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Faschismus und Neonazis Hintergründe, Wirkungsmechanismen,

Ideologie und Praxis

Klaus Hesse

Eigenverlag

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@ Klaus Hesse dkp[email protected] Erste Auflage Leipzig 2008 Der Autor ist ausdrücklich an Hinweisen zur Überarbeitung und Ergänzung ebenso wie an der Verbreitung dieses Inhaltes interessiert. Eigenverlag

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Inhaltsverzeichnis Vorbemerkungen S. 1 1. Historische und personelle Hintergründe S. 5 2. Faszination und Massenwirkung des Faschismus S. 19 3. Naziterror und Widerstand S. 36 3.1 Schumann und Goerdeler Streit um den antifaschistischen Widerstand S. 44 4. Neofaschismus in Deutschland S. 59 4.1 ODESSA und die Rattenlinie S. 64 4.2 Von konservativen Nazigegnern der ‚Deutschen Aufbaupartei’

zur NPD .. S. 70 4.3 ThuleSeminare, die ‚Neue Freiheit’, SAKameradschaften, ‚Wehrsportgemeinschaften’ und andere ‚Vereine’ S. 91 5. Programmatik und Ideologie des Neofaschismus S. 103 6. Die politische Praxis: Zwischen Wahlen, Aufmärschen und politischem Terror S. 111 7. Über die Nation, die soziale Frage, über Internationalismus und über die Funktion des Faschismus in den Klassenkämpfen von gestern, heute und morgen S. 123

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Vorbemerkungen Seit dem Herbst 89 ist die Konfrontation mit Neonazis, mit rechts radikaler Gewalt, mit chauvinistisch, rassistisch und antisemitisch moti vierten Verbrechen und den damit verbundenen Ideologien und Verhal tensmustern zu einer Tatsache geworden. Zwar wird immer dann, wenn derartige Ereignisse unübersehbar geworden sind, abgewiegelt: Das sei doch nur eine Minderheit von irregeleiteten Jugendlichen und einigen wenigen Unverbesserlichen, aber damit sei auf keinen Fall eine Bedrohung der Demokratie verbunden. Dass sich auch nicht wenige der Beamten, Richter und Staatsanwälte, die für die Verfolgung solcher Straftaten ver antwortlich sind, ganz in diesem Sinne verhalten, kann nicht sonderlich erstaunen: Das sind zwar nicht mehr jene, die im Stile der Globke, Filbin ger & Co. Im Hitlerregime selbst an Verbrechen der verschiedensten Art beteiligt waren. Aber nicht wenige von denen sind die Schüler derer, die als wehrwirtschaftliche, juristische, militärische und ideologische Elite die Stützen dieses Regime waren. 1 Die mittlerweile schon in Serie ‚im Namen des Volkes’ verkündeten Urteile, mit denen Richter Entscheidungen demokratisch gewählter Stadt und Landräte gegen Naziaufmärsche vom Tisch wischen, die ‚unangemes sene’ Vorgehensweise von Polizei und anderen Sicherheitsorganen gegen all jene, die gegen den staatlich sanktionierten Aufmarsch von Nazis pro testieren, die Härte der Strafen gegen jene, die ihr grundgesetzlich veran kertes Recht auf Widerstand in Anspruch nehmen und die angebliche ‚Hilflosigkeit’ von Staatsanwälten und Richtern, wenn sie es mit Neonazis und deren Verteidigern zu tun haben, die seit Gründung der BRD unüber sehbare Verfilzung von Polizei, insbesondere des BKA, der Justiz, des Ver fassungsschutzes und der Ministerialbürokratie mit Führungskadern aus der Alt und Neonazinomenklatur alles das lässt deutlich werden, wovon die Rede ist, wenn heute über Faschismus und Neonazis gesprochen wird.

1 dazu: Bundespräsident Roman Herzog, promovierte 1958 zum Dr. jur. bei Prof. Theodor Maunz in München mit dem Thema ‚Grundrechtsbeschränkung nach dem Grundge setz und Europäische Menschenrechtskonvention’. (unter: http://www.dhm.de/ lemo/html/biografien/Herzog Roman/index.html)Theodor Maunz bayerischer Ex Kultusminister; musste 1964 aufgrund seiner NaziVergangenheit zurücktreten. Hildegard HammBrücher, FDP, erinnert sich, dass Maunz 1964 mit dröhnenden Ovationen seitens der CSUFraktion verabschiedet wurde. 1991 würdigte ihn R. Scholz, CDU, an dessen 90.Geburtstag, er habe ‚1933 eine große wissenschaftliche Karriere begründet’. 1927–1935 Ministerialdienst, 1935–1945 Lehrtätigkeit in Freiburg; rechtfertigte GestapoVerhaftungen juristisch. 1943 war für Maunz ‚das entschlossene Zugreifen’ wichtiger ‚als das peinliche Klammern an sorgsam ausgefeilte Rechtssätze’. Veröffentlichte nach dem Krieg in der rechtsextremen Nationalzeitung , Herausgeber Gerhard Frey, DVU. SZ, 1.9.2001, S.6, (unter: http://www.gavagai.de/skandal/HHD0802.htm# maunz) Tage nach dem Tod des Maunz schrieb die rechtsextremistische Deutsche Nationalzeitung . ‚Deutschland verlor seinen größten Rechtsgelehrten’, und ‚Dr. Frey seinen wunderbaren Wegbegleiter.’ (unter: http://www.freitag.de/2005/05/05050301.php)

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Das, was sich da bei NaziAufmärschen in überschaubaren Zahlen auf den Straßen und Plätzen zusammenrottet, das, was durch all zu offensichtliche Sympathie für derlei verbrecherische Ziele in den Amts stuben und Kasernen dieses Landes auffällt, ist nur der sichtbare Ausdruck eines viel ernster zu nehmenden Problems. Aber von denen, die derart aus dem Rahmen ‚freiheitlichdemokratischer’ gepflegter Sprachregelungen fallen und von den Organisationen der Neonazis wird das ausgesprochen, was den Drahtziehern im Hintergrund (noch) nicht zeitgemäß erscheint, was aus taktischen Erwägungen unterbleibt. Offiziell gebärden sich die politischen Honoratioren peinlich berührt, wenn es denn wieder einmal zu gar zu unübersehbaren NaziExzessen gekommen ist. Vor allem: Das stört die Kreise der extrem widersprüchli chen Geschäfts und anderen Interessen von Rüstungs und anderen Industriellen, der Aktionäre und Aufsichtsräte der Banken und Versiche rungen, beunruhigt Immobilienhändler und andere Spekulanten. Aber alles das, was in diesem Hexenkessel gärender, aufbrechender und offen und verdeckt ausgetragener Konflikte als political correctnes ausgegeben wird, verdient hinterfragt zu werden: Manch einer von denen, die da lautstark für den Schutz der freiheitlich demokratischen Grundordnung auftreten, ist schon deshalb nicht an einer ernst zu nehmenden Auseinan dersetzung mit dem Neofaschismus interessiert, weil dann Kontakte und finanzielle Beziehungen zu Organisationen zutage treten könnten, die derzeit (noch) nicht opportun sind... Tatsächlich sind die Netzwerke der Neonazis viel weiter, als aus offiziellen Berichten des Verfassungsschutzes oder anderen offiziellen Quellen zu entnehmen ist. Das kann schon aus dem einfachen Grunde nicht sonderlich überraschen, weil es zwischen den Altnazis aus Gestapo, Nazijustiz, NSPolizei, SS und den Institutionen der BRD eine personelle Kontinuität gab 1, deren Folgen in der Geisteshaltung und im praktischen Verhalten nicht weniger leitender Beamter und ihrer untergeordneten Mit arbeiter unübersehbar fortwirkt: Straftaten im rechten Spektrum werden ignoriert, statistisch ‚korrigiert’, als ‚DummeJungsStreiche’ herunterge spielt, und wenn überhaupt, dann derart zögerlich und so schlampig un tersucht, dass die zumeist nicht anders gestrickten Staatsanwälte – selbst wenn sie es denn wollten – keine wasserdichte Anklage zustande bringen können. Vor Gericht wiederholt sich dieses Szenario: Zweifelsohne gibt es Polizisten, Staatsanwälte und Richter, die mit Nazis nichts am Hut haben.

1 siehe u.a.: N. Podewin: Braunbuch – Kriegs und Naziverbrecher in der Bundesrepublik und in Berlin (West), Berlin 1968 (Reprint); N. Frei: Karrieren im Zwielicht – Hitlers Eliten nach 1945, Frankfurt a.M. 2001, S. 303ff; K. Eichner, G. Schramm (Hrsgb.) Angriff und Abwehr – die deutschen Geheimdienste nach 1945, Berlin 2007, S. 117

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Aber nicht weniger bemerkenswert ist, dass mittlerweile schon bekannt ist, was von welchem Polizisten, Staatsanwalt oder Richter zu erwarten ist. In der Presse ist dann wie im Kommentar zur Verhandlung über die Nazischläger von Halberstadt z.B. zu lesen „Richter Holger Selig kann ‚nach Aktenlage’ zwar einen Verdacht auf gefährliche Körperverletzung erkennen, aber kein gemeinschaftliches Handeln der Angeklagten.“ 1 In einem TVBericht wurde dann noch angemerkt, dass dieser Mann in sol chen Fällen (will heißen: im rechten Spektrum) einschlägig für milde Urteile ‚bekannt sei...’ Wer begriffen hat, dass es höchste Zeit ist, sich jetzt und hier mit dem Problem des Faschismus auseinanderzusetzen, kann und darf sich nicht nur darauf beschränken, sich gründlich mit all dem zu beschäftigen, was offen unter dieser Überschrift firmiert: Der Nazifilz reicht mittlerweile viel weiter und greift tiefer, als dies zunächst den Anschein hat. Nicht nur dort, wo Nazi draufsteht, ist das drin, was da offen angekündigt wird. Solche Ansätze finden sich quer Beet nicht nur in den Amtsstuben und Kasernen. Das Spektrum der aktiven Kreise reicht von den Geldgebern in den Büropalästen der Banken, Versicherungen und Konzernen über Law and Order Fanatiker aus allen Bevölkerungsschichten nicht nur bis zu all denen, die aus Orientierungsverlust oder Verzweiflung nach irgendwelchen schlichten Regeln einfacher Ordnung suchen. Im Dunstkreis von Auslän derhass, Rassismus, Deutschtümelei, Nationalismus und anderen Erschei nungsformen schwerwiegender Defekte und krankhafter Fehlentwicklung des Selbstbewusstseins gedeihen brutale Schlägertrupps, deren Horizont auf den ‚Stolz, ein Deutscher zu sein’ beschränkt ist. Wer wissen will, was im bunten Gewirr rechter Parteien, rechtsradi kaler Organisationen, nationalistischer Schützen, Heimat, ‚Vertriebenen’ und sonstiger treudeutschbiederer ‚Patrioten’ Vereine, was ‚Freie Kame radschaften’ etc. propagieren, wie umfangreich deren publizistische und organisatorische Aktivitäten in den vergangenen Jahrzehnten gediehen sind, bekommt einen Eindruck, wie weit und flächendeckend dieser Ein fluss ist. Wenn in diesem Kontext schon bei Wikipedia steht, dass „die lose Form dieser Netzwerke ... sowohl die Beobachtung durch Polizei und Verfassungsschutz als auch die juristische Handhabe erheblich erschwert“ 2

1 F. Jansen Neonazis aus Halberstadt vor Gericht,(http://www.tagesspiegel.de/politik/div/; art771, 23965 11); Der Spiegel vom 6.12.2007 meldete: „Spektakuläre Wende im Prozess um den rechtsextremen Überfall auf Theaterschauspieler in Halberstadt: Das zuständige Gericht hat die Haftbefehle gegen drei der vier Angeklagten aufgehoben.“(http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,521742,00 .html), 2 siehe Rechtsextreme Netzwerke, unter: http://de.wikipedia.org/wiki/Rechtsextreme _Netzwerke

4 wird noch deutlicher, wie ernst die daraus resultierenden Gefahren einzu schätzen sind. Diese Entwicklung ist inzwischen viel zu weit gediehen, als dass dies länger ignoriert werden könnte. Niemand kann sich damit ‚beruhigen’ dass und wie sich die verschiedenen neonazistischen Klüngel gegenseitig ‚beharken’: Derartige Konkurrenzkämpfe sind nicht das, was da vorgeführt wird. Hinter diesem Theaterdonner steht Absicht. Hier wird vom Eigent lichen abgelenkt, hier wird – genau so wie in den immer wieder nachles baren Bekenntnissen zur verfassungsmäßigen Ordnung eine Harmlosigkeit vorgeführt, die zur Kaschierung der eigentlichen Ziele dient. Viel auf schlussreicher ist die Suche nach einer wirklich überzeugenden Antwort auf die Frage, wer dahinter steht, wer das alles finanziert, wer die pro grammatischen Vorgaben lanciert, was die eigentlichen Ziele sind und wohin dies alles treibt, wenn dem nicht endlich ernst zu nehmende Hin dernisse in den Weg gelegt werden... Antworten auf diese Fragen sind nicht einfach im Internet oder einschlägigen Bibliotheken nachschlagbar. Was da läuft gehört zu den best gehütetsten Geschäftsinterna derer, die sich als eigentliche Spieler im Hintergrund ‚der Bewegung’ engagieren. Wer dahinter steigen will, wer denen auf die Spur kommen will kommt nicht umhin, sich nicht nur mit den historischen Wurzeln des Faschismus zu beschäftigen. Denn diese historischen Erfahrungen belegen auch, dass die ‚Wirkungsmechanismen’ des faschistischen Ungeistes durchaus nicht nur in der „offenen terroristi schen Diktatur der am meisten reaktionären, chauvinistischen und impe rialistischen Elemente des Finanzkapitals“ 1 zu suchen sind. Hier wird deutlich, wie der ‚brutalstmögliche’ Missbrauch emotionaler Bindungen nicht nur bildungsferner Bevölkerungskreise, die Zugehörigkeit zu einer Nation, einer Sprachgruppe, einer ‚Heimat’ auf das übelste benutzt wurde, um Menschen in einer Art und Weise zu instrumentalisieren, die diese für gänzlich und grundlegend anders geartete Interessen fast beliebig nutzbar werden lässt. So ‚neu’ und überraschend die Entdeckung nationaler Gefühle für viele auch immer sein mag, die sich zum ersten Mal mit derlei Über legungen konfrontiert sehen: Es ist absolut nicht neu, dass derartige Empfindungen in einer Art und Weise gebraucht und missbraucht wurden, die nicht nur von den solcherart um ihr Leben Betrogenen mit ihrer Gesundheit, ihrem Leben und durch der Schuld an unvorstellbaren Ver brechen zu ‚bezahlen’ waren. Das war im ersten Weltkrieg so und dies

1 G. Dimitroff Ausgewählte Schriften, Bd. 2, Berlin 1958, S. 629f, zitiert nach: J. Kuczynski: Geschichte des Alltags des deutschen Volkes, Band 5 / 1918 1945, Wiesbaden o.J., S. 53

5 erfuhr in der NSZeit und im zweiten Weltkrieg entsetzliche Steigerung. Erst durch die Auseinandersetzung mit diesen historischen Erfahrungen wird es möglich, die Massenwirkung der programmatischen Deklarationen neofaschistischer und artverwandter rechtsradikaler Parteien und Organi sationen zu hinterfragen, ihre Vorgehensweise und die dahinter stehenden Strukturen zu dechiffrieren und daraus Schlussfolgerungen für den Kampf gegen diese verhängnisvolle Entwicklung abzuleiten... 1. Historische und personelle Hintergründe Auch und gerade, weil die Folgen des Hitlerregimes bis in die Gegenwart unübersehbar sind: Es ist höchste Zeit, daran zu erinnern, dass der Faschismus nicht nur auf die Zeit von 1933 bis 1945 in Hitlerdeutschland, den damit untrennbar im Zusammenhang stehenden Völkermord des 2. Weltkrieges und nicht nur auf Diktaturen in Italien, Österreich, Spanien und Ungarn zu reduzieren ist. Die deutsche Variante des Faschismus war kein singuläres Ereignis war. Nicht nur in Spanien und Portugal, auch in Griechenland, Paraguay, Chile, Argentinien und in einer Vielzahl anderer Staaten gab resp. gibt es faschistische Diktaturen. Es gab und es gibt heute durchaus ernst zu nehmende offen und/oder verdeckt agierende rassistische, chauvinistische und faschistoide Machtgruppierun gen in den USA, in Großbritannien, in Frankreich und anderen Staaten der einstigen Antihitlerkoalition. USamerikanische Sicherheitsbehörden deck ten schon 1934 auf, dass die reaktionärsten Kreise der Monopolbour geoisie mit Hilfe der militärischen Organisation einer ‚Amerikanischen Legion’ einen faschistischen Putsch gegen die RooseveltAdministration und deren Politik des ‚New Deal’ vorbereitete, ohne dass dies ein gericht liches Nachspiel gehabt hätte. 1 Wer sich angesichts der aggressiven Politik der USRegierungen und des in diesem Zusammenhang systematisch betriebenen Bruchs des Völ kerrechts fragt, wo der Unterschied zur Hitlerregierung liegt, sollte diese historischen Hintergründe, ihre Fortwirkung und den diese tragenden Kräften nicht aus den Augen verlieren. 2 In der nachfolgenden (unvoll ständigen) Übersicht über Entstehungsdaten faschistischer, profaschisti scher, nationalsozialistischer und verwandter Organisationen wird deut lich, dass und wie sich diese Pest in allen europäischen Staaten organi sierte: 1912 in Leipzig wird unter Leitung von Hermann Pohl ( der ‚Germanenorden’ als Kommandozentrale einer völkisch/antisemitischen Bewegung gegrün

1 siehe Redaktionskollegium: Geschichte der neuesten Zeit Teil I 19171939, Berlin 1961, S. 191ff 2 dazu Geradezu exemplarisch empfiehlt es sich, in diesem Kontext an das Buch des Zbigniew Brzezninski ‚Die einzige Weltmacht – Amerikas Strategie der Vor herrschaft’ (Weinheim und Berlin 1997) zu erinnern

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det ab 1916 Rudolf von Sebottendorf, alias Erwin Torre, eigentlich Adam Alfred Rudolf Glauer (18751945) Der Germanenorden war auch eine Tarnorganisation politischer Attentäter, wie der Mord an Matthias Erzber ger (18751921) belegt. Die Attentäter, die im August 1921 den ehe maligen Reichsfinanzminister und Unterzeichner des Waffenstillstands von 1918 erschossen, gehörten wie ihr Auftraggeber Manfred von Killinger (18861944) dem Germanenorden an. 1917/18 zum Jahreswechsel wird von Rudolf von Sebottendorf aus dem Germanenorden die ThuleGesellschaft gegründet 1919 Anton Drexler (18841942 Schlosser), Karl Harrer (18901926 Journalist und Reichsvorsitzender eines ‚Nationalsozialistischen Arbeitervereins in der ThuleGesellschaft’ 1) und Michael Lotter (konterrevolutionärer Matrose und für 10.000 Mark gekaufter Mitbeteiligter an der Ermordung des bayrischen Ministerpräsidenten Kurt Eisner 2) gründeten in München auf Veranlassung des Dr. Paul Tafel (18721953), Spitzenfunktionär des ‚Alldeutschen Verbandes’, Direktoriumsmitglied der Maschinenfabrik AugsburgNürnberg, Vorstandsmitglied des Bayerischen Industriellen verbandes und Mitglied der ThuleGesellschaft die ‚Deutsche Arbeiter partei (DAP)’ 3 Adolf Hitler (18891945) nahm im September 1919 auf Weisung seines Reichswehrkommandeurs Kontakte zur DAP auf und wurde dort Propa gandabeauftragter der Partei nach der Niederschlagung der Ungarischen Räterepublik errichtet der Kriegsminister der konterrevolutionären Regierung Nikolaus Horthy von Nagybánya (18681957) eine Militärdiktatur (18831945) gründet nach dem Scheitern der Sozialistischen Internationale beim Ausbruch des ersten Weltkrieges mit der ‚Fascio di combattimento’ (Kampfbund) die erste faschistische Orga nisation 1920 Die DAP wird auf Hitlers Drängen in NSDAP umbenannt. Seit Dezember verfügte die NSDAP mit dem 1918 von der ThuleGesellschaft übernom menen ‚Münchner Beobachter’ (neuer Name ‚Völkischer Beobachter’) auch über eine eigene Wochenzeitung. nach dem KappPutsch vereinigt der ‚Bayerische Ordnungsblock (BOB)’ rund 40 völkischnationalistische Organisationen und bis zu 50.000 Mitglieder. Den Vorsitz hatten Erwin Pixis und Paul Tafel. mit 21 Abgeordneten zieht Mussolini in das italienische Parlament ein Hitler wird Vorsitzender der NSDAP unter dem Eindruck des faschistischen Marsches auf Rom ernennt König Viktor Emanuel III. (18691947) Mussolini zum italienischen Minister präsidenten 1923 Nach der Weigerung Otto v. Lossows (18681938, Kommandeur der bayerischen Reichswehrdivision), einen Auftrag des Reichswehrministers Geßler zur Durchsetzung eines Verbots der NSDAP auszuführen und sei ner nachfolgenden Amtsenthebung unterstellte der diese Division seinem Kommando. – Hitler und Teile der NSDAP nutzten dies, um die bayrische Regierung zum Sturz der Reichsregierung zu drängen und eine eigene Regierung auszurufen. Aber die im Bürgerbräukeller (8.11.) mit dem

1 K. Pätzold, W. Weißbecker: Hakenkreuz und Totenkopf – Die Partei des Verbrechens, Berlin 1981, S. 23 2 ebenda 3 siehe Deutsche Arbeiterpartei, unter: http://de.wikipedia.org/wiki/Deutsche_Arbeiter partei

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Generalstaatskommissar Gustav Ritter von Kahr, dem bayrische Reichs wehreinheiten unterstanden(18621934 in Dachau ermordet) über eigene Putschpläne verhandelnden Politiker ließen sich nicht auf dieses Vorhaben ein... Am 9.11. kam es beim ‚Sturm auf die Feldherrnhalle’ zum Schusswechsel zwischen dem Naziaufgebot () und der Polizei, bei dem 16 Putschisten, 4 Polizisten und ein Unbeteiligter ums Leben kamen. In Absprache mit König Alfons XIII. errichtete Miguel Primo de Rivera, Marqués de Estella (18701930) in Spanien eine über sechs Jahre währende Militärdiktatur. die Ermordung des Generalsekretärs der Sozialistischen Partei Italien Giacomo Matteotti (18851924) durch die Faschisten führt zum Auszug der sozialistischen und kommunistischen Opposition aus dem Parlament – der Aufruf der Kommunisten zum Sturz Mussolinis scheitert. Mussolini errichtet ein diktatorisches faschistisches Regime in Polen übernimmt Marschall Józef Klemens Piłsudski (18671935) mit einem Staatsstreich unter Beibehaltung von Verfassung und Parlament ein autoritäres Regime in Portugal wird von Gomes de Costa (18631929) und General António Óscar de Fragoso Carmona (18691951) eine Diktatur errichtet in Frankreich entwickelt sich aus der ehemaligen Frontkämpferorgani sation ‚Croix de Feu’ (Feuerkreuzler) unter dem Obersten comte François de La Rocque de Severac (18851946) eine faschistische Kampftruppe in Rumänien wird von Corneliu Zelea Codreanu (Zilinski) (18391938) die nationalistische ‚Legion Erzengel Michael’ gegründet in Österreich entwickeln sich die ‚Heimwehren’ zu einer am Vorbild des italienischen Faschismus orientierten politischen Kampfbewegung im italienischen Ausland gründet Ante Pavelić (18891959) mit der ‚Ustascha’ eine radikale Organisation kroatischer Nationalisten in Belgien gründet Léon Degrelle (19061994) im Kontext der franzö sischflämischen Konflikte die rechtsradikale ‚Rexbewegung’ (‚Mouve ment National Rexiste’) in Rumänien entsteht auf der Basis der ‚Legion Erzengel Michael’ die nationalistischantisemitische ‚Eiserne Garde’ (Garda de Fier) 1931 In den Niederlanden wird von Anton Adrian Mussert (18941946) und Cornelius van Geerken (19011979) die NationaalSocialistische Bewe ging (NSB) gegründet. 1932 António de Oliveira Salazar (18891970) wird Ministerpräsident Portugals und schuf mit der ständischautoritären Verfassung von 1933 den pro faschistischen ‚Estado Novo’ in Großbritannien gründet Sir Oswald Ernald Mosley, 6th Baronet (1896 1980) die ‚British Union of Fascists’ Gustav Celminš (18991968) gründet die von der lettischen Regierung verbotene faschistische Bewegung ‚Feuerkreuz’ ( Ugunskrusts ) Gründung der Nationalsozialistische Bewegung Chiles (Movimiento Nacio nalSocialista de Chile, MNS auch: MNSCH) durch den in Deutschland ausgebildeten General Francisco Javier Diaz in Deutschland wird Hitler mit Unterstützung der Monopole und Groß grundbesitzer durch Hindenburg zum Reichskanzler ernannt – schon vor der Organisation des Reichstagsbrandes wird von der SA ein Terrorregi me gegen Kommunisten, Sozialdemokraten, Gewerkschafter, bürgerliche Oppositionelle und Juden errichtet in Litauen errichtet A. Smetona (18741944) mit einem militärischen Staatsstreich ein profaschistisches Regime

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in Österreich gründet Engelbert Dollfuß (18921934) eine nach dem Führerprinzip organisierte ‚Vaterländische Front’ in Norwegen gründet der Offizier und Kriegsminister Vidkun Quisling (18871945) mit der ‚Nasjonal Samling’ eine faschistische Partei in der CSR gründet Konrad Henlein (18981945) die ‚Sudentendeutsche Heimatfront’ Schon lange bevor die NSDAP in Deutschland an die Macht gebracht wurde gab es ein Netzwerk internationaler Kontakte. Diese Beziehungen wurden durch das ‚Außenpolitische Amt der NSDAP’ zu einem weltum spannenden Bündnis nationalistischer, antisemitischer, kommunistischer, insbesondere antisowjetischer Gruppierungen, Parteien und FemeOrgani sationen ausgebaut. Dazu gehörten russische Emigrantenorganisationen mit Sitz in der Türkei, in Belgrad, Prag, Wien, Paris und London. Hier tra fen sich die Interessen der reaktionärsten Kräfte aus aller Herren Länder mit denen der imperialistischen Geheimdienste. Zu Partnern dieser ‚Inter nationale’ gehörten nicht nur Vertreter der faschistischen Regime Italiens, Ungarns, Polens, der baltischen Republiken, Finnlands sondern auch sol che, die noch nicht an der Macht waren. Vertreter der IRA waren ebenso anzutreffen, wie schottische, baskische, bretonische und andere Nationa listen. Kristallisationskern dieser Organisationen waren Gruppen, die sich mit der ‚Pflege deutschen Brauchtums’ beschäftigten. Unter diesem Deck mantel entstanden militante Organisationen, die einen zunehmend ag gressiven deutschen Nationalismus vertraten, damit Druck auf die Ange hörigen der deutschen nationalen Minderheiten ausübten und mit separa tistischen Forderungen gegen andere Bevölkerungsgruppen vorgingen. Solche Organisationen entstanden nicht nur in Gebieten, die einmal zum Deutschen Reich gehört hatten, sondern auch in den baltischen Republi ken, in Polen, der Tschechoslowakei, in Ungarn, Rumänien, in Jugosla wien, an der Wolga und anderen Siedlungen der Russlanddeutschen, in süd und nordamerikanischen Siedlungsgebieten deutscher Auswanderer und in den ehemaligen deutschen Kolonien. Wo sich deutsche Aussiedler niedergelassen hatten wurden Organisationen gebildet, die sich nicht nur auf die Förderung und Verbreitung nationalistischen Gedankengutes be schränkten sondern vielmehr mit der militärischen Ausbildung von Kampf gruppen und dem Aufbau von Spionagenetzen befassten. Nicht nur in den Niederlanden, in Belgien, Luxemburg, Frankreich und Großbritannien bestehende faschistische und profaschistische Organi sationen erhielten von Rosenbergs ‚Amt’ großzügige finanzielle und mate rielle Unterstützung. Unter dem Deckmantel des Kampfes um bürgerlich demokratischen Rechte gedieh das flächendeckende Netzwerk der fünften Kolonne. Wie weit dessen Einfluss gediehen war wurde erst im Verlauf und nach der Okkupation deutlich. Dabei ging es längst nicht mehr nur um die

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Auslösung von Panik oder um die Verbreitung defätistischer Gerüchte. Mit Spionage, Sabotage und Diversionsakten wie der Unterbrechung von Telefonverbindungen, der Verhinderung von Brückensprengungen und durch gezielte und systematische Behinderung der Streitkräfte des eige nen Landes wurde der Einmarsch der Wehrmachtsverbände von der ‚fünf ten Kolonne’ vorbereitet. So entstanden Keimformen der Kollaboration, in die im Laufe der Okkupation ausgewählte Gruppen der Landesbevölkerung einbezogen wurden. Besonderes Interesse verdient dabei die Sektion Ost dieser ‚Inter nationale’, deren Einsatzgebiet die UdSSR war. Unter Leitung des Fürsten Obolenski wurde in Berlin die ‚Russische vereinte nationalsozialistische Partei’ (Ронд) gegründet. 1 Nachdem Hoffnungen der konterrevolutionären Emigranten auf Unterstützung durch die Regierungen Frankreichs, Groß britanniens und Deutschlands an der Realität der wirtschaftlichen Inter essen gescheitert waren, wurden nicht nur Anhänger Denikins, Koltschaks und Wrangels sondern auch ukrainische, georgische und andere Natio nalisten in die Vorbereitung des antibolschewistischen Feldzuges einbezo gen. Schon 1924 gab es in Serbien einen Versuch, eine ‚Russische faschi stische Partei’ zu gründen. 1926 wurde die ‚Arbeiter und Bauern Kosaken Opposition der Russen’ kurz: ‚Russische Faschisten’ gegründet. Und in den zwanziger Jahren entstanden in der russischen Emigration 15 größere politische Organisationen mit mehr als 40.000 Mitgliedern, die sich als ‚faschistisch’ oder ‚nationalrevolutionär’ bezeichneten und verstanden.2 Dass das nicht ohne Folgen blieb, zeigte sich nicht nur in der Mitarbeit von russischen Emigranten in der Wehrmacht. Ein Hermann Schneider berichtet über einen ‚Aufstellungsstab der Ostlegionen’, dem er seit Sommer 1942 angehörte. In diesem Rahmen ist von einer ‚Turke stanischen Legion’ mit Turkmenen, Turkestanern, Kalmüken, Kasachen, Usbeken, Kirgisen, Tadschiken und anderen moslemischen Völkerschaften, einer ‚Wolgatarischen Legion’ mit der Bergkaukasischen Legion mit Karatschaiern, Karbadinern, Tscherkessen und anderen nordkaukasischen Völkerschaften, einer ‚Georgischen Legion’ mit Georgiern, Inguschen, Ossetinern, Abchasen, Chewsuren und anderen südkaukasischen Völker schaften sowie einer ‚Armenischen Legion’ und einer ‚Aserbeidschanischen Legion’ mit Dagesthanern und Aserbeidschanern die Rede.3

1 Э. Генри Гитлер над Европой? Гитлер против СССР’ (Ernst Henri: Hitler über Europa? – Hitler gegen die UdSSR), a.a.O., S. 107ff 2 С. и. Е. Рыбас: Сталин судьба и стратегия – том 1, Москва 2007, (S. u. E. Rybas: Stalin Schicksal und Strategie, Band 1, Moskau 2007, S. 491 3 H. Schneider 3787 Tage unter Stalins Knute, unter: http://209.85.129.104/search?q=cache: EpcAxcQG_LcJ:kazachestvo.org/PORTAL/request.php%3F54+Rittmeister+zur+M% C3%BChlen+Estland&hl=de&ct=clnk&cd=&gl=de&client=firefoxa

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1934 in Lettland bereitet General Hopper unter Leitung von Kārlis Ulmanis 1 (18771942) einen faschistischen Staatsstreich der ‚Donnerkreuzler’ und der ‚baltischen Brüderschaft’ vor in Estland entsteht eine estnische nazistische Partei unter Leitung des Ritt meisters zur Mühlen – mit ihrer Hilfe errichtet Konstantin Päts (1874 1956) ein profaschistisches Regime während des durch österreichische SSAngehörige organisierten national sozialistischen Umsturzversuches wird Bundeskanzler Dollfuß ermordet in Bulgarien regiert Zar Boris III. (18941943) nach einem Militärputsch autoritär durch persönliche Beauftragte Spanien gründen der Anwalt Jose Primo de Rivera (19031936), der Pilot Julio de Alda (18971936) und der Schriftsteller Alfonso Valdecasas (1904 1993) die ‚Falanga Española’ 1935 zur französischen ‚Croix de Feu’ gehören 260.000 Mitglieder, nach der Auflösung der ‚Croix de Feu’ schließen sich deren Mitglieder der faschi stischen ‚Parti social francais’ an 2 Ungarn gründet Ferenc Szálasi (18971946) die rechtsextreme Hungari stenbewegung ‚Partei des Willens der Nation’ die späteren ‚Pfeilkreuzler’ 1936 der von der spanischen Volksfrontregierung in die Verbannung geschickte General Francisco Franco (18921975) putscht mit Unterstützung der spa nischen Falangebewegung und errichtet mit Hilfe Italiens und Deutsch lands nach einem Bürgerkrieg ein faschistisches Regime 1937 Verbot der ‘Parti social francais’ Die ‚Falanga Española’ schließt sich mit den traditionalistischen Karlisten zur ‚Falanga Española Traditionalista y de las J.O.N.S.’ zusammen 1940 Rumänien General Ion Antonęscu (18821946) errichtet eine profaschi stische Militärdiktatur nach dem Überfall auf die Niederlande unterstützt die von Anton Adrian Mussert ‚NationaalSocialistische Bewegung’ (NSB) den NaziReichskom missar SeyßInquart (18921946) 1941 die von Léon Degrelle gegründete belgische ‚Wallonische Legion’ kämpft auf Seiten der WaffenSS gegen die UdSSR Ohne aktive Unterstützung durch die einflussreichsten Kreise des je weiligen nationalen Großkapitals, der Großgrundbesitzer, der Polizei, der Justiz und der Militärs wäre diese Entwicklung nicht möglich gewesen. Was in der Innenpolitik davon betroffener Staaten zur fortschreitenden Liqui dierung der Reste der bürgerlichen Demokratie führte, wirkte sich auch in der Entwicklung der außenpolitischen Beziehungen aus: Ohne die aktive

1 dazu dessen Großneffe Guntis Ulmanis (1939 ) war von 19931999 Staatspräsident Lettlands 2 dazu Welche Bedeutung diese Organisation damals hatte, wurde von Georgi Dimitroff wie 1935 folgt charakterisiert: „Die stärkste faschistische Organisation „Feuer kreuzler“ verfügt gegenwärtig über 300.000 bewaffnete Leute, deren Kern 60.000 Reserveoffiziere bilden. Sie hat starke Positionen in der Polizei, in der Gendarmerie, in der Armee, in der Luftflotte, im gesamten Staatsapparat. Die letzten Gemeinde wahlen zeigen, dass in Frankreich nicht nur die revolutionären Kräfte, sondern auch die Kräfte des Faschismus zunehmen. Wenn es dem Faschismus gelingt, in die breiten Bauernmassen einzudringen und sich die Unterstützung eines Teiles der Armee bei Neutralität des anderen zu sichern, dann werden die französischen werktätigen Massen den Machtantritt der Faschisten nicht verhindern können.“ Siehe: G. Dimitroff: Die Offensive des Faschismus und die Aufgaben der Kommunistischen Internationale, unter: http://www.marxists.org/deutsch/ referenz/dimitroff/1935/bericht/ch2a.htm

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Unterstützung durch britische, französische und USamerikanischen Mono pole (Deterding, General Motors, Ford, Bush u.a.) hätte es weder die Besetzung des Rheinlandes, noch den ‚Anschluss’ Österreichs, weder die Besetzung des Sudetengebietes, noch den Verrat von München und auch nicht den kampflosen Einmarsch der Wehrmacht in die ‚Resttschecho slowakei’ gegeben. Die Vorbereitung des zweiten Weltkrieges durch das deutsche Monopolkapital fand bei den sich bürgerlich demokratisch gebärdenden politischen Interessenvertretern des Monopolkapitals schon deshalb aktive politische und diplomatische Unterstützung, weil deren Interessen auf das engste mit denen der deutschen Rüstungsindustrie verflochten waren. Dabei ging es nicht nur um die zu General Motors gehörenden OpelWerke in Rüsselsheim. Längst steht fest, dass IBM, Dow Chemical, und eine Vielzahl weiterer USFirmen über Aktienanteile, durch Lizenzvergabe und andere geschäftliche Beziehungen bei IGFarben und anderen unmittelbar beteiligt waren. 1 Wenn man sich darüber hinaus fragt, wer jene waren, die an die Spitze nationalistischer, chauvinistischer und faschistischer Organisationen standen, werden die Hintergründe die ses Szenarios etwas deutlicher 2: Da ist zunächst eine größere Zahl von Personen aus ‚einfachen’ Verhältnissen: Dazu gehören der Generalstabsoffizier und spätere Diktator Ion Antonescu ebenso wie Leon Degrelle, ältestes von acht Kindern eines katholischen Lokalpolitikers und Gründer der belgischen faschistischrexi stische Bewegung (Mouvement National Rexiste). Der austrofaschistische Diktator Engelbert Dollfuß war unehelicher Sohn einer Bauerntochter, der Vorsitzender der Sudentendeutschen Partei Konrad Henlein der Sohn eines Buchhalters. Aus solchen Verhältnissen stammen auch der als viertes Kind in dritter Ehe eines unehelich geborenen Zollbeamten geborene Adolf Hitler, der Tiefbauingenieur Anton Adriaan Mussert, der spätere ‚Führer der NationaalSocialistische Beweging in Nederland’, der in den dörflichen Verhältnissen der Provinz Utrecht aufwuchs, sowie Benito Mussolini, Sohn eines Schmiedes und Gastwirtes, der sich vom Parteisekretär der ‚Partito Socialista Italiano’, dem Chefredakteur des ‚Klassenkampf’ und engagier ten Kriegsgegner zum Propagandisten militaristischer Großmachtambiti onen ‚entwickelte’. Der Vater António de Oliveira Salazars war Landarbei ter. Zum Pächter eines kleinen Bauernhofes ‚hinaufgearbeitet’ konnte er das Schulgeld für seinen Sohn nur unter großen Entbehrungen aufbringen. Die Talente seines Sohnes erkannte ein Priester der von der Republik bedrängten katholischen Kirche. Die ermöglichte ihm schließlich auch ein

1 E. Black IBM und der Holocaust Die Verstrickung des Weltkonzerns in die Verbrechen der Nazis (Aktualisierte Taschenbuchausgabe), Berlin 2001, S. 610 2 siehe einschlägige Hinweise im WikipediaSuchsystem, unter: http://de.wikipedia.org/ wiki/_

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Studium. Salazar erwies sich dabei als einer der besten Studenten, wurde Professor, Finanzminister in der Militärregierung des Generals Carmona und von 1928 bis 1968 eigentlicher Herrscher und Diktator. Der spätere Reichspropagandaminister Joseph Goebbels stammt auch aus einer nicht gerade gut betuchten Familie. Für seinen Lebensweg dürfte aber der Umstand ausschlaggebender gewesen sein, dass er durch seine Behinderung und eine als nicht standesgemäß empfundene Herkunft einen letztlich alle Skrupel ignorierenden karrieristischen Ehrgeiz ent wickelte. Aber auch im Leben dieses Mannes gab es in den 20er Jahren eine Phase, in der er sich viel eher zu sozialistischen denn zu nationalisti schen Ideen bekannte: Angesichts des von diesem Manne später vertrete nen aggressiven Antikommunismus vielleicht kaum vorstellbar – aber in dieser Zeit feierte Goebbels den Führer der russischen Kommunisten Lenin als den „nationalen Befreier“ Russlands. Sich selbst verstand er in dieser Phase seines Lebens als einen ‚deutschen Kommunisten’. 1 Gregor Strasser und sein Bruder Otto wurden in der Familie eines katholischen Justizbeamten geboren. Nach dem Abitur machte er eine Lehre zum Drogisten und begann ein Studium der Pharmazie. Strasser nahm als Kriegsfreiwilliger am 1. Weltkrieg teil und wurde bis zum Ober leutnant befördert. Er wurde Mitglied des ‚Freikorps Epp’ und Befehls haber des von ihm aufgestellten ‚Sturmbataillon Niederbayern’. Im März 1920 stand Strassers Freikorps zur Teilnahme am KappPutsch bereit. Zur selben Zeit kommandierte sein Bruder Otto auf der Gegenseite eine ‚Rote Hundertschaft’, um den Staatsstreich zu bekämpfen. Gemeinsam mit sei nem Bruder Otto entwickelte er eine eigene ideologische Plattform. Sie verfochten – zunächst gemeinsam mit Goebbels – einen „linken“, anti kapitalistischsozialrevolutionären Kurs der NSDAP, mit dem die Arbeiter für die Partei gewonnen werden sollten. Strasser unterstützte Streiks, forderte die Verstaatlichung der Industrie und Banken und trat für eine Zusammenarbeit Deutschlands mit der Sowjetunion ein. Damit durchaus vergleichbar ist auch das von großer materieller Bescheidenheit geprägte Leben des aus dem polnischen Kleinadel stam menden Józef Piłsudski. 1886 als Mitglied der ‚Narodnaja Wolnja’ an der Vorbereitung eines Sprengstoffattentats auf den Zaren Alexander III. beteiligt wurde er 1894 Vorsitzender der eben erst gegründeten illegalen ‚Sozialistischen Partei Polens’ (PPS). Auf Grund seines ebenso konsequen ten wie radikalen (heute als ‚terroristisch’ qualifizierten) Eintretens für die nationalen Interessen Polens wurde Piłsudski 1918 die oberste Militär und

1 siehe Joseph Goebbels, unter: http://de.wikipedia.org/wiki/Joseph_Goebbels#Die_fr. C3.BChen_ Jahre

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Staatsgewalt der unabhängigen Republik Polen übertragen. Auf Grund seiner Verdienste um die Wiedergeburt Polens mehrfach zum Präsidenten gewählt organisierte Marschall Piłsudski 1926 nach seinem vorübergehen dem Ausscheiden einen Staatsstreich und besetzte als Verteidigungsmi nister und Generalinspekteur der Streitkräfte die wichtigsten Positionen. Broszat charakterisierte ihn, indem er Hitlers Verhältnis zu Piłsudski mit den Worten beschrieb: „In der militärischen, autoritären Vorstellungswelt des polnischen Marschalls spürte Hitler instinktiv etwas Verwandtes“ 1 Durch die politische Prägung im Militärdienst durchaus ähnlich, gestaltetet sich das Leben des aus ‚nicht besonders begütertem österrei chischungarischem Kleinadel’ stammenden Miklós Horthy zunächst grundlegend anders und schließlich doch wieder vergleichbar. Der Flügel adjutant von Kaiser Franz Joseph I. wurde im ersten Weltkrieg Ober befehlshaber der k. u. k. Kriegsmarine, danach Kriegsminister der gegen die ungarische Räterepublik gebildeten konterrevolutionären Gegenregie rung und schließlich ‚Reichsverweser’ Ungarns. Ähnlich ist auch die politische Vita des Esten Konstantin Päts: 1917 Sprecher der obersten Heeresleitung des an der Seite deutscher Frei korpsverbände gegen die Räteregierung kämpfenden estnischen Militärs wurde Parteiführer des ‚Bundes der Landwirte’ (in den 20er Jahren stärkste politischen Kraft in Estland) zwischen 1920 und 1934 mehrfach als Staatsoberhaupt gewählt errichtete er 1934 mit der Einführung des Staatsnotstandes ein profaschistisches autoritäres Regime, in dem er als ‚Reichsprotektor’ regierte. Der lettische Politiker Gustavs CelmiĦš, Führer der nationalistischen Organisation ‚Feuerkreuz’ und des faschistischen ‚Donnerkreuz’, begann seine Karriere in der 1917 gegründeten lettischen Armee. Nach dem Ver bot des ‚Feuerkreuz’ emigrierte CelmiĦš in das faschistische Italien. Er unterhielt in Rumänien enge Kontakt zur ‚Eisernen Garde’, nahm auf finnischer Seite am ‚Winterkrieg’ teil und zog nach dem Überfall auf die Sowjetunion 1941 als Führer des faschistischen ‚Donnerkreuz’ mit der Wehrmacht wieder in Lettland ein. Auch Hermann Görings Karriere begann im Militär. Der Sohn des von Reichskanzler Bismarck zum ersten Reichskommissars für Deutsch Südwestafrika ernannten promovierten Juristen Ernst Heinrich Göring lebte mit seiner Mutter und vier Geschwistern auf den Ländereien seines Patenonkels Hermann von Epenstein auf dessen Burg Veldenstein. Nach dem Besuch der Kadettenanstalt nahm Göring als Leutnant der Infanterie,

1 nach Hitler und Pilsudski, unter: http://www.deutscheundpolen.de/_/ereignisse/ ereignis_ jsp/key=hitler_und_pilsudski_1933.html

14 später als mehrfach dekorierter Jagdflieger, Kommandeur und Hauptmann der am 1. Weltkrieg teil. Der später als Störenfried der Hitlerschen Orientierung auf Reichs wehr und Monopole erschossene Ernst Röhm wurde als Sohn eines bayeri schen EisenbahnOberinspekteurs geboren. Er legte sein Abitur ab und wurde danach wunschgemäß Fahnenjunker, besuchte eine Offiziersschule und wurde 1908 Offizier. Im 1. Weltkrieg kam er zunächst als Adjutant, später als Kompanieführer an der Westfront zum Einsatz. Nach seiner drit ten Verwundung vor Verdun zeigte er als Generalstabsoffizier u.a. auch im Verlauf des Rückzugs der deutschen Armeen hervorragende Eigenschaften als Organisator. Nach 1919 war Röhm als Angehöriger des ‚Freikorps Epp’ an der brutalen Niederschlagung der bayrischen Räterepublik beteiligt. Später in die Bayerische 7. Division eingegliedert bildete diese Truppe mit anderen paramilitärischen deutschnationalen Gruppen die von Röhm mit begründete Geheimorganisation „Eiserne Faust“. Kurz nach Hitler wurde er Mitglied der Deutschen Arbeiterpartei (DAP) und der NSDAP und war maßgeblich am ‚Marsch auf die Feldherrnhalle’ beteiligt. Von Hitlers ‚Legalitätstaktik’ hielt er wenig: Röhm blieb ‚antikapitalistisch’ und ‚revo lutionär’. Absprachen mit der Großindustrie oder der Genera lität lehnte er ab. Nach einem Militäreinsatz in Bolivien übernahm er 1931 den Posten des ‚Stabschefs der SA’, die er an Stelle der Reichswehr zu einer ‚revolutionären Volksmiliz’ ausbauen wollte, um seine Vision einer zweiten nationalsozialistischen ‚Volksrevolution’ vorantreiben.. Heinrich Himmler wuchs als zweiter Sohn eines Oberstudiendirektors in bürgerlichen Verhältnissen auf. Dass er als fleißiger Musterschüler eines Gymnasiums nach ‚standesgemäß’ durchlaufener Offiziersausbildung nicht mehr zum Einsatz kam wurde von ihm als Makel empfunden. Himmler schloss sich der NSBewegung schon zu Beginn der 20er Jahre an, seine Karriere begann aber erst nach dem RöhmPutsch 1934. Heinrich Himmler wird als „ein gutes Beispiel“ charakterisiert, „wie ein Mann seine Mittel mäßigkeit durch Fleiß, Geduld und unermüdliche Treue überwindet und dadurch zu einer Stellung aufsteigt, die seine eigentlichen Fähigkeiten bei weitem übersteigen.“ 1 Dies wird auch durch die Einschätzung bestätigt, dass die, die ihn kannten, „nachher kaum fasslich beschreiben (konnten), wie Himmler eigentlich gewesen war.“ 2 In der Darstellung seines Lebens weges wird hervorgehoben, dass „der im Elternhaus gelehrte Drang zur sozialen Anpassung ... stärker (war), als die religiösen Traditionen“ 3 er selbst erscheint als ein „junger Mann, der in konventionellen Begriffen

1 ebenda S. 29 2 H. Höhne Der Orden unter dem Totenkopf, Die Geschichte der SS, Augsburg 1999, S. 33 3 ebenda S. 38

15 dachte, die hergebrachten Werte der bayrischen Mittelklasse hegte und offenbar besonders gutmütig, farblos und normal war.“ 1 Himmler An schluss an die Anfänge der NSDAP stand unter dem Eindruck seiner Teilnahme am Bürgerbräuputsch. Aber auch dort ist er mit dem Komplex seiner fehlenden Fronterfahrung einer, der sich selbst als ‚Spruchmacher und Schwätzer und ohne Energie sieht, dem nichts gelingt, ‚der Heini, der es schon macht..’ 2 Die Begegnung mit Hitler erlebte er als Offenbarung seines Lebens: „Der Unterwerfungsinstinkt des Heinrich Himmler witterte, dass er sein Idol gefunden hatte.“ 3 Diesen Ehrgeiz lebte er in einem skuril romantischen Gemisch teutonischnationalistischer Vorstellungen aus, die seine Karriere als ‚Hitlers Ignatius Loyola’ beim Aufbau der als völkischen Elite nordischen Blutes konzipierten SS begründete. Zusammenfassend charakterisiert ihn Askenasy als „kaltherzig, schüchtern, pedantisch, fana tisch und humorlos. Obgleich, besser gerade weil er selbst äußerst labil war, verlangte er von anderen Charakterstärke, und er zwang andere – obgleich er selbst Gewalt verabscheute – zu deren Ausübung. Er war je doch weder sadistisch, psychotisch noch geisteskrank und hätte sich ohne seine blinde Ergebenheit und Unterwürfigkeit gegenüber Hitler und die ihm deswegen übertragene Macht mit Sicherheit nie aus der breiten Masse der unscheinbaren Durchschnittsbürger abgehoben.“ 4 Reinhard Heydrich stammte aus besser betuchten Verhältnissen. Trotzdem gelang es ihm nicht, in die ‚Gesellschaft’ seiner Heimatstadt Halle aufgenommen zu werden. Dies und der Umstand, dass der spätere Leutnant zur See nach seiner Ausbildung als Seekadett der Reichsmarine und kurzer Dienstzeit wegen ehrwidrigen Verhaltens aus der Marine entlassen wurde und sein damit erst richtig angestachelte krankhafter Ehrgeiz überall und immer erster zu sein trugen wesentlich dazu bei, dass Heydrich in der zu dieser Zeit aufsteigenden SS sehr schnell Karriere machte. Bei der Beisetzung Heydrichs rühmte Himmler, der Mann, der schon in München mit der Organisation der politischen Polizei begann und 1934 Gestapochef habe, einen „Verstand von durchdringender Logik und Klarheit“ 5 gehabt. Nach anderen Darstellungen war Heydrich „überdurch schnittlich intelligent und begabt. Und zwar war er sowohl ein ausge zeichneter Sportler als auch ein Kenner und Interpret von Kammermusik. ... Er war dynamisch, berechnend und extrem ehrgeizig. Er musste immer

1 W.T. Angress, B.S. Smith: Diaries of Heinrich Himmler's Early Years, in Journal of Modern History, Sept. 1959, S. 215, zitiert nach: H. Höhne: Der Orden unter dem Totenkopf, Die Geschichte der SS, a.a.O., S. 39 2 H. Höhne Der Orden unter dem Totenkopf, Die Geschichte der SS, a.a.O., S. 44 3 ebenda S. 45 4 H. Askenasy Sind wir alle Nazis? Zum Potential der Unmenschlichkeit, a.a.O., S. 32 5 siehe Reinhard Heydrich und die Endlösung der Judenfrage, Dokumentensammlung Zusammengestellt von T. Friedmann, Haifa 1997

16 und überall der Beste sein – egal ob dies beim Fechten oder in einem Bordell war.... Er war ideologisch keineswegs festgelegt, sondern sein Ehrgeiz beschränkte sich einzig und allein auf die Macht als solche. Inso fern empfand er auch keinerlei Verachtung für die Juden als Rasse und betrachtete viele von Himmlers Ideen als völlig idiotisch. Somit war Heyd rich weder sadistisch noch psychotisch noch geisteskrank. Er war vielmehr ein höchst intelligenter, begabter und extrem opportunistischer Psychopath sowie ein skrupelloser Techniker...“ 1 Von anderen ‚Kaliber’ waren die portugiesischen Generäle António Óscar de Fraugoso Carmona und Manuel de Oliveira Gomes da Costa, die die königliche portugiesische Militärakademie besucht hatten. Zur Gruppe der aus ‚besseren Verhältnissen’ Stammenden gehört auch General Fran cisco Franco, der als zweites von fünf Kindern eines Marineoffiziers geboren, die Militärakademie in Toledo besuchte und für seine ‚Verdienste’ bei der Niederschlagung des Aufstandes der Rifkabylen 1915 schon im Alter von 23 Jahren zum Major, 1926 zum jüngsten General der europä ischen Armee und 1927 zum Oberkommandierenden der Generalstabs akademie ernannt wurde. Berüchtigt sind sein Einsatz der spanischen Fremdenlegion bei der Niederschlagung eines revolutionären Aufstandes asturischer Bergarbeiter und die nicht weniger brutale Ausschaltung aller seiner Gegner während und nach dem von ihm organisierten Bürgerkrieg gegen die republikanische Regierung. Sir Oswald Mosley stammt aus einer angloirischen Familie mit großem Landbesitz im englischen Staffordshire. Er war 6. Träger des 1720 gestifteten Adelstitels Baronet Mosley . Nach dem Besuch des Winchester College und der Royal Military Academy in Sandhurst kämpfte er mit den 16th Lancers an der Westfront, später im Royal Flying Corps. Später war er im als Beobachter. Mit 21 Jahren als jüngster Abgeordneter der Konservativen ins Unterhaus gewählt kam es durch den Streit um den Einsatz von Paramilitärs gegen die irische Unabhängigkeitsbewegung zum Bruch mit seiner und zu seinem Übertritt zur Labourparty. Nachdem sich aber herausstellte, dass der äußerst selbstbewusste Politiker auch hier nicht in der Lage war, diese Partei auf seine Linie einzustimmen trat er am 18.2.1931 aus der Labourparty aus und gründete am Tag darauf seine eigene, die ‚New Party’. Diese wurde im Ergebnis seiner Studien des europäischen Faschismus durch die Vereinigung bereits vorhandener faschistischer Bewegungen 1932 zur ‚British Union of Fascists (BUF)’ um gebildet.

