Titel Der Basis-Effekt Der Mitgliederentscheid der SPD wird zum unberechen- baren Risiko. Bundesweit mobilisieren die Gegner von Schwarz-Rot. Die Große Koalition kann noch vor dem Start scheitern – an einigen tausend wütenden Genossen.

ass er einen schweren Stand ha - tionsverhandlungen unter Druck zu set - ben würde, hatte Michael Roth zen, ist zum Alptraum für die Parteifüh - Dgewusst. Doch damit hatte der rung geworden. Je näher das Ende der Generalsekretär des hessischen SPD-Lan - Koalitionsverhandlungen rückt, desto grö - desverbands nicht gerechnet: nicht mit ßer wird die Sorge der SPD-Spitze, dass blanker Wut, nicht mit kaum verhohle - die rund 470 000 SPD-Mitglieder am Ende nem Hass, nicht mit einer solchen Mauer mehrheitlich die Zustimmung verweigern. der Ablehnung gegen das, was die SPD Wenn sich 40 Prozent der Mitglieder am in Berlin plant und in Hessen gern gehabt Votum beteiligen, reichen 100 000 Nein- hätte, die Große Koalition. stimmen, um in Deutschland etwas aus - Mehr als 300 Genossen haben sich vori - zulösen, was man eine Staatskrise nennen gen Mittwoch in einem Frankfurter Stadt - müsste. Das Schicksal der Führungsmacht teil-Bürgerhaus versammelt. Kaum wagt Europas liegt in der Hand der SPD-Basis, Roth einen zaghaften Versuch, um für das der es vielleicht gar nicht nur um den Regierungsbündnis mit der Union zu wer - Koalitionsvertrag geht, sondern auch um ben, da geht es hoch her. „Das ist doch alte Rechnungen mit ihrer Führung. absurd, was du da sagst!“, ruft ein ergrau - Eine Prognose, wie es ausgeht, traut sich ter Sozialdemokrat aus der Mitte des Saals. niemand mehr zu. „Unsere Mitglieder stel - „Echt daneben!“, verstärkt dessen Sitz - len eine Menge Fragen zur Großen Koali - nachbar, „Lüge!“, ruft jemand von hinten. tion. Das ist vollkommen berechtigt“,

Die Basis kocht: „Bei uns“, so der Vor - warnt EU-Parlamentspräsident Martin A P D

/ sitzende eines Frankfurter SPD-Ortsver - Schulz. „Wir müssen uns alle zusammen E C N

eins, „wird keiner für die Große Koalition noch sehr anstrengen, die Partei mitzuneh - A I L L A stimmen.“ Generalsekretär Roth sinkt auf men. Die Sache ist noch nicht gelaufen.“ E R U

der Bühne immer mehr in sich zusam - Er will kämpfen. Deutlicher wird SPD-Ge - T C I P

men. Und wenn einer ans Mikrofon tritt neralsekretärin bei der ers - /

S I T und ankündigt, der Großen Koalition ten Regionalkonferenz vergangenen Frei - I A M I nicht zuzustimmen, erhebt sich immer tag in der Nähe von Stuttgart: „Wir können S

S U wieder tosender Applaus. noch nicht sagen, ob der Koalitionsvertrag C R A

Wie in Frankfurt geht es in diesen Tagen zustande kommt. Ich bin total angespannt.“ M überall im Land auf vielen Regionalver - Täglich erreichen die SPD-Parteizentrale SPD-Ortsverein Bochum Langendreer: Mauer der sammlungen und Ortsvereinstreffen der schlechte Nachrichten von der Basis. Eine SPD zu. Der Mitgliederentscheid, den Par - SPIEGEL-Recherche in 18 Bezirks- und zeitige Einschätzung ist, dass es keine teichef im Sommer vorge - Kreisverbänden sowie 26 Ortsvereinen von Mehrheit der Jusos für ein Ja zum Koali - schlagen hatte, um der SPD den Weg in Ostholstein bis Oberfranken ergab, dass tionsvertrag geben wird“, sagt Johanna die ungeliebte Große Koalition zu ebnen, die Große Koalition in zahlreichen Partei - Ueker mann, die sich in zwei Wochen zur ist zum unkalkulierbaren Risiko gewor- zellen keine Mehrheit bekommen könnte. Juso-Chefin wählen lassen will. Und den – mit weitreichenden Folgen für die Manche sind noch unentschieden, aber vie - , Chef der Arbeitnehmer Partei, für Deutschland und für Europa. le Mitglieder sind entschlossen, ihrer Par - in der SPD, weigert sich, seinen Mitglie - Was anfangs wie eine gute Idee ausge - teiführung die Gefolgschaft zu verweigern. dern die Zustimmung zu empfehlen. sehen hatte, um die unwillige Basis ein - Auch die Jusos wollen sich gegen den Irritiert schauen die Nachbarn auf das zubinden und die Union in den Koali- Koalitionsvertrag stellen. „Meine der- Land, von dem sie Führung in Europa er -

„Unsere Funktionäre, „Unser Landesvorstand „Bei uns an der Basis die wochenlang Straßen- hat sich schon am herrscht große Skepsis. wahlkampf gemacht 25. September gegen Außerdem: So wie die CSU haben, sind eher dagegen. eine Große Koalition auftritt, kann ich nur sagen: Sie haben Angst, dass ausgesprochen. Das Gesprächsklima in Bayern wir als SPD jetzt unter Dieser Beschluss ist derzeit sehr vergiftet.“ die Räder kommen.“ steht nach wie vor.“ Gabriele Fograscher, MdB Andreas Müller, stellv. Geschäftsführer Dirk Panter, Generalsekretär und kommissarische Vorsitzende

