Medien

JOURNALISTEN Der wirkliche Krieg In sind bisher mehr Reporter ums Leben gekommen als Soldaten der westlichen Militärallianz. Die Arbeit der Medien im einstigen Reich der ist chaotischer als in jedem anderen Krieg zuvor.

s ist ein Stellungskrieg gewesen. Ver- Handloik und die französischen Reporter Fahrer sagte, die Journalistin sei zuerst schanzt in den Luxushotels von Pe- Johanne Sutton und . Sie gesteinigt und dann aus nächster Nähe er- Eschawar und Islamabad, haben die hatten einen angeblich aufgegebenen schossen worden. Kriegsreporter gewartet, unrasiert und so Schützengraben der Taliban besichtigen Mit Cutuli und Fuentes starben der frustriert, dass sie zuletzt schon anfingen, wollen und standen unter dem angebli- australische Kameramann Harry Burton sich gegenseitig zu beschreiben. Eingegra- chen Schutz eines Panzerfahrzeugs der und der Fotograf Azizullah Haidari, beide ben in die immergleichen Storys über Nordallianz. von der Nachrichtenagentur Reuters, beide Flüchtlinge und bärtige Männer, die Pup- Gerade eine Woche später fuhr ein Jour- erfahrene und umsichtige Kriegsreporter. pen verbrannten, überdrüssig des ewigen nalistenkonvoi auf der Straße von Jalala- Kriechens im Staub vor dubiosen Kom- bad in Richtung . 150 Kilometer mandeuren. Geröllpiste, von russischen Panzern ver- Nichts ist tödlicher als dieses Warten. wüstet und befahrbar nur mit zehn Dieses Fiebern, dass irgendetwas losgeht. Stundenkilometern. An einer Stelle muss Etwas Richtiges. Egal, was. Nur weg von ein ausgetrocknetes Flussbett durchquert den Pools, runter von den Hoteldächern, werden. Hier fand ein Busfahrer am ver- raus aus Hodscha Bahauddin, dem elendi- gangenen Montag die Leichen von vier gen Notaufnahmelager für Kriegsreporter Journalisten am Straßenrand. Überall ohne Krieg. Patronenhülsen und Blut. Die Klettver- Jetzt hat die Offensive begonnen. Nach schlusstaschen ihrer Jacken waren nach 33 Tagen des Wartens sind rund tausend außen gekehrt. Journalisten ins sturmreif geschossene Unter den Toten waren Maria Cutuli Reich der Taliban einmarschiert, und man- vom Mailänder „Corriere della Sera“ und cher erreichte Kabul noch vor den Truppen Julio Fuentes von der spanischen „El Mun- der Nordallianz. do“. Beide hatten erst am Tag zuvor einen John Simpson, ein Kriegsveteran der Scoop gelandet. In dem aufgegebenen BBC, beschrieb zum Erstaunen seiner be- Ausbildungslager der al-Qaida in Farm

reits anwesenden Kollegen, wie es ist, als Hada, 20 Kilometer südlich Jalalabads, X (L.); / STUDIO BUU ALAIN / GAMMA X (R.) / STUDIO GAMMA Journalist Kabul einzunehmen: „Was für entdeckten sie zwischen Granaten, Minen ein belebendes Gefühl, diese Stadt zu be- und Raketen 20 Glasampullen, auf denen Alle Nichtjournalisten in den Fahrzeugen freien. Es waren die BBC-Mitarbeiter, die in kyrillischer Schrift „Sarin“ stand, das wurden laufen gelassen. diese Stadt befreiten.“ tödliche Nervengift. Afghanistan zeigt sich den Journalisten Aber der wirkliche Krieg, das kalte und Maria Cutuli hatte gehofft, ihre Ge- so, wie sie es aus der Ferne immer beschrie- dreckige Sterben weit weg von Redaktio- schichten würden ihre Redaktion davon ben haben. Unberechenbar. Gefährlicher nen, Familien, Sinnhaftigkeit ließ nicht auf abhalten, sie wie geplant zurück nach als Saigon während der Tet-Offensive. In sich warten. Mailand zu beordern. Sie wollte mit ihren diesem Krieg ist die Zahl der getöteten Jour- Gleich am dritten Tag der Offensive Berichten in den Rang der Sonderkorre- nalisten größer als die der toten Soldaten starben der freie „Stern“-Reporter Volker spondenten aufgenommen werden. Ihr auf Seiten der westlichen Militärallianz.

