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Landschaften, Lebensräume und Arten

Ausbreitung und Lebenswege der Wildkatze im Nationalpark - – Ergebnisse aus dem 11-jährigen Monitoring im und um den Nationalpark

Olaf Simon, Günter Hoenselaar & Torsten Daume

Mehr als 50 Jahre war die Wildkatze im Kellerwald verschwunden. In den Süd- hängen der Locheiche gelangen im Fe- bruar 2007 die ersten Nachweise im Nationalpark mithilfe der Lockstock- Methode und genetischer Analysen. Der Nachweis war ebenso auch Erstnachweis für den Kellerwald. Alle Indizien sprachen damals für eine erneute beginnende Wie- derbesiedlung im Nationalpark (Simon & Hupe 2008). Für die Forschung tat sich hier eine einmalige Möglichkeit auf, diese Wiederbesiedlung wissenschaftlich zu begleiten und zu dokumentieren (Steyer et al. 2012). Gleichzeitig bedeutete dies für den Nationalpark Kellerwald-Edersee ein Alleinstellungsmerkmal gegenüber anderen Nationalparks wie , Abb. 1: Die Wiederbesiedlung des Nationalparks Kellerwald-Edersee durch die oder Hainich, die bereits etablierte Wild- Wildkatze zeigt sich deutlich in der Zunahme bestätigter Individuen seit 2007. katzenpopulationen beherbergten. 2016 gelang es, die letzten Nachweislücken im Osten des Nationalparks zu schließen, gleichzeitig wuchsen die Nachweiszahlen bis 2017 weiter an (Abb. 1, 2).

Aktuell umfasst das Netz an Baldrianköder- stöcken – dem überarbeiteten und redu- zierten Wegeplan im Nationalpark ange- passt – 72 Köderstöcke in 28 Rasterqua- dranten von je 2,5 km² Fläche (Abb. 3). Die Dichte an Lockstöcken beträgt ein bis zwei Stöcke pro 100 ha Wald, im Durchschnitt 1,3 Stöcke pro 100 ha Wald. Seit 2007 werden in jedem Winter / Früh- jahr zwischen Januar und April 8 bis 9 Lockstockkontrollen durchgeführt. Abb. 2: Entwicklung der Haarprobenanzahlen im Nationalpark Kellerwald-Edersee, Seit Beginn der Untersuchungen im die wildkatzentypische Haare aufwiesen (Bezugsgröße: 50 beköderte Lockstöcke) Winter 2006 / 2007 gelangen bis heute Nachweise von 77 verschiedenen Wild- katzen im Nationalpark. Seit 2010 wer- bende Katzen mit einbezogen werden, Schmiedel 2016) nachgewiesen werden den zudem vermehrt Wildkatzenbeob- bei 3,4 bis 5,9 Wildkatzen pro 10 km². konnte. achtungen aus dem Nationalpark und Das entspricht einer vergleichsweise ho- um den Nationalpark gemeldet. Die In- hen Dichte, wie sie u. a. in sachsen- Einige Wildkatzen konnten über Jahre dividuendichte lag im Frühjahr 2017 auf anhaltischen Wäldern des Südharzes hinweg wiederholt im Nationalpark be- der Grundlage der mehrjährig und an (Götz 2015), im - / stätigt werden. Für eine Kätzin liegen verschiedenen Orten nachgewiesenen Hinterlandswald (Nowak et al. 2010) Nachweise seit 2008 über inzwischen 10 Wildkatzen, je nachdem ob peripher le- oder im Wiesbadener Taunus (Simon & Jahre (!) vor; das Tier ist damit mindes-

10 Jahrbuch Naturschutz in Hessen Band 17 / 2018 Wildkatze im Nationalpark Kellerwald-Edersee

Abb. 3: Lockstock-Standorte im Nationalpark Kellerwald-Edersee (rot) und im Forstrevier Louisendorf des Forstamtes Franken- berg (blau) (Stand: 12.1.2017) tens 11 bis 12 Jahre alt. Ein Kater konnte bis ins Nuhne- und Orketal reichen Das Projekt ist heute mit seinem umfas- seit 2010 über acht Jahre regelmäßig (Luftlinie 10 bis 20 km). senden, inzwischen zwölfjährigen Daten- nachgewiesen werden und ist mindestens satz einmalig in Deutschland. 9 bis 10 Jahre alt. Zwei weitere Kätzinnen Die Kontinuität im Monitoring und die konnten im Nationalpark bislang über Zusammenarbeit mit an Wildkatzen in- Die Ergebnisse zeigen, dass der National- sechs bzw. vier Jahre verfolgt werden, ein teressierten Personen in den Waldgebie- park in seinem Wildkatzenbestand in weiterer Kater über fünf Jahre. Bisher be- ten um den Nationalpark haben Er- engen Wechselwirkungen zu den umlie- kannte Daten zum Höchstalter von kenntnisse geliefert, die die anfänglichen genden Waldgebieten steht. Dabei wird Wildkatzen aus dem Freiland lagen für Erwartungen weit übertroffen haben. deutlich, dass der Verkehrstod auf den Kater bei 10 bis 11 Jahren, für Kätzinnen bei 9 bis 10 Jahren (Götz 2016). Nach- weislich mindestens vier Wildkatzen sind demzufolge sehr alt geworden (Tab. 1 im elektronischen Anhang unter www. naturschutz-hessen.de).

