ist schon sehr absurd. Es ist klar, dass wir beim Ab- Partner in der Koalition will auf jeden Fall ein Betreu- bau der Neuverschuldung auf einem guten Weg sind. ungsgeld festlegen, und zwar schon jetzt. Ich sage dazu: Ich möchte wissen, was Sie gesagt hätten – oder was der (Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Dass es Kollege Westerwelle sagen würde, der ja noch reden kommt!) wird –, wenn wir nicht eine so geringe Nettokreditauf- nahme hätten. Wir sind stolz darauf, dass es mit Es ist völlig klar, dass über die Frage, ob es ein Betreu- Steinbrück und den Haushältern gelungen ist, die Netto- ungsgeld gibt für die Eltern, die ihre Kinder nicht in eine kreditaufnahme auf unter 12 Milliarden Euro zu drü- Krippe geben wollen, im Jahre 2013 entschieden wird – cken. Das ist ein großer Erfolg. Bis 2011 wollen wir bei nicht in diesem Jahr und nicht im nächsten Jahr. Das null sein. muss klar sein. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) (Beifall bei der SPD) Dass wir die Schulden abbauen müssen, ist doch völ- Im Übrigen will ich auch an dieser Stelle noch einmal lig klar. Wir haben jetzt eine jährliche Zinslast von darauf hinweisen, dass ich Frau von der Leyens Politik 43 Milliarden Euro. Man kann nicht wie Gysi und an- in vielen Fällen fast hundertprozentig unterstütze, näm- dere, zum Beispiel die FDP – hier sind Sie sich ja einig –, einfach nur fordern, die Steuern zu senken. Das geht (B) lich weil sie die gleiche Politik macht, wie sie Renate (D) Schmidt gemacht hat. doch gar nicht. Das ist überhaupt nicht möglich. (Beifall bei der SPD) (Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Wir haben von Steuern gar nicht gesprochen!) Das werden Sie nicht bestreiten, Frau von der Leyen. Ich Wir müssen darüber nachdenken, wie wir diese Situation glaube, Sie haben bei uns manchmal mehr Unterstützung auch rechtlich in den Griff bekommen. als in Ihrer eigenen Fraktion oder in Ihrer eigenen Partei. Aber das ist ja egal, das Ergebnis zählt, und das ist ein Sie alle wissen, dass wir in der Föderalismuskom- gutes. mission II über genau diese Frage diskutieren: Wie können wir eine Schuldengrenze einbauen? – Kollege Wir haben in der letzten Koalitionsrunde über einen Er- Burgbacher ist gerade nicht da, aber ich sehe im Au- werbstätigenzuschuss diskutiert und eine Vereinbarung ge- genblick eine breite Übereinstimmung im Parlament, troffen, dafür aus den Mitteln der Bundesagentur mehr als dass wir im Zuge der Neuordnung des Art. 115 Grund- 1 Milliarde Euro bereitzustellen sowie 200 Millionen Euro gesetz hierzu etwas tun werden. Wir als Bundespoliti- für einen Kinderzuschlag, also besondere Leistungen für ker erwarten von den Landespolitikern in dieser Kom- besonders förderungsbedürftige Familien. mission, dass eine Regelung hinsichtlich der Wir haben natürlich über die üblichen Punkte zu dis- Begrenzung der Nettokreditaufnahme, die wir festle- kutieren. Die Opposition sagt, wir müssten das Kinder- gen, möglichst auch auf die Länderhaushalte übertra- geld erhöhen. Ein entsprechendes Verfahren gibt es gen wird. Das wäre ein guter Weg. Ob man das schafft, schon. Eine Frage dazu möchte ich hier aber doch öf- weiß ich nicht. Kollege Günther Oettinger und ich wol- fentlich stellen – wir sind hier ja in der Öffentlichkeit –: len als Vorsitzende dieser Kommission Anfang des Jah- Ist es sinnvoll, das Kindergeld, wenn es an der Zeit ist, res einen Vorschlag dazu vorlegen. um 6 Euro oder um 10 Euro zu erhöhen, oder ist es nicht Zu zwei Bereichen will ich noch etwas sagen. Zu- besser, dieses Geld für besondere Anforderungen, die im nächst zum Thema Klimaschutz. Umweltminister Bereich der Familienförderung entstehen, bereitzustel- macht eine ordentliche Arbeit. Ich hoffe, len? Als Beispiel nenne ich ein Schulpaket. Wir wollen, dass sich das auch dann auszahlen wird, wenn wir hier dass auch die Kinder von Eltern, von denen wir wissen, im Parlament über die Umsetzung der Gesetze zu disku- dass sie das Kindergeld nicht für die Zwecke benutzen, tieren haben. für die es gedacht ist, eine Hilfe erhalten. Das KWK, das EEG und andere Gesetze sind vorge- (Beifall bei der SPD) legt worden. Es ist ein bisschen schwer, den Menschen 13536 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 129. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. November 2007

Dr. Peter Struck (A) zu erklären, was das alles heißt. Man kann es meiner Sie haben eine andere Auffassung dazu. Man muss se- (C) Meinung nach so zusammenfassen: Wenn man eine Ver- hen, ob Sie dann eine andere Regierung bilden können anstaltung zum Thema Klimaschutz durchführt, muss oder ob wir eine andere Regierung bilden. Auf jeden Fall man betonen, dass das das Zukunftsproblem ist. bleibt es bei dem Ausstieg aus der Kernenergie. Das ist im Übrigen auch ein Hinweis darauf, wie man Energie- Ich will hinzufügen: Wenn ich nicht so alt wäre, politik in Deutschland machen muss: mit Steigerung der würde ich mir gerne noch einen Traum verwirklichen. Effizienz, Einsparungen und alternativen Energien. (Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Ach, das kann Zur Außenpolitik nur einige Worte: Weil dieses man so nicht sagen! – Weitere Zurufe von der Thema aktuell ansteht, danke ich zunächst Außenminis- FDP: Oh!) ter Steinmeier für seine Beteiligung an der Annapolis- – Nein, warte einmal ab, was ich sagen will. – Ich würde Konferenz. Ich glaube, es war wichtig, dass auf Anre- die Erde gerne einmal vom Weltraum aus sehen. gung von Herrn Steinmeier Syrien beteiligt worden ist. Ohne Syrien passiert in dieser Region nämlich gar (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: John Glenn war nichts; das wissen wir. Das ist ein großer Erfolg, den Sie über 70 Jahre alt! Chancen sind also da!) erreicht haben, Herr Außenminister. Das Geld dafür habe ich nicht, und das Alter ist auch (Beifall bei der SPD) schon hoch. Ich kann mich erinnern, dass Gagarin, der Ich beschäftige mich lange Jahre mit Israel. Ich bin auch erste Mensch, der im Weltraum war, das auch einmal ge- Vorsitzender des Gesprächskreises Israel meiner Frak- sagt hat: Wenn man sich die Erde vom Weltraum aus an- tion und bin oft in diesem Land. Ich glaube, viele Un- schaut, dann fragt man sich schon, warum wir die Erde wägbarkeiten und Gefahren in dieser Region gehen von durch Klimaverschmutzung und Kriege kaputtmachen. diesem ungelösten Konflikt aus. Daran hängt dann alles: (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Iran, Irak – Greater Middle East. Das kann man sich hier unten auch fragen!) Von Präsident Bush ist wieder ein Versuch unternom- Wie gehen wir mit unserem Planeten um? men worden. Wir begrüßen das. Was Europa bzw. Deutschland dazu leisten kann, soll es auch leisten, um Deshalb sage ich – das möchte ich deutlich festhal- diesen Prozess mit zu beschleunigen. Ich bin mir auch ten –: Wir haben gegenüber unseren Enkeln, Urenkeln ganz sicher, dass Sie, Frau Bundeskanzlerin und Herr usw. eine Verantwortung dafür, dass wir ihnen einen or- Außenminister, das gemeinsam tun werden. Wir, die Ko- dentlichen Planeten hinterlassen. alitionsfraktionen, unterstützen jedenfalls diesen Weg. Dabei ist völlig klar, dass auch für uns das Existenz- (B) (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) (D) recht Israels überhaupt nicht auf dem Spiel steht – über- Das heißt übrigens auch, dass wir heute damit anfangen haupt nicht, meine Damen und Herren. müssen, uns einzuschränken. Das ist doch völlig klar. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Die Kanzlerin hat es gesagt: Wir müssen Energie sparen. der CDU/CSU) Wir müssen effizienter mit Energie umgehen. Wir müs- sen alternative Energien nutzen. Das alles geht aller- Ich sage: Große Koalition heißt große Verantwortung. dings auch nicht an dem Geldbeutel der normalen Men- Ja, wofür denn eigentlich? Für die Sicherheit vieler schen vorbei; überhaupt nicht. Menschen. Wir werden Schwierigkeiten mit der Automobillobby Was erwarten sie? Sie erwarten Sicherheit vor Krank- und den Gewerkschaften, die die dort Beschäftigten ver- heit. Was also passiert mit ihnen, wenn sie krank wer- treten, haben, wenn wir jetzt sagen: Ihr müsst andere Au- den? Da haben wir mit der Gesundheitsreform einen tos bauen. – Natürlich müssen wir andere Autos haben. Versuch gemacht. Er ist nicht ganz gelungen. Ulla Wir müssen auch über ein Tempolimit diskutieren. Das Schmidt und ich und andere in meiner Fraktion sagen: haben wir ja diskutiert. Irgendwann kommt es auch. Da Wir wollen eine Bürgerversicherung. – Die Union sagt: gebe ich recht: Das kommt irgendwann. Wir wollen eine Kopfpauschale. – Der Streit war nicht zu entscheiden. Trotzdem haben wir mit der Gesund- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) heitsreform einen guten Weg gefunden, die Krankenver- Es stellt ja wirklich eine Möglichkeit dar, Energie einzu- sicherungsbeiträge zumindest für die nächsten Jahre sta- sparen. Ich persönlich bin der Auffassung, dass es richtig bil zu halten. ist, das zu machen. Was erwarten sie noch? Sie erwarten Sicherheit vor Frau Kanzlerin, Sie haben dankenswerterweise gesagt Arbeitslosigkeit. Dazu habe ich einiges gesagt. Die von – es ist auch gut, dass wir da mit offenen Karten spielen –, uns vorgelegten Programme können sich sehen lassen, dass wir unterschiedliche Auffassungen zum Thema finde ich. Wir dürfen damit aber nicht aufhören. Natür- Kernenergie haben. Dabei bleibt es auch. Die SPD wird lich wollen wir um die unter 25-jährigen Arbeitslosen sich nicht vom Ausstieg aus der Atomenergie abbrin- kämpfen. Dafür werden Programme vorgelegt. Die An- gen lassen. Er ist unverrückbar. Daran werden wir nicht zahl der Jugendlichen ohne Hauptschulabschluss wird ja rütteln. immer größer. Auch da werden wir Akzente setzen. Ich sage zu diesem Bereich: Es ist gut, dass wir einerseits (Beifall bei der SPD) Geld für die Förderung von Kleinkindern in die Hand Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 129. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. November 2007 13537

Dr. Peter Struck (A) nehmen, andererseits aber auch Geld für besondere Pro- anschlägen ist niemand in Deutschland geschützt. Der (C) gramme wie „U 25“ in die Hand nehmen. Staat kann nicht neben jeden Menschen jemanden stel- len, der kontrolliert. Das ist völlig ausgeschlossen. Das Ich füge gleich an – auch mit einem gewissen Stolz muss man wissen. Aber wir können natürlich die gesetz- auf die Leistung zunächst der SPD-Fraktion und an- lichen Voraussetzungen schaffen, die sicherstellen, dass schließend von Frau Schavan –: Dass wir das BAföG er- wir möglichst viel im Griff behalten. Ich habe überhaupt höht haben, ist auch ein großer Erfolg, der zur Verbesse- keinen Grund, an der Arbeit der Sicherheitsorgane rung der Bildungschancen in Deutschland beiträgt. – Bundeskriminalamt, Bundesamt für Verfassungs- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten schutz, Landeskriminalämter usw. – zu zweifeln. Ich der CDU/CSU – Steffen Kampeter [CDU/ will diesen Organen das Instrument der Onlinedurchsu- CSU]: Nach anfänglichem Widerstand von chung geben, allerdings unter engen rechtsstaatlichen Herrn Steinbrück!) Bedingungen. Die Freiheit der Bürger in Deutschland ist ebenfalls ein hohes Gut, das wir bewahren müssen, wenn Die Menschen erwarten auch Sicherheit vor der Situa- es um die innere Sicherheit geht. tion, dass sie zu einem Pflegefall werden. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) (Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Tiefensee!) Herr Schäuble und ich haben lange Debatten über den Einsatz der Bundeswehr im Innern geführt, auch hier im Dazu haben wir auch etwas beschlossen. Es wird umge- Plenum. Ich will deutlich festhalten, Herr Kollege setzt. Ich habe bei vielen Veranstaltungen zu diesem Volker Kauder: Sie können die Änderung des Art. 87 a Thema gelernt, dass die Kinder, die heute geboren wer- des Grundgesetzes so oft fordern, wie Sie wollen, die den – mein jüngstes Enkelkind ist ein knappes Jahr alt –, SPD wird die Bundeswehr im Innern nicht einsetzen. eine Lebenserwartung zwischen 80 und 90 Jahren haben – vielleicht noch mehr. (Beifall bei der SPD) (Bernhard Brinkmann [Hildesheim] [SPD]: Das ist ein Thema, bei dem wir kein Einvernehmen er- Mädchen von 100 Jahren!) zielen können. Also müssen wir uns damit befassen, wenn es wieder auf der Agenda steht. Mit uns ist diese – Ja, Mädchen von 100 Jahren. – Man muss sich doch Änderung jedenfalls nicht zu machen. auf diese Situation einstellen und darf nicht einfach den folgenden Satz daneben stellen, den ein befreundeter Ein persönlicher Abschluss: Wir haben jetzt zwei Arzt, auf die Frage, was man gegen Demenz und Alzhei- Jahre Große Koalition hinter uns. Der Anfang war mer tun könne, als Antwort gab, nämlich: Früher ster- schwierig, weil die Unterschiede ein bisschen größer (B) ben. – Die Entwicklung, dass die Menschen zunehmend waren, als wir alle gedacht haben. (D) älter werden, fordert die Politik massiv heraus. Wir ha- ben dazu Vorschläge vorgelegt, auch was die Pflegever- (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- sicherung angeht. Das können aber nur erste Schritte NEN]: Es ist immer noch schwierig!) sein. Hier müssen wir mehr tun. Trotzdem kann sich das, was wir in den zwei Jahren ge- Letzter Punkt. Die Menschen erwarten äußere und in- leistet haben, sehen lassen. Unser Land ist auf einem gu- nere Sicherheit vor Terror. Ich glaube, dass das, was die ten Weg. Auf diesem guten Weg werden wir weiterge- Bundeswehr im Ausland – in Afghanistan, Dschibuti hen. und anderswo – leistet, ein hervorragender Beitrag auch Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. zur Stärkung der Sicherheit in unserem Land ist. Ich bleibe bei meinem Satz: Deutschlands Sicherheit wird (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) auch am Hindukusch verteidigt. Der Satz ist richtig. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Präsident Dr. Norbert Lammert: der CDU/CSU) Ich erteile das Wort der Kollegin Renate Künast, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Ich bedauere, dass manche diesen Weg überhaupt nicht mitgehen können. Was wir in Afghanistan machen, ist Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): kein Krieg, absolut nicht, Herr Kollege Gysi. Sie müssen nur mit den Menschen dort reden. Dann wüssten Sie es. Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Merkel, Herr Struck, das waren zwei bemerkenswerte (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Reden, die sich durch Selbstbeweihräucherung und der CDU/CSU) ewige Wiederholungen wie bei einer tibetanischen Ge- betsmühle ausgezeichnet haben. Sie haben gesagt, wir Ihre Bemerkung zu Jugoslawien und Milošević war ja seien auf einem guten Weg, und uns erklärt, was Sie nichts anderes als peinlich. Da haben Sie einen ganz wollen und tun werden. Aber Sie haben nichts Konkretes dunklen Fleck auf Ihrer Weste. gesagt. Sie haben nicht gesagt, wie Sie dieses Land (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten – auch mithilfe des Haushaltes 2008 – weiter umbauen der CDU/CSU) wollen. Ein Totalausfall war das heute Morgen. Die Menschen erwarten auch Sicherheit im Innern. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Um es noch einmal deutlich zu sagen: Vor Selbstmord- sowie bei Abgeordneten der FDP – 13538 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 129. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. November 2007

Renate Künast (A) Dr. Norbert Röttgen [CDU/CSU]: Dann müs- Rede von Herrn Struck als Ergänzung zu der der Kanzle- (C) sen wir die Reden noch einmal halten!) rin. Ich habe in diesen Wochen nur eine wirkliche Beschreibung von Frau Merkel gelesen, und das war Sie haben wiederholt auf den Dreiklang aus Sanieren, die in Newsweek. Newsweek hat sie als „Lost Leader“ Reformieren und Investieren hingewiesen. Darüber betitelt, also als „verlorene Führerin“. Sie, Frau Merkel, muss ich wirklich lachen sind keine Reformkanzlerin, auch wenn Sie sich hin und (Volker Kauder [CDU/CSU]: Dann lachen Sie wieder so gerieren. Sie repräsentieren – schade für Herrn einmal!) Köhler; dieses Amt war ja eigentlich schon vergeben –, ein Foto ist schöner als das andere, Sie sagen die Dinge angesichts der Tatsachen, dass Sie in zwei Jahren so schön, Frau Bundeskanzlerin, aber am Ende ist das al- 50 Milliarden Euro mehr Steuern einnehmen, aber die les nichts anderes als ganz großes Kino. Dabei bleibt die Neuverschuldung gerade einmal um 28 Milliarden Euro Reform des Landes auf der Strecke. senken, oder dass die Einnahmen um 2,7 Prozent stei- gen, aber die Ausgaben um 4 Prozent steigen. Ich habe (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – zwar keinen Nobelpreis für Mathematik Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Kein Neid! – Weitere Zurufe von der CDU/CSU) (Joachim Poß [SPD]: Sie haben keine Ah- nung!) Ich will Ihnen auch sagen, warum das so ist. Es gibt immer wieder verbal, in schöne Worte gefasst, eine ganz und viele draußen auch nicht, aber ich weiß, dass das große und radikale Aufgabendefinition. Dem folgt aber nicht Sanieren ist. Sie leben vielmehr über Ihre Verhält- am Ende nie eine radikale Praxis, dem folgt nie der an- nisse und auf Kosten folgender Generationen. gemessene radikale Wandel, der Umbau der Strukturen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Aber wir wissen: Wenn Sie das Land umbauen und wirk- sowie des Abg. Jürgen Koppelin [FDP]) lich Klimaschutz betreiben wollen, dann müssen Sie sich an diesen radikalen Wandel machen, dann müssen Sie Das haben Sie, Frau Merkel, dadurch organisiert, dass die Oligopole auflösen, und dann müssen Sie eine de- Sie am Anfang der Legislaturperiode den Bürgerinnen zentrale Energiewirtschaft schaffen, sonst erreichen Sie und Bürgern durch die Erhöhung der Mehrwertsteuer or- das propagierte Ziel von minus 40 Prozent nie im Leben. dentlich in die Tasche gegriffen haben. Das verteuerte den Lebensalltag. Wir alle sehen doch, dass im Augen- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) blick die Teuerungsrate steigt und das Geld immer we- Sie wissen doch sehr gut, dass Sie mit der Denkweise niger wert ist. Da können Sie doch nicht behaupten, Sie und den Strukturen von gestern oder heute dieses Land seien auf einem guten Weg, oder von Wohlstand für alle (B) und diese Welt nicht ändern können. Sie müssen den (D) reden. Die Menschen haben faktisch weniger, und Sie Mut haben, etwas Neues zu denken: Denken Sie die helfen ihnen nicht aus ihrer Lage heraus. CO2-freie Gesellschaft! Was mich ärgert, wenn ich den Haushalt betrachte, (Patrick Döring [FDP]: Dann können Sie das ist, dass man keinen Mut hat, an der einen oder anderen Ausatmen einstellen! – Weitere Zurufe von der Stelle Subventionen zu streichen. FDP) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) – Dass Sie von der FDP wieder hinter der Zeit sind, weiß In diesem Land werden immer noch Dienstwagen in einer auch ich. Größenordnung von bis zu 50 000 Euro subventioniert, es (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) gibt immer noch Ausnahmen von der Ökosteuer, und es gibt immer noch den faulen Kohlekompromiss. Sie ver- Bei Ihnen zählt nicht die Zukunft, sondern es zählen stecken sich hinter dem Ruhekissen einer noch funktionie- Steuersenkungen für die, die schon haben. – Wir müssen renden Konjunktur, aber saniert wird hier gar nichts. lernen eine CO2-freie Gesellschaft zu denken, um zu wissen, wie die Städte funktionieren sollen, wie wir pro- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) duzieren und wie wir Mobilität herstellen können. Sie haben – das haben die Reden gezeigt – überhaupt (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Sprechblasen kein gemeinsames Leitbild und gar keine gemeinsamen sind auch CO -haltig, Frau Kollegin!) Werte. Das Wohin ist gar nicht definiert. Es geht schlicht 2 und einfach darum, diese Legislaturperiode bis zum Frau Merkel hat sich ja mit vielen Beratern umgeben. Jahr 2009 irgendwie auszuhalten. Aber in Zeiten der Einer der Berater für Klimaschutz ist Professor Globalisierung, des demografischen Wandels, des Kli- Schellnhuber. Der hat nicht weniger gesagt als: mawandels und anderer existenzieller Fragen haben Sie Es geht um die Neuerfindung der modernen Welt. nach zwei Jahren nicht einmal eine Vision, wohin dieses Der Klimawandel kann nur aufgehalten werden, Land soll und wie Sie an das Ziel kommen wollen. Ihr wenn sich die Gesellschaften weltweit so radikal Motto ist: Weiter so und durchwurschteln. ändern wie zuletzt im 19. Jahrhundert. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wenn man Schellnhuber, dem Kanzlerinberater, folgen Wer sich um dieses Land Gedanken macht, muss sich will, reicht es eben nicht, bei der UN zu sagen, bis 2050 die zentrale Frage stellen, wie wir 2010, 2020 oder 2030 müssen wir die CO2-Emissionen um 50 Prozent reduzie- leben wollen. Die richtige Antwort darauf gab nicht die ren, sondern dann muss man hier und jetzt anfangen und Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 129. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. November 2007 13539

Renate Künast (A) den Mut haben, den Vorständen bei den Automobilkon- Provision bekommen, wenn er – das ist heute schon (C) zernen und den Vorständen bei den vier Energieversor- technisch möglich! – den Energieverbrauch seines Un- gern auch einmal reinen Wein einzuschenken und von ternehmens um mindestens 30 Prozent senkt. Das würde ihnen zu verlangen, sich zu verändern. Sonst ist Ihre Po- Sinn machen. Das wäre „Eigentum verpflichtet“ in prak- litik ein Potemkinsches Dorf. tischer Anwendung, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Dr. [FDP]: Wollen Sie eine CO2- weil es an dieser Stelle die Gemeinwohlbindung gibt. freie Gesellschaft?) Die Unternehmen sollten meines Erachtens aufhören, – Wer war denn der Zwischenrufer von der FDP? Wissen Lobbyarbeit zu machen, und stattdessen CO2-Ausstoß Sie was, kleiner Nachhilfeunterricht: Klicken Sie einmal und Energieverbrauch senken. im Internet an, welche Forschungsaufträge die Europäi- Wenn wir uns jetzt angucken, wie diese Koalition sche Union vergibt. Dann kommen auch Sie von der konkret agiert, dann stellen wir fest: Es gibt bei dieser FDP endlich im Jahr 2007 an. Bei allen jetzt ausgelobten Kanzlerin den sozialen und ökologischen Wortbruch, Forschungsaufträgen geht es um „carbon-free society“. – den sozialen beim Mindestlohn. Ich muss sagen, das, Guten Morgen, FDP! was Sie da jetzt erzählt haben, reicht mir immer noch (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – nicht aus, auch wenn Herr Struck andeutet, man sei auf einem guten Weg. Dr. Max Stadler [FDP]: Wollen Sie eine CO2- freie Gesellschaft?) (Dr. Norbert Röttgen [CDU/CSU]: Haben Sie – Dafür, dass Sie kein Englisch können, kann ich jetzt keine Argumente in der Sache?) auch nichts. Aber beim Klimaschutz opfern Sie sich, Ihre Politik und dieses Land den Lobbyinteressen. Es reicht nicht aus, (Unruhe bei der FDP) über Klima zu reden und dann nachher einen Deal wie Herr Glos zu machen: Als Dank für die Schaffung von Präsident Dr. Norbert Lammert: ein bisschen mehr Transparenz kämpft er nun in Brüssel Aber Verhandlungssprache im Deutschen Bundestag gegen die Trennung von Produktion und Netz bei den bleibt Deutsch, Frau Kollegin Künast. großen Energieversorgern. Aber gerade diese Trennung wäre ein zentraler Punkt für eine andere Klimapolitik. (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Hochmut kommt vor dem Fall, Frau Kollegin!) Es geht auch nicht, dass man behauptet, eine Reduk- tion um 40 Prozent vornehmen zu wollen, aber noch (D) (B) Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): nicht einmal ein Programm dafür vorlegt. Ganz unmög- lich ist schließlich, dass der Bundesumweltminister nun Diese Regierung baut einen – – seine Agenten losschickt oder selber fährt, um überall in (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Eine Ent- der Republik die Leute von Kohlekraftwerken zu über- schuldigung wäre jetzt wohl angemessen!) zeugen. Damit machen Sie keinen Klimaschutz! – Wissen Sie was, er kann es immer wieder dazwischen- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – quäken und zicken. Aber mehr als fünf Mal kann ich ihm Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Was für Agen- ten schickt Ihnen denn Herr Gabriel? Welche nicht sagen, dass alle Welt Aufträge für eine CO2-freie Gesellschaft ausschreibt. Wenn er dann noch einmal ruft, vom CIA?) können Sie ja mit ihm reden. Ich kann doch nichts dafür, Hinzu kommt, dass Frau Merkel Ole von Beust in sei- dass die FDP selbst dieses nicht merkt. nem Bemühen unterstützt, dass von Vattenfall in Ham- (Jürgen Koppelin [FDP]: Eine billige Nummer!) burg-Moorburg ein neues Kraftwerk gebaut wird, durch das aber die Emissionen in um 40 Prozent er- Diese Kanzlerin geriert sich als Klimaqueen. Aber, höht und nicht etwa gesenkt werden. Das ist doch kein Frau Merkel, wir haben uns gefragt, ob das, was Sie in Klimaschutz. Das ist eher eine Versündigung am Klima. Ihren Reden sagen, auch wirklich in den Papieren steht. In den Papieren vom G-8-Gipfel steht das, was Sie be- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Was sind denn hauptet haben, nicht drin. Die USA haben sich nicht das für Argumente?) – das sehen wir auch wieder an ihrem derzeitigen Handeln – zu dem bereit erklärt, was Sie behaupten. Es gibt keine Wir kennen nur ein klimaschonendes Kohlekraftwerk Bereitschaft für ein aktives Vorgehen in einem multilate- in dieser Republik, und zwar das in Ensdorf. Dort haben ralen Prozess. die Bürgerinnen und Bürger durch ein definitives Nein entschieden, dass kein Kraftwerk gebaut wird. Ich kann Sie haben, Frau Merkel, wenn Sie über Klimaschutz die Bürgerinnen und Bürger nur auffordern, zum einen reden und große Worte machen, am Ende nur die aktu- das zu tun, was die Bürgerinnen und Bürger in Ensdorf elle Kostenfrage für die Wirtschaft im Kopf. Wir sagen gemacht haben, und zum anderen, den Stromanbieter zu aber, in diesem Land muss, wenn es funktionieren soll, wechseln. Wenn die Regierung bestimmte Änderungen die Wirtschaft auch selber ihren Beitrag leisten. Es kann nicht herbeiführt, dann müssen die Bürger das selber tun. nicht sein, dass man regelmäßig Provisionen bekommt, wenn man Teile der Firma verkauft, wenn man Arbeits- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN plätze abbaut. Ich meine, ein Vorstandschef sollte nur sowie bei Abgeordneten der LINKEN) 13540 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 129. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. November 2007

Renate Künast (A) Sie haben in diesen Haushalt trotz vollmundiger An- zess hinzieht. Dabei wären wegen der Vielzahl von chro- (C) kündigung keinerlei zusätzliche Mittel für den Klima- nischen Krankheiten gerade die Kinder und die Erwach- schutz eingestellt. Zur Verfügung stehen wie im vorheri- senen aus den bildungsfernen Schichten auf eine gute gen Haushalt nicht mehr als 400 Millionen Euro. Präventionsarbeit angewiesen. Eine solche Arbeit ist 75 Prozent der Mittel sind ohne konkrete Bedingungen aber gar kein Bestandteil Ihrer Sozialpolitik. gesperrt. Diese Sperre besteht, um die Möglichkeit zu haben, Gabriel am Nasenring durch die Republik zu füh- (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ ren, vorneweg durch Herrn Glos, den kurzfristige Wirt- DIE GRÜNEN) schaftsinteressen leiten. Insgesamt haben Sie weniger als Sie halten Sonntagsreden und haben nicht den Mut, aus- die Hälfte dessen, was man durch die Versteigerung der zurechnen, wie hoch Ihre Investitionen sein müssten. Zertifikate einnehmen wird, für Klimaschutzmaßnah- men in den Haushalt eingestellt. Das ist zu wenig. Wir haben auf unserem letzten Parteitag den Be- schluss gefasst – dazu ist schon ein Zwischenruf ge- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – macht worden –, dafür einzutreten, dass 60 Milliarden Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Das ist dum- Euro in den Sozialbereich investiert werden. Wir haben mes Zeug!) uns die Mühe gemacht, aufzuzeigen, wie für den Bil- Wir brauchen einen Klimaschutzhaushalt. Unser dungsbereich, für die Infrastruktur, für den Bereich Vorschlag lautet, dass der entsprechende Haushalt „Kinder und Familien“ 31 Milliarden Euro aufgelegt 2,9 Milliarden Euro umfasst. Finanziert werden könnte werden können. Wenn dem Folge geleistet würde, läge dies durch die Einstellung aller Erlöse aus der Versteige- Deutschland gerade einmal etwas über dem Durch- rung von Zertifikaten, durch Umschichtungen im Ge- schnittswert der OECD. Damit wären wir bei den Inves- samthaushalt und durch die Kürzung von umweltschäd- titionen für Kinder noch lange nicht so weit wie Däne- lichen Subventionen. So macht es Sinn. Wir könnten mit mark. Wir sagen: Wir brauchen in diesem Land einem solchen Paket ab 2011 weitere 33 Millionen Ton- 15 Milliarden Euro für bessere Schulen sowie 16 Milliarden Euro für die Kinder- und Jugendhilfe und nen CO2 einsparen. Weder durch Ihre Reden noch durch Ihre Vorschläge – ich habe mich gewundert, dass die für eine bessere Betreuung. Diese Betreuungsangebote Kanzlerin den Klimaschutz so weit hintanstellt – brauchen wir so schnell wie möglich, am besten jetzt und nicht erst 2011. (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Da ist sie re- lativ unverdächtig, Frau Kollegin!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) kommt es zu Änderungen in der Politik. An der Stelle muss ich Ihnen, Frau Merkel, vorhalten, dass Sie sich ein bisschen um das Thema herumgedrückt (D) (B) Jetzt will ich auf das Thema Sozialpolitik zu spre- haben. Wahrscheinlich haben Sie in Anspielung auf ak- chen kommen. tuelle Todesfälle gesagt, wir brauchten keine vorschnel- (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Schon wieder len Reaktionen. Das ist aber nicht der alleinige Kern die- eine Drohung!) ser Haushaltsfrage. Im Haushalt für das nächste Jahr muss dafür gesorgt werden, dass die armen Kinder eine Auch an dieser Stelle nimmt die Koalition keine gemein- Chance bekommen. Dies bezieht sich sowohl auf Kin- same Analyse vor und trifft keine Festlegung. Ich habe der- und Jugendhilfe als auch auf Bildung, und das Geld schon gemerkt, dass die Kanzlerin ein paar Dinge ange- muss jetzt her. sprochen hat und dass Herr Struck nachher sagte, man sei sich nicht einmal bei der Frage des kostenlosen Mit- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) tagessens einig. Sie analysieren die Situation in den Städten nicht. Das vordringlichste Problem in den Städ- Herr Steinbrück muss die Beratungen der Föderalis- ten dieser Republik sind nicht die ALG-I-Empfänger, muskommission für eine Verbesserung der Bildungsfi- sondern die Hartz-IV-Empfänger und deren Kinder, die nanzierung nutzen. Unterstützen Sie die Länder, auch in Armut leben, die ohne Frühstück in die Schule gehen wenn es eine Landes- und Kommunalaufgabe ist, zum und dort kein Essen bekommen. Es geht um Familien, in Beispiel durch frei werdende Mittel aus dem Soli-Zu- denen Armut Generation für Generation vererbt wird. schlag. Sie könnten dort bis 2019 frei werdende Mittel in Denen haben Sie in Ihrem Haushalt 2008 keine Ange- Höhe von 30 Milliarden Euro – – bote gemacht. (Petra Merkel [Berlin] [SPD]: Wann denn?) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – – Sie werden in den nächsten Jahren systematisch frei. Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Etwas fahrig, Bitte informier dich darüber! – Diese Mittel kann und Frau Kollegin! Sehr, sehr fahrig! Sie haben Ih- muss man in diesem Land für die Bildungsfinanzierung ren Parteitag noch nicht ganz verdaut!) nutzen. Auch an anderen Stellen – dort, wo es um die finanziell (Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Sie sind zweck- schwachen und die bildungsfernen Schichten geht – ma- gebunden! – Zurufe von der LINKEN) chen Sie keine Angebote. Ich bin mir sicher: So wie die Menschen bereit waren, (Petra Merkel [Berlin] [SPD]: Stimmt ja gar nicht!) für den Aufbau Ost einen Soli-Zuschlag zu zahlen, so Nehmen wir einmal die Präventionsstiftung: Es ist sind sie auch bereit, einen nächsten Schritt für die Bil- schon auffallend, über welch lange Zeit sich dieser Pro- dung in diesem Land zu tun, damit jedes Kind eine Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 129. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. November 2007 13541

Renate Künast (A) Chance hat und wir endlich das realisieren, was wir Handy! Wenn wir zum Beispiel auf China blicken, sagen (C) brauchen: gut ausgebildete, geförderte Kinder. wir immer, dies seien Instrumente der Freiheit. Unter Schäuble sind das Internet und das Handy keine Instru- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) mente der Freiheit mehr; vielmehr werden sie im wahrsten Führen Sie eine Bundessteuerverwaltung ein. Damit Sinne zu Wanzen in unseren Wohnungen. Dies wird so könnten Sie 15 Milliarden Euro einnehmen. Auch dies nicht gehen. kann zur Herstellung von Chancengerechtigkeit für alle (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – genutzt werden. Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Elendig dum- Wir haben auch beschlossen, dass wir nicht auf spä- mes Zeug!) tere Erhöhungen warten wollen, sondern wir wollen, Meine Damen und Herren, wir lehnen diesen Haus- dass die Existenzsicherung bei Hartz IV jetzt gegeben halt ab. Er ist die Papier gewordene Darstellung, dass sein muss. Deshalb ist es richtig, den Hartz-IV-Satz auf diese Große Koalition ihren Aufgaben nicht gerecht wird 420 Euro zu erhöhen. Das ist nicht mehr und nicht weni- und keine Ziele hat. Sie doktern ein bisschen herum. Sie ger als die Summe, die die Wohlfahrtsverbände errech- ändern nicht die Wirtschaftsweise und die Strukturen. net haben. Was kann daran falsch sein, meine Damen Sie haben nicht den Mut zu Verhaltensänderungen. Frau und Herren? Wir machen auch entsprechende Finanzie- Merkel, Sie baden in vielen warmen Worten. rungsvorschläge. Ich glaube, dass man Ihre Politik, auch wenn Sie noch (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) so sehr den Dreiklang beschwören, nur so beschreiben Zum Schluss will ich ein Wort zur Außenpolitik sa- kann: Sie sanieren nicht; Sie reformieren nicht. gen. Das Problem unserer Außenpolitik ist, dass es we- Hugo Müller-Vogg, der politische Kommunist der ein konzertiertes Vorgehen noch Absprachen zwi- schen dem Außenminister und der Bundeskanzlerin gibt. (Lachen bei der CDU/CSU und der FDP) Die Konflikte zeigen, dass es kein Konzept gibt: Das – Entschuldigung, Kolumnist; dieser Versprecher wird Auswärtige Amt geht in die eine Richtung, die Bundes- ihn hart getroffen haben – der Bild-Zeitung, der in der kanzlerin geht, manchmal sogar ganz klandestin, in die Newsweek Frau Merkel als Politikerin ohne innenpoliti- andere Richtung, und dann kritisiert man sich dafür. Den schen Kompass bezeichnet hat, hat recht. Dieser Haus- Dalai-Lama zu empfangen, es aber nicht abzusprechen halt macht das Land nicht gerechter, sozialer und ökolo- und dadurch öffentliche Kritik auszulösen, ist doch ein gischer, und er macht dieses Land auch nicht zu einem klassischer Fehler gewesen. So macht man keine Außen- Marktplatz für kreative Ideen. Deshalb lehnen wir ihn politik zugunsten Tibets, zumindest wirkt sie nicht so. ab. (B) (D) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Den saudischen Kronprinzen zu hofieren, hinsichtlich der Situation der Frauen zu schweigen und nichts zu den Präsident Dr. Norbert Lammert: Hinrichtungen zu sagen, Frau Bundeskanzlerin, stellt Das Wort erhält nun der Kollege Dr. Peter Ramsauer ebenfalls infrage, ob Sie es mit Ihrer Menschenrechtspo- für die CDU/CSU-Fraktion. litik wirklich durchgängig ernst meinen. (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. [SPD]) Dr. Peter Ramsauer (CDU/CSU): Sie sollten hier mit Ihrer Koalitionsnabelschau aufhören Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und und zu konzertierten Aktionen kommen. Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist besonders erbaulich, den Oppositionsreden zuzuhö- Beim Thema Außenpolitik gibt es nur eine Gemein- ren. Denn in einigen – nicht wenigen – Fällen hat man samkeit in diesem Haus; sie betrifft Russland. Ich for- den Eindruck, als handele es sich bei den Oppositions- dere Sie auf, sich gemeinsam mit der EU für die Freilas- fraktiönchen um Realitätsverweigerer. sung von Kasparow und gegen die Verurteilung anderer friedlicher Demonstranten einzusetzen. Herr Gysi, wenn Sie die Auslandsreisen – insbeson- dere die USA-Reise – der Bundeskanzlerin kommentie- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) ren, dann meint man, Sie wären dabei gewesen. Meine Damen und Herren, der letzte Punkt – Frau (Dr. Gregor Gysi [DIE LINKE]: Das war öf- Merkel hat ihn wirklich nur kurz gestreift – ist die Innen- fentlich! Warum nicht?) politik. Dazu kann ich Ihnen nur sagen: Innenpolitik geht Lassen Sie sich eines sagen: In Sachen Menschenrechte anders, als es Herr Schäuble macht. Ich wäre froh, wenn und Durchsetzung von Menschenrechten brauchen Sie Frau Merkel an dieser Stelle einmal aktiv würde und und Ihre Kolleginnen und Kollegen in der linken Frak- Herrn Schäuble auf den Boden des bewährten Grundge- tion als historische Verlängerung der Kommunisten in setzes zurückholte. Mittlerweile kritisieren sogar Verfas- der ehemaligen DDR unserer heutigen Bundeskanzlerin sungsrichter, dass Herr Schäuble eine Art intellektueller keinerlei Nachhilfeunterricht zu erteilen. Lust am antizipierten Ausnahmezustand habe und den Ausnahmezustand in diesem Land zum Normalzustand (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- machen wolle. Denken Sie nur an das Internet und das neten der SPD und der FDP) 13542 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 129. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. November 2007

Dr. Peter Ramsauer (A) Man kann mit geschickter Diplomatie, wie Angela wenn es zu seiner Zeit ein gesamtstaatliches Defizit (C) Merkel sie betreibt, hinter den Kulissen viel mehr für be- gleich null, also einen ausgeglichenen gesamtstaatlichen drohte Völker und für die Menschenrechte tun, als wenn Haushalt, gegeben hätte, wenn in einem wichtigen Be- man alles gleich an die große Glocke hängt. reich der gesetzlichen Sozialversicherung innerhalb von (Beifall des Abg. [SPD]) einem Jahr plus einem Tag der Beitragssatz halbiert wor- den wäre und wenn es über 40 Millionen Erwerbstätige Wir sind nicht an Ihrer sachfremden Hetze, sondern an gegeben hätte. effektiver Menschenrechtspolitik interessiert, die die Kanzlerin und ihr Außenminister betreiben. Ich mache, wahrscheinlich genauso wie Sie, die Er- fahrung: Wenn man in Gesprächen, bei Versammlungen (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. draußen an der Basis über diese Dinge spricht, dann be- Joachim Poß [SPD]) kommt man oft die Gegenfrage gestellt: Warum sagt das Lassen Sie mich einen anderen Punkt ansprechen. Ich niemand? Warum sagt ihr das nicht? Man kann doch verstehe nicht – aber vielleicht liegt die Erklärung in Ih- diese Tatsachen nicht oft genug nennen! rer Ideologie –, dass Sie hier anprangern, dass die Abga- benquote in Deutschland bei 37 Prozent liegt, und eine (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- wesentlich höhere Quote einfordern. Was soll das? Sie neten der SPD) wollen den Menschen in die Tasche greifen. Frau Künast, als Sie in der Regierung waren, waren Sie (Widerspruch des Abg. Frank Spieth [DIE nicht in der Lage, jemals eine solche Bilanz vorzulegen – LINKE]) eben weil Sie Ihr Gedankengut in die Regierung einge- bracht haben. Wir sind stolz darauf, dass wir eine so niedrige Abga- benquote haben, weil wir als Staat den Menschen nur (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- das abverlangen sollten, was wir für die Erfüllung unse- NEN]: Also wirklich! Bauern verdienen we- rer staatlichen Obliegenheiten brauchen, und keinen ein- gen meiner Politik mehr Geld!) zigen Euro mehr. Es offenbart ein ganz besonderes Ver- ständnis vom mündigen Bürger Ihrerseits, wenn Sie dem Sie haben im Zusammenhang mit tariflichen Lohn- Bürger an den Geldbeutel wollen. untergrenzen – andere nennen es Mindestlöhne – von Wortbruch gesprochen. Ich halte Ihnen entgegen, was (Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf des Abg. während der Klausurtagung des Kabinetts am 23. oder Frank Spieth [DIE LINKE]) 24. August dieses Jahres beschlossen worden ist. Dort Lieber Kollege Brüderle, eines habe ich dick, nämlich heißt es – ich zitiere –: meine liberalen Freunde zu kritisieren. Ich möchte aber (B) Im Zusammenhang mit der Liberalisierung der (D) etwas klarstellen. Sie haben nur von der Weltwirtschaft Postmärkte zum 1.1.2008 wird die Branche der als Lokomotive gesprochen. Es war zwar nicht allein die Politik der Großen Koalition, die zu den heutigen ausge- Postdienstleistungen noch in 2007 in das Arbeit- sprochen guten Befunden auf dem Arbeitsmarkt, beim nehmer-Entsendegesetz aufgenommen, wenn die Budget, beim Wirtschaftswachstum und in anderen Be- Tarifpartner einen entsprechenden gemeinsamen reichen beigetragen hat. Es war aber auch nicht allein die Antrag stellen. Weltwirtschaft. Die Weltwirtschaft, die Vernunft der Ta- Dann kommt ein wichtiger zweiter Satz: rifpartner und die Restrukturierungsanstrengungen der Wirtschaft selber, aber auch die Politik der Großen Ko- Dabei geht die Bundesregierung davon aus, dass alition und manches, was wir als Union über den Ver- über 50 Prozent der Arbeitnehmerinnen und Arbeit- mittlungsausschuss bei der Agenda 2010 mitbewirkt ha- nehmer in der Postbranche tarifgebunden sind. ben, haben zu dem geführt, mit dem wir heute Gott sei Dank aufwarten können. Ich erkläre hiermit auch für meine Fraktion: Wenn die Voraussetzungen erfüllt sind, dann werden wir uns Sehr geehrte Frau Kollegin Künast, Sie hätten doch selbstverständlich daran halten. Wo es hier Wortbruch gern zumindest ein einziges Mal in Ihrer Regierungszeit geben soll, das müssen Sie einmal sagen. eine solche Halbzeitbilanz oder Bilanz vorgelegt, wie wir sie heute vorlegen können. (Beifall bei der CDU/CSU) (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Frau Kollegin Künast, was Sie sich auf Ihren Parteita- NEN]: Was?) gen alles geleistet haben, ist ja auch höchst bemerkens- Sie hätten nichts lieber getan, als einmal eine Zwischen- wert. Vor einigen Wochen auf Ihrem Zerwürfnisparteitag bilanz oder eine Bilanz vorzulegen, nach der Sie die Ar- in Göttingen haben Sie sich von der Außenpolitik verab- beitslosigkeit innerhalb von zweidreiviertel Jahren um schiedet, die Sie früher betrieben haben und die immer ein Drittel gesenkt hätten, noch einigermaßen vernünftig gewesen ist. Jetzt haben Sie sich auch noch von einer einigermaßen pragmati- (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. schen Wirtschafts- und Sozialpolitik verabschiedet. Der Hans Eichel [SPD]) Parteiaustritt Ihres Kollegen Metzger spricht Bände; er nämlich von 5,1 Millionen auf 3,4 Millionen. Wie hätte ist einer der Letzten, die Vernunft bewahrt haben. sich aufgebläht, (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Zuruf von der FDP: Das hat er gemacht!) NEN]: Möchten Sie ihn haben?) Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 129. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. November 2007 13543

Dr. Peter Ramsauer (A) Ich rufe all diejenigen in Ihren Reihen, die noch einen Dummen in unserem Land sein, weil sie sich sonst ver- (C) Rest von wirtschafts- und sozialpolitischer Vernunft ha- schaukelt vorkommen. ben, auf, die Grünen nicht zu verlassen. Es wäre schade drum. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Jetzt müsst ihr (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- es nur noch machen!) NEN]: Wollen Sie den Metzger haben?) Wenn umverteilt wird, müssen zunächst die Leistungs- Umverteilung ist die Überschrift dessen, was Sie be- träger bedient werden und dann die Bedürftigen. Wir schlossen haben. brauchen einen sauberen Ausgleich zwischen Leistungs- gerechtigkeit einerseits und sozialer Gerechtigkeit ande- (Zuruf des Abg. Dr. Guido Westerwelle rerseits. [FDP]) Noch etwas anderes: Wir können uns einen sozial und – Das ist zu viel erwartet, Herr Kollege Westerwelle. – ökologisch starken Staat nur leisten – das haben viel zu Es sind Ladenhüter, die Sie zur Finanzierung vorschla- viele einfach vergessen –, wenn wir das dafür Notwen- gen, wie der Griff in die Taschen der Menschen. Herr dige auch tatsächlich vorher erwirtschaften – nichts an- Bütikofer hat gesagt, im Kern gehe es um die Frage, ob deres. Der Sozialstaat ist nur so stark und unsere sozia- man etwas gegen die soziale Verunsicherung unter- len und ökologischen Standards können nur so hoch sein nehme. Wenn es so ist, dann kann ich nur sagen: Das wie der Gegenwert, den wir vorher erwirtschaften. Die Beste gegen soziale Verunsicherung liegt darin, dass wir Kraft, die zur Aufrechterhaltung des Sozialstaates und Arbeitsplätze sichern und neue schaffen, dass wir für In- zur Einhaltung hoher ökologischer Standards nötig ist, vestitionen in unserem Land sorgen und dass wir solide dürfen wir nicht andauernd durch Gängelung mit Füßen öffentliche Haushalte vorlegen. Das dient der Bekämp- treten. fung sozialer Verunsicherung. (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der SPD) Ich frage vor allen Dingen die Linken: Ist es unsozial, wenn nach wie vor jeder dritte Euro des Bruttoinlands- Die Überschrift eines Kommentars einer großen deut- produkts für soziale Zwecke ausgegeben wird? Ist es un- schen Boulevardzeitung lautet heute: „Die Zahl der Ar- gerecht und unsozial, wenn die oberen 50 Prozent der beitslosen muss weiter sinken!“ Das ist vollkommen Einkommensverdiener 92 Prozent des gesamten Steuer- richtig. aufkommens erwirtschaften? Bütikofer sagt weiterhin, die Sozialpolitik der Grünen (B) (Frank Spieth [DIE LINKE]: Wer zahlt die restli- (D) müsse visionär und politisch praxistauglich sein. Dazu chen Steuern? Das ist doch Unsinn!) kann ich nur sagen, Frau Künast: Sie ist weder praxis- tauglich noch visionär. Sie wollen die Partei der Vorden- Ich sage: Dies ist nicht ungerecht. Von Ungerechtigkeit ker sein. Ich kann nur sagen: Es ist kein Vordenken, son- kann hier überhaupt keine Rede sein. Wer hier von einer dern schlicht und einfach fantasielos, wenn man nur ungerechten Verteilung spricht, ist ein Realitätsverwei- umverteilen will, was andere erwirtschaften. gerer. (Dr. Norbert Röttgen [CDU/CSU]: Das ist (Beifall bei der CDU/CSU) noch nicht einmal Nachdenken!) Wir haben in der ersten Halbzeit dieser Legislatur- Jetzt komme ich auf Franz Müntefering zu sprechen. periode eine große Fülle von Themen abgearbeitet. Dem Spiegel war ein Zitat zu entnehmen, das ich mir ge- Wenn man das in der Öffentlichkeit, zum Beispiel auf merkt habe. Müntefering hat gesagt: Versammlungen, anspricht, blickt man oft in erstaunte Wer glaubt, soziale Gerechtigkeit definiert sich im Gesichter, weil diese Dinge unglaublich schnell verges- Wesentlichen durch Verteilung, der irrt. sen werden. Ich erinnere an die Genshagener Beschlüsse des Kabinetts zu Beginn des letzten Jahres, an deren Zu- Ich kann nur sagen: Franz Müntefering hat vollkommen standekommen Volker Kauder, Peter Struck und ich als recht. Fraktionschefs beteiligt waren. Es war vorbildlich, was hier im Einzelnen umgesetzt worden ist und welche (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Volker Wachstums- und Arbeitsmarktimpulse davon ausgegan- Kauder [CDU/CSU]: Guter Mann!) gen sind. Man kann bei so vielen sozialen Utopien wie bei den (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Grünen und den Linken nicht oft genug in Erinnerung rufen, was eigentlich eine Binsenweisheit sein sollte, Denken Sie an das 25-Milliarden-Euro-Investitions- nämlich dass der Staat, die öffentliche Hand nur so viel programm, an die energetische Gebäudesanierung, die umverteilen kann, wie vorher von denjenigen erwirt- steuerliche Absetzbarkeit der Beschäftigung in Privat- schaftet wurde, die jeden Tag früh aufstehen, malochen haushalten und der Handwerkerrechnungen. Liebe Frau und an der Wertschöpfung in unserem Land mitarbei- von der Leyen, wir alle können stolz darauf sein, dass ten. Deswegen gilt für mich: Wenn umverteilt wird, dann wir mit dem Elterngeld Maßstäbe gesetzt haben. Junge dürfen diejenigen, die dies erwirtschaften, nicht die Väter und junge Mütter können sich nun im ersten Le- Dummen sein. Die Leistungsträger dürfen nicht die bensjahr eines Kindes zu Hause um ihr Baby kümmern. 13544 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 129. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. November 2007

Dr. Peter Ramsauer (A) Ich wehre mich – ich sage es immer wieder – dage- in der Großen Koalition von Anfang an: Wenn wir diese (C) gen, dass dieses Elterngeld und die Basiszahlung, die wir Große Koalition eingehen, dann müssen wir politikfähig verabredet haben, als „Herdprämie“ diffamiert oder, sein, sonst brauchen wir es nicht zu tun. Wenn wir poli- noch schlimmer, als, wie es in einer Zeitung geschehen tikfähig sein wollen, dann müssen wir auch kompro- ist, „Aufzuchtprämie“ gebrandmarkt werden. Das lasse missfähig und kompromissbereit sein. Wir haben uns da ich mir nicht gefallen, weil es eine Beleidigung der jun- weiß Gott nicht wenig abverlangt; wir haben uns viel ab- gen Väter und Mütter in Deutschland ist, die sich um verlangt. Aber es ist ein ständiges Geben und Nehmen. ihre Kinder kümmern. So ist es in der Politik, genauso wie im Wirtschaftsbe- reich. Wir sind zu diesen fairen Kompromissen gelangt. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Ein Wort noch zur Außenpolitik, die wiederholt ange- Wir halten es für eine ganz besonders große gesell- sprochen worden ist, insbesondere von der Kollegin schaftliche Errungenschaft, wenn sich Familien zu Hause Künast. In dieses Jahr fallen die Ratspräsidentschaft in um die Pflege ihrer alten, pflegebedürftigen Familien- der Europäischen Union und die G-8-Präsidentschaft. mitglieder kümmern. Manche krempeln dafür ihr ganzes Da kann man nur eines sagen: Für die Bewältigung die- Berufsleben um. Wenn aber die Pflege pflegebedürftiger ser herausfordernden Problemstellungen, die mit beiden Familienmitglieder gesellschaftlich erstrebenswert ist, Aufgaben verbunden waren – neben all den innenpoliti- dann kann es doch zumindest nicht verwerflich sein, schen Herausforderungen –, eine glatte Eins mit Stern wenn sich junge Väter und Mütter zu Hause um ihre für die Bundeskanzlerin! kleinen Kinder im Vorkindergartenalter kümmern. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der SPD) neten der SPD) Sie hat die Europäische Union aus einer schwierigen Wenn das verwerflich sein soll, passen diese beiden Vor- Lage herausgeführt mit dem Reformvertrag, der, unge- stellungen nicht zusammen. achtet seiner verbliebenen Mängel, jetzt auf dem Tisch Lieber Peter Struck, ich bin dankbar für eine Bemer- liegt. In der G 8 wurden klare Zeichen gesetzt. Im Grunde kung, die Du bzw. die Sie gemacht haben genommen war nur mit viel Fantasie zu erwarten, dass Sie, liebe Frau Bundeskanzlerin, in der G 8 plus den fünf (Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Wechselt das Schwellenländern, die dabei waren, das Begehren nach bei euch?) einer weltweiten Klimaschutzpolitik endlich mit auf – das ist mir so herausgerutscht; warum soll man hier an- Rang 1 der weltpolitischen Tagesordnung setzen konn- ders reden als im sonstigen Umgang miteinander? –, ten. (B) (D) nämlich dass wir nicht in diesem oder im kommenden Wenn es die G-8-Gipfel nicht gäbe – das sage ich an Jahr ein Betreuungsgeld einführen, dass das also noch die Adresse der Globalisierungsgegner und der Tausen- nicht kassenwirksam wird, aber dass wir im Koalitions- den von gewalttätigen Demonstranten, die unsere Poli- ausschuss die klare Verabredung, die jetzt so auch im zisten in Heiligendamm verhauen wollten und verhauen Gesetzentwurf steht, getroffen haben, das Betreuungs- haben, was eine Schande ist; das nur als Nebenbemer- geld einzuführen, wenn der Rechtsanspruch in Kraft kung –, tritt; das ist im Jahr 2013 der Fall. (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei der CDU/CSU) müsste man diese Gipfel erfinden. Wo sonst, wenn nicht Eine Reihe von anderen Reformen haben wir be- auf solchen weltweiten Foren, sollte man globale He- schlossen: Rentenreform, Gesundheitsreform, Unterneh- rausforderungen denn besprechen? Wo sonst, wenn nicht mensteuerreform. Die Beendigung der Kohlesubventio- unter den 8 plus 5 Staaten, die die Substanz dieser Pro- nierung gehört auch dazu. Das ist hochinteressant: bleme am ehesten erkennen und erörtern können? Jahrzehntelang ist von – das gebe ich zu – revierfernen Das gilt zum Beispiel für die Frage weltweiter Min- Ländern, vom Bund der Steuerzahler und von den Wirt- deststandards hinsichtlich sozialer Normen. Gerade schaftsliberalen gefordert worden, dass diese größte Sub- Deutschland als führende Exportnation, die wie kaum ein vention abgeschafft wird. Sang- und klanglos ging das anderes Land mit dem rauen Wind globaler Auseinander- vor wenigen Wochen im Rahmen der Gesetzgebung hier setzungen in der Weltwirtschaft konfrontiert ist, hat ein bei uns im Haus über die Bühne. Ich habe darüber noch Interesse an weltweit gültigen Standards im Umweltbe- nicht einmal etwas in den Medien gelesen. Aber auch das reich, an weltweit gültigen Standards für den Umgang mit ist ein Beispiel – es war zugegebenermaßen schwierig, Energieressourcen, an weltweit gültigen Fairnessregeln weil es unterschiedliche Interessenlagen gab – für das, für den Handel. Wir müssen doch das allergrößte Inte- was wir, SPD, CDU und CSU, zusammen fertiggebracht resse daran haben, dass vernünftige Lösungen gefunden haben. Ich möchte heute solche Leistungen der Großen werden. Wir brauchen daher nicht weniger, sondern mehr Koalition in Erinnerung rufen. Ein Dank auch an die Ver- G 8. Das liegt im ureigenen Interesse Deutschlands. nunft all derer, die davon vielleicht negativ betroffen sind. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der SPD) Ob bei der Arbeitslosenversicherung oder in anderen Bereichen: Ich glaube, wir haben überall, lieber Peter In den nächsten zwei Jahren liegt noch viel vor uns. Struck, faire Kompromisse gefunden. Eines wussten wir Ich will die 20 politischen Teilgebiete jetzt nicht im Ein- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 129. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. November 2007 13545

Dr. Peter Ramsauer (A) zelnen erörtern; das wäre die reinste Litanei. Unser ge- Aufschwung ist, dann – das sage ich Ihnen voraus – wer- (C) meinsamer großkoalitionärer Freund hat den Sie auch haften müssen, wenn es in den nächsten die Union ermahnt. Er hat gesagt: „Wir dürfen nicht zu- Monaten oder Jahren abwärtsgeht. lassen, dass die Union zur Reformbremse wird.“ Ich ant- (Beifall bei der FDP und der LINKEN sowie worte ihm: Sie aber auch nicht. bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU) DIE GRÜNEN) Wir müssen miteinander weiter an Reformen arbeiten. Etwas mehr Bescheidenheit Wir dürfen auf keinen Fall das tun, was zwei Opposi- (Zurufe von Abgeordneten der CDU/CSU und tionsfraktionen wollen, nämlich den Rückwärtsgang ein- der SPD: Oh!) legen. Wir stellen uns mit Augenmaß und in verantwor- tungsvoller Weise den Herausforderungen der nächsten und vor allen Dingen etwas mehr Anerkennung der Um- zwei Jahre, damit wir der Erwartung, die die Wählerin- stände, von denen Ihre Politik derzeit getragen wird, wä- nen und Wähler vor zwei Jahren hatten, gerecht werden, ren richtig und angemessen. nämlich unser Land nach vorne zu bringen. (Beifall bei der FDP – Joachim Poß [SPD]: Vielen herzlichen Dank. Das ist Ihre Tugend – Bescheidenheit!) (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Mindestens genauso spannend ist das, worüber Sie nicht gesprochen haben. Sie haben nicht über die Kin- Vizepräsident Dr. : derarmut, die sich in Deutschland verdoppelt hat, ge- Das Wort hat jetzt der Vorsitzende der FDP-Fraktion, sprochen. Dr. Guido Westerwelle. (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Sie hat den (Beifall bei der FDP) Kinderzuschlag erwähnt! Sie haben nicht zu- gehört!) Dr. Guido Westerwelle (FDP): Sie haben nicht über das Handwerk gesprochen, das Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Bun- Umsatzeinbrüche in Höhe von ungefähr 20 Prozent hat. deskanzlerin, bevor ich Ihre Rede gehört habe, habe ich Sie haben nicht über den Rückgang beim Bau von Ein- mir die Freude gemacht, die Rede, die Altbundeskanzler und Zweifamilienhäusern um sage und schreibe etwa Gerhard Schröder im September des Jahres 2000 gehal- 43 Prozent gesprochen. Sie haben nicht über die Neuzu- ten hat, also zwei Jahre nachdem er ins Amt gekommen lassungen im Kfz-Bereich gesprochen, die mittlerweile etwa 8 Prozent unter dem Vorjahresniveau liegen. (B) ist, noch einmal durchzulesen. (D) (Petra Merkel [Berlin] [SPD]: Die war gut!) Sie haben auch nicht über das gesprochen, was jeden Deutschen bewegt, nämlich die Tatsache, dass wir im Die Lage war der jetzigen sehr ähnlich: gute Kon- November dieses Jahres eine Preissteigerungsrate in junktur und ordentliche Staatsfinanzen; Höhe von 3 Prozent haben. Wenn es eine soziale Politik (Widerspruch bei der CDU/CSU) in diesem Lande gibt, dann ist es die, dafür zu sorgen, dass der Euro auch im Inland etwas wert ist und dass durch die Versteigerung der UMTS-Lizenzen kamen zu- man sich dafür etwas kaufen kann. Inflation ist unsozial. sätzlich 100 Milliarden DM – damals gab es noch die Diese 3 Prozent müssten Sorgenfalten auf Ihrer Stirn D-Mark – in die Staatskasse. Herr Schröder hat damals hinterlassen. genau so gesprochen, wie Angela Merkel heute im Na- men der Regierung spricht und handelt. (Beifall bei der FDP sowie der Abg. Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) (Beifall bei Abgeordneten der FDP) Stattdessen schmücken Sie sich hier mit allem, zum Wenn die Opposition irgendetwas kritisiert, dann redet Beispiel mit der Weltwirtschaft. Sie schmücken sich auch sie, so die Bundeskanzlerin, das Land schlecht. Alles mit Dingen, die wirklich lange vor Ihrer Zeit erreicht muss zur eigenen Ehre und zum eigenen Lob herhalten. worden sind, beispielsweise mit den Nobelpreisen. Das Selbstlob dieser Koalition hatte auch heute pene- trante Züge. (Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Jetzt wird es kleinkariert!) (Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/ Es war für mich tief beeindruckend, dass sogar die No- DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der belpreise jetzt herhalten müssen. Sie werden nämlich als LINKEN) Zeugnis dafür angegeben, wie toll der Forschungsstand- Es wurde damals so getan, als ginge alles auf ewig so ort Deutschland ist. An die Physikerin im Kanzleramt weiter: Die Konsolidierungspolitik hat begonnen! Wir gerichtet, sage ich: Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin, haben sie in die Tat umgesetzt! Das ist eine Politik, die den einen Nobelpreis gab es für eine Leistung aus dem diesen Namen wirklich verdient! – Es wurde aber ver- Jahr 1988, den anderen für eine Leistung aus dem Jahr schwiegen, welche dunklen Wolken am Horizont aufzie- 1981. Entschuldigung, da waren Sie noch nicht Bundes- hen. Genau das machen Sie heute auch. Sie reden nach kanzlerin; man mag es nicht glauben, aber es ist so. Frau zwei Jahren Regierungszeit so, wie Schröder nach zwei Bundeskanzlerin, wenn Sie sich mit den Nobelpreisen Jahren Regierungszeit gesprochen hat. Wenn das Ihr von heute schmücken, dann ist das ungefähr so, als 13546 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 129. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. November 2007

Dr. Guido Westerwelle (A) würde sich die spanische Regierung mit der Entdeckung Ich will da raus. Mit Verlaub gesagt: Das ist doch nicht (C) Amerikas von vor 500 Jahren auszeichnen wollen. Das ernst zu nehmen; das ist Kulisse. ist wirklich nur noch albern. (Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Aber Sie sind (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten ernst zu nehmen?) der LINKEN – Hartmut Koschyk [CDU/ Wenn diese Reformpolitik für die Menschen in CSU]: Nicht alles, was hinkt, ist ein Ver- Deutschland wirklich so erfolgreich war, dann stellt sich gleich!) doch die Frage: Warum wollen Sie Ihre Reformen in die- Frau Bundeskanzlerin und meine Damen und Herren sen Wochen und Monaten rückabwickeln? Denn das ist von der Koalition – es macht ja Freude, Ihre Reaktionen das Ergebnis des Beschlusses des SPD-Parteitages und hier zu hören –, ich will nun auf das eingehen, was die Ihrer Beschlussfassungen im Deutschen Bundestag! Redner der Regierungsfraktionen hier gesagt haben. (Beifall bei der FDP – Ernst Hinsken [CDU/ Herr Kollege Ramsauer, weil Sie von „Oppositionsfrak- CSU]: Nach dieser Rede kann man Sie aber tiönchen“ gesprochen haben, wollen wir eines festhal- auch nicht mehr ernst nehmen!) ten: In diesem Hohen Hause ist keine Partei kleiner als – Entschuldigen Sie, Herr Kollege Hinsken. Weil Sie ge- die CSU. rade dazwischengerufen haben, möchte ich Ihnen ganz (Beifall bei der FDP und der LINKEN sowie offen sagen: Nachdem der sozialdemokratische Bundes- des Abg. Dr. Peter Struck [SPD] – Dr. Peter kanzler Schröder im Rahmen der Agenda 2010 markt- Ramsauer [CDU/CSU]: Wir reden von Frak- wirtschaftliche Reformen durch den Deutschen Bundes- tionen, lieber Freund!) tag gebracht hat, hätte ich mir vor zwei Jahren nicht vorstellen können, Das wollte ich nur einmal an die Adresse des stellvertre- tenden Fraktiönchenvorsitzenden sagen. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Dass das mit uns so gut klappt!) Ich will an das erinnern, was die Damen und Herren der Regierungskoalition uns hier alles erzählt haben. Das dass diese Reformen dann von einer christdemokratisch hat ja viel Freude gemacht. Sie haben in den ersten zwei- geführten Bundesregierung einhalb Stunden der Debatte das Hohelied Ihres Erfolges (Wolfgang Meckelburg [CDU/CSU]: Aber gesungen. Sie haben gesagt, wie großartig und erfolg- ohne euch!) reich diese Große Koalition, wie Sie sich selbst nennen, rückabgewickelt werden. Das ist verkehrte Welt! war. Dann stellt sich aber für den unbefangenen Be- obachter eine entscheidende Frage: Wenn das alles so (Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/ (B) toll war, warum lesen wir dann jeden Tag in den Zeitun- DIE GRÜNEN) (D) gen, dass Sie da raus wollen? Wenn das alles so toll war, Herr Hinsken, Ihnen nehme ich ja ab, dass auch Sie das warum bezichtigen Sie sich dann gegenseitig des Wort- furchtbar finden. bruchs und bedenken sich mit allen möglichen weiteren Beschimpfungen, die man als mitteleuropäisch erzoge- (Heiterkeit bei der FDP) ner Mensch hier gar nicht vortragen möchte? Da ist unter Ihr müsst das aber auch einmal sagen! Mannesmut vor der Gürtellinie ausgeteilt worden. So brutal – wie Sie in der Königin Throne! Seid ab und zu auch einmal mutig, dieser Regierung – miteinander umgehen, das würde Jungs! sich von den Mitgliedern der bescheidenen Opposition niemand wagen. Meine Damen und Herren auf der Re- (Heiterkeit und Beifall bei der FDP) gierungsbank, es gibt doch überhaupt gar nichts mehr Das, was ihr macht, ist ein Witz. Gemeinsames. Lassen Sie uns jetzt einmal über das Sanieren reden; (Beifall bei der FDP – Zuruf des Abg. auch das macht Freude. Ihr Motto lautet ja: Sanieren, Dr. Peter Struck [SPD], an den Abg. Volker Reformieren, Investieren. Kauder [CDU/CSU] gewandt) (Jürgen Koppelin [FDP]: Und abkassieren!) – Jetzt kommt wieder die Geschichte: Mein Freund Zum Reformieren habe ich bereits gesagt: Die Vo l ke r. Agenda 2010 wird von Ihnen rückabgewickelt, und das (Heiterkeit bei der FDP und der LINKEN – Volker merkt jeder. Kauder [CDU/CSU]: Nur kein Neid!) Reden wir also über das Sanieren. Sanieren heißt: so- Leute, Leute! Regierung schlägt sich, Regierung verträgt lide sein. Man saniert etwas, was schlecht läuft. Meine sich. Mit Verlaub gesagt: Das, was ihr hier abliefert, ist Damen und Herren von der Großen Koalition, Sie haben eine völlig unglaubwürdige Nummer. Jeder Zuschauer bei Übernahme der Regierung ein Defizit von 30 Mil- weiß doch: Ihr hasst euch wie die Pest. liarden Euro vorgefunden. Dann haben Sie 50 Milliarden Euro mehr eingenommen als erwartet. Trotzdem haben (Beifall bei der FDP – Zurufe von der CDU/ Sie immer noch 12 Milliarden Euro Schulden gemacht. CSU und der SPD: Oh!) Sie können nicht mit Geld umgehen! Darüber müssen wir hier sprechen. Hier etwas von großem Frieden und großem Erfolg zu erzählen, ist einfach nur noch albern. Früher haben die (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Kanzler gerufen: Ich will da rein. Sie rufen mittlerweile: des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 129. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. November 2007 13547

