Die Naumann Affäre 1953 Text
Total Page:16
File Type:pdf, Size:1020Kb
Episode oder Gefahr? Die Naumann-Affäre Dissertation zur Erlangung des Doktorgrades eingereicht am Fachbereich Geschichts- und Kulturwissenschaften der Freien Universität Berlin im November 2012. vorgelegt von Beate Baldow 1. Gutachter: Prof. Dr. Wolfgang Wippermann 2. Gutachter: Prof. Dr. Arnd Bauerkämper Disputation: 20.02.2013 Inhalt Einleitung 2 I. Die Formierung des Naumann-Netzwerkes 1. Naumanns NS-Blitzkarriere, das Untertauchen und der Neustart (1908-1950) 17 2. Der Kontaktausbau in der Bruderschaft (1950-1951) 34 3. Die Einflussnahme durch die Soldatenbünde (1950-1952) 55 4. Innenpolitische Konzeption, „Innerer-“ und „Äußerer Kreis“ (1950-1953) 83 5. Außenpolitische Konzeption, Auslandskontakte und „Nation Europa“ (1951-1953) 102 II. Die Aktivitäten des Naumann-Netzwerkes in den Parteien 1. Die Unterwanderung und Einflussnahme in der FDP (1950-1952) 123 2. Die Verhandlungen mit dem BHE und der DP (1952) 160 3. Der Kampf gegen die SRP und ihre Nachfolgeorganisationen (1952) 169 4. Die Verhandlungen mit der DRP und der DG (1951-1953) 184 III: Die Zerschlagung des Naumann-Netzwerkes 1. Die Vorbereitung und der Zugriff (Nov. 1952-Jan. 1953) 197 2. In britischer Haft (Jan.-März 1953 ) 211 3. In deutscher Haft (April-Juli 1953) 247 4. Die Haftentlassung, der Freispruch und die Nachwirkungen (1953-1956) 277 Fazit 303 Anhang Liste: Personen im Naumann-Netzwerk 311 Quellen und Literatur 333 Einleitung „Gesammelt werden sollte das Landvolk auf einer Standesebene. Die Soldatenbünde in einer Dachorganisation, der Einzelhandel oder die Flüchtlinge oder die Steuerzahler, wir sollten uns in den Gemeinden zu Wort melden, dort um die Bürger- und Oberbürgermeisterpositionen ringen […]. Vielleicht auch [um] den einen oder anderen Landesverband dieser oder jener Partei, – kurz – durchdringen wir das Gemeinwesen in allen seinen Verästelungen und wenn diese alle oder auch nur ein Teil von ihnen bereit sind, dann ist die Stunde gekommen zu erklären, es gibt außer den Lizenzparteien auch ein unabhängiges Deutschland. Hier ist es und so sieht es aus.“ Werner Naumann, 1. November 1952 1 Angesichts der Revision des mit dem Nürnberger Tribunal verbundenen Denazification- Programms der Alliierten und der nach rechts überaus weit gestreckten Integrationspolitik der Bundesrepublik 2, hatten viele einstige Nationalsozialisten ihre bis 1950 geübte Zurückhaltung bei öffentlichen Tätigkeiten wieder aufgegeben. So auch Dr. Werner Naumann, ehemaliger Staatssekretär im Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda (RMVP) und direkter Goebbelsnachfolger, ernannt 1945 im Testament von Hitler. 3 Die prominente NS-Größe hatte sich offiziell in Düsseldorf niedergelassen und wurde als Exportleiter in der Handelsfirma eines ehemaligen Untergebenen im RMVP beschäftigt. 4 Werner Naumann begann nun Kontakte zu früheren Kameraden zu knüpfen um die Erfolgsaussichten für eine „Opposition“ 5 zum bestehenden politischen System nach dem Vorbild des Dritten Reiches mit seiner Person im Mittelpunkt auszuloten.6 Gemeinsam mit alten SS- und HJ-Kadern, die sich um ihn herum gruppierten und ihm die Führungsposition antrugen, baute er ein Netzwerk auf, welches kontinuierlich wuchs. Dieses bestand aus einem „Inneren Kreis“, dem etwa 15 seiner vertrautesten Mitstreiter 1 NARA, FO 371/103907, Text der Naumann Rede vor dem Gauleiter-Kreis am 1. November 1952, (Arrest of Naumann. Documents impounded on 14. Jan. 53, 5.3.1953). 