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Dreimal in Folge Weltmeister, vier erste Plätze in der Weltliga, drei Europameistertitel, dazu Olympia-Silber und -Bronze: Zwischen 1989 und 2000 dominierten Italiens Männer die -Bühne. Jürgen Sabarz hat die Glanzzeit der Azzurri aus der Nähe erlebt

Ihre Namen waren in aller Munde: Es waren Lucky, Lollo, Zorro, und Outdoor (1996). Doch King Karch ließ sich nie für die Politik Gardo, Gabi, Bazooka und Fefe, die in den Gazetten und Magazi- des damaligen FIVB-Präsidenten Ruben Acosta vereinnahmen, nen (zur Blütezeit in den 90er Jahren gab es in Italien drei und so wurde ihm Bernardi vorgezogen. Dem wird es herzlich egal monatlich erscheinende Volleyball-Magazine) in den Medien gewesen sein, warum er so hoch dekoriert wurde. Als Spieler hochgejubelt und zu Heroen stilisiert wurden. Wann gewinnt eine war Bernardi vor allem unter den Fittichen von zum Nationalmannschaft schon drei Weltmeisterschaften in Folge? Helden geworden. Als Trainer führte Velasco, ein gebürtiger , , , Andrea Gardi- Argentinier, Italiens Männer zu Ruhm und Ehren. Und immer war ni, Gabriele Sartoretti, und Ferdinando de Lorenzo Bernardi dabei. Giorgi (Spitznamen siehe oben) waren die Protagonisten, die Vol - leyball-Weltgeschichte schrieben. Es fehlten nur die Panini-Bilder, Wie sich die Zeiten geändert haben: Wenn wie es sie für Fußballer gibt. Dabei war die Firma Panini einer der der Lehrling seinem Lehrmeister eine Lehre erteilt wichtigsten Sponsoren. Dafür gab es andere Huldigungen: Bernardi wurde Anfang 2001 Als Vereinstrainer hatte Bernardi allerdings weniger Glück. Zuletzt vom Weltverband als bester Spieler des 20. Jahrhunderts ausge- wurde er beim Zweitligisten Padua als Trainer vorzeitig aus dem zeichnet. Obwohl es da noch den US-Star Karch Kiraly gab, der Amt entlassen. Dafür durfte er im Sommer des letzten Jahres als erste und einzige Goldmedaillengewinner Indoor (1984 und 1988) Coach des italienischen B-Nationalteams einen Erfolg feiern. Bei

VOLLEYBALL-MAGAZIN 09•2010 vm_10_09_46_53_Italien_7.qxd 20.08.2010 16:09 Uhr Seite 47 fotos: ingo kuzia, getty images ingo kuzia, fotos:

den Mittelmeerspielen gewann Italien Gold durch ein 3:1 im Finale Wir sind die Größten: Lorenzo Bernardi (links) und die gegen Spanien. Trainer Spaniens war ausgerechnet Julio Velasco. italienischen Fans hatten in den 90ern viel zu feiern Man sieht sich eben immer zwei Mal im Leben, sicher werden die Kollegen über glorreiche alte Zeiten gesprochen haben. 1945 gründete sich der italienische Verband FIPAV, im gleichen Schließlich hat Volleyball in Italien eine lange Tradition. Die Italie- Jahr ging die erste Landesmeisterschaft an Ravenna. Die Stadt ner waren die ersten Europäer, die Volleyball kennenlernten: 20 stellte eine Mannschaft, deren Mitglieder das Spiel überwiegend Jahre nach dem Ersten Weltkrieg fand die Premiere auf italieni- beim Militär, im Krieg oder in der Gefangenschaft gelernt hatten. schem Boden statt, in Porto Corsini in der Nähe von Ravenna. Vor- Von der Gründung der FIPAV, die jährlich eine Meisterschafts- geführt von amerikanischen Soldaten, die Volleyball nach Europa runde ausrichtete, dauerte es noch bis 1987, bis sich in Bologna brachten. Nach der Aufnahme als Sportart beim Militär fand Vol- die LEGA gründete. Nun begann die Professionalisierung des leyball auch Zugang zum Betriebssport: Die Arbeiter sollten sich italienischen Klubvolleyballs, zum Nutzen der Nationalmann- durch sinnvolle Aktivitäten in ihrer Freizeit fit halten. schaft, zumindest in den 90er Jahren. Mit dem Spiel von heute hatte das nicht viel gemein. Die Bälle waren vom Reifenfabrikanten Pirelli gefertigte Gummiflitschen, Ein Dank an die Gastarbeiter: Italiens Talente es wurde auf Zeit gespielt, und Ergebnisse wie 71:18 waren keine profitierten viel von den Kräften aus dem Ausland Seltenheit. Die Idee des Volleyballspiels begann sich durchzuset- zen, auch wenn es Mussolini war, der die Reinheit der italieni- Eine riesige Popularität besaß Volleyball bereits damals. Die schen Sprache wahren wollte und das englische Wort Volleyball Silbermedaille bei den Weltmeisterschaften 1978 sowie Bronze verbannte. Das Staatsoberhaupt verlangte zunächst ein palla a bei den Olympischen Spielen 1984 in Los Angeles sorgten für volo und daraus wurde dann Pallavolo, wie es heute heißt. Die Ita- Begeisterung – „un sport di massa“ war entstanden. Viele aus- liener übernahmen die Einführung des Blocks (erfunden durch die ländische Spieler trugen schon vor der Gründung der LEGA dazu Tschechoslowaken 1938) und des Baggers (auch durch die CSSR bei, den begeisterungsfähigen italienischen Talenten und Klubs 1958 eingeführt) und der internationalen Regeln der FIVB. bei der kontinuierlichen Qualitätssteigerung zu helfen. ᭤