Dr. Guido Westerwelle (A) Früher musste man das immer der SPD vorwerfen. Wir wollen das einmal übersetzen, meine Damen und (C) Mittlerweile muss man diesen Vorwurf aber auch an die Herren. 3 750 Familien müssen ein ganzes Jahr lang ar- Union richten. Wenn es darum geht, mit Geld umzuge- beiten, um so viel an Einkommensteuer aufzubringen, hen, dann ist Schwarz ein sehr dunkles Rot; wie Sie in einer einzigen Haushaltsnacht für Ihre Wahl- kämpfe mit der Schaffung von Spitzenstellen in den Mi- (Beifall bei der FDP) nisterien verplempert haben. insofern hat Herr Müntefering recht. Die Union macht es (Beifall bei der FDP und der LINKEN) nämlich genauso wie die SPD. Sie machen Schulden in Höhe von 12 Milliarden Euro, obwohl Sie lottogewinn- 3 750 Familien arbeiten in Deutschland ab jetzt für Ihre ähnliche Mehreinnahmen in Milliardenhöhe zu verzeich- Verplemperung von Steuermitteln für Wahlkampfzwe- nen haben, mit denen kein Mensch gerechnet hat, nicht cke. Als ob die Parteien nicht finanziert würden! einmal wir als geborene rheinische Optimisten. Meine Damen und Herren, wir wollen auch einmal über die größeren Beträge reden, beispielsweise über Ihre Deutschland muss wissen, dass Sie 12 Milliarden Euro Schlacht in Minden, Herr Kollege Kampeter. Jeder meint Schulden machen. Die Bürgerinnen und Bürger müssen er- ja, es ginge um Hermann den Cherusker. Das ist ein Trep- fahren: Der Staat hat Geld wie Heu. Aber er verplempert es penwitz. Da werden mal eben 1,5 Millionen Euro nach zu oft in Bereichen, aus denen er sich lieber heraushalten Minden mit nach Hause gebracht für eine Schlacht, von sollte. Wer trotz der größten Steuererhöhung in der Ge- der bisher kein Mensch irgendetwas gehört hat. schichte dieser Republik immer noch solche Schulden macht, der kann nicht mit Geld umgehen. Das trifft nicht (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Blödsinn!) mehr nur auf die Genossen zu, sondern längst auch auf die Auch wenn Sie dafür zuhause gefeiert werden, Steuer- schwarzen Genossen, die in diesem Hohen Hause sitzen. geldverschwendung bleibt es trotzdem. Das wollen wir (Beifall bei der FDP) an dieser Stelle festhalten. (Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/ Sie sagen immer, unser Sparbuch, das 400 Anträge DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der mit Sparvorschlägen enthält, sei nicht solide, und das al- LINKEN – Steffen Kampeter [CDU/CSU]: les könnten wir nicht leisten. Deswegen sollten wir ein- Wie ist das eigentlich mit dem Beethoven- mal über ein paar Dinge reden. Reden wir doch einmal Haus in Bonn?) darüber, wofür Sie Geld ausgeben; denn das ist erstaun- lich. Ich hätte gerne folgende Frage beantwortet: Wenn – Sie rufen „Beethoven in Bonn“ dazwischen? Wenn Sie Sie wirklich sparen wollen – Sie behaupten ja, dass Sie den Unterschied zwischen Ludwig van Beethoven und (B) sparen –, warum beschließen Sie dann in einer Sitzung Ihrer Pipi-Schlacht in Minden nicht kennen, dann gehen (D) des Haushaltsausschusses mal eben und in der Dunkel- Sie bitte noch einmal auf die Schule, Herr Kollege. heit der Nacht, in den Ministerien 74 neue Planstellen (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten zu schaffen, die mit Personen besetzt werden, die nichts der LINKEN) anderes als Wahlkampf machen sollen? Kommen wir zu den größeren Summen, zu den we- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten sentlichen Sachen, weil es ja immer heißt, sie würden sa- der LINKEN) nieren. Nichts sanieren Sie. Ich möchte gerne den Da- men und Herren des Deutschen Bundestages und vor Außerdem soll es einen dritten Staatssekretär des allem natürlich auch der geneigten Öffentlichkeit einmal Auswärtigen Amtes geben. Willy Brandt kam mit zwei vortragen, wie viel zum Beispiel für einen unserer Staatssekretären aus, Hans-Dietrich Genscher kam mit schärfsten Wettbewerber in der Weltwirtschaft ausgege- zwei Staatssekretären aus, und Joseph Fischer kam mit ben wird. zwei Staatssekretären aus. Schätzen Sie sich denn um so viel schwächer ein, Herr Außenminister, dass Sie jetzt In der letzten Woche wurde veröffentlicht, dass einen dritten Staatssekretär brauchen? Das ist doch al- China uns mittlerweile auf Platz drei der führenden bern! Wirtschaftsnationen in der Welt abgelöst hat. China hat uns als drittstärkste Wirtschaftsnation in der Welt jetzt (Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/ überholt. China hat Währungsreserven von ungefähr DIE GRÜNEN) 1 200 Milliarden Euro. Das ist ungefähr so viel wie die gesamten Staatsschulden auf allen Ebenen in Deutsch- Dann höre ich immer in Anbetracht dieser ganzen land. Trotzdem zahlen wir jedes Jahr, auch in diesem Milliardenbeträge – das macht mich mittlerweile kirre, Jahr wieder, Millionenbeträge an Entwicklungshilfe und und darüber ärgere ich mich auch –, das seien ja alles nur weiterer Hilfe nach China. Wir zahlen reine Entwick- kleine Summen. Wenn Sie die Summen mit 400 multi- lungshilfe in Höhe von 67 Millionen Euro, und wenn man plizieren, kommen Sie auf 12 Milliarden. Eine Summe alle offiziellen Zahlungen an China zusammenrechnet, ergibt sich beispielsweise aus den Kopfstellen. Sie zahlen wir insgesamt in diesem Jahr 187 Millionen Euro schaffen 74 Stellen neue Stellen. Das kostet die Steuer- nur an China. zahler jedes Jahr 6 Millionen Euro mehr. 6 Millionen Euro jedes Jahr mehr, nur damit Sie sich in den Ministe- Meine Damen und Herren, auch das möchte ich ein- rien mit mehr Personal für den Wahlkampf aufrüsten mal übersetzen. Ganz Oldenburg oder ganz Göttingen können. arbeitet ungefähr ein komplettes Jahr nur dafür, dass wir 13548 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 129. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. November 2007

Dr. Guido Westerwelle (A) die Steuermittel bekommen, die wir anschließend nach hier ist der Meinung: Wer ordentlich arbeitet, muss da- (C) China schenken. Sie vertreten die Meinung: Das muss so von auch leben können. Ich bin mit Ihnen der Meinung: sein. – Das ist Ihr gutes Recht; Sie werden das ja auch so Es kann nicht Aufgabe des Staates sein, nachlässige Un- beschließen. Wir sagen Ihnen dazu: Ein Land, das solche ternehmer oder schwarze Schafe in der Unternehmer- Währungsreserven hat, ein Land, das uns auf Platz drei schaft quasi noch dafür zu bezahlen, dass sie sich so der Wirtschaftsnationen in der Welt ablöst, dann auch schlecht verhalten; darüber sind wir uns völlig einig. noch mit deutschen Hilfsgeldern zu unterstützen, das ist (Joachim Poß [SPD]: Ja!) einfach Irrsinn gegenüber dem Steuerzahler. Nur, wohin führt es, wenn wir als Politiker künftig die (Beifall bei der FDP) Löhne und die Mindestlöhne festsetzen? Ich sage Ihnen Ganz Osnabrück arbeitet ein ganzes Jahr nur für die Ent- voraus: Dann werden wir das erleben, was Sie im Kanz- wicklungshilfe an China. Darüber müssen wir hier re- leramt am Montag letzter Woche gemacht haben, näm- den, das versteckt sich hinter diesen Zahlen. lich Lohnverhandlungen in der Politik. Die Union sagt: Wir sind bereit, 8 Euro Mindestlohn zuzugestehen. Die Meine Damen und Herren, Frau Bundeskanzlerin, wir SPD sagt: Unter 9,80 Euro ist mit uns nichts zu machen. – und auch Sie in der Koalition sprechen viel über Min- Dann sind wir nicht mehr in der sozialen Marktwirt- destlöhne und über die Rückabwicklung einiger Teile schaft mit Tarifautonomie, wo Vertragsparteien sich ei- der Agenda 2010. Zu den Mindestlöhnen möchte ich nigen müssen, dann machen wir in Wahrheit Lohndiktat. noch eine Bemerkung machen. Herr Kollege Gysi, ich Mindestlöhne? Maximallöhne, Obergrenzen für Mana- habe Ihnen mit Interesse zugehört. Es ist immer interes- gergehälter? Demnächst vielleicht noch Obergrenzen für sant und auch unterhaltsam, Ihnen zuzuhören; das wol- Energiepreise? Mindestpreise für Agrarprodukte? Das len wir gar nicht bestreiten. Ich persönlich glaube aber, ist mir, offen gestanden, zu viel DDR. Ich bleibe Anhän- dass Sie in einem Punkt in Ihrer Einschätzung einen ger der sozialen Marktwirtschaft. wirklich massiven Fehler machen. Sie koppeln jedes Mal die soziale Gerechtigkeit unseres Landes von der (Beifall bei der FDP – Petra Merkel [Berlin] Leistungsgerechtigkeit ab. Sie spielen soziale Gerech- [SPD]: Egal wer unter die Räder kommt!) tigkeit und Leistungsgerechtigkeit gegeneinander aus. Frau Bundeskanzlerin, Sie sagen, dass Sie die Wir sagen Ihnen: Wer die Leistungsgerechtigkeit seines Maastricht-Kriterien einhalten. Das ist in der Sache Landes vergisst, der wird die soziale Gerechtigkeit sei- falsch. Sie halten ein einziges Maastricht-Kriterium ein, nes Landes verlieren. Das wird zwingend die Folge einer nämlich das Staatsdefizit von 3 Prozent. Die Schulden- solchen Politik sein. standsquote von 60 Prozent wird mit 63 Prozent unver- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten ändert überschritten; auch das muss gesagt werden. (B) (D) der CDU/CSU) Zur Innenpolitik noch eine Bemerkung. Meine Da- Ich will Ihnen die Zahlen noch einmal nennen, weil sie men und Herren von der Linken in diesem Hause – da- auch für unsere Zuschauer wichtig sind: Die oberen mit meine ich auch die SPD; das meine ich nicht pole- 50 Prozent der deutschen Steuerzahler erwirtschaften misch, sondern als Beschreibung der Sitze hier in diesem etwa 94 Prozent des gesamten Einkommensteuerauf- Hause –, kommens der Republik. Sie belasten diejenigen, die den (Zuruf von der SPD: Wir haben damit kein Karren ziehen, immer mehr. Ich sage Ihnen, wer dabei Problem!) unter die Räder kommt: die Ärmsten der Armen, die Schwächsten der Schwachen. Die leiden unter Ihrer Po- wenn Sie sagen, dass die Leiharbeit besorgniserregend litik. zunimmt, dann haben Sie eine Entwicklung beschrieben, die uns – über die Parteigrenzen in diesem Hohen Hause (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten hinweg – auf Dauer nicht gefallen kann. Nur, wie wir da- der CDU/CSU) gegen vorgehen, das unterscheidet uns. Warum nimmt Ich will noch eine Bemerkung zu den Mindestlöhnen denn die Leiharbeit zu? Weil unser Arbeitsrecht in Wahr- machen, weil ich natürlich ahne, Herr Kollege Struck heit immer noch zu starr und zu bürokratisch ist. – nicht nur nach Ihrer heutigen Rede, sondern auch nach (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten den Reden von gestern –, dass das Ihr tragendes Thema der CDU/CSU) sein wird. Ich glaube, dass diese Diskussion zu kurz ge- griffen ist. Erstens einmal finde ich es nicht in Ordnung, Flexibilisieren Sie endlich! Dann haben Sie auch ent- dass man, wenn man das Fehlen von Mindestlöhnen kri- sprechend positive Effekte. Bei den Preisen ist genau tisiert, verschweigt, dass die niedrigen Tariflöhne im Os- dasselbe zu sagen: Es ist wahr, die Preise steigen. Des- ten immer unten rechts die Unterschrift einer Gewerk- wegen kommt der Aufschwung bei den Bürgern auch schaft tragen. Das wollen wir festhalten! nicht an. Nur, jemand von der Regierung, der die Preis- steigerungen beklagt, obwohl er doch mit Steuererhö- (Beifall bei Abgeordneten der FDP) hungen ebendiese Preissteigerungen bewirkt, hat kein Immer, wenn wir hier über Dumpinglöhne sprechen, hat Recht, dies zu beklagen. ein Genosse der Gewerkschaft unten rechts unterschrie- (Beifall bei der FDP) ben. Bei der Post ist das so, und auch in den anderen Branchen ist das so. Da ist die Frage doch eine ganz an- Nun sagen Sie, Sie würden den Durchschnittsarbeit- dere, eine ordnungspolitisch fundamentale Frage. Jeder nehmer im nächsten Jahr um 240 Euro entlasten. Das Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 129. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. November 2007 13549

Dr. Guido Westerwelle (A) mag ja stimmen. Aber Sie verschweigen, dass Sie zu An- unserem Lande missfällt. Ihnen missfallen die Erfolge (C) fang dieses Jahres die Arbeitnehmer durchschnittlich um am Arbeitsmarkt, obwohl Sie sich doch wie wir über je- weitere 1 600 Euro belastet haben. Das ist doch keine den freuen müssten, der Arbeit gefunden hat und jetzt in faire Politik. Lohn und Brot steht. Über 1 Million Menschen hat in den letzten Jahren zusätzlich Arbeit gefunden. Was miss- (Beifall bei Abgeordneten der FDP) fällt Ihnen denn daran, Herr Westerwelle? Sie nehmen den Bürgern das Schwein vom Hof, geben (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten ein Kotelett zurück und sagen ihnen: Jetzt seid mal der CDU/CSU) schön zufrieden! Kein Wunder, dass die Bürger das nicht mit sich machen lassen wollen. Was missfällt Ihnen daran, dass wir bei der Konsolidie- rung der öffentlichen Haushalte so erhebliche Fort- (Beifall bei der FDP) schritte erzielen konnten? Was missfällt Ihnen daran ei- Ich will mit einer Bemerkung zu einem Thema schlie- gentlich? ßen, über das wir heute Nachmittag, soweit ich weiß, Herr Westerwelle, Sie stehen für die „dunklen Wol- und morgen noch lange reden werden, nämlich über die ken“ – das Wort haben Sie selbst benutzt – in der deut- Innen- und Rechtspolitik. Auch das muss an dieser Stelle schen Politik. Da sollen Sie auch stehen bleiben. noch angesprochen werden. (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Ulrike Wir erleben nämlich nicht nur mehr staatliche Bevor- Flach [FDP]: Ach, Gott!) mundung in der Wirtschaft, sondern wir haben in diesen ersten zwei Jahren der sogenannten Großen Koalition Der deutschen Bevölkerung ist nicht zuzumuten, dass auch einen atemberaubenden Abbau von Bürgerfrei- Sie aus diesem Schatten auf die politische Sonnenseite heiten und Bürgerrechten erlebt. Ich habe nicht die wechseln. Das werden wir im Jahre 2009 hoffentlich Absicht, das hier unerwähnt zu lassen, weil ich der fes- auch verhindern können. Ich werde jedenfalls alles dafür ten Überzeugung bin, dass man die Freiheit unseres Lan- tun, und ich bin mir sicher, die Sozialdemokratie insge- des nicht schützen kann, indem man die Freiheit unserer samt auch. Bürger immer mehr aufgibt. Das ist ein schwerer Fehler. Mit den Beispielen, die Sie gebracht haben – Zahlen- (Beifall bei Abgeordneten der FDP sowie des beispiele von China und anderem –, verzerren Sie die Abg. Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/ Wirklichkeit in grotesker Weise. Wer so redet, der kann DIE GRÜNEN]) nicht verantwortlich Politik gestalten. Das ist die Wahr- heit, Herr Westerwelle, und das müssen Sie sich schon Ich sage an dieser Stelle: Herr Schäuble setzt in Wahr- ins Stammbuch schreiben lassen. (B) heit geradezu dramatisiert eine Politik fort, die unter (D) Rot-Grün mit Herrn Schily begonnen wurde. Auch das (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Norbert ist ein schwerer Fehler. Barthle [CDU/CSU]) (Beifall bei der FDP und der LINKEN sowie Ich habe es bereits in der ersten Lesung gesagt: Wenn des Abg. Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/ jemand von uns vor zwei Jahren diese günstige Entwick- DIE GRÜNEN]) lung vorhergesagt hätte, dann wäre er oder sie als Phan- Freiheit muss der Maßstab unserer Republik bleiben. tast bezeichnet worden. Das ist die Wahrheit. Freiheit steht an erster Stelle, und zwar nicht die Freiheit Im Verlauf dieser Woche wird man feststellen kön- von Verantwortung, sondern die Freiheit zur Verantwor- nen: Wir haben den besten Bundeshaushalt seit 1989. tung. Das ist die schlichte Wahrheit und ein Grund zur Freude. Soziale Marktwirtschaft ist allemal besser als jeder Damit leugnen wir vorhandene Probleme nicht. Wir Weg in Richtung Planwirtschaft oder bürokratische blenden diese Probleme doch nicht aus. Wenn man wie Staatswirtschaft. Das ist unser Auftrag, und das ist die Frau Künast oder Herr Westerwelle Kritik übt, dann geistige Auseinandersetzung, die in diesem Lande über- sollte man in der Sache aber auch ein bisschen sattelfest fällig ist. sein. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. Frau Künast, Sie haben gesagt, wir würden keine Sub- (Anhaltender Beifall bei der FDP) ventionen abbauen. In dieser Legislaturperiode bauen wir 19 Milliarden Euro an Subventionen ab. Herr Westerwelle sagte, wir würden 74 Stellen draufpacken. Dabei ver- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: schweigt er, dass wir in 2008 fast 2 000 Stellen im Bun- Das Wort hat jetzt der Kollege Joachim Poß von der deshaushalt abbauen. SPD-Fraktion. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Beifall bei der SPD) NEN]: Wo denn?) Verschweigen Sie den Menschen das doch nicht! Sie er- Joachim Poß (SPD): zählen doch bestenfalls immer nur die halbe Wahrheit. Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Westerwelle, Sie haben mit Ihrer Rede deutlich gemacht, (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten dass Ihnen die günstige wirtschaftliche Entwicklung in der CDU/CSU) 13550 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 129. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. November 2007

Joachim Poß (A) Frau Künast sagte, es würden beim Soli Mittel freiwer- zur gezielten Erhöhung von Bundesmitteln genutzt. (C) den. – Wo denn? Wollen Sie als Bundespolitikerin den Dahinter steht das gemeinsame Verständnis in der Koali- Bund weiter belasten und die Länder weiter aus ihrer Ver- tion und – zumindest bei mir und vielen anderen Sozial- antwortung entlassen? Beim Soli werden in den nächsten demokratinnen und Sozialdemokraten – auch die Über- Jahren leider keine Mittel frei. in absehbarer Zeit jeden- zeugung, dass gute und vernünftige Budgetpolitik mehr falls nicht. sein muss als nur die Zurückführung von öffentlichen Aufgaben und Ausgaben. Peer Steinbrück spricht hier Die Rechnungen, die Sie auf Ihrem Parteitag be- von „Konsolidieren und Gestalten“. Wir sind zutiefst da- schlossen haben, können Sie doch nicht aufstellen. Sie von überzeugt, dass eine lediglich fiskalistische Budget- als Milchmädchenrechnungen zu bezeichnen, wäre noch politik zu falschen Ergebnissen führt. gestrunzt. Wie kann man den Menschen denn solche un- seriösen Rechnungen präsentieren? Und wie kann man Budgetpolitik muss angesichts der aufgebauten hohen kritisieren, wir täten nichts für den Klimaschutz? Verschuldung natürlich die öffentliche Kreditaufnahme abbauen. Sie muss aber auch bestehende Ungerechtigkei- (Beifall bei der SPD) ten und große soziale Ungleichheiten verringern. Budget- Welche Regierung hat denn ein besseres Klimaschutz- politik muss auch die Wachstumskräfte erhalten und stär- programm beschlossen als die jetzige Regierung? Das ken. Sie muss die Mittel für den Kampf gegen die großen muss man doch sagen, auch in kritischer Rückschau auf Gefahren für unsere Umwelt bereitstellen. Das tun wir rot-grüne Zeiten. mit dem Klimaschutzprogramm. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Frau Kollegin Künast, ich würde mich sehr wundern, Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- wenn sich die Grünen von den von mir gerade darge- NEN]: Auf die roten Zeiten!) stellten Zielen distanzieren würden. All das kostet aber Geld, und zwar viel Geld, das nicht an anderer Stelle ein- Man muss hier doch die Wahrheit aussprechen dürfen, gespart werden kann, es sei denn, wir gingen an solche meine Damen und Herren. Posten wie die Rente, um es offen zu sagen. Aber offen- Sofern hier von der Opposition Kritik gekommen ist kundig wollen auch Sie das ja nicht. – egal ob von Herrn Westerwelle oder Frau Künast –, Wir sind auf einem guten Wege. Nur wenn wir jetzt in war diese Kritik mit politischer Substanz nicht verbun- den Klimaschutz investieren, werden wir den nachfol- den. Von Herrn Gysi will ich gar nicht erst reden. Er genden Generationen auch eine lebenswerte Welt über- macht jedes Mal dieselben Luftnummern. Ich glaube lassen können. Man darf Generationengerechtigkeit aber, dass die Menschen das zunehmend auch erkennen und Nachhaltigkeit nicht allein auf die Reduktion der öf- (B) werden. fentlichen Verschuldung verengen. Das ist zumindest (D) (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- nicht unsere Sichtweise. NEN]: Kommen Sie doch einmal zum Inhalt! (Beifall bei der SPD) Von der Luft zum Inhalt!) Deswegen bekommt der Umweltminister mehr Geld. Frau Künast, die Nettokreditaufnahme 2008 beträgt Deswegen kann Frau Schavan für die Erhöhung des 11,9 Milliarden Euro. Das ist der niedrigste Wert seit BAföG mehr Geld ausgeben. Deswegen haben wir die 20 Jahren. Das ist der Fakt. Was sagen eigentlich die Mittel für die Entwicklungszusammenarbeit erhöht. Des- grünen Haushälter zu ihren eigenen Parteitagsbeschlüs- wegen verstärken wir die Verkehrsinvestitionen. sen, Frau Künast? Damit reagieren wir auf drängende Probleme, die für Auch die Konsolidierungsperspektive bleibt bei uns unsere Zukunft von großer Bedeutung sind. Wir geben unverändert. Die Nettokreditaufnahme wird weiter abge- nicht einfach Geld aus. Wir reagieren auf drängende Pro- senkt, und zwar bis auf null. Da wird nichts zurückge- bleme unserer Gesellschaft, meine Damen und Herren. dreht, Herr Kollege Westerwelle; da wird keine Politik zurückgedreht, so wie Sie es hier dargestellt haben. (Beifall bei der SPD) Im Jahre 2008 wäre – das ist richtig – eine etwas Das ist etwas komplizierter als schwarz-weiß. Man schnellere Rückführung der Nettokreditaufnahme mög- nennt das Policy-Mix. lich gewesen. Das ist nicht zu bestreiten. Darauf haben (Zurufe von der FDP: Oh!) wir aber verzichtet, und zwar aus guten Gründen. Bisher ist nämlich unsere Strategie, auf der einen Seite zu kon- Das ist nicht der Versuch, es allen recht zu machen, son- solidieren und auf der anderen Seite Geld für Zukunfts- dern die Kunst, verschiedene Politikziele sinnvoll unter investitionen in die Hand zu nehmen, aufgegangen. einen Hut zu bekommen. Diese Strategie ist – wenn man ehrlich ist – so gut aufge- Auch bei der Föderalismusreform II darf es nicht gangen, wie wir es vielleicht selbst nicht erwartet hätten. dazu kommen, dass mit der angestrebten Modifikation Warum sollten wir eine erfolgreiche Strategie in 2008 der Schuldenregel der Verfassung das gerade gefundene verändern? Dazu gibt es überhaupt keinen Anlass. erfolgreiche Gleichgewicht von wirtschaftlicher Impuls- (Beifall bei der SPD) gebung, Zukunftsgestaltung und Haushaltskonsolidie- rung möglicherweise wieder infrage gestellt wird. Eine Wir haben die Steuermehreinnahmen zur Rückfüh- Schuldenbremse muss realitätstüchtig sein; wir werden rung der Neuverschuldung und in bestimmten Bereichen eine solche bekommen. In diesem Sinne werden wir im Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 129. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. November 2007 13551

Joachim Poß (A) nächsten Jahr die Beratungen in der Föderalismuskom- Am anderen Ende der Gehaltsskala sind die Verhält- (C) mission – hoffentlich mit Ihrer Zustimmung – sicherlich nisse auch nicht in Ordnung. Herr Westerwelle, ich habe zu einem guten Ergebnis führen. bei Ihnen einen Hinweis auf die pervers hohen Manager- gehälter und -abfindungen vermisst. Es ist der klare Ansatz der SPD in der Regierungsko- alition, immer darauf zu drängen, dass die soziale und (Beifall bei Abgeordneten der SPD) die ökologische Dimension der Politik nicht vergessen werden. Das geht weit über Haushaltspolitik hinaus. Ich bleibe dabei: Die Millionenabfindungen für Kon- zernmanager sind zu hoch. In die Lohnfindung können Franz Müntefering hat das immer genau im Blick ge- wir als Gesetzgeber nicht direkt eingreifen. Es herrscht habt. Noch vor Eintritt in die Koalitionsverhandlungen Vertragsfreiheit. Aber die Aufsichtsräte, in denen auch mit CDU und CSU hat er ganz wichtige gesellschaftspo- Gewerkschafter sitzen, sollten ermuntert werden, an die litische und sozialdemokratische Essentials durchge- Bemessung der Managergehälter etwas kritischer heran- setzt, unter anderem den Erhalt der Tarifautonomie. zugehen, als das in den letzten Jahren geschehen ist. Wir sind für die Tarifautonomie, Kollege Westerwelle. Die Mindestlöhne, die uns vorschweben, untergraben die (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Tarifautonomie nicht. der CDU/CSU) (Beifall bei der SPD) Es müssen auch keine Bonusprogramme aufgelegt wer- den. Ich stimme dem Kollegen Gerald Weiß oder auch Sie sind Bestandteil der sozialen Marktwirtschaft. Oder dem saarländischen Ministerpräsidenten zu: Wir sollten wollen Sie etwa behaupten, dass 22 von 27 Staaten in die steuerliche Anerkennung viel zu hoher Abfindungen der Europäischen Union, darunter auch England, keine überprüfen. soziale Marktwirtschaft bzw. Marktwirtschaft haben? Was Sie gerade behauptet haben, ist doch abstrus. Nein, (Beifall bei Abgeordneten der SPD) wir werden in unserem Bestreben nicht nachlassen, zu Das hat mit Neid und Populismus nichts zu tun, sehr verhindern, dass Lohndumping von der Gemeinschaft wohl aber damit, den Auswüchsen des Raubtierkapitalis- der Steuerzahler noch honoriert wird. Das kann ja wohl mus zu begegnen und mehr gesellschaftliches Augen- nicht sein. maß herbeizuführen. (Beifall bei der SPD) Auch bei der anstehenden Erbschaftsteuerreform ist Franz Müntefering hat, wie gesagt, schon vor Beginn ganz deutlich, dass die soziale Dimension und die Ge- der Koalitionsverhandlungen Wichtiges für die Arbeit- rechtigkeitsfrage eine ganz wichtige Rolle spielen. Eine (B) nehmerschaft dieses Landes durchgesetzt. Das gilt auch Erbschaft bedeutet ganz ohne Zweifel einen Zuwachs an (D) für den Erhalt der Steuerfreiheit von Sonn-, Nacht- und wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit beim Erben. Dies Feiertagszuschlägen. Dafür gebührt ihm der Dank der auch steuerlich zu erfassen – natürlich bei gleichzeitiger gesamten Arbeitnehmerschaft bzw. – das hätte ich früher Gewährung angemessener Freibeträge –, ist ebenso ein so pathetisch gesagt – der gesamten Arbeiterbewegung. Gebot der Gerechtigkeit wie der ökonomischen Vernunft. Völlig zu Recht hat die OECD unsere Nachbarn in Öster- (Beifall bei der SPD) reich wegen der Abschaffung der Erbschaftsteuer gerügt; Vor diesem Hintergrund ist für mich völlig unverständ- denn die Kehrseite dieser Wohltat für die ganz Reichen lich, wie Franz Müntefering auf manchem Gewerk- ist eine übermäßige Belastung des Faktors Arbeit in schaftskongress behandelt worden ist. Österreich, wohlgemerkt: in Österreich. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Es besteht kein Zweifel: Ohne die Sozialdemokraten Kurzum: Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zah- würde die Politik einer anderen von Frau Merkel geführ- len die Zeche. Diesen Irrweg werden wir in Deutschland ten Bundesregierung sicherlich an vielen Stellen anders nicht mitgehen, auch wenn in einigen Köpfen hier im aussehen. Das konnte man auch wieder bei der Rede von Saal noch entsprechende Gespenster ihr Unwesen zu Herrn Westerwelle feststellen. Lesen Sie auch den wirt- treiben scheinen. Die Eckpunkte für eine Reform der schafts- und arbeitsmarktpolitischen Leitantrag für den Erbschaftsteuer, die die Koalition in der Arbeitsgruppe CDU-Parteitag in der nächsten Woche! Steinbrück/Koch erarbeitet hat, sind ein ordentlicher Kompromiss. Da gibt es jetzt keinen Grund mehr zur Wir, die Sozialdemokraten, werden in dieser Koali- Unruhe, und ich kann nur dringend davor warnen, das tion nicht zulassen, dass das Thema Mindestlohn auf die geschnürte Paket in seinen tragenden Elementen nach- rein betriebswirtschaftliche Dimension reduziert wird. träglich wieder anfassen zu wollen. Dieses Paket bleibt Es geht beim Mindestlohn um ein zentrales gesell- zu, und zwar auch unter dem Weihnachtsbaum. schaftspolitisches und soziales Problem, (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der SPD) nämlich darum, dass jeder vollzeitarbeitende Mensch Die Einnahmen aus der Erbschaftsteuer werden doch ge- von seiner Arbeit leben können muss. Dafür sollten wir braucht. Bildung und Betreuung, um nur zwei Stich- alle in diesem Hause arbeiten. worte zu nennen, sind doch wahrlich Zukunftsaufgaben, für die sich in den Ländern und Kommunen in den kom- (Beifall bei der SPD) menden Jahren große Anstrengungen lohnen. 13552 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 129. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. November 2007

Joachim Poß (A) Dass wir Sozialdemokraten unseren Blick aber auch Es ist ganz klar, dass wir soziale Gerechtigkeit nicht von (C) auf die ökonomischen Rahmenbedingungen richten, Leistungsgerechtigkeit abkoppeln. lässt sich vielfach und eindeutig belegen. Ich komme Jetzt einige Worte zum Kulturhaushalt. Da hat die zum Stichwort Unternehmensbesteuerung. Kollege Opposition durchaus zu loben: Nach bitteren Sparjahren Gysi, da geht es nicht um Geschenke für Konzerne oder gibt es jetzt endlich mehr Geld für die Kultur. Als thürin- für die Wirtschaft, sondern darum, dass wir endlich gische Abgeordnete mit Standort in Weimar freue ich Schluss mit dem skandalösen Zustand machen, dass Ge- mich besonders über die 45 Millionen Euro, die die winne von bis zu 100 Milliarden Euro in Deutschland er- Klassik Stiftung Weimar erhält. Damit kann ein bedeu- wirtschaftet und im Ausland versteuert werden. Das tendes Kulturprojekt Wirklichkeit werden, dem ganzen wollen wir ändern. Das ist die Gerechtigkeitslücke, um Land nützend. Dies gilt auch für die Mehrzahl der übri- die es geht. gen Investitionen. (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Dr. Lukrezia Eines aber ist für uns angesichts der Abkehr vom bis- Jochimsen [DIE LINKE]) herigen Kaputtsparen unverständlich: die Unterfinanzie- rung der Stiftung für das sorbische Volk. Das ist der Kern unserer Unternehmensteuerreform. (Beifall bei der LINKEN) Wir Sozialdemokraten haben außerdem mit Unter- stützung der kommunalen Spitzenverbände dafür ge- Deutschland hat sich mit großem Elan für die UNESCO- sorgt, dass in der Unternehmensteuerreform die Gewer- Konvention zum Schutz der Vielfalt von kulturellen besteuer verbreitert wurde. Und von dem Kompromiss, Ausdrucksformen engagiert und sie vor einem halben den die SPD-Bundestagsfraktion 2003 herbeigeführt hat, Jahr ratifiziert. Da ist es wahrhaft kein gutes Beispiel, profitieren die Städte Gott sei Dank bereits seit Jahren. wenn in der innenpolitischen Realität eine Minderheit fi- Schauen Sie sich die Entwicklung der Gewerbesteuer nanziell ausgehungert wird. Da geht es um den Erhalt ei- an! Wenn Sie das kritisieren, dann werden Sie dem- ner uralten, identitätsstiftenden Sprache, es geht um nächst etwas präziser! Wir können uns aber auch unter zweisprachige Bildung, den Erhalt eines Theaters, eines vier Augen darüber unterhalten, damit Sie nicht in jeder Verlags, eines Instituts. Im Prinzip geht es darum, wie die Mehrheit mit einer ihrer autochthonen Minderheiten Talkshow immer den gleichen Unsinn erzählen. umgeht. Im Detail geht es um 600 000 Euro. Eine kleine (Beifall bei der SPD) Summe, wenn man an die 400 Millionen Euro denkt, aber viel Geld für die sorbischen Kultureinrichtungen, Wir betreiben mit Augenmaß eine Politik der ökono- wenn es ausbleibt. Es gibt nur ein deutsch-sorbisches mischen Vernunft. Ich finde es bemerkenswert, dass der Theater. Wenn es schließen muss, geht ein kulturelles (B) Anteil der Agenda 2010 am aktuellen wirtschaftlichen Unikat verloren. Kulturelle Vielfalt in einem reichen (D) Aufschwung von vielen immer öfter und immer stärker Land sieht anders aus. gewürdigt wird. Die vorgebrachte Behauptung, wir wür- den mit den Weichenstellungen von Gerhard Schröder (Beifall bei der LINKEN) brechen wollen, ist eine bösartige und in der Regel tak- Wir fordern also, dass der Bundeszuschuss auf tisch motivierte Unterstellung. Hier soll die SPD aus der 8,2 Millionen Euro angehoben wird. Das ist die Summe, politischen Mitte und in die Nähe der Linkspartei ge- die die Stiftung zur Fortsetzung ihrer Arbeit als unver- drängt werden. Das werden wir aber nicht zulassen. zichtbar ansieht. Vielen Dank. Da das derzeit geltende Finanzierungsabkommen zum Jahresende abläuft, fordern wir außerdem, dass end- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der lich ein neues Abkommen zustande kommt, mit dessen CDU/CSU – Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Hilfe die Kultur der Sorben gepflegt und erhalten wer- Wir auch nicht!) den kann. Alles andere käme einer Assimilierungspolitik gleich. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Eine zweite Position innerhalb des Kulturhaushalts Das Wort hat jetzt die Kollegin Dr. Lukrezia Jochimsen halten wir für unverantwortbar. Schon im vergangenen von der Fraktion Die Linke. Jahr wurden die Mittel der Kulturstiftung des Bundes um 3 Millionen Euro verringert. Nun sollen für 2008 (Beifall bei der LINKEN) nochmals 2 Millionen Euro weniger zugewiesen werden. Als die Stiftung errichtet wurde, wurde ihr zugesichert, Dr. Lukrezia Jochimsen (DIE LINKE): sie jährlich mit 38 Millionen Euro auszustatten. Diese Herr Präsident! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Zusicherung sollte unbedingt eingehalten werden. Die Lieber Kollege Westerwelle, eines vorweg: Wir koppeln Stiftung leistet hervorragende Arbeit, insbesondere da, soziale Gerechtigkeit keineswegs von der Leistungsge- wo sie in die kulturelle Bildung unserer Kinder inves- rechtigkeit ab. Sie haben gesagt, Sie hätten Gregor Gysi tiert. In diesem Bereich ist noch viel zu tun, gerade für gut zugehört. Ihnen ist entgangen, dass er ausdrücklich den Bund. Das ist seit langem ein Anliegen meiner Frak- die überdurchschnittliche Belastung der Normalverdie- tion. In diesem Sinne bitte ich Sie, unseren beiden Ände- ner und der Mittelschicht hier in diesem Hause kritisiert rungsanträgen zuzustimmen. hat. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN) Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 129. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. November 2007 13553

(A) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Frühjahr dieses Jahres haben wir angenommen, dass wir (C) Das Wort hat der Kollege Steffen Kampeter von der für den Haushalt 2008 21,5 Milliarden Euro Schulden CDU/CSU-Fraktion. brauchen. Wir werden ihn Ende dieser Woche mit 11,9 Milliarden Euro neuen Schulden beschließen. (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei der CDU/CSU) Steffen Kampeter (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Das sind 11,9 Milliarden Euro zu viel. Aber es sind im- Herren! Es ist an der Zeit, zur Halbzeit der Arbeit dieser merhin 10 Milliarden Euro weniger, als wir im Frühjahr Koalition Zwischenbilanz zu ziehen. Ich glaube, dass die noch gemeinsam zu benötigen glaubten. unionsgeführte Bundesregierung eine erfolgreiche Bi- Die Staatsquote wird im nächsten Jahr auf das Niveau lanz vorlegen kann. Mit unserem Land geht es in vielen von vor der Wiedervereinigung sinken. Damals war Bereichen, beispielsweise auch beim Haushalt, voran. Gerhard Stoltenberg Finanzminister eines noch nicht Die Vorfahrtsregel, die heute beschrieben worden ist, wiedervereinigten Deutschlands. Das macht deutlich: muss auch für die zweite Hälfte der Legislaturperiode Der Staat zieht sich aus dem privaten Bereich zurück. gelten, nämlich das zu tun, was unserem Land nutzt und Weniger Staatsquote bedeutet mehr Freiheit für die Bür- die Menschen nach vorne bringt, und das zu unterlassen, gerinnen und Bürger. In diesem Sinne ist es ein weiterer was den Aufschwung in diesem Land gefährdet. Das, Beleg für den Erfolg der bisherigen Arbeit. glaube ich, ist ganz wichtig. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- (Beifall bei der CDU/CSU) neten der SPD) Wichtig ist auch, noch einmal deutlich auszuspre- chen, dass der Aufschwung, über den wir hier schon Unser Ziel, 2011 ohne neue Schulden auszukommen, mehrfach diskutiert haben, bei den Menschen ankommt. wird kritisiert. Als damals, beim letzten Mal, ein Die Zahl der Erwerbstätigen in Deutschland steigt in die Null-Schulden-Haushalt angekündigt wurde, lautete die Nähe von 40 Millionen. Noch nie waren in Deutschland Kritik, ein solcher Haushalt sei unrealistisch. Heute ist so viele Menschen erwerbstätig. Die Arbeitslosigkeit die Opposition der Auffassung, ein solcher Haushalt sei sinkt. Wir haben erfreuliche Ergebnisse bei der Erwerbs- früher möglich. Das heißt, es wird gar nicht infrage ge- beteiligung Älterer am Arbeitsmarkt; diese steigt deut- stellt, dass diese Große Koalition es schaffen kann, ohne lich an, und die Langzeitarbeitslosigkeit sinkt. Auch der neue Schulden auszukommen. Man mäkelt lediglich an Ausbildungspakt wirkt. Das heißt, wir haben einen sehr der Geschwindigkeit herum. Wer hätte das vor zwei oder soliden Anstieg bei den Ausbildungschancen junger drei Jahren angesichts eines drohenden Staatsbankrotts (B) Menschen. Das alles bedeutet viele neue Chancen für in diesem Hause eigentlich ernsthaft glauben wollen? (D) viele Menschen in diesem Land. So lautet die Halbzeit- (Beifall bei der CDU/CSU – Widerspruch bei bilanz der Großen Koalition. Das ist höchst erfreulich. Abgeordneten der SPD – Petra Merkel [Ber- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- lin] [SPD]: Na, na! – Dr. Guido Westerwelle neten der SPD) [FDP]: Diese Sozis!) In dieser Haushaltsdebatte kann man es, glaube ich, Ich will an dieser Stelle auch deutlich machen: Entge- nicht besser ausdrücken, als Uli Schäfer es heute in der gen anderslautenden Behauptungen wird es am Ende des Süddeutschen Zeitung getan hat: „Stabilität lohnt sich.“ nächsten Jahres 2 400 Stellen weniger in der Verwaltung Es lohnt sich für die Menschen, dass wir diese Politik in des Bundes geben, weil wir unseren Kurs des Stellenab- Deutschland betreiben. Es zahlt sich im Inland wie im baus in der öffentlichen Verwaltung konsequent fortset- Ausland aus. zen. Wir haben ihn gegenüber dem Regierungsvorschlag Ich erinnere daran, wo wir vor rund zwei Jahren beim noch verschärft. Haushalt standen. Der Staatsbankrott drohte. Das waren Das bedeutet nicht, dass wir in bestimmten politi- damals die Schlagzeilen in den Zeitungen. Ich erinnere schen Bereichen keine Schwerpunkte gesetzt haben. mich daran – ich weiß gar nicht, ob es in den Koalitions- Herr Kollege Westerwelle, das ist im Übrigen auch auf- verhandlungen oder öffentlich war –, dass Peer grund von Anregungen der FDP, denen wir folgen konn- Steinbrück gesagt hat, so schlimm, wie es mit den ten – die Koalition hat einen entsprechenden Antrag ein- Staatsfinanzen tatsächlich ist, habe er sich das nicht vor- gebracht –, geschehen. Deswegen sollten Sie mit Ihren stellen können. Damit hat er eine zutreffende Beschrei- sehr personalisierten Angriffen in der Sache sehr vor- bung der finanzpolitischen Leistungen der Vorgängerre- sichtig sein. Sie haben ja auf die Schröder-Rede nach gierung abgegeben. zwei Jahren seiner Kanzlerschaft verwiesen. Leider ha- (Petra Merkel [Berlin] [SPD]: Na, na! – Dr. Guido ben Sie bei dieser Debatte nicht geredet. Ich möchte Ih- Westerwelle [FDP]: Diese Sozis!) nen einmal ins Stammbuch schreiben, was der Kollege Brüderle damals gesagt hat: Flegelhaftigkeit ist kein Stil Deutschland saß in der Europäischen Union auf der der Politik. – Das will ich hier im Hinblick auf Ihre Rede Anklagebank. Jede Woche wurde aufgrund unserer mie- einmal in aller Deutlichkeit feststellen. sen finanziellen Situation vom Strafverfahren geredet. Heute, nach zwei Jahren, haben wir das strukturelle De- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Jörg fizit von etwa 60 Milliarden Euro halbiert. Noch im Tauss [SPD]: Wo er recht hat, hat er recht!) 13554 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 129. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. November 2007

Steffen Kampeter (A) Kollege Brüderle von der FDP hat ausgerechnet, dass Wir haben deutlich gemacht: Wir wollen den Wiederauf- (C) vonseiten der Bundesregierung Mehrforderungen in bau des barocken Stadtschlosses, und wir können dafür Höhe von 30 Milliarden Euro – ich sage das mit einem einen festen Kostenrahmen ermöglichen. Allerdings leichten Augenzwinkern in Richtung Kabinettsränge – schließen sich Kostenmanagement und kulturelles Be- erhoben worden sind. Wir haben in diesen Haushaltsbe- wusstsein in diesem Falle überhaupt nicht aus. ratungen keinen Cent draufgelegt; das muss man einmal Ein Drittes haben wir in diesem Zusammenhang ge- deutlich machen. Natürlich gab es Wünsche; aber die macht: Wir haben für eine Investition in mehrere As- Haushälter dieser Großen Koalition haben Kurs gehal- pekte der Moderne – auch des 21. Jahrhunderts – gesorgt ten. Wünsche gibt es immer in dieser Großen Koalition und die Mittel für die Kulturhauptstadt Europas 2010 und auch in kleinen Koalitionen. Aber wie man damit verstärkt. Dies ist ein wichtiger Beitrag für die kulturelle umgeht, ob man Kurs hält, das ist entscheidend. Wir ha- Identität unseres Landes im 21. Jahrhundert. ben entschieden: Trotz Mehrforderungen in Höhe von 30 Milliarden Euro – das ist die Rechnung der FDP – Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: wird dieser Haushalt gegenüber dem Regierungsentwurf Herr Kollege Kampeter, erlauben Sie eine Zwischen- um keinen einzigen Euro aufgestockt. Das ist eine klare frage des Kollegen Börnsen? Kante in der Finanzpolitik. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Steffen Kampeter (CDU/CSU): neten der SPD) Selbstverständlich, Herr Präsident. Zusätzlich ist es uns gelungen, 1 Milliarde Euro weniger Schulden, als von Steinbrück vorgeschlagen, zu machen. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Herr Börnsen. – Anschließend bitte ich, zum Schluss Ich möchte auf einen Punkt eingehen, der schon ange- zu kommen. sprochen worden ist, nämlich auf die Kulturpolitik. Wir (Heiterkeit bei der CDU/CSU – Dr. Norbert sparen nicht um des Sparens willen, sondern wir setzen Röttgen [CDU/CSU]: Gutes Timing!) auch auf diesem Gebiet Akzente. In den beiden Haushal- ten, die wir in dieser Woche beraten, wird das größte na- tionale Kulturinvestitionsprogramm mit einem Volumen Wolfgang Börnsen (Bönstrup) (CDU/CSU): von 400 Millionen Euro auf Kurs gebracht. Das ist ein Herr Kollege, ich habe bei Ihrer Rede mit Aufmerk- wichtiges Signal. Als Beispiel nenne ich die Klassik samkeit verfolgt, dass Sie die großartigen finanzpoliti- Stiftung Weimar oder die Stiftung Preußische Schlösser schen Leistungen meines schleswig-holsteinischen und Gärten Berlin-Brandenburg. Dieses Programm ist Landsmanns Gerhard Stoltenberg, die Orientierung auch (B) ein Angebot an das Land Berlin, nach Abschluss der für diese Regierung gewesen sind, noch einmal erwähnt (D) Bund/Berlin-Verhandlungen Investitionen in Berlin zu haben. tätigen. Außerdem ist es ein Angebot an die Stadt Bonn, Sie haben nun den Gedanken aufgegriffen, dass der für die auch Sie, Herr Kollege Westerwelle, sich einge- Haushaltsausschuss – Sie persönlich, Frau Merkel und setzt haben. Man kann hier nicht einerseits Ausgaben alle anderen Mitglieder – gesagt habe, wir müssten ver- geißeln und andererseits diejenigen loben, für die man stärkt in den Kulturstandort Deutschland investieren, selber eingetreten ist. Ich finde, diese Art und Weise des weil wir wüssten, dass der Wirtschaftsstandort Deutsch- Umgangs miteinander ist einfach unredlich. land dadurch eine stärkere Attraktivität erhält. In diesem Zusammenhang hat Ihre Vorrednerin mitgeteilt – – (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) (Zurufe von der FDP: Frage!) Der Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages hat 39 Millionen Euro für den Bau des Festspielhauses – Ist es richtig, dass sie mitgeteilt hat, „Ludwig van Beethoven“ bewilligt. Selbstverständlich (Heiterkeit bei der CDU/CSU) ist Beethoven ein nationales Ereignis. Wenn Sie die Varusschlacht und den Siebenjährigen Krieg durcheinan- dass die autochthone Minderheit der Sorben trotz der derwerfen, dann will ich Ihnen das gerne durchgehen Verbesserungen im Kulturbereich schlechter abschnei- den? Ist diese Information richtig? Vielleicht können Sie lassen. Aber das eine gegen das andere auszuspielen, uns auch noch darüber aufklären, dass in alle Bereiche geht nicht. Früher hatten Sie einmal eine „18“ unter dem der Kultur sehr wohl gerecht und umsichtig investiert Schuh; heute scheinen mir da kleine Karos zu sein. worden ist. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der SPD) Steffen Kampeter (CDU/CSU): Herr Kollege Börnsen, erstens stimme ich Ihnen zu, So sollte der Umgang zukünftiger Koalitionspartner dass die Zusammenarbeit mit der Kollegin Merkel aus- nicht sein, die in Nordrhein-Westfalen im Übrigen er- gesprochen angenehm ist und in der Sache erfolgreich folgreich zusammenarbeiten. voranschreitet. Ich bin in einer etwas schwierigen Situa- Wir haben in diesem Haushalt Vorsorge für das Stadt- tion, da ich hier mit zwei Damen Merkel aus unter- schloss getroffen. schiedlichen Fraktionen zurechtkommen muss. (Heiterkeit bei der CDU/CSU und der SPD) (Ulrike Flach [FDP]: Auch für die wachsenden Kosten?) Aber bisher ist dies relativ erfolgreich gelungen. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 129. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. November 2007 13555

Steffen Kampeter (A) Was die Sorben angeht, halte ich in Beantwortung Ih- Katrin Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (C) rer Frage Folgendes fest: NEN): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und liebe Kolle- Erstens. Der Bund hat in den vergangenen Jahren für gen! Das ist heute ein schönes Happening. die sorbische Volksgruppe über seine Verpflichtungen aus dem Finanzierungsabkommen hinaus zusätzliche (Jörg Tauss [SPD]: Früher war ein Happening Leistungen an die Stiftung gezahlt. Wir sind weit über etwas anderes!) das hinausgegangen, was wir mit den Ländern Branden- – Nein, das meine ich ernst. 400 Millionen Euro mehr burg und Sachsen vereinbart hatten. für die Kultur: Darüber kann man sich wirklich freuen. Zweitens. Wir haben in einem von allen Fraktionen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, unterstützten Antrag eine Aufstockung des Zuschusses bei der CDU/CSU und der SPD sowie des an die Stiftung für das sorbische Volk in Höhe von – ich Abg. Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP]) habe das jetzt nicht im Kopf – Ich gebe allerdings zu: Ich würde mich gerne mit- (Petra Merkel [Berlin] [SPD]: 600 000!) freuen, ohne dass das Ganze ein Geschmäckle hat. Wenn man nach 24 Uhr im Haushaltsausschuss etwas ein- 600 000 Euro beschlossen und dies mit einem klaren bringt, was schon am nächsten Tag in einer Regionalzei- Verhandlungsauftrag an den Staatsminister für Kultur tung als beschlossen dargestellt wird – die Zeitung hat und Medien verbunden, der einer der erfolgreichsten also schon gewusst, was beschlossen werden wird, bevor Minister dieser Bundesregierung ist, was zu Anfang es im Haushaltsausschuss überhaupt auf dem Tisch lag –, dieser Legislaturperiode viele gar nicht glauben woll- dann hat das für mich ein Geschmäckle. Das ist nicht ten. Dies wird aber jetzt an Themen wie der Filmförde- sinnvoll. rung oder der Bundeskulturstiftung deutlich. Der klare Verhandlungsauftrag besagt, mit den Ländern Sachsen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – und Brandenburg ein neues Finanzierungsabkommen Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Wer hat das auszuhandeln, in ihm die vielen kritischen Anregungen denn gemacht?) des Bundesrechnungshofes und des Bundesverwal- Herr Kampeter, ich will Ihnen auch sagen, warum ich tungsamtes aufzugreifen, die die Zusammenarbeit zwi- das nicht sinnvoll finde. Sie haben eben die Varus- schen Bund, Sachsen, Brandenburg und der Stiftung für schlacht erwähnt und Herrn Westerwelle belehrt – das ist das sorbische Volk betreffen, und anschließend dem in Ordnung; politische Bildung soll es im Deutschen Deutschen Bundestag dieses Finanzierungsabkommen Bundestag ja auch geben –, aber ich glaube, dass die mit der Perspektive einer fairen Lastenverteilung zwi- Klassik Stiftung Weimar und auch die Stiftung Preußi- (B) (D) schen den Beteiligten vorzulegen. sche Schlösser und Gärten es nicht verdient haben, dass Als Union und als Große Koalition stehen wir zu un- der Eindruck erweckt wird, man schiebe nachts etwas über den Tisch nach dem Motto „Für mich Varus und für serer Verantwortung für die autochthone Minderheit der dich Goethe“. Das haben sie nicht verdient. Sie sind Sorben. Wir haben ein entsprechendes Verhandlungsan- gebot auch materiell untermauert. Ich halte es für richtig, mehr wert. Sie sind deutsches Kulturerbe. Das kann man dass alle Fraktionen des Deutschen Bundestages zumin- nicht um Mitternacht verhandeln. dest im Haushaltsausschuss diesem Verhandlungsange- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – bot zugestimmt haben, und ich bin zuversichtlich, dass Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Das eine ist es , unserem Staatsminister für Kultur der Haushalt 2008, das andere ist der Nach- und Medien, mit seinem Verhandlungsgeschick und sei- tragshaushalt 2007!) nem Charme gelingen wird, die Verhandlungspartner zu- sammenzuführen und mit ihnen gemeinsam zu einem – Das ist der entscheidende Punkt. Das eine ist der Ergebnis zu kommen. Haushalt 2008, das andere der Nachtragshaushalt 2007, mal kurz über den Tisch geschoben. Die Hannoversche Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich bedanke Allgemeine Zeitung hat von einer Kriegskasse geredet. mich für die gute Zusammenarbeit in diesem Bereich der Ich glaube, das ist keine sinnvolle Haushaltspolitik, Kulturpolitik, aber auch im Bereich der Haushaltspolitik und es ist der Projekte, um die es geht, und unseres kul- insgesamt. Das Ergebnis, das am Freitag zur Abstim- turellen Erbes nicht würdig. Wir haben etwas anderes mung stehen wird, kann sich sehen lassen. Es ist ein wei- verdient. Sie hätten Ihre Vorschläge eher vorlegen und terer Schritt in Richtung auf ausgeglichene Haushalte deutlich machen können, welche Wichtigkeit das hat, und eine nachhaltige Finanzpolitik. Dies muss ein Mar- statt Deals zu verabschieden. kenzeichen nicht nur der Union, sondern auch jeder Re- gierung sein, an der die Union aktiv beteiligt ist. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Ich will an dieser Stelle aber vor allem über einen an- neten der SPD) deren Punkt reden, den ich noch viel wichtiger finde, wenn wir in diesem Hause über die Kulturpolitik reden, und zwar die Erinnerungskultur. Auch bei diesem Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Thema sind die Haushaltsberatungen nicht leicht gewe- Das Wort hat jetzt die Kollegin Katrin Göring- sen. Salomon Korn hat während Haushaltsberatungen in Eckardt vom Bündnis 90/Die Grünen. der Zeit darauf hinweisen müssen, dass in der Gedenk- 13556 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 129. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. November 2007

Katrin Göring-Eckardt (A) stätte des ehemaligen Konzentrationslagers Buchenwald – Ganz bestimmt nicht. Ich bin bestimmt nicht die Rich- (C) nur 50 Prozent der Führungen stattfinden können. Das tige, der Sie das sagen müssen, dass wir nicht verniedli- halte ich für einen absoluten Skandal, wenn es um chen wollen, nein. Vergangenheitsaufarbeitung und Erinnerungskultur in Deutschland geht. Aber der Punkt ist genau, dass wir über das andere ebenso reden müssen: über Loyalitäten, über ideologi- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie sche Überzeugung. Nur dann, wenn wir in Gänze da- bei Abgeordneten der FDP und der LINKEN) rüber sprechen, werden wir nämlich verhindern, dass die Vergangenheit verniedlicht und bagatellisiert wird. Wem Auch dabei gab es ein langes Hin und Her, ob man wir damit einen Gefallen täten, das wissen wir hier im der Gedenkstätte wenigstens 400 000 Euro mehr gewäh- Hause ganz genau. ren sollte. Es hat einer riesigen Anstrengung bedurft, aber es ist jetzt beschlossen worden. Dafür bin ich froh (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) und dankbar. Davor müssen wir auf der Hut sein. Wir haben zwei wichtige Debatten dazu vor uns. Ich will das an dieser Was die Erinnerungskultur angeht, will ich mit Blick Stelle wegen der Zeit nur in Stichworten sagen: Das eine auf die Zukunft ausdrücklich vorwarnen – in der glei- ist die Debatte um das sichtbare Zeichen, das andere die chen Zeit hat nämlich im Kulturausschuss die Anhörung Debatte um das Denkmal für Einheit und Freiheit. Bei- zur Erinnerungskultur stattgefunden –: Wir können uns des gehört auch in diesem Sinne zusammen, und ich in der Erinnerungskultur keine Schwerpunktverschie- hoffe sehr, dass wir mit kritischem Geschichtsbewusst- bung weg von der Aufarbeitung der NS-Vergangenheit sein dafür sorgen, hier nicht eine Schlagseite zu bekom- leisten. Ich glaube, das gebietet die Verantwortung, die men, die der Geschichtsaufarbeitung, die wir in der Ver- wir in Deutschland für unsere eigene Geschichte haben. gangenheit hatten und die wir so dringend brauchen, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zuwiderläuft. Wir stehen hierbei in einer Verantwortung, sowie bei Abgeordneten der LINKEN) die mehr ist, als die Debatte hierzu am heutigen Tag ge- zeigt hat. Das hat die Anhörung sehr deutlich gemacht. Wenn man über das Jahrhundert des Totalitarismus und die beiden Vielen Dank. deutschen Diktaturen redet, dann sind wir auf dem fal- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN schen Weg. Das halte ich für sehr gefährlich in einer sowie bei Abgeordneten der SPD) Zeit, in der Neonazis überall in Deutschland versuchen, sich zu verankern. Ich halte das für gefährlich in einer (B) Zeit, in der wir einen Neuanfang bzw. einen Neuauf- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: (D) bruch brauchen, gerade weil viele überlebende Zeitzeu- Das Wort hat jetzt die Kollegin Petra Merkel von der gen bald nicht mehr da sein werden. Wir brauchen einen SPD-Fraktion. Neuaufbruch für die Aufarbeitung der NS-Vergangen- (Beifall bei der SPD) heit, die in unserer Gesellschaft eine wichtige Rolle für unser kritisches Geschichtsbewusstsein spielt. Petra Merkel (Berlin) (SPD): (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es stimmt, die Haus- Es geht nicht an, bei der Zivilgesellschaft zu streichen haltsberatungen in diesem Jahr waren sehr erfreulich. und nach dem Motto zu verfahren, an ihrer Stelle werden es schon die Institutionen in Deutschland machen. Es (Lachen bei der FDP) geht auch nicht, auf der einen Seite zulasten eines kriti- Was in diesem Jahr erfreulich war, sind die Fakten, die schen Geschichtsbewusstseins zu streichen und auf der hier schon oft genannt worden sind und die ich auch nicht anderen Seite davon auszugehen, dass sich die Bedeu- verschweigen will: Dass die Nettokreditaufnahme er- tung der Gedenkstätten danach bemessen wird, wie wirt- heblich gesenkt werden konnte – von 19,5 Milliarden schaftlich sie sind. Sprich: Eine Gedenkstätte ist umso Euro auf 14,4 Milliarden Euro in diesem Jahr; im nächs- wichtiger, je mehr Besucherinnen und Besucher sie hat. ten Jahr soll sie auf höchstens 11,9 Milliarden Euro fest- Auch das hat für mich nichts mit kritischem Geschichts- geschrieben werden –, ist ein Erfolg. Dass unser Ziel, ei- bewusstsein und mit der Bedeutung zu tun, die wir in nen ausgeglichenen Haushalt vorzulegen, näherrückt – Deutschland aus meiner Sicht mit diesen Gedenkstätten spätestens im Jahr 2011 –, verbinden müssen. (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Sehr gut!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) ist ebenfalls ein Erfolg. Dass die Steuereinnahmen höher Und als Letztes: Wenn es um die Aufarbeitung unserer sind als erwartet, ist auch gut, und dass sich die wirt- DDR-Geschichte in Deutschland geht, macht es keinen schaftliche Lage verbessert hat – das Zeichen dafür sind Sinn, so zu tun, als ob es da nur Repression, Anpassung, über 1 Million Arbeitsplätze mehr –, ist auch etwas, das Abhängigkeit, Ausgrenzung und Widerstand gegeben hätte. als Erfolg bezeichnet werden kann. Das lassen wir auch nicht kleinreden. (Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP]: Aber verniedlichen wollen wir auch nicht!) (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 129. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. November 2007 13557

Petra Merkel (Berlin) (A) Lieber Kollege Kampeter, wer wie Sie nach zwei Jah- Etat in den Haushaltsberatungen um 163,3 Millionen (C) ren Regierungserfahrung glaubt, man müsse nur an einer Euro erhöht. Stellschraube drehen, um Erfolg zu haben, der greift Mein Hinweis auf die anderen Einzelpläne ist noch meines Erachtens zu kurz. Dieser Erfolg ist auch darauf nicht zu Ende. Ein Programm, das mir besonders wichtig zurückzuführen, dass die rot-grüne Koalition – auch zu- ist, weil es auf eine Initiative von uns Haushältern, sammen mit der CDU/CSU im Bundesrat – Reformen in Steffen Kampeter, zurückgeht, ist: Im Bundesministe- Gang gesetzt hat, die jetzt Wirkung zeigen. Rot-Grün hat rium für Wirtschaft und Technologie wird nun ein Pro- damit angefangen, die Große Koalition hat dies erfolg- gramm zur Umsetzung kreativ-wirtschaftlicher Konzepte reich fortgeführt, neu gestartet. Mit insgesamt 5 Millionen Euro sollen so (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Aber Ihr Par- kreativ-wirtschaftliche Projekte aus allen Bundesländern teitag hat sich doch davon verabschiedet, Frau gefördert werden. Kollegin Merkel!) (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) und das ist auch ein Ergebnis von konsequenter Politik, Ich komme jetzt zu einem meiner Etats aus dem Bun- auf deren Kontinuität zumindest die Sozialdemokraten deskanzleramt, zum Kulturhaushalt. Neben diesen eben stolz sein können; denn sie war erfolgreich. genannten Investitionen konnten wir in den Kulturhaus- (Beifall bei der SPD) halt weitere Mittel einstellen. Weniger Schulden zu machen, ist ein richtiges und ein (Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: wichtiges Ziel, das wir auch weiterhin verfolgen. Wich- Sehr gut!) tig ist aber auch, dass es nicht das einzige und alleinige So fließen – das haben Sie von der Opposition schon an- Ziel ist, sondern ein Mittel, die Notwendigkeit dafür, gemerkt – zusätzliche Mittel in Höhe von 400 Millionen wieder Luft zu bekommen, Handlungsspielräume zu er- Euro als Zuschüsse für national bedeutsame Kultur- schließen und Gestaltungsmöglichkeiten zu schaffen. investitionen. Auf eines möchte ich an dieser Stelle Richtig ist: Haushalts- und Finanzpolitik muss Begehr- ganz besonders hinweisen: Dies geschah im Parlament lichkeiten abwehren können, muss aber auch Impulse und durch das Parlament. geben. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Beifall bei der SPD) der CDU/CSU) Wir schmeißen kein Geld zum Fenster hinaus, sondern Dieses Geld kam nicht durch den von mir durchaus ge- investieren angesichts der stabileren Lage in Bereiche, schätzten Herrn Staatsminister in den Haushalt. (B) die die Stabilität sichern und weiter festigen sollen. (D) Umso erfreulicher ist es, wenn die Einnahmen höher (Zuruf von der CDU/CSU: Der hat aber die sind als erwartet; umso erfreulicher ist, dass wir durch Vorbereitung gemacht!) den Nachtragshaushalt 2007 aufgrund höherer Einnah- Dass Sie sich, Herr Neumann, über diese Mittel, die Ih- men nun auch zusätzliche Mittel hatten, die wir gezielt rem Etat zugutekommen, freuen, ist verständlich; das tue einsetzen konnten. auch ich. Sie haben einen unverhofften Geldsegen erhal- Durch die Steuermehreinnahmen konnten wir mit ten, für den Sie nichts tun mussten. dem Nachtragshaushalt wichtige Vorhaben finanzieren (Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP]: Aber und Schwerpunkte setzen. Mit der Einrichtung eines das Geld kommt vom Steuerzahler, nicht vom Sondervermögens in Höhe von 2,15 Milliarden Euro für Parlament!) den Ausbau der Kinderbetreuung für unter Dreijährige konnten wir einen wesentlichen Beitrag für eine zu- Die Bereitstellung dieser zusätzlichen Mittel war ein kunftsorientierte Familienpolitik leisten. Das ist ein we- Wunsch des Parlaments und ist auf eine Initiative des sentlicher Schwerpunkt sozialdemokratischer Politik. Parlaments zurückzuführen. – Das war zur Klarstellung nötig. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der SPD) Wir investieren in Köpfe und somit in Zukunft. Das tun wir auch mit dem Haushalt 2008 durch die Erhöhung Diese Mittel sind für mich ein gutes Beispiel, wie der BAföG-Bedarfssätze um 10 Prozent und der Freibe- Gelder gezielt eingesetzt werden können, um Impulse träge um 8 Prozent. und Prioritäten zu setzen. Zunächst einmal sind diese Zuschüsse für national bedeutsame Kulturinvestitionen (Beifall bei der SPD – Steffen Kampeter an die Kofinanzierung durch Länder und Kommunen [CDU/CSU]: Sehr gut!) sowie Private gekoppelt. Das heißt, es fließen mehr Mit- tel, als wir einstellen. Auch das Meister-BAföG steigt. Damit bringen wir spürbare Verbesserungen und sorgen für mehr Chancen- Teil dieses Programms sind Mittel für die Sanierung gleichheit. der Staatsoper in Berlin, für die Klassik Stiftung Wei- mar, die Stiftung Festspielhaus Beethoven in Bonn und Meine Kolleginnen und Kollegen haben schon darauf die Stiftung Preußische Schlösser und Gärten. hingewiesen, welche weiteren Schwerpunkte wir im Be- reich Bildung und Forschung setzen konnten. Die Zah- (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Über die len sprechen eine eindeutige Sprache: Wir haben den Staatsoper müssen wir noch reden!) 13558 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 129. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. November 2007

Petra Merkel (Berlin) (A) Hier ganz gezielte Investitionen zu leisten, ist uns mit für die SPD-Bundestagsfraktion Grundvoraussetzung für (C) diesem großen Programm gelungen. die Umsetzung dieses Projekts. Sie sehen: Es besteht noch erheblicher Diskussionsbedarf. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) (Beifall bei der SPD – Steffen Kampeter Alle Mittel sind gesperrt, weil wir im Haushaltsaus- [CDU/CSU]: Haben Sie denn einen Alterna- schuss die Entsperrung der Mittel für alle diese Projekte tivvorschlag?) erst freigeben werden. Ich möchte noch ein Beispiel für den Bereich des Re- Wir haben auch ein Programm für den Denkmal- formierens geben. In diesem Zusammenhang darf ich schutz in Höhe von 40 Millionen Euro aufgelegt. auf die Föderalismuskommission II eingehen. Dort (Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: arbeiten wir daran, neue, wirksamere Grenzen und Sehr gut! Das ist notwendig!) Begrenzungen der Verschuldung zu definieren und zu vereinbaren. Wir haben uns vorgenommen, die Finanz- Dies wird vielen Ländern und Kommunen zugutekom- beziehungen und Verwaltungsaufgaben zwischen dem men. Wir haben gemerkt, dass sich die Länder und Pri- Bund und den Ländern neu zu ordnen und dadurch Ein- vate daran beteiligen. Dies sind Investitionen, die in den sparungen zu erzielen. einzelnen Regionen einen Anker setzen. Das schafft zu- sätzliche Arbeit und kommt dem Mittelstand zugute. Ein Bereich, in dem wir meiner Meinung nach tätig werden können und sollten, ist die Einführung einer Diese Art der Impulssetzung streben wir an; deswegen Bundessteuerverwaltung. stellen wir diese 40 Milliarden zur Verfügung. (Beifall bei der SPD) (Zurufe von der CDU/CSU: Millionen!) Während der zweiten Expertenanhörung der Föderalis- – 40 Millionen, richtig. muskommission II wurde deutlich, dass die Einrichtung (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Milliarden einer solchen Bundessteuerverwaltung sehr wohl inte- wären auch gut, sind aber nicht möglich!) ressant ist. – Richtig, das kommt vielleicht beim nächsten Mal, Ich halte es für ein gutes und wichtiges Instrument, wenn es so weitergeht. durch eine Bundesbehörde Steuern einzuziehen. Ent- scheidend ist, dass sich dann kein Land herausmogeln Wir begleiten Projekte, auch solche, die eines sehr und auf seinem Gebiet Betriebsprüfungen vernachlässi- sensiblen Umgangs bedürfen. Das „sichtbare Zeichen“ gen kann. Kein Bundesland sollte damit punkten, dass es ist für mich so ein Projekt. Es steckt gerade in den Anfän- weniger Mitarbeiter bei der Steuerverwaltung und Steu- (B) gen und benötigt meiner Meinung nach eine sorgsame erprüfung gibt. Sie alle wissen, was das für ein fatales (D) und sensible Begleitung. Als „sichtbares Zeichen“ soll Signal ist. Laxes Auslegen der Steuergesetze darf nicht auf der Grundlage der vom Bonner Haus der Geschichte als Standortfaktor genutzt werden. konzipierten Ausstellung „Flucht, Vertreibung, Inte- gration“ eine Dauerausstellung in Berlin eingerichtet (Beifall bei der SPD – Jörg Tauss [SPD]: Wie werden. in Baden-Württemberg!) An dieser Stelle erlaube ich mir die persönliche Be- Da sage ich als Haushälterin: So nicht! merkung, dass über die derzeit ins Auge gefasste Unter- Neben den gleichen Bedingungen für die Durchfüh- bringung der geplanten Dauerausstellung im Deutsch- rung in den Ländern, die wir durch eine Bundessteuer- landhaus noch einmal diskutiert werden muss, und zwar verwaltung schaffen könnten, gefällt mir besonders ein sowohl im Kulturausschuss als auch im Haushaltsaus- charmanter Gedanke: nämlich dass die Effektivitätsge- schuss. winne, die Mittel, die man durch Bürokratieabbau beim Einziehen von Steuern erhält – das sind ungefähr 10 Mil- (Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP]: Das liarden Euro –, sowohl dem überschuldeten Bund als können wir gerne prüfen!) auch den überschuldeten Ländern zugutekommen. Es Dieser Standort muss meiner Meinung nach überprüft gab die Überlegung, dabei auch den Abbau von Alt- werden. Die SPD-Fraktion war immer der Auffassung, schulden einzubeziehen. Alle würden davon profitieren: dass diese Dauerausstellung in die bestehende Mu- der Bund, die Länder und die Kommunen. Wir sollten seumslandschaft eingebettet werden müsse und die euro- weiterhin darüber nachdenken, ob das nicht ein Weg ist, päische Einbindung von zentraler Bedeutung sei. den wir gemeinsam gehen können. Ich gebe Folgendes zu bedenken: Eine räumliche Ich hoffe und bin zuversichtlich, dass wir solche Re- Nähe des „sichtbaren Zeichens“ zum Landesverband der formen in Angriff nehmen können. Wir haben jetzt auf- Vertriebenen in Berlin im Deutschlandhaus könnte zu grund der Haushaltssituation gute Bedingungen dafür. Recht den Verdacht erwecken, dass eine inhaltliche Wir haben ein Zeitfenster, das wir nutzen sollten. Ich Nähe zu dem vom Bund der Vertriebenen geplanten Zen- hoffe, dass wir gemeinsam in diese Richtung gehen kön- trum gegen Vertreibung geschaffen werden soll. Das wi- nen. derspräche nach meiner Auffassung der Koalitionsver- Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit. einbarung. Eine deutliche Abgrenzung des „sichtbaren Zeichens“ von einem Zentrum gegen Vertreibung – so- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten wohl räumlich als auch inhaltlich – ist – da bin ich sicher – der CDU/CSU) Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 129. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. November 2007 13559

