Außerschulische Bildung 4-2008 ISSN 0176-8212 Zukünfte denken Demokratie organisieren als Werkstätten der Beteiligungsprozesse politische Stiftungen Politikberatung durch politische Bildung Deliberation und überholt? Ist utopischesDenken 4-2008

INHALTSVERZEICHNIS

ZU DIESEM HEFT 369 ADB-JAHRESTHEMA

Birgit Schädlich SCHWERPUNKT Keine Angst vor den Fremden! – ein Pro- jekt für Bernauer Schulen 404 Wolfram Tschiche „Ist das utopische Denken überholt?“ 370 Ina Bielenberg Demokratiekompetenz stärken – Politische Bettina Lösch Bildung in der Einwanderungsgesellschaft Deliberation und politische Bildung 378 Ein Rückblick auf das AdB-Jahresthema 2008 408

Michael Borchard/Melanie Piepenschneider Für die Zukunft gut beraten – die Arbeit ARBEITSFORMEN UND METHODEN der politischen Stiftungen 384 Tanja Berger Wolfgang Borkenstein Die Szenario-Methode 411 Jugendbeteiligung – ein Leitfaden 390

Matthias Schirmer INFORMATIONEN Beteiligungsprozesse sind Werkstätten für politisches Lernen Meldungen 416 Erfahrungen und Resümees aus der Stadt- (teil)entwicklung in Leipzig-Volkmarsdorf 396 Aus dem AdB 431

Personalien 441 ADB-FORUM Bücher 443 Arbeitskreis der Bildungsstätten und Akademien (Heimvolkshochschulen) in NRW e. V. (@ba) Markt 454 Schwerter Erklärung Zur Bedeutung und Wichtigkeit des Teil- nehmertages in der außerschulischen Bil- IMPRESSUM 458 dung 402

Thema des nächsten Heftes: Arbeit und politische Bildung

367 368 ZU DIESEM HEFT

„Zukünfte denken“ lautet Lösungsmöglichkeiten einschließt, zeigen die in den das Schwerpunktthema die- folgenden Beiträgen vorgestellten Beispiele. Hier ser letzten Ausgabe unserer geht es einmal um die Frage, wie Missstände im Hier Zeitschrift „Außerschuli- und Jetzt und in der unmittelbaren Umgebung ge- sche Bildung“ im Jahrgang mildert oder beseitigt werden können, und welche 2008. Ausgangspunkt ist Möglichkeiten Menschen haben, an der Gestal- die Beobachtung, dass in tung ihrer Lebenswelt mitzuwirken. Politische Bil- Politik (und auch in politi- dung kann solche Planungsprozesse unter Beteili- scher Bildung) seit länge- gung direkt Betroffener anregen und anleiten. rem die Orientierung an Was sich auf kommunaler Ebene noch als sehr kon- den aktuell sich aufdrän- krete und praktische Planung und Gestaltung des genden Problemen zu eigenen Umfeldes darstellt, erreicht nationale und überwiegen scheint und über tagespolitische Er- internationale Dimensionen bei dem Versuch, Op- fordernisse hinausreichende Strategien und zu- tionen für komplexe Politikbereiche zu entwickeln, kunftsweisende Utopien vernachlässigt werden. in denen die Weichen für die Zukunft der Gesell- Das Ende des Kommunismus sowjetischer Prägung schaft(en) gestellt werden. Im Beitrag über die wird als Beleg dafür genommen, dass die Vorstel- politischen Stiftungen wird diese Form der Arbeit lungen von einer anderen, besseren Welt an der beschrieben, die Politische Bildung und Politikbe- Realität zumeist scheitern und der Versuch ihrer ratung gleichermaßen zur Aufgabe hat. politischen Durchsetzung allzu oft von Totalita- rismus und Unterdrückung Andersdenkender be- Zukunft denken heißt, über den Status quo hinaus gleitet wird, gerechtfertigt mit dem Verweis auf zu denken. Bettina Lösch weist in ihrem Beitrag die dabei angestrebten hehren Ziele, die den Ein- darauf hin, dass alternative Konzepte deliberativer satz aller Mittel erlauben. Demokratie eine Antwort auf den gegenwärtigen Zustand der Politik sein können, der mit Politikver- In seinem einleitenden Beitrag formuliert Wolfram drossenheit und Unzufriedenheit mit der Demo- Tschiche genau diese Kritik an den sozialen Uto- kratie einhergeht. Die politische Bildung könne pien des 19. und 20. Jahrhunderts. Er sieht bereits von diesen Konzeptionen profitieren, sofern sie an in deren Prämissen die Grundlegung für Terror und der Mündigkeit des Subjekts, der Selbstaufklärung, Totalitarismus als zwangsläufigen Folgen des Ver- der kritischen Urteilsfähigkeit und Handlungs- suchs, die Wirklichkeit utopischen Idealen anzu- orientierung als Zielen festhalte. passen. Als Bürger der ehemaligen DDR weiß Wol- fram Tschiche aus eigener Erfahrung, wovon er Diese Perspektive hat durchaus einiges für sich. Die spricht, auch wenn er seine Feststellungen nicht Krisen des Jahres 2008 haben schließlich nicht nur mit der eigenen Biographie, sondern mit philoso- Mutlosigkeit und Angst erzeugt, sondern auch den phischer Logik begründet. Wunsch nach Veränderung beflügelt. Dass dieser Wunsch trägt, neue Energien freisetzt und uns alle Trotz seiner Skepsis gegenüber der Utopie plädiert darin bestärkt, sich den aktuellen Bedrohungen er keineswegs dafür, den Anspruch auf Verbesse- entgegenzustellen und Lösungsmöglichkeiten zu rung der gesellschaftlichen Verhältnisse aufzuge- finden, das ist die Hoffnung zu Beginn dieses noch ben. Dass diese Verbesserung in einer Demokratie neuen Jahres 2009, das für uns allen Problemen ein ständiger Prozess ist, in dem unterschiedliche zum Trotz doch ein gutes Jahr werden möge. Interessen aufeinanderprallen und die Suche nach geeigneten Wegen die Konkurrenz verschiedener Ingeborg Pistohl

369 SCHWERPUNKT

„Ist das utopische Denken überholt?“

Wolfram Tschiche

Wolfram Tschiche erinnert an die Wurzeln des uto- suche der Mensch seine Begrenztheiten zu über- pischen Denkens vor allem in der europäischen schreiten. Diese utopischen Potentiale seien nur Geistesgeschichte. Er leitet mit philosophischer Lo- die versprengten Stücke eines erträumten, im tie- gik aus den Prämissen dieser Utopien ab, weshalb feren Wissen eines jeden beheimateten, aber ver- insbesondere die Sozialutopien des 19. und 20. Jahr- lorenen Idealbildes, das schon ist und zugleich hunderts an der Realisierung eigener Ansprüche nicht ist, aber sein wird. Jeder habe die Fähigkeit, scheitern und statt zu erhofften paradiesischen Zu- es zu entdecken und wiederherzustellen, ja sogar ständen zwangsläufig in terroristische und tyranni- das Universum verlange danach, es sei im Zustand sche Regime führen (müssen). Trotz seiner Absage der „Noch-Nicht-Erscheinung“. Die Aufgabe der an die Utopie spricht sich Tschiche dafür aus, auf Philosophie bestehe in nichts anderem, als das Ver- die Verbesserung der gesellschaftlichen Verhält- borgene, aber dunkel Gewusste, die „objektive nisse nicht zu verzichten. Phantasie“ der Welt, zu wecken und in Bewegung zu setzen. „Die wirkliche Genesis ist nicht am An- fang, sondern am Ende“. „...Der verzweifelte Wunsch allein, einen unübertreff- lichen Zustand zu erreichen, führt meist nur zu dem, was man corruptio optimi pessima nennt, und da ist eben der Weg zur Hölle mit guten, sogar mit edlen Vor- sätzen gepflastert.“1

Ernst Bloch als Protagonist des utopischen Denkens im 20. Jahrhundert

Es war Bloch, der als der wortmächtigste Anwalt des neueren utopischen Denkens seit den 60er Jah- ren des 20. Jahrhunderts zu großem Einfluss kam. Vor seiner Hinwendung zum Marxismus war Blochs Denken von einem mystischen Romantizismus, der Quelle: Wikimedia commons/Fotograf:Axel Mauruszat Gnosis und Träumen, Aufruhr und Verheißung ge- Gedenktafel für Ernst Bloch in Berlin-Wilmersdorf prägt. Jenes Denkkonglomerat war von einem lite- rarischen Prophetenton zusammengehalten. Blochs Bloch vollzog eine manichäische Teilung der Welt Buch „Thomas Münzer als Theologe der Revolution“, in Gerechte und Ungerechte. Es gibt nur Gut und das er 1921 veröffentlichte, ist Ausdruck dieser Böse, „das Paradiesische“, wie es gelegentlich geistigen Haltung. Als er sich dann dem Marxismus heißt, und „das Höllenhafte“, das sich der „kon- zuwandte, wurde der kreten Utopie“ in Verblendung oder Egoismus Der Begriff „Utopie“ Begriff der Utopie als widersetzt. Der Mensch kann wählen, das eine hatte für Bloch niemals „reale Utopie“ zur zen- oder das andere, „Alles oder Nichts“, wie es heißt, eine geringschätzige tralen Vorstellung. Im Un- die absolute Vollkommenheit oder die absolute Bedeutung terschied zu Marx und Schuld. Entgehen wir aber dem Nichts, dann steigt der marxistischen Ortho- am Ende eine Welt herauf, die nicht nur besser ist doxie hatte der Begriff „Utopie“ für Bloch niemals als die bestehende, sondern vollkommen an sich. eine geringschätzige Bedeutung. Im Stil chiliastischer Verheißungen verkündet Bloch: Es werde das Reich der Freiheit und der Er fand die utopische Sehnsucht überall: in den überwundenen Entfremdung sein, der endlich er- Werken der Philosophie wie in denen der Trivialli- löste Mensch werde weder einen Staat noch eine teratur, in den Märchen und im Budenzauber der andere Form der institutionellen Herrschaft benö- Jahrmärkte, in den revolutionären Aufbrüchen, tigen und die neue, „nichteuklidische Technik“ die den Begierden nach Ruhm oder sexuellem Genuss, Versöhnung mit der Natur zurückbringen. In sei- in der Architektur, im Gebet und in der Kunst, in nem Hauptwerk „Das Prinzip Hoffnung“ konnte der Religion allgemein und im Christentum spe- Bloch für diesen endzeitlichen, nicht-antagonisti- ziell, kurzum, im Himmel wie auf Erden. In alledem schen Zustand das Wort „Heimat“ wählen.2

1 Stanislaw Lem/Stanislaw Beres: Lem über Lem. Gespräche, 2 Ernst Bloch: Das Prinzip Hoffnung, Berlin 1959, Bd.3, Frankfurt/M. 1986, S. 356 S. 484 – 489

370 SCHWERPUNKT

Kritiker Blochs haben Kritiker Blochs haben in Dennoch wollen wir es wagen, den Begriff „Uto- in seiner Philosophie seiner Philosophie eine pie“ zu bestimmen, wobei eine Verständigung über eine Affinität zum Affinität zum totalitä- seinen etymologischen Ursprung am einfachsten zu totalitären Denken ren Denken gesehen. So sein scheint. Von Morus in seiner 1516 erschienenen gesehen schreibt beispielsweise gleichnamigen Schrift „Utopia“ in die Literatur ein- Joachim Fest: „Man muss geführt, setzt er sich aus zwei griechischen Wörtern dabei nicht einmal auf die inhaltlichen Überein- zusammen: „ou = nicht“ und „topos = Ort“; „Uto- stimmungen sehen. Schon der Sprachgestus Blochs, pie“ heißt also „Nicht-Ort“ oder „Nirgendwo“. sein Rigorismus, das immer Ergriffene, Entrüstete und Gewalttätige darin, hat eine eigene totalitäre Aber seine Konsensfähigkeit hört sofort auf, so- Beschaffenheit, und einiges spricht dafür, dass es bald man sich seinem Bedeutungsfeld zuwendet. gerade diese verwandten Züge waren, die ihn zum Somit ist also jede Begriffsbestimmung mit einem Kommunismus Moskauer Art hinzogen...“3 gewissen Grad an Willkür verbunden.

Es ist hier nicht der Ort, das Für und Wider dieser kritischen Perspektive zu diskutieren. Nur auf ei- nen Punkt wollen wir aufmerksam machen: Wer wie Bloch den Begriff der Utopie so ausweitet, dass er alle menschlichen Vorstellungen von etwas Bes- serem als dem was ist, bezeichnet, verzichtet auf dessen Trennschärfe, und er verliert seinen Wert als Instrument historischer oder philosophischer Unter- suchung.

Zum Begriff „Utopie“

Heutzutage wird der Begriff „Utopie“ in der Regel mit einer negativen Bedeutung besetzt. Umgangs- sprachlich bedeutet das Wort „utopisch“ zumeist soviel wie „übersteigert“, „träumerisch“, „unrealis- tisch“. Mit „utopisch“ wird ein Denken diskreditiert, das Projekte entwirft, die scheitern müssen, weil ih- re realitätsblinden Urheber die konkreten Voraus- setzungen ihrer Verwirklichung nicht berücksichti- gen. Auch in den Bereichen der Philosophie und der Sozialwissenschaft herrscht ein pejoratives Ver- ständnis der Utopie vor. In dieser Perspektive sind Utopisten nicht so sehr als realitätsferne Träumer, als vielmehr „Feinde der offenen Gesellschaft“ (Karl Popper) stigmatisiert, womit ihre Nähe zu totalitä- ren Ideologien angesprochen ist. Quelle: Wikipedia Titel des Romans „Utopia“ von Thomas Morus (1516). Es ist hier nicht möglich, alle Facetten des utopi- Holzschnitt (Urheber unbekannt) schen Denkens zu betrachten und zu bewerten, denn zu umfangreich ist allein die Geschichte der sozialpolitischen Utopien der europäischen Neu- vgl.: Utopieforschung. Interdisziplinäre Studien zur neuzeit- zeit seit Thomas Morus’ „Utopia“ bis zur Gegen- lichen Utopie, Hrsg.: Wilhelm Vosskamp, Bde., Stuttgart 1985 wart, um allen Einzelheiten folgend ein abschlie- vgl.: Richard Saage: Politische Utopien der Neuzeit, Darmstadt ßendes Urteil zu fällen.4 1991 vgl.: U. Dierse: Artikel „Utopie“ in: Historisches Wörterbuch 3 Joachim Fest: Der zerstörte Traum. Vom Ende des utopischen der Philosophie, hrsg. von Joachim Ritter/Karlfried Gründer/ Zeitalters (1991), in: Ders.: Nach dem Scheitern der Utopien. Gottfried Gabriel, Band 11 (U – V), Darmstadt 2001, S. 510 – 526 Gesammelte Essays zu Politik und Geschichte, Hamburg 2007, vgl.: Michael Roth: Artikel „Utopie“, in: TRE (Theologische S. 141 – 204, hier S. 180f.; Realenzyklopädie), Studienausgabe Teil III, Bd. 34, 4 Gesamtübersicht und breite Diskussion zum Thema Berlin 2002/2006, S. 464 – 485

371 SCHWERPUNKT

Eingedenk dieser Schwierigkeit schlagen wir vor, hartnäckigster Verteidiger am Beginn des 20. Jahr- mittels einer zweifachen Einschränkung zu verfah- hunderts war zweifellos Edmund Husserl. Er, der ei- ren: Erstens soll nur dann von Utopien gesprochen ne mühsame Reise in das Unbekannte des trans- werden, wenn man nicht in irgendeiner Weise an zendentalen Bewusstseins unternahm und somit Ideen zur Verbesserung des menschlichen Lebens den Trend zum relativistischen Naturalismus umzu- denkt, sondern der Überzeugung ist, dass ein end- kehren versuchte, scheiterte, da es ihm nicht ge- gültiger und unüberbietbarer Zustand, der nicht lang, die paradiesische Insel der unerschütterlichen zu verbessern ist, erreichbar erscheint. Zweitens Gewissheit zu entdecken. Gleichwohl tat er eine soll man das Wort für Vorhaben reservieren, die Vielzahl von Denkwegen auf und hinterließ damit durch menschliche Anstrengungen realisiert wer- eine ganz veränderte philosophische Landkarte den können, wodurch sowohl Vorstellungen eines Europas. auf das Jenseits gerichteten Paradieses als auch apokalyptische Hoffnungen auf ein irdisches Para- Dieses Beispiel verweist in unserem Zusammen- dies, das durch göttliche Intervention verwirklicht hang auf ein grundsätzliches Verständnis von wird, ausgeschlossen werden. Philosophie. Wir können Kolakowski zustimmen, dass die Philosophen nicht die Wahrheit entde- Beispielsweise könnten somit entsprechend dem cken, man sie aber braucht, um den Verstand rege zweiten Kriterium die revolutionären Wiedertäufer zu halten. Er schreibt: „...Die kulturelle Funktion des 16. Jahrhunderts in die Geschichte der Utopie der Philosophie besteht nicht darin, die Wahrheit eingereiht werden, nicht aber die verschiedenen zu verkünden, sondern den ‚Geist der Wahrheit’ chiliastischen und adventistischen Bewegungen so- herauszuarbeiten; und das heißt: niemals die Wiss- wie jene Ideen, die das Himmelreich auf Erden als begierde des Verstandes einschlafen zu lassen, nie- Ergebnis der Wiederkunft Jesu Christi erwarten. mals aufzuhören, das zu hinterfragen, was selbst- Weiterhin ließen sich, dem ersten Kriterium ent- verständlich und endgültig erscheint, immer sprechend, die verschiedenen futuristisch-techni- wieder den anscheinend intakten ‚gesunden Men- schen Phantasien und gesellschaftspolitischen Vi- schenverstand’ herauszufordern, immer wieder zu sionen nur dann als utopisch bezeichnen, wenn sie vermuten, dass es auch die ‚Kehrseite’ dessen ge- nicht grundlegende Lösungen des menschlichen ben könnte, was wir als sicher annehmen, und nie- Elends und Leidens, sondern vielmehr die gänzli- mals zu vergessen, dass es Fragen gibt, die jenseits che Befriedigung der menschlichen Bedürfnisse des legitimen Horizonts der Wissenschaft liegen oder ein widerspruchsfreies Endstadium der und dennoch für das Überleben der Menschheit, Menschheitsgeschichte vorschlagen. wie wir sie kennen, bedeutend sind.“5

Trotz dieser Klarstellung brauchen wir die episte- Epistemologische Utopien – eine Maßlosig- mologischen Utopisten, welche die Grundlage aller keit des Verstandes? Grundlagen entdecken wollen; ebenso aber benö- tigen wir die Skeptiker, welche uns vor den Maßlo- Wir können diese doppelte Einschränkung des sigkeiten und Vorurteilen des Verstandes zu be- Utopie-Begriffs insofern ausweiten, als er nicht nur wahren streben. Weder ist das Verschwinden des auf Visionen einer endgültig geretteten Mensch- utopischen Antriebes der Philosophie – die Wahr- heit, sondern auch auf spezifische Gebiete der heit erkennen zu wollen – wünschenswert, noch menschlichen Kreativität angewendet werden darf die ihm innewohnende Gefahr übersehen kann. Somit können wir von einer epistemologi- werden. In der Nachbar- schen Utopie sprechen, wenn wir entweder die Su- In der Nachbarschaft schaft dessen, der die che nach vollkommener Gewissheit oder nach dem dessen, der die absolute Wahrheit zu letzten Ursprung kognitiver Werte meinen. Übri- absolute Wahrheit zu kennen meint, lauern gens verbinden sich häufig absolute Wahrheitsan- kennen meint, lauern Intoleranz und selbstge- sprüche mit Vorstellungen von der Einrichtung ei- Intoleranz und selbst- rechte Blindheit. Letzt- ner „Heliopolis“ (Campanella) auf Erden. gerechte Blindheit lich entkommt sie nicht der Frage nach den Kri- Der hartnäckigste Ver- Die epistemologische Uto- terien ihrer Gültigkeit. Vielleicht kann man jener teidiger der epistemo- pie ist im Widerstreit mit Gefahr dadurch entgehen, indem man jene letzten logischen Utopie am den Empirikern und Beginn des 20. Jahr- Skeptikern niemals aus 5 Leszek Kolakowski: Ende der Utopie aufs Neue erwogen, in: hunderts war zweifel- unserer Kultur gänzlich Ders: Narr und Priester. Ein philosophisches Lesebuch, hrsg. von los Edmund Husserl verschwunden, und ihr Gesine Schwan, Frankfurt/M. 1995, S. 236 – 259

372 SCHWERPUNKT

Kriterien im Kant’schen Sinne als regulative, nicht waren, und den anderen, die sich an das Vertraute als konstitutive Ideen versteht. Damit dienen sie klammerten, zwischen Utopisten und Atavisten uns besser als Wegweiser für das unerreichbare (wie man im Blick auf den Nationalsozialismus for- Ziel als zur Feststellung, dass das Ziel erreicht ist mulieren könnte). oder bald erreicht sein wird. Fest zeigt, wie der „gegenutopische Radikalismus“ des Nationalsozialismus dennoch von Utopie er- Sozialpolitische Utopien: Führt der Traum von füllt war, und schreibt: „Nicht nur griff die wenn einer universellen Brüderlichkeit zur totalitä- auch lediglich zu Beginn verbreitete Terminologie ren Tyrannei? vom ‚Dritten Reich’ oder ‚Tausendjährigen Reich’ auf ein altes Heilsvokabular zurück. Vielmehr ver- Der Niedergang utopischer Geisteshaltung ist na- dankte die Bewegung Anstoß und Sammlung auch hezu allgemein. Dieser ist wahrscheinlich maßgeb- einer umfassenden Orientierungskrise mit dem lich verursacht durch die Gräuel, die im 20. Jahr- massenhaft hervorbrechenden Verlangen nach hundert im Namen eines säkularen Goldenen Veränderung von der Wurzel her. Und in der Ferne, Zeitalters begangen wurden. Dementsprechend abgehoben von der deprimierenden Wirklichkeit, wurden Antiutopien geschrieben, Visionen einer tauchte das wie undeutlich auch immer entworfe- schrecklich entstellten Welt, in der alle Werte zer- ne, in verklärenden Nebel gehüllte Gegenbild der stört sind, mit denen sich ihre Autoren (Samjatin, gereinigten Welt auf, die Vorstellung vom Neuen Huxley, Orwell) identifiziert hatten. Es gibt kaum Menschen sowie ein trotz aller Lücken und Unge- ein utopisches Werk, das reimtheiten weithin geschlossenes System zur Ver- Es gibt kaum ein sich im letzten Drittel des wirklichung der idealen Ordnung.“8 utopisches Werk, das 20. Jahrhunderts zitie- sich im letzten Drittel ren ließe – bis vielleicht Fest stellt die grundsätzliche Frage, „ob nicht alle des 20. Jahrhunderts auf das Buch „Morgen“ Traumgesichte einer Neuen Ordnung, ob sie sich zitieren ließe von Robert Havemann.6 nun an der Vergangenheit oder an einem ‚Ziel der Es geht aber in unserem Geschichte’ orientieren, sofern nur ein äußerst Zusammenhang nicht – wie eingangs betont – um eschatologischer Ernst dahintersteht, unvermeidli- eine Bestandsaufnahme, sondern um die Klassifi- cherweise in Terror münden, was immer ihr ur- kation allgemeiner Charakteristika sozialutopi- sprünglicher Antrieb gewesen sein mag.“9 schen Denkens. Zuerst müssen wir auf die Idee der vollkommenen Bevor wir – wie beabsichtigt – den Charakteristika und ewigen menschlichen Brüderlichkeit eingehen. nachgehen, wollen wir eine historische Anmer- Dieses Motiv ist von zentraler Bedeutung für das kung zu unserem Thema machen und mit Joachim utopische Denken und ist Fest in diesem Zusammenhang auf den Nationalso- Die Idee von der als solches aus verschie- zialismus eingehen, der vermutlich den Meisten als Brüderlichkeit ist von densten Gründen kriti- Inbegriff des antiutopischen Radikalismus er- zentraler Bedeutung siert worden. Das Pro- scheint.7 für das utopische blem lässt sich wie folgt Denken und ist aus reduzieren: erstens ist ei- Der Erste Weltkrieg mit seinen negativen Folgen verschiedensten Grün- ne universelle Brüderlich- hat die Scheidung in Utopisten und Gegenutopis- den kritisiert worden keit unvorstellbar und ten, die sich schon mit dem ausgehenden 19. Jahr- schon gar nicht einlösbar; hundert abzeichnete, vertieft und politisiert. Zu zweitens bringt der Versuch, sie dennoch einzulösen, den unmittelbaren Folgen der Russischen Revolu- totalitäre Despotien hervor, die jede Äußerung von tion von 1917 gehörte auch die Mobilisierung im Konflikten durch gewaltsame Homogenisierung Lager der Gegenutopie. Die bürgerkriegsähnlichen unterdrücken und auf diese Weise das gesellschaftli- Unruhen, die viele europäischen Länder der Zwi- che und kulturelle Leben zerstören. schenkriegsepoche heimsuchten, kann man u. a. auch als einen Konflikt zwischen den einen begrei- Diese Schlussfolgerungen sind begründet. Denn ei- fen, die emphatisch auf ein Goldenes Zeitalter aus ne wesentliche Bedingung menschlicher Existenz besteht darin, dass Menschen schon durch die Tat- 6 Robert Havemann: Morgen. Die Industriegesellschaft am sache ihrer Freiheit und Kreativität gezwungen Scheideweg. Kritik und reale Utopie, Halle/Leipzig 1990 7 Joachim Fest: Der zerstörte Traum. Vom Ende des utopischen 8 ebd., S. 163, S. 164 Zeitalters (1991), S. 163 – 174 9 ebd., S. 173f.