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In den 70er und 80er Jahren spielten die politischen Verhältnisse in Europa eine große Rolle. Nur ein Russe schaffte es vor dem Zusammenbruch der Sowjetunion ins gelobte Volleyball-Land: 1987 kam der legendäre Zuspieler Vjatscheslav Zaitzev nach Spoleto. Einige Spitzenspieler folgten, aber erst in den 90ern. An- dere Ostblockländer, zum Beispiel die Bulgaren, waren bei der Freigabe ihrer Spieler flexibler. Auch, weil sie durch hohe Ablösesummen von deren Auslandsaufenthalten profitierten. Der erste Ausländer, der in Italien die Lizenz zum Spielen bekam, war der Pole Jerzy Stelmach, der bereits 1948 in Italien spielte. In den 70er Jahren folgte eine ganze Reihe von Klassespielern wie Ambroziak, Tiborowski, Skorek, Skiba und Zarzycki. Sie alle beein- flussten den italienischen Volleyball in starker Weise. Alexander Skiba wurde nach seiner aktiven Zeit Juniorentrainer und war maßgeblich an der Prägung der erfolgreichen Spieler der 90er

fotos: fiorenzo galbiati, daniele lamonaca galbiati, fiorenzo fotos: beteiligt. Bernd Zimmermann, beim IAT in Leipzig mit der wissen- schaftlichen Langzeitbeobachtung der internationalen Szene be- Wiedersehen bei den Mittelmeerspielen: Lorenzo Bernardi auftragt, sagt: „Wann immer man mit Italienern über ihre große (links) und Julio Velasco, Helden der 90er Jahre Zeit spricht, spürt man Dankbarkeit und Respekt gegenüber den polnischen Spielern und Trainern. Die Italiener wissen, dass sie Immerhin hatte die FIPAV schon in der Saison 81/82 die Play-offs den Polen viel zu verdanken haben.“ eingeführt. Dies führte zu gravierenden Veränderungen: Die Meisterschaft wurde länger, die Spiele in der Endphase härter. Ein Geben und Nehmen: Italien wurde immer Zu Beginn der 80er Jahre wurden Spielerlizenzen eingeführt, es stärker – aber die Gäste aus dem Ausland ebenfalls entstand ein Vorläufer des Vertragswesens für Profis. Die Qualität des italienischen Volleyballs ist bis zum heutigen Tage ohne die Im Laufe der Zeit führten die Aufenthalte der Gastarbeiter zu Ausländer nicht vorstellbar. Viele Volleyballkulturen haben ihre einer Situation des Gebens und Nehmens, nachdem lange Jahre Spuren hinterlassen. Die drei Weltmeisterschaften wurden unter nur der Wettbewerb in Italien von den stranieri, den Ausländern, einem Trainer aus Argentinien (Julio Velasco) und einem aus profitiert hatte. In den Niederlanden gab es durch die Vorarbeit Brasilien (Paulo Bebeto Roberto de Freitas) geholt. Die bereits von Trainer Arie Selinger und durch die Emigration holländischer vorhandene Qualität des italienischen Wettbewerbs hat aber Profis nach Italien den Lohn in Form der Goldmedaille bei den auch ihren Reiz auf Auslandsprofis ausgeübt. Dazu kommen die Spielen in Atlanta 1996. Bei den Schweden gab es durch die be- Offenheit der italienischen Sportfans und ihre traditionelle Liebe merkenswerte