Naturwaldforum Buche Pilze im Nationalpark Kellerwald-

Ewald Langer und Gitta Langer

Der UNESCO-Welterbe-Nationalpark Kellerwald-Edersee beherbergt ei- Prof. Dr. E. Langer ist Leiter des Fachgebiets Ökologie ne Vielzahl ökologisch wichtiger Pilzarten. Seit 2004 wurden in exten- im Fachbereich 10 – Naturwissenschaften und Mathematik der Universität Kassel. Dr. G. Langer siven Studien zur Grunddatenerfassung der Großpilze 617 Arten mit ist wissenschaftliche Angestellte in der Abteilung Waldschutz, Sachgebiet einem Untersuchungsschwerpunkt bei den Ständerpilzen (Basidiomy- Mykologie und Komplexerkrankungen, cota) nachgewiesen. Laub-, nadel- und holzbewohnende Pilze stellen bei der dabei ein Drittel der registrierten Arten. Unter ihnen fi nden sich sehr Nordwestdeutschen Forstlichen wichtige Habitatbildner für stark bedrohte holzbewohnende Käfer- und Versuchsanstalt in Göttingen. seltene Fledermausarten sowie höhlenbrütende Vogelarten. Ein Drittel der Arten gehören zu den Mykorrhizapilzen. Neben den häufi gen Pilz- Ewald Langer arten wurden viele sehr seltene oder vom Aussterben bedrohte Pilzarten ewald.langer @uni-kassel.de verzeichnet.

Untersuchungsgebiete

Pilze nehmen im Waldökosystem als Zer- Jahre mit 1 000 Proben zu veranschlagen Das Hauptaugenmerk bei der Kartierung der setzer, Symbionten und Parasiten vielfäl- [5]. Pilze im Nationalpark Kellerwald-Edersee lag tige Funktionen ein. Den größten Teil ih- zunächst auf der Erfassung der naturnahen res Lebenszyklus verbringen Pilze, für uns Altholzbestände und Sonderstandorte, die Ergebnisse unsichtbar, im Boden, im Totholz oder in als Grenzwirtschaftswälder oder Natur- lebenden Pfl anzen. Sie bilden nur bei ihrer Bis zum Herbst 2012 wurden, basierend schutzgebiete teils Jahrzehnte nicht mehr Fortpfl anzung oder Vermehrung für uns auf über 2 500 Kartierungsdaten mit 1 500 genutzt wurden [1]. Untersucht wurden bodensaure Standorte auf Grauwacke und sichtbare Fruchtkörper aus. Herbarbelegen, 617 Großpilzarten nachge- Tonschiefer mit zum Teil über 150-jährigen Ihr Vorhandensein ist daher oft einer wiesen. Obwohl für Deutschland noch Rotbuchenbeständen (Luzulo-Fagetum typi- direkten Untersuchung im Gelände nicht keine Standardartenliste für Großpilze cum) sowie Buchen-Krüppelwälder an süd- zugänglich. Gute oder schlechte Pilzjahre publiziert wurde, werden 10 000 Pilzarten westexponierten Extremstandorten (Luzulo- haben außerdem einen großen Einfl uss vermutet [6]. Schätzungen zeigen, dass Quercetum). Naturnahe Altholzbestände auf auf den Erfolg einer Datenerhebung. Für pro Gefäßpfl anze durchschnittlich sechs sehr steilen Sonderstandorten mit Rotbuche, eine möglichst vollständige Artenliste Pilzarten assoziiert sind [4]. Für die 550 Bergahorn, Sommerlinde, Mehlbeere und Alpen-Johannisbeere (Tilio-Aceron) weisen sind bei intensiver Sammeltätigkeit wäh- im Nationalpark Kellerwald-Edersee nach- teilweise erhebliche Totholzmengen auf. rend des ganzen Jahres mindestens drei gewiesenen Gefäßpfl anzen [1] könnten

Holz bewohnend RL 1 = vom Aussterben 5 % (lignicol) bedroht 3 3 RL 2 = stark bedroht Streu bewohnend (detriticol) RL 3 = bedroht 27 % RL R = selten 42 % Mykorrhizapilz 7 (Halb-)Parasit

21 26 %

Abb. 1: Anteile der unterschiedlichen nachgewiesenen 617 Pilzarten, ge- Abb. 2: Anzahl der Pilzarten mit Einordnung laut der Roten Liste der trennt nach Gilden Großpilze Deutschlands [2] www.forstpraxis.de 1/2013 AFZ-DerWald 21 Abb. 3: Der Flache Schillerporling (Inonotus cuticularis) bildet sehr große Abb. 4: Die Schöne Kavinie (Kavinia himantia) besitzt nur wenige Millime- Konsolen an mächtigem Rotbuchentotholz. ter lange, zähnchenförmige Fruchtkörper.