373 SCHWERPUNKT

sind, nach miteinander kollidierenden Zielen zu den. Nachdem innerhalb von ca. 2000 Jahren das streben und dabei von widerstreitenden Wün- Christentum in Bezug auf diese erzieherische Aufga- schen getrieben werden. Gerade durch den Um- be eher weniger erfolgreich war, äußern die Utopis- stand, dass sie niemals totale Befriedigung erlan- ten, insofern sie ihre utopische Vision praktisch um- gen können, nehmen menschliche Bedürfnisse zu zusetzen gedenken, einen brisanten Plan: sie und vergrößern sich ins Unendliche, so dass Kolli- beabsichtigen Brüderlichkeit zu institutionalisieren, sionen zwischen ihnen unvermeidlich sind. Somit was den sichersten Weg ist eine absolute Befriedigung mit der Vielschich- Brüderlichkeit zu zu totalitären Despotien tigkeit und Grenzenlosigkeit menschlicher Bedürf- institutionalisieren, darstellt. Zugrunde liegt nisse unvereinbar. Man könnte sagen, dass eine stellt den sichersten ihre Überzeugung, dass umfassende Brüderlichkeit unter Wölfen vorstell- Weg zu totalitären das Böse das Resultat bar ist, weil die Bedürfnisse von Wölfen begrenzt Despotien dar unvollkommener gesell- und definierbar sind, während menschliche Be- schaftlicher Institutionen dürfnisse grenzenlos sind. ist, welche dem Drang der menschlichen Natur zu- widerlaufen. In dem bekannten Fragment über den Genau dieser Gesichtspunkt ist es, den die utopi- Ursprung der Ungleichheit scheint Rousseau anzu- sche Geisteshaltung nicht akzeptieren will. Bei der nehmen, dass das Privateigentum eine Erfindung Realisierung des utopischen Projekts muss man von Verrückten war; uns ist aber unbekannt, wie voraussetzen, dass die Menschen ihre Freiheit und diese diabolische Erfindung, die den natürlichen An- Kreativität verloren haben, dass die Vielfalt des trieben des Menschen widerspricht, von anderen menschlichen Lebens sich in Einfalt aufgelöst hat. Menschen angenommen wurde und sich über alle Indem die gesamte Menschheit die vollkommene menschlichen Gemeinschaften verbreitete. Lange Befriedigung ihrer Bedürfnisse erlangt hat, stellt bevor die Anweisungen zur ewigen Brüderlichkeit sich andauernde Stagnation als Normalzustand – basierend auf marxistisch-utopischen Prinzipien – ein. Darin artikuliert sich unausweichlich das utopi- ihre gesellschaftliche Anwendung fanden, war pro- sche Glück. phezeit worden, dass menschliche Konflikte um Macht und Gier als Ergebnis der institutionellen Utopische Entwürfe, die uns – wie jene von Campa- Zwangsabschaffung des Privateigentums weiterbe- nella oder Marx – eine Welt versprechen, in der Zu- stehen und sich eventuell sogar noch ausweiten friedenheit, Glück und Brüderlichkeit mit Fort- könnten. Allgemeine Erfahrungen in den realsozia- schritt kombiniert sind, überleben dank ihrer listischen Ländern scheinen dies zu bestätigen. Inkonsistenz. Jene kon- Konsistente Utopien sistenten Utopien aber Die historische Erfahrung zeigt, dass für eine gewis- anerkennen und anerkennen und preisen se Zeit eine konfliktfreie gesellschaftliche Ordnung preisen die Stagnation die Stagnation als utopi- insofern installiert werden kann, als die Artikulation als utopisches Ideal sches Ideal. Möglicher- von Konflikten mit totalitärem Zwang unterdrückt weise wurde die konse- werden kann. Weil aber damit die Wurzeln von quenteste Utopie von Dom Deschamps erdacht. Er Konflikten nicht beseitigt werden können, wird ei- konzipiert eine Gesellschaft, in der alle Menschen ne riesige Maschinerie von Lügen eingerichtet, um gänzlich auswechselbar und miteinander vollkom- die unvermeidlichen Niederlagen in Siege umzu- men identisch sind. Differenzen unter Menschen deuten. Indem die utopische Vision in die Sprache sind ausgelöscht, und die Menschheit ist zu einer der Politik transformiert wird, erliegt sie der Verlo- Ansammlung absolut gleichartiger Wesen mutiert. genheit und Widersprüchlichkeit. Die Orwellsche Die menschliche Persönlichkeit ist durch gesell- Sprache war lange vor Orwells Buch „1984“ be- schaftliche Perfektion unwiederbringlich zerstört. kannt. Ein gutes Beispiel dafür ist Rousseaus Aus- spruch „Man muss die Menschen zur Freiheit zwin- Das Ideal der Gleichheit – als Abwesenheit von gen“. Vergleichbares gilt für die Deklaration der Unterschieden – ist unter der Annahme, dass die Pariser Kommune, die gleichzeitig verkündete, dass Menschen so sind, wie wir sie historisch kennen, si- der obligatorische Militärdienst abgeschafft und al- cherlich ein Widerspruch in sich selbst. le Bürger Mitglieder der Nationalgarde seien. Ein weiteres Beispiel finden wir in der egalitär-revolu- Dennoch versprechen die Utopisten weiterhin, dass tionären Utopie Tkatschews, welche die Abschaf- sie der Menschheit Brüderlichkeit beibringen und fung aller Eliten als Hauptziel der Revolution nennt, infolge dieses realisierten Lehrstücks die verhängnis- wobei dies wiederum von einer revolutionären Elite vollen und zerstörerischen Begierden wie Habsucht, vollzogen werden müsse. Sie war eine wichtige Aggressivität und Machtstreben verschwinden wer- Quelle für die leninistische Doktrin.

374 SCHWERPUNKT

Beide Doktrinen – die von einer zwangsweisen garde herbeigezwungen werden, münden in einem Brüderlichkeit und die von einer durch eine aufge- totalitären Despotismus, also in einem System, wel- klärte Avantgarde erzwungenen Gleichheit – kom- ches zugleich despotisch und egalitär ist. men am häufigsten in den utopischen Entwürfen vor. Obwohl miteinander unvereinbar, treten sie Konsequente Utopien Von daher sind radikale dennoch oft gemeinsam in utopischen Träumen suchen nach einer Ord- und konsequente Uto- auf. Für einige Utopis- nung, aus der jede Viel- pien inhuman. Indem sie Für einige Utopisten ten ist eine konfliktfreie falt, jede Differenz und höchste Identität anstre- ist eine konfliktfreie Gesellschaft das anzu- daher auch jede Ent- ben, suchen sie nach ei- Gesellschaft das anzu- strebende Ziel, während wicklung für immer ner Ordnung, aus der je- strebende Ziel, wäh- andere die Gleichheit als getilgt ist de Vielfalt, jede Diffe- rend andere die Gleich- höchsten Wert angeben. renz und daher auch jede heit als höchsten Wert Nach Maßgabe des letz- Entwicklung für immer getilgt ist. Möglicherweise angeben ten Falles wird ange- stellen sie ein vages Echo jener orientalischen und nommen, dass nicht die neuplatonischen Theologien dar, wonach die Tren- menschlichen Individuen, ihr Leid und ihr Wohler- nung des Menschen von der Wurzel des allumfas- gehen von Bedeutung sind, sondern nur die Tatsa- senden, undifferenzierten Seins – also die Individu- che, dass Leid und Wohlergehen gleich verteilt alität selbst – ein ontologischer Fluch ist, der nur sind. Es ist der Traum einer konsequent egalitären durch die Zerstörung der Individualität aufgeho- Utopie, alles abzuschaffen, was Menschen vonein- ben werden kann. So gesehen können wir in der ander unterscheiden könnte. Es liegt in der Konse- egalitären Utopie eine säkulare Karikatur jener quenz dieses Ideals, dass in der Behauptung der Metaphysik erblicken. Letztlich läuft es auf Folgen- Persönlichkeit ein Übel zu erblicken ist, was gleich- des hinaus: Leben bedeutet immer Leid und Kon- zeitig bedeutet, dass es grundsätzlich falsch ist, ein flikt; will man dies abschaffen, so muss man konse- Mensch zu sein. Vollkommene Brüderlichkeit und quenterweise auch das Leben vernichten. Diese Gleichheit, die durch eine revolutionäre Avant- Schlussfolgerung ist nur logisch.

© Anja Müller/pixelio Ende einer Utopie? Baustelle des Palastes der Republik, Berlin 2008

375 SCHWERPUNKT

Auch in den inkonsequenten Utopien findet man ten sozialen und ethnischen Kollektiven an, sie ge- diesen Anspruch auf utopische Perfektion, jedoch hörten nur ihrer Klasse oder ihrer Nation an. Es mit unvereinbaren Aspekten vermischt: das Lob war die Aufgabe der Bolschewiki, diesen kollekti- der Kreativität, den Lobgesang auf den Fortschritt ven Feind im Auftrag der Geschichte zu vernichten. etc. Nur wenige Utopisten – Fourier war das be- Und es war das manichäische Weltbild der Bolsche- merkenswerteste Beispiel – waren sich der Not- wiki, das dem modernen Streben nach Eindeutig- wendigkeit und Vielfalt persönlicher Besonderheit keit eine ungekannte Radikalität verlieh“.10 Vor bewusst; der Kräfte, die man nicht einfach abschaf- diesem ideologischen Hintergrund kamen die fen kann. Dementsprechend versuchten sie ihr Technologien des Staatsterrors zum Einsatz, die ih- Konzept vom universalen Glück zu gestalten. Sie ren Höhepunkt in der stalinistischen Epoche fan- hielten es für möglich, dass solche Bedürfnisse er- den: Überwachung, Gefängnis, Folter, Lager und füllt werden könnten, ohne Feindschaft zwischen Erschießung. den Menschen zu entfachen, dass Konkurrenz auf- rechterhalten und Aggression in harmlose Bahnen Ein weiteres wichtiges Merkmal dieser Utopie war gelenkt werden könnten, um so eine Gesellschaft die Annahme, dass die glorreiche Zukunft nicht einzurichten, die Zufriedenheit mit Kreativität und einfach durch den Verlauf der Geschichte vorher- den Drang nach Unterscheidung mit universeller bestimmt wird, sondern die Zukunft schon dage- Freundschaft geglückt vereinen würde. wesen ist – zwar empirisch nicht fassbar, aber den- noch viel realer als die empirische Gegenwart, Die Beschreibung einer Was utopisches Denken deren Zusammenbruch sich abzeichnet. Die er- himmlischen Glück- im 20. Jahrhundert so staunliche Fähigkeit, in dem, was zu sein scheint, seligkeit auf Erden gefährlich machte, war das zu entdecken, was nicht nur zu sein scheint, wurde in dem Moment nicht allein der Traum sondern tatsächlich ist – und dies in einem höheren brisant, als ihre Ver- von der Perfektion. Je- als dem „bloß“ empirischen Sinn“ – , stellt auch bei fechter zur Überzeu- ne Beschreibung einer Hegel eine säkularisierte Version der christlichen gung gelangten, dass himmlischen Glückselig- Erlösungslehre dar, welche, wenn auch nicht direkt sie über eine einzig- keit auf Erden wurde in verstehbar, nicht nur im Plan Gottes verankert, artige Technologie dem Moment brisant, sondern auch schon geschehen ist, da in der gött- verfügten, um den als ihre Verfechter zur lichen Zeitlosigkeit alles, was im Begriff ist zu ge- Eingang ins Paradies Überzeugung gelangt schehen, bereits geschehen ist. Auf diese Weise zu erzwingen waren, dass sie über ei- kann eine grenzenlose Selbstgerechtigkeit all jener ne einzigartige Techno- legitimiert werden, die nicht nur fähig sind, die Zu- logie verfügten, um den Eingang ins Paradies zu kunft vorherzusagen, sondern bereits ihre bevor- erzwingen. Diese Ideologie ist ein spezifischer zugten Besitzer sind, und das gibt ihnen das Recht, Aspekt revolutionärer Utopien und in verschiede- die tatsächliche Welt als eigentlich nicht existent nen Ausformungen der marxistischen Doktrin ent- zu betrachten. Die bevorstehende Revolution be- halten. So etwa glaubten sich Lenin und seine An- deutet nicht einfach das glückliche Fortschreiten hänger im Namen einer „wissenschaftlichen historischer Ereignisse, sondern einen Bruch mit Weltanschauung“ berufen, die kommunistische Ge- der Kontinuität, einen totalen Neubeginn, eine sellschaft durch „roten Terror“ herbeizuführen. Die neue Zeit, während in der Vergangenheit eigent- Bolschewiki „ordneten ihr Projekt in ein Heilsge- lich kein Fortschritt vorkam. schehen ein, in eine Teleologie der Erlösung. Das Weltgeschehen verlief auf vorgezeichneten Bah- Jenen drei Charakteristika revolutionär-utopischen nen, die aus dem Gang der Geschichte herausgele- Denkens korrespondieren drei destruktive politi- sen werden konnten. Diese Geschichte war eine Ge- sche Einstellungen, die jedoch von ihren Verfech- schichte der Klassenkämpfe und Konflikte, in tern als unumgänglich für die beabsichtigte denen die Kräfte des Guten über die Mächte der Menschheitsbeglückung betrachtet werden. Finsternis siegten. Der Sozialismus war nicht nur ei- ne Ordnung, die Ambivalenz schon nicht mehr Die Hoffnung einer erleuchteten Elite, Brüderlich- kannte, er war ein Ort ohne Feinde. Deshalb muss- keit herbeizwingen zu können, bildet die natürli- ten, wo Eindeutigkeit hergestellt wurde, Feinde er- che Grundlage einer totalitären Tyrannei. Der ledigt werden, die sich dem Gesellschaftsentwurf Glaube an eine in die Gegenwart verlegte höhere der Bolschewiki entgegenstellten. Widerstand ge- gen das, was die Machthaber für einen Ausdruck der Vernunft ausgaben, konnte es nicht geben. Wo 10 Jörg Baberowski: Der rote Terror. Die Geschichte des Stali- er dennoch auftrat, wirkte der Feind. Feinde gehör- nismus, München 2003, S. 13f.

376 SCHWERPUNKT

Der Glaube an eine in Realität rechtfertigt die Es lässt sich aber behaupten, dass der Irrtum jener, die Gegenwart ver- vollkommene Verach- welche die menschliche Natur für hoffnungslos legte höhere Realität tung der gegenwärtig korrumpiert halten, in der Konsequenz weniger rechtfertigt die voll- existierenden Menschen unheilvoll ist, als die zum Scheitern verurteilte Zu- kommene Verachtung zugunsten paradiesischer versicht der Utopisten: Trotz aller berechtigten Ein- der gegenwärtig exis- Zustände künftiger Ge- wände ist eine Gesellschaft, deren Hauptmotiv die tierenden Menschen nerationen. Die Idee der Habsucht ist, einer auf obligatorischer Solidarität zugunsten paradie- neuen Zeit legitimiert basierenden Gesellschaft vorzuziehen. sischer Zustände künf- die Zerstörung zivilisa- tiger Generationen torischer Standards und Jedoch kann die These der völligen Korruption kulturellen Vandalismus. auch zur Unterstützung eines tyrannischen oder totalitären Systems verwandt werden. Historische Beispiele dafür – angefangen von der theokrati- Ohne Utopie leben? schen Theorie und Praxis des Frühcalvinismus – gibt es genug. Die Grundlagen dieser Theorie sind spe- Obwohl wir meinen, dass die Vision von einer ewi- kulativer und nicht empirischer Natur. Die Binsen- gen universellen Brüderlichkeit der Menschen wahrheit, dass wir sowohl das Potential für unei- nicht nur undurchführbar ist, sondern auch zum gennützige Freundschaft und Solidarität als auch Zusammenbruch der Zivilisation führen würde, für Hass, Habsucht und Neid in uns tragen, ist un- darf dieser antiutopische Diskurs nicht dahinge- widerlegbar. Und zweifellos ist es den Menschen hend missverstanden werden, dass auf diese Weise möglich, Bedingungen zu schaffen, unter denen jede Art von Ungerechtigkeit und Unterdrückung Feindschaft, Selbstsucht und Aggressivität, wenn gerechtfertigt werden schon nicht beseitigt, so doch auf ein Minimum re- Das Argument vom sollte. Seit Jahrhunder- duziert werden könnten. Die Schlussfolgerung lau- bösen Wesen der ten wurde das Argu- tet, dass die Idee der Brüderlichkeit als politisches menschlichen Natur ment vom bösen Wesen Programm verhängnisvoll, aber als Wegweiser un- diente aber auch zur der menschlichen Natur erlässlich ist. Rechtfertigung des nicht nur gegen Versu- Widerstandes gegen che ins Feld geführt, ein Es ist nicht wahr, dass Es ist nicht wahr, dass alle gesellschaftlichen Paradies auf Erden ein- der Mensch zusammen der Mensch zusammen Reformen und zurichten, sondern dien- mit der utopischen mit der utopischen Gei- demokratischen Insti- te auch zur Rechtferti- Geisteshaltung auch steshaltung auch seinen tutionen gung des Widerstandes seinen Anspruch auf Anspruch auf gesell- gegen alle gesellschaft- gesellschaftliche Ver- schaftliche Verbesserung lichen Reformen und demokratischen Institutio- besserung aufgeben aufgeben müsste. Im nen. Das utopische Dogma, wonach das Böse in uns müsste Gegenteil steht das uto- nur Resultat defizitärer sozialer Institutionen ist pische Verlangen der und mit diesen verschwinden wird, ist nicht nur al- schrittweisen Verwirklichung einer humaneren bern, sondern auch gefährlich. Denn institutionell Ordnung geradezu im Wege, weil es unter der Vor- garantierte Brüderlichkeit bezeichnet eine Hoff- aussetzung einer dekretierten Brüderlichkeit durch nung, auf der totalitäre Ideologien beruhen. eine berufene Elite ein Leben in menschlicher Wür- de zerstört. Wir können die Einsicht nicht umge- Ebenso verderblich könnte es sein, die utopischen hen, dass totalitäre Systeme, die der jüngeren Epo- Träumereien durch ihr Gegenteil zu ersetzen und che der Menschheitsgeschichte ihr entstelltes anzunehmen, dass es in allen menschlichen Bezie- Gesicht aufgeprägt hatten, weitgehend utopi- hungen nur Feindschaft, Habsucht und Machtstre- schen Träumen entsprangen, deren Profil wir auf- ben gibt und alle Zeichen von Liebe, Freundschaft, zuzeigen versuchten. Somit ist es in diesem Sinne Brüderlichkeit und Opferbereitschaft nur Täuschun- besser, ein Leben ohne Utopie zu führen. gen sind, die lediglich die „wirklichen“, unverän- derbar selbstsüchtigen Motive verschleiern. Auf- Wolfram Tschiche ist Philosoph und Theologe grund dieser Überzeugung, ob sie sich nun auf die und arbeitet in der Jugend- und Erwachsenen- Anthropologie eines Hobbes, Freud oder des jun- bildung. gen Sartre stützt, werden die antiutopisch Gesinn- Er lebt in der Altmark (Sachsen-Anhalt). ten dazu verleitet, alle von Menschen geschaffenen Fragwürdigkeiten des gesellschaftlichen Lebens als unvermeidbar und unveränderbar zu akzeptieren. E-Mail: [email protected]

377 SCHWERPUNKT

Deliberation und politische Bildung Bettina Lösch

Das Unbehagen an der Politik, wie es gegenwärtig sowie die medial vermittelten Diskurse, bspw. des von vielen Bürgern und Bürgerinnen empfunden vermeintlichen „Reformstaus“, tragen außerdem und geäußert wird, wirkt sich auch auf Attraktivität, dazu bei, politische Konflikte und Probleme als un- Gestaltung und Zielsetzung politischer Bildungsar- lösbar und alternativlos zu begreifen. beit aus. Vor diesem Hintergrund ergründet Bettina Lösch in ihrem Beitrag eine alternative Politikkon- Diese Aufzählungen über die Unbeliebtheit von zeption deliberativer Demokratie und fragt nach Politik ließen sich ohne Weiteres verlängern. Letzt- deren Potential für die politische Bildung. lich führt dies aber meist dazu, die Ablehnung gegenüber der herrschenden Politik, aber auch die eigene Ohnmächtigkeit weiter zu verstärken – ins- Die politische Bildungsarbeit steht gegenwärtig vor besondere dann, wenn keine Analysen der Ursachen verschiedensten Herausforderungen: Trotz wieder- geliefert, sondern die Klagen lediglich aufgezählt holter Lippenbekenntnisse einiger Politiker/-innen werden. In den folgenden Ausführungen möchte zur gesellschaftlichen Notwendigkeit politischer ich deshalb der eher selten gestellten Frage nach- Bildung wird ihre finanzielle Förderung weiter be- gehen, ob sich Politik darin erschöpft, Interessen schnitten. Zugleich steigt auszuhandeln, Herrschaftsausübung und Politik- Das Misstrauen der das Misstrauen der Bür- management zu sein. Besteht Freiheit wirklich dar- Bürger/-innen gegen- ger/-innen gegenüber in, frei von Politik und unpolitisch zu sein, oder über der Politik steigt, der Politik, was sich ne- liegt die Freiheit, wie Hannah Arendt meinte, nicht was sich negativ auf gativ auf die Nachfrage vielmehr im politischen Handeln?1 Sind Menschen die Nachfrage an an politischen Bildungs- nicht gerade in jenen Momenten frei, in denen sie politischen Bildungs- angeboten auswirkt. Das ihre gemeinsamen Angelegenheiten selbst in die angeboten auswirkt Unbehagen an der Poli- Hand nehmen, gemeinsam beratschlagen und ko- tik resultiert meist aus operativ Lösungen für festgefahrene oder schwer einem mangelnden Vertrauen der Bürger/-innen lösbare Konflikte finden? Wann und wie entfaltet gegenüber Politiker/-inne/-n und Parteien, die eher sich die Lust am politischen Handeln, die meist wei- an Wirtschaftsinteressen denn am Gemeinwohl tere Aktivitäten wie in einem Dominoeffekt nach orientiert scheinen, ihren eigenen Machterhalt im sich zieht? Die leitende Frage für meine Überle- Sinn haben und vollmundig Wahlversprechen ab- gungen ist, welches Politikverständnis für die poli- geben, die aufgrund heraufbeschworener und tische Bildung orientierend sein kann, wenn sie an selbst erzeugter „Sachzwänge“ nach der Wahl der Mündigkeit des Subjekts, der Selbstaufklärung, nicht mehr verfolgt, geschweige denn eingelöst der kritischen Urteilsfähigkeit und Handlungs- werden. Mitsamt der Vorherrschaft neoliberaler orientierung festhält.2 Politik, die den Markt als Steuerungsinstrument in nahezu allen gesellschaftlichen Bereichen verabso- lutiert, hat sich außerdem die These des Staatsver- Konzeptionen deliberativer Demokratie sagens im Alltagsverständnis verfestigt. Die Un- übersichtlichkeit politischer Entscheidungsfindung Nach dem Zusammenbruch der Systemalternative 1989/90 schien auf realpolitischer Ebene die markt- wirtschaftlich fundierte Form liberaler Demokratie der einzig gangbare Weg zu sein. Alternative poli- tische Ansätze, wie sie Mittlerweile fallen in unterschiedlichen Aus- die Zustandsbeschrei- prägungen in den real- bungen der liberalen sozialistischen Staaten Demokratie auch praktiziert wurden, wa- eher fatal aus ren aufgrund ihres De- mokratiedefizits diskre- ditiert. Mittlerweile fallen die Zustandsbeschrei- bungen der liberalen Demokratie, die sich in unter- schiedlichen Ausprägungen in den marktwirt- © Deutscher /Stephan Erfurt 1 Vgl. Hannah Arendt: Was ist Politik?, München 1993, S. 28 Unübersichtlichkeit politischer Entscheidungsfindung 2 Siehe auch Gerd Steffens: Politische Bildung, in: Ulrich Brand/ trotz Ausblick. Besucher auf der Aussichtsplattform der Bettina Lösch/Stefan Thimmel (Hrsg.): ABC der Alternativen, Reichstagskuppel Hamburg 2007, S. 162f.