Arbeit von Trainer Anders Kristianson bei Lidingö zum sportlichen Spektakel. Und natürlich das Geld, das es reich- SK und die Veredelung seiner Auswahlspieler in Italien Silber bei lich zu verdienen gab. So wie die ausländischen Fußballstars die der EM 1989. Die Jugoslawen gewannen 2000 in Sydney auch italienische Fußballszene bereicherten, förderte die starke Zu- deshalb Gold, weil ihre Stars in der Lega A Uno gestählt worden wanderung auch die Volleyballszene. waren. Drei kleine Länder, die von der Weiterbildung ihrer Spieler in Italien in bemerkenswerter Weise profitierten. Völkerwanderung gen Italien: Erst kamen die Polen, Beeindruckend sind die Zahlenverhältnisse ausländischer Kräfte dann die Brasilianer, die Argentinier, die US-Boys… in der 1. und 2. Liga Italiens. Insgesamt waren bislang Spieler aus rund 40 Nationen in Italien tätig. Bis in die Mitte der 90er Jahre Eine Zuwanderung, die sich in Wellen vollzog: Immer dann, wenn hatten sich in der A Uno und der A Due 52 Amerikaner, 47 Bulga- eine Nation bei einer Weltmeisterschaft oder bei Olympischen ren, 36 Tschechoslowaken, 33 Argentinier, 25 Brasilianer, 21 Polen Spielen für Furore gesorgt hatte, waren deren beste Kräfte kurze und 17 Russen zum Spielbetrieb gemeldet. Das sind die am häu- Zeit darauf die Stars in Italien. So tauchten nach der WM 1974 und figsten vertretenen Nationen. Wichtig dabei: Es waren in aller den Spielen in Montreal die besten polnischen Spieler in Italien Regel Topspieler, während die Ausländer, die in Deutschland, Bel- auf. Ende der 70er Jahre gab es die erste brasilianische Welle, in gien oder Frankreich landeten, eher zur B-Klasse zählten. den 90ern folgte der zweite Schub. Dazwischen kamen viele Die Motive für die Reisefreudigkeit sind hauptsächlich geprägt Argentinier, Ende der 80er Jahre waren es die Amerikaner, die von der Möglichkeit, auf hohem Niveau spielen zu dürfen. Und das zwei Mal olympisches Gold gewonnen hatten. Nach der EM 1989 bei bester finanzieller Versorgung. Attraktiv waren und sind das und dem packenden Finale zwischen Italien und Schweden gab es Ambiente in Italien, das angenehme Leben und die Kultur des eine Reihe schwedischer Spieler in der A Uno. Auch Holländer Landes. Dass nicht alles so geregelt ist wie zum Beispiel in (Olympiasieger 1996 im unvergesslichen Finale gegen Italien) und Deutschland, und auch die Zahlungsmoral teilweise zu wünschen Serben kamen in Massen, wenngleich einige schon vor den Erfol- übrig lässt, mussten viele Spieler erleben. Aber unter dem Strich gen mit ihren Nationalteams dort waren. ließ und lässt es sich in Italien bestens aushalten. ᭿

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Mit Alexander Skiba begann vor 25 Jahren die Erfolgsstory des italienischen Volleyballs. Der Trainer aus Polen gewann mit den Junioren WM-Silber. Es war der Grundstock für die Arbeit des Argentiniers Julio Velasco