(A) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Deutsche Welle nach langen Jahren der Kürzung endlich (C) Das Wort hat die Kollegin Monika Grütters von der wieder angemessen finanziert. CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – (Beifall bei der CDU/CSU) Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP]: Ist das hier eine Werbeeinblendung?) Monika Grütters (CDU/CSU): Frau Göring-Eckardt, es ist richtig, dass Erinnerungs- Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist kultur hier eine zentrale Bedeutung hat. Aber ich muss nicht selbstverständlich, dass beim Kanzleramt die Kul- Sie korrigieren: Bei der Anhörung war es die Mehrheit tur ressortiert. Aber daran sehen wir: Hier geht es um der Anzuhörenden, die das Konzept der Regierung zur Grundsätzliches, um die Einsicht nämlich, dass natio- Fortschreibung des Gedenkstättenkonzepts unterstützt nale Identität vor allem aus dem Kulturleben eines hat. Es geht darum, die Unterstützung der Bundesregie- Landes wächst, aus dem traditionellen Erbe übrigens rung für national bedeutsame Gedenkstätten der NS-Ter- ebenso wie aus der künstlerischen Avantgarde. rorherrschaft zu verstetigen, aber gleichzeitig die Aufar- Diese Bundesregierung mit Bernd Neumann als beitung der SED-Diktatur in angemessener Weise zu Staatsminister für Kultur und Medien kann eine stolze verstärken. und auch, wie es in einer Zeitung stand, fröhliche Zwi- (Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: schenbilanz ziehen. Genau so war das!) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Das ist von fast allen Anzuhörenden getragen worden. Noch nie stieg der Kulturetat so steil an wie seiner, und noch nie hat eine Bundesregierung die Rolle der Kultur Hierzu gehört auch – Frau Merkel hat es erwähnt – so eindrucksvoll auch im Haushalt gestärkt wie diese, das sichtbare Zeichen gegen Zwangsmigration, Flucht lieber Steffen. Seit der Wende gab es übrigens auch und Vertreibung. Jetzt, nachdem das Konzept vorliegt, keine Bundesregierung, die die kulturpolitische Rolle ist es Sache des Parlaments, dieses wichtige Vorhaben der Hauptstadt so souverän anerkannt hat wie die Regie- zum Erfolg zu führen. In diesem Zusammenhang sind rung Merkel. auch die Anstrengungen des Kulturstaatsministers zu nennen, um in Fragen der Restitution von Kulturgut Der Kulturetat ist 2006 um 2,1 Prozent gestiegen, möglichst zu bundesweit einheitlichen, moralischen 2007 um weitere 3,5 Prozent und jetzt zum dritten Mal Maßstäben entsprechenden und transparenten Lösungen in Folge um 1,3 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Dass zu kommen. Die Verbesserung der Provenienzrecherche darüber hinaus im zweiten Jahr seiner Amtszeit ein (B) ist Voraussetzung dafür. Dafür liegt ein neues, solide fi- (D) nationaler Kulturinvestitionsplan in Höhe von nanziertes Konzept vor. 400 Mil-lionen Euro gelingen konnte, hat Bernd Neumann zu Recht staunende Bewunderung einge- (Beifall bei der CDU/CSU) bracht: Vom „Wunder von Bernd“ ist die Rede, Außer zur Initiative „Ein Netz für Kinder“ oder zum (Heiterkeit bei der CDU/CSU) NRW-Projekt „Jedem Kind ein Instrument“ möchte ich als Berliner Abgeordnete – sehen Sie es mir bitte nach – von Neumanns „Kampfdiplomatie“ und vom „Neumann Folgendes sagen: Bernd Neumann hat – dafür danke ich im Glück“. Chapeau, Herr Staatsminister, dass dieses ihm – ein großes Herz für die Hauptstadt. Das Bode- Lob auch noch vom immer nörgelnden Deutschen Kul- Museum wurde im Oktober 2006 wiedereröffnet. Für die turrat kommt. Errichtung des neuen Eingangsgebäudes auf der Mu- (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Immer nör- seumsinsel sind immerhin zusätzliche Mittel in Höhe gelnd! Das ist wohl zutreffend!) von 73 Millionen Euro zur Verfügung gestellt worden. Das ist doch ein wahrer Ritterschlag. (Klaus Hagemann [SPD]: Hat das der Neumann gemacht?) Ein Glück für uns ist ebenso, dass die CDU/CSU in Steffen Kampeter einen wahren Kulturfreund als Chef- Was lange währt, wird bekanntlich endlich gut. Daher haushälter hat. bin ich zuversichtlich, dass die Verhandlungen des Bun- (Beifall bei der CDU/CSU) des mit Berlin in Sachen Staatsoper – auch hier geht es immerhin um 200 Millionen Euro – erfolgreich zu Ende Das ist auch ein Gewinn für die Kultur in unserem Land, gebracht werden. für deren Bedeutung so das Bewusstsein geschärft wird – nicht nur mit der entsprechenden Finanzierung vieler (Zuruf von der CDU/CSU: Wenn der Senat Maßnahmen, aber eben auch nicht ohne sie. Ich darf zum mitmacht!) Beispiel daran erinnern, dass nach 30 Jahren Hängepar- – Wenn der Senat mitmacht. tie endlich die UNESCO-Konvention zum Kulturgüter- schutz umgesetzt sowie die Übereinkunft zur kulturellen Das Bekenntnis zur Kultur ist für uns immer auch ein Vielfalt vom Kabinett verabschiedet wurde. Bernd Bekenntnis zu den Wertegrundlagen unserer Gesell- Neumann hat – das wissen Sie – die Filmförderung und schaft. Kultur ist kein dekorativer Luxus, den sich eine mit der EU-Fernsehrichtlinie auch die Zukunftsfähigkeit Gesellschaft leistet, sondern eine Vorleistung, die, so des öffentlich-rechtlichen Rundfunks gestärkt sowie die meine ich, allen zugute kommt. 13560 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 129. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. November 2007

Monika Grütters (A) (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Wolfgang (C) Monika Griefahn [SPD] – Steffen Kampeter Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]) [CDU/CSU]: Sehr richtig!) Der Denkmalschutz ist uns ein besonderes Anliegen, Diese Regierung hat eindrucksvoll unter Beweis gestellt, weil er auch aus strukturpolitischer Sicht eine große Be- dass sie die Bedeutung der Kultur für die Kulturnation deutung hat. 2003 endete das sogenannte Dach- und Deutschland erkannt hat. Daher darf, wie ich meine, Fachprogramm der Bundesregierung für die neuen Bun- nicht nur die Frankfurter Rundschau unseren Kultur- desländer. Zwar gab es im Bereich des Denkmalschutzes staatsminister getrost als den „Herbstmeister der Großen weiterhin Bundesfördermittel, sie hatten jedoch keine Koalition“ würdigen. Breitenwirkung und entfalteten keine Strahlkraft. Dabei sind gerade der Denkmalschutz und die Erhaltung des Ich danke Ihnen. kulturellen Erbes Bereiche, in denen die Länder bei aller (Beifall bei der CDU/CSU – Steffen Kampeter Kulturhoheit auf die Unterstützung des Bundes angewie- [CDU/CSU]: Sehr gute Rede!) sen sind. Viele Gemeinden können die für die Erhaltung einer Kirche oder eines denkmalgeschützten Fachwerk- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: hauses erforderlichen Mittel nicht aufbringen. Solche Als letzte Rednerin zu diesem Einzelplan hat das Gebäude sind aber neben den großen Leuchttürmen wie Wort die Kollegin Monika Griefahn von der SPD-Frak- den preußischen Schlössern und Gärten wichtig, gerade tion. für die Menschen vor Ort. Deswegen freue ich mich über dieses Programm ganz besonders. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Monika Griefahn (SPD): Es ist unser Anliegen, diesen Bereich für ganz Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kolle- Deutschland auszubauen. Dabei sollte man wissen, dass gen! In den letzten Jahren ist es gute Tradition gewor- Denkmalpflege und Denkmalerhaltung auch zentrale den, dass wir im Rahmen der Debatte über den Kanzler- Wirtschafts- und Arbeitsplatzfaktoren sind. In diesem haushalt auch eine Kulturdebatte führen. Da der Bereich sind viele kleine und mittelständische Unter- Staatsminister für Kultur und Medien im Kanzleramt re- nehmen tätig, die oftmals hochgradig spezialisiert sind. sidiert, kann der Kulturhaushalt in diesem Zusammen- Dadurch bleiben zudem Handwerksberufe erhalten, die hang besprochen werden. sonst wahrscheinlich aussterben würden, wie zum Bei- spiel Stukkateure oder Steinmetze. Wie wichtig diese Der Haushalt des Kulturstaatsministers wurde schon selten gewordenen Handwerkskünste sind, war bei der (B) mehrfach erwähnt. Herstellung der Spiegel im Grünen Gewölbe in Dresden (D) (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Gelobt wurde zu erleben, das vor einem knappen Jahr von der Bundes- er!) kanzlerin wiedereröffnet wurde. Hier wurde eine Tech- nik angewendet, die nur noch ganz wenige Experten be- Auch vom „Wunder von Bernd“ wurde schon gespro- herrschen. Deswegen ist es wichtig, dies weiterhin zu chen. Ich möchte meiner Kollegin Merkel ausdrücklich fördern. Wir sind beim Handwerk weltweit Spitze. zustimmen. Ohne das Bemühen des Staatsministers schmälern zu wollen, muss ich jedoch sagen: Die Er- (Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des folge sind eher ein Wunder des Parlamentes. Das ist un- Abg. Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/ ser Job, und das ist unsere Rolle. CSU]) (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Wolfgang Das heißt, wir stützen mit dem kulturellen Erbe nicht Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]) nur das materielle Erbe, sondern eben auch das kreative Erbe, das Wissen und die Tradition. Es ist ganz wichtig, Deswegen möchte ich mich an dieser Stelle ganz be- das im Rahmen von Kulturpolitik immer wieder deutlich sonders bei den Kollegen im Haushaltsausschuss bedan- zu machen und Spitzentechnologie und Tradition hier ken, insbesondere bei Petra Merkel. Ohne das Engage- gemeinsam zu verankern. Unsere lebendige Gesellschaft ment der Haushälter im Ausschuss kann man solche lebt von dem Wissen und den Fähigkeiten. Wir müssen Projekte nicht auf die Beine stellen. Ganz herzlichen diese weitervermitteln. Kulturpolitik ist eben auch im- Dank allen, die dazu beigetragen haben. Petra, ich danke mer Bildungs- und Wirtschaftspolitik. dir ganz besonders für deinen Einsatz. (Beifall des Abg. Joachim Poß [SPD] sowie (Beifall bei der SPD) des Abg. Wolfgang Börnsen [Bönstrup] Dieser Geldsegen ist gut angelegt. Mit diesen Mitteln [CDU/CSU]) werden wichtige Investitionen finanziert, die überfällig Kulturpolitik ist gestaltende Politik. Das ist ein wichtiger sind. Frau Merkel hat die anstehende Sanierung der Punkt. Staatsoper in Berlin, das Denkmalschutzprogramm und anderes erwähnt. In den Haushaltsberatungen war uns Stichwort: Grünes Gewölbe und Dresden. In diesem insbesondere die Förderung des Lepsius-Hauses in Pots- Zusammenhang muss ich leider noch eine Randbemer- dam und die Erhöhung der Mittel für das Projekt „Kul- kung machen. Während Deutschland für seinen Denk- turhauptstadt Essen 2010“ wichtig. Das sind Projekte, malschutz weltweit gelobt und beneidet wird, verspielen die nicht auf der Strecke bleiben sollen. wir gerade beim Streit um die Waldschlösschenbrücke Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 129. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. November 2007 13561

Monika Griefahn (A) in Dresden diese Anerkennung. Kompromisse zur Lö- durch entsandte Lehrer unterrichtet. Aber die anderen (C) sung des Streits sind möglich. Der Bund würde diese so- Menschen, die in diese Lernorte kommen, haben die gar mit zusätzlichen Mitteln unterstützen. Mittlerweise Schwierigkeit, dort keine Führung zu bekommen. Das gibt es mehr als 20 000 Unterschriften dafür, mit einem müssen wir vorsehen; das ist ganz wichtig. neuen Bürgerentscheid eine Kompromisslösung herbei- zuführen und einen Tunnel zu bauen. Es gibt weitere politische Schwerpunktthemen, die uns im nächsten Jahr beschäftigen werden. Die Enquete- (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der Kommission „Kultur in Deutschland“ wird in der nächs- LINKEN) ten Sitzungswoche ihren Abschlussbericht vorlegen. Wir werden hier darüber diskutieren. Darin werden viele Be- Einzig die Landesregierung in Sachsen hat bisher keine reiche unserer vielfältigen Kulturlandschaft beschrieben, ernsthaften Bemühungen um einen Kompromiss unter- die sonst eher nicht im Mittelpunkt der öffentlichen nommen. Das finde ich sehr bedauerlich. Wahrnehmung stehen. Es ist wichtig, dass sich das im (Beifall bei Abgeordneten der FDP und der LIN- Haushalt wiederfindet, zum Beispiel in Form der sozio- KEN – Jörg Tauss [SPD]: Kulturlos!) kulturellen Zentren, die oftmals im ländlichen Raum oder in städtischen Schwerpunkten das einzige kulturelle An die Adresse der Bundesregierung möchte ich hin- Angebot darstellen. Hier werden mit wenigen finanziel- zufügen: Die Bundesrepublik steht hier insgesamt in der len Mitteln vielfältige kulturelle Angebote ermöglicht, Verantwortung. Denn das schlägt auf uns zurück, übri- die sich stark an den Interessen und Bedürfnissen sowohl gens auch auf die anderen Bundesländer der Bürger als auch der Künstler orientieren. (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP]) Diese Arbeit wird an Bedeutung zunehmen. Die Stärkung der kulturellen Bildung findet in den soziokul- und auf die, die weitere Anträge auf Kulturerbestandorte turellen Zentren statt; dort wird Kultur als Teil von Inte- stellen. Mir blutet das Herz, wenn ich sehe, dass durch gration berücksichtigt. Deswegen müssen wir sie unter- das Fällen von mehr als hundert Jahre alten Eichen un- stützen. Etablierte Kultureinrichtungen haben eine widerrufliche Tatsachen geschaffen werden. Das sind wichtige Vorbildfunktion. Daher müssen Einrichtungen übrigens Bäume, die in Sachsen einmalig sind. Hier wer- wie Bibliotheken und Musikschulen erhalten werden, den gewachsene Strukturen zerstört. Das ist keine gestal- gerade im ländlichen Raum. Diesen wichtigen Aspekt tende, sondern zerstörerische Politik. müssen wir weiterhin im Blick haben. (Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie (Beifall bei Abgeordneten der SPD) des Abg. Hans-Joachim Otto [Frankfurt] (B) [FDP]) Eine grundsätzliche Anmerkung zum Haushalt: Wir (D) freuen uns über die bereitgestellten Mittel. Wir müssen Nun wieder zum Erfreulichen, zu den Steigerungen uns aber immer fragen: Geben wir das Geld an der richti- im Haushalt 2008. Hier wurden schon die Mittel für die gen Stelle aus? Welche Ideen und Vorstellungen verbin- Gedenkstätten Buchenwald und Dachau erwähnt. den wir damit, dass wir für die Erhaltung des kulturellen Gedenkstätten sind Lernorte und wichtige gesamtge- Erbes Geld ausgeben? Dabei geht es also um Struk- sellschaftliche Aufgaben. Es ist erfreulich, dass die Be- turfragen. sucherzahlen in den Gedenkstätten zunehmen und dass wir uns über Geschichte informieren. Das spricht für Im Bericht der Enquete-Kommission werden viele ihre Arbeit. Jedoch müssen die Gedenkstätten in die Anstöße zur Lösung der vor uns liegenden Aufgaben ge- Lage versetzt werden, mit den damit verbundenen An- geben. Es stellt sich die Frage, welche Schwerpunkte wir forderungen umzugehen. Sie müssen mehr Führungen in Zukunft beim Einsatz unseres Geldes setzen. Darüber anbieten und mehr Personal beschäftigen können. müssen wir im nächsten Jahr intensiv diskutieren. Auch wenn wir jetzt schon Verbesserungen erreichen Da ich gerade über den richtigen Einsatz des Geldes konnten, liegen die wichtigsten Fragen im Zusammen- spreche, möchte ich die „Initiative Musik“ ansprechen. hang mit der Weiterentwicklung der Gedenkstättenför- (Zuruf von der SPD: Richtig!) derung durch den Bund noch vor uns. Wir diskutieren darüber; das wurde schon erwähnt. Vorgeschlagen wird Im Jahr 2008 wird hierfür erneut 1 Million Euro zur Ver- unter anderem, die Gedenkstätten in den westlichen fügung gestellt, obwohl mit den konkreten Förderprojek- Bundesländern in die institutionelle Förderung aufzu- ten noch nicht begonnen wurde. Wir tun das, weil wir nehmen. Wir als SPD-Fraktion unterstützen dieses An- überzeugt sind, dass wir der Rock-, Pop- und Jazzszene sinnen sehr. mit diesem Instrument wichtige Anreize geben können. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der (Beifall bei Abgeordneten der SPD) CDU/CSU) Erste Ziele wie der Spielstättenpreis für Jazzmusik Wir müssen uns darüber klar sein, dass im nächsten oder die Tourbusförderung haben wir in dem Antrag, Jahr wahrscheinlich zusätzliche finanzielle Mittel dafür den wir in den Bundestag eingebracht haben, formuliert. nötig sein werden. Das müssen wir bei den zukünftigen Es wird höchste Zeit, dass diese nun durch den Auf- Haushaltsverhandlungen im Auge haben, damit wir ge- sichtsrat unterstützt durch Fachleute aus den jeweiligen nau diese Lernorte für unsere Kinder und auch andere Bereichen umgesetzt werden. Zentral ist: Mit 1 Million Menschen erhalten. Die Kinder werden heute schon Euro wollen wir nicht die bestehende Musikwirtschaft 13562 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 129. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. November 2007

Monika Griefahn (A) finanzieren, sondern durch Anreize gerade Nachwuchs- Mit über 40 Millionen Euro werden wir eine Schulinitia- (C) projekten, die es sonst nicht geben würde, eine Chance tive durchführen. 20 Millionen Euro stellen wir für die geben. So sind die Mittel richtig eingesetzt. „Aktion Afrika“ zur Verfügung, in deren Rahmen Schü- leraustausche, Medienarbeit, Stipendien und Kulturpro- Ich habe mich persönlich sehr darüber gefreut, dass jekte finanziert werden. Ich glaube, das ist sehr sinnvoll wir einen Preis für qualitativ hochwertige und kulturell angelegtes Geld. Denn durch jeden Euro, den man in sowie pädagogisch wertvolle Computerspiele initiiert Bildung, Ausbildung und Dialog investiert, kann man haben; sich Investitionen in Krisenprävention oder militärische (Zuruf von der SPD: Das ist auch gut so!) Einsätze ersparen. Darauf müssen wir unser Augenmerk viel stärker als bisher richten. Das ist wirklich gut inves- daran arbeite ich zusammen mit anderen Medien- und tiertes Geld. Kulturpolitikern der SPD schon seit vielen Jahren. Jetzt stellen wir 300 000 Euro zur Verfügung, und die Bran- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) che hat zugesagt, sich in einer ähnlichen Größenordnung Beim Goethe-Institut wird ab dem nächsten Jahr die zu beteiligen. komplette Budgetierung eingeführt, für die sich Lothar (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Mark und ich schon seit zehn Jahren einsetzen. Ich bin froh, dass kein Goethe-Institut geschlossen werden An dieser Stelle möchte ich der Kollegin Petra Merkel musste, sondern dass, im Gegenteil, in Skopje und in den und dem Kollegen Jörg Tauss, die hier besonders enga- Golfstaaten sogar zusätzliche Präsenzen eröffnet werden giert mitgewirkt haben, ganz herzlich danken. konnten. Bibliotheken in Bangalore und Mumbai wer- Schon im nächsten Jahr kann eine unabhängige Jury den ausgebaut und die Sprachangebote vor Ort verbes- in verschiedenen Kategorien wie „Kinder- und Jugend- sert. spiel“, „Nachwuchs“ oder „Innovation“ Preise für be- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) sonders positive Spiele verleihen. Die Preisgelder müs- sen wieder für die Entwicklung neuer Spiele eingesetzt Denn es ist uns nach wie vor ein Anliegen, die deutsche werden. So unterstützen wir den Bereich der hochwerti- Sprache in anderen Ländern zu vermitteln. Auch das gen Computerspiele. Es ist Aufgabe der Kulturpolitik, trägt zum Dialog bei. Anreize zu setzen und Neues und Kreatives zu fördern. Das hat auch für die Kulturwirtschaft einen Wert. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Ein Problem haben wir immer noch: die Erforschung Kommen Sie bitte zum Schluss, Frau Kollegin. der Wirkung von Medien und ihrer Konzentration. Der (B) Medien- und Kommunikationsbericht der Bundesregie- Monika Griefahn (SPD): (D) rung liegt noch immer nicht vor. Wir hoffen, dass wir Ich bin beim letzten Satz. – Ich freue mich, dass wir darüber im nächsten Jahr diskutieren und konkrete Maß- diese Aufwüchse erreicht haben und dass die Kultur nahmen umsetzen können. auch im Haushaltsausschuss als wichtig erachtet wird. Ich hoffe, dass das nächste Jahr in Deutschland ein Jahr (Beifall bei Abgeordneten der SPD) der Kultur und der Kunst und der Kulturschaffenden Kulturpolitik findet natürlich nicht nur im Inland, werden kann. sondern auch im Ausland statt. Ein wichtiger Bereich, Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. der beim Kulturstaatsminister angesiedelt ist, ist die Deutsche Welle. Ich freue mich, dass wir für die Deut- (Beifall bei der SPD) sche Welle 4 Millionen Euro zusätzlich zur Verfügung stellen konnten. Nun können das arabische Programm Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: endlich auf acht Stunden pro Tag ausgeweitet und die Ich schließe die Aussprache. Verbesserung von Deutsche Welle TV durch die Koope- ration mit ARD und ZDF besser finanziert werden. Dass Wir kommen zur Abstimmung über den Einzel- das Instrument des internationalen Dialogs wichtig ist, plan 04, Bundeskanzlerin und Bundeskanzleramt, in der erlebe ich immer wieder, wenn ich im Ausland bin. Ausschussfassung. Der einzige Wermutstropfen ist, dass die Abwicklung Hierzu liegen zwei Änderungsanträge der Fraktion teurer Altlasten wie des Senders Nauen noch nicht finan- Die Linke vor, über die wir zunächst abstimmen. ziert werden konnte. Diese Belastung hätte ich der Deut- schen Welle gern erspart; denn sie muss in die Zukunft Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Druck- und darf nicht in die Vergangenheit investieren. sache 16/7309? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Änderungsantrag ist abgelehnt mit den Stimmen der (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Koalitionsfraktionen und der Fraktion der FDP bei Zu- stimmung der Fraktion Die Linke und Enthaltung von Die Deutsche Welle ist ein Instrument der Außenpoli- Bündnis 90/Die Grünen. tik. Gott sei Dank haben wir auch im außenpolitischen Bereich eine Erhöhung der Mittel erzielen können; an Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Druck- dieser Stelle möchte ich dem Kollegen Lothar Mark dan- sache 16/7311? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – ken, der sich hier besonders engagiert hat. Wir haben Der Änderungsantrag ist mit gleichen Stimmenverhält- eine Erhöhung der Mittel um 82 Millionen Euro erreicht. nissen abgelehnt. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 129. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. November 2007 13563

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms (A) Wir kommen damit zur namentlichen Abstimmung Jetzt kommen wir zur Wahl zum Mitglied des Parla- (C) über den Einzelplan 04 in der Ausschussfassung. mentarischen Kontrollgremiums. Hierfür ist laut Gesetz die Mehrheit der Mitglieder des Hauses erforderlich. Bevor ich die Abstimmung eröffne, möchte ich noch Wer stimmt für diesen Wahlvorschlag? – Gegenstim- darauf hinweisen, dass wir direkt im Anschluss an die men? – Enthaltungen? – Damit ist der Wahlvorschlag namentliche Abstimmung eine Gremienwahl und unmit- mit der erforderlichen Mehrheit, und zwar mit den Stim- telbar danach noch eine namentliche Abstimmung men des gesamten Hauses, angenommen. durchführen werden. Ich bitte Sie also, hier zu bleiben. Damit ist der Kollege Oppermann in diese Gremien Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die gewählt. Plätze einzunehmen. – Sind die Urnen besetzt? – Es feh- len noch Schriftführer vonseiten der Koalition. – Ich er- Jetzt rufe ich den Tagesordnungspunkt IV auf: öffne die Abstimmung. Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/ CSU und der SPD Gleichzeitig gebe ich Ihnen bekannt, dass eine schrift- liche Erklärung der Kollegin Michalk nach § 31 der Ge- Zurückweisung des Einspruchs des Bundesra- schäftsordnung vorliegt, die wir zu Protokoll nehmen.1) tes gegen das Gesetz zur Vorbereitung eines registergestützten Zensus einschließlich einer Gebäude- und Wohnungszählung 2011 (Zen- Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: susvorbereitungsgesetz 2011 – ZensVorbG Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine 2011) Stimme nicht abgegeben hat? – Das scheint nicht der Fall zu sein. Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die – Drucksachen 16/5525, 16/6455, 16/6456, 16/6728, Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung 16/7085, 16/7222 – zu beginnen. Das Ergebnis der namentlichen Abstimmung Der Bundesrat hat in seiner Sitzung am 9. November wird Ihnen später bekannt gegeben. gegen das genannte Gesetz Einspruch eingelegt. Interfraktionell ist verabredet worden, die heutige Ta- Bevor wir zur Abstimmung über diesen Antrag kom- gesordnung um die Beratung des Zusatzpunktes 1 – Nach- men, bitte ich um Ihre Aufmerksamkeit für einige Hin- wahl zu verschiedenen Gremien – zu erweitern. – Damit weise zum Abstimmungsverfahren: Es ist namentliche sind Sie ganz offensichtlich einverstanden. Abstimmung verlangt. Nach Art. 77 Abs. 4 Satz 2 des Grundgesetzes bedarf die Zurückweisung des Ein- Ich rufe damit Zusatzpunkt 1 auf: spruchs des Bundesrates, der einstimmig erfolgt ist, ei- Wahlvorschlag der Fraktion der SPD ner Mehrheit von zwei Dritteln, mindestens aber der (B) Mehrheit der Mitglieder des Deutschen Bundestages. (D) Wahl eines Mitgliedes des Gemeinsamen Aus- Wer den Einspruch zurückweisen will, muss mit Ja stim- schusses gemäß Artikel 53 a des Grundgesetzes men. Bitte achten Sie darauf, dass die Stimmkarte, die Sie verwenden, Ihren Namen trägt. Wahl eines vom Deutschen Bundestag zu ent- sendenden Mitgliedes des Ausschusses nach Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Antrag Artikel 77 Abs. 2 des Grundgesetzes (Vermitt- der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD auf lungsausschuss) Drucksache 16/7222. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, ihre Plätze erneut einzunehmen. – Wahl eines Mitgliedes des Parlamentarischen Sind alle Urnen besetzt? – Das ist der Fall. Dann eröffne Kontrollgremiums gemäß §§ 4 und 5 Abs. 4 des ich die Abstimmung. Gesetzes über die parlamentarische Kontrolle nachrichtendienstlicher Tätigkeit des Bundes Ist ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine (Kontrollgremiumsgesetz – PKGrG) Stimme noch nicht abgegeben hat? – Das scheint nicht der Fall zu sein. Dann schließe ich die Abstimmung. Ich – Drucksache 16/7287 – bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, auch hier mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis wird Ih- Die Fraktion der SPD schlägt auf Drucksache 16/7287 nen später bekannt gegeben. vor, den Kollegen Thomas Oppermann als Nachfolger für den Kollegen Olaf Scholz erstens in den Gemeinsa- (Unruhe) men Ausschuss nach Art. 53 a des Grundgesetzes, zwei- Wir haben das Ziel, jetzt die Haushaltsberatungen tens in den Ausschuss nach Art. 77 Abs. 2 des Grundge- fortzusetzen. Das ist nur möglich, wenn diejenigen, die setzes – Vermittlungsausschuss – sowie drittens in das an den Beratungen nicht teilnehmen und stattdessen an- Parlamentarische Kontrollgremium zu wählen. deren wichtigen Dingen nachgehen wollen, den Raum verlassen und die anderen sich hinsetzen. Wir kommen zunächst zur Wahl zum Mitglied des Gemeinsamen Ausschusses und des Vermittlungsaus- Wir kommen zum Tagesordnungspunkt II.10: schusses. Wer stimmt für diesen Wahlvorschlag? – Ge- Einzelplan 05 genstimmen? – Enthaltungen? – Damit ist dieser Vor- Auswärtiges Amt schlag mit den Stimmen des ganzen Hauses, ohne Gegenstimmen und ohne Enthaltungen, angenommen. – Drucksachen 16/6405, 16/6423 – Berichterstattung: 1) Anlage 2 Abgeordnete Jürgen Koppelin 13564 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 129. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. November 2007

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt (A) Herbert Frankenhauser schaften ist – das muss ich einfach sagen – an eine (C) Lothar Mark Grenze gekommen. Da gibt es kein Vertun. Hier müssen Michael Leutert wir etwas machen. Alexander Bonde (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Zum Einzelplan 05 liegt ein Änderungsantrag der der CDU/CSU und der SPD) Fraktion der FDP vor. Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Koalitions- Es ist verabredet, zwei Stunden zu debattieren. – fraktionen, in unseren Diskussionen und auch im Aus- Dazu höre ich keinen Widerspruch. Dann ist das so be- schuss unterstützen Sie uns; da sind wir uns alle einig. schlossen. Wenn es aber ans Eingemachte geht, dann haben wir Ihre Unterstützung leider nicht. Deswegen sahen wir uns ge- Ich eröffne die Aussprache und gebe das Wort dem nötigt, einen Änderungsantrag vorzulegen, in dem wir Kollegen Jürgen Koppelin für die FDP-Fraktion. auf die Personalsituation hinweisen. Wir bitten Sie herz- (Beifall bei der FDP) lich, unserem Antrag zuzustimmen. Bitte unterstützen Sie uns nicht nur mit Worten, sondern in der Abstim- Jürgen Koppelin (FDP): mung hier auch mit Taten. Ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie unserem Antrag zustimmen würden. Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als Hauptberichterstatter für den Etat des Außenminis- (Beifall bei der FDP) ters Es gibt einen weiteren Punkt. Wenn wir uns darin ei- (Jörg Tauss [SPD]: Sie haben das dicke Buch nig sind, dass die Botschaften personell knapp ausgestat- vergessen!) tet sind, dann geht auch kein Weg daran vorbei, zu sa- gen: Der Abbau von Planstellen und Stellen im – das Thema ist zu ernst für solche Zwischenrufe, Herr auswärtigen Dienst darf nicht in der bisherigen Form Kollege – möchte ich mich ganz herzlich bedanken: zum fortgesetzt werden. einen für die gute Zusammenarbeit mit den Haushältern, aber auch mit dem ganzen Haus, zum anderen bei allen (Dr. Werner Hoyer [FDP]: Sehr richtig!) Mitberichterstattern, egal von welcher Fraktion. Ich Wenn wir schon jetzt einen Mangel haben, können wir glaube, wir haben sehr gute Arbeit geleistet; denn wir nicht noch weiter abbauen. haben vieles gemeinsam angeschoben und gestärkt. (Beifall bei der FDP) Ich nenne hier einiges, das wir alle gemeinsam getra- gen und für das wir uns stark gemacht haben, zum Bei- Ich möchte die heutige Gelegenheit nutzen, allen Mit- (B) (D) spiel die auswärtige Kulturpolitik; das Goethe-Institut ist arbeiterinnen und Mitarbeitern des gesamten auswärti- ein Stichwort, aber auch die deutschen Schulen. Ich will gen Dienstes meinen Dank und meine Anerkennung für ausdrücklich auch den Kollegen Mark loben, der sich ihre großen Leistungen auszusprechen. hierfür immer sehr engagiert. Wir haben uns auch be- (Beifall des Abg. Dr. Rainer Stinner [FDP]) müht, verstärkt Mittel für die Sanierung und Renovie- rung der deutschen Botschaften zur Verfügung zu stel- Es mag die eine oder andere Kritik geben – so habe ich len. Viele Botschaftsgebäude stammen aus den 50er- und es gelesen –, zum Beispiel am Krisenstab. Wenn die 60er-Jahren und sind jetzt dringend renovierungsbedürf- Kritik berechtigt ist, dann ist das zu beheben. Insgesamt tig. Auch das haben wir alle gemeinsam mitgetragen. aber leistet unser Krisenstab – unter manchmal er- schwerten Bedingungen – ganz hervorragende Arbeit; (Beifall bei der FDP) das sollte man nicht in der Öffentlichkeit zerreden. Hier Bevor ich jetzt einige kritische Anmerkungen mache, finden sich hoffentlich wieder alle zusammen, unter der will ich ausdrücklich darauf hinweisen, dass sich diese Leitung des Ministers, der bereits im Gespräch angekün- Anmerkungen nicht an die Mitarbeiterinnen und Mitar- digt hat, dass da etwas geschieht. Der Krisenstab hat in beiter des Außenministeriums richten, sondern zum ei- den vergangenen Jahren hervorragende Arbeit geleistet. nen an den Finanzminister und zum anderen natürlich an Wir sprechen ihm unsere Anerkennung aus. den Außenminister. (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU, der SPD Aus Sicht meiner Fraktion kritisch zu sehen ist die und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Personalsituation im Auswärtigen Amt. Sie ist, sehr di- Herr Minister, was wir zu kritisieren haben, ist ein- rekt gesagt, äußerst unbefriedigend. Wenn man verlangt, deutig; der Kollege Westerwelle hat das vorhin schon dass Deutschland eine wichtige Rolle in der Welt spielt, angesprochen. Sie müssen uns heute hier erklären, wa- dann muss man die Botschaften entsprechend mit Perso- rum Sie einen weiteren Staatssekretär brauchen. Wa- nal ausstatten; daran geht kein Weg vorbei. Die Arbeits- rum brauchen Sie einen innenpolitischen Berater? Wa- belastung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den rum brauchen Sie weiteres Führungspersonal? In den Botschaften ist immens gewachsen, die Personalausstat- Botschaften wäre mehr Personal notwendig gewesen, tung ist gesunken. Wir haben den gleichen Personalstand aber doch nicht für Sie für den Wahlkampf. Das ist für wie zum Zeitpunkt der deutschen Wiedervereinigung. den deutschen Steuerzahler einfach zu teuer. Das sollten Das entspricht nicht dem, was wir brauchen. Die Heraus- Sie uns erklären. forderungen sind einfach zu groß. Die Leistungsfähig- keit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Bot- (Beifall bei der FDP und der LINKEN) Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 129. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. November 2007 13565

Jürgen Koppelin (A) Wenn wir in den Botschaften gutes Personal haben (Beifall bei Abgeordneten der SPD) (C) wollen, dann müssen wir es vernünftig bezahlen, auch unsere Botschafter. Insofern freue ich mich, dass man Seit Beginn der linearen Stellenkürzungen hat sich eine zumindest in einem Punkt der FDP gefolgt ist und die Schere zwischen den wachsenden außenpolitischen Auf- sehr wichtige Botschafterposition in Tel Aviv angehoben gaben und der schrumpfenden Personalausstattung auf- hat. Ich sage der Koalition herzlichen Dank dafür, dass getan. Um die Handlungsfähigkeit des Auswärtigen sie meinem Vorschlag gefolgt ist. Vielleicht sollten wir Dienstes auch in Zukunft sichern zu können, bedarf es ei- uns im nächsten Jahr alle Botschafterstellen angucken. ner angemessenen Personalausstattung. Dabei ist hervor- Man bekommt, gerade in Konkurrenz zur Wirtschaft, zuheben, dass das Auswärtige Amt Anstrengungen unter- nur dann gute Leute, wenn man sie vernünftig bezahlt, nommen hat, um die eigenen Strukturen zu modernisieren gerade bei dem Job, den unsere Botschafter machen und zu verschlanken. müssen. (Beifall des Abg. Jörg Tauss [SPD]) Ich möchte in aller Kürze noch ein Thema aufgreifen, Der Auswärtige Dienst muss für die besten Köpfe in un- zu dem Sie heute ebenfalls Stellung nehmen müssen. serem Land weiterhin attraktiv bleiben. Die Forderung Das ist die Diskrepanz, die ich in Ihren Äußerungen zum nach einer angemessenen Ausstattung mit Stellen zur Dalai Lama festgestellt habe. Sie ziehen sich jetzt da- strategischen Postenvorbereitung blieb auch in diesem rauf zurück, dass Sie sie in Ihrer Eigenschaft als stellver- Jahr leider unerfüllt. Gerade im Auswärtigen Dienst, wo tretender Parteivorsitzender gemacht hätten. Auch als die Beschäftigten der Rotation unterliegen, ist die sorg- Vertreter der FDP, die mit ihrer Friedrich-Naumann-Stif- fältige Vorbereitung auf den nächsten Posten unverzicht- tung dem Dalai Lama sehr eng verbunden ist, sage ich: bar. Angesichts der knappen Stellenlage erfolgt meines Es kann nicht sein, dass ein Außenminister die Kanzlerin Erachtens eine strategische Postenvorbereitung nicht in kritisiert und sich dann darauf beruft, er habe nicht als ausreichendem Maße. Außenminister gesprochen, sondern als stellvertretender Parteivorsitzender. Ich sage Ihnen ganz offen: Mir ist Die Aufstockungen der Ansätze für die politischen eine Kanzlerin lieber, die den religiösen Führer Dalai Aufgaben mit 21,5 Millionen Euro wie für die auswär- Lama empfängt, als ein Kanzler, der Herrn Putin als auf- tige Kultur- und Bildungspolitik mit 15,6 Millionen rechten Demokraten bezeichnet. Euro sind das zentrale Ergebnis des Haushaltsaufstel- lungsverfahrens für 2008. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Diesem wachsenden Gestaltungsspielraum muss aber (D) (B) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: auch ein Zuwachs bei den Betriebsmitteln entsprechen. Lothar Mark spricht jetzt für die SPD-Fraktion. Der ODA-Aufwuchs im Haushalt des Auswärtigen Am- tes beträgt 272 Millionen Euro. Gemessen an den zusätz- (Beifall bei der SPD) lichen Mitteln, die aus dem Bundeshaushalt in den ODA-Bereich geflossen sind – das sind insgesamt Lothar Mark (SPD): 750 Millionen Euro –, sind das 36,6 Prozent. Damit wird Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kolle- die langjährige Forderung des Auswärtigen Amtes nach gen! Mit Freude kann ich Ihnen heute berichten, dass es einer proportionalen Teilhabe an zusätzlichen ODA- in den Haushaltsberatungen gelungen ist, den Ansatz für Mitteln erfüllt. Der ODA-Aufwuchs kommt einer Reihe den Haushalt 2008 des Auswärtigen Amtes in der Berei- von Haushaltsposten zugute, zum Beispiel der humanitä- nigungssitzung um zusätzlich 43,4 Millionen Euro anzu- ren Hilfe, der Krisenprävention, dem Stabilitätspakt für heben. Das heißt, in diesem Einzelplan sind nun Mittel Afghanistan, dem G-8-Afrikaprogramm sowie dem Son- in Höhe von knapp 2,86 Milliarden Euro etatisiert. Im derprogramm Afrika in der auswärtigen Kultur- und Bil- Vergleich zu 2007 bedeutet dies einen Aufwuchs um dungspolitik. 348 Millionen Euro oder um 13,9 Prozent. Die Mittel für (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der die deutsche Außenpolitik machen damit einen Anteil CDU/CSU) am Gesamthaushalt von 1,01 Prozent im Vergleich zu 0,92 Prozent 2007 aus, was angesichts der gestiegenen Der Haushalt des Auswärtigen Amtes wird 2008 einen internationalen Anforderungen an die Bundesrepublik ODA-Anteil von insgesamt 600 Millionen Euro umfas- seit langem vom Auswärtigen Amt, von meinem sen. Unionsberichterstatterkollegen Herbert Frankenhauser und von mir als zuständigem Berichterstatter für die Viele Aufgabenwahrnehmungen des Auswärtigen Am- SPD-Fraktion angemahnt wurde. Damit kommen wir tes sind für die Entwicklung in verschiedenen Ländern auch einer Forderung nach, die vom Auswärtigen Aus- von großer Bedeutung. Das gilt ganz besonders für die schuss in den vergangenen Jahren immer wieder erhoben Wirkung der Kulturarbeit in Entwicklungsländern. Es wurde. ist nur folgerichtig, dass ein ausgewogener Anteil am ODA-Zuwachs im Bundeshaushalt auf das Auswärtige Die mit dem Haushalt 2007 eingeleitete Trendumkehr Amt entfällt, damit das Gleichgewicht zwischen den sehr bei der Stellenausstattung des Auswärtigen Dienstes umfassenden wirtschaftlichen und entwicklungspoliti- konnte für das Haushaltsjahr 2008 fortgesetzt werden, schen Maßnahmen sowie den viel geringer angesetzten lieber Kollege Koppelin. Kulturprojekten nicht weiter aus dem Lot gerät. Das be- 13566 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 129. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. November 2007

Lothar Mark (A) deutet aber nicht, dass das Auswärtige Amt Arbeit des Die Bundesregierung sollte sich überlegen – hier (C) BMZ übernimmt. spreche ich auch im Namen meines Berichterstatterkol- legen Herbert Frankenhauser –, ob sie nicht, wiederum Unabhängig vom Haushalt des Auswärtigen Amtes im Sinne von Haushaltsklarheit und -wahrheit, in Zu- möchte ich darauf hinweisen, dass die Budgetierung im kunft einen neuen Titel „Friedenskonsolidierung und Gesamthaushalt stärker forciert werden müsste. Erfreut Krisenprävention“ einrichten will. bin ich, dass der Flexibilisierungsgrad und die gegensei- tige Deckungsfähigkeit in den einzelnen Titelgruppen im (Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des Gesamthaushalt zugenommen haben. Abg. Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]) (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Dieser sollte unserer Meinung nach mit 1,5 bis 2 Mil- liarden Euro ausgestattet werden und alle Mittel enthal- Trotzdem will ich anregen, dass der Aufgabenkritik in ten, die aus den verschiedenen Ressorts wie AA, BMI, allen Ministerien mehr Aufmerksamkeit geschenkt wird. BMZ und BMVg in diese Aufgaben fließen. Es geht da- (Herbert Frankenhauser [CDU/CSU]: Sehr bei nicht um eine Aufstockung der Mittel, sondern um richtig!) eine Bündelung der Bundesgelder in einem Titel. Da das Auswärtige Amt in dem Bereich die Hauptverantwor- Der Titel „Demokratisierungs- und Ausstattungshilfe, tung trägt, sollte es mithilfe dieses Haushaltstitels schnell Maßnahmen zur Förderung der Menschenrechte“ wurde und strategisch abgestimmt auf verschiedene Krisensitua- um 2,25 Millionen Euro auf über 20 Millionen Euro er- tionen und den dringendsten Bedarf reagieren können. höht. In der Bereinigungssitzung wurde auch der Titel „Ge- (Beifall bei der SPD) sellschaftspolitische Maßnahmen der politischen Stiftun- gen“ um 1,7 Millionen Euro erhöht. Mit ihrer operativen Mit der Aufstockung der Mittel für die Ausstattungs- Arbeit ergänzen die Stiftungen seit vielen Jahren die Au- hilfe wird das Auswärtige Amt in enger Zusammenarbeit ßenpolitik der Bundesregierung. Das zusätzliche Geld mit dem Bundesministerium für Verteidigung 2008 in soll die erfolgreiche Arbeit der Stiftungen unterstützen der Lage sein, die sehr sinnvollen laufenden Projekte und dafür sorgen, dass sie eine verlässliche und berechen- finanziell ausreichend zu unterfüttern. Die Ausstattungs- bare Planungs- und Finanzierungsgrundlage haben. hilfe steht für eine besonders effiziente Form der Ent- wicklungshilfe im Bereich „Auswärtiges Amt und Ver- Lassen Sie mich hier ein anderes Problem ansprechen: teidigungsministerium“. Die neuen EU-Mitgliedstaaten und Industriestaaten wie (B) Südkorea und Israel sind keine Partnerländer der deut- (D) Der Ansatz „Für humanitäre Hilfsmaßnahmen im schen Entwicklungszusammenarbeit. Die Fortsetzung Ausland außerhalb der Entwicklungshilfe“ wurde um der Förderung durch das BMZ birgt die Gefahr, dass un- 2,2 Millionen Euro auf inzwischen 95,6 Millionen Euro sere Partner sich durch die Einstufung als Entwicklungs- angehoben. Die Mittel sollen die vom Kabinett bereits länder vor den Kopf gestoßen fühlen. Die Berichterstatter vorgesehenen 10 Millionen Euro für das humanitäre Mi- für das Auswärtige Amt und das BMZ müssen deshalb nenräumen verstärken. mit den Stiftungen darüber reden, ob die Förderzustän- (Beifall bei der SPD) digkeit für die neuen EU-Länder und weitere Industrie- und Transformationsländer – selbstverständlich ein- Wir alle sind uns einig, dass hier in Zukunft noch mehr schließlich der Mittelübertragung – künftig in das Aus- getan werden muss. wärtige Amt verlagert werden oder beim BMZ bleiben. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Jürgen Von den Haushaltsberichterstattern der Koalition Koppelin [FDP]) wurde auch der Ansatz „Stipendien, Austauschmaßnah- men und Beihilfen für Nachwuchswissenschaftler, Stu- Die „Leistungen im Rahmen der Stabilitätspakte dierende und Hochschulpraktikanten aus dem Ausland Afghanistan und Südosteuropa der Bundesregierung“ sowie Betreuung und Nachbetreuung“ um 1 Million wurden auf 80 Millionen Euro erhöht und in der Bereini- Euro erhöht. gungssitzung für die zwingend erforderliche Intensivie- rung der Maßnahmen zum Wiederaufbau der Polizei in (Beifall bei der SPD) Afghanistan um weitere 15,7 Millionen Euro aufge- stockt. Als Haushälter bin ich sehr erfreut, dass damit Diese Investitionen – genau wie die in unsere Auslands- dem zivilen Aufbau in Afghanistan immer mehr Bedeu- schulen – sind rentierliche Investitionen, weil dadurch tung beigemessen wird. nachhaltige Bindungen an Deutschland entstehen, die sich nicht nur strategisch und partnerschaftlich, sondern (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Herbert auch ökonomisch auswirken. Der Ansatz für „Zuwen- Frankenhauser [CDU/CSU]) dungen an Schulen im Ausland“ wurde um 3,4 Millio- nen Euro auf 37 Millionen Euro erhöht. Im Sinne der Haushaltsklarheit und -wahrheit wurden die Mittel jetzt auch im auswärtigen Haushalt etatisiert. Bildung ist das Schlüsselthema des 21. Jahrhunderts. Auch das sehe ich als einen Erfolg von Herbert Ein wichtiges Ziel der auswärtigen Kultur- und Bil- Frankenhauser, mir und vielen anderen, die im Haus- dungspolitik bleiben die Stärkung und der Ausbau des haltsausschuss dafür gekämpft haben. Netzes deutscher Auslandsschulen einschließlich der Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 129. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. November 2007 13567

Lothar Mark (A) Unterstützung von Neugründungen in strategisch wichti- Ich habe viele Einzelpositionen aus Zeitgründen weg- (C) gen und Wachstumsregionen. gelassen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/ (Dr. Werner Hoyer [FDP]: 15 Minuten!) CSU und der FDP) Summa summarum ist festzuhalten, dass wir im parla- mentarischen Verfahren innerhalb des Einzelplans Mittel An dieser Stelle ist auch die Initiative „Schulen: Partner im Gesamtumfang von 13,16 Millionen Euro umge- der Zukunft“ des Auswärtigen Amtes zu nennen, für die schichtet haben. Die Aufstockungen in diesem Einzel- nicht nur in diesem Titel, sondern insgesamt zusätzlich plan wurden möglich durch Kürzungen bei den Titeln 41,5 Millionen Euro zur Verfügung gestellt wurden. Ziel „Trennungsgeld, Fahrtkostenzuschüsse sowie Umzugs- dabei ist die Etablierung eines erweiterten Netzes von kostenvergütungen“, „Öffentlichkeitsarbeit“, „Ständiger circa 1 000 Partnerschulen. Internationaler Gerichtshof“ – ohne dass wir hier unsere Im Sinne von Haushaltsklarheit und Haushaltswahr- Aufgaben vernachlässigen; denn ein neuer Zahler ist mit heit werden künftig fast alle dem Goethe-Institut zuflie- Japan hinzugekommen – sowie beim Titel „Deutscher ßenden Mittel in einem Titel erfasst. Endlich ist ab 2008 Beitrag im Rahmen der G-8-Initiative zur Abrüstungs- und Nichtverbreitungszusammenarbeit“. auch die weltweite Budgetierung des Goethe-Instituts gelungen, nachdem das Pilotprojekt Italien erfolgreich Abschließend möchte ich den Haushältern im Aus- verlaufen ist. Dafür habe ich, seit ich im Haushaltsaus- wärtigen Amt und allen uns immer wieder spontan und schuss für den Einzelplan 05 zuständig bin, gemeinsam gewissenhaft zuarbeitenden Mitarbeiterinnen und Mitar- mit meiner Kollegin Monika Griefahn gestritten; ich beitern, dem Außenminister und meinen Berichterstat- wurde jüngst von allen Berichterstatterkollegen unter- terkollegen Jürgen Koppelin, Herbert Frankenhauser, stützt. Alexander Bonde und Michael Leutert sehr herzlich für die gute Zusammenarbeit danken. Dank sage ich auch (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Auswärtigen Amt für ihre exzellente Arbeit für Deutschland. Die im vergangenen Jahr beschlossene Reform des Goethe-Instituts als größter AKBP-Mittlerorganisation Vielen Dank. ist gemäß Regierungsentwurf nun mit einem institutio- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) nellen Förderbeitrag von knapp 120 Millionen Euro pro Jahr abgesichert. Das Gesamtbudget beträgt jetzt rund 186 Millionen Euro. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Ich gebe Ihnen jetzt die von den Schriftführern und (B) An dieser Stelle möchte ich allen Beteiligten sowohl Schriftführerinnen ermittelten Ergebnisse der namentli- (D) beim Goethe-Institut als auch im Auswärtigen Amt und chen Abstimmungen bekannt, und zwar zunächst zum meinem Kollegen Herbert Frankenhauser sehr für ihren Entwurf eines Gesetzes über die Feststellung des Bun- Einsatz im Zusammenhang mit dem 2006 eingeleiteten deshaushalts für das Haushaltsjahr 2008, Einzelplan 04, Strategie- und Reformkonzept danken, das bereits Geschäftsbereich der Bundeskanzlerin und des Bundes- erste klar erkennbare Früchte trägt. kanzleramtes: Abgegeben worden sind 578 Stimmen. Mit Ja haben gestimmt 422 Abgeordnete. Mit Nein ha- (Jürgen Koppelin [FDP]: Damit ist eigentlich ben gestimmt 156 Abgeordnete. Damit ist der Einzel- alles gesagt!) plan 04 angenommen.

Endgültiges Ergebnis Günter Baumann Herbert Frankenhauser Abgegebene Stimmen: 576; Ernst-Reinhard Beck Cajus Caesar Dr. Hans-Peter Friedrich davon (Reutlingen) (Hof) Erich G. Fritz ja: 420 Dr. Jochen-Konrad Fromme nein: 156 Thomas Dörflinger Dr. Michael Fuchs enthalten: 0 Marie-Luise Dött Hans-Joachim Fuchtel Maria Eichhorn Dr. Ja Dr. Stephan Eisel Dr. Jürgen Gehb (Lübeck) CDU/CSU Dr. Maria Böhmer Jochen Borchert Dr. Hans Georg Faust Wolfgang Börnsen Ralf Göbel (Bönstrup) Ingrid Fischbach Josef Göppel Hartwig Fischer (Göttingen) Peter Götz Klaus Brähmig Dirk Fischer (Hamburg) Dr. Wolfgang Götzer Dorothee Bär Michael Brand Axel E. Fischer (Karlsruhe- Thomas Bareiß Land) Dr. Dr. Hermann Gröhe Dr. Monika Brüning Klaus-Peter Flosbach Michael Grosse-Brömer 13568 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 129. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. November 2007

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt (A) Markus Grübel Maria Michalk Hans Peter Thul (C) Dr. h. c. Petra Ernstberger Monika Grütters Philipp Mißfelder Dr. Hans-Peter Uhl Karin Evers-Meyer Dr. Karl-Theodor Freiherr zu Dr. Eva Möllring Arnold Vaatz Annette Faße Guttenberg Volkmar Uwe Vogel Elke Ferner Dr. Gerd Müller Andrea Astrid Voßhoff Holger Haibach Hildegard Müller Gerhard Wächter Rainer Fornahl Carsten Müller Gabriele Frechen Ursula Heinen (Braunschweig) Uda Carmen Freia Heller Stefan Müller (Erlangen) Peter Friedrich Bernward Müller (Gera) Peter Weiß (Emmendingen) Jürgen Herrmann Bernd Neumann (Bremen) Gerald Weiß (Groß-Gerau) Iris Gleicke Günter Gloser Ernst Hinsken Dr. Georg Nüßlein Karl-Georg Wellmann Renate Gradistanac Franz Obermeier Annette Widmann-Mauz Dieter Grasedieck Robert Hochbaum Klaus-Peter Willsch Monika Griefahn Klaus Hofbauer Willy Wimmer (Neuss) Franz-Josef Holzenkamp Rita Pawelski Elisabeth Winkelmeier- Gabriele Groneberg Joachim Hörster Ulrich Petzold Becker Achim Großmann Anette Hübinger Dr. Dagmar Wöhrl Wolfgang Grotthaus Hubert Hüppe Sibylle Pfeiffer Wolfgang Zöller Wolfgang Gunkel Susanne Jaffke Willi Zylajew Hans-Joachim Hacker Dr. Peter Jahr Dr. Hans-Heinrich Jordan SPD Klaus Hagemann Dr. Franz Josef Jung Daniela Raab Dr. Lale Akgün Alfred Hartenbach (Konstanz) Michael Hartmann Bartholomäus Kalb Dr. Peter Ramsauer (Wackernheim) Hans-Werner Kammer Peter Rauen Nina Hauer Steffen Kampeter Ingrid Arndt-Brauer Hubertus Heil Klaus Riegert Rainer Arnold Dr. Reinhold Hemker Bernhard Kaster Dr. (Neuruppin) Rolf Hempelmann Siegfried Kauder (Villingen- Franz Romer Dr. Barbara Hendricks Schwenningen) Johannes Röring Dr. Hans-Peter Bartels Volker Kauder Kurt J. Rossmanith Petra Heß (B) Eckart von Klaeden Dr. Norbert Röttgen Sören Bartol Gabriele Hiller-Ohm (D) Jürgen Klimke Dr. Christian Ruck Sabine Bätzing (Essen) Julia Klöckner (Weiden) Gerd Höfer Peter Rzepka Iris Hoffmann (Wismar) Kristina Köhler (Wiesbaden) Anita Schäfer (Saalstadt) Klaus Uwe Benneter Frank Hofmann (Volkach) Manfred Kolbe Hermann-Josef Scharf Dr. Eike Hovermann Norbert Königshofen Dr. Wolfgang Schäuble Christel Humme Dr. Dr. Lothar Ibrügger Hartmut Koschyk Dr. (Heidelberg) Johannes Jung (Karlsruhe) Thomas Kossendey Karl Schiewerling Johannes Kahrs Norbert Schindler Ulrich Kasparick Georg Schirmbeck Dr. h. c. Susanne Kastner Dr. Günter Krings Johann-Henrich Christian Schmidt (Fürth) Dr. Christian Kleiminger Krummacher Andreas Schmidt (Mülheim) Klaus Brandner Hans-Ulrich Klose Dr. Hermann Kues (Berlin) Dr. Bärbel Kofler Dr. Karl A. Lamers Dr. Andreas Schockenhoff Bernhard Brinkmann (Heidelberg) Dr. Ole Schröder (Hildesheim) Fritz Rudolf Körper Andreas G. Lämmel Bernhard Schulte-Drüggelte Marco Bülow Karin Kortmann Dr. Norbert Lammert Rolf Kramer Wilhelm Josef Sebastian Dr. Michael Bürsch Dr. Max Lehmer Ernst Kranz Kurt Segner Marion Caspers-Merk Nicolette Kressl Marion Seib Dr. Volker Kröning Eduard Lintner Bernd Siebert Dr. Herta Däubler-Gmelin Dr. Hans-Ulrich Krüger Dr. Klaus W. Lippold Angelika Krüger-Leißner Martin Dörmann Jürgen Kucharczyk Dr. Michael Luther Dr. Carl-Christian Dressel Helga Kühn-Mengel (Altötting) Erika Steinbach Elvira Drobinski-Weiß Ute Kumpf Wolfgang Meckelburg Christian Freiherr von Stetten Dr. Detlef Dzembritzki Christian Lange (Backnang) Dr. Angela Merkel Andreas Storm Dr. Siegmund Ehrmann Helga Lopez (Hamm) (Heilbronn) Hans Eichel Gabriele Lösekrug-Möller Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 129. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. November 2007 13569

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt (A) Dirk Manzewski Dr. Peter Struck Sabine Leutheusser- Elke Reinke (C) Lothar Mark Joachim Stünker Schnarrenberger Paul Schäfer (Köln) Dr. Rainer Tabillion Michael Link (Heilbronn) Volker Schneider Jörg Tauss Markus Löning (Saarbrücken) Hilde Mattheis Jella Teuchner Horst Meierhofer Dr. Herbert Schui Markus Meckel Dr. h. c. Patrick Meinhardt Dr. Ilja Seifert Petra Merkel (Berlin) Franz Thönnes Jan Mücke Dr. Ulrike Merten Rüdiger Veit Burkhardt Müller-Sönksen Frank Spieth Dr. Simone Violka Dr. Ursula Mogg Jörg Vogelsänger Hans-Joachim Otto Dr. Marko Mühlstein Dr. Marlies Volkmer (Frankfurt) Detlef Müller (Chemnitz) Andreas Weigel Detlef Parr Jörn Wunderlich Michael Müller (Düsseldorf) Petra Weis Gesine Multhaupt Gunter Weißgerber Jörg Rohde BÜNDNIS 90/ Dr. Rolf Mützenich Gert Weisskirchen Frank Schäffler DIE GRÜNEN (Wiesloch) Dr. Marieluise Beck (Bremen) Thomas Oppermann Dr. Holger Ortel Lydia Westrich Dr. Hermann Otto Solms Heinz Paula Dr. Dr. Max Stadler Grietje Bettin Johannes Pflug Andrea Wicklein Dr. Rainer Stinner Alexander Bonde Joachim Poß Heidemarie Wieczorek-Zeul Carl-Ludwig Thiele Ekin Deligöz Christoph Pries Dr. Dieter Wiefelspütz Dr. Thea Dückert Dr. Wilhelm Priesmeier Engelbert Wistuba Christoph Waitz Dr. Uschi Eid Dr. Dr. Guido Westerwelle Hans-Josef Fell Dr. Sascha Raabe Waltraud Wolff Dr. Claudia Winterstein Katrin Göring-Eckardt (Wolmirstedt) Dr. Volker Wissing Anja Hajduk (Cottbus) Heidi Wright Hartfrid Wolff (Rems-Murr) Britta Haßelmann Maik Reichel Bettina Herlitzius Gerold Reichenbach Manfred Zöllmer Dr. Carola Reimann DIE LINKE Peter Hettlich Christel Riemann- Priska Hinz (Herborn) Hanewinckel Hüseyin-Kenan Aydin Nein Ulrike Höfken Dr. Dr. Sönke Rix FDP Bärbel Höhn René Röspel Dr. Thilo Hoppe (B) Dr. Ernst Dieter Rossmann (D) Ute Koczy Karin Roth (Esslingen) Dr. Eva Bulling-Schröter Sylvia Kotting-Uhl Michael Roth (Heringen) (Münster) Sevim Dağdelen Fritz Kuhn Dr. Renate Künast Anton Schaaf Rainer Brüderle Werner Dreibus Markus Kurth Axel Schäfer (Bochum) Dr. Dagmar Enkelmann Undine Kurth (Quedlinburg) Bernd Scheelen Wolfgang Gehrcke Dr. Patrick Döring Diana Golze Anna Lührmann Mechthild Dyckmans Dr. Gregor Gysi Nicole Maisch Jörg van Essen Heike Hänsel Dr. Frank Schmidt Ulrike Flach Lutz Heilmann Kerstin Müller (Köln) (Aachen) Otto Fricke Hans-Kurt Hill Winfried Nachtwei Heinz Schmitt (Landau) Paul K. Friedhoff Cornelia Hirsch Omid Nouripour Olaf Scholz (Bayreuth) Inge Höger Brigitte Pothmer Dr. Edmund Peter Geisen Dr. Barbara Höll (Augsburg) Reinhard Schultz Dr. (Everswinkel) Hans-Michael Goldmann Dr. Lukrezia Jochimsen Elisabeth Scharfenberg (Spandau) Miriam Gruß Dr. Hakki Keskin Christine Scheel Joachim Günther (Plauen) Irmingard Schewe-Gerigk Dr. Christel Happach-Kasan Monika Knoche Dr. Dr. Angelica Schwall-Düren Heinz-Peter Haustein Rainder Steenblock Dr. Martin Schwanholz Elke Hoff Katrin Kunert Birgit Homburger Oskar Lafontaine Dr. Harald Terpe Rita Schwarzelühr-Sutter Dr. Werner Hoyer Ulla Lötzer Jürgen Trittin Wolfgang Spanier Dr. Gesine Lötzsch Wolfgang Wieland Dr. Margrit Spielmann Dr. Heinrich L. Kolb Ulrich Maurer Josef Philip Winkler Jörg-Otto Spiller Hellmut Königshaus Dorothée Menzner Margareta Wolf (Frankfurt) Dr. Ditmar Staffelt Gudrun Kopp Kornelia Möller Dieter Steinecke Jürgen Koppelin Kersten Naumann Fraktionslose Abgeordnete Andreas Steppuhn Heinz Lanfermann Wolfgang Nešković Dr. Norman Paech Henry Nitzsche Rolf Stöckel Harald Leibrecht Gert Winkelmeier Christoph Strässer Ina Lenke 13570 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 129. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. November 2007

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt (A) Die zweite namentliche Abstimmung hatte den zählung 2011“ zum Gegenstand. Hier wurden ebenfalls (C) Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD auf 578 Stimmen abgegeben. Mit Ja haben gestimmt 422, „Zurückweisung des Einspruches des Bundesrats gegen mit Nein haben gestimmt 50. Es gab 106 Enthaltungen. das Gesetz zur Vorbereitung eines registergestützten Der Antrag ist gemäß Art. 77 Abs. 4 des Grundgesetzes Zensus einschließlich einer Gebäude- und Wohnungs- mit der erforderlichen Mehrheit angenommen.