Abb. 5: Ein Prachtexemplar des Blassen Pfiffer- Abb. 6: Der Buchen-Stachelbart (Hericium coral- Abb. 7: Der Kegelige Saftling (Hygrocybe coni- lings (Cantharellus cibarius var. pallens) loides) zeigt naturnahe Totholzstrukturen an. ca) ist einer der häufigeren geschützten Saft- lings-Arten.

Abb. 8: Die Fruchtkörper des Grünschwarzen Filzrindenpilzes (Byssocorti- Abb. 9: An stehendem Totholz ist der Buchen-Schleimrübling (Oudemann- cium atrovirens) wachsen versteckt in der Laubschicht. siella mucida) zu finden.

demnach 3 300 Pilzarten prognostiziert von Totholz (42 %) und Laub- oder Na- Naturnähezeiger werden. Pilzuntersuchungen montaner delstreu (26 %) einzustufen (Abb. 1). Die und Habitatbildner Nationalparke ergaben 1 525 Pilzarten Ständerpilze verteilen sich auf 321 Blätter- für den Nationalpark [11] und knapp pilz- und 233 Nichtblätterpilzarten (Röhr- Als Indikatoren für eine natürliche Struk- 1 300 Pilzarten für den Nationalpark Baye- linge, Porlinge, Bauchpilze und Rinden- turqualität und Quantität des Totholzes rischer Wald [9]. pilze). Entsprechend der aktuellen Roten gelten in Deutschland bisher 68 Großpilz­ Im Nationalpark Kellerwald-Edersee Liste der gefährdeten Großpilze Deutsch- arten [3]. Im Nationalpark Kellerwald-­ wurden bisher 557 Arten der Ständerpilze lands [2] beherbergt der Nationalpark Kel- see ließen sich bisher 11 (16 %) dieser Na- und 58 Schlauchpilzarten festgestellt. 27 % lerwald-Edersee 21 bedrohte Pilzarten (RL turnähezeiger nachweisen. Neben einem der gefundenen Arten sind Mykorrhiza- 3), 7 stark bedrohte Pilzarten (RL 2) und 3 wichtigen Großhöhlenbildner, dem Mosa- pilze, 5 % können als Parasiten eingestuft vom Aussterben bedrohte Pilzarten (RL 1) ik-Schichtpilz (Xylobolus frustulatus), der werden und zwei Drittel sind als Zersetzer (Abb. 2). im Kernholz von uralten Eichen Lochfäule