Einer der zahlreichen Stars aus der Generation 85: Luca Cantagalli

Mit Visionen und Durchhaltevermögen geht vieles. Das hat sich Parma und übernahm 1987 schließlich für zwei Jahre die italie- zumindest Gianfranco Briani im Vorfeld der Junioren-WM 1985 nische Nationalmannschaft. gedacht. Unter der Führung des FIPAV-Generalsekretärs wurde Cantagalli, Gardini und Co hatten das Glück, immer von starken 1983 die Initiative Volley 85 ins Leben gerufen: Konzentration der Trainern begleitet zu werden: Daniele Bagnoli, Silvano Prandi, Junioren-Nationalmannschaft für zwei Jahre auf einem Militär- Daniele Ricci, Gianpaolo Montali, aber auch ausländische Spitzen- stützpunkt unter der Führung des polnischen Trainers Alexander leute wie Bebeto und Rezende (beide aus Brasilien) sowie Doug Skiba. Konsequente Ausbildung der jungen Spieler während der Beal (USA) und Ljubo Travica (Jugoslawien) sorgten für Qualität. Woche, am Wochenende dann zum Training in den Heimatklubs, Herausragend in der Trainer-Gilde war ohne Zweifel Julio Velasco, wo sie den Vereinsteams zur Verfügung standen. Aus diesem Pro- der aus Argentinien kam. jekt rekrutierte sich die glanzvolle Generation mit , Velasco, 1952 in La Plata geboren, begann als 15-Jähriger im La Luca Cantagalli, Claudio Galli, und Andrea Zorzi. Plata University Club mit Volleyball und weist wie Skiba eine be- Skiba hatte sich schon zuvor als echter Fachmann präsentiert: eindruckende Vita auf: bester Juniorenspieler Argentiniens 1970; mehr als 200 Länderspiele mit Polen, ab 1975 verdiente er sein vier Mal argentinischer Meister mit Ferrocarril Oeste; zwei Jahre Geld in Ancona, 1979 trainerte er drei Jahre lang Polens National- Co-Trainer der Männer-Nationalmannschaft. 1983 zog es ihn nach mannschaft, bevor er die Junioren Italiens übernahm. Nach dem Italien, wo er bis 1985 Trainer des italienischen Dorfvereins Tre Silbermedaillengewinn bei der WM 1985 arbeitete er für Santal Valli Jesi war – für ein Jahressalär von 6000 Dollar. ᭤

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„Der Mensch ist das größte Mysterium im ganzen Universum“, sagte Velasco nach den Spielen in Barcelona. Anders ausgedrückt: Volleyball bleibt ein Spiel – und zum Begriff Spiel gehört per definitionem immer noch: Ende offen. Velasco hat immer wieder darauf hingewiesen, wie sehr ihn die Trainingsphilosophie der Amerikaner und die Methoden von US-Coach Doug Beal (Olympiasieger 1984 und Weltmeister 1986) beeinflusst haben. Dennoch folgte Velascos Arbeit einem anderen Ansatz, der sich mit dem Begriff „Gesamtspielsituation-Trainings- methode“ definieren lässt. Er reduzierte den Trend der 80er Jahre zur absoluten Spezialisierung auf allen Positionen und legte den Schwerpunkt auf die Einbettung von Elementen in das Ganze – auch in der Trainingsarbeit. Dabei zeigte er sich kleinlich, bestens vorbereitet und anspruchsvoll.

Velascos Ansatz: Nicht nur einzelne Elemente einschleifen – mehr Augenmerk auf das gesamte Spiel