Endgültiges Ergebnis Herbert Frankenhauser Manfred Kolbe Dr. Heinz Riesenhuber Abgegebene Stimmen: 577; Dr. Hans-Peter Friedrich Norbert Königshofen Franz Romer davon (Hof) Dr. Rolf Koschorrek Johannes Röring Erich G. Fritz Hartmut Koschyk Kurt J. Rossmanith ja: 421 Jochen-Konrad Fromme Thomas Kossendey Dr. Norbert Röttgen nein: 50 Dr. Michael Fuchs Michael Kretschmer Dr. Christian Ruck enthalten: 106 Hans-Joachim Fuchtel Gunther Krichbaum Albert Rupprecht (Weiden) Dr. Peter Gauweiler Dr. Günter Krings Peter Rzepka Ja Dr. Jürgen Gehb Johann-Henrich Anita Schäfer (Saalstadt) Norbert Geis Krummacher Hermann-Josef Scharf Dr. Wolfgang Schäuble CDU/CSU Eberhard Gienger Dr. Hermann Kues Michael Glos Dr. Karl A. Lamers Dr. Annette Schavan Ulrich Adam Ralf Göbel (Heidelberg) Dr. Andreas Scheuer Ilse Aigner Josef Göppel Andreas G. Lämmel Karl Schiewerling Peter Albach Peter Götz Dr. Norbert Lammert Norbert Schindler Dorothee Bär Dr. Wolfgang Götzer Katharina Landgraf Georg Schirmbeck Thomas Bareiß Ute Granold Dr. Max Lehmer Bernd Schmidbauer Norbert Barthle Reinhard Grindel Paul Lehrieder Christian Schmidt (Fürth) Dr. Wolf Bauer Hermann Gröhe Ingbert Liebing Andreas Schmidt (Mülheim) Günter Baumann Michael Grosse-Brömer Eduard Lintner Ingo Schmitt (Berlin) Ernst-Reinhard Beck Markus Grübel Dr. Klaus W. Lippold Dr. Andreas Schockenhoff Dr. Ole Schröder (Reutlingen) Manfred Grund Patricia Lips Bernhard Schulte-Drüggelte Veronika Bellmann Monika Grütters Dr. Michael Luther Uwe Schummer Dr. Christoph Bergner Dr. Karl-Theodor Freiherr zu Stephan Mayer (Altötting) Wilhelm Josef Sebastian Otto Bernhardt Guttenberg Wolfgang Meckelburg Horst Seehofer (B) Clemens Binninger Olav Gutting Dr. Michael Meister (D) Renate Blank Holger Haibach Kurt Segner Dr. Angela Merkel Marion Seib Peter Bleser Gerda Hasselfeldt Friedrich Merz Bernd Siebert Antje Blumenthal Ursula Heinen Laurenz Meyer (Hamm) Thomas Silberhorn Dr. Maria Böhmer Uda Carmen Freia Heller Maria Michalk Johannes Singhammer Jochen Borchert Michael Hennrich Dr. h. c. Hans Michelbach Jens Spahn Wolfgang Börnsen Jürgen Herrmann Philipp Mißfelder Erika Steinbach (Bönstrup) Bernd Heynemann Dr. Eva Möllring Wolfgang Bosbach Christian Freiherr von Stetten Ernst Hinsken Marlene Mortler Gero Storjohann Klaus Brähmig Peter Hintze Dr. Gerd Müller Andreas Storm Michael Brand Robert Hochbaum Hildegard Müller Max Straubinger Helmut Brandt Klaus Hofbauer Carsten Müller Thomas Strobl (Heilbronn) Dr. Ralf Brauksiepe Franz-Josef Holzenkamp (Braunschweig) Hans Peter Thul Monika Brüning Joachim Hörster Stefan Müller (Erlangen) Antje Tillmann Georg Brunnhuber Anette Hübinger Bernward Müller (Gera) Dr. Hans-Peter Uhl Cajus Caesar Hubert Hüppe Bernd Neumann (Bremen) Arnold Vaatz Leo Dautzenberg Susanne Jaffke Michaela Noll Volkmar Uwe Vogel Hubert Deittert Dr. Peter Jahr Dr. Georg Nüßlein Andrea Astrid Voßhoff Alexander Dobrindt Dr. Hans-Heinrich Jordan Franz Obermeier Gerhard Wächter Thomas Dörflinger Dr. Franz Josef Jung Eduard Oswald Marco Wanderwitz Marie-Luise Dött Andreas Jung (Konstanz) Henning Otte Kai Wegner Maria Eichhorn Bartholomäus Kalb Rita Pawelski Marcus Weinberg Dr. Stephan Eisel Hans-Werner Kammer Ulrich Petzold Peter Weiß (Emmendingen) Anke Eymer (Lübeck) Steffen Kampeter Dr. Joachim Pfeiffer Gerald Weiß (Groß-Gerau) Ilse Falk Alois Karl Sibylle Pfeiffer Ingo Wellenreuther Dr. Hans Georg Faust Bernhard Kaster Beatrix Philipp Karl-Georg Wellmann Enak Ferlemann Siegfried Kauder (Villingen- Ronald Pofalla Annette Widmann-Mauz Ingrid Fischbach Schwenningen) Ruprecht Polenz Klaus-Peter Willsch Hartwig Fischer (Göttingen) Volker Kauder Daniela Raab Willy Wimmer (Neuss) Dirk Fischer (Hamburg) Eckart von Klaeden Thomas Rachel Elisabeth Winkelmeier- Axel E. Fischer (Karlsruhe- Jürgen Klimke Dr. Peter Ramsauer Becker Land) Julia Klöckner Peter Rauen Dagmar Wöhrl Dr. Maria Flachsbarth Jens Koeppen Eckhardt Rehberg Wolfgang Zöller Klaus-Peter Flosbach Kristina Köhler (Wiesbaden) Klaus Riegert Willi Zylajew Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 129. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. November 2007 13571

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt (A) SPD Bettina Hagedorn Dr. Wilhelm Priesmeier Dr. Dieter Wiefelspütz (C) Klaus Hagemann Florian Pronold Engelbert Wistuba Dr. Lale Akgün Alfred Hartenbach Dr. Sascha Raabe Dr. Wolfgang Wodarg Gregor Amann Michael Hartmann Mechthild Rawert Gerd Andres Waltraud Wolff (Wackernheim) Steffen Reiche (Cottbus) (Wolmirstedt) Niels Annen Nina Hauer Maik Reichel Ingrid Arndt-Brauer Heidi Wright Hubertus Heil Rainer Arnold Gerold Reichenbach Uta Zapf Dr. Reinhold Hemker Ernst Bahr (Neuruppin) Dr. Carola Reimann Manfred Zöllmer Rolf Hempelmann Doris Barnett Christel Riemann- Brigitte Zypries Dr. Hans-Peter Bartels Dr. Barbara Hendricks Hanewinckel Gustav Herzog Walter Riester Klaus Barthel Nein Sören Bartol Petra Heß Sönke Rix Gabriele Hiller-Ohm René Röspel Sabine Bätzing DIE LINKE Dirk Becker Petra Hinz (Essen) Dr. Ernst Dieter Rossmann Uwe Beckmeyer Gerd Höfer Karin Roth (Esslingen) Hüseyin-Kenan Aydin Klaus Uwe Benneter Iris Hoffmann (Wismar) Michael Roth (Heringen) Dr. Dietmar Bartsch Dr. Axel Berg Frank Hofmann (Volkach) Ortwin Runde Karin Binder Ute Berg Eike Hovermann Anton Schaaf Dr. Lothar Bisky Petra Bierwirth Christel Humme Axel Schäfer (Bochum) Heidrun Bluhm Lothar Binding (Heidelberg) Lothar Ibrügger Bernd Scheelen Eva Bulling-Schröter Volker Blumentritt Johannes Jung (Karlsruhe) Dr. Hermann Scheer Sevim Dağdelen Kurt Bodewig Johannes Kahrs Marianne Schieder Dr. Diether Dehm Clemens Bollen Ulrich Kasparick Otto Schily Werner Dreibus Gerd Bollmann Dr. h. c. Susanne Kastner Dr. Frank Schmidt Dr. Dagmar Enkelmann Dr. Gerhard Botz Ulrich Kelber Ulla Schmidt (Aachen) Wolfgang Gehrcke Klaus Brandner Christian Kleiminger Silvia Schmidt (Eisleben) Diana Golze Willi Brase Hans-Ulrich Klose Heinz Schmitt (Landau) Dr. Gregor Gysi Bernhard Brinkmann Dr. Bärbel Kofler Olaf Scholz Heike Hänsel (Hildesheim) Walter Kolbow Ottmar Schreiner Lutz Heilmann Fritz Rudolf Körper Reinhard Schultz Hans-Kurt Hill Marco Bülow Karin Kortmann (Everswinkel) Cornelia Hirsch Martin Burkert Rolf Kramer Swen Schulz (Spandau) Inge Höger Dr. Michael Bürsch Anette Kramme Ewald Schurer Dr. Barbara Höll Christian Carstensen Ernst Kranz Frank Schwabe Ulla Jelpke (B) Marion Caspers-Merk Nicolette Kressl Dr. Angelica Schwall-Düren Dr. Lukrezia Jochimsen (D) Dr. Peter Danckert Volker Kröning Dr. Martin Schwanholz Dr. Hakki Keskin Dr. Herta Däubler-Gmelin Dr. Hans-Ulrich Krüger Rolf Schwanitz Katja Kipping Karl Diller Angelika Krüger-Leißner Rita Schwarzelühr-Sutter Monika Knoche Martin Dörmann Jürgen Kucharczyk Wolfgang Spanier Jan Korte Dr. Carl-Christian Dressel Helga Kühn-Mengel Dr. Margrit Spielmann Katrin Kunert Elvira Drobinski-Weiß Ute Kumpf Jörg-Otto Spiller Oskar Lafontaine Garrelt Duin Christine Lambrecht Dr. Ditmar Staffelt Michael Leutert Detlef Dzembritzki Christian Lange (Backnang) Dieter Steinecke Ulla Lötzer Sebastian Edathy Dr. Karl Lauterbach Andreas Steppuhn Dr. Gesine Lötzsch Siegmund Ehrmann Helga Lopez Ludwig Stiegler Ulrich Maurer Hans Eichel Gabriele Lösekrug-Möller Rolf Stöckel Dorothée Menzner Gernot Erler Dirk Manzewski Christoph Strässer Kornelia Möller Petra Ernstberger Lothar Mark Dr. Peter Struck Kersten Naumann Karin Evers-Meyer Caren Marks Joachim Stünker Wolfgang Nešković Annette Faße Katja Mast Dr. Rainer Tabillion Petra Pau Elke Ferner Hilde Mattheis Jörg Tauss Bodo Ramelow Gabriele Fograscher Markus Meckel Jella Teuchner Elke Reinke Rainer Fornahl Petra Merkel (Berlin) Dr. h. c. Wolfgang Thierse Paul Schäfer (Köln) Gabriele Frechen Ulrike Merten Franz Thönnes Volker Schneider Dagmar Freitag Dr. Matthias Miersch Rüdiger Veit (Saarbrücken) Peter Friedrich Ursula Mogg Simone Violka Dr. Herbert Schui Martin Gerster Marko Mühlstein Jörg Vogelsänger Dr. Ilja Seifert Iris Gleicke Detlef Müller (Chemnitz) Dr. Marlies Volkmer Dr. Petra Sitte Günter Gloser Michael Müller (Düsseldorf) Andreas Weigel Frank Spieth Gesine Multhaupt Renate Gradistanac Petra Weis Dr. Kirsten Tackmann Dr. Rolf Mützenich Gunter Weißgerber Dieter Grasedieck Dr. Axel Troost Andrea Nahles Gert Weisskirchen Monika Griefahn Alexander Ulrich Kerstin Griese Thomas Oppermann (Wiesloch) Jörn Wunderlich Gabriele Groneberg Holger Ortel Dr. Rainer Wend Achim Großmann Heinz Paula Lydia Westrich Fraktionslose Abgeordnete Wolfgang Grotthaus Johannes Pflug Dr. Margrit Wetzel Wolfgang Gunkel Joachim Poß Andrea Wicklein Henry Nitzsche Hans-Joachim Hacker Christoph Pries Heidemarie Wieczorek-Zeul Gert Winkelmeier 13572 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 129. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. November 2007

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt (A) Enthaltung Dr. Heinrich L. Kolb Florian Toncar Bärbel Höhn (C) Hellmut Königshaus Christoph Waitz Thilo Hoppe FDP Gudrun Kopp Dr. Guido Westerwelle Ute Koczy Jürgen Koppelin Dr. Claudia Winterstein Sylvia Kotting-Uhl Jens Ackermann Heinz Lanfermann Dr. Volker Wissing Fritz Kuhn Dr. Karl Addicks Sibylle Laurischk Hartfrid Wolff (Rems-Murr) Renate Künast Daniel Bahr (Münster) Harald Leibrecht Martin Zeil Markus Kurth Uwe Barth Ina Lenke Undine Kurth (Quedlinburg) Rainer Brüderle Sabine Leutheusser- BÜNDNIS 90/ Monika Lazar Angelika Brunkhorst Schnarrenberger DIE GRÜNEN Anna Lührmann Ernst Burgbacher Michael Link (Heilbronn) Nicole Maisch Patrick Döring Markus Löning Marieluise Beck (Bremen) Jerzy Montag Mechthild Dyckmans Horst Meierhofer Cornelia Behm Kerstin Müller (Köln) Jörg van Essen Patrick Meinhardt Birgitt Bender Winfried Nachtwei Ulrike Flach Jan Mücke Grietje Bettin Omid Nouripour Otto Fricke Burkhardt Müller-Sönksen Alexander Bonde Brigitte Pothmer Paul K. Friedhoff Dirk Niebel Ekin Deligöz Claudia Roth (Augsburg) Horst Friedrich (Bayreuth) Hans-Joachim Otto Dr. Thea Dückert Krista Sager Dr. Edmund Peter Geisen (Frankfurt) Dr. Uschi Eid Elisabeth Scharfenberg Dr. Wolfgang Gerhardt Detlef Parr Hans-Josef Fell Christine Scheel Hans-Michael Goldmann Cornelia Pieper Katrin Göring-Eckardt Irmingard Schewe-Gerigk Miriam Gruß Jörg Rohde Anja Hajduk Dr. Gerhard Schick Joachim Günther (Plauen) Frank Schäffler Britta Haßelmann Rainder Steenblock Dr. Christel Happach-Kasan Dr. Konrad Schily Bettina Herlitzius Silke Stokar von Neuforn Heinz-Peter Haustein Marina Schuster Winfried Hermann Dr. Harald Terpe Elke Hoff Dr. Hermann Otto Solms Peter Hettlich Jürgen Trittin Birgit Homburger Dr. Max Stadler Priska Hinz (Herborn) Wolfgang Wieland Dr. Werner Hoyer Dr. Rainer Stinner Ulrike Höfken Josef Philip Winkler Michael Kauch Carl-Ludwig Thiele Dr. Anton Hofreiter Margareta Wolf (Frankfurt)

Wir kommen zurück zu unserer Debatte. Grenzverlauf, der Status von Jerusalem oder die Rück- (B) kehr der Flüchtlinge – ist konkret verhandelt worden. (D) Ich gebe das Wort Dr. Norman Paech für die Fraktion Das ist angesichts der katastrophalen Lebenssituation in Die Linke. der Westbank und in Gaza beschämend. Das ist auch er- (Beifall bei der LINKEN) bärmlich angesichts der Erfolglosigkeit von 40 Jahren Politik, die dazu beigetragen hat, die Bildung eines pa- lästinensischen Staates zu verhindern und die auch Israel Dr. Norman Paech (DIE LINKE): überhaupt keinen Frieden gebracht hat. Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst möchte ich den Herrn Außenminister sehr Weiter östlich, in Afghanistan, geht der Krieg jetzt herzlich begrüßen. Alle sprechen von Annapolis, und Sie bereits in das siebte Jahr. Kein Ende ist absehbar. Auf sitzen schon wieder hier. Das spricht offensichtlich auch den Trümmern der alten Gesellschaft wollen die USA für die Intensität und die Ausführlichkeit der Verhand- ein modernes Protektorat errichten; sie nennen das ein- lungen dort. fach Nation-Building. In dieses Projekt haben sich die Bundesrepublik und die NATO eingeklinkt. Sie verstri- Wonach bemisst sich eigentlich der Erfolg der cken sich unaufhaltsam und immer mehr in einen völker- Außenpolitik? Nach dem Beliebtheitsgrad, wie ihn Um- rechtswidrigen Krieg. Die Regierungskoalition hat über- frageergebnisse widerspiegeln, oder nach den Einladun- haupt keine Perspektive, wie sie aus diesem Desaster gen auf die Privatranch von Präsident Bush? herauskommen will. Stattdessen werden jetzt wieder (Jörg Tauss [SPD]: Am Erfolg!) Forderungen nach neuen Eingreiftruppen laut. Dabei gibt es nur eine Alternative: Verhandlungen mit dem Nimmt man die Lösung von Konflikten und auch die Gegner und ziviler Aufbau. Verbreitung des Friedens in der Welt als Maßstab, so ist die Bilanz eher kümmerlich und geradezu gefährlich. Ich sage Ihnen: Es gibt keine Bündnispflichten, die es Ihnen verbieten würden, aus diesem Krieg auszusteigen. Herr Außenminister, Sie waren jetzt gerade auf Frie- Nehmen Sie die Schweiz – es ist schon erwähnt worden –: densmission in den USA und haben als Sherpa von Prä- Sie hat sich wegen der Zwecklosigkeit mittlerweile aus sident Bush zweifelsohne eine gute Figur gemacht. ISAF verabschiedet. Schon seit Wochen versucht man, uns dieses Treffen, das Gruppenfoto von Annapolis, als Erfolg zu verkaufen. Im Iran steuern Sie direkt auf eine weitere Nieder- Eines ist jetzt schon sicher: Diese gigantische Public-Re- lage Ihrer Politik zu. So viel ist klar: Wenn Sie diese Po- lations-Show wird überhaupt nichts ändern. Keine der litik der Sanktionen so verfolgen wie bisher, dann müs- dringlichsten Fragen – ob die Siedlungspolitik, der sen Sie irgendwann Ihr Scheitern eingestehen, da Iran Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 129. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. November 2007 13573

Dr. Norman Paech (A) nicht auf Druck reagieren wird. Oder es kommt zu dem läutet haben. Ich freue mich, dass Sie in Bälde auch für (C) wiederholt angekündigten Überfall der USA auf den den Einzelplan 05 ein Ausgabenbuch dem Hohen Hause Iran. Die Linke fordert: Trennen Sie sich von dieser Poli- zur Verfügung stellen wollen, das etwa so wie dieses tik der Drohungen und Sanktionen! Verhandeln Sie ohne Kompendium auf Ihrem Pult aussieht; denn in diesem Vorbedingungen, wie Sie es mit Nordkorea getan haben! Einzelplan zeigen Sie sich besonders ausgabenfreund- Fordern Sie statt Suspendierung der Urananreicherung lich, auch wenn Ihr Problem beim Protokoll noch nicht scharfe internationale Kontrollen und überzeugen Sie die abschließend gelöst worden ist. USA davon, dem Iran umfassende Nichtangriffsgaran- tien anzubieten und die alten Sanktionen aufzuheben! Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Anderenfalls erhalten Sie das, was Sie immer verhindern Herr Kollege, möchten Sie denn eine Zwischenfrage wollten, nämlich eine weitere Nuklearmacht im Nahen von Herrn Koppelin zulassen? Es machte den Eindruck. Osten. Um es deutlich zu sagen: Das Elend Ihrer Außenpoli- Herbert Frankenhauser (CDU/CSU): tik sind Ihre Abhängigkeit von den USA und der Verlust Außerordentlich gerne. der Eigenständigkeit. Wir haben diese Eigenständigkeit bei der Weigerung, am Irakkrieg offen teilzunehmen, Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: einmal aufscheinen sehen. Das war aber nur für kurze Bitte schön, Herr Koppelin. Zeit, und dann ist sie wieder erloschen. Aber zu der Politik der Drohungen und der Sanktio- Jürgen Koppelin (FDP): nen gibt es eine Alternative, zu der Sie die Linke auffor- Lieber Herr Kollege, da Sie gerade von der Personal- dert: Koppeln Sie sich von einer Politik ab, die zu immer situation sprechen, sind Sie natürlich in der Koalition et- mehr Konflikten und immer neuen Kriegen führt, ob im was besser als wir von der Opposition informiert. Wie ist Nahen und Mittleren Osten, in Afrika oder auch in Eu- eigentlich der neueste Stand, was das Personal angeht? ropa. Sie reden so viel vom Frieden; aber es kommen Ich habe den beamteten Staatssekretär, der noch dazu- immer mehr Konflikte, mehr Gewalt und auch Kriege kommt, bereits erwähnt. Wie viel Personal geht jetzt heraus. Unsere Forderung lautet: Entwickeln Sie eine ei- vom Arbeitsministerium in das Auswärtige Amt oder gene Außenpolitik, die auf der Achtung der Souveräni- wird nach dort entliehen? Im Haushaltsausschuss konnte tät und der Gleichheit der Staaten sowie auf einer wirk- diese Frage nicht beantwortet werden. lichen Solidarität beruht. Dann wird es auch eine erfolgreiche und glaubwürdige deutsche Außenpolitik Herbert Frankenhauser (CDU/CSU): sein. (B) Die Frage ist ganz einfach zu beantworten: Die ganze (D) Danke sehr. Sache ist noch im Fluss. (Beifall bei der LINKEN) (Heiterkeit bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Aber sobald es endgültig entschieden sein wird, werden Als nächster spricht der Kollege Herbert Sie umfangreich informiert werden, Herr Kollege. Dafür Frankenhauser, CDU/CSU-Fraktion. sorge ich persönlich. (Beifall bei der CDU/CSU) Ich lege Wert darauf, dass insbesondere beim Einzel- plan 05 das Parlament über seine Berichterstatter von Herbert Frankenhauser (CDU/CSU): seinem Budgetrecht ausgiebig Gebrauch gemacht hat, Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Man was in Laufe der Zeit etwas verloren gegangen war. Ich kann sich keinen besseren Mitberichterstatter als den spreche lediglich ein paar Themen an, da mir der Kol- Kollegen Lothar Mark wünschen, lege Mark nur wenige Nischen gelassen hat. (Beifall bei der SPD – Zurufe von der CDU/ Herr Außenminister, ich bitte Sie, den zu der G-8-Ab- CSU: Oh!) rüstungsinitiative geschlossenen Vertrag bezüglich Russ- lands zu überprüfen, weil wir doch gewisse Erklärungs- weil es niemanden gibt, der den Einzelplan 05 exakter schwierigkeiten haben. Einerseits stellen wir sehr hohe darstellen und erläutern kann. Beträge für das Abwracken russischer Atom-U-Boote (Beifall des Abg. Jörg Tauss [SPD]) zur Verfügung, und andererseits erklärt Russland, neue bauen zu wollen. Deswegen gratuliere ich ihm auch sehr herzlich dazu, dass sein altes Anliegen endlich erreicht worden ist, dass Ich sehe den Aufbau des neuen Europäischen Aus- der Anteil des Einzelplans 05 am Gesamtetat die 1-Pro- wärtigen Dienstes etwas skeptisch; deswegen gab es eine zent-Marke überschritten hat. Sperre beim Personal. Hier wollen wir abwarten, wie es sich im Laufe des Jahres entwickeln wird. (Beifall bei der SPD) Erfreulicherweise sind wir mit dem leidigen Thema Kollege Koppelin, Sie haben möglicherweise nicht Liegenschaftsmanagement, das alle Bauten des Aus- ganz mitbekommen, dass wir in der Personalausstattung wärtigen Amtes im Ausland betrifft, etwas vorangekom- des Auswärtigen Amtes eine gewisse Kehrtwende einge- men, und zwar dahin gehend, dass das Auswärtige Amt 13574 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 129. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. November 2007

Herbert Frankenhauser (A) mehr eigene Entscheidungsmöglichkeiten erhalten wird. Das ist doch eine sehr erfolgreiche Tätigkeit eines (C) Ich bitte Sie aber nachdrücklich, Herr Außenminister, Rechnungshofes. Vielleicht könnten Sie, Herr Außenmi- prüfen zu lassen, ob wirklich jede Bruchbude, die sich nister, bei der Besetzung künftig auch an Personen den- im Ausland deutsche Botschaft nennt, unbedingt unter ken, die zwar nicht unbedingt aus der Jungen Union Denkmalschutz gestellt werden muss, kommen müssen, aber vielleicht mittleren Alters sind. Das würde diesem Gremium sicherlich gut tun. Es gäbe (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU) sicherlich auch den einen oder anderen, der diese Arbeit weil im Ausland insbesondere dann, wenn die örtlichen für ein geringeres Salär tun würde. Behörden schon die Caterpillar-Planierraupen haben (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie auffahren lassen, völliges Unverständnis herrscht, wie bei Abgeordneten der SPD) solche Dinge mit Millionenaufwand wiederhergestellt werden. Vielleicht könnten wir hier ein gewisses exterri- Wir wissen, dass die Gelder, die der Deutsche Bun- toriales Recht finden. Wir starten auch ein neues Pro- destag dem Auswärtigen Amt zur Verfügung stellt, or- gramm, mit dem unsere Botschaften im Ausland mit al- dentlich verwaltet werden. Vielen Dank, Herr Finanzmi- ternativen Energien umfangreich ausgestattet werden, nister, dass Sie schon in der Kabinettsvorlage Vorsorge um auch dort unsere Leistungsfähigkeit auf diesem Ge- getroffen und nicht alles dem Budgetrecht des Parlamen- biet zu zeigen. tes überlassen haben. Wir haben den UN-Beitrag für den Sudan, Herr Au- (Heiterkeit bei der CDU/CSU und der SPD) ßenminister, um 49 Millionen Euro erhöht. Dort spielt Der Vizekanzler und Außenminister, dem wir die Mit- sich zwar nach wie vor eine Tragödie ab, aber es kann tel für Öffentlichkeitsarbeit etwas gekürzt haben – das auch nicht sein, dass durch erhöhte UN-Gelder den deut- betrifft zwar nicht die innerkabinettliche Kritik, aber schen Nichtregierungsorganisationen das Personal abge- vielleicht hilft es trotzdem –, hat in dieser Woche in ei- worben wird, weil die UNO wesentlich höhere Gehälter nem Interview gesagt, es gebe keine Alternative zu die- zahlt. ser Koalition, keine Alternative wäre besser für unser Ich weise darauf hin, dass die Mittel für die Polizei in Land – und ich ergänze: für diesen Haushalt. Afghanistan um 15,7 Millionen Euro zusätzlich erhöht Vielen Dank. worden sind. Es ist bedauerlich, dass die Türkei immer noch ein Abkommen blockiert und deshalb die Polizei- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie kräfte direkt unter den Schutz der ISAF-Truppen gestellt bei Abgeordneten der SPD) werden. Ich denke, dass in solchen Krisen und Kriegsge- (B) bieten die europäischen Ausschreibungsrichtlinien Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: (D) ebenso in den Papierkorb gehören wie die deutschen Jetzt hat Marieluise Beck das Wort für Bündnis 90/ TÜV- und ASU-Vorschriften in Kabul und Umgebung. Die Grünen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Marieluise Beck (Bremen) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich denke, dass wir dabei endlich Nägel mit Köpfen Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! machen sollten. Letztendlich müsste dann zum Abbau Es braucht schon einiges, verehrter Herr Koppelin, ehe auch dieser Bürokratie in Brüssel der ehemalige Minis- man Ihnen zustimmen kann. Aber in diesem Fall muss terpräsident Edmund Stoiber eingesetzt werden, der da- man das wirklich tun, was die Frage der Stellenbeset- für bestimmt die nötige Durchschlagskraft hätte. zung und Umwidmung im Auswärtigen Amt anbelangt. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Es ist nicht das erste Mal, dass ein Außenminister gleichzeitig Vizekanzler ist. Bisher bedurfte aber noch Denn der Rechnungshofbericht hat erneut schwerste kein solcher Vizekanzler der Unterstützung eines beam- Verstöße im Bereich der Haushaltsführung auf europäi- teten Staatssekretärs. Das ist also eindeutig ein Bruch scher Ebene festgestellt. mit der Tradition des Hauses. Angesichts der Besetzung (Christian Lange [Backnang] [SPD]: Ist das – ich kenne den verehrten Kollegen Tiemann, der sich abgestimmt in der CSU?) bisher immer als Arbeits- und Sozialpolitiker hervorge- tan hat – erwarten wir gespannt, welches außenpolitische Möglicherweise liegt es daran, dass uns der Europäische Feld ihm nun im Auswärtigen Amt übertragen werden Rechnungshof in der Erhöhung des Renteneintrittsalters wird. schon etwas vorausgegangen ist. Ich habe mit großer Überraschung gelesen, dass viele Mitglieder schon auf (Gert Weisskirchen [Wiesloch] [SPD]: Der das goldene Rentenalter von 75 Jahren zusteuern. kann das! Guter Mann!) (Heiterkeit bei der CDU/CSU und der SPD) Ich habe mich eben an dem scheinbar so harmoni- schen Bild des Verhältnisses zwischen Ihnen, Herr Möglicherweise trübt auch das ehrliche Einkommen von Steinmeier, und der Kanzlerin erfreut. Dies sah in den 444 444 Euro etwas den Blick, wodurch zu erklären ist, vergangenen Wochen doch deutlich anders aus, und dass die Kosten des Neubaus für diese Riege älterer Her- zwar öffentlich und für jeden wahrnehmbar. Die Kanzle- ren von ursprünglich 26 Millionen Euro mittlerweile rin mit ihrer Einladung an den Dalai Lama, die wir rich- schon bei 83 Millionen Euro angelangt sind. tig fanden, weil es nicht darum geht, sich wegzuducken, Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 129. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. November 2007 13575

Marieluise Beck (Bremen) (A) wenn der chinesischen Regierung etwas nicht passt, ist OSZE, es ist Mitglied des Europarates, und es kann (C) dafür von Ihnen öffentlich und deutlich kritisiert wor- dort nicht teilhaben, um die Standards dort auszuhöh- den. Damit sind Sie ihr in den Rücken gefallen. Sie ha- len. Vielmehr müssen wir Russland immer wieder darauf ben das als Schaufensterpolitik bezeichnet. verpflichten, diese Standards einzuhalten. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) sowie bei Abgeordneten der SPD) Diese Standards sind übrigens nicht nur europäische; Sollen wir jetzt sagen, es sei Schaufensterpolitik gewe- zu ihnen gehört auch die UN-Charta. Wenn wir auf die- sen, als Sie das Vorgehen gegen russische Oppositionelle sen Standards beharren – dies an den Kollegen Herrn – zu Recht – gerügt haben? Das war ein deutliches Zei- Gehrcke –, bedeutet dies nicht, mit dem Zeigefinger auf chen, das notwendig war. Russland zu zeigen, sondern es bedeutet: Wir bleiben auf Diese Auseinandersetzung schwächt das Renommee dem Boden unserer Werte stehen. Wenn Herr Margelow der deutschen Außenpolitik, und in Zeiten, da Deutsch- jetzt Präsident der PV des Europarates werden will, land gerade auch innerhalb der Europäischen Union so muss das ganz deutlich sein. Ein Präsidentenamt kann gebraucht wird wie derzeit, können wir Derartiges nicht nicht dazu da sein, um die PV des Europarates auszu- gebrauchen. Jetzt muss tatsächlich irgendwie eine stra- höhlen. Die Entwicklungen, die wir im Augenblick mit tegische Gemeinsamkeit entstehen. Ich bin gespannt, der OSZE haben, sind sehr bedenklich. was bei den angesetzten Gesprächen herauskommen (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ wird. DIE GRÜNEN und der FDP) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir sollten Russland also innerhalb der Institutionen, in Klar sollte für uns sein, dass es gegenüber Ländern denen wir uns gemeinsam mit ihm bewegen, beim Wort mit gravierenden rechtsstaatlichen und menschenrechtli- nehmen. chen Defiziten klare Worte und Taten aus Deutschland Ein zweiter Schlüssel liegt sicherlich im Verhältnis gibt und dass dies ein unverrückbarer Grundsatz ist. Das zu Polen. Wir haben mit den Neuwahlen in Polen eine birgt Herausforderungen hinsichtlich der Frage in sich: große Chance bekommen. Wir sollten die Möglich- Wie gehen wir mit Ländern um, die zunehmend schwie- keiten, die sich jetzt mit der Ernennung von Herrn rig werden, die sich eher von der Demokratie weg entwi- Bartoszewski zum außenpolitischen Berater auftun – wir ckeln, statt in die Richtung zu gehen, die wir erwartet alle in diesem Haus respektieren und ehren ihn –, haben? Dies gilt auch für Russland; wir haben es vor zwei Wochen hier debattiert. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie (B) bei Abgeordneten der SPD und der FDP) (D) Wo liegen jetzt die strategischen Antworten jenseits der Benennung des Dilemmas? nicht verspielen durch die schwierige Debatte über die Ostseepipeline und noch viel weniger durch die unselige Der erste Schlüssel liegt in Folgendem: Wir alle müs- Debatte über das Zentrum gegen Vertreibung sen in der Einschätzung dessen, was in Russland derzeit passiert, realistischer werden. Die Hoffnung, die wir in (Beifall der Abg. Dr. Angelica Schwall-Düren den 90er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts gehabt [SPD]) haben, dass Russland sich geradezu systematisch in und die Form, in der sie geführt wird. In Polen sind wie- Richtung auf die westlichen Verfassungen und Demo- der sehr viele Gräben aufgerissen worden, die durch jah- kratien zubewegen werde, erfüllt sich nicht. relange Verständigung langsam zugeschüttet worden wa- Dieser Realismus ist sicherlich vernünftig, weil er ren. Es ist verheerend. Man kann sich von diesem Platz uns einen Blick gibt, mit dem wir uns dann, ohne leicht nur wünschen, dass endlich ein Schritt in die richtige verträumt zu sein, auf das einstellen können, was sich Richtung gegangen wird, indem wir uns gemeinsam mit derzeit abspielt. Die Entwicklung geht in Richtung eines Polen der schwierigen Thematik der Geschichte anneh- autoritären Staates; das ist das Faktum, mit dem wir uns men. Wir sollten den Bund der Vertriebenen nicht vo- auseinanderzusetzen haben. rausmarschieren lassen. Trotzdem bleibt natürlich dieses Russland ein wichti- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, ger Partner für uns. Wir sind aufeinander angewiesen, bei der SPD und der FDP) wobei die Betonung bei „aufeinander“ liegt. Nicht nur Der dritte Schlüssel ist die Gemeinsamkeit innerhalb wir sind von Russland abhängig; wir sind es in der Ener- der EU-Politik. Jede Bilateralität, jeder bilaterale Schritt giepolitik, wir sind es in der Klimapolitik, wir sind es bei gibt dem Kreml und Russland die Möglichkeit, uns aus- der Bewältigung von Krisen von Darfur bis Kosovo und einanderzudividieren. Dies macht uns viel schwächer, Iran, wie wir ebenfalls alle wissen. Aber dazu braucht es als wir es als ein Raum mit 500 Millionen Bürgerinnen Realismus und sicherlich auch sehr viel Gelassenheit und Bürgern und mit einer großen Wirtschaftskraft fak- und sehr viel Geduld. Wir müssen nicht gleich alle sprin- tisch sind. Auch hinsichtlich eines gemeinsamen Vorge- gen, wenn Herr Putin eine zornige Rede hält, denn Russ- hens in der EU-Politik ist noch viel zu tun. land braucht auch uns, sowohl als wirtschaftlicher Part- ner, aber auch, weil Russland ein europäisches Land sein Wir alle haben heute gehört: Die Einigung zum will. Das heißt, wir müssen Russland bei seinen eigenen Kosovo ist nicht eingetreten. Dies ist nicht wirklich Ansprüchen verpflichtend packen. Es ist Mitglied der überraschend für uns. Bei allen vorstellbaren Lösungen, 13576 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 129. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. November 2007

Marieluise Beck (Bremen) (A) von denen wir wissen, dass sie alle mit Problemen be- zu leugnen ist – auf einige Stichworte komme ich zurück –, (C) haftet sind, kann nur die Gemeinsamkeit der EU einen sollten wir die Außergewöhnlichkeit dieses Ereignisses, schwierigen Weg aus der verfahrenen Situation zeigen. Herr Paech, am Ende dennoch wahrnehmen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: bei Abgeordneten der FDP und des BÜND- Frau Kollegin! NISSES 90/DIE GRÜNEN)

Marieluise Beck (Bremen) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- „Wahrnehmen“ heißt ja nicht, schon jetzt daranzugehen, NEN): das Ereignis selbst zu verklären. Es bleibt natürlich da- Es kommt auf die Gemeinsamkeit der EU auch bei bei: Es gibt auch nach der Konferenz von Annapolis den nächsten Schritten, über die in Bezug auf das Ko- keine Garantie für das Gelingen – so wenig wie bei frü- sovo zu entscheiden ist, an. heren Versuchen. Aber – das ist entscheidend – in den nahöstlichen Friedensprozess ist wieder Bewegung ge- Schönen Dank. kommen. Schon das ist gut. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Was den jetzt begonnenen Friedensversuch im Nahen Osten von früheren Versuchen unterscheidet, sind aus Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: meiner Sicht fünf Dinge: Das Wort hat jetzt der Bundesminister Frank-Walter Steinmeier. Erstens: die Ernsthaftigkeit der Bemühungen beider Konfliktpartner in Palästina und in Israel. Wenn Sie in (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten den letzten Wochen genau darauf geachtet haben, konn- der CDU/CSU) ten Sie feststellen: Die Konfliktpartner haben im Unter- schied zu früheren Situationen nicht eine Konferenz Dr. Frank-Walter Steinmeier, Bundesminister des durch Dritte vorbereiten lassen, sondern selbst aktiv Auswärtigen: durch Eigeninitiative an der Vorbereitung dieser Konfe- Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und renz mitgewirkt. Herren Abgeordneten! Ich hoffe, man sieht es nicht; aber ich bin erst vor wenigen Stunden aus Annapolis zurück- Zweitens. Wer auch immer in Palästina Verantwor- gekommen. Ich will Sie wahrhaftig nicht mit einem Er- tung trug, war mit seinen Friedensbemühungen regelmä- gebnisrapport behelligen, zumal Sie das meiste schon ßig in der Arabischen Liga isoliert. Schauen Sie einmal über die Medien zur Kenntnis genommen haben. Weil genau auf die Teilnehmerzahl: Zum ersten Mal haben (B) aber die Vorberichterstattung so überaus skeptisch war, wir bei einem solchen Versuch Unterstützung von der (D) gehe ich davon aus, dass Sie vielleicht an einigen ergän- ganz großen Mehrzahl der arabischen Staaten. Auch das zenden Einschätzungen von jemandem interessiert sind, ist eine Sonderentwicklung. der das Geschehen vor Ort verfolgt hat. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU so- Ich will einleitend sagen: Ja, es stimmt, bisher sind wie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ alle Bemühungen um Frieden und Stabilität im Nahen DIE GRÜNEN) Osten gescheitert. Das ist richtig. Deshalb sind wir gut beraten, wenn wir mit Realismus und Augenmaß an die Drittens – auch das bitte ich festzuhalten –: Die Gro- Bewertung der zukünftigen Prozesse nach der Annapo- ßen übernehmen hier wirklich Verantwortung. Wenn ich lis-Konferenz herangehen. Das alles ist richtig. „die Großen“ sage, dann meine ich zuallererst die USA, die mit hohem Risiko – und Respekt von unserer Seite – Dennoch sage ich jenseits aller professionellen Rou- zu einem Zeitpunkt, als man nicht ahnen konnte, wer an tine, die wir gerade auch in der Außenpolitik brauchen: dieser Konferenz teilnehmen wird, an die Vorbereitung Wer während der Konferenz einmal einen Blick in das gegangen sind und, was vielleicht noch schwieriger ist, große Rund der 45 teilnehmenden Staaten werfen jetzt in dem Follow-up-Prozess eine Art Mittlerrolle, konnte, wer gesehen hat, wie viele Vertreter von Staaten, Moderatorenfunktion bei den Einzelverhandlungen zwi- die untereinander nicht einmal diplomatische Beziehun- schen den Palästinensern und den Israelis übernehmen gen haben, die ihren Kriegszustand nicht beendet haben, wollen. beieinandersaßen, wer sich klarmacht, dass aus den glei- chen Gründen, wie eben referiert, viele Vertreter der is- Viertens. Was wir für die USA sagen können, gilt im raelischen Delegation, die zahlreich angetreten war, ihre Augenblick erstaunlicherweise auch für Russland, das arabischen Gesprächspartner überhaupt nicht kannten, jedenfalls bei diesem Prozess nicht im Abseits stehen keine Direktgespräche mit diesen geführt hatten und na- will. Damit meine ich gar nicht so sehr den russischen türlich erst recht kein Beziehungsnetzwerk zu den arabi- Vorschlag, einen Follow-up-Prozess zu organisieren und schen Kollegen hatten, wer die wirklich bewegenden in regelmäßigen Zeitabständen immer wieder zu unter- Reden von Präsident Abbas und Ministerpräsident suchen, ob der Friedensprozess tatsächlich Fortschritte Olmert hat hören können, der weiß: Diese Konferenz macht. Das ist ein Vorschlag, den viele andere, auch wir war alles in allem ein Ereignis jenseits von außenpoliti- Europäer, ebenfalls gemacht haben. Aber neu ist, dass scher Alltagsroutine. Das war gerade nicht diplomati- die Russen in der Nahostkonferenz in Annapolis den scher Alltag. Bei aller Abgeklärtheit und aller Unüber- Vorschlag gemacht haben, selbst Verantwortung in die- sichtlichkeit der internationalen Konfliktlage, die nicht sem Monitoringprozess zu übernehmen und für die Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 129. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. November 2007 13577

Bundesminister Dr. Frank-Walter Steinmeier (A) nächste Veranstaltung, die wohl im Frühjahr stattfinden kannt vor: Wenn man eine Konfliktregelung haben will, (C) wird, nach Moskau einzuladen. dann muss man die Zahl der möglichen Spoiler, der möglichen Störer von außen, möglichst gering halten. Fünftens und letztens ist wichtig, dass es zwar nicht Deshalb habe ich immer gesagt: So schwierig Syrien ist, gelungen ist, in dem gemeinsamen Statement von Paläs- so wichtig ist es, Syrien an den Tisch zu holen und dann tinensern und Israelis einen Zeithorizont zu vereinbaren, zu prüfen, ob es in der Lage ist, sich konstruktiv zu ver- aber am Ende der Konferenz alle Beteiligten signalisiert halten. haben, dass sie mit dem Verständnis auseinandergehen, die Lösung – das heißt die Klärung der offenen Fragen, (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten die der Zweistaatenlösung entgegenstehen – bis Ende der CDU/CSU) 2008 unter Dach und Fach zu bringen. Ich glaube, diese Beharrlichkeit hat sich gelohnt, weil Nochmals: Das alles ist noch keine Garantie für das sie nachhaltig wirkt. Sie darf aber jetzt noch kein Ende Gelingen unseres gemeinsamen Bemühens. Aber ich finden. Wir alle haben nicht nur die Verpflichtung, dafür finde, wir sind weit gekommen, und daran sind viele be- zu sorgen, dass die Verhandlungsprozesse weitergeführt teiligt. Ich bin wirklich der Letzte, der so tut, als sei das werden, sondern wir alle haben auch die Pflicht – hier an allen Stellen und entscheidend deutscher Einfluss ge- sehe ich vor allem Europa und insbesondere Deutsch- wesen. Ich sehe unsere Möglichkeiten als europäische land in der Verantwortung –, den Menschen in Palästina Mittelmacht dort sehr realistisch. Aber von großer Be- zu zeigen, dass Frieden sich lohnt. deutung ist die Frage: Haben wir die Möglichkeiten we- nigstens genutzt? Ich meine, wir haben sie außerordent- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie lich gut genutzt, bei Abgeordneten der FDP und des BÜND- NISSES 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich hatte mir vorgenommen, am Schluss dieser Be- merkungen zu Nahost einige Ausführungen als Nachbe- gerade in Verbindung mit unserer Präsidentschaft in der trachtung zur deutschen EU-Ratspräsidentschaft zu EU und in der G 8. machen. Das erspare ich mir jetzt. Ich glaube, wir müs- sen keinen großen Rückblick gestalten. In diesem Hause Wir haben trotz der tiefen Depression nach der Ausei- ist das Thema vielfach besprochen worden. Abschlie- nandersetzung zwischen Israel und der Hisbollah im ßend will ich dazu nur sagen: Was das europäische Ver- letzten Jahr dafür geworben, dass man einen neuen Ver- fassungswerk angeht, wären wir alle gerne weitergekom- such unternimmt. Wir haben uns in den Monaten vor Be- men. Ich bin aber mit all denen einig, die sagen: Keiner ginn der Ratspräsidentschaft gemeinsam darum bemüht, hätte erwartet, dass wir nach einem halben Jahr deut- (B) dass das Denken über die Revitalisierung des Nahost- (D) scher Ratspräsidentschaft so weit sind. Zwar heißt das quartettes wieder möglich wird. Zu Beginn unserer Prä- Konstrukt nicht Verfassung, immerhin sind aber mehr sidentschaft in der EU, noch im Januar, hat die erste Sit- als 90 Prozent des Verfassungstextes Bestandteil der Re- zung des Quartettes stattgefunden, und wir haben mit formverträge. Zwar heißt der europäische Außenminis- unseren durch die Präsidentschaft vorhandenen Mög- ter nicht Außenminister, sondern weiterhin Hoher Re- lichkeiten dafür gesorgt, eine – lassen Sie mich es so sa- präsentant, aber er hat gemäß den Verträgen all die gen – vernünftige Choreografie zu gestalten. Es gab Funktionen, die ihm auch von der Verfassung zugedacht viele – erinnern Sie sich auch an die Diskussionen hier waren. im Hause –, die den Außenminister oder die Kanzlerin gedrängt haben, mal eben eine Nahostkonferenz zu ver- Ich mache diese Bemerkung an dieser Stelle, um Ih- anstalten. Es gab viele, die das befürwortet haben. Ich nen zu danken, meine Damen und Herren. Ich weiß na- habe auch den europäischen Kollegen immer wieder sa- türlich, dass all dies in Europa nicht gelungen wäre, gen müssen: Ich bin nicht gegen eine Nahostkonferenz; wenn wir uns nicht jederzeit der Unterstützung des Deut- aber sie ist nur dann sinnvoll, wenn wir die Israelis und schen Bundestages gewiss gewesen wären. Am Ende un- die Amerikaner mit im Boot haben. Sonst ist das Ganze serer Verhandlungen über den Haushalt sehe ich, dass eine Veranstaltung zur Gewissensberuhigung der Euro- sich diese Unterstützung nicht auf die Arbeit der Kanzle- päer, aber nichts, was den Menschen vor Ort hilft. rin und des Außenministers im europäischen Gewerbe (Beifall bei der SPD) beschränkt. Diese Unterstützung zeigt sich auch in den Zahlen des Haushaltes 2008. Ich glaube in der Tat, dass Insofern war die Zeitplanung durchaus richtig. die finanzielle Grundlage unserer Arbeit im nächsten Jahr wesentlich besser sein wird. Dafür ganz herzlichen Wir haben die Zeit seit Januar genutzt, um wahrhaft Dank! schwierige und schwierig bleibende Partner zu überzeu- gen, bei diesem Prozess nicht dauerhaft vor der Tür ste- Ich freue mich insbesondere darüber, dass der Haus- hen zu bleiben. Ich meine natürlich Syrien. Ich meine haltsansatz für die auswärtige Kultur- und Bildungspoli- immer noch, dass es zwei Gründe für dieses Werben gab: tik um etwa 15 Prozent steigt. Ich freue mich darüber, Erstens. Ich glaube, dass nachhaltiger Frieden im Nahen dass bei den Mitteln für politische Aufgaben, zu denen Osten nur dann erreicht werden kann – das ist eine alte der Stabilitätspakt Afghanistan, der Stabilitätspakt für Weisheit –, wenn wir die zentralen Konflikte in eine Südosteuropa, die humanitäre Hilfe und die Krisenprä- endgültige Regelung einbeziehen. Der zweite Grund vention zählen, eine Steigerung um 20 Prozent möglich kommt einem aus anderen Verhandlungssituationen be- ist. All das ist notwendig. 13578 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 129. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. November 2007

Bundesminister Dr. Frank-Walter Steinmeier (A) Mit Blick auf Südosteuropa nenne ich das Stichwort Ich freue mich – lassen Sie mich das zum Abschluss (C) „Kosovo“. Es ist hier schon gefallen, zuletzt in dem Bei- noch sagen –, dass in diesem Hause sehr sensibel beob- trag von Frau Beck. Das ist ein Feld mit großen Heraus- achtet wird, dass sich unsere Stellung in der Welt verän- forderungen. Das wird es auch in Zukunft bleiben. In dert. Ich glaube, es war Herr Westerwelle, der heute den Tagen um Weihnachten herum werden die Heraus- Morgen in seiner Rede forderungen noch größer werden. Ich habe mir sehr ge- (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Büttenrede!) wünscht, dass die Troika – Europa, Russland und Ame- rika – zu einem abschließenden Ergebnis gekommen darauf hingewiesen hat, dass die chinesische Volkswirt- wäre. Etwas Substanzielles ist aber nicht gelungen. Das schaft die deutsche Volkswirtschaft überholen wird. Er mussten wir nach den dreitägigen Verhandlungen ges- hat es ein bisschen kritisch unterlegt und gesagt: Macht tern in Österreich feststellen. Die Hoffnung bleibt, dass etwas dagegen. sich die Troika vielleicht auf einen Verfahrensvorschlag (Dr. Werner Hoyer [FDP]: Ich wundere mich, verständigt, der nicht nur uns hier in Deutschland bei dass Sie das so verstanden haben!) den weiteren Entscheidungen hilft, sondern auch die eben angemahnte Einheit in Europa bewahren hilft. Angesichts des Wachstums der chinesischen Bevölke- rung haben Sie, glaube ich, Verständnis dafür, dass von Wir können und müssen an dieser Stelle noch einmal deutscher Seite aus nur beschränkte Möglichkeiten be- an die Serben und Kosovo-Albaner appellieren – die stehen, die Dynamik der chinesischen Volkswirtschaft Bundeskanzlerin hat es heute Morgen schon getan –: Er- hinter die unsere zurückzuwerfen. innert euch an das Blutvergießen in den 90er-Jahren. Die Wir haben davon auszugehen, dass die Wachstums- Menschen auf dem Balkan dürfen nicht wieder Opfer regionen – ob Indien oder China – wachsendes ökono- tragischer politischer Fehlentscheidungen und Unverant- misches Gewicht haben und damit den Anspruch verbin- wortlichkeit werden. den, wachsendes politisches Gewicht geltend zu (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU so- machen. Darauf reagieren einige mit Panik. Ich finde, wie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ dazu gibt es wenig Anlass. Das ist auch nicht geeignet, DIE GRÜNEN) die Dinge zu verändern. Wir müssen uns in der Welt, wie ich immer sage, besser verständlich machen. Dazu gehö- Wir haben nicht nur während unserer Präsidentschaft in ren auch die Möglichkeiten der auswärtigen Kultur- und der Europäischen Union, sondern auch davor und da- Bildungspolitik. Ich will mich herzlich dafür bedanken, nach dem westlichen Balkan unsere Hand immer wieder dass hier zum einen für die Goethe-Institute, zum ande- ausgesteckt. Sie bleibt ausgestreckt. Aber das setzt vo- ren aber auch für wissenschaftliche Austauschpro- (B) raus, dass Entscheidungen in der Region mit Vernunft gramme, für Auslandsschulen und für ein Sonderpro- (D) gefällt werden. gramm in Afrika viele neue Möglichkeiten gegeben sind. Ich freue mich sehr, dass auch das Verhältnis zu Ich habe die Konflikte, die vor uns stehen, genannt: Polen hier Erwähnung gefunden hat. Ich glaube, dass Afghanistan, Iran, Balkan, Kosovo und Regionalkon- wir jetzt in der Tat Möglichkeiten und Voraussetzun- flikte in Afrika. Das ist viel für die Außenpolitik, auch gen haben, dieses zuletzt nicht beste Verhältnis zwi- für die deutsche Außenpolitik. Ich weiß, dass das alles schen den beiden Ländern durchweg zu erneuern. Ich nur gemeinsam gelingen wird. Genau das haben wir in habe meinen neuen polnischen Kollegen inzwischen der Großen Koalition in den letzten zwei Jahren bewie- zweimal gesprochen. Ich sehe politisch und persön- sen, auch während der EU-Ratspräsidentschaft. Diese lich gute Voraussetzungen dafür, dass sich das Ver- Gemeinsamkeit wird auch die Haltung der Außenpolitik hältnis sehr ordentlich entwickeln wird. Ich glaube, der Großen Koalition in den nächsten zwei Jahren kenn- dass wir die Chance, die sich jetzt bietet, nicht ver- zeichnen. spielen dürfen; dazu muss ich dieses Haus und uns selbst nicht ermahnen. Die Chance ist die, dass wir Sie sollten sich gar nicht erst so sehr auf den Fall das Verhältnis zwischen Deutschland und Polen wie- China einschießen. Die aktuellen Unebenheiten im der auf die Stufe stellen, die wir bereits in den 90er- deutsch-chinesischen Verhältnis, die es zweifellos gibt, Jahren erreicht hatten. müssen wir beseitigen. Das ist unsere gemeinsame Auf- gabe. Ich werde mich daran beteiligen, und zwar ohne (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie dass Menschenrechte und nationale deutsche Interessen bei Abgeordneten der FDP und des BÜND- gegeneinander ausgespielt werden. NISSES 90/DIE GRÜNEN) Herzlichen Dank. Zu Afghanistan ist nach den vielen Debatten, die wir (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten in den letzten Wochen und Monaten hier im Hohen Haus der CDU/CSU) hinter uns haben, nicht mehr viel zu sagen. Es wird eine der großen Herausforderungen bleiben, ebenso wie der Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: westliche Balkan und leider auch Regionalkonflikte in Der Kollege Dr. Werner Hoyer hat jetzt das Wort für Afrika, zu denen wir uns verhalten müssen, was nicht die FDP-Fraktion. heißt, Auslandseinsätzen zuzustimmen. All das wird vor unserer Tür liegen. (Beifall bei der FDP) Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 129. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. November 2007 13579

(A) Dr. Werner Hoyer (FDP): werber stärken sollten, indem wir ihm in Bereichen Ent- (C) Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! wicklungshilfe zahlen, in denen er sie wirklich nicht Herr Minister, zunächst einmal herzlichen Dank für Ih- braucht. Darum ging es heute Morgen. ren Bericht aus Annapolis! Das, was Sie berichtet haben, (Beifall bei der FDP – Walter Kolbow [SPD]: ist in der Tat ermutigend. Hoffen wir, dass jetzt das Ihr versteht das immer noch nicht!) kleine Fenster der Gelegenheiten für das, was wir uns alle erhoffen, genutzt werden kann. Soweit Europa, so- Was die Situation in Russland angeht, möchte ich weit Deutschland dabei eine Rolle zu spielen hat, wün- von der Bundesregierung eine klare Aussage. Ich sche ich Ihnen eine glückliche Hand. Im Übrigen: Kom- möchte wissen, ob die Neujustierung der Außenpolitik, pliment für Ihre Kondition! Wenn man – wir alle kennen die die Bundeskanzlerin ab 2005 erfreulicherweise voll- das – nach einem Nachtflug, wie Sie ihn gerade hinter zogen hat, weiterhin gilt und vom Außenminister mitge- sich haben, im Parlament auftreten muss, ist man be- tragen wird oder ob er in seine Loyalität zu Gerhard stimmt „überaus fröhlich“. Schröder zurückfällt. Darum geht es. (Beifall bei Abgeordneten der FDP und der SPD) (Beifall bei der FDP) Geschlossenheit und Entschlossenheit hat die Bun- Ich würde außerdem gerne erfahren, was nach der deskanzlerin von den Europäern und vom Westen ver- Kraftanstrengung der deutschen Ratspräsidentschaft aus langt, gerade im Hinblick auf die großen Herausforde- unserer Rolle in Europa wird. Man hat nämlich das Ge- rungen im Iran und im Kosovo; das ist richtig und fühl, dass die Bemühungen Deutschlands ziemlich er- wichtig. Ich wünschte mir, man würde davon auch bei lahmt sind. Ich kann verstehen, dass die Kräfte der Be- der Bundesregierung etwas mehr erkennen. Geschlos- schäftigten in unseren Ämtern erschöpft sind; denn dort senheit und Entschlossenheit sind nämlich insbesondere ist eine Riesenleistung erbracht worden. Dass Deutsch- in der Außenpolitik ein Pfund. land gemeinsam mit Slowenien und Portugal noch im- mer an der amtierenden Dreierpräsidentschaft beteiligt (Beifall bei Abgeordneten der FDP) ist, davon ist allerdings nur wenig zu spüren. Das mah- Die Bundeskanzlerin hat auch darauf hingewiesen, nen wir an. Bei manchem, was gegenwärtig geschieht, dass es einen sehr wichtigen Zusammenhang zwischen frage ich mich: Wo ist denn die gestaltende und nicht nur wirtschaftlicher Leistung und internationaler Reputation die begleitende oder gar finanzierende Rolle der Euro- gibt; ich finde, auch das ist sehr wichtig und richtig. In- päischen Union, wenn es um die großen Herausforde- sofern schwächt der Rollback in der Reformpolitik unse- rungen, die wir gegenwärtig zu bewältigen haben, geht? res Landes natürlich auch unser internationales Standing, (Beifall bei Abgeordneten der FDP) unser Ansehen, unseren Einfluss und ökonomisch wie (B) (D) politisch irgendwann auch unsere Durchschlagskraft. Lassen Sie mich eine Bemerkung zu der grundsätzli- chen Frage machen, die die Diskussionen der letzten Das, was im Jahre 2006 geschehen ist, war phänome- Wochen beherrscht hat: interessenorientierte oder werte- nal. Das Image Deutschlands hat sich sehr schnell ver- basierte Außenpolitik? Das ist manchmal nur schwer ändert. Das hatte sicherlich mit der Fußballweltmeister- auszutarieren. Sie haben sich eben Gott sei Dank dage- schaft zu tun, aber nicht nur. Auch die ökonomischen gen gewehrt, beides gegeneinander auszuspielen; Rahmenbedingungen hatten sich verändert. Im Ausland hat man gestaunt. Denn plötzlich war die Stimmung in (Gert Weisskirchen [Wiesloch] [SPD]: Das Deutschland besser als die Lage, etwas, von dem man ei- darf man nicht tun! Nein!) gentlich sagt, dass das mit unserem Nationalcharakter das wäre in der Tat unverantwortlich. gar nicht vereinbar ist. Aber es ging. Das hat dazu ge- führt, dass wir Rückenwind für die deutsche Ratspräsi- (Beifall des Abg. Gert Weisskirchen [Wiesloch] dentschaft bekommen haben, zu deren Gelingen wir als [SPD]) Opposition der Bundesregierung an dieser Stelle gratu- Vonseiten der Regierung ist in der letzten Zeit allerdings liert haben. häufig genug der Eindruck erweckt worden, dass das ge- Jetzt äußern wir allerdings Kritik. Denn wir müssen tan wird. befürchten, dass der deutsche Einfluss zurückgeht, und Der Grad unserer außenwirtschaftlichen Verflech- zwar aus zwei Gründen: erstens, weil das Vertrauen der tung und unsere Energieabhängigkeit, die wir übrigens Welt in die Durchhaltefähigkeit Deutschlands bei der nicht erhöhen, sondern durch verschiedenste Maßnah- Modernisierung und Dynamisierung unserer Volkswirt- men langsam abbauen sollten, schaft und unserer Gesellschaft sinkt, und zweitens, weil von Geschlossenheit und Entschlossenheit wohl keine (Gert Weisskirchen [Wiesloch] [SPD]: Das Rede mehr sein kann. Das wird an den Debatten, die wir machen wir!) über die Situation in China und Russland führen, deut- sollten uns zur Vorsicht mahnen. Es ist aber unfair und lich; ich könnte dafür noch weitere Beispiele nennen. – ich finde, das ist noch schlimmer – unklug, aktive Im Übrigen habe ich das, was Herr Westerwelle heute Menschenrechtspolitik als Schaufensterpolitik zu dif- Morgen mit Blick auf China gesagt hat, völlig anders famieren, erst recht dann, wenn man geschlagene zwei verstanden. Wir sollten die Herausforderung, dass China Tage kollektiver Sprachlosigkeit verstreichen lässt, be- ein Wettbewerber Deutschlands ist, fröhlich annehmen. vor man zum brutalen Vorgehen der russischen Staats- Das heißt umgekehrt aber nicht, dass wir diesen Wettbe- organe gegenüber Oppositionspolitikern Stellung be- 13580 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 129. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. November 2007

Dr. Werner Hoyer (A) zieht. „Unverhältnismäßig hart“ sei das gewesen, heißt getan –, das sei vielleicht ein Weg, um die Inder langsam (C) es in der Presseerklärung des Außenministers. Was in die internationalen Abrüstungsvertragswerke hinein- wäre eigentlich „verhältnismäßig hart“ gewesen, wenn zuziehen und auch die Rolle der IAEO für die Inder zu es darum geht, freie Bürger, Oppositionspolitiker und stärken. Nur wird genau das nicht stattfinden – das ha- Medien an der Wahrnehmung ihrer Rechte zu hindern? ben uns die indischen Kolleginnen und Kollegen klar ge- Hier geht es übrigens um Rechte, die nicht nur in der sagt –, dass gerade diejenigen, die man noch überzeugen russischen Verfassung, sondern auch in der Schlussakte müsste, wenn sie denn dem Deal zustimmen sollten, sa- von Helsinki verankert sind. Daran zu erinnern, ist gen: keine unangemessene Haltung gegenüber einem Part- ner, mit dem man gerne zusammenarbeiten will. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: (Beifall bei der FDP und der Abg. Marieluise Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Ende. Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]) Dr. Werner Hoyer (FDP): Wir machen das nur, wenn es keinen weiteren Schritt Natürlich geht es nicht darum, in selbstgerechter Form hin zur Internationalen Energieagentur und zu den gro- Menschenrechte wie eine Monstranz vor sich herzutra- ßen Abrüstungsabkommen gibt. gen, aber es geht darum, glaubwürdig zu bleiben. Herzlichen Dank, meine Damen und Herren. Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Gemeinschaft der aufgeklärten rechtsstaatlichen Demokratien, sozusa- (Beifall bei der FDP) gen „der Westen“, wir alle haben in den letzten Jahren erheblich an Glaubwürdigkeit in der Welt verloren auf- Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: grund dramatischer Fehlentscheidungen, die nicht wir, Herr Kollege Dr. Andreas Schockenhoff hat jetzt das die aber andere auch für uns mit getroffen haben. Wort für die CDU/CSU-Fraktion. Guantánamo Bay, Abu Ghureib – man könnte eine lange Liste aufstellen. Dr. Andreas Schockenhoff (CDU/CSU): Wenn wir für die Attraktivität unseres westlichen Le- Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! bensmodells werben wollen, müssen wir uns auch zu un- Ich will zur Halbzeit der Großen Koalition mit einer seren Grundüberzeugungen bekennen. Am besten leben Grundsatzfrage deutscher Außenpolitik beginnen. Seit wir sie vor. Am Ende schadet der seinen Interessen, der der Gründung der Bundesrepublik Deutschland war seine Grundüberzeugungen versteckt. Da liegt natürlich deutsche Außenpolitik immer dann erfolgreich, wenn sie (B) auch die Brücke zur Innenpolitik, und das zeigt, wie al- auf einer engen und solidarischen Zusammenarbeit mit (D) les ineinandergreift. Wenn man die Freiheitsrechte im unseren europäischen Partnern aufbauen konnte und Inneren opfert, um Sicherheit zu garantieren oder glaubt wenn sie zugleich von einem vertrauensvollen Verhältnis zu garantieren, wird man am Ende mit leeren Händen zu den USA bestimmt war. Das sind die beiden Grund- dastehen. pfeiler deutscher Außenpolitik, an denen nicht gerüttelt Ein Wort, Herr Minister, zum Thema Abrüstung. Sie werden darf. konnten wegen der Fixierung auf den großen und wichti- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- gen Teil Annapolis heute dazu wenig sagen. Sie haben in neten der SPD) der letzten Zeit wiederholt Ankündigungen zum Thema Abrüstungspolitik gemacht. Ich kann bisher noch nicht Wann immer eine deutsche Regierung diese Grundlage erkennen, welches konkrete Handeln der Bundesregie- infrage gestellt hat, hat es Deutschland und Europa ge- rung diesen Ankündigungen folgt. schadet. Das war zuletzt im Zusammenhang mit dem Irakkrieg der Fall. Die Folge war: Deutsche Außenpoli- Wir stehen vor einer ganz schwierigen Situation im tik war ohne entscheidenden Einfluss, Europa war ge- Hinblick auf den KSE-Vertrag. Wir dürfen Russland spalten, das transatlantische Verhältnis war durch Miss- nicht geradezu noch in die Hände spielen, wenn es sich trauen belastet. von diesen internationalen Vertragswerken mit dem Hin- weis darauf verabschiedet, der Westen sei ja noch nicht Heute ist die Lage grundlegend anders. Unter der Re- einmal bereit, das, was er selber unterschrieben hat, zu gierung Merkel/Steinmeier hat Deutschland wieder maß- ratifizieren und diejenigen aus der NATO, die gar nicht geblichen Einfluss. In den deutsch-amerikanischen Be- erst unterschrieben haben, dazu zu bringen, dieses Ver- ziehungen herrscht wieder ein Vertrauensverhältnis. Auf tragswerk zu unterschreiben. Ich bin der Auffassung: dieser Grundlage war es möglich, in der Iranfrage Ein- Die Zeit für ein klares Signal durch eine Ratifizierung fluss auf die USA zu nehmen, sodass die Sechserge- des KSE-Vertrages ist reif. meinschaft zusammenblieb und heute eine diplomati- sche Lösung des Nuklearstreits möglich bleibt. Nicht (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten zuletzt auf dieser Grundlage konnte die notwendige Kri- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) tik an der Situation in Guantánamo geäußert werden. Ein letztes Wort zum amerikanisch-indischen Europa ist nicht mehr gespalten. Im Gegenteil: Die Nukleardeal. Hier wird die Bundesregierung Glaubwür- EU ist wieder in der Lage, schwierige Zukunftsentschei- digkeit wiederzugewinnen haben. Es ist ja ehrenwert, zu dungen zu treffen. Die unter deutscher Präsidentschaft sagen – die Bundeskanzlerin hat das uns gegenüber auch vereinbarten Klimaschutzziele und die erfolgreiche Eini- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 129. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. November 2007 13581

Dr. Andreas Schockenhoff (A) gung auf den Lissabonner Vertrag sind nur zwei Bei- lich alle Möglichkeiten genutzt; wir haben Grund, ihm (C) spiele dafür. Wir hätten dies nicht erreicht, wenn die für seine hervorragende Arbeit zu danken. Bundeskanzlerin und der Außenminister nicht gegen- über unseren Partnern deutlich gemacht hätten: Sonder- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- wege wird und darf es nicht mehr geben. neten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Insbesondere in der Politik gegenüber Russland wer- Drittens. Die Troika wird ihren Bericht dem VN-Ge- den unsere EU-Partner, vor allem Polen und die balti- neralsekretär vorlegen. Wenn im Sicherheitsrat keine Ei- schen Staaten, wieder im Geiste der Solidarität und des nigung möglich ist, gilt, was Herr Solana kürzlich gesagt Vertrauens einbezogen. In diesem Sinne war der EU- hat: Eine Loslösung des Kosovo ohne Billigung des Si- Russland-Gipfel in Samara wichtig, weil er eine klare cherheitsrates wäre nicht das Ende der Welt. Botschaft aussandte: Die Partnerschaft zwischen der EU und Russland wird umso erfolgreicher sein, je stärker (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Ha!) Russland die EU als eine Solidargemeinschaft versteht und je mehr sich die EU auch selbst so verhält. Denn Ge- Viertens. Kosovo wird eine besondere Herausforde- schlossenheit der EU ist die unverzichtbare Vorausset- rung für uns Europäer, nicht nur mit Blick auf die größt- zung dafür, dass wir unser gemeinsames Ziel erreichen: mögliche Geschlossenheit bei der Anerkennung des eine auf den universellen Werten des Europarates basie- Kosovo, sondern vor allem bei der immensen Herausfor- rende strategische Partnerschaft mit Russland. Ich weiß, derung, die beim politischen und wirtschaftlichen Auf- dass wir hierfür bei einigen EU-Partnern noch werben bau des Landes zu bewältigen sein wird. müssen. Aber wenn wir Solidarität zeigen und auf die Fünftens. Serbien hat eine klare EU-Perspektive. Da- Sorgen und Interessen unserer Partner eingehen, dann rum ist es wichtig, dass Politiker wie Präsident Tadic werden wir auch dieses Ziel erreichen; davon sind wir in und Premier Koštunica ihr Land weiter an die EU heran- der CDU/CSU fest überzeugt. führen können. Dazu gehören eine baldige Unterzeich- Das gilt auch für die Ostseepipeline. Um es ganz klar nung des Assoziierungsabkommens und die Liberalisie- zu sagen: Diese Pipeline liegt im europäischen Interesse, rung des Visaregimes in Verbindung mit einem weil sie für die Energieversorgung Europas unverzicht- Rücknahmeübereinkommen. Gerade die jungen Serben bar ist. wollen leichter in die EU reisen können, und ich sehe keinen echten Grund, warum das nicht möglich sein (Beifall des Abg. Gert Weisskirchen [Wies- sollte. loch] [SPD]) Die strategische Partnerschaft mit Russland ist (B) Deshalb muss und wird sie gebaut werden. Aber die Zei- mehr als eine auf gemeinsame Interessengebiete be- (D) ten eines Basta-Stils sind vorbei. Niemand setzt die grenzte Kooperation. Sie ist als eine auf den gemeinsa- Energiepartnerschaft mit Russland aufs Spiel, wenn wir men Werten des Europarates basierende Partnerschaft jetzt die Bedenken unserer Partner Schweden und Finn- konzipiert. Aufgrund dieser gemeinsamen Wertever- land oder die Sorgen der Balten und Polens auszuräumen pflichtungen haben wir auch das Recht, in angemessener versuchen. Form Missstände bei der Demokratie und den Men- schenrechten in Russland anzusprechen, so wie es die Es ist in der Koalition überhaupt keine Frage: Wir Bundeskanzlerin in Samara getan hat. In Wertefragen brauchen die strategische Partnerschaft mit Russland, kann es keine Kompromisse geben. nicht nur aufgrund unserer gegenseitigen Energieabhän- gigkeit, sondern auch zur Lösung von Krisen und Kon- Die Rückschläge bei der Demokratie, der Rechtsstaat- flikten. Iran und Kosovo sind heute ja schon genannt lichkeit, den Menschenrechten und der Meinungsfreiheit worden. bereiten uns allen hier im Haus große Sorgen. Diese Ent- wicklungen schaden zuerst Russland selbst; denn wenn Wir begrüßen es nachdrücklich, dass der Außenminis- Russland den Wandel zu einem modernen, wettbewerbs- ter alle Anstrengungen unternimmt, um den KSE-Ver- fähigen Staat vollziehen will, dann muss es das Potenzial trag zu wahren. Dass Russland seinen Truppenabzug aus und die Fähigkeiten seiner Bürger besser und vollständig Georgien ein Jahr früher als geplant abschließen will, ist nutzen und dann braucht es eine starke und politisch le- ein wichtiges und gutes Signal. Auch in der Frage der bendige Zivilgesellschaft. Raketenabwehr gibt es Fortschritte. Was Iran betrifft, wünschen wir uns, dass Russland seinen Einfluss – den Gerade das Parlament ist der geeignete Ort für den es zweifelsohne hat – noch stärker wahrnimmt. Streit um die besten Lösungen. Wenn die Hürden für den Einzug ins Parlament zu hoch gelegt werden, dann bleibt Zu Kosovo ist hier schon Stellung genommen wor- ein erheblicher Anteil der Bevölkerung nicht repräsen- den. Nur kurz fünf Punkte: tiert. Leider – auch das muss man sehr deutlich sagen – gelingt es den liberalen Oppositionsparteien nicht, ihre Erstens. Wir bedauern sehr, dass die Gespräche der Zerstrittenheit zu überwinden. Troika gescheitert sind. Eine verhandelte Lösung wäre für alle Beteiligten besser gewesen. (Beifall bei der FDP – Dr. Werner Hoyer [FDP]: Das ist in der Tat ein Jammer!) Zweitens. Wir müssen realistisch feststellen, dass es keinen Sinn macht, weiterzuverhandeln, wenn der Wille Als würde die Verschärfung des Wahlgesetzes zum zum Einvernehmen nicht da ist. Herr Ischinger hat wirk- Vorteil der Kreml-treuen Partei „Einiges Russland“ nicht 13582 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 129. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. November 2007