Anhand der genetischen Individualbe- stimmung über Mikrosatelliten gelang es in dem inzwischen elfjährigen Monito- ring, die Lebenswege einzelner Wild- katzen nachzuvollziehen und Muster im Raumnutzungsverhalten nachzuzeichnen. Für zwei der im Nationalpark nachge- wiesenen Wildkater lassen sich Raumbe- wegungen beschreiben, die weit nach Westen über das Lengelbachtal und die Abb. 4: Wildkatze im Fichtensturmwurf (Foto: Nationalpark Kellerwald-Edersee)

Jahrbuch Naturschutz in Hessen Band 17 / 2018 11 Wildkatze im Nationalpark Kellerwald-Edersee umgebenden Straßen ebenso wie auf den Wildtiergenetik am Forschungsinstitut der Wildkatze (Felis silvestris) im Rheingau- Bundesstraßen Frankenberg- und Senckenberg war von Projektbeginn an Taunus-Kreis. Artgutachten 2009, zweite Fassg. Frankenberg- direkten ein kompetenter und zuverlässiger Part- Sept. 2010. Servicezentrum Forsteinrichtung Einfluss auf den Bestand im National- ner. Der Förderverein für den National- und Naturschutz (FENA). Gießen. 52 S. park haben kann. park Kellerwald-Edersee e. V. hat das Projekt 2007 initiiert und seitdem we- Simon, O.; Hupe, K. (2008): Nachweis der Seit 2013 ist eine wachsende Anzahl von sentlich unterstützt. Engagierte Nachbarn Wildkatze Felis silvestris silvestris im National- im Straßenverkehr verunfallten Wild- um den Nationalpark aus dem Natur- park Kellerwald-Edersee und den umgebenden katzen um den Nationalpark zu beob- schutz und den Forstbetrieben haben das Waldgebieten der Breiten Struth, des Hohen achten, im Zeitraum 2013 bis 2017 Projekt mit Wildkatzendaten und der Kellers und des nördlichen Burgwaldes mit verunfallten mindestens 27 Wildkatzen Dokumentation von Wildkatzentotfunden Hilfe der Lockstockmethode im Winter auf Straßen um den Nationalpark. Wich- bereichert. Der Arbeitskreis Wildbiologie 2007 / 2008. Jahrb. Natursch. Hessen 12: tig ist es daher, die weitere Entwicklung an der Universität Gießen e. V., nament- 18 – 22. der Totfundzahlen im Landkreis Wal- lich Dr. Franz Müller, hat die Sektion der deck-Frankenberg exakt zu dokumen- Totfunde durchgeführt. Simon, O.; Lang, J. (2016): Gutachten zur tieren. Denn immerhin wurden in den Verbreitung der Wildkatze Felis silvestris silves- letzten Jahren im Nationalpark weit tris in Hessen (Art des Anhang IV der FFH über 40 Wildkatzen nachgewiesen, über Kontakt Richtlinie). Sondergutachten 2014, überarb. deren Verbleib seitdem nichts mehr Fassung März 2016. Servicezentrum Forstein- bekannt wurde. Der genetische Ab- Olaf Simon richtung und Naturschutz (FENA). Gießen. gleich der Totfunde zeigt, ob es sich bei Institut für Tierökologie und Naturbildung 1 – 87. den Verkehrsopfern um bekannte Wild- Altes Forsthaus, Hauptstraße 30 katzen handelt, die bereits an Köder- 35321 Gonterskirchen-Laubach Simon, O.; Lang, J.; Steeb, S.; Eskens, U.; stöcken im Nationalpark nachgewiesen [email protected] Müller, F.; Volmer, K. (2016): Relevanz der wurden. www.tieroekologie.com Totfundanalyse von Wildkatzen für das FFH- Monitoring in Hessen. In: Volmer, K.; Simon, Teil des Nationalpark-Monitorings ist Günter Hoenselaar, Torsten Daume O. (Hrsg.) (2016): FELIS Symposium vom ein logistisches Informationsnetz, das die Nationalpark Kellerwald-Edersee 16. – 17. Oktober 2014 in Gießen „Der aktuelle im Landkreis Waldeck-Frankenberg tot Sachgebiet Naturschutz, Forschung und Stand der Wildkatzenforschung in Deutsch- aufgefundenen Wildkatzen erfasst und Planung land“, Schr. AK Wildbiol. Justus-Liebig-Univ. einer genetischen Individualbestimmung Laustraße 8, 34537 Bad Wildungen Gießen 26; Gießen: 67 – 96. am Senckenberg-Institut für Wildtier- [email protected] genetik zuführt, um Migrationen und [email protected] Simon, O.; Schmiedel, K. (2016): Untersu- Mortalität der im Nationalpark nachge- chungen zum Vorkommen der Wildkatze wiesenen Wildkatzen zu erfassen und zu (Felis silvestris silvestris) im Wiesbadener Wald dokumentieren. Gleichzeitig werden die Literatur im Winter 2011 / 2012. Magistrat der Landes- Totfunde einer fachgerechten Sektion hauptstadt , Umweltamt (Hrsg.). am Arbeitskreis Wildbiologie der Uni- Götz, M. (2015): Die Säugetierarten der Fauna- Umweltbericht 23. 78 S. versität Gießen zugeführt, so dass das Tot- Flora-Habitat-Richtlinie im Land Sachsen- fundmonitoring im Landkreis Waldeck- Anhalt – Wildkatze (Felis silvestris silvestris Steyer, K.; Simon, O.; Kraus, R. H. S.; Haase, Frankenberg nahtlos an die hessenweiten Schreber, 1777). Ber. Landesamtes Umwelt- P.; Nowak, C. (2012): Hair trapping with Untersuchungen von 2009 bis 2014 an- schutz Sachsen-Anhalt 2: 1 – 136. valerian-treated lure sticks as a tool for genetic knüpft (Volmer & Simon 2016) und wildcat monitoring in low-density habitats. dabei wichtige Daten über den Erhal- Götz, M. (2016): Altersbestimmung anhand Eur. J. Wildlife Res. 59(1): 39 – 46. tungszustand der lokalen Wildkatzenpo- odontologischer Merkmale von Wildkatzen pulation in und um den Nationalpark – Methoden und Ergebnisse des Totfund- Volmer, K.; Simon, O. (Hrsg.) (2016): FELIS liefern kann (Simon & Lang 2016, Simon monitorings in Sachsen-Anhalt. In: Vol- Symposium vom 16. – 17. Oktober 2014 in et al. 2016). mer, K.; Simon, O. (Hrsg.) (2016): FELIS Gießen „Der aktuelle Stand der Wildkatzen- Symposium vom 16. – 17. Oktober 2014 in forschung in Deutschland“. Schr. AK Wildbiol. Gießen „Der aktuelle Stand der Wildkatzen- Justus-Liebig-Univ. Gießen 26: 1 – 239. Dank forschung in Deutschland“. Schr. AK Wildbiol. Justus-Liebig-Univ. Gießen 26: Unser Dank gilt allen engagierten Helfern 129 – 142. aus dem Sachgebiet Naturschutz, For- schung und Planung im Nationalpark, die Nowak, C.; Steyer, K.; Frosch, C.; Haase, an Lockstockkontrollen und Absammeln P. (2010): Genetische Analyse von Katzen- der Haare beteiligt waren. Die Abteilung haarproben zur Ermittlung der Siedlungsdichte

