Schleswig-Holsteinischer Landtag Plenarprotokoll 17/3 17. Wahlperiode 09-11-19

Plenarprotokoll

3. Sitzung

Donnerstag, 19. November 2009

Fragestunde...... 132, Anke Erdmann [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]...... 138, Monika Heinold [BÜNDNIS Heinz-Werner Jezewski [DIE 90/DIE GRÜNEN]...... 132, LINKE]...... 139, Jost de Jager, Minister für Wis- Dr. Ralf Stegner [SPD]...... 141, senschaft, Wirtschaft und Ver- [FDP]...... 141, kehr...... 132, Andreas Tietze [BÜNDNIS 90/ Erste Lesung des Entwurfs eines DIE GRÜNEN]...... 132, Gesetzes zur Änderung des Wahl- Wolfgang Baasch [SPD]...... 133, gesetzes für den Landtag von Dr. Robert Habeck [BÜNDNIS Schleswig-Holstein (Landeswahlge- 90/DIE GRÜNEN]...... 133, setz - LWahlG)...... 141, Daniel Günther [CDU]...... 133, Anke Spoorendonk [SSW]...... 134, Gesetzentwurf der Fraktion BÜND- Antje Jansen [DIE LINKE]...... 135, NIS 90/DIE GRÜNEN Lars Harms [SSW]...... 135, Drucksache 17/10 Jürgen Weber [SPD]...... 135, Thorsten Fürter [BÜNDNIS 90/ Dr. Marret Bohn [BÜNDNIS DIE GRÜNEN]...... 142, 90/DIE GRÜNEN]...... 136, Markus Matthießen [CDU]...... 145, 130 Schleswig-Holsteinischer Landtag (17. WP) - 3. Sitzung - Donnerstag, 19. November 2009

Peter Eichstädt [SPD]...... 147, Antje Jansen [DIE LINKE]...... 173, Wolfgang Kubicki [FDP]...... 150, 156, Lars Harms [SSW]...... 174, Heinz-Werner Jezewski [DIE Jost de Jager, Minister für Wis- LINKE]...... 153, senschaft, Wirtschaft und Ver- Silke Hinrichsen [SSW]...... 154, kehr...... 175, Dr. Robert Habeck [BÜNDNIS Thorsten Fürter [BÜNDNIS 90/ 90/DIE GRÜNEN]...... 156, DIE GRÜNEN]...... 176, Ulrich Schippels [DIE LINKE]..... 158, Beschluss: Überweisung der Anträge Beschluss: Überweisung an den In- an den Wirtschaftsausschuss...... 177, nen- und Rechtsausschuss...... 158, Erste Lesung des Entwurfs eines Schließung von Bundesbankfilialen Gesetzes zur Änderung des Ge- in Schleswig-Holstein...... 158, setzes zur tariflichen Entlohnung bei öffentlichen Aufträgen (Ta- Antrag der Fraktion des SSW riftreuegesetz)...... 177, Drucksache 17/25 Gesetzentwurf der Fraktion des SSW Lars Harms [SSW]...... 158, Drucksache 17/39 Dr. Christian von Boetticher [CDU], zur Geschäftsordnung.. 159, Lars Harms [SSW]...... 177, 186, Jost de Jager, Minister für Wis- Jens-Christian Magnussen [CDU]. 179, senschaft, Wirtschaft und Ver- Regina Poersch [SPD]...... 180, kehr...... 160, Christopher Vogt [FDP]...... 182, Peter Sönnichsen [CDU]...... 161, Andreas Tietze [BÜNDNIS 90/ Thomas Rother [SPD]...... 162, DIE GRÜNEN]...... 183, Oliver Kumbartzky [FDP]...... 163, Heinz-Werner Jezewski [DIE Ines Strehlau [BÜNDNIS 90/DIE LINKE]...... 184, GRÜNEN]...... 164, Johannes Callsen [CDU]...... 185, Ulrich Schippels [DIE LINKE]..... 165, Jost de Jager, Minister für Wis- Silke Hinrichsen [SSW]...... 166, senschaft, Wirtschaft und Ver- kehr...... 187, Beschluss: Tagesordnungspunkt mit der Berichterstattung der Landes- Beschluss: Überweisung an den Wirt- regierung erledigt...... 167, schaftsausschuss und den Innen- und Rechtsausschuss...... 187, Keine Landesmittel für den Aus- bau des Flugplatzes Lübeck-Blan- Besetzung und Wahl der Mitglie- kensee...... 167, der des Landtags für den Wahl- kreisausschuss...... 187, Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Wahlvorschlag der Fraktionen von Drucksache 17/27 CDU, SPD, FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, DIE LINKE und SSW Arbeitsplätze gehen vor: Landes- Drucksache 17/60 mittel für den Flughafen Blanken- see...... 167, Beschluss: Annahme...... 188, Antrag der Fraktion der SPD Unterirdische Lagerung von CO Drucksache 17/56 2 bundesweit verbieten...... 188, Andreas Tietze [BÜNDNIS 90/ Antrag der Fraktion des SSW DIE GRÜNEN]...... 167, Drucksache 17/38 Hans-Jörn Arp [CDU]...... 169, Regina Poersch [SPD]...... 170, Gerrit Koch [FDP]...... 171, Schleswig-Holsteinischer Landtag (17. WP) - 3. Sitzung - Donnerstag, 19. November 2009 131

Änderungsantrag der Fraktionen von Gesetzentwurf der Fraktion der SPD CDU und FDP Drucksache 17/35 Drucksache 17/55 Bernd Schröder [SPD]...... 211, 217, Flemming Meyer [SSW]...... 188, 201, Klaus Klinckhamer [CDU]...... 212, 219, Dr. Michael von Abercron [CDU]. 189, Günther Hildebrand [FDP]...... 213, Marion Sellier [SPD]...... 190, Bernd Voß [BÜNDNIS 90/DIE Oliver Kumbartzky [FDP]...... 192, GRÜNEN]...... 214, Detlef Matthiessen [BÜNDNIS Ranka Prante [DIE LINKE]...... 216, 90/DIE GRÜNEN]...... 193, 200, Flemming Meyer [SSW]...... 216, Ranka Prante [DIE LINKE]...... 194, Dr. Henning Höppner [SPD]...... 218, Anke Spoorendonk [SSW]...... 195, Dr. Christian von Boetticher Wolfgang Kubicki [FDP]...... 195, [CDU]...... 218, Dr. Christian von Boetticher Wolfgang Kubicki [FDP]...... 219, [CDU]...... 196, Dr. Juliane Rumpf, Ministerin für Ursula Sassen [CDU]...... 197, Landwirtschaft, Umwelt und Heinz-Werner Jezewski [DIE ländliche Räume...... 220, LINKE]...... 197, Jost de Jager, Minister für Wis- Beschluss: Überweisung an den Um- senschaft, Wirtschaft und Ver- welt- und Argarausschuss...... 220, kehr...... 198, Dr. Ralf Stegner [SPD]...... 199, Beschluss: 1. Ablehnung des Antrags Drucksache 17/38 2. Annahme des Antrags Drucksache 17/55...... 201,

Wolfgang Kubicki [FDP], zur Ge- **** schäftsordnung...... 201, Regierungsbank: Bildungsfinanzierung...... 202, , Ministerpräsident Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Drucksache 17/40 Dr. Heiner Garg, Stellvertreter des Ministerprä- sidenten und Minister für Arbeit, Soziales und Ge- Anke Erdmann [BÜNDNIS 90/ sundheit DIE GRÜNEN]...... 202, Heike Franzen [CDU]...... 203, Emil Schmalfuß, Minister für Justiz, Gleichstel- Dr. Henning Höppner [SPD]...... 204, lung und Integration Cornelia Conrad [FDP]...... 205, Ellen Streitbörger [DIE LINKE]... 206, Dr. Ekkehard Klug, Minister für Bildung und Anke Spoorendonk [SSW]...... 207, Kultur Jost de Jager, Minister für Wis- senschaft, Wirtschaft und Ver- Dr. Juliane Rumpf, Ministerin für Landwirt- kehr...... 208, schaft, Umwelt und ländliche Räume Antje Jansen [DIE LINKE]...... 210, Beschluss: Überweisung an den Bil- Rainer Wiegard, Finanzminister dungsausschuss...... 211, Jost de Jager, Minister für Wissenschaft, Wirt- Erste Lesung des Entwurfs eines schaft und Verkehr Gesetzes zur Änderung des Lan- desfischereigesetzes (LFischG) vom **** 10. Februar 1996...... 211, 132 Schleswig-Holsteinischer Landtag (17. WP) - 3. Sitzung - Donnerstag, 19. November 2009

Beginn: 10:02 Uhr Vizepräsidentin Dr. Gitta Trauernicht: Für die Antwort erteile ich dem Minister für Wis- Vizepräsidentin Dr. Gitta Trauernicht: senschaft, Wirtschaft und Verkehr, Herrn de Jager, Meine Damen und Herren! Ich eröffne die heutige das Wort. Sitzung und begrüße Sie alle ganz herzlich. Zunächst ist mitzuteilen, dass Frau Abgeordnete Jost de Jager, Minister für Wissenschaft, Wirt- Sandra Redmann von der SPD-Fraktion erkrankt schaft und Verkehr: ist. Wir wünschen ihr gute Besserung. Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In der (Beifall) Tat ist eine Ausgründung, soweit sie nicht schon er- folgt ist, und die Hereinnahme von 49 % privater Beurlaubt sind von der Landesregierung Herr Mini- Anteile Gegenstand des Sanierungskonzepts, das ster Schlie - ganztägig - und Herr Minister de Jager von Herrn Schleifer vorgelegt worden ist. Bereits ab 15 Uhr. im Jahr 2007 wurde dazu ein Markterkundungsver- Meine sehr geehrten Damen und Herren, mit der fahren durchgeführt, um die Potenziale für eine Drucksache 17/60 liegt Ihnen ein interfraktioneller wirtschaftlichere Lösung im nichtmedizinischen Wahlvorschlag zur Besetzung und Wahl der Mit- Bereich aufzuzeigen. Das hat dazu geführt, dass glieder des Landtags für den Wahlkreisausschuss der Aufsichtsrat in einer Reihe von Sitzungen, die vor. Ich schlage Ihnen vor, diesen Wahlvorschlag in ich Ihnen darlegen könnte, wenn Sie möchten, wei- dieser Sitzung zu behandeln, ihn als Punkt 28 A in tere Beschlüsse gefasst hat, die zur Folge hatten, die Tagesordnung einzureihen und über ihn heute dass auf Basis des Markterkundungsverfahrens ein nach den gesetzten Punkten abzustimmen. - Ich hö- Vergabeverfahren in Gang gesetzt worden ist. re keinen Widerspruch, dann werden wir so verfah- ren. Vizepräsidentin Dr. Gitta Trauernicht: Ich begrüße auf der Besuchertribüne den Deutschen Für eine Zusatzfrage erteile ich dem Herrn Abge- Bundeswehrverband mit „Kiel-Pass“ (Grundwehr- ordneten Tietze das Wort. dienst- und Zivildienstleistende) und das Aufklä- rungsgeschwader 51 „Immelmann“ aus Kropp ganz Andreas Tietze [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: herzlich zu unserer heutigen Sitzung. Sehr geehrter Herr Minister, in welcher Größenord- (Beifall) nung können durch einen Verkauf von Geschäfts- anteilen an der Service GmbH beziehungsweise an Ich rufe den Tagesordnungspunkt 31 auf: der Zentralen Einrichtung IT im jeweiligen Ver- kaufsjahr Gewinne erzielt und in den Folgejahren Fragestunde Einsparungen erwirtschaftet werden, und auf wel- cher Basis sind diese Zahlen errechnet worden? Es liegt eine Frage der Frau Abgeordneten Heinold vor. Zunächst erteile ich der Fragestellerin das Wort. Jost de Jager, Minister für Wissenschaft, Wirt- schaft und Verkehr: (Dr. Robert Habeck [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich stelle jetzt Herrn de Jager die Ich verstehe das so, dass sich Ihre Frage auf den erste Frage. Ist das richtig, Frau Präsidentin?) Servicebereich bezieht. - Das ist richtig. Für den Servicebereich gilt, dass sich bei einer Vertrags- - Nach meinen Informationen hat Monika Heinold laufzeit von fünf Jahren über den Zeitraum Einspa- die Frage eingereicht und müsste diese jetzt auch rungen im operativen Geschäft in Höhe von stellen. 7,4 Millionen € ergeben. Das ist damit zu werten, dass ein Verkaufserlös für die Veräußerung der Monika Heinold [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: 49 %-Anteile in Höhe von 5 Millionen € eingefah- ren werden kann, der allerdings mit einem Rück- Ich stelle gern die Frage. Ich frage die Landesregie- kaufspreis nach fünf Jahren - wir reden ja über Ver- rung, Herr Minister: Ist ein Teilverkauf der Service träge mit einer fünfjährigen Laufzeit - gegenzurech- GmbH oder der Zentralen Einrichtung IT Bestand- nen ist. Dies soll ja dann vom UK S-H zurückge- teil des durch Herrn Schleifer vorgelegten Sanie- kauft werden. Die Ergebnisverbesserungen, rungskonzeptes, und seit wann gibt es eine konkrete sprich die Einsparungen im operativen Geschäft, Planung in diese Richtung? Schleswig-Holsteinischer Landtag (17. WP) - 3. Sitzung - Donnerstag, 19. November 2009 133

(Minister Jost de Jager) beziehen sich bei der Servicegesellschaft im We- Jost de Jager, Minister für Wissenschaft, Wirt- sentlichen darauf, dass mit einer höheren Produkti- schaft und Verkehr: vität zu rechnen ist. Derjenige Bieter, der den Zu- Es hat ein ausgesprochen komplexes Vergabever- schlag bekommen soll - das ist ein Konsortium um fahren gegeben, weil nämlich unterschiedliche Lose Vanguard herum, die dies an Universitätskliniken in eine Markterkundung und hinterher in ein Bieter- schon seit fast 20 Jahren betreiben -, muss unter an- verfahren gegeben wurden. Insofern ist in der Tat derem am Klinikum die Küche erneuern. Eine pri- überprüft worden, in welcher Form man das am vate Unternehmung kann das günstiger bauen, als besten machen kann. An der Tatsache, dass es in das UK S-H es könnte. den drei Bereichen, in denen Veränderungen eintre- ten, nämlich im Servicebereich, bei der IT und bei Vizepräsidentin Dr. Gitta Trauernicht: der Medizintechnik, zu unterschiedlichen vertragli- Für eine Zusatzfrage erteilte ich dem Herrn Abge- chen Anwendungen gekommen ist, nämlich da- ordneten Wolfgang Baasch das Wort. durch, dass im Bereich der Medizintechnik keine Beteiligung eines Privaten vorgesehen ist, sondern Wolfgang Baasch [SPD]: nur ein Managementvertrag mit der Firma Dräger geschlossen wurde, können Sie erkennen, dass das Herr Minister, laut Pressemitteilung des Aufsichts- Klinikum sehr dezidiert verschiedene Modelle ab- rats vom 16. November 2009 ist mit der Teilprivati- gefragt und auf Wirtschaftlichkeit untersucht hat. sierung eine höhere Arbeitsplatzsicherheit für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter verbunden als bis- Vizepräsidentin Dr. Gitta Trauernicht: her. Wie gestaltet sich diese höhere und verbesserte Arbeitsplatzsicherheit, und welche Vereinbarung Das Wort für eine Zusatzfrage hat der Herr Abge- gibt es mit dem privaten Träger? ordnete Daniel Günther.

Jost de Jager, Minister für Wissenschaft, Wirt- Daniel Günther [CDU]: schaft und Verkehr: Herr Minister de Jager, es ist ja sozusagen ein Bau- Die Arbeitsplatzsicherheit der Beschäftigten leitet stein aus dem gesamten Sparkonzept, das es in dem sich aus dem Tarifvertrag her, der im März 2008 Bereich gibt. Ziel ist, dass 2010 eine schwarze Null abgeschlossen wurde, und aus der Anwendungs- geschrieben wird. Langfristiges Ziel muss aber vereinbarung. Zwischen dem Klinikum und ver.di sein, dass das UK S-H insgesamt auf eigenen Füßen ist vereinbart worden, dass es während dieser Lauf- steht. Nun handelt es sich ja um einen kurzfristigen zeit durch solche Veränderungen nicht zu betriebs- Einspareffekt. Meine Frage lautet: Wo sieht die bedingten Kündigungen kommt. Das ist in den Ver- Landesregierung insgesamt Bausteine, um eine Sa- trägen auch umgesetzt worden. Die Mitarbeiter ent- nierung erfolgreich zu gestalten? weder aus der Service GmbH, die jetzt schon aus- gegründet sind, oder aus dem UK S-H, die in die Jost de Jager, Minister für Wissenschaft, Wirt- neue Firma eingehen werden, sind in diese vertrag- schaft und Verkehr: lichen Vereinbarungen eingebunden, sodass sich Wie kurzfristig dieser Effekt ist, ist unterschiedlich aus meiner Sicht an der Sicherheit der Beschäfti- zu bewerten. Das jetzige Vergabeverfahren sieht ei- gung und an deren Status nichts verändern wird. ne Begrenzung der vertraglichen Konstruktion auf fünf Jahre vor. Danach endet der Vertrag, und Vizepräsidentin Dr. Gitta Trauernicht: das UK S-H kann die Anteile zu einem Betrag von Für eine Zusatzfrage erteile ich dem Herrn Abge- 1 Million € wieder zurückkaufen. Das UK S-H hat ordneten Dr. Robert Habeck das Wort. allerdings die Möglichkeit, die vertragliche Kon- struktion - wenn sie sich bewährt - noch einmal um Dr. Robert Habeck [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- fünf Jahre zu verlängern. Das würde die Einspar- NEN]: potenziale über die nächsten zehn Jahre noch ein- mal erhöhen. Je länger die Verträge dauern, desto Herr Minister, sind andere Möglichkeiten für Ein- höher fallen die Einsparpotenziale aus. sparungen im Rahmen der Service GmbH oder der Zentralen Einrichtung IT alternativ oder ergänzend Für den Sanierungserfolg ist es erforderlich, dass zur Teilprivatisierung in Betracht gezogen und ge- diese Beträge tatsächlich erwirtschaftet werden. Sie prüft worden, und, wenn ja, mit welchem Ergebnis? wissen, dass die Landesregierung im Sommer einen Grundsatzbeschluss zu einem baulichen Master- 134 Schleswig-Holsteinischer Landtag (17. WP) - 3. Sitzung - Donnerstag, 19. November 2009

(Minister Jost de Jager) plan Hochschulmedizin gefasst hat, mit dem an Wolfgang Baasch [SPD]: den Standorten Kiel und Lübeck sowohl die UK- Herr Minister, wie erfolgte die Beteiligung der Schleswig-Holstein-Einheiten als auch weite Teile Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an der Teilpri- der Medizinischen Fakultäten neu errichtet werden vatisierung? Wie bewerten Sie außerdem die Aus- sollen. Es wird erhebliche Effizienzgewinne da- sage der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, dass es durch geben, dass die Abläufe besser gesteuert wer- bei der Teilprivatisierung lediglich um Einmalef- den können. Allein deshalb kann von einer Einspa- fekte, also nicht um eine nachhaltige wirtschaftli- rung von jährlich 30 Millionen € ausgegangen wer- che Verbesserung des Unternehmens geht? den. Das ist aber auch erforderlich, weil das UK S- H sich an der Finanzierung des baulichen Master- plans mit 15 Millionen € beteiligen wird. Das Errei- Jost de Jager, Minister für Wissenschaft, Wirt- chen der von uns angestrebten Sanierungserfolge ist schaft und Verkehr: also unbedingt nötig, um einen weiteren wichtigen Leider habe ich den genauen Zeitplan auf meinem Schritt bei der Sanierung in Form des baulichen Platz liegen lassen. Aber ich sagte ja schon, dass Masterplans gehen zu können. die erste Markterkundung durch einen Beschluss des Aufsichtsrats auf den Weg gebracht wurde. Es Vizepräsidentin Dr. Gitta Trauernicht: hat dazu einen Endbericht der KPMG gegeben, der im Januar 2008 im Aufsichtsrat vorgestellt wurde. Das Wort für eine Zusatzfrage hat Frau Abgeordne- Da Sie das Hochschulgesetz kennen, wissen Sie, te Anke Spoorendonk. dass im Aufsichtsrat Vertreter sowohl des wissen- schaftlichen als auch des nichtwissenschaftlichen Anke Spoorendonk [SSW]: Personals vertreten sind. Demzufolge lagen den Herr Minister, es gibt Presseveröffentlichungen Mitarbeitervertretern diese Informationen frühzeitig darüber, dass die Firma Vanguard als Teil des Bie- vor. Abgesehen davon werden die Mitbestim- terkonsortiums, das den Zuschlag für die Service mungsregeln vom UK S-H ständig selbstverständ- GmbH erhalten soll, in diesem Jahr kurz vor der In- lich eingehalten. solvenz stand. Was qualifiziert gerade dieses Unter- Zu den angeblichen Einmaleffekten möchte ich nehmen, den nötigen Know-how-Transfer zu leis- Folgendes sagen: Es gibt sicherlich aufgrund der ten und weitere Einsparungen zu erzielen? Veräußerungserlöse die geschilderten Einmaleffek- te im Servicebereich, aber in noch höherem Maße Jost de Jager, Minister für Wissenschaft, Wirt- im IT-Bereich. Die Wirtschaftlichkeitsuntersu- schaft und Verkehr: chung, die auch bei uns im Haus geprüft worden Dieses Unternehmen qualifiziert zum einen, dass ist, bezieht sich allerdings nicht allein auf diese es, soweit ich weiß, in diesem Bereich in Deutsch- Einmaleffekte, sondern auch auf die von mir ange- land Marktführer ist und diese Dinge seit vielen sprochenen Einspareffekte über die gesamte Lauf- Jahren macht. Das erste Ausgründungsprojekt der zeit; diese sind übrigens im Servicebereich höher Firma Vanguard war 1990 an der Universität Tü- als im IT-Bereich. Bei der gesamtwirtschaftlichen bingen. Es gibt also eine entsprechend langjährige Betrachtung haben wir es demzufolge nicht ledig- Erfahrung. lich mit Einmaleffekten zu tun.

Die drohende Insolvenz wurde abgewendet. Außer- Vizepräsidentin Dr. Gitta Trauernicht: dem ist nicht allein die Firma Vanguard Vertrags- partner, sondern ein Konsortium, an dem neben der Für eine weitere Zusatzfrage erteile ich Herrn Ab- Firma Vanguard die Unternehmen Zehnacker und geordneten Tietze das Wort. Sodexo beteiligt sind. Die Konsortialpartner dieses Konsortiums haften füreinander. Insofern ist ein Andreas Tietze [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: wirtschaftliches Risiko für das Universitätsklini- Herr Minister, in diesem Falle handelt es sich um kum ausgeschlossen. eine klassische betriebswirtschaftliche Betrachtung: To buy or to make? Meine Frage im Zusammen- Vizepräsidentin Dr. Gitta Trauernicht: hang mit der Wirtschaftlichkeitsanalyse bezieht Für eine weitere Zusatzfrage erteile ich Herrn Ab- sich auf die Qualität. Wir wissen, dass die Qualität geordneten Wolfgang Baasch das Wort. im Servicebereich sinkt, wenn es eine Verdichtung gibt. Es wird zu Schlechtleistungen kommen, und das werden auch die Patientinnen und Patienten Schleswig-Holsteinischer Landtag (17. WP) - 3. Sitzung - Donnerstag, 19. November 2009 135

(Andreas Tietze) spüren. Welche Analyse haben Sie hinsichtlich der Vizepräsidentin Dr. Gitta Trauernicht: Qualitätsgarantien in Ihrem Hause vorgenommen? Für eine Zusatzfrage erhält Herr Abgeordneter Lars Harms das Wort. Jost de Jager, Minister für Wissenschaft, Wirt- schaft und Verkehr: Lars Harms [SSW]: Voranstellen möchte ich - damit sich kein falscher Herr Minister, Sie gehen davon aus, dass die Neu- Eindruck festsetzt -, dass wir über den Servicebe- strukturierung einerseits zu einer Erhöhung der reich, nicht über den Pflegebereich reden. Das be- Qualität und andererseits zu Einsparungen in Mil- deutet durchaus einen Unterschied. Ich sage das lionenhöhe führen wird. Mir stellt sich die Frage, nur, damit sich keine Legenden bilden. ob bereits ein detaillierter Plan vorliegt, wie diese In den Verträgen sind feste Service-Levels vorge- konkurrierenden Ziele erreicht werden sollen. Kann sehen, die der Vertragspartner erreichen muss. Aus dieser Plan, wenn es ihn denn gibt, auch dem Land- diesem Grund bin ich von der Qualitätssicherung in tag beziehungsweise seinen Gremien zur Verfü- den Verträgen überzeugt. gung gestellt werden? (Andreas Tietze [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Was heißt „überzeugt“?) Jost de Jager, Minister für Wissenschaft, Wirt- schaft und Verkehr: - Überzeugt bedeutet, dass wir nach einer Bewer- tung, die in unserem Haus vorgenommen werden Ein solches Verfahren wird natürlich durch Aus- muss, weil wir Fach- und Rechtsaufsicht für das wertungen begleitet, die im UK S-H selbst vorge- UK S-H sind, zu dem Ergebnis gekommen sind, nommen werden. Da das Vergabeverfahren auch dass die Wirtschaftlichkeitsbetrachtung die Wirt- von Beratungsunternehmen begleitet wurde, gibt schaftlichkeit der beiden Vergabeverfahren ein- es auch eine entsprechende Dokumentation und deutig belegt. Dieser eindeutige Beleg hat mich Darstellung. Ich kann Ihnen einen ausführlichen überzeugt. Bericht im Ausschuss - sei es der Beteiligungs-, sei es ein anderer Fachausschuss - zusagen, der über die Antworten in einer Fragestunde hinausgeht. Ob Vizepräsidentin Dr. Gitta Trauernicht: wir die Originalgutachten zur Verfügung stellen Für eine weitere Zusatzfrage erteile ich der Frau können, muss ich noch prüfen; das kann ich nicht Abgeordneten Antje Jansen das Wort. ad hoc entscheiden. Aber wir können Ihnen in je- dem Fall ausführlich berichten. Antje Jansen [DIE LINKE]: Haben die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die Vizepräsidentin Dr. Gitta Trauernicht: demnächst bei der privaten Firma arbeiten werden, Für eine Zusatzfrage erteile ich Herrn Abgeordne- nach fünf Jahren die Möglichkeit, selbst zu ent- ten Jürgen Weber das Wort. scheiden, ob sie bei der privaten Firma bleiben oder zurückgehen wollen? Gibt es eine entsprechende Jürgen Weber [SPD]: vertragliche Gestaltung? Herr Minister, meine Frage betrifft eher den IT-Be- reich. Beinhaltet der Verkauf von Anteilen und die Jost de Jager, Minister für Wissenschaft, Wirt- Neuaufstellung in diesem Bereich eine Neustruk- schaft und Verkehr: turierung des IT-Bereichs, die dazu führt, dass Die Ausführungsvereinbarung zum Tarifvertrag wir bei den beiden Standorten in Kiel und Lübeck regelt, dass während der Laufzeit des Tarifvertrags eine Vereinheitlichung der Systeme haben und da- eine Gestellung stattfindet. Das heißt, dass die Mit- mit ein Gesamtkonzept auf den Weg gebracht wor- arbeiter ihren alten Status behalten und in die den ist, um den schwierigen IT-Bereich aus einer neue Firma wechseln. 2015 endet der Vertrag, und Hand und damit auch in einer Linie führen zu kön- das UK S-H muss entscheiden, ob diese vertragli- nen? che Konstruktion im Service- und IT-Bereich fort- gesetzt wird. Insofern ist zum gegenwärtigen Zeit- Jost de Jager, Minister für Wissenschaft, Wirt- punkt über die Laufzeit des Vertrags und des Tarif- schaft und Verkehr: vertrags hinaus nichts zu sagen. Die Frage ist fast so freundlich, dass sie eine Remi- niszenz an eine vorangegangene Regierungszusam- 136 Schleswig-Holsteinischer Landtag (17. WP) - 3. Sitzung - Donnerstag, 19. November 2009

(Minister Jost de Jager) menarbeit ist. Es ist in der Tat so, dass geplant ist, unmittelbare Auswirkung auf das Wohlbefinden ei- dass es durch die Vergabe IT endlich - sage ich ein- nes Patienten im Krankenbett hat. Nach meinem mal - zu einer zentralen IT-Bewirtschaftung Kenntnisstand ist es so, dass wir über die Fragestel- kommt. Sie wissen aus Berichten im Finanzaus- lung reden, wie wir eine IT-Bewirtschaftung in ei- schuss, dass wir immer wieder Schwierigkeiten nem in der Tat sehr großen Unternehmen vorneh- vorfinden, nicht zuletzt bei der Einführung eines men. Das ist die vordringliche Frage, um die es da- neuen IT-Systems. Das soll tatsächlich dadurch ver- bei geht. hindert werden und wäre in der Tat ein qualitativer Das Hauptproblem, das übrigens auch bei der Fra- Fortschritt in der IT-Bewirtschaftung des UK S-H, gestellung von Herrn Weber mitschwang, ist ei- den man sich kaum noch vorstellen kann. gentlich eher betriebswirtschaftlicher Natur, näm- lich die Frage, wie schnell wir Rechnungen stellen Vizepräsidentin Dr. Gitta Trauernicht: können. Das ist im Moment das Hauptproblem im Für eine Zusatzfrage erhält Frau Abgeordnete UK S-H. Dr. Marret Bohn das Wort. Dr. Marret Bohn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dr. Marret Bohn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Meine Frage ging eher in Richtung der Arbeitsab- Herr Minister de Jager, ich frage Sie: Welche Aus- läufe im Klinikum. Der IT-Bereich ist da auch wirkungen würde eine Privatisierung der Service wichtig beispielsweise für die Weiterleitung von GmbH oder der Zentralen Einrichtung IT auf die bestimmten Befunden. Die Frage, die ich stelle, ist, Arbeitsabläufe, die Patientenversorgung und die ob das berücksichtigt worden ist. Arbeitsbedingungen für Mitarbeiterinnen und Mit- arbeiter in den veräußerten Geschäftsbereichen und Jost de Jager, Minister für Wissenschaft, Wirt- in den übrigen Bereichen des UK S-H haben? schaft und Verkehr: Ja, das ist berücksichtigt worden, weil die Absicht Jost de Jager, Minister für Wissenschaft, Wirt- ist, die Arbeitsabläufe zu vereinfachen. Ich kann schaft und Verkehr: Ihnen einmal eine Zahl nennen. Wir haben leider Inwieweit die neue Vertragskonstruktion und die Gottes am UK S-H immer noch das Problem, dass Ausgründung - in diesem Fall ist es auch eine der Zeitraum zwischen Rechnungsstellung und tat- Ausgründung - tatsächlich Auswirkungen direkt auf sächlichen Zahlungseingängen viel zu lang ist. den Patienten hat, kann ich Ihnen gar nicht sagen. Das ist ein IT-Problem. Wenn wir solche Dinge Das ist vor allem eine Frage der IT-Bewirt- vereinfachen und verbessern, ist das, glaube ich, ein schaftung, die in dem Unternehmen insgesamt statt- Fortschritt an sich. findet. Auch dort gilt der Tarifvertrag. Das bedeu- tet, dass diejenigen Mitarbeiter des UK S-H aus der Vizepräsidentin Dr. Gitta Trauernicht: Zentralen Einrichtung IT, die in diese neuen Gesell- Für eine weitere Zusatzfrage erteile ich Herrn Ab- schaften eingehen werden, ihre alten arbeitsrecht- geordneten Dr. Robert Habeck das Wort. lichen Ansprüche behalten. Insofern wird sich an den Statusfragen für die Mitarbeiter dort nichts än- dern. Ich würde nur zur Präzisierung noch einmal Dr. Robert Habeck [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- sagen: Es ist keine Privatisierung, sondern es ist die NEN]: Beteiligung eines privaten Unternehmens zu 49 %. Herr Minister, den Fortschritt sehe ich. Dennoch muss ich noch einmal nachfragen. Irgendwo müs- Dr. Marret Bohn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: sen die Ersparnisse ja herkommen. Deshalb frage ich: Welche Aufgaben, Anforderungen und Rah- Und die Patienten? - Das habe ich jetzt nicht menbedingungen sind Bestandteile der Vergabever- ganz - - fahren oder der Ausschreibung für die externe Be- wirtschaftung gewesen, und inwieweit unterschei- Jost de Jager, Minister für Wissenschaft, Wirt- den die sich von den jetzt aktuellen Arbeitsbedin- schaft und Verkehr: gungen? Ich habe Ihnen gesagt, dass ich im Rahmen dieser Fragestunde nicht im Einzelnen sagen kann, inwie- weit eine neue Form der IT-Bewirtschaftung eine Schleswig-Holsteinischer Landtag (17. WP) - 3. Sitzung - Donnerstag, 19. November 2009 137

Jost de Jager, Minister für Wissenschaft, Wirt- Praxis verändert wird, kann das im Ältestenrat de- schaft und Verkehr: battiert werden. Die Arbeitsbedingungen im Servicebereich - das Nun erteile ich für eine dritte Zusatzfrage Herrn ist eine feste Einschätzung - werden sich dadurch Abgeordneten Tietze das Wort. ändern, dass wir eine Produktivitätssteigerung er- leben werden. Die ist auch Gegenstand der Busi- Andreas Tietze [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: ness-Pläne, die damit einhergehen. Das heißt, es wird eine andere Form des Managements in diesen Vielen Dank. - Sehr geehrte Frau Präsidentin, das Bereichen geben. Das heißt, auch die Produktivität ist jetzt meine finale Frage, da muss ich mich noch pro Mitarbeiter muss gesteigert werden. Das kann einmal steigern. Insofern gehe ich zurück auf das natürlich eine Veränderung des Arbeitsalltags nach Thema Qualität. Sie werden mir sicherlich zustim- sich ziehen. men: Am Ende wird die Qualität am Bett entschie- den und auch so empfunden. Hier noch einmal sehr Die Veränderung im Bereich IT-Bewirtschaftung stark die Nachfrage: Was beabsichtigen Sie an re- wird vor allem für die Mitarbeiter dadurch zu spü- gelmäßigen Zufriedenheitsbefragungen bei den ren oder zu erkennen sein, dass das Konzept IT im Patientinnen und Patienten auch über das, was Sie Wesentlichen darauf beruht, dass die auszugrün- jetzt an Wechsel beabsichtigen, aber auch bei den dende Gesellschaft eben auch Drittgeschäfte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die sich über macht, also nicht allein IT-Bewirtschaftung für das nichts so sehr ärgern wie über Serverabstürze und UK S-H macht, sondern auch für andere Unterneh- nicht erreichbare Servicedienste? Da wird sehr viel men, etwa der Gesundheitswirtschaft. Das ist natür- Geld durch verschwendete Arbeitsstunden ausgege- lich eine Veränderung, wenn man eben nicht mehr ben. nur für ein Unternehmen arbeitet, sondern mögli- cherweise auch in Teilaufträgen für andere. Was tun Sie konkret, um diese Servicequalität zu messen? Das ist im Übrigen auch wichtig für den Wettbewerb. Und wie können Sie sich vorstellen, Dr. Robert Habeck [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- das Parlament darüber zu informieren, damit wir NEN]: zumindest in den nächsten fünf Jahren von Ihrer Darf ich nachfragen? - Sie sagten, eine Produktivi- Maßnahme weiterhin so überzeugt sein können, wie tätssteigerung muss erkennbar sein. Ist diese Pro- Sie es sind? duktivitätssteigerung in irgendeiner Form vertrag- lich geregelt, und, wenn ja, in welcher Form? Jost de Jager, Minister für Wissenschaft, Wirt- schaft und Verkehr: Jost de Jager, Minister für Wissenschaft, Wirt- Ich darf noch einmal auf eine Antwort zurückkom- schaft und Verkehr: men, die ich auf eine andere Frage gegeben habe. Sie ist einmal über die Service-Levels geregelt und Ein Bestandteil der Verträge sind fest vereinbarte natürlich darüber, dass der Vertrag Summen nennt, Service-Levels. Das bedeutet, dass eine Leistung die die Gesellschaft in der Bewirtschaftung einhal- in einer bestimmten Qualität abgeliefert werden ten muss. Das zieht nach sich, dass die Produktivi- muss, um den Vertrag zu erfüllen. Die Kontrolle tät gesteigert werden muss. Anders wird das Kon- und die Einhaltung dieser Service-Levels ist natür- zept nicht umzusetzen sein. lich wesentlicher Bestandteil des Vertragscontrol- lings insgesamt. Insofern ist darüber die Qualitäts- Vizepräsidentin Dr. Gitta Trauernicht: sicherung aus meiner Sicht gewährleistet. Sehr geehrte Damen und Herren, bevor ich Herrn Inwieweit man das in einen regelmäßigen Bericht Abgeordneten Tietze zum dritten Mal das Wort er- der Landesregierung - etwa an einen Ausschuss - teile, gebe ich einen geschäftsleitenden Hinweis: fassen kann, darüber sollten wir in der Tat noch Die Anzahl der Zusatzfragen anderer Abgeordneter einmal in Ruhe nachdenken, damit es auch hand- ist in § 37 der Geschäftsordnung nicht ausdrücklich habbare Informationen sind. Ich hätte kein Problem limitiert. Es gibt allerdings eine Praxis des Land- damit, einen solchen Bericht zu geben und regelmä- tags, dass die Zusatzfragen wie auch die Zusatzfra- ßig zu informieren. Im Regelfall - das sage ich aber gen des ursprünglichen Fragestellers auf drei be- auch - ist das gewählte Modell, dass dafür der Auf- grenzt sind. Wir sollten uns zunächst einmal daran sichtsrat ganz wesentlich zuständig ist. Aber wenn halten. Wenn es gewünscht wird, dass die bisherige es den politischen Willen gibt, dass aus dem Auf- sichtsrat darüber berichtet wird, dann werden Frau 138 Schleswig-Holsteinischer Landtag (17. WP) - 3. Sitzung - Donnerstag, 19. November 2009

(Minister Jost de Jager)

Staatssekretärin Andreßen oder ich das auch gern große Komponente. Im Servicebereich stehen eine machen. Reihe von Reinvestitionen an. Dies gilt vor allem für den Bereich der Küche. Ich sagte dies schon Ansonsten ist meine Erfahrung, dass Unzufrieden- einmal. Dieses privat geführte Unternehmen kann heit im UK S-H sich auch immer sehr schnell her- diesen Service zur Hälfte der Kosten leisten. Das ist umspricht. Insofern werden wir alle auch weiterhin einer der Unterschiede, die wir in diesem Bereich regelmäßig Post bekommen als „Wasserstandsmel- tatsächlich haben. dungen“ über die Qualität des Aufenthalts im UK S-H. Vizepräsidentin Dr. Gitta Trauernicht: Vizepräsidentin Dr. Gitta Trauernicht: Zu einer weiteren Zusatzfrage erteile ich der Frau Abgeordneten Anke Erdmann das Wort. Für eine weitere Zusatzfrage erteile ich der Frau Abgeordneten Anke Spoorendonk das Wort. Anke Erdmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Anke Spoorendonk [SSW]: Herr Minister, habe ich Sie gerade richtig verstan- den, dass Sie sagen, das Qualitätssicherungssys- Herr Minister, ich möchte gern noch einmal auf den tem des Ministeriums oder des UK S-H gründet Punkt Produktivitätssteigerung zurückkommen. sich darauf, ob Beschwerdebriefe eingehen? Vor vier Jahren kam es zu einer Ausgründung der Serviceleistungen. Meine Frage ist: Welche Ziele wurden damals mit der Ausgründung dieser Ser- Jost de Jager, Minister für Wissenschaft, Wirt- viceleistungen verfolgt, und wurden diese Ziele er- schaft und Verkehr: reicht? Wenn nicht, warum nicht? Und - noch ein- Nein. Hier haben Sie mich völlig falsch verstanden. mal unter dem Gesichtspunkt der Produktivitätsstei- Das habe ich nicht gesagt. Insofern hätten Sie das gerung - wenn Produktivitätssteigerungen erreicht gar nicht verstehen können. Ich habe nur gesagt, wurden, warum sollen jetzt die Anteile verkauft dass die Qualitätssicherung in den Verträgen werden? stattfindet, und zwar über die vereinbarten Service- Levels. Das waren meine Worte. Ich habe dann im Jost de Jager, Minister für Wissenschaft, Wirt- Zusammenhang mit der Frage, ob wir im Aus- schaft und Verkehr: schuss berichten, gesagt, dass wir miteinander über eine geeignete Form der Berichterstattung reden Es ist richtig, dass im Bereich Service eine Aus- sollten. Als dritte Anmerkung habe ich gesagt, dass gründung bereits 2004 stattgefunden hat, was auch ich über den Bericht hinaus ziemlich sicher bin, dazu führte, dass der überwiegende Teil der Be- dass wir alle über die Servicequalität auch weiter- schäftigten - in einem Verhältnis zwei zu eins -, die hin dadurch Rückmeldung erhalten werden, dass im Servicebereich tätig sind, jetzt schon bei der wir Briefe zur Kenntnis bekommen oder darüber in ausgegründeten Service GmbH tätig sind und nur der Zeitung lesen. Ich glaube, das war - aus dem noch ein Drittel der Beschäftigten direkt im UK S- Kopf gesagt - der Dreisprung meiner Argumentati- H. Sinn war damals, dass man andere Arbeitsverträ- on. Der entspricht nicht dem, was Sie gefragt ha- ge in der Service GmbH anbieten kann, als man es ben. im UK S-H selber konnte. Davon ist auch Gebrauch gemacht worden. Der Anteil der befristeten Ar- beitsverträge - wahrscheinlich werden Sie das wie Vizepräsidentin Dr. Gitta Trauernicht: ich überwiegend bedauern, aber das ist nun einmal Zu einer weiteren Zusatzfrage hat Herr Abgeordne- Realität - ist dort ausgesprochen groß. ter Wolfgang Baasch das Wort. Der Grund, weshalb es auch nach einer Auswertung der Unterlagen am Ende wirtschaftlicher ist, diesen Wolfgang Baasch [SPD]: Bereich an jemand anders, an eine neu zu gründen- Herr Minister, ich möchte eine Frage aufgreifen, de GmbH, zu vergeben, hat zwei Gründe: Zum die die Kollegin Spoorendonk schon einmal ange- einen gibt es in dieser privat geführten GmbH, was sprochen hat. Ich zitiere die „Financial Times diese Dinge angeht, die größere Managementerfah- Deutschland“ vom 16. November 2009: Doch statt rung. Sie wissen, dass wir auch im Ausschuss Vanguard an die Börse zu bringen, muss er, der mehrfach über die Managementkompetenz im neue Konzernvorstand, nun das Unternehmen aus UK S-H gesprochen haben. Ein anderer Punkt hat der Pleite manövrieren. - Kennen Sie diesen Arti- bei der Wirtschaftlichkeitsbetrachtung auch eine Schleswig-Holsteinischer Landtag (17. WP) - 3. Sitzung - Donnerstag, 19. November 2009 139

(Wolfgang Baasch) kel? - Wenn Sie ihn kennen, dann frage ich: Bedeu- schaftlichkeitsvergleich. Im Servicebereich hat tet das für Sie, dass Sie diese Meldung noch einmal sich dieses Modell als das wirtschaftlichste Modell auf ihren Wahrheitsgehalt hin prüfen? Was bedeu- für das UK S-H erwiesen. Aus diesem Grund ist es tet es für Sie, mit einem Partner zusammenzuarbei- gewählt worden. ten, über den Derartiges in der Presse steht? Im Bereich der Medizintechnik war der Manage- mentvertrag wirtschaftlich einer Ausgründung Jost de Jager, Minister für Wissenschaft, Wirt- überlegen. Deshalb wurde der Managementver- schaft und Verkehr: trag gewählt. Ich kenne diesen Artikel vom 16. November 2009 Man muss aber auch sagen, dass wir zum Beispiel aus der „Financial Times Deutschland“ nicht. Das im IT-Bereich die Situation hatten, dass bestimmte war auch nicht erforderlich, weil mir die wirtschaft- interessante Partner, die anfangs im Bieterverfahren lichen Schwierigkeiten der Firma Vanguard auch mit dabei waren, am Ende abgesprungen sind, weil vorher bekannt waren. Sie waren auch dem UK S-H die Vorgaben des Tarifvertrags ebenso wie - so bekannt, und sie waren auch im Vergabeverfahren glaube ich - die politische Mehrheit hier im Haus bekannt. Auch hinsichtlich der Vertragssicherheit dahin gehend sind zu sagen, es solle nur eine wurde dies geprüft. Dabei ist eine Einschätzung 49 %-ige Beteiligung geben. Insofern waren viel- entstanden, dass Vanguard weiterhin als Vertrags- schichtige Abwägungen zu treffen. Es waren auch partner zur Verfügung steht. Ich weise erneut auf Vergleiche der Wirtschaftlichkeit mit Bezug auf die das hin, was ich schon gesagt habe. Weil es sich um verschiedenen Rahmenbedingungen zu treffen. In ein Konsortium handelt, das dort geboten und den allen Bereichen hat es eine jeweils eigenständige Zuschlag bekommen hat, haften die Konsortialpart- und unterschiedliche Abwägung gegeben. ner gegenseitig und treten für sich ein. (Jürgen Weber [SPD]: Wird es einen Wech- Vizepräsidentin Dr. Gitta Trauernicht: sel in der Geschäftsführung geben?) Zu einer weiteren Zusatzfrage hat Herr Abgeordne- - Soweit ich weiß, wird es einen Wechsel in der Ge- ter Jürgen Weber das Wort. schäftsführung geben.

Jürgen Weber [SPD]: Vizepräsidentin Dr. Gitta Trauernicht: Herr Minister, Sie hatten in einer Ihrer ersten Ant- Zu einer weiteren Zusatzfrage hat Herr Abgeordne- worten darauf hingewiesen, dass es eine Mischung ter Heinz-Werner Jezewski das Wort. von Reaktionen gab. Es gab teilweise Management- verträge, es gab teilweise den Verkauf von Gesell- Heinz-Werner Jezewski [DIE LINKE]: schaftsanteilen. Hier knüpft meine Frage an, die Herr Minister, habe ich Sie richtig verstanden, dass lautet: Warum haben Sie sich gerade im Servicebe- ein großer Teil der Produktivitätssteigerung durch reich nicht für Managementverträge, sondern für Verdichtung von Arbeit und Mehrbelastung von den Verkauf von Anteilen entschieden? Bedeutet Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern erreicht diese Entscheidung, dass die Dinge in der Service werden soll? Wird daran gedacht, Arbeitnehmerin- GmbH im Bereich der Geschäftsführung und des nen und Arbeitnehmer wirtschaftlich an diesen Pro- Managements so bleiben, wie sie sind? Sind dort duktionssteigerungen teilhaben zu lassen? Veränderungen vorgesehen? Wer entscheidet über diese Veränderungen? Jost de Jager, Minister für Wissenschaft, Wirt- schaft und Verkehr: Jost de Jager, Minister für Wissenschaft, Wirt- schaft und Verkehr: Eine Teilhabe an den Produktivitätssteigerungen ist mir nicht bekannt. Soweit ich weiß, ist diese auch Das operative Geschäft wird auf die neue Gesell- nicht Gegenstand der Arbeitsverträge. Ansonsten schaft übergehen. Die Eigentumsverhältnisse sind habe ich darauf Bezug genommen, dass diese Mo- so, wie sie beschrieben wurden: 51 % UK S-H, delle wirtschaftlich dadurch funktionieren, dass es 49 % Konsortium. Insofern ist rechtlich klar, wie eine Produktivitätssteigerung gibt, die meistens die Verhältnisse sind. Bei der Fragestellung, für damit einhergeht, wenn ein privat gemanagter Be- welches Instrument man sich entscheidet, hat es un- reich dies übernimmt. Das ist bei solchen Modellen terschiedliche Überlegungen gegeben, die eine Rol- in der Regel der Fall. le gespielt haben. Zum einen gab es einen Wirt- 140 Schleswig-Holsteinischer Landtag (17. WP) - 3. Sitzung - Donnerstag, 19. November 2009

(Minister Jost de Jager)

Ich möchte dem ein bisschen den Stachel der Neu- Dr. Marret Bohn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: igkeit nehmen. Es ist nicht so, dass wir am UK S-H Herr Minister de Jager, ich frage Sie: Welche Feh- in Schleswig-Holstein ein Pilotprojekt machen, das ler sind im Bereich der Charité gemacht worden? in Deutschland noch nie stattgefunden hat. Was die Wie können wir verhindern, dass dieselben Fehler Krankenhäuser insgesamt anbelangt, sind wir, auch hier in Kiel und Lübeck passieren? Ich erinne- was solche Modelle anbelangt, eher ein Nachzüg- re dabei noch einmal an meine Frage nach der Pati- ler. Wir sind es auch im Vergleich der Universitäts- entenversorgung. klinika. Ich sagte schon, dass die Firma Vanguard zum ersten Mal 1990 einen Vertrag mit dem Uni- versitätsklinikum in Tübingen abgeschlossen hat. Jost de Jager, Minister für Wissenschaft, Wirt- Ich verweise darauf, dass die Charité - ich glaube - schaft und Verkehr: vor vier Jahren unter großer medialer Begleitung so Das ist eine etwas prekäre Frage. Ich kann Ihnen etwas in einem großen Paket nach außen vergeben kein Gesamturteil über die Charité geben. Ohne hat. Ich kann Ihnen versichern, dass die Fehler, die dass ich etwas Schlechtes über die Charité sagen die Charité bei ihrem Modell gemacht hat, bei dem will, kann ich nur von meinem Besuch der Charité Modell für das UK S-H berücksichtigt worden sind. berichten. Bei diesem Besuch habe ich mich mit diesen Dingen beschäftigt. Ein Beispiel würde viel- Heinz-Werner Jezewski [DIE LINKE]: leicht endlich Ihre Frage nach der Patientenversor- gung beantworten. Ein Problem, das offenbar in Ich habe es richtig verstanden, dass die Arbeitneh- Teilen der Verträge der Charité aufgetreten ist, ist merinnen und Arbeitnehmer nicht an den Pro- das Problem, dass es keine sehr präzisen Vereinba- duktivitätsgewinnen beteiligt werden sollen? rungen über bestimmte Service-Levels gab. Es gab auch keine konkreten Absprachen darüber, wann et- Jost de Jager, Minister für Wissenschaft, Wirt- was zu geschehen hat. schaft und Verkehr: Ein ganz banales Beispiel: Bei der Sterilisation hat Auf die vage Frage, ob sie beteiligt werden, kann die Charité Verträge gemacht, die besagen, dass ich genauso vage antworten, dass mir dies nach dreimal im Jahr gewartet wird. Dies führte dazu, Durchsicht der Verträge nicht bekannt ist. dass ein Sterilisationsgerät dann, wenn es kaputt war, nicht sofort ersetzt wurde. Der Vertragspartner Heinz-Werner Jezewski [DIE LINKE]: sagte vielmehr, wir warten bis zum nächsten War- Eine Zusatzfrage dazu: Sie haben gesagt, dass tungstermin. Das bedeutete für die Beschäftigten durch einen privaten Investor Managementquali- und für die Patienten einen erheblichen Umstand tät in diesen Bereich kommt. Können Sie mir sa- und einen erheblichen Nachteil, weil diese Dinge gen, wer politisch dafür verantwortlich ist, dass es dann woanders gemacht werden mussten. Aus die- in diesem Bereich bisher keine Managementqualität sen Erfahrungen ist im Übrigen gelernt worden. oder nicht genügend Managementqualität gibt? Deshalb sind Service-Levels eingebaut worden, die haargenau solche Fehler vermeiden. Jost de Jager, Minister für Wissenschaft, Wirt- schaft und Verkehr: Vizepräsidentin Dr. Gitta Trauernicht: Sie können davon ausgehen, dass wir, von denen Zunächst möchte ich einen Hinweis geben. Ange- Sie meinen, dass sie politisch verantwortlich sind, sichts einiger dezenter Hinweise darauf, dass die unseren Teil der politischen Verantwortung vor al- halbe Stunde um ist, weise ich darauf hin, dass die lem dafür tragen, dass wir in den vergangenen Jah- Geschäftsordnung keine zeitliche Begrenzung der ren versucht haben, das Steuerungswissen für das Fragestunde vorsieht. Das haben Sie befürchtet, UK S-H so weit aufzubereiten, dass wir endlich Herr Minister? - Vor diesem Hintergrund gebe ich steuern können. Die vorliegenden Verträge sind ein der Frau Abgeordneten Anke Spoorendonk das Produkt dieser Steuerung. Wort zu einer weiteren Zusatzfrage.