Dr. Andreas Schockenhoff (A) schon ausreichen, wird diese auch im Fernsehen deutlich denn dann würden wir genau das verspielen, was wir in (C) bevorzugt. Das völlig unverhältnismäßige Vorgehen der den letzten zwei Jahren gemeinsam wiederaufgebaut ha- russischen Staatsmacht – Sie, Herr Hoyer, und auch der ben, verehrter Herr Kollege, nämlich Vertrauen in die Außenminister haben das angesprochen – ist ein weite- deutsche Politik und Einfluss der deutschen Politik. res Beispiel dafür, dass die Duma-Wahlen nicht fair ver- Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. laufen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Was hat sich denn seit den letzten Wahlen verschlech- neten der SPD – Dr. Werner Hoyer [FDP]: tert, dass solche Maßnahmen notwendig sein sollen? Was wollte uns der Dichter damit sagen?) Tatsache ist doch, dass sich die Lage im Land gegenüber der Jelzin-Ära deutlich gefestigt hat. Dass Präsident Putin eine enorm hohe Zustimmung hat, wäre eher An- Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: lass für eine weitere Öffnung und mehr Toleranz gewe- Jetzt spricht Wolfgang Gehrcke für die Fraktion Die sen. Ein Staat, der das gesamte Potenzial der Fähigkeiten Linke. seiner Bürger aktivieren muss, braucht diese Öffnung. Er braucht mehr und nicht weniger unabhängige Medien Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE): und eine kritische Öffentlichkeit. Sie werden der Moder- Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! nisierung Russlands nicht schaden, sondern sie fördern. Herr Außenminister, ich glaube schon, dass man die Ge- Meine Damen und Herren, es ist gut, dass die Koali- fühle nach der Konferenz in Annapolis auf einen Be- tion in all diesen Fragen an einem Strang zieht griff bringen kann. Ich empfinde eine Skepsis des Ver- standes und eine Leidenschaft der Hoffnung. (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Zurufe von der CDU/CSU und der FDP: Oh! – NEN]: Wo das denn?) Dr. Andreas Schockenhoff [CDU/CSU]: Wie und dass sich die Kanzlerin und der Außenminister poetisch!) mehrmals mit NGO-Vertretern und Oppositionellen ge- – Ja, da können Sie auch einmal ein bisschen lernen. troffen und die Rückschläge bei der Demokratie und der Rechtsstaatlichkeit in angemessener Form angesprochen (Beifall bei der LINKEN – Gert Weisskirchen haben. [Wiesloch] [SPD]: In der Rede, die jetzt kommt?) Herr Außenminister, Sie haben zuletzt zum Vorgehen der Staatsorgane in Moskau und Sankt Petersburg ge- Skepsis des Verstandes und Leidenschaft der Hoffnung! sagt: Die Hoffnung kann man ganz einfach beschreiben: So- (B) lange verhandelt wird, wird hoffentlich nicht aufeinan- (D) Wir bestehen darauf, dass die Freiheit der Bericht- der geschossen. erstattung und die Meinungsfreiheit in Russland ge- währleistet werden. (Beifall bei der LINKEN) Herr Hoyer, diese Aussage ist klar und deutlich. Wir alle Ich möchte – das will ich dazusagen –, dass meine bestehen darauf. Das zeigt aber doch auch, wie konstru- Freundinnen und Freunde in Israel wieder ohne Furcht in iert und haltlos die Behauptungen sind, in der Koalition ein Café gehen können. Und ich möchte, dass sich meine stimmten die einen für eine Kooperation und die anderen Freundinnen und Freunde in Palästina einschließlich für eine Konfrontation mit Russland. Herr Außenminis- Gaza im eigenen Land frei bewegen können. ter, deshalb freue ich mich, dass wir beide gemeinsam (Beifall bei der LINKEN) alles unternehmen, um die Kontakte und Bindungen zwischen den Menschen in Deutschland und Russland Das ist meine Hoffnung in diesem Prozess. Diese Hoff- zu vertiefen und damit unsere Beziehungen auch für nung will ich ausdrücken. Wenn die Verhandlungen da- schwieriger werdende Zeiten belastbarer zu machen. hin führen – auf welchem Weg auch immer –, dann muss man sie unterstützen; dann muss man sie vorwärtstrei- Auf Unterstellungen wie „Schaufensterpolitik“ oder ben; dann muss man sie kritisieren. All das gehört dazu. „Russlandpolitik mit ängstlichem Blick auf die Schlag- Ich glaube, dass es dringend notwendig wird, dass end- zeilen der Presse“ sollten wir verzichten. Das sind nicht lich Klarheit über den Endstatus in Israel und Palästina nur sachlich falsche Vokabeln, sie helfen auch keinem herrscht. von uns in unserem gemeinsamen Bemühen, die Bezie- hungen zu Russland zu verbessern. Im Gegenteil: Bei Die Bundeskanzlerin hat vorhin davon gesprochen unseren Partnern werden dadurch Irritationen hervorge- – das fand ich sehr interessant –, dass die deutsche Au- rufen, die uns allen schaden, erst recht, da weder in der ßenpolitik auf Werte aufgebaut sei. Sache noch in den Zielen ein Gegensatz besteht. Es wäre (Lothar Mark [SPD]: Das ist zutreffend!) nicht gut, wenn nach außen der Eindruck entstünde, die Koalitionspartner verfolgten in der Außenpolitik unter- Ich halte es seit langem für notwendig, dass wir uns ein- schiedliche Ziele oder seien sogar gegeneinander auszu- mal grundlegender über die Philosophie der deutschen spielen; Außenpolitik und damit über Werte auseinandersetzen. (Dr. Werner Hoyer [FDP]: Der Eindruck ist Die Bundeskanzlerin hat zwei Werte genannt: Men- doch da! – Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE schenrechte und ökonomische Interessen. Das ist GRÜNEN]: Er ist schon entstanden!) – das will ich zugeben – schon einmal ein Fortschritt ge- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 129. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. November 2007 13583

Wolfgang Gehrcke (A) genüber Rot-Grün; denn Rot-Grün hat immer nur von dazu, dass ich mich darüber freue, wenn in lateinameri- (C) Menschenrechten gesprochen, aber völlig anders gehan- kanischen Staaten Energiequellen wieder verstaatlicht delt. werden. Das halte ich für dringend notwendig. (Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Beifall bei der LINKEN) NEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Zu- Zu einer solchen Außenpolitik würde gehören, dass ruf von der FDP: Wo er recht hat, hat er recht!) man endlich nicht nur über Abrüstung redet – der Au- Die Bundeskanzlerin gibt zumindest zu, dass ökonomi- ßenminister redet häufig darüber; das kritisiere ich gar sche Interessen Politik steuern. Das ist, finde ich, ein nicht; das finde ich sogar notwendig – und sich verbal Vorteil in Bezug auf die Wahrheitsfindung. dazu bekennt, sondern, um Abrüstung in Gang zu brin- gen, auch einseitige Abrüstungsvorschläge im eigenen (Beifall bei der LINKEN) Land verwirklicht. Allerdings werden Menschenrechte nach meinem Ein- (Beifall bei der LINKEN) druck mehr und mehr als Argument gebraucht, um öko- nomische Interessen zu verschleiern. Die Bundesregierung kann damit anfangen, indem sie fordert, dass endlich die amerikanischen Atomwaffen (Beifall bei der LINKEN) aus Deutschland abgezogen werden. Der ganze Krieg gegen den Terror ist im Kern, wenn (Beifall bei der LINKEN) die ganze ideologische Soße einmal weggenommen wird, nichts anderes als ein Krieg um Naturressourcen Schlussendlich: Außenpolitik ist – und das begrüße und geostrategische Macht in der Welt. Das ist der Kern ich – Gott sei Dank kein Privileg der Bundesregierung des Krieges gegen den Terror. oder anderer Regierungen mehr. Demokratisierung in der Außenpolitik heißt, dass die Bevölkerung selbst (Beifall bei der LINKEN) – genauso wie das Parlament – über die Außenpolitik Wenn man mit dieser Politik nicht bricht, wird man an- nicht nur mitredet, sondern auch mitentscheidet. dere Probleme nicht lösen können. (Beifall bei der LINKEN) Ich will Ihnen eine andere Philosophie der Außenpo- Das wäre unsere außenpolitische Philosophie. litik, wie sie mir und meiner Fraktion vorschwebt, ein wenig vorstellen. Ich möchte schon, dass endlich einmal Herzlichen Dank. wieder darüber nachgedacht wird, ob eine mit den Wor- (Beifall bei der LINKEN) ten „Deutschland verweigert den Kriegsdienst und be- (B) kennt sich zu sozialer globaler Gerechtigkeit“ umschrie- (D) bene Philosophie nicht eine andere und, wie ich denke, Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: bessere Philosophie der Außenpolitik wäre. Jetzt hat das Wort der Kollege Eckart von Klaeden für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der LINKEN – Zuruf der Abg. Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/ (Beifall bei der CDU/CSU – Jürgen Trittin DIE GRÜNEN]) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt sagen Sie einmal etwas zum Lob von Wolfgang Ein Pfeiler dieser Philosophie der ist für mich, dass Gehrcke!) man sich unbedingt dem Völkerrecht und der Charta der Vereinten Nationen verpflichtet und nicht, wie die Eckart von Klaeden (CDU/CSU): Bundesregierung das tut, funktional mit dem Völker- recht umgeht. Was Herr Schockenhoff hier zum Kosovo Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Kolle- gesagt hat, war nichts anderes als ein Aufruf zum Bruch gen! Mich hat gerade die außerordentlich erfreuliche der UN-Resolution 1244 und zum Bruch des Völker- Nachricht ereilt, dass die angesehene Zeitschrift Euro- rechtes. pean Voice, ein Produkt aus dem Hause des Economist, unseren Außenminister zum Diplomaten des Jahres ge- (Beifall bei der LINKEN – Zuruf des Abg. wählt hat. Herzlichen Glückwunsch! Dr. Andreas Schockenhoff [CDU/CSU]) (Beifall im ganzen Hause) Das wäre Völkerrecht nach Gutsherrenart, hat aber mit eigentlichem Völkerrecht überhaupt nichts mehr zu tun. Das mag den einen oder anderen den Umstand leichter ertragen lassen, dass die Bundeskanzlerin von derselben Ich möchte, dass wir darüber nachdenken, dass man Zeitschrift zur Regierungschefin des Jahres gewählt globale soziale Gerechtigkeit, die für mich Klima- und wurde. Energiepolitik einbezieht, nur dann durchsetzen kann, wenn man auch klar gegen die Macht der transnatio- (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU) nalen Konzerne Politik macht. Die Bundeskanzlerin hat vor einigen Wochen den Dalai Lama im Bundeskanzleramt empfangen. Sie ist (Beifall bei der LINKEN) dafür nicht nur von meiner Fraktion, sondern auch von Ohne das geht es einfach nicht. Die Welt ist nun einmal der demokratischen Opposition dieses Hauses gelobt kein Selbstbedienungsladen für die transnationalen Kon- worden. Sie hat damit das Wahlversprechen, das die zerne und für die USA. Ich bekenne mich ausdrücklich Sozialdemokraten in den Jahren 1998 und 2002 in den 13584 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 129. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. November 2007

Eckart von Klaeden (A) Tibetwahlprüfsteinen gegeben hatten, eingelöst, näm- Deswegen finde ich es bedauerlich, dass die Bundesre- (C) lich dass ein sozialdemokratischer Bundeskanzler den gierung auf dem jüngsten Jubiläumsgipfel der ASEAN Dalai Lama empfangen wird. Gerhard Schröder ist in Singapur nur durch einen Beamten und nicht durch ei- möglicherweise wegen der Verkürzung der letzten nen Staatsminister vertreten war. Es wäre besser gewesen, Wahlperiode dazu nicht mehr gekommen. Jedenfalls wenn wir dort auch eine politische Repräsentanz gezeigt wurden Termingründe angeführt, warum ein solches hätten; denn wir müssen bei allem Reden übereinander Treffen in den sieben Jahren seiner Regierung nicht darauf achten, dass sich der schleichende Prozess der Ent- stattgefunden hat. Umso erfreulicher ist, dass dieses so- fremdung der ASEAN-Staaten von Europa nicht fortsetzt, zialdemokratische Wahlversprechen nun von der christ- sondern in sein Gegenteil verkehrt wird. Dazu gehört zu- lich-demokratischen Bundeskanzlerin zur Mitte der Le- nächst einmal, dass auch solche Treffen angemessen gislaturperiode eingelöst wurde. wahrgenommen werden. (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordne- ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Der Streit, der sich in der Öffentlichkeit daran entzün- det hat, hat, glaube ich, auch etwas damit zu tun, wie man Das Vorgehen, die Zusammenarbeit mit den Demo- das Verhältnis zwischen Interessen und Überzeugungen in kratien in Asien zu konstituieren und auszubauen, weil der Außenpolitik beurteilt. Herr Gehrcke, Sie haben sich damit auch in Asien für ein stabileres Umfeld gesorgt gerade an Ausführungen dazu versucht. Ich will hier deut- werden kann – dahinter steht im Grunde die Binsenweis- lich sagen: Wir bekennen uns zu einer wertegeleiteten heit, dass Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Men- Realpolitik. Das heißt, Interessen und Überzeugungen schenrechte zu stabileren politischen Verhältnissen füh- sind nicht voneinander zu trennen. Wer glaubt, in der Au- ren –, ist nun als neokonservativ kritisiert worden. Ein ßenpolitik gehe es allein um Interessen, ist ein Zyniker. Kollege, der das tut, finde ich, weiß nicht, was neokon- Wer glaubt, in der Außenpolitik gehe es allein um Werte, servativ ist, und er hat relativ wenig Ahnung von Asien ist auf dem besten Wege, aus Enttäuschung ein Zyniker zu oder von Außenpolitik. Ihm würde ich empfehlen, aus- werden. Es ist das Wesen nicht nur, aber ganz besonders nahmsweise einmal eine längere Reise nach Asien zu der Außenpolitik, dass beides miteinander verbunden ist. unternehmen und die Heimreise erst wieder anzutreten, Verletzungen der Menschenrechte sowie der Prinzipien wenn er sich mit diesen Fragen wirklich beschäftigt hat. von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit stellen bei wei- Die neuseeländische Premierministerin Helen Clark je- tem nicht nur, aber auch Investitionshindernisse dar. Das denfalls, die jüngst in der Stadt war, hat am Montag öf- zeigt, wie sehr Prinzipien und Interessen miteinander ver- fentlich kundgetan, dass sie unsere Analyse und die bunden sind. Konsequenzen für die Asienpolitik ausdrücklich teilt. (B) (D) Menschenrechtspolitik braucht den nachhaltigen Wir setzen uns für bessere Beziehungen zu China ein. Einsatz hinter verschlossenen Türen. Aber ein solcher Wir stehen zur Ein-China-Politik. Wir haben ein Inte- Einsatz wird nur dann erfolgreich sein, wenn er von ei- resse am Erfolg Chinas, und wir befürworten, dass China nem glaubhaften öffentlichen Bekenntnis begleitet ist. eine größere, verantwortungsvolle internationale Rolle einnimmt. Es ist gerade das Nullsummendenken des (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Kalten Krieges, das das eine gegen das andere ausspie- neten der SPD) len will. Aber dazu gehört auch, dass wir China auf Au- genhöhe begegnen und dass wir darauf achten, dass zum Wer nicht bereit ist, sich öffentlich zu den Menschen- Beispiel der Handel, den wir mit China betreiben, nicht rechten in einer freien Gesellschaft zu bekennen und das asymmetrisch verläuft. an seinem Handeln erkennen zu lassen, der hat nicht nur nach chinesischem Verständnis sein Gesicht verloren. Während Chinas Exporte in die Europäische Union boomen, importieren 1,3 Milliarden Chinesen weniger Damit leite ich über zur Frage der Asienpolitik, die in aus Europa als 7,5 Millionen Schweizer. Dabei kann es der letzten Zeit auch eine Rolle gespielt hat: Meine Frak- nicht bleiben. Die beiden wesentlichen Gründe dafür tion hat einen Kongress zur Asienpolitik veranstaltet und sind zum einen die künstlich unterbewertete chinesische dazu ein Papier vorgelegt. Einer der wesentlichen Währung und zum anderen der chinesische Protektionis- Punkte dieses Papiers ist, dass wir uns von einem vor al- mus gegenüber dem Marktzugang europäischer und in- lem ökonomisch bestimmten Blick auf Asien lösen und ternationaler Unternehmen. Das kann so nicht weiterge- endlich die politischen, geopolitischen und sicherheitsre- hen. Auch das müssen wir ansprechen dürfen, genauso levanten Auswirkungen des Aufstiegs Asiens mitberück- wie Fragen der Menschenrechte, ohne dass man sich sichtigen müssen. Das heißt nicht weniger Ökonomie, gleich den Vorwurf einhandelt, neokonservativ zu sein sondern mehr Ökonomie. Das heißt nicht weniger China, oder die deutsch-chinesischen Beziehungen zu stören. sondern mehr China. Aber es heißt vor allem, dass wir uns nicht nur auf die Ökonomie und auf China konzen- Es gibt aber auch eine gute Nachricht, und die will ich trieren dürfen, sondern dass wir auch die anderen Länder ans Ende stellen. Der Parlamentarische Staatssekretär im der Region, insbesondere die demokratischen, stärker in Landwirtschaftsministerium Gerd Müller hat gerade eine unseren Fokus rücken müssen. Dazu gehören traditionell Vereinbarung zur engeren Zusammenarbeit in den Berei- demokratische Länder und Partner wie Japan, Südkorea, chen Lebensmittelsicherheit und Tier- und Pflanzenge- Indien und bestimmte ASEAN-Staaten, aber auch Aus- sundheit unterzeichnet und damit gezeigt, dass es in den tralien und Neuseeland. deutsch-chinesischen Beziehungen weitergeht. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 129. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. November 2007 13585

Eckart von Klaeden (A) Die guten Beziehungen, die auch im chinesischen In- gement folgt, also etwas, was den russischen Oppositio- (C) teresse sind, werden fortdauern. Wir alle werden uns, un- nellen, den Tibetanern am Ende wirklich hilft. seren Interessen, aber auch unseren Prinzipien folgend, dafür engagieren, dass sich die Beziehungen zu China (Lothar Mark [SPD]: Das geht aber nicht nur und zu Asien weiter gut entwickeln können. mit Konfrontation!) Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. Schließlich ist diese Politik nur dann glaubwürdig, wenn sie nicht doppelten Standards folgt. Man kann nicht ei- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- nerseits China und Russland laut kritisieren und anderer- neten der SPD) seits zu den Menschenrechtsverletzungen in Saudi-Ara- bien schweigen, wenn eine hochrangige Delegation hier Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: in Deutschland ist. Das ist eben nicht glaubwürdig. Jetzt hat Kerstin Müller für das Bündnis 90/Die Grü- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN nen das Wort. sowie bei Abgeordneten der FDP und der LIN- KEN) Kerstin Müller (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Nach- Ich glaube, wenn diese Linie in der Außenpolitik dem Herr Schockenhoff hier eher die große Einigkeit der nicht geklärt wird, dann wird eines jedenfalls sonnenklar großen Koalition beschworen – das würde ich sehr bedauern –: Es geht nicht mehr um den besseren Weg in der Menschenrechtspolitik, sondern (Markus Löning [FDP]: Der sieht schlecht!) es geht ab jetzt nur noch um Wahlkampf. und Herr von Klaeden die Kontroverse nochmal aufge- (Lothar Mark [SPD]: Es geht um Dialog!) macht hat, möchte ich vorweg einige Bemerkungen zur außenpolitischen Halbzeitbilanz dieser Bundesregie- Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist eine Zumutung rung machen. nicht nur für uns, sondern auch für die Wählerinnen und Wähler. Der Generalsekretär der SPD, Hubertus Heil, hat in der Tat pünktlich zur Halbzeitbilanz – Herr von Klaeden hat (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) es angesprochen – recht schwere Vorwürfe gegen die au- ßenpolitische Linie der Kanzlerin erhoben. Er wirft ihr Zu Nahost und Annapolis. Ob Annapolis nicht doch vor, mit der menschenrechtsorientierten Außenpolitik nur ein Fototermin war oder wirklich der Auftakt zu ei- letztlich eine knallharte Politik der Konfrontation gegen nem ernsthaften Verhandlungsprozess für eine Zweistaa- (B) gleich drei wichtige Partner Deutschlands – China, Russ- tenlösung – wir wünschen uns ja alle, dass es das ist –, (D) land und Türkei – zu verfolgen. Das sei eine Politik der muss wirklich erst noch die Zukunft zeigen. Sicher ist: „amerikanischen Neokonservativen“. Sie, Herr Außenmi- Im Moment ist das die einzige Chance für einen Prozess; nister, haben zu dieser Kontroverse heute hier natürlich da stimme ich Ihnen zu. Sicher ist allerdings auch, dass nichts gesagt, aber Sie haben der Kanzlerin an anderer beide Parteien, Abbas und Olmert, in ihren Gesellschaf- Stelle „Schaufensterpolitik“ in Sachen Menschenrechts- ten wenig Rückhalt für die Umsetzung substanzieller politik vorgeworfen. Fortschritte haben. In Israel sitzen die Gegner – sie ha- ben sich ja auch sofort zu Wort gemeldet – sogar in der Das ist, finde ich, wirklich starker Tobak. Das macht eigenen Regierung. Die Hamas mobilisiert mit Unter- vor allen Dingen deutlich, dass nicht nur in der Innenpo- stützung Irans Kräfte gegen eine Friedenslösung. Ich litik, sondern auch in der Außenpolitik der Großen Ko- glaube, deshalb ist es umso wichtiger, dass es schnell alition keine klare Linie erkennbar ist. Was gilt denn sichtbare Fortschritte – wie man so sagt – on the ground nun? gibt, also für Abbas in der Siedlungsfrage und für Olmert in der Frage der Sicherheit. (Erika Steinbach [CDU/CSU]: Richtlinien- kompetenz der Kanzlerin!) Die Last der Hauptvermittlung liegt bei den USA. Leider hat die Bush-Administration die Dinge zu lange Ich bitte wirklich darum, dass hier eine Klärung erfolgt treiben lassen. Sie setzt jetzt doch noch auf eine multila- und man nicht so tut, als seien Sie sich in den Grundli- terale Lösung. Aber der Zeitraum von einem Jahr, den nien einig. man sich zum Ziel gesetzt hat, ist sicherlich sehr knapp (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN bemessen, um sämtliche Kernfragen zu klären. Es wurde sowie des Abg. Dr. Werner Hoyer [FDP]) ja gestern angekündigt, dass es dabei um die Frage der Grenzen, der Siedlungen, die Jerusalemfrage und die Gilt jetzt also die Symbolpolitik der Kanzlerin oder Flüchtlingsfrage geht. Man muss Israel dazu bewegen eine Politik des sogenannten Dialogs, wie es Herr Heil – ich glaube, das ist ganz wichtig –, gerade während des genannt hat? Damit Sie mich nicht falsch verstehen: Ge- Verhandlungsprozesses klare Signale für einen Sied- rade in der Menschenrechtspolitik kann Symbolpolitik lungsstopp zu geben. Das ist für die moderaten Kräfte eine ganz wichtige Rolle spielen, auch wenn das hier um Abbas wichtig. Es geht aber auch um den Abbau von und da um den Preis wirtschaftlicher Profite geschieht. Checkpoints, die Freilassung von Gefangenen. All das Ich meine auch, dass sich deutsche Außenpolitik nicht könnte diese stärken. auf reine Außenwirtschaftspolitik beschränken darf. Aber wichtig ist auch, dass danach konsequentes Enga- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 13586 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 129. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. November 2007

Kerstin Müller (Köln) (A) Ein sehr wichtiger Schritt, vielleicht einer der wich- Die Geschlossenheit der internationalen Gemein- (C) tigsten, ist in der Tat die Tatsache, dass Syrien mit am schaft war bisher das zentrale Instrument. Ich will hier Tisch saß und hoffentlich auch in der Zukunft sitzt. sehr deutlich sagen: Ich glaube, dass eine Eskalations- rhetorik, wie wir sie von Vertretern der Bush-Adminis- (Lothar Mark [SPD]: Dafür hat der deutsche tration immer wieder hören, gefährlich und nicht der Außenminister sehr viel Vorarbeit geleistet!) richtige Weg ist. Ich bedauere sehr, dass es die Bundes- Das war ein Erfolg der deutschen Außenpolitik – das kanzlerin in den USA vorgezogen hat, zu dem leichtsin- will ich hier sehr klar sagen –, den wir auch sehr begrü- nigen Sinnieren von Bush über einen dritten Weltkrieg ßen. zu schweigen. Wir hätten hier deutliche Worte erwartet. Es gibt keine militärische Lösung. Es gibt im Iran-Kon- (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ flikt nur eine Verhandlungslösung. DIE GRÜNEN und der SPD) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Es muss nun gelingen – ich hoffe, dass Sie, Herr Außen- minister, da weiter die entsprechende Rolle spielen wer- Ein allerletzter Punkt. Wir dürfen im Atomstreit die den –, dass Israelis und Syrer an einen Tisch kommen. iranische Zivilgesellschaft nicht vergessen. Es gibt ge- Die Einbindung Syriens, seine schrittweise Loslösung rade hier eine ganz harte Repressionswelle. In der Atom- aus der Achse mit Iran ist wichtig für die gesamte regio- frage gibt es ein ermutigendes Signal aus der iranischen nale Entspannung und von absolut zentraler Bedeutung. Zivilgesellschaft: Die Menschenrechtsanwältin und Frie- densnobelpreisträgerin Schirin Ebadi hat eine Friedens- Gefragt ist aber auch weiter die EU. Was ist eigentlich gruppe gegründet, die sowohl vom Iran als auch von den ihre Rolle? Der EU-Aktionsplan war zwar richtig und USA die Einhaltung des internationalen Rechts fordert. gut – das habe ich auch mehrfach im Ausschuss gesagt –, Das zeigt meiner Meinung nach: Wir müssen im Atom- ich meine aber, er ist nicht ausreichend. Die EU muss streit jede Eskalationsrhetorik zurückweisen. Wir müs- klären, was sie zur Lösung der Kernfragen beitragen sen der iranischen Bevölkerung immer wieder glaubhaft kann, zum Beispiel, indem sie die Palästinenser stärker machen: Die UN-Sanktionen sind nicht gegen die irani- beim Aufbau eines effektiven Sicherheitsapparats – da sche Bevölkerung gerichtet. gibt es ja schon erste Ansätze – oder auch bei der ganz schwierigen Frage der Flüchtlingsrückkehr unterstützt. Könnte die EU nicht überlegen, schon jetzt einen Ent- Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: schädigungsfonds für diejenigen Palästinenser vorzube- Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Schluss. reiten, die – das wird ja die Mehrzahl sein – nach Israel nicht zurückkehren können? Kerstin Müller (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (B) (D) (Beifall des Abg. Wolfgang Gehrcke [DIE NEN): LINKE]) Nur so können wir das iranische Regime gemeinsam an den Verhandlungstisch bringen. Dabei könnte die Europäische Union eine eigene Rolle spielen. Danke. Wir erwarten ein aktives Engagement der Bundesre- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) gierung im weiteren Verlauf des Annapolis-Prozesses. Wir werben auch für eine eigenständige Rolle der Euro- Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: päischen Union dabei. Der Kollege Gert Weisskirchen hat jetzt das Wort für (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) die SPD-Fraktion. Die Situation in Gaza ist ganz klar einer der Stolper- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) steine. Ohne einen neuen innerpalästinensischen Dialog mit der Hamas wird es für Gaza und insgesamt keine Gert Weisskirchen (Wiesloch) (SPD): friedliche Lösung geben. Das müssen die USA und Is- Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! rael einsehen. Das hat überhaupt nichts mit Sympathien Ich finde, dass von Annapolis ein ganz ermutigendes für die Hamas zu tun. Ich glaube, wir kommen um die- Zeichen ausgeht. Es macht deutlich, dass die Betroffe- sen innerpalästinensischen Dialog nicht herum; sonst nen, also Palästina und Israel, nicht nur bereit sind, sich fliegt uns der gerade gestartete Friedensprozess gleich aufeinander zuzubewegen, sondern auch bereit sind, in wieder um die Ohren. bilateralen Gesprächen dafür zu sorgen, dass die wirkli- chen Konfliktpunkte jetzt angegangen werden können. Wir brauchen Fortschritte im Nahen Osten auch, um die arabischen Staaten in den diplomatischen Prozess zur Einer dieser Punkte, lieber Kollege Mark und liebe Lösung des Konflikts um das iranische Atompro- Kolleginnen und Kollegen aus dem Haushaltsausschuss, gramm einzubinden. Dieser Prozess geht im Dezember wird sein, dass den 500 Millionen Euro, die allein in die- auf der Grundlage der Berichte in eine neue Runde. Ich sem Jahr zur finanziellen Unterstützung der palästinensi- fordere die Bundesregierung hier dazu auf, weiterhin schen Autorität bereitgestellt werden, weitere konsequent im UN-Sicherheitsrat vorzugehen. Meiner 500 Millionen Euro hinzugefügt werden, und zwar spä- Meinung nach ist das jetzt das Gebot der Stunde. Gleich- testens am 17. Dezember, liebe Kollegin Müller, wenn zeitig erwarten wir neue Vorschläge für einen Kompro- – wohl in Paris – die Pledge-Conference stattfinden miss bei der Frage der Aussetzung. wird. Dort wird darüber nachzudenken sein, wie der Bei- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 129. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. November 2007 13587

Gert Weisskirchen (Wiesloch) (A) trag der Europäischen Union aussehen kann, damit die land – Herbert Kremp spricht auch von Indien – die neue (C) Chance besteht, dass der Prozess, der jetzt so wunderbar Machtkonstellation darstellen. Erhard Eppler spricht hier begonnen hat, Fuß greift und zu einem nachhaltigen von der multipolaren Weltordnung der Zukunft. wird. In der Tat, lieber Kollege von Klaeden, müssen wir Es geht jetzt darum, dafür zu sorgen, dass sich das ge- uns darüber verständigen, was diese neue Dynamik in je- samte regionale Umfeld auf den Frieden konzentriert, ner östlichen Region für uns bedeutet. Darauf gibt nachdem in den letzten sieben Jahren nichts geschehen Erhardt Eppler eine klare und, wie ich finde, überzeu- ist. Im Gegenteil: In den Regionen, in Palästina sind die gende Antwort: Wenn wir Europäer überhaupt eine Ängste eher größer geworden. Nicht vergessen werden Chance haben wollen, in dieser neuen Mächtekonstella- darf auch, dass auf Israel Kassam-Raketen abgefeuert tion unsere europäische Auffassung von Frieden, Ge- wurden und dort schreckliche Attentate stattgefunden rechtigkeit und Freiheit als ein Denkmodell durchzuset- haben. Diese Gewaltspirale kann jetzt unterbrochen wer- zen, dann müssen wir eine neue außenpolitische Debatte den. Dies ist allein schon ein ermutigendes Zeichen, das führen und darüber nachdenken, welchen eigenständigen uns von Annapolis übermittelt wird, liebe Kolleginnen Beitrag wir für ein neues Selbstverständnis von Außen- und Kollegen. politik leisten können. Nur so werden wir Europäer – wir können es nur gemeinsam – in dieser neuen Konstella- (Beifall bei der SPD sowie der Abg. tion überhaupt eine Stimme haben. Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]) Ich bitte darum, dass wir im Auswärtigen Ausschuss oder wo auch immer diesen Punkt ganz bewusst konzep- Wer einmal in die Erklärung geblickt hat, die Olmert tionell aufnehmen. Hier spielen nämlich Fragen der und Abbas abgegeben haben, wird erkennen, was Wer- Menschenrechte, der Freiheit und des Friedens eine ganz teorientierung der Außenpolitik bedeutet. Ich zitiere zentrale Rolle. Hans-Dietrich Genscher und Klaus daraus nur einen Satz: Kinkel in der Phase der Entspannungspolitik sowie Wir bringen unsere Entschlossenheit zum Aus- Joschka Fischer und jetzt Frank-Walter Steinmeier ha- druck, das Blutvergießen, das Leiden und die Jahr- ben dazu einen eigenständigen europäischen Beitrag ge- zehnte des Konflikts zwischen unseren Völkern zu leistet. Der historische Beitrag muss jetzt wieder aufge- beenden. griffen und an die neuen Erfordernisse angepasst werden. Die wesentliche Erkenntnis aus der Zeit des Was ist dies anderes als werteorientierte Außenpolitik? Kalten Krieges ist, dass die damalige Formel „Wandel Daran mitzuhelfen, dass die ineinander verhakten durch Annäherung“ im Osten Europas zu Freiheit und Ängste, die so viel Leid verursacht haben, nun ent- zur Einhaltung der Menschenrechte geführt hat. (B) krampft werden können und ein Prozess der Entspan- (D) nung vorangetrieben werden kann, das ist in praxi werte- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) orientierte Außenpolitik, nichts anderes. Wir sollten nicht über irgendwelche abstrakten Konstruktionen re- Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: den. Hier geht es um die Freiheit der Menschen sowie Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Ende. darum, dass sie ihr Menschenrecht auf die Gestaltung ei- nes unversehrten Lebens wahrnehmen können. Dafür Gert Weisskirchen (Wiesloch) (SPD): muss der Frieden so weit wie möglich von außen als Sta- Ich komme zum Schluss. – Es käme jetzt darauf an, bilitätsfaktor in die Region hineingebracht werden. Ge- eine neue Formel zu erfinden. Ich finde, dass der Außen- nau dies kann eine werteorientierte Außenpolitik leisten. minister an diesem Punkt konzeptionell richtig sagt, es Ich füge in aller Deutlichkeit hinzu: Erfunden wurde komme jetzt auf die Annäherung durch die Verflechtung dieser Prozess, der zur Roadmap führte, drüben im Au- der Gesellschaften, der Ökonomien und der Menschen ßenamt gemeinsam von Joschka Fischer und Gerhard untereinander an. Das ist die neue Aufgabe einer euro- Schröder. Die Erkenntnis von Condoleezza Rice und päischen Außenpolitik. George W. Bush hat darin bestanden, die Grundelemente (Beifall bei der SPD – Lothar Mark [SPD]: der Roadmap aufzunehmen und eine Roadmap plus zu Und damit dies wirkt, muss der Haushaltsaus- entwerfen. Dies ist werteorientierte Außenpolitik in der schuss diese Mittel bewilligen!) Kontinuität der rot-grünen Koalition und der gegenwär- tigen Koalition. Liebe Kolleginnen und Kollegen, lasst Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: uns dies nicht vergessen. Jetzt hat der Kollege Michael Link das Wort für die (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ FDP-Fraktion. DIE GRÜNEN) (Beifall bei der FDP) Ich komme nun zu einem weiteren Bereich werteori- entierter Außenpolitik. Schauen Sie sich bitte einmal die Michael Link (Heilbronn) (FDP): Artikel an, die heute Erhard Eppler in der Süddeutschen Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Auch Zeitung und Herbert Kremp in der Welt veröffentlicht ha- die FDP schließt sich pflichtschuldig gerne dem Glück- ben. Wenn man beide Artikel sehr genau liest und ihre wunsch zur Wahl zum Diplomaten bzw. zur Regierungs- Argumente auf den Kern reduziert, dann wird man Fol- chefin des Jahres durch European Voice an. Ich kann gendes feststellen: Beide sagen, dass China und Russ- mich allerdings nicht des Eindrucks erwehren, dass nur 13588 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 129. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. November 2007

Michael Link (Heilbronn) (A) das erste Halbjahr ausgezeichnet worden ist. Für das dungen anstehen. Sie betreffen zum einen die Ratifizie- (C) zweite Halbjahr muss ich für meine Fraktion leider fest- rung des Eigenmittelbeschlusses – diese Entscheidung stellen, dass sich der Bundesaußenminister und die Re- ist eher technisch, aber, weil es um sieben Jahre und um gierungschefin deutlich unter Wert verkaufen. Das klang immerhin 20 Milliarden Euro pro Jahr aus Steuermitteln in fast allen Redebeiträgen an; selbst in den Beiträgen geht, doch wichtig – und zum anderen das sehr wichtige der Koalitionsfraktionen schimmerte durch, dass die Un- Thema Revision des EU-Haushalts 2008/2009. terschiede zwischen diesen beiden Fraktionen immer deutlicher werden. Hierbei sollten wir als Bundestag dringend unsere neuen Rechte und die bis April laufende Konsultations- Unsere Partner in der EU und außerhalb fragen sich phase der Kommission nutzen und offiziell Stellung neh- bei den oftmals zwischen CDU/CSU und SPD bzw. men. Wir sollten diese Phase nicht verstreichen lassen, Kanzleramt und Auswärtigem Amt auseinanderlaufen- und wir sollten uns dann über die schwierige Frage un- den Stellungnahmen, was eigentlich Wahlkampf und terhalten, wie wir uns zu der Forderung Ihrer Kollegen was die deutsche Position ist. Das kann im deutschen In- aus CDU und SPD im Europäischen Parlament nach ei- teresse nicht so weitergehen. ner neuen Eigenmittelquelle in Form einer EU-Steuer stellen. Darauf bin ich schon gespannt. (Beifall bei der FDP) Die SPD hat beschlossen – ich habe diesen wunder- Mit der Russlandpolitik und der Chinapolitik sind schönen Parteitagsbeschluss mitgebracht –, für weniger schon entsprechende Beispiele genannt worden. Herr Zuweisungen aus dem nationalen Haushalt und den Weisskirchen hat das Thema Veränderung durch Ver- langfristigen Aufbau einer neuen Eigenmittelquelle zu flechtung erwähnt. Was dieses Thema angeht, kann ich plädieren. Das ist nichts anderes als die Art von EU- nur viel Spaß wünschen. Ich bin sehr gespannt auf die Steuer, die leider auch der konservative Berichterstatter Äußerungen seitens der CDU/CSU-Fraktion, wie man des Europäischen Parlaments Lamassoure anstrebt. Es russlandpolitisch an diesem Thema weiterarbeiten will. ist dringend erforderlich, dass sich der Bundestag hierzu Ich sehe intern sogar noch eine Verschärfung der Pro- äußert. Ich bin sehr gespannt, wie sich CDU und SPD bleme. bei diesem Punkt verhalten werden. (Dr. Werner Hoyer [FDP]: So ist es!) Herr Präsident, ich komme zum Schluss. – Wir von Wir können noch andere Beispiele nennen. Was das der FDP werden bei den wichtigen Themen des sehr wichtige Thema Türkei angeht, stelle ich fest, dass Jahres 2008 europapolitisch Kurs halten. Das gilt für den es in der Regierungskoalition leider fast diametral entge- EU-Haushalt, bei dem wir uns klar gegen eine EU- gengesetzte Positionen gibt. Das Ergebnis ist, dass wir Steuer aussprechen, und natürlich für die Ratifizierung (B) leider in diesem Bereich die Entwicklung in Brüssel des neuen EU-Vertrags, wo wir an der Seite der Bundes- (D) nicht mitbestimmen, sondern andere die Debatte bestim- regierung stehen; dieser Vertrag muss zügig ratifiziert men. Das kann und darf nicht so weitergehen, vor allem werden. deshalb, weil angesichts einer nach oben hin entwick- Vielen Dank. lungsfähigen portugiesischen Präsidentschaft – wir ha- ben nicht mehr viel Zeit, wir hätten von dieser Präsident- (Beifall bei der FDP) schaft mehr erwartet – dringend erforderlich wäre, dass Deutschland gemäß seinem Gewicht aktiv bleibt und das Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Wort Triopräsidentschaft mit Leben füllt. Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun Kollegin Erika Ich denke, wir alle haben uns unter Triopräsident- Steinbach das Wort. schaft etwas mehr vorgestellt. Wir wissen zwar, dass das (Beifall bei der CDU/CSU) nicht über Nacht möglich ist – es ist die erste Triopräsi- dentschaft –, aber wir hoffen, dass Deutschland zumin- Erika Steinbach (CDU/CSU): dest unter der so wichtigen slowenischen Präsidentschaft wieder eine stärkere Rolle spielen wird. Das ist notwen- Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kolle- dig; denn gerade die Ratifizierung und viele andere gen! Deutsche Außenpolitik muss natürlich Interessen- wichtige Themen sind noch lange nicht über dem Berg. politik sein. Wer aber glaubt, dass deutsches Interesse Um nur das Beispiel der EU-NATO-Kooperation zu nen- sich nur an vollen Auftragsbüchern orientieren darf, der nen: Dies ist ein harziges und schwieriges Thema, das irrt wirklich fundamental. Geld stinkt nicht, pecunia non vielen nicht gefällt, aber wir brauchen diese Kooperation olet, heißt es leider häufig genug sehr lapidar. Geld dringend. schreit auch nicht, wenn es auf dem Rücken gequälter Menschen verdient wird. Wir in diesem Hause haben Wir brauchen die Fortentwicklung der Berlin-Plus- aber die Verpflichtung, diese Schreie zu hören. Vereinbarung. In diesem Bereich liegt vieles im Argen. Auch hier ist in der Diskussion Führerschaft aus Berlin Auch eingehaltene Menschenrechte liegen im deut- gefordert. Man kann viel entwickeln, auch wenn man schen Interesse. Bei deren Verletzung sollten die interna- nicht die EU-Präsidentschaft innehat. tionalen Spielregeln, nach denen man sich zu richten hat, für alle deutlich gemacht werden. Das ist auch im Inte- Es hat gute Tradition, auch das Thema EU-Haushalt resse der deutschen Wirtschaft; das will ich ganz deut- kurz anzusprechen. Es ist sehr wichtig, dies zu themati- lich sagen. Denn wer Menschenrechte verletzt, der ver- sieren, weil im nächsten Jahr zwei wichtige Entschei- letzt auch ohne Hemmungen andere Regeln – Stichwort: Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 129. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. November 2007 13589

Erika Steinbach (A) Produktpiraterie. Wir müssen Menschenrechte immer Erika Steinbach (CDU/CSU): (C) wieder von allen einfordern, die sich mit uns einlassen: Gerne. gegen Einschüchterungen, gegen Verheißungen anderer Vorteile, gegen Versuchungen. Um aber glaubwürdig Gert Weisskirchen (Wiesloch) (SPD): Menschenrechte durchzusetzen, muss man die Falsch- spieler dieser Welt an ihre Verpflichtung auf die Regeln Frau Kollegin Steinbach, wie bewerten Sie, dass der der UNO erinnern und schließlich auch ihre Verfehlun- vormalige Bundeskanzler Gerhard Schröder – Sie haben gen benennen. ihn eben erwähnt – den Menschenrechtsdialog mit China dadurch befördert hat, dass unter seiner Kanzlerschaft (Beifall bei der CDU/CSU) Jürgen Habermas nach China gereist ist und dort in un- terschiedlichen Debatten an Universitäten genau diesen Es nützt doch nichts, so zu tun, als bemerkte man die Gedanken kontrovers mit einer ganzen Reihe von Mit- gezinkten Karten der anderen nicht. Das Risiko muss auf streitern und Mitdiskutanten dargestellt hat? der Seite der Menschenrechtsverletzer liegen. Ihre Stärke gegen die Schwachen und Hilflosen zu Hause muss am Ende aber auf dem diplomatischen Parkett ihre Erika Steinbach (CDU/CSU): Schwäche sein. Das funktioniert aber nur dann, wenn die Ich stelle fest, dass dies in der Weltöffentlichkeit nicht Vertreter der demokratischen Werte und der Menschen- wahrgenommen wurde. rechte willens sind, dies auch öffentlich und gemeinsam deutlich zu machen. (Lothar Mark [SPD]: Das ist aber ein Problem der Medien!) Genau das hat deutsche Außenpolitik zu leisten, und die Bundeskanzlerin tut das nachdrücklich, sehr offensiv Aber ich stelle auch fest, dass der Empfang des Dalai und vorbildlich. Lama durch die Bundeskanzlerin Merkel überall auf dem Globus deutlich wahrgenommen wurde. Gerhard (Beifall bei der CDU/CSU) Schröder hat sich geweigert, den Dalai Lama im Kanz- leramt zu empfangen. Das ist ein Signal. Sie weiß um die Schwäche herrschender Unrechtssys- teme, denn sie kennt die Schwäche solcher Systeme aus (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) persönlicher Erfahrung und weiß auch, an welchen Punkten man nicht nachgeben darf. Es geht nicht nur darum, dass ein ehemaliger Bundes- kanzler der jetzigen Regierungschefin im Ausland derart Deshalb, Herr Außenminister, seien auch Sie beherzt, in den Rücken fällt, sondern auch darum – Herr Kollege wenn es um die Verteidigung der Menschenrechte geht Weisskirchen, letzten Endes denken Sie nicht anders da- (B) und um die Forderungen derjenigen, die Opfer von Men- rüber –, dass damit all denjenigen Menschen und Orga- (D) schenrechtsverletzungen geworden sind. Gerade eine nisationen, die sich weltweit für die Menschenrechte en- aufrechte Haltung erzielt Wirkung beim Gegenüber. gagieren, ein Schlag ins Gesicht versetzt wird. Dies Werte sind letzten Endes mächtiger als Geld. schmerzt doch diejenigen, die sich tagtäglich ehrenamt- lich für andere einsetzen. Der Dalai Lama ist die Inkarnation der Friedfertig- keit und der Gewaltlosigkeit. Ihn in der deutschen Ich bin sehr dafür, dass wir über das Wie in der Men- Hauptstadt zu empfangen, war in der Tat ein richtiges schenrechtspolitik eine ernsthafte Debatte führen. Aber Zeichen, und dafür gebührt der Bundeskanzlerin unser eine solche ernsthafte Debatte kann nur gelingen, wenn aller Respekt. Einen solchen Mann empfängt man nicht wir in Deutschland gemeinsam vorgehen und wenn diese verschämt im Hinterstübchen, sondern, wie es Angela Diskussion nicht von vornherein erschwert wird. Merkel getan hat, vor aller Welt im Kanzleramt. Das war richtig, und das war ein Zeichen nach außen. Herr Außenminister, Sie sind ein liebenswürdiger und freundlicher Mensch. Deshalb kann ich mir vorstellen, (Beifall bei der CDU/CSU) dass es schon schwerfällt, Ihrem früheren Chef öffent- Von daher habe ich durchaus ziemlich fassungslos die lich entgegenzutreten, wenn er die Kanzlerin ins Visier offene Kritik des Altbundeskanzlers Schröder zur nimmt. Ich hätte mir schon gewünscht, Sie hätten dazu Kenntnis genommen, mit dem Empfang des Dalai Lama lieber gar nichts gesagt. habe die Kanzlerin chinesische Gefühle verletzt, und er (Dr. Ditmar Staffelt [SPD]: Sie hätten Ihre sei unglücklich über das Verhalten seiner Nachfolgerin. Rede besser auch nicht halten sollen!) Er sollte doch einmal nach den Gefühlen derjenigen fra- gen, die in China in Lagern für die ganze Welt schuften Autoritäre Regime, die Menschenrechte missach- und billig das produzieren, was hier verkauft wird. Er ten, sind selten verlässliche Partner; das können wir sollte diejenigen befragen, die wegen der Olympischen deutlich feststellen. Daher kann ich – erst recht vor Spiele aus ihren Häusern vertrieben wurden. Er sollte die dem Hintergrund der leidvollen europäischen Erfahrun- Christen fragen, die ihren Glauben nur geheim leben gen im 20. Jahrhundert – jeden vor einer neuen Politik können – wenn sie dem Staat nicht willfährig sind. des Appeasement nur ausdrücklich warnen; denn am Ende zahlen nämlich wir alle den Preis. Dann werden uns die fehlenden Menschenrechte teuer zu stehen Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: kommen. Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Weisskirchen? (Beifall bei der CDU/CSU) 13590 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 129. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. November 2007

(A) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Nahverkehrs und der Bahnen, der Wasserversorgung und (C) Das Wort hat nun Kollege Hakki Keskin für die Frak- der Energie. Sie wollen, dass die EU nicht militärisch, tion Die Linke. sondern mit präventiven und zivilpolitischen Strategien und Maßnahmen zu der Lösung von Konflikten wie auf (Beifall bei der LINKEN) dem Balkan, in Afrika und überall in der Welt einen maßgeblichen Beitrag leistet. Dr. Hakki Keskin (DIE LINKE): Ich komme zum Schluss. Die EU steht auch nach der Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die deutschen Ratspräsidentschaft vor dem ungelösten Zy- Kritik der Linken an der Europäischen Union und vor al- pern-Problem. Dieser Konflikt spielt auch in den Bezie- lem am EU-Reformvertrag wird nicht selten als eine an- hungen der EU zur Türkei eine wichtige Rolle. Die Zy- tieuropäische Haltung verstanden. Dies ist eine nicht ak- pern-Frage müsste mit Bewegung aller Seiten friedlich zeptable, vielleicht sogar gewollt falsche Interpretation. gelöst werden. Dabei darf vor allem die Wiedervereini- Deshalb möchte ich hier unterstreichen: Selbstver- gung der Insel nicht aus den Augen verloren werden. ständlich sind wir für die Europäische Union, weil wir Ich danke Ihnen. den Frieden und die freundschaftlichen Beziehungen vor allem der europäischen Integration verdanken, weil die (Beifall bei der LINKEN) EU durch den Wegfall der Binnengrenzen und Grenz- kontrollen engere Beziehungen ermöglicht und Reise- Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: möglichkeiten bequemer gestaltet hat und weil die EU Ich erteile das Wort Kollegen Thomas Bareiß, CDU/ den Bürgern durch Harmonisierungsmaßnahmen beim CSU-Fraktion. Verbraucherschutz und insbesondere durch das Antidis- kriminierungsgesetz zumindest ein bestimmtes Maß an (Beifall bei der CDU/CSU) Schutz gewährt hat. Thomas Bareiß (CDU/CSU): Die berechtigten Erwartungen der Menschen an die EU gehen jedoch viel weiter. Sehr große Teile der Be- Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und völkerung in den EU-Staaten wollen zu Recht keine EU, Herren! Lassen Sie mich zum Schluss dieser Debatte be- in der eine Rette-sich-wer-kann-Mentalität im Geiste der tonen, wie erfolgreich gerade die Europapolitik der Bun- neoliberalen Politik zur Rechtsgrundlage wird. desregierung in den letzten zwölf Monaten war; das war aber nicht selbstverständlich. Ich habe zur Vorbereitung Sie wollen keine EU, in der eine Laisser-faire-Politik des heutigen Tages noch einmal die Reden der letzten die sozial Benachteiligten in der Gesellschaft zuneh- Haushaltsdebatte hervorgeholt. Damals wurde klar und (B) mend an den Rand der Gesellschaft drängt. Sie wollen deutlich gesagt, vor welch schwieriger Situation wir (D) keine EU, in der eine permanente Umverteilung von un- standen und welch hohe Erwartungen es gab. Jetzt zeigt ten nach oben stattfindet. Sie wollen keine EU, in der die sich, wie viel wir erreicht haben. Arbeitslosigkeit zu einer Dauerkrankheit der EU-Länder wird. Sie wollen keine EU, in der fehlende Mindeststan- Am 13. Dezember dieses Jahres werden die Staats- dards für Lohn-, Steuer- und Sozialdumping missbraucht und Regierungschefs in Lissabon den EU-Grundlagen- werden. Sie wollen keine EU, in der knapp die Hälfte der vertrag unterzeichnen. Gerade heute sollte darauf hin- Haushaltsmittel – das waren im Jahr 2007 42,7 Milliar- gewiesen werden, dass dies nicht möglich gewesen den Euro – für Subventionen in die Landwirtschaft wäre, wenn unsere Bundeskanzlerin Angela Merkel in fließt, damit unter anderem die preisgünstigeren Pro- der Nacht vom 22. Juni 2007 in Brüssel nicht für diesen dukte aus den Entwicklungsländern keinen Zugang in Vertrag gekämpft hätte. Das kann man nicht oft genug den Markt der EU finden. sagen. (Beifall bei der CDU/CSU) Was wollen die meisten Menschen in der EU? Sie wollen neben einem friedlichen vor allem ein soziales Natürlich gibt es Punkte – der Außenminister hat es Europa. gesagt –, die wir uns anders gewünscht hätten: Symbole wie eine Flagge und eine Hymne, auch ein gemeinsamer (Beifall bei der LINKEN) Wertekanon. Wir haben dennoch enorm viel erreicht. Sie wollen, dass der Sozialstaat und die sozialen Siche- Jetzt gilt es, diesen Vertrag umzusetzen. Am 1. Januar rungssysteme EU-weit als Verfassungswerte anerkannt 2009 wird der Grundlagenvertrag in Kraft treten. Ich und durch die Politik umgesetzt werden. Sie wollen die würde mir wünschen, dass Deutschland vorangeht und Einführung von sozialen, steuerlichen und ökologischen den Vertrag schnell ratifiziert. Die CDU/CSU-Bundes- Mindeststandards, damit die soziale Gerechtigkeit als tagsfraktion wird ihren Teil tun, damit wir im Parlament gesellschaftspolitisches Ziel nicht verloren geht. Sie in den ersten drei Monaten des kommenden Jahres vo- wollen, dass die Europäische Zentralbank eine Finanz- rankommen. politik für mehr Wachstum und Beschäftigung verfolgt. Sie wollen, dass es keine Marktbeherrschung und keinen Ich möchte einen weiteren Punkt aufgreifen, der in Marktmissbrauch gibt, wie wir sie in jüngster Zeit im den letzten sechs Monaten sehr erfolgreich behandelt Energiesektor beim Erdöl, Erdgas und Strom beobach- wurde. Klimaschutz ist ein Erfolgsthema der deutschen ten. Sie wollen keine Privatisierung der Bereiche der öf- EU-Ratspräsidentschaft geworden. Die EU hat sich un- fentlichen Daseinsvorsorge, wie die des öffentlichen glaublich ambitionierte Ziele gesetzt. Deutschland geht Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 129. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. November 2007 13591

Thomas Bareiß (A) mit gutem Beispiel voran. Wie wir gestern in der Finan- Wir brauchen konkrete Handlungsfelder, um den Men- (C) cial Times lesen konnten, hat Deutschland in den letzten schen zu zeigen, dass Europa etwas bewirken kann. 15 Jahren den CO -Ausstoß um mehr als 16 Prozent re- 2 Herzlichen Dank. duziert. Demgegenüber stieg der Ausstoß in Frankreich um fast 6 Prozent, (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der SPD) (Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Mit Atomkraft! Darüber soll- ten Sie einmal nachdenken!) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Ich schließe die Aussprache. Spanien hat sogar mehr als 60 Prozent draufgelegt. Ich Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 05 glaube, es ist richtig, dass die Bundeskanzlerin, Angela – Auswärtiges Amt – in der Ausschussfassung. Hierzu Merkel, diese Woche betont hat, dass auch die anderen liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der FDP vor, EU-Staaten verpflichtet sind, Klimaschutzmaßnahmen über den wir zunächst abstimmen. Wer stimmt für diesen durchzuführen und die entsprechenden Klimaschutzziele Änderungsantrag auf Drucksache 16/7313? – Wer anzustreben. stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Änderungsan- Klimaschutz ist das eine, Energie- und Rohstoff- trag ist mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD gegen sicherheit sind das andere. In den nächsten Jahren wer- die Stimmen der drei Oppositionsfraktionen abgelehnt. den wir einen enorm hohen Rohstoffverbrauch haben. Wer stimmt nun für den Einzelplan 05 in der Aus- Allein in Europa wird der Gasbedarf in den nächsten schussfassung? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – 25 Jahren um 80 Prozent steigen. Diesen enormen Zu- Der Einzelplan ist mit den gleichen Mehrheitsverhältnis- wachs müssen wir decken. Wir müssen schauen, woher sen wie zuvor angenommen. wir Gas und Öl bekommen. Deshalb werden europäische Projekte wie die Nabucco-Pipeline enorm an Bedeutung Ich rufe den Tagesordnungspunkt II.11 auf: gewinnen. Lieber Kollege Michael Link, auch das Part- Einzelplan 14 nerschafts- und Kooperationsabkommen mit Russland Bundesministerium der Verteidigung ist ganz zentral und muss die Aufmerksamkeit unserer Politik erfahren. – Drucksachen 16/6413, 16/6423 – Berichterstattung: Lassen Sie mich aus aktuellem Anlass einige Anmer- Abgeordnete Johannes Kahrs kungen zum Thema Galileo machen. Das System, das Susanne Jaffke als Alternative zum amerikanischen GPS gedacht ist, Bartholomäus Kalb (B) muss zum Lackmustest der europäischen Industrie-, (D) Jürgen Koppelin Wirtschafts- und Forschungspolitik werden. Es wird ins- Dr. Gesine Lötzsch gesamt etwa 3,4 Milliarden Euro kosten. Nach heutigem Alexander Bonde Stand wird es mit Mitteln aus dem EU-Haushalt finan- ziert werden. Für mich ist das die zweitbeste, man kann Zum Einzelplan 14 liegt ein Änderungsantrag der auch sagen: drittbeste Lösung. Es ist aber wichtig, dass Fraktion der FDP vor. Außerdem liegt ein Entschlie- wir dieses Zukunftsprojekt auf europäischer Ebene reali- ßungsantrag der Fraktion Die Linke vor, über den wir am sieren. Bei der morgigen Verkehrsministerkonferenz Freitag nach der Schlussabstimmung abstimmen wer- wird es darum gehen, dass deutsche Firmen eine faire den. Chance erhalten, an diesem Projekt beteiligt zu werden. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für Wir nehmen unseren Verkehrsminister in die Pflicht. die Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. – Ich (Beifall bei der CDU/CSU) höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Die globalen Herausforderungen der nächsten Jahr- Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort Kol- zehnte können aber nicht in Europa allein gelöst werden. legin Elke Hoff, FDP-Fraktion. Europa braucht weitere Partner. Der europäische Binnen- (Beifall bei der FDP) markt, der ein Erfolgsmodell ist, muss erweitert werden. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion sieht in der Vertie- Elke Hoff (FDP): fung der transatlantischen Wirtschaftsbeziehungen eine Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! enorme Zukunftsperspektive. Die USA und Europa sind Liebe Kollegen! Der Einsatz der Bundeswehr in Afgha- wirtschaftlich stark miteinander verflochten. 40 Prozent nistan geht nunmehr in sein siebtes Jahr, und eine politi- des globalen Welthandels laufen über diese beiden Kon- sche Lösung für diesen Konflikt liegt für uns alle er- tinente. Ich glaube, es muss unser aller Anliegen sein, kennbar in weiter Ferne. Obwohl die Auslandseinsätze diese wirtschaftlichen Potenziale zu nutzen – im Inte- der Bundeswehr inzwischen deren wichtigste Aufgabe resse der Menschen und der Wirtschaft. darstellen und sie die Hauptlast der außenpolitischen Wir haben zwar viel erreicht, es gibt aber noch viel zu Entscheidungen zu tragen hat, wird den Soldatinnen und tun. Wir müssen die Menschen beim Thema Europa mit- Soldaten im Einsatz wieder nicht die Ausrüstung zur nehmen. Verfügung gestellt, die sie dringend benötigen. Damit ist dieser Verteidigungshaushalt erneut ein Armutszeugnis (Holger Ortel [SPD]: Das ist wohl wahr!) für diese Bundesregierung. 13592 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 129. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. November 2007

Elke Hoff (A) (Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/ (Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (C) DIE GRÜNEN – Kurt J. Rossmanith [CDU/ NEN]: Ja, so ist der Minister!) CSU]: Völlig falsch!) Wenn das, was im Einsatz benötigt wird, Priorität haben Alles bleibt beim Alten. Zu viele Großprojekte wer- soll, muss dies unverzüglich beschafft werden. den an der Einsatzrealität vorbei beschafft oder neu auf Ähnlich unbefriedigend ist immer noch die Ausstat- den Weg gebracht, sodass keinerlei Spielräume gewon- tung im Einsatz mit geschützten Fahrzeugen. Auch hier nen werden können, um planerisch sinnvoll nachzusteu- tut der Minister öffentlich immer so, als sei alles zum ern. Weil aber die Bundeswehr ihre Handlungsfähigkeit Besten. Sie haben behauptet, dass auf dem Markt verfüg- im Einsatz erhalten muss, hat die FDP in den Haushalts- bare Fahrzeuge mit höherem Schutzniveau über den ein- beratungen eine Vielzahl von konstruktiven Änderungs- satzbedingten Sofortbedarf in erheblichem Umfang be- anträgen gestellt. schafft werden. Die Anzahl der Fahrzeuge, deren Wir haben unter anderem beantragt, bei der Beschaf- Schutzwirkung unterhalb des geforderten Schutzstan- fung des Transportflugzeuges A400M die Stückzahl dards liegt, sollte kontinuierlich verringert werden, und von 60 auf 49 zu reduzieren. Wir haben weiterhin bean- sie sollten durch geschützte Fahrzeuge ersetzt werden. tragt, eine angemessene Reduzierung des dritten Loses Die Antwort der Bundesregierung auf unsere Kleine des Kampfflugzeuges Eurofighter bzw. dessen Weiter- Anfrage hat jedoch ergeben, dass heute weniger ge- veräußerung an Dritte zu prüfen. Wir haben außerdem schützte Fahrzeuge in Afghanistan im Einsatz sind als beantragt, die Beteiligung am Entwicklungsprogramm im November 2006. Nach Abzug des Mungo verbleiben des Raketenabwehrsystems MEADS zu beenden, den 117 Fahrzeuge im Einsatz, die nach Ihrer Definition den Feldlagerschutz umfassend zu verbessern, den durch die Schutzanforderungen genügen. Das sind gerade einmal Bundesregierung ermittelten Bedarf an geschützten 20 Prozent der in Afghanistan insgesamt eingesetzten Fahrzeugen unverzüglich zu berücksichtigen und den In- Fahrzeugflotte. vestitionsstau in den Bundeswehrkasernen West zügig zu beseitigen. Sie wissen, dass das Patrouillenfahrzeug Wolf keinen ausreichenden Schutz bietet und deshalb schnellstmög- (Beifall bei der FDP) lich durch ein Nachfolgemodell abgelöst werden muss. Das alles haben Sie mit Koalitionsmehrheit abgelehnt. Das war auch das erklärte Ziel der Bundesregierung. Leider hat man für den Wettbewerb in dieser Fahrzeug- Bei SPD- und Unionsfraktion scheint darüber hinaus klasse Kriterien festgelegt, die niemand erfüllen kann. die linke Hand leider nicht zu wissen, was die rechte tut. Die Entscheidung über ein Nachfolgefahrzeug musste Während alle Fachpolitiker im Verteidigungsausschuss (B) daher erst einmal ausgesetzt werden, sodass die Bundes- (D) aus gutem Grund beschlossen haben, unverzüglich ein wehr mindestens ein weiteres Jahr verliert, bis geeignete effektives und am Markt verfügbares Schutzsystem ge- Fahrzeuge beschafft werden können. gen Sprengfallen zu beschaffen und trennungsgeldbe- rechtigten Soldatinnen und Soldaten mit Wohnung am Herr Minister, nehmen Sie die Einsatzrealität endlich Dienstort das Trennungsübernachtungsgeld für die ge- zur Kenntnis! Sonst wird Ihre Bilanz am Ende dieser Le- samte Dauer eines Auslandseinsatzes von vier Monaten gislaturperiode noch düsterer ausfallen als Ihre magere zu zahlen, haben Ihre Haushaltspolitiker diesen wichti- Halbzeitbilanz zum jetzigen Zeitpunkt. gen Vorhaben die Zustimmung verweigert. So bleibt al- (Beifall bei der FDP) les, wie es ist. Ein Ehrenmal fernab von Parlament und Öffentlichkeit (Dr. Werner Hoyer [FDP]: Mehr als ärgerlich!) und ein Weißbuch, das in der Schublade verstaubt, rei- Der Steuerbürger zahlt im Jahr 2008 pro Tag beinahe chen als Erfolgsbilanz für dieses Amt leider nicht aus. doppelt so viel für die Kostensteigerungen beim Euro- Vielen Dank. fighter wie im gesamten Jahr 2008 für die Beschaffung von überlebenswichtigen Störsendern. Das ist unverant- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten wortlich, da Sprengfallen die tagtägliche Bedrohung für des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) das Leben unserer Soldatinnen und Soldaten im Einsatz sind. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Herr Minister, ziemlich genau vor einem Jahr ver- Ich erteile das Wort Kollegin Susanne Jaffke, CDU/ suchten Sie den Eindruck zu erwecken, die Störsender CSU-Fraktion. für die geschützten Fahrzeuge würden unverzüglich be- schafft. Sie haben in einem Schreiben an mich vom Susanne Jaffke (CDU/CSU): 29. Januar dieses Jahres in Aussicht gestellt, dass der Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bedarf für den Einsatz in Afghanistan schon ab der ers- Frau Kollegin Hoff, ich werde auf das, was Sie gesagt ten Jahreshälfte 2007 gedeckt werden soll. Was ist seit- haben, nicht näher eingehen. Eines muss ich Ihnen aller- her geschehen? Zur Erprobung wurde für jeweils drei dings sagen: Das, was die FDP von sich gibt, ist zum Fahrzeugtypen ein Probeexemplar bestellt. Momentan Teil ein Widerspruch in sich. Auf der einen Seite wollen befinden sich einige wenige Störsender im Zulauf. Erst Sie 148 Millionen Euro einsparen; dazu haben Sie im ab 2009 werden der Bundeswehr erwähnenswerte Stück- Haushaltsausschuss viele Anträge gestellt. Auf der ande- zahlen zur Verfügung stehen. Das ist nicht akzeptabel. ren Seite beklagen Sie, was alles nicht getan wird; das ist Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 129. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. November 2007 13593

Susanne Jaffke (A) so übrigens auch nicht richtig. Ihre Kritik halte ich für Lassen Sie mich, liebe Kolleginnen und Kollegen, nur (C) nicht gerechtfertigt. einige wenige ausgewählte Schwerpunkte benennen, für die dieser Etat parlamentarisch gestaltet wurde. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Elke Hoff [FDP]: Manches geht auch ohne finanzi- Zuerst ist die Erhöhung des Wehrsoldes um 2 Euro elle Anstrengungen!) pro Tag zu nennen. Sie wird ab 1. Januar 2008 gelten Gestatten Sie mir zu Beginn meiner Ausführungen und die Attraktivität der Bundeswehr weiter steigern. ein persönliches Wort des Dankes. Ich möchte mich bei den Mitarbeitern des BMVg insgesamt und vor allen (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Dingen bei den Mitarbeitern der Haushaltsabteilung be- Seit neun Jahren ist das Einkommen der Personengruppe danken, die allen Berichterstattern in gewohnter Zuver- der Grundwehrdienstleistenden und der freiwillig länger lässigkeit die gewünschten Informationen zeitnah zur dienenden Wehrpflichtigen nicht mehr gestiegen. Die Verfügung gestellt haben. Danken möchte ich ganz per- Große Koalition realisiert die Erhöhung nun, und – wie sönlich auch dem aus dem Amt scheidenden Staatssekre- ein geflügeltes Wort sagt – das ist auch gut so. tär Dr. Eickenboom, (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) neten der SPD) der aus vielen Verwendungen, unter anderem als Sekre- Als zweiten Schwerpunkt möchte ich das Sonderpro- tär des Haushaltsausschusses, die freundlichen Macken gramm „Sanierung der Kasernen West“ nennen. Da- der Haushälter gut kennt und daher oft schon im Vorfeld mit sollen durch zusätzlich 116 Millionen Euro gezielt anstehender Beschaffungsvorhaben durch intensive, of- große und kleine Baumaßnahmen realisiert werden, was fene Information so manche Woge zwischen den Ent- ein durchaus ehrgeiziges Ziel ist. Sicher sind immer scheidern in der Regierungskoalition und in der Opposi- noch größere Summen vorstellbar oder wünschenswert. tion zu glätten half. Aber alle Summen, die bewilligt werden, müssen auch An dieser Stelle möchte ich kurz auf einen netten Ar- realisierbar sein. Wer weiß, dass bei Baumaßnahmen mit tikel hinweisen, der gestern in der Financial Times den jeweiligen Landes- oder Staatshochbauverwaltun- Deutschland erschien. Er hatte die Überschrift „Die gen zusammengearbeitet werden muss, der weiß auch, heimlichen Herrscher des Geldes“. Jedem, der diesen wie schwierig die Umsetzung ist und dass wir in unse- Artikel noch nicht gelesen hat, empfehle ich ihn; ich rem Handeln nicht ganz unabhängig sind. hoffe, ich muss nicht fürchten, Schleichwerbung zu ma- chen. Auch wenn einige Kollegen aus den Haushalts- Als dritten Schwerpunkt lassen Sie mich bitte kurz (B) gruppen darin explizit beschrieben werden, muss ich sa- die realisierten Großvorhaben benennen, die unsere (D) gen: Das, was in diesem Artikel steht, stimmt. Es ist ja Bundeswehr im Einsatz dringend benötigt. Es sind dies nicht immer so, dass das, was in den Zeitungen steht, zu- die Beschaffungsprojekte zur Satellitenkommunikation trifft; diesmal ist es so. zur Sicherstellung der Führungsfähigkeit, SATCOM Bw 2, genauso wie die Entscheidungen für den dringend Im Zusammenhang mit den personellen Veränderun- benötigten geschützten Transportraum. GTK Boxer und gen sage ich Herrn Wolf meinen Glückwunsch, der von Puma seien dabei exemplarisch benannt. Die Ausstat- Staatssekretär Eickenboom die Funktion des neuen Ab- tung der Marine mit Fregatten der neuesten Generation teilungsleiters Haushalt übernimmt. Dadurch ist sicher- kann hier ebenso benannt werden wie die getroffene Ent- gestellt, dass es auch in Zukunft eine solide Zusammen- scheidung zur Beschaffung dringend benötigter Luft- arbeit zwischen den Berichterstattern zum Einzelplan 14 fahrzeuge, vor allen Dingen der Hubschrauber, die für im Haushaltsausschuss und dem BMVg geben wird. unsere Soldaten im Einsatz besonders wichtig sind. Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit dem vorliegen- den Etat, dem Einzelplan 14 für 2008 und dem Ich würde mir an dieser Stelle – es sei gestattet, das 41. Finanzplan ist eine gute und tragfähige Grundlage hier öffentlich anzumerken – ein wenig mehr Termin- geschaffen worden, um den Prozess der Anpassung und treue der Industrie wünschen, mit der wir Verträge ab- Modernisierung der Bundeswehr weiter zu gestalten. Der schließen. Da gibt es noch Verbesserungsbedarf, und ich heute zu beschließende Etat der Bundeswehr, die eine hoffe, dass sich die Industrie das einmal hinter die Ohren Armee zur Landesverteidigung und eine Armee im Ein- schreibt. satz ist, beträgt nach intensiver parlamentarischer Bera- (Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des tung einschließlich der Versorgungsausgaben 29,45 Mil- liarden Euro. Damit steigt der Etatansatz gegenüber dem Abg. Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/ Regierungsentwurf um 142 Millionen Euro. Das ist für DIE GRÜNEN]) Haushälter keineswegs selbstverständlich; denn eigent- Liebe Kolleginnen und Kollegen, planmäßig geht nun lich sollten wir in unserer Funktion sparen. Dennoch sind auch der Strukturumbau in der zivilen Verwaltung der diese Umschichtungen und Erhöhungen aufgabengemäß Bundeswehr voran. Die Zielstruktur für 2010 von 75 000 und gerechtfertigt. Ich danke allen Kollegen im Aus- zivilen Dienstposten nimmt Gestalt an. Der Personalab- schuss, die diese Notwendigkeiten akzeptiert und mitge- bau geschieht sozialverträglich. Die Bundeswehr leistet tragen haben. damit auch weiterhin einen aktiven Beitrag nicht nur zur (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Entbürokratisierung, sondern vor allen Dingen zur Per- neten der SPD) sonalrückführung beim Bund insgesamt. 13594 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 129. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. November 2007