2 Edinger, Lewis, Posttotalitarian Leadership. Political Elites in the German Federal Republic, in: American Political Science Review 54 (1960), S. 69. Die neuen elitären Positionen im Bundesdienst, in Außenpolitik und militärischen Einrichtungen sowie in der Wirtschaftsgemeinschaft wurden mit Personen aufgefüllt, die gleiche oder ähnliche Tätigkeiten im totalitären Staat ausgeführt hatten. Norbert Frei bezeichnete das „Recht auf politischen Irrtum“, das Partei- und gesellschaftsübergreifend anerkannt wurde, als „Grundge- setz der Bundesrepublik“. Siehe: Frei, Norbert, Vergangenheitspolitik. Die Anfänge der Bundesrepublik und die NS-Vergangenheit, München 2003, S. 405. 3 Jacobsen, Hans Adolf, 1939-1945. Der Zweite Weltkrieg in Chronik und Dokumenten, Darmstadt 1961, S. 532. 4 Opitz, Reinhard, Faschismus und Neofaschismus, Bonn 1996, S. 205. 5 NARA, FO 371/103916, Dokumentenzusammenstellung des Außenministers für das Parlament, 1953, (Documents regarding the Activities of Dr. Werner Naumann and his Associates). Naumann sprach von „Opposition“, beispielsweise in einer Rede bei einem geheimen Treffen in Düsseldorf am 1. November 1952. Er gebrauchte nicht den damals bei der extremen Rechten kursierenden Begriff einer „Nationalen Sammlung“. 6 NARA, FO 371/103917, Beweiszusammenstellung der Wiener Bibliothek, Juli 1953, (The Naumann Plot). 2 angehörten, durch den der so genannte „Äußere Kreis“7 mit weit über 1000 Anhängern 8 kontinuierlich erweitert wurde. Mithilfe seines Netzwerkes knüpfte Naumann Kontakt zu der „Bruderschaft“, einer geheimbündisch agierenden Verbindung ehemaliger National- sozialisten, nahm Einfluss auf die wiedererstehenden Soldatenbünde und suchte die Nähe von rechtsextremistischen Verbindungen im Ausland. 9 Die Vorteile des wachsenden Wettbewerbs politischer Organisationen um die so genannten „Abseitsstehenden“ nut- zend, baute der „Innere Kreis“ Brücken zu den politischen Parteien. Insbesondere die Freie Demokratische Partei (FDP) war vom Unterwanderungsverdacht betroffen. Am 15. Januar 1953 verhafteten schließlich britische Offiziere den ehemaligen Staatssekretär und sechs weitere teils frühere ranghohe Mitglieder der NSDAP in Düsseldorf, Hamburg und Solingen. 10 Das Kommuniqué, welches die Briten am gleichen Tag veröffentlichten, begründete die Verhaftungen damit, dass es sich bei den Festgenommenen um die Anführer einer Gruppe handele, welche sich „mit Plänen zur Wiederergreifung der Macht in Westdeutschland befasste“. 