1 H. Askenasy Sind wir alle Nazis? Zum Potential der Unmenschlichkeit, Frankfurt a.M., New York 1979, S. 26f

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Auch Comte François de La Rocque de Severac stammte aus dem Adel. Er nahm als Offizier am ersten Weltkrieg teil und engagierte sich als Oberstleutnant in der 1927 gegründeten Veteranenorganisation ‚Croix de Feux’. Unter seinem Einfluss und seiner Führung transformierten sich die ‚Feuerkreuzler’ in wenigen Jahren zu einer faschistischen Kampftruppe Nach dem am 4.2.1934 am Widerstand der französischen Arbeiterklasse gescheiterten Versuch, das Parlament stürmen und eine faschistische Diktatur zu errichten wurde diese verboten. Viele ihrer Mitglieder schlos sen sich der faschistischen ‚Parti social français’ an, die 1937 verboten wurde. Im Verlauf des Krieges spielte Oberst de la Rocque nach Einschät zung der Wehrmacht „... eine erhebliche Rolle im unbesetzten Gebiet und gilt als besonderer Vertrauensmann des Marschalls Pétain. Aus politischen Gründen ist daher bisher von der strikten Durchführung des Verbots abge sehen worden.“ 1 Zur Gruppe der aus gut situierten bürgerlichen Verhältnissen stam menden Faschisten gehört auch der in einer der ältesten und angese hensten Familien der Provinz Telemark aufgewachsene Vidkun Abraham Lauritz Jonssøn Quisling. Mit bestem Abschluss der Kriegsakademie nach wenigen Jahren zum Major befördert arbeitete er aber zu Beginn der 20er Jahre mit der NansenMission im Kampf gegen die Hungersnot in der UdSSR, wo er später als Diplomat tätig war. Seine Annäherung an die faschistische Ideologie führte 1933 zu seinem Austritt aus dem Amt des Kriegsministers und zur Gründung der prodeutschen, antisemitischen und faschistischen ‚Nasjonal Samling’ („Nationale Einheit“). Vergleicht man diese grob skizzierten biografischen Anmerkungen fällt eine breit gefächerte Gemengelage von Karrieristen, Abenteurern, Militaristen und Chauvinisten aller Couleur auf. Vom entwurzelten Lum enroleten über Abkömmlinge des kleinbürgerlichen Mittelstandes bis zu Adelssprösslingen ist hier alles vertreten. Was aber von dieser Herkunft und allein daraus abgeleiteten Schlüssen hinsichtlich des weiteren politischen Verhaltens zu halten ist, wird etwa deutlicher, wenn man sich Herkunft, Karriere und Beurteilung des Anton Drexler vor Augen führt: Drexler, Sohn eines Eisenbahnarbeiters und Werkzeugschlosser war der Gründer und erster Vorsitzender der Deutschen Arbeiterpartei (DAP), der

1 siehe „François de la Rocque (18851946) Oberst. Absolvent von StCyr. Offizier in Nordafrika. 1914/18 Kriegsteilnahme. 1928 Abschied aus der Armee und Eintritt in die Veteranenbewegung "Croix de Feux". Führer der Bewegung während der Unruhen vom 6. Februar 1934. 1936 Umwandlung der Bewegung in den Parti Social Français. Herausgeber der Zeitschrift Petit Journal . 1941 Mitglied des Conseil national. Seit 1942 unter Überwachung, 1943 verhaftet und nach Deutschland deportiert. 1945 in Frankreich verhaftet, vor Eröffnung des Prozesses verstorben.“ Siehe: Anmerkung [235] zum Lagebericht des Militärbefehlshaber Frankreich Februar März 1942, unter: http://www.ihtp. cnrs.fr/prefets/de/d020342mbf.html

18 späteren NSDAP. Auf seine Initiative wurde Hitler wegen seines Mund werks („ Dör hot a Goschn, den kennt ma braucha! “) angeworben. Was Hitler über diesen Mann zu sagen hatte, charakterisierte nicht nur ihn, sondern ihn und seinesgleichen: „Herr Drexler war einfacher Arbeiter, als Redner ebenfalls wenig bedeutend, im übrigen aber kein Soldat. Er hatte nicht beim Heer gedient, war auch während des Krieges nicht Soldat, so dass ihm, der seinem ganzen Wesen nach schwächlich und unsicher war, die einzige Schule fehlte, die es Bewusstwerdung konnte, aus unsicheren und weichlichen Naturen Männer zu machen’ (...) ‚..nicht fähig, mit bruta- ster Rücksichtslosigkeit die Widerstände zu beseitigen, die sich beim Emporsteigen der neuen Idee in die Wege stellen mochten“ .1 Damit beschreibt Hitler viel eher all jene, die rücksichtslos genug sind, die ver brecherischen Ziele der aggressivsten Kreise des Monopolkapitals mit einer alle Grenzen sprengenden kriminellen Energie durchzusetzen. Noch deutlicher werden diese Zusammenhänge, wenn die Verhal tensstrukturen der Subalternen an einem ihrer Repräsentanten analysiert werden: Adolf Eichmann, Sohn eines Wiener Buchhalters, der weder die Realschule noch die später aufgenommene Ausbildung zum Mechaniker abschloss und seinen Lebensunterhalt als Arbeiter ohne Berufsausbildung und Verkäufer und Vertreter erarbeitete, wäre nie zum ‚größten Verbre cher’ seiner Zeit geworden, hätte es für ihn und seinesgleichen auf dem Höhepunkt der Weltwirtschaftskrise nicht die ‚Chance’ gegeben, durch eine Karriere bei der SS aus allen existenziellen Sorgen heraus zu kommen. Hauptscharführer Adolf Eichmann wird in einem SSPersonalBericht vom 17.9.1937 als „in seiner Dienstleistung zuverlässig und sehr gewissenhaft, seine Kameradschaft vorbildlich“, sein gesunder Menschenverstand mit „überdurchschnittlicher Auffassungsgabe“, sein Wissen mit einer „guten Allgemeinbildung“ charakterisiert. 2 Eichmann wurde durch ein halbes Dutzend Psychiater nach wissenschaftlichen Standards als „normaler“ Mensch charakterisiert, „dessen Einstellung gegenüber seiner Frau und seinen Kindern, seiner Mutter und seinem Vater, seinen Brüdern, Schwestern und Freunden“ nach Einschätzung eines dieser Psychiater „nicht nur normal, sondern höchst wünschenswert“ gewesen sei. Der ihn bis zu seiner Hinrichtung betreuende Geistliche „versicherte allen Leuten, dass Eichmann ‚ein Mann mit sehr positiven Vorstellungen’ sei.“ 3

1 nach Anton Drexler, unter: http://de.wikipedia.org/wiki/Anton_Drexler 2 siehe Die drei verantwortlichen SSFührer für die Durchführung der Endlösung der Juden frage in Europa waren: Heidrich Eichmann Müller, Eine dokumentarische Samm lung von SS und GestapoDokumenten über die Vernichtung der Juden Europas, Haifa 1993, Teil I Die Personalakte Eichmanns aus dem Archiv der Gestapo, Blatt 24 3 nach Eichmann Das System Die Opfer, in: H. Arendt revisited: ‚Eichmann in Jerusa lem’ und die Folgen, hrsg. von Gary Smith, 1. Aufl. Frankfurt a.M. 2000, S. 267

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Von Hanna Arendt stammt der Begriff der furchtbaren „Banalität des Bösen“. Eichmann bezeichnet sie als ‚normalen Menschen’, psychisch normal, er war kein Dämon oder Ungeheuer. Abgesehen davon, dass er eine Karriere im SSApparat machen wollte, hatte er kein Motiv, war er nicht einmal übermäßig antisemitisch. Er erfüllte nur seine Pflicht, er hat nicht nur Befehlen gehorcht, sondern dem Gesetz gehorcht. 1 Sie beschrieb ihn als „Hanswurst“, „schier gedankenlos“, „realitätsfern“ und ohne Fanta sie, dem man „beim besten Willen keine teuflischdämonische Tiefe abge winnen“ könne. Eichmanns Unfähigkeit, selbst zu denken, zeige sich vor allem an der Verwendung klischeehafter Phrasen, einem Verstecken hinter der Amtssprache. Eichmann fühlte sich jeder Verantwortung enthoben: die gute Gesellschaft stimmte zu, was sollte er als kleiner Mann da machen? Nach der Wannseekonferenz, als er im Kreis der Großen fachsimpeln durfte, waren minimale Zweifel, eventuelle Gewissensbisse verschwunden. Sein Gewissen hatte er an die Oberen abgetreten: „In diesem Augenblick fühlte ich mich wie Pontius Pilatus, bar jeder Schuld.“ Die Lektion des Prozesses sei, dass ein solcher Mensch derart viel Unheil angerichtet habe. Hinzu kam die Art des Verbrechens, die nicht einfach kategorisierbar wäre. Was in Auschwitz geschah, sei beispielloser „industrieller Massenmord“ gewesen. 2 2. Faszination und Massenwirkung des Faschismus Wer die Fragen nach den Ursachen dieser Entwicklung, den Abgrün den, aus denen faschistoides Denken und Verhalten in den 30er Jahren zu einer Massenbewegung werden konnte, nach dem ‚warum gerade in dieser Zeit?’ verfolgt, kommt nicht umhin, sich auch mit der Herkunft der finanziellen Mittel zu befassen, die vor, mitten in und nach der Weltwirt schaftskrise aufgebracht werden mussten, um die NSDAP, den Wahlkampf der Nazis, den Lebenswandel der Nazibonzen und die zu großen Teilen kaserniert untergebrachte SA zu finanzieren. Zwar sind in jüngster Zeit allerlei Darstellungen erschienen, in denen versucht wird, den Eindruck zu erwecken, dies alles sei ‚so gut wie ausschließlich aus Mitgliedsbeiträgen’ finanziert worden. Dazu gehört die durch keinerlei Belege bewiesene Behauptung, dass „es .. vor allem die Beiträge, Geld und Sachspenden, Eintrittsgelder und unentgeltliche Arbeitseinsätze der Parteimitglieder und –anhänger“ gewesen seien, die „es den Nationalsozialisten von 1930 an ermöglichten, permanent Wahlkampf zu führen.“ 3

1 nach Eichmann in Jerusalem, unter: http://de.wikipedia.org/wiki/Eichmann_in_Jerusa lem #Erste_Kontroverse:_Die_Banalit.C3.A4t_de 2 nach Adolf Eichmann, unter: http://de.wikipedia.org/wiki/Adolf_Eichmann 3 W. Knips „Heil, Herr Hitler“ Ist der Parvenü Hitler dank Millionenspenden der Großindustrie an die Macht gelangt? Tatsächlich schafften die Nationalsozialisten den Aufstieg ohne nennenswerte Hilfe der Schlotbarone, Spiegel 20/2001, S. 183

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Aber Zdral kommt anhand einer Übersicht zu (1) den Kosten für die Geschäftsstelle, (2) den Gehältern für zehn hauptamtliche Mitarbeiter, (3) der Saalmiete für häufig stattfindende öffentliche Veranstaltungen, (4) die Honorare für Parteiredner, (5) die Kosten für die Propaganda (Flugblätter, Rundschreiben etc.), (6) die Besoldung der (alles andere als bescheiden lebenden) SAFührer, (7) der Kauf von Ausrüstungen, Kleidung und Waffen für die SA, (8) das Handgeld für Rollkommandos [15 bis 50 Mark Tagegeld], (9) die Transportkosten [Sonderzüge], (10) die Kosten für die 1922 von Hess errichtete ‚Nachrichtenabteilung’ der Partei, (11) die Kosten für Konzerte, (12) die Kosten für regelmäßig erscheinende ‚Mittei lungsblätter’ und Rundschreiben zu der Feststellung, „dass von Selbst finanzierung der NSDAP keine Rede sein kann.“ 1 Bei aufmerksamerem Lesen kommen selbst die Gegner derart sachlicher Überlegungen zu dem Schluss: „Unstreitig gab es ein Netz von Verbindungen zwischen dem Füh rer der NSDAP und einer Anzahl Einfluss gebietender Unternehmer, .. ebenso sicher ist, dass die Partei materiellen Nutzen sowie ein gesteigerte Prestige aus diesen Beziehungen erlangte. Aber was ihr zugute kam, wurde den zerbröckelnden Parteien der Mitte früher, eben so lange und in erheblich höherem Maße zuteil.“ 2 Es ist aufschlussreich, dass der anonyme Autor dieser Zeilen 3 die Beeinflussung ‚demokratischer’ Wahlen zugunsten der dem Kapital ‚ge neigten’ Parteien offenbar als völlig ‚normal’ empfindet. Aber die daraus abgeleitete Schlussfolgerung ist alles andere als ‚zwingend’: „Weder die Stimmengewinne der einen noch die Verluste der anderen werden durch diese vermögenden Gönnerschaften erklärt.“ Wiederholt habe Hitler die Zurückhaltung der Unternehmer beklagt. Noch im April 1932 ‚zeigt er sich bestürzt, dass die DVP höhere Beträge von der Industrie bezog als seine Partei’. 4 Aber diese Zahlungen reichten zweifelsohne aus, denn die wenn gleich mitunter schleppende Finanzierung der Partei ‚lief’ und die Lebens führung der Nazibonzen war ebenso gesichert, wie die Ausrüstung der SA mit Waffen, Uniformen und Verpflegung. Damit nicht genug: Hier ist auch daran zu erinnern, dass gegen die rechtsgerichtete ‚ Deutsche Gemein- schaft’ erfolglos prozessiert wurde, weil sie 1950 beweiskräftige Dokumen te über die wesentlich großzügigere Finanzierung der HitlerWahlen 1930 – 1933 durch USBanken veröffentlichte. „Die Partei gewann den Prozess, aber keine einzige Zeitung in der BRD berichtete darüber zu einer Zeit, als

1 W. Zdral Der finanzierte Aufstieg des Adolf H., Wien 2002, S. 12 2 siehe Der teuerste Wahlkampf aller ZeitenNSDAP, unter: http://forum.politik.de/ forum/show thread.php?t=189074&page=2Formularbeginn 3 publiziert unter dem Pseudonym ‚Schlauberger’, siehe: http://forum.politik.de/forum/showthread. php?t= 189074 &page=2Formularbeginn 4 siehe Der teuerste Wahlkampf aller ZeitenNSDAP, unter: http://forum.politik.de/forum/ showthread.php?t=189074&page=2Formularbeginn

21 die Remilitarisierung Deutschlands schon eingeleitet worden war.“ 1 Nach dem Hitler Vorbehalte gegen den von Strasser und Röhm vertretenen antikapitalistischsozialrevolutionären Kurs und die in der SA populären Forderungen nach Verstaatlichung der Industrie und der Banken aus räumte, flossen höhere Beträge. Schließlich die ‚Eingabe führender Per sönlichkeiten aus Wirtschaft und Industrie sowie großagrarischer Kreise an Reichspräsident Hindenburg für die Berufung Hitlers vom November 1932’ und der dabei ausgeübte Druck. 2 Aber in der Vielzahl von Jahreszahlen und Ereignissen droht ein Um stand unter zu gehen, der bei der Herausbildung der faschistischen und nationalsozialistischen Parteien und Organisationen eine kaum zu über schätzende Rolle spielte: Mit der Auslösung des ersten Weltkrieges führte der Bruch der ‚Vaterlandsverteidiger’ mit dem sozialistischen Internationa lismus zu einem Konflikt, der weit über die Irritationen in den Reihen der deutschen Sozialdemokratie, unter französischen und italienischen Soziali sten, in der britischen Labourparty und unter den russischen Menschewiki wirksam wurde. Was hier als ‚patriotische Pflicht’ ausgegeben und von großen Teilen der arbeitenden Bevölkerung im Widerspruch zu den eben noch heftigen Protesten gegen die Kriegspolitik der Herrschenden zu nächst auch so akzeptiert wurde blieb im Denken und Verhalten haften: Durch das vergossene Blut und die Unzahl der Toten, durch erlittene Ent behrungen und den mit Siegeszuversicht erduldeten Verzicht auf das Notwendigste wurde die Treue zum ‚Vaterland’, das Bekenntnis zur eige nen Nation, die Abgrenzung vom ‚Feind’ von vielen als viel wichtiger er lebt, als das durchaus vergleichbare Schicksal von Klassengenossen auf der anderen Seite der Front. Der auf der Basis kleinbürgerlicher Interessen und reformistischer Demontage der revolutionären sozialistischen Ideen schleichend wuchern de Verrat des sozialistischen Internationalismus wurde so nicht nur zu einer der entscheidenden Voraussetzungen für die Spaltung der Arbeiter bewegung. Aus dem (für viele unverständlichen) Konflikt zwischen refor mistischer Sozialdemokratie und der an den russischen Bolschewiki orien tierten neu entstehenden kommunistischen Parteien und der auch nach dem Kriege fortwirkenden Haltung zu den ‚Feinden’ von gestern, aus den Lügen vom ‚Dolchstoß der Novemberverräter’ und vom ‚Verrat nationaler Interessen’ nährte sich auch die Massenwirkung revanchistischer, nationa listischer und chauvinistischer Einstellungen. Es kann und darf nicht über

1 siehe Deutsche Gemeinschaft, unter: http://de.wikipedia.org/wiki/Deutsche_Gemein schaft 2 siehe Deutsche Geschichte 19181933 Dokumente zur Innen und Außenpolitik, Frankfurt a.M., S. 224

22 sehen werden, dass viele Anhänger der von führenden Interessenvertre tern des Monopolkapitals nach Kräften geförderten faschistischen Parteien und Organisationen aus Kreisen der Arbeiter stammten, die durch ihre soziale Herkunft, den Charakter ihrer Arbeit oder ihr soziales Umfeld viel eher auf kleinbürgerliche Erwartungshaltungen orientiert waren. Wenn man sich vor dem Hintergrund der Erfahrungen aus dem Krieg und den für die an die Notwendigkeit militärischer Disziplin Gewöhnten die Wirren der Nachkriegsereignisse in den europäischen Staaten vor Augen führt wird verständlich, warum es in dieser Zeit zur Errichtung und zur Duldung und Unterstützung von Militärdiktaturen kommen konnte. In die sem Kontext wird auch verständlich, warum es gerade in dieser Zeit zu einer Häufung antisemitischer Exzesse kam: Hinter dem gegen jüdische Bankbesitzer, Industrielle und Kaufherren gerichteten Vorwurf der Berei cherung durch Kriegsgewinne konnten deutsche, französische, russische, englische und andere Bankbesitzer, Industrielle, und Kaufherren unge stört dafür sorgen, dass ihre Gewinne noch höhere Zinsen einfuhren. Durch Widersprüche und Illusionen im Lager ihrer Gegner gelang den Nazis mit Unterstützung des Großkapitals die ‚Machtergreifung’. Der zunächst noch in Teilen der Bevölkerung verbreitete Widerstand gegen die Diktatur der braunen Machthaber wurde durch Ermächtigungsgesetze kri minalisiert. Durch das Verbot linker, die Gleichschaltung bürgerlicher Par teien und die Übernahme der Gewerkschaften durch die ‚Deutsche Arbeits front’ wurden die organisatorischen Grundlagen der Opposition vernichtet. Mit der Eingliederung anderer Vereine und Verbände in NSOrgani sationen, das Verbot der sich dieser Aufforderung widersetzenden Organi sationen und die Gleichschaltung der Presse wurde ein bis in Details der Infrastruktur greifendes System der Beeinflussung, Überwachung und Kontrolle installiert. Irgendwie erreichbare tatsächliche und vermeintliche Regimegegner wurden von der SA ohne Rücksicht auf ‚Formalien’ in die von ihr errichteten Konzentrationslager verschleppt. Mit Folter, Mord, Erniedrigung, Beleidigung und völliger Rechtlosigkeit verbreitete sich eine Atmosphäre physischer und psychischer Unterdrückung, die bis zur vernichtenden militärischen Niederlage im Mai 1945 als systemtragende Angst wirksam blieb. Aber es ist falsch und es bleibt einseitig, wenn auf die Frage nach den Motiven der zweifelsohne beeindruckenden Anstrengungen nur mit dem Hinweis auf restriktive Mechanismen geantwortet wird. Vor diesem Hintergrund kam eine Reihe sozialer Tatsachen zur Wirkung, deren Wir kung angesichts der noch längst nicht überwundenen Wirtschaftskrise kaum zu überschätzen war. Gezielt wurde damals und wird heute nicht

23 nur von den immer noch und wieder anzutreffenden offenen und heimli chen Anhängern faschistischen Gedankengutes ‚argumentiert’, dass mit der ‚Machtergreifung’ ‚die Arbeitslosigkeit überwunden’ wurde. Da wird an ‚Kraft durch Freude’ – Fahrten, an den ‚Volkswagen’, an die von nicht wenigen so erlebte neue ‚Volksgemeinschaft’, an ‚Gefolgschaftshäuser’, die ‚Winterhilfe’, den Stolz auf ‚deutsche Wertarbeit’, an ‚deutsche Ord nung’ und schließlich daran erinnert, dass ‚damals ein Deutscher noch etwas gegolten’ hätte. Schon die Wortwahl lässt erkennen, dass damit ein System propagandistisch geprägter Erwartungshaltungen ausgebaut wur de. Dass die Arbeitslosigkeit nur in dem Maße abgebaut wurde, in dem die Umstellung der Industrie auf das Rüstungsgeschäft anlief, interessierte nur eine Minderheit. Ein beeindruckend großer Teil der Bevölkerung war mit den unverhüllt reaktionären und antihumanen rassistischen, nationa listischen und militaristischen Argumenten zu beeinflussen, zumal damit hinreichend überzeugende eigene Vorteile verbunden zu sein schienen. Die massenhafte Korrumpierung mit Arbeit, Karriere, der Aussicht auf ein Häuschen, ein Auto und relativen Wohlstand förderte Verhaltensweisen, die bei der Stabilisierung des Hitlerregimes wirksamer waren, als alles das, was allein mit Angst und Unterdrückung möglich gewesen wäre. Wegen der Überfälle auf Polen, Norwegen und Dänemark wurden einige unruhig. Als dann auch Belgien, die Niederlande, Luxemburg und Frank reich in einem weiteren ‚Blitzkrieg’ unterworfen und besetzt wurden, schien dies endgültig Bestätigung der ‚Unfehlbarkeit des Führers’ zu sein. Leipzig Oberbürgermeister Freyberg konnte in seiner Neujahrs ansprache nicht nur melden, dass sich „die Finanzen der Stadt Leipzig ... trotz der überaus schweren Belastung durch Kriegsausgaben günstig gestaltet“ habe. Da wurde auch berichtet, dass die Einlagen bei der Spar kasse erstmalig die 200 MillionenGrenze überschritten hatten. „Auf rund 490.000 Sparkonten fallen 206 Mio. RM Spareinlagen.“ 1 Unterschiede des Anteils einzelner Sparer waren erheblich. Neben denen, die über große Summen verfügten gab es eine viel größere Zahl, die sich zumindest den Anschein von Sicherheit zu schaffen suchten. Dazu kamen ‚eisernes Spa rens’, schleichende Geldentwertung und der Warenmangel. Aber im Vergleich mit der Entwicklung im ersten Weltkrieg zeigen sich Unter schiede: Damals gab es eine Steigerung der Einzahlungen auf 177%. 2 1936 und 1944 wurde das in den Schatten gestellt.

1 siehe Neujahrsansprache von Oberbürgermeister Freyberg am 15.1.1941, in: Stadtarchiv Leipzig V Kap.6 Nr. 68, Bd. 6, Blatt 000016 2 J. Heiland Leipzig als GrossStadt. Seine gemeindepolitische und wirtschaftliche Entwicklung in den letzten drei Jahrzehnten, Leipzig 1921, S. 64

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Tab. 1: Spareinlagen der Jahr Spareinlagen Sparkonten Zuwachs Leipziger Bevölkerung zum Vorjahr in % zu 1936 bei der Sparkasse 1936 130,9 Mio RM 442.000 100 19361944 1 1937 140,5 Mio RM 447.500 9,6 Mio RM 107,3 Wer verstehen will, 1938 156,6 Mio RM 461.100 16,1 Mio RM 119,6 warum sich Menschen 1939 162,6 Mio RM 461.800 6,0 Mio RM 123,9 1940 206,4 Mio RM 489.800 44,2 Mio RM 157,7 unter diesen Bedingungen 1941 276,0 Mio RM 527.300 69,6 Mio RM 210,8 so und nicht anders ver 1942 370,5 Mio RM 405.400 94,5 Mio RM 283 hielten, kann sich damit 1943 480,0 Mio RM 602.000 109,5 Mio RM 366,7 nicht zufrieden geben. Er 1944 604,5 Mio RM 627.000 124,5 Mio RM 461,8 muss den Versuch unternehmen, in die Haut derer zu kriechen, die da mals lebten. Dabei wird nur allzu schnell und gleich in verschiedener Hin sicht deutlich, dass solches ‚Verstehenwollen’ an Grenzen stößt: Als Resul tante einer Vielzahl schon im Prozess dieses Tuns nicht immer rationell begründ resp. erklärbarer subjektiver Wünsche und Hoffnungen der han delnden Personen und anderer, zwar beleg aber deswegen noch lange nicht nachvollziehbarer Zusammenhänge bleibt eine Vielzahl offener Fragen. Jede Näherung an die Totalität der seinerzeit wirksamen Handlungs motive, an die durch unterschiedliche individuelle, kollektive und gesell schaftliche Erfahrungen historisch geprägten Wertvorstellungen und Inter essen lässt erahnen, dass es trotz allem ein gesichertes Wissen ‚letzter In stanz’ nicht geben kann. Dazu kommt eine durch subjektives Erleben bedingte Verzerrung des jeweiligen Wahrnehmungsfeldes und die propa gandistische Verfälschung solcher Ereignisse. Keinesfalls zu vergessen ist auch, dass das Interesse an historischen Ereignissen folglich auch die Fragestellung der heute Lebenden selbst dann durch die Probleme ihrer Gegenwart modifiziert und jeweils neu orientiert wird, wenn dies eigentlich wissentlich vermieden werden sollte. In einer ebenso nüchternen wie teilnahms und mitleidslosen Aus wertung historischer Dokumente können Tatsachen eruiert werden. Den sich darin nur skizzenhaft widerspiegelnden Tragödien und Komödien des Lebens untergegangener Generationen kann eine solche Untersuchung nicht einmal annähernd gerecht werden. Jeder Versuch kann also nur Aus gangspunkt einer wirklich ernst zu nehmenden Auseinandersetzung mit

1 zusammengestellt nach Angaben aus: Sparkasse der Reichsmessestadt Leipzig an Herrn Stadtkämmerer Dr. Lisso v. 18.12.1941, in: Stadtarchiv Leipzig V Kap. 6 Nr. 68, Bd. 8 Blatt 000015, Angaben für 1942 aus: Rede des Oberbürgermeisters, in: Stadtarchiv Leipzig V Kap. 6 Nr. 68, Bd. 9, Blatt 000075 Angaben für 1943 aus: Kurzbericht der Sparkasse der Reichsmessestadt Leipzig v. 3.1.1944, in: Stadtarchiv Leipzig V Kap.6 Nr. 68 Bd. 10, Blatt 000029, Angaben für 1944 aus: Rede des Oberbürgermeisters, in: Stadtarchiv Leipzig V Kap. 6 Nr. 68, Bd. 11, Blatt 000085

25 den stets und in diesem Falle viel zu teuer bezahlten Erfahrungen der Geschichte sein. Ein differenzierteres Verständnis der Dimensionen und der historischen Konsequenzen menschlichen Handelns setzt nicht nur die Kenntnis der Fakten, sondern auch die Auseinandersetzung mit den Moti ven, den Zweifeln, den Skrupeln und dem Selbstverständnis derer voraus, die seinerzeit Akteure des Geschehens waren. Erst aus der Kenntnis ihrer Konflikte, Sorgen und Probleme können jene Entscheidungen begriffen werden, die den heute Lebenden nur all zu oft unverständlich bleiben. Wohl wissend um die Relativität all unseres Wissens insbesondere dann und dort, wo es um die Wertung menschlichen Tuns und Lassens geht, kann und darf dies letztlich nicht in ein alles umfassendes und jede Verantwortung ignorierendes Vergessen und Verzeihen münden. Dies und die daraus resultierenden Beliebigkeit des Urteilens kann nicht Zweck und Anliegen einer Auseinandersetzung mit der Geschichte und der Gegenwart des faschistischen Ungeistes sein. Es geht hier nicht um ein Verstehen, das mit der Relativierung der Verantwortung letztlich doch nur der Leug nung von Verbrechen der Vergangenheit und also zur Rechtfertigung neu er Untaten dient. Vielmehr ist es das Ziel dieser Untersuchung, solche Konflikte, Rahmenbedingungen und Zusammenhänge und die Methoden ihrer ideologischen Instrumentalisierung aufzuzeigen, in denen ansonsten ‚normale’ Menschen in den Strudel der damit ausgelösten Verbrechen hinein gerissen werden Alle, denen eine solche Mahnungen banal oder absurd vorkommen, sei in Erinnerung gerufen, dass eine beträchtliche Zahl der wenigen SS Mörder, die in der Bundesrepublik schließlich doch noch vor Gericht ge stellt werden mussten, noch vor gar nicht langer Zeit wegen ‚fehlenden Unrechtsbewusstseins’ freigesprochen wurden. Mehr als das: Nicht selten wurden deren als Zeugen auftretende Opfer in einer Art und Weise be handelt, die nicht anders, denn als juristische Rechtfertigung der an ihnen begangenen Verbrechen zu verstehen war und auch so verstanden werden sollte. Vielmehr ist es das Anliegen, die Genesis solcher Zusammenhänge deutlich kenntlich zu markieren, durch die rassistisches, nationalistisches, chauvinistisches, Gewalt und Unterdrückung alles Schwachen, Fremden und Andersdenkenden und –lebenden verherrlichendes letztlich faschisto ides Denken und Verhalten verursacht, befördert und schließlich so weit geleitet werden, dass sie im Entsetzen über eine kaum noch überschau bare Masse Verbrechen eskalierte. Angesichts dessen sind die Fragen nach den Ursachen dieser ver hängnisvollen Entwicklung, nach den ideellen Hintergründen, die faschi stoides Denken und Verhalten in den dreißiger Jahren zu einer Massen

26 bewegung werden ließ, die wichtigsten. Damit wird auch die Frage nach dem Wesen des Faschismus, nach dem Streit um seine Definition und nach ihren politischen Konsequenzen neu gestellt. Einer der ersten, der sich diesem Problem stellte, war der ungari. sche Kommunist Georg Lukacs. In seiner 1933 im Moskauer Exil heraus gegebenen Kampfschrift ‚Zur Kritik der faschistischen Ideologie’ machte er darauf aufmerksam, dass durch faschistische Propagandalosungen den einander objektiv widersprechenden Interessen verschiedenster Gesell schaftsschichten in einem demagogischen Eklektizismus von sich wechsel seitig ausschließenden Versprechungen Rechnung getragen wurde. Daraus kam er zu der Schlussfolgerung, dass der Faschismus durch die „vollstän dige restlose Subsumtion aller Klasseninteressen unter die Interessen der monopolkapitalistischen Bourgeoisie .. ein theoretisches Rückgrat, eine Linie, ein System in .. Theorie und Praxis des Faschismus“ erhielt. 1 Auch der später in einem sowjetischen Gefangenenlager umgekom mene deutsche Kommunist Hans Günther erkannte das Wesen der faschi stischen Ideologie in einem widerspruchsvollen Eklektizismus einer durch demagogische Losungen von der ‚Volksgemeinschaft’ verschleierten ‚Ver söhnung’ sich tatsächlich extrem verschärfender Klassengegegensätze. 2 Denn das, was der werktätigen Bevölkerung, den Bauern, Arbeitslosen, Arbeitern je nach Zusammensetzung des Publikums unter ‚sozialer und nationaler Befreiung’, ‚Beseitigung der Geldherrschaft’, ‚Brechung der Zinsknechtschaft’, ‚Abschaffung arbeits und müheloser Einkommen’ etc. versprochen wurde, war das Gegenteil von dem, als das, was zu gleicher Zeit den Angehörigen des Mittelstandes, den Kapitalisten und Großunter nehmern zugesichert wurde. Die dahinter verborgene Lüge von der Ver einbarkeit einander ausschließender Klasseninteressen war und ist eine der tragenden Säulen faschistischer Ideologie. Tatsächlich lief die schein bare Gleichstellung einander ausschließender Klasseninteressen auf die Subsumierung aller unter das Interesse des Monopolkapitals hinaus. 3 Um aber „mit Hilfe der Massen zur Macht gegen die Massen zu gelangen“ konnte der Kapitalismus nicht mehr verteidigt und verherrlicht, sondern musste – scheinbar – bekämpft und kritisiert werden. 4 Der ‚Natio nalsozialismus’ „kroch in die heuchlerische Maske eines Gegners des Kapi talismus und ‚rettete’ ihn unter dem Vorwand, ihn zu vernichten. Um den Massen die Möglichkeit zu rauben, selbst die Wahrheit zu erkennen, wur den Denken und Wissen als Teufelswerk gebrandmarkt, die eigene Ge

1 G. Lukacs Zur Kritik der faschistischen Ideologie, Berlin Weimar 1989, S. 42f 2 H. Günther Der Herren eigner Geist, Berlin und Weimar 1981, S. 63 3 ebenda S. 64 4 daselbst

27 schichte nach allen Regeln der Kunst verfälscht, das geistige und kultu relle Erbgut der ehemals revolutionären Bourgeoisie bis auf den Grund verwüstet und vertan. Aus dem Arsenal des primitiven Denkens wurden elende Mystizismen, religiöser und rassischer Aberglaube, magische und okkulte Wissenschaften hervorgeholt, um aus ihnen Waffen für den Bür gerkrieg zu schmieden. Und keine Lüge war niedrig genug, um die Riesengestalt des proletarischen Widersachers in den Augen der Massen als jüdisch, liberalistisch, verbrecherisch und minderrassig zu schmähen.“ 1 Der schon damals durch die Propaganda der Nazis erweckte An schein eines ‚konsequenten Kampfes gegen das ‚System’ führte dazu, dass „Millionen verarmter und ernsthaft verbitterter Kleinbürger zur NSDAP – und zur Bourgeoisie“ getrieben wurden. 2 Günthers Erwartung, dass es den Nazis nicht gelingen möge, das derart für den Krieg präparierte deutsche Volk in dieses Verbrechen zu treiben 3 fand keine Bestätigung. Aber nicht nur die durch die Folgen der Weltwirtschaftskrise beförderte Bereitschaft vieler Deutscher wurde unterschätzt oder völlig ignoriert, sich nach der Niederlage im 1. Weltkrieg und den als erniedrigend empfundenen Bedin gungen des Versailler Vertrages im Interesse einer als nationale Erneu erung offerierten politischen Bewegung zu engagieren, die obendrein einen Ausweg aus der sozialen und wirtschaftlichen Misere zu versprechen schien. Vor diesem Hintergrund wurde das angeblich alle anderen Beweg gründe integrierende übergreifende ‚Interesse der Nation’ zu einer zwar verlogenen aber nichts desto trotz wirksamen Klammer. Trotz ihrer eben so illusionären wie verlogenen Begründung reichten deren Wirkungen so weit, dass sogar die vor aller Augen stattfindende brutale Verfolgung aller tatsächlichen und vermeintlichen Gegner von nur all zu vielen als gerecht fertigt wahrgenommen wurde. Aber das ganze Ausmaß der ideologischen Deformierung des Den kens, Fühlens und Verhaltens großer Teile der deutschen Bevölkerung wird auch so nur in grob vereinfachenden Konturen und also verfälscht fassbar. Zweifelsohne spielte der Umstand eine nicht zu unterschätzende Rolle, dass die durch die Weltwirtschaftskrise zerstörten Lebensgrundlagen von Millionen aus Arbeiterklasse, Bauernschaft, Mittelstand, Unternehmern und der Intelligenz in diesen Klassen, Gruppen und Schichten tief grei fende Verunsicherung und einen oft flächendeckenden Orientierungsver lust zur Folge hatte. Unter diesen Umständen musste vielen die Chance, mit der aufstrebenden nationalsozialistischen Bewegung nicht nur Verän derungen herbei zu führen sondern auch noch Karriere zu machen als

1 ebenda S. 237 2 ebenda S. 38 3 ebenda S. 210

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Ausweg aus der Misere erscheinen. Angesichts der antikommunistischen Hetze und des – für viele unverständlichen – erbitterten Streites zwischen Sozialdemokraten und Kommunisten wurde dieser Eindruck noch ver festigt. Dabei wird nur unzureichend beachtet, dass diese Bewegung in den Jahren nach dem ersten Weltkrieg entstand. Da ist nicht nur zu bedenken, dass es unter den führenden Köpfen einen hohen Anteil von Militärs gab, die sich nach Kriegsende um ihre Karriere betrogen sahen. Viel schwerer wog ein Umstand, dem viel zu wenig Beachtung geschenkt wird: Im Ver lauf des ersten Weltkrieges wurden Millionen Menschen in bis dahin unvor stellbare Abgründe gestürzt. Da waren nicht ‚nur’ fast 15 Millionen Tote (darunter sechs Mio. Zivilisten) und über 20 Mio. Menschen Verwundete 1 sondern das sich jeden Tag wiederholende elende Krepieren von Kamera den, die an schweren Verletzungen, durch Gas, an Typhus und in ganz ge wöhnlichem Wahnsinn zugrunde gingen. Da wurden Millionen und Aber millionen durch die entsetzlichen Erfahrung eines alltäglich gewordenen Massenmordens geprägt. Das alles fand unter Bedingungen statt, in denen eine Art von Kameradschaft, die durch Uniformen, Subordination, Disziplin und Kadavergehorsam, vor allem aber durch das Überschäumen des Nationalismus geprägt war, überlebenswichtig. Es kann nicht überraschen, dass ein derartig tief greifender und massenwirksamer Bruch mit allen Regeln menschlichen Zusammenlebens mit äußerst schwerwiegenden Fol gen verbunden war. Viel eher verwundert der Umstand, dass dieser Tat sache in der kritischen Auseinandersetzung mit den Hintergründen und Ursachen des Faschismus so wenig Aufmerksamkeit gewidmet wurde... Zur Erklärung der Massenwirkung der Nazipropaganda kann auch ein Hinweis Eva Reichmanns beitragen. Für sie war das Ideensystem des Nationalsozialismus keine neue in sich geschlossene Idee, sondern viel mehr das „Aussprechen und Verständlichmachen spontaner Massen wünsche. .. Es war eine lose nebeneinandergereihte unzusammenhängen de Fülle ideologischer Elemente, von dem jedem einzelnen eine ganz besondere Form der Wunscherfüllung zukam.. Was die Massen beitrugen, waren lediglich ihre psychologischen Bedürfnisse.“ Sie blieb bei der Ana lyse dieser Wirkzusammenhänge nicht im Rahmen ideologiekritischer Abstraktheit stehen. Vielmehr bezog sie solche funktionalen Momente von Sozialisierungsprozessen ein, die trotz ihrer Wirkung allzu oft vernach lässigt werden: „Die Massen verlangten nicht den Antisemitismus, sondern sie wollten hassen; sie verlangten nicht die Rassenlehre, sondern wollten sich überlegen fühlen; sie verlangten nicht die Dolchstoßlegende, sondern

1 siehe Der Erste Weltkrieg, unter: http://www.dhm.de/lemo/html/wk1/index.html

29 wollten sich schuldlos fühlen an dem verlorenen Krieg; sie verlangten nicht das Führerprinzip, sondern wollten wieder gehorchen, statt selber zu entscheiden.“ 1 Die spezifische Qualität dieser Wünsche bestand darin, dass sie die Realität ignorierten und eigene Verantwortung verdrängten. Deshalb wurden sie ein wesentliches funktionales Moment des angepass ten Verhaltens, das sich später in der ‚Entnazifizierung’ unter dem Begriff des ‚Mitläufers’ als Charakteristikum einer nicht nur damals massenhaft zu beobachtenden Verhaltensnorm bloßstellte. Offensichtlich wurde (und wird) die praktische Wirkung sozialpsy chologischer Momente der Sozialisierung sowohl seitens der bürgerlichen Intellektuellen als auch in der kommunistischen Bewegung mit einem völ lig unbegründeten elitären Stolz auf die Stringenz ideologischer Theorien als ‚oberflächlich’, wenig originell etc. unterschätzt: Ein sich in der Ver weigerung kritischer, vor allem selbstkritischer Analyse gefallendes elitä res Selbstbewusstsein, das in rassistischer und nationalistischer Identifi zierung die Rechtfertigung für eigene Bequemlichkeit im Handeln und im Denken sucht, daraus ‚begründete’ Ablehnung alles Fremden, die Neigung, eigene Verantwortung zu leugnen und alle daraus erwachsende Schuld den eben noch bedingungslos akzeptierten Autoritäten anzulasten – die Liste solcher Gewohnheitsverbrechen wider den menschlichen Geist ließe sich fortsetzen. Alles das, was in Jahrtausenden menschlicher Zivilisationsgeschichte mit großer Mühe, immer wieder unterbrochen durch schreckliche Rück schläge unter unvorstellbaren Opfern an humanistischen Barrieren gegen barbarische Atavismen geschaffen werden konnte, wurde nun als Ver weichlichung wider die menschliche Natur verfemt. Und der Appell an die niedrigsten Instinkte fand nicht nur, nicht immer und nicht einmal vor allem bei den durch ihre soziale Stellung anscheinend dafür prädesti nierten reaktionären Kreisen der Großbourgeoisie, sondern auch und vor allem in den durch die Krise viel härter getroffenen, wirtschaftlich und sozial entwurzelten Kreisen des Kleinbürgertums und der Arbeiterklasse Resonanz. Wohl wissend um die nur von wenigen als intellektueller Genuss erlebte Anstrengung einer substantiell tragfähigen Auseinander setzung mit den Entwicklungsproblemen einer im Umbruch befindlichen Gesellschaft wurde (und wird!) die sich dieser verweigernde Stimmung der Massen propagandistisch instrumentalisiert. Zwar hat die Professionalität des dem Publikum Zugemuteten schon damals vor allem unter Intellek tuellen Ressentiments ausgelöst. Doch heute demonstriert die praktische

1 E. Reichmann Die Flucht in den Hass, Die Ursachen der deutschen Judenkatastrophe, Frankfurt a.M., o.J., S. 220f, 229, (zitiert nach: W. Heise: Aufbruch in die Illusion, Zur Kritik der bürgerlichen Philosophie in Deutschland, Berlin 1964, S. 325f

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Macht einer virtuellen Medienrealität mit Sex, Gewalt, Crime und Big Brother das Voranschreiten der Dimensionen einer Entwicklung, deren Tendenz nicht weniger offensichtlich gegen die Elementarien humani stischer Verantwortungsfähigkeit gerichtet war und ist.... Erst vor diesem Hintergrund macht es Sinn, auch die folgenden Sätze so zu durchdenken, wie diese das verdienen: „Zwar trifft zu, ٛ ewu die spektakulären Unternehmungen Hitlers seit dem Sommer 1922 nicht ohne sie zu denken sind; doch richtig bleibt auch, dass der ungestüm auf steigende Demagoge, der nach Jahren der Einzelgängerei und Menschen ferne erstmals und rauschhaft das Gefühl der eigenen Unwiderstehlichkeit erlebte, für die materiellen Hilfeleistungen keine bindenden Verpflichtun gen einging. Der antikapitalistische Affekt des Nationalsozialismus ist vom eifersüchtigen linken Zeitgeist niemals wirklich ernst genommen worden, weil er dumpf und rational unbegründet blieb; tatsächlich kam er auch im Protest gegen Wucherer, Schieber und Warenhäuser über die Perspektive von Hausmeistern und Ladenbesitzern nicht eigentlich hinaus.“ 1 So auf merksam, wie der erste Teil dieser Überlegungen zu durchdenken ist: Wer immer auch den ‚linken Zeitgeist’ repräsentieren mag – angesichts der gezielt demagogischen Instrumentalisierung der antikapitalistischen Atti tüde ging und es geht nicht um Eifersucht, sondern um die Kaschierung verbrecherischer Machtgelüst der extremen Rechten. Aber in diesem Kontext wurden Nationalismus, Rassismus und Chauvinismus per Gesetz offizielle Staatsdoktrin Hitlerdeutschlands. Nicht nur das Militär und die Beamten, sondern auch durch die ‚Werkscharen der Gefolgschaften’, die Hitlerjugend, BDM und andere Naziorganisationen wurden Millionen Menschen mit der illusionären Verheißung ihrer Zugehö rigkeit zu einer Herrenrasse auf bedingungslosen Gehorsams eingeschwo ren. Jede wissenschaftliche Forschung und alle Bildungsinhalte, die geeig net waren oder schienen, eine kritische Haltung zu diesem System mittel alterlichmystischer Kulthandlungen anzuregen, wurden verboten und ver folgt. Für den einfachen ‚Volksgenossen’ trat der bedingungslose Glaube an die ‚Unfehlbarkeit des durch ‚göttliche Vorsehung auserwählten und ge leiteten’ ‚Führers’ an die Stelle eines ohnehin nur in Ansätzen entwickelten Systems der scheindemokratisch verschleierten Macht der Monopole. Bestandteil dieses Systems der Indoktrination war die Unterdrückung und Verfolgung aller Ansätze selbstständigen kritischen Denkens. An dessen Stelle traten nun die Diskriminierung der Demokratie, die Einschränkung wissenschaftlicher Rationalität auf technisches Fachwissen und die Ein

1 siehe Der teuerste Wahlkampf aller ZeitenNSDAP, unter: http://forum.politik.de/forum/ showthread.php?t=189074&page=2Formularbeginn

31 ordnung in ein straffes System sozialpsychologisch geprägter Verhaltens muster und eine alle Hemmungen ignorierende brutale Durchsetzung der aggressiven Interessen des Monopolkapitals. Aber bei aller Berechtigung der sich auf Grund dieser Erfahrung dramatisch verschärfenden Fragen nach der Funktion der ideellen Kon zepte und der sozialpsychologischen Spezifik sozialen Wirkungs‚mecha nismen’ ist nicht zu verkennen: In einer differenzierteren Analyse der Massenwirksamkeit des faschistischen Denkens und Verhaltens wird trotz subjektiver Brechung und individuellen resp. gruppengebundenen Verzö gerungen, Verfremdungen und Verfälschungen schließlich doch das Inter esse der Handelnden als die diesen Prozess letztlich prägenden Logik er kennbar. Nicht selten wurde und wird versucht, diese Beziehung auf eine vereinfachende und schon deshalb unrealistische Alternative zwischen einem oft orthodoxmarxistisch vereinfacht interpretierten ‚Klasseninter esse’ und seiner opportunistischen Leugnung zu diskutieren. Doch es war und es bleibt Selbstbetrug, die kontroverse Entwicklung der objektiven Interessen verschiedener sozialer Gruppen, Schichten und Klassen, dadurch bedingte Verschiebungen in der instabilen Balance ihres widersprüchlichen Zusammenwirkens, die Differenzen in der Wahrneh mung solcher Prozesse durch die kollektiven und individuellen Subjekte dieses Prozesses, dabei beobachtbaren quantitativen und qualitativen Ver änderungen im Geflecht sozialer Beziehungen und die mit all dem un trennbar verknüpften Verschiebungen in der Gemengelage des gesell schaftspolitischen Profils dieser mehr oder weniger großen Menschen gruppen zu ignorieren. Aber eine hinreichend zuverlässig differenzierende und quantifizierende Analyse fehlte und fehlt sowohl hinsichtlich der Lage der arbeitenden Klasse, des Mittelstandes und des (nicht nur in Grauzonen zwischen Arbeitern, Angestellten, Beamten und kleinen Gewerbetreiben den angesiedelten) Kleinbürgertums, der Großbourgeoisie, der Intelligenz und anderer sozialer Klassen, Gruppen und Schichten. Solche Untersuchungen wären vor allen Dingen deshalb von kaum zu überschätzender praktischer politischer Bedeutung, weil die innere poli tische Stabilität des Naziregimes nicht zuletzt darauf beruhte, dass sich große, insbesondere die am wenigsten durch ein eigenständiges politi sches Selbstbewusstsein geprägten Teile sozialer Gruppen, Schichten und Klassen trotz des Fortbestehens gruppenspezifischer und übergreifender Vorbehalte durch die scheinbare Befriedigung ihrer Hoffnungen an die Realitäten des gewöhnlichen Faschismus anpassen ließen. Es wäre grund falsch, dies nur in historischer Bedeutung zu verstehen. Auch heute finden sich in diesem Milieu Anhänger nationalistisch, rechtsradikal und faschis

32 toid geprägter Stimmungslage. Aber schon im Rahmen der Definition und folglich im Verständnis des Faschismus als einer „offenen terroristischen Diktatur der am meisten reaktionären, chauvinistischen und imperialisti schen Elemente des Finanzkapitals“ 1 spielt die Funktion der sich wechsel seitig ergänzenden und prästabilisierenden Beziehungen zwischen der brutalen Diktatur der braunen Machthaber und der Bereitschaft eines er schreckend großen Teiles der Bevölkerung, sich innerhalb dieses Repres sionssystems zu arrangieren, keine Rolle. Die Konsequenzen einer einseitig konzentrierten Sicht auf die ur sächlichen sozialökonomischen Entstehungs und Wirkungszusammenhän ge des Faschismus waren und sind nicht nur theoretischer Natur: In dieser Art und Weise der Betrachtung wird die politische Verantwortung für die Verbrechen des Faschismus ausschließlich den in diesem Sinne charak terisierten Vertretern des Finanzkapitals angelastet. Dabei wird außer acht gelassen, dass die große Masse der bei der Planung, Vorbereitung und Durchführung aktiven Vertreter und Anhänger dieses Regimes aus allen Bevölkerungskreisen des deutschen Volkes kamen. Reaktionäre und Chauvinisten gab und gibt es durchaus nicht nur und ausschließlich in den Klassen, Schichten und Gruppen, die allein schon durch ihre soziale Zugehörigkeit das für derartige Einstellungen anfällig sind. In einer solchen Betrachtungsweise artikuliert sich ein mechanistisch verengtes Verständnis, das ein nicht in seiner Eigenentwicklung und also nicht in seiner Veränderung begriffenes Klasseninteresse in dogmatischer Verkürzung als fest programmierten Handlungsrahmen der Angehörigen dieser Klasse begreift. Verschiebungen, die dieser Handlungsrahmen im Leben einer sich fortwährend differenzierenden Gesellschaft und im Leben jedes Einzelnen erfährt, erscheinen so vernachlässigbar. Wer sich nicht nach diesem vorgegebenen Muster verhielt erscheint dann entweder als ‚Verräter’ an der eigenen Klasse oder als jemand, der die engen Grenzen seiner Klassengrenzen zu überspringen vermochte. Mit bemerkenswertem Hochmut wurde und wird ‚übersehen’, dass diese Art der Betrachtung auf einer grob vereinfachenden mechanistischen Beschränkung des Verständ nisses sozialer Interessen, Beziehungen und Interaktionen fußt. Aber mit diesem Hintergrund allgemeinster Frage und Problemstel lungen kann das hier zu erörternde Problem nur in seinen allgemeinsten gesellschaftlichen Rahmenbedingungen erfasst werden. So, wie jede wei terführende Untersuchung die Differenziertheit solchen Wissens ergänzen und präzisieren wird, kann eine solche ohne die diesen Erkenntnisprozess

1 G. Dimitroff Ausgewählte Schriften, Bd. 2, Berlin 1958, S. 629f, zitiert nach: J. Kuczynski: Geschichte des Alltags des deutschen Volkes, Band 5 / 1918 1945, Wiesbaden o.J., S. 53

33 begleitende Suche nach Antworten und der inhaltlichen Auseinander setzung mit den sich daraus ergebenden theoretischen und praktischpoli tischen Konsequenzen nur in einer Darstellung von mehr oder weniger zufälligen und zusammenhanglosen resp. willkürlich in Beziehung ge brachten Details stecken bleiben. Weil es hier um nicht mehr und nicht weniger, als um einen Versuch geht, nachträglich zu begreifen, wie ‚das’ geschehen konnte, warum sich eine derart erschreckend große Zahl von weder nach Talent noch Intellekt auffällig benachteiligter Menschen bereit fand, Mörder und Henker zu werden, muss jeder auf dieser Ebene der Betrachtung stehen bleibende Versuch einer Antwort abstrakt bleiben. In Fortsetzung dieser schrecklichen ‚Normalität’ legten nicht nur die als „geistig normal“ bezeichneten angeklagten ehemaligen Angehörigen der SSWachmannschaften im Verlauf der zwischen 1963 bis 1965 in Frankfurt am Main stattfindenden AuschwitzProzesse ein aggressives und reueloses Verhalten an den Tag. Auch „von ihrer Umgebung wurden sie keineswegs als Außenseiter behandelt.“ 1 Wäre dies ‚nur’ aus Angst geschehen, so wäre es vielleicht noch zu verstehen gewesen, weshalb so viele dazu schwiegen, davon nichts wissen, nichts hören und nichts sehen wollten, so lange die uneingeschränkte Macht dieser brutalen Bestien an dauerte. Aber auch danach war die Suche nach einer Antwort mindestens ebenso schwierig, wie die Handlungs und Verhaltensmuster im ‚Dritten Reich’. Da war nicht ‚nur’ vor, sondern auch nach der Befreiung vom Faschismus neben der Angst die Verdrängung eigener Schuld und das Selbstmitleid einer vor den Folgen ihres Tuns und Nichttuns stehenden Generation. Und da war auch deren Solidarisierung mit den Tätern im Spiel: Man hätte es ja selbst sein können und wie viele wurden unter dem Mantel kollektiven Schweigens bis auf den heutigen Tag nicht erwischt. Vielmehr war, bleibt und ist zu fragen, wo und in welchem Maße und durch wen fanatischer Eifer gezeigt wurde, wo um der eigenen Karriere willen erkennbare und erkannte Bedenken verdrängt wurden, wo und wann und wie lange, vor allem aber warum so viele glaubten oder glauben wollten, dass man sich den vielleicht immer noch als unappetitlich an gesehenen Handlungsmaximen der zu diesem Zeitpunkt als Sieger auf trumpfenden Machthaber nicht länger verschließen könne. Schon in derart verkürzter und also unvollständigen Schilderung des Spektrums möglicher Entschuldigungs, Rechtfertigungs aber auch durchaus ernst gemeinter Beweggründe einer Neubesinnung wird deutlich, dass das politische Ver halten und die Entwicklung dabei wirksamer Motive nicht in ein Korsett