Susanne Jaffke (A) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wie gewohnt gig zu machen sowie die bisherige Höhe des Rüstungs- (C) möchte ich mich auch für die Zusammenarbeit mit mei- haushaltes um 10 Prozent zu reduzieren. nen jungen Kollegen Berichterstattern – ich schließe den Kollegen Koppelin ausdrücklich ein – bedanken. (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos]) (Heiterkeit) Insgesamt sehen wir ein Einsparpotenzial von mindes- Sie war wie immer sehr kollegial, wenn auch nicht im- tens 3,9 Milliarden Euro. mer harmonisch. Aber das liegt wohl auch in der ausge- prägten Persönlichkeitsstruktur einiger Kollegen. Ich Zweitens. Die Planungen für sogenannte Rüstungsin- danke allen noch einmal. vestitionen im Bundeswehrplan 2008 machen klar, dass die beschlossenen Projekte das vorgesehene Finanzvolu- Abschließend möchte ich bemerken: Der Etat des men auf Jahre hinaus binden. Bis 2012 sollen laut Bun- Bundesverteidigungsministeriums weist in die richtige deswehrplan die Rüstungsinvestitionen von 6 Milliar- Richtung, auch wenn die Herausforderungen für die den Euro auf 8 Milliarden Euro jährlich steigen. Der nächsten Jahre nicht geringer werden. Er verdient die Schwerpunkt der Ausgaben liegt dabei auf Mobilität, vor Zustimmung des gesamten Hauses. allem auf der sogenannten Wirksamkeit im Einsatz. Für (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) die Verbesserung der Mobilität sind in den nächsten Jahren 15 Milliarden Euro vorgesehen, allein 9 Milliar- Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: den Euro für den Airbus A400M. Für die Wirksamkeit im Einsatz sind sogar 50 Milliarden Euro eingeplant. Das Wort hat nun Kollegin Inge Höger, Fraktion Die Linke. Im Verhältnis dazu erscheinen die 4 Milliarden Euro, die für Überlebensfähigkeit und Schutz eingeplant sind, Inge Höger (DIE LINKE): beinahe bescheiden. Der Schutz der Soldaten spielt of- Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Aus Sicht fensichtlich nur eine untergeordnete Rolle. Wirklicher der Fraktion Die Linke weist dieser Verteidigungshaus- Schutz ist technisch auch nicht machbar. Er ist nur poli- halt nicht in die richtige, sondern in die völlig falsche tisch zu gewährleisten. Beenden Sie die Auslandsein- Richtung. Aus unserer Sicht ist es kein Verteidigungs-, sätze und holen Sie zum Beispiel die Soldatinnen und sondern ein Rüstungshaushalt. Er führt keinen einzigen Soldaten aus Afghanistan zurück! Schritt in Richtung einer friedlicheren Welt. Im Gegen- (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert teil, die Militarisierung der Außenpolitik, die hier finan- Winkelmeier [fraktionslos]) ziert werden soll, führt unser Land auf einen globalen (B) Kollisionskurs. Drittens. Bei den Aufrüstungsprojekten geht es um (D) Hermann Hesse schrieb im Rückblick auf seine Zeit: die Vorbereitungen für globale Kriegs- und Besatzungs- politik. So wird etwa die Marine durch neue Korvetten An einen Krieg dachte niemand, man rüstete nur so und Fregatten für viel Geld auf aggressive Einsätze vor- für alle Fälle … bereitet. Auch der Eurofighter, ein Projekt aus Zeiten der Wer Frieden will, der muss auch den Frieden vorberei- Blockkonfrontation, ist reine Geldverschwendung. Nun ten. Wer aufrüstet, kann nicht glaubhaft für Frieden und wird auch noch in seine Umrüstung investiert. Bei der Abrüstung werben. Mehrrollenfähigkeit geht es um die Befähigung zu Flä- chenbombardements – mit Friedenspolitik hat dies defi- Ein anderes Zitat. Gustav Heinemann analysierte tref- nitiv nichts zu tun. fend: Viertens. Für Auslandseinsätze sind im Haushalt Der Frieden ist der Ernstfall. 600 Millionen Euro eingeplant. Dieser Ansatz kann, wie Eine glaubwürdige Vorbereitung auf den Ernstfall Frie- wir in den letzten Jahren gesehen haben, schnell auf den kann die Linke in dem vorliegenden Haushalt nicht 1 Milliarde Euro steigen. Die Linke lehnt diese Art der erkennen. Entsprechend setzt die Linke in ihrem Ent- militärischen Weltordnungspolitik grundsätzlich ab. schließungsantrag zum Einzelplan 14 deutlich andere (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Akzente, die ich kurz erläutern will: Winkelmeier [fraktionslos]) Erstens. Bei Haushaltsberatungen ist immer wieder Die frei werdenden Mittel sollten in die Bekämpfung der die Rede von sparen und Schulden abbauen. Aber bei Armut und Unterentwicklung investiert werden; das diesem Einzelplan, dem drittgrößten Einzelplan, wird wäre endlich effektive Sicherheitspolitik. kräftig draufgesattelt. Fünftens. Der Einzelplan 14 ermöglicht die fortge- (Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Und das ist setzte Investition in eine verfehlte Bündnispolitik. Statt auch gut so!) die Vereinten Nationen und das Völkerrecht zu stärken, Weitere Ausgabensteigerungen sind mit den Verträgen wird die deutsche Rolle im Rahmen der NATO und der vorprogrammiert. In 2008 wollen Sie für Ihren Einsatz- militärischen Komponente der EU gestärkt. Die NATO haushalt insgesamt 29,3 Milliarden Euro. Nach NATO- ist kein Friedensbündnis. NATO-Kampftruppen ebenso Kriterien wären es gar 31,7 Milliarden Euro. Die Linke wie EU-Battle-Groups sind Instrumente einer militäri- fordert, den Aufwuchs von 911 Millionen Euro rückgän- schen Außenpolitik. Die Linke fordert deswegen die Be- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 129. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. November 2007 13595

Inge Höger (A) endigung der deutschen Beteiligung an der NATO- Um die globale Kriegsgefahr einzudämmen, brauchen (C) Response-Force und an den EU-Battle-Groups. wir ernsthafte Bemühungen um eine gerechte Verteilung der Ressourcen der Welt. Die Bundesregierung beteiligt (Beifall des Abg. Gert Winkelmeier [fraktions- sich stattdessen am militärischen Wettlauf um die knap- los]) per werdenden fossilen Energieträger. Durch die Unter- Dazu gehört die Schließung der entsprechenden Trai- stützung der US-Kriegspolitik, durch Drohungen gegen ningseinrichtungen wie des Gefechtsübungszentrums bei den Iran und durch eigene militärische Beiträge in geo- Magdeburg. strategisch sensiblen Regionen trägt die Bundesregie- rung zur Ausbreitung der Unsicherheit auf dieser Welt Sechstens. Anstatt sich um zivile Ausbildung und Ar- bei. Kein Land wird durch die Fähigkeit, andere zu be- beitsplätze für junge Menschen zu kümmern, nutzen Sie drohen, sicherer. deren Perspektivlosigkeit aus, wenn es darum geht, junge Soldaten zu rekrutieren. Nicht zufällig entscheiden (Ulrike Merten [SPD]: Frechheit!) sich junge Jugendliche aus ökonomisch schwachen Re- gionen überdurchschnittlich häufig für eine längere Ver- Wir brauchen endlich eine weltweite entschiedene pflichtung bei der Bundeswehr. Die Bundeswehr koope- Abrüstungsinitiative. Wir können und müssen hier be- riert immer stärker mit den Arbeitsagenturen. Die Linke ginnen, in Deutschland, in der Europäischen Union und kritisiert, dass man in den Agenturen mit Argumenten in der NATO. Die Linke fordert die Bundesregierung wie „Dieser Job ist krisensicher“ wirbt. Ein Arbeitsplatz dazu auf, mit eigenen deutlichen Abrüstungsschritten ein in der Rüstungsindustrie kostet die Steuerzahler 150 000 glaubwürdiges Beispiel dafür zu geben. bis 200 000 Euro pro Jahr. Mit diesem Geld ließen sich Vielen Dank. deutlich mehr und vor allen Dingen sinnvollere zivile Arbeitsplätze schaffen. Auch die 600 Millionen Euro, (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert die jährlich für die Wehrpflicht ausgegeben werden, sind Winkelmeier [fraktionslos]) besser in zivile Ausbildungsprogramme investiert. (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Winkelmeier [fraktionslos]) Das Wort hat nun Kollege Johannes Kahrs, SPD- Siebtens. Bei den Angehörigen der Bundeswehr Fraktion. wurde in den letzten Jahren massiv eingespart. Die Bun- deswehr ist überdimensioniert. Wir wollen Strukturver- Johannes Kahrs (SPD): änderungen aber nicht auf Kosten der Soldatinnen und Werter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kolle- (B) Soldaten durchführen. Die Linke fordert deshalb die gen! Liebe Kameradinnen und Kameraden! Wir spre- (D) Rücknahme der sozialpolitischen Kürzungen, zum Bei- chen heute über den Verteidigungshaushalt. Vorher spiel beim Weihnachts- und Urlaubsgeld. Zudem soll die möchte ich aber noch eine kurze Anmerkung zu meiner Ost-West-Tarifangleichung auch für die Berufssoldatin- Kollegin Höger machen. Frau Kollegin, ich habe nichts nen und -soldaten, die Soldatinnen und Soldaten auf Zeit dagegen, dass man andere Meinungen vertritt. Im Ge- und die zivilen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter noch genteil: Dafür sind wir hier. Das ist auch zu respektieren im Haushaltsjahr 2008 umgesetzt werden. und in Ordnung. Sachlich sollten sie allerdings richtig (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert sein: Winkelmeier [fraktionslos]) Erstens. Die Anschaffung der neuen Korvetten, von Achtens. Früher oder später folgt aus der Rüstungs- denen Sie reden, ist nicht in dieser und nicht in der letz- produktion für die eigene Armee auch der Rüstungsex- ten, sondern in der vorletzten Legislaturperiode bespro- port, um diesen Wahnsinn rentabel zu gestalten. Das chen und beschlossen worden. jüngste Beispiel dafür ist der Hightechpanzer Puma, durch den der Haushalt in den nächsten Jahren mit min- Zweitens. Wir sind das Land in Europa und in der destens 3,4 Milliarden Euro belastet wird. Die Rüstungs- NATO, das am meisten Geld für den Schutz der Solda- industrie träumt bereits davon, ihn zu einem Export- tinnen und Soldaten ausgibt. Sie können alle Etats ver- schlager zu machen, wie früher den Leopard. Die Linke gleichen. Deswegen habe ich diese Anmerkung von Ih- fordert einen sofortigen und vollständigen Stopp der nen nicht wirklich verstanden. Rüstungsexporte. Drittens. Wir sind das Land, das am meisten Geld in Neuntens. Neue Waffensysteme brauchen wir nicht. die Aus- und Weiterbildung sowie Qualifizierung der Erforschung, Entwicklung und Erprobung von Rüs- Soldaten seiner Armee investiert, damit sie auch nach tungsgütern kann sich unser Land sparen. Das bleibt Abschluss ihrer Bundeswehrzeit – nach vier, acht oder auch so, wenn Rüstungsforschung und -entwicklung zu- zwölf Jahren – Chancen auf dem zivilen Arbeitsmarkt künftig über die Europäische Verteidigungsagentur ab- haben. Es geht also um Qualifikation und Ausbildung. gewickelt werden. Die politische Kontrolle wird dabei Die Bundeswehr bildet in großem Maße aus. Ich finde, immer schwieriger. Der Zuschuss für die Europäische das muss man zumindest einmal anmerken, weil wir So- Verteidigungsagentur muss komplett gestrichen werden. zialdemokraten stolz darauf sind. (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert (Beifall bei der SPD – Kurt J. Rossmanith Winkelmeier [fraktionslos]) [CDU/CSU]: Wir auch!) 13596 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 129. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. November 2007

Johannes Kahrs (A) – Ich schließe die Kollegen des Koalitionspartners gleich Das halte ich für richtig, wichtig und gut. Wir müssen (C) mit ein. Wunderbar. dafür sorgen, dass unsere Soldaten in Deutschland an- ständig untergebracht sind, damit das Ganze auch etwas (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – mit Attraktivität zu tun hat. Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Das ist das erste Mal in allen Debatten (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) heute, dass ihr einig seid!) Ich würde gerne noch einen Punkt ansprechen, der – Okay, ich schließe auch die Kollegen von den Grünen mich besonders ärgert. Es gibt den Titel „Einsatzbeding- mit ein. Sie haben hier sieben Jahre lang unter Rot-Grün ter Sofortbedarf“. Darin kommen die schönen Worte alles mitgemacht. Vielen Dank. „Einsatz“, „sofort“ und „Bedarf“ vor. Dieser Titel wird vom Ministerium seit Jahren abgesenkt und nicht ganz (Heiterkeit bei der SPD und der CDU/CSU) abgerufen. In der Truppe im Einsatz versteht das nie- Das freut die Linke. mand. Von den Kollegen im Verteidigungs- und im Haushaltsausschuss versteht das auch kaum einer. (Birgit Homburger [FDP]: Und wir?) Die Vorschriften für den Einsatzbedingten Sofortbe- – Sie von der FDP haben nun überhaupt nichts gemacht. darf sind inzwischen fast so kompliziert wie die Rege- Nachdem ich hier nun die Noten verteilt habe, schlage lungen für die normalen Beschaffungsvorgänge. Das ich vor, dass wir zur Sachebene kommen. Das Volumen halten wir für falsch. Einsatzbedingter Sofortbedarf des Verteidigungshaushalts ist um über 1 Milliarde Euro sollte dafür da sein, schnell und kurzfristig reagieren zu gestiegen. Im Finanzplan waren bereits Steigerungen in können, wenn bei der Truppe im Einsatz etwas benötigt Höhe von 300 Millionen Euro vorgesehen. Der Finanz- wird. minister hat noch einmal 600 Millionen Euro draufge- (Beifall bei der FDP) legt. Vielen Dank, Peer! Zusätzlich hat der Haushalts- ausschuss dann noch – die Kollegin Jaffke hat es Die Argumentation „Die Truppe ist schon seit Jahren inhaltlich begründet – 142 Millionen Euro draufgepackt. im Einsatz; jetzt muss man gucken, dass der normale In der Sache ist das richtig und gut. Weg auch funktioniert“ ist zwar schön, entspricht aber nicht der Realität. Ich bin sicher, dass das Parlament die- Wir haben dafür gesorgt, dass die Betriebsausgaben sen Punkt mit dem Ministerium noch einmal intensiv weiter gesenkt werden und die Personalausgaben weiter- diskutieren wird. Es kann nicht angehen, dass hier drei- hin rückläufig sind. stellige Millionenbeträge nicht genutzt werden. Das ha- Es gibt aber einen Mehrbedarf bei der Materialerhal- ben wir uns nicht dabei gedacht, als wir den Einsatzbe- (B) tung. Darum machen wir uns ernsthafte Sorgen. Insbe- dingten Sofortbedarf zu rot-grünen Zeiten geschaffen (D) sondere liegen die Wartungsausgaben für Luftfahrzeuge haben. derzeit bei über 1 Milliarde Euro. Es kann auf Dauer Ich möchte mich ganz besonders mit der Attraktivi- nicht sein, dass moderne Flugzeuge deutlich wartungsin- tät des Soldatenberufes auseinandersetzen. Bundes- tensiver sind als jahrzehntealte Flugzeuge. Damit muss wehr geht nun einmal nicht ohne Soldaten, auch wenn man sich beschäftigen. man im Ministerium manchmal ein anderes Gefühl hat. Die Ausgaben im Bereich Betreiberlösung verdop- (Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) peln sich. Das liegt insbesondere an HERKULES, dem IT-Projekt der Bundeswehr. Der Soldatenberuf muss auch in Zukunft attraktiv blei- ben. Das bedeutet, dass verschiedene Maßnahmen wichtig Der Anteil der verteidigungsinvestiven Ausgaben sind. In diesem Zusammenhang kann man sich zwar auch steigt in diesem Haushalt auf 23,5 Prozent. Das ist gut, mit Zivilbeschäftigten befassen. Das tun wir auch. Man richtig und notwendig. darf aber nicht vergessen, wofür die Bundeswehr da ist. Die Zivilbeschäftigten sind für die Bundeswehr da. Wir Ein Großteil des Geldes wird für den Schutz der Sol- brauchen Soldaten. Diese müssen wir wiederum auch daten verwendet. Das ist hier bereits angesprochen wor- werben können. Dafür muss die Bundeswehr attraktiv den. Der Schutz der Soldaten durch ihre Ausstattung mit sein. dem besten Gerät ist richtig und notwendig. In diesem Zusammenhang gibt es vier Punkte, die ich (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) wichtig finde. Über den Bereich Infrastruktur haben wir – insbeson- Erstens. Wir haben hier im Parlament dafür gesorgt, dere auch auf Anregung des Wehrbeauftragten – in den dass der Wehrsold um 2 Euro pro Tag erhöht wird. Das letzten Wochen und Monaten hier diskutiert. Wir haben ist richtig und gut. Es weist in die richtige Richtung. als Haushälter mehr Geld in die Infrastruktur investiert. Mittelfristiges Ziel muss es aber sein, dass die Bezah- Jetzt geben wir für große Baumaßnahmen 500 Millionen lung der Soldatinnen und Soldaten an die Gehaltsstruk- Euro aus – das ist ein Plus von 88 Millionen Euro –, für turen der Bundespolizei angepasst wird. Otto Schily hat kleine Baumaßnahmen 230 Millionen Euro – das ist ein hier Wegweisendes geschaffen. Ich finde, wir können Plus von 43 Millionen Euro – und für die Unterhaltung uns bei der Bundeswehr an ihm orientieren. Otto … von Grundstücken und Anlagen 450 Millionen Euro; das find’ ich gut. ist ein Plus von 62 Millionen Euro, die der Haushaltsaus- schuss zusätzlich bewilligt hat. (Beifall bei der SPD) Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 129. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. November 2007 13597

Johannes Kahrs (A) Zweitens. Mit Personalentwicklung und Personal- ändert werden. Wir müssen die Vorgänge straffen. Das (C) führung sollten wir uns als Parlament etwas mehr be- muss schneller gehen. Die Zustände in der Truppe müs- schäftigen. Der Wehrbeauftragte hat diesen Punkt auch sen – ich nenne Schwarzenborn als Beispiel – deutlich aufgegriffen. Wenn ein Soldat weiß, dass er eine be- verbessert werden. Der Wehrbeauftragte hat dazu viel stimmte Chance auf eine Karriere in den Streitkräften vorgetragen. hat, dass er auf eine Laufbahn hinarbeiten kann und dass er Planungssicherheit hat, und weiß, was die Bundes- Es reicht aber nicht, die Strukturen zu straffen, wehr mit ihm vorhat und welche Qualifikationen er er- schneller zu bauen und intensiver auf die Bedürfnisse halten kann, dann fühlt er sich wohler. Er braucht eine der Soldaten einzugehen. Vielmehr müssen auch die Berufsperspektive. Das, was die Personalplanung in der Vorschriften geändert werden, die teilweise noch aus Bundeswehr zurzeit macht, hat viel mit gutem Willen zu den 50er- oder 60er-Jahren stammen. Wie viele Quadrat- tun, allerdings auch relativ viel mit Planwirtschaft. meter sollen einem Soldaten zustehen? Im Rahmen des von uns genehmigten Projektes HERKULES kommt Ich finde, dass man auch auf die Bedürfnisse der Sol- kein einziger privater Internetanschluss für die Soldaten datinnen und Soldaten eingehen muss. Dafür gibt es vor. Soll es etwa attraktiv sein, dass vier, fünf oder sogar schließlich moderne IT. Vielleicht kommen wir da alle sechs Dienstgrade, Zeitsoldaten, auf einer Stube woh- zusammen. Planbarkeit ist wichtig. nen, weil sie erst am Wochenende nach Hause fahren? Das funktioniert überhaupt nicht. Teilweise wurde neues (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Mobiliar – statt Olympia Buche-Dekor – angeschafft. Des Weiteren haben sich viele Zustände in der Bun- Aber das passt nicht in die Räume. Das kann überhaupt deswehr geändert. Früher hatten wir die Truppe in der nicht angehen. Die Struktur muss verändert werden. Fläche. Das bedeutete, dass überall Kasernenanlagen Gleichzeitig müssen die Standards an das heutige Ni- vorhanden waren. Die Soldaten, insbesondere die veau angepasst werden. Am besten sollte man auch drei Dienstgrade, wohnten zu Hause und kamen zum Dienst Tage im Voraus denken. Es kann nicht angehen, dass es in die Kaserne. Das hat sich heute geändert. Die Bundes- Kasernen ohne Handyverbindung gibt. Da fragt man wehr hat viele Standorte geschlossen. Die Dienstgrade sich, in welcher Zeit die Verantwortlichen leben. Das – Unteroffiziere mit und ohne Portepee, Offiziere – ha- müssen wir verändern. ben ihren Lebensmittelpunkt außerhalb der Kaserne Ich habe mir letztlich ein paar sanierte Anlagen in ei- – dort arbeitet in der Regel ihre Frau; die Kinder gehen ner Kaserne angeschaut. Beispiel Sanitärbereich: Früher zur Schule – und pendeln. Das häufige Versetzen wird gab es lange Tröge. Wenn man sich dort nach dem Zäh- nicht mehr zum Anlass genommen, umzuziehen. Darauf neputzen den Mund ausgespült hat, dann hatten die muss sich die Bundeswehr einstellen. Das heißt, die In- (B) Nachbarn rechts und links noch etwas davon. Da diese (D) frastruktur ist besonders wichtig. Auch nicht kasernen- Tröge auf dem Markt nicht mehr vorhanden sind, hat die pflichtige Soldatinnen und Soldaten wohnen oft in der Wehrverwaltung sie neu herstellen lassen, damit es diese Kaserne und pendeln am Wochenende. Die Infrastruktur wunderbaren Tröge baugleich noch einmal gibt. Ich ist dafür häufig nicht vorhanden. Viele Feldwebel- und kenne keinen anderen, der diese Dinger nutzt. Aber die Offizierswohnheime wurden geschlossen. Die noch vor- Bundeswehr lässt sie für viel Geld neu herstellen. Diese handenen sind in einem bedauerlichen Zustand. Ich Tröge kosten „nur“ das Elffache von dem, was normale glaube, dass wir sehr viel tun müssen, um die Kasernen Waschbecken kosten. attraktiver zu machen. Offizierswohnheime – OHGs und UHGs – müssen deutlich besser ausgestattet werden; (Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- denn die Dienstgrade, Unteroffiziere mit und ohne Port- NEN]: Fast ein Schnäppchen!) epee, Offiziere und die Mannschaften wohnen dort. Die Infrastruktur muss entsprechend angepasst werden. Hier muss man prüfen und dringend etwas verändern. Wenn man sich anschaut, wie es bei der Bundeswehr Kollegin Jaffke hat es dankenswerterweise schon ge- läuft, können einem die Haare zu Berge stehen. Derzeit tan. Ich möchte – weil er Sozialdemokrat ist – dem ist vor Ort entweder ein S-3-Offizier oder ein anderer Staatssekretär Eickenboom herzlich danken, der unter Beauftragter für die Infrastruktur zuständig. Wenn die Peter Struck und dann unter Minister Jung hervorra- Betreffenden nicht gerade im Auslandseinsatz sind oder gende Arbeit geleistet hat. sich mit Vorbereitungen für NATO Response Force und EU Battle Groups befassen, können sie sich darum küm- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten mern. Dann muss man sich mit dem Infrastrukturstab des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) und der Wehrbereichsverwaltung auseinandersetzen. Wir haben ihn mit einer Serenade verabschiedet. Ich Alle Stufen müssen durchlaufen werden, einmal die Lei- glaube, dass die Zusammenarbeit beispielgebend war. ter rauf und runter. Auch das Bundesfinanzministerium Ich gehe davon aus, dass die Zusammenarbeit mit sei- will bei jeder Baumaßnahme mitreden. Danach geht es nem Nachfolger ähnlich gut sein wird. Diese Zusam- an die Landesbauverwaltungen; es gibt gute und andere. menarbeit sowie die Zusammenfassung von Rüstung Das alles dauert ewig. Der Soldat vor Ort hat noch nicht und Haushalt waren segensreich. Deswegen, Peter, noch einmal das Recht, die Baustelle in seiner Kaserne zu be- einmal herzlichen Dank von uns. treten, weil er nicht derjenige ist, der die Baumaßnahme leitet. Der ganze Vorgang dauert bei großen Baumaßnah- Des Weiteren müssen wir uns die Ausrüstung und die men rund fünf Jahre. Das ist indiskutabel; das muss ge- Strukturen genau anschauen. 13598 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 129. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. November 2007

Johannes Kahrs (A) Wir beschaffen teilweise kleine Stückzahlen und Los- elf Wochen hier in erster Lesung den Haushalt 2008 be- (C) größen, die unwirtschaftlich sind. Das ist der Fluch der sprochen. Ich habe damals gesagt, dass Ihr Einzelplan in kleinen Zahl. Das ist Manufakturarbeit und Handarbeit; Zahlen gegossener Stillstand ist. Auch im Laufe der das macht das Ganze teurer. Man muss sich einmal über- Haushaltsberatungen hat sich an diesem Urteil nichts ge- legen, inwieweit man zu privaten Vorfinanzierungen ändert. Man kann den Einzelplan mit den Worten zusam- kommt und wie man damit das Gerät eher in die Truppe menfassen: Ein weiteres verschenktes Jahr, weiteres ver- bekommt. Es kann aber auch nicht angehen, dass Mono- schenktes Geld. – Wenn Sie mir den flapsigen Ausdruck pole ausgenutzt werden. Wir wollen zurzeit den Bau ei- erlauben: Der Verteidigungshaushalt ist die Schnarch- nes Einsatzgruppenversorgers in Auftrag geben. Wir ha- nase unter den Einzelplänen des Bundeshaushalts. ben vier Werften angeschrieben und dachten, es gäbe vier Angebote. So etwas nennt sich Wettbewerb. Wir ha- (Heiterkeit und Beifall beim BÜNDNIS 90/ ben aber nur ein Angebot einer Arge bekommen, in der DIE GRÜNEN) sich alle vier Werften zusammengeschlossen haben. Das Wir fragen uns schon, was mit einem der größten Ein- ist bestimmt eine wunderbare Sache für alle Beteiligten, zelpläne, die der Bundeshaushalt kennt, passiert ist und aber garantiert nicht für den Steuerzahler. welche Linien Sie in zweijähriger Tätigkeit eigentlich (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ hinterlassen haben. Bei den notwendigen Strukturrefor- DIE GRÜNEN) men arbeiten Sie noch an vielen Baustellen, die Ihr Vor- gänger eröffnet hat. Es ist aber nicht erkennbar, dass Sie Deswegen sollte man sich überlegen, wie man einen den Umbau der Streitkräfte entscheidend beschleunigen. richtigen Wettbewerb veranstaltet. Der kommt allen Be- Überall dort, wo Strukturreformen notwendig wären, ist teiligten zugute. Das sage ich als Hamburger, der auch Fehlanzeige oder pflichtschuldiges weiteres Vorantrei- maritime Interessen hat. Deswegen bitte ich das Ministe- ben – allerdings mit ausbremsenden Tendenzen – dessen, rium darum, das noch einmal zu prüfen. Ich glaube, dass was Sie vom Vorgänger übernommen haben, zu ver- private Vorfinanzierungen nicht zu Schattenhaushalten zeichnen. führen dürfen – wie es in verbündeten Ländern wie Großbritannien und Frankreich der Fall gewesen ist –, Die Auslandseinsätze sind nicht die Priorität Ihres die einem dann auf die Füße fallen. Auch wenn es nicht Handelns. Die Beschaffungen erfolgen mehr nach dem modern ist, muss man einfach einmal das Loblied auf die Prinzip „Wünsch Dir was“, als dass die Frage nach der Kameralistik singen. Da weiß man wenigstens, wo man sinnvollen Gestaltung einer Armee angesichts der He- bei all den Problemen, die man hat, steht. Wenn man es rausforderungen, denen sie bei ihren Einsätzen heute ge- schafft, die Kameralistik gängiger zu machen, haben wir genübersteht, gestellt wird. Sie haben es geschafft, in die- alle etwas davon. (B) sem Einzelplan 1 Milliarde Euro einfach versickern zu (D) lassen, ohne dass erkennbar neue Akzente gesetzt wor- Ich möchte mich ganz herzlich bei den Kolleginnen den wären. Ich finde, man muss sich die Beschaffungen und Kollegen Jaffke, Kalb, Koppelin, Lötzsch und genauer anschauen. Es ist bereits angesprochen worden, Bonde bedanken. Ich will weder die Linke noch die Grü- dass von den großen Beschaffungen kaum eine im Zeit- nen oder die FDP von dem Lob ausnehmen. Wir alle plan und praktisch keine technisch auf der Höhe ist. Aber sechs arbeiten hervorragend zusammen. Ich möchte bei allen ist klar, dass sie teurer werden. Bei den kleinen mich ganz herzlich beim Minister bedanken. Herr Jung Beschaffungsprojekten reden wir immer über kleine macht seine Arbeit hervorragend. Wir hatten am Anfang Stückzahlen zu hohen Preisen. Wo die Truppe im Auftrag leichte Einstiegsprobleme, aber jetzt kriegen wir das gut hin. Ihre Staatssekretäre sind fantastisch, auch wenn sie der UN notwendige Einsätze durchführt, trifft eine Hiobsbotschaft nach der anderen ein. keine Sozialdemokraten sind. (Heiterkeit bei der SPD und der CDU/CSU) Gucken wir uns einmal die Projekte an, Herr Minis- ter! Sie geben sich ja immer bewusst industriefreundlich, Ich bedanke mich insbesondere bei der Truppe für die wobei wir den Eindruck haben, dass Industriepolitik bei wertvollen Hinweise, die mir solche Reden erlauben. Ihnen inzwischen die Dimension hat: Scheck unter- Vielen Dank. Glückauf. schreiben und warten, was da kommt; denn Koordina- tion und Auseinandersetzungen mit der Industrie – gege- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) benenfalls auch das Einklagen dessen, was Sie als Auftraggeber einfordern müssen – finden nicht statt. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Gehen wir die Projekte also durch! Unterstützungs- Das Wort hat nun Kollege Alexander Bonde, Fraktion hubschrauber NH-90: massive Verzögerungen, techni- Bündnis 90/Die Grünen. sche Schwierigkeiten. Transportflieger A400M: Kein Mensch weiß, wann er kommt und ob er jemals fliegt. Alexander Bonde (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Was den Infanteristen der Zukunft angeht, so lesen wir Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir gerade in den Zeitungen, wie er in der Truppe ankommt. waren ganz erstaunt über so viel koalitionäre Eintracht, Beim Dingo 2 hört man allenthalben Klagen. Beim die in diesen Schlussworten dokumentiert worden ist. Mungo haben Sie es nicht geschafft, der Truppe zu er- Gleichwohl muss man die Untertöne beachten und das klären, für was er eingesetzt werden soll. Das Ergebnis Gesagte mit der Regierungsarbeit des angesprochenen sehen wir jetzt mit dem Abzug aus Afghanistan. Was die Ministers vergleichen. Herr Minister Jung, wir haben vor Logistik in der Bundeswehr betrifft, so lesen wir allent- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 129. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. November 2007 13599

Alexander Bonde (A) halben, wie lange es dauert, eine Schraube von Bonn zelplan können ohne eine Veränderung der Struktur und (C) nach Kabul zu transportieren. ohne eine Gefährdung der Auslandseinsätze 1,4 Milliar- den Euro eingespart werden. Die Bundeswehr ist, wenn Da haben Sie uns nun in den Zeitungen mit Ankündi- man es sich genau anguckt, nicht unter-, sondern überfi- gungen überrascht, man wolle bei der Logistik privati- nanziert. Mit jedem Euro, den Sie zusätzlich hineinste- sieren. Ich will an der Stelle offen sagen: Wir hätten von cken, werden alte Strukturen zementiert, die auf Dauer Ihnen erwartet, dass Sie das Parlament informieren, dass Kosten verursachen. Ich glaube, Mut zur Reform wäre wir als Berichterstatterinnen und Berichterstatter bei so das, was wirklich anstünde. Das wäre richtig für den gravierenden Veränderungen informiert werden und Steuerzahler, und es wäre richtig für die Truppe. nicht von fertigen Projekten aus der Zeitung erfahren, für die die Bieterkonsortien offensichtlich auch schon Herzlichen Dank. alle feststehen. Auch da scheinen Sie nicht wirklich auf (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) den Erfolg gepolt zu sein; denn der ist bekanntermaßen schwierig zu erreichen, wenn man solche gravierenden Dinge am Parlament vorbei angeht. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Bundesminister Franz Josef Jung. (Beifall des Abg. Winfried Nachtwei [BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN] und der Abg. Birgit (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Homburger [FDP]) Johannes Kahrs [SPD])

Ich will noch einmal die Frage, welche Industriepoli- Dr. Franz Josef Jung, Bundesminister der Verteidi- tik Sie eigentlich machen, sehr deutlich ansprechen. Sie gung: sind ja sehr stolz darauf, dass Sie die Beschaffungen un- Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und ter einer industriepolitischen Linie sehen, also dabei da- Herren! Lieber Kollege Bonde, wissen Sie, was Sie ge- von ausgehen, was gut für die deutsche Industrie ist. Ich rade hier alles aufgezählt haben? Wenn man in ein Amt finde, Sie vergessen dabei zunehmend die Frage: Was ist als Minister kommt, dann erbt man das eine oder andere. eigentlich gut für die Bundeswehr und für das, was sie All die Verträge, auf deren Erfüllung wir jetzt warten tut? Vor allem vergessen Sie die Frage: Was ist eigent- und bei denen es Zeitverzögerungen in den Projekten lich gut für die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler? gibt – von Tiger über NH-90 bis MH-90 –, sind von Ih- Wenn ich mir die Fregatten angucke, die Sie zu exor- nen quergeschrieben worden. Wir müssen jetzt dafür bitanten Preisen gerade beschafft haben, und wenn ich sorgen, dass die Vertragsvoraussetzungen erfüllt werden, mir andere Strukturprojekte angucke, dann habe ich den damit wir möglichst rechtzeitig die Objekte bekommen, die Sie unter anderen Bedingungen bestellt haben. Die- (B) Eindruck, dass am Ende immer ein möglichst hoher (D) Scheck steht, den der Minister ausstellt. sen Vorwurf müssten Sie eigentlich an Ihre eigene Adresse richten, und deshalb gebe ich ihn an Sie zurück. Ich habe die große Befürchtung, dass Sie auch beim A400M wieder nicht die Verhandlungsmacht nutzen, die (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Sie als Auftraggeber im Dienste des Bundeshaushalts neten der SPD) nutzen müssen. Wir lesen jeden Tag Meldungen darüber, Noch ein Wort zur Opposition. Frau Kollegin Hoff, wie schwer dieses Projekt vorankommt. Wir wissen alle Sie haben hier gefordert, eine Halbzeitbilanz vorzulegen. genau: Es sind im Vertrag Vertragsstrafen vorgesehen, Dem will ich gerne Rechnung tragen. Als diese Bundes- und es gibt seitens des Bundes die Möglichkeit, vom regierung ins Amt kam, hat niemand daran gedacht, dass Vertrag zurückzutreten. Jetzt hören wir allenthalben, wir noch nicht einmal ein Jahr später einen neuen Ein- dass die Firma sondiert, ob es nicht Möglichkeiten gäbe, satz im Kongo und – zur Gewährleistung des Waffen- durch Akzeptieren beispielsweise eines neuen Ausliefe- stillstands – einen Einsatz vor der Küste des Libanon rungsplans solche Strafzahlungen zu vermeiden. durchzuführen haben. Wie Sie wissen, schreitet die Zeit Deshalb fordere ich Sie auf, Herr Minister, hier ein- sehr schnell voran. mal klar und deutlich zu sagen: Beabsichtigen Sie, auf Ich darf auf Folgendes hinweisen: Der Einsatz im solche Interessen der Industrie einzugehen? Können wir Kongo hat zur Gewährleistung der demokratischen von Ihnen erwarten, dass Sie auf die Vertragsvorteile, die Wahlen stattgefunden. Über 9 000 Menschen haben für der Bund und der Steuerzahler an dieser Stelle haben, 500 Parlamentssitze kandidiert. Die dortige Infrastruktur eingehen werden? Stehen Sie zu dem Vertrag? Werden entspricht nicht der in Deutschland. Dieses Land ist Sie bei Verzögerungen die notwendigen Zahlungen ein- 6,6-mal so groß wie die Bundesrepublik Deutschland. fordern? Gehen Sie auf Forderungen der Industrie ein, Wir haben den Rückfall in den Bürgerkrieg verhindert, ihr entgegenzukommen? Ich will von Ihnen dazu eine und unsere Soldaten waren Weihnachten wieder zu klare Ansage haben. Wir reden hier über viele Millionen Hause. Der Einsatz, den die Bundeswehr in diesem Land Euro, und Sie dürfen nicht glauben, in dieser Frage am im Rahmen dieser europäischen Mission geleistet hat, Parlament vorbei Entscheidungen treffen zu können. war sehr erfolgreich. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Ich will abschließend sagen: Es ist wieder ein ver- Zur Halbzeitbilanz gehört ein Blick auf den Einsatz schenktes Jahr, was die Reform der Bundeswehr angeht. vor der Küste des Libanon. Wir haben erst heute über Wir reden wieder über verschenkte Gelder. In Ihrem Ein- die Perspektive der Friedenskonferenz debattiert; der 13600 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 129. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. November 2007

Bundesminister Dr. Franz Josef Jung (A) Außenminister hat hier berichtet. Ohne dass die Waffen Ich bin diesem Parlament dankbar, dass es ermöglicht, (C) schweigen, hätte eine solche Friedenskonferenz keine dass wir den Wehrsold um 2 Euro pro Tag erhöhen. Die Aussicht auf Erfolg. Die Bundeswehr leistet deshalb Wehrpflichtigen, die ihren Dienst für die Allgemeinheit auch dort einen wichtigen Beitrag. Damals ist die israeli- leisten, haben diese Unterstützung nämlich verdient. sche Seeblockade aufgehoben worden. Wir haben über (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) 10 000 Schiffe kontrolliert. Es wird gewährleistet, dass auf See kein Waffenschmuggel stattfindet. Das ist eine Ich erwähne das Einsatz-Weiterverwendungsgesetz. wichtige Voraussetzung dafür, dass der Waffenstillstand Mit dem Einsatzversorgungsgesetz wurde eine wichtige anhält. Ich wiederhole: Die Bundeswehr leistet hier Grundlage für die Versorgung geschaffen. Wir haben die ebenfalls einen wichtigen Beitrag zu einer friedlichen Rechtslage dahin gehend ergänzt, dass diejenigen, die in Entwicklung in dieser Region. gefährlichen Einsätzen verwundet und anschließend ge- sundheitlich wiederhergestellt werden, einen Anspruch (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) auf Weiterbeschäftigung in der Bundeswehr haben. Das entspricht der Fürsorgepflicht des Staates. Dieses Parla- Ich möchte beim Thema Halbzeitbilanz bleiben. Was ment hat eine gute Entscheidung getroffen, als es den den Afghanistan-Einsatz angeht, ist der Aspekt „Beseiti- Rechtsanspruch auf Weiterbeschäftigung beschlossen gung der Fähigkeitslücke Aufklärung mit den Tornados“ hat. in den Blickpunkt gerückt. Wir haben die Luftaufklärung erfolgreich auf den Weg gebracht. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ Sie haben despektierlich über das Weißbuch 2006 ge- DIE GRÜNEN) sprochen. Es gab in der Bundesrepublik Deutschland seit 1994 kein Weißbuch zur Sicherheitspolitik Deutschlands Sie haben in despektierlicher Weise das Ehrenmal er- und zur Zukunft der Bundeswehr mehr. wähnt. Für diejenigen, die im Einsatz für die Bundes- wehr ihr Leben gelassen haben – insgesamt geht es um (Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- 2 600 Angehörige der Bundeswehr –, hier in Berlin an NEN]: Besser keines als so eines!) dem Platz, der für die Bundeswehr steht, ein würdiges und ehrendes Andenken zu schaffen, halte ich für eine Unsere Grundstrategie der vernetzten Sicherheit – ohne richtige und wichtige Entscheidung. Deshalb werden wir Sicherheit keine Entwicklung und ohne Entwicklung sie auch umsetzen. keine Sicherheit – ist mittlerweile die Strategie der ge- samten NATO. Wir operieren mit dieser Gesamtstrategie (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) in Afghanistan. Sowohl dieses Weißbuch als auch unser Einsatz in Afghanistan und die damit verbundene Strate- (B) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: (D) gie sind Erfolge unserer Politik. Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage der (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Kollegin Hoff?

Ich kann meine Aufzählung fortsetzen. Wir haben die Dr. Franz Josef Jung, Bundesminister der Verteidi- zivil-militärische Zusammenarbeit in diesem Jahr neu gung: aufgebaut. Darin werden die föderalen Strukturen abge- Wenn es nicht von meiner Redezeit abgeht, ja. bildet. Zum Schutz Deutschlands gibt es 470 Verbin- dungskommandos. Sie werden im Wesentlichen von den Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Reservisten gestellt, die einen wichtigen Beitrag zur Un- Ja, das ist ja bekannt. terstützung der Bundeswehr leisten. Wir haben gerade gemeinsam mit sieben Bundesländern eine Übung durchgeführt, bei der es hervorragend funktioniert hat. Elke Hoff (FDP): Die Bundeswehr leistet damit einen wichtigen Beitrag Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass Sie hier die Ge- zum Schutz Deutschlands. Auch dafür bin ich unseren legenheit nutzen, Ihre Halbzeitbilanz aufzupolieren. Soldatinnen und Soldaten sehr dankbar. (Zuruf von der CDU/CSU: Das hat er gar nicht Sie haben die Wehrpflicht erwähnt. Wir, die Koali- nötig!) tion, haben entschieden, dass wir an der Wehrpflichtar- Aber ich bitte Sie, mir anhand dessen, was ich über das mee festhalten. Dieser Grundsatz ist übrigens auch im Ehrenmal oder das Weißbuch gesagt habe, im Einzelnen Weißbuch beschrieben. Wir haben entschieden, dass darzustellen, was daran despektierlich sein soll. 6 500 Wehrpflichtige mehr eingezogen werden, weil wir dem Kriterium der Einberufungsgerechtigkeit Rechnung Dr. Franz Josef Jung, Bundesminister der Verteidi- tragen wollen. gung: (Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Sie haben in Ihrer Schlussbemerkung aus meiner NEN]: Geldverschwendung!) Sicht relativ despektierlich von einer mageren Bilanz ge- sprochen und dies auch im Zusammenhang mit dem Eh- So werden 80 Prozent der Wehrpflichtigen eines Jahr- renmal getan. Das Ehrenmal stellt keine magere Bilanz gangs einberufen. dar, sondern es ist eine richtige Entscheidung für die Bundeswehr und die Tradition, in der sie steht. (Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Verschwendung von Steuermitteln!) (Beifall bei der CDU/CSU) Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 129. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. November 2007 13601

Bundesminister Dr. Franz Josef Jung (A) Meine Damen und Herren, lassen Sie mich einen letz- den, Recht und Freiheit in Deutschland und darüber (C) ten Punkt erwähnen. Wir werden jetzt beschließen – da- hinaus weiterhin leisten kann. für bin ich den Berichterstattern im Haushaltsausschuss sehr dankbar –, über 1 Milliarde Euro mehr in den Ver- Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: teidigungshaushalt einzustellen. Diese Mittel brauchen Herr Minister, wenn Sie Ihre Redezeit verlängern wir aber auch, um unseren Auftrag zu erfüllen. wollen, dann können Sie noch eine Nachfrage zulassen. Wenn ich alle Punkte, die ich Ihnen genannt habe, zu- sammenzähle und dann diese Halbzeitbilanz in die Fuß- Dr. Franz Josef Jung, Bundesminister der Verteidi- ballsprache übersetze, dann kann ich nur sagen: Es steht gung: 9 : 0 für die Sicherheits- und Verteidigungspolitik in Bitte sehr. Deutschland. (Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Alexander Bonde (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): NEN]: Ein Kreisligaergebnis ist das; das muss Herr Verteidigungsminister, ich hatte in meiner Rede man wohl sagen!) eine Frage gestellt, die ich Ihnen erneut stellen möchte: Haben Sie im Zusammenhang mit den Verzögerungen Mit diesem Haushalt schaffen wir die Voraussetzungen, beim Projekt A400M vor, weiterhin auf die im Vertrag den Anpassungs- und Modernisierungsprozess weiter festgehaltenen Verzugsstrafen, die die Firma dem Bund voranzutreiben, die Schutzfunktion für unsere Soldatin- im Falle eine Verzuges zu leisten hat, bzw. auf ein Kün- nen und Soldaten weiter zu erhöhen und einen Beitrag digungsrecht des Bundes zu bestehen? zur Fortentwicklung der wehrtechnischen Industrie zu leisten, bei der es auch um Arbeitsplätze hier in Deutsch- land geht. Mit diesem Haushalt gewährleisten wir mehr Dr. Franz Josef Jung, Bundesminister der Verteidi- Investitionen. Zum ersten Mal können die Personalaus- gung: gaben auf unter 40 Prozent gesenkt werden. Wir werden Herr Kollege Bonde, zunächst einmal sollten wir, ein Sanierungsprogramm „Kasernenunterkünfte West“ denke ich, alle Anstrengungen unternehmen – ich habe auflegen, weil ich es für notwendig und richtig erachte, gerade bei der Verabschiedung von Staatssekretär dass wir dann, wenn wir von unseren Soldatinnen und Eickenboom noch einmal mit Tom Enders darüber ge- Soldaten Leistungsfähigkeit und Einsatzbereitschaft er- sprochen –, damit der A400M möglichst fristgerecht ge- warten, auch die sozialen Rahmenbedingungen so ge- liefert wird. Denn wir brauchen den A400M gerade im stalten, dass es attraktiv ist, weiterhin in der Bundeswehr Hinblick auf die Fähigkeitslücke im Lufttransport drin- tätig zu sein. gend. (B) (D) (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Da ich auf spekulative Fragen generell keine Antwort gebe, will ich nur noch einen Satz hinzufügen: Wir ver- Meine Damen und Herren, ich will noch einen weite- halten uns vertragsgemäß. Das schließt auch das ein, was ren Punkt aufführen. Die Bundeswehr ist eigentlich der Sie angesprochen haben. Ich hoffe und wünsche aber, größte Sportförderer in der Bundesrepublik Deutsch- dass wir den A400M noch fristgerecht geliefert bekom- land. Von den elf Goldmedaillen, die in Turin erzielt men, weil wir ihn im Hinblick auf den Lufttransport und worden sind, wurden neun von Bundeswehrsoldaten er- die Unterstützung dringend brauchen. zielt. Sie wissen, dass wir zum Beispiel auch in Darfur vor (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neuen Aufgaben stehen. Deshalb wäre ich dankbar, neten der SPD) wenn wir den A400M fristgerecht geliefert bekommen. Deshalb halte ich es für gut und bin dem Haushalts- Besten Dank. ausschuss dankbar, dass wir die Chance haben, jetzt noch 120 weitere Soldaten in die Sportförderung einzu- (Beifall bei der CDU/CSU – Jürgen Trittin beziehen. [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Also war der rot-grüne Vertrag doch nicht so schlecht!) (Johannes Kahrs [SPD]: Haben wir gerne ge- macht!) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Damit werden wir eine Perspektive für die Olympischen Das Wort hat nun Kollegin Birgit Homburger, FDP- Spiele in Peking und in Vancouver haben. Weil auch da- Fraktion. mit das Ansehen der Bundesrepublik Deutschland zu- sammenhängt, halte ich es für richtig und gut, dass wir (Beifall bei der FDP) die Sportförderung in dieser Weise ausbauen können. Birgit Homburger (FDP): (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn ich dies alles zusammenfasse, dann komme ich Wenn wir heute den Verteidigungshaushalt diskutieren, zu dem Ergebnis, dass wir mit diesem Haushalt gerade dann sollten wir auch darüber sprechen, dass die über- in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik auf einem wiegende Zahl der Soldatinnen und Soldaten nach wie guten Wege sind. Ich bitte Sie deshalb um Ihre Unter- vor ihren Dienst im Inland verrichten. Wir haben aber in- stützung, damit die Bundeswehr ihren Einsatz für die Si- zwischen auch nahezu 8 000 Soldatinnen und Soldaten, cherheit unserer Bürgerinnen und Bürger sowie für Frie- die in acht verschiedenen Auslandseinsätzen von Afgha- 13602 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 129. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. November 2007

Birgit Homburger (A) nistan bis zum Horn von Afrika Dienst tun. Ich denke, dingungen für die Entsendung von Polizisten ins Aus- (C) die Soldatinnen und Soldaten verdienen für die hohe land schaffen. Leistungsbereitschaft und auch die vorbildliche Pflicht- erfüllung in ihrem Einsatz den Dank des ganzen Hauses. (Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/ Ich schließe in diesen Dank auch die Polizisten und die DIE GRÜNEN) zivilen Aufbauhelfer mit ein. Herr Verteidigungsminister, Sie haben festgestellt, dass der Einsatz im Kongo ein Erfolg war. Sie haben den (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Einsatz im Kongo ja noch einmal besonders erwähnt. der CDU/CSU und der SPD) Das hat mich nun einigermaßen überrascht. Wir haben in den letzten Wochen eine Reihe von Dis- (Jürgen Koppelin [FDP]: Das kann man wohl kussionen geführt. Wir haben insbesondere mehrfach sagen!) über Afghanistan diskutiert. Obwohl es hier im Hause ein unterschiedliches Abstimmungsverhalten gab, hatte Vor allen Dingen hat mich überrascht, dass Sie hier ge- ich den Eindruck, dass wir uns in einem Punkt einig wa- sagt haben: Wir haben den Rückfall in den Bürgerkrieg ren: Wir wollen, dass der Wiederaufbau im Mittelpunkt verhindert. – Wenn man sich die Situation in der Demo- steht bzw. ins Zentrum gerückt wird. kratischen Republik Kongo in den letzten Monaten an- schaut, kommt man zu dem Schluss, dass diese Situation (Beifall bei der FDP) niemanden befriedigen kann. Es gibt Tausende von Das haben wir auch gemeinsam beschlossen. Flüchtlingen. Es gibt Kämpfe im Osten. Alles, was viel- leicht ein bisschen befriedet war, ist wieder aufge- Vor diesem Hintergrund habe ich kein Verständnis für flammt. Als Einziges hat man erreicht, dass die Wahlen die Debatte, die in den letzten Tagen aus der Koalition durchgeführt wurden. Aber ansonsten gibt es bis heute heraus öffentlich geführt wurde und in der plötzlich eine keine Stabilisierung der Demokratischen Republik schnelle Eingreiftruppe für ganz Afghanistan mit robus- Kongo. Der Zustand ist so wie vor dem Einsatz der Bun- tem Mandat gefordert worden ist. Ich finde, dass diese deswehr. Diskussion einen völlig falschen Schwerpunkt setzt. Wir führen diese Diskussion zur Unzeit. Es ist geradezu eine (Beifall bei der FDP – Hartwig Fischer [Göttingen] Aufforderung an die NATO-Partner, an Deutschland [CDU/CSU]: Das ist absolut falsch!) weitere militärische Anforderungen zu stellen. Ich stelle Vor diesem Hintergrund möchte ich noch einmal et- ausdrücklich fest: Solche Diskussionen führen zu nichts was deutlich machen, auch für meine Fraktion: Wer Sol- anderem als zur Verunsicherung in der Öffentlichkeit, datinnen und Soldaten in einen Auslandseinsatz schickt, aber auch innerhalb der Bundeswehr. Deshalb bitte ich (B) der muss dafür Sorge tragen – der Auffassung sind wir –, (D) Sie: Machen Sie endlich Schluss damit, ständig neue dass es dann auch zu einer politischen Flankierung Vorschläge in die Öffentlichkeit zu tragen, und gehen Sie kommt, und zwar zu einer dauerhaften politischen Flan- das an, was wir gemeinsam beschlossen haben! Konzen- kierung; ein Konzept muss dahinterstehen. Das war dort trieren wir uns auf das, was tatsächlich gemacht werden nicht der Fall. muss! Ich glaube, damit haben wir wahrlich genug zu tun. (Beifall bei der FDP) (Beifall bei der FDP sowie des Abg. Winfried Herr Minister, Sie haben vom Einsatz-Weiterverwen- Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) dungsgesetz gesprochen. Das hat unsere Unterstützung. Sie haben von der Wehrsolderhöhung gesprochen. Die Das gilt für den Wiederaufbau wie auch für die Militär- ist dank des massiven Drucks aus diesem Parlament Gott ausbildung und die Polizeiausbildung. sei Dank jetzt realisiert worden. Meine Fraktion hat als Ich will das Thema Polizeiausbildung noch einmal Erste einen Antrag dazu gestellt. ansprechen, Herr Minister, weil die Bundeskanzlerin (Beifall bei der FDP) heute Morgen in ihrer Rede gesagt hat, dass man sich auch an einer Polizeimission auf dem Balkan beteiligen Es steht jetzt das Dienstrechtsneuordnungsgesetz wolle. Ich mache darauf aufmerksam, dass derzeit we- zur Debatte. Ich möchte Sie bitten, Herr Minister, darauf der die Europäische Union noch die Bundesrepublik Einfluss zu nehmen. Wenn das Dienstrechtsneuord- Deutschland ihren Aufgaben bei der Polizeiausbildung nungsgesetz so kommt, wie es jetzt geplant ist, dann in Afghanistan gerecht geworden ist. wird es zu einer massiven Benachteiligung der Soldatin- nen und Soldaten führen. Es wird die Attraktivität der (Beifall des Abg. Alexander Bonde [BÜND- Bundeswehr weiter verringern. Vor diesem Hintergrund NIS 90/DIE GRÜNEN]) bitte ich Sie: Ändern Sie den Entwurf in den Beratungen noch ab! So kann er jedenfalls die Zustimmung der FDP- Was zugesagt wurde, ist bisher nicht geliefert worden. Bundestagsfraktion nicht finden. Die notwendige Unterstützung ist nicht gegeben worden. Es ist ein einziges Desaster. (Beifall bei der FDP sowie des Abg. Ernst- Reinhard Beck [Reutlingen] [CDU/CSU]) Wenn Sie mit uns der Auffassung sind, Herr Minister, dass die Polizeiausbildung – auch als Flankierung bzw. Es bleibt im Übrigen beim Thema „Attraktivität der im politischen Zusammenhang – immer wichtiger wird, Streitkräfte“ noch einiges zu tun. Herr Minister, vor we- dann muss man in Deutschland endlich klare Rahmenbe- nigen Tagen hat Ihr Haus eine Studie des Sozialwissen- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 129. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. November 2007 13603

Birgit Homburger (A) schaftlichen Instituts der Bundeswehr veröffentlicht, wo- konsolidiert werden. Insofern ist er ein Stück weit (C) nach eine hohe Attraktivität der Bundeswehr als schwierig – wie andere Etats auch. Arbeitgeber gegeben sei. Ich zitiere: Auch wir möchten dem scheidenden Staatssekretär Trotz des geringen Wissensstandes wird die Bun- Eickenboom ein ausdrückliches Dankeschön sagen. Er deswehr dennoch als attraktiver Arbeitgeber ange- hat unglaubliche Verdienste um die Arbeit für diesen sehen. Haushalt und die Ausstattung der Bundeswehr erwor- ben. Herr Minister, als im April dieses Jahres der Deutsche Bundeswehr-Verband aufgrund einer Befragung von (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten 45 000 Soldatinnen und Soldaten ein völlig anderes Bild der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE gezeichnet hat, haben Sie erklärt, dass dies überhaupt GRÜNEN) keine vernünftige Grundlage für eine Diskussion sei. Sie Ebenso ein Dankeschön an die beiden Haushälter der haben seinerzeit erklärt, dass das nicht ausreiche. Ich Koalition: an Frau Jaffke und den Kollegen Johannes möchte Ihnen sagen, dass die Studie, mit der Sie im Au- Kahrs. Ich denke, bei Johannes Kahrs hat man gemerkt, genblick in der Öffentlichkeit arbeiten, auf der Basis der dass ein Haushälter nicht immer nur auf das Sparen Befragung von 2 224 Personen erstellt wurde. Ich schaut – das ist wichtig; das tut ihr –, sondern dass er möchte herzlich darum bitten, dass jetzt auch einmal von gleichzeitig – das ist gut für die Bundeswehr – auch eine Ihrer Seite auf die Bundeswehr zugegangen wird. Es ganze besondere Affinität zur Sicherheitspolitik und zu kann nicht hingenommen werden, dass Schönfärberei den Bedürfnissen der Frauen und Männer bei der Truppe und auch ein bestimmtes Schönreden hier Platz greifen. hat. Danke für diese Arbeit! Man sollte diese Studie des Deutschen Bundeswehr-Ver- bands als Stimmungsbarometer ernst nehmen und in der (Beifall bei der SPD) Bundeswehr umsteuern. Zur Halbzeit dieser Legislaturperiode möchte ich auf (Beifall bei der FDP) die anstehenden Arbeiten und Aufgaben eingehen. Es bleibt dabei: Die Auslandseinsätze stehen selbstver- Herr Minister, ich habe eine abschließende Bitte. Wir ständlich im Mittelpunkt der Debatten. als FDP-Fraktion sind gern bereit, in diesem Hause Ihre Arbeit weiterhin konstruktiv zu begleiten, wenn es um Frau Homburger, was Sie hier zum Kongo gesagt ha- das Wohl der Bundeswehr geht. ben, ist einfach nicht richtig. Natürlich gab und gibt es ein Konzept. Die Vereinten Nationen haben für die dorti- (Johannes Kahrs [SPD]: Das wäre aber das gen fast 17 000 Soldaten ein Konzept. Deutschland hat (B) erste Mal!) dabei für eine bestimmte Phase, nämlich zur zusätzli- (D) chen Absicherung des Wahlkampfes und zur Durchfüh- Aber ich bitte darum, dass die Informationspolitik Ihres rung der Wahlen, einen wichtigen konzeptionellen Bei- Hauses gegenüber dem deutschen Parlament zukünftig trag geleistet. verbessert wird. Wir haben erst gestern wieder erlebt – in dieser Woche übrigens schon zweimal –, dass die Öf- (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der fentlichkeit Dinge erfährt, bevor wir sie erfahren. Das ist CDU/CSU) keine gute Zusammenarbeit. Gestern wurde veröffent- Ich möchte zunächst allen Soldatinnen und Soldaten licht, dass die verloren gegangenen Daten beim Zentrum den Dank für ihr Engagement in den Einsatzgebieten für Nachrichtenwesen der Bundeswehr wieder rekon- aussprechen und daran erinnern, dass es durchaus Solda- struiert sind. Das ist ein Erfolg, den dieses Parlament er- tinnen und Soldaten gibt, die nicht immer im Mittel- kämpft hat. Man sollte den entsprechenden Bericht dann punkt stehen, zum Beispiel die Frauen und Männer, die zunächst einmal dem Deutschen Bundestag zuleiten und für Deutschland in Georgien oder in Äthiopien wichtige nicht erst der Öffentlichkeit zugänglich machen. Missionen erfüllen. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie (Beifall bei der FDP sowie des Abg. Gert bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE Winkelmeier [fraktionslos]) GRÜNEN) Diese Koalition, Herr Minister, hat die Transforma- Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: tion der Bundeswehr zu Recht im Koalitionsvertrag fort- Das Wort hat nun Kollege Rainer Arnold für die SPD- geschrieben; denn die bestehenden Ansätze sind alle- Fraktion. samt richtig. Gleichzeitig glaube ich, dass wir nach 15 Jahren Auslandseinsätzen immer wieder genau (Beifall bei der SPD) schauen müssen: Sind Veränderungen und neues Lernen tatsächlich notwendig? Rainer Arnold (SPD): Zunächst bleibt richtig, dass wir auch zukünftig Kri- Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Der sen nicht nur militärisch begegnen werden und begegnen Einzelplan 14 für das nächste Haushaltsjahr ist ein ange- dürfen, sondern umfassend zu reagieren haben und vor messener Haushalt. Er ermöglicht, was in Bezug auf die allen Dingen alles tun sollten, um im Vorfeld Spannun- Transformation geleistet werden muss. Gleichzeitig ord- gen zu entschärfen. Richtig bleibt auch, dass Konflikte net er sich in die Gesamtsituation ein; Haushalte müssen dort bekämpft werden müssen, wo sie tatsächlich entste- 13604 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 129. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. November 2007

Rainer Arnold (A) hen. Richtig bleibt auch, dass zivil und militärisch abge- und bürokratische Abläufe? – Wir brauchen keine erd- (C) stimmte, gemeinsame Ziele verfolgt werden müssen. bebensicheren Container, und wir können mehr handels- übliches Material verwenden. Wir brauchen auch keine Nachsteuern heißt aber: Die Transformation ist Abgassonderuntersuchung bei allen Fahrzeugen in nichts Bewahrendes und Statisches. Den Istzustand wei- Afghanistan und vieles andere mehr. Ich glaube, diese ter zu stabilisieren, würde nicht ausreichen. Ich möchte Regeln passen nicht zu den Einsätzen. dies an ein paar Beispielen erläutern. Wir alle wissen, Deutschland will nicht allein in der Welt agieren. Wir Wir begrüßen sehr, Herr Minister, dass zunehmend sind vielmehr fest in den jeweiligen Bündnissen veran- die militärischen Voraussetzungen der Uniformträger bei kert. Aber zu beiden wichtigen Säulen in den Bündnis- der Führung von Auslandseinsätzen gebündelt wurden sen, zur NRF, zur NATO Response Force, und zur und wohl auch weiter gebündelt werden. Ich denke aber, Battle-Group, gibt es natürlich ganz erheblichen Klä- dass die zivilen Mitarbeiter der Bundeswehr diesem rungsbedarf. Deutschland hat seine Fähigkeiten verläss- Prinzip in einer neuen Organisationsstruktur folgen müs- lich eingebracht. Wir merken aber im Augenblick, dass sen. Wir sollten über querschnittliche Verantwortung für dies parallel zur Einsatzlast kaum zu schultern ist. Ich Auslandseinsätze auch bei den zivilen Mitarbeitern glaube schon, dass beide Organisationen, die NATO und nachdenken. Dabei geht es nicht nur um die Organisa- die EU, sehr sorgsam diskutieren sollten, ob beides tion, sondern am Ende auch darum, wie zufrieden die gleichzeitig überhaupt sinnvoll geleistet werden kann. Frauen und Männer sind, die in der Bundeswehr im All- Ein Weiteres im Zusammenhang mit der Transforma- tag ihre Arbeit leisten. tion. Wir merken im Augenblick, dass die Trennung zwi- Das letzte Beispiel, bei dem meiner Meinung nach schen Stabilisierungs- und Eingreifkräften eher künstlich weiter gedacht werden muss, ist die Wehrpflicht; der ist. Die Übergänge sind – das sehen wir in Afghanistan Herr Minister hat es angesprochen. In den Verteidi- jeden Tag – eher fließend. Auch über diese Frage muss gungspolitischen Richtlinien steht, dass die Wehrpflicht in den nächsten Jahren sorgsam diskutiert werden. weiterzuentwickeln ist. Wir sind ein verlässlicher Koali- Die Frage, ob die Haushaltstitel richtig gewichtet tionspartner und stehen zu dem Beschluss, dass die sind, wurde schon angesprochen. Es lohnt sich schon, Wehrpflicht die richtige Entscheidung ist. Das ist über- sich einmal den Etat für 2008 anzuschauen. Zwei Drittel haupt keine Frage. der Beschaffungen sind für die Eingreifkräfte und nicht (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) für das vorgesehen, was wir in erster Linie erfüllen: Sta- bilisierungsaufgaben. Das hat etwas mit gebundenen Es ist gut, wenn der Minister sich Gedanken macht, ob Mitteln aus der Vergangenheit zu tun; da hat der Minister die Wehrpflicht auch rechtlich Bestand hat, wenn die (B) völlig recht. Dienstgerechtigkeit gefährdet ist. Man kann ein Jahr (D) oder zwei Jahre 6 000 zusätzliche Soldaten heranholen. Ich sage aber deutlich – denn das Beispiel A400M Aber das darf nicht strukturbildend werden. Es muss die wurde angesprochen –: Wir gehen nicht mehr davon aus, Frage beantwortet werden: Was tun sie, haben sie eine dass dieses Flugzeug pünktlich zum vorgesehenen Ter- sinnvolle Beschäftigung? Außerdem ist die Frage zu be- min geliefert wird. Wir erwarten aber von der Industrie antworten: Wie werden sie bezahlt? Wenn das längerfris- – da muss der Minister verhandeln –, dass es zu keinen tig zulasten der Anzahl der Zeit- und Berufssoldaten weiteren Verzögerungen kommt. Selbstverständlich geht, ist das exakt der falsche Weg. Dann ist es auch sollte die Bundesregierung aus unserer politischen Sicht keine Weiterentwicklung der Wehrpflicht, sondern eine alles tun, ihre Rechte wahrzunehmen und Schadens- Rückentwicklung. ersatz einzufordern. Dieses Flugzeug ist für die Einsätze innerhalb des Bündnisses dringend notwendig. Ich bitte die Union, vor dem Hintergrund der Vor- gabe, dass es bei der Wehrpflicht bleibt, mit uns noch (Beifall bei der SPD) einmal darüber zu diskutieren, ob nicht gerade wir in Zu diesem Nachjustieren gehört auch: Wir sehen im dieser Großen Koalition die Chance nutzen sollten, ein Einsatzalltag an vielen Stellen, wie knapp gerade Spe- Konzept für eine Weiterentwicklung der Wehrpflicht zu zialisten – ob Piloten, spezielle Ärzte und viele andere entwickeln, das auch in der nächsten Legislaturperiode, mehr – sind. Ich denke, wir brauchen eine Debatte da- wie immer die Konstellationen dann aussehen mögen, rüber, ob man nicht verstärkt darangehen sollte, diese trägt. Das wäre eine typische Aufgabe für eine Große Fähigkeiten zusätzlich auszubilden. Das Schmerzhafte Koalition. Wenn wir das nicht gemeinsam leisten, wird muss dabei mit diskutiert werden: Das wird immer nur die Wehrpflicht möglicherweise in der nächsten Legisla- gehen, wenn an anderer Stelle etwas weggeschnitten turperiode viel stärker unter Druck geraten, als wir uns wird. Wir möchten Sie, Herr Minister, ermuntern, diese das insgesamt wünschen. Wir stehen weiterhin zur schwierige Debatte mit anzustoßen. Wehrpflicht. Aber wir wollen sie weiterentwickeln, in- dem wir die Freiwilligkeit stärken, sodass wir am Ende Das nächste Beispiel betrifft die Ausstattung. Dazu aufgrund des attraktiven Angebots der Bundeswehr hat Johannes Kahrs schon einiges gesagt. Die Hauptkri- keine jungen Menschen zum Wehrdienst zwingen müs- tik der Soldaten in den Einsatzgebieten bezieht sich nicht sen. darauf, dass ihre Ausstattung schlecht wäre. Sie ist nicht schlecht im Vergleich zu unseren Verbündeten. Die Lassen Sie mich zum Schluss noch einen Punkt an- Hauptkritik lautet: Warum geht es so langsam, und wa- sprechen. Ich wünsche mir sehr, dass wir eine stärkere rum haben wir gelegentlich so unsinnige Vorschriften gesellschaftliche Debatte um deutsche Verantwortung Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 129. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. November 2007 13605

Rainer Arnold (A) – nicht um Interessen, wie manche hier verkürzt meinen – wir, die Mitglieder der verschiedenen Parteien, auch in (C) in der Welt führen. Dann wäre auch die linke Geisterdis- unseren Wahlkreisen. kussion, dass wir Kriegstreiber seien, sehr schnell aus der Welt zu schaffen. Sie isolieren sich und unser Land Herr Minister, was ist Ihre Reaktion darauf? Wie ver- in der Welt. Denken Sie einmal darüber nach, was die halten Sie sich angesichts dieses objektiv vorhandenen Skandinavier tun. Sie tun dasselbe wie die Deutschen; Vertrauensverlustes gegenüber der Politik und der Bun- und sie sind wirklich friedliebende Völker wie wir Deut- desregierung? Sie haben uns einen Brief geschrieben, sche auch. Diese Debatte hätte nicht nur für die Gesell- Ihre Zwischenbilanz nach zwei Jahren Politik im Vertei- schaft einen wichtigen Wert, sondern auch für die Solda- digungs- und Sicherheitsbereich. Dort steht im Hinblick ten, die uns, wenn wir sie besuchen, in erster Linie auf dieses Problem der folgende Satz: „Deshalb werbe fragen: Warum sind wir hier? Was tut die Politik, wäh- ich für einen breiten Dialog.“ Persönlich, sozusagen bi- rend wir hier für Stabilität sorgen? Was geschieht in di- lateral, kaufe ich Ihnen das ab. Die Frage ist nur, ob es plomatischer Hinsicht? Was ist mit dem zivilen Aufbau? tatsächlich einen politischen Dialog gibt. – Diese Fragen der Soldaten werden umso drängender, je Seit 2006 können wir feststellen – das gilt für die Mit- länger die Einsätze dauern. Deshalb brauchen wir diese glieder der verschiedenen Fraktionen ebenso wie für Diskussion. andere –, dass über die Wirksamkeit von Auslandsein- Ich würde mir sehr wünschen, dass wir uns in der Ko- sätzen, die Kriterien für Auslandseinsätze und die Pro- alition darauf verständigen, dass auch wir Parlamentarier bleme im Zusammenhang mit den großen, komplizierten noch stärkere Impulse für solche gesellschaftlichen De- State-Building-Projekten auf multinationaler Ebene ins- batten geben, dass wir nicht immer nur über Auslands- gesamt immer stärker diskutiert wird. Vorschläge hin- einsätze im Einzelnen diskutieren, sondern auch im sichtlich der Kriterien kamen vom Kollegen Grundsatz über Deutschlands Verantwortung in der Schockenhoff, von der CSU-Landesgruppe und von Welt. Volker Perthes, also von der Stiftung Wissenschaft und Politik. Auch im Friedensgutachten der fünf Friedens- Herzlichen Dank. forschungsinstitute wurden Vorschläge geäußert. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vor wenigen Wochen hat die Evangelische Kirche in Deutschland eine Friedensdenkschrift vorgelegt, in Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: der sie, ausgehend vom Verständnis eines gerechten Das Wort hat nun Winfried Nachtwei, Fraktion Bünd- Friedens, eine Ethik rechtserhaltender Gewalt ent- nis 90/Die Grünen. wickelt. Diese Friedensdenkschrift markiert Grenzen des Rechts auf Selbstverteidigung. Es wäre sehr interessant (B) (D) Winfried Nachtwei (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): gewesen, wenn das Parlament diesen Aspekt in der Dis- Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich kussion über die Fortsetzung der Operation Enduring kann direkt an die Ausführungen des Kollegen Arnold Freedom stärker berücksichtigt hätte. Diese Operation anschließen und mit dem weitermachen, was heute an- – wir gehen in das siebte Jahr – bezieht sich ja ausdrück- steht: Nach zwei Jahren sollte man versuchen, eine Zwi- lich auf ein geradezu endlos definiertes Selbstverteidi- schenbilanz zu ziehen. Ich will allerdings keine Insider- gungsrecht. diskussion führen, auch wenn die Versuchung sehr groß In dieser Denkschrift wird auch die ethische Fragwür- ist. digkeit – das ist zu bescheiden formuliert –, die ethische Es bleibt dabei – ich habe das vor Ort auf dem Bal- Illegitimität des Drohens mit Atomwaffen festgestellt. kan, in Afghanistan, vor der Küste Libanons und an- Was bedeutet das für die fortgesetzte nukleare Teilhabe derswo erfahren –, dass die Bundeswehrangehörigen der Bundesrepublik Deutschland? Was bedeutet das an- professionell und wirksam zur Eindämmung großer Ge- gesichts der Tatsache, dass Sie, Herr Minister, weiterhin walt beitragen. Sie tun das im Auftrag der Vereinten Na- von Tornadobesatzungen verlangen, dass nukleare Ein- tionen und im Auftrag dieses Bundestages. Dafür ist ih- sätze geübt werden? nen und ihren Angehörigen, die indirekt beteiligt sind, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) ausdrücklich zu danken. Das ist endgültig nicht mehr zumutbar. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Zugleich können wir aber feststellen – das gilt vor al- Wie steht es nun um das spannende Angebot eines lem seit dem letzten Jahr –, dass die Auslandseinsätze konstruktiven Dialogs? Ich habe den Eindruck, dass Sie der Bundeswehr zunehmend an Akzeptanz verlieren. und Ihr Haus nur Monologe, aber keinen politischen Vor einigen Wochen hat das Institut für Demoskopie Al- Dialog führen. lensbach Zahlen veröffentlicht, nach denen der Anteil (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN der Bevölkerung, der diese Auslandseinsätze ablehnt, sowie bei Abgeordneten der FDP) von 2005 bis 2007 von 34 auf 50 Prozent gestiegen ist. Die Bevölkerungsumfrage des Sozialwissenschaftlichen Sie haben den umfassenden Ansatz und die ver- Instituts der Bundeswehr kommt zu etwas niedrigeren netzte Sicherheitspolitik mit dem Weißbuch mehr in Werten und äußert sich etwas zurückhaltender, es stellt den Mittelpunkt gestellt. Das ist ausdrücklich zu befür- aber eine ähnliche Tendenz fest. Diese Tendenz spüren worten; das ist notwendig. Sehen wir uns aber einmal an: 13606 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 129. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. November 2007

Winfried Nachtwei (A) Das auf der NATO-Ebene in verschiedenen Komitees zu sätzlich rund 150 Millionen Euro auf diesen Plafond (C) verankern ist das eine. Das ist natürlich notwendig. Aber draufzusetzen, und zwar für die Modernisierung der wie sieht es am Boden aus? Wie sieht da die Umsetzung Flugbereitschaft, die nicht nur den Soldaten, sondern aus? Ich will ein Beispiel dazu nennen: Sicherheitssek- unter anderem auch der Bundesregierung und dem Bun- torreform, Polizeireform. Wir mussten in der vorherigen destag zugutekommt, aber auch für die Fortsetzung des Woche in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung lesen, Tornadoeinsatzes, wofür noch einmal zusätzlich was Ihr Kollege Innenminister Schäuble dazu gesagt hat. 38 Millionen Euro erforderlich waren. Ich zitiere: Herr Bundesminister Jung, Sie sind schon auf einen Mehr deutsche Polizisten zur Ausbildung der af- wesentlichen Sympathieträger unserer Streitkräfte einge- ghanischen Kollegen lehnte er indes ab – was die gangen. Das sind die Soldatinnen und Soldaten in den Anforderungen an die Polizisten betreffe, seien die Stützpunkten unserer Spitzensportler. Ich freue mich, Amerikaner dazu besser in der Lage. dass es möglich war, auch hier noch 3,5 Millionen Euro einzubringen, um damit rund 800 Spitzensportlerinnen (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- und Spitzensportlern der Bundeswehr eine entspre- NEN]: Peinlich!) chende Vorbereitung auf die Olympischen Spiele in Van- Solche Worte – das muss ich sagen – sind eine ausdrück- couver und Peking zu ermöglichen. liche Kapitulation vor dem, was gerade in Afghanistan notwendig ist. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Wir kommen mit dieser Steigerung um über sowie bei Abgeordneten der FDP) 1 Milliarde Euro – ermöglicht durch die Beschlüsse des Haushaltausschusses und des Verteidigungsausschusses – Sie sabotieren ausdrücklich den umfassenden Ansatz, unserer Aufgabe nach, die Investitionen zur Stärkung der wohl insgesamt von der Bundesregierung vor sich der Einsatzfähigkeit der Bundeswehr sowie der Verbes- hergetragen wird. Ich muss sagen: Dieser umfassende serung der Unterbringung unserer Soldaten entsprechend Ansatz muss im Kabinett anfangen, damit er nicht nur fortzuführen. Kollege Kahrs hat schon auf den momen- Schall und Rauch bleibt. tanen Zustand der Unterbringung bzw. auf die vorhan- Danke schön. denen Mängel hingewiesen. Außerdem haben wir zu- sätzliche Gelder für militärische Beschaffungen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN bereitgestellt. Ich gehe davon aus, dass diese Vorhaben sowie bei Abgeordneten der FDP) heute in zweiter Lesung und am Freitag in dritter Lesung bestätigt werden. (B) (D) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Frau Homburger, das, was Sie zum Einsatz im Kollege Kurt Rossmanith hat das Wort für die CDU/ Kongo gesagt haben, war leider Humbug; CSU-Fraktion. (Birgit Homburger [FDP]: Was denn?) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) denn Sie sind nicht auf die Konsequenzen eingegangen. Kurt J. Rossmanith (CDU/CSU): Im Kongo haben unsere Soldaten vereint mit unseren Herr Präsident! Meine verehrten Kolleginnen und Partnern Hervorragendes geleistet und schon im Vorfeld Kollegen! Wir befinden uns jetzt im vierten Jahr nach ein Riesenchaos verhindert. Es fanden demokratische der grundlegenden Entscheidung zur Transformation Wahlen statt, deren Ergebnis akzeptiert wurde. unserer Streitkräfte. Unser Ziel ist weiterhin, die Ein- (Birgit Homburger [FDP]: Na ja!) satzfähigkeit zu verbessern und dauerhaft auf entspre- chend hohem Niveau zu halten. Denn die Vorgaben, das Das, was Sie gesagt haben, hätte zur Konsequenz gehabt heißt den Auftrag, haben unsere Soldatinnen und Solda- – dies haben Sie nicht zum Ausdruck gebracht –, dass ten von uns, also von der Politik, erhalten. wir in einem Land wie dem Kongo, in dem die eine oder andere Rebellengruppe Unruhe stiftet, ständig Streit- Logischerweise geht Derartiges nicht, wenn man die kräfte hätten stationieren müssen. Ich glaube, das wollte entsprechenden Mittel nicht bereitstellt. Gute und lo- niemand. bende Worte allein machen diejenigen, die es gewohnt sind, harten Dienst zu leisten, unsere Soldatinnen und Die jetzige Situation im Kongo ist für afrikanische Soldaten, nicht glückselig. Verhältnisse relativ stabil. (Elke Hoff [FDP]: Sehr richtig!) (Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Ein seltsamer Stabilitätsbegriff!) Deshalb wurde im Haushalt für den Bundesminister der Verteidigung – sprich: für die Streitkräfte – schon im Hier bitte ich um etwas mehr Ehrlichkeit; die afrikani- Vorfeld, im Regierungsentwurf des Haushaltes 2008, an- schen Verhältnisse kann man nämlich nicht mit den Ver- nähernd 1 Milliarde Euro zusätzlich vorgesehen. Ich darf hältnissen bei uns vergleichen. Selbstverständlich müs- mich bei allen Kolleginnen und Kollegen sowohl im sen wir uns bemühen, die Lage im Kongo weiter zu Verteidigungsausschuss als auch im Haushaltsausschuss verbessern und zu stabilisieren, und natürlich, Kollege dafür bedanken, dass wir es dann noch geschafft haben Bonde, können wir in Anbetracht dessen, was dort der- – ich glaube, die Notwendigkeit ist unbestritten –, zu- zeit geschieht, nicht glücklich sein. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 129. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. November 2007 13607

Kurt J. Rossmanith (A) (Birgit Homburger [FDP]: „Nicht glücklich?“ wurde auch eine Vielzahl anderer Geräte und Systeme (C) Das ist jetzt Humbug! – Gegenruf des Abg. ausgemustert. Hartwig Fischer [Göttingen] [CDU/CSU]: Nein! Genau richtig! So muss man das sehen!) Um unsere Betriebs- und insbesondere die Material- kosten weiter zu reduzieren und dadurch noch mehr Im Namen meiner Fraktion und sicherlich auch im Raum für die Konzentration der Bundeswehr auf ihre Namen der gesamten Koalition sage ich allen Soldatin- Kernaufgaben zu schaffen und auch um die Zielstruktur nen und Soldaten, die im Ausland oder in Deutschland beim Umfang des Zivilpersonals im Transformations- ihren Dienst tun, meinen Dank. Sie leisten einen Dienst prozess zu erreichen, müssen wir diesen Weg entschlos- für Freiheit und Frieden. Hier sollten wir es nicht bei sen weitergehen. Worten belassen, sondern diese Überzeugung auch da- durch zum Ausdruck bringen, dass wir dem Haushalt des (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Bundesministers der Verteidigung, dem Einzelplan 14, der CDU/CSU) geschlossen zustimmen. Die Bundeswehr als Armee im Einsatz kann nicht Herzlichen Dank. mehr alle sie betreffenden Aufgaben selbst erledigen. Sie muss sich mit dem zur Verfügung stehenden Perso- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) nal auf die Fähigkeiten konzentrieren, die auf dem Markt nicht zur Verfügung stehen. Dafür braucht sie leistungs- Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: fähige Unterstützung, auch auf dem Wege von Privati- Jetzt erteile ich das Wort Kollegin Ulrike Merten, sierungen. Hinzu kommt: Die Bundeswehr hat es im SPD-Fraktion. Vergleich zu anderen mit besonders kostenintensiven und langfristigen Investitionen auf der einen Seite und (Vorsitz:Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne mit besonders hohen Know-how-Anforderungen auf der Kastner) anderen Seite zu tun.