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hervorruft, kommen der Flache Schillerpor- Tab. 1: Im Nationalpark Kellerwald-Edersee nachgewiesene Naturnähezeiger [3] ling (Inonotus cuticularis) (Abb. 3) und die mit Angaben zur Pilzgruppe, zur Substratwahl und Rote-Liste-Status Schöne Kavinie (Kavinia himantia) (Abb. Lateinischer Name Deutscher Name Pilzgruppe Substrat RL D 4) vor. Der Eichen-Feuerschwamm (Phel- Buglossoporus quercinus Eichen-Zungenporling Porling Stä, lie, steh 1 linus robustus) kommt hauptsächlich an Fomes fomentarius Zunderschwamm Porling Stä, Äst, lie, steh X Traubeneichen der wärmegetönten West- Hericium coralloides Buchen-Stachelbart Stachelpilz Stä, lie, steh, Stu 2 hänge vor. Er ist Habitatbildner für seltene Hyphodontia gossypina - Rindenpilz Stä, Äst, lie - Käferarten [10], darunter die stark be- drohte Käferart Eremit (Osmoderma ere- Hypsizygus ulmarius Ulmen-Rasling Blätterpilz Stä, steh 3 mita) und die deutschen Verantwortungs- Inonotus cuticularis Flacher Schillerporling Porling Stä, steh - arten Heldbock (Cerambyx cerdo) und die Ischnoderma resinosum Laubholz-Harzporling Porling Stä, Äst, lie, steh 3 Bechsteinfledermaus (Myotis bechsteinii). Kavinia himantia Schöne Kavinie Rindenpilz Stä, lie, Stu R Der Kiefern-Feuerschwamm (Phellinus pi- Ossicaulis lignatilis Bepuderter Weinfass-Holztrichterling Blätterpilz Stä, steh, Stu 3 ni) wurde mehrfach auf Waldkiefern an Phellinus pini Kiefern-Feuerschwamm Porling Stä, lie, steh, Stu 3 forstlich überprägten Hängen gefunden. Xylobolus frustulatus Mosaik-Schichtpilz Rindenpilz Stä, lie, steh, Stu 2 In Tab. 1 sind alle bisher im Nationalpark Stä = Stämme, Äst = Äste, Stu = Stümpfe, lie = liegend, steh = stehend RL D = 1 vom Aussterben bedroht, 2 stark bedroht, 3 bedroht, R selten, X häufig. Kellerwald-Edersee nachgewiesenen Na- turwaldzeigerarten aufgeführt. exponierten Hanglagen deutlich in der Ar- der Kegelige Saftling (Hygrocybe conica) tenzusammensetzung nieder. Neben den (Abb. 7) und andere stark bedrohte Saft- Bodensaurer Rotbuchenwald typischen Nadelholz-Arten kommen zwei lingsarten (RL 2) (Hygrocybe glutinipes, H. Der natürliche, saure Rotbuchenwald (Lu- an die Lärche gebundene Mykorrhizapilze nitrata und H. obrussea). Ebenfalls dort zulo-Fagetum typicum) des Nationalparks vor, der Hohlfußröhrling (Boletinus cavi- typisch ist der Hasen-Stäubling (Calvatia führt im Mittel 14 m3/ha Totholz. An stehen- pes) und der Gold-Röhrling (Suillus gre- utriformis). Diese Pilzarten zeigen saure dem Totholz der Rotbuche konnte in diesen villei), beides typische Pilzarten für saure und feuchte Bodenverhältnisse sowie die Bereichen der Hochthronende Schüppling und nährstoffarme Böden. historisch extensive Nutzung als Mähwiese (Pholiota aurivella) und sogar der Safran- an. gelbe Weichporling (Hapalopilus croceus) Naturnahe Altholzbestände nachgewiesen werden, der deutschland- Ausblick weit vom Aussterben bedroht ist. Besonders zum steil abfallenden Edersee- Mykorrhizapilzarten wie der Blasse ufer hin finden sich auf tiefgründigen und Mit 617 erfassten Arten ist die Grunddaten- Pfifferling (Cantharellus cibarius var. pal- nährstoffreichen Hangschuttdecken sehr erfassung der Pilze im Nationalpark Keller- lens) (Abb. 5) und der Graue Pfifferling naturnahe Altholzbestände. Eine sehr wald-Edersee noch lange nicht abgeschlos- (Cantharellus cinereus) bevorzugen nähr- heterogene Altersklassenstruktur und sen. Zahlreiche bedrohte Pilzarten sowie stoff- und basenarme Rotbuchenwälder. eine vielfältige Baumartenzusammen- Zeigerarten von natürlichen Totholzstruk- Der Zunderschwamm ist mit hohen Frucht- setzung mit Rotbuchen, Sommerlinden, turen unterstreichen die Wichtigkeit dieser körperzahlen vertreten und kann deshalb Bergulmen, Bergahorn