Sieben tote Journalisten in acht Tagen Pierre Billaud, Johanne Sutton und starben am 11. November, als sie während einer , Azizullah Haidari, Harry Burton und Erkundungsfahrt auf einem Schützenpanzer der Nordallianz in einen Hinterhalt der Taliban gerieten. Julio Fuentes wurden am 19. November auf dem Weg

144 der spiegel 48/2001 Pressekonferenz der Taliban*, Journalisten an der Front: Druck aus der Heimatredaktion

In den 21 Jahren stätigt, von der afghanischen Polizei jedoch feren Wettbewerb auf dem Medienmarkt des Vietnam-Kriegs dementiert. Es spricht für das Chaos in hat sich die Zahl der journalistischen sind 63 Journalisten Kabul, dass auch nach zwei Tagen niemand Freischärler besonders unter den Fotogra- ums Leben gekom- widerlegen konnte, dass drei Journalisten fen und Kameraleuten drastisch erhöht. men. In Afghanistan einfach abhanden gekommen sind. Wahr- Sie sind bereit, jedes Risiko in Kauf zu neh- sind in den ersten scheinlich waren es Freelancer, keine men, um möglichst eigene, ungesehene zwei Wochen der Redaktion meldete Vermisste. Zurzeit ist und damit gut verkäufliche Bilder zu be- Befreiungsoffensive schon sieben Repor- alles denkbar. kommen. ter erschossen worden, keiner von ihnen Ein NBC-Team fand im Hinterzimmer Aber es ist bezeichnend für die Lage im war ein Draufgänger. seiner frisch gemieteten Wohnung in Kabul neuen Afghanistan, dass es gerade nicht Womöglich sind es sogar zehn Opfer. eine scharfe 225-Kilo-Bombe. „Ich habe dieser Typus des Kriegsreporters war, der Am Donnerstag meldete das iranische schon vieles erlebt, aber so etwas noch ums Leben gekommen ist. Fernsehen, dass auf der gleichen Geröll- nicht“, sagt Jürgen Osterhage. Der ARD- Jeder ist in Gefahr. „In diesem Konflikt piste von Jalalabad nach Kabul drei an- Korrespondent haust mit vier anderen kann niemand mehr auf journalistische dere Reporter getötet worden seien. Die Kollegen im Müllraum eines herunterge- Immunität pochen. Die Journalisten wer- Meldung wurde von der Nordallianz be- kommenen Hotels. „In Kabul ist das Ri- den klar einer Kriegspartei zugeordnet“, siko überschaubar, aber außerhalb der sagt RTL-Chefredakteur Hans Mahr, der Stadtgrenzen herrscht Anarchie. Viel zu selbst unter anderem vom Jom-Kippur- viele Stammesfürsten.“ Krieg berichtet hat. Und: „In den letzten Antonia Rados von RTL wird die „To- Tagen gab es sicher einen gewissen Druck nach Kabul aus ihrem Jeep gezerrt und von desstrecke“ nicht mehr benutzen: „Es aus den Heimatredaktionen: Jetzt seid ihr Unbekannten erschossen. besteht die Möglichkeit, mit der Uno über schon so lange in Pakistan und im Norden den Flughafen Bagram, 16 Kilometer gewesen, jetzt liefert mal Bilder aus dem außerhalb, auszufliegen. Es kostet aller- ehemaligen Taliban-Reich.“ Gute Korre- dings 2500 Dollar, womit es den vielen spondenten, so Mahr, wüssten damit aber freien Kollegen besonders schwierig wird, umzugehen: „Sicherheitsdenken ist wich- Kabul auf dem sicheren Luftweg zu ver- tiger als jedes Sicherheitstraining.“ lassen.“ Das Nachrichtengeschäft ist rauer, die Am schlimmsten seien die freien Jour- Kombattanten sind skrupelloser, die Fron- nalisten dran, sagt Osterhage. „Die müssen ten kaum noch auszumachen. Der Krieg ihre Geschichten unbedingt finden, um zu des Guten gegen das Böse, von dem ihrem Geld zu kommen.“ Mit dem schär- George W. Bush in seinen Reden erzählt, zerfällt bei näherem Hinsehen in jede Men- * Mit Taliban-Botschafter Abdul Saif (2. v. r.) in Pakistan. ge Klein- und Kleinstkriege, in Stämme, DPA (2); KNUT MÜLLER; ANSA/REUTERS; GETTY IMAGES (3) (V. L. N. R.) der spiegel 48/2001 145 Medien

Clans, tschetscheni- Robert Ménard, sche Söldner, arabi- Generalsekretär von sche Soldateska, Ko- „Reporter ohne Gren- rankommissare aus zen“, befürchtet, dass Kairo und lokale Stra- ausländische Journa- ßenräuber. Und alle listen als „Ersatzzie- sind schon viel zu lan- le“ herhalten müssen ge bei der Sache, um – solange US-Solda- sich beim Erschießen ten nicht zu errei- eines Wehrlosen Ge- chen sind. wissensfragen zu stel- BBC, Reuters, AP len – auch wenn der und CNN haben seit mit dem Presseaus- dem Krieg in Sierra weis droht. Leone die Sicher- Ernest Hemingway heitsrichtlinien der konnte seine Depe- Internationalen Jour- schen aus dem spa- nalistenvereinigung nischen Bürgerkrieg (IFJ) übernommen: noch gemütlich im Ohne Spezialausbil- Imperfekt schreiben: dung, Kugelschutz-