Vizepräsidentin Dr. Gitta Trauernicht: Anke Spoorendonk [SSW]: Zu einer weiteren Zusatzfrage hat Frau Abgeordne- Herr Minister, das ist eine ganz kurze Frage; sie be- te Dr. Marret Bohn das Wort. zieht sich noch einmal auf die Wirtschaftlichkeits- berechnung der Küche. Erfahrungen aus anderen Bereichen sagen, dass solche Wirtschaftlichkeits- Schleswig-Holsteinischer Landtag (17. WP) - 3. Sitzung - Donnerstag, 19. November 2009 141

(Anke Spoorendonk) berechnungen häufig damit zusammenhängen, vom 16. November 2009 nicht gelesen habe. Ich dass Tarife geändert wurden. Können Sie im Ein- bitte um Nachsicht. zelnen darlegen, wieso man gerade im Bereich der Zur anderen Fragestellung: Es war übrigens nicht Küche zu einer wirtschaftlicheren Berechnung im Zusammenhang mit den Wertungen im Verga- kommt? beverfahren die Frage, ob und wie einzelne Mitar- beiter oder auch Führungskräfte von Vanguard Jost de Jager, Minister für Wissenschaft, Wirt- sich verhalten haben, sondern es war zu bewerten, schaft und Verkehr: ob sie als Vertragspartner weiter zur Verfügung Das ist vor allem eine Frage der Investitionen. Die stehen. Es war weiter zu bewerten, ob die Qualität, Erneuerungen, die gemacht werden müssen, wür- die eingefordert wird von den Konsortialpartnern den fast doppelt so teuer sein, wenn das UK S-H von Vanguard erreicht werden kann. Das ist nach diese selbst machen würde. Ich meine, dies ausge- der Auswertung positiv beantwortet worden. führt zu haben. Es wäre doppelt so teuer, als wenn eine ausgegründete und privatrechtlich betriebene Vizepräsidentin Dr. Gitta Trauernicht: Gesellschaft dies machen würde. Für eine Zusatzfrage erteile ich Herrn Abgeordne- Das ist einer der Gründe, die für dieses Modell ten Wolfgang Kubicki das Wort. sprechen. Das hat damit zu tun, dass Private, die dort hineingehen, bestimmte standardisierte Verfah- Wolfgang Kubicki [FDP]: ren haben, dass sie anders einkaufen und ausschrei- ben können. Das führt dann dazu, dass allein im in- Herr Minister, teilen Sie meine Auffassung, dass es vestiven Bereich diese Dinge günstiger sind. Das relativ wenig Sinn macht, Ausschussberatungen im ist ein erheblicher Teil, übrigens auch der wirt- Rahmen einer Fragestunde im Plenum zu führen? schaftliche Vorteil. (Heiterkeit und Beifall bei FDP und CDU)

Vizepräsidentin Dr. Gitta Trauernicht: Jost de Jager, Minister für Wissenschaft, Wirt- Für eine Zusatzfrage erteile ich Herrn Abgeordne- schaft und Verkehr: ten Dr. Ralf Stegner das Wort. Ich teile diese Auffassung ausdrücklich. (Beifall bei CDU und FDP - Zuruf von der Dr. Ralf Stegner [SPD]: SPD: Das ist für Sie Parlament! – Zurufe) Herr Minister de Jager, Sie haben vorhin gesagt, dass Sie von den wirtschaftlichen Schwierigkeiten Vizepräsidentin Dr. Gitta Trauernicht: des Unternehmens Vanguard gewusst hätten und deshalb dazu keine Zeitung zu lesen brauchten. Ich Meine Damen und Herren, angesichts der Frage würde gern wissen - da Sie gesagt haben, dass Sie von Herrn Kubicki weise ich auch noch einmal ge- mehr Managementqualität für das Universitätsklini- schäftsleitend darauf hin, dass die Zusatzfragen im kum einkaufen wollten -, ob es aus Ihrer Sicht für Zusammenhang mit der ersten Frage stehen müs- Managementqualität spricht, wenn ein Unterneh- sen. men kurz vor der Pleite und der führende Manager (Lachen bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE sozusagen mit einem Fuß im Gefängnis steht? GRÜNEN - Dr. Ralf Stegner [SPD]: Schä- Zweitens möchte ich wissen, ob Sie die finanzielle men, schämen! - Herlich Marie Todsen-Ree- Qualität der anderen Konsortialpartner überprüft se [CDU]: Ausgerechnet Herr Stegner! - haben, und ob Sie in dem Kontext glauben, dass es Weitere Zurufe von der CDU) ein Vertrauensbeweis für die Mitarbeiter ist, dass Meine Damen und Herren, ich bitte um Ruhe. - diese für die Haftungsrisiken eintreten müssen, Weitere Wortmeldungen zur Fragestunde liegen wenn Vanguard pleitegeht. nicht vor, damit ist die Fragestunde beendet. Ich rufe Tagesordnungspunkt 2 auf: Jost de Jager, Minister für Wissenschaft, Wirt- schaft und Verkehr: Erste Lesung des Entwurfs eines Gesetzes zur Erstens habe ich nicht gesagt, dass ich keine Zei- Änderung des Wahlgesetzes für den Landtag tung zu lesen brauchte, sondern ich habe nur ge- von Schleswig-Holstein (Landeswahlgesetz - sagt, dass ich die „Financial Times Deutschland“ LWahlG) 142 Schleswig-Holsteinischer Landtag (17. WP) - 3. Sitzung - Donnerstag, 19. November 2009

(Vizepräsidentin Dr. Gitta Trauernicht)

Gesetzentwurf der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE der Anzahl der Wahlkreise geäußert haben, ist bis GRÜNEN jetzt immer bei CDU und SPD kalt abgeblitzt. Drucksache 17/10 (Wolfgang Kubicki [FDP]: Aber Sie waren Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das doch in der Regierung, als das Wahlgesetz ist nicht der Fall. Ich eröffne die Grundsatzberatung verabschiedet wurde!) und erteile Herrn Abgeordneten Thorsten Fürter Bei dieser Landtagswahl sind nun die Auswüchse von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN das Wort. dieser verfehlten Politik der letzten Jahre deutlich geworden. Statt - wie vorgesehen - 69 Abgeordnete Thorsten Fürter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: sitzen nun 95 Abgeordnete in diesem Saal. Das al- Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen les hätte vermieden werden können, hätte man spä- und Herren! Wir sind es ja gewohnt, heutzutage in testens bei der Reduzierung der regulären Abgeord- großen Zahlen zu denken. Wenn es um Staatshilfen netenzahl im Jahr 2003 von 75 auf 69 auch eine für Banken oder die Vergütungen von Managern Angleichung der Anzahl von Wahlkreisen und geht, reden wir über Millionen und Milliarden. Listenmandaten vorgenommen. Denn nur dadurch Manchmal - ein Meisterstück der politischen Strate- ist die Zahl der Überhang- und Ausgleichsmandate gie - werden aus Beträgen, die früher noch Millio- wirksam einzugrenzen. nen waren, über Nacht in einer sprichwörtlichen (Zurufe von CDU und FDP) Nacht- und Nebelaktion Milliarden. Dagegen stelle - Wir haben es beantragt, Herr Kubicki; wir haben ich heute eine andere Zahl: 27.495. beantragt, vor der Landtagswahl eine Reduzierung (Zurufe von der CDU) vorzunehmen. Das hat aber keine Zustimmung ge- 27.495 nimmt sich erst einmal bescheiden aus. funden. Aber wenn es um die Demokratie geht, sind 27.495 Wenn jetzt landesweit über die Kosten der Demo- nicht bescheiden, keine Peanuts. Sie sind ein hand- kratie diskutiert wird, dann ist das eine Debatte, die fester Totalschaden der Demokratie, verursacht Sie zu verantworten haben, liebe Freundinnen und durch das derzeit gültige Wahlrecht. Diesen Total- Freunde aus den Volksparteien. schaden wollen und müssen wir beseitigen. (Vereinzelter Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE (Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN GRÜNEN) und der LINKEN) Im Prinzip können Sie froh sein, dass wir hier in SPD, Grüne, die LINKE und SSW kamen bei der Schleswig-Holstein ein Land an der Peripherie der Landtagswahl auf 772.445 Stimmen. CDU und Bundesrepublik sind. Stellen Sie sich einmal vor, FDP haben zusammen 744.950 Stimmen. Da sind was in diesem Land los wäre, wenn im - sie wieder, die 27.495 Stimmen, die Ihrer Regie- ich übertrage das einmal auf die Größenverhältnisse rung fehlen. Die Sitzverteilung gibt diesen klaren im Bundestag -, 823 Abgeordnete sitzen würden Wählerauftrag nicht wieder. Da haben CDU und mit einer massiven Verschiebung des Willens der FDP fünf Sitze mehr, als die Oppositionsparteien Wählerinnen und Wähler. zusammen. (Peter Eichstädt [SPD]: Das kann da aber (Peter Lehnert [CDU]: Sitze haben wir nur auch passieren!) drei, Stimmen haben wir fünf!) Die SPD hat bei dieser Wahl schmerzlich erfahren, Das kann nicht richtig sein. Eine so enorme Ver- was es für die Direktkandidatinnen und -kandidaten schiebung des Willens der Wählerinnen und Wäh- bedeutet, wenn das Wort „Volkspartei“ nicht mehr ler darf es in einer Demokratie nicht wieder geben. zu den prozentualen Ergebnissen passt. Und ich sa- (Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ge Ihnen hier und heute voraus: Das nächste Mal und der LINKEN) wird die CDU denselben Weg entlanggehen. Deshalb umfasst unser Antrag drei Änderungen: (Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Erstens wollen wir die Wahlkreise erheblich redu- Wir haben eben nicht mehr zwei starke Volkspar- zieren. Es ist politisch immer ein schwaches Argu- teien über 40 %. Es hat sich ein Fünfparteiensystem ment, am Ende recht behalten zu haben. Trotzdem und hier in Schleswig-Holstein sogar ein Sechspar- sei noch einmal der Hinweis erlaubt: Unsere Kritik, teiensystem etabliert, in dem die prozentualen Un- die wir zusammen mit dem SSW und der FDP an terschiede der Parteien immer geringer werden. Schleswig-Holsteinischer Landtag (17. WP) - 3. Sitzung - Donnerstag, 19. November 2009 143

(Thorsten Fürter)

Die jungen Menschen, die in der Informationsge- „Wir wollen damit verhindern, dass es bei sellschaft groß geworden sind, verlangen nach Par- der in nicht einmal zwei Jahren anstehenden teien mit klaren Botschaften. Das ist eine Entwick- Landtagswahl zu den gleichen Problemen lung, von der Parteien wie Grüne, FDP und Links- kommt, welche wir jetzt in der Nachschau partei sowie hier in Schleswig-Holstein der SSW mit den Ergebnissen der Kommunalwahlen profitieren können. Das Wahlrecht kann diesen von Mai hatten und haben.“ Trend nicht ignorieren. Wir müssen es modernisie- Weiter sagte er: ren. „Meine Damen und Herren, man stelle sich (Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, einmal vor, diese Unklarheiten würden nach der LINKEN und SSW) einer Landtagswahl auftreten und die Mehr- Wir dürfen jetzt auch keine halben Sachen machen. heitsbildung würde dann über Monate oder Eine Reduzierung der Wahlkreise auf 35 würde gar Jahre von einer Gerichtsentscheidung ab- ausreichen, wenn wir Volksparteien hätten, die - hängen. So etwas darf nicht passieren, und wie es in meiner Jugend noch der Fall war - vor deshalb muss rechtzeitig vor der Landtags- Kraft strotzen. Hätten wir bei der jüngsten Land- wahl 2010 Klarheit geschaffen werden.“ tagswahl 35 Wahlkreise gehabt statt 40, wären So die Worte von Herrn Hentschel. wahrscheinlich circa 30 Direktmandate auf die CDU entfallen. Da der CDU eigentlich nach (Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - d’Hondt nur 23 Mandate zustehen, hätte das zu sie- Dr. Christian von Boetticher [CDU]: Warum ben Überhangmandaten geführt. Dazu kämen noch habt ihr ihn dann nicht wieder aufgestellt! Ausgleichmandate. Der Landtag wäre also wieder Das ist ein Skandal!) total aufgebläht. Das zeigt: Der Totalschaden für die Demokratie, Nein, wir brauchen eine deutliche Reduzierung den wir jetzt haben, geht auf das Konto der Großen der Wahlkreise auf 30. Nur das wird dazu führen, Koalition. dass Überhangmandate unwahrscheinlich werden. (Wolfgang Kubicki [FDP]: Wir haben keinen (Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Totalschaden!) und SSW - Zuruf des Abgeordneten Sie haben damals die auf Rot geschaltete Ampel Dr. Christian von Boetticher [CDU]) nicht übersehen, nein, Sie haben das Signal voll er- Wir wollen zweitens das Sitzverteilungsverfahren kannt und trotzdem aufs Gaspedal gedrückt. Die gerechter machen. Das bisherige Verfahren ist nicht Bürgerinnen und Bürger haben jetzt den Schaden mehr zeitgemäß. Von 16 Bundesländern verfahren davon. nur noch wenige nach d’Hondt. Zuletzt hat Baden- (Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Württemberg im Jahr 2006 das Verfahren nach und der LINKEN - Wolfgang Kubicki Sainte-Laguë/Schepers für die nächste Landtags- [FDP]: Welchen Schaden denn? - Weitere wahl eingeführt. Der Bundeswahlleiter kam in einer Zurufe) Studie im Jahr 1999 zu dem Schluss, dass das Ver- fahren, das wir Ihnen heute vorschlagen, das ge- Als Juristen ist es ja unsere Stärke, Normen auszu- rechteste Wahlverfahren ist. Deshalb gilt es inzwi- legen, zu gucken und sich verschiedenen Möglich- schen auch schon für die Bundestagswahl. In keiten zu überlegen, wie man Gesetze umsetzen Schleswig-Holstein sollten wir nachziehen. kann und was sie bedeuten. Aber eines sage ich Ih- nen ganz deutlich: Beim Wahlrecht sind nicht die (Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Juristen gefragt, beim Wahlrecht muss jede Bürge- und vereinzelt bei der LINKEN und SSW) rin und jeder Bürger wissen, wie es auszulegen ist, Wir wollen drittens die verfassungswidrige Decke- und das ist beim gegenwärtigen Wahlrecht nicht der lung der Ausgleichsmandate aufheben. Bereits in Fall. der letzten Wahlperiode hat die grüne Landtags- (Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN fraktion hierzu eine Gesetzesänderung vorgeschla- und der Abgeordneten Ranka Prante [DIE gen. Auch diese Änderung wurde damals von CDU LINKE] - Zurufe) und SPD abgelehnt. Damals gab mein geschätzter Kollege Hentschel unter anderem folgende Begrün- Liebe Kolleginnen und Kollegen, es geht mir um dung an, als er die Änderung des Wahlrechts for- die Sache. Lassen Sie mich deshalb zum Schluss derte: 144 Schleswig-Holsteinischer Landtag (17. WP) - 3. Sitzung - Donnerstag, 19. November 2009

(Thorsten Fürter) meiner Rede noch ein paar persönliche Gedanken Es wird von dem Kollegen Rother eine Zwischen- einbringen. frage gewünscht. - Ich erteile Ihnen das Wort. (Zurufe) Thomas Rother [SPD]: Bislang haben die Grünen ja im Kommunalwahlrecht eher die Ich weiß, dass Sie den Vorwurf der mangelnden Position vertreten, dass man kumulieren und Legitimität der Regierung nicht akzeptieren wer- panaschieren und sogar die Landräte direkt den. Sie werden auf die durchaus in einer demokra- wählen sollte. Nun wollen Sie bei der Land- tischen Wahl in den Wahlkreisen legitimierten Di- tagswahl eigentlich das genaue Gegenteil. rektkandidaten verweisen. Was ist denn nun Ihre Linie? (Zurufe von der CDU: So ist es!) (Herlich Marie Todsen-Reese [CDU]: Heute Liebe CDU-Fraktion, liebe SPD-Parlamentarier aus so, und morgen so!) Kiel und Lübeck, ich möchte niemandem von Ihnen persönlich die Legitimität absprechen. Thorsten Fürter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: (Dr. Christian von Boetticher [CDU]: Das Es gibt vordringliche Aufgaben, die hier im Parla- können Sie auch gar nicht!) ment zu behandeln sind. Es ist richtig, wie Sie sa- Ich freue mich, mit Ihnen im Landtag zusammenzu- gen, dass Grüne, wenn es um die grundlegende arbeiten. Das ändert aber nichts daran, dass die Modernisierung des Wahlrechts geht, häufig eine Verzerrung des Wahlergebnisses durch Über- größere Offenheit haben hangmandate ein Ausmaß angenommen hat, das die (Heiterkeit und Zurufe) Verfassung nicht gewollt hat. Ich habe auch Zwei- fel, dass das Landesverfassungsgericht diese Ver- auch für Systeme, die demokratische Einflussnah- zerrung akzeptieren wird. me auf Listen ermöglichen. Ich kann Ihnen auch sa- gen, wieso. - Für uns Grüne ist es immer wichtig, (Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, dass sich nicht Parteibürokraten aussuchen, wie der LINKEN und des Abgeordneten Lars Listen zusammengesetzt sind. Harms [SSW]) (Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Zugleich weiß ich, dass die von Ihnen, Herr Minis- terpräsident Carstensen, gebildete Regierung gar Wir wollen, dass die Bevölkerung die Möglichkeit keine andere Möglichkeit hatte, als die sich aus der hat, Einfluss zu nehmen. Sitzverteilung ergebende Parlamentsmehrheit zu (Zurufe) nutzen. Auch Sie sind insoweit Opfer des verkork- sten Wahlrechts, das wir jetzt gemeinsam moderni- Es ist aber zugleich so, dass wir hier - das schließt sieren sollten. an das an, was ich sagte: ein versöhnliches Wort - den Zustand mit dem aufgeblähten Parlament nicht (Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - in fünf Jahren wieder haben wollen. Wir legen Ih- Unruhe) nen einen Gesetzentwurf vor, bei dem Sie es als Dieses Mal sollten wir wirklich zu einer für die Zu- CDU oder SPD nicht so leicht haben zu sagen: Was kunft tragfähigen Lösung kommen. Ich beantrage sind das denn für spinnernde Gedanken? Wir orien- die Überweisung an den Innen- und Rechtsaus- tieren uns am bisherigen Wahlrecht und sagen, um schuss. diese aufgeblähten Parlamente zu vermeiden, muss die Zahl der Wahlkreise deutlich reduziert wer- (Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN den! und der Abgeordneten Antje Jansen [DIE LINKE] - Weitere Zurufe - Glocke der Präsi- (Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN dentin) und der Abgeordneten Antje Jansen [DIE LINKE]) Vizepräsidentin Anita Klahn: Ich weiß, dass das gerade für die Kollegen in der CDU-Fraktion natürlich schwierig wird, denn die Lieber Herr Kubicki, meine Damen, meine Herren, CDU-Fraktion setzt sich nur aus Direktkandidaten ich möchte darum bitten, dass wir hier eine geord- zusammen. Sie müssen sich in fünf Jahren um die nete Sitzung hinbekommen, auch wenn es mein Wahlkreise balgen. Ich weiß, wie schwierig es Kollege Herr Kubicki ist. Halten Sie sich bitte an wird, dem zuzustimmen, aber ich glaube, Sie wer- die Redeordnung! den keine andere Wahl haben, als dies zu tun. Schleswig-Holsteinischer Landtag (17. WP) - 3. Sitzung - Donnerstag, 19. November 2009 145

(Thorsten Fürter)

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) - Ja, die Parteitage finden öffentlich statt, aber die Vizepräsidentin Anita Klahn: Entscheidungen werden in Hinterzimmern getrof- Herr Fürter, Herr Kalinka hat eine Frage. fen. Werner Kalinka [CDU]: Können Sie uns (Zurufe) vielleicht auch noch einmal erläutern, warum - Nein, bei den Grünen nicht. Sie den von Ihnen in dieser Frage so sehr ge- lobten Kollegen Hentschel gar nicht erst wie- (Heiterkeit und Zurufe) der aufgestellt haben? Bernd Heinemann [SPD]: Gestatten Sie ei- ne zusätzliche Frage? - Was halten denn die Thorsten Fürter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Grünen davon, wenn wir den umgekehrten Da zeigen sich die grundlegenden Unterschiede Weg wählen und dieses Parlament aus- zwischen CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. schließlich über Wahlkreisabgeordnete beset- zen, damit in den Wahlkreisen die Bürger nä- (Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) her dran sind an ihren Abgeordneten? Das ist Bei uns wird nicht irgendwie aufgestellt, dass im ein englisches Modell, das ist nicht neu. Was Hinterzimmer Leute zusammen sitzen und sagen: halten die Grünen davon, wenn wir den um- Jetzt gucken wir einmal, wie wir das proporzmäßig gekehrten Weg wählen, um mehr Demokratie alles gut hinbekommen, um eine Liste aufzustellen. zu ermöglichen nach englischem Muster? Auch das wäre eine Variante. (Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Zurufe) Bei uns ist es vielmehr so: Menschen gehen in einen Wettstreit, versuchen zu überzeugen. - Ich bin jetzt ein bisschen beim geschätzten Kolle- gen Kubicki. Ich habe ja gerade Überweisung an (Heiterkeit und Zurufe - Glocke der Präsi- den Innen- und Rechtsausschuss beantragt. Ich dentin) glaube nicht, dass wir hier im Plenum Einzelheiten Der grüne Parteitag hat so entschieden. Im Übrigen des Wahlrechts diskutieren sollten. Es wird eine weise ich darauf hin, dass es nicht so gewesen ist, zweite Lesung geben, es wird eine dritte Lesung ge- dass Herr Hentschel nicht wieder aufgestellt wurde, ben, es werden Ausschussberatungen stattfinden. sondern er hat in einem Verfahren, in dem es einen Bringen Sie sich in den Prozess ein! Am Ende muss Losentscheid um Listenplatz vier gegeben hätte - - ein Parlament stehen, das nicht wieder in dieser Weise aufgebläht ist, und es muss gewährleistet Vizepräsidentin Anita Klahn: sein, dass zukünftige Landtage deutlich näher an der Grenze von 69 Abgeordneten sind. Das ist der Herr Fürter, bleiben Sie bitte beim Thema! Auftrag, den wir zu erfüllen haben. (Zuruf von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Er (Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - beantwortet die Frage!) Zurufe)

Thorsten Fürter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Vizepräsidentin Anita Klahn: Ich würde sagen, die Frage ging ein bisschen an der Der Abgeordnete der CDU, Herr Markus Matthie- Sache vorbei, aber die Beantwortung passt zur Fra- ßen, hat das Wort. ge. (Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Markus Matthießen [CDU]: Ich wollte auf den Losentscheid hinweisen, dem Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und sich Herr Hentschel nicht gestellt hat. - Herr Kalin- Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die ka, Sie haben noch eine Frage? Landtagswahl hatte zum Ergebnis, dass die CDU 34 und die SPD sechs von den 40 Wahlkreisen er- Werner Kalinka [CDU]: Herr Kollege, ringen konnte. Durch den Anfall von Überhang- stimmen Sie mit mir überein, dass der jüng- und Ausgleichsmandaten sind wir jetzt zu einer ste Parteitag der Grünen nicht im Hinterzim- Abgeordnetenzahl - Sie sehen es alle - von 95 ge- mer, sondern in einem Saal stattgefunden kommen. Die Koalitionspartner haben sich darauf hat? 146 Schleswig-Holsteinischer Landtag (17. WP) - 3. Sitzung - Donnerstag, 19. November 2009

(Markus Matthießen) geeinigt, das Wahlrecht so anzupassen, dass eine (Jürgen Weber [SPD]: Gut!) Überschreitung der gesetzlichen Anzahl von 69 Deshalb möchte ich keineswegs künftig zu einer Abgeordneten zukünftig vermieden wird. reinen Mehrheitswahl kommen. Es geht lediglich (Beifall bei CDU und FDP) darum, deutlich zu machen, welchen Hintergrund die Mischung von Mehrheits- und Verhältnis- Wir sind dieser Aufgabe verpflichtet und werden wahl hat, mit der wir bisher gut gefahren sind. sie zügig angehen. Es geht hier doch nicht um eine schnelle, sondern um eine gute Lösung. Die öffentliche Diskussion ist demgegenüber in ei- ne Schieflage gekommen, so als sei der vor Ort von Wozu schon eine Unklarheit in der Formulierung den Bürgerinnen und Bürgern direkt gewählte Ab- führen kann, hat sich beim Streit über die Feststel- geordnete ein Abgeordneter zweiter Klasse. Das ist lung des Wahlergebnisses gezeigt: Bei einer ver- ein Demokratieverständnis, das ich nicht nachvoll- meintlich eindeutigen Formulierung des Wahlge- ziehen kann. setzes, die über Jahrzehnte in der gleichen Weise angewandt wurde, stellte sich aufgrund der aktuel- (Beifall bei CDU und FDP) len Stimmenverteilung heraus, dass es durchaus un- In der bisherigen Diskussion ging es hauptsächlich terschiedliche Interpretationen gibt. Deshalb wer- um die Zusammensetzung aufgrund des Zweitstim- den wir Wert auf eine sehr gründliche Diskussion menergebnisses. Nein, wir müssen uns schon das legen. ganze Ergebnis anschauen. Meine 39 direkt ge- (Beifall bei CDU und FDP) wählten Kollegen und ich müssen jedenfalls wegen ihres direkt im Wahlkreis errungenen Mandats kein In diesem Zusammenhang die über Jahrzehnte an- schlechtes Gewissen haben. gewandte Praxis als „Totalschaden der Demokra- tie“ zu bezeichnen, passt für die Vergangenheit des (Beifall bei CDU und FDP - Dr. Christian Landtages einfach nicht in dieses Haus. von Boetticher [CDU]: Wohl wahr!) (Beifall bei CDU und FDP) Ich verwahre mich in aller Deutlichkeit gegen die Behauptung, dass die Zusammensetzung des Land- Zu berücksichtigen ist auch das laufende Verfahren tags sowie die Landesregierung nicht demokratisch vor dem Landesverfassungsgericht. Nachdem be- legitimiert seien. Wir müssen uns darüber einig reits zwei Eilanträge bezüglich der Feststellung des sein, dass die Mehrheitswahl in den Wahlkreisen Wahlergebnisses gescheitert sind, bin ich mir si- vor Ort ein wichtiges Bindeglied zwischen Bürger cher, dass das Gericht die Zusammensetzung des und Parlament ist. Das sollten wir nicht leichtfertig Landtags in der jetzigen Form bestätigen wird. aufs Spiel setzen. (Beifall bei CDU und FDP) (Beifall bei CDU und FDP) Allerdings gehört es durchaus zu den Gepflogen- Wenn wir uns darüber einig sind, dass es nicht dar- heiten von Verfassungsgerichten, Hinweise für um gehen kann, die regionale Vertretung im Parla- Verbesserungen zu geben. Diese werden wir dann ment auf ein möglichst niedriges Maß herunterzu- in das entsprechende Verfahren und in die Diskus- fahren, ist zunächst einmal Rechnen angesagt. Die sion einbringen. Was nicht passieren darf, ist Fol- Schwierigkeit dabei ist, dass es nicht reicht, bisheri- gendes: Es darf nicht zu einem Wettbewerb kom- ge Mehrheitsverhältnisse einfach umzurechnen. Es men „Wer fordert die wenigsten Wahlkreise?“. In geht um Entscheidungen für die Zukunft. Die Un- einem Flächenland wie Schleswig-Holstein ist die bekannte in der Rechnung ist: Wie werden die Frage der regionalen Vertretung besonders wich- Wähler künftig entscheiden? tig und darf nicht allein von der Entscheidung der Parteien abhängen. Wir können auch nicht nach jeder Wahl, die für ei- ne Gruppierung ein nicht zufriedenstellendes Er- (Beifall bei CDU und FDP - Wolfgang Ku- gebnis hervorgebracht hat, so lange am Wahlgesetz bicki [FDP]: So ist es!) herumdoktern, bis uns das Ergebnis passt. Denn bei der Listenbesetzung spielen regionale (Beifall bei CDU und FDP) Belange nicht unbedingt eine entscheidende Rolle. Daraus resultieren gewisse Ungleichgewichte. Ich Eines möchte ich klar herausstellen: Selten haben will das nicht kritisieren, aber ein Beispiel nennen. die Menschen in diesem Land ihre Stimme so be- Wir haben hier allein 12 Abgeordnete, die als wusst abgegeben wie bei der letzten Landtagswahl. Wohnort Kiel angegeben haben. Schleswig-Holsteinischer Landtag (17. WP) - 3. Sitzung - Donnerstag, 19. November 2009 147

(Markus Matthießen)

Die Menschen wollten eine bürgerliche Regie- Vizepräsidentin Anita Klahn: rungsmehrheit aus CDU und FDP. Für die SPD hat Herr Abgeordneter Eichstädt das (Zuruf von der SPD: Wollten sie nicht! Dann Wort. hätten sie sie nämlich gewählt!) Das führte zu einem deutlichen Stimmensplitting, Peter Eichstädt [SPD]: die Erststimme in vielen Fällen für die CDU-Di- Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und rektkandidaten, und die Zweitstimme in vielen Fäl- Herren! Der vorgelegte Entwurf zur Änderung des len für die FDP. Wahlrechts für den Landtag von Schleswig-Hol- (Vereinzelter Beifall bei CDU und FDP) stein zieht Konsequenzen aus dem Ergebnis der letzten Wahl, bei der durch Überhangmandate Die Parteienlandschaft hat sich verändert. Auch Mehrheitsverhältnisse im Parlament entstanden dies müssen wir in der Diskussion um die Ände- sind, die durch den Wählerwillen nicht legitimiert rung des Wahlgesetzes einbeziehen. sind. Für mich stellt das Ergebnis dieser Wahl mit seinen Zum Ersten heißt dies, dass eine Regierung von Auswirkungen auf die Anzahl der Abgeordneten in- zwei Fraktionen gebildet wurde, die ihre dafür er- sofern etwas Außergewöhnliches dar. Erst wenn forderliche Stärke nur erlangen konnten, weil kein wir uns darüber klar sind, von welchen Annahmen vollständiger Ausgleich der Überhangmandate der wir für die Zukunft ausgehen können, können Mo- CDU erfolgte. Dadurch entspricht die Sitzvertei- dellrechnungen angestellt werden, auf deren Grund- lung im Parlament nicht der von den Wählern den lage errechnet wird, wie viele Wahlkreise es zu- einzelnen Parteien gegebenen Stimmen. künftig geben soll. Zum Zweiten ist im Gesetzentwurf der Grünen eine Sollte man zu dem Ergebnis kommen, dass es in Regelung enthalten, die sicherstellen soll, dass zu- Zukunft weniger Wahlkreise geben soll, wenn wir künftig keine oder nur noch wenige Überhangman- mit 69 Abgeordneten auskommen wollen, muss in date entstehen können. Dazu soll die Anzahl der einem nächsten Schritt über den Zuschnitt der ein- direkt gewählten Abgeordneten auf 30 reduziert zelnen Wahlkreise unter Berücksichtigung der hi- werden, wobei dann in Zukunft 39 Abgeordnete storischen Grenzen und der wirtschaftlichen Räume über die Landeslisten der jeweiligen Parteien in den gesprochen werden. Dies sollten wir mit der gebo- Landtag einrücken würden. Dieser Vorschlag hat tenen Gründlichkeit tun. zwar mathematischen Charme; bei genauerer Be- Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und trachtung der Konsequenzen für die Arbeit des Par- Kollegen, ich betrachte den Prozess zur Änderung laments stellen sich hier aber Fragen, auf die ich des Wahlrechts ergebnisoffen, weil das auch sach- später eingehe. lich so geboten ist. Ich erwarte von allen Fraktionen Zum Dritten regt der Antrag an, die Zusammenset- dieses Hauses, dass sie sich mit gleicher Offenheit zung des Parlaments nicht - wie in der Vergangen- an dieser Diskussion beteiligen. heit - nach den Grundsätzen des d’hondtschen Zähl- (Vereinzelter Beifall bei der CDU) verfahrens, sondern nach Saint Laguë/Schepers - ich sage es nur einmal in meiner Rede - zu ermit- Das Wahlrecht ist zu wichtig, als dass es zum teln. Spielfeld parteipolitischer Auseinandersetzungen in diesem Haus werden dürfte. (Heiterkeit - Hans-Jörn Arp [CDU]: Wie heißt das?) (Beifall bei CDU, FDP und BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) - Ich habe es hinter mir. Wir werden das nachher al- le gemeinsam üben. Insofern freue ich mich auf eine konstruktive und nachhaltige Arbeit im Innen- und Rechtsausschuss Die Frage des richtigen Höchstzahlenverfahrens und stimme dem Antrag auf Überweisung dorthin ist in der Vergangenheit noch in jedem Landtag dis- zu. kutiert worden - viele werden sich daran erinnern -, wobei kleinere Fraktionen eher der jetzt vorge- (Beifall bei CDU und FDP) schlagenen Regelung zuneigten, größere hingegen einen Veränderungsdruck nicht so sehr verspürten. Interessanterweise findet sich im Koalitionsvertrag, der ja von einer sogenannten großen und einer et- 148 Schleswig-Holsteinischer Landtag (17. WP) - 3. Sitzung - Donnerstag, 19. November 2009

(Peter Eichstädt) was kleineren Fraktion vereinbart wurde, kein Hin- dern nur über eine Mehrheit im Parlament verfügt. weis auf die sonst von der FDP immer geforderte Das ist für die Demokratie bedrohlich, weil es dem Umstellung des Meiststimmenverfahrens. Nur fest verankerten Grundsatz „Wer die meisten Stim- den kommunalen Vertretungen wollen Sie inter- men hat, bildet die Regierung“ unterläuft und damit essanterweise gemäß Koalitionsvertrag die Ände- der Demokratie selbst Schaden zufügt. rung verordnen, nicht dem Landtag. Ich bin sehr (Beifall bei der SPD) gespannt auf die Diskussion zu diesem Thema. Dies gilt umso mehr, wenn die Regierung der Be- (Wolfgang Kubicki [FDP]: Wir wollen das völkerung erhebliche Einschnitte zumuten will, wie Wahlrecht komplett überarbeiten!) das gestern hier vom Ministerpräsidenten gesagt - Es steht nur das eine im Koalitionsvertrag, das an- wurde. dere nicht, Herr Kubicki. Die Grünen schlagen in ihrem Entwurf des Weite- (Zuruf des Abgeordneten Wolfgang Kubicki ren vor, die Zahl der Wahlkreise und damit der di- [FDP]) rekt zu wählenden Abgeordneten von 40 auf 30 zu senken. Dadurch soll die Wahrscheinlichkeit, dass - Wir werden abwarten, was da kommt. es überhaupt zu Überhang- und Ausgleichsmanda- Meine Damen und Herren, meine Fraktion hält es ten kommt, reduziert werden. Es ist in der Tat so, für erforderlich, das Landeswahlgesetz so zu än- dass die meisten - allerdings nicht alle - Landespar- dern, dass in Zukunft ein voller Ausgleich von lamente in der Bundesrepublik in ihren Wahlge- Überhangmandaten erfolgt und dass darüber setzen der Entstehung von Überhangmandaten und nachgedacht wird, wie das Verhältnis zwischen der damit Ausgleichsmandaten vorgebeugt haben, in- Anzahl der Wahlkreise und der Anzahl der über die dem annähernd die Hälfte der Abgeordneten eines Landeslisten in das Parlament einrückenden Abge- Parlamentes direkt gewählt wird und die andere ordneten abgestimmt wird, um die Zahl der Über- Hälfte über die Listen der Parteien ermittelt wird. hangmandate möglichst gering zu halten. Ziel muss Damit wird die Gefahr, dass es zu Überhang- und es sein, die in der Verfassung festgelegte Größe Ausgleichsmandaten kommt, tatsächlich reduziert. des Parlaments möglichst einzuhalten. Es gibt aber auch andere Aspekte, die hier einflie- Hierzu gibt es eine Notwendigkeit, allerdings gibt ßen müssen. Der Schleswig-Holsteinische Landtag es dazu keinen Zeitdruck. Die Landtagswahl wird, hat zurzeit 40 direkt gewählte Abgeordnete. Da- wenn die CDU nicht zwischenzeitlich wieder Lust mit wird sichergestellt, dass alle Regionen unseres auf Neuwahlen verspürt - man konnte gestern den Landes mit mindestens einem Abgeordneten im Eindruck gewinnen, dass das so ist -, im Januar Parlament vertreten sind. Gleichzeitig wird gewähr- 2014 stattfinden, was uns hier im Parlament Gele- leistet, dass dabei Wahlkreise von einer Größe ent- genheit gibt, die anstehenden Fragen in aller stehen, die von einem Abgeordneten oder einer Ab- Gründlichkeit zu erörtern. geordneten gut und wirksam betreut werden kön- (Die Abgeordneten Dr. Axel Bernstein nen. [CDU], Dr. Christian von Boetticher [CDU] Die Reduzierung auf 30 Wahlkreise würde dazu und Wolfgang Kubicki [FDP] unterhalten führen, dass diese deutlich größer werden und da- sich) durch wäre infrage gestellt, ob alle Regionen des Lassen Sie mich dazu einige Anmerkungen ma- Landes und damit die Bürgerinnen und Bürger an- chen. - Sicher will auch Herr Kubicki zuhören. - gemessen und ausreichend im Parlament vertreten Scheinbar doch nicht. Sollen wir einen Augenblick sind. rausgehen, bis Sie das geklärt haben? (Beifall bei der SPD) Unzweifelhaft ist zumindest für uns, dass die bishe- Diese wichtige Frage darf nicht nur aus der Sicht rige gesetzliche Regelung in wesentlichen Punkten der großen Städte beantwortet werden. Natürlich ist unklar ist. Überhangmandate müssen nach unserer es einfacher, in einem Ballungsraum wie Kiel oder Auffassung voll ausgeglichen werden. Es ist nach Lübeck einen einwohnermäßig stärkeren Wahlkreis allgemeinem Demokratieverständnis und dem Ver- auf immer noch kleiner Fläche zu betreuen, als dies ständnis von Gerechtigkeit vieler Menschen in un- zum Beispiel in Nordfriesland, Dithmarschen oder serem Land nicht zu vermitteln, dass wir durch den möglicherweise sogar im Kreis Herzogtum Lauen- fehlenden Ausgleich jetzt eine Regierung haben, burg der Fall ist. die über keine Mehrheit in der Bevölkerung, son- Schleswig-Holsteinischer Landtag (17. WP) - 3. Sitzung - Donnerstag, 19. November 2009 149

(Peter Eichstädt)

In diesem Zusammenhang wird gern das Argument (Beifall bei SPD, CDU, FDP, BÜNDNIS herangezogen, dass die Bundestagsabgeordneten es 90/DIE GRÜNEN und vereinzelt bei der schaffen, einen weitaus größeren Wahlkreis zu be- LINKEN) treuen. Hier muss aber gesehen werden, dass Bun- Demokratie hat ihren Preis. Demokratie funktio- destagsabgeordnete in ihrem gesamten Equipment, niert nicht ohne - auch personell - angemessen aus- besonders was die Zahl der ihnen zur Verfügung gestattete Parlamente. Wer, wenn nicht wir, liebe stehenden Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter angeht, Kolleginnen und Kollegen, soll hierfür mit Über- deutlich besser ausgestattet sind als Landtagsabge- zeugung werben? ordnete, die für ihre Wahlkreisarbeit Hilfe im Um- fang von nur circa zehn Stunden wöchentlich zur (Beifall bei SPD, CDU, FDP und BÜNDNIS Verfügung haben. 90/DIE GRÜNEN) Im Übrigen bedeutet eine Reduzierung der Zahl der Es darf nicht sein, und wir dürfen auch nicht zulas- Wahlkreise eine Verringerung der Möglichkeit, sen, dass diejenigen den größten Applaus in der dass Bürger und Bürgerinnen direkt, das heißt über einschlägigen Presse ernten, die vorschlagen, dass den persönlichen Eindruck der Kandidatinnen und das Schleswig-Holsteinische Parlament nur noch 50 Kandidaten entscheiden können, wer sie im Land- oder weniger Abgeordnete, manche meinen, am tag vertritt. Die auf den Listen der Parteien erschei- besten gar keine Abgeordneten haben soll. Es darf nenden Kandidaten bleiben weitestgehend anonym kein Wettstreit dahin gehend einsetzen, dass derje- mit Ausnahme die der Grünen, wie wir vorhin ge- nige der bessere Demokrat ist, der das Parlament hört haben. Das Gewicht der Parteienlisten würde zum billigen Jakob macht. größer werden. Listen von Parteien werden aber (Beifall bei SPD, CDU und FDP) nicht automatisch so zusammengestellt, dass sie das gesamte Land beziehungsweise alle Regionen re- Meine Fraktion und ich würden es sehr begrüßen, präsentieren. wenn neben der hier angesprochenen Frage nach der Anzahl der Wahlkreise und dem geeigneten Im Übrigen ist auch bei einer Reduzierung von 40 Ausgleich von Überhangmandaten sowie dem Zähl- auf 30 Wahlkreise nicht ausgeschlossen, dass es zu verfahren auch noch ein wenig Raum für die Frage Überhang- und Ausgleichsmandaten in größerer nach dem Selbstverständnis, dem Inhalt und der Zahl kommt. Wer will heute schon vorhersagen, Qualität der parlamentarischen Arbeit bliebe. wie viele Parteien im Landtag sitzen werden und mit welchen Anteilen Direktstimmen errungen wer- Zusammengefasst: Die SPD strebt an, dass Über- den? Solche Vorhersagen kann keiner treffen. Al- hangmandate künftig durch Ausgleichsmandate lenfalls wird sich das Herr Kubicki möglicherweise voll ausgeglichen werden. zutrauen. (Wolfgang Kubicki [FDP]: Das ist auch (Wolfgang Kubicki [FDP]: Bei der jetzigen neu!) Wahl habe ich gut gelegen!) - Wenn ich gar nichts Neues erzähle, wird es nun - Das stimmt nicht. Es stimmt nicht einmal, was eu- wirklich langweilig. Vielleicht erzählen Sie nachher er Ergebnis angeht. Herr Kubicki, ich traue Ihnen auch einmal etwas Neues. aber einiges zu. Sie sind ja auch als das Orakel von Wir wollen weiterhin eine Regelung, die sicher- Strande bekannt. Warten wir also einmal ab, was stellt, dass die in der Verfassung vorgegebene Grö- Sie uns in Zukunft alles präsentieren. ße des Parlaments möglichst weitgehend erreicht Lassen Sie mich noch einige Anmerkungen zu der wird. Dabei steht auch das Verhältnis von direkt ge- dieser Debatte innewohnenden beziehungsweise wählten Abgeordneten und Abgeordneten, die über von der Presse hineingetragenen mäßigen Achtung die Liste in das Parlament gelangen, zur Dispositi- des Parlaments selbst machen. Gerade am Wochen- on. Dies darf allerdings nicht zulasten einer vertret- ende war dazu wieder ein beredtes Beispiel in einer baren Größe der Wahlkreise gehen. Zum Schluss Zeitung aus der Buddenbrook-Stadt zu lesen. Ne- erinnere ich daran, dass Überhang- und Ausgleichs- ben der rationalen Überlegung, wie Überhangman- mandate - das ist mir wichtig - nicht per se eine Ka- date verhindert werden können, macht sich eine in tastrophe darstellen, solange sie in vertretbarem meinen Augen bedenkliche Meinung breit, dass ein Rahmen bleiben. Auch der Vorschlag der Grünen Parlament in erster Linie eines zu sein hat, näm- würde im Übrigen nicht ausschließen, dass es bei lich klein und billig. Dieser Entwicklung müssen bestimmten Wahlergebnissen Überhang- und Aus- wir im Interesse der Demokratie entgegentreten. gleichsmandate gibt. 150 Schleswig-Holsteinischer Landtag (17. WP) - 3. Sitzung - Donnerstag, 19. November 2009

(Peter Eichstädt)

(Beifall bei der SPD) ich zugeben muss, dass die Regierung selbst ein Totalschaden war. Vizepräsidentin Anita Klahn: (Heiterkeit und Beifall bei FDP und CDU) Bevor ich Herrn Kollegen Kubicki das Wort erteile, Der NDR vermeldete vorgestern, dass gegen das möchte ich gern unsere neuen Besucher herzlich Landtagswahlergebnis 400 Einsprüche eingegan- begrüßen. Ich begrüße die Schüler der Gemein- gen sind. Das ist durchaus mehr als nach vergange- schaftsschule Pönitz aus dem Kreis Ostholstein. - nen Wahlen. Vor dem Hintergrund der politischen Herzlich willkommen! Diskussionen und der Kampagne der Grünen im In- (Beifall) ternet ist dies aber ein ziemlich mageres Ergebnis. Es beweist: Auch die Bürgerinnen und Bürger in Ebenso begrüße ich die Schüler der Städtischen Schleswig-Holstein akzeptieren die Parlaments- Handelslehranstalt aus Flensburg. - Auch Ihnen ein mehrheit dieser Regierung auf der Grundlage des herzliches Willkommen! geltenden Wahlrechts. (Zuruf von der LINKEN: Es sind auch Schü- Die Frage, wie ein Parlament das Wahlrecht gestal- lerinnen dabei!) tet, ist eine politische Frage. Man mag sie kontro- - Es sind auch Schülerinnen dabei. Ich wusste nicht, vers beurteilen. Das haben wir als FDP in der Ver- dass ich das extra betonen muss. Ich bitte die Abge- gangenheit auch getan. Die ganze Aufregung um ordneten, daran zu denken, dass die Schülerinnen die Rechtmäßigkeit des Wahlergebnisses macht und Schüler hier sind, um vorbildliche Politiker und aber eines deutlich: Einige in diesem Haus sind sachliche Verhandlungen zu erleben. schlichtweg schlechte Verlierer. Wenn der Opposi- tionsführer am 16. September 2009 in seinem Twit- (Beifall) ter - man muss das wirklich täglich nachlesen - das Jetzt hat Herr Abgeordneter Kubicki das Wort. Landeswahlrecht als einen „Skandal“ bezeichnet, dann muss er sich fragen lassen, warum gerade sei- Wolfgang Kubicki [FDP]: ne Fraktion noch im Sommer genau dieses Wahl- recht und das damit verbundene Auszählungsver- Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! fahren bestätigt und verteidigt hat. Ich danke zunächst für die ungewöhnliche ge- schäftsleitende Bemerkung. (Beifall bei FDP und CDU sowie des Abge- ordneten Lars Harms [SSW]) Am 27. September 2009 haben die Bürgerinnen und Bürger in Schleswig-Holstein gewählt. Sie ha- Weil man gar nicht aus dem Staunen herauskommt, ben auf der Grundlage des geltenden Wahlrechts dass es bei der SPD mittlerweile offensichtlich eine CDU und FDP den Wählerauftrag erteilt. CDU und Totalamnesie hinsichtlich ihres Verhaltens vor der FDP haben in diesem Haus eine Mehrheit von drei letzten Wahl gibt, will ich zitieren, was der Abge- Stimmen und, wie wir seit der Wahl des Minister- ordnete Puls im Innen- und Rechtsausschuss am präsidenten am 27. Oktober wissen, sogar eine 3. Juni 2009 aufgrund eines Antrags von BÜND- Stimme aus der Opposition in Reserve. NIS 90/DIE GRÜNEN - wir waren der gleichen Auffassung wie Herr Kollege Puls - zu Protokoll Um es vorwegzunehmen: Diese Parlamentsmehr- gegeben hat. heit ist nicht nur legal, sie ist auch legitim. Herr Kollege Fürter, den Begriff des „Totalschadens der „Abg. Puls schlägt vor, dem Landtag die Ab- Demokratie“ sollten Sie vielleicht noch einmal lehnung des Gesetzentwurfs der Fraktion überdenken. Im Jahre 2002 - ich wiederhole mich BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zu empfehlen. gern - ist eine Regierung von BÜNDNIS 90/DIE Seine Fraktion spreche sich sowohl gegen ei- GRÜNEN und SPD im Deutschen Bundestag gebil- ne Änderung des Stimmenauszählungsver- det worden, obwohl die Parteien CDU, CSU, FDP fahrens als auch gegen den Vorschlag aus, und PDS 1,3 Millionen Stimmen mehr hatten als die Norm zur Ermittlung der Ausgleichsman- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD. date zu verändern, da hier inzwischen durch ein aktuelles Urteil des Verwaltungsgerichts (Beifall bei FDP und CDU) Schleswig Rechtsklarheit erreicht worden Niemand hat seinerzeit die Legitimität der Zusam- sei.“ mensetzung des Parlaments angezweifelt, obwohl Ich bin sehr dankbar, dass es offenbar einen Zu- wachs bei Lernerfahrungen gegeben hat. Wir wer- Schleswig-Holsteinischer Landtag (17. WP) - 3. Sitzung - Donnerstag, 19. November 2009 151

(Wolfgang Kubicki) den das in der weiteren Beratung auch noch disku- Kappungsgrenze insgesamt abgeschafft gehört. Wir tieren können. sind da völlig offen. Wie uns aber die Erfahrung der letzten Landtagswahl lehrt, geht die Erörterung Liebe Kolleginnen und Kollegen, im Sommer hätte dieser Rechtsfragen am eigentlichen Problem des die Möglichkeit bestanden, noch vor der Wahl die Landeswahlrechtes vorbei. Das sind lediglich Fol- Rechtsfrage nach der Vergabe von Ausgleichsman- geerscheinungen. Das wesentliche Problem ist der daten politisch zu entscheiden. Die SPD wollte dies überproportionale Anteil von Direktmandaten damals ausdrücklich nicht. Die anderen, die nun im Vergleich zu Listenmandaten. teilweise vor das Landesverfassungsgericht gezo- gen sind, müssen sich fragen lassen: Warum erst (Beifall bei FDP und BÜNDNIS 90/DIE jetzt? Sowohl die Regelungen im Landeswahlrecht GRÜNEN) als auch die Landesverfassung gab es bereits lange Denn wo durch eine Angleichung der Direktwahl- vor der letzten Landtagswahl. Wo waren Sie da, lie- und Listenmandate Überhangmandate gar nicht erst be Freunde von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN? entstehen, brauchen wir uns über die Frage, wie Warum haben Sie den aus Ihrer Sicht verfassungs- viele Ausgleichsmandate ausgekehrt werden müs- widrigen Zustand so lange sehenden Auges hinge- sen, keine Gedanken zu machen. nommen? Genau dieses Problem diskutieren wir, seitdem ich Liebe Kolleginnen und Kollegen, in der Sachfrage Parlamentarier in diesem Haus bin, also seit der bietet die heutige Debatte keinen Erkenntnisge- Wahl im Jahr 1992. Die FDP hat in mehreren Le- winn. Sie ist nicht neu. Es ist bekannt, dass das gel- gislaturperioden mehrfach versucht, Lösungen an- tende Wahlrecht es ermöglicht, dass eine Mehrheit zubieten. Wir sind immer am Widerstand der Mehr- im Landtag an Sitzen entstehen kann, obwohl die heit im Haus gescheitert. Das gilt für das Jahr 1997, Stimmenanteile aller sonstigen im Landtag vertrete- als wir die Anzahl der Direktwahlkreise bei 75 Ab- nen Parteien höher sind als die der Regierungspar- geordneten auf 37 reduzieren wollten. Das gilt für teien. Bereits 1992 profitierte der damalige SPD- das Jahr 2003, als wir die Anzahl der Direktwahl- Ministerpräsident Björn Engholm von diesem kreise auf 34 reduzieren wollten bei einer Verklei- Wahlrecht. Auch seinerzeit hatte die SPD-Fraktion nerung auf 69 Abgeordnete. Sowohl im Jahr 1997 eine Mehrheit im Parlament, obwohl sie bei den als auch im Jahr 2003 regierten übrigens rot-grüne Stimmen insgesamt weniger erhalten hatte als die Regierungen in Kiel. Ich bitte, sich schon mal anderen Parteien im Landtag, und das bei einem selbst die Frage zu stellen, liebe Freunde von Einstimmen-Wahlrecht. 1992 erreichte die SPD in BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, wie gewichtig Sie Schleswig-Holstein 46,2 % der Stimmenanteile, al- eigentlich in der Koalition waren, wenn Sie damals le anderen im Landtag vertretenen Parteien 47,6 %. nicht das Wahlrecht, das Sie heute ändern wollen, Trotz dieser Tatsache regierte die SPD mit einer in geeigneter Form auf den Weg gebracht haben. Einstimmen-Mehrheit, ohne dass irgendjemand in Zweifel gezogen hätte, dass dies legal und auch le- (Beifall bei FDP und CDU) gitim war. Es wurde im Übrigen auch von nieman- Viele Diskussionen wegen eines teuren und aufge- dem infrage gestellt, dass eine Einstimmen-Mehr- blähten Landtags, die wir heute in den Zeitungen heit eine stabile Mehrheit ist. Aber das nur am Ran- erleben müssen, hätten wir nicht, wenn die damali- de. gen Regierungen, alle unter SPD-Beteiligung, Herr Es gibt im Vergleich zur jetzigen Landtagswahl Dr. Stegner, sich dem Problem gestellt hätten. Die aber noch eine weitere interessante Parallele. Auch neue Koalition wird dies tun. Wir werden das Pro- 1992 wurde die in der Verfassung vorgesehenen blem lösen. CDU und FDP haben im Koalitionsver- Abgeordnetenzahl durch überproportionale Gewin- trag vereinbart, dass wir zeitnah das Landeswahl- ne von Direktwahlkreisen von Sozialdemokraten recht mit der Zielsetzung überarbeiten, eine Über- deutlich überschritten. Anstelle der vorgesehenen schreitung der in der Landesverfassung vorgesehe- 75 Abgeordneten saßen 89 Parlamentarier im Land- nen Landtagsmandate zu vermeiden; übrigens tag. Wir können heute gern darüber diskutieren, ob Seite 43 des Koalitionsvertrags. Was SPD-Regie- die sogenannte Kappungsgrenze im Landeswahl- rungen in Jahrzehnten nicht schafften, FDP und recht, nach der die Anzahl der Ausgleichsmandate CDU werden es tun. Das alte, umstrittene Wahl- nicht das Doppelte der Anzahl der Mehrsitze über- recht hat uns also einen letzten guten Dienst erwie- schreiten darf, derzeit rechtlich richtig ausgelegt sen, indem es dem Landtag eine Mehrheit beschert wird; Stichwort kleine Lösung oder große Lösung. hat, die es nun reformieren kann. Wir können auch gern darüber diskutieren, ob diese 152 Schleswig-Holsteinischer Landtag (17. WP) - 3. Sitzung - Donnerstag, 19. November 2009

(Wolfgang Kubicki)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Frage, wie Wolfgang Kubicki [FDP]: viele Ausgleichsmandate ausgekehrt werden dür- Da Sie mich jetzt gefragt haben, sage ich Ja. fen, ist, wie bereits erwähnt, nicht die Ursache des Problems. Sie steht aber in der öffentlichen Diskus- (Heiterkeit) sion; daher sollte sie zumindest auch angesprochen Dr. Robert Habeck [BÜNDNIS 90/DIE werden. Dabei sind zwei Aspekte zu berücksichti- GRÜNEN]: Trifft es zu, dass Sie am 16. Juli gen. gesagt haben: Ich bin der Meinung, es ist (Zuruf des Abgeordneten Jürgen Weber richtig, die Kappungsgrenze bei den Aus- [SPD]) gleichsmandaten abzuschaffen? Das Zitat ist noch länger, aber ich frage Sie jetzt nur zu - Sie werden sich alles angucken müssen, Herr We- diesem einen Satz. ber. Das ist ja das Gute, dass Sie sich alles werden angucken müssen. - Das trifft zu. Das war meine politische Auffas- sung. Das ändert aber nichts daran, dass rechtlich (Beifall bei der FDP) die Kappungsgrenze besteht. Wir wollen das ja Erstens. Muss nach der Landesverfassung immer vielleicht ändern. Aber noch besteht sie, Herr ein vollständiger Ausgleich der Mehrsitze erfolgen? Dr. Habeck. Zweitens. Sind bei der Berechnung der Anzahl der (Zurufe) Ausgleichsmandate nach dem Landeswahlgesetz die Mehrsitze mit einzubeziehen - kleine Lösung - - Es ist meine Auffassung, dass es politisch sinnvoll oder nicht - große Lösung? ist, die Kappungsgrenze aufzuheben. Aber darin in- tendiert, Frau Kollegin Heinold, die Aussage, dass Zu Punkt eins: Nach unserer Auffassung ist der Ge- sie rechtlich besteht. Sonst würde es keinen Sinn setzgeber von der Landesverfassung lediglich ge- machen, sie politisch ändern zu wollen. halten, überhaupt eine Regelung zu Ausgleichs- mandaten vorzusehen. Dabei ist auch eine Begren- Kommen wir also zum zweiten Punkt: Sind bei der zung der Anzahl der Ausgleichsmandate grundsätz- Berechnung der Ausgleichsmandate die Mehrsitze lich möglich. Ich zitiere aus der Kommentierung mit einzubeziehen? zur Landesverfassung: (Unruhe) „Weil die Wahl u.a. funktionsfähige Organe - Ist es nicht verstanden worden? Ich wiederhole es hervorbringen soll, ist anerkannt, dass der dann gern. Die Aussage, es macht Sinn, das zu än- Grundsatz der Erfolgswertgleichheit durch- dern, intendiert, dass es rechtlich Bestand hat. Sonst brochen werden darf, … Da die Funktionsfä- müsste man es nicht ändern. higkeit des Parlaments wesentlich auch von der Zahl seiner Mitglieder abhängt, ist es ge- Kommen wir also zu dem zweiten Punkt: Sind bei rechtfertigt, den Mehrsitzausgleich zu be- der Berechnung der Ausgleichsmandate die Mehr- grenzen.“ sitze mit einzubeziehen? - Wir haben in den Dis- kussionen um die Verteilung von weiteren Aus- So die aktuelle Kommentierung zur Landesverfas- gleichsmandaten im Rahmen der Kommunalwahl sung. Es ist übrigens durch das Bundesverfassungs- wie die Grünen die Auffassung vertreten, dass die gericht bestätigt worden. Nur zur Erinnerung: Bei sogenannte große Lösung bei der Mandatsvertei- der Bundestagswahl gibt es überhaupt keinen Aus- lung zur Anwendung kommen sollte. Hierzu gab es gleich für Überhangmandate. auch entsprechende Entscheidungen der Verwal- Kommen wir also zum zweiten Punkt: Sind bei der tungsgerichte. Wir müssen aber anerkennen und Berechnung der Ausgleichsmandate die Mehrsitze letztlich auch akzeptieren, dass die Verwaltungs- mit einzubeziehen? - Ich wiederhole anschließend rechtsprechung sich in den aktuellen Entscheidun- die Frage noch mal. Frau Präsidentin, es hat sich gen nach der Kommunalwahl der Auffassung der ein Abgeordneter für eine Zwischenfrage gemeldet. Landeswahlleiterin angeschlossen hat. Da die Re- gelungen zur Kommunalwahl und zur Landtags- Vizepräsidentin Anita Klahn: wahl identisch sind, gehen wir davon aus, dass die Gerichte jetzt auch nichts anderes entscheiden wer- Wir sind dabei, zu gucken, ob er das jetzt so ein- den und es deshalb darauf ankommt, es politisch zu fach darf. Lassen Sie die Frage von Herr Habeck lösen. zu? Schleswig-Holsteinischer Landtag (17. WP) - 3. Sitzung - Donnerstag, 19. November 2009 153

(Wolfgang Kubicki)

Damit ist die sogenannte kleine Lösung bei der Es macht mir ein bisschen Sorge, dass diese Ausle- Auszählung der Ausgleichsmandate mit an Sicher- gung der Landeswahlleiterin - man mag darüber heit grenzender Wahrscheinlichkeit rechtssicher. streiten - im Moment darüber entscheidet, ob die Damit bleibt dem Landtag nur die wirklich saubere Bundeskanzlerin eine Mehrheit im Bundesrat hat Möglichkeit: Er muss ein neues Wahlrecht schaf- oder nicht. Ich finde das traurig, ganz abgesehen fen, und ich sage Ihnen, wir werden das tun. Ich davon, ob ich die Mehrheit gut finde oder nicht. freue mich auf die Ausschussberatung über Ihren Es geht um fast 28.000 Stimmen. Wenn wir die Er- Gesetzentwurf, und Sie werden dann den zur gebnisse betrachten, dann stellen wir fest: Die Kol- Kenntnis nehmen, den wir verabschieden werden. legin Herold hat ihren Wahlkreis in Flensburg mit (Beifall bei FDP und CDU) 150 Stimmen Vorsprung gewonnen. In anderen Wahlkreisen war der Vorsprung nicht viel größer. Vizepräsidentin Anita Klahn: Hier stellt sich die Frage, ob 150 Stimmen in ein- zelnen Wahlkreisen mehr wert sein sollen als die Herr Abgeordneter Jezewski von der LINKEN hat 28.000 Stimmen auf Landesebene. Ich finde, dar- das Wort. über sollte man einmal diskutieren. Heinz-Werner Jezewski [DIE LINKE]: Ich habe mir nicht nur das Gesetz angesehen, son- dern auch Rechnungen angestellt. Wenn das neue Ich bin jetzt ein bisschen verwirrt, liebe Kollegin- Gesetz in Kraft gewesen wäre, wären hier nicht 95, nen und Kollegen. Darf ich jetzt „sehr geehrter Herr sondern 85 Leute. Es gäbe immer noch 16 Über- Präsident“ sagen, oder darf ich „Frau Präsidentin“ hangmandate. Das Getöse in der Presse wäre nicht zu Ihnen sagen? viel kleiner. Nach Ansicht der Presse hätte es nicht (Heiterkeit) viel mehr Geld gekostet, aber es hätte mehr Geld gekostet. Liebe Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, wir brauchen so viel direkte Das im Gesetzentwurf vorgeschlagene Auszäh- Demokratie wie möglich und so viel repräsentative lungsverfahren findet wohl auch die Regierung Demokratie wie nötig. Das heißt, und daraus gut. Denn sonst würde sie nicht anstreben, dieses schließt sich, dass mehr Abgeordnete nicht ein We- auf kommunaler Ebene einzuführen, wie es im Ko- niger an Demokratie sind, sondern ein Mehr an De- alitionsvertrag steht. Ich frage mich, ob es weitere mokratie. Möglichkeiten gibt, die bislang nicht durchdacht worden sind. Das Verfassungsgericht wird dazu si- (Zuruf des Abgeordneten Wolfgang Kubicki cherlich etwas sagen. Es gibt aber genug Verfas- [FDP]) sungsrechtler und Verfassungsgerichte in Deutsch- - Herr Kubicki, hinter Ihnen steht ein Mikrofon. Sie land, die dazu bereits etwas gesagt haben. dürfen sich da gern hinstellen, dann lasse ich Ihre In anderen Bundesländern gibt es andere Wahlver- Zwischenfrage zu. fahren. Hier erinnere ich an Hamburg, wo einige (Wolfgang Kubicki [FDP]: Das war ein Zwi- Grüne und Linke ihren Wahlkreis gewonnen haben. schenruf!) In Hamburg gibt es nämlich das System der Mehr- mandatswahlkreise. Es wäre die Frage, inwieweit - Auch Ihren Zwischenruf. Dann können wir ihn man so etwas für Schleswig-Holstein diskutieren auch zu Protokoll nehmen. sollte. Wir haben hier 95 Abgeordnete - im Moment nur (Zuruf von der CDU: Wie viele Abgeordne- 94 -, die natürlich alle legitimiert sind. In dem Sin- ten haben die in Hamburg?) ne könnte man sagen, dann ist natürlich auch die Regierung, die von diesen Abgeordneten gewählt - Das weiß ich nicht. worden ist, legitimiert. Das Problem ist nicht, dass (Zuruf von der CDU) hier einer keine Legitimation hat, das Problem ist, dass draußen vor der Tür noch sechs Abgeordnete - Die haben vielleicht ein bisschen mehr Demokra- stehen, die auch eine demokratische Legitimation tie als wir. Wir bräuchten doch das ganze System haben und die hier nicht reingelassen werden. Da nicht zu diskutieren, wenn es genauso viele Abge- liegt das Problem. ordnete wie Wähler gäbe. Dann hätten wir eine ideale Darstellung des Wählerwillens im Landtag. (Beifall bei der LINKEN) Wir bräuchten dann aber einen großen Saal. Die Frage ist doch: Wollen wir starke Bestandteile von 154 Schleswig-Holsteinischer Landtag (17. WP) - 3. Sitzung - Donnerstag, 19. November 2009

(Heinz-Werner Jezewski) direkter Demokratie im Parlamentarismus oder auf sich vereinigen konnten. Deutlicher kann das wollen wir eine reine repräsentative Demokratie? Missverhältnis nicht dargestellt werden. Ich kann Ihnen sagen, wie es superbillig geht: Man Wir hätten auf dieses Bild gut verzichten können, wählt nur einen Ministerpräsidenten. Das ist ja auch denn die Konsequenz ist, dass das Vertrauen vieler eine Form von repräsentativer Demokratie. Dann Wählerinnen und Wähler in das Wahlrecht und in könnten wir ihn ja auch gleich lebenslänglich wäh- die demokratische Legitimation von Landtag und len. Das ist dann die billigste Form der direkten De- Landesregierung zerrüttet ist. Viele fragen sich nun mokratie. Aber das wollen wir sicherlich alle nicht. verständlicherweise, ob es rechtens sein kann, dass Wir wollen - das gibt die Verfassung vor - eine man mit einer Minderheit der abgegebenen Stim- Kontrolle und eine Kritik der Regierung. Ob wir men eine Regierungsmehrheit bekommen kann. Im kontrollieren können, wissen wir nicht, aber kriti- Moment hängt es von der eigenen parteipolitischen sieren können wir hier eine Menge. In dem Sinne Präferenz der Menschen ab, ob sie dem Wahlrecht müssen wir auch einmal andere Modelle andenken. vertrauen oder nicht, und das kann eigentlich nicht Von daher stimmt die Linke der Verweisung in den sein. Ausschuss zu. Eine Fachdiskussion darüber, ob (Beifall beim SSW) große Lösung oder kleine Lösung, sollten wir bes- ser im Ausschuss führen und nicht hier. Der SSW hat bereits 2004 und 2008 gemeinsam mit den Grünen und der FDP darauf aufmerksam ge- Vom Prinzip her möchten wir aber, dass unser macht, dass die Zahl der Wahlkreise und die dar- Wahlspruch „So viel direkte Demokratie wie mög- aus folgende höhere Wahrscheinlichkeit von Über- lich und so viel repräsentative Demokratie wie nö- hangmandaten Probleme bereiten werden. Gewinnt, tig“ umgesetzt wird. Mit welchem Wahlverfahren wie hier geschehen, eine Partei viele Wahlkreise di- und mit welchem Auszählverfahren, darüber sollten rekt, dann wird immer eine Reihe von Ausgleichs- wir in einer Fachdiskussion entscheiden. Das soll- mechanismen gestartet werden, damit die Mandats- ten wir von der Politik freistellen. verteilung im Landtag die Wählerstimmen wider- (Beifall bei der LINKEN) spiegelt, also die Zweitstimmen.