„Gesamtspielsituation-Trainingsmethode“ bedeutet, dass im Trai- ning die Grundtechniken ausgehend von verschiedensten Spielsi- tuationen gelernt werden. Die alten Methoden waren nicht falsch, wurden jedoch bei ihm in ein situationsabhängiges Training inte- griert. Konkret: Sieht der Trainer, dass in einer bestimmten Annah- me- oder Aufbausituation etwas nicht funktioniert, wird das Trai- ning unterbrochen. Es folgt eine Informationsschleife durch fotos: jürgen sabarz (2), fiorenzo galbiati fiorenzo sabarz (2), jürgen fotos: Grundtechnikübungen für die Annahme (frontal, seitlich, im Einer der großen Trainer in Italien: Paolo Bebeto Stand, etc.) und sofort danach erneut die Einbettung des nun hof- Roberto de Freitas führte Italien 1998 zum WM-Titel fentlich besser beherrschten Elementes in die vorher geübte An- nahme- oder Aufbausituation. Diese aufwendige Arbeitsweise Von 1985 bis ‘89 trainierte er Panini Modena und errang dort vier war nur mithilfe von Co-Trainern möglich, um Unterbrechungen Meisterschaften. Danach erfolgte die Übernahme der National- im Trainingsablauf für andere Spieler zu vermeiden. mannschaft von Skiba, und damit begann die goldene Zeit: 1989 Velascos Konzept führte weg von der Methode und Tendenz, ein- Europameister, Weltmeister ein Jahr später. 1994 folgte WM-Titel zelne Elemente einzuschleifen und zu einem Gesamtbild zusam- Nummer zwei. 1996 endete das Engagement bei den Männern. Es menzufügen, um eher eine Zuwendung zu einem ganzheitlichen folgten kurzzeitige Einsätze bei der italienischen Frauen-Natio- Ansatz zu erreichen. Immer mit dem Bestreben, möglichst schnell nalmannschaft und den Männern der Tschechischen Republik. wieder zu einer spielnahen Situation zu kommen. Nach einem Ausflug in die Welt des Fußballs (Manager bei Roma) Velascos Trainingsarbeit, aber auch die strategischen Überlegun- kehrte Velasco zurück zum Volleyball. Er engagierte sich bei gen vieler Trainer zur Fehlervermeidung, führten zu einem Stil, mehreren italienischen Klubs. 2003 wurde er in die Volleyball Hall den die Italiener selbst oft Minimalismo bezeichneten. Heute wird of Fame aufgenommen. der Begriff eher abwertend und in einem anderen Sinne Nur eines ist dieser Ausnahmeerscheinung verwehrt geblieben: benutzt. Kritiker wie Paolo Buongiorno, ehemaliger Manager bei Olympisches Gold. Aller Jubel in Italien war für die Tifosi immer Mediolanum Mailand und Spielervermittler, sagen über die Lage mit einem Schuss Bitterkeit versetzt. Es ist wie eine Ironie des im italienischen Volleyball: „Es passiert nichts Neues, wir spielen Schicksals: Bei den Olympischen Spielen wurden die Italiener immer dasselbe.” Minimalismo, also minimalistisch. stets von ihren Lehrlingen bezwungen. 1992 in Barcelona schei- Die Amerikaner hatten in den 80ern die Spezialisierung und die terten sie im Viertelfinale an den Holländern, wie auch vier Jahre variantenreiche Systematik im Angriff sowie neue Abwehrtech- später im Herzschlagfinale von Atlanta, als die Oranjes den Italie- niken ins Spiel gebracht. Brasilianer und Amerikaner befassten nern mit 3:2 (17:15 im fünften Satz) die fest eingeplante Goldme- sich im ersten Jahrzehnt des neuen Jahrtausends mit den Über- daille wegschnappten. gängen im Spiel (Transition). Italiens Volleyball war in den 90ern Jahren vielseitig. „Der Italian Style hatte von allem etwas“, sagt Paulo Bebeto Roberto de Freitas, Weltmeister-Trainer 1998. „Wie Code im Suchfeld eingeben und weitere Informationen finden! Tuttifrutti im Volleyball, aber eben sehr gut.“ 1989 sorgten Italiens Männer mit dem Gewinn der Europameisterschaft in Zu den Erfolgskomponenten gehörten die beeindruckenden indi- Schweden für eine Sensation. Es war der Startschuss für eine goldene Ära Webcode: vm091005 viduellen Stärken von Spielerpersönlichkeiten wie Cantagalli, Ber- nardi und Lucchetta, aber auch die Spielanlage der National-

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Die WM-Teams:

1990: , Lorenzo Bernardi, , Luca Cantagalli, Fernando de Giorgi, Andrea Gardini, , Andrea Lucchetta, Alessandro Martinelli, , Paolo Tofoli, Andrea Zorzi. Trainer: Julio Velasco 1994: Lorenzo Bernardi, Marco Bracci, Luca Cantagalli, Fernando de Giorgi, Andrea Gardini, Andrea Giani, Andrea Ghiretto, Pas- quale Gravina, , , Paolo Tofoli, Andrea Zorzi. Trainer: Julio Velasco 1998: Fernando De Giorgi, Corsano, , , Gabriele Sartoretti, , , Andrea Giani, Andrea Gardini, Samuele Papi, Marco Bracci. Trainer: Paulo Bebeto Roberto de Freitas