20 !. /-&!$!( 48/2013 Ablehnung gegen die Große Koalition

warten. Seit mehr als zwei Monaten ist den. Für Gabriel wird es nicht leicht, die ist nicht mehr zu Zugeständnissen bereit, Berlin ohne neue Regierung. Wichtige Koalitionsverhandlungen zu einem Ab - vor allem, wenn sie Geld kosten. „Ange - Entscheidungen werden vertagt. Und soll - schluss zu bringen, den die Basis akzep - sichts des klaren Wahlergebnisses und der ten die SPD-Mitglieder den Koalitions - tieren kann. Mindestlohn und doppelte damit verbundenen klaren Erwartungen vertrag ablehnen, würde die Ungewiss - Staatsbürgerschaft waren im Grunde unserer Wähler darf die SPD ihre Forde - heit weitere Wochen, vielleicht Monate schon vor Beginn der Verhandlungen ein - rungen nicht überdrehen“, warnt Finanz - andauern. Am Ende stünden womöglich gepreist. Sie haben den Unmut nicht be - minister Wolfgang Schäuble im SPIEGEL- sogar Neuwahlen. sänftigt, aber weitere große Trophäen wer - Gespräch ( siehe Seite 30 ). Noch ist es nicht so weit. Aber das Er - den die Sozialdemokraten nicht heimtra - Wenn die SPD-Mitglieder Anfang De - wartungsmanagement ist schwierig gewor - gen. Eine zunehmend verärgerte Union zember per Briefwahl ihr Kreuz bei Ja

„Die Partei ist nur für einen „Mitregieren „Einige sind skeptisch, Politikwechsel zu haben: heißt mit- aber die meisten sagen Flächendeckender Mindestlohn, gestalten, doch: Wenn die Kern- Rentenangleichung in Ost und nicht regieren themen der SPD drin West, Abschaffung des Betreuungs- heißt nicht sind, stimme ich dem geldes, Bürgerversicherung, An- gestalten.“ Koalitionsvertrag zu.“ hebung des Spitzensteuersatzes.“ Roger Lewentz, Bodo Wiechmann, Aus einem Brief an die Mitglieder Landesparteichef Vorsitzender

!. /-&!$!( 48/2013 21 Titel oder Nein machen, entscheiden sie nicht verunsichert nach Hause gefahren“, be - ten wie Ludwigshafen, Speyer und Fran - nur über das Schicksal der künftigen Re - richtet ein Landesvorsitzender aus West - kenthal, mit einem Beschluss „eindeutig gierung, sondern auch über das Schicksal deutschland. und einstimmig gegen eine Große Koali - ihres Vorsitzenden. Scheitert der Mitglie - Kurz vor dem Parteiabend trafen sich tion im Bund“ ausgesprochen. Und die derentscheid, dann scheitert Parteichef in den Messehallen mehrere Jusos zum SPD-Bürgermeister und Landräte im Gabriel. Ein Nein der Mitglieder würde Gedankenaustausch. Eigentlich sollte es Saarland ließen Gabriel in einem offenen die Parteiführung hinwegfegen und die um die Vorbereitung des Bundeskongres - Brief wissen, dass sie dem Koalitionsver - SPD in die schwerste Krise der Nach - ses gehen, in zwei Wochen wählen die trag nur zustimmen würden, wenn es kriegsgeschichte stürzen. Jusos eine neue Spitze. Doch als sich die deutlich mehr Geld für die Kommunen Aber denken die Mitglieder so weit? sozialdemokratischen Nachwuchskräfte gebe. Entscheiden sie rational – oder sind sie in den Konferenzräumen im ersten Stock In Thüringen gab der SPD-Kreispartei - einfach nur sauer, nutzen sie den Ent - über dem Eingangsbereich einfanden, tag in der Landeshauptstadt Erfurt die scheid aus, ihren über Jahre angestauten ging es bald nicht mehr um Anträge für Richtung für die Mitgliederbefragung vor: Frust über die Parteiführung Luft zu ma - den Kongress. Es wurde grundsätzlich. „Die Erfurter Sozialdemokratie lehnt eine chen? Die Kluft zwischen „denen da Seit Monaten sind die Jusos auf Ableh - Große Koalition mit der CDU/CSU ab.“ oben“ und „uns hier unten“ wurde auf nungskurs gegen die Große Koalition. Das schlechte Ergebnis der Bundestags - dem misslungenen Parteitag in Leipzig Doch auf dem Parteitag brach sich die wahl sei „kein Auftrag zur Regierungsbil - greifbar, als die anderthalbstündige Rede Unzufriedenheit bahn. Hinter verschlos - dung, sondern ein Auftrag zur personel - des Parteivorsitzenden weitgehend ohne senen Türen kamen sie zu einem eindeu - len und programmatischen Erneuerung Applaus blieb. Beklatscht wurden nur tigen Ergebnis: Große Koalition? Ohne der SPD“, heißt es in der Begründung. jene Passagen, in denen Gabriel die schrö - uns. Zu wenig sei erreicht worden, zu ma - René Lindenberg, Landesgeschäftsfüh - dersche Basta-Politik geißelte. ger die bisherigen Ergebnisse der Koali - rer der Thüringer SPD, bezeichnet die Im Mai noch hatten die Sozialdemo - tionsverhandlungen. „Das ist alles nicht Stimmung im ganzen Landesverband als kraten mit Stolz und Pomp den 150. Ge - das, was wir uns vorgestellt haben“, sagt „flächendeckend kritisch“. So hat sich der burtstag ihrer Partei gefeiert. Wenige Mo - der nordrhein-westfälische Juso-Chef SPD-Kreisvorstand Gotha gegen eine Koalition ausgesprochen, ebenso die eher konservative SPD im Kyffhäuserkreis. Denken die SPD-Mitglieder rational? Oder wollen sie jetzt Längst geht der Widerstand gegen die den ganzen Frust des vergangenen Jahrzehnts ablassen? Große Koalition weit über den Unmut in einzelnen Ortsvereinen hinaus. Selbst Pragmatiker wie der sächsische Landes - nate später hat sie ihr altes Dilemma wie - Veith Lemmen, „es ist möglich, dass wir vorsitzende Martin Dulig wollen der Par - der eingeholt, ihr ewiger Konflikt zwi - für Ablehnung plädieren.“ tei keine klare Zustimmung für den schen Anspruch und Wirklichkeit, das Di - Wie weit das die Stimmung in der gan - Koalitionsvertrag empfehlen. „Ich werde lemma einer Partei, deren Utopie einer zen Partei widerspiegelt, ist unklar. Denn den Mitgliedern raten, sich mit den in - gerechten Gesellschaft so oft an der Wirk - eine Umfrage unter SPD-Mitgliedern hat haltlichen Ergebnissen auseinanderzuset - lichkeit zerbricht. Für die Sozialdemokra - es nicht gegeben. Vor jeder Landtagswahl zen“, sagt Dulig. Er wolle aber nicht da - ten ist deshalb nicht sicher, was – frei ermitteln Wahlforscher zwar im Wochen- mit drohen, dass ein Nein Neuwahlen zur nach Franz Müntefering – mehr Mist ist – oder Tagestakt das aktuelle Stimmungs - Folge habe. „Das entwertet den Mitglie - Kompromiss oder Opposition. bild. Doch vor dem Mitgliederentscheid, derentscheid.“ Die fürs Regieren notwendigen Kom - der über das Schicksal der künftigen Re - Noch klarer äußert sich der Vorsitzen - promisse haben die Partei schon oft be - gierung entscheiden wird, tappen Partei de der Arbeitnehmer-AG in der SPD lastet. Immer wieder strafte sie dafür ihr und Nation im Dunkeln. Niemand weiß, (AfA), der bayerische Bundestagsabge - Führungspersonal ab. Helmut Schmidt ob sich in diesen Tagen nur die Gegner ordnete Barthel. „Bisher lösen die Ergeb - lernte diese Lektion, als er den Sozial - lautstark zu Wort melden, oder ob tat - nisse keine Begeisterung aus“, sagt Bar - demokraten den Nato-Doppelbeschluss sächlich eine Mehrheit der Genossen den thel, „selbst diejenigen, die einer Großen aufzwang. Gerhard Schröder versagte die Koalitionsvertrag ablehnen wird. Koalition aufgeschlossen gegenüberstan - Partei die Gefolgschaft, nachdem er die Noch nie sei er so unsicher in der Be - den, sind bisher enttäuscht.“ Deshalb Agenda 2010 durchgepaukt hatte. Doch wertung seiner Partei gewesen, sagt der wird auch Barthel den AfA-Mitgliedern dieses Mal ist es schlimmer: Dieses Mal Freiburger Bundestagsabgeordnete Ger - keine Zustimmung empfehlen. droht die SPD schon am Regieren zu not Erler, einer der erfahrensten SPD-Par - Als erster Intellektueller aus der SPD scheitern, bevor sie überhaupt damit be - lamentarier. „Wir verlassen uns auf die meldet sich jetzt schon Bestsellerautor gonnen hat. wohltuende Wirkung des Koalitionsent - Bernhard Schlink zu Wort, fordert die Spätestens beim Bundesparteitag Mitte wurfs“, warnt er. „Das ist ein sehr ratio - Genossen zum Nein gegen die Große November in Leipzig wurde vielen Ge - nales Kalkül.“ Nicht alle Mitglieder wer - Koalition auf und plädiert stattdessen für nossen klar, wie knapp es mit einer Zu - den der Vernunft folgen. Rot-Rot-Grün ( siehe Seite 28 ). stimmung werden dürfte. Die gesamte Die Nachrichten aus den Regionen, aus Der Widerstand zeigt, wie tief die Iden - Führung wurde bei den Vorstandswahlen dem „Bauch“ der Partei, sind nieder - titätskrise der SPD inzwischen geht. Nach abgestraft, neue Gräben brachen auf. „Es schmetternd. So hat sich beispielsweise der knappen Wahlniederlage 2005 konnte sind alle fröhlich gekommen – und sehr die komplette SPD Vorderpfalz, mit Städ - sie mit der Union noch auf Augenhöhe