Vizepräsidentin Anita Klahn: Vizepräsidentin Anita Klahn: Für die Fraktion des SSW erteile ich Frau Abgeord- Frau Hinrichsen, lassen Sie eine Zwischenfrage zu? neter Hinrichsen das Wort. Silke Hinrichsen [SSW]: Silke Hinrichsen [SSW]: Nein. - Diese Verteilungsregeln können immer nur Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist, eine Annäherung darstellen, da nur ganze Landtags- wie der Kollege Kubicki und die anderen Vorredner mandate vergeben werden, während die Wahler- bereits ausgeführt haben, nicht das erste Mal, dass gebnisse in der Regel mit Kommastellen ausgewie- sich der Landtag mit den Problemen des Landes- sen werden. wahlgesetzes auseinandersetzt. Aber es ist das erste Durch die Wahl der Mechanismen kann das Parla- Mal, dass die Konsequenzen so klar in diesem Par- ment aber dazu beitragen, dass das Zweitstimmen- lament zu sehen sind. Die Rechenbeispiele hatte der ergebnis besser oder schlechter abgebildet und da- Kollege Kubicki damals immer sehr lebhaft vorge- mit die Unschärfe des Proportionalverfahrens redu- tragen. Daran kann ich mich noch sehr gut erinnern. ziert wird. Sowohl die CDU als auch die SPD sind Ich weise darauf hin, dass wirklich das eingetreten über diese Kritik hinweg gestiegen, weil dieses ist, was er prophezeit hat, nämlich dass, wenn eine Wahlsystem abwechselnd einer der großen Parteien Partei viele Wahlkreise direkt gewinnt, es nicht nur Vorteile bietet. Sie haben die Warnungen ignoriert zu einer Vergrößerung des Landtags, sondern auch und insbesondere die schiefe Mandatsverteilung in zu einer Verzerrung des Wahlergebnisses kommt. Kauf genommen, die jetzt eingetreten ist. (Wolfgang Kubicki [FDP]: So ist es!) Dabei ist das Problembewusstsein - menschlich Nach der Landtagswahl am 27. September 2009 ha- verständlich - jeweils auf der Seite weniger ausge- ben die CDU und die FDP gemeinsam eine Mehr- prägt, die gerade davon profitiert. 2009 ist es die heit von drei Mandaten im Landtag, obwohl sie nur CDU/FDP-Koalition, die wenig Engagement ent- 46,4 % der Zweitstimmen beziehungsweise 49 % wickelt. Im Koalitionsvertrag ist zwar das Thema der hier im Parlament vertretenen Zweitstimmen behandelt, aber es gibt nichts Konkretes. Schleswig-Holsteinischer Landtag (17. WP) - 3. Sitzung - Donnerstag, 19. November 2009 155

(Silke Hinrichsen)

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Wieso?) Alle Mandate sind gleich viel Wert. Deshalb dürfen Direktmandate nicht bevorzugt behandelt werden. - Sie haben gerade ausgeführt, wie Sie gedenken, es Das hat nichts damit zu tun, dass wir die demokrati- zu regeln, aber so steht es nicht im Koalitionsver- sche Legitimation der Direktmandate in irgendeiner trag. - Es wird lediglich darauf hingewiesen, dass Form in Zweifel ziehen, wie es uns der CDU-Frak- CDU und FDP zeitnah das Landeswahlrecht mit der tionsvorsitzende unterstellt hat. Aber die Zahl der Zielsetzung überarbeiten wollen, eine Überschrei- Überhangmandate darf nicht dazu führen, dass die tung der in der Landesverfassung vorgesehenen Wahl der Bevölkerung durch den Erfolgswert ver- Landtagsmandate zu vermeiden. zerrt wird. (Wolfgang Kubicki [FDP]: Das werden wir Diese Verzerrung ist aber nach der Landtagswahl tun!) 2009 so gravierend, dass Mitte Oktober verfas- Diese Formulierung ist nicht nur vage, sie reduziert sungsrechtliche Bedenken gegen das Landeswahl- das Problem nach unserer Ansicht auch auf die gesetz geäußert wurden. Während die Landesver- Größe des Landtags und bezieht keine Stellung zur fassung vorschreibt, dass Überhangmandate durch mehrheitsverzerrenden Wirkung. Damit gibt es kei- Ausgleichsmandate ausgeglichen werden, lässt § 3 ne Garantie dafür, dass die Probleme mit den Über- Abs. 5 Satz 3 des Wahlgesetzes zu, dass dieser hang- und Ausgleichsmandaten dauerhaft politisch Ausgleich nur in begrenztem Umfang vorgenom- gelöst werden. men wird. Eben dies hat die Landeswahlleiterin Insofern begrüßen wir den Gesetzentwurf der Grü- auch getan. Deshalb möchte ich noch einmal Fol- nen ausdrücklich, der mit der Reduzierung der gendes unterstreichen: Das Problem ist nicht in er- Wahlkreise von 40 auf 30 und der Ablösung des ster Linie, wie die Landeswahlleiterin und der Lan- d’hondtschen Höchstzählverfahrens nicht nur das deswahlausschuss entschieden haben - das war und Anwachsen des Landtags verhindern würde, son- ist durch das Wahlgesetz gedeckt -, sondern das dern auch die Wahrscheinlichkeit einer Verzerrung Problem ist die gesetzliche Norm selbst, die ange- reduziert. wendet wurde. Entscheidend ist aber, dass mit der Streichung des (Beifall beim SSW und vereinzelt bei § 3 Abs. 5 des Landeswahlgesetzes der Kern des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Problems ebenfalls angegangen wird. In dieser Vor- Durch die Frage der Verfassungsgemäßheit hat die- schrift ist eine Begrenzung der Ausgleichsmanda- se Diskussion eine neue Qualität bekommen. Es te vorgesehen; der Kollege Kubicki hat das bereits geht nicht mehr nur darum, ob die eine oder andere eben sehr schön ausgeführt. Denn wenn diese Di- Seite mehr profitiert und ob das Gesetz besser ge- rektmandate nicht vollständig ausgeglichen werden, staltet werden kann, um eine Auseinandersetzung dann wird der Wählerwille beziehungsweise das zu vermeiden. Es geht jetzt darum, ob das Wahlge- Zweitstimmenergebnis durch diese Einschränkung setz überhaupt so aussehen darf. Wir können nicht im Rahmen der Sitzverteilung im Landtag nicht mit verfassungsrechtlichen Zweifeln am demokrati- richtig wiedergegeben. Die Folge ist, dass Parteien schen Wahlsystem in Schleswig-Holstein leben. mit einer Minderheit der Zweitstimmen eine Mehr- Wenn diese Frage nicht schnell geklärt wird, kann heit der Mandate im Parlament erhalten können das Vertrauen in die demokratische Legitimation oder - anders formuliert - dass die Wählerstimmen von Parlament und Regierung dauerhaft Schaden nicht gleich viel wert sind. Nach dem jetzigen nehmen. Wahlergebnis waren deshalb für ein Mandat der Es ist die Pflicht aller Parteien, eine solche fatale CDU nur 14.811 Stimmen erforderlich, während Entwicklung im Keim zu ersticken. Deshalb haben für ein SSW-Mandat 17.359 Stimmen nötig waren. die Grünen und der SSW das Landesverfassungs- Von einem gleichen Erfolgswert der Stimmen gericht im Rahmen eines Normenkontrollverfah- und damit von einer Gleichheit der Wahl kann da- rens um eine Klärung gebeten. Weder das Parla- her nicht die Rede sein, ment noch die Regierung können fünf Jahre lang (Beifall beim SSW und vereinzelt bei der mit dem Vorwurf leben, dass Schleswig-Holstein LINKEN) mit einer verfassungswidrigen Mehrheit regiert zumindest nicht solange nicht alle Möglichkeiten wird. Leider gibt es jetzt keinen anderen Weg mehr ausgeschöpft sind, diesen Effekt durch andere Ver- als den juristischen. teilungsverfahren zu minimieren. In der Frage des Verhältnisausgleichs bei der Landtagswahl 2009 geht es nicht nur darum, ob der 156 Schleswig-Holsteinischer Landtag (17. WP) - 3. Sitzung - Donnerstag, 19. November 2009

(Silke Hinrichsen) eine politische Block oder ein anderer die Macht Eigentlich wollten wir diese Debatte schon bei der bekommt. Es gibt auch - egal wie die Mandatsver- konstituierenden Sitzung führen. Im Nachhinein teilung vorgenommen wird - keine politische Mehr- freue ich mich aber, dass es nicht dazu gekommen heit für eine SPD-geführte Landesregierung. Des- ist, denn diese Debatte war kein Glanzstück der halb muss diese Situation vor allem genutzt wer- parlamentarischen Demokratie. Es hat mich gewun- den, um ein für alle Mal die Ungerechtigkeiten im dert, mit welcher Rückwärtsgewandtheit und mit Wahlrecht auszuräumen, die bei kommenden welchem Eigennutz diese Debatte geführt wurde. Wahlen zu weit größeren Spannungen und Unge- Deswegen möchte ich noch einmal klarstellen, rechtigkeiten führen können. warum wir alle ein Interesse daran haben, eine ein- vernehmliche Lösung für dieses Problem zu finden. Hinzu kommt, dass sich die politische Landschaft in Deutschland im Wandel befindet. Es ist sehr Es gibt einen strukturellen Wandel der Demokra- wahrscheinlich, dass im Landtag auch in Zukunft tie. Die Großen werden kleiner. Das kann man be- mehrere kleine und mittelgroße Parteien vertreten dauern oder sich darüber freuen – es ist jedenfalls sind. Dies verschärft zusätzlich das grundsätzliche ein Fakt. Das liegt nicht zwingend daran, dass Par- Problem, das durch die Begrenzung der Ausgleichs- teien gut oder schlecht sind, sondern daran, dass die mandate entsteht. Es muss also gehandelt werden. Gesellschaft sich wandelt. Die Interessen differen- Wir sind sicher, dass das Landesverfassungsgericht zieren sich aus, und die Leute stimmen nicht mehr dem Landtag dabei auf die Sprünge helfen wird. nach Sozialmilieus ab; möglicherweise erodieren Angesichts des Vertrauensverlustes, den diese die Sozialmilieus. Herr Eichstädt hat gesagt, dass Wahl mit sich gebracht hat, wäre es aber ange- das Selbstverständnis des Parlaments Leitlinie un- bracht, dass das gesamte Parlament - auch ohne seres Handelns sein sollte. Wenn das Parlament Nachhilfe vom Gericht - deutlich erklärt: Die mög- aber Spiegel der Gesellschaft ist, ist es auch aufge- lichst genaue Umsetzung des Wählerwillens ist fordert, den Umbruch in der Gesellschaft in den wichtiger als der kurzfristige parteipolitische Ge- Gesetzen darzustellen. Das ist die Aufgabe. winn durch ein unscharfes Wahlgesetz. (Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Ich freue mich auf die Diskussion im Innen- und und vereinzelt beim SSW) Rechtsausschuss; es sind hier ja noch weitere Faktisch läuft das auf zwei Möglichkeiten hinaus. Aspekte zum Landeswahlgesetz erörtert worden. Es wurde dazwischengerufen, dass es die Möglich- Auch die Möglichkeit des Kumulierens und Pana- keit eines Mehrheitswahlrechts gibt. Man kann schierens sollten wir im Ausschuss besprechen. aber auch ein Verhältniswahlrecht einführen. Ich Außerdem ist sicherlich auch die Frage der Größe bekenne mich zu der jetzigen Mischform, und halte der Wahlkreise zu diskutieren. Ich kann dem Kol- sie für eine Stärke der parlamentarischen Demokra- legen Eichstädt nur Recht geben, dass dabei auch tie in Deutschland. Aber man muss sie ganz unemo- die Repräsentation der verschiedenen Regionen hier tional neu austarieren. Wir haben dazu einen im Landtag zu berücksichtigen ist. schriftlichen Vorschlag gemacht. Wenn es andere (Beifall bei SSW und BÜNDNIS 90/DIE Vorschläge gibt, sollten sie schriftlich eingebracht GRÜNEN) werden. Ich hoffe, dass wir bei der nächsten Lesung kein solches Kaspertheater wie in dieser Stunde ha- Vizepräsidentin Anita Klahn: ben werden. Es liegt mir eine Wortmeldung des Kollegen (Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Dr. Habeck vor, dem ich jetzt das Wort erteile. vereinzelt beim SSW und des Abgeordneten Heinz-Werner Jezewski [DIE LINKE]) Dr. Robert Habeck [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Vizepräsidentin Anita Klahn: Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Der Herr Abgeordnete Kubicki hat das Wort. Gestern musste ich noch fragen, ob es üblich ist, Zwischenfragen zu stellen. Ich hätte besser fragen Wolfgang Kubicki [FDP]: sollen, ob es üblich ist, keine Zwischenfragen zu Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! stellen und stattdessen immer dazwischenzurufen. Da das Parlament debattieren soll, gehören Zwi- (Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) schenrufe - so die ständige Praxis des Deutschen Schleswig-Holsteinischer Landtag (17. WP) - 3. Sitzung - Donnerstag, 19. November 2009 157

(Wolfgang Kubicki)

Bundestages - zu einem lebendigen Parlament. Allein der dilettantische Versuch, im Normenkon- Manchmal können sie ganz hilfreich sein. trollverfahren eine einzelne Anhörung zu errei- chen, spricht gegen die Solidität des Antragstellers. (Beifall bei der FDP sowie vereinzelt bei Aber wenn wir ein neues Wahlrecht schaffen, bevor CDU und der LINKEN) das Landesverfassungsgericht im Normenkontroll- Herr Habeck, ich verwahre mich gegen Ihre Anma- verfahren entscheiden kann, überholt sich das Ver- ßung, dass nur das, was die Grünen denken, richtig fahren. Dann gibt es keine hilfreichen Hinweise und gesellschaftlich akzeptiert und alles andere mehr, sondern es wird zur Erledigung der Sache rückwärtsgewandt sei. kommen. Deshalb sollte es doch auch in eurem In- (Beifall bei FDP, CDU und SPD) teresse liegen, diese Fragen solider zu beraten, als es bei diesem einseitigen Vorschlag der Fall gewe- Wir diskutieren hier ein rechtliches Problem, bei sen ist. dem wir wahrscheinlich näher beieinander sind, als Sie ahnen. Aber es gibt einen Unterschied zwischen Die Koalition wird einen vernünftigen Vorschlag politischem Wollen und dem, was Recht ist. Viel- einbringen, und darüber werden wir diskutieren. leicht kann Herr Fürter Ihnen diesen Unterschied Denn Wahlrechtsänderungen sollten von einem erklären. Solange Recht besteht, müssen wir es ak- möglichst breiten Konsens im Parlament getragen zeptieren. Wenn wir es nicht mehr akzeptieren, werden. Warten Sie es doch einfach ab! Noch ein müssen wir es ändern. Aber man kann nicht so tun, letzter Hinweis an die Grünen: Sie müssen nicht so- als könne man das bestehende Recht nach seinem fort jeden Punkt aus der Koalitionsvereinbarung im politischen Willen beugen. Das unterscheidet uns Rahmen eines Antrages einbringen. Geben Sie doch beide. Ich bin nicht bereit, ein Gesetz, das ich für CDU und FDP die Gelegenheit, die entsprechenden reformbedürftig halte und schon immer gehalten Anträge selbst einzubringen. habe, nicht mehr zu akzeptieren, weil es nicht mei- (Beifall bei der FDP) nem politischen Willen entspricht. Wir sind völlig offen gegenüber dem, was das Ver- Vizepräsidentin Anita Klahn: fassungsgericht macht. Ich bin mir sicher, dass es Herr Kubicki, lassen Sie eine Zwischenfrage von die Rechtmäßigkeit der bestehenden Norm bestäti- Herrn Fürter zu? gen wird, obwohl ich sie politisch nicht will. Ich weise noch einmal darauf hin, dass das Bundesver- Wolfgang Kubicki [FDP]: fassungsgericht überhaupt keine Zweifel im Hin- blick auf die Tatsache hat, dass es bei der für den Selbstverständlich. Immer wieder gern. Bundestag geltenden Mischform von Mehrheits- Thorsten Fürter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- und Verhältniswahlrecht überhaupt keine Aus- NEN]: Sie hatten mich als Kronzeugen juri- gleichsmandate gibt. stischer Argumentation zitiert. Sagt Ihnen als (Heinz-Werner Jezewski [DIE LINKE]: Aber Jurist das Stichwort „Normenhierarchie“ et- es geht hier um die Landesverfassung! - Zu- was? Danach geht die Verfassung einfachen ruf von BÜNDIS 90/DIE GRÜNEN) Gesetzen vor, und Aussagen der Verfassung müssen sich in den einfachen Gesetzen wi- - Vielleicht holen Sie sich einmal einen Juristen, derspiegeln. der Sie ein bisschen berät. Das wäre sicherlich hilf- reich. - Das sagt mir etwas. Aber die Kommentatoren der Landesverfassung wie Professor Ewer sowie die (Beifall bei der FDP und vereinzelt bei der Mitarbeiter des Wissenschaftlichen Dienstes des CDU) Landtages sind auch keine Idioten. Wenn sie erklä- Lesen Sie sich nur einmal die Entscheidung des ren, dass es verfassungsgemäß ist, den Mehrheits- Bundesverfassungsgerichts zur großen Freiheit des ausgleich zu begrenzen, dann sollten auch Sie ein- Gesetzgebers bei der Ausgestaltung des Wahlrechts mal darüber nachdenken. durch. Noch einmal: Wenn wir einen Ausgleich (Beifall bei FDP und CDU) vorsehen, bin auch ich dafür, dass es ein vollstän- diger Ausgleich ist. Aber die gegenwärtige Rechts- lage sieht das nicht vor, und nach meiner Auffas- Vizepräsidentin Anita Klahn: sung ist sie verfassungsfest. Herr Abgeordneter Schippels hat das Wort. 158 Schleswig-Holsteinischer Landtag (17. WP) - 3. Sitzung - Donnerstag, 19. November 2009

Ulrich Schippels [DIE LINKE]: Vizepräsidentin Anita Klahn: Herr Kubicki, bedauerlicherweise werden tatsäch- Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich lich Überhangmandate im Bundestag nicht ausge- schließe damit die Beratung. Es ist beantragt wor- glichen. Aber wir sind hier nicht im Bundestag, den, den Gesetzentwurf Drucksache 17/10 dem In- sondern im Landtag von Schleswig-Holstein. Für nen- und Rechtsausschuss zu überweisen. Wer dem den Landtag von Schleswig-Holstein gilt die Lan- zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. desverfassung. In der Landesverfassung ist geregelt - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Das ist - das wissen Sie -, dass Überhangmandate ausgegli- einstimmig so beschlossen. chen werden. Die Frage ist jetzt, wie sie ausgegli- Ich rufe den Tagesordnungspunkt 17 auf: chen werden. Das wird diskutiert werden. Da wer- den wir schauen, wie das Landesverfassungsgericht letztlich entscheidet. Schließung von Bundesbankfilialen in Schles- wig-Holstein Die Argumentation, es werde in den Kommunen laut Gerichtsurteil die kleine Lösung angewendet, Antrag der Fraktion des SSW ist nicht zutreffend, weil das Landesverfassungs- Drucksache 17/25 gericht natürlich überhaupt nichts zum Wahlrecht in den Kommunen sagt. Es sagt aber etwas zum Das Wort zur Begründung erhält für die CDU Herr Wahlrecht im Landtag. Übrigens finde ich es eine Abgeordneter Sönnichsen. sehr paradoxe Situation, dass wir hier in Kiel zwei (Zurufe) Parlamente haben - das eine zusammengesetzt nach der großen Lösung und das andere zusammenge- - Entschuldigung. setzt nach der kleinen Lösung. Das sollten Sie ein- (Zurufe) mal Ihren Wählerinnen und Wählern erklären, dass erschließt sich nicht wirklich von selbst. Ich erteile jetzt Herrn Abgeordneten Harms das Wort. Das Zweite, worauf ich hinweisen möchte, ist, dass wir alle - Herr Kubicki, Sie waren vielleicht bei der Lars Harms [SSW]: Wahl - den Wahlzettel gesehen haben. Was stand dort drauf? Auf dem Wahlzettel stand: Die Zweit- Vielen Dank, Frau Präsidentin. stimme ist entscheidend für die Sitzverteilung im Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Bun- Landtag. Offensichtlich ist dem nicht so. Deshalb desbank will aus Kostengründen in den nächsten ist es sinnvoll, dem Folge zu leisten, was die Grü- Jahren in Deutschland 13 ihrer derzeit 47 Filialen nen hier gesagt haben. aufgeben oder zusammenlegen. Das hat an fast al- (Zuruf des Abgeordneten Wolfgang Kubicki len Standorten erheblichen Protest ausgelöst. [FDP]) Die angeblich umfangreichen Untersuchungen - Das steht da, gucken Sie einmal nach. jedes einzelnen Standorts erweisen sich als wenig stichhaltig. So wurden in Hessen kurzerhand soge- (Zuruf des Abgeordneten Wolfgang Kubicki nannte andere Wirtschaftlichkeitsüberlegungen aus [FDP]) dem Hut gezaubert, um die Schließung der Filiale - Ich habe auch gewählt Wir gucken uns gemein- in Gießen zu rechtfertigen. Dabei ist in fast allen sam mal einen Stimmzettel an. Das steht dort drauf. betroffenen Filialen das Einzahlungs- und Bearbei- Deswegen sind wir natürlich dafür, dass die Ge- tungsvolumen durchaus ausreichend. setzeslage dem Stimmzettel entspricht Dagegen gefährdet die Schließung massiv die Bar- (Zuruf des Abgeordneten Christopher Vogt geldversorgung der Wirtschaft, weil entsprechen- [FDP]) de andere Möglichkeiten noch nicht in ausreichen- dem Maße zur Verfügung stehen. Privatkunden - das habe ich genau so formuliert - und dass wir zu können nicht mehr den gebührenfreien und unbefri- einer Lösung kommen. steten Umtausch von D-Mark-Banknoten und (Beifall bei der LINKEN - Zuruf des Abge- -münzen nutzen. In Lübeck fehlt beispielsweise die ordneten Wolfgang Kubicki [FDP]) Stadtkasse. Bürger, die an die Stadt Lübeck Geld überweisen oder einzahlen wollen, können das ge- bührenfrei nur über wenige Banken - oder eben die Bundesbankfiliale - tun. Wer überhaupt kein Konto Schleswig-Holsteinischer Landtag (17. WP) - 3. Sitzung - Donnerstag, 19. November 2009 159

(Lars Harms) hat, kann Rechnungen und Ähnliches gebührenfrei verliert. Kein Unternehmen mit umfangreichem nur via Bundesbank erledigen. Das ist für viele Ar- Bargeldverkehr wird im Norden Schleswig-Hol- me und Überschuldete die letzte Rettung. steins noch problemlos Geschäfte tätigen können, weil ergänzende und sichere Wege der Bargeld- Darum setzt sich der SSW für den Erhalt der Bun- versorgung nicht mehr bestehen. Somit ist die desbankfilialen in Schleswig-Holstein ein. Es lie- Schließung der Bundesbankfilialen ein eindeutiger gen keine Gründe vor, die Filialen zu schließen. Standortnachteil, der zu den bereits bestehenden, (Beifall beim SSW und der Abgeordneten wie der schlechten Verkehrsanbindung, hinzuge- Ranka Prante [DIE LINKE]) zählt werden muss. Die Bremer Finanzsenatorin sieht in der Schließung Darum müssen die Bundesbankfilialen erhalten der norddeutschen Bundesbankstandorte eine Fort- bleiben. Die Kreistage in Nordfriesland und Schles- setzung der langjährigen Tradition, nach der der wig-Flensburg unterstützen diese Initiative. Auch in reiche Süden gegenüber dem Norden bevorzugt der Stadt Flensburg steht dieses Thema auf der Ta- wird. Gestützt wird diese Vermutung - die im Übri- gesordnung. Ich weiß, auch in anderen Regionen - gen auch die ostdeutschen Filialen betrifft, die sprich Kiel und Lübeck - debattiert man genauso überproportional von der Schließungswelle betrof- wie bei uns im Norden. Der SSW bittet alle Frak- fen sind - durch Bankinterna. So meldet das Nach- tionen, sich seinem Antrag anzuschließen, um eine richtenmagazin „Focus“ aus internen Papieren, dass deutliche Position zum Erhalt der Bundesbankfilia- Bremen bei der Bargeldeinzahlung auf Platz 23 von len einzunehmen. insgesamt 48 Standorten liege, Meiningen in Thü- (Beifall bei SSW, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- ringen auf Platz 31. Trotzdem sollen beide aufgege- NEN und der LINKEN) ben werden. Die Filiale im bayerischen Augsburg bleibt bestehen, obwohl sie beim Bargeldverkehr nur auf dem 41. Rang liegt. Allerdings muss man Vizepräsidentin Anita Klahn: sagen, dass der Bundesbankvizepräsident aus Augs- Herr Abgeordneter Sönnichsen von der CDU hat burg kommt. Die Wirtschaftlichkeitsüberlegungen als nächstes das Wort. - Herr Dr. von Boetticher hat sind also beileibe nicht so objektiv, wie es uns die vorher noch das Wort zur Geschäftsordnung. Frankfurter Zentrale weismachen will. Warum sollen dann die Filialen geschlossen wer- Dr. Christian von Boetticher [CDU]: den? Oder anders gefragt: Warum riskiert die Bun- Wenn ich das richtig gelesen habe, war das ein Be- desbank massive Kritik, zu der es auch tatsächlich richtsantrag an die Landesregierung. Das läuft wie an fast allen Filialstandorten gekommen ist? Über folgt ab: Der Berichtsantrag wird gestellt, es wird die Gründe kann man nur spekulieren. Der wahr- darüber abgestimmt. Dann wird als Erstes die Lan- scheinlichste Grund liegt wohl in der geplanten desregierung aufgerufen. Die gibt ihren Bericht ab. Neuorganisation der Bundesbank. Die Berliner Dann geht es in der Reihenfolge weiter, die wir Koalition will die Bundesbank nämlich zentralisie- jetzt etwas durcheinander gebracht haben. Viel- ren und in eine alleinige Banken- und Finanzauf- leicht können wir das so heilen, dass wir jetzt über sicht umbauen. Dabei soll die Bundesbank auch die den Berichtsantrag abstimmen. Dann berichtet die Arbeit der BaFin erledigen. Zur Zentralisierung Landesregierung, und dann hält der Kollege Harms müssen die Frankfurter möglichst schnell möglichst entweder seine Rede noch einmal oder macht noch viele Filialen schließen, schließlich wollen sie nicht einige Anmerkungen. mehr länger als Dienstleister agieren, sondern als politisch gesteuerte Behörde, und die Bankenauf- (Vereinzelter Beifall bei CDU und SPD - sicht bei sich zentralisieren. Dafür braucht man na- Jürgen Weber [SPD]: Wir stimmen dem An- türlich auch Personal - auch aus den entlegeneren trag von Herrn von Boetticher zu! - Zuruf des Regionen. Das heißt, Geldgeschäfte sind in Zukunft Abgeordneten Dr. Ralf Stegner [SPD]) passé, und Nähe zum Kunden ist dann nicht mehr notwendig. Deshalb ist unsere Kritik an den Schlie- Vizepräsidentin Anita Klahn: ßungsplänen auch eine Kritik an der Umstrukturie- Da es in diesem Haus viele neue Abgeordnete gibt, rung und der Neupositionierung der Bundesbank. denke ich, dass solche Fehler verzeihlich sind. Unabhängig von den Beweggründen bedeutet die (Beifall) Schließung der Filialen für Schleswig-Holstein, dass der Norden einen wichtigen Standortfaktor 160 Schleswig-Holsteinischer Landtag (17. WP) - 3. Sitzung - Donnerstag, 19. November 2009

(Vizepräsidentin Anita Klahn)

Die Irritation ist dadurch entstanden, dass das Wort sidenten, Herrn Professor Weber, appelliert, die zur Begründung nicht gewünscht wurde. Das war Schließungspläne zu überdenken sowie eine für alle auf meinem Plan noch vorgesehen. Länder ausgewogene Lösung zu erarbeiten. Diese Forderung hat er in einem Telefonat vom 14. Okto- Ich bitte, dem Vorschlag von Herrn Dr. von Boetti- ber diesen Jahres mit dem Bundesbankpräsidenten cher zu folgen. Herrn Weber nochmals bekräftigt. Es wurde dabei Mit dem Antrag wird ein Bericht vom Minister für darauf hingewiesen, dass für die Wahrung der In- Wissenschaft, Wirtschaft und Verkehr Jost de Jager teressen der schleswig-holsteinischen Wirtschaft, in dieser Tagung erbeten. Wer dem Berichtsantrag der Kreditwirtschaft und die Beschäftigten der Bun- zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. desbankfilialen in der Tat ein Umdenken nötig ist. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Ich stelle fest, dass Eine vollständige Abkehr des Bundesbankvorstan- der Berichtsantrag angenommen worden ist und bit- des von den Schließungsplänen konnte bisher leider te Herrn Minister Jost de Jager um den Bericht. nicht erreicht werden. Die Bundesbank zeigt sich aber nunmehr bereit, die Schließung der Filialen in Jost de Jager, Minister für Wissenschaft, Wirt- Lübeck, in Kiel und in Flensburg um drei Jahre zu schaft und Verkehr: verschieben. Ich habe mir das gestern noch einmal Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich bestätigen lassen. Nach dem jüngsten Vorstandsbe- komme der Aufforderung sehr gern nach und habe schluss der Deutschen Bundesbank bedeutet dies die Erwartung, dass die Mehrheit für den Bericht für Schleswig-Holstein, dass die Filiale in Flens- nach dem Bericht genauso groß sein wird wie vor- burg zum 30. September 2012 geschlossen werden her. soll. Die Filiale in Lübeck soll zum 31. März 2015 und die Filiale in Kiel zum 30. September 2015 ge- In der schriftlichen Begründung des Antrags ist auf schlossen werden. Presseberichte vom 10. September 2009 Bezug ge- nommen worden. Zu lesen war: Sparkurs bei der Nach unserem Kenntnisstand sind von dieser Bundesbank, Filiale Lübeck macht dicht. Im „Ham- Schließung circa 180 Mitarbeiterinnen und Mit- burger Abendblatt“ vom selben Tag hieß es: Die arbeiter in Schleswig-Holstein betroffen. Es sind Bundesbank schließt drei Filialen im Norden. Da- etwa 40 Mitarbeiter in Flensburg, etwa 55 in Lü- nach - und das ist in der Tat so - beabsichtigt die beck und etwa 85 in Kiel betroffen. Nach Aussage Deutsche Bank, bis Ende 2012 Filialen zu schlie- der Bundesbank werde jeder Mitarbeiterin und je- ßen. Nach Auffassung der Bundesbank sollen diese dem Mitarbeiter eine Weiterbeschäftigung angebo- Maßnahmen dazu dienen, sich effizient und modern ten. Betriebsbedingte Kündigungen seien ausge- im Rahmen des europäischen Systems der Zentral- schlossen. Ferner soll es für Tarifbeschäftigte Vor- banken aufzustellen. ruhestandslösungen geben. Mit der zeitlichen Ver- schiebung ist vielleicht ein bisschen Zeit gewonnen Die Landesregierung hat die Presseberichte mit worden, um die eine oder andere Härte abzuwen- großem Befremden zur Kenntnis genommen, denn den. Unter dem Strich bleibt aber festzustellen, dass dies bedeutet, dass mit der Schließung der drei ver- diese 180 Arbeitsplätze für Schleswig-Holstein ver- bleibenden Filialen in Flensburg, Lübeck und Kiel loren sein werden. alle Filialen in Schleswig-Holstein geschlossen würden. Das ist eine Situation, die sonst in keinem Ein Aufgabenschwerpunkt der Bundesbankfilialen Bundesland eintreten wird. Wenn dies eintreten ist die Versorgung der Wirtschaft mit Eurobargeld. würde, dann gäbe es drei Bundesländer, die keine Laut Bundesbank wird die Bargeldversorgung Bundesbankfiliale mehr hätten. Neben uns als Flä- nach wie vor in gewohnter Qualität gewährleistet chenland wäre dies das Land Brandenburg, anson- bleiben. Dies könne mit einer Effizienzsteigerung sten die Stadt Bremen. Alle anderen Bundesländer bei der Geldbearbeitung durch einen stärkeren Ein- würden weiter über Bundesbankfilialen verfügen. satz von vertrauenswürdigen und zuverlässigen Pri- In Mecklenburg-Vorpommern zum Beispiel sind vatunternehmen - so die Bundesbank - erreicht wer- keine Filialschließungen vorgesehen. Im Raum den. Niedersachsen ist nur eine Schließung vorgesehen, Es ist in der Tat so, dass die Bundesbank jahrzehn- und das ist die Schließung in Bremen. telange Erfahrungen mit der Bargeldversorgung Der Ministerpräsident hat sofort nach Bekanntwer- durch private Geldtransporte gemacht hat. Inso- den der Schließungsabsichten mit einem Schreiben fern gibt es keinen Grund anzunehmen, dass die vom 11. September 2009 an den Bundesbankprä- Bargeldversorgung durch Privatleute nicht gewähr- leistet werden kann. Ich bleibe aber ebenso wie die Schleswig-Holsteinischer Landtag (17. WP) - 3. Sitzung - Donnerstag, 19. November 2009 161

(Minister Jost de Jager)

Landesregierung bei meiner kritischen Haltung, Peter Sönnichsen [CDU]: denn der kritische Punkt ist ein anderer. Wenn diese Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Schließungspläne tatsächlich Wirklichkeit werden Sehr verehrte Damen und Herren! Es ist bereits al- sollten, dann würde die Bargeldversorgung künftig les gesagt, aber noch nicht von allen. Sehr geehrter für ganz Schleswig-Holstein allein aus Hamburg er- Herr Kollege Harms, daher werde ich einige Punkte folgen. Dies bedeutet für die privaten Unternehmen wiederholen, damit die Reihenfolge passt. längere Anfahrtswege. Es ist zu befürchten, dass dies zu Kostensteigerungen führt, die sich mittel- Im Namen der CDU-Fraktion danke ich Ihnen, Herr bar und unmittelbar auf die Unternehmen und die Minister, an dieser Stelle zunächst für Ihren Be- Endverbraucher auswirken würden. Ich werde da- richt. In der Tat, die Überlegungen der Deutschen her auch nach dieser Debatte erneut das Gespräch Bundesbank sind - jedenfalls nach dem jetzigen In- mit dem Bundesbankpräsidenten suchen und ihm formationsstand - indiskutabel. Wenn Änderungen verdeutlichen, dass eine Kostenverlagerung der erfolgen, dann bedürfen diese einer ausgewogenen Deutschen Bundesbank zulasten der Wirtschaft und Länderlösung. der Endverbraucher in Schleswig-Holstein nicht zu Meinen Ausführungen bewusst voranstellen will akzeptieren ist. ich die Feststellungen, dass auch wir über Struktur- (Beifall bei CDU, SPD und SSW) reformen, Privatisierung und Konzentrierung von Aufgaben beraten haben und auch weiterhin bera- Im Übrigen sind weitere regionalwirtschaftliche ten müssen; hoffentlich mit konkreteren Ergebnis- Folgen der Filialschließungen nur schwer abzu- sen als bisher. Auch wir werden an der einen oder schätzen. Ich möchte darauf hinweisen, dass ich die anderen Stelle Einsicht verlangen müssen und auch Einschätzung von Herrn Harms teile, dass wir an uns gerichtete Einsichtsverlangen gelten lassen durch diese Entscheidung - und wir kennen das aus müssen. In diesem Sinne ist moderat, aber nach- anderen Entscheidungen auch - neben einem Ost- drücklich zu verhandeln. West-Gefälle zunehmend auch ein Nord-Süd-Ge- fälle bekommen. Ich kann die Information bestäti- Meinen anfänglichen Dank für den Bericht will ich gen, dass die Filiale Augsburg nicht geschlossen gern um den Dank an Sie, Herr Ministerpräsident, werden soll. Man fragt sich, was Augsburg hat, das ergänzen. Sie haben unverzüglich nach Bekanntga- Flensburg, Kiel oder Lübeck nicht haben. Es gibt be der Überlegungen - wieder einmal waren es nur aus meiner Sicht keinen Grund, bei einer Schlie- Pressemeldungen - den direkten Draht zur Bundes- ßung von Filialen, die in der Tat angedacht wird, bank gesucht. Herr Minister de Jager, Ihnen danke unterschiedliche Bundesländer mit zweierlei Maß ich für die veranlassten und angekündigten Maß- zu messen. Es gibt keinen Grund, warum der Nor- nahmen. den eine bundesbankfreie Zone werden soll, wäh- (Beifall bei CDU und FDP) rend andere Flächenländer es nicht sind. Aus die- sem Grund würde ich mich freuen, wenn es uns Der Status wurde hier zweimal bekanntgegeben: möglich sein sollte, mit Unterstützung des Landtags Während die drei Standorte in Schleswig-Holstein weiter dafür zu kämpfen, dass möglichst alle Filia- geschlossen werden sollen, ist in Niedersachsen len - mindestens aber eine Filiale - der Bundesbank und in Mecklenburg-Vorpommern das Schließen in Schleswig-Holstein erhalten bleiben. von Filialen nicht geplant. Das Nord-Süd-Gefälle, das wir an sich schon der Vergangenheit zugeord- (Beifall bei CDU, FDP und SSW) net hatten und das auch nicht mehr der Entwicklung in Deutschland gerecht wird, wird hier wieder deut- Vizepräsidentin Anita Klahn: lich sichtbar. Selbst wenn man einer Verringerung Damit wir nach den Formalien wieder in die richti- der Zahl der Filialen in der Sache zustimmen wür- ge Reihenfolge der Redner kommen, frage ich de, ist nicht einzusehen, weshalb in Schleswig-Hol- Herrn Harms sicherheitshalber, ob er noch einmal stein alle, in anderen Ländern dagegen keine das Wort haben möchte. Zweigniederlassungen geschlossen werden sollen. (Lars Harms [SSW]: Frau Präsidentin, Nein. (Vereinzelter Beifall bei CDU, FDP, BÜND- Herr Minister de Jager ist auf meine Rede NIS 90/DIE GRÜNEN und SSW) eingegangen. Mehr kann ich nicht erwarten.) Auch der Deutschen Bundesbank sollte bekannt - Vielen Dank. Dann hat Herr Sönnichsen von der sein: Wir arbeiten gut mit Hamburg zusammen, wir CDU das Wort. sind aber nicht das nördliche Anhängsel. 162 Schleswig-Holsteinischer Landtag (17. WP) - 3. Sitzung - Donnerstag, 19. November 2009

(Peter Sönnichsen)

Das Thema der Bundesbankfilialen ist unter folgen- Vizepräsidentin Anita Klahn: den Stichworten zu betrachten: Föderalismus. Die Herr Abgeordneter Rother von der SPD hat das Chancengleichheit der Bundesländer muss gewahrt Wort. bleiben. Es ist unter dem Stichwort der Ar- beitsplätze zu betrachten. Übergangsfristen, Alters- teilzeit und Vorruhestandsregelungen sind nur be- Thomas Rother [SPD]: dingt geeignet, die Nachteile auszugleichen. Es ist Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen auch unter dem Stichwort Kostenverlagerung zu und Kollegen! Mit diesem Berichtsantrag hat der betrachten, denn es hilft nicht, wenn die Institution SSW nicht nur die Situation an den von einer Bundesbank Kosten spart, der Kunde diese aber Schließung bedrohten Filialstandorten der Deut- über die Servicekosten der Kreditinstitute und der schen Bundesbank in Flensburg 2012 und in Kiel privaten Dienstleister zusätzlich bezahlen muss. und in Lübeck 2015 aufgegriffen, eben nicht nur Und es ist unter dem Stichwort Entfernungen zu ein regionales Problem, sondern ein Problem, das betrachten. Die spielen in Schleswig-Holstein die für das gesamte Bundesland Schleswig-Holstein gleiche Rolle wie in Bayern oder in Baden-Würt- besteht, benannt. Die Terminverschiebung bei den temberg. Schließungen mag zwar bei dem Übergang von (Vereinzelter Beifall bei FDP und SSW) Mitarbeitern behilflich sein, macht es aber nicht besser und löst auch nicht das Problem, das wir ha- Den Überlegungen hinsichtlich der Übertragung ben. von Aufgaben der BaFin an die Bundesbank oder auch der Konzentration der Aufgaben der BaFin Durch die beabsichtigte Schließung der Filialen will ich mich hier im Moment nicht anschließen. sind erhebliche Nachteile nicht nur für die betrof- fenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, sondern Ich sage vielmehr: Das Wichtigste in dieser ganzen auch für die Bargeldversorgung und andere damit Angelegenheit ist die Bargeldversorgung für unse- im Zusammenhang stehenden Serviceleistungen - re Wirtschaft. Denn Bargeld kann man immer noch wie die Bestückung von Geldausgabeautomaten; nicht mailen oder faxen. das macht die Bank im Wesentlichen nicht mehr Die Wirtschaft in Schleswig-Holstein hat sich ge- selber - für die Wirtschaftsunternehmen, insbe- rade in der Krise als robuster erwiesen als anders- sondere für die Kreditwirtschaft und den Einzelhan- wo, weil sie mittelständischer geprägt, weil sie del, in ganz Schleswig-Holstein zu erwarten. kleinteiliger ist. Dieser Kleinteiligkeit muss aber Der SSW hat in seiner Antragsbegründung recht - auch durch kurze Wege und schnelle Geldversor- auch Minister de Jager hat darauf hingewiesen -, gung Rechnung getragen werden. ein Rückzug der Bundesbank aus der Fläche und Verehrter Kollege Harms, ich kann der Vorlage damit auch aus bislang öffentlichen Aufgabenfel- keinen Antrag oder Resolutionsentwurf entnehmen. dern würde wahrscheinlich zu Kostenverlagerun- Insofern ist der Berichtsantrag, wenn wir alle gere- gen zu Lasten der örtlichen Wirtschaft und damit det haben, erledigt. Es sei denn, es werden noch an- indirekt der Verbraucher führen, denn die Trans- dere Anträge gestellt. port- und Versicherungskosten für solche Transpor- te sind sehr hoch. Mein Resumee: Die Entscheidung liegt nicht in un- serem Ermessen. Wir haben uns für eine Regelung Die Schließung aller verbliebenen Bundesbankfilia- einzusetzen, die unserem Land gerecht wird. Es len in Schleswig-Holstein würde zudem - es ist kann nicht sein, das Schleswig-Holstein einziges schon mehrfach darauf hingewiesen worden - zu ei- Bundesland im Norden ohne Bundesbankfiliale nem erheblichen Ungleichgewicht bei der regiona- wird. len Präsenz der Bundesbank innerhalb der Bundes- republik führen. So wäre die Bundesbank beispiels- (Beifall bei CDU und FDP sowie vereinzelt weise in Mecklenburg-Vorpommern mit nur bei SPD und SSW) 1,7 Millionen Einwohnern weiterhin an zwei Stand- Die Bearbeitung dieses unseres berechtigten Anlie- orten vertreten, in Rostock und in Neubrandenburg, gens liegt in guten Händen. Herr Minister, bleiben während im wesentlich bevölkerungsstärkeren Sie so forsch, moderat und hartnäckig, wie wir Sie Schleswig-Holstein - wir haben gut 2,8 Millionen. kennengelernt haben, dann werden Sie erfolgreich Einwohner - überhaupt keine Bundesbankfiliale sein. mehr zu finden wäre. Und es ist kaum zu glauben, dass die Wirtschaftskraft und damit auch der Bedarf (Beifall bei CDU und FDP) Schleswig-Holsteinischer Landtag (17. WP) - 3. Sitzung - Donnerstag, 19. November 2009 163

(Thomas Rother) in Mecklenburg-Vorpommern höher sein soll als in ist und bleibt eine hoheitliche und damit staatliche Schleswig-Holstein. Aufgabe. Das ist die Kernaufgabe der Bundesbank- filialen. Ich möchte damit jetzt keine Front zu Mecklen- burg-Vorpommern aufbauen, denn die Frontlinie Es ist gut, dass sich Herr Minister de Jager über das verläuft tatsächlich im Nord-Süd-Bereich. Denn die Vorgehen der Bundesbank empört hat, denn diese Schließungspläne sollen nicht nur in Bayern, son- Entscheidung sollte ohne jede Rücksprache mit der dern auch in Baden-Württemberg jetzt einge- Landesregierung auf den Weg gebracht werden. schränkt werden - das aber nicht aufgrund der star- Aber es ist natürlich nicht nur das, dass man nicht ken Umsatzzahlen dort, sondern das liegt anschei- informiert worden ist, sondern diese Maßnahmen - nend eher darin begründet, dass gewisse Vorstands- wenn sie denn kommen sollten - laufen den Interes- mitglieder dort quasi ihre Heimat haben und sich sen unseres Landes entgegen. mit ihren örtlichen Honoratioren nicht anlegen mö- (Beifall bei der SPD, vereinzelt beim SSW gen. Daher ist das Handeln der Bundesbank unter und Beifall des Abgeordneten Peter Lehnert diesem regionalen Blickwinkel völlig unschlüssig. [CDU]) Ich denke, wesentlich ist auch der wirtschaftsbezo- gene Blickwinkel, der ebenso wenig schlüssig ist. Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist nur noch wenig Zeit bis zur abschließenden Entscheidung Selbst die Wirtschafts- und Bankenverbände - und der Bank. Die ist für Anfang Dezember angekün- die sind der Förderung des Staatsinterventionismus digt worden. Eigentlich hätten wir über den Be- eigentlich gänzlich unverdächtig - haben dagegen richtsantrag des SSW hinaus einen Antrag beschlie- protestiert, dass die Wege immer weiter werden ßen sollen, in dem wir die Bundesbank auffordern, sollen, und sind große Befürworter staatlicher von den Filialschließungen, von den Schließungs- Aufgabenwahrnehmung der Bargeldbearbeitung plänen, Abstand zu nehmen. Es wäre vielleicht bes- in diesem Bereich - es geht hier nämlich auch um ser gewesen, so etwas zu beschließen. Aber - so wie ein Stück Privatisierung -, insbesondere nach dem Herr de Jager das auch dargestellt hat - es ist gut, Heros-Geldtransport-Skandal, bei dem Gelder ver- dass er mit Nachdruck gegen diese Schließungsplä- untreut wurden. Dazu kommt, dass beispielsweise ne aktiv wird. Das ist gut, und unsere Unterstützung eine Bundesbankfiliale wie die Lübecker erst vor dabei hat er. wenigen Jahren für rund 27 Millionen € erweitert und modernisiert wurde. Es wurde nicht nur ins Ge- (Beifall bei SPD und FDP sowie vereinzelt bäude investiert, sondern auch in Maschinen zur bei CDU und FDP) Bargeldprüfung. Die sind verdammt teuer. Das kann bis jetzt nach den AfA-Tabellen noch nicht Vizepräsidentin Anita Klahn: abgeschrieben sein. Die Bundesbank benimmt sich hier nicht nur wie ein bedenkenloser Sanierer, son- Herr Abgeordneter Kumbartzky von der FDP-Frak- dern auch wie ein gedankenloser Sanierer. tion hat das Wort. Aber es ist natürlich richtig, wenn die Bundesbank Oliver Kumbartzky [FDP]: über Konsequenzen daraus nachdenkt, dass immer mehr Zahlungsvorgänge bargeldlos erfolgen oder Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen dass Formulare für Außenhandelsgeschäfte durch und Kollegen! Wie sie wissen, will die Bundesbank einen schlichten Download zu haben sind und nicht zur Kostensenkung bis Ende 2012 rund ein Drittel mehr abgeholt werden müssen - wie es früher ein- ihrer Filialen in Deutschland schließen. Nach den mal der Fall gewesen ist - beziehungsweise durch Plänen des Vorstands sollen 13 von 47 Filialen ge- die EU-Erweiterung schlicht überflüssig geworden schlossen beziehungsweise zusammengelegt wer- sind. Lieber Kollege Harms, dies hat erst einmal den. Für Schleswig-Holstein würden die Pläne kon- nichts mit der Bankenaufsicht zu tun. Dort hat sich kret die Schließung aller drei Filialen in Kiel, Lü- ganz einfach das Kundenverhalten geändert. beck und Flensburg bedeuten. Aber der wesentliche Punkt bei den Aufgaben der Sollten die Schließungen wie ursprünglich geplant Bundesbankfilialen ist tatsächlich die Bargeldver- beziehungsweise berichtet ablaufen, wäre Schles- sorgung. Das ist der Kern der Sache. Die Versor- wig-Holstein neben Brandenburg ab 2015 das ein- gung mit Geld, die Prüfung der Banknoten gehört zige Flächenbundesland, das ohne eine Filiale der dazu, auch die Vernichtung von nicht mehr brauch- Bundesbank auskommen müsste. Dies kann mit Si- barem Geld - das mag manche hier tief treffen, das cherheit weder im Interesse der Landesregierung mögen sich manche vielleicht gar nicht vorstellen - noch im Interesse des Landtags sein. 164 Schleswig-Holsteinischer Landtag (17. WP) - 3. Sitzung - Donnerstag, 19. November 2009

(Oliver Kumbartzky)