11 Innerhalb kürzester Zeit entwickelte sich der „Fall Naumann“ zu einem Politikum, welches einerseits die Kräfteverhältnisse zwischen der deutschen Regierung und den Besatzungsmächten absteckte und andererseits die Vergangenheitsbewältigung 12 oder die Vergangenheits- 7 NARA, FO 371/109564, White Paper, 14.4.1954, (The Naumann-Circle – The Study of a Technique in political Subversion, Top Secret). Die Bezeichnung „Innerer Kreis” und „Äußerer Kreis” wurde von dem „White Paper“ der Briten übernommen. Sie ordneten die Personen, mit denen Naumann viel Kontakt hatte und die sich am meisten für das Hauptziel, die Wiederergreifung der Macht, engagierten, diesen beiden Kreisen zu. 8 NARA, FO 371/103904, Untersuchungsbericht, 12.1.1953, (Progress Report on Investigation of the Nau- mann Group). Siehe auch: NARA, FO 371/103898. Sowie: NARA, FO 371/103904, Gutachten von K. Randell (Interim Survey of the Investigations into the Gauleiters´ Circle). 9 Vgl. Opitz, Faschismus und Neofaschismus, S. 207. Sowie: ADL, NI-815, Der Gauleiter-Kreis, ohne Zeit. 10 Frei, Vergangenheitspolitik, S. 361. 11 Vgl. Kommuniqué der britischen Regierung zur Verhaftung des Naumann-Kreises, in: Gutscher, Jörg Michael, Die Entwicklung der FDP von ihren Anfängen bis 1961, Königsstein 1984 (2) , S. 331. Die publi- zierten deutschen Übersetzungen des Kommuniqués unterscheiden sich nur geringfügig. Für den Namen Haselmayer lassen sich verschiedene Schreibweisen nachweisen. 12 In der Forschung stehen sich zum Umgang mit der nationalsozialistischen Vergangenheit zwei Positionen mit medialer Resonanz gegenüber: Die eine beklagt die weitgehende „Verdrängung“ und unterbliebene „Aufarbeitung der NS-Vergangenheit“. Beispiele hierfür geben die Studien aus psychoanalytischer Sicht von Alexander und Magarete Mitscherlich. Siehe: Mitscherlich, Alexander/ Mitscherlich, Magarete, Die Unfähigkeit zu trauern. Grundlagen kollektiven Verhaltens, München 1967, S. 34. In den 80er-Jahren erschienen Gesamtdarstellungen der Frühgeschichte der Bundesrepublik, die eine unterbliebene Aufarbei- tung konstatierten, wodurch die innere Glaubwürdigkeit eines freiheitlichen Demokratischen Rechtsstaates in Frage gestellt wurde. Siehe u.a.: Kleßmann, Christoph, Die doppelte Staatsgründung. Deutsche Geschichte 1945-1955, Bonn 1982, S. 252. Die Zuspitzung erfuhr diese Position durch Ralph Giordanos Veröffentlichung von der „Zweiten Schuld“, wonach die nicht erfolgte Aufarbeitung mitverantwortlich für ausländerfeindliche Tendenzen und Gewalttaten der Gegenwart sei. Indem die erste Schuld unter Hitler abgestritten worden sei, hätten die Deutschen nach 1945 eine zweite Schuld auf sich geladen. Siehe: Giordano, Ralph, Die zweite Schuld oder von der Last Deutscher zu sein, Berlin 1990, S. 13. Vorstreiter für die Gegenthese war Hermann Lübbe, der die Zurückhaltung in der öffentlichen Thematisierung der NS- Vergangenheit in der Frühgeschichte der Bundesrepublik als Bemühung interpretierte, ihre Subjekte in den 3 politik 13 der jungen BRD infrage stellte. In der in- und ausländischen Presse erschienen sowohl Szenarien von einer Neuauflage des Dritten Reiches als auch Empörungs- bekundungen über das „ungerechtfertigte Vorgehen“ der Besatzer. Während die Kontakte der Naumann-Gruppe zu den übrigen Parteien kaum öffentlich thematisiert wurden, rückte die FDP in den Mittelpunkt des medialen Interesses. Sie bildete eine Untersuchungskommission, die schwere Vorwürfe gegen den Landesverband Nordrhein-Westfalen erhob. Die Naumann-Affäre wurde für die FDP als Regierungs- partei zur Zerreißprobe. Anfang April 1953 wurden die Delinquenten von den Briten an die deutsche Gerichtsbarkeit überstellt, wo der