„Für die Themen „Wenn es nachher heißt, „Je höher die Funktion der Genossen Mindestlohn, wir haben für ein paar im Land, desto stärker sind die Vorbehalte Wohnungsbaupolitik Posten die Schwarzen gegen eine Große Koalition abgeschliffen, und Programm der an der Macht gehalten, aber schon auf der mittleren Funktionärs- sozialen Stadt dann ist auch noch der ebene wandelt sich das. Auf kommunaler erwarten wir eine letzte Rest unserer Glaub- Ebene gibt es häufig eine gute Zusammen- Kursänderung.“ würdigkeit verspielt.“ arbeit mit der Linkspartei.“ Jürgen Pohlmann, Vorsitzender Michael Dehl, Vorsitzender Philipp Weis, Vorsitzender

22 !. /-&!$!( 48/2013 verhandeln. Auch für die Wahlschlappe von 2009 fanden sich Gründe. Für die Niederlage am 22. September jedoch ha - ben viele Genossen keine schlüssige Er - klärung mehr. Das Wahlprogramm war eher links, und die Mitglieder wurden ein - bezogen. Ausgezahlt hat sich der Auf - wand nicht. S N E

L Stattdessen versetzte das Wahlergebnis N O

M der Partei einen Schock. „Aus einer po - M O C

tentiell großen Partei wurde eine halb - /

S E große Partei ohne erkennbare Perspekti - G A M I

ve“, sagt der Parteienforscher Gerd Miel - P D D

ke von der Universität Mainz. Hinzu /

S

O kommt, dass die einstmals enge Bindung O L

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F der Mitglieder an die Partei gelitten hat. F E T

S Zu viele Genossen sind unzufrieden mit SPD-Chef Gabriel (M.), Spitzengenossen: Prekäre Lage ihrer politischen Heimat. Ein Großteil von ihnen ist in den siebziger und acht- ziger Jahren eingetreten, wegen Willy Brandt, Helmut Schmidt und weil sie an die großen universellen Ideen glaubten: an Frieden, Gerechtigkeit und Emanzipa - tion. Über die Hälfte der Genossen ist mittlerweile 60 Jahre und älter. Heute neigen diese in die Jahre gekom - menen Kohorten zur Rebellion. „Je älter, desto weiter links verortet sich ein SPD- Mitglied in der Selbsteinschätzung“, sagt Tim Spier, Professor an der Universität Siegen, der sich seit Jahren mit der Sozialstruktur deutscher Parteien beschäf - A P D