Ulrike Merten (SPD): Die Bundeswehr hat deshalb seit 1999 ihre Anstren- Den fliegenden Wechsel oben bemerkend, sage ich gungen zur Erhöhung der Wirtschaftlichkeit und des jetzt: Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehr- Innovationspotenzials sowie zur Erschließung privaten ten Damen und Herren! Jede Debatte über den Haushalt Kapitals bei allen Unterstützungsaufgaben erheblich ver- ist ein Ringen um die richtigen Schwerpunktsetzungen. größert. Mit fast 1,5 Milliarden Euro pro Jahr für die Ko- Ich glaube, dieser Haushalt ist uns wirklich gelungen; operationsfelder und Betreiberverträge steht die Bundes- obwohl schon einige wichtige Punkte genannt worden wehr im Übrigen an der Spitze der öffentlich-privaten (B) sind, will ich sie noch einmal kurz ansprechen. Partnerschaften in Deutschland. Auf diesem Weg leis- (D) ten die GEBB und die im Bundesverteidigungsministe- Wir planen eine Erhöhung des Wehrsolds; der rium eingerichtete Abteilung Modernisierung eine wert- Dienst in der Bundeswehr wird also durch einen mate- volle und unverzichtbare Arbeit. riellen Anreiz attraktiver gestaltet. Im Zusammenhang mit dem Einsatz-Weiterverwendungsgesetz schaffen Meine sehr verehrten Damen und Herren, erst in der wir ein erhebliches Maß an Sicherheit für die im letzten Woche hat die IT-Gesellschaft in Meckenheim Auslandseinsatz versehrten Zeitsoldaten, Reservisten, ihren endgültigen Sitz bezogen. Ich kann den vielen Beamten und Mitarbeiter von Hilfsorganisationen. Im positiven Stimmen nur beipflichten: HERKULES hatte Rahmen des Projekts Schützenpanzer Puma haben wir einen guten Start. uns mit den wichtigen Fragen der Ausrüstung und des Schutzes der Soldaten im Einsatz beschäftigt. Das Infra- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten strukturprogramm West ist hier schon mehrfach er- der CDU/CSU) wähnt worden. Nach weniger als einem Jahr hat das Projekt HERKU- Um die Modernisierung der Streitkräfte und die Be- LES mit der BWI nun sein Domizil gefunden und kann reitstellung der für den Einsatz unverzichtbaren Ausrüs- mit Jahresbeginn die Integrationsphase starten. Dann tung zu gewährleisten, müssen wir – das wissen wir wird die Migrationsphase abgeschlossen sein, in der nicht erst seit heute – nach neuen Wegen suchen, um die 800 Soldaten, 400 Siemens- und IBM-Angestellte und Investitionen zu erhöhen und die Effizienz der eingesetz- 1 550 gestellte zivile Angehörige der Bundeswehr – si- ten Mittel zu steigern. Daher möchte ich den Schwer- cher auch so manchen kulturellen Unterschied überwin- punkt meiner heutigen Ausführungen bei der Reduktion dend – ihren neuen Arbeitsplatz für die nächsten Jahre der Betriebsausgaben setzen und auf unsere erfolgrei- eingenommen und die zivile, die weiße IT-Infrastruktur che Arbeit auf dem Gebiet der öffentlich-privaten Part- übernommen haben. Dazu wurden an 1 784 Standorten nerschaft eingehen. Bestandsaufnahmen durchgeführt und bestehende Ver- träge der Bundeswehr mit mittelständischen Unterneh- Im Rahmen des Transformationsprozesses hat die men in Drittverträge migriert. Bundeswehr in den letzten Jahren in großem Umfang Geräte und Systeme aus der Nutzung genommen, die sie Obwohl das gesamte ÖPP bis 2014 läuft, soll die Er- angesichts ihrer neuen Struktur nicht mehr benötigt. So neuerung der IT – sprich: die Installation von 140 000 wurde in den letzten drei Jahren nicht nur die Anzahl der PCs und Servern, 300 000 Festnetztelefonen und 15 000 Panzer und Schützenpanzer mehr als halbiert, sondern es Mobiltelefonen – bereits 2010 abgeschossen sein. 13608 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 129. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. November 2007

Ulrike Merten (A) Vielen Mitgliedern des Verteidigungs- und auch des deswehr zu bedanken, die unter zum Teil sehr gefährli- (C) Haushaltsausschusses war es übrigens bei der Entschei- chen Rahmenbedingungen ihre Aufgaben im Einsatz er- dung über HERKULES besonders wichtig, dass kleine füllen und so als Botschafter Deutschlands unser und mittlere Unternehmen am Vertragsvolumen partizi- Ansehen in der Welt aufwerten. pieren. Zwar war eine Mittelstandskomponente von (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP 30 Prozent im Vertrag enthalten, doch war sie aus unse- und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) rer Sicht zu wenig spezifisch. Der Haushaltsausschuss drängte daher erfolgreich auf ein konkretes Mittel- In diesen Dank möchte ich ausdrücklich die Reservisten standskonzept und auf jährliche Berichte des BMVg. einbeziehen; denn sie werden bei den Diskussionen sehr häufig vergessen. Nicht zuletzt hat uns der Koalitionsvertrag aufgege- ben, die Möglichkeiten der verschiedenen Betreiber- und (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie Kooperationsmodelle weiterzuentwickeln und noch bes- bei Abgeordneten der FDP) sere gesetzliche Rahmenbedingungen zu schaffen, um Unsere Soldaten sind gut ausgebildet, sie sind engagiert, das vorhandene Effizienzpotenzial zu nutzen und spe- sie sind motiviert, und sie leisten etwas Besonderes; ziell die Bundeswehr von Aufgaben zu entlasten. Die denn das Ansehen unseres Landes im Ausland wird ge- kritische Überprüfung ist hier selbstredend mit einge- mehrt. schlossen. Mein Dank richtet sich – das möchte ich in diesem Nach meiner Auffassung haben wir mit der Koopera- Zusammenhang deutlich machen – auch an die Soldatin- tion mit der Wirtschaft den richtigen Weg beschritten. nen und Soldaten sowie an die zivilen Mitarbeiterinnen Künftige Herausforderungen werden insbesondere ein und Mitarbeiter in der Heimat; denn nur weil sie ihre effektives Controlling und ein exaktes Haushaltsgebaren Leistung ordentlich erbringen, sind unsere Soldaten im sein sowie die auch vom Bundesrechnungshof konsta- Einsatz überhaupt in der Lage, das zu leisten, was sie tierte Möglichkeit des Verlustes bestimmter Fähigkeiten leisten. Sie halten ihnen den Rücken frei. und Kompetenzen. Das genannte Risiko der Monopol- bildung sehe ich bislang hingegen weniger. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP und des BÜND- Doch ich will keinen Hehl aus meiner persönlichen NISSES 90/DIE GRÜNEN) Meinung machen, dass immer dann, wenn wir durch Ei- genoptimierung Unterstützungsleistungen wirtschaftli- Ihnen allen galt und gilt unsere besondere Aufmerk- cher erbringen können, wir diesen Weg gehen sollten. samkeit. Daher haben wir in der Großen Koalition ge- Bei jedem neuen ÖPP-Projekt ist allerdings immer wie- meinsam mit der Bundesregierung und natürlich insbe- (B) der abzuwägen, für welche Produkte spezielle Bundes- sondere mit Minister Franz Josef Jung in den letzten (D) wehrlösungen notwendig sind und wo handelsübliche zwei Jahren Projekte zur Verbesserung der Ausrüstung Lösungen den größeren Nutzen bringen. Konkret bei und des Einsatzumfeldes auf den Weg gebracht. Wir ha- HERKULES ist die Verantwortung der Bundeswehr be- ben über die Einzelheiten eben schon diskutiert. rechtigterweise wesentlicher Vertragsbestandteil. Schon An dieser Stelle möchte ich mich kurz mit dem ausei- während der Projektlaufzeit ist die Bundeswehr jederzeit nandersetzen, was Frau Hoff vorhin gesagt hat. Frau in der Lage, unter bestimmten Bedingungen die unter- Hoff hat ein Bild geschildert, das ich mit der Realität nehmerische Verantwortung zu übernehmen. nicht in Einklang bringen kann. Wir sind nicht nur mit diesem Projekt auf dem richti- Sie hat uns aufgefordert, mehr zu tun. Ich denke, wir gen Weg, sondern auch mit anderen eingeleiteten Projek- haben im Rahmen des Möglichen vieles getan. Wenn ten, weil sie helfen, den notwendigen zusätzlichen Spiel- hier aber gleichzeitig ein Antrag gestellt wird, die Mittel raum zu erarbeiten. Was im Verteidigungsbereich im Kapitel „Wehrforschung, wehrtechnische und sons- möglich ist, kann beispielgebend für andere Politikberei- tige militärische Entwicklung und Erprobung“ – genau che sein. Ich glaube, es lohnt sich, sich dies genau anzu- der Bereich, für den, wie ich kritisiere, nicht genügend schauen. da ist – um 185 Millionen Euro zu kürzen, Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Johannes Kahrs [SPD]: Das ist empörend!) (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) stelle ich mir schon die Frage, welche Linie Sie in Ihrer Fraktion verfolgen: Wollen Sie mehr fordern, oder wol- Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: len Sie einsparen? Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Bernd Siebert, CDU/CSU-Fraktion. neten der SPD – Johannes Kahrs [SPD]: Die (Beifall bei der CDU/CSU) FDP hat noch nie eine klare Linie gehabt! – Elke Hoff [FDP]: Herr Kollege, wo habe ich Bernd Siebert (CDU/CSU): das kritisiert?) Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben den Zulauf bzw. die Beschaffung moderner Zu Beginn meines Redebeitrags halte ich es für unver- Ausrüstung und geschützter Fahrzeuge vorangetrieben. zichtbar, mich bei den Soldatinnen und Soldaten sowie Oberstes Ziel war es, unsere Soldaten im Einsatz mit den zivilen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Bun- dem bestmöglichen Gerät und dem höchsten Schutz aus- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 129. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. November 2007 13609

Bernd Siebert (A) zustatten und zugleich dafür Sorge zu tragen, dass die verfügbar ist, bietet schnell immer noch mehr Schutz als (C) Soldaten zu Hause auch entsprechend damit üben kön- eine Lösung, die erst in einigen Jahren verfügbar ist. nen. Mir ist klar, dass dieses Ziel nicht durch das mono- tone Einfordern größerer Finanzmittel erreicht werden Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: kann. Vielmehr muss die Bundeswehr auch weiterhin Herr Kollege, die Kollegin Hoff würde gerne eine alle Möglichkeiten zu einer effizienten Erschließung der Zwischenfrage stellen. ihr zur Verfügung stehenden Mittel nutzen. Mit den Be- teiligungsgesellschaften und der Auslagerung von Leis- tungen, die nicht zum Kernauftrag zählen, wurde der Bernd Siebert (CDU/CSU): richtige Weg beschritten. Mit der nun angestrebten Aus- Ich bin der letzte Redner zu diesem Einzelplan. Ich lagerung logistischer Leistungen sind wir – davon bin verzichte auf Zwischenfragen, weil ich die Rede im Zu- ich zutiefst überzeugt – ebenfalls auf dem richtigen Weg. sammenhang vortragen möchte. Neben diesen erfolgreichen Modellen muss jedoch über (Zuruf von der FDP: Sie wollen nur nicht ant- weitere Alternativen nachgedacht werden. Es ist aus worten!) meiner Sicht bedauerlich, dass die alternative Finanzie- rung von militärischer Ausrüstung immer wieder an den Darüber hinaus haben wir beispielsweise die soziale Einwänden einiger Bedenkenträger – so nenne ich sie – Situation der Soldatinnen und Soldaten nach einem Ein- scheitert. Dies ist ein Themenbereich, der in den nächs- satzunfall mit dem Einsatz-Weiterverwendungsgesetz ten Jahren auf der politischen Tagesordnung bleiben grundlegend verbessert, dankenswerterweise mit einer wird. Dennoch bin ich davon überzeugt, dass mit dem breiten parlamentarischen Mehrheit hier in diesem vorliegenden Haushaltsentwurf der Bundesregierung Hause. eine solide Finanzplanung für die Bundeswehr ermög- licht wurde. Konzeptionell ist die Finanzierung des Ver- Aber nicht nur die genannten Einzelprojekte machen teidigungshaushaltes stimmig. An dieser Stelle ein Dank unsere erfolgreiche Bilanz deutlich, auch die vorgese- an die Haushälter und den Finanzminister, der dies ge- hene Finanzlinie für die nächsten drei Jahre gibt Anlass meinsam mit den Haushältern ermöglicht hat. zur Zuversicht; denn wir reden jetzt über eine Steigerung von über 1 Milliarde Euro für das Jahr 2008. Ich bin mir Wichtig bleibt auch weiterhin die Anpassung der Fi- sicher, dass der investive Anteil am Einzelplan 14 auf- nanzlinie an die Anforderungen der Bundeswehr. grund der insgesamt geplanten Steigerung um rund Durch den eingeschlagenen Weg – die Anpassung der 2 Milliarden Euro in den nächsten vier Jahren deutlich Finanzlinie, die Beschränkung der Bundeswehr auf die Kernfähigkeit und das Ausschöpfen der Möglichkeiten (B) erhöht werden kann. Ich denke, damit ist unsere Forde- (D) rung, die wir hier bei der Haushaltsdiskussion vor einem einer alternativen Finanzierung – kann eine solide Fi- Jahr vorgetragen haben, in diesem Jahr umgesetzt wor- nanzbasis für die Beschaffung von Gerät und zur Her- den. Wer aber glaubt, dass damit alle Risiken beseitigt stellung moderner Infrastruktur geschaffen und damit sind, der wird sich irren. Der von einer breiten politi- letztendlich zur Attraktivität der Bundeswehr beigetra- schen Mehrheit befürwortete Transformationsprozess gen werden. der Bundeswehr ist zwar politisch gewollt und politisch Zum Schluss meines Redebeitrages möchte ich mich umgesetzt, in der Praxis aber natürlich noch nicht voll- noch einmal ganz herzlich für die gute Zusammenarbeit ständig vollzogen. Hierzu bedarf es weiterer Anstren- mit den Kollegen eigentlich aller Fraktionen im Verteidi- gungen. gungsausschuss bedanken. Es ist schon etwas Besonde- Erwähnen will ich die dringend notwendigen Investi- res, wie sachlich die Diskussionen in der Regel geführt tionen in Material und Ausrüstung – deswegen haben werden, aber insbesondere möchte ich mich bei den So- wir die Haushaltsmittel erhöht – sowie in die Infra- zialdemokraten und bei meinem Koalitionspartner struktur der Kasernen in den alten Bundesländern. Rainer Arnold bedanken, mit dem wir eine hervorra- Hier muss ohne Wenn und Aber Abhilfe geschaffen wer- gende Zusammenarbeit pflegen. den. Es ist unsere Pflicht, unsere Staatsbürger in Uni- Als Ausdruck dieser guten Zusammenarbeit darf ich form auch nach den Standards der heutigen Zeit unterzu- die für Januar 2008 geplante Erhöhung des Wehrsoldes bringen. Letztlich ist dies auch ein wichtiger Beitrag für um 2 Euro pro Tag erwähnen, die wir gemeinsam auf die Attraktivität des Arbeitgebers Bundeswehr und ein den Weg gebracht haben. Die erste Erhöhung seit 1998 Zeichen der Wertschätzung gegenüber unseren Soldaten ist aus meiner Sicht eine notwendige Voraussetzung für und Soldatinnen. die Akzeptanz des Wehrdienstes bei jungen Menschen in unserem Land und trägt damit zum notwendigen Erhalt Darüber hinaus muss auch die von mir bereits er- der Wehrpflicht bei. wähnte durchgängige Ausstattung der Truppe mit mo- dernem und einsatztauglichem Gerät zügig fortgeführt Vielen Dank. werden. Dies wird auf der Zeitachse immer noch zu sehr gestreckt. Wir müssen allerdings nicht immer – das sage (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) ich ausdrücklich wegen der Diskussionen der letzten Tage – eine 100-Prozent-Lösung umsetzen, deren Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Verwirklichung meist viel Zeit in Anspruch nimmt. Die Ich gebe dem Kollegen Koppelin das Wort zu einer 90-Prozent-Lösung, die aber unter Umständen sofort Kurzintervention. 13610 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 129. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. November 2007

(A) Jürgen Koppelin (FDP): (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- (C) Schade, dass Sie meiner Kollegin Hoff nicht die Mög- neten der SPD) lichkeit zur Zwischenfrage gegeben haben, Herr Kol- Viele andere Aufgaben liegen natürlich noch vor uns. lege, vor allem, da Sie sie persönlich angesprochen ha- Wir wollen selbstverständlich auch neue Entwicklungen ben. in Gang setzen. Das wollen Sie auch; so jedenfalls habe Ihr ganzer Beitrag hat mich sehr gewundert. Ich habe ich Frau Hoff vorhin verstanden. den Eindruck, dass Sie nicht allzu gründlich in den Vor diesem Hintergrund will ich einmal zitieren, was Haushaltsentwurf geguckt haben. Sonst hätten Sie hier Sie in Ihrem Antrag geschrieben haben, damit es jeder nicht eine solche Rede halten können. weiß: Ich stelle fest, dass Sie die mehr als 1 Milliarde Euro, Der Bundestag wolle beschließen: die Sie angeblich zusätzlich bekommen haben, loben. Im Kapitel 14 20 – Wehrforschung, wehrtechnische Sie feiern das ab und erklären, was man mit diesem Geld und sonstige militärische Entwicklung und Erpro- alles machen könne. Sie haben allerdings völlig verges- bung – ist bei Titel 551 11 – Wehrtechnische Ent- sen, dass der Bundeswehr im Haushalt 2007 allein durch wicklung und Erprobung – der Mittelansatz von die Erhöhung der Mehrwertsteuer so viel Geld weg- 550 Mio. Euro um 185 Mio. Euro auf 365 Mio. genommen worden ist, dass wir in diesem Haushalt ein Euro zu reduzieren. Riesendefizit hatten. Das müssen Sie erst einmal aus- gleichen. Im Moment haben Sie noch gar nichts zum Dies widerspricht dem, was Frau Hoff vorhin vorgetra- Verteilen. Allein durch Ihre Erhöhung der Mehrwert- gen hat. steuer ist bei der Bundeswehr richtig abkassiert worden; (Zuruf von der FDP: Das ist Quatsch!) das sind fast 700 Millionen Euro. Darauf hätten Sie ein- gehen können. Weiterhin steht dort: Bei der Verpflichtungsermächtigung erfolgt eine Sie hätten auch auf andere Dinge eingehen können. Absenkung um 200 Mio. Euro auf 427,6 Mio. Euro. Der Einzelplan 14 zeugt nicht von Haushaltsklarheit und -wahrheit. Das merken Sie jedes Mal, wenn es zu (Zuruf von der FDP: Was Sie hier machen, ist Auslandseinsätzen kommt und zusätzliche Leistungen so etwas von unseriös!) erbracht werden müssen. Dann kommt die „Aktion Klin- Ich stelle fest, dass mit der von Ihnen vorgesehenen gelbeutel“ des Verteidigungsministers; dann sammelt er Absenkung die Zukunftsfähigkeit der Bundeswehr nicht überall Geld ein. Hätten Sie sich einmal den Haushalts- ausgeweitet, sondern reduziert wird. Nichts anderes wol- entwurf angeschaut, dann hätten Sie die vielen Haus- (B) len Sie mit Ihren Anträgen. (D) haltsvermerke gesehen. In diesem Fall hätten Sie hier nicht eine solche Rede gehalten. So, wie dieser Haushalt (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) aufgestellt ist – das habe ich in der letzten Haushaltsde- batte schon gesagt –, müssten Sie dem Verteidigungsmi- Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: nister eigentlich das Geld geben und sagen: „Mach da- Ich schließe die Aussprache. mit, was du willst“; denn der von ihm aufgestellte Haushalt hat nichts mit Haushaltsklarheit und -wahrheit Wir kommen zur Abstimmung über den zu tun. So müssen Sie auch unsere Anträge sehen. Einzelplan 14 – Bundesministerium der Verteidigung – in der Ausschussfassung. Hierzu liegt ein Änderungsan- Ich bedauere sehr, dass Sie überhaupt eine solche trag der Fraktion der FDP vor, über den wir zuerst ab- Rede gehalten haben. Sie sollten in den Haushaltsent- stimmen. Wer stimmt für den Änderungsantrag auf wurf schauen. Drucksache 16/7314? – Wer stimmt dagegen? – Enthal- tungen? – Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der (Beifall bei der FDP) Koalition bei Gegenstimmen der Opposition abgelehnt. Wer stimmt für den Einzelplan 14 in der Ausschuss- Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: fassung? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Herr Kollege Siebert, Sie können antworten. Einzelplan 14 ist mit den Stimmen der Koalition bei Ge- genstimmen der Opposition angenommen. Bernd Siebert (CDU/CSU): Ich rufe den Tagesordnungspunkt II.12 auf: Herr Kollege Koppelin, auch mit Ihrer Bemerkung Einzelplan 23 wird das, was Ihre beiden Kolleginnen vorhin vorgetra- Bundesministerium für wirtschaftliche Zu- gen haben, nicht richtiger. sammenarbeit und Entwicklung (Elke Hoff [FDP]: Aber sicher!) – Drucksachen 16/6419, 16/6423 – Ich denke, dass wir mit der Erhöhung der Haushalts- Berichterstattung: mittel außerordentlich viel Richtiges und Sinnvolles ge- Abgeordnete Alexander Bonde tan haben. Wir haben nämlich zunächst dafür Sorge ge- Jochen Borchert tragen, dass unsere Soldaten im Einsatz mehr Schutz Iris Hoffmann (Wismar) erhalten. Damit haben wir die erste Pflicht gegenüber Jürgen Koppelin unseren Soldaten erfolgreich umgesetzt. Michael Leutert Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 129. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. November 2007 13611

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner (A) Zu dem Einzelplan 23 liegt ein Entschließungsantrag bereits einen ersten Warnschuss vor den Bug abgegeben (C) der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor, über den wir – diesen sollte man ernst nehmen –, in der Bereinigungs- am Freitag nach der Schlussabstimmung abstimmen sitzung mit der Kürzung der Weltbankmittel noch einen werden. zweiten. Ich bin sicher: Wenn wir uns die von den Haus- hältern formulierten Sorgen nicht zu Herzen nehmen, Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für dann wird der nächste Schuss als volle Breitseite mit- die Aussprache Eineinviertelstunden vorgesehen. – Ich schiffs landen. höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich gebe das Wort dem Kollegen Hellmut Königshaus, (Beifall bei der FDP) FDP-Fraktion. Lassen Sie uns diese Mahnzeichen aufgreifen. Wie ge- (Beifall bei Abgeordneten der FDP) sagt, wir streiten ja nicht über die Ziele, sondern über die Wege dorthin. Das gilt insbesondere im Hinblick auf die Mittelverwendung. Hellmut Königshaus (FDP): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lassen Der entscheidende Kritikpunkt für die FDP ist die fal- Sie mich mit einem Glückwunsch beginnen. Frau Minis- sche Schwerpunktsetzung in der Entwicklungspolitik. terin Wieczorek-Zeul, Sie hatten vor einer Woche Ge- Über die Schwellenländer hat Guido Westerwelle am burtstag. Dazu gratulieren wir Ihnen ganz herzlich. Es Beispiel Chinas in der „Elefantenrunde“ heute Morgen war nicht irgendein Geburtstag, sondern ein Geburtstag, gesprochen; ich kann es deshalb kurz machen. Wir för- an dem die meisten Menschen normalerweise in den Ru- dern mit riesigen Beträgen weiterhin Länder, die es ei- hestand gehen. Keine Angst, ich will keine platten Sotti- gentlich nicht nötig haben. Wir zahlen Südafrika sen, sondern Ihnen ein ernst gemeintes Kompliment ma- 56 Millionen Euro, China 67,5 Millionen Euro – das ist chen! Ich kenne kaum einen anderen Ressortchef, der so übrigens ein Aufwuchs im Vergleich zum Vorjahr – und energisch für seine Ziele kämpft und sie so unbeirrt Indien 64 Millionen Euro. Die gesamten ODA-Mittel, durchsetzt. einschließlich dessen, was aus anderen Haushalten (Beifall der Abg. Ute Koczy [BÜNDNIS 90/ kommt, betragen noch ein Vielfaches davon, im Falle DIE GRÜNEN]) Chinas 187 Millionen Euro. Dabei haben diese Länder das weiß Gott nicht nötig. Das wird auch in dem Aufwuchs deutlich, den Ihr Haus- haltsansatz erfahren hat. Es sind immerhin satte 15 Pro- Wenn wir die Devisenreserven allein von China be- zent. Kompliment! trachten, dann stellen wir fest, dass es mehr ist, als heute Morgen angenommen wurde, nämlich 1,411 Billionen (B) (D) (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Da kann man Dollar. Hinzu kommen die 138 Milliarden Dollar von doch nicht meckern!) Hongkong, über die die Zentralregierung entscheidet. Was die Ziele angeht, sind wir uns in der Regel einig. Ich will das nur einmal in Erinnerung rufen: Allein aus Nur der Weg trennt uns manchmal ein bisschen. den Zinseinkünften dieser Devisenreserven kann das Land in neun Stunden die Mittel, die wir im Rahmen der (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem Entwicklungszusammenarbeit zur Verfügung stellen, er- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) wirtschaften. Und Sie glauben, Sie könnten damit Ein- Dennoch oder gerade deshalb ist es schmerzhaft, dass fluss nehmen? Ich halte das für falsch; denn dieses Geld mit diesem Haushaltsansatz wieder falsche Weichenstel- fehlt natürlich in anderen Ländern. Das Geld, das wir für lungen verbunden sind. China ausgeben, können wir zum Beispiel nicht Niger oder Bangladesch geben. Schon wieder und mehr denn je setzen Sie, Frau Mi- nisterin, auf die weithin unbefriedigende Budgethilfe, (Beifall bei der FDP) die oft auf verschlungenen Pfaden über internationale In- stitutionen – Weltbank, EEF usw. – an fragile Staaten Wer braucht die größte Unterstützung zurzeit, auch und nicht selten an korrupte Regime fließt. Eine echte im deutschen Interesse? Das ist Afghanistan. Was erhält Verwendungskontrolle ist dann natürlich nicht möglich. Afghanistan? Sie sprechen von einem Aufwuchs. Ich Wir haben noch immer – ich weiß, dass ich das oft an- kann den im Haushaltsplan nicht unmittelbar feststellen; spreche; aber man muss es immer wieder tun, weil es um das ist ziemlich unübersichtlich. Im Februar letzten Jah- viel Geld geht – keine Kontrolle über die Mittelverwen- res haben Sie uns mitgeteilt, Sie hätten die Hilfe um dung des Europäischen Entwicklungsfonds, keine parla- 20 Millionen Euro auf 100 Millionen Euro aufgestockt. mentarische Kontrolle – diese haben wir sowieso nicht, Jetzt stehen 70 Millionen Euro im Haushaltsplan. Fragt weil kein Parlament dafür zuständig ist – und auch keine man nach, wo die Differenz ist, dann wird auf das Aus- wirksame Kontrolle durch die Bundesregierung, Frau wärtige Amt verwiesen. Im Haushaltsplan für das Aus- Ministerin. Es gibt offenbar noch nicht einmal einen wärtige Amt stehen – das ist richtig – 55 Millionen Euro. ständigen deutschen Vertreter in den Steuerungsgremien, Wie viel es aber vorher war, wird verschwiegen. Vermut- der Kontinuität bei der Aufsicht gewährleisten würde. lich ist dort keine Aufstockung erfolgt. Wir konnten das Sie sind dort offenbar „blind“. nicht ganz nachvollziehen. Das zeigt einmal mehr, dass die künstliche Trennung von AA und BMZ auch in die- Das kann so nicht weitergehen. Mit einer geringfügi- sem Punkt zulasten der Haushaltswahrheit und der Haus- gen Kürzung dieses Einzelpostens hatten die Haushälter haltsklarheit geht. 13612 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 129. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. November 2007

Hellmut Königshaus (A) Weil wir gerade beim Organisatorischen sind: Frau Davon gehen allein 200 Millionen Euro an den GFATM, (C) Ministerin, was macht eigentlich die Institutionenre- den globalen Fonds zur Bekämpfung dieser drei Krank- form? Was macht die Zusammenführung von KfW Ent- heiten. Damit werden diese Mittel gegenüber dem Vor- wicklungsbank und GTZ? jahr um 130 Prozent erhöht. (Markus Löning [FDP]: Gute Frage!) Auch die Barmittel für die Weltbank und den Europäi- schen Entwicklungsfonds wachsen deutlich an, bedingt Was ist mit „weltwärts“? Soll die Organisation wirklich durch Abrufe von Verpflichtungen, die wir bereits in vo- ohne gesetzliche Grundlage entstehen? Es wird einfach rangegangenen Haushaltsjahren eingegangen sind. ein Konzept aus der Handtasche gekramt, und dann ist „weltwärts“ da. Die Haushälter bewilligen 70 Millionen Für die Weltbank und die Afrikanische Entwicklungs- Euro, und dann fangen die an, zu arbeiten. Niemand hier bank werden Ende dieses Jahres durch die Bundesregie- im Parlament kennt irgendwelche Rahmenbedingungen. rung höchstwahrscheinlich Neuzusagen von insgesamt Frau Ministerin, bitte sagen Sie uns, wohin Sie wollen. deutlich mehr als 2 Milliarden Euro gemacht. Auch hier- Aus Ihrem Haushaltsplan ist das jedenfalls nicht ersicht- für sind im vorliegenden Haushalt bereits entsprechende lich. Verpflichtungsermächtigungen eingestellt worden. Ich danke Ihnen. Auch die Mittel der finanziellen Zusammenarbeit, (Beifall bei der FDP) also der KfW, werden kräftig aufgestockt. Auf sie ent- fällt mit etwa 300 Millionen Euro fast die Hälfte der ge- samten Etaterhöhung. Erklärtes Ziel des Bundesministe- Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: riums ist es, mit den zusätzlichen Mitteln vor allem die Ich gebe das Wort der Kollegin Iris Hoffmann, SPD- Bereiche Zinssubventionen und Programmorientierte Fraktion. Gemeinschaftsfinanzierungen bzw. Budgethilfen weiter systematisch auszubauen. Auf Letzteres komme ich spä- Iris Hoffmann (Wismar) (SPD): ter noch zurück. Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bei aller gebotenen Konzentration auf die großen Sehr verehrte Damen und Herren! Der Etat des Bundes- multi- und bilateralen Organisationen war ich doch etwas ministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und überrascht darüber, dass es der Bundesregierung trotz der Entwicklung ist in dieser Legislaturperiode nach wie vor hohen Zuwächse wie im vergangenen Jahr größtenteils einer der am stärksten wachsenden Einzelpläne im ge- nicht möglich war, die zivilgesellschaftliche Entwick- samten Bundeshaushalt. Mit einer Steigerung von über lungszusammenarbeit angemessen am Aufwuchs des (B) 14 Prozent gegenüber dem Vorjahr auf weit mehr als Haushalts zu beteiligen. (D) 5 Milliarden Euro wird 2008 mit Abstand das bisher beste Jahr in der deutschen Entwicklungszusammenar- Der Haushaltsausschuss hat hier die Forderungen und beit. Blicken wir zurück, können wir feststellen, dass der Anregungen der Kolleginnen und Kollegen aus dem Haushalt seit dem Jahr 2000 um 1,4 Milliarden Euro Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Ent- angewachsen ist. Diese dynamischen Mittelzuwächse wicklung aufgegriffen und die Mittel für verschiedene verdeutlichen, welchen Stellenwert die Entwicklungszu- zivilgesellschaftliche Organisationen maßvoll angeho- sammenarbeit in der Politik der Bundesregierung inzwi- ben. Dazu gehören beispielsweise die Arbeiterwohlfahrt schen hat. Das ist ein Erfolg, der vor allem der Bundes- International, das DGB-Bildungswerk, das Kolping- ministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul zu verdanken ist. werk, der Deutsche Akademische Austauschdienst, die Alexander-von-Humboldt-Stiftung und nicht zuletzt die (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten vielen ehrenamtlich tätigen privaten Vereine und Nicht- der CDU/CSU) regierungsorganisationen. Auch wenn wir gelegentlich verschiedene Meinungen (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten haben, sind wir im Ziel und in der Sache nicht auseinan- der CDU/CSU) der, geht es doch darum, unseren finanziellen Verpflich- tungen gerecht zu werden und die Millenniumsentwick- Budgethilfen, also direkte Zuschüsse zum nationalen lungsziele umzusetzen. Unser Anliegen ist es, das Thema Haushalt der Entwicklungsländer, sowie Sektorpro- Entwicklungspolitik nicht nur auf der politischen Agenda gramme und Korbfinanzierungen – in Deutschland unter nach vorne zu bringen, sondern auch in die Köpfe und dem Begriff „Programmorientierte Gemeinschaftsfi- Herzen der Menschen zu tragen, um die Akzeptanz in der nanzierung“ zusammengefasst – haben in der interna- Öffentlichkeit noch weiter zu erhöhen. tionalen Entwicklungszusammenarbeit zunehmend an Auch in diesem Jahr wurden eindeutige Schwerpunkte Bedeutung gewonnen. Die Bundesregierung folgt die- bei der Verteilung der zusätzlich zur Verfügung stehen- sem Trend und hat die Mittel für diese Instrumente in den den Mittel gesetzt. Herausheben möchte ich die verstärk- letzten Jahren stark erhöht. Bis Ende 2006 waren bereits ten Anstrengungen zum Kampf gegen Aids, Malaria Programme mit einem Gesamtvolumen von über 1,1 Mil- und Tuberkulose. Hierfür werden im kommenden Jahr liarden Euro zugesagt oder umgesetzt. Zielgröße für 500 Millionen Euro zur Verfügung gestellt. Neuzusagen im nächsten Jahr sind 400 Millionen Euro, und bis 2010 will das Ministerium mindestens zwei Drit- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten tel seiner bilateralen Entwicklungszusammenarbeit im der CDU/CSU) Rahmen programmbasierter Ansätze abwickeln. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 129. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. November 2007 13613

Iris Hoffmann (Wismar) (A) Angesichts dieser Zahlen war es nur natürlich, dass (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten (C) das Thema Budgetfinanzierung in den diesjährigen der SPD und der CDU/CSU) Haushaltsberatungen eine hervorgehobene Rolle gespielt hat. Die Haushälter der Koalition haben sich bereits auf Der Bundesrechnungshof prüft gegenwärtig die ihrer Klausurtagung Anfang September intensiv mit die- deutsche Budgethilfe. Er wird seinen Bericht voraus- sem Thema beschäftigt und haben später auch gemein- sichtlich Ende Februar 2008 vorlegen, sodass er im März sam mit der Parlamentarischen Staatssekretärin Karin im Haushaltsausschuss beraten werden kann. Angesichts Kortmann kritisch diskutiert. Dabei sind uns durchaus der Unsicherheiten, mit denen die Budgethilfe bis dato die möglichen Vorteile von Budgethilfen deutlich ge- noch behaftet ist, halte ich es durchaus für sinnvoll, im worden. Beispielhaft möchte ich die bessere Geberhar- Sinne einer wohlwollenden, aber kritischen Begleitung monisierung, eine Stärkung der Eigenverantwortlichkeit alle Neuzusagen in diesem Bereich einer Einzelprüfung der Partnerregierungen und sinkende Transaktionskosten zu unterziehen. nennen. Insbesondere aus haushalterischer Perspektive (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie dürfen aber die Nachteile keineswegs außer Acht gelas- bei Abgeordneten der SPD) sen werden. Hier geht es insbesondere um makroökono- mische Risiken durch die großen Kapitalzuflüsse über Dieses Vorgehen haben die Haushälter der Koalition üb- Budgethilfe sowie verschiedene treuhänderische Risi- rigens bereits Ende Oktober im Berichterstattergespräch ken, etwa durch Fehlverwendung der Mittel oder man- mit dem Ministerium angekündigt. Mir ist es wichtig, gelnde Qualität der durchgeführten Maßnahmen. hier zu betonen, dass dadurch keine Mittel gekürzt sind. Auch alle Zusagen, die bereits gemacht wurden oder bis Ob am Ende die Vor- oder Nachteile überwiegen, Ende des Jahres gemacht werden, sind davon nicht be- lässt sich zumindest im Moment noch nicht mit Sicher- troffen. heit sagen, da es bislang nur relativ wenige empirische Untersuchungen zu den Wirkungen der Budgethilfe gibt. Ich komme zum Schluss. Der Haushalt des Bundes- Eine erste Langzeitevaluierung aus dem Jahre 2006, die ministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und im Auftrag der OECD durchgeführt wurde, bewertet Entwicklung ist auf einem guten Weg, und das gilt nicht zwar die Budgethilfe in fünf von sieben untersuchten nur angesichts des Aufwuchses für 2008, sondern auch Ländern grundsätzlich positiv, kann aber empirisch für die Verstetigung des Aufwuchses in der mittelfristi- kaum eine Wirkung auf das zentrale Ziel der Armuts- gen Finanzplanung. minderung nachweisen. Herzlichen Dank.

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) (B) Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des (D) Kollegen Addicks? Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Iris Hoffmann (Wismar) (SPD): Ich gebe das Wort der Kollegin Heike Hänsel, Frak- tion Die Linke. Nein, ich würde gerne im Zusammenhang vortragen. (Beifall bei der LINKEN) Die Experten, die in der kürzlich durchgeführten An- hörung des Entwicklungshilfeausschusses zu Wort ka- men, stellten zwar fest, dass Budgethilfe letztlich alter- Heike Hänsel (DIE LINKE): nativlos ist, hielten aber auch mit Kritik nicht hinter dem Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Berg. Herren! Der Entwicklungsetat 2008 wird massiv erhöht: um 670 Millionen Euro. Das begrüßen wir natürlich. Ich möchte an dieser Stelle nicht zu sehr ins Detail Aber die Politik der Bundesregierung bleibt – das muss gehen. Ich denke, Budgethilfen können zur Umsetzung man ganz klar sagen – gegenüber der Mehrheit der Men- der internationalen Agenda in der Entwicklungszusam- schen in den Ländern des Südens entwicklungsfeindlich. menarbeit beitragen, aber sie sind ein sehr komplexes Ob Kriegseinsatz in Afghanistan, Rüstungsexportpolitik, und abstimmungsaufwendiges Instrument. Sie sind si- G-8-Politik, Agrar- und Handelspolitik, Energie- und cherlich kein Allheilmittel, sondern vielmehr ein ent- Ressourcenpolitik: Es fehlt eine Ausrichtung, die frie- wicklungspolitisches Instrument neben anderen. Denn dens- und entwicklungsfördernd ist. erst durch die Kombination von Budgethilfen und klassi- schen Projekten in der Zusammenarbeit mit einem Land Ich komme konkret auf Afghanistan zu sprechen. können wichtige Synergieeffekte erzielt werden. Hierbei Die Mittel für die Entwicklungszusammenarbeit werden ist es wichtig, dass der Ausbau von Budgethilfen nicht auf 120 Millionen Euro erhöht. Aber das Verhältnis von zulasten von Capacity-Development-Maßnahmen geht, Militär- und Entwicklungsausgaben liegt immer noch weil sie gerade dazu dienen, Budgethilfen und andere In- bei fünf zu eins. Sie halten in Ihrer Ausrichtung an der vestitionen der finanziellen Zusammenarbeit vorzuberei- zivil-militärischen Zusammenarbeit fest, die von vielen ten und nachhaltig in Wert zu setzen. Entwicklungsorganisationen massiv kritisiert wird. Die Bundeswehr ist mit ihrer Beteiligung am Krieg in Af- Zudem – ich denke, da sind wir uns alle einig – sind ghanistan ein Teil des Problems und nicht der Lösung, Budgethilfen grundsätzlich nur in solchen Ländern sinn- und deshalb fordern wir nach wie vor den Abzug der voll, die reformwillig und reformfähig sind und sich an Bundeswehr aus Afghanistan. demokratischen und rechtsstaatlichen Normen orientie- ren. (Beifall bei der LINKEN) 13614 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 129. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. November 2007

Heike Hänsel (A) Jetzt möchte ich etwas zu den Rüstungsexporten sa- Förderung regenerativer Energien ein, wenn Sie es mit (C) gen; dieses Thema kam in der heutigen Debatte nämlich dem Klimaschutz ernst meinen! viel zu kurz. Der Rüstungsexportbericht 2007 besagt ganz klar: Der Rüstungsexport boomt nach wie vor. Die (Beifall bei der LINKEN) Genehmigungswerte, vor allem für die Gruppe der ärms- In diesem Zusammenhang brauchen wir dringend ein ten Entwicklungsländer und der Schwellenländer, sind Moratorium, was die Förderung von Agrotreibstoffen höher als im Vorjahr. Hinzu kommt, dass davon verfein- angeht. Der Anbau der hierfür benötigten Pflanzen in dete Staaten wie Indien und Pakistan betroffen sind. vielen Ländern des Südens wie Brasilien, Kolumbien Zum Beispiel in Pakistan werden mit Lizenz der deut- und Indonesien fördert eben nicht Klimaschutz und Ent- schen Firma Heckler & Koch aus Baden-Württemberg wicklung, sondern gefährdet Ernährungssouveränität Gewehre produziert, die jetzt zur Bekämpfung Opposi- und trägt zu massiven Menschenrechtsverletzungen bei, tioneller in Pakistan eingesetzt werden. An Indien sollen wie ich es in Kolumbien selbst gesehen habe. 120 Eurofighter verkauft werden. Zur Bekämpfung der Armut in Indien sind die damit verbundenen Kosten im (Beifall bei der LINKEN) Haushalt aber nicht vorhanden; von „Armutsbekämp- Auch bei der Handelspolitik sind die Weichenstel- fung“ sollte man im Zusammenhang mit diesen Mitteln lungen in unseren Augen fatal. Sie wird hauptsächlich daher nicht mehr sprechen. auf europäischer Ebene festgelegt, auch mit Einfluss der Für uns ist ganz klar: Wir lehnen Rüstungsexporte in Bundesregierung. Die neue Strategie der EU eines „glo- Krisenregionen ab, auch was die Kleinwaffen angeht. balen Europas“ formuliert ganz klar eine aggressive Handels- und Marktöffnungspolitik für europäische (Beifall bei der LINKEN) Konzerne, die sich auch auf die Wirtschaftsbeziehungen zu den Ländern des Südens negativ auswirkt. Dies erle- Wir wissen: Über 90 Prozent der Kriegsopfer sind auf ben wir ganz aktuell in den Verhandlungen über Wirt- den Einsatz von Kleinwaffen zurückzuführen. Wir hal- schaftspartnerschaftsabkommen mit den AKP-Staaten. ten diese Politik der Rüstungsexporte für verantwor- Wir sagen ganz deutlich: Wir wollen die sogenannten tungslos und entwicklungsfeindlich. EPAs in dieser Form nicht. Ende des Jahres wird sich (Beifall bei der LINKEN) entscheiden, was dabei herauskommt. Ich fordere Sie, Frau Wieczorek-Zeul, auf, sich auf alle Fälle dafür ein- Jetzt möchte ich etwas zur G-8-Politik sagen. Noch zusetzen, egal wie diese Verhandlungen ausgehen, dass nie wurde auf einem G-8-Gipfel so viel über Entwick- es vonseiten der Europäischen Union keine Zollerhöhun- lung und die Probleme Afrikas geredet wie dieses Jahr in gen für Produkte aus den Entwicklungsländern gibt, die (B) Heiligendamm. Wenn man sich die Ergebnisse anschaut, die EPAs nicht unterzeichnet haben. Ich halte es nicht für (D) erkennt man aber, dass sie sehr mager sind. Selbst die verantwortbar, hier zu Zollerhöhungen zu kommen. Entwicklungsorganisationen haben in einem Bericht von Freihandel ist kein Beitrag zur Entwicklung. Wir wollen dem sogenannten „60-Milliarden-Bluff“ gesprochen. Es andere, solidarische Wirtschaftspartnerschaftsabkom- wird jetzt mehr Geld investiert – das stimmt –, zum Bei- men. spiel in den globalen Fonds zur Bekämpfung von Aids und Malaria. Das schlägt sich im Haushalt nieder: Die (Beifall bei der LINKEN) entsprechenden Mittel werden verdoppelt. Wenn wir uns Ich komme zum Schluss: Mehr Geld allein bedeutet aber die konkrete Politik anschauen, dann stellen wir nicht automatisch mehr Entwicklung. Wir setzen uns für fest, dass beim G-8-Gipfel der Patentschutz massiv vo- eine aktive zivile Friedenspolitik, eine gerechte Handels- rangetrieben wurde, obwohl er verhindert, dass die Men- politik und die Umstellung des Weltenergiesystems ein, schen in Ländern des Südens einen verbesserten Zugang das ist für uns der beste Beitrag zu Entwicklung. zu billigen Medikamenten bekommen. Daran zeigt sich, dass diese Politik völlig kontraproduktiv zu dem ist, was Danke. formuliert wird. Damit stellen Sie das Patentrecht über das Recht auf Gesundheit. (Beifall bei der LINKEN)

(Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Auch im Rahmen der Energiepolitik und des Klima- Nächster Redner ist der Kollege Arnold Vaatz, CDU/ schutzes sind die Ergebnisse der G-8-Gipfels völlig un- CSU-Fraktion. verbindlich geblieben, obwohl die Auswirkungen des (Beifall bei der CDU/CSU) Klimawandels zuallererst die Menschen in den Ländern des Südens betreffen. Es gibt zwar mehr Geld für die Weltbank, was hier richtigerweise schon erwähnt wurde; Arnold Vaatz (CDU/CSU): aber die Vergabepolitik der Weltbank führt dazu, dass Frau Präsidentin! Frau Ministerin! Meine sehr verehr- nach wie vor zu mehr als 90 Prozent große Erdöl-, Erd- ten Damen und Herren! Wir sollten nun zur Sachlichkeit gas- und Staudammprojekte finanziert werden, aber nur zurückkehren. Dazu gehört, zunächst einmal zu erwäh- zu 4 Prozent regenerative Energien. Die Bundesregie- nen, dass wir im Deutschen Bundestag nicht die Ent- rung hat Einfluss in der Weltbank; sie hat dort Sitz und wicklungshelfer vor Ort sind. Vielmehr haben wir die Stimme. Daher kann ich Sie nur auffordern: Nehmen Sie Aufgabe, die Rahmenbedingungen für deren Einsatz zu Ihre Verantwortung wahr, und setzen Sie sich für die schaffen, zu denen der Einzelplan 23 gehört. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 129. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. November 2007 13615

Arnold Vaatz (A) Wenn wir diesen Einzelplan beschlossen haben, dann Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Herr Kollege (C) gibt es den höchsten Zuwachs, den ein Entwicklungshil- Vaatz hat doch recht!) fehaushalt jemals im Deutschen Bundestag erfahren hat. Die Budgethilfe ist in den letzten Jahren stark ausge- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) weitet worden, Frau Koczy. Gerade diese Tatsache macht es notwendig, zweifelsfrei ihre Wirkungen zu be- Frau Wieczorek-Zeul, ich gratuliere Ihnen dazu. Sie ha- schreiben, damit der Bürger das nachvollziehen kann. ben enorm daran gearbeitet. Aber Sie müssen natürlich Frau Hoffmann, ein internationaler Trend ist gut und auch zugeben, dass es schon sehr hilft, wenn aus dem schön, Kanzleramt ein bisschen Rückenwind hinzukommt. In der Zeit von Rot-Grün war dies offenbar nicht so einfach (Ute Koczy [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: möglich. Was heißt hier „Trend“?) (Beifall bei der CDU/CSU) aber er ist kein Argument dafür, etwas uneingeschränkt mitzumachen. Deshalb mahne ich: Gemach, gemach! Die Quantität spricht für sich: Ein Aufwuchs von Wir wollen Effizienz, und wir wollen, dass denjenigen, 667 Millionen Euro erhöht den Gesamtetat auf die von uns Geld erhalten, maximale Hilfe zuwächst. 5,2 Milliarden Euro. Zusammen mit den Mitteln in ande- ren Bundesressorts steigen die deutschen ODA-Ausga- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) ben auf 9 Milliarden Euro. Das ist eine stolze Summe Es ist im Übrigen auch falsch, Budgethilfe als ein in- und ein klares Signal. Auf diese Art und Weise kommen haltliches Thema zu betrachten. Ich glaube, die Budget- wir unseren internationalen Verpflichtungen Schritt für hilfe ist letzten Endes eine Verfahrensweise. Wir dürfen Schritt nach. Allerdings kann und wird sich unser ent- doch nicht den Weg mit dem Ziel verwechseln. wicklungspolitisches Engagement nicht in einer bloßen Erhöhung der Entwicklungshilfegelder erschöpfen. (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Genau!) Ich glaube, dass gegenüber Jeffrey Sachs’ Ansatz ei- Aus diesem Grund sollten wir rational an das Thema he- nes Takeoff infolge einer massiven Zufuhr von auslän- rangehen. In der Öffentlichkeit wird oftmals kritisiert, dischem Kapital große Skepsis angebracht ist. dieser Sperrvermerk hindere beispielsweise die Unter- stützung Südafghanistans. Dieser Satz ist gleich in drei- (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Hört! Hört!) facher Hinsicht falsch. Denn erstens ist die Budgethilfe Dieser Zufluss von äußerem Kapital muss in den Ziel- bei weitem nicht das einzige Instrument, das wir dort an- ländern gerade nicht den erwünschten dauerhaften wenden. (B) Wachstumsschub auslösen. Wenn lediglich die in einem (Ute Koczy [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: (D) Land zirkulierende Geldmenge erhöht wird, aber sich Aber ein sehr wichtiges! Das ist eines der zen- sonst nichts ändert, bedeutet das nichts anderes, als dass tralen Instrumente!) die Inflation in diesen Ländern angeheizt wird. Das dür- fen wir nicht zum Preis der Verschuldung im deutschen Zweitens bedeutet gerade die Budgethilfe die Übertra- Staatshaushalt erkaufen. gung von Verantwortung an die lokale Regierung. Wenn die Regierung entscheidet, sie nicht in Südafghanistan, (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) sondern irgendwo anders in Afghanistan einzusetzen, Aus diesem Grunde müssen wir an dieser Stelle Vorsicht dann müssen wir das ebenfalls akzeptieren. Sie ist eben walten lassen. Inflation in armen Ländern schädigt die kein zielgenaues Förderinstrument. Ehrlichen und Armen mehr als die Reichen und Korrup- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) ten. Das muss man so feststellen. Drittens hat sich der Haushaltsausschuss durchaus das Entscheidend wird sein – Frau Ministerin, hier haben Recht vorbehalten, in dringenden Fällen die Sperre auf- Sie unsere uneingeschränkte Unterstützung –, wie effi- zuheben. zient und effektiv das EZ-Geld eingesetzt wird. Darüber sind wir dem Steuerzahler Rechenschaft schuldig. Wir (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Das ist sein werden ihm auch Rechenschaft ablegen. gutes Recht, Kollege Vaatz! Wir nehmen nur das Haushaltsrecht wahr!) (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Hört! Hört!) Auch das halte ich für richtig, weil man auf diese Weise Das Rechnungshofgutachten ist in Auftrag gegeben. flexibel bleibt. Wir haben das gut gemacht. Um die öffentliche Akzeptanz unserer Entwicklungs- Wir sollten, wie gesagt, sehr genau überlegen, wie wir hilfe auch in Zukunft zu sichern, halte ich es für sehr in Zukunft multilaterale Instrumente einsetzen. richtig, dass dieser Sperrvermerk bis zu dem Zeitpunkt erhalten bleibt, an dem das Gutachten des Bundesrech- Im Zusammenhang mit Afghanistan betrachte ich nungshofes vorliegt, damit wir uns auf sicherem Terrain Ihre Totalkritik an der Afghanistan-Politik als absolut befinden, was die Effizienz unseres Mitteleinsatzes be- deplatziert, Frau Hänsel, und zwar aus folgendem trifft. Grund: Sie ist friedensfeindlich, weil sie die Argumente der Terroristen anheizt und diese ermutigt, den Krieg (Beifall bei der CDU/CSU – Ute Koczy verschärft fortzuführen. [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Provinziell ist das! Kleinkariert! – Gegenruf des Abg. (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Sehr wahr!) 13616 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 129. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. November 2007

Arnold Vaatz (A) Solche Argumente entfesseln erst die Kämpfe dort, (Beifall der Abg. Ute Koczy [BÜNDNIS 90/ (C) DIE GRÜNEN]) (Widerspruch bei der LINKEN) Ich will in diesem Zusammenhang die Bundesregie- und sie tragen dazu bei, dass das Leben von deutschen rung auffordern, der Forderung des Haushaltsausschus- Entwicklungshelfern und Soldaten gefährdet statt gesi- ses schnell nachzukommen, was den Bericht zu den Eva- chert wird. luationsmöglichkeiten in Bezug auf freiwillige Beiträge (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- an internationale Organisationen angeht, damit die Irrita- neten der SPD und der FDP) tionen schnell aus der Welt geschafft werden Auch unser Drängen auf Good Governance haben (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Davon gehen wir schon mehrfach beteuert, und dabei soll es auch blei- auch wir aus!) ben. Wir müssen von unseren Zielländern erwarten, dass es tatsächlich eine klare Ausrichtung auf Good Gover- und wir die Möglichkeit haben, dieses wichtige Instru- nance gibt, dass die Länder reformwillig und reformfä- ment für humanitäre Hilfe, Konfliktprävention, multila- hig sind und dass die Ursachen, die zu den Entwick- terale Entwicklungszusammenarbeit und vieles andere lungsnachteilen geführt haben, sich nicht immer weiter anzuwenden. Gerade dann, wenn man, wie wir Grüne, verfestigen. Das muss das Kernziel unserer Entwick- auf multilaterale und internationale Organisationen setzt, lungspolitik sein. muss man ein Interesse daran haben, mit geklärten Eva- luationsverfahren inhaltlich bewerten zu können, was (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- passiert. Wir erwarten von Ihnen also, dass Sie den be- neten der FDP) rechtigten Forderungen aus dem Parlament jetzt zügig nachkommen und damit die unschöne Situation been- Frau Ministerin, es ist notwendig, noch kurz auf die Reformvorhaben in Ihrem Ministerium einzugehen. Ich den. halte das für sehr wichtig. Wir müssen die Vorfeldreform Erfreulich in diesem Einzelplan ist natürlich die Auf- vorantreiben. Das bedeutet, dass wir das ernst nehmen, stockung um 667 Millionen Euro. Sie machen damit – das was uns dazu geraten worden ist. Ich darf dazu an das gestehen auch wir aus der Opposition Ihnen gerne zu – ei- Rechnungshofsgutachten erinnern. Ich halte es für sehr nen guten Schritt in Richtung der Einhaltung der Ver- wichtig, dass die TZ organisatorisch bereinigt wird und pflichtungen, was die ODA-Ziele angeht. Sie kommen zunächst GTZ, InWEnt, DED und CIM zusammenge- damit aber natürlich nicht an die Dimensionen heran, die führt werden. Wenn wir das vollzogen haben, müssen Sie eigentlich bräuchten, um die Verpflichtungen zu er- wir als Nächstes überlegen, wie wir FZ und TZ stärker füllen, und das wissen Sie auch. miteinander verzahnen. (B) (D) (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall der Abg. Ute Koczy [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]) Dabei haben Sie unsere volle Unterstützung, Frau Minis- terin. Wenn wir das mit dem Einzelplan 14 vergleichen, den wir vorher diskutiert haben, stellen wir fest: Dort reden Auf uns wartet ein interessantes neues Jahr. Ich wir über fast das Doppelte dessen, was hier mobilisiert denke, wir können in dieser Legislaturperiode zusam- werden konnte. Nichtsdestotrotz, das schmälert die Be- men noch sehr viel erreichen. deutung dieses Schrittes nicht. Vielen Dank. Eine Sorge wollen wir bei dieser Diskussion sehr (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- deutlich formulieren. Dieser Aufwuchs ist wie der ganze neten der SPD) Haushalt der Koalition dem Surfen auf einer guten Kon- junkturwelle geschuldet. Die Frage ist: Woher kommen eigentlich die Mittel, um den Stufenplan zu erfüllen, Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Ich gebe das Wort dem Kollegen Alexander Bonde, (Otto Fricke [FDP]: Aus der Verschuldung!) Bündnis 90/Die Grünen. wenn die Konjunktur einmal nicht mehr in dieser Di- mension zusätzliche Steuereinnahmen generiert? Alexander Bonde (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich will deshalb die neuen Finanzierungsinstru- Im Saal hier merken wir alle, was es an unterschiedli- mente anmahnen, etwa die Ticket-Tax, das französische chen Konzeptionen gibt und was auch an Streit innerhalb Vorbild. Selbst die CDU in Baden-Württemberg hat sie der Koalition, zwischen den Koalitionsfraktionen und inzwischen zur Forderung erhoben; von dort hätten wir dem Haus, zwischen dem Haushaltsausschuss und dem das als Letztes erwartet. Fachministerium in der Luft liegt. Uns als Grünen ist es (Ute Koczy [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: wichtig, Ihnen an dieser Stelle das Signal zu geben: Wir Sehr schön! – Hartwig Fischer [Göttingen] müssen schon aufpassen, dass wir bei technischen Fra- [CDU/CSU]: Was sagt denn Oswald Metzger?) gestellungen und inhaltlichen Bewertungen, bei denen wir auseinanderliegen, nicht Schäden anrichten, die in Ich glaube, dass in diesem Bereich eine deutliche Bewe- der Dimension über das hinausgehen, was tatsächlich gung der Koalition ansteht, weil Sie genau wissen, dass Streitwert ist. die Ziele, denen wir uns gemeinsam zu Recht verschrie- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 129. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. November 2007 13617