1 H. Askenasy Sind wir alle Nazis?: Zum Potential der Unmenschlichkeit, Frankfurt a.M., New York 1979, S. 19f

34 ausschließlich sozialökonomisch determinierter Verhaltensmuster ge zwängt werden kann. Was da an vorgegebenem und/oder mit subjektiver Überzeugung gelebtem Eifer, was als hinhaltender innerer Widerstand gemeint war, wo Unvermögen und andere menschliche Schwächen eine Rolle spielten, was aus echter Begeisterung und technischem Interesse für die gewissenhafte und erfolgreiche Lösung anspruchsvoller Aufgaben ohne Überlegung über die Folgen solchen Tuns getan wurde, und wo und wie dies ineinander überging – all das war schon damals und ist heute erst recht nicht ein deutig unterscheidbar. Was bleibt, sind immer wiederkehrende Fragen und die Fernwirkungen und Folgen dieses Handelns, darin eingeschlossen die Fragen nach eigener Verantwortung und Schuld.. Fragen, die nicht zuletzt auch deshalb ein Gewinn sind und schon wegen der dafür aufgebrachten unsäglich großen Opfer aktuelles Interesse verdienen, weil das Echo die ser Taten bis in unsre Tage spürbar ist, weil dies auch Fragen an heutige wie an nachwachsende Generationen sind. Doch die Tatsache, dass die Wahrnehmung der vor den eigenen Augen und Ohren stattgefundenen Verbrechen bis auf den heutigen Tag verdrängt, geleugnet, ja sogar auf das übelste verleumdet wurde und wird, konnte und kann auch dadurch und damit nicht befriedigend erklärt werden. Dazu kommt, dass das Spektrum menschlichen Versagens und der Hinter und Abgründe individuellen und kollektiven Scheiterns nicht nur, aber insbesondere in den Wirren einer Umbruchsphase viel breiter und vielschichtiger ist, als dies in den vorgeordneten resp. absehbaren Strukturen eines logisch folgerichtig abgewogenen Handelns zu gewärti gen ist. Ein solcher Ansatz könnte vielleicht erklären, warum nicht wenige solcher Untaten dann nicht erklärbar bleiben, wenn die Suche nach einer Antwort auf diese Fragen ausschließlich auf kausale Zusammenhänge des jeweiligen Ereignisses und der Motive der in dieser Situation handelnden Personen beschränkt bleibt. In diesem Zusammenhang ist es am Platze, auf einige der heraus ragenden spezifischen Besonderheiten des deutschen Faschismus hin zu weisen. Fast alle der eindeutig der Beteiligung an Mord, Folter, Exeku tionen und anderen Verbrechen überführten Täter beriefen sich darauf, dass sie selbst frei von Schuld seien, da sie doch nur Befehle ausgeführt hätten. Offensichtlich wurden hier Verhaltensweisen wirksam, die durch das schon zuvor zum konzeptionellen Selbstverständnis der NaziDiktatur entwickelte FührerGefolgschaftsprinzip und einen über Generationen militaristischer Erziehung ausgeprägten blinden Gehorsam vorprogram miert waren. Und nicht zuletzt ist hier die auch durch die Nazis bewusst

35 herbeigeführte schuldhafte Verstrickung von Millionen in die Ausübung von Verbrechen resp. deren stillschweigende Duldung in Erwägung zu ziehen. Angesichts der erst danach im ganzen Ausmaß wahrgenommenen Schan de führte dies nur bei wenigen in die nachfolgende Hilflosigkeit des großen Schweigens. Jetzt ist die Leugnung der Verbrechen von Auschwitz in Deutschland unter Strafe gestellt. Aber Auschwitz wurde und wird zur Rechtfertigung neuer Kriegsverbrechen instrumentalisiert oder aber als ein singuläres Ereignis in einen Bereich abgedrängt, der als absolute Ausnahme jenseits jeder denkbaren Wirklichkeit und außerhalb einer ernsthaft vorstellbaren Wiederholungsmöglichkeit dargestellt wird. Askenasy stellt eine viel weiter reichende Frage: Was ist, wenn die Naziverbrechen nicht dadurch erklär bar sind, dass die Täter Abnormen, Sadisten, Psychotiker oder Geistes kranke waren? „Was aber, .... wenn sich eindeutig nachweisen lässt, dass es sich hier um Menschen handelt, die nur unter anderen Bedingungen lebten?“ 1 Daniel Jonah Goldhagen kam in seiner Untersuchung der Taten des Polizeibataillons 101 zu dem Ergebnis, dass dies „nicht die klischee haften Einzeltäter waren, als die sie oft dargestellt werden – und als die sie heute wohl fast jeder wahrnimmt.“ 2 Nach Untersuchung der Unterlagen über die Herkunft, die Tätigkeit, das Freizeitverhalten, die bei der Suche nach einem verlustig gegangenen Hund praktizierte Tierliebe und die Art ihres Einsatzes bei der Exekution jüdischer Frauen, Kinder und Männer konstatiert er: „Erstens waren es ganz gewöhnliche Deutsche, die zu Vollstreckern des Völkermordes wur den. Zweitens töteten sie, obwohl sie es nicht mussten.“ 3 H.D. Schmid zitiert eine Untersuchung von Ch.R. Browning zum gleichen Thema und kommt auch selbst zu dem Resultat, dass an der Durchführung des Holocaust „in seiner schrecklichsten Variante ‚ganz normale Männer’ betei ligt waren“. 4 Sowohl in der Masse derer, die bei der Ausführung der faschistischen Verbrechen selbst Hand anlegten als auch bei den intellektuellen Inspi ratoren und den Organisatoren des Massenmordes wird deutlich, dass diese nicht einfach als abartige Monster in Menschengestalt zu verstehen sind. Vielmehr stellt sich heraus, dass sich nicht wenige Zeitgenossen unter vergleichbaren Umständen durchaus ähnlich gehandelt hätten und – wahrscheinlich – auch wieder so handeln könnten. Es lohnt, daran zu

1 ebenda S. 21 2 D.J. Goldhagen: Hitlers willige Vollstrecker, Ganz gewöhnliche Deutsche und der Holocaust, Berlin 1996, S. 314 3 ebenda S. 328, S. 5 4 H.D. Schmid Gestapo Leipzig, Politische Abteilung des Polizeipräsidiums und Staatspolizeistelle Leipzig 1933 1945, Beucha 1997, S. 5, S. 5

36 erinnern, was Rechtsanwalt Pelckmann vor dem Internationalen Militär gerichtshof in Verteidigung der SS geltend machte: „Einer der Anklagever treter hat in seiner Schlussansprache gegen die Einzelangeklagten vorge tragen, dass die Schuld der Einzelangeklagten so groß und die Auswirkung ihrer Taten so verhängnisvoll werden konnte gerade durch die geschickte Benutzung der Massen, durch die Verführung der Volksseele, durch den schillernden Zauber der Schlagworte und das Versprechen einer paradie sischen Entwicklung. Liegt nicht in diesem Worte die beste Anerkennung der Tatsache, dass die Masse der Mitglieder das Gute, das Nichtverbreche rische wollte?“ 1 Damit schließt sich ein Kreis: Die in der nationalsozialisti schen Propaganda angebotenen Versprechungen artikulierten jene illusio när verklärten Ziele, die für das kleinbürgerliche Alltagsbewusstsein ver schiedener Bevölkerungskreise repräsentativ waren. 3. Naziterror und Widerstand Kommunisten und linke Sozialdemokraten wurden von Anbeginn und tatsächlich von den Nazis und der Gestapo als wichtigste politische Haupt gegner angesehen und als solche auch so verfolgt. Es ist sowohl dafür als auch für die Zustände in der Bundesrepublik der 50er Jahre bezeichnend, dass der wegen seiner Folter berüchtigte SSHauptscharführer Herbert Wilcke während seines Verhörs „selbst nach dem Krieg .. nicht ohne Stolz“ über ‚seine Erfolge’ bei der Zerstörung der illegalen Leipziger KPDOrgani sation berichtete. 2 Nicht nur er und der GestapoKriminalrat Uhlenhaut spekulierten bei ihren Aussagen darauf, „dass diese leichtere Form der Rechtsverletzung gegenüber Kommunisten bei den Verhörern und mögli cherweise auch bei Richtern auf Verständnis stoßen würde.“ 3 Schmid kon statiert angesichts dessen, dass letzterer durch Kontroversen zwischen bundesdeutscher und ‚sowjetzonaler’ Justiz tatsächlich davon kam: „Un versehens war Uhlenhaut zu einem Gewinner des Kalten Krieges gewor den.“ 4 Uhlenhaut war durchaus nicht der einzige und nicht einmal eine Ausnahme, sondern viel eher eine Bestätigung dessen, was sehr bald schon zur Regel wurde. Nach Wilckes Angaben wurde im Resultat der von ihm praktizierten „Vernichtung des Kommunismus ‚mit allen, auch mit den schärfsten Mitteln’“ 5 im Jahre 1934 die gesamte Bezirksleitung und Anfang 1935 auch das unter Friedrich (Fietje) Dettmann (18971970) neu gebildete Sekreta

1 siehe Der Nürnberger Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Interntionalen Militärgerichtshof, Nürnberg 14. November 1945 1. Oktober 1946, a.a.O., Bd. 21, S. 624 2 H.D. Schmid Gestapo Leipzig, Politische Abteilung des Polizeipräsidiums und Staatspolizeistelle Leipzig 19331945, a.a.O., S. 33 3 ebenda S. 40 4 ebenda S. 81 5 ebenda S. 37

37 riat der KPD verhaftet. Im Frühjahr 1935 folgten Massenverhaftungen von 2.000 Mitgliedern der KPD, des KJVD und der ‚Kampfgemeinschaft für rote Sporteinheit’. 1 Aber die Hoffnung, die KPD mit ihren 5.000 Mitgliedern durch die alle Register physischen und psychischen Terrors einsetzende Schlägertruppe der Gestapo ‚auszuschalten’, trog. Trotz der Verhaftung von Walter Philippi, anderer Funktionären und der faktischen Zerschla gung der Organisationsstrukturen 2 bildeten sich immer wieder neue Grup pen, die dann erneut Objekt der Verfolgung durch die Gestapo und ihrer Spitzel wurden. Das wird auch indirekt durch die im Juli 1944 ausgelöste Verhaftung der führenden Köpfe des kommunistischen Widerstandes in der Leipziger Region belegt. 3 Vergleicht man die politischen Kräfte der damaligen Zeit, so wird deutlich, dass vor und nach dem Machtantritt nur seitens der KPD von An beginn konsequent organisierter Widerstand gegen die neuen Machthaber geleistet wurde. Linke Sozialdemokraten versuchten dies ebenfalls. Aber sie fanden in ihrer Parteiführung keine Unterstützung. Durch Mitglieder und Sympathisanten von KPD und SPD wurden gegen den Widerstand und gegen ausdrückliche Verbote der SPDVorstände gemeinsame Aktionen organisiert. Im bürgerlichen Lager gab es zwar nicht wenige, die nichts mit den Nazis zu tun haben wollten. Aber hier war die Bereitschaft zu gemeinsamen antifaschistischen Aktionen deutlich schwächer ausgeprägt. Zwar kann die spekulative Frage, ob die Übernahme der politischen Macht durch die Nazis noch im Januar / Februar 1933 durch einen gemeinsamen Generalstreik oder andere Kampfmaßnahmen aufzuhalten gewesen wäre, nicht beantwortet werden. 4 Aber die Verzögerung und die schließlich mehrheitlich gefasste Ablehnung solcher Beschlüsse durch den Leipziger Bezirksvorstand der SPD ließ zur Enttäuschung vieler die zu diesem Zeitpunkt noch bestehen den Chancen ungenutzt. Trotz des sich dramatisch verschärfenden Terrors von SA und SS ließ sich der SPDVorstand von legalistischen Bedenken und antikommunistischen Vorurteilen leiten. 5 Dieser schwerwiegenden Fehlentscheidung fielen nicht zuletzt auch jene Sozialdemokraten zum Opfer, die von der Unabwendbarkeit des organisierten Kampfes gegen den

1 L. Heydick Leipzig historischer Führer zu Stadt und Land, a.a.O., S. 110 2 W. Bramke Kommunistischer Widerstand und linkssozialistisches Milieu in Leipzig, in: M. Buchholz / C. FüllbergStolberg/H.D. Schmid: Nationalsozialismus und Region, Hannoversche Schriften zur Regional und Lokalgeschichte, Bd. 11, Bielefeld 1997, S. 206 3 ebenda S. 209 4 H.D. Schmid Der organisierte Widerstand der Sozialdemokraten in Leipzig 19331935, in: Zwei Städte unter dem Hakenkreuz Widerstand und Verweigerung in Hannover und Leipzig 19331945, Leipzig 1994, S. 56 5 ebenda S. 33

38 zur Macht gekommenen Faschismus überzeugt waren und nicht aufgeben wollten. Das Schicksal der von linken Leipziger Sozialdemokraten vor allem aus der SAJ rekrutierten Kampfstaffeln belegt, wie stark die Bereitschaft zum organisierten bewaffneten Widerstand gegen den Faschismus auch unter den sozialdemokratischen Arbeitern ausgeprägt war. Schmid, der auch 1 über diese „proletarischsozialistische Alternative zum ‚rechten’ und ‚überparteilichen’ Reichsbanner“ 2 berichtet, verweist darauf, dass die 2.000 Männer der Kampfstaffeln „mehrere Tage, bis zum 8. oder 9. März, in Alarmquartieren“ lagen und umsonst darauf warteten, den Einsatzbefehl zur Besetzung der Straßen und der öffentlichen Gebäude Leipzigs zu er halten. 3 Aber in seiner Darstellung des sozialdemokratischen Widerstan des wird nicht erwähnt, dass die von den Sprechern der KS erhobene Forderung, sie „aus den Beständen der Polizei ausreichend zu bewaffnen“ 4 nicht erfüllt wurde. Schmid zitiert Richard Lipinski (18671936) mit den Worten: „Was soll das Ausland sagen, wenn die SPD zu den Waffen greift.“ 5 Mit der Begründung, Hitler sei legal Reichskanzler geworden, dass die Gewerkschaften einen Generalstreik abgelehnt hätten, dass Hitler höchstens noch 100 Tage hätte und jede ‚Provokation’ seine Herrschaft nur verlängern würde, verhinderten die rechten Führer der SPD den Kampfeinsatz ihrer Genossen. Ohnmächtig und wütend mussten die sozialdemokratischen und kommunistischen Arbeiter erleben, dass die Nazis bei ihrer Machtübernahme keinerlei legalistische oder juristische Skrupel kannten. Nach der am 19. Februar von 20.000 Antifaschisten be suchten Kundgebung hatte der sozialdemokratische Polizeipräsident Hein rich Fleißner (18881959) auf Fritz Selbmanns (18991975) Frage, wie sich denn die Polizei gegenüber kampfentschlossenen Arbeitern verhalten würde, geantwortet: „Die Polizei tut ihre Pflicht.“6 Jetzt tat diese Polizei ‚ihre Pflicht’ bei der Verhaftung von Antifaschisten – später waren solche Biedermänner bei der ‚Endlösung der Judenfrage’ nicht weniger pflicht eifrig ...

1 siehe In der Revolution geboren In den Klassenkämpfen bewährt. Geschichte der KPD Bezirksorganisation LeipzigWestsachsen, Leipzig 1986, S. 373 2 H.D. Schmid Der organisierte Widerstand der Sozialdemokraten in Leipzig 19331935, in: Zwei Städte unter dem Hakenkreuz Widerstand und Verweigerung in Hannover und Leipzig 19331945, Leipzig 1994, S. 30 3 ebenda S. 33 4 siehe In der Revolution geboren In den Klassenkämpfen bewährt. Geschichte der KPD Bezirksorganisation LeipzigWestsachsen, a.a.O., S. 373 5 H.D. Schmid Der organisierte Widerstand der Sozialdemokraten in Leipzig 1933Ä1935, in: Zwei Städte unter dem Hakenkreuz Widerstand und Verweigerung in Hannover und Leipzig 19331945, a.a.O., S. 33 6 siehe In der Revolution geboren In den Klassenkämpfen bewährt. Geschichte der KPD Bezirksorganisation LeipzigWestsachsen, a.a.O., S. 361

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Die ersten Opfer des an die Macht gekommenen Faschismus waren Deutsche: Kommunisten, Sozialdemokraten, Gewerkschafter und andere aktive politische Regimegegner. Aber in erster Linie ging es den Nazis um die Ausschaltung der Kommunisten, in deren organisierter Kraft und Einfluss sie die größte Gefahr für ihre politischen Zielstellungen sahen. In Leipzig begann die polizeilichen Durchsuchungen der KPDBezirksleitung im ‚FranzMehringHaus’ in Czermaks Garten am 8.2.1933. Von Januar bis März wurden 1.087 Antifaschisten, darunter 56 leitende KPD Funktionäre verhaftet und in Konzentrationslager verschleppt. 1 Pastor Martin Niemöller (18921984), einer der wenigen evangelischen Christen der Bekennenden Kirche, die schon in den ersten Jahren zum Naziregime in Opposition stan den, charakterisierte die damalige Stimmungslage mit einer Selbstkritik: „Als die Nazis die Kommunisten holten, habe ich geschwiegen; ich war ja kein Kommunist. Als sie die Sozialdemokraten einsperrten, habe ich ge schwiegen; ich war ja kein Sozialdemokrat. Als sie die Katholiken holten, habe ich nicht protestiert; ich war ja kein Katholik. Als sie mich holten, gab es keinen mehr, der protestieren konnte.“ 2 Am 3.3.1933 folgte das Verbot der sozialdemokratischen ‚Leipziger Volkszeitung’. Diese massive Demonstration politischen Terrors blieb nicht ohne Wirkung: Bei den Wahlen am 5.3.33 entschieden sich 189.000 (=37%) für die NSDAP. Gegenüber den im November 1932 für die Nazis abgegebenen 101.090 Stimmen war das eine bemerkenswerte Steigerung. Mit 157.000 Stimmen hatten auch SPD (=31,7%) und KPD mit 92.000 (=18,8%) selbst unter diesen Bedingungen noch einmal einen Zuwachs zu verzeich nen, der ihnen in Leipzig sogar die absolute Mehrheit gesichert hätte. 3 Doch wer zu dieser Zeit noch in parlamentarischen Spielregeln dachte, hatte die Beziehung zur politischen Realität des ‚Dritten Reiches’ der Nazis verloren. Am 17. März wurden die kommunistischen Stadtverordneten ihres Mandates beraubt – die der Sozialdemokraten durften das ihre noch bis zum 22.6. wahrnehmen. Dann wurden auch sie und die Vertreter anderer bürgerlicher Parteien ‚davon unterrichtet’, dass ihre Tätigkeit ... beendet sei. Zu diesem Zeitpunkt waren bereits hunderte Leipziger Anti faschisten von SATrupps zusammengeschlagen, mit oder ohne Unter stützung der Polizei verhaftet und in die von der SA eingerichteten Kon zentrationslager in Colditz, Sachsenburg und Hohenstein verschleppt. Am

1 H. Arndt / U. Oehme: Leipzig in den Jahren der Weimarer Republik und unter dem Hakenkreuz, in: Neues Leipzigisches Geschichtbuch, Leipzig 1990, S. 251 2 zitiert nach: W. Guttmann: Ein Leben im Dienste der Humanität. Martin Niemöller zum 85. Geburtstag, in: ‚die tat’ vom 14.1.1977, S. 13 3 H. Arndt / U. Oehme: Leipzig in den Jahren der Weimarer Republik und unter dem Hakenkreuz, a.a.O., S. 251

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2.5.1933 wurden die Gewerkschaften aufgelöst, ihr Eigentum beschlag nahmt und der ‚Deutschen Arbeitsfront’ ‚übertragen’. Für Mitglieder und andere Anhänger der KPD war das nicht neu: Schmid verweist darauf, dass die „Kommunisten schon in der Weimarer Zeit die Hauptgegner der politischen Polizei gewesen (waren).“ Zwar kann die anhand einer Aufstellung von Mitte der 30er Jahre festgestellte Tat sache, dass „immerhin 6 Leipziger Gestapo Angehörige vor 1933 zu irgend einem Zeitpunkt der SPD angehörten“ 1 nicht als Charakterisierung des politischen Verhaltens der SPD verstanden werden. Da wäre zunächst nachzufragen, wer von denen warum und in wessen Auftrag bei der politischen Polizei war und wie der Lebensweg dieser Männer endete. Eine solche Sicht wäre aber auch schon dadurch widerlegt, dass der am 23.2.33 von SAMännern erstochene Angehörige des ‚Reichsbanners’, der Sozialdemokrat Walter Heinze eines der ersten Opfer nach der ‚Macht ergreifung’ in Leipzig wurde. 2 Aber dieser Umstand ist schon deshalb um so bemerkenswerter, weil die „Misshandlungen durch die Gestapo bei Sozialdemokraten eher die Ausnahme darstellten,“ während sie „.. bei der Verfolgung der Kom munisten fast die Regel (waren).“ 3 Auf das Konto dieser Verbrecher kam die Ermordung der Kommunisten Walter Albrecht und Rolf Axen. 4 In der Nacht vom 1. zum 2.3.1933 wurden die KPDFunktionäre Georg Schwarz (18961945) und Bruno Plache (19081949) nach der von Hindenburg erlassenen „Verordnung zum Schutze von Volk und Staat“ verhaftet. Aber die Mehrzahl der Mitglieder der Leipziger KPDBezirksleitung hatte sich rechtzeitig auf die Bedingungen der Illegalität eingestellt und entging vorerst der Verhaftung. 5 Dem Terror der Nazis fielen insbesondere auch linke Sozialdemokraten zum Opfer. Die Misshandlungen, denen der Vor sitzende der für die antifaschistische Einheitsfront mit den Kommunisten eintretende Bezirksvorsitzende der SPD und Initiator der sozialdemokra tischen Leipziger Kampfstaffeln Hermann Liebmann (18821935) nach seiner Verhaftung am April 33 ausgesetzt war, hatten zur Folge, dass er im KZ Hohnstein erblindete und 1935 an den Haftfolgen verstarb. 6

1 H.D. Schmid Gestapo Leipzig, Politische Abteilung des Polizeipräsidiums und Staatspolizeistelle Leipzig 19331945, a.a.O., S. 29 2 H. Bachmann, U. Herrmann, M. Hendel: LeipzigSüdwest Aus der Geschichte eines Stadtbezirkes, Leipzig 1989, S. 50 3 H.D. Schmid Gestapo Leipzig, Politische Abteilung des Polizeipräsidiums und Staatspolizeistelle Leipzig 19331945, a.a.O., S. 31 4 H. Bachmann, U. Herrmann, M. Hendel: LeipzigSüdwest Aus der Geschichte eines Stadtbezirkes, a.a.O., S. 49 u. 52 5 ebenda S. 369 6 siehe In der Revolution geboren In den Klassenkämpfen bewährt. Geschichte der KPD Bezirksorganisation LeipzigWestsachsen, Leipzig 1986, S. 383f

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Nachdem Kommunisten, Sozialdemokraten und Gewerkschafter ver haftet, in die SAKeller und Konzentrationslager verschleppt, in soge nannte ‚Schutzhaft’ genommen oder auf andere Weise aus dem öffent lichen Leben ausgeschalten waren wurden die faschistische Verfolgungen auf weitere Kreise ausgedehnt. Schon auf Grund der ungeheuerlichen Zahl ihrer Opfer ist hier die jüdische Bevölkerung Leipzigs zu nennen. Von den 1929 mit der Zahl von 14.135 angegebenen jüdischen Bürgern Leipzigs waren zwei Drittel im Handel tätig. Besonderen Einfluss hatten jüdische Unternehmer im Rauchwarengeschäft, wo von ihnen 513 von 1.228 Unter nehmen betrieben wurde. Um welche Größenordnungen es dabei ging, wird deutlich, wenn man sich vor Augen führt, dass allein die Eitingon AG einen jährlichen Umsatz von 25 Millionen Reichsmark hatte. 1 Diese ebenso einflussreichen wie beneideten Positionen erklären, warum in Leipzig schon am 1. und 2. April 1933 ein ‚Judenboykott’ stattfand: Geschäfte wurden schon damals mit antijüdischen Losungen beschmiert, randalie rende SAMänner zertrümmerten unter den Augen der Polizei die Schau fenster, plünderten Geschäfte und bedrohten die, die es dennoch wagten, dort einzutreten. Aus der Universität, den Schulen, den Theatern und dem Gewandhaus wurden jüdische Intellektuelle, Künstler, Lehrer u. Beamte als ‚Rassenfremde’ vertrieben. Parallel dazu begann die ‚Säuberung’ der Universität, der Theater und des Gewandhauses von all denen, die im Sinne der Nazis als ‚unzuverlässige Personen’ anzusehen waren. Aus städtischen Betrieben und der Verwaltung wurden 1.409 Arbeiter, 132 Angestellte und 145 Beamte entlassen. Allein wegen ihrer antifaschisti schen Gesinnung wurden mehrere Familien aus städtischen Wohnungen exmittiert. 2 Nicht etwa in Reaktion gegen die kriminellen Auswüchse der SA, sondern aus Sorge um die Reaktionen des Auslandes und die in diesem Zusammenhang zu gewärtigenden negative Auswirkungen auf den – insbesondere für die Leipziger Unternehmen, die Messe und die Finanzen – wichtigen Außenhandel wurden diese Exzesse in Abstimmung zwischen Oberbürgermeister Carl Friedrich Goerdeler (18841945) und ‚maßgebli chen Kreisen der NSDAP’ vorerst eingestellt. Zwar hatten mehrere der einflussreichsten jüdischen Unternehmer begriffen, was sie von der ‚natio nalsozialistische Bewegung’ zu erwarten hatten und verlegten ihren Wohn sitz und ihre Unternehmen in die USA oder nach Großbritannien. 3 Aber nur

1 W. Fellmann Der Leipziger Brühl: Geschichte und Geschichten des Rauchwarenhandels, Leipzig 1989, S. 180 2 H. Arndt / U. Oehme: Leipzig in den Jahren der Weimarer Republik und unter dem Hakenkreuz, a.a.O., S. 258 3 W. Fellmann Der Leipziger Brühl: Geschichte und Geschichten des Rauchwarenhandels, Leipzig 1989, S. 180f

42 all zu viele konnten und wollten sich nicht damit abfinden, dass sie unter Bruch elementarster Rechtsnormen aus ihrer Heimatstadt vertrieben werden sollten und blieben in der Hoffnung, dass sich alles doch noch ‚irgendwie’ einrenken würde. Im Herbst 1938 begann in ganz Deutschland die systematische Verfolgung und Vertreibung jüdischer Bürger. In Leipzig wurden in der Nacht vom 28. zum 29. Oktober 5.000 in Polen geborene Juden zusam mengetrieben, an die polnische Grenze verbracht und deportiert. 1 Ein tragischer Höhepunkt faschistischen Terrors und der Auftakt zur physi schen Ausrottung der Juden war die am 9. November 1938 durch Hitler und Goebbels veranlasste 2 und durch die SA landesweit organisierte ‚Reichskristallnacht’. In Leipzig wurde die Große Synagoge in der Gott schedstraße, das Bethaus in Apels Garten und die Totenkapelle des Neuen Israelitischen Friedhofes bis auf die Grundmauern heruntergebrannt. Zahl reiche jüdische Geschäfte, unter ihnen das Konfektionskaufhaus Bam berger & Herz am Augustusplatz Ecke Grimmaische Straße, wurden in Brand gesetzt und ausgeraubt. 3 Aber der zum Gedenken der hier zusam mengetriebenen und von diesem Platz in Konzentrationslager verschlepp ten jüdischen Mitbürger errichtete schwarze Gedenkstein an der Parthe sollte auch daran erinnern, dass es wegen Solidaritätsbekundungen der Leipziger Bürger über 100 Verhaftungen gab. 4 Die ‚Endlösung der Judenfrage’ wurde auch hier auf schreckliche Weise mit der den Deutschen nachgesagten ‚Akribie’ betrieben: Von den im Sommer 1933 noch verbliebenen 11.500 Mitgliedern der jüdischen Ge meinde lebten im Februar 1939 nur noch 3.000 in Leipzig. 5 Nach Aus sagen einiger Gestapobeamter und Aufzeichnungen überlebender Opfer wurde die Mehrheit der in Leipzig verbliebenen jüdischen Bürger zwischen dem 21.1.1942 und dem 13.1.1944 deportiert. Von den mit acht Trans porten in die Lager verbrachten 1.876 Personen haben 62 überlebt. Am 14.2.45 wurden 200 derer, die als Juden in ‚privilegierten Mischehen’ leb ten, nach Theresienstadt abtransportiert. Die letzte Station ihres Lebens weges war Auschwitz, wo der Tode in den Gaskammern oder die für die

1 U. Heise/N. Lippold: Leipzig zu Fuß, Leipzig, Hamburg 1990, S. 150 2 siehe J. Goebbels Tagebücher, Band 3: 19351939, S. 1281f: Originaltext Goebbels: „Ich trage dem Führer die Angelegenheit vor. Er bestimmt: Demonstrationen weiterlaufen lassen. Polizei zurückziehen. Die Juden sollen einmal den Volkszorn zu verspüren bekommen. Das ist richtig. Ich gebe gleich entsprechende Anweisungen an Polizei und Partei. Dann rede ich kurz dem entsprechend vor den Partei führerschaft. Stürmischer Beifall. Alles saust gleich an die Telefone. Nun wird das Volk handeln...“ 3 L. Heydick Leipzig historischer Führer zu Stadt und Land, a.a.O., S. 110 4 H. Arndt / U. Oehme: Leipzig in den Jahren der Weimarer Republik und unter dem Hakenkreuz, a.a.O., S. 264 5 H.D. Schmid Gestapo Leipzig, Politische Abteilung des Polizeipräsidiums und Staatspolizeistelle Leipzig 19331945, a.a.O., S. 51

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IGFarben äußerst gewinnbringende Arbeit im Bunawerk AuschwitzMono witz, d.h. der Tod durch Arbeit lauerte. 1 Wie überall in Hitlerdeutschland so war auch in Leipzig die Zahl derer, die dem antisemitischen Rassismus der Nazis zum Opfer fielen, besonders groß.. Aber auch durch die ständige Verfolgung konnte der Widerstand in Leipzig nie völlig zerschlagen werden. Das zeigte sich auch in der bis zum Ende des Naziregimes nicht abreißenden Zahl der Opfer dieses Kampfes. Mit der Verhaftung von 59 Antifaschisten wurde am 19.7. 1944 ein letzter großer Schlag gegen die Leipziger Widerstandsbewegung geführt. Und mit der am 22.8. von Gestapo, SS und SD durchgeführten ‚Aktion Gewitter’ folgte eine weitere Massenverhaftung von Regimegegnern. Allein in Leip zig betraf das 300 Personen. Im November 1944 wurden Georg Schumann (18861945), Kurt Kresse (19041945), Otto Engert (18951945), Alfred Frank (18841945), Arthur Hoffmann (19001945), William Zipperer (18841945), Georg Schwarz (18961945), Karl Jungbluth (19031945), Wolfgang Heinze (19111945) und Richard Lehmann (19001945) zum Tode verurteilt und in den Abendstunden des 11. und 12. Januar 1945 in Dresden hingerichtet. Trotz alledem konnten sich die Leipziger nicht aus eigener Kraft vom faschistischen Terror befreien. Ein ‚Offener Brief des Leipziger NKFD’ vom 16.4. an die faschistischen Machthaber zur kampflosen Übergabe der Stadt hat sicher nicht wenig dazu beigetragen, dass es nicht auch noch zu der nur noch von Teilen der NaziElite beabsichtigten ‚Schlacht um Leipzig’ kam: „Heraus mit weißen Flaggen! Verhindert die Flucht von Nazibonzen! Nicht zum Volkssturm melden! Schützt die Lebensmittellager!“ In einer Ortsgruppe des NKFD sollen bereits vor dem Einmarsch der Amerikaner 6.000 Mitglieder gewesen sein. 2 Allein aus Leipzig wurden fast 14.000 jüdische Mitbürger in Konzen trationslagern verschleppt und dort umgebracht. Mitten in und verteilt über das ganze Stadtgebiet wurden zehntausende Kriegsgefangene, Ver schleppte und KZHäftlinge nicht nur in den Rüstungsbetrieben, sondern auch in anderen Unternehmen, städtischen Betrieben und in Haushalten der NaziBonzen zur Sklavenarbeit gezwungen. Allein aus Leipzig wurden 118 Leipziger Antifaschisten hingerichtet, 216 weitere starben in den Fol terstätten. Gegen Leipziger Regimegegner wurden 13.334 Jahr Freiheits entzug verhängt.. Die Quittung für diese Verbrechen traf Nazis und Nazi gegner, Mitläufer und alle die, die eben erst geboren waren: 30 bis 40.000 Menschen wurden allein in Leipzig Opfer des Bombenkrieges. Die Bevöl

1 ebenda S. 52 2 siehe Chronik der Stadt Leipzig 19451949, I. Teil, Leipzig 1967,S. 7

44 kerung war auf 83,2 % des Vorkriegsstandes geschrumpft, 37.522 Woh nungen, d.h. 16,7% des Bestandes, wurden völlig zerstört, 13.403 weitere waren schwer bis mittelschwer getroffen, fast die gesamte Innenstadt war ausgebrannt, 80% der Messeanlagen und der Schulen, 64% der Universi tätsgebäude und 50% der Betriebe mit ihren Produktionsanlagen waren vernichtet. 1 3.1 Schumann und Goerdeler – Streit um den antifaschistischen Widerstand Die Geschichte der Rezeption des Widerstandes ist nicht weniger aufschlussreich wie die Geschichte des Widerstandes. Es ist weder neu noch überraschend, dass sich die diese politische Bewegung seinerzeit prägenden Widersprüche auch in den Wertungen derjenigen wieder finden, die darüber schrieben und redeten. Diese Art des Umganges haben Überlebende des Widerstandes in der Nachkriegszeit erfahren müssen und sie erleben sie heute. In den alten Bundesländern blieben nach der mit Hilfe rechtskon servativer Besatzungsoffizieren gesteuerten ‚Entnazifizierung’ Altnazis nicht nur in der Organisation Gehlen, im ‚Amt Blank’, bei der Polizei, 2 in Gerichten, Verwaltungen, Schulen und Universitäten. Es ist nicht einmal mehr eine Spitzenmeldung wert, wenn bei der Offenlegung von CIAAkten mitgeteilt wird, dass USGeheimdienstler ihre Hand über die Massen mörder gehalten haben. Viele kamen mit Hilfe diverser CIAVorläufer in Sicherheit und auf AmiLohnlisten. 3 So wurde die Integration des braunen Netzwerkes der Hans Josef Maria Globke (18981973), Theodor Ober länder (19051998), Hans Filbinger (19132007), Adolf Heusinger (1897 1982) eine tragende Säulen der Integration der Westzonen Deutschlands in den kalten Krieg. Verantwortliche alliierte Politiker Kannten keine Skrupel, wenn es darum ging, die ‚freiheitlichdemokratische Grundord nung’ mit den Händen derer zu errichten, die ihre ‚Zuverlässigkeit’ schon einmal bei der Verfolgung von Kommunisten unter Beweis gestellt hatten. Wer über GestapoErfahrungen verfügte, war nach Meinung von Beamten westlicher Besatzungsbehörden durchaus für die Fortführung dieser Tätigkeit in der deutschen Polizei geeignet. 4 So war die Bundesrepublik

1 Angaben nach: H. Arndt / U. Oehme: Leipzig in den Jahren der Weimarer Republik und unter dem Hakenkreuz, a.a.O., S. 265 u. D. Huth, P. Kirsten, U. Oehme: Zwischen Anspruch und Wirklichkeit, Neues Leipzigisches Geschichtsbuch, a.a.O., S. 270f 2 siehe dazu: K. Eichner, G. Schramm (Hrsg.): Angriff und Abwehr – die deutschen Geheimdienste nach 1945, Berlin 2007, S. 18ff 3 P.W. Schroeder: Professor Sauerbruch sagte Hitlers Wahnsinn voraus Gespräch aus dem Jahre 1937 aufgetaucht / USGeheimdienst öffnet seine Tresore / NaziTäter fanden Schutz und neue Arbeit bei den Amerikanern, Leipziger Volkszeitung v. 30.4.2001, S. 2 4 W. Gans Edler Herr zu Putlitz: Unterwegs nach Deutschland, Berlin 1962, S. 231

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Deutschland schon vor ihrer Gründung ein Garant für die historische Kon tinuität des Antikommunismus auf deutschem Boden. Ein Ausgangspunkt dieser Entwicklung waren aber auch die wider sprüchlichen Vorstellungen der Angehörigen des bürgerlichen Widerstan des zu den politischen Perspektiven Nachkriegsdeutschlands. Es wäre ein seitig und falsch, das deutsche Bürgertum nur auf jene zu reduzieren, die sich nach angesichts des im November 1932 unübersehbar wachsenden Einflusses der KPD und der deutlich werdenden ‚Schlappe’ der NSDAP 1 für die politische und finanzielle Unterstützung der Machtergreifung Hitlers engagierten. Wegen der absehbaren Gefährdung ihrer Besitz und Macht verhältnisse durch die Kommunisten gingen immer mehr führende Ver treter des deutschen Monopolkapitals trotz des bei nicht wenigen vorhan denen Unbehagens ein Bündnis mit den Nazis ein. Dieser widersprüch lichen Haltung waren auch die „relativ gute(n) oder immerhin sachlichen Beziehungen zu den lokalen und regionalen Nazigrößen“ 2 geschuldet, wie sie von Goerdeler und anderen praktiziert wurden. Erst in dem Maße, in dem die Vertreter dieser distanzierten Position selbst aus ihren Positionen verdrängt und Opfer von Verfolgungen wurden, änderte sich dies. Doch die überwiegend nationalkonservativ eingestellten Angehörigen des deut schen Bürgertums unterstützten den restaurativaggressiven Kurs der Hitlerregierung vor allen Dingen deshalb, weil die wirtschafts und insbe sondere die lohnpolitischen Maßnahmen der NSRegierung, das Verbot der Gewerkschaften und die Durchsetzung des Prinzips von ‚Führer und Gefolgschaft’ in den Betrieben ihrerseits ebenso ungeteilte Zustimmung fand, wie die Ankurbelung der Konjunktur durch ein die Rüstungspro gramm mit bis dahin unvorstellbaren Ausmaßen und die Vorbereitung eines neuen Krieges. Angesichts der Duldung dieser Politik durch die Westmächte, der außenpolitischen Erfolge dieses revanchistischen Eroberungskurses und stetig steigender Gewinne wagten es nur wenige Unternehmer und Mili tärs, ernsthafte Bedenken anzumelden. K. Finker verweist in seiner Charakterisierung der hinter Carl Friedrich Goerdeler und Ludwig Beck (18801944) stehenden Kräfte ausdrücklich darauf hin, dass „selbst jene Kreise, die engen Kontakt zu den Verschwörern um Goerdeler und Beck unterhielten, ... keineswegs in ihren Bemühungen um gesteigerte Rüstung nach(ließen).“ 3 Trotzdem verhielten sich nicht wenige Angehörige der bürgerlichen Intelligenz eher abwartend und skeptisch. Selbst im engsten Kreis der Familie dominierte die Angst vor Denunziation und Verfolgungen.

1 J. Goebbels Tagebücher, Band 2: 10301934, S. 714f u. 737 2 W. Bramke Goerdelers Weg in den Widerstand, in: Goerdeler und Leipzig, Leipzig 1995, S. 56 3 K. Finker Graf Moltke und der Kreisauer Kreis, Berlin 1978, S. 200

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Nicht einmal unter Vertrauten wurde das Wagnis eingegangen, offene Kri tik an der verbrecherischen Politik der Nazis zu äußern. Erst nach der Zerschlagung der sechsten Armee in der Stalingrader Schlacht änderte sich das. Und es ist sowohl hinsichtlich des Datums als auch wegen der Art und Weise der Begründung höchst aufschlussreich, dass Goerdeler im März 1943 die Notwendigkeit eines Staatsstreiches in seiner Denkschrift an die Generäle mit der Erinnerung an die Novemberrevolution 1918 und der Angst vor den aus einer absehbaren militärischen Niederlage zu ge wärtigenden Folgen begründete: „Lässt man durch Untätigkeit den Radi kalismus weiter fortschreiten, so wird er sehr viel schlimmere Formen annehmen als 1918.“ 1 Die von Finker im Kreisauer Kreise analysierte Widersprüchlichkeit lässt erkennen, dass das Spektrum der im bürgerlichen Lager des Wider standes verfolgten politischen Zielstellungen nicht nur und nicht aus schließlich auf die Aufrechterhaltung der Macht der Monopole und die darin folgerichtig eingeschlossene antisozialistischantikommunistische Orientie rung reduziert werden kann. Goerdeler’s ‚Friedensplan’ von 1943 schloss die Forderung nach den Reichsgrenzen von 1914 sowie allen während der Nazizeit ‚angeschlossenen’ deutschsprachigen Gebieten ein. Als Gegen leistung bot er den Westmächten ein Bündnis gegen die Sowjetunion an. 2 Im Unterschied dazu kamen Angehörige des Kreisauer Kreises zu der Einsicht, dass die vollständige militärische Niederlage Hitlerdeutschlands als Ausgangspunkt der Orientierung auf einen sofortigen Frieden im Westen und im Osten 3 notwendig sei, weil sich ihre Hoffnungen auf einen Militärputsch der Generale nicht erfüllt hatten, ein Attentat auf Hitler aus verschiedenen Gründen abgelehnt wurde und erhebliche und durchaus berechtigte Zweifel an einem revolutionärdemokratischen Massenkampf bestanden. 4 Aber wesentliche Unterschiede gab es schon hinsichtlich der Art und Weise der Durchführung des politischen Umsturzes. So trat der evange lische Theologe Dr. Dietrich Bonhoeffer (19061945) im Gegensatz zu Helmut James Graf von Moltke (19071945) für ein Attentat gegen Hitler ein. 5 Zwar wurde von der oppositionellen Gruppe um Carl Friedrich Goer deler, Generaloberst a.D. Ludwig Beck und Generalfeldmarschall Erwin von Witzleben (18811944) wurde ein Militärputsch zur Beseitigung Hitlers erwartet. Doch die Ausführung dieses Vorhabens verzögerte sich immer

1 daselbst 2 ebenda S. 201 3 ebenda S. 235 u. 245 4 ebenda S. 250 5 ebenda S. 195

47 wieder. 1 Schließlich organisierte eine Offiziersgruppe unter Führung von General Friedrich Olbricht (18881944) vom Stab des Befehlshabers des Ersatzheeres und Oberst Henning von Tresckow (19011944) vom Stab der Heeresgruppe Mitte die praktische Vorbereitung des Attentates auf Hitler. Doch ein Erfolg blieb ihnen sowohl am 13.3.43 als auch am 20.7.44 verwehrt. Am 13.3.43 versagte die Bombe und am 20.7.44 überlebte Hitler. Die Attentäter und ihre Mitstreiter aus dem Offizierskorps wurden hingerichtet, ihre Familien kamen in ‚Sippenhaft’. 2 Angesichts der sich dramatisch verschlechternden Frontlage und eingedenk dieser Gefahr wurden in Führungsetagen der deutschen Mono pole und in den Machtzentren des NSRegimes ernsthafte Überlegungen über die politische Gestaltung der Nachkriegszeit und die Sicherung ihrer Interessen angestellt. Kaum beachtet aber besonders bemerkenswert ist dabei der von SSBrigadeführer im SD Franz Hayler (19001972) und der SSGruppenführer im RSHA Otto Ohlendorf (19071951) im November 1943 mit Wissen Heinrich Himmlers und Martin Bormanns (19001945) gegründete ‚Außenwirtschaftskreis’. Dessen eigentliche Aufgabe war es, in engster Zusammenarbeit mit der Reichsgruppe Industrie und dem von dieser Reichsgruppe eingerichteten ‚Institut für Industrieforschung’ Vorbe reitungen für die wirtschaftliche Gestaltung der Nachkriegszeit zu treffen. Niemand anders als der später als ‚Vater des westdeutschen Wirtschafts wunders’ gepriesene verfasste im Auftrag dieses Gremi ums eine Denkschrift mit dem Titel „Kriegsfinanzierung und Schuldenkon solidierung“, die in Zusammenarbeit mit dem NSDAPMitglied und Wehr wirtschaftsführer Friedrich Flick (18831972), Ohlendorf, Mitglied der NSDAP und des ‚Frendeskreises Reichsführer SS’ Karl Blessing (1900 1971) und anderen Führungskräften der deutschen Wirtschaft für die Aus arbeitung eines ‚Programms für die wirtschaftlichen Nachkriegsprobleme’ herangezogen wurde. 3 Hier ging es nicht mehr ‚nur’ um verzweifelte Versuche verschiedener SSChargen, durch Einzelverhandlungen zwischen Himmler, dem schwedischen Folke Bernadotte Graf von Wisborg (1895 1948) und britischen Diplomaten 4, oder über Kontakte des SSOber gruppenführers und Generals der Waffen SS Karl Heinz Wolff (19001984) mit Vertretern der USA 5 das eigene Überleben zu sichern. Das waren durchaus ernst gemeinte und – wie die Nachkriegskarriere einiger Beteilig

1 ebenda S. 158f 2 ebenda S. 160 3 J. Angenfort Ludwig Erhards Kariere begann schon vor 1945, ‚Unsere Zeit’ v. 21.2.1997 S. 4 4 nach История второй мировой войны 19391945, том десятый – Завершение разгрома фашистской германии, (Geschichte des Zweiten Weltkrieges, Band 10, Die Zerschlagung des faschistischen Deutschland), Москва 1979, S. 359 5 nach Der Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Interntionalen Militärgerichtshof, Nürnberg 14. November 1945 1. Oktober 1946, a.a.O., Bd. 9, S. 226

48 ter aber vor allem die Nachkriegsgeschichte der deutschen Monopole und Banken belegt – durchaus auch mit Erfolg gekrönte Unternehmen. Doch diese Traditionslinie findet in der Aufarbeitung der historischen Hintergründe des dritten Reiches bei bundesdeutschen Historikern keine Aufmerksamkeit. Hier wird eine Revision der Geschichtsschreibung angestrebt, in der die Niederlage des deutschen Faschismus und deren sozialökonomische Hintergründe in einer Art und Weise dargestellt wer den, die letztlich einer nachträglichen Legitimation des Kampfes gegen den Kommunismus gleichkommt. Dies ist ein weiterer untauglicher Ver such, die Verantwortung der deutschen Monopole und Banken für die Vorbereitung der Machtübernahme durch die Nazis und ihre unmittelbare Mitwirkung an deren verbrecherischer Machtausübung zu relativieren und die Sicht auf diese Verbrechen und ihre gerichtsnotorisch dokumentierte Schuld zu revidieren. Dazu gehören immer neue Versuche, den Wider stand gegen den Faschismus als unmoralisch, illegitim aber auf jeden Fall unwirksam und vergeblich zu diskriminieren. In besonderer Schärfe richtet sich dies gegen den kommunistischen Widerstand. Man kann es drehen und wenden wie man will: Wer die Kämpfer des kommunistischen Wider standes im Stile der SchumacherSozialdemokraten und ihrer Nachbeter als ‚rotlackierte Faschisten’ resp. als Anhänger einer anderen Spielart des Totalitarismus diskreditiert, macht sich die Argumentation der Gestapo zu eigen. Diese Diskussion konnte in den westlichen Besatzungszonen und in der BRD nicht in einer Atmosphäre unvoreingenommen nüchterner Ana lyse der jüngsten Geschichte stattfinden. Sie war ein inhärentes Moment der Auseinandersetzungen um die gesellschaftliche Entwicklung, die durch die Kontinuität der alten wirtschaftlichen Machtverhältnisse und in deren Folge zunehmend durch die Kontinuität des Antikommunismus geprägt war und ist. In vielen Stellen blieben die alten Nazis in ihren Ämtern. Wo es Unterbrechungen gab, wurde dies innerhalb weniger Jahre korrigiert. Globke, Oberländer, (19041988), Heinrich Lübke (18941972), Filbinger etc. waren keine Ausnahmen, sondern Symbole einer personellen Kontinuität, die im Justizwesen, in der Polizei, bei den Geheimdiensten, im Verwaltungsapparat, an den Schulen und Universi täten ebenso praktiziert, wie in den bürgerlichen Parteien. Kriegsver brecher wurden und werden für ihre Verbrechen nur dann verfolgt, wenn sich dies absolut nicht mehr verhindern ließ resp. lässt.

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Das durch das Grundgesetz der Bundesrepublik garantierte Verbot der Auslieferung von Deutschen an das Ausland 1 diente und dient bis heute vor allem der Strafvereitelung für Kriegsverbrecher. Das trifft nicht nur den eben erst nach über einem halben Jahrhundert(!) wegen eines(!) nachgewiesenen Mordes abgeurteilten SSOberscharführer Anton Malloth (19122002), gegen den die Staatsanwaltschaft Dortmund 1970 trotz der damals vorliegenden 105(!) vorgeworfenen Mordfälle angeblich ‚keine Ermittlungschancen sah’. 2 Auch im Fall des für die Ermordung von min destens 59 italienischen Gefangenen verantwortlichen SSObersturmfüh rers Friedrich Engel (19092006) stellt der Spiegel die bemerkenswerte naive Frage, ob denn „Deutschlands Justiz mal wieder NaziSchergen (deckte)?“ 3 Und wenn denn der Widerstand überhaupt als solcher akzeptiert werden muss wird in der jüngeren Geschichtsschreibung der Bundes republik der Eindruck erweckt, als habe es diesen in wirklich ernst zu nehmender Form nur seitens des Militärs und der einflussreichen Kreise des liberalen und konservativen Bürgertums und der Kirchen gegeben. 4 In Fortsetzung dieser Traditionslinie hatte Lothar Fritze vom Dresdner ‚HannahArendtInstitut für Totalitarismusforschung’ die Stirn, dem katholischen Arbeiter Georg Elser (19031945) sogar jegliche moralische Berechtigung für dessen Attentat auf Hitler abzusprechen, weil es nach Fritzes Meinung zu diesem Zeitpunkt noch keinen hinreichenden Grund für einen Mord gegeben hätte. 5 Und immer wieder ist davon die Rede, dass der organisierte Wider stand von Kommunisten und Sozialdemokraten letztlich vergeblich gewe sen sei. Im Resultat seiner Untersuchung stellt Schmid nicht nur das Scheitern des organisierten sozialdemokratischen Widerstandes fest. Er konstatiert sogar die „Vergeblichkeit dieses Widerstandes“ und stellt in diesem Zusammenhang die Frage, ob denn nicht doch die ‚schweigende Mehrheit’ der Sozialdemokraten recht gehabt hätte, die auf aktiven Wider stand verzichtete und mit ‚widerwilliger Anpassung ‚überwintern’ wollte’. Völlig unverständlich bleibt es dann allerdings, wie Schmid angesichts

1 siehe Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland Artikel 16 (2): Kein Deutscher darf an das Ausland ausgeliefert werden.... 2 R. Heilig Lebenslänglich für den inszenierten Alten, Neues Deutschland v. 31.5.2001, S. 2 3 G. Bönisch, C. Holm, H.J. Schlamp: „Schrank der Schande“ Deutschland gerät international unter Druck, Staatsanwälte sollen Ermittlungen gegen einen NSTäter verschlampt haben. Nur: Italienische Beamte hielten die Akten versteckt. Spiegel 17/2001, S. 56ff 4 K.D.Bracher Auf dem Wege zum 20. Juli 1944, in: R.Löwenthal/P.v.z.Mühlen: Widerstand und Verweigerung in Deutschland 1933 bis 1945, Berlin/Bonn 1982, S. 146 5 H. Canje Dresdner Schieflage, ‚antifa’ März 2000, S. 5, siehe auch: Die Logik des Verdachts, Prof. Alfons Söllner äußert sich zum öffentlichen Gebrauch der Widerstandsforschung, unter: http://www. tuchemnitz.de/spektrum/99 4/tu10.html

50 derart weit reichender Unterordnung unter die herrschenden Verhältnisse davon sprechen kann, dass „die Zeit der Illegalität ohne Identitätsverlust“ überstanden werden sollte. Eine Antwort auf die Frage, wie Abwarten, der Verzicht auf Widerstand und „widerwillige Anpassung“ an das Naziregime als ‚Illegalität’ gedeutet werden, wie unter solchen Umständen eine alternative Identität gewahrt bleiben kann, bleibt nicht nur Schmid schul dig. 1 Finker und Busse zitieren Ricarda Huch (18641947), die ihren Standpunkt in den Worten zusammenfasste: „Sie sind dennoch nicht umsonst gestorben!“ Aber beide verweisen auch darauf, dass der antifa schistische Widerstand nicht nur „ideelle Wirkungen gezeitigt“ hat, son dern „nachweislich dazu bei(trug), das Regime zu schwächen und seine Niederlage zu beschleunigen.“ 2 Man kann dies drehen und wenden, wie man will: Im Streit um die historische Wertung der Opfer und des Widerstandskampfes gegen den Faschismus bricht sich nicht nur das Echo der Widersprüche zwischen kommunistischen, sozialdemokratischen, bürgerlichen und anderen Vertretern des antifaschistischen Widerstandes. Obwohl immer wieder der Anschein erweckt wird, dass dieses Thema durch den Gang der Ereignisse erledigt sei – dieser Streit bleibt so lange offen, wie die Gründe für diese Auseinandersetzung fortexistieren und neue Nahrung finden. Kommuni sten verweisen mit der durch den Gang der historischen Ereignisse bestä tigten Erfahrung darauf, dass von ihnen schon bei den Reichspräsidenten wahlen im April 1932 mit der zentralen Wahllosung gewarnt wurde: „Wer Hindenburg wählt, wählt Hitler! Wer Hitler wählt, wählt den Krieg!“ 3 Und nicht wenige Sozialdemokraten sahen ihre antikommunistischen Vorbehal te durch den von der KPD erhobenen Vorwurf des ‚Sozialfaschismus’ auch noch nachträglich gerechtfertigt. Die Mehrzahl derer, die darauf gehofft hatten, durch ihre Partei in den Kampf geführt zu werden, zog sich nach dem Scheitern dieser Hoffnung in das Familien und Arbeitsleben zurück. Die Masse der Bevölkerung lebte in der Hoffnung, dass alles nicht so schlimm kommen werde. Davon ließen sich auch die rechten Führer der SPD leiten. Widerstandslos wurde geduldet, dass am 13. März das Reichs banner verboten und das Eigentum sozialdemokratischer Organisationen und Wirtschaftsbetriebe beschlagnahmt wurde. Am 21. April wurden Mit glieder dieses SPDVorstandes verhaftet, unter ihnen auch Hermann Lieb mann.