/ tigt. Spier spricht von einer „Radikalität

M

M des Alters“, die den Mitgliederentscheid U K

G zu einem Verdikt mit unkalkulierbarem N A G

F Ausgang macht. Zumal insbesondere in L O

W den höheren Altersgruppen die Wahlbe - CDU-Chefin Merkel, Unions-Verhandlungsführer: Auch für die Kanzlerin ein Risiko teiligung hoch sein werde: „Die in Rente sind, werden in jedem Fall ihre Stimme abgeben.“ Unberechenbar wird der Entscheid auch durch viele aktuelle Neueintritte in die Partei. Generalsekretärin Nahles hat sich in einem Schreiben an die Mitglieder noch erfreut über die Eintrittswelle ge - zeigt. Doch niemand weiß, wer in den vergangenen Wochen das Parteibuch er - worben hat. In Wahrheit muss die Partei befürchten, dass viele Neumitglieder nur Genossen werden, um die Große Koali - tion zu verhindern. Rolf Jürgen Schmidt ist einer von ih - L E nen. 80 Jahre alt, graues Haar, grauer G E I P

S Strickpulli. Er ist zur Krisensitzung des

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D Ortsvereins Schwerin-Paulsstadt im Gast -

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L E

I hof „Das Martins“ gekommen. Vor ihm H T

N auf dem Tisch, neben der Deko aus A I T S

I Kunstblumen, liegt sein Parteibuch, R H

C brandneu und leuchtend rot, darauf die Möglicher Unions-Partner Grüne: Am 6. Januar könnten die Verhandlungen beginnen drei Buchstaben: SPD. Schmidt holt tief

„Wir haben aus der „Wir Sozis stimmen immer „Der Wechsel kam viel zu letzten Großen Koalition mit dem Herzen ab. Nicht abrupt. Man kann nicht gelernt. Regieren heißt, nur mit dem Verstand. jahrelang einen politischen dass man vier Jahre lang Es gibt klare Vorbehalte Gegner bekämpfen und Politik gestalten kann. gegen die Große Koalition dann von einem Tag auf den Opposition dagegen bei uns Nürnberger SPDlern. anderen auf große Freund- wäre Stillstand.“ muss weg!“ schaft machen.“ Bodo Seidenthal, Vorsitzender Olaf Schreglmann, Bezirksgeschäftsführer Klaus Oesterling, Vorsitzender

!. /-&!$!( 48/2013 23 Luft und erklärt: „Ich bin seit ein paar Minuten Mitglied dieser Partei. Weil wir das, was da in Berlin läuft, nicht hinneh - men können.“ Vor einigen Wochen sah er Gabriel im Fernsehen: Wer in die Partei eintritt, kann mitstimmen, habe der Vorsitzende erklärt. Schmidt ließ sich das nicht zwei - mal sagen. Den Mitgliedsantrag lud er sich gleich am folgenden Tag aus dem In - ternet herunter. „Eine schwarz-rote Dik - tatur, das geht gar nicht“, meint der Rent - ner. Für ihn ist klar: „Ich stimme auf je - den Fall dagegen.“ Die Große Koalition soll scheitern. Rächen könnte sich nun, dass sich der Parteivorstand für eine Briefwahl entschie - den hat. Die Alternative wäre eine Stimm - abgabe in den Ortsvereinen gewesen. Da hätte man noch im direkten Gespräch Überzeugungsarbeit leisten können. Doch das wollte die Parteispitze nicht. Den Er - gebnissen hätte man am Ende entnehmen können, wo die besonders kritischen Ge - nossen zu Hause sind. Und wo die Freun - de der Großen Koalition. Mit einer breiten Informationskam- pagne versucht die Parteiführung nun, die Genossen zu gewinnen. Alle zwei bis drei Tage unterrichten Nahles und Gabriel in einem „Mitgliederbrief“ über den Stand der Gespräche. Doch weil das die Stim - mung bisher nicht gewendet hat, erhöhte die Parteispitze ihren Einsatz für den Mit - gliederentscheid. Überall im Land gibt es Regionalkon - ferenzen, allein Parteichef Gabriel will bundesweit an zehn Orten auftreten. Mehr noch: Die Kreisverbände und Un - terbezirke laden ein, die Bundestags - abgeordneten sollen durch ihre Wahlkrei - L se ziehen und für den Koalitionsvertrag E G E I P

werben. Kein Ortsverein darf unbearbei - S

R E tet bleiben. D

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L E

Falls sich Union und SPD, wie geplant, I H T

bis zum kommenden Mittwoch auf einen N A I T S

Koalitionsvertrag einigen, würde spätes - I R H tens am Freitag an sämtliche Mitglieder C eine Sonderausgabe des „Vorwärts“ ver - Bundespräsident Gauck: Den auflösen, bevor er die Arbeit aufgenommen hat? schickt. Einziger Text: Der Koalitionsver - trag im Wortlaut. Ab 1. Dezember sollen nächst dem Parteivorstand zugehen, und Die bisherige Ausbeute der Sozialdemo - dann die Abstimmungsunterlagen in die dann noch am Sonntag oder Montag der kraten ist eher mager. Post gehen. Bis Donnerstag, den 12. De - Öffentlichkeit bekannt gemacht werden. In der Arbeitsgruppe Finanzen ließ die zember, muss das Antwortkuvert wieder Auch wenn die Stimmung aufgeheizt Union ihren potentiellen Partner fast in Berlin sein. ist – viele Mitglieder werden ihre endgül - komplett auflaufen. Jeden Vorstoß zu Än - In der Nacht von Freitag auf Samstag tige Entscheidung davon abhängig ma - derungen des Steuerrechts wehrten Ver - soll das Zählkommando, rund 400 Frei - chen, was am Ende im Koalitionsvertrag handlungsführer Schäuble und CSU- willige stark, in einer eigens angemiete - steht. Doch die Hoffnung, dass Gabriel Wortführer Markus Söder mit dem Hin - ten Halle in Berlin-Kreuzberg die Arbeit die Genossen mit einem satten Verhand - weis ab, dafür sei die Union nicht ge - aufnehmen. Das Endergebnis soll zu - lungserfolg überzeugen kann, ist gering. wählt worden. Statt eine Steuertrophäe