Alexander Bonde (A) ben haben, aus dem Bestehenden nicht erreicht werden Heidemarie Wieczorek-Zeul, Bundesministerin für (C) können. wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung: Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich will, weil es mehrfach angesprochen worden ist, ein Die Ticket-Tax ist deshalb besonders spannend, weil sie Wort zur sogenannten Budgethilfe sagen, die sehr unter- noch bei einer zweiten wichtigen Thematik eine Len- schiedlich ist. Beispielsweise läuft der Weltbankfonds in kungswirkung entfalten kann, nämlich beim Klima- Afghanistan – er wird von der Weltbank kontrolliert und schutz. Sie ist ein klassisches Win-win-Instrument. überprüft – unter dem Titel „Budgethilfe“. Ich will an dieser Stelle aber sagen: Getreu dem, was wir in der Ko- (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Ticket-Tax? alitionsvereinbarung zwischen CDU/CSU und SPD fest- Wir sind doch im Deutschen Bundestag!) gelegt haben, fließt Budgethilfe nur an Länder mit einer verantwortlichen Regierungsführung. An korrupte Re- Tatsache ist, dass der Klimaschutz eine der großen He- gime fließt keinerlei Budgethilfe. Da können Sie ganz si- rausforderungen für Ihr Haus darstellt, sehr geehrte Frau cher sein. Ministerin. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Das UNDP schreibt in dem Bericht über die mensch- Ich glaube, es ist hier nicht der Ort, um über die Tech- liche Entwicklung – wir haben es gelesen –, der Klima- nik im Einzelnen zu diskutieren. Wir alle sind doch der wandel habe in bisher unbekanntem Maß Auswirkungen Meinung, dass die Geber in diesem Bereich kohärenter für den Kampf gegen die Armut. Sie haben diese These und abgestimmter verfahren müssen. Ich will Ihnen dazu in vielen Medienberichten unterstützt. ein Beispiel nennen: In den wirklich armen Ländern, die In dem Haushaltsplan, über den wir heute diskutieren, der Finanzierung bedürfen – Mali, Senegal, Burkina Faso, wird dieser Schwerpunkt allerdings nicht gesetzt. Sie Niger und Tschad –, gibt es rund 600 Entwicklungspro- können nicht einmal benennen, an welchen Stellen ei- jekte von jeweils unterschiedlichen Gebern. Diese erfor- gentlich zum Klimaschutz beigetragen wird. Unsere dern pro Trimester einen Zwischenbericht. Das ergibt Anfrage, in welchem Umfang Ihr Haushalt zu Klima- 2 400 Berichte jährlich, die dann den jeweils zuständi- schutzmaßnahmen beiträgt und in welchem Umfang zu- gen Ministerien in dem betreffenden Land vorgelegt sätzliche Mittel in diesem Bereich zur Verfügung gestellt werden müssen. Es kommen 1 000 Missionen hinzu, die werden, blieb unbeantwortet, weil Ihr Haus nicht einmal das evaluieren. Ehrlich gesagt, das Ziel muss doch sein, in der Lage war, zu identifizieren, was innerhalb der Ent- dass die Mittel in diesen Ländern schnell zur Armutsbe- wicklungszusammenarbeit in diesem Bereich passiert. kämpfung eingesetzt werden. Es kann doch nicht sein, Insofern haben Sie die Aufgabenstellung, den Beitrag, dass eine Zersplitterung stattfindet und den Ländern zu- (B) den die Entwicklungszusammenarbeit für den Klima- sätzliche Verwaltungsarbeit entsteht. Deshalb ist es not- (D) schutz leistet, zu definieren und die in den Medien pro- wendig, andere Instrumente zu entwickeln. Das ist unter pagierte Schwerpunktsetzung in Maßnahmen und im anderem die Budgethilfe, aber nur unter anderem. Mitteleinsatz zu konkretisieren. (Beifall bei der SPD) Natürlich spielt unsere Interaktion mit den Schwel- Damit wollte ich einfach einmal deutlich machen, lenländern, denen als Emittenten eine entscheidende Be- worum es geht. Es geht darum, Schwierigkeiten zu ver- deutung bei der Frage zukommt, ob wir unsere Klimare- meiden, und zwar im Interesse der Menschen in den be- geln einhalten können, die wir uns gemeinsam auf troffenen Ländern. Es geht nicht um die Technik im Ein- internationaler Ebene setzen, eine große Rolle. Auch da zelnen. werden Sie mit uns in den nächsten Wochen und Mona- ten und bei der Aufstellung eines nächsten Haushaltes Ich bin der EKD für ihre neue Denkschrift dankbar, sehr viel intensiver über die Verantwortung, die Ihr Haus in der zum Ausdruck gebracht wird: Wirksame Friedens- im Bereich des Klimaschutzes hat, diskutieren müssen. politik heute heißt: Abbau von Gewalt, Ausbau der inter- nationalen Rechtsordnung, die Förderung weltweiter so- In der gesamten Diskussion über den Klimaschutz zialer Gerechtigkeit. Es wird auch gesagt, dass die müssen wir leider auch im Bereich der Entwicklungszu- Entwicklungspolitik in diesem Zusammenhang eine zen- sammenarbeit, die hierbei eine entscheidende Rolle spie- len muss, sagen: Da hat diese Bundesregierung von den trale Rolle spielt. Ankündigungen bis zur Umsetzung der Maßnahmen ihre Ich bin allen Kollegen für deren Unterstützung dank- Hausaufgaben noch nicht gemacht. Wir werden Ihnen, bar, übrigens auch den Kollegen der FDP. Herr Frau Ministerin, da weiterhin sehr genau auf die Finger Königshaus, das Ringen mit Ihnen hält ja jung, wie Sie schauen. mir dankenswerterweise einmal gesagt haben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Heiterkeit und Beifall bei der SPD, der CDU/ CSU und der FDP) Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Insofern halten Sie mich immer in Aktion; das ist okay. Das Wort hat die Bundesministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul. (Dr. Werner Hoyer [FDP]: Wer hätte das ge- dacht!) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) – Ja, wer hätte das gedacht; aber so ist es. 13618 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 129. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. November 2007

Bundesministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul (A) Wir sind ja alle der Meinung, dass Entwicklungszu- Zoellick und Barroso sollte für Herrn Westerwelle An- (C) sammenarbeit im 21. Jahrhundert eine wichtige Form lass sein, seine eigene Blindheit in Bezug auf unseren der Friedenspolitik ist. Es lohnt sich, sich dafür zu en- Etat zu überwinden. gagieren, und es ist wunderbar, dass wir die Mittel insge- samt so deutlich aufgestockt haben. Wir halten nämlich (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Wort, Frau Hänsel. Sie haben gesagt, dass die Ergebnisse Die Empfehlungen von Westerwelle und der FDP kä- von Heiligendamm mager gewesen seien und dass es men Deutschland teuer zu stehen. Jede Woche nimmt kein Follow-up gegeben habe. Ich bin dafür, dass die China ein Kohlekraftwerk in Betrieb. Die CO2-Emissio- Aufstockung der Mittel ehrlich zur Kenntnis genommen nen müssen aber gering gehalten werden, in unserem ei- wird. Wir haben gesagt, dass es für Official Develop- genen Interesse. Deutsche Firmen haben da ein riesiges ment Assistance 750 Millionen Euro mehr geben wird, Know-how und sind auf dem chinesischen Markt wun- und das setzen wir in diesem Haushalt um. derbar positioniert. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Nehmen Sie das doch zur Kenntnis! Das ist mehr – das der CDU/CSU) sage ich ausdrücklich –, als es in den Jahren zuvor je- Lassen Sie uns also zu einer Win-win-win-Situation bei- mals gab, und es ist die höchste Steigerung. Diese ist tragen: Wir tun etwas für den Klimaschutz, wir tragen aber – das sage ich in Richtung aller Kolleginnen und dazu bei, dass die CO2-Emissionen in China gemindert Kollegen – in den nächsten Jahren durchaus übertreffbar. werden, und wir tun etwas für deutsche Unternehmen. Wir haben ja das Ziel, bis 2010 einen Anteil der Ent- Da sind Sie doch auch sonst nicht so pingelig. Seien Sie wicklungshilfe von 0,51 Prozent am Bruttosozialprodukt doch froh, dass ich endlich auch in diesem Bereich aktiv zu erreichen. Unterstützung leiste! Zweitens wurden in Heiligendamm 60 Milliarden (Beifall bei der SPD) Dollar für die Bekämpfung von HIV/Aids, Malaria und Tuberkolose zugesagt. In Anwesenheit von Kofi Hier wird nichts verschenkt. Manchmal habe ich das Annan und mit seiner Unterstützung haben wir im Sep- Gefühl, dass das – von manchen, nicht von allen in der tember dieses Jahres 10 Milliarden US-Dollar für die FDP – nur vorgeschoben wird, um davon abzulenken, Bekämpfung von HIV/Aids, Malaria und Tuberkulose dass sich die FDP von dem 0,7-Prozent-Ziel bei der Ent- eingeworben. Wir halten also Wort und setzen das prak- wicklungspolitik entfernt hat. tisch um, was wir beschlossen haben. Bitte nehmen Sie (Hellmut Königshaus [FDP]: Das ist doch Un- das einfach zur Kenntnis! sinn! Sie haben doch alles mitgetragen!) (B) (D) Jetzt geht es auch darum, dass wir in Bali Wort hal- Deshalb versucht man, die Entwicklungspolitik madig ten. Sie haben das hier angesprochen, Herr Bonde. Alle zu machen. Informationen vom Weltklimarat und von der UN-Ent- wicklungsorganisation, die gestern ihren Bericht vorge- Zum Haushalt. Herr Bonde, kein Ministerium trägt legt hat, machen deutlich, dass der Klimawandel die An- stärker zum globalen Klimaschutz bei als mein Haus: strengungen zur Verringerung der Armut dramatisch (Otto Fricke [FDP]: Was? Das wird der Um- beeinträchtigen kann und die menschliche Entwicklung weltminister aber anders sehen! Wenn das langfristig und in manchen Bereichen auch kurzfristig Herr Gabriel hört!) bedroht. Von der Zunahme klimabedingter Katastrophen von 2000 bis 2004 waren – das macht dieser Bericht Auf bilateraler Ebene stellen wir rund 800 Millionen deutlich – über 262 Millionen Menschen betroffen, da- Euro zur Verfügung. Multilaterale Projekte fördern wir von 98 Prozent in den Entwicklungsländern. Sie tragen mit weiteren 100 Millionen Euro. In Afrika unterstützen also die Hauptlast des Klimawandels. In dem Bericht wir die Förderung der erneuerbaren Energien – kosten- wird das so beschrieben: Wenn die Menschen in der sich günstig – mit 20 Millionen Euro. Insbesondere in Afrika, entwickelnden Welt pro Kopf im gleichen Maße CO2- das die dramatischen Auswirkungen des Klimawandels Emissionen produziert hätten wie die Menschen in Nord- zu spüren bekommt, das für den Klimawandel zwar in amerika, so brauchten wir die Atmosphäre von neun Pla- keiner Weise verantwortlich ist, aber die Konsequenzen neten, um mit den Konsequenzen fertig zu werden. tragen muss, müssen die erneuerbaren Energien geför- dert werden. Die Europäische Union hat heute 500 Millionen Euro an kostengünstigen Krediten für China zur Verfügung Zum Klimagipfel in Bali. Weltbankpräsident gestellt. Die politische und wirtschaftliche Zusammen- Zoellick und ich werden in Bali präsent sein, um deut- arbeit mit den großen Schwellenländern – Brasilien, lich zu machen, dass die Fragen, die dort erörtert wer- Indien, China – ist von strategischer Bedeutung. Das den, auch mit Entwicklungspolitik zu tun haben. Es darf wurde auch vonseiten der Weltbank durch Präsident doch nicht sein, dass ein Teil der Entwicklungsländer Zoellick unterstrichen. gute und weitgehende Regelungen verhindert. Deswe- gen wird die Verknüpfung von Klimaschutz und Ent- (Beifall des Abg. Detlef Dzembritzki [SPD]) wicklungspolitik einer unserer Schwerpunkte sein. Es ist Ich will das noch einmal sehr deutlich machen. Barroso klar, dass erstens eine radikale Reduzierung der Emissio- hat gesagt, das ist auch eine Frage des Überlebens. Ich nen in den Industrieländern notwendig ist. Zweitens sage an die Adresse der FDP: Der Weitblick von muss der Ausbau einer nachhaltigen Energieinfrastruk- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 129. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. November 2007 13619

Bundesministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul (A) tur in den Entwicklungs- und Schwellenländer unter- bin, dass wir es geschafft haben, den Haushaltsplan ein (C) stützt werden. Drittens ist die Unterstützung der Ent- bisschen zurechtzurücken. Das muss man anerkennen. wicklungsländer bei der Anpassung an den Klimawandel Ich denke, das war ein Erfolg. notwendig. Viertens müssen die Entwicklungsländer beim Schutz von Wäldern unterstützt werden. Man muss Ich gebe zu, dass die FDP bei der Weltbank gerne et- immer wieder daran erinnern, dass die Entwaldung für was mehr gestrichen hätte. Worum geht es? Es geht gar nicht um die Weltbank. Es geht auch nicht um die ande- einen Anstieg der globalen CO2-Emissionen um rund 20 Prozent verantwortlich ist. Den Wald zu schützen, ist ren internationalen Organisationen. Frau Ministerin, Sie haben gesagt, dass Ihr Ministerium die Berichte erhält. also ein Beitrag zur Reduzierung der CO2-Emissionen. Fünftens wird es um eine innovative globale Finanzar- Es geht darum, dass das Parlament, dass der Geldgeber chitektur zur Finanzierung von Minderungs- und Anpas- – das sind wir, nicht die Regierung – besser informiert sungsmaßnahmen gehen. wird und von diesen Berichten hört. Sonst hat man den Eindruck, dass man Millionen und Abermillionen Euro Ich bin der festen Überzeugung, dass wir eine Verbin- dorthin gibt und nie eine Resonanz bekommt. Da kann dung von Entwicklungs- und Klimaschutzfragen brau- Ihr Haus noch einiges aufarbeiten, wenn Sie meinen, chen. Der Klimawandel ist in der Tat die größte Sicher- dass wir da falsch liegen. Aber nach dem bisherigen In- heitsgefährdung in diesem Jahrhundert. Deshalb sollten formationsstand hatten wir als Haushaltsausschuss keine wir unsere Kräfte im Kampf gegen den Klimawandel, Kenntnisse von diesen Dingen. gegen die Armut und den Hunger bündeln. Ich freue mich, dass ich eine breite Unterstützung in diesem (Ute Koczy [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hause habe. Ich danke Ihnen sehr dafür. Machen Sie jetzt Koalitionspolitik, Herr Kol- lege?) Danke sehr. Nun möchte ich Kollegen Bonde direkt ansprechen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Er sagte, für den Klimaschutz sei zu wenig getan wor- den. Das mag ja sein. Ich finde aber, dass er eines ver- Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: gisst. Ich fand – ich stehe dazu –, dass zum Beispiel ein Nächster Redner ist der Kollege Jürgen Koppelin, großes Verkehrsprojekt für Saigon ein Riesenbeitrag FDP-Fraktion. zum Klimaschutz ist. Das ist meine Auffassung dazu. (Beifall bei der FDP) (Ute Koczy [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, Siemens unterstützen!) Jürgen Koppelin (FDP): – Sie haben es noch gar nicht. Das ist dummes Zeug – (B) Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Entschuldigung, ich nehme das zurück. Das war ein fal- (D) Frau Ministerin, ich habe mich sehr gefreut, noch ein Ar- scher Zuruf: Das Ganze wird ausgeschrieben, und dann gument zu hören, warum die FDP notwendig ist: um Sie wird man sehen. An der Ausschreibung kann sich jung zu halten. Das hat mir sehr gut gefallen. Nachträg- Siemens beteiligen. Warum sollte sich Siemens nicht da- lich noch einmal herzlichen Glückwunsch zu Ihrem Ge- ran beteiligen? Für das korrupte Verhalten von Oberma- burtstag! nagern sollten die Mitarbeiter von Siemens nicht abge- straft werden. Das sage ich Ihnen in aller Deutlichkeit. Nach dieser Rede nehme ich Ihnen ab, dass Sie in den Bereichen, über die Sie hier gesprochen haben, unglaub- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten lich engagiert sind. Das wissen wir, und davor haben wir der CDU/CSU) Respekt. Ich darf aber darauf hinweisen – das fiel mir Frau Ministerin, Sie haben die Zusammenarbeit mit bei Ihrer Rede auf –, dass Sie nur von Entwicklungszu- China angesprochen. Warum gilt das, was Sie für China sammenarbeit sprechen. Der Einzelplan 23 bezieht sich sagen, nicht auch für andere Länder? Da sind Sie radikal aber auf den Geschäftsbereich des Bundesministeriums und sagen: Bei Vietnam kommt das nicht infrage. – Bei für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. China kommt es infrage. Das müssen Sie uns einmal er- (Markus Löning [FDP]: Das ist es!) klären. Sie können uns Berichterstatter ja gerne einmal einladen; das gab es noch nicht. Die wirtschaftliche Zusammenarbeit kommt bei Ihnen jedes Mal zu kurz. (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Das macht jetzt Herr Glos!) (Beifall bei der FDP – Markus Löning [FDP]: Völ- lig richtig! Entwicklung ist Wirtschaft!) Ich würde das Angebot annehmen. Dann könnten Sie uns erklären, warum Sie das so einseitig sehen. Der Etatentwurf und die Aufstockungen sind zwar durchaus zu begrüßen, aber der Etatentwurf hatte eine Es gibt etwas, das Sie überhaupt nicht mehr erwäh- Schieflage. Der Kollege Königshaus hat darauf hinge- nen. Ich habe das auch in meinem letzten Beitrag gesagt. wiesen, dass die Schwerpunkte teilweise falsch gesetzt Ich bin auf Ihrer Seite, wenn es um die Konzentration worden waren. Ich will aber ausdrücklich sagen, dass ich in der Entwicklungshilfe geht. Ich glaube, dass wir uns den Abgeordneten, die in der Koalition für den in vielen Etats verzetteln. Der eine weiß nicht, was der Einzelplan 23 zuständig sind, und den Mitgliedern des andere tut. Ich hoffe, dass es zumindest Abstimmungen Haushaltsausschusses – ich glaube, der Kollege Bonde gibt. Alle Ministerien, die mit dem Bereich Entwick- war teilweise auch dabei – ausgesprochen dankbar dafür lungshilfe zu tun haben, müssen wieder einmal zusam- 13620 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 129. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. November 2007

Jürgen Koppelin (A) menkommen. Das fehlt mir. Ihr Ansatz, über die Kon- tion, aber auch im Namen aller den Helfern und Mitar- (C) zentration der Entwicklungshilfe zu sprechen, war beitern der Durchführungsorganisationen, den NGOs richtig. Aber dann muss das bitte auch so sachlich ge- und der Bundeswehr, allen, die für uns vor Ort in vielen schehen, dass keiner von vornherein den Eindruck hat, Ländern der Welt ihre Arbeit verrichten. Ich denke, ih- dass es das Ziel sei, dass seine Organisation auf jeden nen gehört unser aller Dank. Fall zerschlagen werden soll. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der Ich bin dankbar, dass wir da als Haushaltsausschuss FDP) mithilfe des Rechnungshofes geblockt haben. Frau Mi- nisterin, ich will nicht zu sehr in die Tiefe gehen, aber Entwicklungspolitik umfasst einen Bogen von welt- Sie brauchen nur heute die Zeitungen aufzuschlagen, weiter Solidarität mit den Ärmsten der Welt bis hin zu dann sehen Sie, in welch schwieriger Situation im Au- gerechtfertigtem Eigeninteresse. Der indische Wirt- genblick die KfW ist. Sie haben gedacht, Sie könnten schaftswissenschaftler Coimbatore Prahalad sagte der GTZ die KfW zuschlagen. Ich bin sehr froh, dass wir hierzu: da geblockt haben. Ich weiß nicht, wie die Diskussion Wer in den ärmsten Teil der Weltbevölkerung in- sonst weitergegangen wäre. vestiert und dabei Rendite erzielt, hilft nicht nur Ich gebe offen zu: Ich und die FDP haben einen um- sich, sondern auch den Armen. fangreichen Wunschkatalog. Ich könnte mir vieles vor- (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Sehr richtig!) stellen. Wir haben einen Antrag gestellt, der mir ein per- sönliches Anliegen ist – das will ich sagen –: Wie Zweitens. Freude empfinde ich, weil der Haushalt des können wir mit jungen Menschen in den Entwicklungs- BMZ von allen Ressorts den größten Zuwachs zu ver- ländern digitale Solidarität – so haben wir das genannt – zeichnen hat. Das ist gut so; denn der Entwicklungspoli- haben, damit sie Zugriff auf Informationsquellen bekom- tik kommt eine wachsende Bedeutung zu. Entwicklungs- men? Dies steht auf dem Wunschzettel. Da könnte man politik ist Teil der Außenpolitik und der Verteidigungs- noch mehr machen; es ist eine Empfehlung. und Sicherheitspolitik. Sie ist Innenpolitik und Friedens- politik. Diese wachsende Bedeutung wird anerkannt und Auch Demokratisierung halte ich für dringend gebo- verdeutlicht. Sie spiegelt sich in diesem Haushalt wider. ten. Wir dürfen da nicht nachlassen und müssen unsere ganze Kraft mit der GTZ und wem auch immer einset- Freude empfinde ich auch darüber, dass die Erhöhung zen. Wie gesagt: Unser Wunschkatalog ist umfangreich. der Mittel für meine Begriffe und nach Auffassung der Vielleicht haben wir einmal Gelegenheit, über all diese Mitglieder der Arbeitsgruppe AWZ der CDU/CSU-Bun- Dinge zu sprechen. Darüber würde ich mich freuen. destagsfraktion an einigen richtigen und wichtigen Posi- (B) (D) Die Schieflage dieses Etats ist geblieben. Vieles ist tionen vorgenommen wurde, unter anderem bei Kirchen verbessert worden, aber die Schieflage ist geblieben. und Stiftungen. Das sind zwei ausgesprochen wichtige Frau Ministerin, suchen Sie den Kontakt zum Parlament Akteure der deutschen EZ. Freude empfinde ich als zu- und zum Haushaltsausschuss. Vielleicht läuft dann zu- ständige Berichterstatterin auch über den Mittelauf- künftig das eine oder andere besser. Ich bin – das will ich wuchs beim Global Fund und beim UNFPA. ganz offen sagen, auch wenn wir dem Etat nicht zustim- Mein dritter Punkt heißt: Nachdenken. Wenn ein men – den beiden Abgeordneten der Koalition im Haus- Haushalt vorliegt, fordert das geradezu zum Nachdenken haltsausschuss dafür dankbar, wie sie mit der Opposition heraus: zum Nachdenken über Strukturen, über Prioritä- eingebunden gearbeitet haben. Der Beifall bei den Sozi- ten, über regionale und sektorale Schwerpunkte und über aldemokraten hat gezeigt, dass Sie dieses Ergebnis in- einen sinnvollen, effizienten und kohärenten Einsatz der zwischen akzeptieren. Mittel. Herzlichen Dank. Es ist prima, dass die Gebergemeinschaft dem Global (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Fund jetzt so viel Geld für den Kampf gegen HIV/Aids, der CDU/CSU – Steffen Kampeter [CDU/ Tuberkulose und Malaria zur Verfügung gestellt hat. CSU]: Sehr gut!) Man muss sich allerdings genau überlegen, welche Ver- wendung die enormen zusätzlichen Mittel finden. Ich hoffe, dass die Vergabekriterien nicht aufgeweicht wer- Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: den, um einen schnelleren Mittelabfluss zu ermöglichen. Das Wort hat die Kollegin Sibylle Pfeiffer, CDU/ Das wäre fatal, handelt es sich hierbei doch um eine CSU-Fraktion. Quasi-Budgetfinanzierung. Meines Wissens hat das (Beifall bei der CDU/CSU) Board des GFATM aber jüngst beschlossen, mehr Mittel für Aufklärung und Verhütung, für Genderprojekte, für die sexuelle und reproduktive Gesundheit und für die Fa- Sibylle Pfeiffer (CDU/CSU): milienplanung zur Verfügung zu stellen. Dies begrüße Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! ich ausdrücklich. Das ist der richtige Weg. Ein Blick auf den Einzelplan 23 des Haushaltes für das Jahr 2008 bedeutet für mich Dreierlei: erstens Dank, Ich bin sehr froh, dass die Große Koalition die Mittel zweitens Freude und drittens Nachdenken. Danken für den UN-Bevölkerungsfonds erhöht hat. Gerade im möchte ich zunächst einmal im Namen der Kollegen aus Bereich der Frauengesundheit leistet der UNFPA se- der Arbeitsgruppe AWZ der CDU/CSU-Bundestagsfrak- gensreiche Arbeit – ein sichtbares Zeichen, dass die Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 129. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. November 2007 13621

Sibylle Pfeiffer (A) Stärkung der Frauen ein wichtiger Bereich unserer Ent- In der Frankfurter Rundschau war zu Recht von ei- (C) wicklungspolitik ist. nem großen Bluff die Rede. So werden hierzulande längst abgeschriebene Altschulden des Saddam-Regimes (Beifall bei der CDU/CSU) verbucht, ohne dass damit heute ein einziger zusätzlicher Nachdenken sollten wir auch über Folgendes: Euro im irakischen Haushalt zur Verfügung stünde. Deutschland gibt viel Geld für multilaterale Organisatio- Noch absurder: Wenn sich ein in Deutschland leben- nen aus, vor allem für die Bekämpfung von HIV/Aids. der Tunesier an der Ruhr-Universität Bochum Deshalb stellt sich für mich die Frage, ob wir beim einschreibt, dann erscheint auch das in der Bilanz der Thema „Gesundheit in den Entwicklungsländern“ in un- Bundesregierung als erfolgreiche deutsche Entwick- serer bilateralen Zusammenarbeit einen anderen bzw. ei- lungshilfe. Wir sprechen hier nicht von Peanuts. Insge- nen weiteren Schwerpunkt setzen sollten. Ich meine da- samt werden 750 Millionen Euro als sogenannte Stu- mit die sogenannten vernachlässigten Krankheiten wie dienplatzkosten verbucht. Nur eine Minderheit unter den Lepra, die Schlafkrankheit, die Flussblindheit und das Geberländern der OECD macht von diesem Trick Ge- Dengue-Fieber. brauch. Länder wie Großbritannien oder Schweden ver- 70 Prozent der weltweit 600 Millionen behinderten zichten ganz darauf. Die deutsche Regierung aber ist in Menschen leben in den Entwicklungsländern. Die wirt- diesem Zusammenhang Spitze. Liebe Ministerin, ist eine schaftlichen Folgen von Krankheiten und Epidemien solche Rechenführung Ausdruck einer guten Regie- spielen dort eine große Rolle. Die Armutsbekämpfung rungsführung, wie wir sie von afrikanischen oder ande- ist für das Erreichen der MDGs wichtig. Der Erfolg oder ren Ländern verlangen? Misserfolg der Entwicklungszusammenarbeit wird am (Beifall bei der LINKEN) Erreichen der MDGs gemessen. Dem Thema Gesundheit kommt dabei eine sehr große Bedeutung zu; schließlich Die Linke sagt: Entwicklungspolitik muss mehr als beziehen sich drei der sechs Ziele auf dieses Thema. eine PR-Veranstaltung und auch mehr als Wirtschaftspo- litik sein, Herr Koppelin. Sie muss sich daran messen Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Aufwuchs im lassen, ob sie zur Erreichung der Millenniumsziele in Haushalt des BMZ ist sehr erfreulich, bedeutet aber eine den armen Ländern beiträgt. Entgegen allen Beteuerun- noch größere Verantwortung. Wir müssen daran arbei- gen kommen wir gerade in diesem Bereich nur sehr un- ten, in unserer bilateralen Zusammenarbeit noch mehr gleichmäßig voran. Wir werden im Jahre 2015 feststel- Effizienz und Kohärenz zu erreichen. Dies erfordert len: Wir haben die Ziele nicht erreicht. mehr Sorgfalt bei der Mittelverwendung und klarere Schwerpunktsetzungen. Ich nenne einige Zahlen für den Haushaltsplan 2008: Die Aufstockung des multilateralen globalen Fonds zur (B) (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der (D) Bekämpfung von Aids, Tuberkulose und Malaria wurde FDP) bereits erwähnt. Sie wird von uns voll unterstützt. Frau Ministerin, Sie können sich sicher sein, dass die Linke Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Sie bei der Erreichung der Ziele und auch bei der Umset- Ich gebe das Wort dem Kollegen Hüseyin Aydin, zung tatkräftig unterstützt. Fraktion Die Linke. Die Zusagen für Gesundheit innerhalb der bilateralen (Beifall bei der LINKEN – Jürgen Koppelin Zusammenarbeit sinken von 108 Millionen auf 65 Mil- [FDP]: Es lebe die Weltrevolution!) lionen Euro. Grundbildungsvorhaben stagnieren. Selbst bei großzügiger Berechnung kommen wir auf lediglich Hüseyin-Kenan Aydin (DIE LINKE): 120 Millionen Euro. Mittelzusagen bei Wasser und Um- Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Etat welt sinken. Der Zusagerahmen für Wirtschaftsreform des Entwicklungshilfeministeriums soll im Jahre 2008 und Marktwirtschaft – Herr Koppelin, in Ihrem Sinne – um über 14 Prozent steigen. Das ist kein Grund zum Ju- hingegen verdoppelt sich auf 423 Millionen Euro. Mit beln. der Förderung von nachhaltiger Entwicklung hat das aus unserer Sicht nichts zu tun. (Otto Fricke [FDP]: Ach nein?) (Beifall bei der LINKEN) Das ist überfällig. Diese Zahlen belegen vor allem eines: die tiefgreifende (Otto Fricke [FDP]: Was? Sagen Sie bloß!) Inkohärenz der deutschen Entwicklungszusammenar- Denn der Anteil der Entwicklungshilfe am Bruttoin- beit. landsprodukt liegt real bei 0,27 Prozent. Dies zeigt sich auch im eigenen Hause. Ich spreche von (Dr. Karl Addicks [FDP]: Das stimmt doch gar der lange diskutierten Reform der Institutionen. Ja, wir nicht! Das müsst ihr noch einmal ordentlich brauchen eine gemeinsame eigenständige Entwicklungs- nachrechnen!) agentur aus GTZ und KfW-Entwicklungsbank. Dahinter stehen sowohl die Fraktionen von SPD und Grünen als In Schweden liegt er bei über 1 Prozent. Deshalb muss auch die Linke. Das können Sie sofort anpacken und um- die schwedische Regierung diesen Wert im Gegensatz setzen. Es passiert aber nichts. Das Bundesministerium ist zur Bundesregierung, die die eigene Entwicklungshilfe- nach dem Eingeständnis seines Staatssekretärs zu bilanz um über ein Drittel aufbläht, nicht schönreden. schwach, um sich gegen die Verselbstständigung der 13622 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 129. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. November 2007

Hüseyin-Kenan Aydin (A) Durchführungsapparate zu behaupten. Das ist aus meiner Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: (C) Sicht ein ganz erbärmliches Schauspiel. Ich gebe das Wort dem Kollegen Dr. Sascha Raabe, SPD-Fraktion. Die Linke hat in den Haushaltsberatungen das Ersu- chen nach mehr Mitarbeitern im Entwicklungshilfemi- nisterium unterstützt. Ich hoffe, dass wir damit die Posi- Dr. Sascha Raabe (SPD): tion der politischen Führung im Ministerium gegenüber Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und den Bankern in den Durchführungsorganisationen ent- Herren! Wenn man die Redebeiträge der Opposition ge- scheidend stärken. hört hat – auch den meines in der Sacharbeit im Aus- schuss durchaus geschätzten Kollegen Herrn Aydin –, (Jürgen Koppelin [FDP]: Wie bitte?) muss man in der Tat sagen: Sie haben recht, Herr Aydin, Lassen Sie mich noch eines hinzufügen. Das deutsche für Sie, für die Opposition, ist der Haushalt kein Grund Entwicklungshilfeministerium hat kein Monopol auf die zum Jubeln. Denn schon in den letzten beiden Jahren hat- Beschönigung harter Interessenpolitik. Die EU-Kom- ten wir eine Steigerung von mehr als 300 Millionen Euro, mission ist noch schlimmer. Im Vorfeld des EU-Afrika- von über 8 Prozent. In diesem Jahr haben wir sogar eine Gipfels in Lissabon redet sie von Partnerschaft. Tatsäch- Steigerung von 14 Prozent: 750 Millionen Euro mehr gibt lich ist es jedoch reine Erpressung, wenn die EU-Kom- es. Es ist richtig: Sie können da nicht jubeln. Aber wir missare Mandelson und Michel die Unterzeichnung neo- können jubeln, und die Menschen in den Entwicklungs- liberaler Marktöffnungsabkommen mit der angedrohten ländern können sich freuen, dass es uns gelungen ist, so Kürzung von Entwicklungshilfegeldern erzwingen wol- einen Aufwuchs im Haushalt zu bekommen. Das sollte len. uns alle stolz machen, und das können Sie von der Oppo- sition nicht schlechtreden. Im gemeinsamen Strategiepapier mit der Afrikani- schen Union lesen wir viel von der Förderung der Inves- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) titionsbedingungen in Afrika. In diesem Sinne sind auch Ihre Zahlenspielereien zu verstehen. In den letzten Jahren haben Sie kritisiert, die Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Entschuldung von Entwicklungsländern sollte nicht auf Herr Kollege. die ODA-Quote anrechenbar sein. Dennoch hat das vie- len Kindern in Afrika geholfen, zur Schule zu gehen. Jetzt nörgeln Sie, dass die Kosten für Studienplätze an- Hüseyin-Kenan Aydin (DIE LINKE): gerechnet werden. Es gibt aber sehr viele Menschen aus Doch die überfällige Ratifizierung der Kernarbeits- Entwicklungsländern, die froh sind, dass sie bei uns die normen der Internationalen Arbeitsorganisation bleibt (B) Chance haben, eine Ausbildung zu bekommen, und die (D) ein Nichtthema. zum Teil wieder zurück in ihr Heimatland gehen und dort dafür sorgen, dass eine nachhaltige Entwicklung Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: möglich ist. Ich finde, man darf nicht das eine gegen das Herr Kollege. andere ausspielen. Alle Instrumente, die wir anwenden, sind sinnvoll. Die Mittel, die wir jetzt haben, werden Hüseyin-Kenan Aydin (DIE LINKE): auch in Zukunft sehr helfen. Ich komme zum Schluss. Natürlich ist es so, dass die 9 Milliarden Euro im kommenden Haushalt, die insgesamt als öffentliche Ent- Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: wicklungszusammenarbeit anrechenbar sein werden, Ich bitte darum. eine Menge Geld sind. Wir brauchen und wollen ja noch mehr, nämlich das Doppelte bis 2015. Da ist zu Recht (Jürgen Koppelin [FDP]: Wir auch!) die Frage zu stellen, wie man das als Entwicklungspoliti- ker vor den deutschen Steuerzahlerinnen und Steuerzah- Hüseyin-Kenan Aydin (DIE LINKE): lern rechtfertigt. Meine Damen und Herren, ich möchte im Zusammen- Unser Fraktionsvorsitzender, Peter Struck, hat heute hang mit dem EU-Afrika-Gipfel auf einen letzten Punkt Morgen gesagt, er wäre gerne einmal Astronaut, um sich hinweisen. den Blauen Planeten von oben anschauen zu können. Dann würde er sich fragen: Was machen wir eigentlich Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: mit unserer Erde und mit den Menschen, die auf ihr le- Nein, Herr Kollege. ben? Warum zerstören wir die Umwelt, warum müssen durch Kriege Menschen leiden, sterben? Warum leben so Hüseyin-Kenan Aydin (DIE LINKE): viele Menschen in Hunger und Armut? Heute wird über Nuklearabkommen und über Kern- (Zuruf von der LINKEN: Warum denn?) energie in Afrika diskutiert. In Afrika braucht man keine Atomenergie. Dort hat man genug Sonne. Lassen Sie uns Ich glaube, man muss gar nicht ins Weltall fliegen; es die alternativen Energien in Afrika fördern, aber nicht reichen ein paar Flugstunden zu unserem Nachbarkonti- die Kernenergie! nent Afrika. Da sieht man wirklich eine andere Welt. Ich war, wie viele Kolleginnen und Kollegen in unserem (Beifall bei der LINKEN) Ausschuss, in diesem Jahr in Afrika, unter anderem in Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 129. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. November 2007 13623

Dr. Sascha Raabe (A) Kenia, Mosambik und Malawi. Es ist in der Tat gut, Auch im Wirtschaftsbereich müssen wir natürlich (C) Deutschland einmal zu verlassen und einen Blick auf die etwas tun; denn es ist klar, dass Menschen nicht allein Welt außerhalb zu werfen. Ganz Afrika mit seiner rund mit Geld aus Hunger und Armut befreit werden. Das gilt 1 Milliarde Menschen steht nicht mehr Einkommen zur sowohl für die WTO als auch für die Verhandlungen der Verfügung als den etwa 20 Millionen Einwohnern von Europäischen Union mit den karibischen, afrikanischen Bayern und Niedersachsen. und pazifischen Staaten. Wenn wir in Deutschland über Probleme reden – sie Horst Köhler hat neulich in seiner Berliner Rede ge- sind tatsächlich da –, zum Beispiel sagen, es sei ein Pro- sagt – ich zitiere –: blem für uns, dass wir eine älter werdende Gesellschaft Zum Beispiel subventionieren die Industriestaaten haben, die Rente mit 67 sei ein Problem, und es sei allein ihren Agrarbereich mit fast einer Milliarde schlimm, dass unsere Kinder eine Lebenserwartung von US-Dollar pro Tag. Den afrikanischen Staaten 95 bis 100 Jahren haben, dann will ich dem entgegnen: geben sie eine Milliarde Dollar Agrarhilfen – pro Man muss einmal mit den Menschen in Malawi spre- Jahr. … Auch Europa errichtet Handelsbarrieren chen, wo die Lebenserwartung bei durchschnittlich gegen die Entwicklungsländer, überschwemmt 39 Jahren liegt. Man erfährt dort Armut und Elend; aber sie … mit Lebensmitteln zu Dumpingpreisen und man erfährt auch Hoffnung. Woher kommt diese Hoff- zerstört damit dort die Erwerbs- und Lebensgrund- nung? Sie kommt aus dem Stolz, dass es in vielen Län- lagen der bäuerlichen Gesellschaften. dern gelingt, dass die Menschen sich selbst helfen, dass es – das wird oft vergessen, wenn wir nach Afrika bli- Deshalb bin ich froh, dass wir eine Ministerin haben, cken – in vielen Ländern positive Entwicklungen gibt. die, seit sie das Ressort übernommen hat, nicht nur die Diese Menschen sagen: Wir wollen etwas verändern, wir wichtigen Projekte der Entwicklungszusammenarbeit wollen die Ärmel hochkrempeln. weiter in den Vordergrund stellt und betreibt, sondern auch die globale Strukturpolitik ganz stark nach vorne Es gibt viele gute Entwicklungszusammenarbeitspro- rückt und sich mit vollem Einsatz im Kabinett kohärent jekte von der GTZ, von der KfW, von unseren Durchfüh- dafür einsetzt, dass Deutschland in Europa im Rahmen rungsorganisationen, aber auch von vielen zivilgesell- der Handelspolitik eine andere Rolle spielt. Wenn unsere schaftlichen Organisationen. Ich glaube, alle, die wir im europäischen Partnerländer es zuließen, würden wir Ausschuss sind – egal welcher Partei wir angehören –, gerne mehr machen. Ich nenne hier einmal die Franzo- haben viele beeindruckende Beispiele erlebt, dass Men- sen und andere agrarlobbyistische Staaten. schen als Entwicklungshelferinnen und Entwicklungs- helfer ins Ausland gegangen sind, unter schwierigen Be- Wir als Entwicklungspolitiker werden bei den Ver- (B) dingungen arbeiten und die Menschen dort aus Hunger handlungen mit den afrikanisch-karibisch-pazifischen (D) und Elend befreien können, ihnen eine Chance geben. Staaten federführend dafür sorgen, ein Wirtschaftsab- Wenn man in die hoffnungsvollen Gesichter dieser Men- kommen auf Augenhöhe und ein partnerschaftlich faires schen blickt, sieht man, wie sie trotz ihres Elends und ih- Abkommen abzuschließen. rer Armut dankbar und froh sind über die Hilfe, die ih- nen gegeben wird. Deshalb sollte das nicht Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: schlechtgeredet werden. Herr Kollege. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dr. Sascha Raabe (SPD): In der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung habe Ich glaube, dass wir dort auf einem guten Weg sind, ich neulich einen Artikel über Rupert Neudeck, der wenn wir mit diesen Haushaltsmitteln weiterhin gute durchaus seine Verdienste hat, gelesen. Auch Verdienste Projekte direkt unterstützen, aber auch für eine Weltwirt- in der Vergangenheit rechtfertigen aber nicht einen sol- schaft sorgen, in der sich die Menschen selbst fair am chen Schwachsinn, den er da gesagt hat, nach dem Handel und an der Wirtschaft beteiligen können. Des- Motto: Was haben 40 Jahre staatliche Entwicklungszu- halb bitte ich um Unterstützung für diesen Haushalt. sammenarbeit denn überhaupt gebracht? Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Norbert Königshofen [CDU/CSU]: Reden wir (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – über den Haushalt, oder worüber reden wir ge- Jürgen Koppelin [FDP]: Für was haben Sie rade?) jetzt geworben?) Man muss sagen: Die Mittel, die wir als Politiker im Haushalt zur Verfügung stellen, dienen einem guten Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Zweck. Sie haben eine Wirkung vor Ort. Ich glaube, wir Ich gebe dem Kollegen Thilo Hoppe, Bündnis 90/ müssen deshalb auch bis zum Jahre 2015 weiter dafür Die Grünen, das Wort. werben, mehr Mittel zu bekommen, damit wir noch mehr Menschen helfen können. (Hellmut Königshaus [FDP]: Thilo, jetzt zur Abwechslung aber bitte einmal zum Haushalt! – (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Jürgen Koppelin [FDP]: Das war gerade ja der CDU/CSU) Lyrik!) 13624 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 129. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. November 2007

(A) Thilo Hoppe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): es nicht zulasten der Hungernden und zulasten des Kli- (C) Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! mas geht, wie Klimaschutzeffekte genutzt werden kön- Zum Allgemeinen und Grundsätzlichen habe ich in der nen und welche Leitplanken eingezogen werden müssen. ersten Lesung schon einiges gesagt. Deshalb kann ich es Zum Schluss – die Zeit läuft ab – möchte ich den mir jetzt in der Kürze der Zeit erlauben, nur einige Kon- Konflikt ansprechen, der hier immer zwischen den Zei- flikte und Herausforderungen anzureißen, die in der De- len zum Ausdruck kam. Herr Kollege Koppelin hat batte bisher zu kurz gekommen sind. mehrfach eingefordert, dass die Ministerin mehr auf das Erstens: Klimaschutz. Die Ministerin hat die Heraus- Parlament hören und das Parlament ernster nehmen soll. forderungen schon treffend dargestellt. Wir stehen kurz (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Das steht in vor der Klimakonferenz von Bali. Ein ganz wichtiger der Verfassung!) Bereich ist der Schutz der Tropenwälder. Ich weiß, dass das auch dem Kollegen Ruck sehr am Herzen liegt. – Ja, natürlich. – Zum Parlament gehört aber nicht nur Um Ihrer Frage zuvorzukommen: Mit dem, was unter der Haushaltsausschuss, sondern natürlich auch der ent- Rot-Grün dort erreicht wurde, bin ich nicht zufrieden. sprechende Fachausschuss. Da muss noch kräftig draufgesattelt werden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Sir Nicholas Stern hat es ausgerechnet und beziffert: und bei der SPD) Wir brauchen 15 Milliarden Dollar pro Jahr für einen ef- In vielen Konfliktpunkten kommen unsere Ausschüsse fektiven Tropenwaldschutz. Das macht deutlich, wie rie- zu ganz unterschiedlichen Ergebnissen. Auch das muss sig die Herausforderung ist. 20 Prozent der CO -Emmis- 2 hier einmal diskutiert werden und sollte auch in allen sionen resultieren allein aus der Zerstörung der Fraktionen offener diskutiert werden. tropischen Regenwälder. Deshalb ist es absolut notwen- dig, dort sehr viel mehr zu tun. Wir haben das in mehrere (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Einschlägig Anträge für einen Klimaschutzhaushalt hineingeschrie- ist aber der Gesetzesbeschluss vom Freitag, ben. Wir sehen, dass es ermutigende Ansätze gibt, aber Herr Kollege! Das ist der Auftrag an die Re- das reicht bei weitem nicht aus. gierung!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich nenne einige Konfliktpunkte: Notwendig sind auch Pilotprojekte, damit die finan- Erstens. Zum Thema Budgetfinanzierung haben wir zielle Kompensierung und Honorierung von vermiede- eine große Anhörung durchgeführt, die nicht zu dem Er- ner Entwaldung weiterentwickelt werden kann. Dort gebnis kam, dass dies alles schlecht ist und die Mittel da- (B) steckt der Teufel im Detail, und es ist sehr schwierig, die für gesperrt werden sollten. (D) richtigen Instrumente zu finden, mit denen keine fal- schen Anreize geschaffen werden. Die Einbeziehung des Zweitens. Auch beim Thema multilaterale und bila- Tropenwaldschutzes in ein Kioto-II-Abkommen und in terale Entwicklungszusammenarbeit sind wir zu einer den Clean-Development-Mechanism ist notwendig. Hier anderen Bewertung gekommen und können die Verteidi- muss es viel mehr Rückenwind geben. gung der anachronistischen Zweidrittel-/Eindrittelrege- lung nicht verstehen. Zweitens. Der Bereich Bio- oder Agrartreibstoffe Drittens. Ich bin der FDP dankbar, dass sie eine An- hängt damit zusammen. Heike Hänsel hat deutlich auf hörung ansetzen möchte, die sich mit der Frage befasst, die negativen Erscheinungen in Indonesien hingewiesen. wann Außenwirtschaftsförderung sinnvoll und legitim Sie sind wirklich himmelschreiend und müssen gestoppt ist und wann sie Missbrauch von Steuergeldern darstellt, werden. Daraus kann aber nicht gefolgert werden – für etwa wenn ein einzelnes Unternehmen den Zuschlag be- Indonesien natürlich schon –, die Entwicklung jetzt ein- kommt. fach anzuhalten. Durch ein Moratorium für fünf Jahre wird das Ganze nicht aufgehalten. (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Jürgen Koppelin [FDP]: Sehr gut!) Es ist notwendig, sich jetzt ganz schnell einzuklinken, mit Hochdruck den Ausbau der Biotreibstoffe mit öko- Wenn Sie das genannte Projekt von Siemens als Klima- logischen und sozialen Leitplanken zu versehen und ein schutzmaßnahme verkaufen wollen, muss auf Folgendes Zertifizierungssystem hochzuziehen, das nicht nur die hingewiesen werden: Es wird so oder so realisiert; wenn einzelnen Plantagen im Blick hat, sondern auch die Ver- nicht von Siemens, dann von einem anderen Konsor- drängungsmechanismen. tium. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ sowie bei Abgeordneten der SPD) DIE GRÜNEN und der SPD) Deshalb bin ich sehr froh, dass es nach langer Zeit erst- Das Vorhaben, Steuermittel dafür aufzuwenden, damit mals wieder gelungen ist, für den 23. Januar 2008 eine ein deutsches Unternehmen den Zuschlag bekommt, hat gemeinsame Anhörung von drei Ausschüssen – Agrar- ein Vertreter von Transparency International schon ein- ausschuss, Umweltausschuss und Entwicklungsaus- mal vorsichtig als Staatskorruption bezeichnet. Ich denke schuss – anzusetzen, auf der genau dieses Thema be- also, dass eine Diskussion zwischen Außenwirtschafts- leuchtet werden soll. Hier wird es um die Fragen gehen, förderern und Entwicklungspolitikern dringend notwen- wie die Biotreibstoffe so ausgebaut werden können, dass dig ist. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 129. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. November 2007 13625

Thilo Hoppe (A) Das Ganze wird auch nicht dadurch besser, dass jetzt gen Haushaltsberatungen wieder zugunsten zivilgesell- (C) ein Neben-Entwicklungsminister, nämlich Herr Glos, schaftlicher Organisationen umgeschichtet, allerdings in Maßen. Denn auch hier muss gelten: Qualität geht vor (Dr. Christian Ruck [CDU/CSU]: Glos ist ein Quantität. Die Mittel müssen sinnvoll eingesetzt werden. guter Mann!) Die Planung braucht einen gewissen Vorlauf. Ein plötzli- Projekte der finanziellen Zusammenarbeit am BMZ vor- cher Geldregen wäre nicht hilfreich. bei realisiert. Da möchten wir noch ganz große Fragezei- Wenn man sich den Regierungsentwurf des Einzel- chen setzen. plans ansieht, fällt einem deutlich auf: Die Erhöhung (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN von gut 700 Millionen Euro kommt hauptsächlich vier sowie bei Abgeordneten der SPD) Titeln zugute. Erstens profitieren die Vereinten Nationen davon. Bei Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: den Mitteln für den GFATM gibt es eine Erhöhung um Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege 113 Millionen Euro auf nunmehr 200 Millionen Euro. Jochen Borchert, CDU/CSU-Fraktion. Das ist eine Steigerung um 125 Prozent. Dies zeigt, dass (Beifall bei der CDU/CSU) wir unsere Zusagen von Heiligendamm ernst nehmen. Ich bin der Ansicht, dass wir unserer Verantwortung bei der Bekämpfung der drei schlimmsten Immunkrankhei- Jochen Borchert (CDU/CSU): ten – Aids, Tuberkulose und Malaria – damit sehr deut- Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und lich gerecht werden. Das wird auch zukünftig so sein. Kollegen! Ich denke, viel deutlicher als in diesem Haus- Wir müssen aber genau hinsehen, wie diese Mittel in den halt hätte das Bekenntnis Deutschlands zu seiner Verant- Ländern eingesetzt werden und ob der Einsatz wirklich wortung für die Bekämpfung der weltweiten Armut und überall zweckentsprechend und effizient ist. für die Entwicklungszusammenarbeit nicht ausfallen können. Die Bundesregierung und die Koalitionsfraktio- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- nen haben bewiesen, dass die im Koalitionsvertrag fest- neten der FDP) geschriebenen Ziele weiter im Mittelpunkt ihrer Arbeit Denn ein solcher Aufwuchs ist auch für eine Organisa- stehen. tion wie den GFATM nicht leicht zu schultern. Hierauf Die Mittel für den Einzelplan 23 sind überproportio- werden wir unser Augenmerk richten müssen. nal gestiegen. Noch nie wurde Entwicklungszusammen- arbeit so intensiv diskutiert und gefördert. Die Bundes- Zweitens. Ein weiterer Schwerpunkt liegt bei der Weltbank. Sie ist ein weiterer multilateraler Geber, der (B) kanzlerin nutzt ihren außenpolitischen Einfluss immer (D) wieder, um sehr nachdrücklich sowohl entwicklungspo- von der Erhöhung profitiert. Hier handelt es sich um litische als auch menschenrechtspolitische Akzente zu planmäßige Abrufe unserer Verpflichtungen aus frühe- setzen. ren Jahren. Auch hier spiegelt sich das deutsche Engage- ment in der Entschuldungsinitiative wider. (Beifall bei der CDU/CSU) Neben dem Europäischen Entwicklungsfonds profi- Die Ministerin verfügt heute über einen Etat, der knapp tiert dann auch noch die Finanzielle Zusammenarbeit 1,3 Milliarden Euro über dem letzten der alten Bundes- mit einem Plus von knapp 300 Millionen Euro. Das ist regierung aus dem Jahr 2005 liegt. Das ist ein Anstieg ein Aufwuchs von gut 26 Prozent. Dies ist ein wichtiges von gut 33 Prozent in drei Jahren. Ich halte das für ein Signal, ein wichtiges Instrument zur Erreichung unserer positives Signal. Unkenrufe sind da völlig fehl am Platz. entwicklungspolitischen Ziele. Hier können wir mit bila- Sehr geehrte Frau Ministerin, herzlichen Glückwunsch teralen Mitteln ganz gezielt und mit großem Hebel deut- zu diesem Etat! sche Schwerpunkte in der Entwicklungszusammenarbeit (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) setzen.

Mehr als 14 Prozent Steigerung im Haushalt 2008, Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: eine dreieinhalb Mal höhere Wachstumsrate im Ver- Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der gleich zum Gesamthaushalt, das ist – ich wiederhole Kollegin Koczy? mich gern – ein überaus positives Signal. Damit macht Deutschland unmissverständlich klar, dass die Betonung der Entwicklungspolitik kein Lippenbekenntnis ist. Gut Jochen Borchert (CDU/CSU): 700 Millionen Euro Aufwuchs – das ist alles andere als Aber gern. ein Lippenbekenntnis. Das ist ein Bekenntnis zu unserer Verantwortung. Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Für den Erfolg von Entwicklungszusammenarbeit ist Bitte, Frau Koczy. ganz entscheidend, dass Sie die Zivilgesellschaft mit einbinden und sie – auch finanziell – an dem positiven Ute Koczy (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Trend beteiligen; denn eine gute Öffentlichkeitsarbeit, Danke sehr. – Herr Kollege Borchert, Sie sprachen die Präsenz dieses Themas in der Gesellschaft ist, wie ich von einer Erhöhung der Mittel für die Weltbank und dem denke, dem Engagement der zivilgesellschaftlichen Ini- Internationalen Fonds für landwirtschaftliche Entwick- tiativen geschuldet. Deshalb haben wir bei den diesjähri- lung. Nun wissen wir, dass der ursprüngliche Entwurf 13626 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 129. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. November 2007

Ute Koczy (A) der Regierung mehr Mittel vorsah und der Ansatz für die beraten –, zu einem Abschluss der Regierungsverhand- (C) Weltbank von den Haushältern der Koalitionsfraktionen lungen kommen, so wird der Antrag auf Entsperrung der um 100 Millionen Euro gekürzt wurde. Wie rechtferti- Mittel im Haushaltsausschuss sicher eine genauso große gen Sie das vor dem Hintergrund der sechs Herausforde- Mehrheit finden wie die Zustimmung zur zivilen Hilfe rungen, die global bewältigt werden müssen, von denen für Afghanistan hier im Parlament. Robert Zoellick, der neue Weltbankpräsident, gespro- Aber wir werden Risiken und Chancen und die Rah- chen hat? Er ist ja sogar, weil er wohl schon etwas ahnte, menbedingungen der Budgethilfe weiter diskutieren hierhin gereist, um über dieses Thema zu diskutieren. müssen. Ich denke, neben dem effizienten Einsatz der Warum haben Sie sich trotz seiner guten Argumente ent- Mittel müssen die Vorteile der Budgethilfe schon erheb- schieden, die Mittel zu kürzen? lich sein, wenn wir auf die sonst mögliche Hebelwirkung bei der finanziellen Zusammenarbeit verzichten wollen. Jochen Borchert (CDU/CSU): Frau Kollegin, ich habe eben von den Barmittelansät- (Beifall bei der CDU/CSU) zen gesprochen. Diese haben wir nicht verringert. Viel- Wir haben noch an einer anderen Stelle gesperrt, näm- mehr gibt es hier einen deutlichen Aufwuchs zugunsten lich bei den freiwilligen Beiträgen an internationale Or- der Weltbank. Ich denke, dies darf man dann hier auch ganisationen. ausführlich erwähnen. Das, was Sie ansprechen, sind Veränderungen bei Verpflichtungsermächtigungen, auf (Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- die ich gleich im Detail eingehen werde. Ich denke, auch NEN]: Schlimm genug!) hier haben wir im Haushaltsausschuss eine verantwor- Diese Sperrungen werden aber in Kürze aufgehoben tungsvolle Entscheidung getroffen. werden können, und zwar für den Einzelplan 05 und den Einzelplan 23, nämlich dann, wenn sich die Häuser mit (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- dem Bundesrechnungshof über die Art der Evaluierung neten der FDP) geeinigt haben. Wichtig ist der verantwortungsbewusste Umgang mit Frau Kollegin, Sie haben darauf hingewiesen, dass Steuergeldern. Der Bundesrechnungshof prüft bei der zurzeit Verhandlungen über die Wiederauffüllung bei der Budgetfinanzierung – genauso wie in anderen Bereichen –, Weltbank laufen. Wir haben die VE von 1,9 Milliarden ob Steuergelder sparsam und effizient eingesetzt werden. um 100 Millionen Euro abgesenkt und diesen Betrag auf Herr Kollege Hoppe, Sie haben erklärt, dass in der An- die technische und finanzielle Zusammenarbeit verteilt. hörung des Fachausschusses zur Budgetfinanzierung festgestellt worden sei, dass nicht alles schlecht sei. Das (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Mit guten (B) haben wir nicht erklärt. Wir haben im Haushaltsaus- Gründen!) (D) schuss auch nicht gesagt, dass hier gespart werden soll. Man muss sehen, dass zu Beginn der Verhandlungen drei Wir haben lediglich darauf hingewiesen, dass wir die Szenarien diskutiert wurden, nämlich eine Aufstockung Prüfung des Bundesrechnungshofes im Bereich der von IDA 15 im Vergleich zu IDA 14 um 10,4 Prozent, Budgetfinanzierung unterstützen. 20 Prozent oder 30 Prozent. Im März hatte man sich in (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Sehr richtig!) Paris auf eine Aufstockung um 20 Prozent verständigt. Dafür reichen die Verpflichtungsermächtigungen bei ver- Denn wir tragen gegenüber dem Bürger die Verantwor- gleichbaren Rahmenbedingungen aus, die jetzt im Haus- tung dafür, dass die Mittel effizient eingesetzt werden. halt stehen. Wir werden jetzt abwarten müssen, zu wel- Deswegen haben wir einen Teil der Mittel für finanzielle chen Ergebnissen die Verhandlungen Anfang Dezember und technische Zusammenarbeit bis zur Vorlage des Be- führen. richtes des Bundesrechnungshofes zur Budgetfinanzie- rung gesperrt. Die Verhandlungen erfolgen unter Parlamentsvorbe- halt. Damit die Dimensionen deutlich werden: Bei der fi- nanziellen Zusammenarbeit sind von 1,4 Milliarden Euro (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Sehr gut!) 40 Millionen Euro gesperrt – das sind weniger als 3 Pro- Das ist nicht nur in Deutschland so. Wir wollen die zent –, und bei der technischen Zusammenarbeit sind wichtige Arbeit der Weltbank weiter unterstützen, und von 730 Millionen Euro 6,5 Millionen Euro gesperrt – dazu gehört natürlich ein ausreichender finanzieller Bei- das ist weniger als 1 Prozent. trag. Den werden wir auch leisten. Grundlage unserer (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Ja!) Entwicklungspolitik ist aber die Kombination von bilate- raler und multilateraler Zusammenarbeit. Beide Berei- Wenn dann erklärt wird, die 2007 mit Afghanistan che leisten ihren spezifischen Beitrag zur Erreichung der geschlossenen Regierungsverträge könnten nicht er- Millenniumsziele. füllt werden, so ist zu sagen, dass die Zusagen von 2007 (Beifall bei der CDU/CSU) von dieser Sperre nicht betroffen sind. Ich sehe auch für die Verhandlungen 2008 keine konkrete Gefahr. Die Re- Ich begrüße, dass die Weltbank in ihrem Weltentwick- gierungskonsultationen werden erst Anfang des Jahres lungsbericht jetzt das Thema ländliche Entwicklung 2008 beginnen. Sollte es wider Erwarten vor der gene- wieder stärker betont und in den Mittelpunkt rückt. Auch rellen Aufhebung der Sperre, das heißt vor Februar oder wenn sich hier schon die ersten Kritiker zu Wort gemel- März – wir werden über die Aufhebung ja im Frühjahr det haben, so herrscht Einigkeit darüber, dass ländliche Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 129. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. November 2007 13627

Jochen Borchert (A) Entwicklung ein Schlüsselfaktor für die nachhaltige Be- gramme deutlich als Projekte/Programme Deutsch- (C) kämpfung von Armut, Krankheit und Hunger ist. Des- lands gekennzeichnet werden. Die Durchführungs- wegen begrüße ich den Trend, der in diesem Bericht organisationen sind als solche kenntlich zu machen. deutlich wird. Wir haben gerade in diesem Bereich einen Sehr geehrte Frau Ministerin, ich bedanke mich bei großen Hebel zur Bekämpfung des Hungers. Ihnen und Ihrem Haus für die intensive Zusammenar- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- beit, für die offene, gelegentlich auch kontroverse De- neten der SPD) batte. Ich möchte mich bei meiner Kollegin Iris Hoffmann sehr herzlich für die gute Zusammenarbeit be- Ich begrüße den neuen Freiwilligendienst des BMZ, danken und danke allen übrigen Berichterstattern für die der im Haushalt mit 25 Millionen Euro finanziert wird. konstruktive Zusammenarbeit im Kreis der Berichter- Wenn wir es jungen Menschen erleichtern, Erfahrungen statter. in der Entwicklungszusammenarbeit zu machen, dann werden diese jungen Menschen, die zwischen sechs und Ich darf Sie alle herzlich bitten, dem Einzelplan 23 in 24 Monate als Entwicklungshelfer gearbeitet haben, der vom Ausschuss beschlossenen Form zuzustimmen. wenn wir es richtig anstellen, die besten Botschafter für Herzlichen Dank. die Entwicklungszusammenarbeit sein. Dies ist eine gute Chance, die Akzeptanz und die Unterstützung in der Be- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) völkerung hierfür zu erhöhen. Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Ich schließe die Aussprache. Ich will abschließend auf einen weiteren Beschluss Wir kommen zur Abstimmung über den Einzel- im Haushaltsausschuss aufmerksam machen. Von vielen plan 23, Bundesministerium für wirtschaftliche Zusam- Seiten haben wir immer wieder gehört, dass der Außen- menarbeit und Entwicklung, in der Ausschussfassung. auftritt des BMZ einheitlicher gestaltet werden müsse Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltun- und dass selbst die staatliche EZ nicht mit einem ein- gen? – Der Einzelplan 23 ist mit den Stimmen der Koali- heitlichen Logo auftritt. tion bei Gegenstimmen der Opposition angenommen. (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Eigentlich Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tages- unglaublich!) ordnung. Zuletzt kam dieser Ruf aus dem BMZ selbst. Demnach Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun- lag nichts näher, als genau dies durch einen parlamenta- destages auf morgen, Donnerstag, den 29. November (B) rischen Beschluss sicherzustellen. Deswegen haben wir 2007, 9 Uhr, ein. (D) beschlossen: Ich wünsche Ihnen allen einen wunderschönen Die Bundesregierung wird aufgefordert, in der Abend. staatlichen bilateralen Entwicklungszusammenar- Die Sitzung ist geschlossen. beit ausschließlich mit einem einheitlichen Logo nach außen aufzutreten, damit Projekte und Pro- (Schluss: 18.46 Uhr)

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(A) Anlagen zum Stenografischen Bericht (C)

Anlage 1 Anlage 2 Liste der entschuldigten Abgeordneten Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Maria Michalk (CDU/CSU) entschuldigt bis zur Abstimmung über den Einzelplan 04 – Bun- Abgeordnete(r) einschließlich deskanzlerin und Bundeskanzleramt (Tagesord- nungspunkt II.9) Ahrendt, Christian FDP 28.11.2007 Im Jahr 2008 beträgt der Zuschuss des Bundes zu- Andreae, Kerstin BÜNDNIS 90/ 28.11.2007 gunsten der zwischen dem Bund und den Ländern Bran- DIE GRÜNEN denburg und Sachsen gebildeten Stiftung für das sorbi- sche Volk 7,6 Millionen Euro. Das sind 600 000 Euro Beck (Köln), Volker BÜNDNIS 90/ 28.11.2007 mehr, als im Haushaltsentwurf der Bundesregierung vor- DIE GRÜNEN gesehen. Somit ist das Förderniveau 2007 wieder er- reicht. Ich danke insbesondere dem Haushaltsausschuss von Bismarck, Carl- CDU/CSU 28.11.2007 für diese Initiative. Meine Zustimmung zum Etat des Eduard Bundeskanzleramtes verbinde ich jedoch mit dem Hin- Dr. Bunge, Martina DIE LINKE 28.11.2007 weis auf zwei ungelöste Probleme, die dringend einer Entscheidung bedürfen: Burchardt, Ulla SPD 28.11.2007 Erstens. Das Finanzierungsabkommen als Rechts- Claus, Roland DIE LINKE 28.11.2007 grundlage der gemeinsamen Förderung des sorbischen Volkes läuft am 31. Dezember 2007 aus. Darauf habe ich Connemann, Gitta CDU/CSU 28.11.2007 bereits in meiner Erklärung zur Abstimmung zum Etat 2007 hingewiesen und eine zeitnahe Lösung angemahnt. Ernst, Klaus DIE LINKE 28.11.2007 Ich muss leider enttäuscht feststellen, dass dies nicht

* umgesetzt wurde. Die Verhandlungen für ein neues Fi- Graf (Rosenheim), SPD 28.11.2007 nanzierungsabkommen sind zwar vor mehr als einem Angelika Jahr aufgenommen worden. Sie ruhen jedoch seit dem (B) Hübner, Klaas SPD 28.11.2007 Frühjahr. Damit existiert derzeit für die Stiftung für das (D) sorbische Volk weder eine Rechtssicherheit für die Zu- Irber, Brunhilde SPD 28.11.2007 kunft, noch ist eine mittelfristige Finanzplanung durch die Stiftungsgremien möglich. Juratovic, Josip SPD 28.11.2007 Zweitens. Der Haushaltsausschuss hat 2,6 Millionen Dr. Krogmann, Martina CDU/CSU 28.11.2007 Euro qualifiziert gesperrt mit der Begründung, dass ei- nerseits bis zum 15. Juni 2008 ein neues, in die Zukunft Dr. Küster, Uwe SPD 28.11.2007 gerichtetes Finanzierungsabkommen vorliegen soll und andererseits die Auflagen aus dem Bericht des Bundes- Lehn, Waltraud SPD 28.11.2007 rechnungshofes vom 20. März 2007 erfüllt sein müssen. Müntefering, Franz SPD 28.11.2007 Beide Forderungen sind nicht allein vom sorbischen Volk umsetzbar. Der Freistaat Sachsen, der an seiner bisheri- Piltz, Gisela FDP 28.11.2007 gen Förderung ungesperrt festhält, hat in seiner Stellung- nahme auf die sechs Forderungen des Rechnungshofes Raidel, Hans CDU/CSU 28.11.2007 reagiert und die Förderung des Bundes unter minder- Schmidt (Nürnberg), SPD 28.11.2007 heitspolitischen Gesichtspunkten uneingeschränkt einge- Renate fordert. Dem schließe ich mich an. Das Land Branden- burg unterstützt politisch diese Forderungen, hat aber Ströbele, Hans-Christian BÜNDNIS 90/ 28.11.2007 analog zum Bund seinen Förderanteil ebenfalls gesperrt. DIE GRÜNEN Vom Bund liegt derzeit noch keine Stellungnahme zum Rechnungshofgutachten vor. Damit sind die Eckpunkte Strothmann, Lena CDU/CSU 28.11.2007 für die Wiederaufnahme der Verhandlungen für das neue Finanzierungsabkommen aus meiner Sicht unklar. Das Stübgen, Michael CDU/CSU 28.11.2007 ist unbefriedigend. Insgesamt beträgt die Haushalts- Thiessen, Jörn SPD 28.11.2007 sperre für die Stiftung für das sorbische Volk für 2006 3,2 Millionen Euro. Wegener, Hedi SPD 28.11.2007 Ausdrücklich erkläre ich aus meiner Kenntnis vor Ort, dass in der Summe aller Ausgaben der größte Teil * für die Teilnahme an den Sitzungen der Parlamentarischen Ver- für den Erhalt der sorbischen Sprache verwendet wird. sammlung des Europarates Dazu gehören die Herstellung und Beschaffung von 13630 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 129. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. November 2007

(A) Schulbüchern für die Minderheitensprache genauso wie Volkes, das kein Mutterland hat, nicht ohne Substanzver- (C) zum Beispiel das gesprochene Wort im Theater oder auf lust umsetzbar und würde zunächst die Schließung bzw. einer CD. Fusionierung aller sorbischen Institutionen bedeuten. Niemand kann von einem Volk verlangen, seine kultu- Ferner wird davon ausgegangen, dass in der Stiftung relle Infrastruktur, die lebensnotwendig ist, da sich das selbst seit 1994 keine Evaluierung mehr stattgefunden sorbische Volk über die Kulturautonomie definiert, selbst hat. Als Mitglied des Parlamentarischen Beirates der abzuschaffen. Stiftung weiß ich, dass zum Beispiel 1997 eine Untersu- chung zum Lese- und Medienverhalten der sorbischen Und zuletzt wird im sechsten Punkt des Rechnungs- Bevölkerung durchgeführt wurde, in deren Konsequenz hofberichtes die Überwindung der Kleinteiligkeit der Förderprioritäten der Stiftung angepasst wurden. Eine Minderheitenförderung durch die Bundesregierung an- zweite große Evaluation fand von 2000 bis 2002 statt. gemahnt. Auch diesen Punkt können die Sorben nicht Seit dieser Zeit wird zugunsten der Sprache zum Bei- beeinflussen. spiel die Kunst nachrangig gefördert. Diese Beispiele sollen verdeutlichen, dass ich auch mit dem zweiten Die zwischen Bund und Ländern bisher vereinbarte Prüfergebnis Verständnisprobleme habe. jeweils hälftige Förderung der Stiftung ist eine gute Ent- scheidung, die in den zurückliegenden 15 Jahren zu Im dritten Punkt wird auf die teilweise Übernahme bemerkenswerten Ergebnissen in der Entwicklung der von Aufgaben anderer Träger, vor allem Kommunen sorbischen Sprache und Kultur geführt hat. Sie berück- verwiesen. Die Mehrbelastungen der Kommunen, im sichtigt, dass es sich bei der Förderung des sorbischen zweisprachigen Siedlungsgebiet, zum Beispiel durch die Volkes um eine Aufgabe im gesamtstaatlichen Interesse zweisprachige Beschilderung, sind bisher nirgendwo zu- handelt, weil die Kultur autochthoner Minderheiten im- sammengefasst dargestellt worden. Sie werden aber seit mer auch ein lebendiger Bestandteil der Kultur Deutsch- Jahren ganz selbstverständlich von diesen getragen. Wa- lands ist und bleibt. Daraus ergibt sich auch die außen- rum nach 15 Jahren Zusammenarbeit zwischen der Stif- politische Alleinverantwortung des Bundes im Blick auf tung und den Kommunen jetzt eine gegenseitige Auf- die 1998 unterzeichnete Europarats-Charta der autoch- rechnung erfolgen sollte, ist nicht nachvollziehbar und thonen Minderheiten. widerspricht dem Geist der von der Bundesregierung un- Zwar ist das Finanzierungsabkommen von 1998, das, terzeichneten Europäischen Charta zum Schutz der Min- wie gesagt, Ende 2007 ausläuft, für die Bundesseite in derheitensprachen. absoluten Beträgen klar degressiv ausgelegt, nicht aber Im vierten Punkt wird die Regelung für das sorbische im relativen Förderanteil. Durch diese Tatsache war das Parlament Jahr für Jahr gefordert, Nachbesserungen vor- (B) Volk im Einigungsvertrag als verbraucht erklärt, Auch (D) das ist nicht nachvollziehbar und vor allem von den Sor- zunehmen. Das ist künftig weder den Sorben noch den ben nicht beeinflussbar. Abgeordneten weiter zumutbar. Deshalb erwarte ich, dass in den kommenden Wochen der Entwurf für ein kla- Die generelle Umstellung der Förderung des sorbi- res Finanzierungsabkommen zwischen Bund und Län- schen Volkes auf Projektbasis, wie im fünften Punkt vor- dern vorgelegt wird, das den Anspruch eines Zukunfts- geschlagen, ist mit den ganzheitlichen Aufgaben eines konzeptes für das sorbische Volk erfüllt.

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