Mit ihm kam der Erfolg: Der Pole Alexander Skiba führte Italiens Junioren-Nationalmannschaft zum WM-Silber Erfolge (1989 bis 2000):

mannschaft: Sie war auf fehlerfreies Agieren angelegt. Die ganze 1989 Europameister; Platz zwei World Cup Vielfalt im Angriffsspiel war selten zu sehen: Kreuz- oder Staffel- 1990 Weltmeister, Weltligasieger, Platz zwei angriffe am Netz, Stoppangriffe in der Netzmitte, 1991 Weltligasieger, EM-Zweiter, Platz eins Mittelmeer-Spiele Hinterfeldangriffe aus der Mitte –all das waren Raritäten. Typisch 1992 Weltligasieger, Olympiafünfter in Barcelona für das Spiel der Italiener war dagegen: aus einer guten Annahme 1993 Europameister, Grand Champions Cup-Sieger, in der Mitte mit einem möglichen Aufsteiger zu drohen (oder ihn Platz drei bei der Weltliga zu spielen) oder schnell über außen gegen einen Einerblock an- 1994 Weltmeister, Weltligasieger zugreifen. Das war es, was am häufigsten praktiziert wurde. Das 1995 Weltligasieger, Europameister, World Cup-Sieger Ganze mit großer technischer Perfektion und Sicherheit. 1996 Olympia-Silber, Super Challenge Cup-Sieger, Vorteil Italien: Die Qualität von Trainern und Spielern Weltliga-Zweiter und in den Klubteams war eine perfekte Grundlage 1997 Weltligasieger, EM-Dritter 1998 Weltmeister In einer Analyse des IAT Leipzig nach der WM 1994 in Athen wird 1999 Europameister der Stil der Italiener von Dr. Berthold Fröhner, Dr. Bernd Zimmer- 2000 Olympia-Bronze mann und Bernd Kügler als „trocken und prägnant” bezeichnet: „Das Angriffsspiel wird einfach und überschaubar gestaltet. Was tun die Superstars Kennzeichnend ist, dass die individuellen Stärken der Spieler in den wenigen Angriffsvarianten optimal zum Tragen kommen. Zum Viele der großen Stars von damals Beispiel die von Andrea Gardini beim schnellen Angriff mit 78 sind dem Sport treu geblieben – aber Prozent Erfolgsquote. Oder die Vielseitigkeit eines Andrea Giani in einer anderen Rolle und längst im Angriff aus fast allen Positionen.” Außerdem agierte Italien nicht so erfolgreich wie in ihrer akti- „grundsätzlich mit zwei Hauptannahmespielern, deren Ge- ven Zeit auf dem Spielfeld. samtanteil bei rund 70 Prozent aller Annahmehandlungen lag. Auf Sprungaufschläge des Gegners stellte sich das Team im Drei- Andrea Zorzi – Gelegenheitskommentator beim TV, erriegel ein. Bei besonders gefährlichen Sprungaufschlägen wur- Kolumne in der Gazetta dello Sport, Kolumne bei der FIVB de sogar ein Viererriegel formiert.“ Andrea Lucchetta (Foto) – Kommentator beim TV (RAI), Letztlich ließ die Qualität von Spielern und Trainern eine Vielfalt Sport-Fitnesscenter in Modena zu, die beinahe zwangsläufig zum goldenen Jahrzehnt führte. Da- Lorenzo Bernardi – Trainer in Padua (vorzeitig entlassen) zu kam das enorm hohe Niveau in der Liga (siehe Seite 52). Da Andrea Giani – Trainer in Modena (vorzeitig entlassen) taucht die klassische Frage auf: Was war zuerst da, die Henne Franco Bertoli – Gelegenheitskommentator bei Sky oder das Ei? Oder in diesem Fall: War die Nationalmannschaft so Luca Cantagalli – Trainer in Versilia (vorzeitig entlassen) erfolgreich, weil die Liga so stark war – oder umgekehrt? Im Marco Bracci – Co-Trainer der Frauen-Nationalmannschaft Rückblick erscheint es müßig, darauf eine Antwort finden zu wol- Gabriele Sartoretti – Trainer bei Perugia (vorzeitig entlassen) len. Fest steht, dass eine Konstellation entstanden war, in der sich – TV-Kommentator, Trainer in Maccerata viele positive Kräfte gegenseitig inspirierten. Es kam zu Synergi- Andrea Gardini – Co-Trainer der Nationalmannschaft en, die ein einzigartiges Niveau erzeugten. Vorteil Italien. ᭿