1 H.D. Schmid Der organisierte Widerstand der Sozialdemokraten in Leipzig 19331935, in: Zwei Städte unter dem Hakenkreuz Widerstand und Verweigerung in Hannover und Leipzig 19331945, a.a.O., S. 56 2 K. Finker, A. Busse: Stauffenberg und der 20. Juli 1944, Berlin 1984, S. 301 3 siehe u.a. Ernst Thälmann, unter: http://de.wikipedia.org/wiki/Ernst_Th%C3%A4lmann

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Wie immer, wenn es um lebensgefährliche Risiken geht, liegt die Wahrheit in einem Bündel extrem widersprüchlicher Motive begraben. In einem Gemisch von politischer Naivität und Raffinesse, aus der Bequem lichkeit disziplinierter Pflichterfüllung, in der Anpassung an Karrierechan cen sowie aus durchaus berechtigter Angst vor der überall demonstrierten Bereitschaft zur Anwendung brutalster Gewalt verabschiedeten sich viele, die eben noch ein Parteibuch von SPD oder KPD gehabt hatten. Kaum jemand wollte jetzt noch etwas damit zu tun haben, wenn Kommunisten, Sozialdemokraten und andere politische Gegner verhaftet wurden. Um so höher ist der Mut jener Frauen und Männer zu werten, die angesichts des brutalen Terrors ihrer Gegner in einer für sie selbst zumeist aussichtslosen Situation nicht abtauchten, sich nicht anpassten und irgendwie durchzu kommen suchten, sondern angesichts der tödlichen Gefahr organisierten Widerstand leisteten. Schon der Umstand, dass die Richter des Naziregi mes bei gleichen ‚Vergehen’ eine „eklatant unterschiedliche Behandlung von Kommunisten und Sozialdemokraten“ 1 praktizierten, lässt deutlich werden, dass dieser Widerstand von den Nazis keineswegs als vergeblich, sondern vielmehr als die einzige ernst zu nehmende Bedrohung ihrer Macht angesehen wurde. Angesichts der schuldhaften Verstrickung fast aller Bürger dieses Landes in die Verbrechen der Nazis war dies die Ehrenrettung des anderen Deutschland. Welche politische Bedeutung diesem Umstand beigemessen wurde und welche Hoffnungen damit verbunden waren, erlebte jeder, der im Ausland auf die Frage antwortete, aus welchem Deutschland er denn komme. Der antifaschistische Kampf war Kern, Ausgangspunkt und Grundlage für einen demokratischen Neubeginn nach der Zerschlagung des Faschismus durch die AntiHitlerKoalition. Wenn in diesem Zusammenhang Werner Bramke (1938) zitiert wurde, der sich selbst auf seine Beschäftigung mit dem Widerstand gegen den Nationalsozialismus beruft, so sind doch einige Bemerkungen zu der Art und Weise angebracht, in der dieser glaubt, über die Männer des kommunistischen Widerstandes urteilen zu dürfen. Die Kritik richtet sich weniger gegen die Sachkenntnis der Details aber gegen die Wertung des Handelns derer, die damals unter Gefahr für und unter Einsatz ihres Lebens aktiven Widerstand leisteten. Bramke kann nicht nur nicht nach vollziehen, dass sich Georg Schumann trotz Bedenken unter den dama ligen Bedingungen der von ihm verkürzt als ‚SozialfaschismusKurs’ abqualifizierten Thälmannschen Linie verpflichtet fühlte. Ihm bleibt es

1 H.D. Schmid Der organisierte Widerstand der Sozialdemokraten in Leipzig 19331935, in: Zwei Städte unter dem Hakenkreuz Widerstand und Verweigerung in Hannover und Leipzig 19331945, a.a.O., S. 56

52 auch unverständlich, warum „ein so eigenständig denkender Mann wie Zipperer die sowjetische Position (verteidigte).“ Eine solche Haltung glaubt er, als „gläubig“ ansehen zu können. Folgerichtig finden all jene bei Bram kes volles Verständnis, die in den kommunistischen Überzeugungen und im konsequenten antifaschistischen Handeln von Schumann, Engert und Kresse „eine gewisse Sturheit, ja Eindimensionalität der Persönlichkeit“ entdecken.... 1 Ist daraus zu schließen, dass diese kommunistischen Widerstands kämpfer in Bramkes Vorstellungen von der Persönlichkeitsentwicklung erst dann uneingeschränkte Achtung verdienen, hätten sie sich im illegalen Kampfes gegen den Faschismus auf eine allseitige Erörterung der damals nicht einmal im Ansatz bekannten Deformationen des Sozialismus in der Sowjetunion konzentriert? Weil er an anderer Stelle über eine „durch die Klassenkampfbedingungen(!) erzwungene .. gewisse Einseitigkeit, viel leicht sogar Verarmung“ der Persönlichkeitsentwicklung der meisten Kom munisten 2 räsoniert, ist zu fragen, ob nicht viel eher die ideologischen Zwänge einer Neuorientierung Ausgangspunkt seiner kritischen Distan zierung zum kommunistischen Widerstand auszumachen sind. Was hier als ‚Sturheit’ und ‚Eindimensionalität’ abqualifiziert wird, ist viel eher dem durch politische Vorurteile der Gegenwart geprägten Urteil dieses Autors geschuldet. Dieser Eindruck drängt sich um so mehr auf, weil Bramke bei der Charakterisierung des Verhaltens eines KPDStadtverordneten, der dem Druck der Haft nicht standhielt sogar Nazijargon verwendet: „Dasecke wurde 1933 in einem Lager von den Nazis so ‚bearbeitet’, dass er sich vom Kommunismus lossagte und für sie agitierte.“ 3 Im Unterschied dazu unternimmt Bramke den Versuch, Goerdelers Geständigkeit vor der Gestapo mit nicht näher bezeichneten und folglich auch nicht begründeten „umstrittenen Motiven“ zu rechtfertigen. 4 Auch der Umstand, dass das von Goerdeler nach seiner Verhaftung schließlich abgegebene Bekenntnis zu Hitler 5 bei der Charakterisierung dieses Mannes ignoriert wird, provoziert

1 W. Bramke Kommunistischer Widerstand und linkssozialistisches Milieu in Leipzig, in: M. Buchholz /C. FüllbergStolberg/H.D. Schmid: Nationalsozialismus und Region, Hannoversche Schriften zur Regional und Lokalgeschichte, Bd. 11, a.a.O., S. 212f 2 derselbe Führend im Widerstand: Georg Schumann und Carl Goerdeler, in: W. Bramke: Carl Goerdeler und Leipzig, Leipzig 1995, S. 36 3 derselbe Carl Goerdelers Weg in den Widerstand, Texte zur politischen Bildung, Leipzig 1995, S. 56, siehe auch: Otto, Walter, u. Fritz Dasecke: Vom Kommunismus über die Schutzhaft zum Nationalsozialismus. — Leipzig: Der nationale Aufbau 1934. nach: http://polunbi.de/bibliothek /1947nslito.html 4 ebenda S. 48 5 G. Ritter Carl Goerdeler und die deutsche Widerstandsbewegung, Stuttgart 1955, S. 431: „Wenn wir das Vaterland über alles stellen, was doch unser Glaube ist, so haben wir den 20. Juli als ein endgültiges Gottesurteil zu achten. Der Führer ist vor sicherem Tode bewahrt. Gott hat nicht gewollt, dass Deutschlands Bestand, um

53 weitere Fragen nach den Ursachen einer derart unterschiedlichen Bewer tung von verschiedenen Verhaltensweisen unter durchaus vergleichbaren Bedingungen. Zwar ist das, was unter dem Druck der GestapoHaft geschrieben wurde, allzumal mit Vorsicht zu genießen. Aber unter diesen Bedingungen schrieben Goerdeler, Schumann und andere Antifaschisten ihre letzten Worte. Von Georg Schumann stammt die Erklärung: „Ich bin als Sozialist geboren und habe als Sozialist gelebt und gekämpft“. Otto Engert schrieb angesichts des Schafotts: „Mein Leben hat sich erfüllt. Ich gebe es hin mit dem Bewusstsein, getan zu haben, wozu mich Überzeugung und Pflicht zwangen.“ Und Kurt Kresse fasst zusammen: „Leider ist mein Leben nicht in aller Befriedigung abgeschlossen...“ 1 Doch die Tatsache, dass „selbst schwere Zweifel und zeitweilige Abtrennung die Grundüberzeugungen nicht erschüttern konnten“ ist für Bramke nicht etwa ein hinreichender Grund, die Charakterfestigkeit dieser Männer zu würdigen. Er qualifiziert dies als eine als gläubig anzusehende Haltung. 2 Bramke beschreibt Carl Goerdeler, als den Mann, dessen „bedeu tendstes Verdienst (es gewesen sei K.H.), die großbürgerliche Verschwö rung gegen Hitler initiiert und wenigstens in den ersten Jahren auch orga nisiert zu haben, obwohl von einer Organisation im Sinne der proleta rischen Widerstandsgruppen nicht gesprochen werden kann.“ 3 Dieser Mann spricht unter Bedingungen, die mit der Haft der oben genannten Kommunisten mit Sicherheit sicher nicht in jeder Hinsicht vergleichbar waren, selbst von seinem Glauben und beruft sich auf ‚Gottes Willen’ um die noch nicht verhafteten Angehörigen des Widerstandes mit dieser Begründung zur Unterstützung Hitlers aufzurufen. 4 Noch einmal: Schon

dessen Willen ich mich beteiligen wollte und beteiligt habe, mit einer Bluttat erkauft wird; er hat auch dem Führer diese Aufgabe neu anvertraut. Das ist alte deutsche Auffassung. Jeder Deutsche in der Reihe der Umsturzbewegung ist nunmehr verpflichtet, hinter den von Gott geretteten Führer zu treten, auch die Mittel, die einer neuen Regierung zur Verfügung gestellt werden sollten, rückhaltlos ihm zu geben; ob er sie nützen will, für brauchbar hält, entscheidet er.“ zitiert nach: Finker / Busse: Stauffenberg und der 20. Juli 1944, a.a.O., S. 273 1 zitiert nach W. Bramke: Kommunistischer Widerstand und linkssozialistisches Milieu in Leipzig, in: M. Buchholz/ C. FüllbergStolberg / H.D. Schmid: Nationalsozialismus und Region, Hannoversche Schriften zur Regional und Lokalgeschichte, Bd. 11, a.a.O., S. 212f 2 daselbst 3 W. Bramke Führend im Widerstand: Georg Schumann und Carl Goerdeler, in Carl Goerdeler in Leipzig, a.a.O., S. 46 4 G. Ritter Carl Goerdeler und die deutsche Widerstandsbewegung, Stuttgart 1955, S. 431: „Wenn wir das Vaterland über alles stellen, was doch unser Glaube ist, so haben wir den 20. Juli als ein endgültiges Gottesurteil zu achten. Der Führer ist vor sicherem Tode bewahrt. Gott hat nicht gewollt, dass Deutschlands Bestand, um dessen Willen ich mich beteiligen wollte und beteiligt habe, mit einer Bluttat erkauft wird; er hat auch dem Führer diese Aufgabe neu anvertraut. Das ist alte deutsche Auffassung. Jeder Deutsche in der Reihe der Umsturzbewegung ist nunmehr verpflichtet, hinter den von Gott geretteten Führer zu treten, auch die Mittel, die

54 die Tatsache, dass diese Worte in der Gestapohaft geschrieben wurden, verbieten ein sich darauf gründendes Urteil. Aber die Differenz zwischen der Haltung der von Bramke derart unsachlich kritisierten Kommunisten und der des – von Bramke mit äußerster Schonung behandelten – Goer deler ist ebenso offensichtlich, wie die Unverhältnismäßigkeit der dieser tendenziösen ‚Bewertung’ zugrunde liegenden Kriterien. Wer sich der Mühe macht, die politischen und menschlichen Heraus forderungen der damaligen Verhältnisse zu verstehen, wird bald begrei fen, dass man es hier mit einer, den Einsichten des politischen Kampfes dieser Zeit verpflichteten Aufrichtigkeit und Konsequenz des Lebens dieser Kommunisten im antifaschistischen Widerstandskampf zu tun hat, die von ihnen unter unvorstellbaren Opfern und Leiden gewonnen wurden. An anderer Stelle spricht Bramke von der „Überzeugungstreue, Klugheit und Charakterstärke dieses bemerkenswerten Kommunisten.“ 1 Dies verbietet jede Leichtfertigkeit des Urteilens, selbst und gerade dann, wenn im pragmatischen Rahmen einer den Wechselfällen politischer Erwägungen nicht mehr gewachsenen Orientierungsfähigkeit kaum noch Raum zu blei ben scheint. Die Wertung der hier inkriminierten Haltung deutscher Kom munisten zur Sowjetunion war, ist und bleibt untrennbar mit der Tatsache verbunden, dass die zunächst unbesiegbar erscheinende aggressive Bar barei des Faschismus erst und vor allem durch die ungeheuren Opfer des Großen Vaterländischen Krieges der Völker der UdSSR aufgehalten werden konnte. Wer heute glaubt, dies angesichts der gegenwärtigen politischen Zustände ignorieren zu dürfen, sollte sich die Frage stellen, wie die Welt von heute ohne die historische Leistung des einzigen Staates aussehen würde, der dem Überfall Hitlerdeutschlands standhielt und unter furcht baren Opfern die Befreiung Europas vom Faschismus einleitete.... Schmid konstatiert, dass „für den nationalsozialistischen Staat die Kommunisten der eigentliche ideologische Gegner waren, den es bedin gungslos und mit allen Mitteln zu bekämpfen galt.“ 2 In der KPD 3 aber auch in der SPD 4 wurde der Übergang in die Illegalität vorbereitet. Schreib maschinen und Vervielfältigungsgeräte wurden in Wohnungen, Schuppen

einer neuen Regierung zur Verfügung gestellt werden sollten, rückhaltlos ihm zu geben; ob er sie nützen will, für brauchbar hält, entscheidet er.“ zitiert nach: Finker / Busse: Stauffenberg und der 20. Juli 1944, a.a.O., S. 273 1 W. Bramke Führend im Widerstand: Georg Schumann und Carl Goerdeler, in Carl Goerdeler in Leipzig, a.a.O., S. 46 2 H.D. Schmid Gestapo Leipzig, Politische Abteilung des Polizeipräsidiums und Staatspolizeistelle Leipzig 19331945, a.a.O., S. 37 3 siehe In der Revolution geboren In den Klassenkämpfen bewährt. Geschichte der KPD Bezirksorganisation LeipzigWestsachsen, a.a.O., S. 371 ff 4 H.D. Schmid Der organisierte Widerstand der Sozialdemokraten in Leipzig 19331935, in: Zwei Städte unter dem Hakenkreuz Widerstand und Verweigerung in Hannover und Leipzig 19331945, a.a.O., S. 35ff

55 und Kellern verborgen, Mitgliederlisten und andere Dokumente wurden vernichtet, ehe sie der SA in die Hände fielen. Zugleich wurden durch ihre Bekanntheit gefährdete Funktionäre in die Emigration geschickt oder in anderen Regionen eingesetzt. Zwar gab es tief greifende Enttäuschungen, Resignation und Verzweiflung in deren Resultat sich ganze Ortsvereine der SPD auflösten. Aber antifaschistische Aktivitäten der Parteilinken und der SAJ beschränkten sich nicht nur auf individuelle Aktionen. 1 Schmid beschreibt die Aktivitäten der ‚vorstandstreuen’ Gruppe GünterFichte, der Gruppe Zorn, der ‚NeuBeginnenGruppe’ um Erich Pemmann, der SAJ, der Sozialistischen Schülergemeinschaft, der SAPGruppe und des ISK. 2 Aber dabei wird die massive Kritik der im Widerstand aktiven Genossen der SPD an der noch immer abwartenden Haltung des Parteivorstandes eher noch deutlicher. 3 Auch in der SPD gab es zum Widerstand entschlos sene Genossen und eine Reihe Funktionäre, die dies aktiv und mit allen Kräften unterstützten. 4 Zugleich ist es bezeichnend, wenn die sich unter diesen Bedingungen von der Basis herausbildende Kooperation zwischen ehemaligen SAJMitgliedern beim Wiederaufbau des KJVD von Schmid auch nachträglich nur als ein ‚gewünschter Erfolg der Einheitsfronttaktik der Kommunisten’ interpretiert wird. 5 Werner Bramkes Überlegungen zu ‚Problemen der Forschung’ erwei sen sich vor diesem Hintergrund als ebenso untauglicher wie sein inkon sequenter Versuch eines verschämten Geschichtsrevisionismus. Sie sind untauglich, weil mit der undifferenziertkritiklosen Übernahme des Vor wurfes von „ritualisierten Formen“ eines ‚Kultes’ um den kommunistischen Widerstand der Ritus antikommunistische Sprachregelungen an die Stelle einer nüchternen Analyse gesetzt werden. Sie sind undifferenziert, weil damit die Frage nach den Motiven des persönlichen Einsatzes der Angehö rigen des kommunistischen Widerstandes von vornherein als eine Art Göt zendienst abqualifiziert werden. Unabhängig davon, ob dies der Autor selbst so wollte: Mit der Leistung dieser Frauen und Männer entgegen gebrachten Achtung werden auch ihr persönlicher Mut und die Integrität ihrer Persönlichkeit, vor allem aber ihre sozialistischen Überzeugung ge troffen. Nicht einmal die Tatsache, dass sie dafür mit ihrem Leben ein

1 siehe In der Revolution geboren In den Klassenkämpfen bewährt. Geschichte der KPD Bezirksorganisation LeipzigWestsachsen, a.a.O., S. 374 2 H.D. Schmid Der organisierte Widerstand der Sozialdemokraten in Leipzig 19331935, in: Zwei Städte unter dem Hakenkreuz Widerstand und Verweigerung in Hannover und Leipzig 19331945, a.a.O., S. 3754 3 ebenda S. 40f 4 siehe In der Revolution geboren In den Klassenkämpfen bewährt. Geschichte der KPD Bezirksorganisation LeipzigWestsachsen, a.a.O., S. 381 5 H.D. Schmid Der organisierte Widerstand der Sozialdemokraten in Leipzig 19331935, in: Zwei Städte unter dem Hakenkreuz Widerstand und Verweigerung in Hannover und Leipzig 19331945, a.a.O., S. 51

56 traten lässt innehalten. Und schließlich leiden diese Überlegungen an der unangenehmsten Form der Kritiklosigkeit, an einem eklatanten Mangel an Selbstkritik: Wer die Achtung vor dieser Lebensleistung als ‚Heroisierung’ und ‚Mythologisierung’ empfindet, sollte sich fragen, wo die Ursache für einen derart bemerkenswerten Sinneswandel zu suchen sind. Gleichwohl: Die historische Wertung der Lebensleistung der Kämpfer des kommuni stischen Widerstandes war und wird umstritten bleiben. In der dazu ein genommenen Haltung sagen die Streitenden viel mehr über sich selbst. An der Deutlichkeit dieser Kritik sind auch deshalb keine Abstriche zu machen, weil es in Bramkes Wertung historischer Ereignisse eine be merkenswerte Tendenz gibt. So wies er 1986 in seinem Beitrag zur Geschichte der Leipziger KPDBezirksorganisation u.a. auf die ‚Gefahr’ hin, die darin zu erkennen gewesen wäre, dass eine Arbeiterregierung „zu lan ge im Rahmen dieser (bürgerlichen K.H.) Demokratie .. bleibe“ 1, er mo niert „Halbheiten bei der Aufstellung der proletarischen Hundertschaften“ 2 und schildert – im Unterschied zu den weit nüchterneren Überlegungen der Rosa Luxemburg 3 das Echo der Oktoberrevolution in der Leipziger Arbeiterklasse sehr undifferenziert. Seinerzeit wurden von ihm Positionen vertreten, die weniger aus der Suche des Verständnisses für die in histo rischer Zeit Handelnden als in der Einordnung dieser Sachverhalte in die aktuellen politischen Auseinandersetzungen des darüber Schreibenden zu verstehen sind. Dies wiederholt sich. Damals gab es ein Urteil, das eher zum linken Sektierertum zuzu ordnen ist. Heute ist es dann doch erlaubt, anzufragen warum der Ver fasser dieser Positionen glaubt, dem William Zipperer nach der Wende vorwerfen zu dürfen, dass bei einem so „eigenständig denkenden Mann“ „immer das Bestreben erkennbar blieb, mit der sozialistischen Bewegung und mit dem sozialistischen Mutterland (für das die UdSSR gehalten wurde) in Verbindung zu bleiben.“ 4 Die ‚Probleme der Forschung’, das er weist sich bei gründlicher Prüfung, sind Probleme der Haltung des Prof. Bramke: Die von ihm vor der Wende verinnerlichten Selbstverständlich keiten der Darstellung des kommunistischen Widerstandes sind mit der heute erwarteten Diskriminierung und Delegitimierung des Kommunismus nicht mehr vereinbar.

1 siehe In der Revolution geboren In den Klassenkämpfen bewährt. Geschichte der KPD Bezirksorganisation LeipzigWestsachsen, a.a.O., S. 98 2 ebenda S. 109 3 R. Luxemburg Zur russischen Revolution, in: R. Luxemburg: Gesammelte Werke, Berlin 1990, S. 359ff 4 W. Bramke Kommunistischer Widerstand und linkssozialistisches Milieu in Leipzig, in: M. Buchholz / C.FüllbergStolberg/ H.D. Schmid: Nationalsozialismus und Region, Hannoversche Schriften zur Regional und Lokalgeschichte, Bd. 11, a.a.O., S. 212

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Es ging und es geht nicht um die naive Unterscheidung eines ‚guten’ von einem ‚weniger guten’ Antifaschismus. 1 Wer immer eine solche Differenzierung vornahm oder vornimmt, muss sich fragen lassen, was dies leisten soll. Aber es ist eine Tatsache, dass es nicht nur aus dem lin ken politischen Spektrum Widerstand gegen Hitler gab. Zwar konnte der Widerstand aus Kreisen der Kirchen, seitens bürgerlicher Liberaler und aus dem rechtskonservativen Lager allein schon auf Grund ihrer wesentlich größeren Affinität zu den politischen Zielstellungen der Nazis nicht annä hernd so stark entwickelt sein, wie auf Seiten der politischen Linken. Aber trotz der massiven Unterstützung der Nazis durch die Spitzen der deut schen Monopolbourgeoisie, Unternehmerverbände, den Stahlhelm und die Kirchenleitungen gab es auch Angehörige des Bürgertums, die nicht zuletzt aus vorausschauender Wahrnehmung ihres Klasseninteresses mas sive Bedenken gegen die politischen Perspektiven Hitlerdeutschlands hatten. Nur hinsichtlich der Beseitigung der Macht der Nazis konnte dieser Antifaschismus von rechts mit den weit darüber hinausgehenden politi schen Zielstellungen des antifaschistischen Kampfes der Linken und insbe sondere der Kommunisten übereinstimmen. Die Vorstellung von weiter gehenden Gemeinsamkeiten der Antifaschisten war tatsächlich von Anbe ginn eine Illusion. 2 Wenn es noch eines weiteren Beweises bedurft hätte: Die Spaltung Deutschlands, die Gründung, die Entwicklung und das Schei tern der DDR sind auch auf die längst nicht abgeschlossenen dramatischen Kämpfe zwischen politischen Gruppierungen zurück zu führen, die seiner zeit in der Frage der Notwendigkeit des Sturzes des Hitlerregimes gleiche Positionen aber verschiedene Ziele vertraten. Es war keine Frage der DDR‚Sprachregelung’, wenn Goerdeler hier zulande als Reaktionär charakterisiert wurde, „der in der Verschwörung des 20. Juli 1944 Imperialismus und Militarismus zu retten versuchte und sich durch fanatischen Antikommunismus und ... Hass gegen die Sowjet union ausgezeichnet habe“. 3 Diese Einschätzung ist älteren Datums. Sie stammt von Peter Yorck von Wartenburg und Helmut James Graf von Moltke, die die GoerdelerGruppe wegen ihrer erklärten restaurativen Ziel stellungen auch anderen gegenüber als „Kreis von Rektionären“ 4 und ihn persönlich als „Erzreaktionär“ 5 bezeichneten. Die prinzipielle Art dieser grundlegenden Widersprüche in den politischen Zielstellungen wird auch dadurch charakterisiert, dass Goerdeler seine Kritiker im Kreisauer Kreis

1 derselbe Annäherung an eine widerspruchsvolle Persönlichkeit Gedanken zum 50. Jahrestag der Hinrichtung Carl Goerdelers, in: Carl Goerdeler und Leipzig, a.a.O., S. 20 2 ebenda S. 9 3 ebenda S. 16 4 K.Finker Graf Moltke und der Kreisauer Kreis, Berlin 1978, S. 163 5 ebenda S. 162

58 als „Salonbolschewisten“ 1 bezeichnete. Im Unterschied dazu sind die Moti ve für die von Bramke angemerkten Zugeständnisse, die Goerdeler und seine Freunde den demokratischen Kräften gemacht haben sollen, nicht eindeutig geklärt. Bramke vermutet , dass Goerdeler nur deshalb zum Nationalkomitee Freies Deutschland (NKFD) Kontakt aufnahm, um „dieses zu kontrollieren“. Er assoziiert Goerdelers Bemühungen um Verbindung zu den Kommunisten nur im Zusammenhang mit der Absicht, diese nach dem Umsturz als selbständigen Faktor auszuschalten.2 Selbst wenn, wie Bramke jetzt feststellt, dies in der marxistischen Geschichtsforschung zu wenig berücksichtigt wurde, ändert dies doch nichts an der Bewertung der politischen Positionen des Carl Goerdeler. Er war ein Reaktionär, dessen Antifaschismus eine Antwort auf die, die Macht der Monopole gefährdenden Risiken des Naziregimes war. Goerdeler und die an der Verschwörung beteiligten Generäle waren nicht bereit, die unter offenem Bruch des Völkerrechts okkupierten deutschsprachigen Länder und Gebiete herauszugeben und sie wollten den Krieg gegen die Sowjetunion fortzusetzen. Diese Ziele wurden nur und erst in dem Maße aufgegeben, in dem sich die Frontlage zu ungunsten Hitlerdeutschlands änderte. 3 Wie Bramke angesichts dessen zu der Meinung kommt, dass sich Goerdeler von der „Einsicht eines Nationalisten [leiten ließ K.H.] aus Verantwortung für Deutschland und für den Weltfrieden [!!?? K.H.] alles zu wagen, um Hitler in den Arm zu fallen“ 4 bleibt unverständlich. Auch in einem anderen, nicht weniger wesentlichen Zusammenhang wird die Widersprüchlichkeit des Widerstandes Goerdelerscher Intention deutlich. Goerdeler war Antisemit. Bramke mag sich an der Schärfe der Sprache stören. Aber wenn er darauf hinweist, dass „kein Zweifel an Goer delers Überlegungen für einen Judenstaat“ 5 besteht, bestätigt er doch nur mit anderen Worten die Vorwürfe Norbert Köhlers, der Goerdeler als einen ‚Rassisten minderer Brutalität’ qualifiziert, der „statt der Vergasung die Deportation der Juden“ anstrebte. 6 Heute ist es nicht mehr bestreitbar, dass mit dieser Art von nationalistisch verstandener und praktizierter Pflichterfüllung der Weg nach Auschwitz und die ‚Endlösung der Juden

1 daselbst 2 W. Bramke Führend im Widerstand: Georg Schumann und Carl Goerdeler, in: Carl Goerdeler in Leipzig, a.a.O., S. 47f 3 siehe „Das Regierungsprogramm vom 20. Juli 1944 Karl Goerdelers geplante Rundfunkrede nach Übernahme der öffentlichen Gewalt“ aus dem Nachlass herausgegeben von Professor Dr. Gerhaard Ritter, in: Die Gegenwart v. 24.6.1946, S. 11, SStAL Kammgarnspinnerei Stöhr & Co. Lpzg. Nr. 577 4 W. Bramke Einblicke in dramatische Spiele hinter den Kulissen europäischer Politik, in: Carl Goerdeler und Leipzig, a.a.O, S. 68 5 W. Bramke Annäherung an eine widerspruchsvolle Persönlichkeit Gedanken zum 50. Jahrestag der Hinrichtung Carl Goerdelers, in: Carl Goerdeler und Leipzig, a.a.O., S. 19 6 daselbst

59 frage’ vorbereitet wurde. Das Echo dieser Schuld der Goerdeler und ihres gleichen ist in der Erbärmlichkeit des aktuellen Streites um die Rechts sicherheit der Täter unüberhörbar. Hier kann es keine Suche nach mil dernden Umständen geben. Carl Goerdeler hat sich in den Auseinandersetzungen vor seinem Aufsehen erregenden Ausscheiden aus dem Amt des Leipziger Oberbür germeisters und in den darauf folgenden Jahren bis zu seiner Verhaftung zu einem Antifaschisten entwickelt. Das änderte kaum etwas in seiner konservativen Grundeinstellung. Sein Verhalten vor der Gestapo entzieht sich einer Beurteilung. Bramke vermerkt dazu, dass Goerdelers „Verhalten von dem seiner früheren Freunde wie Marschall von Witzleben und den Mitverschworenen wie Leber und Moltke deutlich ab(sticht), sie standen alle unerschrocken vor dem tobenden Freisler...“ 1 Es war Goerdeler nicht gegeben, diese Courage aufzubringen. Wer ihm dies zum Vorwurf ma chen will, muss sich fragen lassen, mit welchem Recht und welchem Ver ständnis er vielleicht doch zu vereinfacht über die Schwäche eines ande ren urteilt, dessen Leid er selbst nicht erfahren musste. Zwar kann man Bramke durchaus zustimmen, wenn er das Verhalten jener Generäle, die sich aus opportunistischen Gründen abwartend verhielten, als ‚feige’ quali fiziert. 2 Aber wie wäre dann in einer solchen Konsequenz des Urteilens das Verhalten eines Verschwörers zu qualifizieren, der nach dem Fehlschlag des von ihm gewollten aber durch andere Mitverschwörer ausgeführten Anschlages nicht ‚nur’ seine Mitverschworenen im Verhör preisgibt son dern sogar noch dazu aufruft, den Diktator zu unterstützen? 4. Neofaschismus in Deutschland Wer nach dem Neofaschismus in Deutschland fragt sollte sich zu nächst mit der Kontinuität der wirtschaftlichen und personellen Macht verhältnisse im Nachkriegsdeutschland beschäftigen. In dem 1965 von Albert Norden auf einer Pressekonferenz vorgelegten ‚Braunbuch Kriegs und Naziverbrecher in der Bundesrepublik und in Westberlin’ werden einige der Namen von Nazis genannt, die im Staat, in der Wirtschaft, in der Verwaltung, in Armee, Justiz und Wissenschaft ihre braune Karriere fortsetzten. Darunter werden von Dr. Hermann Abs (19011994) bis Dr.h.c. Wilhelm Zangen (18911971) 117 Rüstungsexperten und Wehr wirtschaftsführer 3 aufgelistet. Unter ihnen der Vater des späteren Mini sterpräsidenten von Sachsen Prof. Dr. Kurt Biedenkopf (1930) Wilhelm

1 derselbe Führend im Widerstand: Georg Schumann und Carl Goerdeler, in: Carl Goerdeler in Leipzig, a.a.O., S. 48f 2 ebenda S. 47 3 siehe N. Podewin: Braunbuch – Kriegs und Naziverbrecher in der Bundesrepublik und in Berlin (West), a.a.O. (Reprint), S. 4863

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Biedenkopf 1, vor 1945 Direktor der IGFarbenIndustrie, der an der Vor bereitung des IGFarbenbetriebes in Auschwitz maßgeblich beteiligt war 2. Diese Liste ist nicht vollständig. Hier fehlt u.a. das NSDAPMitglied Dr. jur. Fritz Ries (19071977) 3. In einer weiteren Liste erscheinen 296 SS, SD und GestapoMörder sowie NaziFührer, die den Staats, Polizei und Wirt schaftsapparat Westdeutschlands und Westberlins durchsetzten oder an gesehene Stellungen im öffentlichen Leben bekleideten. 4 In einer späteren Untersuchung werden 284 Personen erfasst, die trotz ihrer Vergangenheit als SSMörder und Naziführer im Bundesinnenministeriums, in der West berliner und in der Polizei der Länder wieder ‚Verwendung’ fanden. 5 Die Liste belasteter NaziJuristen erfasst 918 Personen. 6 Nicht weniger auf schlussreich ist die Liste von 127 Generälen der Bundeswehr, die im Generalstab oder als Kommandeure im Aggressionskrieg Hitlerdeutsch lands beteiligt waren. 7 Die Liste von 228 RibbentropDiplomaten belegt, dass es im Auswärtigen Amt nicht anders aussah. 8 Des weiteren werden 107 Naziaktivisten aufgelistet, die in den Landsmannschaften, im ‚Witiko bund’, in Neonaziparteien, im Vertriebenen und anderen Ministerium akti ven Einfluss auf die Nachkriegspolitik hatten 9. Hier sind 49 Nazi professoren und andere Naziideologen 10 und 70 Naziexperten 11 , weitere

1 siehe u.a. Otto Köhler: Führen im Wandel der Zeiten, Freitag vom 28.9.2007, unter: http:// www.freitag.de/2007/39/07390502.php 2 ebenda S. 49 3 dazu Fritz Ries wurde 1933 Mitglied der NSDAP. Mit der Zahnarzttochter Heinemann aus Rheydt hatte er u.a. die Tochter Ingrid Ries, die später mit Kurt Biedenkopf verheiratete. Ries erwarb die Gummiwarenfabrik »Flügel & Polter KG« in Leipzig. Den Betrieb mit ursprünglich etwa 120 Beschäftigten baute er bis 1945 zu einem Konzern mit über 10.000 Arbeitern und Arbeiterinnen aus. Die Firma »Flügel & Polter«, im Widerstand als »Firma Prügel & Folter« verspottet. Der Ausbau des Unternehmens erfolgte durch so genannte Arisierungen, also durch Raub an jüdischem Eigentum. Nach Kriegsende gründete Fritz Ries die »PegulanWerke AG« in Frankenthal als Hauptunternehmen, wurde Vorstandsvorsitzender und Hauptaktionär; stellvertretender Vorstandsvorsitzender war HannsMartin Schleyer. Ries war Direktor der »SaarMoselPlasticWerke«, Aufsichtsratsvorsitzender der »Badischen PlasticWerke«, Beiratsmitglied der »Deutschen Commerzbank«, Vor sitzender des »Industrieverbands KunststoffBodenbeläge« und marokkanischer Konsul für die Länder Hessen und RheinlandPfalz. Die letzte große Firmen gründung Ries’ erfolgte 1971: die »DynaPlastik« in BergischGladbach bei der die Ehefrau des späteren bayerischen Ministerpräsidenten Franz Josef Strauß Monika Strauß Teilhaberin wurde. Ries zählte nach 1945 zu den führenden Persönlichkeiten der BRDWirtschaft, dem besonderer politischer Schutz und öffentliche Ehrungen zuteil wurden, insbesondere durch die von ihm geförderte CDU. siehe Fritz Ries, unter: http://agso.unigraz.at/marienthal/bibliothek/biografien/0704RiesFritz_Bio grafie. htm 4 siehe N. Podewin: Braunbuch – Kriegs und Naziverbrecher in der Bundesrepublik und in Berlin (West), a.a.O. (Reprint), S. 86107 5 K. G. Schramm (Hrsgb.): Angriff und Abwehr – die deutschen Geheimdienste nach 1945, a.a.O., S. 238282 6 ebenda S. 147187 7 ebenda S. 223232 8 ebenda S. 262277 9 ebenda S. 307316 10 ebenda S. 351357 11 ebenda S. 361368

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96 Gestapo und SSLeute in leitenden Stellen in der Polizei, 1 92 Nazi Juristen in leitenden Stellen der Justiz, 2 37 GestapoBeamte, SSOffiziere und Nazijuristen in den Verwaltungsspitzen der Westberliner Polizei 3 sowie 128 weitere Nazis in Bundeswehr, im AA, in Revanchisten und Neo naziorganisationen 4 erfasst. Diese unvollständige Liste erfasst 2.265 Personen, die obwohl durch Initiierung und bzw. aktive Teilhabe an Kriegs und Naziverbrechen auf das schwerste belastet ihre Karriere in der Nachkriegszeit und insbesondere beim Aufbau der BRD an einflussreichen Stellen fortsetzen konnten. Welchen Einfluss diese Personen hatten wird am Beispiel der Be ziehungen zwischen den Familien Biedenkopf und Ries, darin sichtbaren Querverbindungen zu dem einstigen SSUntersturmführer und späteren Präsidenten des Bundesverbandes der Deutschen Arbeitgeberverbände und des Bundesverbandes der Industrie, des später ermordeten Hans Martin Schleyer, dem Einfluss auf die CDU und die Karrieren von Helmut Kohl, Kurt Biedenkopf und anderen deutlich. Wenn man sich dann noch vor Augen führt, dass der Vater der späteren Hannelore Kohl, der SA und NSKKUntersturmführer Wilhelm Renner, während der Nazizeit als Sozial direktor der Leipziger HASAG, eines der größten Rüstungskonzerne Hitler deutschlands fungierte 5 wird deutlich, dass das alles keine ‚Zufälle’ waren: Bei einer derartig großen Konzentration ‚Ehemaliger’ in den leitenden Funktionen der Wirtschaft, der Parteien, Organisationen und Vereine, in Staatsapparates, Polizei und Justiz war es nur folgerichtig, dass sich gleich zu gleich gesellte. Schon deshalb ist es falsch, wenn die Suche nach den Netzwerken der Neonazis auf solche Parteien und Organisationen beschränkt bleibt, die diese Orientierung im Namen, im Programm, in ihren politischen Zielen und durch ihre politische Praxis offen vertreten. Die sind nur die Spitze des Eisberges nationalistischer, chauvinistischer, rassistischer und neon azistischer Einstellungen, die in wesentlich größeren Teilen der Bevölke rung der BRD gelebt vertreten und offen oder verdeckt praktiziert werden. Wenn heute darüber geklagt wird, dass „die CDU ihren nationalkonser vativen Flügel seit dem Tode Alfred Dreggers (19202002) vernachlässigt und vergessen“ und zugelassen habe, „dass politisch Heimatlose der ex tremen Rechten und der extremen Linken zugelaufen sind“ 6 so charak

1 ebenda S. 369377 2 ebenda S. 378388 3 ebenda S. 389392 4 ebenda S. 393403 5 siehe S. 37 6 siehe Am rechten Rand, Tagesspiegel vom 31.12.2007, unter: http://www.tages spiegel.de/meinung/ kommentare/RolandKoch;art141,2447735

62 terisiert dies nicht die Linken sondern vielmehr die Tatsache, dass es in der CDU einen nationalkonservativen Flügel mit deutlich ausgeprägten Tendenzen zur extremen Rechten gibt. Angefangen hat das alles 1945. Aber schon der erste Blick auf die von wikipedia ausgewiesene Liste ehemaliger NSDAPMitglieder, die nach 1945 politisch tätig waren, lässt im Vergleich zu den Zahlen des Braun buchs erkennen, dass nur einen Bruchteil dieses Personenkreises ist. Aber aufschlussreich ist es schon, wenn von den hier genannten 51 ehemali gen NSDAPMitgliedern (das sind ganze 2 ¼ % derer, die 1968 in aller Öffentlichkeit im Braunbuch beim Namen genannt wurden. Aber das wa ren längst nicht alle, denn bis auf den heutigen Tag werden immer wieder Nazibiographien bekannt!!) 19 in der CDU, 9 in der FDP, 5 im ‚GB/BHE – Gesamtdeutschen Block/Block der Heimatvertriebenen und Entrechteten’ bzw. in der daraus hervorgehenden ‚Gesamtdeutschen Partei’, vier in der CSU, zwei in der Deutschnationalen Volkspartei DNVP, jeweils einer in der Aktionsgemeinschaft Unabhängiger Deutscher (AUD), in der Demo kratische Partei Saar (DPS), in der Deutschen Partei (DP), in der Deutsche Konservative Partei – Deutsche Rechtspartei (DKPDRP) / Sozialistische Reichspartei (SRP), den Republikanern, in der Nationaldemokratischen Partei (NDP), in der (davon zu unterscheidenden) Nationaldemokratischen Partei Deutschlands (NPD), der Vereinigung Deutsche Nationalversamm lung (VDNV), und in der SPD. 1 Hervorzuheben sind unter den hier Genannten die Bundespräsi denten (dessen Mitgliedschaft in der NSDAP umstritten ist) 2, Carl Carsten ([19141992] seit 1933 Mitglied der SA von 1940 bis 1945 Mitglied der NSDAP) 3, der Bundeskanzler Kurt Georg Kießinger ([1904 1988] seit 1933 bis 1945 Mitglied der NSDAP und Arbeit im Reichspropa gandaministerium) 4, die Bundesminister Theodor Oberländer (1933 bis 1945 Mitglied der NSDAP, als Hauptmann und Berater des Freiwilligen einheit Bataillon Nachtigall und des Sonderverbandes Bergmann an den Pogromen in Lwow und den Verbrechen in der Partisanenbekämpfung be teiligt). 5 Nicht weniger aufschlussreich ist die Tatsache, dass der in der Tschechoslowakei als Kriegsverbrecher verurteilte Franz Nüßlein (1909 2003) von 1962 bis 1972 Generalkonsulat der Bundesrepublik Deutsch

1 siehe Liste ehemaliger NSDAPMitglieder, die nach Mai 1945 politisch tätig waren, unter: http://de.wikipedia.org/wiki/Liste_ehemaliger_NSDAPMitglieder,_die_nach_Mai_ 1945_ politisch_t% C3%A4tig_waren 2 siehe Walter Scheel, unter: http://de.wikipedia.org/wiki/Walter_Scheel 3 siehe Carl Carsten, unter: http://de.wikipedia.org/wiki/Karl_Carstens#Parteimitgliedschaften 4 siehe Kurt Georg Kiesinger, unter: http://de.wikipedia.org/wiki/Kurt_Georg_Kiesinger#Bis_1945 5 siehe Theodor Oberländer, unter: http://de.wikipedia.org/wiki/Theodor_Oberl%C3%A4nder#Partei

63 land in Barcelona war, dass der SSMann Franz Krapf (19112004) bis 1976 Ständiger Vertreter der Bundesrepublik Deutschland beim NATORat in Brüssel, dass das SPDMitglied, der SSMann Hans Georg Schacht schnabel (19141993) seit 1974 im Europäischen Parlament saß. Weder der Bundespräsident und KZBaumeister Heinrich Lübke noch Nazifinan zier Abs, oder der Verfasser des antisemitischen ‚Blutschutzgesetzes’ Globke werden in diesem Zusammenhang erwähnt: Sie waren keine NSDAPMitglieder... Dabei kann und darf nicht verschwiegen werden, dass es in der Entstehungsphase der Parteien durchaus antifaschistische Bestrebungen gab. Am Beispiel der erzkonservativen CSU wird das besonders deutlich, Im Sommer 1945 bildeten sich auf kommunaler Ebene christlichkonser vative Gruppierungen, die ein Gegengewicht zu den damals sehr schnell an Einfluss gewinnenden Sozialdemokraten und Kommunisten schaffen wollten. Zentren der Vereinigung der regionalen Parteien zu einer gesamt bayerischen Vereinigung waren die Münchner Gruppe um Karl Scharnagl (18811963). Er wurde 1919 in den Münchner Stadtrat, 1925 zum Ersten und 1926 zum Oberbürgermeister gewählte legte nach mehreren Ausein andersetzungen der nach Machtergreifung der Nazis 1933 sein Amt nieder und arbeitet im gelernten Beruf als Bäcker. „Ochsensepp“ Josef Müller (18981979) gehörte in der Nazizeit dem katholischen Widerstand an und verteidigte als Rechtsanwalt Nazigegner vor Gericht. Als Widerstands kämpfer hatte er Kontakte zu Admiral Wilhelm Canaris (18871945), zu Hans von Dohnanyi (19021945) und zum Abwehrgeneral Hans Oster (18871945). In der Abwehrabteilung des OKW versuchte er im Auftrage von Canaris 1939/40 für den Fall des Sturzes Hitlers im Vatikan einen Verständigungsfrieden mit England herbeizuführen. Müller wurde 1943 verhaftet. Aus dem Berliner GestapoGefängnis und kam in das KZ Buchenwald. Josef Baumgartner (19041964) wurde wegen Verstoßes gegen das Heimtückegesetz 1942 verhaftet, entging aber durch die Ent lassung an die Front einer Verurteilung. Adam Stegerwald (18741945) wurde 1933 auf einer Wahlveranstaltung von Nazis tätlich angegriffen und mehrfach, u.a. auch nach dem Attentat vom 20. Juli 1944 verhaftet. Kaum einer von diesen Männern blieb in der ersten Reihe seiner Par tei: Die spätere Entwicklung mit dem NSFührungsoffizier Franz Josef Strauß (19151988), die Unterstützung des ehemaligen Fuldaer CDUBun destagsabgeordneten Martin Hohmann (1948), der nach seinen «Täter volk»Äußerungen im Jahr 2003 aus der CDU ausgeschlossen wurde und die jüngsten Auseinandersetzungen mit dem badenwürttembergischen Ministerpräsidenten Günther Oettinger (1953) belegen, das der braune

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Geist in der Wolle schwarz eingefärbt – nach wie vor äußerst wirksam ist. Nach wie vor gilt: Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch... In diesem Rahmen wird in groben Konturen nachvollziehbar, vor welchem Hintergrund sich die Nachkriegsgeschichte der NSNachfolgepar teien und –organisationen gestaltete: Der Schutz und die Unterstützung der alten ‚Kameraden’ in der Organisation Gehlen, beim Verfassungs schutz, beim Bundeskriminalamt 1, in der Justiz – und wenn dann trotzdem ‚etwas schief gelaufen war’ in den Strafvollzugsanstalten war ihnen sicher. In den Verwaltungen, bei der Arbeits und Wohnungssuche und beim Ab tauchen gab es für die Ab und Auftauchenden aber erst recht für die, die aus der Kriegsgefangenschaften oder gar aus den Kriegsverbrecher gefängnissen entlassen wurden aktive Unterstützung Hier wurde weggese hen, wenn sich dies nur irgendwie machen lies. Wer schließlich doch vor Gericht landete hatte nicht nur die Verteidiger auf seiner Seite. Fast regelmäßig wurden eindeutig wegen der Erteilung und Ausführung über führte Nazi und Kriegsverbrecher wegen des seinerzeit ‚fehlenden Un rechtsbewusstseins’, wegen ‚Befehlsnotstand’ oder aus anderen gründlich eruierten Zweifelsgründen von Richtern freigesprochen, die nicht selten selbst an derartigen Verbrechen beteiligt waren. Darüber hinaus wurde alles getan, um keine ‚Deutschen’ an die Staaten auszuliefern, die ehemaligen Nazi und Kriegsverbrechern den Prozess machen wollten. Wer sich dagegen stellte war Nestbeschmutzer, Kameradenschwein oder Schlimmeres und wurde weg gemobbt.... 4.1 ODESSA und die Rattenlinie Nach der bedingungslosen Kapitulation endeten nur die wenigsten der führenden SS und Naziverbrecher durch Selbstmord oder durch die von Internationalen Militärtribunalen wegen Kriegsverbrechen und Verbre chen gegen die Menschlichkeit gegen sie verhängten Todesurteile. Heinz Höhne (1926) wundert sich darüber, dass sogar „das Gros der SSFührer seltsam glimpflich davon“ kam: „Von den 30 Höheren SS und Polizei führern überlebten 16, von den 12 HauptamtChefs acht, von den sechs Amtschefs des Reichssicherheitshauptamtes drei, von den acht in Russ land verwendeten EinsatzgruppenKommandeuren drei.“2 Zwar wurden die meisten zu Zuchthausstrafen verurteilt – aber von denen, die in den Strafanstalten der westlichen Alliierten einsaßen musste kaum einer seine Strafe absitzen: Nach der Übernahme durch die Behörden der BRD wur den fast alle vorzeitig entlassen.

1 D. Schenk Auf dem rechten Auge blind, Die braunen Wurzeln des BKA, Köln 2001 2 H. Höhne Der Orden unter dem Totenkopf, Die Geschichte der SS, a.a.O., S. 536

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Das Ende des Naziregimes kam weder für die Spitzen des deutschen Monopolverbände noch für die Naziführung überraschend. Ralph Giordano (1923) zitiert aus einem Bericht der Chefs des WintershallKonzerns an die SSFührung vom 26. August 1944: „... dass der Nationalsozialismus abgewirtschaftet habe, dass die Wirtschaft den Krieg als verloren ansehe und dass der jetzige Staat zweifellos zusammenbrechen werde. Die Wirt schaft bemühe sich deshalb schon um Beziehungen zur Wirtschaft des Auslandes, denn es sei klar, dass in Zukunft nur die Wirtschaft Gewähr dafür geben könne, dass Deutschland im Kreise der Völker noch eine Rolle spielen werde“ 1 Aber auch die Naziführung hatten Vorsorge getroffen. Am 10.8.1944 fand im Straßburger Hotel ‚Maison Rouge’ eine geheime Kon ferenz führender Vertreter deutscher Konzerne stattfand, in der in aller Offenheit über die Zukunft gesprochen wurde. Ein Protokoll dieser Sitzung soll Simon Wiesenthal (19082005) unter den Unterlagen entdeckt haben, die ihm im Frühjahr 1946 von einem amerikanischen Offizier übergeben wurden. Diese Dokumente habe er einem Oberst Keitel im SSInternierungslager Ebensee, in der Nähe von Bad Ischl, abgenommen. 2 Aus dem Text eines Protokolls geht hervor, dass der Vertreter des Direktor ThyssenKonzerns ein Dr. Scheidt dort u.a. erklärte: „Die Parteileitung ist sich dessen bewusst, dass nach der Nieder lage Deutschlands einige ihrer bekanntesten Führer als Kriegsverbrecher zur Aburteilung kommen werden. Es sind daher Vorkehrungen dafür ge troffen, um die weniger prominenten Parteiführer bei verschiedenen deut schen Betrieben als ‚technische Sachverständige’ unterzubringen. Die Par tei ist bereit, den Industriellen große Beträge vorzuschießen, damit jeder einzelne eine geheime Nachkriegsorganisation im Auslande aufziehen kann, verlange jedoch als Gegenleistung die Zuverfügungstellung der vorhandenen finanziellen Reserven im Auslande, damit nach der Nieder lage wieder ein starkes Deutsches Reich entstehen kann.“ 3 Die im Zeit raum nach 1943 über weite Strecken unvollständigen Angaben zum Nazigold 4 und zum Goldhandel der Nazis 5 und der deutschen Banken und

1 Zitiert nach Ralph Giordano aus ‚Wenn Hitler den Krieg gewonnen hätte’, unter: http: //www.leuchtstift. de/netz/index.htm?/netz/odessa /odessa. htm 2 Zitiert nach S. Wiesenthal ‚Doch die Mörder leben’ (1967) 3 Zitiert nach Simon Wiesenthal, aus seinem Zeitungsmanuskript für die Oberösterreichischen Nachrichten, 25. Mai 1946, R.D. May Das Protokoll, unter: http://www.leuchtstift. de/netz/index.htm?/netz/ odessa /odessa.htm 4 siehe Unter Wikipedia ‚Nazigold’ ist u,a. nachlesbar, dass „zweifelsohne große Geld summen durch die vielen NaziFlüchtlinge nach Argentinien (gelangten), beispiels weise durch Ante Pavelic, den kroatischen Nazigünstling, oder den SSMann Johan nes Bernhardt. Hubert von Blücher, in dessen Garten Hitler Teile des Reichs bankgoldes hatte vergraben lassen, machte dies unter Mithilfe Horst Carlos Fuld ners in Argentinien zu Geld: 400 Mio Dollar.“ unter: http://de.wikipedia.Org/wiki/ Nazigold 5 J. Bähr Der Goldhandel der Dresdner Bank im zweiten Weltkrieg – ein Bericht des Hannah ArendtInstituts, Dresden 1999

66 die Personalpolitik der deutschen Konzerne in der Nachkriegszeit belegen, dass diese Handlungsorientierung umgesetzt wurde. Dass es ein solches Treffen zwischen von Vertretern der SS, der NSDAP und Firmen wie Krupp, IGFarben, Messerschmidt und Siemens gegeben hat wurde 1989 durch die Zeitschrift ‚SEMIT’ 1 ebenso bestätigt wie die Tatsache, dass es dabei um die Einrichtung von Fonds ging, die das Überleben der deutschen multinationalen Unternehmen, der SS und der NSDAP sichern sollten. Dabei wurden auch die Quellen genannt, aus denen dies finanziert wurde: 1. die Aktion Reinhard (die Plünderung jüdi scher Leichen); 2. die Operation Bernhard (Fälschung von britischen Pfundbanknoten); 3. Spenden der bei dem Treffen in Straßburg 1944 versammelten Unternehmen (u.a. Daimler Benz, AEG, Flick AG, Dr. Oetker, Wintershall, Bosch vom ‚Freundeskreis ReichsführerSS’). Die Organisation, die diese Aktionen gewährleisten sollte, sei die ODESSA (Organisation der ehemaligen SSAngehörigen). 2 Am 17. März 2007 veröffentlichte die ‚Welt’ einen Artikel, in dem behauptet wurde, es habe weder diese Konferenz noch die Organisation ‚Odessa’ gegeben. 3 Das geschah unter Berufung auf das von Heinz Schneppens im Jahre 2007 veröffentlichte Buch ‚Odessa und das Vierte Reich’. 4 Das war ein Jahr nachdem das 2002 von Uki Goñi (1953) zu diesem Thema veröffentlichte Buch 5 trotz erheblicher Widerstände ins Deutsche übersetzt und schließlich auch veröffentlicht wurde. Schneppen behauptet, bei sorgfältiger Lektüre der Quellen wäre schon seit langem erkennbar gewesen wäre, dass es die ‚Straßburger Konferenz’ nie gegeben habe. 6 Schneppen negiert die Existenz der ODESSA, lässt aber keinen Zweifel daran, dass sich zahllose Nazis nach Italien und Argentinien nach dem Krieg abgesetzt haben. Was ist also von der Reaktion dieses offen sichtlich mit Nazidiplomaten sympathisierenden Mannes auf Goñis Publi kation zu halten?