(Beifall bei FDP und CDU) gebener Zeit im zuständigen Fachausschuss auf die Tagesordnung setzen, um uns weiter mit dieser Und es kann schon gar nicht im Interesse der Geld- Thematik zu beschäftigen. Wir sollten dem Minis- wirtschaft unseres Landes sein. Insofern begrüße terium auf diesem Weg die Möglichkeit einräumen, ich es natürlich ausdrücklich, dass die Landesregie- uns weiterhin über die bislang geführten Gespräche rung umgehend aktiv wurde. Dass die Südländer zu informieren. Denn was die Landesregierung von Bayern und Baden-Württemberg weitgehend von der Bundesbank zu Recht fordert, nämlich laufend Schließungen verschont bleiben, möchte ich an die- über den Prozess informiert zu sein, muss auch für ser Stelle nicht weiter kommentieren. Nichtsdesto- den Landtag gelten. trotz sollte man sich aber an anderer Stelle einmal ernsthaft über das Nord-Süd-Gefälle unterhalten. (Beifall bei FDP und CDU sowie der Abge- ordneten Dr. Ralf Stegner [SPD], Monika Aber zurück zur Bundesbank: Der Bericht hat ge- Heinold [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] und zeigt, dass die Landesregierung bereits unabhängig Silke Hinrichsen [SSW]) von dem hier vorliegenden Antrag in konstruktive Gespräche mit der Bundesbank gegangen ist und sie alles daran setzen wird, dass zumindest nicht al- Vizepräsidentin Anita Klahn: le Filialen in Schleswig-Holstein geschlossen wer- Frau Strehlau von der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE den. Das hat einen guten Grund, denn die Schlie- GRÜNEN hat das Wort. ßung der Filialen hat eine Reihe von Nachteilen, angefangen bei den Nachteilen für die Mitarbeiter, Ines Strehlau [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: über die Nachteile für Verbraucher und Wirtschaft bis hin zu möglichen Engpässen bei der Bargeld- Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die versorgung. Landesregierung hat über ihr Umgehen mit der Schließung der Bundesbankfilialen berichtet und Bereits die Schließungswellen der vergangenen erklärt, dass sie sich für den Erhalt wenigstens eines Jahre - von 200 auf 47 Filialen - haben - so kritisiert Standortes einsetzen wird. Wir betrachten diesen beispielsweise der Zentrale Kreditausschuss ZKA - Bericht als ehrlich und ausgewogen und bedanken zu einer deutlich schlechteren Verfügbarkeit des uns dafür. Dienstleistungsangebots und punktuell sogar zu unzumutbaren Zuständen in der Abwicklung ge- (Beifall) führt, die immer noch nicht behoben sind. Eine Meine Vorredner haben zur Schließung der Bun- weitere Ausdünnung des Filialnetzes würde diese desbankfilialen schon vieles gesagt und die Fakten Zustände weiter verschlechtern. Qualitätseinbußen dargestellt. Ich muss sie nicht alle wiederholen und bei Bargeldversorgung und -entsorgung sowie bei will es auch nicht tun. Wir haben die gleichen Din- einer effizienten Bargeldlogistik wären zwangsläu- ge recherchiert wie Sie, meine Kolleginnen und fig. All dies führt in der Konsequenz nicht nur zu Kollegen, haben die gleichen Internetseiten besucht höheren Kosten für die Bargeldakteure außerhalb und das Gleiche herausgefunden. Was uns aber un- der Bundesbank, sondern auch zur weiteren Ver- terscheidet, sind die Schlüsse, die wir aus den Fak- schlechterung der Versorgungsqualität. ten ziehen. Ein weiterer, sehr triftiger Grund aber, sich dafür Für die grüne Fraktion möchte ich dazu Folgendes einzusetzen, die Schließung aller Filialen in Schles- anmerken: Die Aufgaben der Bundesbank - wir wig-Holstein zu verhindern, ist folgender: Die Bun- haben es gehört - haben sich in den letzten Jahren desregierung hat - auf Vorschlag der FDP - be- in wichtigen Bereichen verändert, maßgeblich schlossen, das Aufgabenspektrum der Bundes- durch die Einführung des Euro. Die Bundesbank bank zu erweitern. Künftig soll auch die Banken- hat Aufgaben an die Europäische Zentralbank abge- aufsicht von der Bundesbank übernommen werden. geben, und es sind Aufgaben durch die einheitliche Schon allein vor diesem Hintergrund wäre eine Währung weggefallen. Auch die Weiterentwick- Schließung sämtlicher Filialen in Schleswig-Hol- lung der maschinellen Bearbeitung von Bargeld stein mehr als kontraproduktiv. führt zu einem geringeren Bedarf an Arbeitskräften. (Beifall bei FDP und CDU) Dies sind strukturelle Veränderungen, vor denen Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Bericht des wir als Politik nicht die Augen verschließen kön- Wirtschaftsministers hat gezeigt, dass alles unter- nen. Deshalb sprechen wir uns nicht pauschal ge- nommen wird, um die Schließung zu vermeiden. gen die Schließung von Filialen aus, wohl aber da- Wir sollten das Thema nichtsdestotrotz gern zur ge- gegen - wie es auch von den anderen Fraktionen Schleswig-Holsteinischer Landtag (17. WP) - 3. Sitzung - Donnerstag, 19. November 2009 165

(Ines Strehlau) schon gesagt wurde -, dass durch die Reduzierung (Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der Filialstandorte ganz Schleswig-Holstein zu ei- SPD, der LINKEN und SSW) nem weißen Fleck werden soll. (Beifall) Vizepräsidentin Anita Klahn: Das ist für uns völlig inakzeptabel. Schleswig-Hol- Herr Abgeordneter Schippels hat das Wort. stein wäre neben Brandenburg das einzige Flächen- land ohne Bundesbankfiliale, während Baden- Ulrich Schippels [DIE LINKE]: Württemberg zum Beispiel fünf Filialen plus eine Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zwei Hauptverwaltung behält. Das Nord-Süd-Gefälle, Bemerkungen vorweg! Erstens bin ich erstaunt, von dem wir ja schon gehört haben, lässt grüßen. dass hier gesagt wird, der liebe Norden werde ge- Auch der Einzelhandel beklagt sich - so sehen wir genüber dem Süden benachteiligt. Wir sind gegen es - zu Recht über die Schließung aller Filialen in die Schließung der Bundesbankfilialen - ob in Schleswig-Holstein. Doch nicht nur die Wirtschaft Schleswig-Holstein oder anderswo. Denn die Pro- würde unter der Schließung aller Filialen leiden, bleme, die wir in Schleswig-Holstein haben, gibt es ebenso die Privatkunden, auch wenn sie nicht den auch woanders. Hauptgeschäftsanteil ausmachen, und vor allen Zweitens wird gesagt - wir haben uns ja alle lieb -: Dingen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Es Weiter so, Herr de Jager solle weiter für den Erhalt soll zwar keine betriebsbedingten Kündigungen ge- in Schleswig-Holstein kämpfen. Die erste Botschaft ben, aber für eine Mitarbeiterin aus Flensburg wäre von der Schließung stammt nicht vom 10. Septem- es eine weitaus größere Härte, einen Arbeitsplatz in ber 2009, sondern kam am 9. September 2009 in Hamburg annehmen zu müssen, als beispielsweise der „Tagesschau“. Offensichtlich waren Sie da im in Kiel. Wahlkampf unterwegs und haben das nicht mitge- Wir Grüne sehen den Bedarf, Strukturen effizienter kriegt. Dieser Zustand hat dann offensichtlich noch zu gestalten. Was wir aber ablehnen, ist der Weg ein bisschen länger angehalten, denn während ande- der Verlagerung von Bundesbankaufgaben in die re Bundesländer und Vertreter der Regierung auch private Wirtschaft. öffentlich protestiert haben, sind Sie erst ziemlich spät tätig geworden. Zum Glück haben wir ja jetzt (Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN einen Aufschub an der einen oder anderen Stelle. sowie der Abgeordneten Dr. Ralf Stegner Was allerdings überhaupt nicht akzeptabel ist, ist, [SPD] und Silke Hinrichsen [SSW]) dass der Standort Flensburg schon 2012 dichtge- Private Werttransportunternehmen erfüllen nicht macht werden soll. Es ist nicht akzeptabel, dass der die sicherheitstechnischen, finanziellen und auf- überhaupt dichtgemacht werden soll. sichtsrechtlichen Voraussetzungen, um diese Auf- (Beifall bei der LINKEN und der Abgeord- gabe zu übernehmen. Der Skandal um die neten Silke Hinrichsen [SSW]) Geldtransportfirma Heros hat dies eindringlich ge- zeigt. Es scheint bei vielen zu einem Reflex gewor- Es ist aber schön, dass Sie jetzt aktiv werden wol- den zu sein, Aufgaben an die Privatwirtschaft abzu- len. geben, anstatt im eigenen Haus oder mit anderen Der zentrale Kreditausschuss - der Kollege von der gemeinsam Konzepte zu entwickeln, wie man Effi- FDP hat das gesagt -, die Spitzenverbände der deut- zienzsteigerungen ohne Privatisierung erreicht. schen Kreditwirtschaft, haben kritisiert, dass es bei (Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der bisherigen Streichung von Filialen - ihre Zahl SPD und des Abgeordneten Lars Harms wurde inzwischen ja schon von 200 auf 47 herun- [SSW]) tergestrichen - punktuell zu unzumutbaren Zu- ständen gekommen ist und der gesetzliche Auftrag Diese Konzeptentwicklung erwarten wir von der nicht immer erfüllt werden konnte. Der Hauptver- Bundesbank, die hoheitliche Aufgaben erfüllt und band des Deutschen Einzelhandels - das wurde vom ein wichtiger Stützpfeiler unseres Finanzsystems SSW bemerkt - befürchtet lange Wartezeiten und ist. Somit hat die Bundesbank eine gesamtwirt- erhöhte Kosten für die Randregionen, zu denen schaftliche Verantwortung und darf nicht nur nach auch Schleswig-Holstein gehört - höhere Kosten, betriebswirtschaftlichen Überlegungen entscheiden. weil Private die Bargeldversorgung teilweise über- Wir hoffen, dass die Landesregierung die Bundes- nehmen sollen, letztlich bis hin zu den Inseln. bank in diese Richtung beraten wird. 166 Schleswig-Holsteinischer Landtag (17. WP) - 3. Sitzung - Donnerstag, 19. November 2009

(Ulrich Schippels)

Nun sollen alle drei Bundesbankfilialen in Schles- Vizepräsidentin Anita Klahn: wig-Holstein geschlossen werden - das hat auch Frau Hinrichsen vom SSW hat das Wort. Herr de Jager gesagt -, und wir wären dann neben Brandenburg und Bremen das Bundesland ohne ei- ne solche Filiale. Das wird von der Bundesbank Silke Hinrichsen [SSW]: auch damit erklärt, dass es eine stärkere Effizienz Frau Präsidentin! Herr de Jager, herzlichen Dank geben soll. Der Sprecher der Bundesbank, Andreas für Ihren Bericht. Ich finde es interessant: Wenn Funke, hat gesagt, künftig würde sich der Aktions- man nichts zu meckern findet, sagt man, es hätte radius der weiter bestehenden Bundesbankfilialen noch ein Antrag mehr dazugehört. Wenn ich mir auf etwa 75 km erweitern. Die Bundesbankverant- gestern und heute Morgen angucke, wie viele Än- wortlichen sollten einmal auf die Landkarte von derungsanträge ich auf den Tisch bekommen habe, Schleswig-Holstein schauen: 75 km von Hamburg wundere ich mich etwas, dass die Kritik jetzt lautet: nach Sylt, Flensburg oder Fehmarn? Auch wir wis- Ihr habt einen schönen Antrag gestellt, der Bericht sen, dass Schleswig-Holstein nicht das größte Bun- ist von Herrn de Jager dazu gegeben worden, aber desland ist, aber ganz so klein sind wir nun auch ihr hättet doch! Ich muss ganz ehrlich sagen, das ist nicht. Herr de Jager, wenn Sie noch einmal mit der etwas bedauerlich, denn alle scheinen die Problem- Bundesbank sprechen, geben Sie ihnen doch einmal lage hier in Schleswig-Holstein erkannt zu haben. eine Landkarte von Schleswig-Holstein mit, und weisen Sie darauf hin, dass wir von der Ausdeh- (Beifall bei SSW, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- nung her doch ein ziemlich großes Bundesland NEN und der LINKEN) sind! Die Kreistage in Nordfriesland und Schleswig- Ich hoffe, dass wir dazu kommen werden, dass wir Flensburg haben bereits eine Resolution zum Erhalt in Schleswig-Holstein weiter drei Standorte haben der Bundesbankfiliale in Flensburg verabschiedet. werden. Auch die Ratsversammlung in Lübeck hat das für ihre Filiale selbstverständlich schon getan. (Zuruf der Abgeordneten Monika Heinold [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] - Hans-Jörn (Zuruf der Abgeordneten Antje Jansen [DIE Arp [CDU]: Die Inseln müssen auch eine ha- LINKE]) ben!) - Ja, das haben die anderen auch schon gemacht. - Drei, wie bisher. Bisher funktioniert die Versor- Man muss mit seinen Kolleginnen und Kollegen gung mit Bargeld offensichtlich relativ gut. Wenn einmal sprechen. Die Ratsversammlung in Flens- dem nicht mehr so sein sollte, hoffe ich, dass die burg wird dies auch tun. Landesregierung entsprechend aktiv wird, um die Die Bargeldversorgung ist wichtig für die Bevölke- Situation zu verbessern. rung, nämlich auch für die „Entsorgung“ von Bar- Ich hätte mir heute eine klare Botschaft dieses Lan- geld. In Deutschland, insbesondere in Schleswig- desparlaments an die Bundsbank gewünscht, die Holstein ist es noch üblich, mit Bargeld zu bezah- sagt: Ja, wir wollen, dass alle drei Filialen, die wir len. Das ist vielleicht etwas erstaunlich. Aber das in Schleswig-Holstein haben, erhalten bleiben. Das ist der Grund, aus dem wir die Filialen brauchen, würde helfen. insbesondere die in Flensburg. Flensburg liegt näm- lich nicht 75 km von Hamburg entfernt. (Monika Heinold [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Dann müssen Sie einen Antrag stel- Wenn ich mich recht entsinne, gibt es auf den In- len!) seln Sylt, Amrum und Föhr auch Geschäfte. Die nehmen auch noch Bargeld entgegen. Ich finde es - Wir sollen einen Antrag stellen? Wir sind ja noch ganz toll, dass man dort noch bar bezahlen kann ein bisschen neu. Wollen wir noch einen Antrag und nicht nur mit Scheckkarte. - Ich will heute stellen? nicht noch eine Diskussion über Scheckkarten auf- (Zurufe) machen. Können wir das mündlich machen oder schriftlich, Herr de Jager, mir ist Folgendes noch ganz wichtig. oder wollen wir einfach abstimmen? Die Stadtkasse in Flensburg ist ebenso wie die in Lübeck geschlossen worden. Das führt für Men- Wie gesagt, wir wären dafür. schen, die kein Bankkonto haben, zu folgendem (Beifall bei der LINKEN) Problem: Sie müssen manchmal trotzdem Steuern bezahlen oder andere Zahlungen leisten, beispiels- Schleswig-Holsteinischer Landtag (17. WP) - 3. Sitzung - Donnerstag, 19. November 2009 167

(Silke Hinrichsen) weise Abzahlungen. Das Bargeld, das sie an eine Antrag der Fraktion der SPD öffentliche Kasse zahlen, können sie direkt und Drucksache 17/56 kostenfrei bei der Bundesbank einzahlen. Als Bei- spiel möchte ich eine Frisöse in Flensburg benen- Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das nen, die umsatzsteuerpflichtig ist und auch Umsatz- ist nicht der Fall. Dann eröffne ich die Aussprache. steuer zahlt. Sie kann zur Bundesbank gehen und Wie mir gesagt wurde, hat jetzt in der Regel der dort die Umsatzsteuer einzahlen, ohne irgendwel- Antragsteller das Wort. Deshalb erteile ich Herrn che Kosten dafür zu tragen. Alle anderen Banken, Abgeordneten Tietze von den Grünen das Wort. Sparkassen und Ähnliches nehmen, insbesondere bei Nichtkunden, erhebliche Beträge, weil die Bar- Andreas Tietze [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: geldverarbeitung bei ihnen so viel Geld kostet. Verehrtes Präsidium! Meine Damen und Herren! Das ist ein Endverbraucherproblem, über das wir Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Flughafen schon öfter diskutiert haben. Es gibt inzwischen Lübeck-Blankenese ist und bleibt ein Fass ohne Bo- auch Menschen, die gar kein Konto mehr erhalten. den. Ich finde es gut, wenn es im gesamten Land verteilt (Heiterkeit und Beifall) die Möglichkeit gibt, Bargeld einzuzahlen, damit die öffentliche Kasse ihr Geld rechtzeitig bekommt, - Blankensee! Super, ich habe gleich mit einem ohne dass man dafür extra 5 € zahlen muss. Versprecher begonnen. Ist doch toll. Da habe ich gleich an Hamburg gedacht. Das ist auch richtig so, (Beifall beim SSW) denn der Hamburger Flughafen ist vielleicht eine Dieses Gefälle für Verbraucher wird nicht aufge- Alternative zum Lübecker. löst, indem die Verbraucher nunmehr nach Ham- (Zuruf des Abgeordneten Wolfgang Baasch burg fahren. Ich weiß nicht, ob jemand weiß, was [SPD]) eine Zugfahrkarte nach Hamburg kostet. Im Mo- ment haben wir die Möglichkeit der kostenlosen Er ist keine Erfolgsstory, sondern vernichtet jedes Bargeldeinzahlung. Für die Endverbraucher ist es Jahr öffentliche Mittel in Millionenhöhe, die an ganz, ganz wichtig, dass sie auch weiterhin ihr Bar- anderer Stelle dringend gebraucht werden. Es ist geld kostenlos in den Filialen einzahlen können. schon dramatisch, was der gebeutelte Lübecker Insbesondere bin ich für den Erhalt der Filiale in Stadthaushalt alles aushalten muss. Solange der An- Flensburg. bieter Ryanair der maßgebliche Nutzer von Lü- beck-Blankensee ist, solange wird die Flughafenge- (Beifall beim SSW und des Abgeordneten sellschaft permanent rote Zahlen schreiben. In der Dr. Robert Habeck [BÜNDNIS 90/DIE gleichen Sekunde, in der Ryanair kostendeckend GRÜNEN]) Flughafengebühren zahlen soll, wird Ryanair den Standort verlassen. Vizepräsidentin Anita Klahn: Ich habe heute mit Interesse die Presse gelesen. Ich Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Ich möchte aus einer Presseerklärung vorlesen, damit schließe damit die Beratung und stelle zunächst wir wissen, mit welch einer Fluggesellschaft die fest, dass der Berichtsantrag in der Drucksache Lübecker zusammenarbeiten. Die Pressesprecherin 17/25 durch die Berichterstattung der Landesregie- von Ryanair hat sich auf die „Tieffluggeschichte“ rung seine Erledigung gefunden hat. Es ist kein An- bezogen, über die vor einigen Tagen berichtet wur- trag gestellt. Der Tagesordnungspunkt ist damit er- de. Die alte Dame ist mittlerweile im Krankenhaus, ledigt. und ich finde, es gehört sich, dass der Landtag ihr Ich rufe Tagesordnungspunkt 19 auf: von dieser Stelle aus die besten Genesungswünsche schickt, denn sie ist tatsächlich schwer erkrankt. Keine Landesmittel für den Ausbau des Flug- (Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) platzes Lübeck-Blankensee Die Sprecherin von Ryanair wird in der Presse zi- Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN tiert: Drucksache 17/27 „Es werde weder eine Kontaktaufnahme zu der betroffenen Rentnerin noch eine Begut- achtung der Schäden am Haus der Grönaue- Arbeitsplätze gehen vor: Landesmittel für den Flughafen Blankensee 168 Schleswig-Holsteinischer Landtag (17. WP) - 3. Sitzung - Donnerstag, 19. November 2009

(Andreas Tietze)

rin geben. Auch eine Kulanzzahlung sei nicht bindlichkeit, gilt für die ganze Legislaturperiode vorgesehen …“ und hütet vielleicht auch davor, dass Sie, Herr de Jager, nicht vielleicht doch noch in Versuchung Das ist eine abfällige „Denke“. Das ist Heu- kommen, über eine Beteiligung nachzudenken. schreckenrhetorik. Ich kann mir vorstellen, wie Ryanair mit Lübeck verhandelt. Ich möchte auch auf den SPD-Antrag eingehen. Meine Damen und Herren, Sie haben auf Ihrem (Vereinzelter Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE letzten Parteitag gesagt, Sie wollten bei Ihnen so GRÜNEN und der LINKEN) ein bisschen renovieren und einige Räume sollten War es wirklich überraschend, dass der Investor grün gestrichen werden. Ich habe nicht verstanden, Infratil seinen 29-%-Anteil an der Flughafen dass Sie sich in Ihrem Antrag so deutlich für eine GmbH wieder an die Stadt Lübeck zurückgab? - Im Finanzierung des Flughafens aussprechen. Das hat Ernst glaubt das doch niemand. Es wird absehbar: mich ein bisschen verwundert, zumal es Ihre Ge- Wenn es keine Rendite gibt, dann macht sich Infra- nossinnen und Genossen waren - zumindest in Lü- til wieder vom Acker. Die zweite Heuschrecke lässt beck -, die mit den Grünen sehr intensiv darüber grüßen. gesprochen haben, diese Risiken für den kommuna- Insofern war das kein Investor, denn alle Risiken len Haushalt zukünftig abzulehnen. Insofern wun- bleiben bei der Stadt Lübeck. Meine Damen und dert es mich, dass Sie diesen Antrag hier heute ein- Herren, wenn Wirtschaft so funktioniert, können bringen. wir sie gleich verstaatlichen. Lübeck muss nun (Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 26 Millionen € an Infratil zurückzahlen - aus einem und der Abgeordneten Antje Jansen [DIE staatlichen Haushalt, der völlig überschuldet ist und LINKE]) dem der Innenminister gerade zusätzliche Kredite Im Amtsblatt Schleswig-Holstein 2009, Ausgabe 7, in Höhe von 14,5 Millionen € gestrichen hat. wurde die Flugplatzinvestitionszuschussrichtlinie Wie soll es nun weitergehen? Ein neuer Investor in einer Bekanntmachung des Ministers für Wissen- wird nur dann antreten, wenn die öffentliche Hand schaft, Wirtschaft und Verkehr veröffentlicht. Der massiv mitfinanziert. Das kann Lübeck auf Dauer Pressesprecher erklärte in den „Lübecker Nachrich- nicht, und das Land kann es ebenfalls nicht. Des- ten“ vom 23. September 2009, dass diese Richtlini- halb heute unser Antrag hier in dieser Sitzung. en seit zehn Jahren gelten. Das ist aber nur die hal- (Beifall der Abgeordneten Antje Jansen [DIE be Wahrheit. Es gibt gravierende Unterschiede zwi- LINKE]) schen den Grundsätzen zur Gewährung von In- vestitionszuschüssen aus den Jahren 1998 und Der „Landtag fordert die Landesregierung auf, kei- heute. 1998 ging es nur um Zuschüsse zur Siche- ne Mittel aus dem Zukunftsprogramm Wirtschaft rung der Sicherheitsstandards an schleswig-holstei- gemäß der Flugplatzinvestitionszuschussrichtli- nischen Flugplätzen, 2009 geht es darüber hinaus nie … vom 25. August 2009 für den Ausbau und um den Ausbau und die Modernisierung von Flug- die Modernisierung des Flugplatzes Blankensee be- plätzen. Das ist völlig neu. reitzustellen“. Weiterhin lehnt der Landtag „eine Beteiligung des Landes an der Flughafen Lübeck Herr de Jager, Sie wissen, ich komme von der Insel GmbH ab“. Letzteres steht auch im Koalitionsver- Sylt. Dort wird beim Ausbau von Flugplätzen trag. gleich immer mit an das Flughafenhotel gedacht. Man sollte hier präzisieren: Sicherheit ja, aber Spe- Uns geht es heute darum, deutlich zu machen, dass kulationen über Großflughäfen und was da sonst dies nicht nur eine politische Absichtserklärung noch so in manchen Köpfen rumschweben sollte, bleibt, Herr Minister de Jager, sondern dass es tat- sollten sich hier erledigen. sächlich eine rechtliche Bindung gibt. Sie haben sich in einer Presseerklärung schon so geäußert: (Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN keine Beteiligung des Landes an der Flughafen und der Abgeordneten Antje Jansen [DIE GmbH. LINKE]) (Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Weiterhin stand in den Grundsätzen von 1998: Die Bezuschussung sicherheitsrelevanter Maßnahmen Eine weise Entscheidung. darf nicht zu Angebotserweiterungen der Flugplätze Also, ein klarer Landtagsbeschluss, wie die Grünen führen. Diese Einschränkungen in Bezug auf die ihn hier beantragen, hat dagegen eine Rechtsver- Kapazitätserweiterung fehlen in der neuen Richt- linie. Schleswig-Holsteinischer Landtag (17. WP) - 3. Sitzung - Donnerstag, 19. November 2009 169

(Andreas Tietze)

Wegen dieser deutlichen Unterschiede bei den zugutehalten: Sie sind berechenbar. Sie sind gegen Grundsätzen von 1998 und den Richtlinien von jede Art von Ausbau der Infrastruktur. Das haben 2009 kann nur der Schluss gezogen werden, dass wir schon in der letzten Legislaturperiode erlebt. die Landesförderung für einen Ausbau des Flugha- Der Herr Ministerpräsident hat in seiner Regie- fens ermöglicht werden soll. Sie werden dann noch rungserklärung gesagt, dass Investitionen nachhal- präzisieren müssen, was Sie tatsächlich mit der För- tig sein müssten. Dies gilt insbesondere für Aus- derung des Ausbaus meinen. baumaßnahmen im Infrastrukturbereich. Dort haben Der Landesrechnungshof fordert seit Jahren einen wir einen großen Nachholbedarf. Deshalb ist es Ausstieg des Landes aus dem Flugplatz Kiel-Hol- richtig, dass wir über die einschlägigen Fragen si- tenau. Es sei keine Aufgabe des Landes, einen re- cherlich auch in Zukunft weiter streiten werden. gionalen Flughafen vorzuhalten. Wie wahr, liebe Für die CDU - das war im Mai nicht anders als heu- Kolleginnen und Kollegen! Gleiches muss auch für te - steht eines fest: Wir werden keine Landesbetei- Lübeck gelten. Eine Beteiligung des Landes an der ligung an dem Flugplatz eingehen - in keiner Weise Flughafen Lübeck GmbH wird daher ausgeschlos- und in keiner Form. Es ist nicht unsere Absicht, das sen. Das gilt auch für eine Umwegfinanzierung zu tun. über die Investitionsbank oder ähnliche Mittel. Die Mittel aus dem Zukunftsprogramm Wirtschaft brau- (Beifall bei CDU und FDP) chen wir dringend für erneuerbare Energien, für wirklichen wirtschaftlichen Aufschwung in unse- Vizepräsidentin Anita Klahn: rem Land und nicht für übertönte Flughafenprojek- te, die vielleicht einige Großfantasien bedienen Herr Arp, lassen Sie eine Zwischenfrage von Frau würden. Heinold zu? (Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Hans-Jörn Arp [CDU]: In der „Landeszeitung“ vom 12. November 2009 Von Frau Heinold jederzeit gern. Sie hat sich aller- wird die Regierung wie folgt zitiert: dings gerade nur von ihrem Platz erhoben, und ich „Das Land wird nur noch fördern, was dem habe es nicht so verstanden, dass sie eine Zwi- Land und der Wirtschaft nachhaltig nutzt.“ schenfrage stellen will. In dieser Auffassung stimmen wir überein. Wenn Vizepräsidentin Anita Klahn: Sie diesbezüglich gegebenenfalls noch Beratungs- oder Austauschbedarf haben, stehen wir Ihnen zur Das war dann irritierend. Entschuldigung! Verfügung. (Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Hans-Jörn Arp [CDU]: und vereinzelt bei der LINKEN) Ich verstehe, dass Sie aufsteht, wenn ich rede. Das ist der Respekt vor dem Redner. Herzlichen Dank, Vizepräsidentin Anita Klahn: Frau Heinold! Jetzt hat Herr Abgeordneter Arp für die CDU-Frak- (Heiterkeit) tion das Wort. An dieser Position hat sich nichts geändert und dar- an wird sich bei der CDU auch nichts ändern. Wir Hans-Jörn Arp [CDU]: bleiben dabei: keine Mittelbeteiligung an dem Flug- Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe platz. Wir haben in Kiel einschlägige Erfahrungen Kolleginnen und Kollegen! Ich habe bereits in der gemacht. Eine Beteiligung ist darüber hinaus auch 43. Sitzung des Landtages - das war im Mai dieses ordnungspolitisch nicht unsere Aufgabe. Jahres - darauf hingewiesen, dass uns das Thema (Beifall des Abgeordneten Lars Harms Lübeck-Blankensee wahrscheinlich noch weiter be- [SSW]) schäftigen wird. Der damals behandelte Antrag war mit „Keine Landesmittel für den Ausbau des Flug- Deswegen brauchen wir über diese Frage hier nicht hafens Lübeck-Blankensee“ überschrieben. Der zu diskutieren. heute, ein halbes Jahr später, zur Beratung anste- Die Frage, über die wir diskutieren müssen, lautet hende Antrag hat den gleichen Titel. Er hat auch nach wie vor: Welche Bedeutung hat der Flugplatz den gleichen Tenor. Eines muss man den Grünen in Lübeck für den Tourismus, für die Wirtschaft, 170 Schleswig-Holsteinischer Landtag (17. WP) - 3. Sitzung - Donnerstag, 19. November 2009

(Hans-Jörn Arp) für die Region, aber auch für Mecklenburg-Vor- Low-cost-Bereich. In den letzten schwierigen Jah- pommern und für Hamburg? Daran schließt sich die ren wurde deutlich, dass gerade im Low-cost-Be- Frage an: Wenn Zuschüsse gewährt werden, ist es reich noch Wachstumsraten möglich sind. dann allein die Aufgabe von Schleswig-Holstein, Unsere Auffassung zu dem vorliegenden Antrag ist diese Zuschüsse mitzutragen, oder gibt es nicht also die gleiche wie im Mai. Wir unterstützen die auch Interessen in Hamburg und Mecklenburg-Vor- Landesregierung, die da sagt: keine Beteiligung. pommern, diesen Flugplatz zu erhalten? Von daher Wir unterstützen aber auch Lübeck, wenn uns ein ist unsere Position klar. Wir sehen nicht nur - wie tragfähiges Konzept vorgelegt wird. Über dieses es auch die SPD in ihrem Antrag tut - auf die Ar- Konzept werden wir dann beraten. Ich lade alle an- beitsplätze, sondern wir sehen auch auf die wirt- deren dazu ein. Ich freue mich, wenn wir im Wirt- schaftliche Bedeutung dieses Flugplatzes. Dieser schaftsausschuss unter dem weisen Vorsitz von Flugplatz - dies sei ganz nebenbei für diejenigen Bernd Schröder weiter darüber beraten können. gesagt, die das nicht wissen, weil sie hier noch neu sind - ist der größte Flugplatz, den wir in Schles- (Beifall bei CDU und FDP) wig-Holstein haben. (Zuruf von der LINKEN) Vizepräsidentin Anita Klahn: - Ab und zu denken wir auch einmal an die Arbeit- Frau Abgeordnete Poersch von der SPD hat das nehmer. Das unterscheidet uns. Dieser Flugplatz ist Wort. in der Region natürlich auch ein großer Arbeitge- ber. Vergessen Sie das bitte nicht. Regina Poersch [SPD]: (Beifall bei CDU und FDP) Sehr geehrte Damen und Herren! Der Antrag von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ist aus Sicht meiner Er ist - obwohl das manche von den Grünen viel- Fraktion leider in keiner Weise zustimmungsfähig, leicht meinen könnten - nicht nur dafür da, dass denn er verkennt, dass wirtschaftliche Entwick- dort irgendwelche Zugvögel landen, sondern es lung immer auch Verkehrsinfrastruktur braucht. sollten dort in Zukunft auch weitere Flugzeuge lan- den. Das unterscheidet uns und es wird uns auch in (Beifall bei der SPD und vereinzelt bei der Zukunft unterscheiden. Das macht es ja interessant, CDU) Herr Habeck, dass wir gerade über solche Themen Er verkennt, dass der Regionalflughafen Lübeck- miteinander streiten. Blankensee durchaus ein Entwicklungspotenzial (Zuruf von der LINKEN) hat. Er verkennt auch, dass es nicht darum geht, aus lauter Jux und Tollerei einen neuen Flughafen quasi - Das ist gerade die Chance. Als Low-cost-Flug- aus dem Boden zu stampfen. Es geht vielmehr um platz hat Lübeck eine Chance, Frau Kollegin. Auch den Erhalt und die Entwicklung eines bereits beste- wenn Sie aus Lübeck kommen, nehmen Sie bitte zu henden Flughafens. Es geht, wie ich hier ausdrück- Kenntnis, was ich vorhin schon gesagt habe: Die lich betonen möchte, um mehrere Hundert Ar- CDU unterstützt die Landesregierung in der Auf- beitsplätze in der Region Lübeck, um Arbeitsplätze fassung: keine Beteiligung. Ich sage zugleich aber am Flughafen selbst und in Branchen, die in der auch dies noch einmal: Der Ausbau der Infra- Region vom Flughafen abhängig sind. struktur - darauf hat der Herr Minister hingewie- sen - ist eine Aufgabe, an der wir uns beteiligen Deshalb legt meine Fraktion Ihnen heute einen ei- müssen, wenn es ein tragfähiges Konzept gibt. genen Antrag zur Zukunft des Flughafens Lübeck- Blankensee vor. Wir haben unseren Antrag mit Die Reihenfolge muss so aussehen: Zunächst muss „Arbeitsplätze gehen vor“ überschrieben. Dieser von den Betreibern in Lübeck ein tragfähiges Kon- Antrag bezieht sich auf die Zukunft des Lübecker zept vorgelegt werden. Dann muss man überlegen, Flughafens. Dass er eine Zukunft hat und eine wer ein Interesse an der Weiterführung des Betrie- große regionalökonomische Bedeutung besitzt, be- bes hat. Ich habe eben schon darauf hingewiesen, legen mehrere Studien. Er braucht aber - auch das dass auch andere Bundesländer, zum Beispiel ist unstreitig - unsere Unterstützung, und zwar Hamburg, ein Interesse daran haben können. Ich schnell. weiß aus vielen Gesprächen mit den Hamburgern, dass in Hamburg ein Interesse daran besteht. Sie (Beifall bei der SPD) befinden sich einerseits in Konkurrenz mit dem Wir meinen, dass ein eindeutiges Signal und Be- Flughafen, aber anderseits brauchen sie auch den kenntnis des Schleswig-Holsteinischen Landtags Schleswig-Holsteinischer Landtag (17. WP) - 3. Sitzung - Donnerstag, 19. November 2009 171

(Regina Poersch) angebracht und dringend erforderlich ist. Wir wol- mehr Fluggäste gewinnen und den Flughafen lang- len potenziellen Investoren signalisieren, dass das fristig unabhängig machen von staatlichen Zuschüs- Land bereit ist, beim Ertüchtigen des Flughafens sen. mitzuhelfen. Mit Freude - das sage ich auch aus der Opposition heraus - habe ich am Dienstag von dem Vizepräsidentin Anita Klahn: Gespräch des Wirtschaftsministers mit der Stadt, mit Vertretern des Flughafens und der IHK gehört. Frau Poersch, wollen Sie eine Zwischenfrage zulas- Herr Minister, das ist durchaus in unserem Sinne. sen? Ich habe mich auch darüber gefreut, dass mir am selben Abend der Hauptgeschäftsführer der IHK zu Regina Poersch [SPD]: Lübeck, Herr Professor Rohwer, versichert hat, die Das möchte ich nicht so gern, weil ich es besser fin- Kammer werde zusätzlich einen eigenen Beitrag für de, nacheinander die Redner zu hören und dann ein verbessertes Marketing für den Flughafen leis- aufeinander einzugehen. ten, der nun einmal dringend einen neuen Investor braucht. Vizepräsidentin Anita Klahn: Der Planfeststellungsbeschluss liegt vor. Es kann Danke. Das nehme ich als generelles Votum. sofort losgehen. Der Flughafen muss gesichert und ausgebaut werden. Den Betrieb - auch das sage ich deutlich - wollen wir nicht subventionieren. Ebenso Regina Poersch [SPD]: lehnen wir eine Beteiligung des Landes an der Noch etwas zum Thema Investitionen. Wenn es Flughafen Lübeck GmbH ab. Insofern sind wir ei- möglich ist, die Entwicklung eines neuen Bügelfla- ner Meinung. Wir wollen einen Investitionszu- schenverschlusses einer Flensburger Brauerei fi- schuss, keine Betriebssubventionierung. nanziell zu unterstützen, dann muss das aus Sicht Selbstverständlich muss auch die Hansestadt Lü- meiner Fraktion erst recht für anerkannt wichtige beck bei der Lösung des Problems mithelfen. Sie Verkehrsinfrastruktur gelten. Wir haben auch Bei- hat das Problem nicht verursacht, aber sie wird alles spiele dafür im Land, wie die Bahnelektrifizierung ihr Mögliche tun; davon bin ich überzeugt. Aber oder den Ausbau der Fährhäfen. wir dürfen die Stadt Lübeck und auch die Flugha- (Beifall bei der SPD) fengesellschaft mit dem Flughafen nicht allein las- sen. Immer dort, wo wir Verkehrsinfrastruktur für wich- tig erachten, nehmen wir Geld in die Hand. Das Meine Damen und Herren, höchste Priorität haben sollten wir auch so mit dem Lübecker Flughafen die bestehenden Arbeitsplätze sowie diejenigen halten. Arbeitsplätze, die mit dem zukünftigen Betrieb ge- schaffen werden. Wir reden hier von 900 Ar- Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit und hof- beitsplätzen in der Region, wenn wir jetzt mithel- fe, dass wir dann weiter miteinander diskutieren fen, den Flughafen fit zu machen. Aber auch die können, Herr Kollege Tietze. heute schon bestehenden Arbeitsplätze - das sind (Beifall bei der SPD) direkt knapp 140, indirekt knapp 300 - dürfen nicht aufs Spiel gesetzt werden. Noch einmal: Ar- Vizepräsidentin Anita Klahn: beitsplätze gehen vor! Der Herr Abgeordnete Koch hat das Wort. (Beifall bei der SPD) Noch ein Hinweis auf die Investitionen. Es kann Gerrit Koch [FDP]: doch nicht sein, dass der Flughafen erst an die Au- Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und tobahn angeschlossen wird, einen Bahnhalte- Herren! Ich habe ja die Ehre, auch der Lübecker punkt bekommt und wir dann bei nächstbester Ge- Bürgerschaft anzugehören. Da höre ich aus der legenheit den Flughafen seinem Schicksal überlas- Richtung der Grünen leider genau die gleichen Ar- sen. gumente, wie der Kollege Tietze sie heute vorge- (Beifall bei der SPD) bracht hat, nämlich überhaupt keine sachlichen und schon gar nicht nachprüfbare. Wenn Sie sich beim Nicht nur, dass dann wirklich Geld in den Sand ge- Namen dieses Flughafens auch noch versprechen, setzt wäre, die bisher getätigten und auch die zu- zeigt das ganz deutlich, dass Sie ganz weit weg von künftigen Investitionen verfolgen das Ziel, dass wir 172 Schleswig-Holsteinischer Landtag (17. WP) - 3. Sitzung - Donnerstag, 19. November 2009

(Gerrit Koch) diesem Thema sind. Das ist leider so wahrzuneh- - Sie können sich ja nachher noch zu Wort melden. men; tut mir leid. Meine Damen und Herren, es ist nicht Aufgabe des Landes Schleswig-Holstein, Flughäfen zu betreiben (Beifall bei der CDU - Zuruf von BÜNDNIS und für die Übernahme von Verlusten zu sorgen. 90/DIE GRÜNEN) Eine Beteiligung an Flughäfen steht für uns nicht Bis Ende September 2009 - vielleicht darf ich Sie im Raum. Insoweit stimmen wir mit Punkt 2 des über ein paar Zahlen informieren - zählte der Lü- Antrages der Fraktion der Grünen überein. becker Flughafen circa 533.000 Passagiere. Damit (Beifall des Abgeordneten Thorsten Fürter überflügelte er bereits die Gesamtzahl von circa [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) 528.000 Passagieren im ganzen Jahr 2008. Entge- gen des allgemeinen Trends im Luftverkehr ver- - Herr Fürter, genau! - Diese Feststellung bedarf zeichnet der Flughafen Lübeck seit Beginn des Jah- aber keines Beschlusses dieses Hauses, da die Re- res kontinuierlich positives Passagierwachstum, gierungsfraktionen das bereits im Koalitionsver- im Gegensatz zum Vorjahr. trag eindeutig geregelt haben. Da steht: Eine direk- te Flughafenbeteiligung schließen wir, also CDU Arbeiteten 1997 noch 44 Mitarbeiter direkt am und FDP, aus. Das haben wir vereinbart, und daran Flughafen, stehen dort mittlerweile über 130 in werden wir uns auch halten. Lohn und Brot. Wesentlich mehr Arbeitsplätze in der Lübecker Wirtschaft hängen mittelbar mit dem (Zuruf von der SPD: Schade, Lübeck wollte Lübecker Flughafen zusammen. das aber eigentlich!) Mit dem vorliegenden Planfeststellungsbeschluss Die Hansestadt Lübeck befindet sich mitten in der besteht nun die Chance, den Lübecker Flughafen Suche nach einem neuen Investor, der den Flugha- auszubauen und nachhaltig am Markt zu positionie- fen Lübeck mehrheitlich übernehmen und weiter ren. Endlich rückt in greifbare Nähe, dass der Flug- voranbringen soll. Die Verhandlungen laufen, und hafen ohne Verluste betrieben werden kann. Das die Beteiligten aufseiten der Stadt äußern sich opti- hat mit Ryanair überhaupt nichts zu tun; jedenfalls mistisch, dass das auch gelingen wird. nicht negativ. Schon die Einrichtung einer Base in Der Planfeststellungsbeschluss ist ein wichtiger Lübeck würde dazu führen, dass die Passagierzah- Schritt für die Entwicklung der Region Lübeck, len noch um ein Etliches anwachsen würden und aber auch für ganz Schleswig-Holstein. Deshalb der Flughafen in der Gewinnzone landen kann. darf er nicht gefährdet werden. Zurzeit sind be- Vorsichtige Schätzungen gehen davon aus, dass kanntlich Klagen gegen diesen Beschluss anhängig. mittelbar und unmittelbar mehrere Tausend Ar- Das Gericht verlangt oder fordert eigentlich ein ein- beitsplätze im Zusammenhang mit dem Lübecker deutig positives Bekenntnis der Hansestadt Lü- Flughafen entstehen werden, wenn der Ausbau vor- beck, aber auch des Landes Schleswig-Holstein angetrieben wird. zum Flughafen. Dieses Bekenntnis werden wir, Das sind äußerst positive Aussichten nicht nur für wenn wir den Antrag der Grünen unterstützen, si- Lübeck, sondern für ganz Schleswig-Holstein. cherlich nicht so abgeben. Ein klares Bekenntnis ist daraus nur sehr schwer abzuleiten. Das ist im Übri- (Beifall bei CDU und FDP) gen von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ja auch gar CDU und FDP erkennen dieses Potenzial und un- nicht gewollt. terstützen deshalb private Investitionen in die regio- Im Gegensatz zu den Grünen wollen wir den Mitar- nalen Flughäfen. Wo vor Ort investiert wird, profi- beitern eine Perspektive geben. Und die heißt nicht tiert die Wirtschaft und wird die Arbeitsplatzsituati- Arbeitslosigkeit, Herr Fürter! on befördert. (Beifall bei CDU, SPD und FDP) Vizepräsidentin Anita Klahn: CDU und FDP hingegen bekennen sich zum Flug- Herr Koch, Herr Tietze hat eine Zwischenfrage. hafen in Lübeck-Blankensee, der im Rahmen eines norddeutschen Flughafenkonzeptes eine unverzicht- Gerrit Koch [FDP]: bare Rolle spielt. Ich begrüße es, dass die SPD hier im Hause es ähnlich sieht. Es wäre auch zu begrü- Das ist nett, aber im Moment nicht, danke schön. ßen, wenn Sie die Lübecker Genossen davon gele- (Heiterkeit) gentlich einmal überzeugen könnten. Schleswig-Holsteinischer Landtag (17. WP) - 3. Sitzung - Donnerstag, 19. November 2009 173

(Gerrit Koch)

(Zuruf des Abgeordneten Wolfgang Kubicki (Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) [FDP]) Ich denke, Sie wissen zu wenig Bescheid. Die Idee, - Vor allem den Kreisvorsitzenden; das stimmt. Bei einen regionalen Dumpingflughafen zu betreiben, dem Fraktionsvorsitzenden ist das ja schon gelun- die es schon seit Jahren gibt, ist in Lübecks Wirt- gen. schaft gescheitert. Es gibt keine Option für den Lü- becker Flughafen. Er bleibt weiterhin defizitär, und Wenn die Flugplatzinvestitionszuschussrichtlinie ich sage Ihnen, ein Investor ist nicht in Sicht. Es Mittel für den Ausbau und die Modernisierung des standen einmal acht Investoren vor der Tür, dann Flughafens Lübeck zulässt, so ist diese Art der Un- waren es noch fünf, dann waren es drei, dann waren terstützung zu begrüßen. Wir befürworten auch den es zwei, und jetzt ist es nur noch ein einziger, der gemeinsamen Fahrplan, auf den sich jüngst Ver- gern den Flughafen übernehmen würde. Er will den kehrsminister, IHK und Stadt geeinigt haben. Die Flughafen nur übernehmen, wenn mit den Investiti- Hauptverantwortung für den Erhalt des Flughafens onen in den Ausbau gestartet wird. Das sind 4 Mil- liegt jedoch selbstredend bei der Eigentümerin, der lionen €, die FDP und SPD fordern, um den Flug- Hansestadt Lübeck. Sie hat alle Mittel und Wege hafen attraktiv zu machen und für einen Investor auszuschöpfen, einen privaten Investor zu finden, zu schmücken, der ihn dann übernimmt. Infratil, die der wirtschaftlich stark genug ist, den weiteren abgesprungen sind, ist ein Investor mit einer Ab- Ausbau voranzutreiben. Das Land lässt die Stadt zockmentalität. 25 Millionen € bekommen die in ei- Lübeck aber nicht allein. nem Geschenkpaket geliefert, und zwar dafür, dass Meine Damen und Herren, vom Flughafen Lübeck sie diesen Flughafen mit in den finanziellen Ruin profitiert nicht nur die Hansestadt. Es ist auch kein getrieben haben. Prestigeobjekt. Nein, der Flughafen gehört zu einer (Zuruf von der FDP: So ein Quatsch!) modernen Infrastruktur, schafft vielen Menschen eine Lebensgrundlage und strahlt auf ganz Schles- Die Hansestadt Lübeck ist nicht in der Lage - das wig-Holstein aus. Der Lübecker Flughafen hat eine haben bereits meine Kollegen von den Grünen aus- Zukunft, und die sollten wir nutzen. geführt -, dies aufzufangen. Wir werden hoffentlich mit den Grünen und der Lübecker SPD - die Lü- (Beifall bei CDU, SPD und FDP) becker SPD denkt meiner Ansicht nach ein bisschen anders; da fällt die Fraktion der SPD im Vizepräsidentin Anita Klahn: Landtag der Lübecker SPD ein wenig in den Frau Abgeordnete Jansen hat das Wort. Rücken - - (Beifall bei der LINKEN und BÜNDNIS Antje Jansen [DIE LINKE]: 90/DIE GRÜNEN) Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir Wir können nicht in ein Millionengrab investieren. werden natürlich den Antrag von BÜNDNIS 90/ Sicherlich soll der Flughafen für den Tourismus DIE GRÜNEN unterstützen. Herr Tietze, Sie haben und die Wirtschaft attraktiv gemacht werden. Wo mir aus dem Herzen gesprochen. Ich bin nämlich ist die Wirtschaft? Wo ist die IHK, die sagt, dass auch Mitglied der Lübecker Bürgerschaft. Wenn sie den Flughafen unterstützt? Keinen Cent hat sie ich Herrn Koch hier höre - Sie sind ja auch Mit- bisher in den Flughafen gesteckt. Nicht 1 € ist von glied der Bürgerschaft - oder die Mitglieder der Lü- der Wirtschaft gekommen, um den Flughafen zu becker SPD, dann frage ich mich: Wo ist eigentlich unterstützen, damit der Flughafen erhalten werden Ihr Realitätsgefühl, wie es um den Lübecker Flug- kann. hafen Blankensee aussieht? Sie wissen ganz ge- nau, dass dieser Flughafen keine Perspektive hat. Es macht mich ein wenig nachdenklich, wenn jetzt gesagt wird, das Land wolle sich nicht an dem Be- Wie hier von der CDU schon gesagt wurde, war der trieb beteiligen. Es geht um einen Investitionsaus- Lübecker Flughafen schon mehrere Male in den bau. 4 Millionen € kostet der erste Schritt des Aus- vergangenen Jahren Thema hier im Landtag. Sie baus. Der zweite Ausbau ist fünfmal so teuer; es wissen um die desaströse finanzielle Situation des muss ja noch weiter ausgebaut werden. Wirtschafts- Flughafens und auch der Hansestadt Lübeck. Vor minister de Jager, sind Sie derjenige, der jetzt mit diesem Hintergrund wundert es mich, dass meine unserer Stadtspitze verhandelt hat, das Lübeck ein Lübecker Kolleginnen und Kollegen das Land hier Konzept vorlegen soll? Wir haben kein Konzept in auffordern, Geld in den Flughafen hineinzustecken. Lübeck. Wir haben keinen Investor. Die Hansestadt Lübeck könnte diese 4 Millionen € wesentlich bes- 174 Schleswig-Holsteinischer Landtag (17. WP) - 3. Sitzung - Donnerstag, 19. November 2009

(Antje Jansen) ser für die Verbesserung der sozialen Infrastruktur tan. Sollte sich aus Sicht des Lübecker Flughafens gebrauchen. noch alles zum Guten wenden, dann muss die Lan- desregierung kurzfristig Planungen und Schritte hin (Beifall bei der LINKEN und BÜNDNIS zu einer verstärkten Zusammenarbeit zwischen Lü- 90/DIE GRÜNEN) beck und Hamburg forcieren. An dieser Forderung Wir brauchen nämlich für die Lübecker Bürgerin- halten wir fest, denn nur so können wir langfristig nen und Bürger ein Sozialticket. Insofern sollte bes- den Flughafen Lübeck sichern. ser in die soziale Struktur als in den Flughafen in- (Beifall beim SSW) vestiert werden. Der Flughafen stellt letztendlich ein Millionengrab dar. Wenn Sie sich für den Flug- Nun zu dem vorliegenden Antrag der Grünen. Die hafen einsetzen wollen, dann mache ich Ihnen ein Landesregierung aufzufordern, keine Mittel aus Angebot: Entlasten Sie doch die Hansestadt Lü- dem Zukunftsprogramm Wirtschaft für den Aus- beck, indem Sie als Land den Flughafen überneh- bau und die Modernisierung des Flughafens Blan- men. Dann können Sie auch die finanziellen Defizi- kensee bereitzustellen, können wir so nicht mittra- te und das Millionengrab übernehmen und sich da- gen. Dort wird kein Geld einfach so zum Fenster mit auseinandersetzen. Die Hansestadt Lübeck wür- rausgeworfen. Es handelt sich um ein Infrastruktur- de sich freuen. programm, dem Förderkriterien zugrunde liegen. Soll heißen: Wer die Förderkriterien erfüllt, kann (Beifall bei der LINKEN) auch Mittel aus dem Programm bekommen. Im Vorfeld eine Negativliste aufzustellen nach dem Vizepräsidentin Anita Klahn: Motto, der darf bekommen und der nicht, wäre Herr Abgeordneter Harms vom SSW hat das Wort. Willkür. Deshalb gelten diese Kriterien entspre- chend für alle. Im Übrigen darf es aber auch keinen Lars Harms [SSW]: Automatismus in der Förderung geben, wie es der SPD-Antrag vorsieht. Die Förderrichtlinie vor dem Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Hintergrund der Gleichbehandlung ist das Entschei- Niemand kann derzeit mit Sicherheit sagen, wie es dende für uns als SSW. Gleichwohl kann ich mir weitergehen wird mit dem Flughafen Lübeck-Blan- nicht vorstellen, dass beim derzeitigen Stand der kensee. Seine Zukunft ist ungewiss. Was wir wis- Dinge der Flughafen Lübeck Blankensee die För- sen, ist, dass man dort tiefrote Zahlen schreibt und derkriterien erfüllt, einfach aus dem Grund, weil die dass mit dem Ausstieg des Investors die Stadt Lü- Zukunft des Flughafens derzeit ungewiss ist. beck in der Verantwortung steht. Damit hat die Stadt Lübeck den Schwarzen Peter. Die gegenseiti- Nun zum zweiten Punkt des Grünen-Antrages. Für gen Schuldzuweisungen um den gesamten Verlauf den SSW stelle ich fest: Eine Beteiligung des Lan- helfen dabei auch nicht weiter. Aber das muss vor des am Flughafen Lübeck wird von uns nicht unter- Ort geklärt werden. Das ist nicht Aufgabe des Lan- stützt. Es scheint ja so zu sein, dass niemand dies des. unterstützt. Es gibt keinen Grund, dass sich das Land an dem Flughafen finanziell beteiligt. Dies Es sind grundlegende Entscheidungen und Voraus- haben wir auch schon gesagt, als es um Kiel Hol- setzungen notwendig, wenn es um die Zukunft des tenau ging. Die Landesregierung hat bereits eine fi- Flughafens geht. Eine davon ist der Ausbau des nanzielle Beteiligung am Flughafen abgelehnt. Aus Flughafens. Nicht unerheblich ist dabei auch die Sicht des SSW kann es nicht Aufgabe des Staates Frage, wer den Flughafen künftig betreiben soll. sein, einen Flughafen zu betreiben oder Anteile dar- Davon hängt letztendlich alles ab. Eines dürfte klar an zu halten. sein: So lange der Flughafen nicht entsprechend ausgebaut wird, wird sich wohl kein neuer Inve- Eine Beteiligung lehnen wir also ab, und die Inve- stor für den Standort entscheiden. Und ohne ent- stitionsförderung für Flughäfen darf sich nur nach sprechenden Investor ist die Notwendigkeit des den Kriterien richten, die auch für alle anderen Ausbaus nicht gegeben. Ich gebe zu: Dies ist eine Flughäfen gelten. Wenn die Lübecker dies erfüllen, verzwickte Situation. Diesen gordischen Knoten zu okay, wenn sie dies nicht erfüllen, dann eben nicht. durchschlagen, ist die Kunst. Aber es ist Aufgabe (Beifall beim SSW) der Stadt Lübeck, dieses Problem zu lösen. Als Land können und müssen wir die notwendigen Rahmenbedingungen schaffen. Das wurde bereits mit dem Planfeststellungsbeschluss seinerzeit ge- Schleswig-Holsteinischer Landtag (17. WP) - 3. Sitzung - Donnerstag, 19. November 2009 175

Vizepräsidentin Anita Klahn: (Beifall bei CDU und FDP sowie vereinzelt bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich bitte den Herrn Minister Jost de Jager um das Wort. Die Haltung der Landesregierung ist dabei klar - so habe ich es auch am Montag mit den Vertretern der Jost de Jager, Minister für Wissenschaft, Wirt- Stadt und der Wirtschaft besprochen -: Eine Über- schaft und Verkehr: nahme von Anteilen durch das Land ist ausge- schlossen. Nicht ausgeschlossen ist allerdings ein Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Investitionszuschuss, wenn ein überzeugendes Zukunft des Flughafens Lübeck beschäftigt die Konzept zur Weiterentwicklung vorliegt. Dieses Landesregierung und den Landtag seit geraumer Konzept muss vor allem die Frage klären, ob der Zeit. Dazu hat es bereits mehrere Beratungen gege- Flughafen Blankensee auf Dauer wirtschaftlich ben. tragfähig betrieben werden kann. Es geht doch in Für diese Sitzung beantragt BÜNDNIS 90/DIE dieser Diskussion nicht um die Frage, ob das Land GRÜNEN eigentlich zweierlei, auf der einen Seite bereit ist, sich an den Investitionen in Blankensee keine Mittel aus dem Zukunftsprogramm Wirt- zu beteiligen. Das hat das Land bereits in der Ver- schaft für den Ausbau und die Modernisierung des gangenheit getan. Allein in den vergangenen zehn Flughafens auszugeben und auf der anderen Seite Jahren sind 5,4 Millionen € an Investitionszuschüs- eine Landesbeteiligung an der Flughafen Lübeck sen an den Flughafen in Lübeck gegangen. Es geht GmbH kategorisch auszuschließen. Es liegt auch vielmehr um die Frage, ob Blankensee in die ein Antrag der SPD vor, auf den ich im Verlauf schwarzen Zahlen kommen kann. Die Stadt Lübeck meiner Ausführungen eingehen möchte. wird in Kürze ein Konzept vorlegen, das wir prüfen werden, und das ist die Voraussetzung dafür, dass Zunächst zur Landesbeteiligung an der Flugha- wir auch Investitionskostenzuschüsse prüfen wer- fengesellschaft: Sie stand bereits am 7. Mai dieses den. Jahres zur Diskussion. Auch damals hat mein Vor- gänger, Herr Biel, ausgeführt: Vizepräsidentin Anita Klahn: „Der Lübecker Flughafen braucht einen pri- vaten Investor, einen Profi im Luftfahrtge- Herr de Jager, lassen Sie eine Zwischenfrage des schäft. Das Land plant keine Beteiligung an Kollegen Tietze zu? der FLG.“ Jost de Jager, Minister für Wissenschaft, Wirt- Die neuen Regierungsparteien CDU und FDP ha- schaft und Verkehr: ben in ihrem Koalitionsvertrag festgelegt - ich zi- tiere -: Ja. „Wir setzen auf private Investitionen in re- Andreas Tietze [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- gionale Flughäfen als Impulsgeber für die NEN]: Sie wissen, dass die Rentabilität von örtliche Wirtschaft. Eine direkte Flughafen- Flughäfen von den Start- und Landegebühren beteiligung schließen wir jedoch aus.“ abhängig ist; diese sind auch ein zentrales Wirtschaftlichkeitskriterium. Sind Sie der Das gilt auch nach wie vor. Die Landesregierung Meinung, dass man durch eine Ausweitung wird sich weder mittelbar noch unmittelbar an der der Starts und Landungen zu einer Wirt- Lübecker Flughafengesellschaft beteiligen. schaftlichkeit gelangen kann? Das würde (Vereinzelter Beifall bei SPD, BÜNDNIS nämlich bedeuten, dass man den Flughafen 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN) zu einem Großflughafen umbauen müsste. Es würde mich einmal interessieren, ob das in Der Flughafen Lübeck-Blankensee ist ein Flugha- Ihrem Konzept abgeprüft wird. fen von regionaler Bedeutung. Dort ist vor allem die Stadt Lübeck am Zuge und gefragt, die nötigen - Dass ich diesbezüglich Fragen habe, können Sie Voraussetzungen zu schaffen. Dazu gehört auch - daran erkennen, dass ich den Vertretern der Stadt das möchte ich in Klammern hinzufügen -, dass wir Lübeck und der Wirtschaft aus Lübeck am vergan- es der Stadt Lübeck nicht dauerhaft ersparen kön- genen Montag gesagt habe, dass erst einmal ein nen, eigene Mehrheiten für den Flughafen in den Konzept vorgelegt werden muss, bevor wir weiter- städtischen Gremien herbeizuführen. gehende Fragen beantworten können. Das ist ein entscheidender Punkt. Außerdem ist die Rollenver- teilung im Hinblick darauf, wer dieses Konzept 176 Schleswig-Holsteinischer Landtag (17. WP) - 3. Sitzung - Donnerstag, 19. November 2009