378 SCHWERPUNKT

schaftlichen, kapitalistischen Ländern etabliert hat, reflexiv als ,sich beraten’ im Sinne von Abwägen, allerdings auch eher fatal aus. Zwar nimmt welt- Überlegen, Bedenken; 2. expertokratisch als ‚sich weit die Anzahl der Staaten zu, die als Demokra- beraten lassen’ eher im Sinne von Konsultation tien bezeichnet werden. Allerdings können sich und Beratung oder 3. demokratisch als ‚gemeinsa- auch solche Herrschaftsregime als demokratisch me Beratschlagung’ und Diskussion.5 In der Regel bezeichnen, die lediglich ein Minimum an forma- sehen Konzeptionen deliberativer Demokratie ei- len demokratischen Verfahren gewährleisten, et- ne Erweiterung der politischen Beteiligungs- und wa Wahlen durchführen, ohne Meinungsfreiheit Handlungsmöglichkeiten über formales demokra- oder andere grundlegende politische Rechte zu tisches Prozedere (Wahlakt, Mitgliedschaft in Par- garantieren. Eingeschränkte Formen von Demo- teien etc.) hinaus vor und grenzen sich damit von kratie existieren aber nicht nur als irreführende den in der Demokratietheorie bislang tonangeben- Selbstzuschreibung autoritärer Regime. Für die Di- den elitetheoretischen agnose der etablierten liberalen Demokratien wird Deliberative Demokra- oder rational-ökonomi- gegenwärtig der Begriff der „Postdemokratien“ tietheorien (be-)achten schen Modellen ab, wel- (Colin Crouch) diskutiert. Hierbei handelt es sich und reflektieren die che die Möglichkeiten um politische Gemeinwesen, in denen zwar Wah- neuen vielfältigen Poli- politischer Selbstbestim- len abgehalten werden, Wahlkämpfe aber zu ei- tik- und Organisations- mung und direkter Par- nem großen Spektakel verkommen, wo konkurrie- formen, die sich in der tizipation eher ableh- rende professionelle PR-Teams die öffentliche bürgerlichen Gesell- nen. Deliberative Demo- Debatte kontrollieren und durch Kampagnenar- schaft herausgebildet kratietheorien (be-)ach- beit beeinflussen. Die Mehrheit der Bürger/-innen haben ten und reflektieren die spielt dann eine passive, schweigende Rolle und neuen vielfältigen Poli- reagiert auf Signale, die man ihnen gibt.3 tik- und Organisationsformen, die sich in der bür- gerlichen Gesellschaft herausgebildet haben. Geradezu im Kontrast dazu, dass demokratische Strukturen unter neoliberaler Politik und markt- Die deliberativen Demokratieauffassungen profi- wirtschaftlicher Globalisierung abgebaut und un- lierten sich am stärksten in der angelsächsischen terlaufen werden,4 hat sich innerhalb der Demo- Diskussion und wurden zunächst in der Tradition kratietheorie eine andere Sichtweise von Demokra- partizipatorischer Demokratietheorien verortet. Der tie etabliert, die deren Basis – die Selbstbestimmung Anstoß für die Debatte kam aus der Rechtsphiloso- der Bürger/-innen – wieder stärken will. Diese Kon- phie, und es war wohl Joseph Bessette, der bereits zeptionen so genannter deliberativer Demokratie 1980 den Terminus deliberative democracy explizit können als politiktheoretische Antwort auf die De- in die US-amerikanische Diskussion einbrachte und batte um eine Bürger- oder Zivilgesellschaft in den ihn in Opposition zu einer stärker elitistischen Inter- 1990er-Jahren verstanden werden. Anstatt die po- pretation der US-amerikanischen Verfassung ge- litische Handlungs- und Entscheidungsmacht ei- brauchte. Mit der Übersetzung und Veröffentli- nem auserwählten Kreis von Berufspolitikern/-poli- chung von Jürgen Habermas’ „Strukturwandel der tikerinnen zu überantworten oder Demokratie als Öffentlichkeit“ im Jahre 1989 und der Rezeption Wettbewerbs- und Marktverhältnis zwischen An- seiner Öffentlichkeitstheorie erhielt die angelsäch- bietern (Parteien) und Konsument/-inn/-en (Wäh- sische Deliberationsdebatte eine weitere wegwei- ler/-inne/-n) zu verstehen, sollten mit der delibera- sende inhaltliche Anregung. Habermas selbst ver- tiven demokratietheoretischen Ausrichtung der suchte dann in den 1990er-Jahren seine kommu- politische Meinungs- und Willensbildungsprozess nikations- und diskurstheoretischen Ansätze auf den der breiten gesellschaftlichen Öffentlichkeit stär- politischen Bereich zu übertragen und den beiden ker gewichtet und seine Bedeutung für eine leben- politiktheoretischen Traditionen des modernen de- dige Demokratie hervorgehoben werden. mokratischen Rechtsstaates – dem Liberalismus und dem Republikanismus – mit seinem eigenen Deliberation bedeutet soviel wie Abwägen, Überle- politiktheoretischen Entwurf deliberativer Demo- gen, Beratschlagen, kann jedoch konzeptionell durch- kratie als vermittelndem Dritten zu begegnen.6 aus unterschiedlich verstanden werden: 1. selbst- 5 Vgl. Bettina Lösch: Deliberative Politik. Moderne Konzeptio- 3 Vgl. Colin Crouch: Postdemokratie, Frankfurt/Main 2008 nen von Öffentlichkeit, Demokratie und politischer Partizipa- 4 Vgl. Bettina Lösch: Die neoliberale Hegemonie als Gefahr für tion, Münster 2005 die Demokratie, in: Christoph Butterwegge/Bettina Lösch/Ralf 6 Vgl. Jürgen Habermas: Faktizität und Geltung. Beiträge zur Ptak: Kritik des Neoliberalismus, 2. Auflage, Wiesbaden 2008, Diskurstheorie des Rechts und des demokratischen Rechts- S. 221-284 staates, Frankfurt/Main 1998, S. 277ff.

379 SCHWERPUNKT

Die zahlreichen Ansätze, die mittlerweile in der kommen. Die kollektive Beratschlagung ist dann akademischen Debatte unter dem Label „delibera- ausdrücklich auf Entscheidungsfindung und Be- tive Demokratie“ firmieren, variieren stark. Einige schlussfassung ausgerichtet. Vertreter/-innen deliberativer Demokratie bezie- hen sich auf die diskurstheoretische Variante von Zieht man die deliberative Konzeption von Haber- Habermas und versuchen sie konzeptionell weiter- mas heran, ist zunächst auffällig, dass er zwei For- zuentwickeln oder auf die politische Praxis zu men von politischer Öffentlichkeit unterscheidet: übertragen.7 Andere haben gänzlich eigenständige Zum einen die demokratisch verfasste und regu- Konzeptionen vorgelegt, die weniger auf das for- lierte Öffentlichkeit des staatlichen Apparates und male Prozedere der Demokratie abheben, sondern zum anderen die mehr oder weniger spontane, eher moralphilosophische Anliegen verfolgen.8 So von schwachen Institutionen getragene politische sehen die einen die Debatte um deliberative De- Meinungs- und Willens- mokratie als ein reformistisches Projekt, das sich an Runde Tische, Bürger/ bildung der Zivilge- den internen Problematiken des politischen Libera- -innen-Jurys und sellschaft. Diese zweite lismus und dessen institutioneller Ausgestaltung -Konferenzen, Planungs- Ebene von Öffentlich- der liberalen, repräsentativen Demokratie abarbei- zellen, Mediations- keit verortet er in den tet. Andere wiederum erkennen darin die Chance verfahren und Nicht- vielfältigen zivilgesell- einer radikalen Politik, die in der Lage sei, die regierungsorganisatio- schaftlichen Assoziatio- Grundprämissen des politischen Liberalismus – et- nen) prägen das, was nen. Runde Tische, Bür- wa Freiheit höher zu gewichten als Gleichheit oder Habermas als nicht- ger/-innen-Jurys und die „Herrschaft des Rechts“ vor die „Volkssouverä- organisierte oder -Konferenzen, Planungs- nität“ zu setzen – zu hinterfragen und direktde- schwach institutionali- zellen, Mediationsverfah- mokratische Elemente zu stärken.9 sierte politische Öffent- ren sowie die kampag- lichkeit begreift nenbezogene Arbeit von Nichtregierungsorganisa- Grenzen und Chancen deliberativer tionen (NGOs) prägen das, was Habermas als nicht- Demokratie organisierte oder schwach institutionalisierte poli- tische Öffentlichkeit begreift.11 Sie bilden das Deliberation muss aber nicht notwendigerweise mit einer Ausweitung politischer Partizipation ein- hergehen. Einige Politikwissenschaftler/-innen ha- ben versucht, den Begriff der Deliberation für die neue Form der Regierungspolitik und die politische Verfahrensweise in der Europäischen Union nutz- bar zu machen.10 Je nach konzeptioneller Ausge- staltung kann Beratung stärker expertokratisch verstanden werden, wie etwa im Falle eines „deli- berativen Supranationalismus“ der Europäischen Union. Oder Deliberation erhält eine andere, stär- ker demokratische Ausrichtung, etwa dann, wenn Quelle: wikimedia commons, – wie in der Praxis sozialer Bewegungspolitik üb- lich – ein großer Ratschlag einberufen wird, um durch gemeinsame Beratung zu einem Ergebnis zu

7 Vgl. Seyla Benhabib: Ein deliberatives Modell demokratischer Huke, ©creative commons Fotograf: Wolfram Legitimität, in: Deutsche Zeitschrift für Philosophie, Jg. 43, Heft 1, S. 3-29; James Fishkin: The Voice of the People. Public Opinion and Democracy, New Haven/London 1995 8 Vgl. u. a. Amy Gutmann/Dennis Thompson: Deliberative De- mocracy Beyond Process, in: The Journal of Political Philosophy, Vol. 10, No. 2, 2002, S. 153-174 9 Vgl. John S. Dryzek: Deliberative Democracy and Beyond. Liberals, Critics, Contestations, Oxford/New York 2000 Jürgen Habermas bei einer Diskussion in der Hochschule 10 Vgl. Erik O. Eriksen/Christian Joerges/Jürgen Neyer (Hrsg.): für Philosophie München European Governance, Deliberation and the Quest for Demo- cratisation, Oslo 2003 11 Jürgen Habermas: Faktizität und Geltung, a.a.O., S. 451

380 SCHWERPUNKT

Netzwerk- und Assoziationswesen, das problemlö- Die Erklärungsversuche deliberativer Demokratie sende Diskurse zu Fragen von allgemeinem Interesse führten in der deutschen Diskussion deshalb nicht institutionalisiere und die Diskurse dann gefiltert selten zu einer eher bescheidenen Vorstellung von und lautverstärkend an die zweite Öffentlichkeit, politischer Beratung und Partizipation. Anstatt die die rechtsstaatlich verfasste regulierte Öffentlich- neuen Demokratieansätze zu einer anspruchsvollen keit, weiterleite. partizipatorischen Konzeption weiterzuentwickeln, blieb man in den Denkschemata pluralistischer Während bei Habermas Ziel und Fokus des demo- Demokratietheorien verhaftet. Pluralismustheore- kratischen Beratungsprozesses nach wie vor die tische Annahmen unterstellen gleiche Beteili- staatlichen Instanzen und Apparate darstellen, de- gungschancen unterschiedlicher gesellschaftlicher nen die politische Entscheidungshoheit vorbehal- Akteure und streben eine Ausbalancierung des de- ten bleibt, spielt in der US-amerikanischen Debatte mokratischen Machtkreislaufes an, indem sie den – auch in Bezug auf John Dewey – stärker das loka- „Input“ wie auch den „Output“ des politischen le und in den alltäglichen Lebensverhältnissen ver- Prozesses analysieren. Die Untersuchung des Inputs ankerte Demokratieverständnis eine Rolle. Amy soll Aufschluss über die Vorgänge der Meinungs- Gutmann und Dennis Thompson machen insofern und Willensbildung sowie der Entscheidungsfin- die „konkrete Beratung“ zwischen den Menschen dung liefern, während die Analyse des Outputs da- zum Dreh- und Angelpunkt ihrer Theorie, die an- zu dient, die Qualität des Regierens oder der politi- satzweise vorsieht, die Entscheidungs- und Kon- schen Steuerung zu bestimmen. Geht man von fliktlösung den einzelnen, konkret handelnden dieser Betrachtungsweise aus, dient der Delibera- und betroffenen Subjekten zu überantworten.12 tionsprozess lediglich der effizienten Zuarbeitung der Bürger/-innen bzw. der Zivilgesellschaft zu den Anders als die Vorläufer der partizipatorischen De- staatlichen Instanzen und wird nicht als Verfahren mokratietheorien, wie sie etwa von feministischer der Selbstaufklärung verstanden, in dem die Bür- Seite formuliert wurden,13 oder der Öffentlichkeits- ger/-innen politische Handlungserfahrung erwer- theorie von Dewey in den 1920er-Jahren erman- ben und ein kritisches Urteilsvermögen ausbilden. gelt es den deliberati- Den deliberativen ven Konzeptionen meist Des Weiteren ist die Zivilgesellschaft – wie die the- Konzeptionen erman- an kritischen Zeitdiag- oretischen Annahmen häufig nahe legen – keine gelt es meist an kriti- nosen. Dewey verfasste Sphäre konsens- und verständigungsorientierten schen Zeitdiagnosen sein zentrales Werk „Die Handelns, sondern vielmehr ein Ort widerstreiten- Öffentlichkeit und ihre der Interessen und gesellschaftlicher Kräfteverhält- Probleme“ (2001/1927) in kritischer Auseinander- nisse. Mit der einseitigen Fokussierung auf zivilge- setzung mit einem der Gründungsväter neolibera- sellschaftliche Akteure ler Theoriebildung: Walter Lippmann. Er beschrieb Mit der einseitigen und Prozesse, wie sie die und analysierte die gesellschaftlichen Herausforde- Fokussierung auf zivil- deliberative Demokratie- rungen und demokratischen Probleme, die mit der gesellschaftliche Akteu- theorie vornimmt, gera- Industrialisierung und dem Aufstieg des Kapita- re und Prozesse geraten ten die Herrschafts- und lismus auftraten. Zwar wird heutzutage in einigen die Herrschafts- und Machtstrukturen eta- Ansätzen deliberativer Demokratie – insbesondere Machtstrukturen eta- blierter politischer Insti- der angelsächsischen Diskussion – thematisiert, blierter politischer In- tutionen und Verfahren dass etwa soziale und materielle Ungleichheit zur stitutionen und Verfah- sowie die sich vollzie- Ungerechtigkeit politischer Verfahren beitrage ren aus dem Blickfeld henden Veränderungen und dies ein maßgebliches Problem liberaler De- auf globaler politischer mokratien darstelle. Dennoch bleibt aufgrund des Ebene aus dem Blickfeld der demokratietheoreti- Fehlens einer tiefgreifenden gesellschaftskriti- schen Analyse. Es bleibt dabei empirisch unge- schen Analyse meist die Frage unbeantwortet, wo- klärt, welchen Einfluss die neuen Formen delibera- her diese sozialen Probleme der Demokratie ei- tiver Demokratie auf die herrschenden staatlichen gentlich rühren. Institutionen und Verfahren der Gesetzgebung haben. Auch wenn diese demokratietheoretischen Neuerungen nicht dazu geeignet sind zu beurtei- len, in welcher Verfassung sich die liberalen De- 12 Vgl. Amy Gutmann/Dennis Thompson: Deliberative Demo- mokratien derzeit befinden, so liefern sie eine al- cracy Beyond Process, a.a.O. ternative Perspektive auf Politik, die für die 13 Vgl. Carol Pateman: Participation and Democratic Theory, politische Bildungsarbeit grundlegend ist und Cambridge Orientierung bietet.

381 SCHWERPUNKT

Deliberative Elemente in der schen Ansätze beabsichtigen einerseits, der gesell- politischen Bildung schaftlichen Politik(er)verdrossenheit entgegenzu- wirken, sowie andererseits die demokratischen Die neuen demokratietheoretischen Ansätze eröff- Kompetenzen und das Demokratiebewusstsein der nen ein Verständnis von Politik, das über ein rein Schüler/-innen zu stärken. Die moderne, innovative formales, funktionales oder konfliktorientiertes Schule soll dadurch zur Lernstätte der Demokratie hinausweist, weshalb ich in einem umfassenderen werden. Sinne eine Konzeption deliberativer Politik statt deliberativer Demokratie vorschlage.14 In einigen Schulen sind allerdings in der Regel keine demo- der deliberativen Ansätze wird deutlich, dass De- kratischen (Lern-)Orte, sondern nach wie vor auto- mokratie mehr ist als nur ein institutionelles De- ritär strukturiert und, wie in Studien von PISA bis sign oder eine Verfahrensweise zur politischen Ent- IGLU vielfach belegt, Reproduktionsstätten sozia- scheidungsfindung. Demokratie gründet auf der ler Ungleichheit. Das partizipatorische Element der politischen Handlungsfähigkeit und -bereitschaft Deliberationsforen liegt in der Erweiterung der der Menschen und kann schnell schwinden oder Lernformen des schulischen Unterrichts (über den sich in eine Chimäre verwandeln, wenn diese maß- doch weitestgehend noch üblichen Alltag des gebliche Ressource verloren geht. Frontalunterrichts hinaus). Für die didaktische Ein- lösung des Anspruchs der Handlungsorientierung In der Politikdidaktik wird derzeit versucht, den reicht eine Befähigung zum kommunikativen Han- Demokratiebegriff als fördernden Sympathieträ- deln und demokratischen Sprechen allerdings ger geltend zu machen, nicht aus. Aus demokratie- und subjekttheoreti- In der Politikdidaktik anstatt den missliebigen scher Sicht stellt sich bspw. die Frage, inwiefern der wird derzeit versucht, Begriff „Politik“ als Kern Erwerb demokratischer, staatsbürgerlicher Kompe- den Demokratiebegriff politischer Bildung zu tenzen einen Bildungsüberschuss für das Subjekt als fördernden Sympa- begreifen.15 Demokratie- bewirkt bzw. dessen kritische Urteilsfähigkeit thieträger geltend zu pädagogische Ansätze stärkt. Politische Bildungsarbeit soll mit ihrem An- machen, anstatt den gehen in Anlehnung an spruch der Mündigkeit und der Autonomie des missliebigen Begriff die angelsächsische Tradi- Subjekts nicht nur zur Teilhabe an den bestehen- „Politik“ als Kern tion der citizenship edu- den Strukturen, sondern auch zur begründeten politischer Bildung cation und die demokra- Kritik an diesen befähigen. Die schulische Demo- zu begreifen tietheoretischen Arbei- kratiepädagogik zielt zuvorderst auf eine „Erzie- ten von Dewey von ei- hung zu Demokratie“, die eine kritische Gesell- nem lebensweltlich verankerten Demokratiebe- schaftsanalyse oftmals ausblendet und nicht nach griff aus. Demokratie wird nicht nur als Herr- den sozialen Voraussetzungen von Demokratie schafts- und Regierungsform verstanden, sondern und demokratischer Teilhabe fragt. es wird den demokratischen Verhältnissen in ge- sellschaftlichen Bereichen wie Familie, Schule, Ver- ©Templermeister/pixelio ein oder Betrieb Beachtung geschenkt.16 Im Rah- men des BLK-Projekts „Demokratie lernen und leben“ wurden – inspiriert durch die deliberativen Demokratietheorien und deren Umsetzung der de- liberative pollings (deliberative Meinungsumfra- gen) von James Fishkin – in den vergangenen Jah- ren so genannte „Deliberationsforen“ an Schulen ausprobiert.17 Die schul- und demokratiepädagogi-

14 Vgl. Bettina Lösch: Deliberative Politik, a.a.O. 15 Vgl. Ingo Juchler: Worauf sollte die politische Bildung zie- len: Demokratie-Lernen oder Politik-Lernen?, in: Politische Bil- dung, Jg. 38, Heft 1, S. 101 Sind Schulen keine demokratischen Lernorte? 16 Vgl. Gerhard Himmelmann: Demokratie-Lernen als Lebens-, Gesellschafts- und Herrschaftsform, Schwalbach/Ts. 2002 Die außerschulische politische Bildungsarbeit blickt 17 Vgl. Anne Sliwka: Das Deliberationsforum. Eine neue Form hier auf eine gänzlich andere Tradition der Befähi- des politischen Lernens in der Schule, Berlin 2005; siehe gung und Ermächtigung der Subjekte zurück. Die http://www.blk-demokratie.de/fileadmin/public/dokumente/ außerschulische politische Bildungsarbeit ist und Sliwka2.pdf, 30.9.2008 war in ihrer emanzipatorischen Ausrichtung und