„Vor uns kreisten (R.) / GETTY IMAGES (L.); SPENCER PLATT GRABKA THOMAS weste, Lebensversi- fünfzehn leichte Hein- Warnung an Journalisten, „Todesstrecke“: Flug in die Sicherheit für 2500 Dollar cherung und psycho- kel-Bomber, begleitet logische Nachbetreu- von Messerschmitt-Jägern, und sie kreisten Vietnam war die Ausnahme. Nie wieder ung darf niemand in Kriegsgebiete und kreisten wie Geier über einem Tier, würden Reporter derart unbehindert geschickt werden. die darauf warten, dass es stirbt.“ durchs Militär aus dem Krieg berichten Das ZDF will sich jetzt anschließen. Die- Damals gab es noch keine Satelliten- können. Der Golfkrieg wurde von Ge- se Woche wollen auch die ARD-Intendan- telefone, keinen Chef, der an die Deadline nerälen wie Colin Powell geführt, die ten auf ihrem Treffen in Potsdam über ei- erinnert, keine tausend Kollegen, die in Vietnam gewesen waren und erlebt nen entsprechenden Verhaltenscodex be- ebenfalls nach den Bombern Ausschau ge- hatten, wie schnell eine zu realistische raten. Der Vorsitzende der ARD, Fritz halten haben. In Zeiten der 24-Stunden- Beschreibung einen Krieg unpopulär ma- Pleitgen, möchte in Zukunft nur noch „er- Nachrichtensender wächst der Druck auf chen kann – zu Hause vor den Bild- fahrene und nach Möglichkeiten trainierte jeden Journalisten, schneller und mehr schirmen. Journalisten in Krisengebiete“ schicken. und Besseres zu liefern. Im Golfkrieg wurden die Reporter des- Man solle sich überlegen, „Journalisten mit Der Typ des modernen Kriegsreporters halb in „Pools“ verpackt und in Beglei- einem international anerkannten Sonder- ist in Vietnam entstanden. „In Saigon tung von Presseoffizieren an der Front status auszustatten, vergleichbar mit dem haben wir auf der Terrasse des Conti- vorbeigelotst. Unter diesen Beobachtern Roten Kreuz“. nental Palace gefrühstückt und sind gab es keine Toten. Es gab auch keine Es ist zweifelhaft, ob die Kennzeichnung dann mit dem Taxi zur Front gefahren. große Reportage, noch weiß man bis wirklich Schutz bietet. David Kaplan, Fern- Abends schweißgebadet zurück, heiß heute genau, was wirklich so alles passiert sehreporter für ABC-News, wurde 1992 in geduscht und bereit zur Party“, sagt ist. Saddam Hussein mag noch an der Sarajewo in seinem Auto erschossen. Die Klaus Liedtke, Chefredakteur von „Na- Macht sein – aber den Medienkrieg am Kugel schlug genau zwischen die Buchsta- tional Geographic Deutschland“, der Golf haben die Pressemanager des Penta- ben T und V ein, die er auf seine Wagentür 1975 bei der verdeckten Recherche hin- gon gewonnen. geklebt hatte. ter den Linien als vermeintlicher ameri- In Bosnien erwachten die Kriegsrepor- „Wer sich für eine unabhängige Bericht- kanischer Spion von den Vietcong ver- ter endgültig aus dem Hemingway-Traum. erstattung einsetzt, muss damit rechnen, haftet wurde. Die Front lauerte an jeder Straßenecke, dass Journalisten zu Tode kommen“, sagt Aber er fügt hinzu: „Es ist barbarischer und es soll Abschussprämien für jeden Winfried Scharlau, ehemals Kriegsrepor- geworden. In Vietnam waren die Gegner Journalisten gegeben haben. ter in Vietnam und Kambodscha. „Das ist zivilisierter, haben einen nicht gleich an Afghanistan, das ist jetzt Bosnien ohne leider eine unausweichliche Folge.“ die Wand gestellt.“ Uno-Truppen. Aber mit zigmal so vielen Aber vielleicht sind die Zeiten ohnehin Bürgerkriegsparteien. Und niemand ver- vorbei, in denen Augenschein das wichtigs- * Bei Unruhen in Südafrika 1995. steht Englisch. te Mittel der Aufklärung ist. Die spannendsten Berichte über den Fotograf im Einsatz*: Scharfer Wettbewerb im Medienmarkt Afghanistan-Krieg entstanden bislang je- denfalls einige tausend Meilen von der Front entfernt. Von seinem Schreibtisch in Washington aus recherchierte Seymour Hersh für den „New Yorker“, wie die Spe- zialeinheiten der USA knapp an einem Desaster vorbeikamen. Und Bob Wood- ward, der Aufdecker des „Watergate“- Skandals, hat über die geheimen Opera- tionen der CIA in Afghanistan so detailliert geschrieben, als hätte er sie befehligt. In Afghanistan selbst hält sich die Wahr- heit nicht weniger verborgen als Osama Bin Laden. Marcel Rosenbach, Thomas Schulz, Alexander Smoltczyk CORBIS