(Minister Jost de Jager) vorlegt und wer es prüft, klar. Die Stadt Lübeck Blankensee mit ein. Im Umkehrschluss gilt dann muss es vorlegen, und wir werden es prüfen. Wir aber auch die Messlatte hinsichtlich der Wirtschaft- werden prüfen, ob der in dem Konzept dargelegte lichkeit für alle Regionalflughäfen in gleicher Wei- Business Case für eine wirtschaftliche Tragfähig- se. keit ausreichend ist. (Beifall bei CDU, FDP und vereinzelt bei der Das ist übrigens auch der Unterschied zu dem An- SPD) trag der SPD, der sich sehr an die Form des ge- meinsamen Vorschlags von Stadt, IHK und Minis- Vizepräsidentin Anita Klahn: terium anlehnt. In einem Punkt unterscheidet sich der Antrag aber, und zwar nicht nur in redaktionel- Es liegen mir Wortmeldungen der Abgeordneten ler und semantischer Art und Weise. In dem Antrag Fürter und Tietze vor. - Herr Fürter, Sie haben das der SPD geht es nur um die regionalwirtschaftli- Wort. che Bedeutung. Uns geht es um die Wirtschaftlich- keit. Das ist ein riesiger Unterschied. Denn auch Thorsten Fürter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: wenn der Flughafen defizitär arbeitet, kann er eine Als Lübecker Abgeordneter möchte auch ich mich regionalwirtschaftliche Bedeutung haben. noch zu Wort melden; außerdem haben Sie, Herr (Vereinzelter Beifall bei der CDU und Bei- Koch, mich direkt angesprochen. Ich beginne mit fall des Abgeordneten Detlef Matthiessen einem Zitat: [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) „Wenn es der Hansestadt Lübeck nicht end- Für die Investitionszuschüsse des Landes ist es aber lich gelingt, den Flughafen zu veräußern oder unabdingbare Voraussetzung, dass wir wissen, dass dauerhaft verlustfrei zu betreiben, dann muss dieser Flughafen irgendwann einmal auf Dauer der schmerzliche, aber unvermeidliche wirtschaftlich tragfähig betrieben werden kann. Schritt gegangen werden, diese Einrichtung zu schließen.“ (Beifall bei CDU und FDP) Das ist keine Äußerung von umweltbewegten Grü- Diese Voraussetzung - diesbezüglich wird die Prü- nen oder Sozialisten, sondern von einem Mitglied fung des Konzeptes wahrscheinlich nicht ganz so Ihrer Fraktion, nämlich von Herrn Koch. Dies ha- einvernehmlich sein wie weite Teile dieser Diskus- ben Sie nicht gestern oder vorgestern, sondern vor sion - wird gar nicht so leicht zu erfüllen sein. Aber fünf Jahren geäußert, Herr Koch. wir brauchen politische Einigkeit in dieser Frage, und zwar aus zweierlei Gründen: Zum einen müs- (Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sen wir dafür sorgen, dass dieser Flughafen für die und der LINKEN) Stadt Lübeck kein Dauersubventionsbetrieb wird. Ich frage mich natürlich, wie lange Sie noch warten Zum anderen müssen wir dafür sorgen, dass die In- wollen. vestitionskostenzuschüsse des Landes kein Stran- ded Investment werden. Deshalb glaube ich, dass Ich vermisse hier einen Grafen, und zwar nicht den- die Prüfung dieses Konzeptes Zeit in Anspruch jenigen, der gerade Verteidigungsminister gewor- nehmen und die Ergebnisse in einzelnen Punkten den ist, sondern den Grafen Lambsdorff. Ich vielleicht strittig sein werden. wünschte, er würde in Ihrer Fraktion sitzen und Ihre ordnungspolitische Orientierung ein wenig zurecht- Ich wundere mich im Übrigen, dass die Arbeit an rücken. dem Konzept erst jetzt losgeht. (Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Unter ordnungspolitischen Gesichtspunkten stellt Aber wenn es Mitte Dezember tatsächlich schon sich nämlich die Frage, wie sinnvoll es ist, wenn vorliegt, ist das auch etwas. Bürgermeister und Landräte bundesweit versuchen, Ich möchte noch einen weiteren Punkt klarstellen: Regionalflughäfen hochziehen, Fluggesellschaften Die novellierte Richtlinie ist keine Spezialnorm, mit niedrigsten Gebühren anlocken, und die Flug- die extra und ausschließlich für Lübeck-Blankensee gesellschaften zum nächsten billigen Flughafen geschaffen wurde. Wer das behauptet oder vermu- weiterziehen, sobald die Gebühren angehoben wer- tet, der liegt falsch. Die Richtlinie gilt für alle Re- den, weil ein paar Flugverbindungen etabliert sind. gionalflughäfen in Schleswig-Holstein in gleicher Ist das ordnungspolitisch sinnvoll? Weise, und das bezieht natürlich auch Lübeck- Schleswig-Holsteinischer Landtag (17. WP) - 3. Sitzung - Donnerstag, 19. November 2009 177

(Thorsten Fürter)

Die wirtschaftliche Lage des Flughafens war so, Ich rufe jetzt Tagesordnungspunkt 4 auf: dass in den damaligen Veräußerungsverträgen mit Infratil die Möglichkeit für die Gesellschaft verein- Erste Lesung des Entwurfs eines Gesetzes zur bart werden musste, sich nach einigen Jahren von Änderung des Gesetzes zur tariflichen Entloh- dem Flughafen loszusagen und ihre gesamten In- nung bei öffentlichen Aufträgen (Tariftreuege- vestitionen erstattet zu bekommen. Auch diesbe- setz) züglich fehlt mir die ordnungspolitische Orientie- rung. Gesetzentwurf der Fraktion des SSW (Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Drucksache 17/39 und der LINKEN) Das Wort zur Begründung wird nicht gewünscht. Die regionalen Dumpingflughäfen sind wirtschaft- Ich eröffne die Grundsatzberatung und erteile Herrn lich bundesweit gescheitert. Mit ihnen versündigt Abgeordneten Lars Harms vom SSW das Wort. man sich zudem am Klimaschutz. Deswegen sollten wir sie abwickeln! Lars Harms [SSW]: (Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und und der LINKEN) Herren! Wir bringen eine Änderung des Tariftreue- gesetzes in den Landtag ein, um dafür zu sorgen, Vizepräsidentin Anita Klahn: dass eine europarechtskonforme Tariftreuerege- lung weiterhin in Schleswig-Holstein angewendet Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Ich wird. Wir sind dazu gezwungen, weil das soge- schließe die Beratung. Es ist Ausschussüberwei- nannte Rüffert-Urteil des Europäischen Gerichts- sung beantragt worden. Die Anträge Drucksache hofs neue Kriterien in Bezug auf die Tariftreue for- 17/27 und Drucksache 17/56 sollen dem Wirt- muliert hat. schaftsausschuss überwiesen werden. Wer das so beschließen möchte, den bitte ich um das Handzei- Bevor ich allerdings auf die einzelnen Änderungen chen. - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Dann ist in unserem Gesetzentwurf eingehe, möchte ich kurz das einstimmig so beschlossen. schildern, was das Ziel unseres Tariftreuegesetzes war und ist. Eine Zielsetzung ist, existenzsichern- Ich unterbreche die Sitzung bis 15 Uhr. de Löhne abzusichern. Dabei geht es in erster Linie (Unterbrechung: 13:17 bis 15:04 Uhr) um die Erkenntnis, dass man von manchen Löhnen nicht mehr leben und schon gar nicht eine Familie Präsident Torsten Geerdts: ernähren kann. Nach unserer Auffassung ist es staatliche Aufgabe, hier Regelungen zu schaffen, Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung wird dass Lohnstandards nicht unterboten werden kön- fortgesetzt. Ich möchte Ihnen zunächst einmal die nen. Reihenfolge der Beratungen am heutigen Nachmit- tag mitteilen. Wir beginnen gleich mit Tagesord- (Beifall bei SSW, SPD, BÜNDNIS 90/DIE nungspunkt 4. Danach folgt Tagesordnungs- GRÜNEN und der LINKEN) punkt 28 A. Daran schließt sich Tagesordnungs- In Bezug auf Ausschreibungen und Vergabeverfah- punkt 25 an. Es folgen der Tagesordnungspunkt 26, ren ist es insbesondere wichtig, dass schon im Vor- der Tagesordnungspunkt 3 und die Tagesordnungs- wege - also bevor die eigentlichen Arbeiten begin- punkte 10 und 11 in gemeinsamer Beratung. Sie ha- nen - gesichert ist, dass Auftragnehmer und Nach- ben die Reihenfolge der Beratung für den heutigen unternehmen gewisse Standards einhalten. Wir Nachmittag gehört. wollen nicht, dass Leute zu Niedrigstlöhnen be- Bevor ich den nächsten Tagesordnungspunkt aufru- schäftigt werden und dies dann erst später heraus- fe, möchte ich eine Besuchergruppe begrüßen. Ich kommt. Dann ist den betroffenen Arbeitnehmern begrüße auf der Tribüne Schülerinnen der Berufli- nämlich nicht geholfen. Wir wollen, dass schon im chen Schulen am Ravensberg in Kiel sowie die Ost- Vorwege klar ist, dass Unternehmen nur bei Einhal- und Mitteldeutsche Vereinigung, Kreisverband Lü- tung von Lohnstandards eine Chance auf einen beck. - Herzlich willkommen im Schleswig-Hol- Auftrag haben. steinischen Landtag! Weiter wollen wir, dass die sozialen Sicherungs- (Beifall) systeme in unserem Land gestärkt werden. Dies geht aber nicht mit Dumpinglöhnen. Wir wollen, 178 Schleswig-Holsteinischer Landtag (17. WP) - 3. Sitzung - Donnerstag, 19. November 2009

(Lars Harms) dass voll in die Sicherungssysteme eingezahlt wird Durch die ausschließliche Bezugnahme auf das Ar- und dass steuer- und sozialversicherungspflichti- beitnehmer-Entsendegesetz erreichen wir aber noch ge Arbeitsplätze erhalten bleiben können. Würde einen Vorteil. Hierdurch gilt unser Gesetz auch für keine Tariftreue mehr eingefordert werden, würden die Branchen, die möglicherweise noch später in auch viele dieser steuer- und sozialversicherungs- das Arbeitnehmer-Entsendegesetz aufgenommen pflichtigen Arbeitsplätze wegfallen und die Men- werden. Es entsteht somit auch eine Art Motivation schen dann von den sozialen Sicherungssystemen für bestimmte Branchen - zum Beispiel auch für aufgefangen werden müssen. Das käme den Staat den SPNV -, sich um allgemein verbindliche Tarife teurer als alles andere. Ein Tariftreuegesetz entla- zu bemühen. Das wäre auch eine Perspektive für stet den Staat somit von Aufgaben und Ausgaben. die Branchen, die in Zukunft aus dem Geltungsbe- reich unseres Gesetzes herausfallen. Der dritte Punkt ist, dass wir für gleiche Wettbe- werbsbedingungen sorgen wollen, um so insbe- Sollte in ferner Zukunft möglicherweise ein gesetz- sondere unseren Mittelstand zu stärken. Ausländi- licher Mindestlohn eingeführt werden oder auch sche Unternehmen und auch inländische Unter- nur teilweise ein Mindestlohn für bestimmte Bran- nehmen mit niedrigen Löhnen haben einen Wett- chen auf gesetzlicher Grundlage festgelegt werden, bewerbsvorteil gegenüber den Unternehmen, die so wäre dies vom letzten Satz in § 3 Abs. 1 umfasst. Lohnstandards einhalten. Deshalb ist es wichtig, Wir haben bei der Ausarbeitung unseres Gesetzes- dass bestimmte Lohnhöhen eingehalten werden und vorschlages auch überprüft, ob auch regionale - das im Rahmen von Ausschreibungen und Vergaben heißt schleswig-holsteinische - allgemein verbindli- eingefordert und nachgewiesen werden. Ursprüng- che Löhne europarechtskonform eingefordert wer- lich sah unser Tariftreuegesetz vor, dass der vor Ort den könnten. Wir sind allerdings in unseren Prüfun- gültige Tariflohn einzuhalten ist. Wir meinen im- gen zu dem Schluss gekommen, dass dies nicht mer noch, dass dies die beste Lösung ist. Aber wir geht, da eine solche Regelung der Entsenderichtli- müssen erkennen, dass die europäische Rechtspre- nie widersprechen würde. chung uns einen Strich durch die Rechnung ge- macht hat. Zwar ist Tariftreue immer noch möglich Trotzdem stellte sich natürlich die Frage, was in - und das ist ja die gute Nachricht in dem Rüffert- den Bereichen geschehen sollte, die nicht vom Ar- Urteil -, aber es dürfen nur noch allgemein ver- beitnehmer-Entsendegesetz umfasst sind. Da wir bindliche oder gesetzlich festgelegte Löhne einge- immer wieder auf Fälle gestoßen sind, in denen zu- fordert werden. mindest der Verdacht geäußert wurde, dass ein viel zu niedriger Lohn gezahlt würde, haben wir eine Hierauf baut nun unser Vorschlag für eine Neufas- Regelung in den Gesetzesvorschlag aufgenommen, sung des Tariftreuegesetzes auf. In § 3 binden wir der eine Überprüfung der Entgelte auf die Sitten- die Vergabe von öffentlichen Aufträgen an die Ein- widrigkeit vorsieht, und dies wäre dann natürlich haltung der nach dem Arbeitnehmer-Entsendege- auch zu dokumentieren. Sollte ein allgemein ver- setz festgelegten Entgelte. Wir haben in unserem bindlicher Lohn nicht vorliegen, so ist bei der Ver- neuen Entwurf auf die Nennung von bestimmten gabe von öffentlichen Aufträgen die vorgesehene Branchen bewusst verzichtet. Wir können ohnehin Lohnzahlung auf die Sittenwidrigkeit nach BGB nur für die bundesweit allgemein verbindlichen hin zu überprüfen. Dies geschieht offensichtlich Entgelte die Tariftreue einfordern, und diese Ent- nicht immer, und daher trägt eine solche Regelung gelte sind im Arbeitnehmer-Entsendegesetz ab- auch dazu bei, Dumpinglöhne und ungleiche Wett- schließend geregelt. bewerbsbedingungen für Unternehmen zu verhin- (Johannes Callsen [CDU]: Da habt ihr we- dern. nigstens schon mal was gelernt!) Zu beachten ist bei einer Änderung des § 3 Ta- Damit fallen bestimmte Branchen, wie zum Bei- riftreuegesetz - also der Einführung der Bezugnah- spiel der SPNV, aus dem Geltungsbereich des Ge- me auf allgemein verbindliche Löhne und bei Prü- setzes heraus. Allerdings bedeutet die Bezugnahme fung der Sittenwidrigkeit -, dass diese nicht nur auf das Arbeitnehmer-Entsendegesetz auch, dass al- symbolischer Natur wäre. Zwar besteht auch für die le dort genannten Branchen von unserem Gesetz entsendenden Unternehmen ohnehin über das Ar- umfasst sind. Hierdurch gilt dann das Tariftreuege- beitnehmer-Entsendegesetz eine entsprechende ge- setz auch für neue Branchen, wie zum Beispiel für setzliche Verpflichtung zur Einhaltung der Bestim- Gebäudereiniger. mungen eines bundesweit geltenden und für allge- mein verbindlich erklärten Tarifvertrags. Die Sank- Schleswig-Holsteinischer Landtag (17. WP) - 3. Sitzung - Donnerstag, 19. November 2009 179

(Lars Harms) tionen, die da genannt sind, sind allerdings nur wig-Holstein zum Wohl der Arbeitnehmer und der Bußgelder. Und da reden wir über 50-€-Scheine. Unternehmen möglich sein. Die Überführung auf die vergaberechtliche Ebene (Beifall bei SSW, SPD und der LINKEN) eröffnet jedoch die Möglichkeit, die speziellen Sanktionsmöglichkeiten des Vergaberechts bei Präsident Torsten Geerdts: Verstoß gegen diese Verpflichtung einzubringen. Diese Sanktionsmöglichkeiten lassen wir in unse- Für die CDU-Fraktion erteile ich Herrn Abgeordne- rem Gesetzentwurf bewusst unverändert. Trotzdem ten Magnussen das Wort. möchte ich diese noch einmal nennen. Bei einem schuldhaften Verstoß gegen das Tariftreuegesetz ist Jens-Christian Magnussen [CDU]: eine Vertragsstrafe von 1 % des Auftragswertes zu Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! zahlen. Weiterhin kann der Vertrag in bestimmten Neuer Landtag, neuer Landtagspräsident, neuer Fällen fristlos gekündigt werden. Wenn ein Unter- Wirtschaftsminister; vieles ist neu in dieser Legisla- nehmen grob fahrlässig oder mehrfach gegen das turperiode. Nur ganz bestimmte Dinge bleiben, un- Gesetz verstößt, dann kann es bis zu drei Jahre von ter anderem die Diskussion um das Tariftreuege- der Vergabe öffentlicher Aufträge ausgeschlossen setz. werden. Dies alles sind Unterschiede zum Arbeit- nehmer-Entsendegesetz. Wir haben also ein Mehr (Beifall bei SPD, der LINKEN und SSW) an Gestaltungs- und auch an Sanktionsmöglichkei- Mir ist bewusst, dass das Thema für viele Abgeord- ten. All dies sind sehr wirksame Mittel, die wir wei- nete dieses Hohen Hauses eine hohe Symbolkraft terhin erhalten wollen. hat, auch wenn diese nicht die Mehrheit bilden. Bisher wird das Tariftreuegesetz nicht mehr ange- Trotz dieser vermeintlichen Bedeutung wiederholen wandt, was an sich schon nicht rechtmäßig ist, weil sich unsere Argumente. Es gibt unterschiedliche ein Gesetz nun einmal ein Gesetz ist. Wir müssen Sichtweisen bei der Betrachtung dieses Themas. Ich diesen Schwebezustand ändern, und wir müssen erlaube mir, die meinige darzulegen. In der letzten dies auch relativ schnell tun, damit in unserem Landtagstagung vor der Wahl warf Ihnen der Kolle- Land wieder ordentliche Löhne eingefordert wer- ge Johannes Callsen vor, dass Ihr damaliger Antrag den. Wir haben aber auch einen zeitlichen Hori- ein Gesetz reanimieren sollte, welches lediglich zont, der das Gesetz eilbedürftig macht. Ende 2010 einen rein deklaratorischen Charakter hätte. Mir läuft das Gesetz automatisch aus. Daher sollten wir sind die Worte des Kollegen noch gut im Ohr. SPD, bis zum Sommer - rechtzeitig vor Auslaufen des Grüne und SSW haben sie damals leider ignoriert. Gesetzes - eine Entscheidung getroffen haben. Für Mir bleibt nun zunächst die Frage, was der SSW uns als SSW ist das Tariftreuegesetz keine ideologi- seit der Landtagswahl unternommen haben könnte, sche Frage. Vielmehr ist die Frage, wie man ge- um uns, die CDU-Fraktion, die für sich in An- rechte Löhne erreichen und gleiche Wettbewerbssi- spruch nimmt, lernfähig zu sein, von seinem Anlie- tuationen für Unternehmen schaffen kann. gen zu überzeugen. (Beifall beim SSW und der Abgeordneten Der Kollege Callsen hatte am 17. September einen Regina Poersch [SPD]) sehr konkreten Sachverhalt an Sie gerichtet. Nach dem Urteil des Europäischen Gerichthofs, dem Das hat nichts mit links und rechts sein zu tun, son- sogenannten Rüffert-Urteil, müsste man unser Ta- dern mit gesundem Menschenverstand. riftreuegesetz ändern, damit es mit dem Gemein- (Vereinzelter Beifall bei der SPD) schaftsrecht vereinbar ist. Dieser Fakt ist unstrittig. Nach dieser Änderung würde das Tariftreuegesetz Daher gibt es solche Gesetze in vielen Bundeslän- jedoch nichts regeln, was nicht auch das Arbeit- dern gleich welcher Couleur. In unserem Nachbar- nehmer-Entsendegesetz bereits geregelt hat. land Hamburg, schwarz-grün regiert, ist das ur- sprüngliche Gesetz am 16. Dezember letzten Jahres (Olaf Schulze [SPD]: Sie haben nicht zuge- angepasst worden und gilt dort für Bauleistungen hört!) und Dienstleistungen nach dem Arbeitnehmer-Ent- Wir haben hier also einen konkreten Vorwurf. Jetzt sendegesetz. In Niedersachsen, schwarz-gelb re- erwartet man eigentlich ein konkretes Gegenargu- giert, gibt es seit dem 15. Dezember 2008 ein Lan- ment. desvergabegesetz für Bauleistungen. Was in diesen beiden Ländern möglich ist, sollte auch in Schles- (Zuruf des Abgeordneten Lars Harms [SSW]) 180 Schleswig-Holsteinischer Landtag (17. WP) - 3. Sitzung - Donnerstag, 19. November 2009

(Jens-Christian Magnussen)

- Warten Sie doch ab! Dem, der sucht, empfehle was das Tariftreuegesetz auch kann. Wer das nicht ich, die Begründung zu § 3 Nr. 3 des SSW-Gesetz- glaubt, dem empfehle ich die Lektüre des Ab- entwurfs zu lesen. Da steht wortwörtlich: schnitts 6 des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes, ins- besondere der §§ 17, 21 und 23. Darin steht alles. „Damit wird die für ausländische Unterneh- Bei der Kontrolle kann die öffentliche Hand beim men bei der Entsendung von Arbeitnehme- Arbeitnehmer-Entsendegesetz auf Ressourcen zu- rinnen und Arbeitnehmern ohnehin nach dem rückgreifen, um dessen Einhaltung zu kontrollieren, Arbeitnehmer-Entsendegesetz bestehende Kollege Harms. Bei der Verfolgung von Strafta- Verpflichtung wiederholt.“ ten und Ordnungswidrigkeiten verfügen die Zollbe- Das sollten wir erst einmal sacken lassen. Ich versi- hörden über nachhaltige Befugnisse. Das ist ein un- chere dem Hohen Haus: Die CDU hat diese Passa- gleich schärferes Schwert, mit dem der Staat für die ge nicht eingeführt. Daher verwundert es mich sehr, Interessen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitneh- wie man in die Begründung des eigenen Gesetzes mer eintritt, und darum geht es hier. Es geht um die hineinschreiben kann, dass man es eigentlich gar Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. nicht braucht. Wie sonst soll man die Formulierung Ich erhebe für mich persönlich den Anspruch, dass verstehen, dass das Tariftreuegesetz die bereits wir ehrlich damit umgehen. Außerdem plädiere ich nach dem Arbeitnehmer-Entsendegesetz bestehende dafür, die Unternehmer und die Unternehmen durch Verpflichtung lediglich wiederholt? derartige Debatten nicht ständig unter Generalver- Auch der bei der letzten Landtagstagung vor der dacht zu stellen. Wahl angesprochene Fall, dass nur in Schleswig- (Lars Harms [SSW]: Das tut doch keiner! Holstein für allgemeinverbindlich erklärte Ta- Wir schützen die Unternehmen!) rifverträge eine Anwendung durch das Tariftreue- gesetz finden, ist nur die halbe Wahrheit. Der - Sie sprachen eben die Gleichstellung zwischen EuGH hat klar gesagt, es dürfen nur Mindestlöhne aus- und inländischem Wettbewerb an, verehrter beziehungsweise Mindeststandards in den Tarif- Kollege. Ich spreche jetzt als betroffener Unterneh- verträgen festgelegt werden, die bundesweit gelten mer. Das heißt aber auch, dass wir bundesweit und nur vom Bundesarbeitsminister für allgemein- gleichgestellte Tarife, zwischen Ost und West, auf verbindlich erklärt werden. Kollege Harms, Ihrer gleichem Niveau haben. Hier haben wir auch unse- Vorlage kann man aber entnehmen, dass zumindest re Probleme. dieser Punkt bei Ihnen Berücksichtigung findet. Sie (Beifall bei der CDU) haben das eben bestätigt. Darüber hinaus empfehle ich die Lektüre des Koalitionsvertrages zwischen CDU, CSU und FDP. Dort heißt es auf Seite 13: Präsident Torsten Geerdts: ,,Die Rechtsprechung zum Verbot sittenwid- Herr Kollege, denken Sie bitte an Ihre Redezeit. riger Löhne soll gesetzlich festgeschrieben Jens-Christian Magnussen [CDU]: werden, um Lohndumping zu verhindern." Weitere Verwaltungsschritte ins Verfahren einzu- Ich sage Ihnen: Vertrauen Sie der Koalition im bringen, nur um die Diskussion zu beenden, ist zu Bund. kurz gedacht. Im Ausschuss sollten wir im Interesse (Beifall bei der CDU und vereinzelt bei der aller eine tragfähige und vernünftige Lösung erar- FDP) beiten. Das zweimal zu regeln, so wie Sie es möchten, be- (Beifall bei CDU und FDP) deutet zusätzliches Verwaltungshandeln. Das wol- len wir nicht. Das Thema ist also in guten Händen. Präsident Torsten Geerdts: Für Sie, wie für alle, sind Sanktionen ein wichtiger Für die SPD-Fraktion erteile ich der Frau Kollegin Punkt. Zum Stichwort Strafe bei Nichtbeachtung: Regina Poersch das Wort. Das Arbeitnehmer-Entsendegesetz sieht Strafen von bis zu 500.000 € vor. Das Stichwort Subunter- Regina Poersch [SPD]: nehmer ist in beiden Gesetzen enthalten. Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zum Stichwort Ausschluss von öffentlichen Ver- Die SPD-Fraktion begrüßt, lieber Lars Harms, jede gaben: Beide Gesetze sehen das vor. Sie sehen al- Initiative, die Wettbewerbsverzerrungen entgegen- so, das Arbeitnehmer-Entsendegesetz kann alles, Schleswig-Holsteinischer Landtag (17. WP) - 3. Sitzung - Donnerstag, 19. November 2009 181

(Regina Poersch) wirkt. Das ist nämlich gut für unsere Unternehmen In unserem Vorschlag sollen darüber hinaus die und gängelt sie nicht. Kernarbeitsnormen der Internationalen Arbeits- organisation festgeschrieben werden. Ich nenne als (Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Beispiele Verbot von Kinderarbeit, Zwangsarbeit, NEN und SSW) aber auch umweltverträgliche Beschaffung. Auf- Das ist auch gut für die Beschäftigten in den Unter- tragnehmer öffentlicher Aufträge tragen die Verant- nehmen. Und wir begrüßen jede Initiative, die das wortung, dass Nachunternehmen, die sie ihrerseits Land als öffentlichen Auftraggeber verpflichtet, mit beauftragen, hieran gebunden sind. dem ihm anvertrauten Steuergeld keine Dum- Schließlich gibt es ein Unternehmensverzeichnis, pinglöhne zu finanzieren. in das Firmen eingetragen werden, die öffentliche (Beifall bei SPD und SSW) Aufträge ausführen. So kann sichergestellt werden, Die Initiative der Kolleginnen und Kollegen des dass Firmen, die gegen die Regelungen des Ge- SSW ist deshalb aus unserer Sicht zu begrüßen und setzes verstoßen, von der öffentlichen Verwaltung ausdrücklich zu unterstützen. bei künftigen Aufträgen nicht mehr berücksichtigt werden. Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten sind immer an der Seite derer, die für eine ange- Hamburg ist also auch uns Vorbild. Ich wiederhole messene Entlohnung von Arbeitnehmerinnen und gern, was Lars Harms hier auch schon gesagt hat: Arbeitnehmern kämpfen. Das tun wir im Übrigen Hamburg wird schwarz-grün regiert. Unsere Ziele seit der Gründung unserer Partei vor mehr als 140 gewinnen offenbar immer mehr Anhänger. Jahren. (Vereinzelter Beifall bei der SPD - Zurufe (Vereinzelter Beifall bei der SPD) von der CDU) Deshalb war die Tariftreue auch in den letzten Immer dann, wenn die öffentliche Hand Aufträge Wahlperioden immer ein echtes Herzensanliegen. vergibt, wenn also mit öffentlichen Mitteln Hand- werks- und andere KMUs Aufträge erhalten sollen, Wir haben 2003 das Tariftreuegesetz beschlossen, dann ist ein besonderer Maßstab anzulegen: an die mit dem Beschäftigte und Betriebe im Bauwesen, Qualität der Arbeit, an die Ausschreibungs- und bei der Abfallentsorgung und im Schienenperso- Vergabevoraussetzungen für die Unternehmen und nennahverkehr bei öffentlichen Aufträgen vor an die Entlohnung der Beschäftigten. Lohndumping-Konkurrenz geschützt werden. Wir haben in Zeiten der Großen Koalition sogar die (Beifall bei SPD und der LINKEN) CDU ins Boot holen können - mit der Aufnahme Die Qualität der Arbeit sollt heute nicht das Thema der Busfahrerinnen und Busfahrern in unser Ta- sein. Ich will nur kurz erwähnen, dass ich davon riftreuegesetz. ausgehe, dass unsere Betriebe regelmäßig gute Nun ist das mit der Umsetzung der Tariftreuever- Qualität abliefern. pflichtung nicht so einfach. Der SSW führt das in Ein Wort zu den Unternehmen. Klar ist, dass sich seiner Antragsbegründung auch aus. Gänzlich aus- Tariftreue augenscheinlich erst einmal an die Be- geschlossen ist die Tariftreue jedoch nicht. Es gibt schäftigten richtet. Aber Tariftreue ist mehr. Sie Möglichkeiten, EU-konforme Tariftreueverpflich- schafft gleiche Bedingungen für unsere Unterneh- tungen auszugestalten. Der SSW-Gesetzentwurf ist men und Betriebe im Wettbewerb um öffentliche eine davon. Aufträge. Sie schafft Verlässlichkeit und Transpa- (Beifall beim SSW) renz, gleiche Bedingungen für alle, die sich an öf- fentlichen Ausschreibungen beteiligen. Im Übrigen, Eine andere Idee ist ein Vorschlag meiner Fraktion, der Bauindustrieverband, das Baugewerbe, das der leider ein Opfer der Großen Koalition geworden Handwerk, Gewerkschaften, Landkreistag, kommu- ist. Darin sprechen wir uns dafür aus, nach dem nale Arbeitgeber und viele andere haben das Gesetz hamburgischen Vorbild die Vergabe daran zu unterstützt. Wir bekommen die Rückmeldung, dass knüpfen, dass sich Auftragnehmer verpflichten, sie gute Erfahrungen damit gemacht haben. mindestens den Tarifvertrag anzuwenden, der im Arbeitnehmer-Entsendegesetz zugrunde gelegt Zu den Beschäftigten und ihrer Entlohnung! Man wird. Das ist dann auch so weit der Antrag des kann gar nicht oft genug sagen: Menschen müssen SSW. von ihrer Hände Arbeit angemessen leben können. 182 Schleswig-Holsteinischer Landtag (17. WP) - 3. Sitzung - Donnerstag, 19. November 2009

(Regina Poersch)

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- dass das schleswig-holsteinische Tariftreuegesetz NEN, der LINKEN und SSW) angesichts des Urteils, von dem wir eben schon ge- hört haben, geändert werden muss, wenn es nicht Das ist christlich. Das ist eine Frage der Menschen- mehr gegen den Grundsatz des freien Dienstlei- würde. Ich möchte noch einen Aspekt einbringen, stungsverkehrs nach Artikel 49 des EG-Vertrages der oft zu kurz kommt: Es beugt auch Armut im Al- verstoßen soll. ter vor. Der SSW-Antrag, den ich eben angesprochen habe, (Beifall bei SPD, der LINKEN und SSW) aus dem letzten Jahr sah auch vor, dass Allgemein- Die Debatte ist keineswegs neu. Es ist noch nicht verbindlichkeitsregelungen in Schleswig-Holstein lange her, dass der Landtag in der der 16. Wahlperi- zwingend vorgeschrieben werden sollten. Dies wür- ode die Einführung flächendeckender gesetzlicher de bedeuten, dass ausgehandelte Tariflöhne de facto Mindestlöhne begrüßt und sich für diese ausgespro- zu gesetzlichen Mindestlöhnen würden. Das würde chen hat. Dass das mitnichten ein Eingriff in die einen massiven Eingriff in die grundgesetzlich ver- Tarifautonomie ist, sagt auch der SSW-Gesetzent- ankerte Tarifautonomie bedeuten. wurf. Es geht um faire Löhne. Es geht um gleiche Angesichts der Höhe vieler Tariflöhne, die deutlich Ausgangsbedingungen für die Unternehmen. Es über dem Niveau der gesetzlichen beziehungsweise geht um Gerechtigkeit. diskutierten Mindestlöhne liegen, hätte dies sehr Der EuGH, die Hamburgische Bürgerschaft, unsere negative Auswirkungen auf die wirtschaftliche Ent- Vorschläge und gerade heute der Gesetzentwurf des wicklung und den Arbeitsmarkt. Dies wollen wir SSW rücken das in das rechte Licht. Der Staat darf ausdrücklich nicht. Dumpinglöhne weder akzeptieren noch zahlen. (Beifall bei FDP und CDU) Das ist sozial und gerecht für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, aber das ist eben auch gut für Nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs unsere Wirtschaft. hatte die schwarz-rote Landesregierung das nicht europarechtskonforme Tariftreuegesetz als logische (Anhaltender Beifall bei SPD, BÜNDNIS Konsequenz zunächst per Erlass aufgehoben. Das 90/DIE GRÜNEN, der LINKEN und SSW) haben wir heute auch schon gehört. Nach dem Bruch der Koalition hatte die zwischenzeitlich wie- Präsident Torsten Geerdts: der zusammengefundene Mehrheit von SPD, Grü- Zu seiner ersten Rede im Schleswig-Holsteinischen nen und SSW in diesem Haus diesen Erlass wieder Landtag erteile ich dem neuen FDP-Abgeordneten eingesetzt, obwohl sich an der nicht vorhandenen Christopher Vogt das Wort. EU-Rechtskonformität nichts geändert hatte. (Beifall) (Wolfgang Kubicki [FDP]: Das ist ihnen völ- lig egal!) Christopher Vogt [FDP]: Der vorgelegte Gesetzentwurf des SSW ist aus un- Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das serer Sicht noch diskussionswürdig. So fehlt bei- bestehende schleswig-holsteinische Tariftreuege- spielsweise - wir haben es schon vom Kollegen setz muss geändert werden, wenn es nicht mehr ge- Magnussen gehört - eine Regelung für den ÖPNV, gen EU-Recht verstoßen soll. Das haben wir schon da dieser im Arbeitnehmer-Entsendegesetz nicht gehört. Das sieht nun auch der SSW so, nachdem er berücksichtigt wird. Es stellt sich zudem die Frage, noch im letzten Jahr hier in diesem Haus einen ganz wer die Sittenwidrigkeit der Entgelte überprüfen anderen Weg gehen wollte. Da wollte der SSW soll, warum die Überprüfung der Sittenwidrigkeit noch den Weg über eine Bundesratsinitiative gehen im Gesetzentwurf des SSW überhaupt enthalten ist, und dadurch das geltende EU-Recht verändern, um denn sittenwidrige Löhne sind rechtswidrig. so das bestehende schleswig-holsteinische Ta- (Wolfgang Kubicki [FDP]: Richtig! - Lars riftreuegesetz nicht ändern zu müssen. Harms [SSW]: Wer prüft das? Das ist das (Zuruf des Abgeordneten Wolfgang Kubicki Problem!) [FDP]) Es ist möglich, den Rechtsweg zu gehen, gericht- Dieser Weg hat sich nun auch für den SSW als un- lich dagegen vorzugehen. tauglich und nicht durchsetzbar erwiesen. Wir be- (Beifall bei CDU und FDP) grüßen, dass der SSW jetzt auch der Meinung ist, Schleswig-Holsteinischer Landtag (17. WP) - 3. Sitzung - Donnerstag, 19. November 2009 183

(Christopher Vogt)

Der Ausschuss sollte aus unserer Sicht das Ta- gislaturperiode keine Initiativen zum Schutz von riftreuegesetz beziehungsweise den Gesetzentwurf Arbeitnehmerinteressen mehr. Ganz im Gegenteil, insgesamt genau überprüfen. Ziel muss es sein, ein bundesweiter gesetzlicher Mindestlohn ist endlich Klarheit für Unternehmen sowie die Arbeit- weiter denn je entfernt. nehmerinnen und Arbeitnehmer im Land zu schaf- Eines ist auch klar: Man will „dort unten“ nicht fen. Da sind wir uns, denke ich, einig. Dabei muss wirklich für gerechte Löhne sorgen. Der Beschluss auch geprüft werden, wie ein EU-rechtskonformes von gestern zeigt aber, dass man „denen dort oben“ Tariftreuegesetz in Schleswig-Holstein aussehen in einem Handstreich mal eben Sonderboni zubilli- könnte, das mit Blick auf alle Beteiligten sinnvoll gen will. ausgestaltet ist und langfristig für klare Verhältnis- se sorgen kann. Der zu erarbeitende Entwurf sollte (Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, mit Blick auf das Thema Entbürokratisierung SPD, der LINKEN und SSW) darauf ausgerichtet sein, unnötige Bürokratie zu Meine verehrten Damen und Herren, es bleibt fest- vermeiden und den Wettbewerb möglichst wenig zustellen: „Denen da unten“ wird genommen, und einzuschränken. Ich freue mich, dass sich auch die „denen da oben“ wird gegeben. Ich habe gedacht, SPD gegen Wettbewerbseinschränkungen ausge- bei einem christlich-humanistischen Menschenbild sprochen hat. Da sind wir uns einig. wäre es genau andersherum. Wir sollten es uns außerdem zur Aufgabe machen, (Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sämtliche Tariftreueregelungen in den Landesge- und der LINKEN) setzen und Landesverordnungen auf EU-Rechts- konformität zu überprüfen. Mit Blick auf einige an- Durch die EuGH-Rechtsprechung vom 3. April dere Bundesländer sollten wir auch prüfen, ob wir 2008 zu Teilen des niedersächsischen Vergabege- das Tariftreuegesetz überhaupt erhalten sollten. Ei- setzes sind die Tariftreuegesetze der Länder aus- nige Länder haben es abgeschafft, zum Beispiel gehebelt worden. Ich nenne hier sehr verkürzt und NRW und Sachsen-Anhalt, andere Länder haben es auch sehr plakativ eine wesentliche Begründung. beibehalten beziehungsweise nach dem Rüffert-Ur- Der Wettbewerbsvorteil ausländischer Firmen teil angepasst. Wir sollten das im Ausschuss disku- besteht nun einmal in geringeren Lohnkosten. tieren. Wenn sie diesen Wettbewerbsvorteil nicht nutzen dürfen, werden sie vom Wettbewerb ausgeschlos- (Beifall bei FDP und CDU) sen. Eine Tariftreueverpflichtung stellt daher eine Beeinträchtigung dieser Firmen dar. Tariftreue be- Präsident Torsten Geerdts: wirkt laut Gericht deshalb gerade nicht eine fakti- Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN er- sche Gleichstellung mit deutschen Arbeitnehmerin- teile ich Herrn Kollegen Andreas Tietze das Wort. nen und Arbeitnehmern. Das ist eine Argumentati- on, auf die man erst einmal kommen muss. Andreas Tietze [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es war richtig, dass die Landesregierung im Lichte Sehr geehrtes Präsidium! Sehr geehrter Herr Präsi- des EuGH-Urteils unser Tariftreuegesetz überprüft dent! Meine Damen und Herren! Eine gesetzliche hat. Der entsprechende Erlass des Wirtschaftsmini- Regelung der Tariftreue ist sinnvoller denn je. Es steriums vom 26. Mai 2008 zeigt aber deutlich, muss eine entsprechende Kontrolle von Unterneh- dass das Ministerium kein Herzblut für das Thema men und ihrer Subunternehmer geben, wenn diese Tariftreue übrighat. Durch eine sechsjährige Mit- einen öffentlichen Auftrag erhalten. Der Staat ist gliedschaft im Kreistag in Nordfriesland bin ich an hier in einer besonderen Vorbildfunktion. Dies gilt den kommunalen Entscheidungsträgern noch sehr im Übrigen auch bei Unternehmen, in denen das nahe dran. Wir diskutieren derzeit über die Regio- Land erheblichen Einfluss ausüben kann. Ich erin- nalisierung der Abfallwirtschaftsgesellschaft, denn nere an die Diskussion von heute Morgen über die das Problem der niedrigen Löhne wird sich in der Teilprivatisierung der Service GmbH beim schlechten Qualität niederschlagen. Die Bürgerin- UK S-H. nen und Bürger erwarten aber, dass sie für ihre Müllgebühren auch eine ordentliche Dienstleistung In Berlin konnte man sich nicht auf einen einheitli- erhalten. Dafür bedarf es aber ordentlicher Löhne chen bundesweiten Mindestlohn einigen. Man und einer gerechten Bezahlung. Daran können Sie schleppte sich über Änderungen im Entsendegesetz auch nichts ändern. bis zur Bundestagswahl hin. Von der neuen Bun- desregierung erwarten wir jedenfalls in dieser Le- 184 Schleswig-Holsteinischer Landtag (17. WP) - 3. Sitzung - Donnerstag, 19. November 2009

(Andreas Tietze)

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, tun müssen. Wir sind deshalb sehr dankbar, dass SPD und SSW) der SSW dieses Verfahren auf die Tagesordnung gebracht hat. Der vorliegende Gesetzentwurf ist ein Offensichtlich war der Landesregierung das eigene guter und richtiger. Für meine Fraktion kann ich er- Tariftreuegesetz schnurzegal. Das betraf im Übri- klären, dass wir uns an die gestalterische und kon- gen auch den SPD-Regierungsteil. Ich kann verste- struktive Arbeit begeben werden, damit wir die an- hen, dass Sie heute daran nur ungern erinnert wer- gesprochene Regelung dann zumindest auch für den wollen. Im Erlass wird ausdrücklich darauf hin- Schleswig-Holstein erreichen werden. gewiesen, dass bei neuen Vergabeverfahren eine Tariftreueerklärung nicht mehr einzufordern ist. (Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Deshalb sollte dieser Erlass schnellstens aufgeho- und SSW - Zuruf des Abgeordneten Wolf- ben werden. gang Kubicki [FDP]) Es war 2008 auch wenig hilfreich, dass die CDU - Ich kann wirklich nur hoffen, Herr Kubicki, dass erklärte: Wir haben schon immer rechtliche und bei Ihnen immer noch ein sozial-liberales Herz volkswirtschaftliche Bedenken gegen ein Tariftreu- schlägt und dass der Takt nicht ins Neoliberale ab- egesetz gehabt. Ich frage Sie: Was nutzt das? - Pro- driftet. Ich würde mich sehr darüber freuen. Ich bleme lösen Sie auf diese Weise nicht. denke, dass nicht nur ich, sondern auch unsere Bür- gerinnen und Bürger hier in Schleswig-Holstein Wir Grünen sagen dagegen, Arbeitnehmerinnen sich darüber freuen würden. und Arbeitnehmer müssten von der guten Arbeit, die sie leisten, auch leben können. Dass es ein (Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Recht auf Arbeit gibt, muss ich in diesem Haus, wie und SSW) ich glaube, nicht betonen. Wenn dieser einfache Wir Grüne stehen jedenfalls zu unserem Programm. Grundsatz in unserer Arbeitswelt nicht mehr gilt, Wir wollen ein wirksames Tariftreuegesetz. Wir dann ergeben sich gewaltige Verwerfungen. Das ist stimmen dem Gesetzentwurf des SSW zu. eine Bankrotterklärung für unsere Volkswirtschaft. Viele Menschen haben dafür, wie gesagt, kein Ver- (Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, ständnis mehr. Das gilt gerade in Zeiten der Wirt- der LINKEN, SSW und vereinzelt bei der schafts- und Bankenkrise. Die Menschen können SPD) das nicht mehr nachvollziehen. Sie gucken gerade in dieser Frage sehr genau hin. Präsident Torsten Geerdts: (Wolfgang Kubicki [FDP]: Deswegen sind Das Wort hat der Vorsitzende der Fraktion DIE Sie ja auch gewählt worden!) LINKE, Herr Abgeordneter Jezewski. - Ja, es ist auch gut, dass sie uns gewählt haben. So wenig Stimmen haben wir ja nicht bekommen. Heinz-Werner Jezewski [DIE LINKE]: Die öffentliche Hand hat bei ihren Auftragsverga- Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! ben eine gesellschaftliche und, wie ich finde, auch Wir reden immer wieder über internationale Stan- eine ethisch-moralische Vorbildfunktion. Es ist un- dards. Mit Bologna haben wir Bildungsstandards sere politische Aufgabe, eine Tariftreueregelung angeschoben. Wir reden auch viel über internatio- zu finden, die dem Rüffert-Urteil gerecht wird. Ta- nale Sozialstandards, über europäische Sozialstan- riftreueerklärungen können nach dem EuGH-Urteil dards. Die Bundesregierung ist aber nicht in der La- für bundesweit geltende und für als allgemein ver- ge, Tariftreue per Bundesgesetz zu gewährleisten. bindlich erklärte Tarifverträge gelten. Das haben Wir befinden uns hier im Bereich der konkurrie- Sie hier schon gesagt. Meine Vorredner haben renden Gesetzgebung. Die Bundesregierung könn- schon auf das sogenannte Entsendegesetz verwie- te diesen Mangel ganz einfach abstellen. Dazu ist sen. sie aber seit 15 Jahren, seitdem über dieses Thema diskutiert wird, nicht in der Lage. Jetzt geht es wirklich darum, die Spielräume zu nutzen, die wir in dieser Frage nutzen können. Die Wir unterstützen den Gesetzentwurf des SSW. Wir schwarz-grüne Landesregierung in Hamburg hat würden ihn im Ausschuss gern noch etwas modifi- das getan, indem sie genau das, worum es hier geht, zieren. So hätten wir in dem Gesetzentwurf zum ausgelotet hat. Diese Feinabstimmung im Bereich Beispiel noch gern die folgende Formulierung: Un- Tariftreue ist etwas, was unsere Wertschätzung er- beschadet etwaiger weiterer Anforderungen nach fährt und was wir auch hier in Schleswig-Holstein den vorherigen Absätzen werden Aufträge an Un- Schleswig-Holsteinischer Landtag (17. WP) - 3. Sitzung - Donnerstag, 19. November 2009 185

(Heinz-Werner Jezewski) ternehmen nur in dem Fall vergeben, wenn diese ihre Mitarbeiter so bezahlen, dass sie in der näch- sich bei der Angebotsabgabe schriftlich verpflich- sten Woche vor der ARGE stehen und eine Auf- ten, ihren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bei stockung durch Arbeitslosengeld II beantragen? der Ausführung der Leistungen mindestens ein Wir müssten dann sozusagen zweimal bezahlen. Ich Stundenentgelt von 10 € zu bezahlen. kann mir nicht vorstellen, dass irgendein Abgeord- neter der Regierungsfraktionen dies möchte. Des- (Beifall bei der LINKEN) wegen baue ich darauf, dass wir im Ausschuss eine Wir wissen, was Sie davon halten. Eine solche For- Lösung finden werden, mit der alle leben können. mulierung kann man natürlich einbauen. (Beifall bei der LINKEN und SSW) Ich will im Hinblick auf ein paar Unklarheiten hier einiges klarstellen. Das Rüffert-Urteil trifft für das Präsident Torsten Geerdts: schleswig-holsteinische Tariftreuegesetz nicht zu. Die Kommentierungen dieses Urteils helfen uns na- Für einen Dreiminutenbeitrag erteile ich dem Herrn türlich. Aus den Kommentierungen ist deutlich zu Abgeordneten Johannes Callsen das Wort. entnehmen, dass man weitere soziale Anforderun- gen an Unternehmen formulieren kann, die öffentli- Johannes Callsen [CDU]: che Aufträge erhalten. Ich nenne hier beispielswei- Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin se die Beachtung der ILO-Kernarbeitsnormen, das heute Morgen in einer Besuchergruppe gewesen, da Verbot der Zwangs- oder Pflichtarbeit, das Recht haben wir über Ehrlichkeit und Redlichkeit gespro- der Vereinigungsfreiheit, die Gleichheit des Ent- chen. Ich finde es ein ganzes Stück unredlich, dass gelts für männliche und weibliche Arbeitskräfte, hier insbesondere der CDU unterstellt wird, wir das Verbot der Diskriminierung in Beschäftigung würden mit unserer Skepsis an diesem Tariftreue- und Beruf, das Mindestalter für die Zulassung zur gesetz für Lohndumping sein, wir würden für men- Beschäftigung und spezielle Regelungen betreffend schenunwürdige Löhne sein, und wir würden für die Frauenförderung. Es ist erlaubt, all das in ein Wettbewerbsverzerrung sein. Es ist unredlich, das Tariftreuegesetz aufzunehmen. hier zu behaupten. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei CDU und FDP - Zurufe) Es ist auch ein Gerücht, dass das Ganze für Unter- - Doch! Wenn Sie sich die Historie betrachten: Es nehmen des öffentlichen Personennahverkehrs war das Arbeitnehmer-Entsendegesetz, das hier nicht funktionieren würde. Ich verstehe die Einzel- schon vielfach gelobt worden ist, das 1996 auf Bun- heiten auch nicht immer ganz. Es gibt ein soge- desebene von einer bürgerlichen Regierung von nanntes Niederlassungserfordernis gemäß § 13 CDU und FDP eingeführt worden ist, in dem erst- Abs. 1 Nr. 4 des Personenbeförderungsgesetzes. mals Mindestlöhne im Baubereich geregelt wurden. Aus diesem Niederlassungserfordernis ergibt sich, Wir waren es, die CDU-Fraktion, die in der Großen dass aus dem Erfordernis zur Einhaltung bestimm- Koalition sehr verantwortungsvoll und nach sehr ter Tarifverträge keine Behinderung der Niederlas- intensiven Diskussionen mit allen Beteiligten das sung resultiert. Somit kann man natürlich - andere Tariftreuegesetz in Schleswig-Holstein verlängert Gesetzgeber tun das schon - auch den Personennah- und erweitert haben, für die Arbeitnehmer, aber verkehr in Deutschland in ein derartiges Gesetz ein- ganz besonders auch für den Mittelstand im Land. bauen. Aber wir müssen, liebe Kolleginnen und Kollegen, (Beifall bei der LINKEN) doch ernsthafterweise erkennen, dass sich seitdem mit dem EuGH-Urteil die Rechtslage verändert Wir betrachten dies als einen ganz wichtigen ersten hat. Ich bitte, diese rechtliche Wahrheit dann auch Schritt, um Rechtssicherheit herzustellen. bei allem politischen Populismus zur Kenntnis zu Es gibt genug Gemeinden in Schleswig-Holstein, nehmen. die nach diesem Tariftreuegesetz arbeiten möchten Der Kollege Magnussen hat es gesagt - - und im Moment der Ansicht sind, sie dürften es nicht tun, weil es das unselige Rüffert-Urteil gibt, (Zurufe) das keineswegs auskommentiert ist. Ich glaube, - Nein, die Rechtslage hat sich nach dem Urteil ver- dass wir in den Ausschüssen mit sehr viel Sachver- ändert. Irgendwann werden Sie das vielleicht auch stand an dieses Gesetzeswerk herangehen müssen. begreifen. Wer in diesem Haus will denn ernsthaft, dass öf- fentliche Hände Aufträge an Firmen vergeben, die 186 Schleswig-Holsteinischer Landtag (17. WP) - 3. Sitzung - Donnerstag, 19. November 2009

(Johannes Callsen)

Der Kollege Magnussen hat es erläutert: Es gibt das deshalb haben wir diesen Gesetzentwurf einge- Arbeitnehmer-Entsendegesetz. Mehr Raum ist uns bracht. als Landesgesetzgeber überhaupt nicht gegeben Ich kann Ihnen zusagen, allen Fraktionen, Ihnen ei- nach dem europäischen Recht. Das Arbeitnehmer- ne Expertise des Wissenschaftlichen Dienstes zur Entsendegesetz enthält auch Sanktionsmöglichkei- Verfügung zu stellen, in der Sie die rechtlichen ten: Geldbußen, Ausschluss von öffentlichen Auf- Hintergründe für unseren Gesetzentwurf noch ein- trägen. Was die Sittenwidrigkeit von Löhnen an- mal nachlesen können und in der Sie insbesondere geht, so sind öffentliche Arbeitgeber jetzt schon sehen können, dass es durchaus einen Unterschied nach VOL und VOB verpflichtet, unangemessen gibt zwischen Sanktionsmöglichkeiten gemäß Ar- niedrige Löhne zu überprüfen. beitnehmer-Entsendegesetz und Tariftreuegesetz. Insofern kann ich nur abschließend sagen: Der ehe- Das biete ich Ihnen an. Sie können sich das durch- malige SPD-Arbeitsminister Uwe Döring hat recht, lesen, und dann können Sie das ganz in Ruhe be- wenn er in seiner rechtlichen Bewertung dieses werten. ganzen Komplexes zum Tariftreuegesetz zum Er- Das Dritte, was ich ganz wichtig finde, ist: Es ist gebnis gekommen ist, dass diese Regelung rein de- ohnehin eine erste Lesung. Wir werden - davon ge- klaratorischen Charakter hat. Ich kann es nur noch he ich einmal aus - im Ausschuss eine Anhörung einmal zitieren. Das gilt im Übrigen auch für das machen. Dann werden wir auch die guten Argu- Hamburger Vergabegesetz, liebe Kollegin mente der Anzuhörenden hören. Wenn ich mich Poersch, über das wir gesprochen haben, wozu wir daran erinnere, was die Anzuhörenden, und zwar auch gesagt haben, die regeln nichts anderes als gleich welcher Couleur, egal, ob rechts, links, ob das, was im Arbeitnehmer-Entsendegesetz rechtlich Unternehmer, Arbeitnehmer, Verbände oder Hand- geregelt ist. Zu den ILO-Kernarbeitsnormen gibt werksverbände, wer auch immer, zu diesem Gesetz es im Übrigen bereits einen Erlass des Landesfi- zu sagen haben, dann bin ich mir ziemlich sicher, nanzministers. Auch das ist keine Neuigkeit hier in dass wir am Ende ein gutes Gesetz bekommen wer- Schleswig-Holstein. den. Es gibt kaum ein Gesetz, das so aus einem Also, liebe Kolleginnen und Kollegen der Oppositi- Ausschuss wieder herauskommt, wie es hineinge- on, gaukeln Sie den Menschen nichts vor! Gehen gangen ist. Ich bin guter Dinge, dass wir alle ge- Sie ehrlich mit ihnen um! Sagen Sie ihnen, was meinsam ein Tariftreuegesetz zum Wohle sowohl Landesgesetzgeber regeln können und was sie nicht der Arbeitnehmer als auch der Unternehmen be- regeln können! Seien Sie ehrlich! Die Menschen schließen werden. Wir sollten die Schärfe heraus- merken das, wenn nicht ehrlich mit ihnen umgegan- nehmen und uns die Expertise der Anzuhörenden gen wird. Vielleicht hat das auch zum Ergebnis der anhören. Ich glaube, dann kommen wir zu einer Landtagswahl in Schleswig-Holstein geführt. vernünftigen Lösung. (Beifall bei CDU und FDP - Zurufe von der (Beifall bei SSW und SPD) SPD) Präsident Torsten Geerdts: Präsident Torsten Geerdts: Ich erteile dem Minister für Wissenschaft, Wirt- Das Wort zu einem weiteren Dreiminutenbeitrag schaft und Verkehr, Herrn Jost de Jager, das Wort. erhält der Herr Abgeordnete Lars Harms.