382 SCHWERPUNKT

Die außerschulische deren Rückbindung an rative Politik könnte dazu beitragen, die Gesell- politische Bildungs- die sozialen Bewegungen schaft bereits als politische Sphäre zu begreifen, in arbeit ist und war in – seien es die Bildungs- der wichtige Aushandlungen stattfinden und Ent- ihrer emanzipatorischen einrichtungen und -for- scheidungen vorbereitet bzw. getroffen werden. Ausrichtung und deren men der Arbeiter-, Frau- Benedikt Widmaier schlägt bspw. vor, Konzepte Rückbindung an die en- oder der neuen des „Learning active Politics“ zu entwickeln, die sozialen Bewegungen sozialen Bewegungen – weniger an sozialem Lernen als an politischer Bil- immer schon Ort und immer schon Ort und dung und Partizipation orientiert sind.19 Gelegenheit delibera- Gelegenheit deliberati- tiver Politik ver Politik.18 Politische Eine neue Chance für Eine neue Chance für Bildung in ihrer selbstor- partizipatorische und partizipatorische und de- ganisierten, nicht staatlich-institutionellen Form ist deliberative Ansätze liberative Ansätze liegt zum einen „beratungsorientiert“ und zwar in ei- liegt möglicherweise möglicherweise in dem nem demokratischen und nicht im expertokrati- in dem Zusammenspiel Zusammenspiel von schu- schen Sinne, indem sie der Selbstaufklärung und von schulischer und lischer und außerschuli- der gemeinsamen Beratung dient. Zum anderen ist außerschulischer scher (Jugend-)Bildung die politische Bildungsarbeit eines der wichtigsten (Jugend-)Bildung in in den Ganztagsschulen und tragfähigsten Fundamente für den politischen den Ganztagsschulen – ohne diese mit Ansprü- Meinungs- und Willensbildungsprozess. Wo sind chen überfrachten zu heute noch Orte zu finden, in denen (kritisches) wollen. Hier entsteht jedoch ein (Handlungs-)Raum Wissen über politische, d. h. über die allgemeinen für neue Formen politischer Partizipation, und Angelegenheiten der res publica, angeeignet und durch das Zusammentreffen unterschiedlicher debattiert werden kann? Wo, wenn nicht in Semi- Handlungslogiken eröffnet sich die Möglichkeit naren der politischen Bildungsarbeit vergewissern der kritischen Reflexion der Institution Schule und und beraten sich Bürger/-innen über die politi- des bisherigen Charakters schulischer politischer schen und gesellschaftlichen Verhältnisse, in denen Bildung. Für die politische Bildung bedeutet dies, sie leben, und stellen Überlegungen an, wie man den Politikbegriff nicht leichtfertig aufzugeben politisch gestaltend eingreifen kann? und durch einen emphatischen oder gar unpräzi- sen Demokratiebegriff zu ersetzen, wie es in der Politische Bildungsarbeit bleibt in ihren Potentialen Demokratiepädagogik häufig der Fall ist. Im unausgeschöpft, wenn sie – wie heutzutage üblich – Gegenteil: Die politische Bildung braucht einen zuvorderst als Erwerb von Schlüsselqualifikationen differenzierten und geschärften Begriff von Poli- verstanden wird. Die damit verbundenen Emanzi- tik, den die deliberativen Demokratietheorien lie- pationsversprechen werden in der Regel nicht er- fern können, ohne dabei eine neue „große Erzäh- füllt, denn diese Kompetenzen helfen nicht weiter, lung“ zu sein. die gesellschaftlichen Verhältnisse und politischen Transformationsprozesse zu begreifen. Das Verste- hen von gesamtgesellschaftlichen Zusammenhän- Dr. Bettina Lösch ist wissenschaftliche Assisten- gen sowie von Macht- und Herrschaftsprozessen tin im Lehr- und Forschungsbereich Politik- ermöglicht den Subjekten dagegen, ihr Handeln wissenschaft der Humanwissenschaftlichen selbst zu bestimmen und Veränderungen herbeizu- Fakultät der Universität Köln. Arbeitsschwer- führen. Deliberative und partizipatorische Ansätze punkte: Demokratietheorien, Globalisierung/ müssen insofern nicht notwendigerweise die Zivil- Neoliberalismus, Politische Bildung. gesellschaft als „Schonraum“ von politischen Erreichbar über die Universität Köln, Macht- und Herrschaftsverhältnissen verstehen. Institut II: Politikwissenschaft, Das Problem besteht nicht darin, dass Erwachsene Gronewaldstraße 2, 50931 Köln. und Jugendliche kein soziales Engagement auf- bringen, sondern dass sie dieses Engagement als E-Mail: [email protected] „unpolitisch“ bezeichnen und eine Ablehnung gegenüber dem politischen System äußern. Delibe- 19 Vgl. Benedikt Widmaier: Partizipation – Demokratie – Inter- 18 Vgl. Paul Ciupke: Die Protestbewegung in den 60er Jahren nationale Jugendarbeit, siehe http://www.jugend-global- und die außerschulische politische Bildung, in: Außerschulische 2020.de/pdf/Aktive_Buergerschaft_und_Demokratie.pdf, Bildung, 2-2008, S. 172-180 30.09.2008

383 SCHWERPUNKT

Für die Zukunft gut beraten – die Arbeit der politischen Stiftungen Michael Borchard/Melanie Piepenschneider

In Zeiten von Politik- und Politikerverdrossenheit Politische Willensbildung in wird Politikberatung allerorten gefordert und nach- unübersichtlichen Zeiten gefragt – auch bei den politischen Stiftungen. Da- bei arbeiten diese Einrichtungen auf der Basis ei- Artikel 21 des Grundgesetzes weist – fußend auf nes jeweils spezifischen Wertehintergrunds. Dieser den Weimarer Erfahrungen – den politischen Par- Orientierungsrahmen versetzt sie in die Lage, Pro- teien eine entscheidende Rolle bei der Fortentwick- bleme und Herausforderungen der Gesellschaft lung der parlamentarischen Demokratie und der Zu- der Zukunft zu analysieren und Lösungsvorschläge kunftsgestaltung in unserem Land zu: Sie sollen an zu erarbeiten. der demokratischen Willensbildung des Volkes mit- wirken. Somit sind die Parteien – und aus ihnen nach den Wahlen hervorgehend die Fraktionen in Die politischen Stiftungen sind eine Besonderheit den Parlamenten in Bund und Ländern und Kom- der Bundesrepublik Deutschland; es gibt keine ver- munen – die wichtigsten Organisationen im politi- gleichbaren Einrichtungen auf der Welt. Sie bezie- schen Prozess, auch wenn sie nach herrschender hen ihre Legitimation aus den Erfahrungen mit der Lehre kein Monopol dafür besitzen, sondern ihnen Gleichschaltung in einer Diktatur und haben den lediglich eine „Mitwirkung“ bei der Willensbildung öffentlichen Auftrag, in pluraler Struktur die De- zukommt. Aber die Mitgliederzahlen schrumpfen mokratie zu fördern und zu stärken – im In- wie im und die Bindungen zwischen den Wählerinnen und Ausland. Da keine Demo- Wählern und ihren Parteien werden immer brüchi- Politische Bildung kratie ohne politisch ge- ger. ist eine der Kernauf- bildete Bürgerinnen und gaben der politischen Bürger auf Dauer beste- Darüber hinaus schlägt sich im politischen Betrieb Stiftungen hen kann, „wetterfeste“ die „neue Unübersichtlichkeit“, von der Habermas Demokraten vielmehr gesprochen hat, nieder. Die Problemstellungen Voraussetzung für eine lebendige Demokratie sind, und Herausforderungen sind zweifelsohne kompli- ist politische Bildung eine der Kernaufgaben der zierter und vielschichtiger geworden: Nationale politischen Stiftungen. und supranationale Ebenen sind in einer vernetz- ten und globalisierten Welt nicht mehr eindeutig Politische Bildung kann aber nicht „alleine“ und im zu trennen; Außen- und Innenpolitik gehören in- „luftleeren“ Raum existieren, sondern steht in Ab- zwischen weitestgehend zusammen, Wirtschaft und hängigkeit zu dem zu vermittelnden Gegenstand: Finanzmärkte sind – wie wir in den Zeiten der Fi- der Politik – zu den dort handelnden Personen, den nanzmarktkrise schmerzhaft verspüren mussten – Entscheidungsprozessen, den Politikfeldern und den intensiv miteinander verwoben. Nationale Maß- Parteien. nahmen alleine greifen zu kurz und reichen in ihrer Wirkung nicht aus. Diese und andere Veränderun- gen führen – frei nach Kant – dazu, dass die Not- wendigkeit zu entscheiden weiter reicht als die Mög- lichkeit der Erkenntnis. Mit der „neuen Unübersicht- lichkeit“ schwindet nicht zuletzt die Transparenz po- litischen Handelns.

Auch sind zugleich die We- ge zu den Bürgerinnen und Bürgern komplizierter ge- worden. Politische Entschei- dungen erscheinen in ihrer medialen Darstellung im- mer kleinteiliger und un- durchsichtiger. Der Trend, © Konrad-Adenauer-Stiftung den die Journalistin Tissy Wege zu Bürgern und Bürgerinnen suchen: Wasserwerkgespräch der KAS in Bonn Bruns vom Berliner Tages-

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spiegel kürzlich selbstkritisch zum Ausdruck brach- Wertgebundene Politische Beratung te, dass die Politik nicht ohne die Medien, die Me- dien zunehmend aber ohne Politik auskommen, ist Diese Notwendigkeit trifft auf eine inzwischen – insbesondere im Blick auf das Angebot der Privat- ebenso deutlich veränderte Landschaft politischer sender, aber zunehmend auch im öffentlich-recht- Beratung. Seit dem Umzug der Regierung von lichen Fernsehen und in der Tagespresse – nicht zu Bonn nach Berlin hat sich die Zahl der aktiven Poli- übersehen. Wer heute als Politiker zum Wähler tiker nur wenig verändert. Die Zahl der politischen durchdringen und Interesse wecken will, muss bis- Berater allerdings hat sich seitdem beinahe ver- weilen aus Mücken Elefanten machen und aus nach- vierfacht. Warum gilt heute trotzdem immer noch, rangigen Details nicht selten vordergründige Skan- was Roman Herzog schon zu Zeiten seiner Präsi- dälchen und Skandale produzieren. Politik wird dentschaft kritisch fragte: „Warum ist in Amerika damit aber nicht nachvollziehbarer: Wer – selbst in Politikberatung selbstverständlich, während sie bei großen Teilen der gesellschaftlichen Eliten – sähe uns doch eigentlich immer noch als Luxus gilt?“. sich beispielsweise dazu in der Lage, die detaillier- Auch das deutlich ausgeprägte Angebot an kom- ten Streitfragen der Gesundheitsreform auch nur merzieller und nicht kommerzieller Beratung in Ber- einigermaßen hinreichend zu erklären? Dies wiede- lin hat nicht dazu geführt, dass Beratung bei den rum – und so schließt sich der Teufelskreis – trägt zu Beratenden wesentlich mehr Gehör findet. Die nicht gerade dazu bei, den Eindruck des „Durch- Wochenzeitung DIE ZEIT hat kurz nach der Wahl wurstelns“ und des Fehlens einer klaren strategi- 2005 sogar betont, Spin-Doktoren, Think-Tanks und schen Zukunftsausrichtung sowie einer relativ kon- Agenturen verlören massiv an Einfluss und die poli- sistenten Einheit aus Grundsatzprogrammatik und tischen Entscheidungsträger verließen sich zuneh- politischem Handeln zu vermeiden. mend auf ihren eigenen Instinkt.

Tatsache ist, dass gerade in Zeiten des viel zitierten Es scheint immer noch zutreffend zu sein, was der „volatilen Wählers“, der sich buchstäblich in der Economist kürzlich in einem Artikel mit dem schö- letzten Minute entscheidet, Angebote von den nen Titel „Pennies for their thoughts“ festgestellt Parteien unterbreitet werden müssen, die solche hat: „Wenn eine Nation Immanuel Kant und Georg beschriebenen Unsicherheiten nehmen, die lang- Hegel hervorgebracht hat, sollte man davon aus- fristige Orientierung und eine Basis an Grundhal- gehen dürfen, dass das Denken zu ihren großen tungen, Erkenntnissen und Lösungsansätzen bie- Stärken gehört. Aber ten, die zur Identifikation und zur langfristigen Strenge wissenschaft- wenn es um Reflektio- Bindung einladen. Ein liche Neutralität galt nen geht, die eher prak- Wer durch Täler führen glaubwürdiges und rea- als die Prämisse für tischer Natur sind, bleibt will, muss die Gipfel listisches „Zukunftsver- Politikberatung in der ‚Deutsche Weg‘, klar vor Augen haben sprechen“ muss gefun- Deutschland schlechthin neue Ideen zu generie- den werden. Dies gilt ren, weit hinter den Er- insbesondere dann, wenn in schwierigen Um- wartungen zurück.“ Mit anderen Worten: Wenn es bruchzeiten Entscheidungen getroffen werden so etwas wie eine „Think-Tank-Kultur“ in Deutsch- müssen, die unpopulär sind. Im Bewusstsein der Er- land gibt, dann ist sie vor allem akademisch. „No kenntnis, dass eine „Kassandra“ selten auf Zustim- Ideology please, we‘re German“, wie der Econo- mung stößt und meistens derjenige bestraft wird, mist weiter betonte, war über Jahrzehnte das Mot- der den Menschen notwendige Einschnitte zumu- to der Politikberatung in Deutschland. Strenge wis- tet, ist der klare Kompass umso wichtiger: Wer senschaftliche Neutralität galt als die Prämisse durch Täler führen will, muss die Gipfel klar vor schlechthin. Augen haben. Dabei erscheint doch evident, dass gerade in Zei- Politikerinnen und Politiker können diese schwieri- ten, in denen Parteien und Politikverantwortliche ge Aufgabe, die unbedingt den sogenannten „vor- mit Misstrauen betrachtet werden und ihnen die politischen Raum“ mit einbeziehen muss und die Lösungskompetenz abgesprochen wird, politische deshalb unbedingt auch neue Aufbrüche in der po- Beratung ohne jede ethische Komponente und litischen Bildung erfordert, nicht mehr nur aus der Wertgrundlage, ohne ein tiefes Verständnis der Leistungsfähigkeit der eigenen Kapazitäten heraus Werte und Traditionen einer Partei, technisch und bewältigen. In einer solchermaßen komplex ge- damit wenig hilfreich sein wird. In eben diese wordenen Welt ist Unterstützung bei der Erarbei- „Marktlücke“ können politische Stiftungen bei der tung neuer Leitbilder und Politikentwürfe unab- politischen Zukunftsgestaltung mit ihrem spezifi- dingbar. schen Angebot durchaus stoßen.

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liche Richtung ist durchaus ein Vorteil für eine unver- wechselbare Stimme im Konzert der politischen Be- rater: Eine realitätsnahe politische Beratung kann aus der Tatsache erwach- sen, dass die Experten der Stiftung über intensive Kenntnis der politischen und programmatischen Ausrichtung der jeweiligen Partei verfügen.

Mit ihrem spezifischen Pro- fil kann die Stiftung ethisch fundierte Beratung betreiben, die – im Falle der Konrad-Adenauer-Stif- © Konrad-Adenauer-Stiftung tung – das christliche Men- Schloss Eichholz, Stätte politischer Bildung der Konrad-Adenauer-Stiftung schenbild in den Mittel- punkt stellt. Dies ist das „Politischer Diskurs und politische Entscheidungs- zweite – bereits erwähnte – Merkmal, das sie für findung“, so eine gemeinsame Erklärung zur staat- die Erforschung von „Zukünften“ prädestiniert und lichen Finanzierung der politischen Stiftungen, „set- von anderen Institutionen unterscheidet. Durch zen Information und ethisch-politische Orientierung diese Brille betrachtet, geht es dann eben nicht nur voraus. Politische Orientierung bietende Bildungs- um die größte Effektivität des föderalen Systems, arbeit nicht-staatlicher Bildungsträger, die auch po- sondern um die Durchsetzung eines Prinzips, das litische Forschung, Information und Beratung sowie dem Menschen besonders gerecht wird und Räume Begabtenförderung umfasst, ist eine notwendige der Sicherheit und Entfaltung bietet: dem der Sub- Voraussetzung für die Entfaltung politischer Frei- sidiarität. So gesehen geht es eben nicht nur um heit und sichert den Fortbestand des freiheitlichen „mehr Wettbewerb im Gesundheitswesen“, son- pluralistischen Gemeinwesens.“ In dieser gemein- dern um ein System, das Wettbewerb und einen samen Erklärung haben die Stiftungen als eines ih- humanen Umgang miteinander vereinbart. Das ist rer Ziele formuliert, „durch Wissenschaftsförderung, nur eine Reihe von Beispielen, die sich lange fort- politische Forschung und Beratung Grundlagen po- setzen ließe. litischen Handelns zu erarbeiten sowie den Dialog und Wissenstransfer zwischen Wissenschaft, Poli- tik, Staat und Wirtschaft zu vertiefen“. Politische Stiftungen als Zukunftsagenturen

Die politischen Stiftungen verfolgen diesen Auftrag Wenn sich die politischen Stiftungen auf das kon- der Zukunftsgestaltung vor ihrem jeweiligen spezi- zentrieren, was sie im weltweiten Vergleich einzig- fischen Wertehintergrund. „Ausgangs- und Orien- artig und ihre Arbeit zum Erfolg gemacht hat, sind tierungspunkt für die Konrad-Adenauer-Stiftung sie sehr wohl dazu in der Lage, im Konzert der Poli- ist“, wie es in ihren Leit- tikberater einen eigenen Part zu spielen: Von ihrer Ein klarer Wertehinter- linien heißt, „das christ- Gründung an hat die Konrad-Adenauer-Stiftung grund bindet die Stif- liche Verständnis vom und haben auch die anderen politischen Stiftun- tung in ihrer Arbeit Menschen als Geschöpf gen immer auch den Anspruch gehabt, auf das po- und ist gleichsam der Gottes in seiner Gleich- litische Klima und auf Entscheidungen zumindest Rahmen für ihre politi- wertigkeit, Verschieden- mittelbar einzuwirken. Dies tun sie, indem sie sche Beratungs- und artigkeit und Unvoll- Bildungsarbeit kommenheit“. Dieser ■ Orientierung bieten und durch die „Vermitt- klare Wertehintergrund lung politischer Bildung die Beschäftigung der bindet die Stiftung in ihrer Arbeit und ist gleichsam Bürgerinnen und Bürger mit politischen Fragen der Rahmen für ihre politische Beratungs- und Bil- anregen sowie ihr politisches Engagement för- dungsarbeit. Eine solchermaßen klare weltanschau- dern und vertiefen“;

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■ über ihre Begabtenförderungswerke qualifi- tegischen Denkens, die Chance, wie es in der Sat- zierten Führungsnachwuchs für Politik und Ge- zung der Konrad-Adenauer-Stiftung heißt, sellschaft gefördert und herausgebildet ha- „Grundlagen politischen Wirkens“ zu erarbeiten. ben; ■ weltweit für Frieden, Verständigung, Meinungs- Wenn die politischen Stiftungen nachhaltig, lang- freiheit, Rechtstaatlichkeit und Demokratie ein- fristig, substanzreich und vernetzt mit anderen In- treten; stitutionen arbeiten, sind sie dazu in der Lage, als ■ mit eigenen Experten Veränderungswissen erar- Seismograf zu dienen, der politisch bedeutsame beitet und Strategien für die Umsetzung dieses Entwicklungen und Zukunftsfragen identifiziert Wissens aufgezeigt haben. und artikuliert, als eine Art „Frühwarnsystem“ für politische Entscheidungsträger. Hierbei muss die vor- Der Einfluss der politi- Dieser Einfluss der poli- handene klare weltanschauliche Orientierung seri- schen und parteinahen tischen und parteinahen ös vertreten werden. Mit Gefälligkeitsberatung Stiftungen ist vom Stiftungen ist vom Staat wäre keinem Entscheider gedient. Im Gegenteil: Staat durchaus gewollt durchaus gewollt. Die Politiker verlangen gerade von solchen Beratern, Willensbildung des Vol- die ihrer Ausrichtung besonders nahe stehen, auch kes kann von den Parteien nicht ausschließlich und eine besonders umfassende und vor allem glaub- alleine organisiert werden. Dafür brauchen sie würdige Beratung. Transmissionsriemen zwischen sich und den Bürge- rinnen und Bürgern. Die Stiftungen, die weit über- Auch die politischen Auch die politischen Stif- wiegend aus staatlichen Mitteln finanziert wer- Stiftungen stehen tungen stehen vor dem den, ziehen aus dieser Unterstützungsleistung ihre vor dem klassischen klassischen Problem, Po- Legitimation. Problem, Politik und litik und Wissenschaft in Wissenschaft in einen einen verwertbaren Ein- Der besondere Vorteil der Stiftungen liegt aller- verwertbaren Einklang klang zu bringen, das Ul- dings nicht alleine in der Nähe zu ihrer jeweiligen zu bringen rich Heilemann treffend Partei, sondern paradoxerweise zugleich in einer beschrieben hat: „Der Po- gewissen Distanz zu ihrer jeweiligen Partei. Es ge- litiker erwartet political advice, der Berater will hört – freilich in unterschiedlichem Ausmaß – zum aber meist nur policy-advice geben – ein Konflikt, Selbstverständnis der politischen Stiftungen, „dass der in Deutschland besonders stark empfunden sie von den Parteien rechtlich und tatsächlich un- wird.“ Dieses Dilemma ist auch für die politischen abhängig sind und ihre Aufgaben selbstständig, ei- Stiftungen nicht vollständig aufzulösen. Dabei spielt genverantwortlich und in geistiger Offenheit“ (so nicht nur die erwähnte Tatsache eine Rolle, dass die gemeinsame Erklärung) wahrnehmen. Wären politische Stiftungen und Parteien durch die staat- die Stiftungen lediglich erweiterte „Parteizentra- liche Finanzierung eine gewisse Distanz zueinan- len“, dann hätten sie kaum eine reelle Chance auf der wahren müssen. Vielmehr geht es auch darum, politische Relevanz: Anders als Partei und Fraktion dass die Stiftung sich nur dann im Bereich der poli- stehen sie nicht unter dem permanenten Druck der tischen Beratung nachhaltig profilieren kann, wenn Tagesaktualität. Daraus erwächst die Chance stra- sie die aktuellen politischen Notwendigkeiten nicht außen vor lässt und sich gleichwohl intensiv und © Deutscher Bundestag/Lichtblick/Achim Melde substanzreich den langfristigen Herausforderungen widmet.

Für die politischen Stiftungen gilt demnach auch, was verschiedentlich als Defizit vieler deutscher Beratungsinstitutionen und Think Tanks ausgemacht worden ist: Eine Grundregel für einflussreiche und erfolgreiche Politikberatung ist das „Denken auf Vorrat“. Sie muss der politischen Tagesordnung der Politik ein Stück voraus sein. Zugleich darf sie von der Agenda aber nicht völlig distanziert und ent- rückt sein. Beide – tagesaktuelle Maßnahmen und grundsätzliche Arbeit – müssen in einem vernünfti- gen Verhältnis zueinander stehen und miteinander Dr. Bernhard Vogel, Vorsitzender der Konrad-Adenauer- verbunden sein. Sonst besteht entweder die Gefahr, Stiftung in orientierungslosen Aktionismus abzugleiten

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oder Grundsatzdebatten zu führen, die theoretisch Kompetenz und Glaubwürdigkeit und damit wirkungslos bleiben. Die Chance, dass wissenschaftlich fundierte Erkenntnisse und Emp- Es ist so, wie es der ehemalige Generalsekretär der fehlungen im politischen Betrieb Gehör finden, ist Konrad-Adenauer-Stiftung, Wilhelm Staudacher, in dann größer, wenn die Lösungsvorschläge mit dem einem Beitrag über die politische Kommunikation Kalender der Politik und mit herausragenden Er- festgestellt hat: „Kompetenz und Glaubwürdigkeit eignissen – wie Wahlen, Legislaturperioden, Gip- sind für einen öffentlichkeitsorientierten Think Tank feltreffen, Parteitagen – eng verknüpft werden. mithin die Grundvoraussetzungen erfolgreicher Deshalb dürfen die politischen Stiftungen nicht al- Kommunikation. Nur diese Eigenschaften schaffen lein in der passiven Rolle des „Informationsdienst- Zugang – Zugang zu Entscheidern und Meinungs- leisters“ verharren. Sie müssen noch mehr als bisher führern in Politik, Verwaltung, Wirtschaft und Ge- ein Gespür für Themen, sellschaft – und Zugang zu den Medien.“ Die Stiftungen müssen für den Zeitpunkt und ein Gespür für Themen, für die Präsentation ih- Zur Glaubwürdigkeit gehört Transparenz des Han- für den Zeitpunkt und rer Ergebnisse in der Öf- delns. Es gehört zum Selbstverständnis der politi- für die Präsentation fentlichkeit entwickeln. schen Stiftungen, ihre Ressourcen mit größtmögli- ihrer Ergebnisse in Gerade weil sie nicht chem Nutzen einzusetzen und darüber öffentlich der Öffentlichkeit ent- auftragsabhängig sind, Rechenschaft abzulegen. Alle Untersuchungen, die wickeln haben die politischen die Stiftungen erarbeiten, müssen veröffentlicht, Stiftungen hier beson- alle Maßnahmen – ob Kongresse, Seminare oder dere Chancen, aber auch eine besondere Verant- Vortragsveranstaltungen – öffentlich zugänglich ge- wortung. Denn letztlich treten sie damit nicht nur macht werden. Diese Rechenschaftspflicht und der als politisch beratende Institution, sondern zu- Anspruch der Stiftungen, durch ihre Arbeit in die gleich als Akteur, ein Akteur der Agenda-Setting Öffentlichkeit hineinzuwirken, nehmen sie vor betreibt, hervor. Dazu gehört bisweilen auch, dass dem Vorwurf der Kungelei und der Undurchsich- die Stiftungen mit aller Sensibilität den Mut auf- tigkeit in Schutz, der nicht selten an politikberaten- bringen müssen, Fehlentwicklungen und Versäum- de Agenturen und Institutionen gerichtet wird. nisse auch bei den Parteien offen anzusprechen, denen sie nahe stehen. Als so beschriebener Ak- Zur Transparenz gehören auch die Offenlegung der teur, der im Umfeld der jeweiligen Partei an der Methoden politischer Beratung und – falls notwen- Willensbildung des Volkes mitarbeitet, verfügen dig – ihre Problematisierung. Vor welchen spezifi- die Politischen Stiftungen über interessante Poten- schen Problemen stehen politische Stiftungen, wo tiale bei der Zukunftsgestaltung. liegen ihre besonderen Methoden? Sind politische Stiftungen zur Kritik an © Konrad-Adenauer-Stiftung den politischen Akteuren, die sie beraten, fähig?