1 dazu 1988 gründete der Melzer Verlag aus NeuIsenburg die politische Zeitschrift SEMIT, die bis 1992 in unregelmäßigen Abständen erschien 2 siehe SEMIT, Juli/August 1989, unter: http://www.leuchtstift.de/netz/index.htm?/netz/odessa /odessa. htm 3 siehe Es gab keine "Odessa", unter: http://www.welt.de/welt_print/article765317/Es_ gab_ keine_Odessa. html 4 dazu Schneppen über sich auf den Vorwurf HansJürgen Döschers ("Seilschaften", Propyläen geschrieben über Diplomaten, die Nazis waren, aber dennoch in den 50er Jahren in den Auswärtigen Dienst gelangten). "Ich arbeite ohne Zorn und Eifer, im Unterschied zu Ihnen.": "Da haben Sie völlig recht, das sagt meine Frau auch immer.", nach: AUSWÄRTIGES AMT Braune Flecken, weiße Westen unter: http://www.berlinonline.de/berlinerzeitung/archiv/.bin/ dump.fcgi/2005/0929/politik/0019/index.html 5 Uki Goñi Odessa – Die wahre Geschichte – Fluchthilfe für NSKriegsverbrecher. Übersetzung: Theo Bruns und Stefanie Graefe, Assoziation A, Berlin/Hamburg 2006 6 siehe Es gab keine "Odessa", unter: http://www.welt.de/welt_print/article765317/ Es_gab_keine_ Odessa. html

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Goñi berichtete während der argentinischen Militärdiktatur für die englischsprachige Zeitschrift ‚Buenos Aires Herald’ über Menschenrechts verletzungen des Regimes und hielt Kontakt zu den späteren Madres de la Plaza de Mayo. Danach arbeitete er als Journalist Recherchen über die „NaziVergangenheit“ Argentiniens für die New York Times, das Time Magazin oder den britischen Guardian. Aus seiner Feder stammen ‚Perón y los Alemanes’ (1998) in dem er den Verbindungen zwischen dem Pero nismus und dem NSRegime nachging und die Spionagenetzwerke der Nazis in Argentinien aufdeckt. 2002 veröffentlichte er nach jahrelange Recherchen in argentinischen, USamerikanischen und europäischen Archiven sein internationales Standardwerk ‚The Real Odessa’, durch das erstmals das gesamte Panorama einer internationalen Fluchthilfeoperation freilegt wurde, das Hunderten von NSKriegsverbrechern erlaubte, in Lateinamerika Zuflucht zu finden. Auf Grund seiner Untersuchungen kommt der zu dem Schluss, dass es die ODESSA nicht im Sinne einer Dachorganisation gegeben hat. Aber „seine Recherchen ergaben, dass mit dem Wissen der Schweizer Regierung, der Kirche und des argentinischen Diktators Juan Perón, einem offenen Sympathisanten des NaziRegimes, organisierte Fluchtwege über die Schweiz existierten, über die mit Hilfe falscher Pässe NaziVerbrecher aus Deutschland nach Südamerika ge schleust wurden, was den Mythos ODESSA begründete.“12 Es gab offensichtlich eine ganze Reihe verschiedener Organisatio nen, die nach 1945 ehemaligen NSFunktionären die Flucht ermöglichte. Im Raum Süddeutschland, Oberösterreich, Steiermark und Kärnten war das die ‚Spinne’. Sowohl bei der ‚Spinne’ als auch bei der ODESSA gibt es bis heute nicht eindeutig geklärte Gerüchte über die Beteiligung Otto Skorzenys (9081975) (Skorzeny war u.a. auch Gründer des „Circula Espanol de Amigos de Europa“ [Cedade]) in Spanien) sowie USameri kanischer (CIC 3), britischer und anderer Geheimdienste. Bei anderen Fluchthilfeorganisationen sieht das kaum anders aus. So ist z.B. bekannt, dass der Bischof Alois Hudal 4 (18851963) gemeinsam mit dem, der Ustascha eng verbundenen kroatischen Geistlichen Krunoslav Draganović (18891983) über das bei Rom gelegene Kloster Istituto San Girolamo degli Illirici in der Via Tomacelli die auch als ‚Rattenlinie’ bekannt gewor

1 siehe Organisation der ehemaligen SSAngehörigen, unter: http://de.wikipedia.org/wiki/ Organisation _der_ehemaligen_SSAngeh%C3%B6rigen 2 siehe Wiki: Organisation der ehemaligen SSAngehörigen, unter: http://wapedia.mobi /de/ODESSA 3 F. Westenfelder: Alte Kameraden und kalte Krieger ExNazis zwischen Ost und West., unter: http://www. kriegsreisende.de/relikte/orggehlen.htm; J. Israel: Die Wieder erschaffung des kriegsverbrecherischen NaziGeheimdienstes durch die USA, unter: http://emperorsclothes.com/german /articles/dnazi2.htm 4 V. Ullrich Die Täter als Opfer Wie hochbelastete Nazis nach 1945 davonkamen — und wer ihnen half, unter: http://www.zeit.de/1991/51/DieTaeteralsOpfer?page=1 (3)

68 dene ‚Klosterroute’ organisierte 1. Vertreter des deutschen Klerus, der evangelische Bischof Theophil Wurm (18681953) und der katholischen Weihbischof Johannes Neuhäusler (18881973) waren mit Helene Elisa beth Prinzessin von Isenburg (19001974) bei der ‚Stillen Hilfe’ aktiv. 2 Und 1951 wurde die Hilfsgemeinschaft auf Gegenseitigkeit der ehemaligen Angehörigen der WaffenSS (HIAG) gegründet. Gründer und Führer der HIAG waren der SSBrigadeführer und Generalmajor der WaffenSS Otto Kumm (19092004), letzter Kommandeur der Leibstandarte Adolf Hitler, SSObersturmbannführer Richard SchulzeKossens (19141988), Hitlers Adjutant und letzter Kommandeur der SSJunkerschule, SSObergruppen führer und General der Waffen SS Felix Steiner (18961966) Komman dierender General des III. Germanischen Panzerkorps, und SSOberst gruppenführer und Generaloberst der WaffenSS Paul Hausser (1880 1972), ebenfalls einer der Hauptorganisatoren der WaffenSS und bekannt durch seine besonders rücksichtslose Politik der Verbrannten Erde in Osteuropa. Nach seiner Begnadigung 1955 stieß auch der Befehlshaber der Leibstandarte SS Adolf Hitler und Generaloberst der WaffenSS (18921966), zuletzt Oberbefehlshaber der 6. SSPanzerarmee zur HIAG. 3 In der ‚Welt’ wird heruntergespielt: „Was bleibt? In Argentinien sind eine Handvoll Nazis untergetaucht. Sie hatten auf ihrem Weg Unter stützung kommerzieller Schlepperbanden in Tirol, wurden außerdem von einzelnen Geistlichen im Umfeld des Vatikan unterstützt.“ 4 Wer sich von diesem Geschwätz im ersten Moment irritieren lässt sollte sich an Tat sachen halten: Der Einfluss der Nazis auf die Nachkriegsentwicklung der Bundesrepublik war und ist unübersehbar (Angaben zur Zahl der in der Wirtschaft, im Staatsapparat, in der Bundeswehr, in Polizei, Justiz, Wissenschaft und Medien weiter beschäftigten Nazi und Kriegsverbrecher wurden vorn gemacht). Nicht weniger unwiderlegbar ist die Deponierung von Nazigeldern auf Schweizer Banken. 5 Die Baseler ‚National Zeitung’ berichtete im

1 siehe Krunoslav Draganović, unter: http://de.wikipedia.org/wiki/Krunoslav_Draganovi%C4%87 2 siehe Helene Elisabeth von Isenburg, unter: http://de.wikipedia.org/wiki/Helene_ Elisabeth_Prinzessin_von_Isenburg 3 siehe Hilfsgemeinschaft auf Gegenseitigkeit der ehemaligen Angehörigen der WaffenSS, unter: http://de.wikipedia.org/wiki/Hilfsgemeinschaft_auf_Gegenseitigkeit_der_ehemalige n_Angeh%C3%B6rigen_der_WaffenSS 4 siehe Es gab keine "Odessa", unter: http://www.welt.de/welt_print/article765317/ Es_gab_keine_ Odessa. html 5 siehe Gespräch mit S.E. Arnold D. Koller, unter: http://www.shalommagazine.com/ Print.php?id= 270204; Pietro Boschetti: La Suisse et les nazis : Le rapport Bergier pour tous (Broché), Editions Zoé, 2005; Die Unabhängige Expertenkommission Schweiz Zweiter Weltkrieg, die aus vier schweizerischen und vier ausländischen

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November 1964 in einem Artikel über die ‚Spinne’ (hier als Nachfolge- organisation der ODESSA bezeichnet), dass diese ihre ersten Kontakte vor dem Ende des Dritten Reiches, mit der Deponierung geheimer Geldmittel auf anonymen Schweizer Konten einrichtet. Verwaltet wurden diese von Francois Genoud. 1 Mit diesen Mitteln wurden und werden, wie u.a. die Zeitschrift ‚konkret’ feststellte „seit langem bundesdeutsche NeonaziTrup pen finanziert“. 2 Geldempfänger sollten der wegen seines politischen En gagements aus der Bundeswehr entlassene Leutnant Michael Kühnen (19551991) und Werner Braun, der Vorsitzender der ‚DeutschVölkischen Gemeinschaft’ sowie Manfred Roeder gewesen sein, die als ODESSABote durch die europäischen Länder geschickt worden seien. Mit ODESSAGel dern „sollen auch die aufwendigen Treffen europäischer Neonazis bei den jährlichen SSGedenkfeiern in Flandern mitfinanziert worden sein“. 3 So wenig sich die um Karriere und Einfluss bemühten Nazigrößen und deren Untergeordnete aus der Parteikanzlei, aus den verschiedenen Gruppierungen der SS, aus dem Reichspropaganda, Reichsaußen und Reichsluftfahrtministerium im dritten Reich gegenseitig aus und verste hen konnten, so sahen auch deren Vorbereitungen für den Abgang aus. In der Nachkriegsgeschichte des Ab, Unter und Auftauchens finden sich diese Cliquen wieder. Allein schon deshalb ist es falsch, nach einer hierar chisch geordneten Zentral zu suchen. Vielmehr ging es um verschiedene Gruppierungen mit unterschiedlichen Beziehungen zu den nach wie vor legal bestehenden Einflussgruppen in der Wirtschaft, im Staatsapparat und in den Medien, folglich auch um sehr große Unterschiede in den diesen zur Verfügung stehenden finanziellen und organisatorischen Mög lichkeiten.

Mitgliedern (aus Israel, Grossbritannien, Polen und den USA) bestand, legte in den Jahren 1998 bis 2001 mehrere Zwischenberichte und am 22. März 2002 einen Schlussbericht vor. Gegenstand der Untersuchung waren sämtliche in die Schweiz gelangten Vermögenswerte von Opfern des Naziregimes, aber auch von Tätern und Kollaborateuren. 1 Dazu Ein Leben zwischen Hitler und Carlos: Francois Genoud, unter: http://www.nadir. org/nadir/ periodika/enough/nr/01/literat.html: Genoud „fungierte jahrelang als Propagandist für die Nationalsozialisten und half moslemische Kollaborateure für die Kämpfe im Osten zu rekrutieren. Ab 1942 stellte er deutscharabische Kampfeinheiten auf, die unter deutschem Befehl kämpften“. Er „beteiligte sich am Ende des zweiten Weltkrieges und in der Nachkriegszeit an den Fluchthilfeopera tionen für führende Nationalsozialisten. Heute ist nicht mehr klar zu trennen, wie groß der Anteil der Legenden an den Berichten über seine Tätigkeit ist. Jedenfalls hat er während des Krieges und im direkten Anschluss daran etliche Kontakte zu Nazigrößen geknüpft, die ihm später immer wieder nützen. Doch auch er würde sich als treuer Verbündeter erweisen, der zur Stelle ist, wenn er gebraucht wird.“ 2 siehe "konkret" Nr. 11, 80, unter: R.D. May Das Protokoll, unter: http://www.leuchtstift .de/netz/ index.htm?/netz/odessa /odessa.htm 3 R.D. May Das Protokoll, unter: http://www.leuchtstift.de/netz/index.htm?/netz/odessa /odessa.htm

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Dabei kann und darf aber nicht übersehen werden, dass die schein bare Zersplitterung der noch vorhandenen Kräfte auch mit unüberseh baren Vorteilen für die legale wie für die illegale Arbeit dieser Gruppie rungen verbunden war und ist. So konnten Organisationen bei Bedarf, (will heißen, bei zu großem Verfolgungsdruck oder Verbot) aufgelöst und unter anderem Namen, zum Teil auch von anderen Personen neu gegrün det werden. Dadurch war und ist es möglich, unter dem Anschein der Legalität Aktionen zu inszenieren, die beim organisatorischen Zusammen schluss mehrerer Organisationen viel zu viel Aufmerksamkeit und also das Verbot und den Verlust erheblich größerer finanzieller Mittel zur Folge gehabt hätten. Durch diese taktische Vorgehensweise war und ist auch die spätere Entwicklung der Neonaziszene geprägt. 4.2 Von konservativen Nazigegnern der ‚Deutschen Aufbaupartei’ zur NPD .. Es ist schon seit langem nicht mehr zu übersehen, dass es entgegen der Festlegung im Potsdamer Abkommen, „die NSDAP, ihre Gliederungen und Unterorganisationen ... zu vernichten“ und „Sicherheiten dafür zu schaffen, dass sie in keiner Form wiederauferstehen können“ 1 NSNach folgeparteien und – Organisationen gibt. Mittlerweile gibt es ein breites Spektrum von nationalkonservativen, rechtskonservativen, nationalisti schen aber auch solcher Parteien, Vereine und Organisationen, die nicht nur einige Elemente der NSProgrammatik übernehmen sondern mehr oder weniger offen als deren Nachfolger agieren. Schon daraus folgt, dass der Verlauf und die Widersprüchlichkeit dieser Entwicklung bei ausschließlicher Konzentration der Aufmerksamkeit auf die Neonaziszene nicht einmal in Ansätzen deutlich werden kann. Da ist zunächst die in der Auseinandersetzung mit diesem Problem häufig unterschätzte Tatsache, dass es schon im Widerstand gegen die Hitler diktatur sehr unterschiedliche politische Strömungen gab. Solche Unter schiede, Widersprüche und Konflikte wurden schon 1945 und in den Jahren vor der Bildung der BRD in einer Art und Weise ausgetragen, die es den zunächst abtauchenden Nazis möglich machte, nicht nur zu ‚über wintern’. Zentrales Problem dieser Auseinandersetzung war der Streit um die sozialökonomischen Grundstrukturen der Zukunft. Dieser Konflikt wurde zwischen antikommunistisch orientierten Kreisen der Großbourgeoi sie, des Bürgertums, der Bauernschaft, der Arbeiterklasse und anderen Teilen der Bevölkerung, unter denen das Echo der nationalistischen, rassistischen und faschistischen Propaganda wirksam war und denen aus

1 siehe Das Potsdamer Abkommen III. Deutschland, A. Politische Grundsätze 3. (III), in: Potsdamer Abkommen und andere Dokumente, Berlin 1950, S. 16

71 getragen, die auf Grund der jüngsten Erfahrungen zu dem Schluss gekommen war, dass es zu einem radikalen Bruch mit der Herrschaft des Kapitals kommen müsse. Von welch ausschlaggebendem Einfluss die Politik der jeweiligen Besatzungsbehörden war, wird auf beeindruckende Weise am Beispiel der durch britische Behörden verbotenen Vereinigung von KPD und SPD deutlich. 1 Im Unterschied zu allen späteren Darstellungen: 1945 war die Mehrheit der Sozialdemokraten und Kommunisten entschlossen, die Ein heit der Arbeiterparteien herzustellen. Das war die wichtigste Lehre aus dem Sieg der Nazis über die beiden großen Parteien der Arbeiterklasse. Das wird auch in der Londoner ‚Erklärung der deutschen Sozialdemokratie nach der Kapitulation’ vom Mai 1945 deutlich. Dort hatte der damalige SPDVorsitzende Hans Vogel (18811945) von einer „neuen deutschen sozialen Demokratie“ und von einem „friedlichen, demokratischen und sozialen Deutschland“ gesprochen. 2 Sogar der bekennende Antikommunist (18951952), nach achtjähriger Haft schwerkrank aus dem KZ entlassen und vom 24.8. – 20.9.1944 erneut nach Neuengamme verschleppt, sah sich noch in seiner ersten Rede nach zwölf Jahren NS Diktatur veranlasst, gewollt missverständlich vom Streben nach einer: „einheitliche Partei als demokratische Sozialisten“3 zu sprechen. Nachdem er aber im Juli 1945 mit der organisatorischen und politischen Führung der SPD beauftragt wurde trat er immer offener gegen die „auch in den West zonen verbreiteten Bestrebungen zur Zusammenarbeit von Sozialdemo kraten und Kommunisten“ auf. 4 Neben dem Druck der britischen Besat zungsbehörden war dabei die von diesem Mann repräsentierte, bis zum heutigen ‚Seeheimer Kreis’ reichende Traditionslinie der nationalkonser vativen LenschCunowHaenischGruppe ausschlaggebend. 5. Es ist höchst aufschlussreich, dass der schon von den Nazis zum Programm erhobene Betrug auch im ‚Ahlener Programm der CDU’ pakti ziert wird: Wer (vielleicht noch heute) ernsthaft daran glaubte, die

1 dazu So wurden u.a. der in Artikel 39 der Verfassung Hessens von 1946 (1) untersagte „Missbrauch der wirtschaftlichen Freiheit insbesondere zu monopolistischer Machtzusammenballung und zu politischer Macht“ und die (2) Überführung von „Vermögen, das die Gefahr solchen Missbrauchs wirtschaftlicher Freiheit in sich birgt, ... in Gemeineigentum“ 1, d.h. die Entstehung von Volkseigentum vereitelt.. 2 siehe Erklärung der deutschen Sozialdemokratie nach der Kapitulation, Mai 1945, unter: http://209. 85.129.104/search?q=cache:Q25NYru_t2wJ:www.rosalux.de/cms/fileadmin/rls_upl oads/pdfs/107_Plener.pdf+SPD+Programm+1945&hl=de&ct=clnk&cd=6&gl=de&cli ent=firefoxa 3 H. Grebing ‚Neubau’ statt ‚Wiederaufbau’ der SPD die Lehren aus der Weimarer Republik, unter: http://library.fes.de/fulltext/historiker/00574006.htm#E10E7 4 siehe Kurt Schumacher, unter: http://de.wikipedia.org/wiki/Kurt_Schumacher 5 siehe LenschCunowHaenischGruppe, unter: http://de.wikipedia.org/wiki/Lensch CunowHaenisch Gruppe

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Erklärung, dass „das kapitalistische Wirtschaftssystem .. den staatlichen und sozialen Lebensinteressen des deutschen Volkes nicht gerecht gewor den (ist).“ 1 Sei ernst gemeint, wurde 50 Jahre später über die damit ver folgte Absicht gründlich ‚aufgeklärt’: Nach Beobachtungen eines Teilneh mers dieser Diskussionsrunde ging es (18761967) und den Rechten der CDU darum, die zunächst in einer ‚Christlichen Arbeiter partei’ organisierten mit „teilweise sehr rüden Methoden“ von der politi schen Idee einer künftigen Brückenfunktion zwischen Ost und West abzu bringen. Was da als kritische Alternative des Kapitalismus als „Neugestal tung des Verhältnisses zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer“, zur „Entflechtung von Bergbau, eisenschaffender Industrie und chemischer Großindustrie“, zur „Änderung der Besitz und Machtverhältnisse in der Wirtschaft“, zur „Planung und Lenkung der Wirtschaft“ sowie zur „Offen legung der Besitzverhältnisse im Bergbau, in der eisenschaffenden Indu strie und in der chemischen Großindustrie“ 2 angeboten wurde, war nicht mehr und nicht weniger aus der historischen als ‚Adenauers großer Coup’ im Zuge der von diesem Manne von Anfang an verfolgten ‚Westbindung’. So jedenfalls das Urteil von Adenauers Parteifreunden nachdem nach einem halben Jahrhundert Klartext geredet werden konnte. 3 Äußerst aufschlussreich ist auch hier die Wortwahl: Bei der ‚eisen schaffenden’ Industrie war das nicht nur eine zufällige Anleihe bei den Nazis, vielmehr ging es um die Beibehaltung der Sprachkultur des dritten Reiches, die sich das nunmehrige CDUMitglied Kiesinger und seine PGs während der Dienstzeit im Reichspropagandaministerium zu eigen ge macht hatten. Auch hier ging es nicht etwa ernsthaft um die Veränderung von Besitzverhältnissen sondern um die Vortäuschung einer antikom munistischen Alternative zu den drohenden Gefahren der Überführung des Monopolkapitals in Volkseigentum und um die Bewahrung der alten Machtverhältnisse. Wer sich dem selbst mit solchen Details, wie dem in Wahrnehmung nationaler Interessen unterbreiteten Vorschlag einer Brückenfunktion Deutschlands als Ausweg aus den Gefahren der Remili tarisierung und des kalten Krieges in den Weg stellte wurde wie der CDU Funktionär (18881961) mit ‚rüden Methoden’ ausgegrenzt. 4 Diese Politik stützte sich nicht nur auf alte Rezepte faschistischer Ideologen, sondern viel mehr noch auf die Kenntnis derer, die an dieser

1 siehe CDU überwindet Kapitalismus und Marxismus Das Ahlener Wirtschafts und Sozialprogramm der CDU und die grundlegenden Anträge der CDU im Landtag von NordrheinWestphalen, BergischGladbach 1947, S. 3 2 ebenda S. 714 3 A. John Das Programm war Adenauers großer Coup. Die CDU erinnert an das Treffen in Ahlen vor 50 Jahren, General Anzeiger Bonn v. 3.2.1997 4 siehe Jakob Kaiser, unter: http://de.wikipedia.org/wiki/Jakob_Kaiser

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Praxis der Nazis in der Wehrmacht, Sicherheitsdiensten und Verwaltung, sondern auch in der Wirtschaft, im Bildungswesen und der Propaganda auf allen Ebenen beteiligt waren. Anknüpfend an das Fortwirken von Elemen ten faschistischer Ideologie im kleinbürgerlichen Alltagsbewusstsein und das Fehlen elementarster Kenntnisse gelang es auch diesmal, hinter dem Nebelvorhang einer verbalradikalen Kritik von Kapitalismus und Marxis mus kapitalistische Besitz und Machtverhältnisse zu retten... 1 Dabei kann und darf nicht vergessen werden, dass sich die Aus einandersetzung mit demagogischverlogenen Offerten in einer höchst diffusen Gemengelage zwischen Angst, Hunger, Not und Elend, allgemei ner Demoralisierung, einer zur massenhaften Erscheinung gewordenen Orientierungslosigkeit, den flotten Sprüchen karrieregeiler Politikaster und religiöser Heilsbringer aller Couleur, zwischen schwarzem Markt und abge tauchten SS und Gestapoleuten sowie anderen Nazis abspielte. Die durch die traumatischen Erfahrungen der Nazizeit, durch verdrängte eigene Schuld, falsche ‚nationale’ Solidarität mit den der ‚Siegerjustiz’ ausgelie ferten, die ‚doch nur ihre Pflicht getan hätten’, das längst noch nicht begriffene Scheitern der eigenen politischen Blindheit und die durch eben so bedingungslose wie bequeme Gefolgschaft geprägte, noch immer von rassistischen und chauvinistischen Ideen infizierte deutsche Nachkriegs gesellschaft war weder mental noch intellektuell in der Lage, eine solche Auseinandersetzung zu führen. Noch deutlicher werden diese Widersprüche im Prozess der Parteien bildung am rechten Rand. Im Oktober 1945 wurde in Gronau (britische Zone) mit der zwischenzeitlich so gut wie völlig vergessenen Gründung der ‚Deutschen Aufbaupartei (DAP)’ 2 der Auftakt für eine dann nicht mehr abreißende Serie von Neugründungen, Zusammenschlüssen, Spaltungen und weiteren Gründungen rechtspolitischer Parteien wurde von dem deutschvölkischen Politiker Reinhold Wulle (18821950) und Joachim von Ostau, einem ‚in der NS Politik nicht unbeschriebenen’ Mitautor der Operette ‚Insel der Träume’ 3 inszeniert.. Wulle – 1922 zusammen mit Albrecht von Graefe Gründer der ‚Deutschvölkischen Freiheitspartei’ – war seinerzeit dadurch aufgefallen, dass er seine spätere Zusammenarbeit mit der NSDAP beendete, der er ‚Legalismus’ und ‚Vatikanhörigkeit’ vorwarf. Dies und der Umstand, dass er in der Folgezeit für die monarchistische Gesellschaft ‚Deutsche Freiheit’ schriftstellerisch tätig war, hatte zur Folge, dass Wulle von 1938 bis 1940 inhaftiert war. Das war vor, während und

1 H. Günther Der Herren eigner Geist, a.a.O., S. 64 2 siehe Deutsche Aufbaupartei, unter http://de.wikipedia.org/wiki/Deutsche_Aufbaupartei 3 siehe ‚Insel der Träume’, unter: http://de.wikipedia.org/wiki/Insel_der_Tr%C3%A4ume

74 nach der NSZeit ein Mann, der mit der NSDAP nicht einverstanden war, weil sie nicht radikal genug für ‚völkische’ Interessen eintraten... Im März 1946 entstanden – wiederum im britischen Sektor – aus dem Zusammenschluss von DAP und der ‚Deutschen Konservativen Partei’ die ‚Deutschen Rechtspartei’ (ab 1948 ‚Deutsche Konservative Partei – Deutschen Rechtspartei’ (DKP/DReP)). Aber schon ein Jahr später begann mit dem Übertritt zahlreicher Mitglieder zu der (1945 als ‚Niedersäch sische Landespartei [NLP]’ gegründeten, seit März 1946 umbenannten) ‚Deutschen Partei (DP)’ der Auflösungsprozess. Mit der Gründung der ‚Sozialistischen Reichspartei (SRP)’ wurde diese Entwicklung 1949 fort gesetzt. Besonderes Interesse verdienen Personalien ihrer Gründer. Beim Übergang zur DP waren Hans Ewers, Erwin Jacobi und Wilhelm Ziegler 1, bei der Gründung der SRP Fritz Dorls, Otto Ernst Remer und Gerhard Krüger die bekanntesten Persönlichkeiten. 2 Altnazis waren in der ‚Deutschen Rechtspartei’ als Mitglieder will kommen. Aber deren gar zu penetrant nazistische Orientierung ging den nationalkonservativen Hitlergegnern gegen den Strich. Folgerichtig kam es erneut zur Spaltung: Dorls, Remer, Krüger und deren Gesinnungsge nossen gründeten 1949 die ‚Sozialistische Reichspartei (SRP)’. Im Internet ist nachlesbar: „Die SRP war die größte und bedeutendste rechtsextre mistische Nachkriegspartei der Bundesrepublik und bezog sich program matisch direkt auf die NSDAP. Nach ihrem Verbot betätigten sich die SRP Mitglieder in mindestens 60 Nachfolge und Tarnorganisationen, meist mit dem Charakter scheinbar überparteilicher Wählergemeinschaften. Viele SRPFunktionäre fanden unter dem Motto der ‚antimarxistischen Blockbil

1 dazu Beim Übertritt zur DP handelte es sich um Personen, die eine Wiederbelebung der nationalkonservativen Positionen der Deutschen Volkspartei (DVP) verfolgten: Hans Ewers (18841968) gehörte in der Weimarer Republik zum rechten Flügel der DVP. Erwin Jacobi (19021967) stammte auch aus der DVP, gehörte als Hamburger Landesvorsitzender dem gemäßigten Flügel der DP an und wurde deshalb im März 1952 durch Rudi Coventz, einen Vertreter des radikalnationalistischen Flügels abgelöst. Wilhelm Ziegeler (18911958) gehörte zur DNVP, trat 1947 mit Jacobi von der DReP zur DP über. Wilhelm Ziegeler, unter: http://de. wikipedia.org/ wiki/Wilhelm_Ziegeler 1 2 dazu Anders die NSBiographie derer, die 1949 an der Gründung der SRP beteiligt waren: Fritz Dorls (19101995) war seit dem 1.7.1929 Mitglied der NSDAP. Dorls nahm von 1939 bis 1945 am Krieg teil. ab März 1945 Geschichtslehrer an der DAF Reichsschule. (Der später wegen Betrugs verurteilte Dorls wird von Neonazis verdächtigt, als Vorsitzender der SRP und Agent des Verfassungsschutzes „Munition für das 1952 erfolgte Verbot der Partei geliefert zu haben..“) Otto Ernst Remer (19121997) war der Kommandeur des Wachbataillons ‚Großdeutschland’, der sich nach dem 20.7.1944 auf die Seite Hitlers stellte und damit das Scheitern des Attentats und die Verhaftung der Gruppe Staufenberg einleitete. Remer wurde deshalb vom Major zum Generalmajor befördert. Gerhard Krüger (19081994) war ein führender Nazifunktionäre, der sich bei der Bücherverbrennung, der Gleich schaltung der Studentenbewegungen und im Reichsaußenministerium hervorgetan hatte. Gerhard Krüger, unter: http://de. wikipedia.org/wiki/Gerhard_Kr%C3% BCger_(NSFunktion%C3%A4r)

75 dung’ Aufnahme in Listenverbindungen rechts der SPD.“ 1 Das Programm dieser Partei war in Passagen fast wörtlich bei der NSDAP abgeschrieben: „’Treue zum Reich’ , ‚Schutz und Ehre des deutschen Soldaten’ und ‚An- spruch auf die Gesamtheit des Reichsraumes’ , was auch die ehemaligen deutschen Ostgebiete mit einschloss, sowie unter anderem die ‚Notwen digkeit’ einer ‚Lösung der Jugendfrage’, allerdings mit anderen Mitteln als zur Zeit des Nationalsozialismus, kritisiert wurde nicht die ‚Notwendigkeit’ einer ‚Lösung der Judenfrage’, sondern nur die Methoden. Die Distanzie rung vom industrielle Mord an den Juden geschah möglicherweise aus taktischen Gründen.“2 Alles das war so offensichtlich, dass es 1953 zum Verbot der ‚Sozialistische Reichspartei (SRP)’ durch das Bundesverfas sungsgericht kam. Die SRP hatte in Niedersachsen den stärksten Einfluss und errang bei den Wahlen zum 1951er Wahlen zum Landtag 11,0 % der Stimmen. Ihren größten Erfolg erzielte sie mit 21,5 % der Stimmen im Gebiet Stade. Nur sechs Jahre nach dem Ende des NSRegimes war in zwei von drei Dorfgemeinden eine NSPartei stärkste politische Kraft! In der Chronologie der rechts bzw. nationalkonservativen Parteien gründungen folgte die im Januar 1949 in München gegründete Deutsche Gemeinschaft (DG). An der Gründung waren Dr. Becher3 und Haußleitner 4 beteiligt. Mit dem dokumentarisch belegten Nachweis der Unterstützung der NSDAP durch USBanken und einer engen Bindung an die Landsmann schaften störte die DG die Integration der BRD in die USdominierten westlichen Bündnisse und die auf eine NATOMitgliedschaft ausgerichtete Remilitarisierungspolitik der AdenauerRegierung mit nationalkonservati ven Vorbehalten. Nachdem bekannt wurde, dass Haußleitner und Dorls die DG als Nachfolgeorganisation der vor dem Verbot stehenden SRP aus bauten und die Landes bzw. Bezirksverbände Hessen, Niedersachsen, NordrheinWestfalen und RheinlandPfalz durch SRPFunktionäre domi niert wurden kam es dort, 1956 auch in Westberlin zum Verbot. 1965

1 siehe Sozialistische Reichspartei, unter: http://de.wikipedia.org/wiki/Sozialistische_Reichspartei 2 ebenda 3 siehe Dr. Walter Becher (19122005) Sohn einer Karlsbader Fabrikantenfamilie, Mitarbeiter des NSDAPGauorgans für das Sudentenland, nach amerikanischer Kriegsgefangenschaft an der Gründung des Sudetendeutschen Rates beteiligt, Von 1956 bis 1958 Vorsitzender des Witikobundes, bis 1968 stellvertretender Vorsitzender bis 1982 Vorsitzender der Sudentendeutschen Landsmannschaft. unter: http://de.wikipedia.org/wiki/Walter_Becher 4 siehe August Haußleitner (19051989) war schon als Gymnasiast Mitglied nationa listischer Wehrverbände, nahm als Kriegsberichterstatter am 2. Weltkrieg teil, Mitbegründer der CDU, aus der er 1949 mit der Gründung der DG austrat. H. war 1979 Mitbegründer der GRÜNEN und einer ihrer Sprecher, musste aber zurück treten, weil seine NSPropagandasprüche und sein Versuch bekannt wurde, ein Wahlbündnis mit der NPD auszuhandeln. H. verstand den Nationalsozialismus als „Ausdruck und Etappe einer soziologischen Entwicklung, eines evolutionären und revolutionären gesellschaftlichen Prozesses.“ Unter: http://de.wikipedia.org/wiki /August_Hau%C3%9Fleiter

76 schlossen sich die Reste der DG der ‚Aktionsgemeinschaft Unabhängiger Deutscher (AUD)’ an. 1 Die Absicht, neben der CDU/CSU eine ‚Neue Mitte’ scheiterte ebenso wie der Versuch eine an nationalen Interessen orien tierte ‚Gesamtdeutsche Unabhängigkeitsbewegung’ zu bilden. 2 Eine weitere der aus der Auflösung der Deutschen Konservativen Partei – Deutsche Rechtspartei (DKPDRP) hervorgehenden nationalkon servative Partei war die 1950 durch Zusammenschluss mit der in Hessen zugelassenen ‚Nationaldemokratischen Partei (NDP)’ gegründete ‚’. Heinrich Leuchtgens (18761959) und Heinrich Fassbender (18991971), die Gründer der NDP, gehörten vor 1933 zur DNVP, Fass bender trat 1931 in die NSDAP ein, nach der ‚Machtergreifung’ wieder aus. Die Gründung wurde maßgeblich durch NSAktivisten wie Andrae 3, Prof. von Grünberg 4, Meinberg 5 und von Thadden 6 betrieben. Weitere Mitglie der der Partei waren der SSSturmbannführer Kernmayr 7, der NaziJurist Grimm 8, der Schriftsteller Hans Grimm 9, der Luftwaffenoberst a.D. Rudel 1

1 siehe Deutsche Gemeinschaft, unter: http://de.wikipedia.org/wiki/Deutsche_Gemein schaft 2 siehe Deutsche Gemeinschaft (DG), unter: http://www.apabiz.de/archiv/material/Profile/ DG.htm 3 siehe Verbrechen der Wehrmacht: Alexander Andrae war als Kommandant der Festung Kreta für Massenexekutionen von Zivilisten und eine der brutalsten ‚Sühneaktionen’ verantwortlich, bei der im September 1943 im Unterbezirk Viannos ein Dutzend Dörfer niedergebrannt wurde. Dabei kamen mindestens 440 Personen, Männer, Frauen und Kinder, ums Leben. Unter: http://de.wikipedia.org/wiki/Verbrechen_ der_Wehrmacht 4 siehe Prof. HansBernhard von Grünberg (19031975) war Gauamtsleiters der NSDAP in Königsberg, meldete sich als Kriegsfreiwilliger, geriet an der Ostfront in sowjetische Kriegsgefangenschaft, wurde 1951 entlassen, war später als er Mitglied der NPD und in deren Bundesvorstand aktiv. Unter: http://de.wikipedia. org/wiki/HansBernhard_von_Gr%C3% BCnberg 5 siehe Wilhelm Meinberg war in der Weimarer Republik Mitglied der NSDAP, Mitglied und ab 1933 Vorsitzender des Reichslandbundes sowie von 19361945 Angehöriger des NSReichstages 6 siehe (19211996) seit 1939 NSDAPMitglied nach 1945 für die britische Militärregierung als landwirtschaftlicher Treuhänder tätig, wurde als Herausgeber und Chefredakteur mehrerer NeonaziBlätter aktiv, unter: http://de. wikipedia.org/wiki/Adolf_von_Thadden 7 siehe SSSturmbannführer Erich Kernmayr (19061991) war 1936 stellvertretender Chefredakteur der Wiener Redaktion der „Essener NationalZeitung”, 1938 Chef vom Dienst der in Wien erscheinenden Zeitung „Deutscher Telegraf”, 1939 Gau presseamtsleiter in der Gauleitung Wien der NSDAP, NSDAP, 1940 Leiter der Pressestelle des Gauleiters von Saarland/Lothringen, und 1941 SSSturmbann führer in der SSDivision ‚Das Reich’. Er war nach 1945 an der Herausgabe meh rerer rechtsextremer Zeitung, u.a. des Verbandsblattes der HIAG und in mehreren rechtsextremen Parteien (SRP, NPD, DVU) beteiligt. Unter: http://de.wikipedia.org /wiki/Erich_Kern 8 siehe Der NaziJurist Friedrich Grimm (18881959) vor 1933 Mitglied der DVP gehörte von 1933 bis 1945 als Abgeordneter der NSDAPFraktion des Reichstags an. Er trat 1950 der DRP bei und wurde mit ihrem Übergang Mitglied in die NPD, unter: http://de.wikipedia.org/wiki/ Friedrich_Grimm 9 siehe Der Schriftsteller Hans Grimm (18751959) wurde durch seinen Roman ‚Volk ohne Raum’ und den darin propagierten ‚Erwerb von Lebensraum’ als Lösung der wirtschaftlichen und politischen Probleme der deutschen Republik berühmt und Berüchtigt. Vom NSRegime zunächst hofiert verhielt er sich zurückhaltend. Aber 1953 kandidierte G. für die DRP und 1954 publizierte er eine umfassende

77 und der Verleger Schütz 2. Die DRP verstand sich als Sammlungsbewe gung ehemaliger NSDAPMitglieder und Interessenvertretung ehemaliger Wehrmachtsangehöriger, die für die Verjährung der Naziverbrechen, gegen die Auseinandersetzung mit der NSVergangenheit und die Wieder errichtung des Deutschen Reiches in den Grenzen von 1937 eintrat. 3 Anhand der vorangehen dargestellten Entwicklung des rechtsextre men Parteienspektrum der Bundesrepublik bleibt unverständlich, wenn Kummer glaubt, keine Kontinuität erkennen zu können. Er kommt auch selbst zu der Feststellung, dass „die Sozialistische Reichspartei (SRP), die sich stärker als die anderen RechtsaußenParteien an der nationalsoziali stischen Ideologie orientierte und sich als Sammelbecken für weiterhin überzeugte Nationalsozialisten verstand.“ Aber in seinen Überlegungen spielen offensichtlich weder die unübersehbaren personellen noch die en gen programmatischen Beziehungen zwischen der NSDAP und den nach 1945 gegründeten rechtsradikalen nationalistischen und anderen NS Nachfolgeparteien eine Rolle. Seine Begründung, dass es „bis in die 1990 er Jahre hinein drei Wellen von Wahlerfolgen rechtsextremer Parteien“ ge geben habe, „die im Abstand von jeweils circa zwei Jahrzehnten die Auf merksamkeit der politischen Öffentlichkeit auf sich zogen“, bleibt ober flächlich und geht am eigentlichen Problem vorbei. 4 Eine ausschließlich an der Quantifizierung von Wahlergebnissen kon zentrierte Aufmerksamkeit ist nicht einmal geeignet, die Frage nach den Ursachen solcher ‚Wellenbewegungen’ zu beantworten. Folgerichtig setzt diese Fehleinschätzung setzt sich fort, wenn Kummer davon ausgeht, dass „die erste Welle ... nach der Gründung der Bundesrepublik“ begann. Selbst dann, wenn die Anfänge der ‚Deutschen Konservativen Partei Deutsche Rechtspartei DKPDRP’ und anderer Parteien mit ihrem Grün dungsdatum fixiert und nicht in der Tradition ihrer Vorläufer in der Wie marer Republik und der NSDAP untersucht werden: Das war vor der Grün dung der BRD und den Wahlen zum ersten . Aber erst in diesem

Rechtfertigungsschrift für den ‚Nationalsozialismus’. Unter: http://de.wikipedia .org/wiki/Hans_Grimm 1 siehe Luftwaffenoberst a.D. HansUlrich Rudel (19161982) wird als ‚bekennender Natio nalsozialist’ bezeichnet. R. trat der Hitlerjugend bei und machte in der Luftwaffe Karriere, flüchtete nach der Kriegsgefangenschaft nach Südarmerika und war dort als Organisator der Flucht von NS und Kriegsverbrechern sowie als Berater und Waffenhändler tätig. Unter: http://de.wikipedia .org/wiki/HansUlrich_Rudel 2 siehe Waldemar Schütz (19131999) war Mitglied der NSDAP und der WaffenSS, gründete den PlesseVerlag, die Göttinger Verlagsanstalt und die Parteizeitung ‚Reichsruf’. Sch. War Mitglied der DRP und schloss sich später der NPD an, in deren Führung er mitwirkte. Unter: http://de.wikipedia.org/wiki/Karl_Waldemar_Sch% C3%BCtz 3 siehe Deutsche Reichspartei, unter: http://de.wikipedia.org/wiki/Deutsche_Reichspartei 4 R. Kummer Eine kurze Übersicht rechtsextremer Wahl(miss)erfolge, unter: http://www.bpb.de /themenCG7XNP,0,Entwicklung_des_parteif%F6rmig_organisierten_Rechtsextremis mus_nach_1945.html

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Kontext wird verständlich, warum verschiedene rechtsextreme Splitter parteien „in den .. folgenden Jahren .. bei Landtagswahlen gelegentlich unerwartet gute, aber nicht herausragende Ergebnisse (erzielten).“ 1 Zwar blieb der Versuch Otto Strassers 2 mit der 1956 gegründeten „Deutsch Soziale Union“ eine erfolglose Episode. Aber in der späteren ideologischen Entwicklung der Neonazibewegung hatten und haben dessen Vorstellun gen programmatischen Einfluss. Für den Parteienbildungsprozess war der im Januar 1962 erfolgte Ausschluss der Fraktion um Erhard Kliese 3 und die auf der ideologischen Grundlage des Strasserschen Nationalsozialismus gegründete ‚Unabhängige ArbeiterPartei (UAP)’ wichtiger. 1962 beschloss die DSU auf die Selbstauflösung. Ihren Mitgliedern wurde der Eintritt in die rechtzeitig zu der 13. Januar 1962 gegründeten ‚Deutschen Freiheits Partei (DFP)’ 4 nahe gelegt, die sich ihrerseits 1965 der ‚Aktionsgemein schaft unabhängiger Deutscher (AUD)’ anschloss. Nach Kummer setzte mit der Gründung der NPD Mitte der 1960er Jahre eine zweite Welle in der Entwicklung des rechtsextremen Parteien spektrums der BRD ein. Die entscheidenden Gründe sieht er in der „Erkenntnis, dass einerseits die Bündelung und Einigung der zersplitterten politischen Kräfte der extremen Rechten, andererseits verbale Zurück haltung und ein formales Bekenntnis zur demokratischen Ordnung für zukünftige Erfolge unverzichtbar seien.“ 5 Aber bei gründlicherer Prüfung wird auch hier deutlich, dass diese Entwicklung unverständlich bleiben

1 ebenda 2 siehe Otto Strasser (18971974) Leutnant im ersten Weltkrieg, mit dem Freikorps Epps an der Niederschlagung des Münchener Räterepublik beteiligt, 19171920 Mitglied der SPD und als Kommandeur einer ‚roten Hundertschaft’ an der Niederschlagung des KappPutsches beteiligt trat er 1925 mit seinem Bruder Gregor in die NSDAP ein, wo sie mit Josef Goebbels den ‚linken’ sozialrevolutionären Flügel anführten. Versuche, Mitglieder der KPD für seine ‚schwarze Front’ zu gewinnen, scheiterten: Statt dessen gingen mehrere seiner Anhänger zur KPD. Nach der Machtergreifung ging O. Strasser ins Exil und bekämpfte von dort mit nationalrevolutionären Posi tionen das Hitlerregime. 1955 konnte er nach Deutschland zurück kehren. Nach dem Scheitern seiner ‚DeutschSozialen Union’ zog er sich aus der Politik zurück. Die „nationalrevolutionären“ Thesen Strassers üben auf das Gedankengut des zeitgenössischen Neonazismus spürbaren Einfluss aus. Unter: http://de.wikipedia. org/wiki/Otto_Strasser 3 dazu Erhard Kliese (1931), Schuhmachermeister aus Essen, siehe: Unabhängige ArbeiterPartei (Deutsche Sozialisten) (UAP), unter: http://de.wikipedia.org /wiki/Unabh%C3%A4ngige_ArbeiterPartei_(Deutsche_Sozialisten)#_note1 4 dazu nicht zu verwechseln mit der ‚Deutschen Freiheitspartei (DFP)’, die 1936/1937 mit den Zentren London und Paris entstand. Die DFP war weniger eine Partei als vielmehr eine konspirativ arbeitende Exilgruppe, die deutsche Emigranten aller Richtungen (mit Ausnahme der Kommunisten) umfasste und die im Reich über Ver bindungsleute in Behörden, Wirtschaft, Kirchen und vermutlich auch in der Wehr macht verfügte. Siehe: Sozialistische Mitteilungen News for German Socialists in England vom 3.12.1939; unter: http://library.fes.de/fulltext/sozmit/1939h.htm# P66_15657 5 R. Kummer Eine kurze Übersicht rechtsextremer Wahl(miss)erfolge, unter: http://www.bpb. de/themen/CG7XNP,0,Entwicklung_des_parteif%F6rmig_organisierten_Rechtsextre mismus_nach_1945.html

79 muss, wenn sie nicht als Fortsetzung Bemühungen um die parteipoliti sche Organisation neofaschistischer Kräfte verstanden wird. Im November 1964 entstand aus der DRP, Teilen der Gesamt deutschen Partei, der zwei Jahre zuvor gegründeten DNVP und der DP Bremen in Hannover die ‚Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD)’. Die DRP löste sich auf, nachdem die NPD bei den Wahlen 1965 erfolgreicher war. 1 Andere kamen aus verschiedenen Kleingruppen wie der Vaterländischen Union. Einige NPDFunktionäre wie der späteren hessi sche NPDLandesvorsitzende Heinrich Fassbender stammten aus dem nationalliberalen Flügel der FDP. Erster Vorsitzender wurde der durch die DP in die bremische Bürgerschaft gewählte Friedrich Thielen 2. In einer ‚kurzen Geschichte der NPD’ wird dazu angemerkt: „falscher Ehrgeiz und ein sehr provinzielles Verhältnis zur Politik ließen Thielen einen Weg be schreiten, der schließlich zu seinen Ausscheiden aus der Partei führte.“ 3 1967 trat Adolf von Thadden die Nachfolge an. Aber von dem in den Bundestagswahlen (1964 = 2,0; 1969 = 4,3 %) und den Landtagswahlen 1966 bis 1968 zunächst spürbare Zuwachs (1968 in Baden Württemberg fast 10%) an Wählerstimmen blieb zu Beginn der siebziger Jahre nichts übrig. Der Einfluss der NPD pegelte sich auf dem Niveau ein, das zuvor in anderen rechtsradikalen Parteien zu verzeichnen war. Der Zustand der NPD in dieser Phase in einer Bemerkung Thaddens hinreichend deutlich. Thadden erklärte, die Partei als ‚unführbar’, nachdem militante Gruppie rungen deutlichen Einfluss in der Partei gewonnen hatten. 4 Martin Mußgnug 5 (19711991) versuchte, den nationalkonservativen Kurs Thaddens fortzusetzen, konnte sich aber nicht gegen den schon zuvor zunehmend Druck militanter rechtsradikaler Gruppierungen durch setzen. Sein Ausscheiden und seinen Austritt aus der NPD (Nach Muß gnugs Rücktritt war Walter Bachmann ein dreiviertel Jahr kommissarischer Bundesvorsitzender) versucht die NPD damit zu ‚erklären, dass sie kein

1 siehe Deutsche Reichspartei (DRP), unter: http://de.wikipedia.org/wiki/Deutsche_ Reichspartei 2 siehe Fritz Thielen (19161993) im zweiten Weltkrieg in der ‚Treuhandverwaltung’ von Ziegeleien in Kriwoi Rog und danach bis zur bedingungslosen Kapitulation Soldat. 1946 in die CDU eingetreten wurde er ein Jahr später Abgeordneter der Bremischen Bürgerschaft. 1958 wechselte T. zur DP, wurde dort Landesvorsitzender, war mit den anderen DPBürgerschaftsabgeordneten an der Gründung der NPD beteiligt, in der er erster Vorsitzender wurde. 1967 verließ T. die NPD und reaktivierte den bremischen Landesvorstand der DP. Unter: http://de.wikipedia.org/wiki/Friedrich _Thielen 3 siehe Kurze Geschichte der NPD, unter: http://www.npdkiel.de/NPD_Geschichte.htm 4 siehe Nationaldemokratische_Partei_Deutschlands, unter: http://de.wikipedia.org/wiki/ Nationaldemokratische_Partei_Deutschlands 5 siehe Der Rechtsanwalt Martin Mußgnug (19361997), Sohn eines NSDAPMitgliedes und SATruppführers, setzte sich zunächst mehrfach gegen den von G. Deckert vertre tenen aktionistischen Kurs durch. unter: http://de.wikipedia.org/wiki/Martin _Mu%C3%9Fgnug

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Personalproblem habe. Höchst aufschlussreich sind die in diesem Zusam menhang genannten Personen. In diesem Zusammenhang wird u.a. auf Dr. , den ‚ersten und langjährigen Vorsitzenden des ‚Bundes der Vertriebenen’ und ehemaligen Stellvertreter Adenauers’, der 1969 für die NPD kandidierte, auf Dr. Hubert Nay ,den ersten Ministerpräsident des Saarlandes, (beide früher CDU), auf Edmund Rehwinkel, den langjährigen Präsidenten des ‚Deutschen Bauernverbandes’ und auf Professor Dr. Fritz Münch (früher CDU) verwiesen. 1

Baden Nieder Nordrh. Rhld. Saarl Schlesw. Bayern Bremen Hamburg Hessen Wttbg. sachsen Westf. Pfalz and Holstein 1966 7,4 % 3,9 % 7,9 % 1967 8,8 % 5,3 % 6,8 % 5,8 % 1968 9,8 % 1970 2,9 % 2,7 % 3,0 % 3,2 % 1,1 % 3,4 % 1971 2,7 %

Tab. 2: Wahlergebnisse der NPD bei Landtagswahlen 19661970 Der mit 73 % der Stimmen zum NPD Vorsitzenden gewählte Ober studienrat für Englisch und Französisch Günter Deckert hatte sich politisch am äußersten rechten Rand profiliert. Sein Eintreten für die Todesstrafe, die Leugnung des massenhaften industriell betriebenen Mordes an Juden und Nazigegnern und die sich in seinen Reden wiederholenden Aufforde rungen zum Rassenhass führten dazu, dass Deckert vom Landgericht Mannheim wegen Volksverhetzung, Aufstachelung zum Rassenhass, Ver leumdung und Beleidigung der Opfer des Holocaust zu einem Jahr Haft auf Bewährung und 10.000 DM Geldstrafe und später wiederholt wegen Volks verhetzung und anderer Delikte verurteilt wurde. 2 Offensichtlich hatten auch die eigenen Leute mit diesem Mann Probleme: Deckert wurde 2005 durch eine Vorstandssitzung der NPD wegen seines „nichtdemokratischen Führungsstils“ seiner Ämter enthoben und aus der NPD ausgeschlossen, ‚da er den Parteifrieden stört’. 3 Udo Voigt 4, Sohn eines SAMannes und Wehrmachtsangehörigen trat 1968 in die NPD ein und machte über den Kreis und Landesvorstand eine Karriere, in deren Ergebnis er 1996 in einer Kampfabstimmung mit dem bereit 1995 abgesetzten Günter Deckert zum Bundesvorsitzenden seiner Partei gewählt wurde. Nachdem Deckert 2000 eine Haftstrafe abge

1 siehe Die Geschichte der NPD, unter: http://www.npdbremen.de/geschichte/geschichte. htm 2 siehe Günter Deckert, unter: http://de.wikipedia.org/wiki/G%C3%BCnter_Deckert 3 ebenda 4 siehe Udo Voigt () brach wegen seiner Einberufung zur Bundeswehr sein Studium der Luft und Raumfahrt ab und wurde bei der Luftwaffe der Bundeswehr bis zum Hauptmann befördert.