Lars Harms [SSW]: Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich habe mich noch einmal zu Wort gemel- det, weil ich eigentlich ein bisschen die Schärfe herausnehmen will. Ich gebe dem Kollegen Callsen natürlich recht, die Rechtslage hat sich tatsächlich geändert. Sonst hätten wir diesen Gesetzentwurf gar nicht eingebracht. Es ist in der Tat so, allgemein- verbindliche Löhne bundesweit beziehungsweise gesetzlich festgelegte Löhne bundesweit, alles an- dere ist nicht mehr möglich. Das wissen wir, und Schleswig-Holsteinischer Landtag (17. WP) - 3. Sitzung - Donnerstag, 19. November 2009 187

Jost de Jager, Minister für Wissenschaft, Wirt- die man weitergeben kann nach Berlin. Ich glaube, schaft und Verkehr: es sollte nicht unsere Aufgabe hier im Landtag sein, Ergänzungsgesetzgebung für den Bundestag auf Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Weil den Weg zu bringen. schon sehr viel gesagt worden ist, kann ich mich hoffentlich einigermaßen kurz fassen. Ich möchte Ein anderer Grund, weshalb wir Ihr Gesetz nicht aber, Herr Abgeordneter Harms, auf das eingehen, brauchen, ist, dass es im Frühjahr dieses Jahres eine was Sie eben in Ihrem Beitrag gesagt haben, weil Klärung durch das Gesetz zur Modernisierung nach meiner Einschätzung der Grat für Ihren Ge- des Vergaberechts vom 24. April 2009 gab, in setzentwurf nach Ihren Einlassungen eben noch dem klargestellt worden ist, dass öffentliche Auf- einmal schmaler geworden ist. Sie haben selber träge nur an gesetzestreue Unternehmen verge- darauf verwiesen, dass es einen Spielraum für eine ben werden dürfen. Dazu gehören nach Auffassung landesgesetzliche Regelung nicht mehr gibt. Man des Bundesgesetzgebers nur Unternehmen, die die muss nämlich zur Kenntnis nehmen: Der Sinn des Vorschriften des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes Tariftreuegesetzes, das wir in Schleswig-Holstein und die darauf fußenden allgemeinverbindlichen hatten, bestand darin, die heimischen Unterneh- Tarifverträge einhalten. Es ist in der Begründung men vor Anbietern aus anderen Bundesländern zu ausführlich dargelegt, dass zu den von allen Unter- schützen, in denen es niedrigere Tariflöhne gab. nehmen einzuhaltenden Regeln auch gemeinver- Diese Regelung - das haben Sie selber bestätigt - ist bindliche Tarifverträge gehören. Auch wenn sie nach dem EuGH-Urteil nicht mehr möglich. Das keine formellen Gesetze sind, so sind es doch allge- hat übrigens dazu geführt, dass all diejenigen Bun- meinverbindliche, gesetzesähnliche Rechtsakte, de- desländer, die landeseigene Tariftreuegesetze hat- nen sich kein Unternehmen entziehen darf. ten, diese Gesetze, wie auch wir in Schleswig-Hol- Mit anderen Worten: All das, was gesetzlich nach stein, außer Kraft gesetzt haben. dem EuGH-Urteil noch zu regeln ist, ist bundesge- Wir hatten übrigens - auch das ist die Wahrheit -, in setzlich geregelt, ist jetzt schon Gegenstand der einer gemeinsamen Arbeitsgruppe in der vergange- Vergabeentscheidungen. Aus diesem Grunde ist es nen Großen Koalition, die zusammengesetzt war die Auffassung des Ministeriums und der Landesre- aus unserem Ministerium, dem Innenministerium gierung, dass wir ein zusätzliches eigenes Landes- und dem Justizministerium, beide in der letzten Pe- gesetz nicht brauchen. riode rot geführt, die gemeinsame Einschätzung, (Beifall bei CDU und FDP) dass das Tariftreuegesetz in Schleswig-Holstein nicht zu halten sein würde. Insofern gibt es keinen Spielraum mehr für eine landesgesetzliche Rege- Präsident Torsten Geerdts: lung. Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen Nun kann man zu dem Punkt kommen wie die liegen nicht vor. Ich schließe die Beratung. Es ist Hamburger, dass man eine deklaratorische Rege- beantragt worden, den Gesetzentwurf Drucksache lung auf den Weg bringt. Ich bin aber der Auffas- 17/39 dem Wirtschaftsausschuss und mitberatend sung, dass Gesetzentwürfe das falsche Mittel sind, dem Innen- und Rechtsausschuss zu überweisen. um Absichten zu erklären. Dazu kann man Resolu- Wer dem so zustimmen will, den bitte ich um das tionen und Anträge einbringen, aber keine Ge- Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltun- setzentwürfe. Insofern, glaube ich, brauchen wir gen? - Einstimmig so beschlossen! diesen Gesetzentwurf in der Tat nicht. Ich rufe Tagesordnungspunkt 28 A auf: (Beifall bei CDU und FDP) Wir brauchen ihn aus zwei anderen Gründen auch Besetzung und Wahl der Mitglieder des Land- nicht. Der eine ist schon mehrfach benannt worden, tags für den Wahlkreisausschuss auch in den Debattenbeiträgen: Das, was jetzt noch Wahlvorschlag der Fraktionen von CDU, SPD, zu regeln ist, nachdem das EuGH die Landesta- FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, DIE LINKE riftreuegesetze außer Kraft gesetzt hat, ist in der Tat und SSW durch das Arbeitnehmer-Entsendegesetz gelöst. Drucksache 17/60 Wenn Sie der Auffassung sind, dass der Sanktions- katalog dort nicht ausreicht, dann müssen Sie den Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das Bundesgesetzgeber bemühen und nicht den Landes- ist nicht der Fall. Eine Aussprache ist nicht vorge- gesetzgeber. Das ist dann in der Tat eine Aufgabe, sehen. 188 Schleswig-Holsteinischer Landtag (17. WP) - 3. Sitzung - Donnerstag, 19. November 2009

(Präsident Torsten Geerdts)

Wer dem Wahlvorschlag Drucksache 17/60 zustim- (Beifall bei SSW, SPD, BÜNDNIS 90/DIE men will, den bitte ich um das Handzeichen. - Die GRÜNEN und der LINKEN) Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Das ist ein- Für uns als SSW ist es wichtig, dass die unterirdi- stimmig so beschlossen. sche Lagerung von CO2 bundesweit verboten wird. Ich rufe Tagesordnungspunkt 25 auf: Das ist das Ziel unseres Antrags. (Beifall bei SSW, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Unterirdische Lagerung von CO2 bundesweit NEN, der LINKEN und vereinzelt bei der verbieten SPD) Antrag der Fraktion des SSW Denn die CCS-Technologie ist nur ein Feigenblatt Drucksache 17/38 der Stromkonzerne, die den Bau neuer Kohle- kraftwerke damit rechtfertigen wollen. Änderungsantrag der Fraktionen von CDU und FDP (Beifall bei SSW, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Drucksache 17/55 NEN und der LINKEN) Und für die politisch Verantwortlichen ist die CCS- Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das Technologie ein Feigenblatt für schlechte Klima- ist nicht der Fall. schutzpolitik. Letztlich macht es aber deutlich, wel- Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Herr Ab- che Macht die Lobbyisten der vier großen Strom- geordneter Meyer für die SSW-Fraktion. Herr Mey- konzerne auf die Politik in Berlin haben. er hält im Schleswig-Holsteinischen Landtag seine (Wolfgang Kubicki [FDP]: Vor allem auf die erste Rede. SPD!) (Beifall) Für uns als SSW ist klar, dass neue Kohlekraft- werke nur dann gebaut werden dürfen, wenn im Flemming Meyer [SSW]: Gegenzug alte Kraftwerke vom Netz genommen Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist werden. Dort, wo gegebenenfalls neue Kraftwerke erfreulich, dass im Kieler Koalitionsvertrag von entstehen, muss es eine entsprechende Infrastruktur CDU und FDP zu lesen ist, dass sie die Einlagerung geben, damit die Abwärme voll genutzt wird. Ohne diese Grundvoraussetzungen werden wir die Errich- von CO2 in Schleswig-Holstein ablehnen und man sich dafür einsetzen will, dass die Länder selbst tung neuer Kohlekraftwerke nicht akzeptieren. darüber entscheiden sollen, die unterirdische Spei- Wenn klar ist, dass in den nächsten Jahren in cherung von CO2 auf ihrem Gebiet auszuschließen. Deutschland mehr als 25 neue Kohlekraftwerke ge- Der Koalitionsvertrag von CDU und FDP in Berlin baut werden sollen und alte Kraftwerke erhalten sieht aber eine solche Regelung nicht vor. Es bleibt bleiben, macht das deutlich, dass Deutschland kei- also abzuwarten, was uns das CCS-Gesetz bringen nen nationalen Handlungsplan hat, geschweige wird - Stichwort Länderklausel. Es ist aber sicher: denn ein Ausstiegsszenario aus der Kohle vorbe- Das CCS-Gesetz kommt auf die Tagesordnung, reitet hat. Unterm Strich bedeutet dies eine Steige- und das Thema CO2-Endlager ist damit noch nicht rung der jährlichen CO2-Emissionen um über vom Tisch. 100 Millionen t. Das ist kein Beitrag zum Klima- Für Schleswig-Holstein mag das Thema hoffentlich schutz. begraben sein. Man hat sich bei uns mittlerweile (Beifall bei SSW und BÜNDNIS 90/DIE parteiübergreifend gegen die unterirdische Lage- GRÜNEN) rung von CO2 positioniert, auch wenn CDU, SPD, FDP und Grüne hier lange Zeit einen Spagat zwi- Die CCS-Technologie nun als Heilsbringer für das schen Landes- und Bundespolitik machen mussten. Klima darzustellen, ist eine Farce. Kohlekraft ist veraltete Energiepolitik, und mit der CCS-Techno- Ich möchte aber deutlich sagen, dass das Thema so logie halten wir über mehrere Jahrzehnte an dieser lange nicht aus der Welt ist, wie in Berlin immer veralteten Energieform fest. Die ganze Augenwi- noch an einem CCS-Gesetz festgehalten wird. So- scherei um CO2-freie Kohlekraftwerke auf Basis ei- lange dies so ist, lassen wir die politischen Befür- ner nicht erprobten und nicht ausgereiften CCS- worter der CCS-Technologie nicht aus ihrer Ver- Technologie führt uns in der Klimapolitik kein antwortung. Stück weiter. Schleswig-Holsteinischer Landtag (17. WP) - 3. Sitzung - Donnerstag, 19. November 2009 189

(Flemming Meyer)

(Beifall bei SSW, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Dr. Michael von Abercron [CDU]: NEN, der LINKEN sowie vereinzelt bei der Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und SPD) Herren! Liebe Kollegen! Ein altes Sprichwort sagt: Im Hinblick auf die kommende große Klimakonfe- „Ein guter Hahn kräht auch zweimal!“ Warum sage renz in Kopenhagen bleibt abzuwarten, was das ich das? - Schon mehrere Male, genauer gesagt Ergebnis der Konferenz sein wird. Dort finden die fünfmal, ist in diesem Hohen Haus über das Thema Verhandlungen über ein umfassendes Klimaschutz- CCS-Technologie heftig diskutiert worden, und abkommen für die Zeit nach 2012 statt. Es geht un- zwar in weniger als einem Jahr. Das ist eine ganze ter anderem um die weitere Reduzierung der Treib- Menge. Sind denn die Gesetzesinitiativen, die wir hausgase sowie um die Entwicklung von klima- jetzt starten, und die Beiträge, die wir heute leisten, freundlichen Techniken. Derzeit sind die Vorzei- tatsächlich mindestens zweimal so gut? - Ich bin chen für Kopenhagen nicht die besten. Die Vorkon- mir sicher, dass wir das nicht ganz schaffen. Des- ferenz in Barcelona brachte keine konkreten Fort- wegen werden einige Wünsche an der Stelle uner- schritte für die Verminderung von Treibhausgasen. füllt bleiben. Das ist sehr bedauerlich. Umso wichtiger ist es, Tatsächlich hat es keine neuen fachlichen und sach- dass Deutschland seinen Teil dazu beiträgt, zu- lichen Gründe gegeben. Insofern gibt es auch keine kunftsfähige Energieformen zu fördern. Die Ent- neuen Gründe für die Beschlussfassung. Das wich- wicklung der CCS-Technologie würde über Jahr- tigste Ergebnis der Diskussion in der Vergangen- zehnte Unsummen kosten und damit die Entwick- heit war nämlich, dass sich, wie eben schon ange- lung der regenerativen Energieformen blockieren. sprochen wurde, alle Fraktionen einig waren, diese Darum gehören die Forschungsgelder in nachhalti- CCS-Technologie in Schleswig-Holstein mittels ge Energieformen gesteckt, die wirklich einen Bei- RWE nicht zuzulassen. trag zum Klimaschutz leisten. (Vereinzelter Beifall bei der CDU) (Beifall bei SSW, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN, der LINKEN sowie vereinzelt bei der Im Wesentlichen haben wir es Ministerpräsident SPD) Peter Harry Carstensen zu verdanken, dass mithilfe der Bundestagsgruppe Schlimmeres verhindert wer- Das ist das, was die Menschen wollen. Sie wollen den konnte. Es hätte nämlich in der vergangenen kein CO -Endlager. Sie wollen eine nachhaltige 2 Legislaturperiode ein CCS-Gesetz geben können, Energiepolitik. In Wallsbüll - das ist im vergange- das uns trotz dieser Beschlüsse diese Technologie nen halben Jahr ein Zentrum der Bürgerinitiative beschert hätte. gegen die unterirdische Einlagerung von CO2 gewe- sen - haben wir vor der Wahl erlebt, wie sich Poli- (Beifall bei der CDU) tiker sämtlicher Couleur, teilweise eingeladen, teil- Meine Damen und Herren, folgerichtig hat die weise auch nicht, die Klinke in die Hand gaben. RWE vor wenigen Tagen erklärt, dass sie sich von Nach der Wahl tauchen leider nicht mehr so viele dem Projekt zurückzieht. dort auf. Wer den Leuten dort zugehört hat, der weiß, dass diese Menschen CO2 nicht nur nicht in (Beifall bei CDU, FDP und vereinzelt bei Schleswig-Holstein haben wollen, sondern auch BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) nicht anderswo. Die Menschen wissen nämlich, Niemand in diesem Haus wird darüber sehr traurig dass der Klimawandel nicht an der Grenze Schles- sein. Das Projekt wurde von der betroffenen Bevöl- wig-Holsteins aufhört. Deshalb bitten wir darum, kerung überwiegend abgelehnt. Planungen, Vorbe- unserem Antrag zuzustimmen. reitungen und Informationen zu dem Projekt waren (Beifall bei SSW, SPD, BÜNDNIS 90/DIE ungenügend und die wirtschaftlichen Voraussetzun- GRÜNEN und der LINKEN) gen mehr als fraglich. Wenn man mehr als 400 km Leitung legen muss, dann ist es klar, dass das Gan- Vizepräsidentin Marlies Fritzen: ze keinen Sinn gemacht hätte. Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Michael Seit Verabschiedung der EU-Richtlinie über die von Abercron von der CDU. geologische Speicherung von Kohlendioxid ist und bleibt die Bundesregierung in der Pflicht, sich mit der Umsetzung in nationales Recht zu befas- sen, nämlich die Abscheidung, den Transport und die Einlagerung zu regeln. 190 Schleswig-Holsteinischer Landtag (17. WP) - 3. Sitzung - Donnerstag, 19. November 2009

(Dr. Michael von Abercron)

Ein ganz zentraler Punkt dabei ist die Akzeptanz bauen. Einige von Ihnen werden die Zahlen schon bei den betroffenen Bürgern; dies wurde gerade einmal gehört haben. Allein China plant bis zum schon angesprochen. Meinem Vorredner kann ich Jahre 2020 460 neue Kraftwerke mit je 1.000 MW aber nur entgegnen, dass im Koalitionsvertrag sehr Leistung. Was das bedeutet, mögen Sie selbst er- wohl festgelegt worden ist, dass die Akzeptanz zu messen. Deshalb ist es nötig, die Möglichkeit zu beachten ist. Wir als Schleswig-Holsteiner werden haben, diese Techniken einzusetzen, bis eines Ta- das auch einfordern, und ich bitte Sie dabei um Ihre ges andere Energien zur Verfügung stehen. Sonst Mithilfe. werden wir diese Länder nicht überzeugen. Ein Verbotsantrag des SSW wird in Peking vermutlich (Beifall bei CDU und FDP) kaum Gehör finden. Bei der CCS-Technologie geht es aber keinesfalls (Vereinzelter Beifall bei der CDU) nur um die CO2-Einlagerung. Vielmehr geht es auch um technische Fragen, zum Beispiel um die Vizepräsidentin Marlies Fritzen: möglich energiearme Abscheidung des CO2, sowie um die Wiedereinführung von Kohlendioxid in den Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss. Wirtschaftskreislauf. Das ist eine sehr spannende Frage und vielleicht sogar eine Möglichkeit, ganz Dr. Michael von Abercron [CDU]: auf die von Ihnen und uns so verachtete Speiche- rung verzichten zu können. Ein Verbotsantrag zum Einsatz der CCS-Technolo- gie hilft niemandem. Deshalb legen wir Ihnen einen Die CDU-Fraktion und die CDU-Landesgruppe Änderungsantrag vor, der es den Ländern ermögli- werden alles tun, um den Ländern über die Ausge- chen soll, zum Beispiel mithilfe einer Raumord- staltung einer Raumordnungsklausel die Kompe- nungsklausel selbst zu entscheiden, ob sie eine un- tenz einzuräumen, die unterirdische CO2-Speiche- terirdische Speicherung von CO2 wollen oder nicht. rung auszuschließen. Wenn der Antrag des SSW Wenn sie die CCS-Technologie hier in Schleswig- genau dies zum Ziel gehabt hätte, hätten wir ihm Holstein verhindern wollen, dann unterstützen Sie ohne Weiteres zustimmen können. Aber so, wie er unseren Antrag! jetzt gestellt wurde, wirkt er eher kontraproduktiv. Denn wollen wir den anderen Ländern etwa vor- (Beifall bei CDU und FDP) schreiben, wie sie ihre Klimaziele erreichen sollen? Wollen wir ihnen untersagen, kurzfristig noch Koh- Vizepräsidentin Marlies Fritzen: le zu fördern? - Eine solche Haltung entspricht Für die Fraktion der SPD erteile ich der Frau Abge- nicht meiner Vorstellung von demokratischem Fö- ordneten Marion Sellier das Wort. deralismus, Subsidiarität und Solidarität. Außerdem ist sie auf Bundesebene zum Scheitern verurteilt. Marion Sellier [SPD]: (Beifall bei CDU und FDP) Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Wir müssen vielmehr Bundesgenossen finden und Gäste! Ich danke den Antragstellern vom SSW für eine Koalition suchen, die eine Mehrheit im Bun- die Möglichkeit, heute über die Legislaturperioden desrat ermöglicht. hinaus aus Schleswig-Holstein erneut ein klares Si- (Beifall bei CDU und FDP) gnal zum bundesweiten Stopp der unterirdischen Endlagerung von CO2 zu setzen. Ich schaue jetzt einmal nach links. Eine Koalition mit einer ganz anderen Farbe als der in Schleswig- (Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Holstein wird möglicherweise das Angebot der EU, NEN, der LINKEN und vereinzelt beim eine solche Anlage in Brandenburg zu bauen, nicht SSW) verschmähen. Wenn es dazu kommt, sind wir gut Gleichzeitig bietet sich für mich als Nordfriesin die beraten, uns die Ergebnisse anzuschauen. Denn es Gelegenheit, als neue Sprecherin meiner Fraktion geht darum, die Klimaschutzziele nicht nur bei uns, und Nachfolgerin von Olaf Schulze meine persönli- sondern weltweit umzusetzen. chen Ansichten und die meiner Fraktion zum The- Die aktuelle Diskussion um die Klimaschutzkon- ma CCS darzustellen. Es wird Sie sicherlich nicht ferenz in Kopenhagen macht deutlich, wo die Pro- überraschen, wenn damit keine neue Position mei- bleme liegen. Es sind weltweite Probleme, und ge- ner Fraktion zum Thema CO2-Endlager oder zur rade große Länder wie China und Russland pla- CCS-Technik insgesamt verbunden ist. nen, in Zukunft noch mehr Kohlekraftwerke zu Schleswig-Holsteinischer Landtag (17. WP) - 3. Sitzung - Donnerstag, 19. November 2009 191

(Marion Sellier)

Für mich und meine Fraktion handelt es sich letzt- schutzes. Ein CCS-Gesetz in Berlin darf diesem lich um eine verkappte Legitimierung, weiterhin Bürgerwillen nicht entgegenlaufen. auf Ausbau und Nutzung der Großkohlekraftwer- (Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- ke zu setzen. An diesen Taschenspielertrick - ich NEN, der LINKEN und SSW) lasse etwas verschwinden, und weg ist es - glauben vielleicht noch Kinder. Ich versichere Ihnen, dass Die zugrundeliegende EU-Richtlinie lässt sowohl wir es nicht tun. zeitlich als auch inhaltlich Raum für notwendige Diskussionen. Ich bin besonders besorgt aufgrund (Zuruf von Ministerpräsident Peter Harry der Aussage im Berliner Koalitionsvertrag, wonach Carstensen [CDU]) CDU/CSU und FDP das CCS-Gesetz „zeitnah“ rea- - Herr Gabriel hat mittlerweise auch eine andere lisieren wollen. Ein CCS-Gesetz, das gegen die Meinung dazu. Auch Bundesminister können ihre Mehrheit der Bevölkerung in Schleswig-Holstein Meinung ändern, Herr Ministerpräsident. - Klima- und Deutschland die Grundlagen für die Endlage- rettung findet nicht durch Verbuddeln statt, sondern rung von CO2 schafft, darf nicht Wirklichkeit wer- durch Vermeidung und Verringerung des CO2-Aus- den. Mir stellt sich automatisch die Frage, für wen stoßes. diese Regierung steht. (Beifall bei SPD, der LINKEN und verein- In den „Husumer Nachrichten“ vom 12. Septem- zelt beim SSW) ber 2009 war zu lesen, dass Vattenfall Europe ein CO -Lagerungsgesetz zur unternehmerischen Pla- Eine Technik, die ein Drittel mehr Energie aufwen- 2 nungssicherheit angefordert hat. Unmittelbar nach det, um CO abzuscheiden und zu verflüssigen, ist 2 der Bundestagswahl soll ein neuer Anlauf genom- ein Widerspruch in sich. Angesichts der für mich men werden. Der Landtag hat sich in seiner Sitzung unlösbaren Probleme beim Abscheiden des CO 2 vom 17. September 2009 klar gegen die Endlage- muss ich mich an diesem Punkt über die erforderli- rung von CO unter unserem Boden ausgesprochen. chen und gesicherten Transportwege gar nicht un- 2 Ich hoffe, dass dies - unabhängig von der Frage der terhalten. Wir wollen auch nicht nach dem Sankt- Gültigkeit von Plenarbeschlüssen über die Legisla- Florians-Prinzip - Hauptsache nicht bei uns, woan- turperioden hinweg - erneut der Fall sein wird. ders betrifft es uns ja nicht - verfahren. Wir wollen diese Technik generell nicht. (Beifall bei der LINKEN und SSW) (Beifall bei der LINKEN und vereinzelt beim Wir stehen für die Menschen in unserem Land, für SSW) die wir Verantwortung tragen. Wir vertrauen dieser Technik nicht. Wir sehen die Uns liegt inzwischen auch ein Änderungsantrag Gesamtprozesse der Energieerzeugung und wol- der Regierungsfraktionen vor. Vordergründig klingt len Weichen stellen, und zwar Weichen, die verant- er sehr fair. Jedes Bundesland soll selbst entschei- wortungsvolle Lösungen finden, die nicht auf Koh- den. Das ist eine vernünftige Lösung. Aber es gibt le basieren und die auch dem Atomstrom keine Zu- einen grundsätzlichen Unterschied zu dem Antrag kunft bieten. des SSW. Der Antrag der Regierungsfraktionen lässt ein Hintertürchen offen. Ich bin mir sicher, CCS-Technik ist keine Grundlage für eine Diskus- dass RWE seine Geschäftsstrategie zur CO -Einla- sion. Denn darauf kann es nur eine Antwort geben: 2 gerung in Wirklichkeit noch nicht aufgegeben hat. Nein! Die Milliarden für CCS erforderlichen For- Wenn RWE genug Geld bietet, kommt es dann an- schungs- und Entwicklungsgelder fehlen beim gesichts der knappen Finanzierung des Landes viel- Netzausbau und bei der Förderung der erneuerbaren leicht doch noch dazu. Energien. Schleswig-Holstein ist der Motor der er- neuerbaren Energien. Mittlerweile sind nicht nur (Zuruf des Abgeordneten Wolfgang Kubicki die Menschen vor Ort gegen eine Lagerung in ihrer [FDP]) Region, sondern es mehren sich die Zeichen für ein - Herr Kubicki, Sie sind doch sowieso ein Chamäle- generelles Umdenken. on. Das haben wir doch bei der L 192 gesehen. RWE hat bei der CO -Abscheidung in Hürth eine 2 (Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE Denkpause eingelegt, in Nordrhein-Westfalen for- GRÜNEN) mieren sich Gruppen gegen den Bau dieser Pipeli- ne, in der Lausitz wächst der Widerstand gegen die Ich zähle nicht auf Ihre Meinung, nicht in solchen CO2-Einlagerung, und die Dänen wollen keine Be- Zusammenhängen. teiligung an dieser unsicheren Variante des Klima- 192 Schleswig-Holsteinischer Landtag (17. WP) - 3. Sitzung - Donnerstag, 19. November 2009

(Marion Sellier)

(Zuruf des Abgeordneten Wolfgang Kubicki Wenn Brandenburg ein CCS-fähiges Kohlekraft- [FDP]) werk bauen will und das abgeschiedene CO2 im Brandenburger Erdreich eingelagert werden soll, Wir als SPD sagen ganz klar: CCS insgesamt ist ein mit welchem Recht soll Schleswig-Holstein das un- Irrweg, und wir werden für den SSW-Antrag stim- tersagen? men. CDU und FDP wollen, dass Schleswig-Holstein die (Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Handlungshoheit über die eigenen Belange be- NEN, der LINKEN und SSW - Wolfgang kommt. CDU und FDP wollen, dass Schleswig- Kubicki [FDP]: Gucken wir mal, was die Holstein selbst entscheidet, was bei uns gelagert Bundes-SPD macht!) wird. Aber CDU und FDP wollen anderen Ländern keine Vorschriften machen. Vizepräsidentin Marlies Fritzen: (Beifall bei FDP und CDU) Für die FDP-Fraktion erteile ich Herrn Abgeordne- ten Oliver Kumbartzky das Wort. Genau darauf zielt auch der von CDU und FDP heute eingebrachte Änderungsantrag zum Antrag Oliver Kumbartzky [FDP]: des SSW ab. Er erneuert die Forderung der breiten Mehrheit des Landtags der 16. Wahlperiode. Denn Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und diesem Anliegen haben in der letzen Tagung der Herren! Das Thema CCS hat den Landtag schon ei- 16. Wahlperiode CDU, FDP, SPD und BÜNDNIS nige Male beschäftigt. Das ist gut so, denn das The- 90/DIE GRÜNEN zugestimmt. Schleswig-Holstein ma bewegt die Bürger, und das nicht nur in Nord- muss in die Lage versetzt werden, allein darüber zu friesland. entscheiden, das Vorhaben der CO2-Einlagerung (Unruhe) abzulehnen. - Gibt es da noch Diskussionsbedarf? Meine Damen und Herren, ich freue mich, dass die schleswig-holsteinische Bürgerinitiative „Stoppt Die Bevölkerung lehnt die CO -Einlagerung in 2 das CO2-Endlager“ die Auffassung von CDU und Schleswig-Holstein grundsätzlich und massiv ab. FDP explizit teilt. Ich zitiere aus der Online-Ausga- Deswegen ist es richtig, dass der Koalitionsvertrag be der „taz“ vom 13. November. Dort heißt es, die von CDU und FDP dazu eine klare Position bein- Bürgerinitiative sei zwar gegen CCS, wolle aber haltet: CO2-Einlagerung ist in Schleswig-Holstein anderen Ländern nichts vorschreiben. Wörtliches nicht erwünscht. Die Landesregierung muss sich Zitat: „Wir feiern, wenn die Länderklausel durch nun dafür einsetzen, dass Schleswig-Holstein die ist.“ Genehmigungshoheit bekommt. Die Bürgerinitiative hat dann auch allen Grund zu (Beifall bei FDP und CDU) feiern. Denn gegen den Willen der Bevölkerung Meine Damen und Herren, Sie können sicher sein: wird die schwarz-gelbe Koalition kein großflächi- Was CDU und FDP im Koalitionsvertrag verein- ges CO2-Endlager genehmigen. bart haben, das wird die neue schwarz-gelbe Lan- (Beifall bei FDP und CDU) desregierung auch umsetzen. Dann ist genau das er- reicht, was wir alle in diesem Haus wollen: Keiner Ich sage es noch einmal ganz deutlich: Es macht überhaupt keinen Sinn, dass zum Beispiel ein nord- kann und darf uns vorschreiben, dass wir eine CO2- Pipeline, von wo auch immer, nach Schleswig-Hol- rhein-westfälisches Kraftwerk über eine 500 km lange Pipeline an Nordfriesland angeschlossen stein bekommen und damit zur CO2-Müllkippe der Republik werden. wird mit dem Ziel, Millionen von Tonnen CO2 in den Untergrund zu pressen, ohne ausreichende For- Der heute erneut vom SSW eingebrachte Antrag schung auf dem Gebiet der CCS-Technologie geht einen anderen Weg. Er tut genau das, was zu- durchgeführt zu haben. mindest CDU und FDP in diesem Haus gerade nicht wollen. Er soll bevormunden. Der SSW will Aus Sicht der FDP-Fraktion muss das Ziel sein, ei- allen anderen Ländern vorschreiben, was sie zu tun ne offene und sachliche Diskussion zum Thema und zu lassen haben. Diesen Weg gehen wir nicht CCS zu führen. Wir müssen uns aus klimapoliti- mit. schen Gründen die Frage stellen, ob es Maßnahmen und Möglichkeiten gibt, die Klimaschutzziele ein- (Beifall bei FDP und CDU) zuhalten und den CO2 -Ausstoß zu reduzieren. Und - da gebe ich anerkannten Klimaforschern aus- Schleswig-Holsteinischer Landtag (17. WP) - 3. Sitzung - Donnerstag, 19. November 2009 193

(Oliver Kumbartzky) drücklich recht - die CCS-Technologie kann eine (Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, solche Technologie sein, die dazu beiträgt. der LINKEN und SSW) Meine Damen und Herren, abschließend etwas CCS führt zu einer gigantischen Verteuerung der Grundsätzliches: Forschung und Entwicklung in Stromerzeugung. CCS ist eine Risikotechnologie, Deutschland müssen gefördert und dürfen nicht eine Großtechnik mit Hunderten von Millionen blockiert werden. Tonnen Material, das abgelagert werden muss. CCS schützt nicht vor Feinstaub, nicht vor Schwermetal- (Beifall bei FDP und CDU) len, die bei der Kohleverfeuerung ebenfalls um- Das Beispiel der erneuerbaren Energien hat uns fangreich freigesetzt werden. doch gezeigt, dass eine Förderung vor der Wirt- CCS ist auch keine Antwort auf die Verknappung, schaftlichkeit sinnvoll war und uns einen technolo- auf die abnehmende Ressourcenverfügbarkeit der gischen Vorsprung gebracht hat. Aber - da sind wir Energierohstoffe, im Gegenteil, der Verbrauch an uns in diesem Haus doch alle einig - es darf nichts Kohle bei der Stromproduktion mit CCS steigt gegen den Willen der Bevölkerung vor Ort gesche- bei Steinkohle um den Faktor 1,6 und bei Braun- hen. kohle um den Faktor 1,8. Damit wird der Effizienz- (Beifall bei FDP und CDU) gewinn neuer Kraftwerke hoffnungslos zerschla- gen. Vizepräsidentin Marlies Fritzen: Der etwas bessere Wirkungsgrad neuer Kraftwer- Das Wort für BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat ke ist aber nun die Hauptbegründung nicht nur im Herr Abgeordneter Detlef Matthiessen. schwarz-gelben Koalitionsvertrag, auch bei Sigmar Gabriel, bei SüdWestStrom, bei Vattenfall, E.ON Detlef Matthiessen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- und Co. Das ist die Hauptbegründung für den Neu- NEN]: bau von Kohlekraftwerken. Es sei geradezu eine Klimasünde, die irre guten neuen Kohlekraftwerke Liebe Frau Präsidentin! Meine verehrten Damen nicht zu bauen, wird dort behauptet. und Herren! Wir unterstützen den SSW-Antrag. Nordfriesland darf nicht zur Klimagas-Müllkippe CCS hat also - wie ich ausführte - eine teuflisch der Nation werden. Darüber besteht Einigkeit. schlechte Ausnutzung der Energie. Niemand will deswegen tatsächlich Kohlegroßkraftwerke mit Wer nicht sagen will: „Oh heiliger Sankt Florian, CCS-Technik bauen. Die Technik der CO2-Ab- verschon’ mein Haus, zünd’ andere an“, wer nicht scheidung und -Ablagerung hat nur eine einzige po- nach dem Sankt-Florians-Prinzip handeln will, litische Funktion: Sie soll den Bau neuer Großkraft- muss sich für einen generellen Ausschluss der werke auf Kohlebasis politisch legitimieren, großtechnischen Ablagerung von Kohlendioxid einsetzen. Nicht nur in Schleswig-Holstein, sondern (Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, überall. SPD, der LINKEN und SSW) (Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, und zwar von Kohlegroßkraftwerken ohne CCS- SPD, der LINKEN und SSW) Technik. In Brunsbüttel sollen vier Kohlegiganten gebaut werden mit je 800 MW. Die heizen mit Wir sagen nicht: Autobahnen sind gut, nur nicht vor mehr als der Hälfte ihrer Energie die Elbe auf. Na- unserer Haustür, oder in diesem Fall: CCS-Technik türlich werden die Kraftwerke capture ready gebaut ist klasse, weil wir die Dinosauriertechnologie, also - wie man sich auf Neudeutsch auszudrücken große Kohlekraftwerke, ungehemmt bauen können, pflegt -, zur Beruhigung, was praktisch nur ein et- aber wir wollen CCS-Technik nicht in Nordfries- was größeres Grundstück bedeutet. land, nicht in Plön, nicht in Ostholstein, jedoch an- derswo, wir wissen allerdings nicht, wo. Wer für Klimaschutz ist und gleichzeitig gegen CCS, der darf keine Kohlekraftwerke bauen. Für Meine Damen und Herren, nicht nur Sankt Florian Schleswig-Holstein bedeutet das ansonsten schlicht ist ein CCS-Gegner, sondern es sprechen tatsäch- die Vervierfachung des Ausstoßes von Treibhaus- lich eine Reihe wichtiger objektiver, zum größten gasen. Teil auch technische Gründe gegen diese Technik. Die CCS-Technik ist noch nicht verfügbar. Sie (Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, kommt für eine Klimaschutzstrategie zu spät. der LINKEN und SSW) 194 Schleswig-Holsteinischer Landtag (17. WP) - 3. Sitzung - Donnerstag, 19. November 2009

(Detlef Matthiessen)

Gegen CCS, für Kohle und für Klimaschutz - das (Beifall) passt nicht zusammen. Widerspruch Nummer eins. Für Windenergie - Jubel, Jubel im Koalitionsver- Ranka Prante [DIE LINKE]: trag - und für Kohlegroßkraftwerke - das passt Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! ebenfalls nicht zusammen. Widerspruch Nummer Vieles wurde schon in der vorhergehenden Rede zwei. gesagt. Ich wiederhole es trotzdem, weil ich mitbe- (Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, kommen habe, dass vieles ausdiskutiert worden ist, der LINKEN und SSW) sich aber anscheinend in den Köpfen von machen Leuten noch nicht gesetzt hat. Es ist heute Konsens, Denn die Großkraftwerke verstopfen die Netze. dass der Klimawandel eine große Herausforderung Wind und Kohle konkurrieren um die Leistungsab- für die Menschheit darstellt. Tatsächlich werden führung im Netz. aber allen internationalen Klimaschutzbemühungen Die Strategie des Festhaltens an großen Kondensa- zum Trotz die klimaschädlichen Kohlekraftwerke tionskraftwerken - sei es Atom oder sei es Kohle - weltweit ausgebaut. verhindern ebenfalls den Ausbau der angeblich ge- (Dr. Christian von Boetticher [CDU]: So ist liebten erneuerbaren Energien, weil Großkraftwer- das leider!) ke nur Grundlast liefern. Grundlastfähigkeit - wie das in Ihren Broschüren gegen Windenergie immer Die Abscheidung und unterirdische Verklappung heißt - ist keine Tugend, sondern vielmehr die Un- von CO2 ist aus unserer Sicht ein trojanisches Pferd fähigkeit zur Modulierung der Stromerzeugung. der Energiewirtschaft, um den Bau neuer, überflüs- siger, teurer Kohlekraftwerke zu ermöglichen. (Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der LINKEN und SSW) (Beifall bei der LINKEN, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SSW und vereinzelt bei der SPD) Mit anderen Worten: Atomkraftwerke und große Kohlekraftwerke können technisch nur durchfah- Es ist ein Verfahren, vor dem die Wissenschaftler ren. Wir brauchen jedoch in Zukunft die flexible warnen. Es ist eine Gefahr für das Grundwasser. Es Erzeugung von Strom, die bei der wachsenden sto- ist eine verstärkte Erdbebentätigkeit in den betrof- chastischen Leistung der Erneuerbaren mitspielen fenen Gebieten zu befürchten. Die Untersuchun- kann. gen über CCS sagen, dass man beim Wirkungsgrad mit einem Verlust von 10 bis 15 % zu rechnen hat. Kraft-Wärme-Kopplung kann dies tun, aber die Ein neues Kohlekraftwerk hat - wenn man alles zu- Kohlegroßkraftwerke in Brunsbüttel stehen struk- gunsten des Kraftwerks rechnet und nur die groben turell auch einem KWK-Ausbau entgegen. Höch- Verluste einbezieht - einen Wirkungsgrad von circa ste Zeit also, wenn wir wirklich alle im Haus gegen 40 bis 45 %. Das heißt, mit der neuen CCS-Techno- CCS sind und den Einsatz dieser Technik für nicht logie verringern sich die 40 % auf 30 %. Was heißt durchsetzbar halten, uns von der Kohlestrategie in das? Das heißt, dass wir nur einen rentablen Strom Schleswig-Holstein verabschieden. Das gilt für die haben, wenn wir - wie beim Atomstrom - großzügi- antragstellende Fraktion des SSW, der bisher den ge Subventionen zahlen, Bau neuer Kohlekraftwerke in Brunsbüttel unter- stützt hat. Alle im Hohen Haus vertretenen Parteien (Beifall bei der LINKEN und vereinzelt bei sind bisher auf dem Kohletrip - bis auf die Grünen BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) und, nach meiner Wahrnehmung, bis auf die neue und das bei einem Verfahren, bei dem keiner die Partei DIE LINKE. Gefahren abschätzen kann. (Beifall bei der LINKEN) Die Untersuchung des Umweltbundesamtes von Saubere Kohle ist eine dreckige Lüge! Mai 2009 bescheinigt: „CCS erzeugt mehr CO2 je produzierter Einheit durch den Energieaufwand für (Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, die Abscheidung, den Transport und die Speiche- der LINKEN und SSW - Wolfgang Kubicki rung.“ Kurz gesagt: CCS produziert CO2. Es kann [FDP]: Darum wird die Kohle teuer!) daher für CCS nicht festgestellt werden, dass diese Technik dem Umweltschutz dient und zum Wohl Vizepräsidentin Marlies Fritzen: der Allgemeinheit ist. Für die Fraktion DIE LINKE hat Frau Abgeordnete Bei der Abscheidung kommen verschiedene Ver- Ranka Prante das Wort. fahren infrage, die durchaus unterschiedliche Ge- Schleswig-Holsteinischer Landtag (17. WP) - 3. Sitzung - Donnerstag, 19. November 2009 195

(Ranka Prante) fahren aufweisen. Dies betrifft zum Beispiel die Denn wir wollen regenerative Energien in Schles- Freisetzung von Allergenen, ätzende oder krebser- wig-Holstein fördern. Das ist Mittelstandspolitik. regende Gefahrstoffen. Die Verfahren weisen ein Darum brauchen wir auch diese Rahmenbedingun- hohes Störfallrisiko auf. Warum sollten wir auf gen, das heißt kein CCS-Gesetz auf Bundesebene! solche Verfahren setzen - ob hier oder in den ande- (Zuruf des Abgeordneten Wolfgang Kubicki ren Bundesländern? Ich kann das nicht nachvollzie- [FDP]) hen. Wie viel Umweltzerstörung können wir und wollen wir noch verantworten? - Aber auf jeden Fall, Herr Kollege Kubicki. (Beifall bei der LINKEN, BÜNDNIS 90/DIE Darum sage ich noch einmal: Wenn wir es mit der GRÜNEN und SSW) Förderung der regenerativen Energien in Schles- wig-Holstein ernst meinen, wenn wir diese Wirt- Ich denke, wir müssen auch in diesem Haus Verant- schaftsförderung betreiben wollen, dann müssen wortung für unsere Natur von morgen übernehmen, wir konsequent sein und sagen, dann wollen wir und zwar nicht nur in Schleswig-Holstein, sondern auch kein CCS-Gesetz auf Bundesebene haben. auch in den anderen Bundesländern im Interesse unserer Kinder und Enkelkinder. (Beifall bei SSW, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN, der LINKEN und der Abgeordneten (Beifall bei der LINKEN und vereinzelt bei Marion Sellier [SPD]) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich möchte noch eines in Erinnerung rufen, was der Wir müssen uns klar gegen dieses Verfahren aus- Kollege Matthiessen vorhin ganz plastisch darge- sprechen, ob in Schleswig-Holstein oder anderswo. stellt hat. Wir tun so, als wäre diese Technologie Die Betonung liegt für mich auf dem Wort klar, jetzt schon einsetzbar. Das ist sie nicht. Sie ist erst und zwar auf der klaren Abgrenzung davon. Darum 2030 - einige sagen, erst 2050 - einsetzbar. Zu dem unterstützen wir den Antrag des SSW. Zeitpunkt müssen wir sehr, sehr viel weiter sein. (Beifall bei der LINKEN, BÜNDNIS 90/DIE Darum greift das Beispiel China auch nicht. GRÜNEN, SSW und vereinzelt bei der SPD) (Dr. Christian von Boetticher [CDU]: Kolle- gin, machen Sie sich mal schlau!) Vizepräsidentin Marlies Fritzen: Richtig ist, dass in China neue Kohlekraftwerke Meine Damen und Herren, bevor ich das Wort für gebaut werden. Aber 2030 und 2050 müssen wir Dreiminutenbeiträge erteile, möchte ich auf der Zu- mit anderen Beispielen vorangehen. Richtig ist schauertribüne eine Gruppe des Seniorenbeirats auch - wie Herr Kollege Matthiessen vorhin auch Neustadt begrüßen. - Seien Sie uns herzlich will- noch einmal ganz plastisch darstellte -: CCS-Tech- kommen! nologie fördert grün angestrichene Kohlekraftwer- (Beifall) ke, die viel mehr CO2 ausstoßen. Das ist auf keinen Fall hinnehmbar, besonders nicht vor dem Hinter- Das Wort für einen Dreiminutenbeitrag hat Frau grund der anstehenden Klimakonferenz in Kopen- Abgeordnete Anke Spoorendonk vom SSW. hagen. Anke Spoorendonk [SSW]: (Beifall bei SSW, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN) Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich hatte mich noch einmal zu Wort gemeldet, weil Vizepräsidentin Marlies Fritzen: es mir wirklich gegen den Strich geht, dass so getan wird, als sei alles, was hinkt, auch ein Beispiel. Das Wort hat Herr Abgeordneter Kubicki. Darum möchte ich noch einmal feststellen: Es geht nicht darum, jetzt eine Länderklausel in ein mögli- Wolfgang Kubicki [FDP]: ches CCS-Gesetz hineinzubekommen. Es geht dar- Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! um, ein CCS-Gesetz auf Bundesebene zu verhin- Manchmal hat man den Eindruck, dass einige Ab- dern. Darum brauchen wir eine Bundesratsinitiati- geordnete glauben, Predigten allein würden Proble- ve. Wir brauchen diese Bundesratsinitiative - so me lösen. Das sind wenig sachliche Beiträge, aber wie mein Kollege Flemming Meyer vorhin sagte - Deklamationen, die die eigene Seele befriedigen aus klimapolitischen Gründen. Wir brauchen sie können, uns aber im Zweifel nicht weiterhelfen. aber auch aus wirtschaftspolitischen Gründen, und zwar für die Wirtschaft in Schleswig-Holstein. 196 Schleswig-Holsteinischer Landtag (17. WP) - 3. Sitzung - Donnerstag, 19. November 2009

(Wolfgang Kubicki)

Sehr verehrte Frau Kollegin, zunächst einmal geht eine eigene Entscheidungskompetenz bekommen, es nicht darum, dass man die CCS-Technologie oder wollen der SSW, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- weiterentwickelt, um sie ausschließlich als Ab- NEN und die Sozialdemokraten, dass der Bund scheidetechnologie für Kohlekraftwerke nutzen zu über uns hinweg entscheidet, dass so etwas möglich können. Das wäre vielleicht für Indien und China wird, um anschließend eine Demonstration organi- eine ganz sinnvolle Maßnahme. Ich empfehle, auch sieren zu können? noch einmal mit Professor Hohmeyer zu reden. Ab (Beifall bei FDP und CDU) 2020 und 2030 wird es unter Umständen im Rah- men des allgemeinen Klimawandels notwendig, aus Wir müssen dafür Sorge tragen, dass die Länder der Atmosphäre CO2 herausfiltern zu können. entscheiden können. Ich sehe mir die Größenver- hältnisse der anderen Länder an: Bayern, Nord- (Beifall bei FDP und CDU) rhein-Westfalen, Brandenburg und Niedersachsen, Ich bin ganz begeistert - Kollege Matthiessen, mir und ich sage, wir brauchen Bündnispartner. Diese hätte viel gefehlt, wenn du nicht dagewesen wärst -, können wir nur dadurch locken, dass wir sagen, ihr wenn der Kollege Matthiessen wohl auch wieder in dürft auch selbst darüber entscheiden, ob ihr so et- völliger Verkennung der Realität sagt, die Linke sei was machen wollt. Ich bin gespannt, wie die Sozial- der Partner der Grünen, weil auch sie die CCS- demokratie sich bei der Wahl im Mai 2010 zur Technologie nicht wollte und vor allen Dingen die Kohleförderung in Nordrhein-Westfalen verhält. Kohleförderung nicht wollte. Ich erinnere daran, Herr Kollege Stegner wird einen massiven Einfluss dass im Saarland - eure Freunde müsst ihr vielleicht auf seine Parteifreundin, Frau Kraft, nehmen, die mal anrufen - eine Koalition mit der LINKEN und sich vehement für die Kohleförderung und für Koh- der SPD deshalb nicht zustande gekommen ist, weil lekraftwerke aussprechen wird! Lafontaine die Kohleförderung dort wieder einfüh- (Beifall bei FDP und CDU) ren wollte. Ich werbe darum: Zur Problemlösung müssen wir (Zurufe) die eigene Entscheidungskompetenz bekommen, - Fragt mal den Kollegen Hartmann oder euren denn dann werden wir hier im Parlament - ich hoffe Kollegen Ulrich! mit Zustimmung von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - entscheiden, dass es keine Einlagerung in Schles- Ich erinnere daran, dass jetzt in Brandenburg - die wig-Holstein geben wird. Dazu brauchen wir aber Regierungserklärung des Ministerpräsidenten sollte zunächst die eigene Kompetenz, die wir uns über man vielleicht einmal nachlesen - Rot-Rot ein ent- den Bundesrat erarbeiten wollen. Deshalb ist der sprechendes Modellkraftwerk mit CCS-Technolo- Antrag von CDU und FDP der richtige. gie auf dem Gebiet von Brandenburg installieren will. (Beifall bei FDP und CDU) (Zurufe von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Marlies Fritzen: - Ich freue mich darüber gar nicht, weil ich denke, dass es vielleicht auch ein paar praktische Lösun- Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. von Boetti- gen gibt. cher.