12 Jahrbuch Naturschutz in Hessen Band 17 / 2018 Naturschutz in Hessen

JAHRBUCH Band 17 / 2018

HERAUSGEBER Nordhessische Gesellschat für Naturkunde und Naturwissen schaten (NGNN) e. V.

3 Jahrbuch Naturschutz in Hessen Band 17 / 2018, S. 10 – 12

Ausbreitung und Lebenswege der Wildkatze im Nationalpark Kellerwald-Edersee – Ergebnisse aus dem 11-jährigen Monitoring im und um den Nationalpark

Olaf Simon, Günter Hoenselaar & Torsten Daume

Tab. 1: Wildkatzenindividuen, nachgewiesen 2009 – 2017 im Nationalpark Kellerwald-Edersee

2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 Kater 1 Kater 2 Kater 3 Kater 4 Kater 5 Kater 6 Kater 7 Kater 8 Kater 9 Kater 10 Kater 11 Kätzin 1 Kätzin 2 Kätzin 3 Kätzin 4 Kätzin 5 Kätzin 6 Kätzin 7 Kätzin 8 Kätzin 9 Kätzin 10 Kätzin 11 Kätzin 12 Kater 12 Kater 13 Kater 14 Kater 15 Kater 16 Kater 17 Kater 18 Kater 19 Kater 20 Kater 21 Kater 22 Kater 23 Kater 24 Kater 25 Kater 26 Kater 27 Kater 28 Kater 29 Kater 30 Kater 31 Kater 32 Kater 33 Kater 34 Kater 35 Kätzin 13 Kätzin 14 Kätzin 15 Kätzin 16 Kätzin 17 Kätzin 18 Kätzin 19 Kätzin 20