81 sessen hatte kam es zu einer Neuauflage dieser Abstimmung, die Voigt mit 42 zu 255 Stimmen für sich entscheiden konnte. 2004 wurde dieser Vorsprung auf 22 zu 158 ausgebaut. 1 Udo Voigt wird nachgesagt, dass er einen ‚Kurs der strategischen Neupositionierung’ fortsetzt und die Verbin dungen zu neonazistischen Gruppierungen stärkt. Insbesondere geht es dabei darum, die NPD mit ihrem Konzept einer „deutschen Volksfront“ zum Zentrum der Einigungsbemühungen im rechtsextremistischen Lager auf und auszubauen. So wurde z.B. mit der DVU vereinbart, bei den Landtagswahlen nicht als Konkurrenten aufzutreten. Nach Kummer begann die dritte Welle rechtsextremer Wahlerfolge Mitte der 80er Jahre. Er zählt dazu die 1983 gegründeten ‚Republikaner’ und die 1987 aus einem Verein zur Partei umgeformten DVU, die sich als Sammelbecken der zerfallenden extremen Rechten verstanden. 2 Um was es ging, wird in der folgenden Rechnung deutlich. M. Privenau von der Bremer NPD rechnete 2007 zusammen, was herauskäme, wenn man die Stimmen der Rechten addiert: Dann hätte die DVU mit 2,75 % einen Sitz weil zu diesen 2,75 % noch 0,12 % von ‚Ab jetzt ... Bündnis für Deutschland’, 1,63% von ‚Bremen muss leben’, 0,8 % von ‚Bürger in Wut’ und die 0,53% der ‚Republikaner’ hinzugekommen wären, also alles in allem 5,83 %3 und damit mehr als die 5%Klausel fordert. In den Jahren 1974 bis 2003, d.h. unter dem Vorsitz von Mußgnug (19711991), Deckert (19911996) und Voigt (1996 bis z.Z.) lagen die Ergebnisse der NPD bei Bundestagswahlen zwischen 0,2 % (1980 und 1983)und 0,6 % (1972 und 1987). Bei den Landtagswahlen erreichte die NPD 1974 in Bayern und 1975 in Rheinland Pfalz noch einmal 1,1%, 1988 in Bayern noch einmal 2,1 %. Bei anderen Wahlen konnte sie wegen fehlender Voraussetzungen entweder gar nicht erst antreten oder blieb mit weit unter 1% in den Parlamenten außen vor. Kummer beobachtet „seit Mitte der 1990er Jahren – zeitweise parallel zur dritten – eine vierte Welle, die sich diesmal jedoch nicht aus schließlich an Wahlerfolgen festmachen lässt.“ Die Wahl Voigts zum Parteivorsitzenden hätte nicht nur Parteiaustritte abgebremst. Nicht weni ger wichtig sei die von diesem eingeleitete eine inhaltliche Neuorientierung gewesen: Vermehrt wurden in populistischer Manier und rechtsextremer Lesart sozialpolitische Themen aufgegriffen, ‚nationalrevolutionäre’ (anti

1 siehe Udo Voigt. unter: http://de.wikipedia.org/wiki/Udo_Voigt 2 R. Kummer Eine kurze Übersicht rechtsextremer Wahl(miss)erfolge, unter: http://www.bpb.de /themen/CG7XNP,0,Entwicklung_des_parteif%F6rmig_organisierten_Rechtsextremi smus_nach_1945.html 3 M. Privenau ... und wieder mal den Sieg verschenkt ... Versuch einer Analyse der Bremer Bürgerschaftswahl vom 13. Mai 2007, unter: http://www.npdbremen.de/ wahl07.html

82 amerikanische und sogar antiimperialistische) und ‚nationalsozialistische’ Ideologiefragmente aus der Mottenkiste der Gebrüder Strasser propagan distisch genutzt. Im äußeren Erscheinungsbild der NPD rückte ein aggres siver (Pseudo) Antikapitalismus immer weiter in den Vordergrund. 1 Der Abwärtstrend änderte sich erst mit den Landtagswahlen 2004 in Sachsen und SachsenAnhalt. Offensichtlich vorteilhaft wirkte sich dabei aber auch die im Ergebnis von Langzeitarbeitslosigkeit und Perspektiv losigkeit steigende Zahl von Protestwählern aus. Diese Entwicklung hängt untrennbar mit der fortschreitenden sozialen Diskriminierung ganzer Be völkerungsgruppen und der Verarmung in einigen mittlerweile immer mehr vernachlässigten Gebieten der neuen aber auch in den alten Bun desländern, mit einer außer Kontrolle geratenen Kettenreaktion von Lang zeit und Jugendarbeitslosigkeit, Kinder und Altersarmut zusammen. In diesem Zusammenhang kann auch nicht übersehen werden, dass die in Sachsen, SachsenAnhalt, Brandenburg und Mecklenburg Vorpommern praktizierte Abstimmung mit der DVU gerade dort spürbar Wirkung zeitigte:

Bd. Nieder- Rheild. Saarl Sachs. Sachs. Berlin Hessen Wbg. sachs. Pfalz and Anh. 2004 0,3 % 4,0 % 9,2 % 2005 0,9 % 2006 0,7 % 2,6 % 7,3 % 1,2 % 2007

Tab. 3: Wahlergebnisse der NPD bei Landtagswahlen 20042007 Der 2001 von Bundesregierung, Bundestag und Bundesrat beim höchsten deutschen Gericht eingereichte Verbotsantrag platzte bei der er sten Anhörung. Nachdem sich herausstellte, dass von 14 vom Gericht ge ladenen Zeugen aus der NPDFührung zwei, der ehemalige stellvertre tende Parteivorsitzende und Landesvorsitzende von NordrheinWestfalen Udo Holtmann und sein Stellvertreter Wolfgang Frenz Agenten des Ver fassungsschutzes waren. Diese Information erhielt das Gericht über eine Indiskretion aus dem Hause des Innenministers Otto Schily. Daraufhin lehnte das Gericht die weitere Verhandlung mit der Begründung ab, dass es unter diesen Umständen nicht möglich sei, zwischen den für ein Verbot relevanten Straftaten zu unterscheiden, die von der NPD oder vom Ver fassungsschutz initiiert seien. Das – so zumindest eine gezielt geäußerte

1 R. Kummer Eine kurze Übersicht rechtsextremer Wahl(miss)erfolge, unter: http://www.bpb.de /themen/CG7XNP,0,Entwicklung_des_parteif%F6rmig_organisierten_Rechtsextremi smus_nach_1945.html

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‚Vermutung’ der NPD – lasse den Schluss zu, man habe im Innenmini sterium die „Notbremse“ gezogen und den Prozess verhindert. 1 Der NPD hatte in den Landtagen Baden Württemberg (1968 [mit 9,8%] 12 Sitze), in Bayern (1966 [mit 7,4 %] 15 Sitze), in der Bremer Bürgerschaft (19 [mit ] mit 8 Sitzen), in den Landtagen Hessen ( 8 Sitzen), Mecklenburg Vorpommern , Niedersachsen (10 Sitzen), Rheinland Pfalz ( mit 4 Sitzen), in Schleswig Holstein ( mit 4 Sitzen) und Sachsen (mit 12 Sitzen, von denen nacheinander 3 freiwillig ausschieden und einer wegen der sogar für die NPD gar zu offensichtlichpeinlicher Nazipropa ganda, Finanz und anderen kriminellen Manipulationen ausgeschlossen wurde) zeitweilig in den Landtag zu kommen. Am 18.1.1971 wurde die ‚Deutsche Volksunion (DVU)’ von Gerhard Frey 2, Erwin Arlt 3, Walter Brandner 4, Wilhelm Pleyer 5 und einigen CDU Mitgliedern als ein Verein gegründet, der zunächst als Auffangbecken für enttäuschte ehemalige NPDMitglieder gedacht war. Die politischen Schwerpunkte dieser Organisation waren durch die offene Gegnerschaft zur neuen Ostpolitik bestimmt. Die Enttäuschung über deren Fortsetzung unter der Regierung Kohl nahm Frey zum Anlass, die DVU in eine Partei umzuwandeln. Der DVU gelang es, in Bremen (1999 [mit 3,0 %] und 2002 [mit 2,3%] und je einem Sitz), in Schleswig Holstein (1992 – 1996 mit 6,3% und 6 Sitze) sogar drittstärkste Partei, Sachsen Anhalt (1998 – 2002 [mit 12,9 %] 16 Sitze) und Brandenburg (1999 [mit 5,3 %] 5, 2004 – z.Z. [mit 6,1%] 6 Sitze) zeitweilig in den Landtag zu kommen.

1 siehe Geschichte der NPD, unter: http://www.npdbremen.de/geschichte/geschichte.htm 2 siehe Gerhard Michael Frey (1933) begann seine journalistischen Laufbahn im Alter von 18 Jahren bei der 1951 vor allem von Altnazis gegründeten "Deutschen Soldaten Zeitung". 1960 wurde er alleiniger Herausgeber drei Jahre später entstand daraus die "Deutsche NationalZeitung". Frey übernahm auch die "DSZDruckschriften und Zeitungsverlags GmbH" (DSZVerlag). Dazu gehören der "Deutsche Anzeiger" und die "Deutsche Wochenzeitung". 1971 gründete Frey den "FZ Freiheitlichen Zeitungsverlag", der 1986 in "FZ Freiheitlicher Buch und ZeitschriftenVerlag GmbH" (FZVerlag) umbenannt wurde. Angeschlossen sind der "Deutsche Buch dienst" sowie das Unternehmen "Deutsche Reisen". Nachdem er 1969 vergeblich versucht hatte, von der NPD als Kandidat für den Bundestag aufgestellt zu werden gründete F. 1971 den ‚Deutsche Volksunion e.V. (DVU)’, unter: http://de.wikipedia. org/wiki/ Gerhard_ Frey_%28DVU%29 und G. Nandlinger: Porträt: Gerhard Frey, unter: http://www.bpb.de/ themen/JPUSP3,0,Portr%E4t%3A_Gerhard_Frey.html 3 siehe Gerhard Frey, Erwin Arlt und Bolko v. Richthofen waren 1962 an der Gründung der ‚Aktion OderNeiße (AKON)’ und seit 1970 an der der ‚Aktion Widerstand’ beteiligt, siehe: Aktion OderNeiße, unter: http://de.wikipedia.org/wiki/Aktion_OderNei%C 3%9Fe 4 siehe Der Abgeordnete der NPD im bayrischen Landtag Walter Brandner trat am 1. Mai 1967 aus der NPD aus, Landtagsabgeordnete der NPD, unter: http://de. wikipedia.org/wiki/Landtagsabgeordnete_der_NPD 5 siehe Wilhelm Pleyer (19011974) war in der NSZeit einer der erfolgreichsten sudetendeutschen Schriftsteller, der sich durch sein Eintreten für großdeutsche Ambitionen hervortat, Wilhelm Pleyer unter: http://de.wikipedia.org/wiki/ Wilhelm _Pleyer

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In Sachsen Anhalt war die Arbeit der DVU vor allem durch eine Schlammschlacht geprägt, in der von Intrigen, Lügen und Pornovorwürfen die Rede war. Schon 2000 zerfiel die Fraktion einige ihrer ehemaligen Abgeordneten gründeten eine neue RechtsaußenFraktion, die keine Er gebnisse zuwege brachte. 1 Im Ergebnis des zwischen Frey und Voigt ver einbarten Ausschlusses konkurrierender Wahlen kam es in der Branden burger Fraktion zum Streit, weil befürchtet wurde, „nicht mehr, sondern weniger Wähler erreichen“. Die ‚Unterstützung’ durch die mit der NPD eng verbundenen ‚Freien Kameradschaften und das dadurch und durch die radikalen Positionen des NPDVorsitzenden Voigt geprägte Erscheinungs bild der NPD wurden in einem Interview vom Vizefraktionsvorsitzenden als nachteilig und unwillkommen eingeschätzt. 2 Besondere Aufmerksamkeit verdient die Rolle des DVUVorsitzen den. Gerhard Frey in nicht nur der Gründer seiner Partei, sondern auch ihr Eigentümer – so jedenfalls sind die finanziellen Beziehungen dieses Man nes zur DVU und sein nicht zuletzt daraus resultierenden ‚besonderen’ innerparteilichen Beziehungen zu qualifizieren. Von seinen autoritärem Leitungsstil sind nicht nur die Personal und Sachpolitik der Partei sondern auch die Entscheidungen für oder gegen die Kandidatur für Parlaments wahlen bestimmt. Das kommt auch im Klima der Beziehungen zwischen DVU und NPD zum Ausdruck. Wie es darum bestellt ist, wird nicht nur an solchen ‚Details’ deutlich, wie der Tatsache, dass der ehemalige Berliner DVUVorsitzende Dietmar Tönhardt zur NPD übergelaufen ist. Nicht weni ger aufschlussreich sind Bemerkungen am Rande, in denen die Geistes verwandtschaft von DVU, NPD und der NSSzene deutlich zutage tritt. So äußerte eine Brandenburger DVUAbgeordnete u.a., dass doch „die Genossen der NSDAP eine gute Gesundheitsvorsorge hatten...“ 3. Die dritte größere der NeonaziKleinparteien sind ‚die Republikaner’. Zwar wird ihnen bescheinigt, sie seien „unter den Parteien im rechten Spektrum“ die moderatesten. Dies und die Einschätzung, dass es keinen Schulterschluss mit freien Kameradschaften und militanten Neonazis gebe waren wohl auch ausschlaggebend für die Entscheidung des Verfas sungsschutzes, die ‚Reps’ seit 2006 nicht mehr gesondert in ihren Berich ten auszuweisen. Was davon und von dieser Partei zu halten ist wird sehr schnell deutlich, wenn man sich mit der Geschichte und der Funktion

1 siehe Rechtsextreme in den Landtagen, unter: http://www.spiegel.de/politik/deutsch land/0,1518, 318979,00.html 2 siehe Streit in der DVUFraktion, unter: http://www.inforiot.de/news.php?Article _id=3767 3 siehe FKA: Sowas gibt’s auch? „NSVerherrlichung“ von DVULandtagsabgeordneter! (01.10.07), unter: http://de.altermedia.info/general/fkasowasgibtsauchns verherrlichungvondvulandtagsabgeordneten011007_11450.html

85 dieser Partei im Spektrum der Rechtsradikalen beschäftigt. Nach den durch Unterstützung eines MillionenKredits für die DDR in der CSU aus gelösten innerparteilichen Auseinandersetzungen kam es 1983 zum Aus tritt mehrerer Mitglieder und zur Gründung der ‚Republikaner’. Mit der Begründung, die Politik einer Ablehnung der Anerkennung der DDR sei langsam aufgeweicht worden und Patriotisches Gedankengut ist bei CDU /CSU nicht mehr gefragt 1 wurden die Konturen einer nationalkonserva tiven Opposition zur CDU/CSU positioniert. An führender Stelle fungierten dabei die CSUBundestagsabgeordneten Franz Handlos 2 und Ekkehard Voigt 3 sowie der Journalist Franz Xaver Schönhuber 4. Im Ergebnis einer Auseinandersetzung um den Kurs dieser Partei kam es 1985 zum Austritt von Handlos und Voigt (der später wieder eintrat), die angesichts des Ausbleibens massenhafter Übertritte aus der CSU für eine ‚nationalsoziale Kaderpartei’ eintraten. Schönhubers Orientierung auf eine am Beispiel der französischen Font national orientierten Partei ‚rechts von der Mitte’ hatte sich durchgesetzt. Die Mitgliedschaft der ‚Republikaner’ war durch ehemalige CDU/CSU aber auch durch solche SPDMitglieder geprägt, die auf Grund ihrer rechtskonservativen Einstellungen mit ihren Parteien gebrochen haben. Dieser Zustrom war bis 1989 besonders deutlich. Nachdem die CDU im Sommer 1989 Koalitionen mit den Republikanern ausschloss und in deren Folge der Anteil von Angehörigen der Polizei, der Bundeswehr und der Beamten des öffentlichen Dienstes zurück ging kam es zu einer Umkehr dieser Mitgliederbewegung. Dies und die nun mit den Forderungen der Gruppe um die ehemaligen NPDMitglieder Neubauer und Glasauer laut werdenden Forderungen nach einer weiten Öffnung nach rechts führte zu einem neuen Richtungsstreit, in dessen Folge Schönhuber von seinem Amt

1 siehe Herzlich willkommen bei den Republikanern!, unter: http://www.rep.de/ content.aspx?ArticleD=171975c0e5f34267bee170f182bc974c 2 siehe Franz Handlos (1939) war von 19661970 Pressesprecher der CSULandtags fraktion, von 19701972 Abgeordneter des bayrischen Landtages und von 1970 1987 Mitglied des Bundestages. H. war von 1983 bis 1985 Vorsitzender der Repu blikaner und scheiterte 1986 mit der Neugründung einer ‚Freiheitlichen Volkspartei’. unter: http://de.wikipedia.org/wiki/Franz _Handlos 3 siehe Ekkehard Voigt (1939) wurde als Nachfolgekandidat der CSU Mitglied des Bundes tages schied im Oktober 1983 aus der CSUFraktion aus und blieb bis Ende der Wahlperiode fraktionsloser Abgeordneter. unter: http://de.wikipedia.org/wiki/ Ekkehard_Voigt 4 siehe Franz Xaver Schönhuber (1923) gehörte zur Hitlerjugend und zur NSDAP und meldete sich freiwillig zur SS. Der ehemalige Unterscharführer (Unteroffizier) wurde im Laufe der Entnazifizierung als Mitläufer eingestuft und hatte keine Schwierig keiten, bei mehreren etablierten Zeitungen als Journalist zu arbeiten. Sch. War von 1971 bis 1977 Vorsitzender des bayrischen Journalistenverbandes und legte (auch gerichtlich erstritten) Wert darauf, dass ‚ dass aus seiner Autobiografie eine deutliche Distanzierung zum NSRegime spreche’. unter: http://de.wikipedia.org/ wiki/Franz_Sch%C3%B6nhuber

86 zurück trat. Nach der Interimsleitung durch Johanna Grund 1 wurde Schön huber auf dem Parteitag in Ruhstorf als Garant der Abgrenzung nach Rechtsaußen mit großer Mehrheit wieder gewählt. Diese Entwicklung hing auf das engste mit den Wahlergebnissen der Republikaner bei den Europa und Bundestagswahlen zusammen:

Tab. 4: Wahlergebnisse der Europawahlen 1989 1994 1999 2004 Republikaner bei EU 7,1 3,9 1,7 1,9 und Bundestagswahlen Bundestagswahlen 1990 1994 1998 2002 2005 1989 – 2005 21,1 1,9 1,8 0,6 0,6

Im Zusammenhang mit diesen Versuchen einer rechtskonservativen Neuprofilierung auf dem Wege von einer rechtsextremen zu einer rechts radikalen, etablierten Partei 2 ist die Abgrenzung gegen neonazistische Organisationen sind insbesondere die Ruhstorfer Abgrenzungsbeschlüsse aufschlussreich. Dabei wurde u.a. festgelegt, dass Angehörige oder ehe malige Angehörige „extremistischen und verfassungsfeindlichen Organisa tionen (z. B. NPD, DVU, EAP, ANF, WikingJugend etc.) künftig keine Funktionen übernehmen dürften, weil „ein kleiner Kreis von jetzigen Repu blikanerFunktionären die NPD oder DVU nur wegen ihrer Erfolglosigkeit verlassen hat, um dann bei uns, gut getarnt, die alte Ideologie in neuem Gewand zu verkaufen. […] Wir Republikaner lehnen jegliche Zusammen arbeit mit NPD oder DVU kategorisch ab.“ 3 In diesem Kontext wird auch verständlich, warum sich Schönhuber in dem Maße in seiner eigenen Partei isolierte, in dem seine im Hintergrund dieser offiziellen Beschlüsse bleibenden Bemühungen um einen Zusammenschluss der zersplitterten rechten Gruppierungen scheiterten. Auf dem Sindelfinger Parteitag 1994 war Schönhuber schon deshalb nicht wieder zur Wahl angetreten. In einer Kampfabstimmung wurde Rolf Schlierer Vorsitzender der Republikaner. Aber trotz nun von diesem erneut getroffenen Vereinbarung mit der DVU, nicht als Konkurrenzpartei Wahlen aufzutreten, gab es außer bei den Landtagswahlen 1996 in Baden Württemberg keine spürbaren Erfolge. Schlierer vereinbarte auch 1998 mit Frey, keine Kandidaten gegen die DVU aufzustellen. Aber auch diese wahltaktischen Erwägungen halfen nicht über die 5%Schwelle. In den folgenden Jahren gab es zwar keine Wahlabsprachen aber auch keine besseren Ergebnisse. Zwar konnte sich Schlierer im Streit mit dem badenwürttembergischen Landesvorsitzenden um die Verschärfung des politischen Kurses durchsetzen. Aber damit und mit dem Austritt von Christian Käs waren und sein diese Konflikte nicht

1 siehe Johanna Grund (1934) unter: http://de.wikipedia.org/wiki/Johanna_Grund 2 siehe B. Neubacher: Die Republikaner im badenwürttembergischen Landtag – von einer rechtsextremen zu einer rechtsradikalen, etablierten Partei? 3 nach Die Republikaner, unter: http://de.wikipedia.org/wiki/Die_Republikaner

87 ausgestanden. Besonderes Interesse verdient in diesem Zusammenhang die im Umfeld der sächsischen Landtagswahlen durch die Entscheidung der damaligen Landesvorsitzenden, nicht gegen die NPD anzutreten, aus gelöste Auseinandersetzung. K. Lorenz schloss sich vor dem nun eingelei teten Parteiausschlussverfahren der NPD an. 1 Hier wird deutlich, dass die taktischen Erwägungen der Parteiführung von größeren Teilen der Mit gliedschaft nicht als ernst zu nehmende Abkehr von einer in ihrer Tendenz faschistoiden rechtsradikalen Orientierung verstanden wird. Zu einer annähernd vollständigen Übersicht des Spektrums neonazi stischer Parteien gehört außer den vorab genannten auch die Erwähnung der 1997 gegründeten rechtsextremen Kleinpartei ‚Ab jetzt… Bündnis für Deutschland’, die allein dadurch „kurzzeitig mediale Aufmerksamkeit“ aus löste, weil „sie mit der NPD und einem ehemaligen PDSMitglied, die auch jeweils einen Sitz im Kreistag des RheinSiegKreises erlangen konnten, eine technische Fraktionsgemeinschaft bilden wollte“ 2. Hier ist der 1990 als politischer Arm der Vertriebenenverbände gegründete ‚Bund für Gesamtdeutschland – Ostdeutsche, Mittel und Westdeutsche Wählerge meinschaft – Die neue deutsche Mitte (BGD)’ zu nennen. 3 Dazu gehört die 1989 als Kaderschmiede der ‚Gesinnungsgemeinschaft der Neuen Front’ auf Initiative Michael Kühnens gebildete ‚Deutsche Alternative (DA)’. Wegen der aktiven Beteiligung an ‚Wehrsport’ und der Aufstellung ‚mobi ler EinsatzKommandos’ wurde diese autoritärneonazistische Kleinpartei 1992 verboten. 4 Hier ist auch die am rechten Rand angesiedelte rechtskonservative ‚Deutsche Partei (DP)’ zu erwähnen. 1945 gegründet waren Vertreter der DP im Bundestag und im Bündnis mit CDU/CSU und FDP unter Adenauer an der Bundesregierung beteiligt. Die Mitgliedschaft wechselte häufig durch Übertritte in die CDU/CSU und in die Deutsche Konservative Partei – Deutsche Rechtspartei (DKPDRP). 1961 kam es zur Fusion mit dem ‚Gesamtdeutschen Block/Bund der Heimatvertriebenen und Entrechteten’. Nach der Neugründung im Jahre 1993 waren nacheinander der liberal konservative (19461961), Herbert Schneider (1961) – beide im Kriege bei der Luftwaffe, Wilhelm Freiherr von Cramm (1961 1964) dessen politische Erfahrung vor allem mit seinem Interesse an kriegsbedingt verloren gegangenen Besitztümern im Osten verbunden

1 nach Die Republikaner, unter: http://de.wikipedia.org/wiki/Die_Republikaner 2 siehe Ab jetzt…Bündnis für Deutschland, unter: http://de.wikipedia.org/wiki/Ab_jetzt %E2%80%A6B %C3%BCndnis_f%C3%BCr_Deutschland 3 siehe Bund für Gesamtdeutschland, unter:http://de.wikipedia.org/wiki/Bund _f%C3%BCr _Gesamt deutschland#Geschichte 4 siehe Deutsche Alternative (DA), unter: http://de.wikipedia.org/wiki/Deutsche_Alter native

88 waren, Adolf MeyerRavenstein (19641990), Wolf von Zworowsky, Flug zeugführer der Luftwaffe und CDUMitglied und Funktionär von 1948 bis 1993 (19931994), Johannes Freiherr von Campenhausen Professor für Wirtschaftsinformatik an der Fachhochschule Fulda (19942001) und Heiner Kappel (20011005) danach kommissarisch Caudia Wiechmann /Ulrich Pätzold (2005?) sowie Alfred Kuhlemann Parteivorsitzende. 1 Die politischen Ambitionen des in der Zeit von 1950 bis 1961 als Partei der Flüchtlinge und Vertriebenen operierende ‚Gesamtdeutscher Block/Bund der Heimatvertriebenen und Entrechteten’ (BHE) waren durch aus nicht nur auf eine Interessenpolitik dieses Klientels beschränkt. 2 Das ist durchaus nicht nur auf die politische Prägung ihres Gründers und langjährigen Vorsitzenden (18981977)3 zurückzuführen. Nicht weniger aufschlussreich ist die Person seines Nachfolgers: Theodor Oberländer (19051998) 4 war von 1953 bis 1960 als ‚Bundesminister für Vertriebene, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigte’. Kraft und Oberländer ge hörten der Adenauer Regierung nicht nur deshalb an, weil dieser das von ihnen repräsentierte nationalkonservative Potential an Wählerstimmen zu schätzen wusste. In dieser Partei konzentrierten sich die Kräfte des revan chistischen Nachkriegsdeutschland, die für eine Politik des kalten Krieges der Bindung der BRD an die imperialistischen Westmächte und der Remili tarisierung gebraucht wurden. Aus diesem Grund kann es auch nicht über raschen, dass Kraft, Oberländer und weitere Mitglieder des BHE 1955 aus dieser Partei aus und in die CDU eintraten. 5 Die ‚Unabhängige ArbeiterPartei (Deutsche Sozialisten)’ wurde 1962 als eine Art Zerfallsprodukt der Strasserschen ‚Deutschen Sozialen ge

1 siehe Deutsche Partei, unter: http://de.wikipedia.org/wiki/Deutsche_Partei 2 siehe Bund der Heimatvertriebenen und Entrechteten (BHE), unter: http://de.wikipedia. org/wiki/Gesamtdeutscher_Block/Bund_der_Heimatvertriebenen_und_Entrechteten #Geschichte 3 siehe Waldemar Kraft trat 1933 der NSDAP bei. Er wurde am 13. November 1939 zum EhrenHauptsturmführer der allgemeinen SS ernannt.. Von 1939 bis 1940 amtierte er als Präsident der Landwirtschaftskammer Posen. Von 1940 bis 1945 war er Geschäftsführer der „Reichsgesellschaft für Landbewirtschaftung in den eingeglie derten Ostgebieten mbH“ („Reichsland“). Unter: http://de.wikipedia.org/wiki/ Waldemar_Kraft 4 siehe Theodor Oberländer seit 1933 NSDAPMitglied und Obersturmbannführer der SA war als ‚Ostexperte’ UkraineReferent des OKW im Dienstgrad eines Hauptmanns Berater der deutschukrainischen Freiwilligeneinheit ‚Nachtigall’, war mit diesem an den durch die Ermordung der polnischen Intellektuellen in Lwow berüchtigten Kriegsverbrechen beteiligt und gehörte später auch dem deutschkaukasischen ‚Sonderverband Bergmann’ an. O. wurde 1960 in der DDR Abwesenheit zu lebens länglichem Zuchthaus verurteilt. Dieses Urteil wurde 1993 vom Landgericht Berlin aufgehoben, weil es sich bei den 1960 vorgelegten Dokumenten angeblich um ‚Fälschungen des KGB’ gehandelt habe. Unter: http://de.wikipedia.org/wiki/Theo dor_Oberl%C3%A4nder 5 siehe Bund der Heimatvertriebenen und Entrechteten (BHE), unter: http://de.wikipedia .org/wiki/Gesamtdeutscher_Block/Bund_der_Heimatvertriebenen_und_Entrechtete n#Geschichte

89 gründet. Nach dem Scheitern der zunächst verfolgten Abgrenzung von anderen rechtsextremen Parteien wurde Ende der sechziger Jahre der Kontakt zu ‚nationalrevolutionären’ Gruppierungen aufgenommen und ausgebaut. 1968 spaltete sich in BadenWürttemberg mit Martin Pape die ‚SozialLiberale Deutsche Partei’ ab, die sich 1979 in ‚Freiheitliche Deutsche Arbeiterpartei’ umbenannte. 1 Die 1979 durch Abspaltung der ‚Unabhängige ArbeiterPartei (Deutsche Sozialisten)’ entstandene ‚Frei heitliche Arbeiter Partei (FAP)’ wurde wegen ihres autoritär nationalisti schen und rechtsextremistischen Charakters nicht als Kleinpartei zugelas sen und 1995 nach dem Vereinsrecht wegen Verfassungswidrigkeit ver boten. 2 Ähnlich bedeutungslos blieb die mit dem Austritt einiger Landtags abgeordneten aus dem sachsenanhaltinischen Landtag gegründete Frei heitliche Deutsche Volkspartei (FDVP). Im Rückblick wird deutlich: Bei der Auflistung der als ‚revanchistisch’ (BGD) , ‚rechtsgerichtet’ (DG) , ‚rechtsextreme’ (DRP, (DVU), FDVP, NPD)) , ‚rechts radikal’ (UAP) , ‚nationalistisch’ (SRP) qualifizierten Parteien wird deutlich, dass damit nicht das ganze Spektrum parteipolitisch organisierter Kräfte erfasst wird, deren politische Positionen in der Tradition des Nationalsozialismus stehen. Die Intensität und Wirksamkeit solcher Beziehungen lässt sich nicht aus den mit wahltaktischen Erwägungen gefassten ‚Abgrenzungs beschlüssen gegen rechts’ ableiten. Das wird deutlich, wenn Äußerungen führender CDU/CSUPolitiker im Wahlkampf, die Tendenz der praktizierten Wirtschafts, Innen und Außenpolitik sowie die als ‚konservative Werte’ propagierten Positionen dieser Parteien hinterfragt werden. Wer da glaubt, dass das mit Globke, Oberländer & Co. Der Vergangenheit angehört, sollte sich an Filbinger und dessen Umdeutung zum Nazigegner und an die Äußerung Günther Öttingers erinnern, dass wir „in der unglaublich schö nen Lage sind, nur von Freunden umgeben zu sein. Das Blöde ist, es kommt kein Krieg mehr...“ 3 Wie die Entwicklung der Bundeswehreinsätze zeigt, wird mittlerweile auch das praktiziert... In den Unterscheidungen zwischen ‚konservativ’, ‚rechtskonservativ’, ‚nationalkonservative’, ‚nationalistisch’, ‚rechtsradikal’ und ‚rechtsextre mistisch’ zeigen sich Grundstrukturen des politischen Spektrums, deren Nähe zu den programmatischen Orientierungen des Faschismus wesentlich wirksamer sind, als dies anhand der Mitgliederzahlen und der Wahl

1 siehe Unabhängige ArbeiterPartei (Deutsche Sozialisten) (UAP), unter: http://de.wiki pedia.org/wiki/Unabh%C3%A4ngige_ArbeiterPartei_%28Deutsche_Sozialisten% 29#Inhaltliches_Profil 2 siehe Freiheitliche Deutsche Arbeiterpartei: unter: http://de.wikipedia.org/wiki/ Freiheit liche_Deutsche_Arbeiterpartei 3 siehe Günther Öttinger, unter: http://de.wikipedia.org/wiki/G%C3%BCnther_Oettinger#. C3.84u. C3.9Ferungen_.C3.BCber_Krieg

90 ergebnisse rechtsgerichteter, rechtsradikaler, rechtsextremer oder natio nalistischer Parteien der Fall zu sein scheint. 1 Was es heißt, wenn ‚rechts konservativ’ als eine politische Einstellung bezeichnet wird, die ‚rechts von christlichkonservativen Positionen angesiedelt’ sind wird deutlicher, wenn letztere beschrieben werden: Dabei geht es durchaus nicht nur um das naive Bild vom ‚Bewahren’. Der Hinweis auf eine enge Beziehung von antikmittelalterlichen und christlichen Wurzeln verweist vielmehr auf historische Traditionen der Inquisition und der Gegenreformation, auf ‚hie rarchische und freiheitliche (welche und wessen Freiheit ist da wohl ge fragt?) Elemente einer harmonischen, gottgegebenen Ordnung’, die weit hinter den bescheidenen Forderungen der französischen Revolution nach Menschenrechten zurück bleibt. 2 Rechts davon heißt nicht mehr und nicht weniger, als in dieser Tendenz fortfahrend. Das sind mit anderen Worten jene, die bei der Durchsetzung reaktionärer politischer Interessen diejeni gen, die den Vorreiter machen, von denen die Interessen der herrschen den Klasse am deutlichsten zum Ausdruck gebracht werden, die es den etablierten Parteien überhaupt erst ermöglichen, unter dem so (in großen Teilen durchaus gewollt) zustande gekommenen Druck in eben diesem Sinne zu reagieren. Partei Jahr Mitglieder Ab jetzt…Bündnis für Deutschland 2005 460 Bund für Gesamtdeutschland – Ostdeutsche, Mittel und 2002 300 Westdeutsche Wählergemeinschaft – Die neue deutsche Mitte (BGD) Deutsche Alternative (DA) [19891992] 1992 700 Deutsche Aufbaupartei (DAP) [19451946] k.A. Deutsche Gemeinschaft (DG) [19491965] 1963 2.500 Deutsche Konservative Partei – Deutsche Rechtspartei (DKP k.A. DRP)[19461950] Deutsche Partei (DP) [19461980 und 1993 z.Z.] 2007 604 DeutschSoziale Union [19561962] 650 Deutsche Reichspartei (DRP) [19501965] k.A. Deutsche Volksunion (DVU) 2007 7.000 Freiheitliche Deutsche Arbeiterpartei (FDAP) K.A. Freiheitliche Deutsche Volkspartei (FDVP) [20002003] k.A. Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) 2007 7.500 Die Republikaner (REP) 4006 6.000 Sozialistische Reichspartei Deutschlands (SRP) [1949 bis bis zu zum Verbot1952] 10.000 Unabhängige ArbeiterPartei (Deutsche Sozialiste n) (UAP) k.A. [1962] Tab. 5: Mitgliederzahlen revisionistischer, rechtsgerichteter, rechtsextremer, rechtsradikaler und nationalistischer deutscher Parteien nach 1945

1 siehe Rechtskonservatismus, unter: http://de.wikipedia.org/wiki/Rechtskonservatismus 2 siehe Konservativismus, unter: http://de.wikipedia.org/wiki/Konservativismus

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Im gepflegten Stil der political correctness wird tunlichst schon die verbale Nähe zur offiziellen politischen Orientierung der nationalkonserva tiven Parteien auf einen ‚Nationalstaat’ oder gar zu den offen chauvinisti schen und rassistischen Vorstellungen neonazistisch auftretender rechts extremen Parteien mit ihren Sprüchen von einem ‚Volkstum’ von ‚Rassen zugehörigkeit’ und dergleichen gemieden. Hier ist von ‚deutscher Leitkul tur’, von einer durch Vererbung begründeten Staatsbürgerschaft, vom Scheitern der ‚multikulti’diskriminierten Ausländer und von viel zuviel kri minellen Ausländern die Rede, wenn man das Gleiche sagen will. Aber im politischen Alltag sind die etablierten Parteien nicht ‚nur’ am Zugewinn dieses Wählerpotentials zumindest aber an der Bindung von Protestwäh lern an diese Parteien interessiert. Das wird nicht zuletzt in der ungenier ten Zusammenarbeit von ‚Konservativen’ aller Couleur in rechtsradikalen und neonazistischen Vereinen und Organisationen deutlich. 4.3 Die ‚Junge Freiheit’, Thule-Seminare, Kameradschaften, Wehrsport- und andere Gemeinschaften, Vereine etc. Das Spektrum rechtskonservativer, rechtsradikaler, rechtsextremi stischer und der offen faschistoiden Vereine, Verbände und Organisationen ist wesentlich breiter und differenzierter als das der vorab skizzierten Parteien. Neben ihren Jugend und anderen Organisationen gibt es in vielen Fällen ein ganzes Netzwerk von mehr oder weniger lockeren, zeit weiligen oder beständigen Beziehungen zwischen diesen und einzelnen oder mehreren Parteien. Das arbeitsteilige Zusammenwirken wird in der Spannbreite der Organisationsformen und ihrer Zielstellungen deutlich. Wie schon aus der Zwischenüberschrift ersichtlich – hier geht es nicht nur um die neofaschistischen Schlägertrupps der NSKameradschaften und um eingetragene Vereine, in und mit denen die politischen Anliegen der Neo nazis in deren Zielgruppen hineingetragen werden, sondern auch um Ein richtungen, die zunächst einen ganz seriösen Eindruck machen. Dieses Spektrum schließt die Wochenzeitung ‚Junge Freiheit’ zwar nicht wie, aber sondern eben auch, aber in anderer Funktion ein, wie die Schläger von ‚Blood & Honour’. Dazu gehören die ‚honorigen’ Teilnehmer des ‚Studien zentrums Weikersheim (SZW)’ und die ‚Staats und Wirtschaftspolitische Gesellschaft (SWG)’, die ultrarechten Intellektuellen des ‚ThuleSeminars’, die vulgären Nazis vom ‚Kampfbund deutscher Sozialisten (KDS)’, die Netzwerke der ‚Freien Kameradschaften’, die sich zwar ‚nationalsozial’ nennenden aber weder national noch sozial orientierten ‚Aktionsbünd nisse’, die ‚Gesinnungsgemeinschaft der Neuen Front (GdNF), die Wiking Jugend (WJ) usw. usf.. Jeder Versuch, diese Liste zu vervollständigen oder gar aktuell auf dem Laufenden zu halten scheitert: Da ist das enorme Tempo der Neubildung und Auflösung solcher Gruppierungen, ihr Auf

92 treten unter neuem Namen oder im Windschatten bestehender Organisa tionen und Parteien und da ist die Grauzone zwischen offiziell angemel deten, am Rande der Legalität oder im Untergrund bestehenden, das noch nicht oder schon ausgesprochene Verbot. In diesem Zusammenhang wird verständlich, dass es wenig Sinn macht, Vollständigkeit anzustreben. Aber dies ist kein Grund, dieses Vor haben aufzugeben, denn durch die Analyse der arbeitsteiligen Funktionen dieser Organisationen wird ein wesentlich aufschlussreicherer Einblick in die Interna des rechtsradikalneonazistischen Sumpfes möglich. An erster Stelle sind nicht etwa mit Bomberjacken, Doc Martens Tretern, weißen Socken, ‚PittBull’TShirts etc. auftretenden Skinheads 1 zu nennen. Wichtiger sind Organisationen, die eine „geistigpolitische Initiative“ vorbereiten (OTon Filbinger), „die unseren Staat befähigen will, den großen Herausforderungen unserer Zeit zu begegnen“, und zwar über Ideologie und Parteigrenzen hinweg als “Antwort auf die so genannte Kulturrevolution aus den 60er Jahren des vergangenen Jahrhunderts“. Dazu forderte er „Abkehr von den Irrlehren der so genannten Selbstver wirklichung“ und Hinkehr zu „Staatsgesinnung“, zu „geistiger Führung“ und einer „geistigen Leistungselite“ 2. Diese Aussage trifft das rechtsnatio nale Selbstverständnis der Gruppen und Personen, die das Studienzen trum Weikersheim zu einer christlichkonservativen Denkfabrik ausgebaut haben. Neben dem Mitbegründer und ersten Präsidenten Hans Filbinger (CDU) gehören sein Nachfolger, der CDU Bundestagsabgeordnete von Stetten und Paul Carell, ehemals Pressesprecher Ribbentrops. Derzeit sind das Jörg Schönbohm, Manfred Rommel, Renate Heinisch, Dieter Farwick, Arnold Vaatz u.a. Funktionäre der CDU. Nicht weniger aufschlussreich ist, dass das ‚SZW’ mit Spenden aus der Industrie (u.a. von der Daimler Benz AG) finanziert wird. 3 In der Tradition der zu Beginn des XX. Jahrhunderts im Hintergrund rechtsradikaler, nationalistischer und antisemitischer politischer Gruppie rungen operierenden ‚ThuleGesellschaft’ wurde 1980 das ‚ThuleSemi

1 dazu Hier ist zu unterscheiden zwischen den sich keiner politischen Gruppierung an schließenden traditionellen Skinheads, den explizit antipolitisch Skinheads der ‚Oi’ Gruppierungen, den antirassistischen Skinheads von SHARP, den linksradikalen und anarchistischen Skinheads RASH, den für die Gleichberechtigung homosexu eller Skinheads eintretenden ‚GaySkinheads’, den mit dem Neonazitum sym pathisierenden Skinheads, (die in Variationen den Schriftzug ...NSDAP.., mit den Marken ‚Pit Bull Germany’, ‚ Doberman Deutschland’ oder ‚ Masterrace’ auf ihren Klamotten tragen), den in einem internationalen Netzwerk verbundenen „Blood and Honour“ und den ‚Hammerskins’. nach: Skinhead, unter: http://de.wikipedia. org/wiki/Skinhead 2 Nach Studienzentrum Weikersheim, unter: http://de.wikipedia.org/wiki/Studienzentrum _Weikers heim 3 ebenda

93 nar’ („Arbeitskreis für die Erforschung der europäischen Kultur e.V.“) 1 ge gründet. Als Gründungsmitglieder werden neben dem Leiter, dem franzö sischen Publizisten, Verleger, Politiker und Theoretiker der ‚Neuen Rech ten’ Pierre Krebs der NSApologet und HitlerVerehrer Wigbert Grabert, ‚Schriftleiter’ des GrabertVerlages, HansGünther Grimm und Hans Michael Fiedler genannt. Die Gründer dieses Seminars wollten „die Bewusstwerdung der persönlichen und gesellschaftlichen Identität ... auf der Grundlage des volklichen Pluralismus“ zur Voraussetzung „einer Neu festsetzung der europäischen Werte ..., deren Behauptung, Festigung und Ausbreitung die Voraussetzung für das Überleben unserer abendländi schen Kultur“ machen. 2 Der Wirkungskreis solcher Ideen ist nicht auf die Teilnehmer und Hörer des ThuleSeminars beschränkt: Im Juni 2006 wurde auf einer ‚wissenschaftlichpraktischen’ Konferenz zur ‚Zukunft der Weißen Welt’ berieten russische, französische, spanische, deutsche und USamerikanische Neonazis über eine ‚eurosibirische Geo und Ethno politik’, über ‚Strategien der Neuen Kultur’, den ‚Zusammenstoß der Zivili sationen’, die ‚Hygiene der europäischen Weltanschauung’, die ‚weiße Welt unter den Verhältnissen der Globalisierung’ und den ‚Kampf für die Ras senzukunft’. 3 Hier wurde ein politisches Programm formuliert, das voll inhaltlich in der Tradition der faschistischen Verbrechen gegen die Menschheit steht. Besonders deutlich wird das in der auf dieser Konferenz von Pierre Vial, von der französischen ‚Terre et Peuple’, und den Franzo sen Guillaume Faye und YannBer Tillenon, Enrique Ravello von der spanischen ‚Tierra y Pueblo’, von Pierre Krebs ‚ThuleSeminar’, Elephterios Ballas von der griechischen ‚ARMA’, Anatoly M. Iwanow für die russische ‚Synergon’, dem Russen Wladimir B. Awdejew, von Pawel W. Tulaew für die russische ‚Atenaeum’ und von Galina Lozko für die ukrainische ‚Swa zoy’ unterzeichneten ‚Deklaration von Vertretern europäischer Länder und Völkern’, die in der rassistischen Forderung gipfelt ‚weiße Menschen der ganzen Welt vereinigt euch!’.. Zur Kategorie intellektueller Brandstifter gehört auch die ‚Staats und Wirtschaftspolitische Gesellschaft (SWG). Dieser Verein hat sich die Aufgabe gestellt, ‚durch Vorträge staatsbürgerliche Bildungsarbeit zu leisten’. Was bei denen darunter zu verstehen ist wird deutlicher, wenn man weiß, dass in den Vorträgen und den Publikationen geschichtsrevisi onistische Themen wie die Relativierung der Schuld am Zweiten Weltkrieg

1 siehe Deutsche Arbeiterpartei, unter: http://de.wikipedia.org/wiki/Deutsche_Arbeiter partei 2 siehe ThuleSeminar, unter: http://de.wikipedia.org/wiki/ThuleSeminar 3 siehe PRESSEMITTEILUNG der internationalen Konferenz "Die Zukunft der Weißen Welt" Moskau, 8. 9. Juni 2006, unter: www.thuleseminar.org Homepage des Thule Seminars

94 und der Naziverbrechen sowie Forderungen nach Straffreiheit für die Leugnung des industriellen Massenmordens an Juden dominieren. In die sem Kontext wird klarer, was gemeint ist, wenn die Rede davon ist, dass dieser Verein ‚wichtiges Scharnier zwischen Konservativen und Rechtsex tremisten’ sein will. 1 Wenn der Hamburger Verfassungsschutz personelle Überschneidungen der SWG mit (anderen) rechtsextremen Organisationen feststellt, kann das nicht überraschen: Gegründet wurde dieser Verein vom (ehem.) Chefredakteur des ‚Deutschen Wortes’ Hugo Wellems, dem (ehem.) Pressereferenten von Joseph Goebbels und damaligen CDU Abgeordneten Arthur Mißbach und KarlFriedrich Grau einem hohen Nazi funktionär und Mitglied der mit der Legion Condor schon im Spanischen Bürgerkrieg im Einsatz war. 2 Diese Liste bliebe unvollständig, wenn nicht auf Schlüsselorgani sation der NeonaziSzene aus den frühen 90er Jahren hingewiesen wird. Die ‚Gesinnungsgemeinschaft der Neuen Front (GdNF)’ wurde 1984 nach dem 83er Verbot der ‚Aktionsfront Nationaler Sozialisten / Nationaler Aktivisten (AND/AN)’ durch die Neonazis Michael Kühnen (19551991), 3 Thomas Brehl (1957) 4 und Christian Worch (1956) 5 gegründet. Die GdNF bekennt sich offen zur Programmatik der NSDAP uns versteht sich in der Tradition der SA und des ‚revolutionären Flügels der NSDAP. Hitler galt dieser Gruppierung ebenso wie ihren Nachfolgern als ‚Heilsgestalt der arischen Rasse’. Und schließlich gehören dazu auch der rechte Blätterwald, die einschlägig publizierenden Verlage (der Grabert und der HohenrainVerlag, der ArndtVerlag, Verlag & Agentur Werner Symanek (VAWS), Verlag Zeitenwende 6, der Verlag Burkhard Weecke 7), Zeitungen und Zeitschriften, die von der NPD herausgegebene ‚Deutsche

1 nach Staats und Wirtschaftspolitische Gesellschaft (SWG), unter: http://de.wikipedia. org/wiki/ Staats_und_Wirtschaftspolitische_Gesellschaft 2 ebenda 3 siehe Michael Kühnen war ein Anführer der deutschen Neonazis, der schon mit 14 Jahren in die NPD eintrat. In der Bundeswehr brachte es Kühnen bis zum Leutnant. Nach seinem Ausscheiden gründete er mit anderen den ‚SA Sturm Hamburg’ eine Unterorganisation der neonazistischen NSDAP/AO des USAmerikaners Gary Lauck. Nachdem Kühnen an AIDS verstarb und seine Homsexualität bekannt wurde, lösten sich die von ihm gegründeten Organisationen auf – die Mehrzahl ihrer Mitglieder tauchte später in anderen Gruppierungen auf. Unter: http://de.wikipedia.org/wiki/ Michael_K%C3%BChnen 4 siehe Thomas Brehl ist ein deutscher Neonazi. Er ist Mitgründer und einer der Anführer des Kampfbundes Deutscher Sozialisten (KDS). Unter: http://de.wikipedia.org/wiki/ Thomas_Brehl 5 siehe Christian Worch ist einer der führenden Köpfe und Multifunktionär der militanten NeonaziSzene in Deutschland. Er fungiert als Organisator, Anmelder und Redner bei einer Vielzahl von NeonaziDemonstrationen. Unter: http://de.wikipedia.org/ wiki/Christian_Worch 6 siehe Esoterik und Holocaustleugnung, unter: http://www.politischebildungbranden burg.de/extrem /verlage.htm 7 siehe Verlag Burkhart Weecke, unter : http://www.antifawest.org/x05nazis/weecke

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Nachrichten’ und die ‚Deutsche Wochenzeitung’ sowie die ‚Nationalzeitung’ der DVU. An hervorragender Stelle ist die 1986 gegründete ‚Junge Freiheit’ als Sprachrohr des etablierten Konservatismus und des neonazistischen Spektrums zu nennen. Seit 1994 erschien dieses Wochenblatt in einer Auflage von 10.000 (mittlerweile 2007 sind das 20.000) Exemplare mit 20 bis 28 Seiten. Durch die kostenlose Verteilung unter Studenten ist es dem Gründer und Chefredakteur Dieter Stein 1 offensichtlich gelungen, eine relativ beständige Klientel unter Nachwuchsakademikern und den aus diesem Kreis hervorgehenden Intellektuellen und Führungskadern in der Wirtschaft, im Staatsapparat und im Hochschulwesen aufzubauen. 2 Durch aus aufschlussreich wird das Spektrum des Beziehungsfeldes dieses Jour nals durch die auf der Hompage der ‚Neuen Freiheit’ als nahe stehend bezeichneten deutschen und anderen rechtsradikalen Parteien wie die Schweizer Volkspartei (SVP), der ehemalige Bund für Bürger (BFB), die ehemalige SchillPartei sowie „die noch vorhandenen konservativen oder rechtsliberalen Flügel von CDU/CSU und FDP beschrieben. Außerdem erscheinen in dieser Liste die Freiheitliche Partei Österreichs (FPÖ), die ‚Deutsche Partei (DP)’, ‚Die Republikaner (REP)’, die ‚Freiheitliche Jugend (fj) und die ‚Bürger in Wut (BIW)’. 3 Was hier im Hintergrund öffentlicher Debatten um den ‚Kampf gegen den islamistischen Terrorismus, die Verletzung der Menschenrechte, den Krieg der USA im Irak, die Kampfeinsätze der Bundeswehr in Afghanistan, Mindestlöhne, Spekulationsgeschäfte der Banken, die DOWJones Abwer tung, Maßnahmen gegen die Jugendkriminalität, Grenzwerte für die Fein staubbelastung etc. diskutiert wird, findet in der Öffentlichkeit kaum Beachtung. Bei genauerer Prüfung stellt es sich heraus, das die vom ‚Stu dienzentrums Weikersheim’ als auch in der ‚Staats und Wirtschaftspoli tischen Gesellschaft (SWG)’, beim ‚ThuleSeminar’ und durch die ‚Gesin nungsgemeinschaft der Neuen Front (GdNF)’ eingeleitete intellektuelle Vorbereitung einer in ihren Grundstrukturen faschistoiden geopolitischen Strategie äußerste Aufmerksamkeit verlangt. Was die einen als esotherisch verbrämte Wortakrobatik zu verschlei ern versuchen wird mit fortschreitender Nähe zu den rechtsradikalen und neonazistischen Gruppierungen immer deutlicher: Sowohl in den etab

1 siehe Dieter Stein (1967) Publizist, gründete als Schüler die ‚Junge Freiheit’ deren und Chefredakteur er ist . S. schloss sich nach seiner Mitarbeit in der ‚Jungen Union’ 1984 den Republikanern, danach der FVP an, die er auch wieder verließ. Er unterhält Kontakte zum etablierten Konservatismus und neonazistischen Spektrum, unter: http://de.wikipedia.org/wiki/Dieter_ Stein 2 siehe Junge Freiheit, unter: http://de.wikipedia.org/wiki/Junge_Freiheit 3 ebenda

96 lierten konservativen Parteien als auch unter ihren Gesinnungsgenossen in den ultrakonservativen, nationalistischen, national und rechtskonserva tiven und rechtsextremen Parteien und Organisationen wird nicht nur über die Revision des Geschichtsbildes in dem ihnen gemäßen Sinne gestritten. Hier werden politische Konzepte erörtert und erprobt, die durchaus nicht nur von akademischem Interesse sind. Das, was sich hinter dem Begriff von der ‚Neuen Rechten’ verbirgt, das sind Pläne und Vorhaben, die mit aktiver und passiver Unterstützung durch die Mitglieder und Sympathi santen an den Schalthebeln der Macht, in den Parlamenten, in Gerichten 1, Amtsstuben, Polizeidienststellen und Kasernen schon jetzt auf Durch führbarkeit erprobt werden. Wer also über das Spektrum rechtskonservativer, rechtsradikaler, rechtsextremistischer und faschistoider Vereine, Verbände und Organisa tionen spricht, kann das nur dann ernsthaft tun, wenn er von diesem Hin tergrund weiß. An erster Stelle sind die verschiedenen meist locker, de zentral, zum Teil nur zeitweilig bestehende Strukturen rechtsradikaler Netzwerke zu nennen. In diesem Sinne sind die ‚Neuen Rechten’, der ‚Kameradschaftsring Nationaler Jugendverbände’ 2, überregionale, partei gesteuerte, ‚unabhängige’ Netzwerke und die ‚Freien Kameradschaften’ 3 in unterschiedlicher Funktion arbeitsteilig miteinander verbunden. Erst in diesem Rahmen sind Wirkungsbreite und –intensität rechtsradikaler und neonazistischer Vereine, ‚Freie’ Kameradschaften, Aktionsbündnisse, Wehr sportgruppen, die mittlerweile verbotene ‚WikingJugend’, der ‚Jugend bund Adler’, der Bund Nationaler Studenten (BNS), der von der NPD ge gründete ‚Nationaldemokratische Hochschulbund (NHB)’, die dubiose ‚Art gemeinschaft – Germanische GlaubensGemeinschaft wesensgemäßer Lebensgestaltung e.V.’, der nicht weniger dubiose ‚Bund für (deutsche) Gotterkenntnis’, sowie anderer rechtsradikaler, rassistischer resp. nationa listisch orientierter Gruppierungen der Skinheads, insbesondere die unter dem Signum der HJ agierenden ‚Blood an Honor’ als international koor diniertes Netzwerk operierenden Gruppen bewertbar. 4 Dass es sich dabei um ein flächendeckend organisiertes Vorgehen handelt wird deutlich, wenn man sich vor Augen führt, wie sich die Organi

1 dazu u.a. Matthias Müller will nicht „Neonazi“ genannt werden, Presseerklärung des antifaak an der Uni Heidelberg vom 30.11.2006, unter: http://www.antifafreiburg.de/spip. php?design=3&id_article=533&page=antifa 2 siehe Im Kameradschaftsring Nationaler Jugendverbände waren 1960 mit insgesamt 18 Organisationen 20.000 Mitglieder verbunden, unter: http://de.wikipedia.org/wiki/ Kameradschaftsring_ Nationaler_Jugendverb%C3%A4nde#Mitgliedsorganisationen 3 siehe Rechtsextreme Netzwerke, unter: http://de.wikipedia.org/wiki/Rechtsextreme _Netzwerke #.C3.9Cberregionale_B.C3.BCndnisse 4 siehe Blood and Honour: Die deutsche Division wurde im September 2000 verboten, ist aber unter dem neuen Namen „Division 28“ weiterhin aktiv. Unter: http://de.wiki pedia.org/wiki/Blood_ and_Honour

97 sationsstrukturen deutschlandweit regional und inhaltlich überlappen: So sind ‚Freien Kameradschaften’ nicht nur in vier überregionalen Bündnissen (im ‚Nationalen und Sozialen Aktionsbündnis Mitteldeutschland [NSAM]’ und ‚... Norddeutschland [NSAN]’, im ‚Widerstand Süd’ und dem ‚Wider stand West’), sondern auch regional und auf Ländereben (im ‚Aktions bündnis Mittelhessen’, durch das ‚Aktionsbüro RheinNeckar [Rheinland Pfalz], im ‚Nationalen Widerstand BerlinBrandenburg [NWBB], im ‚Selbst schutz SachsenAnhalt [SSSAsic!!], im ‚Sozialen und Nationalen Bündnis Pommern) und weiteren Strukturen organisiert. Dazu gehören 150 (!) regional und überregional organisiert ‚Freie Kameradschaften’ – allein in Sachen geschätzte 40. Unter anderen der ‚Nationaler Widerstand Pirna (NWP)’, die 2001 verbotenen ‚Skinheads Sächsische Schweiz (SSS)’, der ‚Thüringer Heimatschutz (THS) und der 2007 verbotene ‚Sturm 34’. Dazu gehören die als verfassungsfeindlich eingestuften, gerichtlich verbotenen Wehrsportgruppen wie die Wehr sportgruppe Ausland (Libanon), die Wehrsportgruppe Hoffmann, die öster reichische Wehrsportgruppe Trenck und die Wehrsportgruppe Wolf. In wieweit derartige Gruppierungen nach ihrem Verbot tatsächlich aufgelöst wurden oder illegal resp. unter anderem Namen (als Wandergruppen) weiter existieren, lässt sich aus den derzeitig offen verfügbaren Quellen nicht eruieren. Aufschlussreich ist auch in dieser Hinsicht auch die bekannt gewordene Funktion der sich als ‚Stiftung’ ausgebenden ‚WilhelmTietjen Stiftung für Fertilisation Ltd.’ NSTarnfirma, die unter dem Deckmantel einer nach britischem Recht registrierten Firma Immobilien erwirbt, die als Schulungsort und Treffpunkt rechtsextremer Gruppierungen dienen. 1 Aber das ist durchaus nicht die einzige Stadt, in der mit Sorge beobachtet wird, wie rechtsradikale Geldgeber Immobilien aufkaufen, um diese dann zu NSSchulungszentren auszubauen. So wurde unlängst bekannt, dass Alt nazis vom rechten Schulungszentrums ‚Collegium Humanum’ aus Vlotho in NordrheinWestfalen in Borna eine ‚Gedenkstätte für deutsche Kriegsopfer’ planen. 2 In einem Überblick über die mehr oder weniger offen oder verdeckt neonazistischen Gruppierungen kann die Entwicklung in einigen der ‚Bur schenschaften’ keinesfalls ‚vergessen’ oder übersehen werden. Das wurde im Zusammenhang mit dem 2006 vor dem Landsgericht Heidelberg ver handelten Verfahren offensichtlich, in dem sich der damals in Heidelberg studierende Matthias Müller in einem Berufungsverfahren dagegen ver