„In Ostholstein werden „Bei uns melden „Wir haben gegen Merkel gekämpft wir eine Mehrheit gegen sich nur die, und sollen jetzt Federn lassen, damit den Koalitionsvertrag die kritisch zum sie weiter regieren kann. Nicht mit haben. Lasst uns in die Koalitionsvertrag uns! Die SPD-Führung will doch nur Opposition gehen, stehen. Ob das die an den Trog ran. Dabei hätte sich denn mit dem Ergebnis Mehrheit ist, kann Gabriel besser mal mit den Grünen gehören wir dorthin.“ ich nicht sagen.“ und den Linken an einen Tisch gesetzt.“ Lars Winter, Landtagsabgeordneter Stefan Mix, Geschäftsführer Rudolf Malzahn, Vorsitzender U

24 !. /-&!$!( 48/2013 Titel

erhielt die SPD nur eine blumige Formu - machte, „die nichts kosten“: Mindestlohn Die Stimmung ist gereizt. „Vielleicht lierung im Entwurf des Koalitionsver - und doppelte Staatsbürgerschaft. Es sei sollten wir erst den Mitgliederentscheid trags. „Unser Gemeinwesen ist auf ver - ein zentraler Fehler gewesen, nicht bis der SPD machen und dann den Koa li - lässliche Steuereinnahmen angewiesen“, zum Schluss auf Steuererhöhungen be - tionsvertrag“, lästerte CSU-General- heißt es dort. Und: „Der dafür erforder - standen zu haben. sekretär . Nicht liche gesellschaftliche Konsens beruht auf Und auf der Zielgeraden der Verhand - nur er hält es für einen schweren Fehler, einem gerechten Steuerrecht.“ lungen ist die Bereitschaft der Union ge - dass die SPD die Aussicht auf das Basis - Nicht viel besser sieht es in der Ge - ring, Gabriel durch neue Zugeständnisse votum auch noch dazu nutzte, neue sundheitspolitik aus. Hier hat die SPD entgegenzukommen. Im Gegenteil. Aus - Mitglieder zu werben. „Wer, bitte schön, gleich zwei große Ziele zur Befriedung gerechnet jetzt zog Kanzlerin Merkel tritt in die SPD ein, um Angela Merkel der Basis verfehlt: wenigstens Reste ihrer zum ersten Mal eine rote Linie für den zu wählen?“, heißt es an der Unions- Bürgerversicherung zu retten und zur pa - Koalitionsvertrag. Die abschlaglose Rente spitze. ritätischen Finanzierung der Kassen zu - mit 63 werde es mit ihr Auch nach Abschluss rückzukehren. Der Kompromiss, den nicht geben. Sie werde der Verhandlungen und Merkel, Seehofer und Gabriel am vergan - „darauf achten, dass die Umfrage während des Mitglieder - genen Donnerstag mit CDU-Verhand - Rente mit 67 nicht zerlö - „Welche Möglichkeit entscheids hat die Union lungsführer und SPD-Pendant chert wird“, so Merkel. einer Regierungsbildung nicht vor, Zurückhaltung aushandelten, lässt sich Dabei ist inzwischen wäre gut für Deutschland?“ zu üben. Die CSU-Spitze schwerlich als Erfolg der Sozialdemokra - auch der Union klar, dass hat den gesamten Vor - ten verkaufen: Der Zusatzbeitrag wird die Gefahr eines Schei - stand und alle Bundes - nicht abgeschafft, sondern nur verändert. terns beim Mitgliederent - 55 tagsabgeordneten für Frei - Außerdem hat die Union durchgesetzt, scheid real ist. „Ich glau - tag in die Münchner (– ) dass der Arbeitgeberanteil bei 7,3 Prozent be, dass in den nächsten 43 Hanns-Seidel-Stiftung be - eingefroren bleibt. „Gäbe es eine Mitglie - 14 Tagen nicht nur über stellt, um das Vertrags - Veränderung derbefragung der CDU/CDU, könnte ich den Koalitionsvertrag ab - zur Umfrage (+ ) werk zu erläutern. Von die Annahme gut empfehlen“, frotzelt gestimmt wird, sondern Anfang Oktober dort aus sollen dann die Spahn. Selbst die SPD-Linke Hilde Mat - über die Zukunft der Christsozialen ihren Leu - theis bezeichnet den Kompromiss als SPD-Parteiführung und Koalition Neuwahl ten vor Ort einbläuen, „Pyrrhussieg“. womöglich die Zukunft aus CDU/CSU des dass das Werk die Hand - und SPD Bundestags Ernüchternd ist auch die Bilanz in der der gesamten SPD“, schrift der Union trage. Arbeitsgruppe Arbeit und Soziales – ein warnt Fraktionschef Vol - Koalition aus CDU/CSU Den Preis für ein mög - Bereich, der für die Sozialdemokraten ker Kauder. und Grünen ...... 32 liches Scheitern des Mit - noch immer das Herzstück der Regierung Anfangs hatten die Uni - gliederentscheids würde ist. Hier hat die Partei vieles verhandelt, ons-Unterhändler die Sor - Minderheitsregierung allerdings nicht allein die aber wenig erreicht. Zwar wird ein ge - gen ihrer SPD-Kollegen der CDU/CSU...... 25 SPD bezahlen. Auch für setzlicher Mindestlohn kommen, und noch als taktisches Ge - Infratest-dimap-Umfrage für das ARD- Kanzlerin Merkel könnte „Morgenmagazin“ vom 19./20. November; auch die geforderten 8,50 Euro werden plänkel abgetan, das de - rund 1000 Befragte; Angaben in Prozent es bedeuten, dass sie trotz im Koalitionsvertrag auftauchen. Doch ren Verhandlungsposition (Veränderungen in Prozentpunkten); ihres Rekordergebnisses ab wann der Mindestlohn gilt, ob es Über - stärken sollte. Entspre - Mehrfachnennungen möglich am Ende das Kanzler amt gangsfristen und Differenzierungen ge - chend genervt reagierten verlassen müsste. Zu - ben wird, ist offen. Und auch bei seinem CDU und CSU, wenn die Genossen im - nächst käme allerdings wohl noch einmal Prestigeprojekt, dem vorzeitigen Ruhe - mer neue Forderungen mit Blick auf den Schwarz-Grün ins Spiel. „Ab 6. Januar“, stand mit 63, wird Gabriel Abschläge hin - Mitgliederentscheid auf den Tisch legten. so sagt es ein Unions-Bundesminister, nehmen müssen. „Der Mitgliederentscheid mag gut ge - „würden dann die Koalitionsverhandlun - Und selbst dort, wo die SPD zumindest meint sein“, sagt der stellvertretende gen mit den Grünen beginnen.“ in der öffentlichen Wahrnehmung trium - CDU-Vorsitzende . „Er Die zeigen sich vorerst zurückhaltend. phierte, setzte sich im Kleingedruckten führt aber dazu, dass die SPD-Leute in „Wir richten uns auf vier Jahre Opposi - die Union durch. Zum Beispiel bei der den Verhandlungen immer nur die nächs - tion ein“, sagt der Fraktionsvorsitzende Frauenquote. Anders als gemeinhin wahr - ten vier Wochen vor Augen haben und vom linken Parteiflügel. genommen, müssen 2016 keineswegs 30 nicht die nächsten vier Jahre. Das ist Die Grünen wären ohnehin nicht „der Prozent der Aufsichtsräte weiblich be - schlecht.“ billige Plan B für Frau Merkel, wenn sie setzt sein. Vielmehr gilt ab dann nur bei „Dass das Schicksal unseres Landes in mit CSU und SPD nicht klarkommt“. Tat - Neubesetzungen eine entsprechende den Händen einiger zehntausend SPD- sächlich aber wäre eine schwarz-grüne Quote. Angesichts der Wahlzyklen dürfte Mitglieder liegt, ist eine Perversion des Alternative nicht so unwahrscheinlich, erst 2020 das angestrebte Ziel erreicht Ergebnisses der Bundestagswahl“, sagt wie die Anführer öffentlich glauben ma - sein. So wie es im Unionswahlprogramm der Präsident des CDU-Wirtschaftsrats chen wollen. In Hessen wird eine schwarz- steht. Kurt Lauk. „Angesichts der Probleme un - grüne Landesregierung verhandelt, das Nicht umsonst wächst in der SPD der seres Landes, vor allem aber der Lage in lockert auch in Berlin die Fronten. Merkel Unmut, dass Gabriel öffentlich nur The - Europa, ist diese Hängepartie nicht hilf - müsste den Grünen allerdings ein attrak - men zur Bedingung für die Koalition reich.“ tiveres Angebot machen als zuletzt wäh -