und Mehlbeeren Organismengruppe als Habitatbildner für als schwacher Naturnähezeiger eingestuft bieten Nischen für besondere Pilzarten. Es bedrohte Tierarten. Der Bestand an beson- werden [3]. Die Berggipfellagen beher- ist anzunehmen, dass dort im mächtigen deren Pilzarten ist deshalb ein Indikator bergen den Grauschuppigen Faserling stehenden und liegenden Rotbuchen-Tot- für den Ist-Zustand bei der Beurteilung der (Psathyrella cotonea), einen sehr seltenen, holzreservoir eines der wichtigsten Vor- Prozessschutzzonen im Nationalpark Keller- montanen Buchenwaldbewohner. In der kommen des Buchen-Stachelbartes (Heri- wald-Edersee. Die bisher erhobenen Daten Streuschicht findet sich großflächig der oft cium coralloides) (Abb. 6) im mitteldeut- fließen in das LOEWE-Projekt „Integrative übersehene Grünschwarze Filzrindenpilz schen Bergland liegt. Im Gegensatz zum Pilzforschung“ des Landes Hessen ein. (Byssocorticium atrovirens), ein Mykorrhi- Zunderschwamm (Fomes fomentarius) zapilz mit spinnwebartigen, bläulich ge- kommt der Buchen-Stachelbart ausschließ- färbten Fruchtkörpern (Abb. 8). lich in sehr totholzreichen und über lange Zeiträume ungenutzten Gebieten vor. Der Literaturhinweise: Buchen-Stachelbart ist deutschlandweit Buchen- und [1] Bauer, M.; Grossmann, M. (2012): Welterbe Kellerwald. stark bedroht. Der Laubholz-Harzporling AFZ-DerWald 6: 29-32. [2] Benkert, D. et al. (1996): Rote Liste der Eichen-Krüppelwälder Großpilze Deutschlands. In: Rote Liste gefährdeter Pflanzen Deutsch- (Ischnoderma resinosum) und der stark lands. schriftenreihe für Vegetationskunde, Heft 28. BfN, Bonn-Bad Südwestexponierte, teilweise mit Block- bedrohte Ulmenrasling (Hypsizygus ulma- Godesberg. [3] Blaschke, M.; Helfer, W.; Ostrow, H.; Hahn, C.; schutthalden durchsetzte, Berghänge mit rius) zeigen hier eine besonders natürliche Loy, H.; Bussler, H.; Kriegelsteiner, L. (2009): naturnähezeiger – Holz bewohnende Pilze als Indikatoren für Strukturqualität im Wald. Traubeneiche und Rotbuche (Luzulo-Quer- Strukturqualität an. Natur und Landschaft 84(12): 560-566. [4] Hawksworth, D. L. cetum) beherbergen Pilzarten, die sich auf (1991): The fungal dimension of biodiversity magnitude significance and conservation. Mycological Research 95 (6). 641-655. [5] Hjorts- stehendes Totholz spezialisiert haben. Nährstoffarme Waldwiesen tam, K.; Larsson, K.-H.; ryvarden, L.; eriksson, j. (1987): The Der Leber-Reischling (Fistulina hepatica) Corticiaceae of north . Vol. 1, Fungiflora, oslo. [6] Holzer, und der Buchen-Schleimrübling (Oude- Die waldfreien Bereiche bergen einen H. (2012): Fadenwesen: Fabelhafte Pilzwelt. edition Lichtland, 156 Seiten. [7] Langer, e. (2000): rote Liste der Großpilze Hessens. mannsiella mucida) (Abb. 9) kommen dort besonderen Bestand an wiesentypischen Hessisches Ministerium für umwelt, Landwirtschaft und Forsten, häufig vor. Der Rotbuchen-Rindenkugel- Hutpilzen. Viele Arten der Saftlinge (Hy- Wiesbaden, 176 seiten. [8] Schnittler, L. (1996): rote Liste der Pflanzen Deutschlands. BfN. [9] Luschka, N. (1993): Die Pilze des pilz (Biscognauxia nummularia) zeigt die grocybe) sind Rote-Listen-Arten und gene- Nationalparks Bayerischer Wald im bayerisch-böhmischen Grenzgebir- Wärmetönung dieser Gebiete an. Das Vor- rell von der Bundesartenschutzverordnung ge. Hoppea 53: 5 – 363. [10] Möller, G. (2005): Habitatstrukturen holzbewohnender Insekten und Pilze. LÖBF-Mitteilungen 3/05: 30-35. kommen eingebrachter Baumarten wie geschützt. Naturschutzfachlich sind sie von [11] Schultz, T. (2010): Die Großpilzflora des nationalparks Harz. Kiefern und Lärchen schlägt sich in den großer Bedeutung. Nachgewiesen wurden Schriftenreihe aus dem Nationalpark Harz, Band 5, 216 Seiten. www.forstpraxis.de 1/2013 AFZ-DerWald 23