Anke Spoorendonk, ich stelle mir gerade vor, wie Dr. Christian von Boetticher [CDU]: der SSW allein über den Bundesrat auf Bundesebe- ne durchsetzen will, dass es kein CCS-Gesetz gibt. Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Abgesehen davon müssen wir eines berücksichti- Ich sage ganz bewusst: Ich bedauere die Haltung gen: Das ist eine europarechtliche Vorgabe. Die von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ein bisschen. anderen Länder werden himmelschreiend jubeln, Warum bedauere ich sie? - Ich bedauere sie, weil dass wir jetzt kommen und sagen, es soll auf Bun- wir beispielsweise mit Greenpeace in dieser Frage desebene kein CCS-Gesetz geben. Ich bin gespannt, gute Gespräche geführt haben. Wir haben mit ob die SPD ihren Parteitagsbeschluss geändert hat Greenpeace auch Gespräche zum Thema IPCC ge- und ob Sigmar Gabriel, der neue Bundesvorsitzen- führt. Wir haben auch mit dem Sachverständigen- de der SPD, dort nun nichts mehr zu sagen hat. rat in Umweltfragen gesprochen. Alle haben Do- kumente herausgegeben, in denen sie ganz klar sa- (Beifall bei FDP und CDU) gen: Wir sind nicht prinzipiell gegen CCS. Wir sind Die entscheidende Frage muss doch sein: Finden sogar für die Erforschung dieser Technologie. Wir wir in anderen Ländern Bündnispartner, damit wir sind gegen das, was im Augenblick durchgedrückt Schleswig-Holsteinischer Landtag (17. WP) - 3. Sitzung - Donnerstag, 19. November 2009 197

(Dr. Christian von Boetticher) werden soll. Wir sind gegen das Feigenblatt CCS Heinz-Werner Jezewski [DIE LINKE]: für deutsche Kohletechnologie. Das steht überall Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! drin, und das kann man auch überall nachlesen. Ge- Das war schon großes Kino, was ich hier vorhin vor gen das, was der Kohle-Umweltminister in Berlin allem aus den Reihen der Freien Demokraten ge- gemacht hat, haben sich diese Organisationen ge- hört habe: Wir machen nichts gegen den Willen der wandt. Sie haben sich aber niemals und in keinem Menschen. Ich finde das unglaublich. Sagen Sie das Papier oder Dokument gegen die Grundlagenfor- einmal Ihrem Bundesvorsitzenden! Ich glaube, schung CCS gewandt. Damit haben sie recht. Sie dann kann die Bundesregierung ihre Arbeit einstel- haben nämlich offensichtlich etwas, was dieser De- len. batte leider abhanden gekommen ist. Sie haben eine globale Sicht, und sie nehmen eine globale Verant- Wir müssten jetzt ein bisschen „Sendung mit der wortung wahr. Maus“ für Parlamentarier machen. Wir stehen auf dem Boden, über uns ist die Luft, und unter uns ist Wenn man diese globale Verantwortung wahr- die Erde. Wenn wir ungefähr 90 km nach Norden nimmt, dann bleibt das, was der Kollege von Aber- fahren, dann haben wir eine Grenze. Wenn Sie cron gesagt hat, richtig. Wir müssen sehen, dass 10 m über oder 10 m unter der Erde sind, dann se- völlig unabhängig davon, wie wir uns hier positio- hen Sie die Grenze nicht mehr. Da steht kein Schild nieren, allein in China jährlich 170 neue Kohle- „Dänemark“ oder „Bundesrepublik Deutschland kraftwerke entstehen. Wenn wir nicht bereit und in Ende“. Wenn Sie die gleiche Strecke nach Süden der Lage sind, über technologische Lösungen und fahren, dann sind Sie an der Grenze zu Niedersach- die Entwicklung nachzudenken und diesen Ent- sen, Mecklenburg-Vorpommern oder Hamburg. wicklungen auch eine Chance einzuräumen, dann Auch da sehen Sie die Grenze nicht mehr, wenn Sie werden wir diese globale Klimakatastrophe nicht 10 m weiter unten sind. Wenn Sie noch weiter her- verhindern können, und das bleibt unsere globale unter gehen, dann sehen Sie die Grenze gar nicht Verantwortung. mehr. (Beifall bei CDU und FDP) Wo CO2 in die Erde gepresst wird, ist völlig egal. Wenn wir das negieren, dann erweisen wir der ge- Das heißt, der Einleitungspunkt kann nicht ent- meinsamen Sache einen Bärendienst. Wir haben scheidend sein. Dann könnten wir ja sagen: Gar hier unsere Entscheidung getroffen. Hinter der ste- kein Problem, wir machen das außerhalb der Drei- hen wir alle, und ich finde, das eint in diesem Fall meilenzone. Dort hat niemand Gesetzgebungskom- auch das Parlament. Aber zu sagen, wir dürfen hier petenz, dort leiten wir CCS ein. Das war es, wir nicht weitermachen, halte ich klimapolitisch nicht brauchen überhaupt keine Gesetzgebung mehr. Das nur für riskant, sondern für einen echten klimapoli- ist doch genauso schnell in Schleswig-Holstein, wie tischen Amoklauf. es in Dänemark, in Hamburg, in England oder in Niedersachsen ist. Das ist der Wahnsinn dabei. Wir (Beifall bei CDU und FDP) müssen dazu kommen, dass wir sagen, wir finden einen Konsens innerhalb der Bundesländer. Eigent- Vizepräsidentin Marlies Fritzen: lich müssen wir auch innerhalb der EU einen Kon- Ich erteile zu einem weiteren Dreiminutenbeitrag sens finden. der Frau Abgeordneten Ursula Sassen das Wort. (Zuruf von der CDU: Weltweit!) Ursula Sassen [CDU]: - Natürlich, aber erst einmal innerhalb der EU. Sie wollen noch nicht einmal einen EU-Mindestlohn, Ich stimme mit meinen beiden Vorrednern völlig geschweige denn das. Da arbeiten wir uns ganz überein. Ich verweise noch einmal auf Herrn langsam heran, Herr von Boetticher. Es stehen an- von Abercron und ziehe meine Wortmeldung zu- dere Interessen dahinter. Das sieht man doch. Das rück. sind Milliardenprojekte. Es sind nicht nur die Kraft- werke und die Pipelines. Vizepräsidentin Marlies Fritzen: (Zuruf des Abgeordneten Wolfgang Kubicki Vielen Dank. - Jetzt hat Herr Abgeordneter Jezew- [FDP]) ski von der LINKEN das Wort für einen weiteren - Ja, natürlich. Darüber werden wir auch noch re- Dreiminutenbeitrag. den. Herr Kubicki, warten wir doch ab, wie es in Brandenburg weitergeht. Warten wir doch die Ge- 198 Schleswig-Holsteinischer Landtag (17. WP) - 3. Sitzung - Donnerstag, 19. November 2009

(Heinz-Werner Jezewski) spräche, die dort geführt werden, ab. Ich denke, men, was wir gemeinsam hinbekommen wollen. dort werden Gespräche geführt. Der Grundkonsens ist, dass wir über ein bundes- weites CCS-Gesetz, das wir in seiner Existenz Außerdem können wir aufhören, uns immer gegen- nicht verhindern können, dafür Sorge tragen, dass seitig vorzuwerfen, was die anderen Landesverbän- es nicht zu einer CO -Einlagerung in Schleswig- de der Parteien falsch machen. Da kann ich Ihnen 2 Holstein kommt. Hier ist der Antrag des SSW kon- eine ganze Masse vorwerfen, da kann ich Herrn traproduktiv. Wenn Sie hier einbringen, dass wir Stegner oder den Grünen etwas vorwerfen. Das uns als Landesregierung im Bundesrat dafür ver- nutzt uns in Schleswig-Holstein überhaupt nichts. wenden sollen, dass es überhaupt kein CCS-Gesetz (Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) gibt, dann erreichen Sie zweierlei. Sie erreichen, Wir müssen doch gucken, dass wir die Scheiße – dass wir die EU-Richtlinien nicht durchsetzen, und Entschuldigung -, den Dreck unter dem Boden zwar mit all dem, was das bedeutet. Im Übrigen wegkriegen. wissen Sie, dass wir für diese Position gar keine Mehrheit haben. Das führt dazu, dass wir unser ei- (Herlich Marie Todsen-Reese [CDU]: Uner- gentliches Anliegen gar nicht durchsetzen können. hört!) (Beifall bei CDU und FDP) Es ist mir völlig egal, wo das Zeug eingeleitet wird. Ich möchte es nirgendwo in der Erde haben, es sei Insofern ist das, was Sie hier machen, eine riesige denn, irgendjemand kann abschließend sagen, dass Nebelkerze oder ein Placebo. Das ist keine Politik diese Technik sicher ist. Das muss dann aber einen für die Menschen hier in Schleswig-Holstein. anderen Wahrheitsgehalt haben als zum Beispiel (Beifall bei CDU und FDP) die Aussage, Atomkraftwerke sind sicher. Dann Ich glaube, dass das Kernanliegen des Landes und können wir weiter diskutieren. Deshalb unterstüt- der Landesregierung sein muss, dafür Sorge zu tra- zen wir selbstverständlich den SSW-Antrag. gen, dass - wenn es ein bundesweites CCS-Gesetz (Beifall bei der LINKEN und SSW) gibt - den Ländern die Möglichkeit vorbehalten bleibt, auszuschließen, dass eine Speicherung in Vizepräsidentin Marlies Fritzen: ihren Landesgrenzen erfolgt. Das ist auch die Posi- tion, die die schleswig-holsteinische Landesregie- Für die Landesregierung erteile ich dem Minister rung in diesem Bundesratsverfahren einnehmen für Wirtschaft, Wissenschaft und Verkehr, Herrn wird. Wir müssen am Ende zu einer Regionalisie- Jost de Jager, das Wort. rung für die Zustimmung oder die Genehmigung der Erprobung und der Einspeicherung in den ein- Jost de Jager, Minister für Wissenschaft, Wirt- zelnen Ländern kommen. schaft und Verkehr: Das hat übrigens nichts mit dem Sankt-Florians- Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich Prinzip zu tun, das der Abgeordnete Matthiessen bedauere in der Tat, dass hier eine Reihe von Wort- hier wieder einmal eingeführt hat. Sankt-Florians- meldungen versucht haben, das Bundesgesetz zum Prinzip wäre, wenn wir sagen würden, wir wollen CCS zum Anlass zu nehmen, wieder in energie- es für Schleswig-Holstein ausschließen, und andere ideologische Debatten zurückzukehren. Das trifft Bundesländer müssen es gegen ihren Willen ma- für den Antragsteller selbst zu, aber auch für ande- chen. Das ist in der Bundesrepublik aber nicht die re. Das ist bedauerlich und wird den Bedürfnissen Lage. Es gibt Bundesländer, in denen es durchaus und den Anliegen der Menschen in den nördlichen ein Interesse gibt, zu einer CO2-Einlagerung, zu ei- Landesteilen überhaupt nicht gerecht. ner Anwendung der CCS-Technologie zu kommen. (Beifall bei CDU und FDP) Die sollen es dann in der Tat gern machen. Ich glaube, dass der Beitrag eben der Tiefstpunkt Das Versprechen, das wir alle dem nördlichen Lan- dessen war, was wir bisher in diesem Parlament ge- desteil gegenüber, den Wählern in Schleswig-Hol- hört haben. stein gegenüber abgegeben haben, war: Wir wollen versuchen zu vermeiden - und wir werden es schaf- (Beifall bei CDU und FDP) fen! -, dass es gegen den Willen der Menschen zu Ich glaube, dass wir zu einer Debatte darüber zu- einer CO2-Einlagerung in Schleswig-Holstein rückkehren sollten, wie wir in einer in der Tat ge- kommt. Das bedeutet, wir müssen in besonderer setzgeberisch schwierigen Situation das hinbekom- Weise an dieses Gesetz herangehen. Schleswig-Holsteinischer Landtag (17. WP) - 3. Sitzung - Donnerstag, 19. November 2009 199

Vizepräsidentin Marlies Fritzen: Das Zweite. Vorhin ist gefragt worden: Wie ist denn die Haltung der Sozialdemokratie insgesamt? Herr Minister, erlauben Sie eine Zwischenfrage des - Ich will Ihnen sagen: Auf Veranlassung der Herrn Abgeordneten Detlef Matthiessen? schleswig-holsteinischen Sozialdemokraten ist in den Beschluss unseres Bundesparteitags hingekom- Jost de Jager, Minister für Wissenschaft, Wirt- men, dass wir sagen: Wir wollen Wiederverwen- schaft und Verkehr: dung der Abfallprodukte, wir wollen nicht, dass es Nein, erlaube ich nicht, weil ich nämlich so gut wie unter die Erde geschafft wird. Denn davon entste- fertig bin. hen die Probleme. Dann sind wir davor überhaupt nicht geschützt. Wiederverwendung ist der richti- (Detlef Matthiessen [BÜNDNIS 90/DIE ge Weg. GRÜNEN]: Das ist unglaublich!) (Wolfgang Kubicki [FDP]: Das heißt zu- Die Rückmeldung, die wir aus anderen Bundeslän- nächst einmal Ideologie!) dern haben, ist, dass dieser Ansatz der Landesregie- rung durchaus erfolgversprechend sein kann. Wir - Wenn Sie für Ihren sogenannten Energiemix ein- haben die Rückmeldung, dass es dafür tatsächlich treten, haben Sie immer die Position, das sei keine Unterstützung durch andere Bundesländer geben Ideologie. Dabei ist das, was Sie mit Ihren energie- kann. Insofern sollten wir uns auf dieses Ziel kon- politischen Konzepten tun, Ideologie, den Men- zentrieren. Das wird richtigerweise beschrieben in schen permanent Atomkraft verkaufen zu wollen. dem Antrag von CDU und FDP. Deshalb ist es Was wir tun müssen, ist nicht, dafür zu sorgen, dass richtig, ihn weiterzuverfolgen. das mit der Kohlekraft länger hält, sondern erstens Meine Damen und Herren, ersparen Sie es uns in die Menschen zu schützen - das geschieht hier - und den weiteren Sitzungen, und ersparen Sie es den zweitens durch Forschung, die in diese Richtung Menschen im nördlichen Landesteil, hier ständig geht, dafür zu sorgen, dass das wiederverwendet Scheindebatten zu führen. wird. (Anhaltender Beifall bei CDU und FDP) (Hartmut Hamerich [CDU]: Sie müssen das unterbringen!) Vizepräsidentin Marlies Fritzen: Das müssen wir tun. Das ist übrigens auch die Hal- Zu einem weiteren Dreiminutenbeitrag erteile ich tung von Herrn Professor Hohmeyer, der hier zwar Herrn Abgeordneten Dr. Ralf Stegner das Wort. zitiert, aber falsch zitiert worden ist, weil Sie eben nicht richtig zuhören. (Zuruf des Abgeordneten Wolfgang Kubicki [FDP]) (Hartmut Hamerich [CDU]: Sie müssen doch einlagern!) Dr. Ralf Stegner [SPD]: Professor Hohmeyer sagt: Wir brauchen das eigent- Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und lich nicht, weil wir bis 2020 unseren ganzen Herren! Da der Herr Minister gesagt hat, wenn man Strombedarf rein aus erneuerbaren Energien er- dem Antrag zustimme, sei das in der Sache kontra- zeugen können. Aber damit die Gefahren nicht bes- produktiv, und das sei energieideologisch, will ich tehen, muss man die Wiederverwendung voran- doch noch einmal gegenhalten. Wir werden näm- stellen. lich dem Antrag zustimmen. Wir brauchen eigent- Im Übrigen halte ich es auch für fahrlässig, weil lich kein CCS-Gesetz - wir überhaupt nicht wissen, wie Gesteinsschichten (Beifall bei der LINKEN und des Abgeord- darauf reagieren. Kein Mensch weiß das. Der Ein- neten Lars Harms [SSW]) satz kommt auch erst nach 2020. Das will heißen: All die Dinge, die da angeführt worden sind, stim- unabhängig davon, wie Sie die europäischen Vor- men gar nicht. Wir müssen für eine Veränderung in gabe auslegen. Aber das kann doch nicht heißen, der Energiepolitik sorgen. Alles, was an Nebenpro- dass, wenn es dann doch kommt, man nicht doch dukten herauskommt, muss wiederverwendet wer- dafür eintritt, dass zumindest die Länder darüber den und darf nicht unter die Erde geschafft werden. entscheiden. Die beste Lösung aber wäre, wenn es Das ist pragmatisch und nicht Ideologie, Herr Mini- kein CCS-Gesetz gäbe. Das ist das Erste. ster. Deshalb sollten wir so verfahren. (Beifall bei SPD und SSW) 200 Schleswig-Holsteinischer Landtag (17. WP) - 3. Sitzung - Donnerstag, 19. November 2009

Vizepräsidentin Marlies Fritzen: Detlef Matthiessen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Herr Dr. Stegner, lassen Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. von Abercron zu? Liebe Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr Minister, Sie haben den Beitrag des Dr. Ralf Stegner [SPD]: Kollegen Jezewski von der LINKEN als den schlechtesten von allen hier tituliert. Mit dem größten Vergnügen. (Wolfgang Kubicki [FDP]: Bis jetzt! - Hei- Dr. Michael von Abercron [CDU]: Herr terkeit bei FDP und CDU) Dr. Stegner, ich wollte Sie fragen, ob Sie wissen, dass das CCS-Gesetz eben nicht nur In der Essenz hat er darauf hingewiesen, dass wir es die Abschaltung regelt, sondern auch die bei diesen großräumigen Verbringungen von CO2- Trennung. Sie sagten völlig zu Recht, dass Ablagerungen durchaus mit grenzüberschreitenden die Chance bestehe, das Kohlendioxid wie- und im Übrigen mit medienüberschreitenden Vor- derzuverwenden. Auch das soll in dem Ge- gängen zu tun haben. Der normale Gedanke ist ja, setz geregelt werden. Dafür gibt es jetzt kei- die Menschen in Nordfriesland haben Angst, dass ne gesetzliche Grundlage. Das würde ein sol- das irgendwo hochsprudelt und die Kuh tot umfällt ches Gesetz notwendig machen. Oder liege oder sonst irgendetwas. Was sehr ernsthaft erarbei- ich da völlig falsch? tet wurde, war die Gefährdung wasserführender Schichten. Schleswig-Holstein hat ein Wasserdar- - Da liegen Sie, glaube ich, falsch. gebot, bei dem wir uns zu 100 % grundwasserge- (Günther Hildebrand [FDP]: Es kommt nicht stützt mit Wasser versorgen. Wenn die bisher nicht auf Glauben an!) detektierten Altbohrungen zu Freisetzungen führen - und sei es nur in wasserführende Schichten -, - Vielleicht darf man die Antwort noch geben. La- dann können wir mit Mineralwasser duschen. chen Sie dann hinterher. Die Frage war ja eine klu- ge. Man kann ja trotzdem eine kluge Antwort dar- Ich möchte auf Minister de Jager eingehen, weil ich auf geben. von seiner Rede etwas enttäuscht bin. Herr Minis- ter, in Ihrem Fall ist die 100-Tage-Schonfrist nicht (Dr. Christian von Boetticher [CDU]: Sie ganz angemessen, weil Sie vorher die Funktion des nicht!) Energiestaatssekretärs hatten. Die Antwort lautet: Für Forschung brauchen wir Erstens ist generell die ideologische Denkweise im- kein Gesetz. mer die der Andersdenkenden. Insofern halte ich so (Zuruf) etwas für eine unangemessen Einlassung. Sie brauchen kein Gesetz, um die Dinge zu erfor- Zweitens. Was mich sehr enttäuscht hat, ist Folgen- schen. Die Frage, wann das so weit ist, dass das des. In den Mittelpunkt meines Beitrags habe ich einsetzbar ist, kann kein Mensch beantworten. Ein gestellt, welche Schlussfolgerungen wir daraus zie- kleines Chemiekraftwerk neben ein Kohlekraftwerk hen, wenn wir uns als Schleswig-Holstein davon zu bauen - darauf läuft es hinaus -, um damit den verabschieden, CO2 durch CCS-Technik von der Einsatz der Kohlekraft um Jahrzehnte zu verlän- Lagerfähigkeit her einzugrenzen. Wir wollen in gern, ist nicht die richtige Art und Weise. Die For- Schleswig-Holstein - darin sind wir uns einig - die schung, um die es da geht, hat übrigens wenig mit Technik nicht zur Anwendung bringen. Was bedeu- der Anwendung in Deutschland zu tun. Sie wird tet das für die Kohlegroßkraftwerke, die in international betrieben. Da sind übrigens Leute wie Brunsbüttel geplant sind? - Das sind vier mal Professor Hohmeyer dabei. 800 MW, das sind 3,2 GW. Das ist so viel wie die Leistung eines Kernkraftwerkes. (Beifall bei der SPD und der Abgeordneten Ranka Prante [DIE LINKE]) (Zuruf des Abgeordneten Wolfgang Kubicki [FDP]) Vizepräsidentin Marlies Fritzen: Herr Minister, Sie sind in Ihrem Beitrag nicht dazu Das Wort hat der Herr Abgeordnete Matthiessen in der Lage gewesen, auch nur einen Gedanken da- von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. zu beizusteuern. Ich halte diese Debatte für zwin- gend. Können wir uns vor diesem Hintergrund überhaupt noch Kraftwerke leisten, von denen Sie, Herr Kubicki, in Ihrem Koalitionsvertrag geschrie- Schleswig-Holsteinischer Landtag (17. WP) - 3. Sitzung - Donnerstag, 19. November 2009 201

(Detlef Matthiessen) ben haben, das sei eine Übergangstechnologie, ei- mapolitische Ziele diskutiert. Man hat über Zu- ne Technologie, die frühestens 2015 ans Netz geht? kunftsperspektiven und über andere Energieformen Der Kollege Rasmus Andresen darf nicht Rauchen diskutiert. Ebenso wurden ganz klare Forderungen und muss regelmäßig Sport treiben, um die 60-jäh- gestellt. Es mag ja sein, dass im Block irgendwo et- rige technische Endschaft dieser Kohlekraftwerke was gestanden hat. Bei der Menschenkette neulich noch am lebendigen Leibe erleben zu können. war aber klar die Forderung zu hören: Keine CO2- Lagerung in Schleswig-Holstein und anderswo! (Heiterkeit bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Das sind die Forderungen der Bevölkerung. Es NEN) wurde ja gesagt, gegen deren Willen wolle man kei- Und das bezeichnen Sie hier als Übergangstechno- ne Politik machen. logie! (Beifall bei SSW, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Der Minister hat das nicht aufgegriffen. Aber natür- NEN und vereinzelt bei der SPD) lich ist die Debatte um die Zukunft der Kohlekraft- werke in Schleswig-Holstein zwingend mit der Vizepräsidentin Marlies Fritzen: CCS-Technologie verbunden. Wir werden Sie aus der Pflicht, dies ernsthaft zu diskutieren, nicht ent- Es liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. - Die lassen. Fraktion des SSW und andere haben alternative Ab- stimmung beantragt. Die Voraussetzung für eine al- (Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, ternative Abstimmung ist, dass keine Fraktion wi- der LINKEN und SSW) derspricht. - Ich sehe, das ist nicht der Fall. Dann schlage ich zunächst vor, abweichend von der Ge- Vizepräsidentin Marlies Fritzen: schäftsordnung - ich verweise auf § 75 - die beiden Das Wort zu einem weiteren Dreiminutenbeitrag vorliegenden Anträge zu selbstständigen Anträgen erteile ich dem Herrn Abgeordneten Flemming zu erklären. - Ich sehe keinen Widerspruch. Dann Meyer vom SSW. werden wir entsprechend verfahren. Wer dem Antrag der Fraktionen von CDU und Flemming Meyer [SSW]: FDP, Drucksache 17/55, seine Zustimmung geben will, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer dem Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen Antrag der Fraktion des SSW, Drucksache 17/38, und Kollegen! Ich hatte gerade den Eindruck, als seine Zustimmung geben will, den bitte ich um das habe der Minister unseren Antrag so gelesen, als sei Handzeichen. - Ich stelle fest, dass der Antrag es ein Antrag, der heißt: Schleswig-Holstein gegen Drucksache 17/55 mit den Stimmen der Fraktionen den Rest der Welt. von CDU und FDP angenommen worden ist. Ich (Heike Franzen [CDU]: Ist er auch!) stelle weiterhin fest, dass der Antrag Drucksache 17/38 abgelehnt worden ist. Aber das steht da nun gar nicht drin. In unserem Antrag steht vielmehr ganz klar, dass wir den Land- Herr Kubicki hat sich zur Geschäftsordnung gemel- tag auffordern, mit anderen Bundesländern in Ver- det. handlungen zu treten mit dem Ziel, über den Bun- desrat ein bundesweites gesetzliches Verbot für die Wolfgang Kubicki [FDP]: unterirdische Endlagerung von CO2 zu erreichen. Es geht also nicht um einen Alleingang von Schles- Frau Präsidentin, ich habe eine Frage zur Ge- wig-Holstein, sondern um ein Zusammengehen mit schäftsordnung. Darf ich der Tatsache, dass das anderen Bundesländern. Das beinhaltet unwahr- Präsidium auf die Erklärung eines Wortes, das mit scheinlich viele Möglichkeiten. den Buchstaben „Sch“ anfängt, nicht reagiert hat, entnehmen, dass es sich bei diesem Begriff mittler- Seit Sie letztes Mal in Schafflund waren, ist ja et- weile um einen parlamentarischen Ausdruck han- was passiert. Die Bürgerinitiative, die im Sinne ei- delt? ner Initiative begann, hat eine Eigendynamik ent- wickelt. Sie wurde bald zu einer Bürgerbewegung. Vizepräsidentin Marlies Fritzen: Die Angst, die der Ursprung für die Bewegung war, hat sich ebenfalls weiterentwickelt. Bei jeder Ver- Herr Kubicki, wir haben die Entschuldigung gehört anstaltung, die stattgefunden hat, konnte man mer- und akzeptiert. Wir können sicherlich zu gegebener ken: Es ist wirklich etwas passiert. In der Bevölke- Zeit in anderer Form noch einmal darüber sprechen. rung wird eine Debatte geführt. Man hat über kli- Ich rufe Tagesordnungspunkt 26 auf: 202 Schleswig-Holsteinischer Landtag (17. WP) - 3. Sitzung - Donnerstag, 19. November 2009

(Vizepräsidentin Marlies Fritzen)

Bildungsfinanzierung Über diese Situation haben sich auch die Finanz- minister beschwert, und zwar zu Recht, wie ich Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN meine. Sie haben dann eine andere Strategie einge- Drucksache 17/40 schlagen. Ich führe in diesem Zusammenhang ein- mal folgenden Vergleich an: Was tut ein Mathema- Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das tiker, der eine Dose öffnen will, aber keinen Öffner ist nicht der Fall. hat? Er definiert die Dose als offen. Die Finanzmi- Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Frau Ab- nister machen es genauso. Sie sagen: Die 10-%- geordnete Anke Erdmann von BÜNDNIS 90/DIE Marke für Bildung und Forschung ist bereits seit GRÜNEN. 2009 erreicht. Die Kanzlerin und die Länderchefs haben sich verrechnet. Die Finanzminister sagen: Anke Erdmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bildung - wir haben fertig. Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wie kommt es dazu? - Es kommt dazu, weil die Fi- Gestern hat Herr von Boetticher gesagt - ich ver- nanzminister - anders als es hier in Schleswig-Hol- kürze es jetzt etwas -, wir könnten uns im Bildungs- stein, wie ich glaube, üblich ist, Herr Wiegard - un- bereich deshalb nicht an Skandinavien orientieren, ter anderem einfach die Pensionslasten der Lehr- weil wir nicht so viel Geld für Bildung ausgeben kräfte, die im Ruhestand sind, dazugerechnet ha- würden. Nachdem Frau Merkel im letzten Sommer ben. Schwuppdiwupp, so schließe ich eben mal eine die Bildungsrepublik Deutschland ausgerufen hat, Finanzierungslücke von 20 Milliarden €. Wenn mir ist auch sie problembewusst geworden und hat im einmal kalt ist, hilft es nicht, wenn mir jemand sagt: Oktober 2008 zusammen mit allen Ministerpräsi- Rechne doch einmal die Außentemperatur hinzu. denten, also auch zusammen mit Herrn Carstensen, Dadurch wird mir nicht wärmer. Durch dieses Ver- Folgendes vereinbart: Die Ausgaben für Bildung fahren wird auch Bildung nicht besser. und Forschung sollen bis zum Jahr 2015 auf einen (Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Anteil von 10 % am Bruttoinlandsprodukt steigen. Unser Antrag will Ihnen, Herr Ministerpräsident, Über das Ziel kann man sich streiten. Warum gera- bei der MPK im Dezember gewissermaßen den de 10 %? Ist das Bruttoinlandsprodukt die richtige Rücken stärken. Sie haben vor einem Jahr an dieser Bezugsgröße? Sollten wir nicht erst einmal unter Stelle erklärt: Es ist ein ehrgeiziges Ziel, das wir qualitativem Aspekt darüber reden, worum es ge- uns vornehmen. Zum Vergleich: 2006 lagen wir hen soll? bundesweit bei den Ausgaben bei rund 8,5 %. - Da- Darum geht es heute aber nicht. Heute geht es um mit ist klar, wovon Sie im letzten Oktober beim „versprochen ist versprochen“. 10 % bis 2015: Das Bildungsgipfel ausgegangen sind. Das ist ein wären umgerechnet ungefähr 20 Milliarden € mehr OECD-Wert. Versprochen ist versprochen. Regie- pro Jahr. Eine sogenannte Strategiegruppe aus rungschefs sollten halten dürfen, was sie verspro- Fachministern der Länder wurde eingerichtet. Sie chen haben. sollte zur MPK im Oktober ein Konzept vorlegen, An dieser Stelle setzt unser Antrag an. Am 16. De- wie man das 10-%-Ziel erreichen kann. Abgabeter- zember, wenn Sie sich mit Ihren Kollegen wieder min war Oktober 2009. treffen, muss es eine Entscheidung über das Wie Jetzt machen wir einen kleinen Praxischeck. Die geben. Wie können die 10 % erreicht werden? Ministerpräsidenten haben sich Ende Oktober Wenn Ihnen nichts einfällt - Herr von Boetticher wieder getroffen, aber es gab keine Entscheidung. hat gestern ja nach Vorschlägen gefragt -, so ver- Das Thema wird auf den 16. Dezember verschoben. weise ich darauf, dass wir einen Bildungssoli vor- Die Bildungs- und Wissenschaftsminister haben geschlagen haben. Ab 2010 könnte man den Soli zwar einen langen Maßnahmekatalog erarbeitet, Ost sukzessive - noch nicht komplett - einsetzen. aber sie haben ihn überhaupt nicht operationalisier- Wenn man einmal errechnet, was man für die Alt- bar gemacht. Letztes wäre aber nötig. Wenn ich sa- schuldenhilfe abzieht, ergibt sich, dass ab 2010 - ge, dass ich einen Anteil von 10 % erreichen will, das ist praktisch übermorgen - ungefähr 23 Milliar- muss ich herausfinden, wie viel Geld noch fehlt, den bis 2019 zur Verfügung stehen. Das ist noch woher ich das fehlende Geld bekomme, welche nicht ausreichend, aber es ist ein Anfang, und zwar Maßnahmen dazu erforderlich sind und so weiter. ein schneller Anfang. (Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Solidarität ist ja nichts Unbekanntes. Schleswig-Holsteinischer Landtag (17. WP) - 3. Sitzung - Donnerstag, 19. November 2009 203

(Anke Erdmann)

In einem zweiten Punkt möchte ich eine weitere (Beifall bei CDU und FDP) Deichlinie ansprechen. Sollte am 16. Dezember die Debatte über statistische Abgrenzungen wieder Vizepräsidentin Marlies Fritzen: anfangen, so wären wir froh, wenn es nicht darum geht, welches die Rechentricks der Finanzminister Frau Franzen, lassen Sie eine Zwischenfrage zu? sind. Die Länderchefs haben damals gesagt: Wir wollen mehr Geld. Herr Tillich hat als Ministerprä- Heike Franzen [CDU]: sident damals gesagt: Wir gehen von Kosten in Hö- Nein, ich lasse keine Zwischenfrage zu. he von 60 Milliarden € für die öffentliche Hand aus. Die Finanzminister können dann nicht einfach So formuliert man in der Tat nur, wenn man aus po- sagen: Ihr habt euch komplett geirrt. pulistischen Gründen ohnehin eine Ablehnung die- ses Antrages erwirken will. Der dritte Punkt ist, dass wir den demografischen Gewinn für eine Qualitätsoffensive nutzen wollen. Meine Damen und Herren, das Land Schleswig- Wir wollen in Köpfe investieren. Das haben wir Holstein hat in den vergangen Jahren in erhebli- gestern alle wieder betont. Wir wollen es nicht so chem Umfang Mittel in die Hand genommen, um wie der Landesrechnungshof machen, der für den die Bildungssituation zu verbessern. So stehen im Schulbereich unter den Strich vorschlägt, dass die- Haushalt 2009/2010 22 Millionen € als Grundlage ser Bereich schrumpfen solle. In diesem Punkt ge- zur Schaffung von 17.000 Betreuungsplätzen für hen wir mit dem Landesrechnungshof nicht kon- unter Dreijährige bereit. Das letzte Kindergarten- form. jahr ist für die Eltern beitragsfrei, was in den näch- sten Jahren mit 35 Millionen € jährlich zu Buche (Wolfgang Kubicki [FDP]: Unglaublich!) schlägt. Für das Sonderprogramm zu Bau und - Genau! Modernisierung von Schulgebäuden stehen 42 Millionen € bereit. Zur Umsetzung eines inte- Herr Klug, wir haben um ein Konzept gebeten, wie grativen Sprachförderkonzeptes geben wir 27 Mil- die Umsetzung bezüglich des demografischen Ge- lionen € aus. In der letzten Legislaturperiode wur- winns erfolgen soll. Wir haben dafür einen Termin den insgesamt 1.155 zusätzliche Lehrerstellen ge- im Februar vorgeschlagen. Wenn Sie sagen, das sei schaffen. 84 Millionen € zusätzliche Mittel gingen ein zu früher Termin, können Sie ja einen anderen in die Schaffung von 4.000 zusätzlichen Studien- Vorschlag machen und ein anderes ambitioniertes plätzen. Für die Hochschulen, für die Hochbegab- und realistisches Konzept vorschlagen. Wir sind tenförderung, für die Volkshochschulen, für die Fi- diesbezüglich lernfähig. Die FDP will immer Motor nanzierung der Excellenzcluster, für die Schülerbe- sein. Herr Minister Klug, wir setzen auf Sie. Geben förderung der dänischen Minderheit und für das Sie Gas! Projekt „Kein Kind ohne Mahlzeit“ sind in der letz- (Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ten Legislaturperiode zusätzliche Mittel bereitge- und der LINKEN) stellt worden. Liebe Kollegin Erdmann, dass wäre uns alles noch Vizepräsidentin Marlies Fritzen: viel leichter gefallen, wenn die Grünen zu ihrer Re- Für die CDU-Fraktion hat Frau Abgeordnete Heike gierungszeit keine ungedeckten Schecks wie die Franzen das Wort. Vorgriffsstunde für Lehrkräfte mit beschlossen hätten, Heike Franzen [CDU]: (Beifall bei CDU und FDP) Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und für die wir heute mit 650 Planstellen bezahlen müs- Kollegen! Ich will gleich zu Beginn meiner Rede sen, die uns im Unterricht fehlen. Stattdessen hätten kurz unsere neue Kollegin darauf aufmerksam ma- sie damals schon für genügend Lehrkräfte im Sys- chen, dass man, wenn man Mehrheiten für einen tem sorgen können. Antrag in diesem Parlament bekommen möchte, (Wolfgang Kubicki [FDP]: Sehr gut! - Bei- auch ein bisschen auf die Sprache des Antrages fall bei CDU und FDP) achten sollte. Einem Antrag, der dem Finanzminis- ter statistische Schönrechnerei vorhält, zuzustim- Was ich damit sagen will, ist, dass sich auch die men, ist für uns als regierungstragende Fraktion ge- neue Landesregierung mit aller Kraft dafür einset- linde gesagt etwas schwierig. zen wird, weitere Mittel für die Finanzierung unse- res Bildungswesens zur Verfügung zu stellen. So 204 Schleswig-Holsteinischer Landtag (17. WP) - 3. Sitzung - Donnerstag, 19. November 2009

(Heike Franzen) sollen auch trotz der rückläufigen Schülerzahlen Vizepräsidentin Marlies Fritzen: nicht alle dem demografischen Gewinn zuzurech- Für die SPD-Fraktion erteile ich das Wort dem nenden Lehrerplanstellen wegfallen. Ein Teil soll Herrn Abgeordneten Dr. Henning Höppner. zur weiteren Verbesserung der Unterrichtssituation im Bildungswesen verbleiben, auch wenn der Lan- desrechnungshof hier zu anderen Ergebnissen Dr. Henning Höppner [SPD]: kommt. Schule kann man eben nicht nur aus- Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und schließlich unter wirtschaftlichen Aspekten be- Herren! Im Oktober 2008 trafen sich in Dresden die trachten. Hier geht es nicht nur um Klassenfrequen- Bundeskanzlerin und die Länderregierungschefs, zen und Schüler-Lehrer-Relationen, sondern insbe- um konkrete Vereinbarungen für eine Verbesse- sondere um Pädagogik und um Lebensräume für rung des deutschen Bildungswesens zu schaffen. Kinder. Dennoch, das will ich deutlich sagen, müs- Es gab Übereinstimmung darin, dass bis 2015 10 % sen wir die Vorschläge des Landesrechnungshofes des Bruttoinlandsproduktes in Bildung und For- ernst nehmen und uns damit beschäftigen. schung investiert werden sollten. Davon sollten auf Die auf dem Bildungsgipfel geplante Steigerung den Bildungsbereich 7 % entfallen, auf den For- der Bildungsausgaben auf 10 % des Bruttoin- schungssektor 3 %. landprodukts werden wir hier in Schleswig-Hol- Es gab bei diesem Gipfel wichtige Aussagen über stein aus eigener Kraft nicht erreichen können. Ins- den Ausbau der Betreuung für Kinder unter drei besondere vor dem Hintergrund der finanziellen Si- Jahren, über eine frühere Sprachförderung und über tuation des Landeshaushalts und der Vorgabe der eine Qualitätsinitiative für die Ausbildung der Er- verfassungsrechtlich zu verankernden Schulden- zieherinnen und Erzieher und der Tagesmütter und bremse, mit der der Bund den Ländern ab 2020 un- Tagesväter. Was es jedoch nicht gab, war ein um- tersagt, weitere Schulden zu machen, ist auch der fassendes Finanzierungspaket. Der Bund sah sich Bund in der Pflicht, uns bei den Umsetzungen zu leider nicht in der Lage, zum Beispiel ein kostenlo- helfen. Für das Land Schleswig-Holstein heißt die- ses Mittagessen für Kinder aus finanziell schwa- se 10-%-Marke zusätzliche Ausgaben von jährlich chen Familien zu bezuschussen. 3,2 Milliarden €. Das werden wir durch Einsparun- gen im Landeshaushalt, der ein Gesamtvolumen Festgelegt wurden Eckwerte, nicht aber eine, wie es von rund 9 Milliarden € hat, sicherlich nicht schaf- auf neudeutsch heißt, Roadmap, diese hoch ge- fen. Da helfen uns auch nicht die zur Sanierung der steckten Ziele zu erreichen. Die GEW sprach von Landeshaushalte zur Verfügung gestellten 80 Mil- „Nebel auf dem Bildungsgipfel“, der Deutsche Leh- lionen € weiter. rerverband nannte den Bildungsgipfel eine „in der Geschichte unbedeutende Fußnote“, und der Stifter- Erfreulicherweise kann man im Koalitionsvertrag verband für die deutsche Wissenschaft bescheinigte von CDU/CSU und FDP auf Bundesebene lesen, der Politik, sie habe „das Ziel aufgegeben, mehr dass der Bund die Bildungsausgaben um 12 Milliar- junge Leute zur Aufnahme eines Studiums zu moti- den € steigern will und von Maßnahmen spricht, die vieren“. es den Ländern ermöglichen sollen, ihre Beiträge für die 10-%-Marke zu erreichen. Ein Mittel soll Heute, ein Jahr danach, erscheint der Bildungsgip- dabei ein deutlich höherer Anteil an der Umsatz- fel in der Rückschau nur noch als Wanderdüne. steuer sein. Und auch eine höhere Beteiligung der Und dass die Abstände zwischen den bundesweiten Privatwirtschaft ist vorgesehen. Protestaktionen der Studierenden und der Schüle- rinnen und Schüler mittlerweile immer kürzer wer- Über diese Vorschläge, meine Damen und Herren, den, ist ein Beweis dafür, dass dieser Gipfel von müssen wir mit dem Bund verhandeln. Ich bin 2008 bisher alle Hoffnungen enttäuscht hat. überzeugt, dass wir uns in der Zielsetzung einig sind. (Beifall bei der SPD) Ich beantrage daher trotz der anfangs genannten Die Ziele des Bildungsgipfels waren und sind rich- Kritik für die CDU-Fraktion die Überweisung des tig, aber die Umsetzung lässt bedauerlicherweise Antrages in den Bildungsausschuss zur weiteren auf sich warten. Es ist daher folgerichtig, dass die Beratung. Vielleicht finden wir dann eine Formulie- Grünen in ihrem Antrag die Landesregierung darin rung, mit der wir gemeinsam leben können. bestärken, sich verstärkt für die Ziele von Dresden einzusetzen. (Beifall bei CDU und FDP) Schleswig-Holsteinischer Landtag (17. WP) - 3. Sitzung - Donnerstag, 19. November 2009 205

(Dr. Henning Höppner)

Wer mehr öffentliches Geld für Bildung und Wis- chen Bildung steigen. Und wenn wir immer mehr senschaft ausgeben will, darf die Einnahmen des junge Menschen zu einem höheren Bildungsab- Staates nicht schwächen. schluss führen wollen - das hat unser Land in be- sonderem Maße nötig -, kostet das auch mehr Geld, (Beifall bei der SPD) weil diese eben die Schulen länger besuchen. Steuersenkungen, das sage ich an dieser Stelle, sind Wir sprechen uns als SPD-Fraktion dafür aus, dass Gift für dieses Ziel. Es gibt natürlich immer wieder diese Spielräume dazu genutzt werden, die Unter- einen Zielkonflikt zwischen den Finanzpolitikern richtsversorgung dort, wo nötig, zu verbessern und den Bildungspolitikern, völlig unabhängig von und gleichzeitig die pädagogische Qualität der ihrer Parteizugehörigkeit. Das ist ein Konflikt über Schulen zu steigern. Dazu gehören viele Maßnah- die Priorität der Haushaltssanierung gegenüber men, von der Sprachförderung vor der Einschulung der Priorität der qualitativen und quantitativen Ver- und in den ersten Schuljahren über die vorgezogene besserung unseres Bildungssystems. Das ist kein Einführung der Fremdsprache bis hin zur Ausstat- Gegensatz zwischen Gut und Böse, sondern ein tung der Ganztagsschulen. Darüber, dass die Mittel Konflikt, den wir alle aushalten müssen, auch ge- zu 100 % haushaltstechnisch gedeckelt oder über- genüber den Forderungen aus der Bevölkerung vor rollt im Bildungssystem bleiben, können wir - wie dem Hintergrund des zukünftigen Verschuldungs- sicherlich auch die Antragsteller - keine Garantie verbotes. abgeben. In Nummer 2 ihres Antrages befürchten die Grü- Meine Damen und Herren, ich schlage vor, den An- nen, dass bei der Berechung die Quote der Pensi- trag, der nach unserer Auffassung eine deutliche onszahlungen an die ausgeschiedenen Lehrerinnen textliche Überarbeitung braucht - so wollen wir ihm und Lehrer in die Bildungsausgaben eingerechnet nicht zustimmen -, in den Bildungsausschuss zu wird. Meine Damen und Herren, in der Haushalts- überweisen. Wir bieten an, im Bildungsausschuss systematik des Landes Schleswig-Holstein ist dies eine konsensfähige Formulierung zu schaffen. immer Bestandteil der allgemeinen Finanzverwal- tung, nicht des Bildungshaushaltes, also nicht des (Beifall bei SPD und SSW) guten alten Einzelplans 07. Ich will aber, liebe Kol- leginnen und Kollegen von den Grünen, an dieser Vizepräsidentin Marlies Fritzen: Stelle nicht unerwähnt lassen, dass die Grünen die Pensionskosten als Bestandteil der Berechnung der Ich erteile das Wort für die FDP-Fraktion der Frau Schülerkostensätze für die Schulen in freier Träger- Abgeordneten Cornelia Conrad. schaft immer gern hinzugerechnet hätten. Man (Beifall bei FDP und CDU) muss aber natürlich feststellen, dass die neuen Bun- desländer, die zum überwiegenden Teil Lehrkräfte Cornelia Conrad [FDP]: im Angestelltenverhältnis beschäftigen, die Arbeit- geberanteile an den Versorgungskosten als logi- Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und schen Bestandteil der Bildungsausgaben darstellen. Herren! In der Tat: Bildungsfinanzierung ist ein Ich kann also nur davor warnen, im Antragstext wichtiges Thema, das sehr im ARGEn liegt. Die Formulierungen wie „statistische Schönrechnerei- nachhaltigen lautstarken Proteste der Studenten und en“ zu verwenden, weil sie den Verdacht der be- Schüler seit Wochen - gestern auch bei uns vor dem wussten Manipulation durch die Finanzminister Landeshaus - sind unüberhörbar und eng mit dem aufkommen lassen. Das ist nicht richtig. Begriff Bildungsfinanzierung verbunden. Die zurückgehenden Schülerzahlen schaffen BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN fordern in ihrem An- Spielräume, wobei diese Spielräume nach meiner trag, die Ausgaben für Bildung und Forschung bis Auffassung bei Weitem nicht den Umfang errei- 2015 auf 10 % des Bruttoinlandprodukts anzuhe- chen können, den der Landesrechnungshof in sei- ben. Das sieht auch unser Koalitionsvertrag im nem Schulbericht 2009 auf jährlich 261 Millionen € Bund vor. In diesem haben wir uns verpflichtet - beziffert hat. Da es eine Entwicklung ist, die in ich zitiere, „die Ausgaben des Bundes für Bildung Kurven verläuft, wird es vielleicht für zwei, drei und Forschung bis 2013 um insgesamt 12 Milliar- Jahrgänge im Jahr 2020 zutreffen, wenn die Schü- den € zu erhöhen. Darüber hinaus werden wir Maß- lerverluste das Tal erreichen haben. Wenn man aber nahmen ergreifen, die es zudem Ländern, Wirt- bedenkt, dass wir 2016 doppelte Abiturjahrgänge schaft und Privaten erleichtern, ihre jeweiligen Bei- haben, werden schwerpunktmäßig in jenem Jahr die träge bis spätestens 2015 ebenfalls auf das Ausgaben an den Hochschulen und in der berufli- 10-%-Niveau anzuheben.“ 206 Schleswig-Holsteinischer Landtag (17. WP) - 3. Sitzung - Donnerstag, 19. November 2009

(Cornelia Conrad)

Bildung für junge Menschen hat jedoch nicht nur Meine Damen und Herren, es besteht Konsens, dass mit Kosten zu tun, sondern vielmehr mit qualifi- die Qualität des Bildungssystems Schleswig-Hol- zierten Bildungskonzepten. Bildung zu finanzie- steins erheblich verbessert werden muss. ren, ist daher kein Selbstzweck, sondern muss zu (Beifall bei FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- erheblichen Qualitätsverbesserungen und Effizienz- NEN sowie vereinzelt bei CDU und der LIN- steigerungen in unseren Schulen und Hochschulen KEN) führen. Dazu ist Ihrem Antrag nur zu entnehmen, dass Sie auf den kraftvollen Schwung des neuen Das ist Chancengleichheit für unsere Kinder und Bildungsministers setzen, einem Schwung, der den Zukunftssicherung für unser Land. Wie schnell Grünen und besonders der SPD in der Vergangen- die Arbeitsproduktivität bei uns wächst, hängt ganz heit offensichtlich gefehlt hat. entscheidend davon ab, wie gut wir mit unserem Bildungswesen unsere jungen Menschen qualifizie- (Beifall bei FDP und CDU) ren. Nur durch gute Bildung und ausreichende Bil- Was haben wir denn vorgefunden? - Ein chaoti- dungsfinanzierung werden wir die Herausforderun- sches Schulsystem - hier spreche ich als Realschul- gen der Zukunft bewältigen und unseren Lebens- lehrerin aus Erfahrung -, das Eltern zur Verzweif- standard langfristig sichern und wahren. lung treibt, Kinder überfordert - Stichwort: G8 - (Beifall bei FDP und BÜNDNIS 90/DIE und in dieser Form gar nicht mehr finanzierbar ist. GRÜNEN) Im Klartext: Wir müssen bei null anfangen. Von dieser Startposition aus wollen und werden wir vie- In diesem Sinne stimmen auch wir der Überwei- les neu ordnen, so manches neu betrachten und sung des Antrags in den Bildungsausschuss zu. neue Ideen umsetzen müssen. (Beifall bei FDP, CDU, BÜNDNIS 90/DIE Besonders in der Finanzierung wird uns bei der dra- GRÜNEN und vereinzelt bei der SPD) matischen Haushaltslage eine Menge an Ideenreich- tum abverlangt werden. Aber eines kann ich Ihnen Vizepräsidentin Marlies Fritzen: schon jetzt versichern: Für die FDP hat Bildung oberste Priorität! Das Wort hat die Frau Abgeordnete Ellen Streitbör- ger für DIE LINKE. (Beifall bei der FDP) Eine gute Schulbildung ist der Schlüssel zur gesell- Ellen Streitbörger [DIE LINKE]: schaftlichen Teilhabe und die große Chance zu- Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir künftiger Generationen. Sie ist aber auch die Chan- haben ja bereits gestern im Zusammenhang mit ce unseres Landes, für eine Dienstleistungsgesell- dem Bildungsstreik der Schülerinnen und Schüler schaft gewappnet zu sein. Wir brauchen wirtschaft- sowie der Studierenden hinreichend über die Pro- liches Wachstum, um unsere Schuldenlast bewälti- bleme unseres deutlich unterfinanzierten Bildungs- gen zu können. Deswegen ist es überaus wichtig, systems gesprochen. Auch gerade haben wir viel dass wir auch in Zeiten knapper Kassen in Bildung darüber gehört, wie wichtig Bildung für unser Land investieren. Wirtschaftswachstum hängt sehr davon ist. Deswegen möchte ich an dieser Stelle nicht al- ab, wie schnell die Produktivität der Beschäftigten les wiederholen; das möchte ich Ihnen und mir er- wächst. Deshalb tut es dringend Not, die Qualität sparen. unseres Bildungssystems weiter nachhaltig zu stei- gern. Wenn in Deutschland, dem Land der Dichter und Denker, wie es früher immer hieß, die Ausgaben Die sogenannte demografische Rendite, das heißt für Bildung unter dem OECD-Durchschnitt liegen, der bescheidene Rückgang der Schülerzahlen an dann ist das nur beschämend. Mit nur 4,6 % des allgemeinbildenden Schulen um insgesamt 5.200, Bruttoinlandsprodukts für unsere Bildung übertref- hat nun wahrlich nicht zu mehr Qualität in unserem fen uns die skandinavischen Länder und einige an- Bildungssystem geführt. Erfreulich ist, dass die dere europäische Länder fast um das Doppelte. Es Schülerzahlen in den Klassen, die ohnehin zu groß ist dringend geboten, dass der Bildungszwerg sind, im Vergleich zum letzten Schuljahr etwas Deutschland sich auf den Weg zur propagierten Bil- kleiner geworden sind. Kurzfristig werden jedoch dungsrepublik macht. Zu viel kostbare Zeit ist be- frei werdende Stellen benötigt, um Engpässe an den reits mit hohlen Phrasen und leeren Versprechun- Schulen und Berufschulen zu überbrücken. Eine gen vergeudet worden. Rendite vermag ich noch lange nicht zu erkennen. Schleswig-Holsteinischer Landtag (17. WP) - 3. Sitzung - Donnerstag, 19. November 2009 207

(Ellen Streitbörger)

Auch über die sogenannte demografische Rendite, Die Erfolgsaussichten, beim Bildungsgipfel im letz- die sich durch den Rückgang der Schülerzahlen bis ten Jahr überhaupt etwas zu erreichen, waren insge- 2020 ergeben wird, haben wir gestern ausführlich samt ziemlich durchwachsen. Auch dass die Bun- debattiert. Unser Appell an die Regierung war klar: deskanzlerin Bildung zur Chefsache erklärte, änder- Lasst uns diese Rendite nutzen, um unser schles- te nichts daran, dass der Bund sich bei der letzten wig-holsteinisches Bildungssystem auf dem Weg Föderalismusreform aus der Zuständigkeit für den hin zu einem Bildungssystem der Zukunft zu füh- Bildungsbereich verabschiedet hat. Bildung ist Län- ren, mit dem wir den Vergleich mit anderen Bun- dersache. Von vornherein war also klar, dass sämt- desländern nicht mehr scheuen müssen. liche Beschlüsse dieses Gipfels mehr symbolischen Wert hatten als alles andere. Frau Franzen hat uns gerade in dankenswerterweise vorgerechnet, wie viel Geld das Land Schleswig- Nur beim Hochschulpakt II gelang es ansatzweise, Holstein in die Bildung gesteckt hat. Irgendwie ha- über das Unverbindliche hinauszukommen. Der be ich den Eindruck, dass das trotz alledem nicht SSW begrüßt die im Hochschulpakt II vorgesehene ausreichend ist. Ich bin wahrscheinlich nicht die Erhöhung zur Finanzierung neuer Studienplätze. Einzige, die den Bericht zur Unterrichtssituation Sie liegt aber nach wie vor unter dem OECD- im Schuljahr 2008/2009 gelesen hat. In diesem Be- Durchschnitt von 10.600 € pro Studienjahr. Hinzu richt wird deutlich, dass Schleswig-Holstein im kommt, dass aus schleswig-holsteinischer Sicht ei- Vergleich zu anderen Bundesländern in der unteren ne Laufzeit des neuen Hochschulpaktes bis 2015 Tabellenhälfte rangiert. Die Realschulen bilden die reichlich wenig nützt, da die doppelten Abiturjahr- einzige Ausnahme. Das liegt sicherlich daran, dass gänge erst ab 2016 in die Hochschulen wollen. Wir sie als Auslaufmodell kaum noch Neuanmeldungen brauchen also eine längere Laufzeit des Hochschul- hatte und sich dadurch die Zahlenstatistik schön- pakts, und wir brauchen auch eine Bilanz darüber, rechnet. wie es mit der Umsetzung des Hochschulpaktes I bestellt ist. Aus den genannten Gründen werden wir - ur- sprünglich dachte ich, dass wir dem Antrag zustim- Vor dem Hintergrund der gesamten Gemengelage men - der Überweisung in den Ausschuss zustim- begrüßen wir den vorliegenden Antrag von BÜND- men. NIS 90/DIE GRÜNEN. Denn richtig ist, dass der nächste sogenannte Bildungsgipfel mehr bringen (Beifall bei der LINKEN) muss als nette Unterhaltung. Vizepräsidentin Marlies Fritzen: Bildungsfinanzierung ist in Deutschland ein prin- zipielles Problem. Der politische Beitrag für ein Bevor ich das Wort der Abgeordneten Anke Spoo- besseres Bildungssystem beschränkt sich aber häu- rendonk vom SSW erteile, begrüße ich auf der Tri- fig auf rhetorische Plädoyers, in denen die Bedeu- büne Mitglieder der Jungen Union Schleswig-Hol- tung von Humankapital für den Wirtschaftsstandort stein. - Seien Sie uns herzlich willkommen! Deutschland hochgehalten wird. Darüber hinaus ge- (Beifall) schieht aber viel zu wenig, um die Missstände in unseren Bildungsinstitutionen aufzuheben. Damit Das Wort hat Frau Abgeordnete Anke Spooren- meine ich nicht nur die Probleme an den Schulen, donk. also Unterrichtsausfall, hohe Belastung von Lehre- rinnen und Lehrern, zu große Klassenfrequenzen, Anke Spoorendonk [SSW]: marode Schulgebäude, zu wenig Schulsozialarbeit Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! und ein mittlerweile völlig undurchschaubares Ein Jahr nach dem Bildungsgipfel in Dresden sind Schulsystem. Viel zu häufig wird vergessen, dass die Versprechen der Bundeskanzlerin und der Mini- wir auch eine bildungspolitische Verantwortung für sterpräsidenten in weite Ferne gerückt. Die Finanz- den Vorschulbereich und für die Bildung aller minister haben zwar bekannt gegeben, dass eine Menschen nach der Schulzeit haben, also in der ge- Steigerung der Bildungsausgaben auf 10 % des samten Erwachsenen- und Weiterbildung. Bruttoinlandsprodukts rein rechnerisch schon ge- (Vereinzelter Beifall bei SSW und BÜND- schehen ist. Auf eine verbesserte Bildungsfinanzie- NIS 90/DIE GRÜNEN) rung hoffen wir aber vergeblich. Auch die Zahlen- akrobatik der Finanzminister ändert nämlich nichts Daher ist es aus Sicht des SSW ganz wesentlich, daran, dass es sowohl bei den Schulen wie auch im dass die im Bundestagswahlkampf angestoßene De- Hochschulbereich weitere große Baustellen gibt. 208 Schleswig-Holsteinischer Landtag (17. WP) - 3. Sitzung - Donnerstag, 19. November 2009

(Anke Spoorendonk) batte über die Finanzierung von Bildungsaufgaben sagt wird. Ich habe das schon oft gesagt, möchte weitergeführt wird. aber noch einmal in Erinnerung rufen, dass Schwe- den ein reicheres Land als die Bundesrepublik ist. Die Grünen schlagen vor, den auslaufenden Solida- Das heißt, dass wir eine Umverteilung brauchen. ritätszuschlag für den Aufbau Ost in einen Bil- Wir brauchen die politische Einsicht, dass Bildung dungssoli umzuwidmen. Dieses Konzept wirkt, auch finanziell gesehen an oberster Stelle stehen spontan gesehen, bestechend. Es kann leicht in exi- muss. stierende Systeme eingearbeitet und schnell umge- setzt werden. Ich gebe aber zu bedenken, dass es (Beifall bei SSW, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- gesamtgesellschaftlich gesehen nicht angehen kann, NEN und der LINKEN sowie vereinzelt bei dass auf der einen Seite Steuererleichterungen SPD und FDP) durchgewunken werden, (Beifall bei SSW, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Vizepräsidentin Marlies Fritzen: NEN und vereinzelt bei der SPD) Für die Landesregierung erteile ich dem Minister auf der anderen Seite aber diejenigen, die von den für Wirtschaft, Wissenschaft und Verkehr, Herrn Steuererleichterungen am wenigsten profitieren, Jost de Jager, das Wort. über einen „Bildungssoli“ für das Bildungssystem zahlen sollen. Jost de Jager, Minister für Wissenschaft, Wirt- schaft und Verkehr: (Beifall beim SSW sowie vereinzelt bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich darf bei all den Unterstellungen - nicht zuletzt den Es führt aus unserer Sicht kein Weg daran vorbei, Finanzministern gegenüber - zunächst einmal klar- endlich ein gerechtes Steuersystem einzuführen, stellen, dass die Qualifizierungsoffensive mit ihren das in sich konsistent ist und die starken Schultern vielfachen Ansätzen zum Thema Aufstieg durch am meisten tragen lässt - auch in Sachen Bildung. Bildung, die sich durch alle Wissensbereiche ziehen (Beifall bei SSW, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- soll, von der Landesregierung weiterhin als Ziel NEN und vereinzelt bei der SPD) mitverfolgt wird. Wir wollen im Rahmen der Quali- fizierungsoffensive - das ist vergangenes Jahr so Bildungsausgaben sind eine Zukunftsinvestition - verabredet worden - die Ausgaben für Bildung und das sagen wir ja oft und gern - und damit eine ge- Forschung, wenn möglich, auf 10 % des Bruttoin- samtgesellschaftliche Verpflichtung. Konkret heißt landsprodukts steigern. Das Ziel einer Steigerung das für uns, dass zum einen endlich die Ausgleichs- der Mittel für diese Zwecke tragen wir natürlich funktion des Bundes zum Tragen kommt, um in mit. allen Bundesländern in etwa die gleichen Lebens- verhältnisse und damit auch die gleichen Bildungs- Nun ist der Antrag von BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- chancen zu schaffen. Außerdem fordert der SSW NEN keine allgemeine Absichtserklärung, sondern zum anderen, dass die demografische Rendite im ein Auftrag an den Ministerpräsidenten, im Ge- Bildungssystem bleibt. Die vom Landesrechnungs- spräch mit der Bundeskanzlerin und den anderen hof im jüngsten Schulbericht veröffentlichten Spar- Ministerpräsidenten am 16. Dezember 2009 dafür vorschläge würden bei einer 100-prozentigen Um- zu sorgen, dass diese Versprechen auch tatsächlich setzung wohl dazu führen, dass es in Schleswig- eingehalten werden. Damit wir wieder auf den Bo- Holstein die billigsten Schulen Deutschlands gäbe. den der Realität zurückkehren, möchte ich auf Fol- gendes hinweisen: Dem SSW geht es aber nicht um billige Bildung, sondern um gute Bildung. Daher sage ich noch ein- Wenn dieses 10-%-Ziel pauschal nach dem Pro- mal, dass wir die frei werdenden Mittel im Bil- zentsatz, der üblicherweise für die Länder ange- dungsbereich nutzen müssen, um ein qualitativ wandt wird, berechnet wird, bedeutet das für uns in wertvolles Bildungssystem zu schaffen, in dem die Schleswig-Holstein, dass wir im Landeshaushalt für Bildung endlich an oberster Stelle steht. frühkindliche Bildung, Schule und berufliche Bil- dung etwa 1,9 Milliarden € und für Hochschule und (Beifall bei SSW, der LINKEN und verein- Durchlässigkeit etwa 1,3 Milliarden € zusätzlich zelt bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) ausweisen müssten. Das wäre eine Steigerung um Ich möchte noch eine letzte Bemerkung zu dem 3,2 Milliarden € innerhalb von fünf Jahren. Mittel machen, was immer wieder über die Verhältnisse in in dieser Größenordnung werden wir nicht annä- Schweden und in den skandinavischen Ländern ge- Schleswig-Holsteinischer Landtag (17. WP) - 3. Sitzung - Donnerstag, 19. November 2009 209

(Minister Jost de Jager) hernd aufbringen können. Auch dies entspricht der 2008 sind. Das bedeutet, dass wir abschichten müs- Realität. sen. Deshalb kam Ihre Frage wahrscheinlich zu ei- nem falschen Zeitpunkt meiner Rede. Wir müssen Das ist der Grund, weshalb die Landesregierung bei erst einmal abschichten, was wir dann machen. Da- der bundesweiten Abfrage im Sommer zwar The- nach kommen wir zu dem, was Sie, Frau Spooren- menfelder, die für eine Ausgabensteigerung infrage donk, als Finanzakrobatik bezeichnet haben. kommen, benannt hat, aber keine ausdrücklichen finanziellen Zusicherungen gemacht hat - wie vie- Ich war gerade dabei zu sagen, dass wir hinsichtlich le andere Landesregierungen übrigens auch. Denn der Abschichtung zunächst einmal mit den vertrag- es kann nicht so sein, dass einfach abgefragt und lichen Verpflichtungen anfangen müssen, die wir dann gemeldet wird. eingegangen sind. Dazu gehört der Hochschulpakt II, der übrigens nicht bis zum Jahre 2015 be- Hintergrund ist, dass Schleswig-Holstein - anderen schränkt ist, Frau Kollegin Spoorendonk. Die Län- Bundesländern geht es ähnlich - durch das Neuver- der sind mit dem Bund ausdrücklich die Vereinba- schuldungsverbot in eine besondere Situation rung eingegangen, dass der Hochschulpakt bis zum kommt. Das Neuverschuldungsverbot hat Verfas- Jahr 2020 fortgeschrieben wird. Nur der Finanzie- sungsrang. Man mag es politisch unterstützen oder rungszeitraum erstreckt sich bis 2015, aber es nicht - jedenfalls ist es Realität. Ich halte es für besteht eine Verpflichtung, den Pakt bis 2020 fort- falsch, heute, im Winter 2009/2010, so zu tun, als zuführen. Das ist wichtig, weil der „Schülerberg“ könnten wir die Ziele aus dem Jahr 2008 einfach so Schleswig-Holstein erst im Jahr 2016 erreicht. Wir fortschreiben, ohne zu wissen, wie wir es finanzie- haben ein Interesse daran, dass es die Fortschrei- ren können. bung gibt. (Beifall der Abgeordneten Heike Franzen Wir werden natürlich zu unseren Zusagen in der [CDU]) Exzellenzinitiative und im Pakt für Forschung ste- Aus diesem Grund müssen wir uns zunächst einmal hen, wir werden natürlich zu den konkreten landes- auf die zwingenden zusätzlichen Bildungsausga- politischen Vorhaben stehen, die wir im Bereich ben konzentrieren. Nur so können wir den Anfor- Bildung und Schule auf uns nehmen wollen. derungen an uns und unseren vertraglichen Pflich- (Unruhe) ten gerecht werden. Es geht aber auch darum - das ist beim Bildungs- Vizepräsidentin Marlies Fritzen: gipfel 2008 nicht geschehen -, sehr genau miteinan- der zu bereden, welche Kosten unter das 2010-Ziel Herr Minister de Jager, erlauben sie eine Zwischen- am Ende fallen und welche nicht. Da ist es unum- frage der Frau Abgeordneten Erdmann? gänglich, dass wir uns über die Frage der Versor- gungslasten unterhalten. Da ist es unumgänglich, Jost de Jager, Minister für Wissenschaft, Wirt- dass wir uns über die Frage der kalkulatorischen schaft und Verkehr: Unterbringungskosten und die steuerlichen Vergün- Ja, gern. stigungen unterhalten müssen. Ebenfalls - das wird wahrscheinlich eine weitere Zwischenfrage von Ih- Anke Erdmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- nen provozieren - bin ich der Auffassung, dass auch NEN]: Herr Minister, habe ich Sie gerade die Frage, ob das Bemessungsziel Bruttoinlands- richtig verstanden, dass es aufgrund der ver- produkt zwingend aufrechterhalten werden muss änderten finanziellen Lage sein kann, dass oder ob man nicht zu einer Finanzierung kommen der konkrete Beschluss vom Dresdner Quali- kann, die etwa Ausgaben pro Bildungsteilnehmer fizierungsgipfel nicht umgesetzt wird? Heißt oder jährliche Ausgaben pro Einwohner am Ende das, dass Sie dem Ministerpräsidenten mitge- als Bezugsgröße nimmt, zwischen den Ministerprä- ben, sich von dem 10-%-Ziel, das vor einem sidenten und der Bundeskanzlerin besprochen wer- Jahr in Kenntnis der Sachlage vereinbart den muss. wurde, zu verabschieden? Über all diese Fragen wird mit dem Bund zu ver- - Das ist nicht richtig. Ich sage nur, dass zunächst handeln sein. Ich verweise darauf - das ist ja eben einmal alle Länder, insbesondere aber Länder wie auch schon genannt worden -, dass es gute Nach- Schleswig-Holstein, aufgrund des Neuverschul- richten gibt aus dem Koalitionsvertrag auf Bun- dungsverbots in einer anderen finanziellen Aus- desebene, der sagt, dass es dort eine Steigerung gangslage als zum Zeitpunkt des Bildungsgipfels der Mittel um insgesamt 12 Milliarden € geben 210 Schleswig-Holsteinischer Landtag (17. WP) - 3. Sitzung - Donnerstag, 19. November 2009