„Natürlich verknüpfen viele „Hier ist die „Wir haben einen Wahlkampf ge- das Votum über den Koalitions- Skepsis nicht führt, der die Ablösung von Merkel vertrag auch mit den Personen so groß, es als Kanzlerin zum Ziel hatte. In den im Parteivorstand. Die letzten herrscht eher zwei Wochen vor dem Mitglieder- Vorstandswahlen waren ein Zustimmung zur entscheid wird es aber zu schaffen Warnschuss. Ich hoffe, in Berlin Großen Koalition.“ sein, eine klare Mehrheit für die wurde dieser Schuss gehört.“ Andreas Arend, Koalition zu organisieren.“ Uwe Herwig, Vorsitzender stellv. Vorsitzender , Vorsitzender

!. /-&!$!( 48/2013 25 Titel Ende der Feindschaft Ausgerechnet Hessen – die erstaunliche Geschichte einer schwarz-grünen Annäherung

ie Vergangenheit ist in in Frankfurt am Main oder Darm - eine Glasvitrine gesperrt. stadt klappt das auch. Die Koali - DAuf dem Landtagsflur der tionen mit den Grünen dort funk - hessischen Grünen, keine 20 tionieren einigermaßen reibungs - Schritte vom Büro des Fraktions - los. Anders in den konservativen, chefs Tarek Al-Wazir entfernt, ländlichen Gegenden Hessens, liegt das Mikrofon, das Joschka etwa in den katholischen CDU- A

Fischer, der erste Umweltminister P Hochburgen Fulda oder Limburg: D

/

der Grünen, auf der Regierungs - E Dort ist insbesondere das liberale C N A

bank des Landesparlaments be - I Familienbild der Grünen, die Of - L L A

nutzt hat. Darunter steht eine klei - E fenheit gegenüber homosexuellen R U

ne schwarze Porzellanfigur, sie er - T und bunten Lebensmodellen, eine C I P

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innert an die Zeit des schwarz- hohe Hürde für Schwarz-Grün. N E

grünen Kriegszustands. Auf dem S Zudem fremdelten Bouffier H C I R

Sparschwein steht: „Schwarz - E und Al-Wazir in den Verhandlun -

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geld“. V gen zeitweise stark. Nach der

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CDU und Grüne waren lange R zweiten schwarz-grünen Sondie - D E R