Was die politische Stiftung als agierende Institutionen unverwechselbar macht, ist die ungewöhnliche Breite ihres Instrumentariums: Sie kann – am Beispiel der Kon- rad-Adenauer-Stiftung auf- gezeigt – begabten Nach- wuchs fördern und verfügt damit über ein Netz von ei- nigen tausenden aktiven und ehemaligen Stipendia- tinnen und Stipendiaten im In- und Ausland, die nach Abschluss ihres Studi- ums zumeist Schlüsselposi- tionen in Politik, Gesell- schaft und Wirtschaft KAS-Tagung in Berlin einnehmen. An nicht weni-

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gen Kabinettstischen der Welt – die deutschen ein- der Auseinandersetzung mit Extremismus schulen geschlossen – sitzen Altstipendiatinnen und -sti- und ausbilden. Ihre Stipendiatinnen und Stipendia- pendiaten der Konrad-Adenauer-Stiftung. Sie ver- ten kann die Stiftung nach der Schulung in Semina- fügt über die Möglichkeiten der politischen ren und Workshops als Multiplikatoren einsetzen. Bildungsarbeit in sechzehn Bildungswerken und Die Erfahrungen, die die Stiftung in den jeweiligen -zentren vor Ort und damit auch über Chancen, re- Bereichen macht, kann sie wiederum bei der Erar- gional gestreut zum Bewusstseinswandel beizutra- beitung von gemeinsamen Strategien mit politi- gen. Durch ihre Landesbeauftragten in den schen Entscheidungsträgern im Sinne politischer Be- Bundesländern hat sie regionale Netzwerke in ge- ratung entsprechend nutzbar machen. sellschaftlichen Gruppen, Kirchen und Verbänden geschaffen. Sie verfügt über rund 70 Außenstellen Wer auch immer Politische Beratung betreibt – in aller Welt mit jahrzehntelanger Erfahrung auf seien es die Mitarbeiter der Politiker, sei es die poli- den Gebieten Demokratieförderung und Entwick- tische Stiftung, sei es das wissenschaftliche Institut, lungspolitik. Sie verfügt über eigene Forschungs- der Unternehmensberater oder die Politikberatungs- kapazitäten und zugleich über ein umfangreiches firma – an einer Erkenntnis und einer Beschrän- politisches Archiv. kung des eigenen Handelns, die der „Gottvater“ aller politischen Beratung, Niccolo Machiavelli, meisterhaft formuliert hat, kommt wohl niemand Beispiel: Bekämpfung von Extremismus und ernsthaft vorbei: Ein Fürst, der nicht von sich aus Populismus weise ist, wird auch niemals gut beraten werden Um den Wert dieses Gesamtpotentials für die Zu- können. Gerade deshalb ist der Ansatz, der die För- kunftsgestaltung zu erläutern, sei dies an einem derung des Nachwuchses, die Begleitung von Man- Beispiel erklärt: Einer der Schwerpunkte der Arbeit datsträgern, die politische Breitenbildung, die poli- der Konrad-Adenauer-Stiftung ist die Bekämpfung tische Forschung umfasst, zukunftsweisend und des politischen Extremismus. In ihrem Arbeitsbe- zukunftsbildend. reich Politik und Beratung erforscht die Stiftung extremistische Parteien und zeigt ihr politisches Vorgehen auf. Ebenso erarbeitet sie Empfehlun- Dr. Michael Borchard leitet die Hauptabtei- gen zur Einordnung und zum Umgang mit diesem lung Forschung und Beratung der Konrad- Phänomen. Mit dem Blick in den internationalen Adenauer-Stiftung. Bereich kann sie Informationen über das Auftreten Anschrift über die KAS, Klingelhöferstr. 23, von Extremisten und Strategien im Umgang mit ih- 10785 Berlin nen in vergleichbaren europäischen Ländern ermit- teln. Im Bereich der Politischen Bildung werden E-Mail: [email protected] komplementär dazu zwei Wege beschritten. Zum einen der Weg der „Werbung“ für die Demokratie Dr. Melanie Piepenschneider leitet die Haupt- und damit der Immunisierung gegen extremisti- abteilung Politische Bildung der Konrad-Ade- sche Ideologien und verbunden damit die Informa- nauer-Stiftung. tion über die Ausprägungen extremistischen Han- Erreichbar über die KAS-Adresse: delns und Denkens. Zum anderen aber kann sie Rathausallee 12, 53757 St. Augustin daneben beispielsweise kommunale Mandatsträ- ger, Lehrer und andere Verantwortungsträger in E-Mail: [email protected]

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Jugendbeteiligung – ein Leitfaden Wolfgang Borkenstein

In der aktuellen Diskussion um kinder- und fami- zur Selbstbestimmung befähigen und zu gesell- lienfreundliche Kommunen erlebt auch die Diskus- schaftlicher Mitverantwortung und zu sozialem sion um Beteiligung junger Menschen im Sozial- Engagement anregen und hinführen.“ raum eine Renaissance. Neben Kinderbetreuung, Freizeiteinrichtungen und Jugendsozialarbeit ist § 80 SGB VIII Jugendhilfeplanung: die Jugendbeteiligung eine wichtige Säule, wenn „(1) Die Träger der öffentlichen Jugendhilfe haben man die Infrastruktur für Kinder und Jugendliche im Rahmen ihrer Planungsverantwortung in einer Stadt/Gemeinde beurteilt. 1. den Bestand an Einrichtungen und Diensten Dabei gibt es zahlreiche Rechtsgrundlagen, aus de- festzustellen, nen sich die Notwendigkeit der Kinder- und Ju- 2. den Bedarf unter Berücksichtigung der Wün- gendbeteiligung ableiten lässt. sche, Bedürfnisse und Interessen der jungen Men- Der folgende Beitrag benennt die rechtlichen schen und der Personensorgeberechtigten für ei- Grundlagen der Jugendbeteiligung und beschreibt nen mittelfristigen Zeitraum zu ermitteln.“ die Bedingungen, unter denen sie gelingen und ih- re Funktion erfüllen kann. Darüber hinaus sieht die baden-württembergische Gemeindeordnung seit einigen Jahren vor, dass die Gemeinden Jugendgemeinderäte einrichten können. Jugend ist Zukunft, so lautet eine gängige Redens- art. Das heißt aber auch, die Jugendlichen bei den Auch in der Agenda 21 (1992 Rio) und in der UN- Planungsprozessen einzubeziehen, die auf die Ge- Konvention über die Rechte des Kindes (UNKRK staltung der Zukunft zielen. Jugendbeteiligung ist vom 20.11.1989) sind Grundzüge der Kinder- und ein Schlüsselwort für die verschiedenen Verfahren, Jugendbeteiligung festgeschrieben. die Jugendlichen auf den verschiedenen Ebenen Mitwirkungsmöglichkeiten an den sie betreffen- Formell wird moderne Jugendhilfeplanung durch den Entscheidungen bieten. Die Politik hat den den Einsatz von partizipativen Ansätzen gestützt. Rahmen für diese Beteiligung abgesteckt, in dem (Dabei ist immer wieder in Zweifel zu ziehen, in- die Jugendlichen lernen, sich aktiv in öffentliche wiefern die Meinungs- und Aktionsbildung der Ju- Angelegenheiten einzubringen und Einfluss zu gendarbeit auf Jugendhilfeplanungsprozessen be- nehmen. Dass sie dabei Erfahrungen machen kön- ruht. Zumindest ist häufig der Verzicht auf nen, die sie dazu motivieren, sich auch als Erwach- fortlaufende Rückkopplungen zu den Jugend- sene politisch und gesellschaftlich zu engagieren, lichen festzustellen. Zudem wird auf die ergebnis- setzt voraus, dass diese Beteiligung sich nicht in ei- offene Einbeziehung der zu vertretenden Bevölke- nem Ritual erschöpft, sondern auch wirkliche Ein- rungsgruppen verzichtet; Meinungsbilder und flussnahme ermöglicht. Einstellungen, Interessen und Wünsche, Mode und Werte usw. werden gemutmaßt bzw. durch von sich selbst erfüllenden Prophezeiungen geprägten Rechtsgrundlagen für Jugendbeteiligung Fragestellungen als bestätigt verbucht.)

Für die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen Lassen Sie uns nun einen idealtypischen Verlauf gibt es einige gesetzliche Grundlagen, die hier vor- von Jugendbeteiligung aufzeigen und am Schluss ab zitiert werden, um den Rahmen abzustecken, in überprüfen, ob dieser in der Realität seine Entspre- dem die Beteiligungspraxis zu verorten ist: chung findet:

§ 8.1 SGB VIII Beteiligung von Kindern und Jugend- lichen: Warum überhaupt Jugendbeteiligung? „Kinder und Jugendliche sind entsprechend ihrem Entwicklungsstand an allen sie betreffenden Ent- Jugendliche sind daran interessiert, dass sie ein at- scheidungen der öffentlichen Jugendhilfe zu betei- traktives Lebensumfeld vorfinden. Dazu gehören ligen.“ Freizeiteinrichtungen wie Jugendtreffs, offene Sport- und Spielmöglichkeiten sowie Vereine und § 11 SGB VIII Jugendarbeit: Jugendgruppen, in denen sie ihre Hobbies aus- „Jungen Menschen sind die zur Förderung ihrer üben können. Sie sind auch an guten Bus- und Zug- Entwicklung erforderlichen Angebote der Jugend- verbindungen interessiert, um Plätze und Freizeit- arbeit zur Verfügung zu stellen. Sie sollen an den einrichtungen aufsuchen zu können. Durch diese Interessen junger Menschen anknüpfen und von unmittelbaren Interessen werden sie animiert, ihre ihnen mitbestimmt und mitgestaltet werden, sie eigenen Angelegenheiten in demokratischer Mit-

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bestimmung und Mitverantwortung aktiv mit zu Teilnahme aus. Dazu gehören Kinder- und Jugend- gestalten. Jugendbeteiligung ist somit ein Lernpro- foren, Jugendhearings und Kinderkonferenzen. zess, in dessen Verlauf demokratische Mitverant- wortung und Mitentscheidung eingeübt, auspro- Projektorientierte Beteiligungsformen: Dies sind biert und gelernt wird mit dem Ziel, in die thematisch und zeitlich begrenzte Beteiligungs- Gesellschaft hineinzuwachsen und in dieser verant- projekte, die häufig mit kreativen Methoden ar- wortlich mitzuentscheiden. In dieser Hinsicht ver- beiten; hierzu gehören z. B. die Erarbeitung von bindet sich Partizipation mit den Anliegen politi- Kinderstadtplänen, Mädchenprojekte im Stadtteil scher Bildung, der Demokratieförderung und des und die Einbeziehung der Zielgruppe bei infra- bürgerschaftlichen Engagements. strukturellen Maßnahmen für Kinder und Jugend- liche. Vielerorts nehmen Jugendliche jedoch nicht nur ihre eigenen Angelegenheiten „in die Hand“, sondern Darüber hinaus stehen Jugendlichen natürlich alle versuchen darüber hinaus eine institutionalisierte Formen der Beteiligung wie Bürgerfragestunde im Form der Jugendbeteiligung in ihrem Sozialraum Gemeinderat, Bürgerbegehren oder Bürgerver- zu erlangen. sammlung usw. offen. Einige Jugendverbände, wie z. B. der baden-württembergische Landesjugend- Diese institutionalisierten Formen können in drei ring, fordern das Wahlalter 14 oder Parteien wie Kategorien eingeteilt werden: die SPD oder die Grünen ein Wahlalter ab 16.

Formen der Jugendbeteiligung Verlauf eines Beteiligungsprozesses

Repräsentative Beteiligungsformen: Gremien mit Welche Form der Jugendbeteiligung nun für die je- gewählten oder delegierten Kindern und Jugend- weilige Stadt/Gemeinde die richtige ist, sollte in ei- lichen unterschiedlichen Alters, z. B. Jugendge- nem ersten Beteiligungsprozess geklärt werden. Der meinderäte, Kinder- und Jugendparlamente. Beteiligungsprozess besteht somit aus zwei Teilen: der Klärung, wie Jugendbeteiligung im Sozialraum Offene Beteiligungsformen: Sie zeichnen sich durch organisiert werden soll (Planung), und der Entschei- freien Zugang für alle interessierten Kinder und Ju- dung über die zu wählende Form der Jugendbetei- gendlichen und die Möglichkeit der spontanen ligung (Umsetzung). Die Umsetzung der Ergebnisse der Jugendbeteiligung (al- © Kreisjugendring Calw e.V./Wolfgang Borkenstein so z. B. Bau des Jugend- hauses, Verbesserung des ÖPNV-Angebots für Jugend- liche usw.) ist dann quasi der dritte Schritt.

Bei der Klärung über die rich- tige Form der Jugendbetei- ligung ist ein möglichst um- fassender Kreis von Akteu- ren zu „beteiligen“. Dazu gehören natürlich die Ju- gendlichen selbst, darüber hinaus sollten aber von An- fang an „Entscheidungsträ- ger/-innen“ (Gemeinderäte/ rätinnen, Vereinsvorsitzen- de, kirchliche Entscheidungs- träger/-innen usw.) in den Beteiligungsprozess einge- bunden werden, damit die Umsetzung nicht an de- ren Unkenntnis scheitern Jugendliche beratschlagen während eines Seminars kann.

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Die Beteiligten sollen das Wissen über den Sozial- ter sind das natürlich Laptops samt Datenbeamer raum mitbringen, und die Ziele des Beteiligungs- auf große Mauerflächen). prozesses müssen klar benannt werden. Ein klar formulierter Zeithorizont, die Benennung von Stol- Gruppendiskussionen. persteinen und die Klärung der personellen, finan- ziellen, technischen und logistischen Ressourcen für den Beteiligungsprozess erhöhen die Erfolgs- Bedingungen für einen gelingenden Beteili- chancen. Dabei gilt der Leitspruch: ,Lieber keine gungsprozess Aktivität als „mal sehen“. Für einen gelingenden Beteiligungsprozess sollten Da nicht alle Jugendlichen im ersten Teil des Betei- die folgenden Grundsätze beachtet werden: ligungsprozesses – wie soll Beteiligung in unserem Sozialraum aussehen? – beteiligt sein können, bie- ■ Einen Königsweg in der Förderung von Jugend- tet es sich an, schon im Vorfeld die Wünsche und beteiligung gibt es nicht. Differenz in und Ein- Ideen der Jugendlichen zu erkunden. Dazu hat lassen auf regionale und zielgruppenspezifische man verschiedene Möglichkeiten: Besonderheiten sind unerlässlich. ■ Die Aktivierung der Jugendlichen braucht Zeit Stadtteilführung von Kindern und Jugendlichen: und viel Geduld. Kinder und Jugendliche zeigen den „Partizipa- ■ Es muss ein kreatives Klima geschaffen werden, tionsfachkräften“ ihren Stadtteil, ihre Gemeinde: das den Jugendlichen die Möglichkeit gibt, ihre Welche Plätze, Dinge, Einrichtungen sind Kindern Ideen und Wünsche frei zu entwickeln, zu sam- und Jugendlichen wichtig? Welche Cliquen/Szenen meln und in angemessener Form zu artikulieren. gibt es im Stadtteil? Was fehlt oder könnte verbes- ■ Die Jugendlichen stehen im Mittelpunkt des Ge- sert werden im Sinne von Kinder- und Jugend- schehens. Die Moderierenden begleiten den freundlichkeit? Prozess, geben Impulse und schaffen gute Rah- menbedingungen. Sie verstehen sich als Ver- „Meckermobil“: Ein rollendes „Interviewgerät“ mittelnde zwischen den Interessen der Jugend macht innerhalb einer Woche (o. ä.) Station an ver- und der Erwachsenen. schiedenen öffentlichen Treffpunkten von Kindern ■ Die Jugendlichen sollen sich angesprochen und Jugendlichen. Kinder und Jugendliche können (durch moderne und arbeitsintensive Marke- ihre Meinungen loswerden, die wiederum per Ra- tingmethoden), einbezogen (durch Schaffung dio, per Jugendhearing, per Videofilm … der Öf- günstiger Teilnahmebedingungen unter Be- fentlichkeit präsentiert werden. rücksichtigung von Mobilität und Zeitbudget

Videostreifzüge durch den © Kreisjugendring Calw e.V./Wolfgang Borkenstein Stadtteil, die Gemeinde, das Quartier.

Wettbewerbe unter dem Motto „Unsere Stadt/unser Stadtteil/unsere Gemeinde soll kinder- und jugend- freundlicher werden“ (mög- liche Medien: Film, Video, Text, Farbe, …).

Interviews mit Jugendcli- quen, Schlüsselpersonen, etc.

Pausenhofaktionen mit Rie- senschreibwänden, auf de- nen Kinder und Jugendliche ihre Meinung zu bestimm- ten Themen formulieren können (im Medienzeital- Produktion einer Zeitung

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und jugendgerechter Ästhetik) und ernst ge- akzeptiert, ernst genommen und bilden die Ar- nommen fühlen (die politisch Verantwortlichen beitsgrundlage; Abweichungen bei der Umsetzung müssen sich auf die Jugendlichen einlassen und erfolgen unter Einbeziehung der Entscheidungs- ihre Anregungen nachhaltig aufnehmen). träger/-innen. ■ Die Art und Weise der Entwicklung bestimmen die Jugendlichen selbst. Realitätscheck oder läuft das wirklich in den Nach diesem ersten Beteiligungsprozess sollte fest- Kommunen so ab? gelegt werden, wie Partizipation in „meiner Stadt/Gemeinde“ organisiert werden soll. Entschei- Ein Kinder- und Jugendbeteiligungsprozess ist um- dend ist nicht, ob es sich um eine repräsentative, so erfolgreicher, je mehr Elemente des hier gezeig- offene oder projektbezogene Beteiligung handelt, ten Idealverlaufs übernommen werden. In der Re- sondern wie diese ausgestaltet ist. Dabei kann es gel geht der erste Impuls jedoch von „oben“ aus, sich auch um einen Mix handeln, der Elemente aus wenn ein Jugendforum (Jugendversammlung, Ju- allen drei Beteiligungsformen beinhaltet. Die Be- gendhearing) veranstaltet wird. Erst bei diesem teiligungsmethode sollte aber den folgenden Qua- „Event“ wird das Interesse der Kinder und Jugend- litätskriterien folgen: lichen für bestimmte Themen geweckt. Die Erfah- rung zeigt, dass sich nach einem Jugendforum eine aktive Jugendgruppe bildet, die erstens „am Ball Qualitätskriterien für einen Beteiligungs- bleibt“, um die Wünsche und Ideen des Jugendfo- prozess rums weiterzuverfolgen, und zweitens versucht, die Form des Jugendforums zu institutionalisieren Zugangsgerechtigkeit oder die in die Richtung der institutionalisierten für die von der Entscheidung, Maßnahme, dem Pro- Form wie beispielweise eines Jugendgemeindera- jekt betroffenen Zielgruppen. Methodenbedingte tes geht. Zu beidem ist jedoch ‚professionelle’ Be- Fehler werden berücksichtigt (Lautstärke gedämpft, gleitung erforderlich, entweder durch eine/einen leise verstärkt, Sprache angepasst, Milieu kompen- Mitarbeiter/-in des Rathauses oder durch den/die siert). Auf „Barrierefreiheit“ wird geachtet. Kultu- Stadt- oder Kreisjugendreferent/-inn/-en. relle, soziale, ethnische, religiöse, geschlechtsspezi- fische und altersgemäße Benachteiligungen Überlegungen, welche der drei beschriebenen Be- werden kompensiert. teiligungsformen in einer Kommune umgesetzt werden, sind sinnvoll und müssen den örtlichen Vorbereitung von Entscheidungen Gegebenheiten angepasst werden; dabei müssen Offener Zugang zu den notwendigen Informatio- auch die Vor- und Nachteile der jeweiligen Formen nen und Alternativen, ausreichend Zeit, sich vorzu- berücksichtigt werden. bereiten und einzuarbeiten. Mögliche Sachzwänge, limitierte Ressourcen sind transparent zu machen, Repräsentative Beteiligungsformen, z. B. Jugend- ebenso die Regeln für das Einbringen von Ansichten gemeinderäte, Kinder- und Jugendparlamente sind und Alternativen, die allen bekannt sein müssen. auf längere Zeit angelegt und unterliegen formal- rechtlichen Grundlagen, sie regen Veränderungen Offener Ausgang oder Ideen an, sie benötigen zusätzliche Unterstüt- Offene Auslegung des Entscheidungsprozesses, der zung von außen. Außerdem werden meist nur „Ju- Beteiligungsformen und Methoden; ggf. stehen an- gendliche mit einem höheren Bildungsstand“ re- dere zur Disposition und werden von den Betroffe- präsentiert, für andere Jugendliche ist dies nicht nen ausgewählt, weiterentwickelt und angepasst. immer die adäquate Beteiligungsform.

Passgenauigkeit der Methode Offene Beteiligungsformen, z. B. Jugendversamm- Für das Projekt, die Maßnahme oder die Entschei- lungen, Jugendforen, Jugendhearings, Kinderkon- dung werden die passenden Methoden gewählt; ferenzen ermöglichen vielen Kindern und Jugend- Beteiligungsform und Methoden werden systema- lichen einen niedrigschwelligen Zugang; anderer- tisch evaluiert und auf dieser Grundlage weiterent- seits ist die Verbindlichkeit zur Umsetzung der wickelt. Ergebnisse gering.