1 siehe Rechtsextreme Netzwerke, unter: http://de.wikipedia.org/wiki/Rechtsextreme_Netzwerke# Hintergrund 2 A. Seitz Der deutschen Tragödie gedenken, unter: http://www.linkebueros.de/der deutschentragoe diegedenken_3962,506.html

98 wahrte, als ‚Neonazi’ bezeichnet zu werden. Verteidigt von dem RA Björn Clemens, stellvertretender Bundesvorsitzender der Republikaner, und of fensichtlich unterstützt durch die Richterin wurde ein Antifaschist, der die se Vorwürfe erhoben hatte, wegen Beleidigung verurteilt. Die in diesem Zusammenhang vorgelegten Fakten belegen: Müller wechselte 2004 von der neofaschistischen Heidelberger Burschenschaft Normannia 2005 (wo er durch seine neofaschistische Gesinnung auffiel) zu der als NPDKader schmiede bekannten Burschenschaft DresdensiaRugia in Gießen. Er ist nicht nur als Autor für das RechtsaußenBlatt „Junge Freiheit“ tätig son dern nahm auch an einem mehrtägigen Schulungsseminar des NPDthink tanks ‚Dresdner Schule’ teil. Die Heidelberger Normannia ist wie ihre Schwesterburschenschaft DresdensiaRugia (beide im Dachverband der „Deutschen Burschenschaft“ organisiert) durch ihre neofaschistische Gesinnung bekannt. Neben einer langen Kontinuität rechtsextremer Positi onierungen und regelmäßige auftretender rechter bis rechtsextremer Pro minenz wird das in der Mitgliedschaft deutlich: So sind neben Müller weitere ‚Normannen’ Mitglied der neonazistischen ‚Jungen Landsmann schaft Ostdeutschland (JLO)’: Christian Schaar, der ab 1999 Bundesvor sitzender der JLO ist und Markus Ksienzky, der Schriftwart der Normannia im Sommersemester 2005. Müller selbst ist Vorsitzender des Regional verbands SüdWest in der JLO. Weitere Mitglieder der ‚Normannia’ sind bei den ‚Republikanern’ oder bei der „DeutschlandBewegung“ anzutreffen. 1 In einer ‚Kurzanalyse rechter neonazistischer Strukturen in Leipzig’ wird noch auf einen anderen Aspekt hingewiesen: „Rechte Gruppen und Organisationen treten längst nicht mehr nur in einem traditionellen Er scheinungsbild auf. Einerseits verabschieden sie sich davon, um durch bürgerliches Auftreten Akzeptanz in der Gesellschaft zu erhalten. Sie agieren dann etwa verdeckt in „Bürgerinitiativen“ mit scheinbar konserva tivem (z.B. In Sachen Ordnung und Sicherheit oder Geschichtspolitik), aber auch zivilgesellschaftlichem (z.B. in sozialen oder umweltpolitischen Fragen) Anliegen. Andererseits erneuern Nazis zunehmend ihr Erschei nungsbild, indem sie sich Codes und Styles von Jugendsubkulturen bedie nen. Der glattrasierte, mit Aufnähern überpflasterte Skin ist längst ein überkommenes Klischee. Weder die als linksalternativ bekannten Jugend kulturen wie die HipHop oder Punk Szene noch die als unpolitisch geltenden, wie die so genannte „Schwarze Szene“ sind „nazifrei“. Mit der Strategie mit einem modernen Outfit verstärkt an Jugend kulturen anzudocken, wird natürlich auch versucht Geld zu machen. Dabei

1 dazu Matthias Müller will nicht „Neonazi“ genannt werden, Presseerklärung des antifaak an der Uni Heidelberg vom 30.11.2006, unter: http://www.antifafreiburg.de/spip. php?design=3&id_ article=533&page=antifa

99 spielen Internetversandunternehmen eine wichtige Rolle, doch auch Läden und Clubs sind wichtige Umschlagplätze und bilden zugleich potentielle Treffpunkte für eine rechte Klientel. Unternehmen wie die Mediatex GmbH, die die bei Neonazis beliebte Bekleidungsmarke „Thor Steinar“ vertreibt, versuchen in die Mitte der Gesellschaft einzudringen. Geschäftseröffnun gen, wie die des „Tönsberg“ im September 2007 in Leipzig, finden zuneh mend in den belebten Innenstädten und nicht mehr in Randlagen statt. Der rechte Kundenverkehr wird damit ermuntert, zunehmend offen aufzu treten. Neben dem Tönsberg bieten Läden in Mockau („Aryan Brother hood“, FitnessStudio, Laden und Kneipe), aber auch normale „Street ware“Läden Dienstleistungen und Waren für Nazis an. Neonazis unter wandern aber auch bestehende Vereine. Mit einer solchen Problematik hat offenkundig der Fußballclub Lok Leipzig zu tun. Dass LokOrdner in „Thor Steinar“Bekleidung beobachtet wurden, ist dabei nur die Spitze eines Eisberges. So warben Fans auf Plakaten mit der zerstörten Silhouette Dresdens für das Spiel gegen Dynamo Dresden II, bei dem es kürzlich zu Ausschreitungen zwischen den Lagern kam. Im LokFanblock wurde bei einem Spiel gegen den FC Sachsen im Februar 2006 ein menschliches Hakenkreuz gebildet, rassistische Kommentare gegen den ehemaligen FC Sachsen Spieler Adebowale Ogungbure gehörten auf die Tagesordnung. Das FußballMilieu wird von organisierten Nazis gezielt als Betätigungsfeld. In Bezug auf den FC Lok Leipzig kann von der Herausbildung eines hand festen rechten Randes in der Fanschaft gesprochen werden. Die Szene zeichnet sich durch eine enorme Gewaltbereitschaft aus. Im Dezember 2007 störten mutmaßliche LokLeipzigFans auf martialische Art und Weise zwei Feiern von Fans bzw. dem Verein FC Sachen.“ 1 Bei all dem verdient der sich als ‚linke’ NeonaziOrganisation gebär dende ‚Kampfbund Deutscher Sozialisten (KDS)’ schon deshalb besondere Aufmerksamkeit, weil hier (zum wiederholten Male) ein Versuch unter nommen wird, die politischen Kräfte einzubinden, die vor 1989 in der SED und den ihr nahe stehenden Organisationen engagiert waren. Ein Reprä sentant dieser Zielstellung ist das ehemalige Mitglied und Funktionär der SED(W) und anderer kommunistischer Parteien. Michael Koth 2, der 1999

1 siehe ++ Entwurf ++ Antifaschistisches Aktionskonzept DIE LINKE. Leipzig 2 siehe Michael Koth ehemaliges Mitglied der SEW, nach seinem Ausschluss Mitglied und Vorsitzender der Westberliner KPD/ML nahm nach 1989 Kontakt zu führenden Repräsentanten der DDR auf. K. betont, er sei der letzte gewesen, der Erich Honecker und seine Frau vor deren Abflug nach Moskau in Beelitz und bis zu Honeckers Ausreise nach Chile im Untersuchungsgefängnis Moabit besucht habe. K. engagierte sich im „ErichHoneckerSolidaritätskomitee“ sowie im Freundeskreis Ernst ThälmannGedenkstätte e.V, Ziegenhals. Mit der Umbenennung und Umfor mung der SED verließ Koth die Partei und wurde stellvertretender Vorsitzender der 1990 in Berlin gegründeten Kommunistischen Partei Deutschlands (KPDOst). Nach eigener Darstellung wurde er 1996 aus der KPD „gesäubert“. Anlass des Partei

100 mit dem Naziaktivisten Thomas Brehl 1 und Frank Hübner den KDS grün dete, war nach eigener Darstellung ein nicht nur im Bereich Agitation und Propaganda voll engagiertes FDJ, sondern auch ein nicht weniger aktives SED und DKPMitglied. Irritiert habe ihn nur die „idiotische These“, dass „es keine Deutsche Nation mehr gäbe, sondern eine kapitalistische BRD und eine sozialistische DDRNation.“ Hier sieht Koth den Ausgangspunkt seines Sinneswandels. Durch den Kontakt mit Thomas Brehl sei ihm nicht nur aufgegangen, dass „es in beiden deutschen Sozialismusversuchen (die DDR genau wie im Dritten Reich) hoffnungsvolle Ansätze gegeben“ habe. Dazu gehört auch die ‚Erkenntnis’, dass die eben noch beschworene ‚un verbrüchliche Freundschaft mit der Sowjetunion’ als „Freunde Russlands und Freunde seiner Völker“ in einer Art und Weise fortgesetzt werden könne, die durchaus auch auf historische Traditionen wie der Wlassow Bewegung zurück greift.“ Schlussfolgernd aus seinen vielen Kontakten mit „Freunden aus dem Irak, aus Kuba, den Palästinensern, der PLO und der PFLP, aber auch mit den Menschen aus Nordkorea,“ zu der These: „entscheidend ist: International nur der nationale Sozialismus!“ 2 Manch einer mag sich darüber amüsieren oder angesichts derartiger Verwirrungen den Kopf schütteln – das hier angebotene Gebräu aus über Jahre eingeübten Sprachregelungen der Abteilung Agitation und Propa ganda des ZK der SED und der Reanimation faschistoider Sprüche aus den Anfängen der braunen ‚Bewegung’ ist angesichts der damit gemachten Erfahrungen in der Tat nur noch widerlich zu nennen. Das Problem liegt auf einer ganz anderen Ebene: Viele, insbesondere Jüngere kennen diese historischen Hintergründe nicht oder bestenfalls doch nur so oberflächlich, dass ihnen die schlichte ‚Logik’ solcher Darstellungen überzeugend er scheint. Dazu gehören nicht zuletzt jene, deren Verständnis der gesell schaftspolitischen Zielstellungen dieser Partei – wie bei Koth – auf die Zu stimmung zur immer wieder bekräftigte ‚Einheit von Wirtschafts und Sozialpolitik’ in der DDR als einer Errungenschaft des Sozialismus, be schränkt blieb.

ausschlusses seien neostalinistische Äußerungen gewesen. unter: http://de. wikipedia.org/wiki/ Michael_Koth 1 siehe Thomas Brehl begeisterte sich schon als 12jähriger für die NSZeit und sammelte HitlerReden. Prägend war sein Großonkel Rudolf Jordan, im Dritten Reich Gauleiter von HalleMerseburg. wegen des Todes seines Vaters 1974 musste er die Aus bildung abbrechen. B. bewarb sich beim Bundesgrenzschutz, wo er eine NSZelle aufbaute, in einer „mit Plakaten und Hakenkreuzfahnen geschmückten Privatwoh nung“ feierte und mit SA und SSUniformen in der Stammdisco einmarschierte. Als das in Gewalt eskalierte, wurde er festgenommen und musste den Dienst beim BGS quittieren. B. war zusammen mit Kühnen, Worch und anderen Neonazis aktiv an der Gründung einschlägiger Organisationen beteiligt. Unter: http://de.wikipedia. org/wiki/Thomas_Brehl 2 siehe Michael Koth / Interview mit der Zeitschrift "Fahnenträger", unter: http://www.kds imnetz.de/

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Die taktische Vorgehensweise dieser Neonazigruppierung wurde bloßgestellt, als die KDS am 8.12.2006 vor dem Leipziger Arbeitsamt auf trat: Unter demagogischen Losungen wie: ‚Damals wie heute Kriegstreiber stoppen’, ‚Kein deutsches Blut für fremde Interessen! Kein Krieg mit uns!’ demonstrierten etwa 100 KDSAktivisten aus Sachsen, SachsenAnhalt und Thüringen gegen den Ausbau des Flughafens LeipzigHalle zum NATO Umschlagplatz für die imperialistischen Aggressionen. Versammlungsleiter war der wegen schwerer Körperverletzung und NSPropagandadelikte ein schlägig vorbestrafte Thomas Gerlach. Wenn solche Typen erklären „eine imperialistische Politik der Großkonzerne wird es mit uns nicht geben“ kommentiert sich das selbst. Nicht weniger entlarvend sind die daran an schließenden Behauptungen, dass sich ausgerechnet „die Antifa heute ... willfährigen Helfershelfer dessen machen, was sie im Grunde vorgibt zu bekämpfen, nämlich ein(es) System(s), welches deutsche Soldaten bereits in aller Welt stationiert hat und sich am Kriegstreiben der kapitalistischen Allianzen beteiligt um sein „Stück vom Kuchen“ abzubekommen. 1 Thomas Brehl beschreibt sich in seinen Erinnerungen (mit 50 Jah ren!) nicht nur durch Wiedergabe von Fotos seines NaziOnkels Gauleiter Jordan im Ornat eines NSGoldfasans, des SSObergruppenführers Sepp Dietrich, des ‚Reichsleiters’ Alfred Rosenberg, des Luftwaffenobristen HansUlrich Rudel, des Ritterkreuzträger Otto Riehs, des Hitlergenerals und StaufenbergHenkers Otto Ernst Remer, Francos, Degrelles, und feiert noch nachträglich den ‚Sturm auf die Feldherrnhalle’. Brehl beschreibt seine Karriere in der Neonaziszene, rühmt seine ‚Seelenverwandtschaft’ mit Michael Kühnen dem – wie auch ihm – selbst die NPD „zu lasch, ange passt, spießbürgerlich und damit jedem revolutionären Denken und Han deln“ fern sei, schildert seine Fahrt zu den Beerdigungsfeierlichkeiten Francos und seine Verurteilung wegen „Volksverhetzung in Tateinheit mit Verunglimpfung des Staates, Verbreiten von Propagandamitteln verfas sungswidriger Organisationen in Tateinheit mit Verwenden von Kenn zeichen verfassungswidriger Organisationen“. 2 Ausgerechnet von dem stammt ein programmatische Grußwort an die Gründungsveranstaltung des Kampfbundes Deutscher Sozialisten richtet, in dem Koths ‚Sinnes wandel’ auf den Begriff gebracht wird. Als „langfristiges Ziel“ wird „die Rettung der Nation, die Bewahrung unseres Volkes vor dem drohenden Untergang und die Sicherstellung seiner Existenz für die nächsten hun derte Jahre“ angegeben.“ Mittelfristig gehe es um „die Gewinnung mög lichst großer Massen dieses Volkes im Sinne des obigen Zieles, denn wir

1 siehe Kein Krieg mit uns! KDSMitteldeutschland demonstriert in Leipzig, unter: http://forum.thiazi. net/showthread.php?t=89544 2 siehe Exklusiv: Bewegte Zeiten Die Lebenserinnerungen von Thomas Brehl, unter: http://www.kdsimnetz.de/schriften/brehl_bio.htm

102 wollen und werden nichts gegen das Volk erreichen können.“ Kurzfristig sei das „die Schaffung der Infrastruktur zur Einbindung dieser Massen, also die Schaffung einer Organisation, die Heimat sein will, Heimat für die Entrechteten, die Enttäuschten, die verfolgten Angehörigen unseres Vol kes und diese Volksgenossen müssen jetzt mobilisiert werden.“ 1 Wes Geistes Kind die KDS ist wird noch deutlicher, wenn man sich das Arbeitsprogramm dieser Gruppierung genauer ansieht: http: Da wer den nicht nur handsignierte Bildkarten von Ritterkreuzträger Otto Riehs und THemden mit den GoebbelsLosungen ‚Das Reich schlägt zurück’ bzw. Goebbels Durchhalteparole ‚Berlin bleibt Deutsch!’ angeboten. Hier wird über Seminare berichtet, in denen es um Methoden des Verfassungs schutzes („Observieren und Bespitzeln, Provozieren und Zwietrachtsäen – Methoden der Nationalistenverfolgung“) geht. Brehl referiert zum Thema ‚Die Zukunft gehört uns’. Unter der Überschrift ‚Nogo’ werden Deutsche darauf aufmerksam gemacht, „dass man bestimmte Viertel nächtens und einige von ihnen auch am Tag lieber meide sollte.“ Mit der Nachricht „Rechte Ansichten mutieren zu demokratischen Einsichten“ wird sugge riert, dass die Neue Rechte in der Mitte angekommen sei – wer´s noch nicht ‚geschnallt’ hat, sollte sich dazuhalten, nicht zu spät zu kommen. Und auf einem auf der Homepage präsentierten ‚Plakat zur Vergangen heitsbewältigung’ lautet der Text im Mittelstreifen: „Wer nur die Vergan genheit sieht verliert den Blick für Gegenwart und Zukunft“. ‚Garniert’ wird dieser Spruch mit einer Brille, die auf dem rechten Auge ein Eichmann Porträt und links mit einem Bild vom KZ Auschwitz. Oben und unten sind dann Bilder vom IrakKrieg, US und israelischen Soldaten im Einsatz, vom Ku Klux Klan und ihren Opfern zu sehen. 2 Die Botschaft ist eindeutig: Hier wird im Trüben gefischt, um kurz, mittel und langfristig zu den Zuständen des Naziregimes zurückkehren zu können. Angesichts der Verfilzung dieser Organisationen mit den Einrich tungen des Staatsapparates, der klammheimlichen resp. fast schon offe nen Hilfe durch Personen, die dort an den Schalthebeln sitzen, ist nicht damit zu rechnen, dass es zu einer wirklich ernst zu nehmenden Unter bindung oder Behinderung solcher Aktionen kommt. Wenn in der Presse nur am Rande notiert wird, dass die Namen der drei Mitgliedern einer Ber liner antifaschistischen Gruppe nur drei Stunden nach einer von der Berliner Polizei durchgeführten Razzia auf den NeonaziInternetSeiten auftauchen 3, wenn sich Antifaschisten zum gleichen Zeitpunkt einer un

1 Th. Brehl Grußadresse für die Gründungsveranstaltung des Kampfbundes Deutscher Sozialisten, unter: http://www.kdsimnetz.de/ 2 siehe unter: http://www.kdsimnetz.de/vergangenheit.jpg 3 siehe Polizei will keine Namen mehr verraten, ND vom 22.1.2008 S. 1

103 verhältnismäßigen polizeilichen Gewalt und einem Verfolgungsdruck aus gesetzt sehen, zu dem die demokratischen Rechte der Neonazis, die diese Demokratie liquidieren wollen von Gerichten und Polizei unter staatlichen Schutz gestellt werden, sind – sofern dem nicht Einhalt geboten wird – die Perspektiven dieser Entwicklung absehbar 5. Programmatik und Ideologie des Neofaschismus Was von den großartigen Worten, hehren Ankündigungen und tollen ‚Beschlüssen’ der Neonaziparteien zu halten ist, wird schon etwas klarer, wenn man diese Sammlungen juristisch verklausulierter Sprachregelun gen, schlichter Demagogie, Halbwahrheiten und ebenso bewusst wie ziel gerichtet eingesetzter Lügen mit dem praktischen Verhalten und den Ent scheidungen der jeweiligen Parteiführungen vergleicht. Dabei ist nur daran zu erinnern, wie die DVUFührung mit ihrem eigenen ‚Unvereinbarkeits beschluss’ umging. Der Bundesvorstand der DVU fasste am 22.11.1992 mit Zustimmung aller Landesvorsitzenden einstimmig den am nächsten Tag vom Bundesparteitag genau so einhellig bestätigten Beschluss, dass nicht nur die „Mitgliedschaft bei Organisationen, die das Grundgesetz be kämpfen oder missachten oder die bestehende Rechtsordnung, insbeson dere Strafbestimmungen, hartnäckig und schuldhaft verletzen, mit der Mitgliedschaft in der DVU unvereinbar“ ist. Ebenso wurde die gleichzeitige Mitgliedschaft in der FAP, in der Nationalen Liste […], der Nationalistische Front […], bei Skinheads sowie bei Ersatz oder Nachfolgeorganisationen und Gruppierungen u.a. um folgende Personen: Röder, Busse, Reitz, Pape, Althans, Worch ausgeschlossen. 1 In der Praxis sieht das etwas anders aus: 2004 wurde bekannt, dass es im Widerspruch zu diesem Beschluss Wahl absprachen der DVU mit der NPD gab. Und 2005 wurde bekannt, dass der Sohn der brandenburgischen DVUVorsitzenden Liane Hesselbarth Mitglied der verbotenen NeonaziKameradschaft ANSDAPO ist. 2 Auch die Republi kaner wollten angeblich jede Zusammenarbeit mit den noch weiter rechts stehenden Parteien und Organisationen ausschließen. Merke: Das, was offiziell erzählt wird und das, was in und zwischen den Leitung geschieht sind zwei Dinge, die man säuberlich auseinander halten sollte: Das eine ist für die Medien – das andere geschieht im Namen der Bewegung. Aber auch das ist zu bedenken: Die skrupellose Rücksichtslosigkeit mit der Wahlversprechen von den offiziellen Vertretern der etablierten Parteien als das ‚Geschwätz von gestern’ abgetan werden, ist keine Erfin dung aus unseren Tagen. Betrug als Programm: Das ist nichts, was man nur den Nazis vorwerfen könnte! Schon vorn wurde darauf hingewiesen,

1 siehe Deutsche Volksunion, unter; http://de.wikipedia.org/wiki/Deutsche_Volksunion 2 ebenda

104 dass das Ahlener Programm der CDU 1 (‚CDU überwindet Kapitalismus und Marxismus’) zwar mit unverhüllter antikommunistischer Zielstellung aber nie in der Absicht verfasst wurde, ‚das Kapital zu überwinden’. Unlängst hatte ein Herr Müntefering die Stirn, sich darüber zu beschweren, dass ihm der Bruch seiner Wahlversprechen vorgeworfen wurde. Was bleibt noch von den ‚Unvereinbarungsbeschlüssen’ der CDU, wenn die Brüdern im Geiste am ganze rechten Rand bei den Wahlprognosen so gut ab schneiden, dass eigene Pläne gestört werden? Bei Adenauer wurden sie kurzerhand in die Regierung geholt. Aber ganz so offensichtlich kann man heute nicht mehr mit den Neonazis mauscheln. Die Stimmung ist eine an dere. Aber nicht nur die Oettingers und deren rechts, national und ultra konservative Gesinnungsfreunde mit besten Beziehungen zur Neuen Rechten wissen, wie wichtig ihnen die Unterstützung dieser Kreise ist. Lügen und Betrügen gehört zu Grundmustern bourgeoiser Parteipolitik. Was ist von den angeblich ‚nationalrevolutionären’ Programmen, Deklarationen und Erklärungen rechter, rechtsradikaler und der rechtsex tremer Parteien zu halten? Gerade weil aus ihrer Ecke immer wieder behauptet wird, dass sie ganz anders seien und alles ganz anders machen, als die etablierten Parteien ist besonders gründlich zu prüfen, was davon zu halten ist. Nicht nur in der inhaltlichen Nähe zu den ‚programma tischen’ Ankündigungen der NSDAP, sondern auch in der Art und Weise, in der deren ‚Führer’ mit dem ‚25 PunkteProgramm der NSDAP’ 2 umgingen wird deutlich, was da und was von denen zu erwarten wäre. Seinerzeit schon bei seiner Veröffentlichung wurde dieses Papier (in der für NaziPro pagandisten charakteristisch großmäuligen Manier) – im Unterschied zu allen anderen Parteien – als „ewig“ und „unabänderbar“ deklariert. In der nach der ‚Machtergreifung’ praktizierten Politik spielte dieses Programm nur in dem Maße eine Rolle, in dem es zur Rechtfertigung der aggressiven Interessen der Monopolbourgeoisie beitrug. In kaum zu übertreffendem Zynismus wurde mit dem „auf Grund des Selbstbestimmungsrechtes der Völker“ geforderten „Zusammen schluss aller Deutschen zu einem GroßDeutschland“ (Pkt. 1) 3 der 2. Welt krieg vorbereitet. Und was dann vom Selbstbestimmungsrecht der von Wehrmacht und SS überfallen und versklavten Völker bleiben sollte, wurde später in Nürnberg verhandelt. In den Programmen von DVU, REPs und NPD werden dazu in unterschiedlicher Formulierung leicht aktualisier te und variierte Forderungen vorgelegt:

1 siehe S. 71 Fußnote 5 2 siehe 25PunkteProgramm der NSDAP, unter: http://www.dhm.de/lemo/html/dokumen te/nsdap25/ 3 siehe Punkt 1 des 25PunkteProgramm der NSDAP

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Bei der DVU versteht man ‚Gleichberechtigung’ als Geschichts revision: Heuchlerisch und geschichtsverfälschend wird in übelster anti kommunistischer Manier „Nationalsozialistisches und kommunistisches Unrecht“ bedauert. Unter dem Vorwand des Protestes gegen den (von nie mandem erhobenen) Vorwurf einer Kollektivschuld wird verlangt, „das Ansehen und die Ehre des deutschen Soldaten“ zu schützen, denn „sie er füllten ihre schwere Pflicht, ohne für das Handeln der politischen Führung verantwortlich zu sein:“ 1 Weder von den Kriegsverbrechen noch von den Verbrechen der Wehrmacht und der SS gegen die Menschlichkeit ist da auch nur ein Wort zu lesen. Statt dessen werden die Millionen Toten aus faschistischen Raubkriegen und Konzentrationslagern mit Hilfe des ideolo gischen Kampfbegriffs vom ‚kommunistischen Unrecht’ antikommunistisch umgedeutet. Die Republikaner verstehen darunter unter Gleichheit die „Fürsorge für diejenigen Deutschen, die wegen ihrer Volkszugehörigkeit ihre Heimat verloren haben“2. Daraus werden Forderungen nach der „Aufhebung aller die Deutschen diskriminierenden Gesetze wie der Benes und Bierut Dekrete“ 3 abgeleitet. Damit dann auch wirklich klar ist, worum es geht, werden „Freizügigkeit und Niederlassungsfreiheit in den Vertreibungs gebieten“ 4 nachgelegt. Noch deutlicher wird diese revanchistische Tendenz bei der NPD: „Wir Nationaldemokraten stehen mit aller Konsequenz gegen die verstaubten Ideologien vergangener Jahrhunderte, gegen Aufklärungs utopien und gegen multiethnische Exzesse, denen derzeitig das deutsche Volk ausgesetzt ist. Wir stehen mit einem lebensrichtigen Menschenbild gegen Fremdherrschaft und Fremdbestimmung, gegen Überfremdung, Ausbeutung und Unterdrückung, für deutsche Freiheit, für Freiheit der Völker, für eine soziale Neuordnung in Deutschland, die unserem Men schenbild entspricht.“ 5 Was man sich unter dieser Art von ‚deutscher’ Freiheit vorzustellen hat, braucht nicht mehr erläutert werden: Dazu gibt es ausreichende Erfahrungen. Hier geht es die von einem rassistischvölki schen Menschenbild geprägte Verfolgung aller Ansätze von Aufklärung, um die Unterdrückung des eigenen und anderer Völker. Aufschlussreich das Wörtchen ‚lebensrichtig’: Richtiger wäre da wohl von ‚populistisch’ im Sinne einer demagogischer Verdrehung von Tatsachen, die den Zeitge

1 siehe Parteiprogramm der DVU, ‚3. Gleichberechtigung für Deutschland’, unter: http:// www.dvu.de/ DVUProgramm/dvuprogramm.html 2 Siehe Parteiprogramm der ‚Republikaner’ 2.3 Sicherheit und Interessenvertretung, unter: http://www.rep.de/content.aspx?ArticleID=6f0f68dcbbc647e08e843762f8b9ab 98 3 Siehe Parteiprogramm der ‚Republikaner’ 2.2 Europa der Vaterländer, ebenda 4 siehe Parteiprogramm der Republikaner 2.3 unter: 5 siehe Parteiprogramm der NPD – Grundgedanken, unter: http://www.npdmv.de/ medien /pdf/parteiprogramm.pdf

106 schmack all derer trifft, die es zufrieden sind, wenn ihr Verstand mit eben so einfachen wie bequemen Antworten vor der Anstrengung eigenen Nachdenkens bewahrt wird. Die Hoffnungen der Propagandaredner dieser politischen Orientie rung zielen offensichtlich darauf ab, dass mittlerweile vergessen wurde, was ihre Vorgänger im Geiste zu verantworten aber das deutsche Volk und die durch das Naziregime überfallenen und versklavten Völker ausbaden mussten. Von den damals und heute immer wieder vorgeschobenen natio nalen und sozialen Interessen des deutschen Volkes ist immer noch die Rede. Worum es wirklich ging klärte Josef Goebbels in seiner Rede vom 18.10.1942 in aller Offenheit: „Wir wollen uns endlich einmal als Volk an den Fettnapf der Welt setzen. Bisher haben wir nur um blasse Ideale ge kämpft, um die Frage Proletariat oder Bürgertum oder Sozialismus oder Nationalsozialismus oder Preußen oder Bayern oder ob man das Abend mahl in einfacher oder in zweifacher Gestalt reichen soll. Diesmal geht es um wichtigere Dinge, und zwar um Dinge, die uns alle angehen, um Kohle, Eisen, Öl und vor allem um Weizen, damit wir das tägliche Brot auf dem Tisch haben. Wenn wir über kurz oder lang den Stoß in den Kaukasus fortsetzen, dann haben wir die reichsten Ölgebiete Europas in der Hand. Wer das Öl, das Eisen und die Kohle besitzt, der wird den Krieg gewin nen.“ 1 Besonders deutlich wird das, wenn man sich genauer ansieht, was von diesem Programm der NSDAP wie ‚umgesetzt’ wurde. Dem ist nicht zuletzt schon deshalb besondere Aufmerksamkeit zu widmen, weil sich solche Passagen in den Parteiprogrammen der NSNachfolgeparteien wie derholen: Auf die Punkte 1 und 2 wurde schon hingewiesen. Punkt 3 d.h. die Forderung nach „Land und Boden (Kolonien) zur Ernährung unseres Volkes und Ansiedlung unseres Bevölkerungsüberschusses“ dienten zur Rechtfertigung der Eroberungskriege, der Ansiedlung von deutschen Bau ern in den Ostgebieten vor allem aber zur Sicherung der Interessen der deutschen Industrie beim Raub von Industriebetrieben, bei der Zwangs arbeit von Deutschen, Polen, Tschechen, Russen und den – nicht einmal mehr als ‚fremdvölkische Arbeitskräfte’ zur ‚Gefolgschaft’ zählenden – Juden. Noch deutlicher wird das in der Art und Weise, wie mit den Punkten 11 bis 18 des Parteiprogramm der NSDAP umgegangen wurde. Punkt 11 in dem von der „Brechung der Zinsknechtschaft“ die Rede war ging es genau so wie mit der in Punkt 12 zugesicherten „restlose Einziehung aller

1 siehe Rede Goebbels am 18.10.1942, zitiert nach: H. Bergschicker: Deutsche Chronik 19331945, Berlin 1981, S. 410

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Kriegsgewinne“. Nach der ‚Machtergreifung wurden aber nicht nur keine Spekulations resp. Kriegsgewinne eingezogen: In der Naziregime mach ten die an seiner Finanzierung, an der Rüstung und am Kriege beteiligten und interessierten Banken und Konzerne (darunter auch USamerika nische!!) Profite, die alles vorherige in den Schatten stellten. Natürlich gab es in dieser Zeit keine „Verstaatlichung aller (bisher) bereits vergesell schafteten (Trusts)“ (Pkt. 13) und genau so wenig eine „Gewinnbetei ligung an Großbetrieben“ (Pkt. 14) denn ein derartiger Verstoß gegen die Interessen der Monopole war nie ernsthaft beabsichtigt. Genau so wenig war dann noch die Rede von einem „großzügigen Ausbau der Altersver sorgung“ (Pkt 15), von der „Kommunalisierung der GroßWarenhäuser und ihre Vermietung zu billigen Preisen an kleine Gewerbetreibende,“ von der „schärfsten Berücksichtigung aller kleinen Gewerbetreibenden bei Lie ferung an den Staat, die Länder oder Gemeinden“ (Pkt.16) oder von einer „Bodenreform, (und der)Schaffung eines Gesetzes zur unentgeltlichen Enteignung von Boden“ (Pkt. 17). Unter dem Vorwand der Vernichtung des ‚ raffenden Kapitals ’ wurden jüdische Unternehmen arisiert – aber die neuen Eigentümer waren die dieses jüdische Eigentum zusammenraffen den deutschen Großbanken und Monopolisten. Was dabei an Immobilien und Mobiliar übrig blieb war immer noch ‚gut’ genug und reichte aus, um eine große Zahl nicht weniger raffgieriger deutscher Kleinbürger in den Sumpf der faschistischen Verbrechen hineinzuziehen. Von einem „rücksichtslosen Kampf gegen diejenigen, die durch ihre Tätigkeit das Gemeininteresse schädigen. Gemeine Volksverbrecher, Wucherer, Schieber usw. sind mit dem Tode zu bestrafen, ohne Rücksicht nahme auf Konfession und Rasse.“ (Pkt. 18) 1 konnte schon deshalb keine Rede sein, weil dann nicht nur Göring und andere Nazispitzen an erster Stelle auf der Anklagebank gelandet wären. Nichts von all dem wurde praktisch umgesetzt. Die Auseinandersetzungen zwischen dem linken Parteiflügel um die Gebrüder Strasser und Josef Goebbels endete mit einer kompletten Niederlage der nationalrevolutionären Fraktion: Die Gebrüder Strasser wurden aus der Parteileitung verdrängt und Goebbels schloss sich voll und ganz der Linie Hitlers an. In einigen Kreisen der SA noch fort bestehende Illusionen endeten mit der Liquidierung Röhms und der Teile der SAFührung, die verdächtig hinderlich waren oder erschienen. Auch für die Nazis galt, dass der Zweck dieser propagandistischen Lügen er reicht war: Die damit angesprochenen Zielgruppen, die an den Zins zahlungen verzweifelnden Kreditnehmer, die Kriegsopfer, die schamlos ausgebeuteten Arbeiter und die große Zahl der Arbeitslosen, die Rentner, kleinen Gewerbetreibende, landlosen und Kleinbauern, kurz alle, die sich

1 siehe 25PunkteProgramm unter Anhang 1

108 durch die Macht des Kapitals betrogen sahen, war gelungen. Sie alle glaubten, dass ihre Interessen durch diese Partei umgesetzt werden wür den. Darauf und nur darauf kam es damals und kommt es jetzt an. Die übelste aber zugleich aufschlussreichste Darstellung program matischer Vorhaben wurde von Michael Togram im Namen des KDS unter ‚Antikapitalismus von Rechts – Grundsätze eines sozialistischen Nationalis mus’ veröffentlicht. 1 Ausführlich wird beschrieben, wie man sich das vorstellt. Das reicht vom 1. Grundsatz und dem Thema der Globalisierung („Im Zeitalter der Globalisierung ist nicht die internationale Linke, sondern die nationale Rechte die wahre antikapitalistische Kraft, die dem inter nationalen Kapital Grenzen setzt, um den Nationalstaat als sozialen Schutzraum zu erhalten und auszubauen“) über die Behauptung „der Nationalismus ist eine sozialistische Notwendigkeit“ (2.), die ‚Entdeckun gen’, dass „der liberale Nationalbegriff .. eine kapitalistische Fälschung (ist)“ (3.), dass „der internationale Kapitalismus der Hauptfeind aller schaffenden Völker (ist)“ (4.), die Behauptung, dass „der internationale Sozialismus marxistischer Prägung der Komplize des internationalen Ka pitals (ist)“ (5.) bis zu den Thesen dass „die „Sozialistische Nation“ .. die nachkapitalistische AlternativOrdnung der Zukunft (ist)“ (6.) und dass sich „Der nationale Freiheitskampf ... nicht gegen fremde Völker, sondern gegen das internationale Kapital (richtet)“ (7.). 2 Wenn man dann noch zur Kenntnis nimmt, mit welcher Begeisterung Togram die Details der Naziherrschaft feiert, wird sehr schnell klar, mit wem man es hier zu tun hat: Unter den ‚Errungenschaften des NSRegi mes werden aufgelistet: Die Kampf und Kulturgemeinschaft, der ‚Pio niergeist des Nationalen Aufbruchs’, die ‚nationale Wirtschafts – und Finanzpolitik’, der ‚Ausbau des deutschen Sozialstaates’, die ‚ Förderung aller Begabten ohne Rücksicht auf Herkunft und Geldbeutel’, die Volksge sundheitspflege, die Deutsche Architektur. Der Nationalsozialismus wird sogar als ‚die erste Grüne Bewegung’ dargestellt. Angesichts der massen haften Ermordung von KZHäftlingen geniert sich Togram nicht, diesen ‚Staat der Ordnung und Sicherheit’, zu rühmen und das Wort ‚nationale Befreiung’ zu erwähnen, dem auch Millionen Deutsche zum Opfer fielen. Togram schwätzt in kaum noch zu überbietendem Zynismus vom ‚Nach rüstungsbeschluss der deutschen Reichsregierung’, von der ‚Wiederher stellung der deutschen Gebietshoheit’, und dem ‚Heldenkampf des deut schen Volkes’. Dem allen wird mit den Worten des ‚Führers’, die Krone aufgesetzt: „Meine Absicht war es nicht, Kriege zu führen, sondern einen

1 siehe Antikapitalismus von Rechts Grundsätze eines sozialistischen Nationalismus’ unter: http:// www.kdsimnetz.de/ 2 daselbst

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Sozialstaat von höchster Kultur aufzubauen. Jedes Jahr dieses Krieges beraubt mich dieser Arbeit.“ Der – mit Verlaub – Herr Togram ist ein unverbesserlicher Nazi und sein ‚Schriftführer’, der sich als ehemaliger Kommunist präsentierende Michael Koth unterscheidet sich davon überhaupt nicht, auch wenn denn seine Biographie eine andere gewesen sein soll, wie letzterer nicht müde wird, zu behaupten. 1 Wie verlogen dabei vorgegangen wird, wird auch im Kontext zum Abdruck einer Übersetzung der Rede von Präsident Chavez vor der UNGeneralversammlung deutlich: In der anschließenden Inter netDiskussion äußern sich nicht nur die, denen es wirklich um diese Rede geht. 2 Hier finden sich auch Kommentare und Bemerkungen von KDS Funktionären, in denen deutlich wird, warum Chavez auf dieser Internet seite abgedruckt wird. Die Neonazis Thomas Brehl, Olsen und – der Name allein legt Zeugnis ab für das politische Programm, was da dahinter steht ‚Völkischer Beobachter’ bemühen sich darum, jene in ihr Netz zu locken, die zunächst nur diese Oberfläche sehen :3 Was das eigentliche Ziel dieser Truppe ist wird bei aufmerksamem Lesen deutlich: Unter „Risiken und Chancen einer rechten Machtergrei fung“ ist nachlesbar, was das Ziel der KDSIdeologen ist: Es geht darum, „der Linken die soziale Frage (zu) entwinden...“. Im Detail wird dazu u.a. ausgeführt: „Die nationale Rechte wird zur unüberwindlichen Kraft, wenn sie geschickt die kapitalistische Globalisierung für ihre Ziele ausnutzt, in dem sie die soziale Frage in den Mittelpunkt stellt, sich auf ihre antikapi talistischen Wurzeln besinnt, den Nationalismus mit sozialem Sprengstoff füllt und das Leitbild der ‚Sozialistischen Nation’ als Systemalternative der dekadenten, korrupten, völker und kulturverwüstenden Geldsackdemo kratie gegenüberstellt.“ 4

1 siehe Michael Koth / Interview mit der Zeitschrift "Fahnenträger", unter: http://www.kds imnetz.de/ und: Interview des ‚Querdenker’ mit Michael Koth, dem „politischer Leiter des KDSBerlin, anlässlich der revolutionären Feierlichkeiten zum 1.Mai 2007 in einer überfüllten ‚ArbeiterKneipe’“,unter: http://forumquerdenker.fo.funpic.de/ phpBB2/viewtopic.php?p=6840 &sid=465e5198c38ca3dedbd92e00715f1cda 2 siehe u.a. J.B. September 24th, 2006 at 17:07 , September 25th, 2006 at 8:55 und: September 25th, 2006 at 9:02, GAP : September 24th, 2006 at 17:13, Strelitz : September 24th, 2006 at 18:31 ‚ Halbaraber ’ September 28th, 2006 at 11:20, auf: Altermedia Deutschland StörtebekerNetz unter: http://de.altermedia.info/ general/siesinddieextremistenvenezuelasprasidenthugochavezredevorder ungeneralsversammlung240906_7048.html 3 siehe Thomas Brehl September 25th, 2006 at 10:19, September 25th, 2006 at 19:03. September 26th, 2006 at 23:50, Olsen : September 25th, 2006 at 22:40, September 25th, 2006 at 22:50, Völkischer Beobachter: September 27th, 2006 at 21:45, unter: http://de.altermedia.info/ general/siesinddieextremistenvenezu prasidenthugochavezredevorderungeneralsversammlung 240906_7048.html 4 siehe Antikapitalismus von Rechts Grundsätze eines sozialistischen Nationalismus’ unter: http:// www.kdsimnetz.de/

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Die Neonazis instrumentalisieren die sozialen Konflikte der Globali sierung mit dem Ziel, die davon Betroffenen auf ihre Seite zu ziehen. Der antikapitalistische Anschein und die Vorspiegelung einer nationalen Volks gemeinschaft a la Hitlerdeutschland soll nicht nur vergessen machen, wes sen Interessen die ausschlaggebenden Maximen der aggressiven Erobe rungs und Versklavungsstrategie Hitlerdeutschlands gewesen sind. Die unter unvorstellbaren Opfern und von vielen wider Willen gewonnene Ein sicht, dass ihre naiven Vorstellungen von einem nationalrevolutionären Kampf gegen das ‚raffende Kapital’ nur dazu diente, die Interessen derer zu realisieren, die man zu bekämpfen glaubte. Mit der für naive Gemüter verführerischen Vorstellung von einer Gemeinschaft von ‚Volksgenossen deutschen Blutes’ wurde über die tatsächlich bestehenden Unterschiede zwischen der besitzenden und herrschenden Klasse und den von diesen Ausgebeuteten, Betrogenen und Missbrauchten hinweg geschwätzt. Millio nen deutsche Arbeiter bezahlten diese Lebenslüge mit ihrem Leben. Weitere Millionen begriffen erst in der Kriegsgefangenschaft, was da mit ihren Händen angerichtet wurde. ‚Wehrwirtschaftsführer’ vom Schlage eines Dr. Riess wussten beizeiten, wie sie die aus dem von ihnen nach Kräften geförderten Verbrechen gezogenen Gewinne zur Seite bringen konnten. Gleiches gilt für die großen Banken, die Deutsche, die Dresdner und die Commerzbank und die Mehrzahl der Konzerne. Nur wenige der Naziverbrecher richteten sich selbst oder wurden gerichtet. Eichmann, Brunner, Barbie, Mengele und andere Massenmörder konnten unter tauchen, weil es ein Netzwerk von ‚Hilfsorganisationen’ gab. Aber dieses Netzwerk von NS und anderen faschistischen Verbre cherorganisationen hat sich weder mit der verspäteten Verurteilung dieser Täter noch durch die ‚biologische’ Lösung dieses Problems von allein er ledigt. Und es sind durchaus nicht nur die wenigen unbelehrbaren Söhne, Töchter und Enkel von Nazigrößen, die diesen verbrecherischen Unrat weiter tragen. In, vor allem aber hinter diesen Organisationen stehen Kräfte, die den organisatorischen Aufwand für Immobilien, Parteibüros und –funktionäre, Verlage, Zeitschriften und Zeitungen, Plakat und Flug blattaktionen, Demonstrationen und die für all das notwendige Logistik finanzieren. In diesem Dunstkreis finden sich nicht nur rechts außen orien tierte ‚Rechtsanwälte, Richter, Staatsanwälte, Polizeichargen und Beamte, sondern auch die sich als rechte Intellektuelle kaprizierenden Ideologen unterschiedlichster Orientierung. Und nicht zuletzt sind das auch die in der Nachfolge von SASchlägertrupps stehenden Gruppierungen, die allein schon durch ihr Auftreten mit stillschweigender Duldung der Behörden und durchaus ernst zu nehmender Teile der Bevölkerung, mit wohl einkalku

111 lierter Angst und nicht einmal im Ansatz entwickelter Zivilcourage unter halb der Legalität für eine Realität von ‚ausländerfreien Zonen’ sorgen. Aber wer auch immer die Programme des bewusst undurchschaubar gehaltenen Gewirrs von rechts und nationalkonservativen, rechtsradika len, rechtsextremen nationalistischen und neonazistischen Parteien und Organisationen analysiert – er ist nicht in der Lage, eine den Realitäten angenäherte Vorstellung von den Ausmaßen dieser Gefahr zu erarbeiten. Das, was hier in propagandistischer Absicht zu Papier gebracht wurde, dient der Verschleierung der eigentlichen Ziele und lässt weder die tat sächlich praktizierten Methoden noch das in diesem Kontext freigesetzte Ausmaß krimineller Energien erkennen. Kurt Pätzold kommt im Ergebnis eines Artikels über ‚Braune Geschichtslügen’ zu folgendem Ergebnis: „Es mag wichtig sein, dieses oder jenes einzelne Argument dieser braunen ‚Wahrheitsfanatiker’ zu widerlegen. Nicht weniger wichtig ist es, ihre Methode der Verbreitung von Lügen und Halbwahrheiten, die eben auch immer halbe Lügen sein können, bloßzustellen. Das hilft nicht nur für den Moment, sondern generell Distanz zu schaffen. Die Bloßstellung der Methode des Dummenfangs gehörte, wie die Zustände sich hierzulande entwickelt haben, in den Unterricht unserer Schulen, vorab auf die The menliste von Lehrerweiterbildungen. Es müsste das weitläufige Thema nicht auf die (Neo)Nazis beschränkt bleiben, aber ihnen gehörte doch der Vorzug.“ 1 Das setzt allerdings voraus, dass die, die heutzutage unterrich ten, nicht selbst in braune Netzwerke verstrickt sind, eine aktive antifa schistische Haltung beziehen und dies auch ihren Schülern vorleben... 6. Die politische Praxis: Zwischen Wahlen, Aufmärschen und politischem Terror Schon aus der Analyse der Parteiprogramme geht hervor, dass deren politische Ziele nicht im Rahmen der immer wieder betonten Bekenntnisse zur ‚freiheitlich demokratischen Grundordnung, wie sie im Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland verfasst sind’ 2 zu ver orten sind. Aus dem Verbot der ‚Sozialistischen Reichspartei’, der ‚Wiking Jugend’ und einiger anderer NSNachfolgeorganisationen wurden Schlüsse gezogen: Die Arbeit dieser Gruppierungen wird erheblich erleichtert, wenn es legale Organisationsstrukturen gibt, mit deren Hilfe die Vernetzung legal, halblegal und illegal operierenden Gruppierungen gesichert werden kann. Diese Funktion nehmen die DVU, Die Republikaner, die NPD und die KDS in arbeitsteilig abgestimmter Kooperation in der ganzen Breite des Spektrums von wert und rechtskonservativen bis hin zu rechtsextremisti

1 K. Pätzold Braune Geschichtslügen, unter: http://www.jungewelt.de/2006/1028/065.php 2 siehe Parteiprogramm der DVU, unter: http://www.dvu.de/DVUProgramm/dvupro gramm .html

112 schen Einzelpersonen und Gruppierungen wahr. Zwar wird nach außen der Anschein erweckt, dass es prinzipielle oder gar unüberbrückbare Gegen sätze gäbe. Da wird heftig darüber gestritten, wer denn nun wirklich das Recht habe, sich selbst als ‚nationalsozialistische Partei’ zu bezeichnen 1 (NB: allein das ist schon Grund genug für ein Verbotsverfahren). Aber in der praktischen Arbeit ‚versteht man sich’ – da gibt es nicht nur Naziauf märsche, an denen – organisiert über Internet und handy – landesweit Mitglieder verschiedener Parteien und Organisationen teilnehmen. 2 Wie das in der Praxis aussieht wird deutlicher, wenn man sich den Inhalt der von diesen Parteien und Organisationen herausgegebenen Werbematerialien etwas aufmerksamer ansieht. Das Spektrum reicht von Plakaten über Handzettel, Zeitschriften und über Internet kopierbare Videonachrichten bis hin zu den mittlerweile schon des Öfteren erwähn ten, von der NPD verteilten SchulhofCDs. Dabei wird schon in der Auf listung der Titel klar, worum es Autoren und Interpreten geht: 2004 wurde unter ‚Anpassung ist Feigheit. Lieder aus dem Untergrund’ eine CD herausgebracht, auf der nach einer ‚Ansprache’ 3 u.a. folgende Titel zu hören sind: ‚Am Puls der Zeit’, ‚Sturm über Europa’, ‚Im Krieg gegen...’, ‚Zeitbombe tickt’, ‚Geh deinen Weg allein’, ‚Fuck the USA’, ‚Freiheitsrevo lution’. Vorgetragen wird das von den NeonaziKultgruppen ‚Noie Werte’, ‚Stahlgewitter’, ‚Nordfront’, ‚Nemesis’ und ‚Frontalkraft’. Noch im gleichen Jahr erschien eine weitere CD ‚Schnauze voll? Wahltag ist Zahltag!’. Deren Titel waren ‚Der Väter Land’, ‚ Verbietet nur...’, ‚Fels in der Brandung’, ‚Unterm Schutt der Zeit’, ,AntifaTelefon’, ‚Rote Jugend’, ‚Deutsche Mutter’, ‚Stunde der Patrioten’ und ‚Siehst Du unser Land’. Vorgetragen wurde das von dem NeonaziBarden Frank Rennicke, von ‚Lunikoff’ den Nachfolgern der als kriminelle Vereinigung verbotenen NeonaziGruppe ‚Landser’, und den Neonazigruppen ‚Sturmwehr’, ,Nordwind’, ‚Sleipnir’ und ‚Schlachthaus’. Direkt zugeschnitten auf das Interesse pubertierender Jugendlicher ist die 2005 erschienene CD ‚Der Schrecken aller linken Spießer und Pauker’. Hier sind u.a. Lieder mit den Titeln ‚Europa, Jugend, Revolution’, ‚Die Macht des Kapitals’, ‚Rebellion’, ‚Wer Wahrheit spricht, verliert..’, ‚Ein Krieger’, ‚Vertriebenenballade’ und ‚Das Mädel mit der

1 siehe Th. Brehl: Zerreißprobe für die NPD Ein Kommentar zu den Vorgängen in Sach sen, unter: http://www.kdsimnetz.de 2 siehe 3 dazu In dieser ‚Ansprache’ heißt es u.a.: „ Unsere heutigen Schulen sind schon längst ein Sammelbecken für junge Schwerkriminelle geworden - meist ausländische Banden haben hier das Sagen. (...) Wir sind keine Ausländerfeinde! Wir lieben das Fremde – in der Fremde. “ Dies greift auf das neurechte Konzept des Ethno pluralismus zurück und steht in verklausierter Form für die rechtsextremistische Kernforderung „Ausländer raus!“. Das kritische Erinnern an den Terror des Natio nalsozialismus wird als „antideutsche Geschichtsschreibung“ attackiert. Siehe: Projekt SchulhofCD, unter: http://de.wikipedia.org/wiki/Projekt_SchulhofCD

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Fahne’ zu hören. Außer den schon genannten Bands und Sängern treten hier die Gruppen ‚Carpe Diem’, ‚Faustrecht’, ‚Nahkampf’ und ‚Faktor Widerstand’ auf. 1 Schon die Wortwahl signalisiert: Hier wird ein übler Brei aus Frust, Protest, Verbalaggressionen und Alt und Neonazivokabular an geboten, mit dem die Unzufriedenheit mit dem Schulalltag, mit sozialen Konflikten und politischen Auseinandersetzung in einer Art und Weise in strumentalisiert werden soll, die vor allen Dingen auf die instabile Stim mungslage Jugendlicher orientiert ist. Noch deutlicher wird das in der Vielfalt von Zeitungen, Zeitschriften, anderen Publikationen und den Werbematerialien des KDS. Neben dem ‚Gegenangriff’ 2, dem ‚Organ des Kampfbundes Deutscher Sozialisten’3, gibt es als ‚theoretisches Organ des KDS’ ‚Das Wetterleuchten’4, den gleichfalls im Internet zu lesenden ‚Rotbraunen Kanal’ 5 und die ‚Schriften wider den Zeitgeist’. Der mit schwarzweißrotem Streifen (den alten Reichsfarben) erscheinende ‚Gegenangriff’ läuft unter dem viel verspre chenden Übertitel ‚für die Unterdrückten .... gegen die Ausbeuter’. Darü ber hinaus erscheinen als weitere ‚Presseorgane’ die monatlich erschei nende ‚Freiheit’ 6 und die vierteljährliche ‚Wahrheit’ 7. Sowohl in der nur all zu offensichtlichen Kopie der Parteipublizistik der SED als auch in deren Aufmachung wird deutlich: Mit diesen ‚Organen’ wird versucht, die in der DDR gewachsenen und nach wie vor fortlebenden Vorstellungen von so zialer Gerechtigkeit und den daraus resultierenden politischen Konsequen zen für die neonazistischen Zwecke der KDS zu vereinnahmen: So er schien das ‚Wetterleuchten 1/1999’ mit einer Abbildung von Kämpfern der Kampfgruppe der Werktätigen bei der Sicherung der DDRStaatsgrenze. Die Ausgabe 1/2000 wurde unter der Überschrift ‚Volksstaat statt Partei enstaat’ mit einem Bild vom Reichstag und der Inschrift ‚dem deutschen Volke’ veröffentlicht. 1/2001 zeigt das ebenfalls bekannte Bild vom Zusammenströmen der Demonstrationszüge aus KPD und SPD zum Ver einigungsparteitag der SED vom April 1946. In den Ausgaben 1 + 2/2002 und 1 + 2/2003 wurde das vorn schon erwähnte Pamphlet ‚Antikapita lismus von Rechts’ und in den Ausgaben 1/2006 und 1/2007 wird ‚Natio nalisierung statt Globalisierung’ propagiert. 8

1 ebenda 2 dazu ‚Der Angriff ’ war seit 1927 die Gauzeitung der Berliner NSDAP 3 dazu Im Internet werden zwischen 1999 und 2002 jeweils eine Ausgabe erwähnt 4 dazu Im Internet werden zwischen 1/1999 und 1/2008 insgesamt neun Ausgaben erwähnt 5 dazu seit 2000 erscheint diese monatlich aktualisierte Ausgabe bislang mit 84 Ausgaben 6 dazu So hieß das Organ der Bezirksorganisation der SED in Halle 7 dazu So hieß das Organ der SED Westberlins 8 siehe unter: http://www.kdsimnetz.de/Wetterleuchten