Jahre in keinem Bundesland wei - F rungsrunde Mitte Oktober wollten ter voneinander entfernt als in Politiker Al-Wazir, Bouffier: Ungeduld trifft Langatmig keit selbst Unionisten, die den Grünen Hessen. Al-Wazir gehörte zu den eher nahestehen, nicht mehr an härtesten und scharfzüngigsten Kriti - basteln. Kommt er zustande, wäre es – einen Erfolg glauben – so sehr sei spür - kern der Union – etwa als 1999 bekannt - rund drei Jahre nach dem Ende der bar gewesen, dass die beiden Parteichefs wurde, dass die Hessen-CDU Millionen - schwarz-grünen Regierung in Hamburg – sich bisweilen auf die Nerven gingen. beträge aus dunklen Quellen auf schwar - die erste derartige Verbindung in einem Bouffier neigt zu Langatmigkeit, Al-Wa - zen Konten gelagert und damit unter deutschen Flächenland. zir zu Ungeduld – eine Zusammenarbeit anderem den Wahlkampf ihres damali - Strategisch käme das Bündnis beiden an einem Kabinettstisch erschien schwer gen Landeschefs Roland Koch finanziert Partnern entgegen, sie erschlössen sich vorstellbar. hatte. Der revanchierte sich mit einem eine neue Machtoption. Das erscheint Mit den Sozialdemokraten flutschte fiesen Plakat gegen den angeblichen beiden wichtig, da die Sozialdemokra - es dagegen zunächst. Vor allem in einem „Links-Block“ in Hessen: „Ypsilanti, Al- ten der Linken offener gegenübertreten Punkt, der CDU und Grüne besonders Wazir und die Kommunisten stoppen“. und die FDP sich nach der Pleite bei der weit trennte, lockte die SPD mit unions - Koch hat sich längst in die Wirtschaft Bundestagswahl notgedrungen von der nahen, wirtschaftsfreundlichen Positio - verabschiedet, und die damalige SPD- Rolle als Mehrheitsbeschaffer der Union nen: beim weiteren Ausbau des Frank - Landeschefin Andrea Ypsilanti, mit der emanzipiert. furter Flughafens. Im kleinen Kreis Al-Wazir 2008 tatsächlich ein rot-grün- Wird Hessen gar zum Vorbild für den signalisierte Bouffier den Sozialdemo - rotes Bündnis verabredet hatte, sitzt in - Bund? Die Abläufe könnten sich glei - kraten schließlich, dass er sich eine Gro - zwischen macht- und lustlos auf einer chen. Nach der Wahl, als die bis dato re - ße Koalition vorstellen könne – und Hinterbank ihrer Landtagsfraktion. gierende schwarz-gelbe Koalition im SPD-Chef Thorsten Schäfer-Gümbel Al-Wazir, 42, und Kochs Nachfolger Landtag ihre Mehrheit verlor, sah es zu - konnte das auch. Volker Bouffier, 61, haben dagegen hin - nächst auch in Wiesbaden nach einer Der Sozialdemokrat hatte allerdings bekommen, was ihnen vor wenigen Wo - Großen Koalition aus – und auch in der ein anderes Problem. Als er Mitte No - chen kaum jemand zugetraut hatte: ein hessischen CDU-Spitze hieß es, die So - vember dem Bundesvorstand seine Prä - Paket zu schnüren, von dem beide hof - zialdemokraten seien den Mitgliedern ferenz für eine Große Koalition erläu - fen dürfen, dass es bei ihren Parteifreun - eher als Partner zu vermitteln als die terte, wurde dies von Parteifreunden so - den alte Feindschaften vergessen macht. Grünen. gleich durchgestochen. Die Folge: eine Viermal trafen sie sich offiziell, dann Einfach wird es in Hessen nicht. Zwar Flut von Protesten an die hessische SPD- auch inoffiziell; bis Mitte Dezember wol - bemüht sich die dortige Union um das Führung. Viele Genossen waren ent - len sie nun an einem Koalitionsvertrag Bild einer modernen Großstadtpartei, täuscht, sie hatten auf eine rechnerisch

„Wir brauchen mehr Gelder „Erst kommt das „Wir machen doch nicht für die Städte im Ruhrgebiet. Land, dann die Partei. den Steigbügelhalter für Falls das nicht erfolgreich Auch wenn wir nur so einen Mist! Merkel soll umgesetzt wird, sind wir einen Teil unseres Wahl- eine Minderheitsregierung sehr zurückhaltend, was programms durchsetzen machen, und wir treiben unsere Zustimmung zur können, ist das gut für sie dann aus der Opposition Großen Koalition angeht.“ die Menschen.“ heraus vor uns her.“ Frank Dudda, Fraktionschef Sebastian Macht, Vorsitzender Jürgen Hennlein, Vorsitzender