Verbindlichkeit Projektorientierte Beteiligungsformen, z. B. Spiel- Die Ergebnisse von Entscheidungen münden in ak- platzgestaltung, Einrichtung eines Jugendtreffs, tive Mitverantwortung, Entscheidungen werden Planung einer Skateranlage haben den Vorteil,

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dass themenorientiert gearbeitet wird, das Projekt gelungenes Ergebnis zu erzielen, eine Art „Partizi- zeitlich begrenzt ist und schnelle Erfolge zu sehen pationsmix“. sind. Nachteile können sein, dass sich nach Ab- schluss des Projekts niemand mehr um die Projekt- Trotz des angestrebten „Partizipationsmix“ zur ma- ergebnisse kümmert. ximalen Beteiligungsoptimierung in der Kommune lassen sich in der Praxis doch drei wesentliche Ei- Welche Beteiligungsform die geeignetste ist, muss, genschaften von Jugendbeteiligung definieren: wie gesagt, fall- und situationsbezogen entschie- den werden. Für eine gelungene Jugendbeteili- Themenorientierung: die meisten Jugendbeteili- gung ist die Verbindung der verschiedenen Beteili- gungen setzen sich mit klar definierten Themen gungsformen denkbar und wünschenswert, um ein auseinander.

Regionalisierung: die The- men, die behandelt werden, sind für einen begrenzten Raum bedeutsam.

Zeitliche Begrenzung: Be- teiligungsprojekte sind zu einem bestimmten Zeit- punkt beendet bzw. eine andere Gruppe von Ju- gendlichen wendet sich ei- nem anderen Beteiligungs- projekt zu.

Trotz vieler Vorzüge der Ju- gendbeteiligung in der Kommune muss bedacht werden, dass die Unter- stützung der engagierten Kinder und Jugendlichen unerlässlich ist und dass ne- ben Zeit und Geduld auch finanzielle Ressourcen drin- gend benötigt werden.

Jugendbeteiligung ist ein Recht von Kindern und Ju- gendlichen. Sinn und Zweck der kommunalen Überle- gungen kann nicht ein konkreter Nutzen oder ein konkretes Ergebnis sein, die grundsätzliche Ver- pflichtung einer Kommune besteht darin, die Interes- sen von Jugendlichen in die kommunale Weiterentwick- lung einzubinden und ju- gendgerechte Gestaltung des Gemeinwesen voran- zutreiben. „Heutzutage werden an Kinder und Ju- gendliche vielfältige An- forderungen gestellt, die

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ihnen bereits früh genauso vielfältige Entscheidun- Dass ihnen bewusst wird, dass sie diese auch mitge- gen abfordern. Es ist wichtig, dass Jungen und stalten können, ist die Aufgabe der erwachsenen Mädchen früh lernen, ihr Leben „in die Hand zu kommunalen Akteure. Schließlich sind Kinder und nehmen“, dass sie Lust auf „Einmischung“ bekom- Jugendliche als Expert/-inn/-en in eigener Sache zu men und bereit sind, Verantwortung zu überneh- sehen, denn niemand weiß besser, welche Wün- men.“ (s. Internetlink). sche und Bedürfnisse Kinder und Jugendliche für ihre Lebenswelt haben, als sie selbst. Die Kommu- ne ist ein gutes Übungsfeld für die Jugendbeteili- Fazit gung, denn auf keiner anderen politischen Ebene können die Interessen einzelner Gruppen und das Oftmals haben wir Erwachsenen (gerade die, die Zusammenleben im öffentlichen Rahmen derart beruflich viel mit Kindern und Jugendlichen zu tun partizipatorisch mitentwickelt werden. Projekt- haben) den Eindruck, wir wüssten sehr gut, was ideen der Kinder und Jugendlichen können auf Kinder und Jugendliche wollen und benötigen. Oft kommunaler Ebene konkretisiert und schnell sicht- (und das auch aus Bequemlichkeit) geben wir Ent- bar werden, z. B. wenn sie sich für die Einrichtung scheidungen vor oder lassen ihnen nur sehr wenig eines Jugendtreffs engagieren oder den örtlichen Spielraum für die eigene Entscheidungsfindung. Spielplatz verschönern möchten. Trainer/-innen im Sportverein oder Vertrauensper- sonen in der Schule und Jugendarbeit werden häu- „Darüber hinaus eignen sich Kinder und Jugendli- fig nicht von den Jugendlichen selbst ausgewählt. che in Beteiligungsprojekten auch zahlreiche Sach- Wir alle müssen Kindern und Jugendlichen mehr kompetenzen, z. B. planen und organisieren, Um- zutrauen und ihnen Entscheidungen überantwor- gang mit Medien und Demokratiekompetenzen ten. Gerade in der Familie und der Schule könnte an, wie z. B. Diskutieren und Argumentieren, Aus- damit begonnen werden, die Jugendlichen in dem handeln und Verhandeln oder Strategien, ihre Bewusstsein zu stärken, dass es sich lohnt, sich für Interessen zu vertreten.“ Das sind wesentliche und eine Sache einzusetzen. Dazu gehört auch, dass wichtige Kompetenzen auch für erwachsene akti- Entscheidungen rückgängig gemacht werden kön- ve Bürgerinnen und Bürger. nen, wenn die Jugendlichen eine bessere Lösung erarbeiten. Internetlink: http://www.gelingende-beteiligung.de/ Dies alles ist mühsam, es können sich aber langfri- stig nur Verbesserungen für die Gesellschaft erge- ben, wenn wir diesen Weg gehen. Wolfgang Borkenstein ist Geschäftsführer Die Kommune bietet hier den idealen Erfahrungs- beim Kreisjugendring Calw e.V. und spielraum. Kreisjugendreferent. Er ist zu erreichen über die Adresse Kinder und Jugendliche fühlen sich mit ihrer Kom- Vogteistraße 44, 75365 Calw. mune verbunden. Die Kommune ist ihr soziales Umfeld, ihre gewohnte und vertraute Umgebung. E-Mail: [email protected]

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Beteiligungsprozesse sind Werkstätten für politisches Lernen Erfahrungen und Resümees aus der Stadt(teil)entwicklung in Leipzig-Volkmarsdorf Matthias Schirmer

In so genannten „Stadtteilen mit besonderem Ent- Im Vergleich zur Gesamtstadt wohnen im Viertel wicklungsbedarf“ werden unterschiedliche Instru- relativ viele Menschen mit Migrationshintergrund. mente der Bewohner/-innen-Beteiligung und -Ak- Bei der alteingesessenen Bevölkerung gibt es ih- tivierung entwickelt und erprobt. Aktivitäten wie nen gegenüber subtile Ängste und auch massive auch Ergebnisse dieser Arbeit sind auf unterschied- Vorurteile. lichsten Ebenen zu finden: unter anderem haben die Prozesse Auswirkungen auf die beteiligten Per- In Innenhöfen von Neubaublocks, die Ende der sonen. Um diese spezielle Form der politischen 1980er Jahre gebaut wurden, entstanden Nut- Bildung zu etablieren, muss es ein Anliegen sein, zungskonflikte durch verschiedene Nutzungsinter- Beteiligungsverfahren in den Kommunen zu insti- essen der unterschiedlichen Altersgruppen. tutionalisieren. In den letzten Jahren ist eine Vielzahl von Initiati- ven, Vereinen und Einrichtungen in den Stadtteil Worum geht es? gezogen bzw. hat sich neu gegründet. Jedoch ken- nen sich diese untereinander kaum. Vielen ist nicht Zum Beispiel ... – Herausforderungen und Hand- klar, wer sich auf welchem Gebiet engagiert, wel- lungsansätze che Initiativen und Ansprechpartner es gibt und Nach der Wende hat im Stadtteil Leipzig-Volkmars- welche Vorhaben jeweils angedacht sind. dorf eine Entmischung der Bevölkerung stattge- funden. Wer es sich leisten konnte, ist weggezo- gen. Geblieben sind diejenigen, die mehrheitlich Stadtteilarbeit – Was ist das? von staatlichen Transferleistungen leben (müssen). Es gibt im Stadtteil viele denkmalgeschützte und Seit Ende 1999 sind wir, das Büro CivixX – Werk- seit 20 Jahren nicht renovierte Gebäude, die wäh- statt für Zivilgesellschaft, mit der Umsetzung des rend der Gründerzeit entstanden sind. In diesen Quartiersmanagements in Leipzig-Volkmarsdorf be- Häusern ist die Leerstandsquote sehr hoch. auftragt. Es handelt sich um einen so genannten „Stadtteil mit besonderem Entwicklungsbedarf“ mit Es gab und gibt eine Vielzahl von brachliegenden vielen Altbauten aus der Gründerzeit und einem Flächen mit Wildwuchs und Müllablagerungen. kleinen Neubaugebiet aus den späten 1980er Jah- ren, in dem ca. 7000 Menschen leben. Dabei geht es allgemein darum, den Stadtteil weiterzuentwi- ckeln, und zwar auf allen Ebenen. Unsere Arbeit betrifft so u. a. das Zusammenleben, die Ordnung und Sauberkeit, die Entwicklung von Flächen und Räumen, die Organisation von stadtteilübergrei- fenden Veranstaltungen und Festen oder die Un- terstützung von Handel/Gewerbe. Es geht darum, das zu entwickeln und zu unterstützen, was dem Stadtteil gut tut. Und zwar sowohl nach innen als auch nach außen, sowohl im Miteinander als auch im öffentlichen Raum und in der öffentlichen Wahr- nehmung des Viertels (Image).

Die hier geschilderten Beispiele und Schlüsse erge- ben sich aus unserer Erfahrung mit der Stadtteilar- beit in Leipzig-Volkmarsdorf seit 1999.

Quartiersmanagement (QM) ist eine so genannte „intermediäre Instanz“; es steht quasi als Schalt- stelle zwischen den verschiedenen thematisch aus- gerichteten „Säulen“ der Verwaltung und dem Stadtteil, in dem alle Themen auf relativ engem Raum relevant sind. Es wirkt also einerseits in den Stadtteil hinein, ohne jedoch direkter Teil der Stadt- © Matthias Schirmer teilstrukturen zu sein. Und andererseits hat das QM Leerstehendes Gründerzeithaus in Leipzig-Volkmarsdorf auch Auswirkungen in die Verwaltung hinein, da

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© Matthias Schirmer Später wurden per Zufall ausgewählte Menschen zur tieferen Auseinandersetzung mit dem Viertel eingeladen. In mehreren Sitzungen haben sie sich mit den Themen beschäftigt, die ihrer Meinung nach im Stadtteil wichtig waren. Für diese Arbeit bekamen sie auch eine kleine Aufwandsentschädi- gung. Entstanden ist daraus ein „Aktionsplan“, der uns Leitlinie für das weitere Vorgehen bei der Stadtteilentwicklung war.

Rund um einen offenen Innenhof haben wir mit al- len Anwohner/-inne/-n aktivierende Befragungen durchgeführt. In vielen einzelnen Gesprächen an der Wohnungstür oder auch in der Wohnung ging es darum, was aus Sicht der Bewohner/-innen im Der Stadtteil zeichnet sich durch große Brachflächen aus. unmittelbaren Wohnumfeld verbesserungswürdig ist. Die Fragen waren: Was müsste getan werden? es Themen aus dem Stadtteil aufnimmt und thema- Wer könnte das tun? Und was können Sie selbst tische Vernetzungen in der Verwaltung anstößt dazu beitragen bzw. würden Sie diese Sache ge- und moderiert, ohne jedoch direkter Teil der Ver- meinsam mit anderen in Angriff nehmen? Es ging waltungsstrukturen zu sein. also vorwiegend darum, herauszufinden, wo das eigene Interesse liegt, was sie selbst bereit sind bei- Wie bei einem Katalysator kann QM dazu beitra- zutragen und welche Ressourcen es in ihrem Um- gen, dass etwas Neues entsteht, was ohne dieses feld gibt. Instrument nicht möglich gewesen wäre. Und am Ende sind Strukturen entstanden, die ohne äuße- Bei der Vorbereitung einer Planung zur Umgestal- res Zutun weiter bestehen und wirken.1 tung eines anderen Wohnhofes haben wir die Be- wohner/-innen zuerst in mündlichen Gesprächen dazu befragt, was aus ihrer Sicht für den Hof wich- Wie geht das praktisch? tig wäre und was ihrer Meinung nach bei der Um- gestaltung verwirklicht oder beachtet werden muss. Beispiele für methodisches Vorgehen in Beteili- Diese ersten Ideen und Meinungen flossen in einen gungsverfahren Fragebogen ein, der im Anschluss an alle betroffe- In den ersten Jahren haben wir viele Gespräche mit nen Haushalte verteilt wurde. Aus dem Rücklauf Bewohner/-inne/-n geführt. Dazu haben wir uns mit wurden uns bereits bestehende Konfliktlinien und einem Stadtteilmodell an den Eingang des Einkaufs- unterschiedliche Nutzungsinteressen deutlich. Pa- zentrums, auf Plätze und an Kreuzungen gestellt. rallel wurden im Rahmen eines Spielmobilangebo- Durch das Modell wurden die Menschen direkt an- tes die Kinder zu ihren Wünschen für den Hof be- gesprochen und wussten sofort, worum es geht. fragt. Bei einem Bürgerforum direkt im Hof wurden Sie blieben stehen, um zu schauen, und wir kamen dann alle Ergebnisse und besonders die sich ab- ins Gespräch: Über ihr Haus, über Chancen und Po- zeichnenden Nutzungskonflikte vorgestellt, disku- tenziale, aber auch über Defizite des Stadtteils. Sie tiert und ausgehandelt. Mit den Ergebnissen aus bekamen Gelegenheit, ihre Ideen und Wünsche diesem Prozess konnte ein Planungsbüro mit der zur Entwicklung des Viertels einzubringen, haben professionellen Umsetzung der Ideen und Wün- auf ganz konkrete Probleme hingewiesen und teil- sche beauftragt werden. weise auch ihre Mitarbeit erklärt. Bei einer Ideenwerkstatt zum Thema „Integration“ kamen viele unterschiedliche stadtweite Akteure aus Vereinen, Ämtern usw. zusammen. Dabei pro- 1 Neben dem etwas neueren Instrument des Quartiersmanage- duzierten sie einen „Steinbruch“ von Ideen und ments gibt es in der Stadtteilarbeit auch das Modell der Ge- konkreten Projektansätzen, wie mit dem Thema meinwesenarbeit mit dem Ziel der direkten „Unterstützung der weiter umgegangen werden kann. Selbstorganisation bestimmter Bevölkerungsgruppen“ (Beck- mann/Keck: Beteiligungsverfahren in Theorie und Anwendung. Bei einem Workshop mit Menschen aus der alter- Stuttgart 1999). Darauf soll hier jedoch nicht näher eingegan- nativ-kreativen Szene haben diese sich vor kurzem gen werden. gegenseitig ausgetauscht, wie sie zum Stadtteil

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stehen, was sie jeweils machen und welche Ideen © Matthias Schirmer sie verfolgen. Es ging darum, die Vernetzung unter- einander anzuregen und auch Ansätze für mögli- che gemeinsame Projekte im Stadtteil zu finden und zu konkretisieren.

Erkenntnisse bezüglich Methoden und Verfahren in der Stadtteilarbeit

Bei der Gestaltung der methodischen Herangehens- weise hat sich für uns gezeigt, was Helmut Klages als „Gestaltungskriterien breiter Bürgerbeteiligung“ beschrieb. Demnach sollen Beteiligungsverfahren u. a. praktisch zugänglich und niederschwellig ge- staltet sein. Das Verfahren muss transparent sein, und es sollte eine Kontinuität in der Beteiligung geben. Die beteiligten Akteure müssen dabei die Möglichkeit haben, eigene Kompetenzen einzu- bringen und zu entwickeln.2

Bei der Auswahl der Beteiligungsverfahren ist es nach unserer Erfahrung notwendig, auch nicht-di- alogische oder weniger dialogorientierte Metho- den einzubeziehen, um eine breite Partizipation zu ermöglichen. Wie soll sich der Hof entwickeln? Die Beteiligungsmethoden sollten es ermöglichen, unterschiedliche Meinungen und Ideen ernst zu überlegt wird, was in der aktuellen Situation unter nehmen und sichtbar zu machen, die betroffenen den spezifischen Voraussetzungen, mit den verfüg- Akteure und Beteiligten dort abzuholen, wo sie baren Akteuren und Ressourcen mit welchem Ziel sind (räumlich, emotional, sprachlich, ...), die Kom- und für welche Zielgruppe erreicht werden soll. munikation untereinander zu fördern und das Dazu müssen Methoden und Verfahren in der Ar- Kennenlernen von Menschen bzw. Nachbarn zu er- beit immer wieder neu gefunden, entwickelt und möglichen. Nicht zuletzt sollten sie Spaß machen abgewandelt werden. Starre Raster helfen hier und/oder überraschen. nicht weiter.

Dabei finden wir es wichtig, stets die längerfristi- gen Prozesse im Blick zu haben und nicht (nur) die Was bringt das? eher kurzfristigen Einzelmaßnahmen. Zum Beispiel ... – Schlaglichter zu den Ergebnissen Allgemein ist uns in der Arbeit jedoch immer wie- unserer Arbeit der klar geworden: Methoden müssen immer wie- Im Ergebnis eines ABM-Projektes wurde auf einer der neu entwickelt und angepasst werden. Es geht Brachfläche ein Weidenzaun als Zwischenbegrü- nicht darum, bestehende „Best-Practise“-Beispiele nung und Abschirmung zur Straße gepflanzt. So oder Arbeitsverfahren zu „rekrutieren“ oder „über- entstand eine grüne Oase auf einer ehemals kah- zustülpen“. Die Stadt(teil)entwicklung muss als Pro- len Fläche, die als wilder Parkplatz genutzt worden zess gestaltet werden, in dem immer wieder neu war. Inzwischen konnte durch die Stadt Leipzig ei- ne durchgängige Gestaltung als Grünfläche umge- 2 Helmut Klages: „Im Spannungsfeld zwischen Spielwiese und setzt werden. Machtabgabe. Bürger/innenbeteiligung zwischen Anspruch und Wirklichkeit.“ Vortrag zum „Forum für Bürger/innenbetei- Im Ergebnis der vielen aktivierenden Gespräche mit ligung und kommunale Demokratie. Bedingungen gelingender den Anwohner/-inne/-n des Innenhofes wurde ge- Beteiligung.“, eine Kooperationstagung der Stiftung MITAR- meinsam eine Aufräumaktion im Hof organisiert. BEIT und der Ev. Akademie Loccum vom 26.-28.09.2008. Verfüg- Dabei haben ca. 20 Menschen insgesamt 40 Kubik- bar als Thesenpapier und Präsentation auf www.mitarbeit.de. meter Sperrmüll gesammelt und gleichzeitig das

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Totholz verbrannt. Unterstützung kam außer von nimmt ehrenamtlich auch kleine Hausmeistertätig- der Stadtreinigung auch von einigen Hauseigentü- keiten. mern. Beim anschließenden gemeinsamen Grillen freuten sich die Bewohner/-innen, so viel geschafft Menschen bringen sich ungefragt ein zu haben und sich gegenseitig kennen zu lernen. Zum Beispiel kam eine Anwohnerin mit dem An- Wenige Wochen später wurde von den Anwoh- gebot, etwas mit für das Familien- und Nachbar- ner/-inne/-n ein Zaun aufgestellt, um den Hof nach schaftsfest zu organisieren, weil sie jetzt wieder zu außen abzugrenzen. Dabei waren weitere Ansätze Hause ist und Zeit hat. von Eigeninitiative zu sehen, z. B. hatte jemand Beete angelegt. Menschen gestalten ihre eigene Lebenssituation. Sie haben Ideen und setzen diese um Um aktuellen Leerstand zu verringern und um Zum Beispiel kam von einem Hauseigentümer die gleichzeitig Künstler/-innen und „kreative Köpfe“ Idee zur Begrünung der Straße. Dafür sammelte er für den Stadtteil zu interessieren, haben wir einer- mit den anderen Eigentümern der angrenzenden seits Kontakte zu Hauseigentümer/-inne/-n und Häuser Geld, mit dem die Bäume finanziert wurden. -Verwalter/-inne/-n aufgebaut und andererseits Wer- bung für „Ateliers und Wohnungen in Volkmars- Ein anderer Hauseigentümer hatte bei der Stadt dorf“ gemacht. In Atelierbörsen wurden dann die durchgesetzt, dass eine Sitzgruppe im öffentlichen Kontakte der Menschen untereinander hergestellt. Raum so umgestaltet wurde, dass dort nur noch Unter anderem wurde daraufhin ein bisher leer wenige Leute sitzen können. Ihn hatten die Men- stehendes Haus komplett neu durch junge Leute schen „gestört“, die sich dort regelmäßig in einer genutzt. größeren Runde getroffen hatten. Daraufhin kauf- ten sich diese Menschen Gartenstühle und sogar ei- Beim Frühjahrsputz werden jährlich Vereine, Ein- nen Tisch. Nun sitzen sie weiterhin dort – auf ihren richtungen und Bewohner/-innen angesprochen, eigenen Möbeln. wilde Müllablagerungen im Gebiet zu melden, und dazu aufgefordert, sich an der Beräumung zu be- Menschen bleiben da und ziehen nicht weg teiligen. Mit Unterstützung der Stadtreinigung kön- obwohl sie das eigentlich fest vorhatten. nen so regelmäßig an einem Vormittag viele Flä- chen vom Müll beräumt werden. Ziele sind neben der Säuberung auch die Aktivierung zur Mitarbeit, Erfahrungen – welche Lehren ziehen wir? das Kennenlernen untereinander und das öffent- lich sichtbare Engagement der Beteiligten. Erfahrungen in Bezug auf das Lernen der Akteure Während der Beteiligungsprozesse an der Entwick- Das jährliche Stadtteilfest wird mittlerweile mit lung im Stadtteil geschieht natürlich auch etwas verschiedenen Partnern vor Ort organisiert. Es ist mit den Menschen vor Ort. Sie verändern ihre Ein- zu einem Podium der ansässigen Vereine und Initi- stellungen und ihr Verhalten, sie erweitern ihre Fä- ativen, aber auch stadtweit agierender Akteure ge- higkeiten und Fertigkeiten. Sie lernen also, wie die worden. Es bietet nicht nur Informationen, sondern genannten Beispiele zeigen. Diese Veränderun- die Besucher werden mit interaktiven Aktionen gen und damit die Persönlichkeitsentwicklung der einbezogen und zu eigenen Erfahrungen angeregt. Beteiligten geschehen in Aushandlungs- und Betei- Außerdem ist es ein Anliegen, Begegnungsmög- ligungsprozessen immer auch „nebenbei“. Die An- lichkeiten für die Besucher zu schaffen. wendung und Förderung von Beteiligungsver- fahren ist also zugleich eine Förderung von Ent- wicklungs- und Veränderungsprozessen bei den Was passiert bei den Menschen vor Ort? – beteiligten Personen. (Dies kann ebenso für Orga- einige Beobachtungen nisationen gelten.)