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Noch deutlicher wird die demagogischsubversive Vorgehensweise der KDS in ihren Plakaten. Das Spektrum der zu diesem Zweck instrumen talisierten Argumente reicht von Bundeskanzler Schröders Aussage, ‚Wenn wir die Arbeitslosenquote nicht spürbar senken haben wir es nicht ver dient, wiedergewählt zu werden’ über Zitate des USPräsidenten Georg W. Bush, des Kommunisten Friedrich Engels, von Hitlers Stellvertreter Rudolf Hess und vom Generalsekretär der SED Walter Ulbricht um nur einige zu nennen. Unmittelbar neben Plakaten, auf denen die KDS gegen die Besat zungspolitik der USA im Irak, gegen den imperialistischen Terrorkrieg Israels gegen den Libanon und gegen die imperialistischen Machtansprü che der USA auftritt werden solche angeboten, auf denen (ohne Quellen angabe) Goebbels Losung ‚Berlin bleibt deutsch!’ und die Erinnerung an den ‚amerikanischen Bombenterror’ beschworen werden. Auf weiteren KDSPlakaten positioniert sich diese Organisation mit der Losung ‚Solidari tät mit dem Volk Nordkoreas im Kampf um Freiheit und Selbstbestim mung!’ an der Seite des ‚unbesiegbaren Nordkorea’ und fordert unter der Losung ‚Solidarität mit den erwachenden Völkern Südamerikas, die unbe irrbar die Fesseln des Imperialismus abschütteln, um den schweren Weg in eine nationale und sozialistische Zukunft für das Wohl ihres Landes und Volkes zu gehen’ ‚Hände weg von Lateinamerika!’ 1 Manch einer mag glauben, dass eine derartig wüste Gemengelage einander ausschließender Positionen kaum noch übertroffen werden kön ne. Die KDSIdeologen beweisen mit der Plakatserie ‚Gegenangriff’, dass es in der Beliebigkeit für sie keinerlei Hindernisse gibt. Dort wird aus Anlass des 1. Mai ein Plakat vorgelegt, auf dem unter der NaziLosung ‚Arbeiter der Stirn und der Faust vereinigt Euch!’ ein Auszug aus einer Hitlerrede vom 1.5.1934 zu lesen ist. Als nächster wird unter der Losung ‚Es lebe der deutsche Sozialismus! Kampf gegen de Reaktion!’ Ernst Moritz Arndt bemüht. Gleiches geschieht unter Nr. 3 mit General von Clausewitz, und fortlaufend mit dem von den Nazis ermordeten Vorsitzenden der KPD Ernst Thälmann, mit Friedrich Engels, dem Reichspropagandaminister der Nazis Dr. Joseph Goebbels, den Vorsitzenden der Volksrepublik Korea Kim Jong Il und den Neonazi Michael Kühnen. Was die KDS unter ‚Praktizierter Völkerfreundschaft’ versteht, wird mit den Soldaten der indischen Freiwilli genLegion erläutert, die im zweiten Weltkrieg an der Seite der Wehr macht verheizt wurde. Die KDS nutzt den Jahrestag der Irakischen Revo lution, um zum ‚Kampf gegen die USBesatzer und ihre Vasallen aufzu rufen’. Sie greift mit dem Plakat ‚Wir entschuldigen uns NICHT!’ eine unter den Linken heftig umstrittene Praxis politischer Verhaltensweisen von PDS Politikern auf, erinnert an Sonnenwendfeiern der FDJ aus den 50er

1 siehe unter: http://www.kdsimnetz.de/Plakate

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Jahren und unter der Überschrift ‚Dialog statt Konfrontation – damals möglich’ an eine öffentliche Diskussion zwischen Ulbricht und Goebbels aus dem Jahre 1931. Unter der Serie ‚Kampfauftrag 2007’ werden nach einander ‚die nationale Unabhängigkeit Belorusslands unter der Führung Alexander Lukaschenkos’, der ‚revolutionäre Entwicklungsprozess Bolivi ens’, die ‚iranische Revolution’, ‚Kuba das sozialistische Bollwerk auf amerikanischem Boden’, das ‚volkssozialistische Nordkorea (KVDR), der peruanische Präsidentschaftskandidat Ollanta Humala und die antiimperia listische venezolanische Revolution unter der Führung des Kommandante Hugo Chávez’ gegen den USAImperialismus und seine Vasallen vertei digt. 1 Was von all dem zu halten ist, wird im ‚Vorwort zum Eröffnungsheft’ deutlich. Im Kommentar des KDS‚Schriftleiters’ Michael Koth zu Briefen der ‚revolutionären Deutschen’ Michael Nier und F. Eichner wird deutlich, was da läuft: Nier meldet wegen der Anleihen des KDS am III. Reich Be denken an und kritisiert das fehlende politische Augenmaß des KDS. 2 Diesner will nicht, nachdem er „sein ganzes politisches Leben dieses Schweinesystem von USGnaden (BRD) bekämpft hat .. jetzt dem Regime von SowjetGnaden .. huldigen“. Für ihn scheiden sich die Geister an der Frage, „was eigentlich Nationalsozialisten für einen Einfluss haben in dieser Organisation.“ 3 Für Koth sind Niers Bedenken mit der „Argumen tation ... kleinbürgerlicher Utopisten á la Gysi & Co, oder des ganzen Pazi fisten Klüngel der Grünen“ vergleichbar. Nicht die Radikalisierung der Lager, „sondern ihre Frontstellung Ist falsch“, denn – so Koth – so trage man nur zur Kriminalisierung beider Kräfte bei. In seiner Sicht verwandelt sich Honecker in einen Anhänger der Ackermannschen Thesen vom Sozia lismus in den Farben der DDR, musste deshalb abgelöst und durch Modrow u.a. „in ein Schuldenprotektorat der Zionisten“ verwandelt werden „deshalb auch die Angst Bonn's vor einem sozialistischen Staat deutscher Nation.“ Wer sich da noch fragen sollte, was er von dieser merkwürdigen Melange halten soll kriegt eine Antwort: „Kampfgenosse E. beklagt die Er mordung von Nationalsozialisten auf DDRGebiet und fordert ... die Um kehrfrage nach der Ermordung Tausender KPD'ler von 1933 bis 1945 heraus. Ich frage .., wem nützt eine solche Fragestellung heute. Ehre und Achtung jedem NSDAP und KPD Kämpfer, der für seine Ideale gefallen ist. Im KDS haben wir den Brudermord an den ‚Nagel’ gehangen und

1 siehe unter: http://www.kdsimnetz.de /weitere Plakate 2 siehe Brief des Michael Nier an Michael Koth, Faximile unter: http://www.kdsim netz.de/wetter leuchten 1/1999 3 siehe Brief des Fred Eichner an Michael Koth, Faximile unter: http://www.kdsim netz.de/wetter leuchten 1/1999

116 blicken deshalb zuversichtlich in die Zukunft. Nichts gegen eine gemein same Ehrung von Horst Wessel und Arthur Becker (nachdem der höchste FDJOrden benannt ist, den ich heute noch voller Stolz trage), aber die Schlachten der Vergangenheit sind geschlagen. Die Kämpfe der Gegen wart und Zukunft können nur gemeinsam erfolgreich bestanden werden, deshalb sind Standpunkte von Prof. Nier und Fred E. kontraproduktiv für den revolutionären Kampf unserer Tage. Und weil es bei W. I. Lenin heißt: ‚Ohne revolutionäre Theorie kann es keine revolutionäre Praxis geben’, haben wir dieses Organ wissenschaftlichen Meinungsstreites ins Leben gerufen, damit wir eines Tages sagen können, ‚Wenn unsere Ideen die Massen erfassen, werden sie zur materiellen Gewalt’ (Karl Marx).“ 1 In der kruden Welt des Michael Koth verwandeln sich die Mörder der SS und die Bonzen der NSDAP, Kriegsverbrecher der übelsten Sorte und ihrer Verbre chen überführte Massenmörder nicht nur in ‚Kämpfer der NSDAP, die für ihre Ideale gefallen sind’. Sie werden obendrein noch mit ihren konse quentesten Gegnern, den von diesen ermordeten kommunistischen Wider standskämpfern auf eine Stufe gestellt. Mit der in den Grundsätzen eindeutig formulierten Zielstellung, „der Linken die soziale Frage (zu) entwinden“ 2 wird buchstäblich alles getan, um den Anschein zu erwecken, als könne die Nutzung antikapitalistischer Losungen darüber hinwegtäuschen, dass die nationalistische Spaltung der Arbeiterklasse die sicherste Gewähr für den weiteren Erhalt der globalen Macht der Monopole ist. Mit dem Vorwand, sich vom ‚staatlich verordneten Geschichtsbild’ zu unterscheiden wird in Verdrehung der historischen Tat sachen von ‚historischen Leistungen des Nationalsozialismus’ geschwätzt. Zurückhaltung wird nur in dem Maße für notwendig erachtet, wie dies im Interesse an einer legalen politischen Arbeit erforderlich erscheint. Eine Abgrenzung nach links gibt es nur dort, wo diese konsequent als Inter nationalisten auftreten. Eine Abgrenzung nach rechts gibt es nicht: Zu den ‚Ehrenmitgliedern’ des KDS gehören der „ehemalige irakischen Botschafter Shamil Mohammed ..., Ritterkreuzträger Otto Riehs und Jagdflieger Reinhold Leidenfrost.“ Um den um die Reinheit der braunen Bewegung besorgten Neonazis solche Sorgen zu nehmen wird ausdrücklich noch darauf hingewiesen, dass „zwischen Axel Reitz und Christian Worch oder zwischen Thomas Brehl und Thomas ‚Steiner’ Wulff vom Bundesvorstand der NPD“ ... „ein vertrauensvolles und kameradschaftliches Verhältnis besteht.“ 3

1 siehe unter: http://www.kdsimnetz.de/wetterleuchten 1/1999 2 siehe "Antikapitalismus von Rechts Grundsätze eines sozialistischen Nationalismus", 1. Grundsatz, unter: http://www.kdsimnetz.de/ 3 siehe Antwort auf die häufigsten gegen den KDS vorgetragenen Vorwürfe mit kurzer Stellungnahme: 1. Der KDS ist zu ‚nationalsozialistisch’ und damit ein

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Damit ist auch eine Antwort auf den Ende der 90er Jahre geschei terte Versuch des Prof. Dr. Michael Nier 1 gegeben, der die NPD in eine „neomarxistische Partei mit nationalem Anstrich umfunktionieren“ 2 wollte. Bei dieser Gelegenheit wurde deutlich, was von Koth, Nier und ihres gleichen zu halten ist. Wenn es denn noch irgend welche Zweifel gegeben haben sollte, so vermitteln diese längst noch nicht abgeschlossenen Aus einandersetzung im Richtungskampf zwischen der Reanimation national revolutionärer Illusionen al la Strasser und der einen Einblick in die politi schen Grundhaltungen des Klientels der Neonazigruppierungen. Nach dem es bei der nicht sonderlich wirksamen Anwerbung von ‚Hoheitsträgern der DDR’ zwischenzeitlich Irritationen gegeben hatte setzte sich in der NPD die alte Linie durch. Tom Braun amüsierte sich in der ‚Deutschen Stimme’ über die „teilweise kuriosen Stilblüten“, die bei der von Nier initiierten Gründung des Arbeitskreises ‚Sozialisten in der NPD’ zu einer „Mischung aus SEDParteilehrjahren und verquasten Ideen Otto Strassers“ führte. 3 In einer aktuellen Einschätzung wird die Entwicklung der ‚NPD’ mit 7.200 Mitgliedern zur mitgliederstärksten NeonaziPartei vor allem auf die Schwäche von ‚DVU’ (von 8.000 im Jahre 2006 auf 7.000 zurück gegan gen) und ‚Republikanern’ (von 6.000 im Jahre 2006 auf 5.500 Mitglieder) zurück geführt. Dazu komme eine„sprunghafte Zunahme“ bei den soge nannten ‚Autonomen Nationalisten’, (4.400) die „in ihrem Auftreten als schwarzer Block den linksextremen Gegner kopieren“. Schwerpunkt blie ben Berlin und das Ruhrgebiet. 4 Manch einem mag der Aufmarsch der seit Dezember 89 aus Bayern per Bus angekarrten Republikaner auf den Leipziger Montagsdemos zwi schenzeitlich nicht mehr so recht gegenwärtig sein. Aber bei der Suche

Anachronismus, 2. Der KDS ist zu wenig ‚nationalsozialistisch’, 3. Der KDS arbeitet ja mit Zecken und ‚Rotfront’ zusammen, 4. Der KDS ist innerhalb des Nationalen Widerstandes isoliert, unter: http://www.kdsimnetz.de/ 1 dazu Michael Nier, zu DDRZeiten SEDMitglied und Hochschullehrer für dialektischen und historischen Materialismus, war zwischen 1998 und 2000 Mitglied der NPD und kandidierte für diese bei den Sächsischen Landtagswahlen 1999 und bei den Europawahlen. Nier ist nach Angaben des „Informationsdienstes gegen Rechts extremismus (www.idgr.de) „ein führender Vertreter des nationalbolschewistischen Kurses in der NPD“ und trat dementsprechend auch als einer der Sprecher des NPDArbeitskreises „Sozialisten in der NPD“ auf. Beiträge Niers erschienen in der NPDZeitung „Deutsche Stimme“ und der ältesten rechtsextremen Zeitschrift der BRD „Nation & Europa“. In jüngerer Zeit veröffentlichte er in den rechtsextremen Postillen „Signal“ und „Deutschland in Geschichte und Gegenwart“ und scheint damit nach seinem NPDAustritt auf der Suche nach einer neuen politischen Heimat zu sein.“ Unter: http://www.autonomeszentrum.org/ai/texte/20040710_ normannia.html 2 T. Braun Gescheiterter Professor für MarxismusLeninismus in Karlsruhe Kronzeuge des Systems?, unter: http://www.deutschestimme.de/Sites/0701MichaelNier.html 3 ebenda 4 siehe NPD nun stärkste rechtsradikale Partei vom 31.1.2008, unter: http://dokmz. wordpress.com /category/rechtsextremismus/dvu/

118 nach den Anfängen politisch organisierten Agierens der rechtskonservativ rechtsradikalen und extremen Kräfte ist dieses Ereignis kaum zu über schätzen. Bei allem Streit über den in der DDR ‚verordneten’ Antifaschis mus und der zu Teilen durchaus berechtigten Kritik an den dabei prakti zierten Methoden bleibt die Tatsache, dass es damals keine Gruppierung wagen konnte, offen für die verbrecherischen Ziele des NSRegimes einzu treten. Schon deshalb ist es höchst aufschlussreich, die regionale Entwick lung solcher Parteien und Gruppierungen auch in einem Vergleich der Wahlergebnisse nachzuzeichnen. Beim Vergleich der Ergebnisse der Wahlen zum Stadtrat, zum Säch sischen Landtag, zum Bundestag und zum Europaparlament fällt auf, dass es zwischen den Ergebnissen von am gleichen Tage resp. unmittelbar aufeinander folgenden Wahlen deutliche Unterschiede gibt. Eine Vergleich barkeit zwischen kommunalen, Landes, Bundes und Europawahlen scheitert offensichtlich nicht nur an den zu Teilen deutlich unterscheid baren Themen, sondern auch an den Personen, denen von unterschied lichen Wählergruppen am ehesten Kompetenz zugebilligt wird. Trotz dieser notwendigen Einschränkung ist unverkennbar, dass es mit maximal 49,8 (Landtagswahl 1999) und minimal 27,3 (Stadtratswah len 2004 und Bundestagswahlen 2005) in der Stadt Leipzig ein relativ stabiles Wählerpotential gibt, das sich für konservative, rechtskonser vative, rechtsradikale resp. rechtsextreme Parteien entscheidet. Bei den Kommunalwahlen (maximal 33,4% und minimal 27 %) und bei den Europawahlen (maximal 36,2 % und minimal 28,8 %) fällt dieser Anteil (maximal 39,1 % und minimal 25,2 %) deutlich niedriger aus (auch deshalb, weil weder NPD noch Reps angetreten sind), als bei den Wahlen zum Bundestag und zum Landtag (maximal 49,8 % minimal 38,7 %). Die in der Tendenz der Abfolge von höheren und niedrigeren Wahlergebnissen legt die Vermutung nahe, dass bei den Wahlen zum Bundestag und zum EUParlament ein Rückgang im konservativen Wählerpotential zu beob achten ist. Aber im die gleichen Zusammenhang deutlich werdende Stabi lisierung der Ergebnisse von NPD und Republikanern signalisiert eine Ver lagerung eines Teils dieser Wähler zu rechtsradikalen, rechtsextremen, nationalistischen und neofaschistischen Parteien und Organisationen. an. In einer als ‚Kurze Geschichte des NPDKreisverbandes Leipzig’ wird die Episode mit Nier nicht einmal mehr am Rande erwähnt. Für jeden, der den nach wie vor von der KDS verbreiteten Illusionen nachträumt ist hier nachlesbar, wie der strukturelle Ausbau der NPD seit dem Spätherbst 1989 nach einem ersten Treffen Leipziger Nationalisten mit Funktionären der westdeutschen NPD und der ‚WikingJugend’, der Gründung der „Mit

119 teldeutschen Nationaldemokraten“ und der Vereinigung mit der NPD von statten ging. In einem von der NPD veranstalteten ‚Leipziger Gesprächs kreis’ traten Altnazis wie Manfred Roeder, der wegen Volksverhetzung mehrfach bestrafte Historiker und Publizist Udo Walendy, Angehörige der WaffenSS, der spätere NPDParteivorsitzende Udo Voigt und andere auf. Nach den durch die Ankündigung des Verbotsverfahrens entstandenen Irritationen zählt der NPDKreisverband Leipzig 2006 nach eigenen Anga ben über 100 Mitglieder und einen ebenso großen Sympathisantenkreis. Besonders hervorgehoben wird, dass „in den letzten Jahren ... viele Ver treter des Mittelstandes, Handwerker, Ingenieure, Selbständige, Rechts anwälte oder Architekten“ den Weg zur NPD gefunden hätten. Ob und inwieweit dies zutrifft bleibt dahingestellt. Deutlich wird aber auf jeden Fall, dass dieses ‚mittelständische’ Potential als sozialer Kern der Mitglie derwerbung anzusehen ist. Dabei wird auch auf ‚gute Kontakt zu Freien Kameradschaften in und um Leipzig’ verwiesen, deren Angehörige sich an regelmäßig stattfindende Vortragsveranstaltungen beteiligen oder für Schutz und Sicherheit sorgen. So wie hier schamlos mit dem Kürzel ‚SS’ kokettiert wird, geschieht dies auch aus Anlass der jährlichen Ausflüge unter dem Motto „KRAFT 1 Wahlen zum Stadtrat UND FREUDE TANKEN“. 6.5.90 12.6.94 13.6.99 13.6.04 Die Wahlerfolge der NPD CDU 26,8 23,4 32,0 25,5 in Sachsen (1999 mit 29 DSU 4,3 3,6 1,4 1,8 NPD 593 Stimmen = 1,4%; Reps 2004 mit 190.909 Stim Wahlen zum Landtag men = 9,2%), in Leipzig 14.10.90 11.9.94 19.9.99 19.9.04 CDU 39,3 48,5 47,6 32,7 (1999 mit 2 331 Stim DSU 2,4 0,3 0,3 0,4 men = 1.1 %; 2004 mit NPD 0,6 1,1 5,6 11.959 = 5,6%) 2 signali Reps 0,8 0,8 Wahlen zum Bundestag sieren: Es gibt im ex 2.12.90 16.10.94 27.9.98 22.9.02 18.9.05 trem rechten Spektrum CDU 37,1 35,2 23,9 23,9 24,5 ein nicht zu unterschät DSU 1,0 1,7 NPD 0,3 0,8 0,8 2,6 zendes Wählerpotential. Reps 0,7 0,9 1,0 0,5 0,2

Wahlen zum EU-Parlament Tab. 6: Wahlergebnisse 6.5.1990 12.6.94 13.6.99 13.6.04 konservativer,rechts CDU 39,1 26,3 34,1 25,9 konservativer, DSU 1,6 rechtsradikaler und NPD 0,2 0,8 1,3 rechtsextremer Reps 2,6 1,3 1,6

1 siehe Kurze Geschichte des NPDKreisverbandes Leipzig, unter: http://www.npdleipzig. net/ 2 siehe Wahl zum Sächsischen Landtag am 19. September 1999, unter: http://www. leipzig.de/de/ buerger/politik/wahlen/landtag/ergebnis99/gesamt/index.aspx, und: Wahl zum Sächsischen Landtag am 19. September 2004, unter: http://www. leipzig.de/de/buerger/politik/wahlen/landtag /2004/gesamt/

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Parteien in Leipzig 19902007 1

Ob und inwiefern hier von Langzeit oder Tiefenwirkung gesprochen werden kann ist fraglich, weil der Anteil der Nichtwähler seit 1990 ge wachsen ist. Ihr Anteil stieg bei den Wahlen zum Stadtrat von 29,7 (90) auf 61,4% (04), bei den Landtagswahlen bei 33,6% (90) auf 44,9% (04) [deren Zahl lag 1994 mit 50 % noch höher!]. Während sie aber bei den Wahlen zum Bundestag mit maximal 32,4% (1994) und minimal 25,4% (2005) vergleichsweise niedrig lag stieg die Zahl der Nichtwähler bei den Wahlen zum Europaparlament 1999 im Vergleich zu 1990 um das Dop pelte: 1990 gab es 28,2 % Nichtwähler, 1999 waren das 58,2%. Deutlich wird aber auf jeden Fall, dass Bemühungen der DSU und der Reps, bei insgesamt negativer Tendenz nicht über maximal 3,6 bzw. 2,6 % und minimal 0,3 bzw. 0,2 % hinaus gekommen sind. Der NPD ist es erst 2005 als einziger der rechtsradikalen Parteien gelungen, die 5% Hürde zu über winden. Ob und inwieweit dieses bislang einmalige Ergebnis Bestand haben wird, muss sich erst noch zeigen. Gesamt WK 26 WK 27 WK 28 WK 29 WK 30 WK 31 Landtagswahlen 1999 Direktstimmen 647 536 700 in % 2,2 1,6 2,3 Listenstimmen 2.332 294 430 406 348 183 445 in % 1,1 0,9 1,4 1,5 1,0 0,7 1,4 Gesamt WK 25 WK 26 WK 27 WK 28 WK 29 WK 30 WK 31 Landtagswahlen 2004 Direktstimmen 1.563 2.063 1.907 2.037 1.825 in % 4,3 6,3 6,3 7,1 5,6 Listenstimmen 11.959 1.549 2.088 2.007 1.707 1.987 1.815 1.783 in % 5,6 4,3 6,3 6,6 4,5 6,8 5,6 5,7 Tab. 7: Wahlergebnisse der NPD bei den Landtagswahlen 1999 und 2004 2 Im Rahmen der regionalen Arbeitsteilung liegt der Schwerpunkt der ‚DVU’ offensichtlich nicht in Sachsen, sondern in SachsenAnhalt und

1 zusammengestellt nach offiziellen Angaben des Amtes für Wahlen und Statistik 2 ebenda

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Brandenburg. Aus der Homepage wird lediglich der Name des Landesvor sitzenden und dessen Telefonnummer sowie die Mitteilung zu entnehmen, dass es in Leipzig und Chemnitz einen monatlichen Stammtisch geben soll. In Brandenburg sind das 7 und in SachsenAnhalt 5 monatlich statt findende ‚politische Stammtische’. Angaben zur Mitgliedschaft der DVU in Leipzig liegen nicht vor. Ähnlich sieht es bei den Republikanern aus. Kandidaten der ‚Republikaner’ erhielten bei den Landtagswahlen 1999 in Sachsen mit 32.793 Stimmen 1,5% (in Leipzig waren das 1.741 Wähler oder 0,8%). Dies und die Tatsache, dass sich die parlamentarischen Wirkungen der mittlerweile zusammengeschmolzenen NPDFraktion im wesentlichen in Provokationen erschöpfen könnte von manch einem als hinreichender Grund für eine angemesseneingeschränkte Aufmerksam keit angesehen werden. Dass es dazu absolut keinen Grund gibt wird deutlich, wenn man sich mit der ganzen Breite der Aktivitäten rechts konservativer, rechtsradikaler, rechtsextremistischer, nationalistischer und neofaschistischer Gruppierungen befasst. Dass sich diese durchaus nicht und nicht einmal in erster Linie auf den Wahlkampf, auf ‚politische’ Besäufnisse und unter Missbrauch des Grundgesetzes – auf deren spezifische Art von ‚politischer Bildung’ be schränkt, wird nicht nur durch die seit mehreren Jahren von dem Ham burger Worch organisierten Aufmärsche dokumentiert. Die NPD, die KDS und andere Parteien und Organisationen praktizieren ein breites Spektrum unterschiedlichster Aktionen, durch die solche Personengruppen gezielt angesprochen werden, die ihnen nicht nur den Einzug in die Parlamente, sondern auch die politische Dominanz in den dazu besonders geeigneten Problemgebieten sichern sollen. Es geht erklärtermaßen darum, die Köpfe, die Straßen und die Parlamente zu erobern. Dabei wird – wiederum in arbeitsteiliger Abstimmung zwischen dem eingeengten Handlungsrahmen der Parteien, dem etwas breiteren der legalen Vereine und Organisationen und dem viel breiteren der halblegalen und illegalen Strukturen – ein konzertiertes Vorgehen praktiziert, dass brutale Gewaltanwendung und – androhung ebenso einschließt, wie Erpressung, die Verbreitung von Angst und das ganze Spektrum demagogischer Hetze gegen Andersdenkende und –lebende. Das Ausmaß der praktizierten Gewalt wird deutlich, wenn man sich die Bilanz dieser Verbrechen vor Augen führt: Schon 2000 musste festge stellt werden, dass dem rechten Terror seit 1990 über 100 Menschen zum Opfer gefallen sind. Wer aber nach Angaben über rechtsradikale Gewalt taten sucht wird bald feststellen, dass das solche nicht so einfach zu fin den ist. Nicht nur in der ansonsten mit Zahlen, Nachrichten und Meldungen aller Art voll gedröhnten Medienlandschaft, auch im Internet

122 finden sich dazu nur gut versteckte und allein schon wegen mangelnder Vergleichszahlen wenig nutzerfreundlich Angaben. Nicht weniger auf schlussreich ist die Art und Weise, in der Straftaten mit rechtsradikalem Hintergrund umgegangen wird. Obwohl vom BKA detailliert über alle möglichen Aspekte der Kriminalität und besonders ‚gründlich’ über den Anteil von Ausländern berichtet wird – Angaben zu den Straftaten mit rechtsradikalem Hintergrund sind hier nicht zu finden. Deshalb kann es auch nicht sonderlich überraschen, dass die zunächst mit 10.271 gemachten Angaben zu 2005 nachträglich auf Grund einer Anfrage aus der PDSFraktion mit dem Kommentar „Nachmeldungen können die mit geteilten Straftatenzahlen noch erheblich verändern“ auf 15.914 angeho ben wurde. Damit nicht genug: Aus SachsenAnhalt wurde bekannt, dass der Direktor des Landeskriminalamts (LKA), Frank Hüttemann „nach Dar stellung von Innenminister Holger Hövelmann (SPD) ... die Beamten Ende 2006 angewiesen (habe), eindeutig rechte Straftaten, deren Täter nicht bekannt seien, als politisch uneindeutig einzuordnen...“ 1

Tab: 8: Neofaschistische Straftaten in der BRD 19862006 2 Anhand eines der jüngsten Beispiele dieser Entwicklung wird deut lich, wie wird, wie sich Nazis intensivieren ihre Kampagne gegen Anders

1 siehe Rechte Straftaten einfach ignorieren? Unter: http://www.zeit.de/online/2007/ 48/lkasachsenanhalt 2 H. Waibel Neofaschistische, rassistische und antisemitische Straftaten in der BRD und in Deutschland von 19862006, unter: www.harrywaibel.de/pdf/Statistik_neo faschistischer_Straftaten_in_der _BRD_und_in_Deutschland.pdf

123 denkende und gefährden gezielt einzelne Personen. Aus einer Meldung der Leipziger Antifa geht hervor, dass in der Nacht zum 28.01.08 im gesamten Stadtgebiet Leipzigs Plakate mit PortraitAufnahmen von Gegendemon stranten einer NaziDemo vom 12.01.08 geklebt wurden. Die von ‚Anti AntifaFotografen’ und ‚Freien Kräfte Leipzig’ gemachten Aufnahmen wur den darüber hinaus auch auf den websites dieser Nazigruppierungen ver öffentlicht. Damit hat die kriminelle Energie, mit der Verfolgung von Anti faschisten mit Sprühaktionen, Einbrüchen in einigen Stadtgebieten orga nisiert wurde, ein neues unerträgliches Niveau erreicht. 1 Aber die Tat sache, dass die Organisationen und Parteien der Neonazis eine unerträg liche, äußerst zu nehmende Bedrohung darstellen ist mittlerweile eine Tat sache. Dass diese Bedrohung durchaus nicht nur auf die Existenz von of fen operierenden neofaschistischen Organisationen zurück zu führen ist, wurde deutlich... 7. Über die Nation, die soziale Frage, über Internationalismus und über die Funktion des Faschismus in den Klassenkämpfen von gestern, heute und morgen In der Auseinandersetzung mit den verschiedenen Erscheinungsfor men von Nationalismus, Rassismus, Antisemitismus und Antikommunis mus wird angesichts der historischen Erfahrungen durchaus berechtigt geltend gemacht, dass dies alles nicht als eine ernst zu nehmende weltan schauliche Position, als eine Meinung unter anderen, sondern vielmehr als ein Verbrechen zu behandeln ist. Aber so gut begründet und berechtigt diese Art und Weise des Um gangs mit den verschiedenen Aspekten und Erscheinungsformen faschisti schen und neonazistischen Denkens und Verhaltens auch immer ist: Es bleibt die Frage, wie es möglich ist, dass sich unter derart verschiedenen Umständen trotz grauenvoller Erfahrungen eine nicht zu unterschätzende Zahl von Menschen findet, die sich solchen Organisationen anschließen. Aber weder eine von durchaus berechtigter Empörung getragene Verurtei lung noch Ignoranz sind geeignet, etwas zur Erklärung dieses Sachver haltes beizutragen. So kann man mit ‚dem’ und mit ‚denen’ nicht ‚fertig’ werden. Vorn 2 wurde darauf hingewiesen, dass es notwenige ist, in die Haut derer zu kriechen, die so denken und sich so verhalten. Noch ein mal: Es ist dies schon deshalb keine Garantie, dass diesem Spuk ein Ende gemacht werden kann, weil große Teile dieser Gruppierungen nichts ande res als Banden sind, die sich zusammengetan haben, um ihre kriminelle Energie hinter dem Nebelvorhang einer von Anbeginn verlogenen Ideolo

1 siehe Leipzig Nazis fahnden nach NichtNazis, unter: http://de.indymedia.org/2008/ 01/206525 .shtml 2 siehe S. 24

124 gie auszuleben. Aber gäbe es zumindest eine Chance, in der Auseinan dersetzung mit aktuellen Erscheinungsformen des Faschismus eine ratio neller begründete Position zu finden. Und so kann vielleicht die Chance gewonnen werden, Heranwachsende vor diesem Ungeist zu schützen und jene, die denen auf den Leim gegangen sind, zu eigenem kritischen Nach denken zu bewegen. Noch einmal: So unappetitlich und widerlich dieses Gebräu aus Lügen, Halbwahrheiten, gestohlenen und für deren Zwecke zurechtgeschusterten Ideen auch immer ist – es ist schon deshalb höchste Zeit, sich damit mit allem gebotenen Ernst auseinander zu setzen, weil auch die schwindende Erinnerung, das über Jahrzehnte geübte Verdrän gen und die Faszination des Verbotenen instrumentalisiert werden. Der zentrale Ausgangs und Angelpunkt faschistischer Argumenta tionen ist die Berufung auf die Nation , auf deren Einmaligkeit, ihre Inter essen und deren Benachteiligung durch andere Völker, Nationen, Staaten oder Staatenbündnisse. Damit wird eine sozialökonomisch für fast jeden nachvollziehbare Tatsache zum Ausgangspunkt aller weiterführenden Erör terungen gemacht. Jeder, dem dies zweifelhaft erscheinen mag, sollte sich daran erinnern, wie dramatisch die Folgen der Entstehung und Behaup tung, der Selbstbestimmung von Völkern und Nationen verlief und ver läuft. Hier sei nur an die beliebig fortschreibbare Geschichte der (sowohl in ihrer historischen Genese als auch in ihren Wirkungen unterschiedlichen) Konflikte zwischen Briten, Iren und Schotten, Bretonen, Korsen und Franzosen, Basken, Katalanen Anatoliern und Spaniern, Serben, Slowe nen, Kroaten, Bosniern, Mazedoniern und Albanern erinnert. Man mag das als ‚Blödsinn’, pathologische Abweichung von irgend einer ‚Norm’ oder sonst wie bezeichnen: Es gab und es gibt derlei Organisationen und dies allein ist schon Grund genug, dieser Tatsache wesentlich mehr Aufmerk samkeit zu widmen, als dies aus der Sicht einer durchaus nicht ‚einfachen’ grundlegenden Ablehnung sinnvoll erscheinen mag. Aber so bleibt unklar, warum solche Ideen derart folgenschwere Wirkungen auf die Lebensver hältnisse der von diesen Konflikten unmittelbar und mittelbar betroffenen Völker hatten und haben. Aber die in diesem Kontext freigesetzten Emo tionen sind wenig geeignet, eine – angesichts der Vielfalt begründeter und berechtigter Vorbehalte – eine sachlich nüchterne Analyse dieser Zusam menhänge zu erarbeiten. Nationen sind durchaus nicht nur in Abhängigkeit von der jeweili gen ideologischen Betrachtungsweise – eine zwar äußerst widersprüch liche, aber nichts desto trotz eine historische Realität. Damit nicht genug: In der hierzulande verbreiteten eurozentristischen Sicht kommt dieser Organisationsform der menschlichen Gesellschaft sogar besondere Bedeu tung zu: Denn mit der Entstehung und Entwicklung von Nationalstaaten

125 sind entscheidende Momente der europäischen Geschichte verbunden. Das Modell dieser Entwicklung ist in der Art und Weise zu sehen, in der seit den Anfängen des XII. Jahrhunderts aus französischpicardisch, wallo nisch, okzitanisch und –provencalisch, katalanisch, korsisch, bretonisch, alemannischelsässisch, lothringisch und flämisch sprechenden Bewoh nern Aquitaniens, der Gascogne, der Bretagne, Burgunds, der Provence und anderer Herzogtümer, Grafschaften und Königreiche Franzosen und ein zentralistisch geführtes Frankreich wurde und bei allen regionalen und ethnischen Unterschieden ein französisches Nationalbewusstsein reifte. Der Einfluss Frankreichs auf die europäische Geschichte war damit sowohl unter den Bedingungen der absolutistischen Alleinherrschaft als auch im Verlaufe der Großen Französischen Revolution, der Napoleoni schen Eroberungskriege und es ist damit auch heute auf das engste und untrennbar verbunden. Nicht weniger deutlich waren und sind die Langzeitwirkungen der in Deutschland bis 1870 andauernden Kleinstaaterei 1: Aber wenn die Thron besteigung Henri IV. im Jahre 1594 im Spannungsfeld zwischen der Bartholomäusnacht, vier Hugenottenkriegen und dem Edikt von Nantes als ein Knotenpunkt in der Entwicklung des einheitlichen französischen Natio nalstaates zu verstehen ist so wird schon in diesem Rahmen deutlich, wie verhängnisvoll sich die Verzögerung eines solchen Prozesses bei den Nachbarn Frankreichs auswirken musste. Wer sich auf historischen Karten informiert wird nur eine grobe Vorstellung von den Problemen bekommen. Aber nach dem Wiener Kongress im deutschen Bund gab es 38 Einzel staaten (später war es noch einer mehr). Und so piefiggemütlich dies aus heutiger TVSicht auch immer erscheinen mag da ging es nicht ‚nur’ um die an den Grenzen dieser Fürstentümer zu entrichtenden Zölle. In und zwischen den sich ständig verändernden Bündnissen gab es zeitweilig gel tende Vereinbarungen über Maße, Gewichte, Briefmarken, die ‚Ihro Gna den, der Landesherr von Gottes Gnaden’ anerkennen oder nicht anerken nen von Fremdwährungen konnte. Man muss kein Wirtschaftsfachmann sein, um sich auszurechnen, wie sich diese Krümelkackerei auf die Ent wicklung der Wirtschaft und folgerichtig auch auf die des Lebensstand ards auswirken musste: In und zwischen den regionalen Egoismen und Konflikten erstickte jeder wirklich ernst zu nehmende Versuch, ein Unter nehmen zu gründen, dessen wirtschaftliche Bedeutung über den engen Horizont des jeweiligen Fürstentums und den meist noch engeren des jeweiligen Fürsten und seines Hofes hinausreichte. Wenn man sich darü ber hinaus noch dafür interessiert, was bei heutzutage bestehenden Rech

1 siehe unter http://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Kategorie:Historisches_Territo rium_%28Deutschland%29&from=SchaumburgLippe

126 nungskontrollorganen an Betrug und Korruption über die Bühne geht, hat man zumindest eine schwache Ahnung von dem, was damals bei Mini stern, Haushofmeistern und anderen Hofschranzen los war In diesem Kontext wird nicht nur deutlich, welche Interessen das deutsche Bürgertum mit den von seinen Vertretern unterstützten natio nalen Bestrebungen verband. Hier findet sich auch eine Antwort auf die Frage, warum es 1871 nur eine ‚kleindeutsche’ Lösung dieses Problems gab: Dahinter standen durchaus nicht nur die unvereinbaren Machtan sprüche der Habsburger und der Hohenzollern, sondern auch die Unter schiede zwischen den wirtschaftlichen Interessen der preußisch / rhei nischwestfälischen Großbourgeoisie und der österreichischungarischen Bourgeoisie. 1 In diesem Zusammenhang wird auch ein Aspekt der Geschichte der europäischen Nationalstaaten deutlich, dem gar zu schamhaft aber völlig zu unrecht keine besondere Aufmerksamkeit gewidmet wird. Spanien, Portugal, Frankreich, Großbritannien, Belgien und die Niederlande waren Staaten, die den geografischen Entdeckungsdrang einiger Seeleute und Wissenschaftler nutzten um angeblich ‚christliche Sitte und Moral’ zu ver breiten. Das war das Geschwätz, mit dem man zarte Gemüter zu beruhi gen suchte In der Sache ging es um die Eroberung riesiger Kolonialreiche, um die dort ausbeutbaren Reichtümer, um Menschen, die zu billigster Sklavenarbeit herangezogen werden konnten. Schon hier wird sichtbar, wie verlogen die ‚Selbstverständlichkeit’ ist, mit der spanische, franzö sische, britische und deutsche Nationalisten auf ihren Nationalstolz ver weisen. Die vom Kapital finanzierten Politiker, Pfaffen und Philosophen schwätzen vom Schutz des Vaterlandes, von Anstand, patriotischer Ehre, von der Pflicht, von der Freiheit der Deutschen, die neurdings am Hindu kusch verteidigt werden müsse. Was dabei herauskommt ist nicht nur Profit, da sind die Toten, die Verkrüppelten, jene, die im Morden den Ver stand verloren haben, die, denen ihr Liebstes genommen wurde. Wenn es von Vorteil ist, andere auszurauben, zu unterdrücken, zu versklaven – so wird denen eingeredet, die bei solchen Verbrechen die Drecksarbeit ma chen sollen – ‚die’, das sind Terroristen, Untermenschen, Verbrecher, und ‚die’ gehören ja nicht dazu, mit denen kann man’s ja. Da kann man auch gleich mal deren Kinder aufs Minenfeld scheuchen, wenn die Räumung zu lange dauern sollte. Dann noch die Stirn zu haben, von den Werten des

1 dazu Hier spielten die Niederlagen ÖsterreichUngarns im Krieg gegen die italienische Einigungsbewegung (Risorgimento) 1859 und 1861 im ‚Deutschen Krieg’ (König grätz) gegen die Preußen und die durch die Verluste zusätzlich beförderte Orientierung auf die Interessen auf dem Balkan, in Galizien, Böhmen und in Ungarn eine in dem von Preußen dominierten Deutschland eine letztlich ausschlaggebende Rolle.

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Christentums, von Freiheit und anderen ‚Werten’ der nur in Gold, Öl, Gas, US$ und Euro denkenden westlichen Wertegemeinschaft zu reden – das ist Gipfel des Hohnes für die Opfer dieses Gemetzels, für das Elend und die bis heute andauernde Chancenlosigkeit Die Deutschen waren und sind bei all dem nicht außen vor. Die in der Geschichte des deutschen Kolonialreiches begangenen Verbrechen sind den Kolonialverbrechen der anderen in jeder Hinsicht ebenbürtig. Wenn es nach denen gegangen wäre, die sich um Hitler zusammen gerot tet hatten, gäbe es heute ein deutsches Kolonialreich mindestens bis zum Ural. Polen wäre Generalgouvernement, Tschechien Böhmen und Mähren und wenn denn diese Rechnung aufgegangen wäre, dann wäre an die Stelle der britischen Kolonialherrschaft in Indien eine nicht weniger brutale deutsche getreten. Was von den Erwartungen blieb, die ukrainische, georgische, tschetschenische, polnische, belgische, niederländische und andere Nationalisten mit der Okkupation durch die faschistische Wehr macht verbanden ist bekannt. Alle, denen es damit ernst war, landeten im KZ oder ihnen wurde die ‚Ehre’ zuteil, an der Ostfront zu krepieren oder mit dem ‚dritten Reich’ unterzugehen. Doch zunächst saßen ‚die Deutschen’ die es als solche erst 1871 gab, am Katzentisch. Auch danach blieb denen nur das vorbehalten, was die anderen zwischenzeitlich noch nicht geschluckt haben. Bis heute wird in der Darstellung der ‚heroischen’ Geschichte aller großen europäischen Nationen ‚vergessen’, ‚übersehen’, oder aber bestenfalls stiefmütterlich am Rande erwähnt, dass der als Meisterwerk der europäischen Zivilisa tionsgeschichte ausgegebene Siegeszug der Industrialisierung und die mit den von ihnen geschaffenen Maschinen und chemischen Waffen mit aller Brutalität geführten Kriege nur möglich waren, weil es dafür zuvor eine durch Raub, Versklavung und grenzenlose Ausbeutung der Kolonien zusammengeraubte Grundlage gab. Aus eben diesen Gründen waren die im Frankreich des zweiten Napoleonischen Kaiserreiches an der Macht stehenden Kräfte ausgespro chene Gegner der monarchistischpreußischbourgeoisen klein wie der patriotischdemokratischen großdeutschen Variante der Einigung Deutsch lands. Und aus keinem anderen wurde der Sieg im deutschfranzösischen Krieg von 1870/71 genutzt, um die eigene wirtschaftliche Macht durch Kontributionen auf und auszubauen. Mit dieser Entwicklung, d.h. durch die im Laufe der Gründerjahre dramatisch beschleunigte Industrialisierung und den sich damit verschärfenden Kampf um Rohstoffquellen, Absatz märkte und billigste Arbeitskräfte wurde immer deutlicher, dass Deutsch land bei der kolonialen Aufteilung der Welt zu spät, vor allem aber zu kurz

128 gekommen war. Im Dunstkreis zwischen dem enorm gewachsenen Poten tial moderner industrieller Kapazitäten, einer leistungsfähigen Rüstungs industrie, den kaiserlichen Heeren und dem beschleunigten Ausbau der Kriegsflotte verknüpften sich die Profit und Eroberungsinteressen der deutschen Monopole mit den außer Rand und Band geratenden Macht ambitionen des Kaisers und der ihn dabei unterstützenden adligen Groß grundbesitzer und des Militärs. Aber nicht nur die deutsche Bourgeoisie schwätzte oder schwätzt von ‚Patriotismus’ und von einem ‚Ehrendienst für das Vaterland’, wenn es um die brutalstmöglichste Form der Profitmaximierung, d.h. um Rüstungs profite und Eroberungskriege ging oder geht. Das war im ersten Weltkrieg nicht anders als in den folgenden: Wenn es um Rüstungs und Kriegs gewinne geht wurden und werden Waffen und Ausrüstungen an Feind staaten geliefert, werden die viel höheren Löhne der eigenen Landsleute von den bourgeoisen ‚Patrioten’ eingespart. Deutsche Volksgenossen wur den von denen an die Front geschickt, weil durch billigere Kriegs gefangene und Zwangsarbeiter ersetzbar. Denn: „Mit entsprechendem Profit wird Kapital kühn. Zehn Prozent sicher, und man kann es überall anwenden; 20 Prozent, es wird lebhaft; 50 Prozent, positiv waghalsig; für 100 Prozent stampft es alle menschlichen Gesetze unter seinen Fuß; 300 Prozent, und es existiert kein Verbrechen, das es nicht riskiert, selbst auf Gefahr des Galgens..“ 1 Wer immer auch über die durch Nationalstaaten beförderten zivilgesellschaftlichen Fortschritte spricht kann diese Entwick lung nur dann angemessen würdigen, wenn er zugleich auch über die auf dieser Schlachtbank hingemordeten Opfer nennt. Die Bilanz der Entste hung und Entwicklung von Nationalstaaten war und ist durch eine nicht endende Geschichte dieser Tatsachen geprägt... Wenngleich die Geschichte der Nationen davon nicht getrennt wer den kann – so falsch es wäre, diese historischen Zusammenhänge zu ignorieren, so falsch war und ist es auch, dieses Moment als allein oder ausschließlich ausschlaggebendes anzusehen. Vorn wurde schon darauf hingewiesen, dass das unmittelbaren Wirkungen des kollektiven Erlebens von Entbehrungen, des zur alltäglichen Gewohnheit gewordenen gewalt samen Todes von Kameraden und die durch Uniformen und Disziplin, nicht zuletzt durch gemeinsam begangene Verbrechen und eine ‚von oben’ verordnete Generalamnestie schreckliche Wirkungen zeitigte. Das geschah im ersten Weltkrieg im Namen der ‚Vaterlandsverteidigung’. Zum zweiten ist jetzt ein Buch mit dem Titel ‚Sie starben für Führer, Volk und Vater

1 Siehe P.J. Dunning, zitiert bei K. Marx: Das Kapital – Kritik der politischen Ökonomie, Erster Band Buch 1: Der Produktionsprozess des Kapitals, Marx Engels Werke Bd. 23, Berlin 1962, S. 788

129 land. Die Hitlerjugend. Ein Lesebuch zur Kriegsbegeisterung junger Män ner’ erschienen.... Die mit dem im Kriege staatlich sanktionierten Massenmord un trennbar verbundenen eben so tief greifenden wie massenwirksamen Ver stöße gegen alle, auch und gerade gegen die elementarsten Regeln menschlichen Zusammenlebens blieben in der Vergangenheit und bleiben auch heute nicht ohne Folgen. Es gibt nicht nur in den USA wiederholt Veranlassung, sich an die bis heute nicht überwundenen Folgen des Viet namSyndroms zu erinnern. Auch ehemalige Soldaten der Bundeswehr sehen sich mit dieser Tatsache konfrontiert. Die FAZ findet die Art und Weise, wie die Bundesregierung „mit dem AfghanistanEinsatz der Bun deswehr umgeht, ... unehrlich und unwürdig.“ 1 In der Süddeutschen wird über Marketingstrategien der Bundeswehr geschrieben (die Losung heißt: ‚Schützen, vermitteln, helfen, kämpfen’), denn das Wort vom ‚Kampfein satz’ sei gar zu ‚böse’. 2 Als ob es darum ginge – hier versucht sich die nach dem Überfall auf Jugoslawien (nicht nur von 1941, sondern auch von 1999 ist hier die Rede) beim Streit um die Erdöl und Erdgasreserven auch noch in das ganz große Geschäft um Rüstungslieferungen ‚einzubringen’. Und jetzt geschieht merk und denkwürdiges: Von der DSU über die Republikaner bis hin zur NPD und erst recht natürlich bei der KDS und all den kleinen und all zu gerne großen Gruppierungen im rechten Lager ist ein Aufschrei zu hören: Keine deutschen Soldaten für fremde Interessen! Jungs, ihr habts immer noch nicht mitgekriegt: Das sind keine ‚fremden Interessen’ – hier geht’s um Öl und ohne Benzin – was wird da wohl aus der ‚deutschen’ Autoindustrie?? Das hat doch Euer unseliger Reichspropa gandaminister nun deutlich genug gesagt. Das war, ist und bleibt das, wenn deutsche Politiker mit freundlicher Unterstützung bei der ausgewo genen Darstellung ‚deutscher Interessen’ in offizieller Sprachregelung von sich geben. Nicht weniger aufschlussreich ist der Protest dieser Herrschaften gegen ‚die Globalisierung’: Worum geht es da? Wer sich unbedingt ein ‚deutsches’ Auto kaufen will, wird schon bei gar nicht all zu gründlicher Prüfung feststellen: Das ist alles andere als ‚deutsche Wertarbeit’. Da sind Teile aus Japan, ganze Baugruppen aus China, aus Spanien, Tschechien und aus einer gar nicht mehr nachvollziehbaren Anzahl anderer Länder

1 K.D. Frankenberger: Bundeswehr in Afghanistan Feigheit vor dem Bürger, FAZNET vom 5.2.2008, unter: http://www.faz.net/s/Rub7FC5BF30C45B402F96E964EF 8CE790 E1/Doc~EA800D246D95645C48867DB3D9F9365BE~ATpl~Ecommon~Scontent.ht ml 2 St. Kornelius Bundeswehr in Afghanistan Das böse Wort vom Kampfeinsatz, Süddeutsche Zeitung 1.2.2008, unter: http://www.sueddeutsche.de/,tt2m1/deutschland/artikel /990/155584/?page=2

130 dabei. Und nicht nur das: Es gibt durchaus chinesische, rumänische, polnische und andere Wertarbeit. Was im Übergang vom XIX. zum XX. Jahrhundert mit ‚made in Germany’ passierte ist dort mittlerweile auch im Kommen. Mit anderen Worten: Man mag sich darüber erregen oder daran verzweifeln – aber es gibt mittlerweile ein System der internationalen Arbeitsteilung, ohne das in keinem der führenden Industriestaaten noch etwas läuft. Damit nicht genug: Bei aller berechtigten Empörung – wenn Nokia wegen einiger Milliarden mehr Profit Arbeitsplätze aus den Hochlohnlän dern auslagert – die Leute, die dann in den (von deutschen Firmen gebau ten) rumänischen Betrieben Arbeit finden, sehen das sicher etwas anders.. Man kann das drehen wie man will – bei aller Kritik am Kapital, an der brutalen Art und Weise, in der Mindestlöhne auf das Niveau von Hunger löhnen gedrückt werden: Damit wurden in vielen Teilen der Welt Existenz grundlagen geschaffen, die es ...... Aber hier kommt erst das eigentliche Problem: Wer diesen Satz mit „die ohne das Kapital nicht gegeben hätte“ zu Ende schreibt, könnte, müsste, sollte ins Grübeln kommen: Anhand der bisherigen historischen Erfahrungen – das ist viel mehr als alles das, was hier auf den vorange henden Seiten dargestellt werden kann ist deutlich geworden, dass das Kapital keinerlei menschliche Bindungen kennt. Das trifft die Familien eben so wie die Völker, gleich ob sie sich zu Nationen konstituiert haben oder in Vielvölkerstaaten oder über die ganze Welt verteilt leben. Das Kapital gehört denen, die in der Lage und willens sind, es ohne Rücksicht auf irgendwelche Skrupel zu mehren. Wer dabei auch nur einen Moment zögert ist aus dem Rennen. Kennen Sie jemanden, der im Laufe seines Lebens auf ehrlichem Wege eine Million erarbeitet hat? Manch einer kommt durch Erbschaft oder Lottogewinne dazu. Aber hier wurde nach ehrlicher Arbeit gefragt. Vielleicht gibt es einige wenige ganz tolle Erfin der, die das von sich sagen können. Aber – damit hört´s dann auch schon auf. Unternehmer, die wirklich arbeiten, wissen, wie schwer Geld verdient und wie schnell es verloren ist, weil sich mit dem Unternehmenserfolg auch die ‚Heuschrecken’ einstellen. Wer schnell Geld machen will muss erstens erst mal viel Geld verfügbar haben (das ist dann in der Regel nicht das eigene), zweitens rücksichtslos zuschlagen, wenn er jemanden über den Tisch ziehen kann und dann drittens und so fort solche Anfangserfolge nach dem Motto ausbauen, dass die erste Million die schwerste war. Von ‚sozial’ ist da keine Rede – wer seine Gedanken in dieser Rich tung ‚verschwendet’ ist schneller draußen, als er rein gekommen ist. Das sind die Spielregeln. Von der Nation, von patriotischen Gefühlen, von der

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Liebe zum Vaterland ist nur dann die Rede, wenn sich das als Marke tingstrategie (siehe den oben zitierten Spruch der Bundeswehr) von den Mitteln und Medien der – natürlich, und das liegt in der Natur des Kapitals – monopolistisch betriebenen Massenmedien meinungsbildend verwerten lässt. Um es kurz zu machen: Man kann zu dieser Tatsache stehen wie man will, aber auch gegen seinen Willen kommt niemand darum herum, zur Kenntnis zu nehmen, dass dieses System zu weltweiter Macht gekom men ist. Das mag in den USA etwas anders aussehen, als in Frankreich, Deutschland, Großbritannien, Russland, Japan oder China. Aber trotz aller Nuancen und Besonderheiten: diese Spielregeln gelten global. Mit anderen Worten: Die Kapitalier aller Länder haben sich vereinigt und die Proletarier haben das Nachsehen. So ist es, aber so muss und so wird es nicht bleiben. Bei aller berechtigten Kritik an der Art und Weise, in der sich der Sozialismus des XX. Jahrhunderts gegen diese Herrschaft des Kapitals behauptete und schließlich doch scheiterte: So viel steht fest: Es ging und es geht auch ganz anders! Das, was damals als Volkseigentum geschaffen wurde, haben die kapitalistische Treuhand und all die Subven tionsbetrüger veruntreut. Jetzt gibt es zwar kommunales und staatliches Eigentum, aber eben kein Volkseigentum. Und wenn der Herr Westerwelle gegen dieses Volkseigentum mit dem Argument wettert, er wolle ein Volk von Eigentümern, dann hat er es doch wieder irgendwie auf den Kopf getroffen. Aber es ging und es geht nicht um die Vielzahl von Raffkes & Co.. Es geht um das, was heute als produktiver Reichtum verfügbar ist. Mit den derzeit vorhandenen Rohstoffen, Energie und anderen Ressourcen muss verantwortungsvoller umgegangen werden, als das in einer Welt der gren zenlosen Bereicherung einiger weniger möglich ist. Das kann schon des halb nicht ‚national’ geschehen, weil die wirklichen Gegner der dazu unab dingbar notwendigen Umverteilung des gesellschaftlichen Reichtums von der dünnen Schicht superreicher Gauner auf jene, die diesen Reichtum erarbeitet haben nicht ‚national’ zu fassen sind. Gegen das global organisierte Kapital kann nur ein global organisier ter Kampf erfolgreich sein. Wer immer auch unter Berufung auf die anhei melnden Gerüche, Erlebnisse und Genüsse der jeweiligen Nationalkultur (und wer sollte dagegen etwas haben?) zu einem nationalen Kampf gegen das Kapital aufruft, die Interessen anderer Völker und der internationalen Gemeinschaft der Unterdrückten, Ausgebeuteten und um ihre Chancen Betrogenen hinten ansetzt – er besorgt das Geschäft derer, die er zu be kämpfen vorgibt.

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