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Es war die Zeit, in der auch das Big Business in der italienischen Volleyballszene Einzug hielt. Mit dem riesigen Benetton-Konzern (Sisley Treviso), der Gruppo Ferruzzi (Chemie, Ravenna), dem Parmalat-Konzern (Nahrungsmittel, Parma) und dem Mediola- num Versicherungsimperium (Medien, Versicherungen, Mailand) des mächtigen Silvio Berlusconi seien die vier Großinvestoren im Bereich Volleyball genannt. Pallavolo war auf dem besten Wege, im Sport hinter dem alles überstrahlenden Fußball die Nummer zwei zu werden – vor Basketball, Tennis, dem Rad- und dem ...doch der Schein trügt: Die Liga in Motorsport. Der Einstieg von Silvio Berlusconi nach der Euphorie um die Welt- Italien strahlt zwar Glanz aus, aber meisterschaft im Jahre 1990 hatte allerdings nichts mit der Liebe zum Volleyball zu tun. Im Gegenteil. Mailands Manager Paolo die Zeiten sind schwer Buongiorno sagt: „Berlusconi hatte kein Interesse an Volleyball. Es war für ihn nur eine weitere Möglichkeit, in der Öffentlichkeit zu stehen.“ Nur ein Jahrzehnt später kehrte Ernüchterung ein. Zur „Anfang der 90er Jahre war das Niveau der Meisterschaft hier in Jahrtausendwende ging eine glorreiche Phase zu Ende. Die Italien höher als das Niveau bei einer Weltmeisterschaft.“ Mit großen Erfolge des Nationalteams blieben aus. In diesem Jahr dieser knackigen Aussage des brasilianischen Trainers Roberto richten die Italiener die Weltmeisterschaft aus, und verbunden Paulo de Freitas, genannt Bebeto, der sein Team 1998 zum Ge- mit dem Highlight ist die Hoffnung, wieder an die goldenen Jahre winn der Weltmeisterschaft führte, ist die enorme Stärke der ita- anknüpfen zu können. Doch auf dem Weg dorthin gab es im Jahr lienischen Liga in dieser Epoche eindeutig beschrieben. „Es gab 2009 eine böse Überraschung: Platz zwölf bei der EM. damals eine fantastische Entwicklung”, sagt Bebeto: „Wir hatten die besten ausländischen Spieler, dazu kamen zahlreiche Italiens Volleyball gehört nach wie vor zur Weltspitze, italienische Spieler auf Weltklasse-Niveau sowie die besten doch das große Geld lockt nun in Russland Trainer und sehr gute Manager.“ Sicher ist: In Italien wird nach wie vor hervorragender Volleyball gespielt. Obwohl die starken Russen verschwunden sind, obwohl eine Reihe von Amerikanern und Brasilianern nun in Russland ihr Geld verdient – die italienische Liga ist immer noch immens stark, wie die Europapokal-Bilanz dieses Jahres zeigt: Champions foto: jürgen sabarz jürgen foto: League-Sieg für Trento, den Challenge Cup holte Perugia, im CEV- Pokal hatte Cuneo die Nase vorn. Aber in Italien sind nicht mehr nur noch die Besten. Das Geld ist knapper geworden. Und es fehlt eine neue Inspiration. „Wir spielen eigentlich immer noch den gleichen Stil wie vor 20 Jahren“, sagt der Fotograf Fiorenzo Gal- biati, der die Szene seit über 30 Jahren intensiv verfolgt: „Es fehlt eine Inspiration.“ Es ist unübersehbar: Der italienische Verband wie auch die Liga haben es versäumt, in angemessener Weise für starken Nachwuchs zu sorgen. Es gibt Bemühungen, aber sie sind Stückwerk und haben keine solche Kraft, wie sie von dem Projekt Volley 85 ausgegangen war. Es scheint, als sei die Zeit für Visionen und eine konzertierte Aktion endgültig vorbei. Auch die Italiener leben im Zeitalter der Inszenierung und der Vermarktung, in einer Zeit der kurzfristigen Erfolge. Diese müssen gut verkauft werden für den nächsten schnellen Erfolg. Es fehlt der lange Atem, um für die besten 15- bis 18-jährigen Nachwuchsspieler eine neue Vision zu ent- wickeln. Diese Vision wird heute schon in früher Jugend von Spielervermittlern übernommen. Und deren Devise lautet: Geld verdienen. Aber dies ist eine andere Geschichte. ᭿

Demonstration der Stärke: wurde mit Cuneo Meister in Italien und zeigte nach dem Matchball stolz seine beachtlichen Muskelpakete

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