Menschen übernehmen Verantwortung Erfahrungen in Bezug auf die eigene Arbeit im Ein Anwohner kümmert sich zum Beispiel um das Stadtteil Mähen von Gras auf einer herrenlosen Grünflä- Man kann wesentlich mehr erreichen und effekti- che. Dabei benutzt er einen gespendeten Rasen- ver arbeiten, wenn man herausfindet, was die Ak- mäher und bekommt Hilfe von einem Bürgerver- teure vor Ort wollen, und jeweils versucht, das zu ein. Ein anderer Anwohner kümmert sich um die unterstützen. Die Probleme und Defizite muss man Zugänglichkeit der Räume des örtlichen Bürger- dabei auch wahrnehmen und darf sie nicht aus treffs für Gruppen und Veranstaltungen. Er über- dem Blick verlieren. Jedoch ist es wichtig, mit den

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positiven Potenzialen zu arbeiten und die Ideen Beteiligungsprozesse in den Kommunen etablieren! und Vorhaben zu unterstützen, statt den Focus aus- Bisher werden Beteiligungsverfahren aus gesamt- schließlich auf die Mängel zu richten. städtischer Perspektive eher punktuell angewen- det. Um sie breit anzuwenden und zu etablieren, Erfahrungen in Bezug auf Rahmenbedingungen für sollten die Verfahren zur Entscheidungsfindung in Beteiligungsprozesse den Kommunen so definiert und festgeschrieben Bei der Durchführung von Beteiligungsverfahren sein, dass partizipative Beteiligungsverfahren in be- sollten bestimmte Rahmenbedingungen als Voraus- stimmten (festzulegenden) Fällen zum Zuge kom- setzung für das Gelingen solcher Prozesse erfüllt men müssen. Dazu schlägt Klages vor, entsprechen- sein: Zunächst sollte es tatsächlich einen Entschei- de Verfahrensordnungen für die Bürgerbeteiligung dungsspielraum geben. Es nützt also nichts, eine in den Kommunen zu erarbeiten und verbindlich reine Informationsveranstaltung als Möglichkeit zur festzulegen. Darin sollten u. a. Sachgebiete be- Beteiligung zu „tarnen“, wenn bereits alles ent- stimmt werden, bei denen Bürgerbeteiligung an- schieden ist und es nur darum geht, die bereits ge- zuwenden ist, und es sollte festgelegt werden, wie troffenen Entscheidungen vorzustellen und ggf. die Koordinierung zwischen Rat, Verwaltung und auf Akzeptanz „abzuklopfen“. Beteiligungsverfahren zu erfolgen hat.3

Neben der Anwendung von zielgruppengerechten Um Beteiligungsverfahren in den Kommunen also Methoden und der Verfügbarkeit der für den Be- als selbstverständlich zu etablieren und zu insti- teiligungsprozess nötigen Zeit ist auch ein transpa- tutionalisieren, sollten sie u. a. in den Gemeinde- rentes Verfahren wichtig. Die Beteiligten sollten al- ordnungen fest verankert sein. Nur so kann die so immer wissen, an welcher Stelle im Prozess sie Stadt(teil)entwicklung auf eine Basis jenseits von gerade stehen und in welchem Zusammenhang Modellvorhaben, Förderlogiken, Sondersituationen der aktuelle Schritt gerade zu sehen ist. und ähnliches gestellt werden.

Entscheidungsträger, also Verwaltung und Politik, müssen sich auf einen Entscheidungsprozess einlas- Resümee: Politische Bildung und die sen und ihn mittragen, auch wenn sie ihn nicht zu Stärkung demokratischer Entscheidungs- jeder Zeit kontrollieren können. Sie sollten die zu findung in „benachteiligten Stadtteilen“ erarbeitenden Ergebnisse bereits im Vorfeld ak- zeptieren. Sie müssen die entstehenden Ergebnisse Maria Lüttringhaus konstatiert: „Partizipation be- legitimieren und am Ende auch umsetzen. fördert die Demokratie ... Gesellschaftlicher Gemein- sinn bzw. gesellschaftliche © Matthias Schirmer Verantwortung entsteht durch Partizipation.“4

Demokratie entfaltet sich also ganz praktisch, wenn sich z. B. Menschen auf ei- ner Brachfläche treffen und wie in Leipzig-Volkmarsdorf mit Knete und Naturmate- rialien ein Modell umbau- en. Und wenn sie sich da- bei darauf einigen, wie es später auf der Fläche aus- sehen soll.

3 Helmut Klages: a. a. O. 4 Maria Lüttringhaus: Stadtent- wicklung und Partizipation. Fall- studien aus Essen-Katernberg und der Dresdner Äußeren Neustadt. Beiträge zur Demokratieentwick- lung von unten Nr. 17; Stiftung Die Menschen müssen an der Entwicklung ihres Stadtteils beteiligt werden Mitarbeit, Bonn 2000, S. 70.

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Politische Bildung geschieht in unserer Arbeit un- wann, wie und bei welchen Themen Beteiligungs- ter anderem, wenn Menschen in einer aktivieren- prozesse automatisch „ausgelöst“ werden, so dass den Befragung überlegen, wie man die ihrer Mei- sie zum normalen Verfahren der politischen Wil- nung nach drängendsten Probleme angehen könnte lensbildung werden. und was sie selbst persönlich zu ihrer Lösung bei- tragen können. Wenn es gelingt, solche Regeln allgemein verbind- lich z. B. in die Gemeindeordnungen aufzunehmen, Politische Bildung passiert auch, wenn sich Men- wäre dies auch eine Chance für die politische Bil- schen gemeinsam mit der Polizei darüber verge- dung. wissern, wie sie mit ruhestörendem Lärm gemein- sam umgehen können.

Die Ermöglichung von politischen Entwicklungs- Matthias Schirmer M. A. ist seit 1999 für das prozessen der Menschen (politische Bildung) und Quartiersmanagement in Leipzig-Volkmars- die Etablierung einer erlebbaren und für die Betei- dorf tätig. Zurzeit hat er einen Lehrauftrag ligten greifbaren „Demokratie im Kleinen“ braucht an der Leipziger Hochschule für Technik, in der Durchführung einen methodischen Rahmen, Wirtschaft und Kultur im Bereich der Konzi- der z. B. in Beteiligungsprozessen gesetzt werden pierung und Durchführung von Projekten im kann. sozialen Bereich. Daneben beschäftigt er sich als Betzavta-Trainer in anderen Zusammenhängen auch mit Um Entwicklungsprozesse bei Menschen (Lernen) dem Themenfeld der Demokratieentwicklung. zu fördern und demokratische Strukturen in klein- Projektträger des Quartiersmanagements ist das Büro CivixX - räumigen Entscheidungsprozessen zu etablieren, Werkstatt für Zivilgesellschaft, Inh. Ralf Elsässer. Weitere Infor- braucht es auf Seiten der Kommunen feste Regeln, mationen: www.volkmarsdorf.de

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Schwerter Erklärung Zur Bedeutung und Wichtigkeit des Teilnehmertages in der außerschulischen Bildung Arbeitskreis der Bildungsstätten und Akademien (Heimvolkshochschulen) in NRW e. V. (@ba)

Ausgangslage ist: Effektives Lernen braucht Zeit. Vermittelte In- formationen müssen verarbeitet werden, damit sie Der @ba hat sich im Rahmen der Novellierung des nachhaltig nachwirken. Ohne ausreichende Zeit zur Weiterbildungsgesetzes Nordrhein-Westfalen (WbG) Diskussion, zur Reflexion und zur Argumentations- 1999 massiv für den Erhalt des Teilnehmertages im bildung im Gespräch mit anderen Teilnehmenden Gesetz eingesetzt. Heute wie damals gilt: Der Teil- geraten die vermittelten Inhalte bei den Teilneh- nehmertag als zentrale leistungsbezogene Finan- merinnen und Teilnehmern oft schnell in Vergessen- zierungsgrundlage für die Bildungshäuser im WbG heit. Zeitsparen um jeden Preis gefährdet schnell ist unverzichtbar. den Seminarerfolg. Bildungshäuser mit ihren auf mehrere Tage angelegten Bildungsveranstaltungen Der Teilnehmertag als Förderkriterium garantiert geben diese benötigte Zeit und ermöglichen damit nach wie vor die auf Langfristigkeit angelegten Ver- gute und nachhaltige Lernerfolge. anstaltungsformen in Bildungshäusern mit ihrem Prinzip des „Lernens und Lebens unter einem Dach“. Die Förderung von Teilnehmertagen verbindet da- 2. Bildung Raum und Zeit geben mit organisiertes und informelles Lernen. Diese Art der Bildung ist umso wichtiger in Zeiten, wo kurzfri- Bildungshäuser haben in der außerschulischen Bil- stige, auf Unterrichtsstunden basierende Projekte dung einen eigenen Wert. Sie sind Orte, wo Bil- zunehmen, WbGMittel mehrfach gekürzt werden dung Raum und Zeit hat, und in denen an Bildung und ESF-Mittel keinen adäquaten Ersatz bieten. interessierte Menschen frei vom beruflichen und privaten Alltag gemeinsam mit und von anderen Hinzu kommt, dass Forderungen nach mehr nieder- Menschen lernen können. Heimvolkshochschulen schwelligen Angeboten in Form von Kurzzeitpäda- sind, wie Schulministerin Sommer auf der Mitglie- gogik dem qualitativen Verständnis von nachhalti- derversammlung des @ba im April 2008 ausgeführt ger Bildung zuwider laufen. hat, „ideale Orte des sozialen Lernens“. Und die Ministerin betont weiter: Bildungshäuser mit ihrer Infrastruktur, ihrem über- regionalen Einzugsgebiet und der oft ländlichen La- „Wie keine andere Einrichtung der Weiterbildung ge sind Leuchttürme in der außerschulischen Weiter- betonen Sie die zwischenmenschliche Seite des Ler- bildung in Nordrhein-Westfalen. In ihnen und mit nens. Wer zu Ihnen kommt, will sich mit Inhalten ihnen haben sich vielfach Bildungsnetzwerke ge- auseinandersetzen. Er will aber auch die Chance gründet, für die die Bildungshäuser Kristallisations- nutzen, andere kennen zu lernen, sich mit ihnen punkte und Anlaufstellen sind. auszutauschen und sich vielleicht auch mit deren Meinungen auseinandersetzen. Dieses soziale Ler- Ohne die Bildungshäuser würde in vielen ländlichen nen wird heute immer wichtiger.“ Räumen Nordrhein-Westfalens außerschulische Wei- terbildung nur rudimentär oder gar nicht stattfin- den. 3. Die Grundfinanzierung des Teilnehmer- tages in der öffentlichen Förderung Bildungshäuser sind auch künftig ein wichtiger und ausbauen eigenständiger Baustein in der Bildungslandschaft des Landes Nordrhein-Westfalen. Sie bedürfen des- Eine verlässliche Grundförderung der Bildungshäu- halb auch in Zukunft einer adäquaten und auskömm- ser in Nordrhein-Westfalen setzt den Teilnehmer- lichen finanziellen öffentlichen Unterstützung. tag als Förderkriterium voraus. Zum besonderen Bildungswert der Bildungsangebote der Bildungs- Dem Teilnehmertag kommt dabei eine zentrale Be- häuser gehört das Konzept vom gemeinsamen Ler- deutung zu. nen und Leben unter einem Dach. Dafür stellen die Bildungshäuser neben ihren pädagogischen Der @ba stellt fest: Ressourcen auch Unterkunft und Verpflegung zur Verfügung.

1. Mehrtägige Bildung „am Stück“ ist effekti- Mit dieser Kombination sind die Bildungshäuser ver, nachhaltiger und ertragreicher einmalig und unterscheiden sich zum einen auf- grund ihres pädagogischen Angebotes von reinen Lernen hat viele Dimensionen, das ist heute wissen- Tagungshotels und andererseits aufgrund der Be- schaftliches Allgemeingut. Eine wichtige Erkenntnis reitstellung von Übernachtung und Verpflegung

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von der Vielzahl der anderen öffentlich geförder- Der @ba spricht sich für eine gemeinsame Initia- ten und privaten Bildungsanbieter. tive von öffentlicher Verwaltung, Schulen und Betrieben zur Stärkung und Unterstützung mehr- Diese gewollte und bildungsfördernde Kombina- tägiger Bildungsveranstaltungen in Bildungshäu- tion muss dauerhaft durch die Festschreibung und sern aus. den Ausbau des Teilnehmertages als Veranstaltungs- form im WbG gesichert werden. Projektmittel sind ■ Den Durchschnittsbetrag für den Teilneh- kein Ersatz für eine öffentliche Finanzierung auf mertag von 16,90 € auf 25 € anzuheben der Grundlage von Teilnehmertagen. Investitions- Seit Einführung des WbGs im Jahre 1975 be- kosten für den Erhalt der Bildungshäuser, Personal- trägt der Durchschnittsbetrag für den Teilneh- kosten, Unterhaltskosten und die Kosten für Ver- mertag 16,90 € (früher 33 DM). Eine Anpassung pflegung und Unterkunft brauchen eine solide in Höhe der Inflationsrate hat bisher nie statt- und verlässliche Grundfinanzierung, die durch Pro- gefunden. Eine solche Anpassung ist aber drin- jektmittel oder durch eine Finanzierung auf Basis gend erforderlich. Allein seit Inkrafttreten des von Unterrichtsstunden nicht gegeben ist. novellierten Weiterbildungsgesetzes im Jahre 2000 bis heute ist der Verbraucherpreisindex um 21,5 Prozent gestiegen. Eine Anpassung des Forderungen des @ba Durchschnittsbetrages auf 25 € im Rahmen der Haushaltsberatungen ist deshalb angemessen Angesichts dieser Grundfeststellungen fordert der und dringend erforderlich. @ba die für die Weiterbildungspolitik Verantwort- lichen in Nordhein-Westfalen auf: ■ Die letzte Kürzung durch Aufstockung der Weiterbildungsmittel im Landeshaushalt ■ Mehrtägige Seminare in Bildungshäusern 2009 um 8 Millionen € zurückzunehmen stärker als bisher zu unterstützen Die Bildungshäuser sind wie auch die anderen Seit einiger Zeit ist ein Trend zu mehr kurzfristi- Träger der Weiterbildung in Nordrhein-Westfalen gen auf Unterrichtstunden basierenden Projek- auf eine öffentliche Grundförderung angewie- ten, die von der öffentlichen Hand aufgelegt sen, um ihre Bildungsarbeit weiter aufrechter- werden, zu beobachten. Aufgrund ihrer Struk- halten zu können. Angesichts drastisch gestie- tur und ihres auf Mehrtägigkeit mit Übernach- gener Kosten für Energie und Lebensmittel sowie tung angelegten Bildungsangebotes können sich zusätzlicher Kosten aufgrund der Mehrwertsteu- Bildungshäuser nur schwer oder gar nicht an ererhöhung sind die seit dem Jahr 2003 vollzo- solchen Projekten beteiligen. Gleichzeitig ist ei- genen Kürzungen der WbG-Mittel nicht mehr ne Umschichtung der knapper werdenden öf- von den Bildungshäusern durch Einsparungen fentlichen Mittel zulasten von institutionellen aufzufangen. Der @ba erwartet deshalb von Mitteln und zugunsten von Projektmitteln fest- den im Landtag vertretenen Parteien, dass sie zustellen. Dadurch werden den Bildungshäu- im Rahmen der anstehenden Haushaltsberatun- sern dringend benötigte Mittel zusätzlich ent- gen die Weiterbildungsmittel im Landeshaus- zogen. halt um mindestens 8 Millionen € erhöhen.

Der erhöhte Lerneffekt mehrtägiger Bildungs- veranstaltungen ist mittlerweile eindeutig erwie- Beschlossen auf der Mitgliederversammlung des sen. Mehrtägige Seminare in Bildungshäusern @ba am 15.10 2008 in der Katholischen Akademie sind deshalb stärker als bisher zu unterstützen. Schwerte

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Keine Angst vor den Fremden! – ein Projekt für Bernauer Schulen Birgit Schädlich

Der Arbeitskreis deutscher Bildungsstätten be- im Zusammenleben mit den Einheimischen zutage, schließt für jedes Jahr ein Thema, das aus aktuellem werden Einwanderer beschimpft, belästigt und ver- Anlass besondere Beachtung in den eigenen Akti- einzelt auch angegriffen. Deutsche Familien fühlen vitäten und in den Bildungsangeboten der Mit- sich durch kulturell bedingte Verhaltensweisen in gliedseinrichtungen finden soll. Im Jahr 2008 lautet den Wohnvierteln gestört, haben kein Verständnis das Thema „Demokratiekompetenz stärken – Politi- dafür. In Schulen fehlen den Mitschülerinnen und sche Bildung in der Einwanderungsgesellschaft“. Mitschülern, aber auch dem Personal vielfach die Der AdB und seine Mitgliedseinrichtungen wollen notwendigen Kenntnisse über die Umstände, un- mit diesem Jahresthema verdeutlichen, was Politi- ter denen Zuwanderer hierher kommen und wie sche Bildung zum Gelingen von Integrationsprozes- sie dann ihr Leben hier einrichten. Diese Situation sen beitragen kann, und welche Anforderungen bildete den Ausgangspunkt für die Projektidee dabei von der Aufnahmegesellschaft wie von den „Keine Angst vor Fremden“. Sie entstand als Ko- Eingewanderten bewältigt werden müssen. Dazu operation aus dem Netzwerk für Integration her- präsentieren wir in jeder Ausgabe ein Beispiel aus aus, dessen Gründungsmitglied der Verein Bil- der Praxis unserer Mitgliedseinrichtungen. dung-Begegnung-Zeitgeschehen (bbz) war und das sich auf seine Fahnen schrieb, ein fremden- freundliches Klima in Bernau zu schaffen. Bernau, am nördlichen Rand von Berlin gelegen, gehört zu den wenigen Orten in Brandenburg, die Eine Arbeitsgruppe im Netzwerk bereitete das Pro- wachsen; wo Abwanderung nicht das Problem dar- jekt mit Ideensammlungen und weiteren Schritten stellt, sondern eher die Integration von Einwande- vor, bis sich eine kleine Gruppe, bestehend aus der rern. Mit 4,16 % der Einwohner/-innen hat sich der Jugendbildungsreferentin des bbz, dem evangeli- Anteil der zugewanderten Bürgerinnen und Bür- schen Jugendwart der Stadt Bernau, einer kurdi- ger aus dem Ausland in den letzten fünf Jahren schen Asylbewerberin und einer russischen Spät- leicht erhöht, er liegt im Vergleich zu Berlin und aussiedlerin bildete und gemeinsam das Konzept anderen deutschen Großstädten aber auf einem entwickelte. Dabei brachte jede/-r spezifische Er- niedrigen Niveau. Die Spätaussiedler und die jüdi- fahrungen ein: die Vertreterin des bbz die Metho- schen Immigranten stellen mit zwei Dritteln die de der biografischen Arbeit und Geschichtsprojek- größten Gruppen dar und fallen als russisch spre- te mit Jugendlichen, der Kollege aus der chende Bewohner im Stadtbild auf. Während der evangelischen Jugendarbeit sein Wirken mit Ju- Zeit der DDR mussten in Bernau Tausende Sowjet- gendlichen für Amnesty International sowie Erfah- soldaten mitversorgt rungen mit Kinderfreizeiten, die beiden Zuwande- Trotz des zahlenmäßig werden; daran erinnern rinnen ihre Biografien und Kenntnisse über die geringen Anteils der sich noch viele und das Praxis des Asyl- und Zuwanderungsrechtes in der ausländischen Zuwan- belastet das Verhältnis Bundesrepublik. Es entstanden zwei aufbauende derer treten immer zu den genannten Ein- Seminarmodule für die fünften und sechsten Klas- wieder verschiedene wanderern. Die Asylbe- sen der Bernauer Schulen. Im Basismodul ging es Probleme im Zusam- werber bilden ein weite- darum, nach den Gründen von Einwanderern zu menleben mit Einhei- res Drittel der gezählten fragen, aus denen sie ihre Heimat verlassen und mischen zutage, wer- ausländischen Einwoh- nach Bernau kommen. Den Höhepunkt des Semi- den Einwanderer ner, fallen jedoch weni- nars bildeten dann die Erzählungen von Zuwande- beschimpft, belästigt ger markant auf. In den rinnen über die Geschichte ihrer Einwanderung. Im und vereinzelt auch Straßen der Innenstadt, Aufbaumodul wurden Fakten wiederholt und ein angegriffen auf dem Markt und vor Zusammenhang zwischen Migration und Vertei- Einkaufszentren prägen lung des Weltreichtums hergestellt. in erster Linie die von Einwanderern meist vietna- mesischer oder türkischer Herkunft betriebenen Methodisch setzte das Team auf folgende Kompo- Imbiss- und Gemüsestände das Bild. Daneben trifft nenten: man besonders in zwei Plattenbauvierteln vor den ■ die Personifizierung der Einwanderungsproble- Kaufhallen, auf den Kinderspielplätzen und im matik Stadtteilzentrum auf russisch, türkisch oder pol- ■ die authentische lebensgeschichtliche Erzäh- nisch sprechende Einwohner. Und natürlich in den lung dazugehörigen Kitas und Schulen, welche die Kin- ■ den Vergleich mit den Erfahrungen der Kinder der der Einwanderer aufnehmen. Trotz des zahlen- mit Migrationshintergrund mäßig geringen Anteils der ausländischen Zuwan- ■ das Einfühlen der Lernenden in eine Einwande- derer treten immer wieder verschiedene Probleme rungssituation.

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drucksvollen Aussehen die © Birgit Schädlich/bbz Bernau Neugier vieler Schülerin- nen und Schüler weckte. Sie glich zum Glück den Verlust der kurdischen Kol- legin aus, die packend und berührend ihre Familien- geschichte vor den Klassen erzählen konnte. Das Team wird auch in Zukunft im- mer wieder mit solchen Wechseln konfrontiert sein, weil bei den Asylver- fahren oder Maßnahmen des Jobcenters solche Pro- jekte nicht berücksichtigt werden. Mehr personelle Stabilität brachte eine Spätaussiedlerin ein, deren Pension schon in Aussicht steht und die in Bernau In der Schulklasse bleiben möchte.