(Minister Jost de Jager) soll. Es ist ebenfalls eine gute Nachricht, dass ein Antje Jansen [DIE LINKE]: Teil dieser Mittel darauf verwendet werden soll, es Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Bil- den Ländern zu ermöglichen, das 10-%-Ziel tat- dungsfinanzierung ist hier das große Thema. Lei- sächlich einzuhalten. Auch das ist eine wichtige der werden hier von den Rednern und Rednerinnen Nachricht. hauptsächlich die Themen Schule und Hochschule Ich darf an dieser Stelle aber auch sagen, dass es genannt, der wichtigste Bereich, der frühkindliche mitunter nicht hilfreich ist - was sich übrigens als Bereich, der Kindertagesstättenbereich, der Kinder- ein Verhaltensmuster abzuzeichnen scheint -, dass gartenbereich wird von allen Rednern und Redne- sich Frau Schavan einfach mal so in ein Interview rinnen, gerade auch von der SPD, nur am Rande er- setzt und sagt, sie sei für eine Erhöhung des wähnt. Für mich ist die frühkindliche Bildung die BAföG. Das trifft uns nämlich genauso wie alle an- wichtigste Bildung für alle Kinder, um Chancen zu deren. Es kann nicht sein, dass die Bundesregie- haben für die Bildung. rung ständig neue Ausgabenziele festsetzt, die die (Beifall bei der LINKEN) Länder zur Hälfte zu tragen haben. Ich gebe dem Ministerpräsidenten für den Bil- (Beifall bei CDU, FDP und des Abgeordne- dungsgipfel mit auf den Weg, für diesen Bereich ten Heinz-Werner Jezewski [DIE LINKE]) mehr Geld für Schleswig-Holstein hereinzuholen. Damit rennen wir - Herr Oppositionsführer, ich bin (Beifall bei der LINKEN) da weniger auf Farbenspiele festgelegt als Sie - ei- ner Agenda hinterher, die wir in den Ländern am Schleswig-Holstein hat diesen Bereich in den letz- Ende nicht mehr selber gestalten. ten Jahren sträflich vernachlässigt. Schleswig-Hol- stein liegt im Kindertagesstättenbereich im Bun- Meine Damen und Herren, lassen Sie mich am En- desvergleich an letzter Stelle, hat die rote Laterne. de der Debatte festhalten, dass es für uns ganz klar Der Krippenausbau läuft hier sehr, sehr schwer- ist, dass wir am 16. Dezember im Kreis der Minis- lich, gerade auch in den ländlichen Regionen. In terpräsidenten mit der Bundeskanzlerin bereden ländlichen Regionen haben Eltern Schwierigkei- wollen, wie das 10 %-Ziel erreicht werden kann. ten, einen Ganztagskindergartenplatz zu bekom- Wird das pauschal geleistet, oder geht es nach der men. wirtschaftlichen Heterogenität der Bundesländer? Welche Kosten werden eingerechnet? Es geht auch Die Landesregierung, gerade in der Großen Koaliti- um die Frage, die man heute anders beantworten on unter Beteiligung der SPD, hat die Kindergar- muss als im vergangenen Jahr: Wie viel können wir tenzuschüsse in den letzten Jahren gedeckelt. verbindlich gegenzeichnen? Wenn ein Ausbau in den Kommunen stattgefunden hat, mussten die Kommunen den größten Posten Meine Auffassung und die der Landesregierung da- der Kindertagsstättenbetreuung finanzieren. Es zu ist: Wir können verbindlich gegenzeichnen all kann nicht angehen, dass sich das Land aus der die Leistungen und vertraglichen Vereinbarungen, frühkindlichen Bildung verabschiedet. Alle Exper- die wir mit dem Bund schon eingegangen sind. Die ten sagen: Hier müssen wir ansetzen, damit alle Erfüllung pauschaler Prozentziele müssen wir ange- Kinder im Land Chancengleichheit in der Bildung sichts der Haushaltssituation in Schleswig-Holstein haben und einen besseren Schulabschluss erreichen. allerdings zunächst einmal unter Finanzierungs- und Haushaltsvorbehalt stellen. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei CDU und FDP) Wir haben zu große Gruppen, wir haben schlecht ausgebildetes Personal. Ich meine nicht, dass die Vizepräsidentin Marlies Fritzen: Erzieherinnen und sozialpädagogischen Assisten- tinnen schlecht ausgebildet sind. Aber in den Kom- Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich munen werden oft aus Geldmangel nur 400-€-Kräf- schließe damit die Beratung. - Oh, doch, das habe te eingestellt werden, mal sozialpädagogische As- ich nicht gesehen, Entschuldigung. - Das Wort hat sistentinnen angestellt, wenig Erzieherinnen. Frau Abgeordnete Jansen von der Fraktion DIE LINKE für einen Dreiminutenbeitrag. Hier muss das Land mehr Gelder zur Verfügung stellen. Wir werden in den nächsten Jahren beantra- gen, dass die Gelder für die Kindertagesstättenbe- treuung um Millionenbeträge erhöht werden. Schleswig-Holsteinischer Landtag (17. WP) - 3. Sitzung - Donnerstag, 19. November 2009 211

(Antje Jansen)

Auch der Bund hat hier eine große Verantwortung. sehr kompetenten Referenten Holger Wege von der Denn der Bund hat das Recht auf einen Kindergar- SPD-Fraktion und Kai Lengjel von der CDU-Frak- tenplatz beschlossen, aber er bezahlt nicht. Der tion, Bund hat auch beschlossen, das Krippenangebot zu (Beifall SPD und CDU) erhöhen. Das ist auch wichtig. Die Betreuung für unter Dreijährige muss massiv ausgeweitet werden. mit denen wir bei diesem Gesetzentwurf sehr gut Das Land muss die Prozentzahlen einhalten, die der zusammengearbeitet haben. Kollege von Boetti- Bund vorgegeben hat. Der Bund muss hier noch cher, hier ist nichts geklaut. Das macht mich wirk- mehr zahlen, damit Land und Kommunen im früh- lich ärgerlich. Wir haben hier eineinhalb Jahre mit kindlichen Bereich investieren können für alle Kin- allen Fachverbänden, mit allen Beteiligten intensive der in Schleswig-Holstein. Gespräche geführt, um dieses Gesetz auf den Weg zu bringen, und wir haben das zugesagt. Solche (Beifall bei der LINKEN und SSW) Worthülsen sollten hier nicht Verwendung finden, das kommt in diesem Hause nicht an. Vizepräsidentin Marlies Fritzen: Hier ist nichts geklaut worden, hier ist das von die- Ich hoffe, dass ich weiter keine Wortmeldung über- sen beiden erarbeitet worden. sehen habe. Ich schließe die Beratung. (Vereinzelter Beifall bei der SPD - Dr. Chri- Es ist beantragt worden, den Antrag an den Bil- stian von Boetticher [CDU]: Das stimmt!) dungsausschuss zu überweisen. Wer dafür ist, den Antrag Drucksache 17/40 an den Bildungsaus- Und ich bedanke mich bei den Mitarbeiterinnen schuss zu überweisen, den bitte ich um das Hand- und Mitarbeitern des Fischereireferats im Landes- zeichen. - Wer ist dagegen? Wer enthält sich? - Da- wirtschaftsministerium, die uns juristische und fi- mit ist der Antrag einstimmig an den Bildungsaus- schereipraktische Fragen stets überzeugend und schuss überwiesen worden. kreativ beantwortet haben. Der ehemalige Umwelt- minister sollte auch wissen, dass dies ganz bewusst Ich rufe nun Tagesordnungspunkt 3 auf: eine Initiative aus dem Parlament gewesen ist, weil es sonst die Kapazitäten des Ministeriums noch zu- Erste Lesung des Entwurfs eines Gesetzes zur sätzlich belastet hätte. Wir haben diesen Weg ge- Änderung des Landesfischereigesetzes wählt, um ein solches Gesetz zeitnah in Schleswig- (LFischG) vom 10. Februar 1996 Holstein umsetzen zu können. Gesetzentwurf der Fraktion der SPD Schleswig-Holstein ist seit jeher von Wasser ge- Drucksache 17/35 prägt. Nord- und Ostsee, zahlreiche Seen, Flüsse und kleine Binnengewässer - - Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das (Unruhe) ist nicht der Fall. Dann eröffne ich die Grundsatz- beratung und erteile Herrn Abgeordneten Bernd - Ich würde es gut finden, wenn dieses Thema auch Schröder von der SPD das Wort. von der Regierung ein bisschen begleitet wird. Da es einen wichtigen Wirtschaftszweig ausmacht: Bernd Schröder [SPD]: Es gibt heute in Schleswig-Holstein die Küstenfi- Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen scherei, die Krabbenfischerei, den Frischfischfang und Kollegen! Fischerei ist eben auch ein Wirt- in der Nordsee, die Muschelfischerei, die Binnenfi- schaftsfaktor in unserem Land, und dieser unverän- scherei, die Nebenerwerbsfischerei und praktisch dert übernommene Entwurf eines Landesfischerge- alle Formen der Aquakultur - von der klassischen setzes sollte ursprünglich im September eingebracht extensiven Teichwirtschaft bis hin zur hochtechni- werden. Durch das überraschende Ende der Koaliti- schen Meerwasserkreisanlage. Dazu komme ich, on mit der CDU war dies leider nicht mehr mög- Herr Ministerpräsident, weil wir beide dem Bereich lich. Da zwingender Reformbedarf besteht und wir auch angehören. den Verbänden ein neues Landesfischereigesetz Hinzu kommen etwa 60.000 Sportfischer in unse- noch für dieses Jahr angekündigt haben, haben wir rem Land, die überwiegend im Landessportfischer- uns entschlossen, den Gesetzentwurf ins Plenum verband tätig und organisiert sind. Neben ihrer un- einzubringen. mittelbaren Bedeutung für die regionale Wirt- Bedanken möchte ich mich ausdrücklich bei mei- schaft ist daher die Fischerei auch für den Touris- nem Kollegen Klaus Klinckhamer und den beiden mus von unschätzbarem Wert und benötigt ein 212 Schleswig-Holsteinischer Landtag (17. WP) - 3. Sitzung - Donnerstag, 19. November 2009

(Bernd Schröder) modernes Landesfischereigesetz als Handlungs- Vizepräsidentin Marlies Fritzen: grundlage. Das Wort für die CDU-Fraktion hat Herr Abgeord- In der Bundesrepublik gibt es 4,8 Millionen Sport- neter Klaus Klinckhamer. fischer, die jährlich 6,4 Milliarden € umsetzen und damit direkt und indirekt 52.000 Arbeitsplätze si- Klaus Klinckhamer [CDU]: chern. Das sind vielleicht für diejenigen, die beim Thema Fischerei immer lächeln, wichtige Zahlen, Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle- weil Arbeitsplätze doch für uns immer eine wichti- gen! In der gerade ausgelaufenen Legislaturperiode ge Grundlage sind. Dazu kommen die Arbeitsplätze haben die CDU und die SPD einen gemeinsamen und die Familienbetriebe in der Berufsfischerei. Entwurf des Landesfischereigesetzes auf den Weg Das ist für Schleswig-Holstein nach wie vor von er- gebracht. Verbände wurden angehört, und das Mi- heblicher Bedeutung. nisterium - einschließlich des Ministers - hat einen erheblichen Beitrag zum Gelingen des Gesetzent- (Beifall bei SPD, CDU, SSW und des Abge- wurfs geleistet. ordneten Detlef Matthiessen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) (Beifall bei der CDU) Wir haben das Landesfischereigesetz 1996 grund- So liegt nun trotz aller guten Zusammenarbeit die legend überarbeitet, weil es zum Beispiel so war, Vermutung nahe, dieses Gemeinschaftswerk will dass wesentliche Grundlagen noch von 1916 die SPD allein vermarkten in der Hoffnung, damit stammten und wir hier dringend ein neues Gesetz insbesondere bei den Fischern und Verbänden auf den Weg bringen mussten. Wir haben 1996 punkten zu können. Ich hätte es gern gesehen, wenn Stichworte wie Hegepläne und Einführung einer die SPD sich noch etwas geduldet hätte, um für den Hegepflicht sowie die Beachtung von ökologischen Entwurf im Parlament eine breitere Basis zu finden. und tierschutzrechtlichen Anforderungen auf den Denn es ist in der Tat ein Gesetz, das nicht ideolo- neuesten Stand gebracht, das Gesetz mit allen Be- gischer, sondern sachlicher Natur ist. teiligten diskutiert und das hineingeschrieben. Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben, Anders als 1996 - das war damals eine Revolution - manchmal aber auch den, der zu früh kommt. Ich liegt dem vorliegenden Gesetzentwurf jetzt der Ge- komme darauf noch zurück. danke einer Anpassung im Sinne einer Evolution (Heiterkeit) zugrunde. Die Fraktionen von SPD und CDU - Kol- lege Klinckhamer - hatten sich in der letzten Legis- Die Notwendigkeit, eine Novellierung vorzuneh- laturperiode entschlossen, die Vorschläge der Ver- men, ist unbestritten. EU-Vorgaben müssen umge- bände der Fischerei und des Naturschutzes frühzei- setzt, unpraktikable Lösungen verändert und ein tig zu sondieren und sie gemeinsam zu diskutieren. insgesamt schlankeres, unbürokratisches Gesetz Außerdem geht es um einige Anpassungen an EU- muss geschaffen werden. Vorschriften, die Wasserrahmenrichtlinie und Im Verlauf der Beratungen hat sich gezeigt, dass das generelle Bestreben, Vorschriften abzubauen nicht alle Interessen der Verbände berücksichtigt und alles auf den neuesten Stand zu bringen. werden konnten. Dies ist zwangsläufig so, weil der Auf die einzelnen Fakten möchte ich jetzt nicht ein- Gesetzgeber die unterschiedlichen Interessen unter gehen. Die einzelnen Bereiche, die wir verändern einen Hut bringen muss und das mit einer Eins-zu- wollen, werden wir im zuständigen Fachausschuss eins-Übernahme nicht möglich ist. Dennoch haben diskutieren. Ich möchte nur darum bitten: Dieses wir den Eindruck, bei den Verbänden weitgehend neue Fischereigesetz ist kein Politikum. Wir haben Zustimmung gefunden zu haben. mit allen Beteiligten diskutiert. Wir haben versucht, Die neue Konstellation im Landtag gibt uns die die Belange sowohl der Fischerei als auch der öko- Möglichkeit, den Entwurf noch einmal zu überar- logischen Seite - der Naturschutzverbände - einflie- beiten und zu prüfen, ob an der einen oder anderen ßen zu lassen. Das sollte die Grundlage der Diskus- Stelle die Forderungen der Verbände doch noch sion sein. Wir werden unsere Synopse gern allen etwas mehr Berücksichtigung finden können. Die zur Verfügung stellen. Wir sollten gemeinsam die- Chance wollen und werden wir nutzen. Deshalb sa- ses neue Gesetz auf den Weg bringen. ge ich nochmals: Die SPD hätte besser den Versuch (Beifall) unternommen, das Gemeinschaftswerk Fischereige- setz mit anderen Fraktionen gemeinsam auf den Weg zu bringen. Schleswig-Holsteinischer Landtag (17. WP) - 3. Sitzung - Donnerstag, 19. November 2009 213

(Klaus Klinckhamer)

(Lars Harms [SSW]: Mit uns zum Beispiel!) (Zuruf von der SPD: Nur um die Sache! - Zuruf des Abgeordneten Dr. Christian von Nun hat man sich anders entschieden, und wir wer- Boetticher [CDU]) den darauf angemessen reagieren. Die Koalitions- fraktionen werden den Entwurf überarbeiten, und Die Kollegen von der CDU haben sich mit dem Ge- am Ende wird eine Neufassung stehen, die auch die setzentwurf eine geraume Zeit beschäftigt. Insofern Handschrift der neuen Regierungsmehrheit trägt. ist es zumindest nachvollziehbar, dass sie ihn auch präsentieren wollen. Aber ihr hättet ihn vielleicht (Olaf Schulze [SPD]: Das ist peinlich! - Wei- auch zusammen einbringen können. tere Zurufe von der SPD) (Anke Spoorendonk [SSW]: Das wäre schön Wie bereits erwähnt, hätte die SPD am neuen Ver- gewesen! - Heiterkeit) fahren beteiligt sein können. Sie hat es offensicht- lich nicht gewollt. Leider scheinen die Kolleginnen und Kollegen der SPD bei der Lektüre des alten CDU-SPD-Gesetz- Uns geht es im Kern darum, ein zukunftsfähiges entwurfs übersehen zu haben, dass sich die neue Gesetz zu schaffen, das möglichst lange Zeit Be- Koalition aus CDU und FDP bereits in ihrem Ko- stand hat. Im Interesse unserer Berufsfischer, aber alitionsvertrag darauf verständigt hatte, dass das auch der Sportfischer, machen wir das mit Sorgfalt Landesfischereigesetz zu ändern ist. Ich zitiere Sei- und unter Beteiligung der Fachleute. Unser Koaliti- te 52: onspartner soll sich ebenfalls im Gesetzentwurf wiederfinden. “Zur Anpassung an geltende Verordnungen und zur Entbürokratisierung werden wir das (Vereinzelter Beifall bei der CDU) Landesfischereigesetz novellieren.” Deshalb werden wir das Verfahren neu aufrollen. So steht es da geschrieben. Es kann also nicht über- Diese Chance sollten auch die Verbände nicht vor- raschen, dass auch wir grundsätzlich für eine Ge- beiziehen lassen. Ich bin mir sicher, das werden sie setzesänderung sind, und zwar insbesondere dann auch nicht. Wir beantragen daher, den vorliegenden nicht, wenn man berücksichtigt, dass unser aktuel- Entwurf an den Umwelt- und Agrarausschuss zu les Fischereigesetz noch aus dem Jahre 1996 überweisen. Unsere Fischer warten darauf. stammt. Allerdings halten wir die im Gesetzentwurf (Vereinzelter Beifall bei der CDU - Zurufe) der SPD enthaltenen Änderungsvorschläge nicht für ausreichend, um unserem Novellierungsanspruch Vizepräsidentin Marlies Fritzen: zu genügen. Das Wort für die FDP-Fraktion hat Herr Abgeord- (Zuruf von der SPD: Oh!) neter Günther Hildebrand. Anpassungen an geltende Verordnungen mögen (Unruhe) durchaus enthalten sein. Einen Beitrag zur Entbü- rokratisierung können wir in dem Gesetzentwurf Günther Hildebrand [FDP]: aber nicht erkennen. Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! (Beifall bei der FDP) Es mag sein, dass die Große Koalition seinerzeit Hier haben unsere Landesfischer wirklich Besseres einen entsprechenden Entwurf erarbeitet hat. Ich verdient; seien es die Binnenfischer und Teichwirte, muss dazu zum einen sagen: Unserer Fraktion war die sich nach wie vor in ihren Möglichkeiten einge- er nicht bekannt. Er ist uns jetzt erst bekannt ge- schränkt sehen, unternehmerisch frei Entscheidun- worden. Zum anderen kann ich nur sagen: Neue gen zu treffen, oder seien es die Landesfischer, die Koalitionspartner - neue Gesetzentwürfe. So ein- sich angesichts stetig mehr werdender Verpflich- fach sieht das aus. tungen vor immer neue Schwierigkeiten gestellt se- (Beifall bei der FDP) hen. Auch von den Landessportfischern liegen Vor- schläge dahin gehend vor, wie sich beispielweise Es wird sicherlich Spekulation bleiben müssen, ob Abläufe in der Fischereiverwaltung verbessern lie- die SPD-Fraktion mit ihrem heutigen Gesetzent- ßen. wurf zur Änderung des Landesfischereigesetzes nur einen besonderen Coup landen wollte oder ob es ihr (Beifall des Abgeordneten Dr. Christian von wirklich um die Sache geht. Boetticher [CDU]) 214 Schleswig-Holsteinischer Landtag (17. WP) - 3. Sitzung - Donnerstag, 19. November 2009

(Günther Hildebrand)

Erzählen Sie uns also nicht, dass der SPD-Gesetz- reischein mit 14 oder 15 Jahren erwerben, im Laufe entwurf bereits mit den Verbänden abgesprochen ihres Lebens noch einmal umziehen. und auf uneingeschränkte Zustimmung gestoßen Ich würde die Liste gern fortführen - sei es zum sei! Wir haben nämlich mit diesen Verbänden ge- Monitoring, zum Umfang des uneingeschränkten sprochen, und sie haben einen erheblichen Ände- Pachtrechts oder zu den Hegeplänen et cetera. Fakt rungsbedarf angemeldet. Insofern sollten wir diesen ist, dass der SPD mit ihrem Gesetzentwurf nicht der zumindest berücksichtigen. große Fang geglückt ist. Das ist fast wie im richti- (Beifall bei der FDP) gen Leben: Das Fischefangen kann man anordnen, nicht aber, dass die Fische auch ins Netz gehen. Die Gespräche, soweit sie statt gefunden haben, lie- gen eine Legislaturperiode zurück. Das war vonsei- (Beifall bei FDP und CDU) ten der SPD, und wer weiß, ob damals dem einen oder anderen Fischer der sprichwörtliche Spatz in Vizepräsidentin Marlies Fritzen: der Hand nicht sicherer erschien. Heute wollen wir mehr, und heute können wir mehr. Davon sollen Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN er- auch unsere Fischer in Schleswig-Holstein profitie- teile ich Herrn Abgeordneten Bernd Voß das Wort. ren. Wir brauchen deshalb ein Landesfischereige- setz, das sowohl die Voraussetzungen für eine Bernd Voß [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: nachhaltige und die Natur schonende Ressourcen- Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! nutzung enthält als auch die Grundlagen dafür Vielen Dank dafür, dass ich noch einen Gesetzent- schafft, dass die Wettbewerbsfähigkeit unserer wurf der Großen Koalition mitbearbeiten darf. Ich Betriebe erhalten und gesteigert werden kann. habe in diesen 30 Punkten viel entdeckt, nur einen (Beifall bei der FDP) Punkt habe ich nicht entdeckt. Das ist der Bürokra- tieabbau. Dazu reicht es aber nicht aus, Verwaltungsvereinfa- chungen auf den Weg zu bringen, die sich zum Bei- (Beifall bei der FDP) spiel bei dem Führen des Fischereibuchs auf die Ich habe im Internet nachgeguckt und festgestellt, Übertragung von der obersten auf die obere Fische- es gibt auch eine Landesordnung für die Kleidung reibehörde beschränken. Wer es mit Entbürokrati- der Fischereiaufsichtsbeamten. Ich denke, wir soll- sierung ernst meint, der sollte zu grundsätzlicheren ten einmal nachsehen, ob die auch noch von 1916 Überlegungen bereit sein. Er sollte auch eine Spra- ist und ob sie vielleicht auch einmal reformiert wer- che wählen, die der Bürger versteht. Behörden- den sollte. deutsch wie beispielsweise in § 26 muss man min- destens zweimal lesen. Ich zitiere: „Einen Fische- (Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN reischein erhalten keine Personen, die das zwölfte und FDP) Lebensjahr noch nicht vollendet haben.“ Jetzt aber zum Ernst des Themas. Einige Bemer- Wenn hier mit doppelter Verneinung gearbeitet kungen vorweg: Küsten-, Binnen- und Freizeitfi- wird, dann glaube ich, dass wir das besser aus- scherei sind in Schleswig-Holstein nicht wegzu- drücken können. Auf jeden Fall lässt sich so etwas denken. Es geht nicht allein um die Beschäftigten in weniger bürokratisch lösen. diesem Bereich. Herr Schröder hat sie bereits auf- geführt. Es geht auch nicht allein um die vielen (Beifall bei FDP und CDU) Menschen, die hier im Nebenerwerb tätig sind. Die Wo ich gerade beim Fischereischein bin: Glauben Existenz dieses Wirtschaftszweigs an der Küste ist Sie ernsthaft, dass es eine nennenswerte Verwal- ebenso wie im Binnenland entscheidend für den tungsvereinfachung darstellt, wenn künftig für den Tourismus. Das, was wir an Landschaft und Teich- Erlaubnisschein die Eintragung einer Adresse ent- wirtschaft auch im Binnenland haben, ist über Jahr- fällt, aber für den Fischereischein obligatorisch hunderte hinweg gewachsen. Es ist wesentlicher bleibt? Praxisnah wäre es doch, den Fische- Bestandteil unseres Wirtschafts- und Naturraums. reischein, der auf Lebenszeit erteilt wird, ohne (Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Adresse auszustellen, während der aktuell für das und FDP) Jahr gültige Erlaubnisschein den Berechtigten um- fänglich ausweist. Schließlich soll es durchaus vor- Die wirtschaftliche Situation der Fischerei ist kommen, dass Jugendliche, die ihren Fische- sehr schwierig. Ich erinnere an den Artikel von gestern. Dort stand, dass die Fischerei - die Krab- Schleswig-Holsteinischer Landtag (17. WP) - 3. Sitzung - Donnerstag, 19. November 2009 215

(Bernd Voß) benfischerei - reagiert, indem sie die Menge redu- Für die ungehinderte Fischwanderung zwischen ziert, ein wichtiger Baustein, um auf die wirtschaft- Meer- und Süßwasser, für die Bestandserholung liche Situation zu reagieren. Zugleich muss man sa- großer und alt werdender Meeresfische, für die Lö- gen, dass nur ein kleiner Teil der Fische in Nord- sung der Beifangproblematik, für ein Verbot der und Ostsee gefangen wird, in den Häfen hier ange- Einbringung gebietsfremder und nichtheimischer landet wird oder aus unseren Binnengewässern Populationen. Herr Schröder hat es bereits ange- kommt. Über 80 % des Fischs, der hier verzehrt sprochen. Die Gratwanderung zwischen Aquakultu- wird, wird importiert und kommt auf verschlunge- ren, sehr nachhaltigen Systemen und Systemen, die nen Wegen aus den Weiten der Ozeane in unsere gravierende Auswirkungen haben, ist sehr schmal. Supermärkte. Der Konsum nimmt ständig zu. Wir Wir haben hier eine rasante Entwicklung: 50 % des liegen bei 16 kg Fisch pro Person. weltweiten Fischkonsums entstammen bereits Aquakulturen. Es ist völlig unverständlich, dass in Ich denke, man sollte auch einmal die Folgen auf- diesen Gesetzesvorschlag nicht aufgenommen wur- zeigen. 70 % der kommerziellen weltweiten Fisch- de, wie, wann und wo Aquakulturen genehmigt bestände sind nach Einschätzung der FAO er- werden sollen. Das sieht das Gesetz in der Aufgabe schöpft oder überfischt. Die EU, getragen von den letztlich auch vor. Ich denke, für die Wirtschafts- Entscheidungen der europäischen Regierungen, ist entwicklung ist Klarheit bei diesem Gesetz wichtig. mit ihrer gemeinsamen Fischereipolitik intensivst daran beteiligt. Fangrechte werden zum Beispiel Zahlreiche Unternehmen sind bei uns im Land da- vor Westafrika ergattert. Die Gewässer werden bei, sich MSC-zertifizieren zulassen, um sich am leergefischt, und damit wird die lokale Bevölkerung Markt besser zu positionieren. In diesem Gesetzent- ihrer Erwerbsmöglichkeiten beraubt. Wirtschafts- wurf vermisse ich, wie auf diese Entwicklung ein- flüchtlinge, die an den Grenzen der EU ankommen, gegangen werden soll. Ich denke, das Gesetz muss haben ihre Ursache auch in einer Politik, die von ein Stück weit Antwort auf diese Entwicklung ge- der Kurzsichtigkeit getragen ist, die lautet: Fisch ben. Fischerei kann sich letztlich nur in einer Win- ich den Fisch nicht weg, könnte vielleicht ein ande- Win-Situation entwickeln, wenn das Gleichgewicht rer kommen und ihn holen. zwischen Nutzung und Schutz wiederhergestellt wird. Die Debatte, die wir am Dienstag über die Ich komme jetzt zum Landesfischereigesetz und Umsetzung der Wasserrahmenrichtlinie hatten, hat zu dem, was hier vorgesehen ist. dies noch einmal deutlich gemacht. (Beifall bei der CDU) Zum Schluss noch eine Bemerkung zum Stichwort Die Präambel dieses alten Gesetzes liest sich erst Bürokratieabbau. Herr Hildebrand hat es ange- mal einleuchtend: sprochen. In diesem Gesetz gibt es den Vorschlag, „Die Fischerei in den Küsten- und Binnenge- dass man den Angelschein beim Angeln in weiten wässern Schleswig-Holsteins bildet einen Teilen nicht mehr benötigt. Ich denke, man kann wichtigen Bestandteil der schleswig-holstei- darüber diskutieren, dass das Angeln unter Aufsicht nischen Landschaft. Ihr Erhalt ist notwen- möglich ist. Dies jedoch als Bürokratieabbau zu be- dig.“ zeichnen, ist schlicht und einfach Hohn. Ich denke, es ist unheimlich schwierig, dieses über Zum Stichwort Bildung: Der Angelschein wird un- viele Jahrzehnte gewachsene und in einer histori- ter vielen Mühen und auch unter dem Gesichts- schen Diktion gefangene Gesetz zu reformieren. punkt des Tierschutzes gerade von jungen Leuten, Wir würden es daher begrüßen, wenn es mit der von Jugendlichen, erworben. Zu sagen, den wollen Reform des Gesetzes gelänge, die Fischerei stärker wir weg haben, und das als Verwaltungsvereinfa- an andere gesellschaftliche Anliegen anzudocken chung zu deklarieren, wird der Situation draußen in und zu vernetzen. der Fläche und in den Anglervereinen nicht gerecht. Bei den Zielen fehlt uns die heimische, artenreiche (Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) und gesunde Fischfauna, die letztlich durch die Wir werden den Gesetzentwurf in den Fachaus- Wiederansiedlung verschwundener heimischer schüssen intensiv begleiten. Er ist mehr als überho- Fischarten aufgebaut wird. Wir können nicht erken- lungsbedürftig, so wie das Gesetz dringend reform- nen, welche Maßnahmen für die Erreichung dieser bedürftig ist. Ziele ergriffen werden sollen. (Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Abgeordneten Ranka Prante [DIE und SSW) LINKE]) 216 Schleswig-Holsteinischer Landtag (17. WP) - 3. Sitzung - Donnerstag, 19. November 2009

Vizepräsidentin Marlies Fritzen: des vorliegenden Entwurfs die Berücksichtigung der Wasserrahmenrichtlinie im Landesfischerei- Für die Fraktion DIE LINKE erteile ich der Frau gesetz. Abgeordneten Ranka Prante das Wort. (Beifall beim SSW sowie vereinzelt bei SPD (Beifall bei der LINKEN) und der LINKEN) Ranka Prante [DIE LINKE]: Demnach sollen bis 2015 die Flüsse, Seen, Küsten- gewässer und Grundwasser in einem guten Zustand Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! sein. Als Referenz gilt neben der unverfälschten Wir, DIE LINKE, begrüßen den Vorstoß der SPD Gestalt und Wasserführung und der natürlichen zur Veränderung des Landesfischereigesetzes. Zum Qualität des Oberflächen- und Grundwassers auch einen sollen die Behörden strenger als bisher gegen die natürliche Vielfalt an Pflanzen und Tieren in Verstöße vorgehen können, zum anderen streben den Gewässern. Zumindest was den Fischbestand die Sozialdemokraten bürokratische Vereinbarun- angeht, wurde dieser Aspekt bei der Umsetzung der gen an. So sollen Hobbyangler künftig an kleineren Wasserrahmenrichtlinie bisher scheinbar nicht be- Gewässern ohne Angelschein angeln können. Der rücksichtigt. Ziel der Maßnahmen aus der Wasser- Wegfall dieser Vorgabe - zu später Stunde ein rahmenrichtlinie ist, möglichst schnell einen Über- Spruch - kommt zwar nicht den Fischen, aber der blick zu bekommen, wie es um unsere Gewässer Tourismusbranche zugute. steht, und welche Maßnahmen wir durchführen Die Einbeziehung der EU-Wasserrahmenrichtli- müssen, um die ökologische Qualität unserer Ge- nie, die zum Schutz der Gewässer als Trinkwasser wässer zu verbessern. Daher sehen wir es als sinn- und insbesondere als Lebensraum für Pflanzen und voll an, das Gesetz entsprechend anzupassen. Tiere dient, können wir nur begrüßen. Begrüßenswert ist auch, dass der Gesetzentwurf (Beifall bei der LINKEN) vorsieht, die Erstellung der Hegepläne künftig nicht mehr innerhalb eines Fischereibezirks abzu- Doch wir denken, in bestimmten Punkten, zum Bei- stimmen. Das ist durchaus eine Vereinfachung, spiel dem Einsatz von Setzcashern und dem Be- wenn auch nicht die große Entbürokratisierung. reich des Tierschutzes, gibt es noch Klärungsbe- darf. Deshalb begrüßen wir die Überweisung an Ein Problem bleibt nämlich bestehen. Auf Nachfra- den Ausschuss. ge bei meinem ortsansässigen Fischereiverein wur- de mir mitgeteilt, dass ein grundsätzliches Problem (Beifall bei der LINKEN, SPD und BÜND- in Bezug auf die Hegepläne die Abstimmung mit NIS 90/DIE GRÜNEN) der oberen Fischereibehörde sei. Es wurde darauf hingewiesen, dass die Genehmigung durch die obe- Vizepräsidentin Marlies Fritzen: re Behörde nicht zeitnah durchgeführt wird. Um es Wenn ich das richtig verstanden habe, machen wir gleich deutlich zu sagen: Hierbei geht es nicht um die Ausschussüberweisung gleich zusammen. Vor- die Notwendigkeit der Hegepläne. Die ist unbestrit- her gebe ich das Wort an Herrn Abgeordneten Lars ten. Denn damit können die Fischereiberechtigten Harms vom SSW. einen Nachweis für eine nachhaltige und ökolo- gisch orientierte Fischerei erbringen. Dies ist auch (Wolfgang Kubicki [FDP]: Der schließt sich im Sinn der Fischereiberechtigten. Wir sollten im jetzt an! - Weitere Zurufe) Ausschuss klären, inwieweit Probleme hinsichtlich - Entschuldigung. Auf meiner Liste war Lars der zeitnahen Genehmigung der Hegepläne existie- Harms genannt. Für den SSW hat jetzt der Herr Ab- ren. geordnete Flemming Meyer das Wort. (Beifall bei SSW und BÜNDNIS 90/DIE (Zuruf von der CDU: Lars Harms lässt re- GRÜNEN) den! - Heiterkeit) Das Verbot des Fischfangs ober- und unterhalb von Fischwegen unterstützen wir ausdrücklich. Die Flemming Meyer [SSW]: in der Begründung aufgeführten Argumente für ein Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Verbot sind eindeutig. Wir teilen sie. Es stellt sich Herren! Im Hinblick auf die umfangreichen Diskus- jedoch die Frage, nach welchen Kriterien die 25 m sionen um Biodiversitätsstrategien und Vermeidung ausgewählt worden sind. Es kann durchaus bezwei- von Artensterben ist einer der wichtigsten Aspekte felt werden, ob dieser Abschnitt ausreicht. Aber Schleswig-Holsteinischer Landtag (17. WP) - 3. Sitzung - Donnerstag, 19. November 2009 217

(Flemming Meyer) auch das können wir im Ausschuss näher diskutie- Als Erster hat der Herr Abgeordnete Bernd Schrö- ren. der von der SPD das Wort zu einem Dreiminuten- beitrag. Wir begrüßen, dass die Sicherstellung der ungehin- derten Durchgängigkeit der Gewässer künftig ge- währleistet werden soll. Der Entwurf sieht vor, den Bernd Schröder [SPD]: Bestandsschutz von ständigen Fischereivorrichtun- Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! gen bis 2019 aufzuheben. Bei der Gelegenheit Ich hätte es nicht für möglich gehalten, dass dieses möchte ich darauf hinweisen, dass es bei uns Fi- Fischereigesetz noch zu solchen Auswürfen, zu sol- schereivorrichtungen gibt, die über 500 Jahre alt chen Diskussionen hier führt. Herr Kollege Hilde- sind. Ich denke hier zum Beispiel an den Herings- brand, einige Richtigstellungen! Ich hatte eingangs zaun in Kappeln. Dieser ist ein einmaliges Kultur- sehr deutlich gemacht, dass dies der unveränderte gut. Wir müssen wirklich dafür sorgen, dass es in Entwurf ist, der in die September-Tagung einge- dem Gesetz die Möglichkeit von Ausnahmerege- bracht werden sollte und der zwischen CDU und lungen gibt. SPD einvernehmlich nicht nur in den Arbeitskrei- (Beifall bei SSW, SPD, BÜNDNIS 90/DIE sen, sondern auch in den Fraktionen auf den Weg GRÜNEN und der LINKEN) gebracht wurde. Andere Ereignisse haben dafür ge- sorgt, dass er nicht mehr im Landtag diskutiert wer- Gerade eben wurde der Fischereischein erwähnt. den konnte. Das mag aus touristischer Sicht nachvollziehbar sein, wenn man bei den sogenannten Put-and-Take- Es ist nicht so, dass es sich ausschließlich um einen Seen auf den Fischereischein verzichten möchte. Gesetzentwurf meiner Fraktion handelt. Es ist ein- Wenn man einen Fischereischein erwirbt, lernt man einhalb Jahre intensiv vorgearbeitet worden. neben Gewässerkunde und Naturschutz auch das Kollege Klaus Klinckhamer, es hat mich nun wirk- artgerechte Töten von Fischen. Dann mag der Ver- lich ein ganzes Stück betroffen gemacht. Ich bedan- zicht auf den Fischereischein zwar aus touristischen ke mich hier für die geleistete Arbeit nicht nur des Gründen nachvollziehbar sein. Das ist aber nicht so Kollegen Klinckhamer, sondern auch der Referen- gut, wenn es um den Fischartenschutz geht. ten mit wirklich toller Zuarbeit, auch aus dem Mini- (Beifall bei SSW und BÜNDNIS 90/DIE sterium. Dann wird hier eisern, hart eine Begrün- GRÜNEN) dung abgezogen. Der entscheidende Punkt, aus dem ich hier noch etwas sage - ansonsten lohnt sich das Ein Verzicht auf den Fischereischein an solchen in den nächsten Jahren kaum noch -, ist: Hier wird Gewässern widerspricht meiner Meinung nach dem auch noch zugerufen: „Das hätte man auch gemein- Tierschutzaspekt. Das gebe ich zu bedenken. sam machen können.“ (Beifall bei SSW und vereinzelt bei BÜND- Ich will Ihnen Folgendes sagen. Weil das für mich NIS 90/DIE GRÜNEN) eine Selbstverständlichkeit ist, habe ich vor zehn Wir werden im Ausschuss noch Gelegenheit haben, oder 14 Tagen den Kollegen Klaus Klinckhamer diese Punkte ausführlich zu erörtern. Ich freue mich angerufen und gesagt: „Wir haben das gemeinsam auf die Ausschussberatungen. erarbeitet. Wollen wir den Gesetzentwurf jetzt ge- meinsam einbringen?“ Da hat der Klaus Klinckha- (Beifall bei SSW, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- mer zu mir gesagt: „Do hebb ik nix gegen, das kön- NEN und vereinzelt bei der SPD) nen wir machen. Da muss ich aber mit der Fraktion sprechen.“ - Dann hat Schwarz-Gelb darüber ge- Vizepräsidentin Marlies Fritzen: sprochen. Für die Landesregierung erteile ich der Ministerin (Wolfgang Kubicki [FDP]: Wir sind gar für Landwirtschaft, Umwelt und ländliche Räu- nicht gefragt worden! - Zurufe von SPD und me - - BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Zuruf) - Moment, Moment! Es ist durchaus nach den - Oh, Sie haben sich gemeldet. Ich habe es auch Spielregeln, dass man sagt: Wir haben eine neue aufgeschrieben. Entschuldigen Sie, Frau Koalition, und dann muss ich auch mit dem Koaliti- Dr. Rumpf. onspartner sprechen. Sich aber hier hinzustellen und mich in einem solchen Licht erscheinen zu las- 218 Schleswig-Holsteinischer Landtag (17. WP) - 3. Sitzung - Donnerstag, 19. November 2009

(Bernd Schröder) sen, nur um einen persönlichen Vorteil zu haben, ist - Nein, das ist mir überhaupt nicht peinlich. Ich bit- nicht in Ordnung. te Sie, einmal ein bisschen darüber nachzudenken. (Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Ich möchte noch eine Anmerkung an die Adresse NEN und SSW) des Kollegen von den Grünen machen. Ich kann mich daran erinnern, dass das derzeitige Fischerei- Vizepräsidentin Marlies Fritzen: gesetz, hinsichtlich dessen Bürokratie Sie hier ja ei- nige Überlegungen angestellt haben, in der Herr Klinckhamer, ich habe gesehen, dass Sie sich 14. Wahlperiode entstanden ist. Lieber Herr Kolle- zu Wort gemeldet haben. Sie erhalten jetzt aber ge, das ist ein Gesetz, das wir von Rot-Grün ge- noch nicht das Wort, weil sich vor Ihnen noch an- meinsam erarbeitet haben. Es ist meines Erachtens dere Abgeordnete zu Wort gemeldet haben. wirklich nicht angebracht, dieses Gesetz jetzt sozu- Jetzt erhält zunächst Herr Abgeordneter Dr. Hen- sagen als bürokratisches Monster darzustellen. Ich ning Höppner zu einem Dreiminutenbeitrag das bitte Sie, einmal darüber nachzudenken, ob das, Wort. was Sie hier erzählt haben, wirklich die Auffassung Ihrer Fraktion ist. Dr. Henning Höppner [SPD]: (Beifall bei der SPD und des Abgeordneten Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich Lars Harms [SSW]) hatte zu dem Kollegen Klinckhamer als dessen Stellvertreter in der letzten Periode immer ein sehr Vizepräsidentin Marlies Fritzen: gutes, kollegiales Verhältnis, fernab jeder Partei- Zu einem weiteren Dreiminutenbeitrag hat Herr lichkeit, die wir im persönlichen Kontakt eigentlich Abgeordneter Dr. Christian von Boetticher das immer beiseitegelassen haben. Ich hatte eben den Wort. Eindruck, dass es dem Kollegen doch etwas pein- lich war, seinen Redebeitrag vorzulesen, den er Dr. Christian von Boetticher [CDU]: wahrscheinlich vorlesen musste. Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herr von Boetticher, bei dem Fischereigesetz han- Herren! Schade, Herr Höppner, Sie haben mir mei- delt es sich um ein Fachgesetz, bei dem man nicht ne Ausführungen jetzt ein Stück weit schwerer ge- über Ideologien sprechen muss. Es hat eine gemein- macht. Ich hätte sonst Herrn Abgeordneten Schrö- same Diskussion über ein Gesetz gegeben, das un- der natürlich recht gegeben und mich für meine ter der Verantwortung eines CDU-Ministeriums Voreiligkeit entschuldigt, weil ich meinen Beitrag stand. Ich gehe einmal davon aus, dass alles, was natürlich geleistet habe, bevor er uns in der Rede die Fachlichkeit betrifft, von Ihrer Seite auch einge- alle lobend erwähnt hat. Lieber Herr Schröder, ich bracht worden ist. Wie muss es eigentlich um das erkenne an, dass auf Ihrem Gesetzentwurf zwar Selbstverständnis Ihrer Partei und Ihrer Fraktion SPD steht, Sie hier aber erklärt haben, wer alles an stehen, wenn Sie plötzlich solche Dinge einfach fal- der Erarbeitung beteiligt war. Insofern also Lob und len lassen können? Anerkennung. (Beifall bei SPD, der LINKEN und SSW) Jetzt kommt das Aber. Diese Situation erinnert Ich frage Sie: Aus welchen Gründen müssen Sie mich an das, was die FDP in der letzten Wahlperi- diesen Gesetzentwurf jetzt so verleugnen? - Wahr- ode mit dem Waldgesetz gemacht hat. Ich erinnere scheinlich tun Sie das, weil Sie einen neuen Partner mich sehr gut daran, dass wir damals zusammenge- haben. sessen und in den Koalitionsverhandlungen gesagt (Wolfgang Kubicki [FDP]: Fangen Sie jetzt haben: Wir wollen ein neues Waldgesetz erarbeiten. nicht an zu weinen!) Wissen Sie, was dann passiert ist? Gleich in der ersten längeren Sitzung hat die FDP den damals Dann müssen wir den Wählerinnen und Wählern vorher mit uns in der Opposition erarbeiteten Ge- klarmachen, dass Sie Ihre Fahnen jeweils anders setzentwurf zum Landeswaldgesetz schnell in das hängen, sobald Sie einen anderen Partner haben, Parlament eingebracht und gesagt: Schaut einmal, und alles das, was Sie unter Fachlichkeit verstanden hier haben wir es doch! haben, in dieser Form nicht mehr wollen. Wissen Sie, was Sie damals mit entschieden haben? (Wolfgang Kubicki [FDP]: Ist es Ihnen nicht - Sie haben mit entschieden, dass der Entwurf an peinlich, was Sie gerade gesagt haben?) den Ausschuss überwiesen wurde. Er hat dort unge- Schleswig-Holsteinischer Landtag (17. WP) - 3. Sitzung - Donnerstag, 19. November 2009 219

(Dr. Christian von Boetticher) fähr drei oder vier Jahre lang gelegen, bis wir als los. Ich möchte darum bitten, dass wir jetzt mehr Koalition unseren eigenen Gesetzentwurf erarbeitet aus dem Innenleben der Großen Koalition der letz- haben. ten vier Jahre hören. Ich habe gerade vernommen, dass die Sozialdemokraten es waren, die eine sinn- Es wäre eigentlich nur recht und billig, dass Sie volle Beratung des Waldgesetzes, das in der ersten das, was Sie damals beim Landeswaldgesetz mitge- Tagung eingebracht worden ist, über Jahre hinweg tragen haben, nicht vergessen und jetzt in genau der verhindert haben. Was für eine Tortur zulasten der gleichen Situation wie damals akzeptieren, dass wir Natur! uns innerhalb der Koalition über das Landesfische- reigesetz verständigen. Ich sage Ihnen aber eines: (Beifall bei der FDP) Wir sind fairer. Wir werden deutlich schneller mit Aber nun in allem Ernst: Zur Ehrenrettung der Uni- einem Gesetzentwurf kommen und uns auch deut- on muss ich sagen, dass Sie wirklich bei uns waren lich schneller mit Ihrer Eingabe beschäftigen, als und gefragt haben. Besser gesagt: Der Kollege wir es damals mit dem FDP-Entwurf getan haben. Klinckhamer war bei uns und hat gesagt: Das könnt (Beifall bei CDU und FDP) ihr einfach abnicken. - Daraufhin haben wir gesagt: Das entspricht nicht unserem Verständnis. Wir wol- Vizepräsidentin Marlies Fritzen: len es wenigstens lesen, bevor wir es unterschrei- ben. - Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie können Zu einem weiteren Dreiminutenbeitrag erteile ich jedenfalls sicher sein, dass die Koalitionsfraktionen Herrn Abgeordneten Klaus Klinckhamer das Wort. entweder einen eigenen Entwurf vorlegen oder Än- derungsanträge zu dem vorliegenden Entwurf ein- Klaus Klinckhamer [CDU]: bringen werden, damit der Entwurf möglichst Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Kolleginnen schnell beraten und verabschiedet werden kann. Ich und Kollegen! Es ist in der Tat so, dass wir ver- glaube, es macht Sinn - ich bedanke mich in diesem nünftig und gut zusammengearbeitet haben. Bernd Zusammenhang ausdrücklich für den Beitrag von Schröder hat mich auch angerufen, und ich habe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN -, zu einer entbüro- ihm gesagt, vom Prinzip her könnten wir entspre- kratisierten Vorlage zu kommen, um im Fischerei- chend verfahren. Wir seien allerdings jetzt in einer bereich etwas vernünftig zu regeln. anderen Koalition und müssten den Koalitionspart- (Beifall bei FDP und CDU) ner einbinden. Ich habe darum gebeten - das ist für mich das Entscheidende -, zumindest bis zur näch- Lassen Sie mich zum Schluss noch etwas zum Par- sten Landtagstagung zu warten, um Zeit zu gewin- lamentsverständnis sagen. Ich halte es gerade für nen. Daraufhin ist mir gesagt worden: Wir bringen zwingend, dass eine Oppositionsfraktion einen Ko- das in die Fraktion ein, und dann müssen wir sehen, alitionsvertrag durchliest und versucht, schneller als wie es weitergeht. Danach habe ich nichts mehr ge- die regierungstragenden Fraktionen am Markt der hört. Wenn wir nicht die vier Wochen Zeit haben, Meinungen zu sein. Mit diesem Problem hatten wir um die FDP mit einzubinden, entsteht solch ein es ja auch in der Frage der Gleichstellung von Eindruck, wie er eben geschildert wurde. Dieser gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaften zu Eindruck mag falsch sein. Ich habe meine Ein- tun. Auch in diesem Fall gab es eine Vereinbarung drücke so, wie ich sie gewonnen habe, wiedergege- und wir hätten eine entsprechende Vorlage einge- ben. Ansonsten ist zu sagen, dass die Zusammenar- bracht. Oppositionsfraktionen können sich, weil sie beit gut war. sich weniger als Regierungsfraktionen abstimmen müssen, tatsächlich schneller am Markt der Mei- (Beifall bei CDU und SPD) nungen bewegen, was nicht unbedingt heißt, dass die Ergebnisse qualitativ besser oder gehaltvoller Vizepräsidentin Marlies Fritzen: sind. Zu einem weiteren Dreiminutenbeitrag hat Herr (Heiterkeit) Abgeordneter Kubicki das Wort. Eine letzte Anmerkung! Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte dringend davor warnen zu sa- Wolfgang Kubicki [FDP]: gen, dass wir es mit Gesetzesvorlagen zu tun haben, Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! die unideologisch seien und sozusagen nur vom Es lohnt sich, bei Landtagssitzungen immer bis Sachverstand geprägt seien, während es andere Ge- zum Schluss zu bleiben. Am Ende ist richtig was setzesvorlagen oder auch Gesetze gebe, die eben 220 Schleswig-Holsteinischer Landtag (17. WP) - 3. Sitzung - Donnerstag, 19. November 2009

(Wolfgang Kubicki) nicht unideologisch und nicht vom Sachverstand Wir haben ganz aktuell zwei neue Verordnungen geprägt seien. von der EU, die wir in Landesrecht umsetzen müs- sen. Gerade deshalb ist auch die zügige Beratung so (Heiterkeit) notwendig. Wir haben die Aalverordnung und die Ich denke, all das, was der Landtag hier beschließt Verordnung über die Verwendung gebietsfremder und auch früher beschlossen hat, ist beziehungswei- und nicht heimischer Arten in der Aquakultur. se war von dem Wunsch geprägt, etwas Vernünfti- Die zur Umsetzung der EU-Aalverordnung erarbei- ges für das Land auf den Weg zu bringen. Daran teten Managementpläne für die drei schleswig-hol- sollten wir uns auch künftig halten. steinischen Aaleinzugsgebiete liegen seit gut einem (Beifall bei FDP, CDU und des Abgeordne- Jahr bei der Kommission zur Genehmigung. Wir ten Lars Harms [SSW]) hoffen, dass wir die Genehmigung nun endlich im Dezember erhalten. Aber zur Umsetzung dieser Vizepräsidentin Marlies Fritzen: Aalverordnung und der Managementpläne brau- chen wir so schnell wie möglich die Schaffung der Für die Landesregierung erteile ich nunmehr der landesrechtlichen Voraussetzungen. Ministerin für Landwirtschaft, Umwelt und ländli- che Räume, Frau Dr. Juliane Rumpf, das Wort. Daher wiederhole ich: Wir freuen uns über eine möglichst zügige Beratung und über viele Vor- (Beifall bei CDU und FDP) schläge zur Entbürokratisierung. Dr. Juliane Rumpf, Ministerin für Landwirtschaft, (Beifall) Umwelt und ländliche Räume: Vizepräsidentin Marlies Fritzen: Vielen Dank. - Sehr geehrte Frau Präsidentin! Mein sehr geehrten Damen und Herren! Ich freue mich Meine Damen und Herren, ich sehe keine weiteren über diese lebhafte Debatte zum Thema Fischerei. Wortmeldungen und schließe die Beratung. Das zeigt mir, wie sehr dieses Thema von diesem Es ist beantragt worden, den Gesetzentwurf Druck- Hohen Haus geschätzt wird. Vielen Dank dafür. sache 17/35 dem Umwelt- und Agrarausschuss zu (Beifall) überweisen. Wer dem zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Wir haben gehört, es ist ein Gesetzentwurf, der ge- Stimmenthaltungen? - Das ist einstimmig so be- meinsam von den damaligen Fraktionen von CDU schlossen. und SPD erarbeitet wurde. Wir haben darin Ände- rungsvorschläge der Verbände und auch Vorschlä- Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und ge der Verwaltung zur besseren Verwaltungspraxis, Kollegen, wir kommen damit zum Schluss der Be- zur Vereinfachung. ratungen an diesem heutigen Sitzungstag. Die ande- ren Punkte werden in der Reihenfolge der Tages- Ich würde mich freuen, wenn dieser Gesetzentwurf, ordnung auf morgen vertagt. Die PGFs haben sich wenn Sie ihn an die Ausschüsse überweisen, dort allerdings darauf verständigt, den Tagesordnungs- auch eine zügige Beratung erfahren kann; denn das punkt 12, Gleichstellung von eingetragenen Leben- wird auch die Fischereipraxis draußen erwarten. Ich spartnerschaften, und den Tagesordnungspunkt 23, freue mich auch über die Einigkeit bei allen Redne- Tierschutz-Verbandsklagerecht, auf die Dezember- rinnen und Rednern über den Wunsch nach mehr Tagung zu verschieben. Entbürokratisierung, Verwaltungsvereinfachung. Ich hoffe da auf viele Vorschläge. Denn die Fische- Ich unterbreche die Tagung bis morgen 10 Uhr und rei ist von Bürokratie besonders betroffen, insbe- schließe die heutige Sitzung. Ich wünsche Ihnen al- sondere von EU-Regelungen. Ich glaube, wir ha- len einen guten Abend. ben an die 800 EU-Vorschriften im Bereich der Fi- Die Sitzung ist geschlossen. scherei. Daher ist eine Deregulierung in diesem Be- reich besonders wichtig. Schluss: 18:24 Uhr (Beifall bei FDP und CDU)

Herausgegeben vom Präsidenten des Schleswig-Holsteinischen Landtags - Stenographischer Dienst und Ausschussdienst