26 !. /-&!$!( 48/2013 rend der Sondierungen. Um endlich re - gieren zu dürfen, könnte sie dazu bereit ebenfalls mögliche rot-grün-rote Koali - lärm-Bürgerinitiative schon zu einer sein. tion gesetzt. Protestdemonstration auf: „Nein zu Sollten sich am Ende aber auch die In ihrer Verzweiflung streuten Schä - Schwarz-Grün“. Grünen einer Koalition mit der Union fer-Gümbels Leute, man könne sich ja Außerdem halten es die Grünen in verweigern, käme Bundespräsident Joa - auch noch eine rot-grüne Minderheits - Hessen nicht anders als die SPD im chim Gauck ins Spiel. Der müsste den regierung vorstellen, die von den Linken Bund: Ein Koalitionsvertrag muss die neugewählten Bundestag womöglich auf - oder der FDP toleriert werde. Das war Gnade der Basis finden. Das soll kurz lösen, bevor er sein erstes Gesetz verab - allerdings Unsinn. Solch wackelige Mo - vor Weihnachten, am 21. Dezember, schiedet hat. delle hatten die Grünen in zwei Partei - geschehen. Da die hessischen Grünen So oder so ist Gabriel in einer prekären ratsbeschlüssen und mehreren öffentli - keine Delegierten-Parteitage haben, Lage. „Mehr Demokratie wagen!“, hatte chen Erklärungen abgelehnt. sondern alle Mitglieder mitentscheiden Willy Brandt einst gefordert. Doch wenn Bouffier reagierte verschnupft auf die lassen, sind die Voten solcher Landes - die Genossen im Dezember feierlich sei - SPD-Volte. Seine Verärgerung steigerte nen 100. Geburtstag begehen, könnten sich am Montag voriger Woche: Nach SCHWARZ-GRÜN 61 Sitze Hessischer sie ihren Mut in Sachen innerparteilicher der letzten schwarz-roten Sondierungs - Landtag Demokratie bereits bereuen. Denn selbst runde gab Schäfer-Gümbel – anders als Grüne wenn die Basis mit knapper Mehrheit für angekündigt – keine klare Empfehlung 14 Sitzverteilung eine Große Koalition votiert, wäre das für eine Große Koalition ab. Stattdessen SPD für Sigmar Gabriel ein schlechtes Ergeb - lavierte der SPD-Chef vor den Funktio - CDU 37 nis. Dann müsste er eine tiefgespaltene nären seines Landesparteirats herum 47 insgesamt FDP 6 Partei in das ungeliebte Regierungsbünd - und kündigte eine Reihe von Regional - 110 Sitze Linke 6 nis führen – und halten. konferenzen an: Die Genossen sollten Einstweilen versucht sich Gabriel in sich noch eine Meinung bilden dürfen versammlungen noch schwerer kalku - Zweckoptimismus: „Ich bin stolz auf mei - über ihre Präferenzen, bevor der Lan - lierbar. Al-Wazir weiß, dass er seinen ne Partei, dass sie die Herausforderung desparteitag eine Entscheidung treffe. Leuten dort etwas bieten muss. „Die des Mitgliedervotums so entschlossen Bouffier empfand dies als Affront. Er Verhandlungen mit der CDU werden angeht. Ich bin sicher: Auch in anderen hatte sich bereits öffentlich festgelegt, nicht einfach“, sagt er – was eher eine Parteien wird der Ruf nach solchen Be - wenige Tage nach dem letzten schwarz- Untertreibung ist. teiligungsformen lauter werden“, sagt der roten Gespräch ein Angebot für Koali - Das Gleiche gilt für Bouffier. Gerade Parteichef. Er will die Hoffnung nicht auf - tionsverhandlungen zu machen. Plötz - beim Thema Flughafen hatte er sich ge - geben, dass die SPD am Ende doch noch lich wusste er nicht mehr, ob Schäfer- genüber dem CDU-Wirtschaftsflügel bereit ist für eine Vernunftentscheidung: Gümbel noch als Partner zur Verfügung festgelegt: Der Airport müsse auf jeden „Wenn wir echte Verbesserungen für die stand. „Damit waren wir wieder im Fall „wettbewerbsfähig bleiben“ und Menschen erreichen, warum sollten die Spiel“, sagte ein Spitzen-Grüner am ver - Entwicklungsmöglichkeiten haben. Nun SPD-Mitglieder da ablehnen?“ gangenen Freitag. sicherte er gegenüber den Grünen zu, Immerhin, bei einer Versammlung am Die ganze vergangene Woche über dass der geplante Neubau eines dritten Mittwochabend vergangener Woche im ließ Bouffier seine Leute mit den Grü - Terminals überprüft werden solle – mög - Berliner Abgeordnetenhaus hatte ein Ge - nen sondieren, ob nicht doch noch eine licherweise stelle sich das Projekt ja als nosse schon einen Vorschlag parat: „Lasst Lösung beim Flughafen möglich sei. Sie betriebswirtschaftlich unnötig heraus. die Verhandlungen lieber vor die Wand einigten sich auf mehrere Punkte. Künf - Dennoch will der Regierungschef den fahren, als der Basis einen Vertrag vorzu - tig soll für den Flughafen beispielsweise Schritt mit den Grünen wagen. Am ver - legen, bei dem ihr damit rechnen müsst, ein neuer „Lärmdeckel“ festgelegt wer - gangenen Donnerstagabend, nachdem dass er abgelehnt wird“, riet er der Par - den. Der Krach von startenden und lan - er sich entschieden hatte, rief Bouffier teiführung. denden Jets soll dann unterhalb der zuerst Al-Wazir an. Danach verständig - Eine solche Entscheidung würde der Werte liegen, die im Planfeststellungs - te er Schäfer-Gümbel, der die Neuigkeit klammen SPD zwar einen Teil der gut beschluss des Landes zum Ausbau des nicht erst den Medien entnehmen sollte. eine Million Euro Kosten für den Mitglie - Flughafens für das Jahr 2020 prognosti - Die Öffentlichkeit sollte nach Bouffiers derentscheid ersparen. Aber Sigmar Ga - ziert wurden. Wie das zu schaffen sein Plan erst am Freitagabend davon erfah - briel und Angela Merkel nicht die Frage, soll, ist im Detail allerdings noch unklar. ren, nachdem er seinen Landesvorstand wann Deutschland, die Führungsmacht „Mehr hätten wir in einer Koalition und die CDU-Landtagsfraktion in Wies - Euro pas, endlich eine neue Regierung be - mit der SPD auch nicht erreicht“, ver - baden unterrichtet hatte. kommt. Und diese Frage interessiert deut - breitete die Grünen-Führung am Freitag. Dieses eine Mal war Schäfer-Gümbel lich mehr Menschen, als die SPD Mitglie - Ob das genügt, um die Parteibasis zu - schneller: Er plauderte bereits am Frei - der hat. N& +( A", T%!.!/ A10%(!., friedenzustellen? Kurz nachdem die tagmittag munter aus, dass ihm Bouffier M00%&/ B.0/ %, R(# B!/0!, S3!* B,((, Nachricht vom neuen Bündnis die Run - von den schwarz-grünen Plänen berich - M.'1/ D!$$!.& %, M.'1/ D!00)!., C%.&/0&*! H+##)**, F.*' H+.*&$, de machte, rief eine Frankfurter Flug - tet habe. M00%&/ B.0/ % A** K&/0*!., H+.* K*1-, P!0!. M2((!., G+. +* R!-&*/'&, S&)+*! S( !*, C+.*!(& S %)!.$(, B.. S %)& , S0!##!* W&*0!.

„Ich sehe keine „Die Waiblinger SPD hat sich „Wir empfehlen eine Handschrift der nach der Bundestagswahl Minderheitsregierung SPD in den Ver- gegen eine Große Koalition unter Merkel, bei der die handlungen. Es ausgesprochen. Deshalb würde SPD dann aus der Opposition war ein Fehler, Rot- es mich nicht überraschen, heraus für Themen wie den Rot-Grün von vorn- wenn eine Mehrheit gegen den Mindestlohn Mehrheiten herein abzulehnen.“ Koalitionsvertrag stimmen würde.“ finden kann.“ Volker Marquard, Vorsitzender Markus Mall, Sprecher des Ortsvereins Dennis Eidner, Sprecher

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