Reflexionen und Erfahrungen Die Zusammenarbeit mit den Schulen gestaltete sich anfangs zäh, die Direktoren reagierten zunächst Der entscheidende Unterschied zu vorherigen Pro- nicht auf die Projektwerbung. Erst die persön- jekten bestand darin, dass bereits von der konzep- lichen Gespräche über- tionellen Phase an Immigrantinnen gleichberech- Erst persönliche zeugten einige von dem tigt mitwirkten. Von Vorteil war, dass sowohl der Gespräche überzeug- Konzept und öffneten Verein bbz als auch der Jugendwart bestehende ten von dem Konzept die Türen. Damit war Arbeits- und persönliche Kontakte zu Immigranten und öffneten die Türen zwar die erste Hürde ge- sowie einen gewissen Vertrauensbonus auf deren nommen, aber längst Seite nutzen konnten. Schritt für Schritt gestaltete noch nicht die Skepsis bei den Lehrenden ausge- das Team gemeinsam das Konzept, testete an sich räumt. Dies erfolgte dann in den Seminaren, die je- selbst Übungen und Spiele und knüpfte Kontakte weils Doppelstunden während des Unterrichts zu den Schulen. Jedes Mitglied wählte seinen Part. oder eines Projekttages ausfüllten. Letztendlich Das Auftreten der Einwanderinnen als Zeitzeugin- konnten sich auch die Lehrerinnen und Lehrer nen prägte das Kernstück des ersten Moduls, ihre nicht der Wirkung entziehen, die von den Berich- Life-Berichte bildeten das A und O der Seminar- ten der Einwanderinnen ausgehen. Oft entwickel- idee. Dabei spielen unvollkommene Deutschkennt- ten sich in den Pausen und im Anschluss offene Ge- nisse kaum eine Rolle. Die Kinder gaben sich stets spräche mit ihnen, in denen die Lehrenden die größte Mühe, sie zu verstehen. Manchmal half eingestanden, viel zu wenig über die Lebensbedin- auch eine kurze Zwischenfrage von Seiten des Te- gungen von Asylsuchenden zu wissen, etwa über ams, wenn an den Gesichtern abzulesen war, dass die Residenzpflicht, das Arbeitsverbot oder das etwas nicht ganz verstanden wurde. Gutscheinsystem. Zwei der Schulleiter nahmen an den ersten Veranstaltungen selbst teil und testeten Im Projektverlauf ergaben sich erschwerende, per- das Team und das Konzept. Mit eben diesen ent- sonelle Wechsel bei den Einwanderinnen wegen wickelte sich ein dauerhafter Kontakt, der an der eines Ortswechsels oder einer Arbeitsaufnahme. Grundschule sogar zu weiteren Projekten und zwei Dafür stiegen dann andere ein, die in Integrations- Arbeitsgemeinschaften mit Immigranten führte. In kursen im bbz schon längere Zeit Deutsch lernten. der Förderschule gab es hilfreiche Gespräche mit Leider gelang es nicht wie beabsichtigt, ausgewo- dem Lehrpersonal zur Anpassung des Konzeptes gene Vertretungen aller Immigrationsgruppen zu an die Fähigkeiten der Lernenden. Ins Gymnasium finden. Als großer Gewinn erwies sich erst jüngst lud eine Schülerin ein, die über die evangelische eine Asylbewerberin aus dem Tschad, welche mit Jugendarbeit von dem Projekt erfahren hatte. In- ihrem kulturellen Hintergrund und ihrem ein- zwischen ist „Keine Angst vor Fremden!“ in jedem

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Jahr in den Projekttag für die 6. Klasse fest einge- fühl. Das Team setzt darauf, ohne die Effekte zu plant. überhöhen noch zu relativieren. Diese Gefühlsan- sprache hat eine nachhaltige Wirkung, die sich et- Die anfängliche Skepsis der Lehrerschaft rührte wa ein Schuljahr später in den Aufbauseminaren unter anderem daher, dass die Schulen mit Projekt- zeigt, wenn die Kinder zu den Einwanderinnen ge- angeboten unterschiedlichster Qualität und oft hen und sie fragen: „Wie geht es Ihrer Tochter heu- undurchschaubarem Interessenhintergrund über- te?“ oder „Ist Ihre Schwester immer noch im Ge- häuft werden – so erklärten einige zumindest. fängnis?“ Aber ganz konnte auch nicht ausgeräumt werden, dass die Notwendigkeit nicht gesehen wird, sich Als stützendes Potential in den Klassen erwiesen mit den Einwanderern speziell zu beschäftigen. In- sich auch die Kinder aus Immigrantenfamilien. Da sofern leistete das Team mit dem Projekt auch un- in einigen Klassen von 28 Lernenden bis zu sieben ter der Lehrerschaft Pionierarbeit. Kinder mindestens ein Elternteil mit Einwande- rungshintergrund hatten, stand diese Gruppe von Beginn an im besonderen Blickfeld des Teams. Es Transfer der Inhalte beabsichtigte, diese Kinder dadurch zu stärken, dass sie auch einmal in den Mittelpunkt rückten Es gelingt mit den Seminaren, das Verständnis für und ihre besonderen Erfahrungen in die Klassen Einwanderer auf eine persönliche Ebene zu trans- einbringen konnten. Nicht alle outeten sich gleich portieren, die Ausländerproblematik nicht abstrakt bei der Vorstellungsrunde, in der auch nach den zu diskutieren, sondern zu personifizieren. Das Sprachen gefragt wurde, die man spricht. Aber die funktioniert vor allem, weil Immigrantinnen au- meisten gaben sich zu erkennen, indem sie etwa thentisch über ihre Einwanderungsgeschichte be- bei den Einwanderungsgründen so ungewöhnliche richten. Sie schildern Folter, Krieg und andere Ideen hatten wie „sauberes Wasser“ oder „Kran- Gräuel, aber auch unspektakuläre Auswande- kenhäuser“. Besonders intensiv brachten sich diese rungsgründe. Die Spätaussiedlerin erzählt frei her- Schülerinnen und Schüler in Übungen ein, die eine aus, dass sie sich ein besseres Leben für ihre Enkel- Auswanderung simulieren. Hier konnten sie die ei- kinder wünschte, als sie aus Russland ausreiste. Die genen Erfahrungen beisteuern: Wie lange jemand Ukrainerin kam wegen der Krankheit ihrer Tochter, braucht, um neue Freunde zu finden, um perfekt der hier geholfen werden konnte. Diese ehrlich be- die Landessprache zu sprechen oder um sich in ei- nannten Motive berühren die Kinder – auch die nem neuen Land zu Hause zu fühlen. Ihre Mitschü- Lehrerinnen und Lehrer – und wecken ihr Mitge- lerinnen und Mitschüler bemerkten sehr wohl, dass die Einwandererkinder da- © Birgit Schädlich/bbz Bernau bei auf Kenntnisse zurück- griffen, die ihnen fehlen. Dies stärkte – wie beab- sichtigt – das Selbstbe- wusstsein bei den Zuwande- rerkindern und brachte ihnen zum Teil auch Aner- kennung bei den anderen ein.

Im Aufbaumodul ein Schul- jahr später konnte das Team generell schon auf mehr Vertrautheit bei Schü- lern wie Lehrern zählen. Oft wurden bestimmte spielerische Elemente di- rekt wieder aufgegriffen: „Machen wir heute wieder sumgaligaligali?“ Das gab den Hintergrund einer auf- geschlossenen Atmosphäre Im Gespräch mit einer Migrantin ab und ließ den Schritt zu,

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den Bogen von der Personifizierung der Einwande- Abschließend soll eine 6. Klasse aus Bernau selbst rungsproblematik hin zur Abstraktion, nämlich der zu Wort kommen. In ihrer Auswertung schrieben Verteilung des Reichtums in der Welt, zu ziehen. die Schülerinnen und Schüler zu der Frage: „Was Nun agierten das Team, die Klasse und auch die wollt ihr euch von dem Projekt merken?“: Lehrer/-innen gemeinsam, um die Verteilungsver- hältnisse und die Flüchtlingsströme in der Welt mit „Die Geschichte von Frau I.“ (dieser Punkt wurde Stühlen und Personen darzustellen. Ein einziges am häufigsten genannt); „dass Menschen aus ver- Mal geriet die Übung zu einem Chaos, entbrannte schiedenen Gründen nach Deutschland kommen“ ein rücksichtsloser Kampf unter einigen Schülern (die Gründe wurden zum Teil konkret benannt); um die Verteilung der Stühle, die den Reichtum „dass viele Menschen vertrieben werden“; „dass es symbolisierten – eigentlich wie im richtigen Leben. wenige Ausländer in Bernau gibt“; „dass Auslän- In Übereinkunft mit der Lehrerin wurde das Spiel der andere Sprachen sprechen, anders aussehen abgebrochen, die Klasse beruhigt und dann die und sich anders verhalten.“ Übung ausführlich ausgewertet.

In den anderen Seminaren verblüfften die entstan- denen Stuhl- und Personenverteilungen zunächst Dr. Birgit Schädlich arbeitet als Dozentin beim Verein Bildung die Klassen und bildeten dann den Ausgangspunkt Begegnung Zeitgeschehen (bbz) Bernau e.V. und ist dort er- zu einer lebendigen Diskussion: Wo leben die mei- reichbar unter der Adresse sten Flüchtlinge in der Welt? Wo gibt es den größ- Breitscheidstraße 41, 16321 Bernau. ten Wohlstand? Wie wird diese Verteilung beur- teilt? E-Mail: [email protected]

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Demokratiekompetenz stärken – Politische Bildung in der Einwanderungsgesellschaft Ein Rückblick auf das AdB-Jahresthema 2008 Ina Bielenberg

Mit der Mitgliederversammlung des Arbeitskreises Beitrag des AdB deutscher Bildungsstätten (AdB) beginnt alljährlich die verbandliche Diskussion um das so genannte Was kann die Politische Bildung, was kann der AdB Jahresthema – das Thema, das den AdB und seine zum Gelingen von Integrationsprozessen beitra- Mitglieder ein Jahr lang in besonderer Weise be- gen? In der AdB-Stellungnahme, die zusammen mit gleiten und beschäftigen soll. In der Regel wird der Jahrestagung den Auftakt für das Jahresthema – diskutiert von der Mitgliederversammlung, den bildet, heißt es dazu: „Integration ist unabdingbar, Kommissionen und dem Vorstand – eine gesell- um ein friedliches und demokratisches Miteinan- schaftliche und/oder politische Fragestellung auf- der zu sichern. Die Erfahrungen aus der Nachkriegs- gegriffen, die „auf den Nägeln brennt“, um sichtbar zeit und bei der Wiedereinführung der Demokratie zu machen, was im AdB dazu bereits geleistet wird, in Deutschland haben gezeigt, dass demokratisches um Neues anzuregen, um zu informieren, zu bera- Verhalten immer wieder gelernt und erfahren wer- ten, zu dokumentieren. Im letzten Jahr lag der Fo- den muss, um nachhaltige Wirkungen zu erzielen kus auf „Chancengleichheit und Beteiligung – den und um die Demokratie im eigenen Lebensalltag demografischen Wandel zukunftsfähig gestalten“. zu verankern. In diesem Sinne müssen die Anstren- gungen erhöht werden, um die anstehenden Inte- Und demografische Daten sind es auch, die die grationsleistungen meistern zu können. Integration Notwendigkeit der intensiven Auseinandersetzung ist dabei als wechselseitiger Prozess zwischen der mit dem Jahresthema 2008 „Demokratiekompe- aufnehmenden Gesellschaft und der zugewander- tenz stärken – Politische Bildung in der Einwande- ten Bevölkerung zu verstehen. Sie orientiert sich an rungsgesellschaft“ belegen. Die amtlichen Daten der Anerkennung der kulturellen Vielfalt sowie am des Mikrozensus, vom Statistischen Bundesamt 2006 Ziel des gleichberechtigten Miteinanders auf der veröffentlicht, zeigten erstmals die tatsächliche Grö- Grundlage des Grundgesetzes; dies setzt auch die ße der Zuwanderung nach Deutschland auf. Der Offenheit und Veränderungsbereitschaft der Ein- Mikrozensus fragt nicht mehr nur nach Staatsange- wanderungsgesellschaft voraus.“ hörigkeit, sondern auch nach dem Migrationshin- tergrund. D. h., die Da- © www.awayumania.de.vux/Pixelio Das tatsächliche Aus- ten weisen nun all jene maß der Migration ist als Migrant/-inn/-en aus, nach dem Mikrozensus die selbst oder deren El- viel höher als bisher tern nach Deutschland angenommen zugewandert sind. Das tatsächliche Ausmaß der Migration ist demnach viel höher als bisher ange- nommen. 15,3 Millionen Menschen in Deutschland haben einen Migrationshintergrund, das sind 18,6 % der Gesamtbevölkerung und damit rund doppelt so viele wie nach dem bisherigen Ausländerkon- zept ermittelt. Und im Hinblick auf die demografi- sche Gesamtentwicklung der Gesellschaft (siehe letz- tes Jahresthema) macht sich durch die neuen Zahlen noch eine weitere Dynamik bemerkbar: 5,8 Millio- nen junge Menschen unter 25 und sogar rund 33 % der Kinder bis zu sechs Jahren haben einen Migra- tionshintergrund. Die meisten dieser Kinder sind in Deutschland geboren, aber diese Tatsache führt nicht dazu, dass sich die sicht- und messbaren Unter- schiede zwischen Menschen mit und ohne Migra- tionshintergrund in ihren Bildungs- und Integra- tionsleistungen nivellieren, dass ihnen quasi die Basis entzogen wäre. Ganz im Gegenteil werden die Benachteiligungen (die letzte PISA-Studie hat es noch einmal offen gelegt) in den Familien tra- diert. Die Herausforderung der Integration von zu- gewanderten Menschen und ihren Kindern stellt Beim Karneval der Kulturen in Berlin-Kreuzberg sich daher dringender denn je. (hier: 2007) stellt sich Migration als buntes Fest dar

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Die inhaltliche Bestimmung des Begriffs „Integra- Kamera und Fotoapparat ausgerüstet fuhren sie tion“ als ein Prozess, in den gesellschaftlich alle mit mit der Linie 1 quer durchs Ruhrgebiet und erstell- eingebunden sein müssen und der abhängig ist so- ten als Ergebnis ihrer Recherchen eine multimedia- wohl vom Verhalten der Zuwanderer als auch von le Inszenierung über das Zusammenleben der Men- der Bereitschaft der Aufnahmegesellschaft, spielte schen im Ruhrgebiet (s. dazu AB 1-2008, S. 84, ff.). eine wichtige und zentrale Rolle in der innerver- „Ohne die wäre es hier voll langweilig“, befanden bandlichen Diskussion. Wenn Integration also als 45 Jugendliche aus Berlin-Neukölln, die sich in Ra- eine Aufgabe verstanden wird, die alle fordert, dio-, Video-, Musik- und Theaterworkshops mit dann fordert sie auch von allen bestimmte Kompe- dem „Zusammenleben“ auseinandersetzten (AB 3- tenzen wie etwa „die Fähigkeit zur Partizipation, 2008, S. 315, ff.). Und „Keine Angst vor den Frem- zur friedlichen Konfliktregelung, zur Auseinander- den“ zeigten Schülerinnen und Schüler aus Ber- setzung mit Unterschieden und Fremdem, zur Re- nau, die sich auf der Grundlage des biografischen flexion der eigenen Identität und zum Erkennen Ansatzes mit Einwanderung beschäftigten (s. S. von Benachteiligungen aufgrund des Geschlechts, 404 ff. in diesem Heft). der Hautfarbe, der sozialen und ethnischen Her- kunft sowie der Religion. Dazu gehört auch, die Viele weitere Maßnahmen haben in den Jugend- Vielfältigkeit von Kulturen als Chance zu begreifen bildungsstätten, Akademien, Bildungswerken und und die darin liegenden Potenziale für die Ent- Europahäusern im AdB stattgefunden und werden wicklung der Gesellschaft zur Entfaltung zu brin- auch in Zukunft stattfinden. Der AdB hat seine Mit- gen.“ (AdB-Stellungnahme) glieder dabei unterstützt. So wurde das Jahresthe- ma-Angebot auf der Homepage deutlich erweitert und ausgebaut. Neben der oben bereits erwähn- Interessante Praxisbeispiele ten Veranstaltungs-Datenbank gab es Hinweise auf und Informationen über Fördermittel zum Schwer- Angebote der politischen Jugend- und Erwachse- punktthema, denn ohne die notwendige finanziel- nenbildung im AdB schaffen Orte und Gelegenhei- le Unterstützung können auch die entsprechenden ten, genau solche Kompetenzen entwickeln zu Angebote nicht bereitgehalten werden. Neben ei- können. In einer entsprechenden Datenbank auf ner Literaturauswahl stieß bei den Homepagebe- der Homepage des AdB sowie in jeder Ausgabe der suchern vor allem eine umfangreiche Linksammlung Zeitschrift „Außerschulische Bildung“ wurden im auf Interesse. Sie sollte vor allem auf Hintergrund- Laufe des Jahres 2008 zahlreiche Praxisbeispiele informationen zum Thema Migration verweisen vorgestellt und präsentiert, die dies anschaulich und leitete Interessenten z. B. weiter zum Nationa- belegen: Die dbb-Akademie fragte im Rahmen ei- len Integrationsplan, zum Internetportal „Migra- nes Seminars nach, wie es sei, „In der Fremde zu tion in Deutschland“ oder zur SINUS-Studie über Mi- Hause“ zu sein, in der Franken-Akademie Schloss grantenmilieus. Schney wurden im Rahmen eines Integrationsseminars © Haus Rissen, Hamburg die „Partizipationsmöglich- keiten und die Repräsenta- tion von Migranten in Staat und Gesellschaft“ erarbei- tet, und in Haus Rissen in Hamburg waren die „Mi- grationsbewegungen in Eu- ropa“ und der politische Umgang damit Thema ei- nes Kurses für interessierte Bürgerinnen und Bürger.

Mit neuen Eindrücken und gestärktem Selbstbewusst- sein aufgrund vieler positi- ver Lernerfahrungen schlos- sen 35 Jugendliche das Projekt „S-Bahn 1 – Vielfalt leben im Revier“ ab. Mit Jugendliche beim Planspiel in Haus Rissen, Hamburg

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findet, was politisch für © AdB richtig erachtet wird: die gleichberechtigte Teilhabe von Migrantinnen und Mi- granten bzw. deren Orga- nisationen. Dabei handelt es sich um einen Prozess, der als Selbstverpflichtung Teil der Stellungnahme ist: „Konkret bedeutet dies, dass sich der AdB verstärkt bemüht, Migrantenselbst- organisationen auf die po- litische Bildung im AdB of- fensiv aufmerksam zu machen und Kooperatio- nen bzw. Mitgliedschaften einzugehen.“ Dies erweist sich als anspruchsvolle und nicht kurzfristig zu lösende Aufgabe, denn die sozio- kulturell homogene Gruppe Diskussion zum Papier „Gender und Migration“ in einer Arbeitsgruppe auf der AdB- der Migrant/-inn/-en gibt es Mitgliederversammlung 2007 nicht. Vielmehr zeigt sich eine vielfältige und diffe- Interkulturelle Öffnung des AdB als Ziel renzierte Milieulandschaft, aus der sich eigene Strukturen – Vereine, Verbände, Einrichtungen, In- Im Kontext des Jahresthemas „Demokratiekompe- itiativen – herausgebildet haben. Dennoch: Erste tenz stärken – Politische Bildung in der Einwande- Schritte sind gemacht, erste Kontakte geknüpft, rungsgesellschaft“ stand auch die Arbeit der Gen- erste Gespräche geführt. Dieser Prozess muss nun der-Steuerungsgruppe des AdB. Überzeugt von der fortgeführt werden. Die Politische Bildung in der Tatsache, dass Geschlechtergerechtigkeit und Ge- Einwanderungsgesellschaft bleibt damit auf abseh- rechtigkeit in der Einwanderungsgesellschaft mit- bare Zeit Thema im AdB. einander verschränkt sind und sich Geschlechter- gerechtigkeit nur unter Berücksichtigung von Migrationsaspekten herstellen lässt, hat die Grup- pe ein Papier „Gender und Migration“ verfasst und Ina Bielenberg ist Geschäftsführerin des dies als Arbeits- und Diskussionsgrundlage allen Arbeitskreises deutscher Bildungsstätten Mitgliedseinrichtungen zur Verfügung gestellt. und hat die Geschäftsführung des Bundes- ausschuss‘ politische Bildung (bap) inne. Zudem hat sich, angestoßen durch die letzte Jah- Sie ist zu erreichen unter der Adresse des restagung, eine Arbeitsgruppe „Interkulturelle Öff- AdB: Mühlendamm 3, 10178 Berlin. nung des AdB“ gegründet. Ihr Ziel ist es, dass sich auf Dauer in den Strukturen des Verbandes wieder- E-Mail: [email protected]

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Die Szenario-Methode Tanja Berger

Tanja Berger stellt eine Methode der politischen andere. Dennoch lässt sich ein Schema angeben, Bildung vor, die sich zur Planung von zukunfts- das Orientierung für die systematische Herange- orientiertem Handeln eignet. Das Erstellen von hensweise gibt. Szenarien ermöglicht nicht nur die Auseinander- setzung mit der Gegenwart, sondern erfordert Die Szenario-Methode orientiert sich an verschie- auch die Beschäftigung mit Trends, für die Strate- denen Phasen. Im ersten Schritt geht es darum, sich gien zu entwickeln sind. Tanja Berger beschreibt über den Rahmen klar zu werden, d. h. eine kon- die einzelnen Schritte bei der Anwendung der Me- krete Fragestellung finden, die Ausgangssituation thode, verweist auf deren Stärken und Grenzen verstehen und einen Zeitrahmen eingrenzen. Im und gibt praktische Tipps für die weitere Beschäfti- zweiten Schritt werden Einflussfaktoren und gung mit dieser Arbeitsform. Trends identifiziert, die bereits heute und in Zu- kunft das Leben beeinflussen könnten. Im näch- sten Schritt geht es an das Formulieren der Szena- Ich beschäftige mich nicht mit dem, was getan worden ist. rien. Am Ende stehen dann das Vorstellen und Mich interessiert, was getan werden muss. Diskutieren der entwickelten Szenarien und deren Marie Curie Analyse für weitere Strategieplanungen.

Was ist ein Szenario? Klären der Fragestellung, des Zeitrahmens und der Ausgangssituation Szenarien sollen etwas bewirken, denn aus ihnen Das Wichtigste, um ein Szenario entwickeln zu lassen sich Konsequenzen für momentanes Han- können, ist eine klare und abgrenzbare Fragestel- deln ableiten. Wenn nicht nur mit Erfahrungen ge- lung (Beispiele: Wo sehen wir die Mädchenarbeit arbeitet werden soll, sondern es auch um eigene in unserer Bildungsstätte im Jahr 2020? Welche Erwartungen geht, sind Szenarien eine gute Me- Rollenbilder wird es in 25 Jahren geben?). Das ist thode. Szenarien zu entwickeln, heißt jedoch der erste, aber äußerst wichtige Schritt. Als Erstes nicht, die Zukunft vorherzusagen. Es geht vielmehr macht man sich mit dem zu bearbeitenden Thema darum, unterschiedliche Vorstellungen und mögli- vertraut. Die Assoziationen dazu können z. B. auf che Entwicklungswege aufzuzeigen. Szenarien Karteikarten gesammelt und geordnet werden. können sehr bildhaft sein. Sie tragen etwas Neues Was ist interessant am Thema? Die Fragestellung und Unerwartetes in sich. Wer Szenarien schreibt, soll für die Teilnehmenden von Relevanz sein, so beschäftigt sich nicht nur mit der Zukunft und spezifisch wie möglich. möglichen Wegen dorthin, sondern hinterfragt gegenwärtige Entwicklungen und hilft langfristige Es muss ein Zeitrahmen festgelegt werden, inner- Wirkungen heutiger Maßnahmen oder Problem- halb dessen sich die Zukunft entwickelt. Der Zeit- stellungen zu erkennen. Dadurch ergeben sich rahmen sollte dabei nicht zu begrenzt sein, damit neue Denkanstöße und unterschiedliche Perspek- genug Zeit für Veränderungen ist, aber auch nicht tiven. zu weit sein, damit Entwicklungen nicht beliebig und für die Gegenwart bedeutungslos werden. Komplexe und hilfrei- Komplexe und hilfreiche Man unterscheidet kurzfristige (5-10 Jahre), mittel- che Szenarien zeichnen Szenarien zeichnen sich fristige (11-20 Jahre) und langfristige (über 20 Jah- sich dadurch aus, dass dadurch aus, dass sie ei- re) Zeithorizonte. Welcher Zeithorizont am besten sie eine möglichst ne möglichst facetten- passt, ist vom Thema abhängig – konkrete Frage- facetten- und kontrast- und kontrastreiche Welt stellungen in Zusammenhang mit der eigenen Bil- reiche Welt mit posi- mit positiven und nega- dungsarbeit können in naher Zukunft liegen, poli- tiven und negativen tiven Aspekten beschrei- tische Fragen brauchen eher größere Zeiträume, Aspekten beschreiben ben. Szenarien gehen um sich zu entwickeln. Für die Festlegung des Zeit- immer von der Gegen- rahmens sollte allerdings nicht zuviel Zeit und wart aus und nehmen Bezug auf aktuelle Trends. Energie verwendet werden. Bei der Szenariome- Die verschiedenen Möglichkeiten von Zukünften thode stehen die Veränderungsprozesse und ihre werden fantasiereich durchgespielt. Dabei zeigen Wirkungen im Mittelpunkt und nicht der exakte sich potenzielle Trends, auf die strategisch reagiert Zeitpunkt ihres Eintretens! bzw. hingearbeitet werden kann. Für die Bestimmung der Ausgangssituation ist zu Das Erstellen eines Szenarios ist ein kreativer und klären, was die Teilnehmenden über das Thema bis- komplexer Prozess. Kein Workshop läuft wie der her wissen. Welche Erscheinungen und Entwicklun-

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es aber wichtig, zahlreiches Informationsmaterial zum ©Tanja Berger/Hoch Drei e. V. Thema zu beschaffen und ggf. Leute mit Expertise zu befragen. Die Überlegun- gen werden visualisiert festgehalten (z. B. Wand- zeitung, Mind Map, Mode- rationskarten, Protokoll).

Die Bestimmung von Ein- flussfaktoren und Identifi- zierung von möglichen Entwicklungstrends Im zweiten Schritt geht es um die Identifizierung von Einflussfaktoren und um Überlegungen, in welche Richtung sich die Einfluss- faktoren entwickeln könn- ten. Ist eine Reihe von Ein- flussfaktoren erarbeitet, Arbeit am Szenario wird als nächstes geklärt, in welchem Verhältnis sie gen sind zu beobachten? Welche Fakten und Zu- zueinander stehen. Die Sortierung erfolgt nach sammenhänge sind bekannt? Warum ist das Pro- zwei Kriterien: blem/das Thema wichtig und relevant? Die Be- schreibung der Gegenwart bildet die Grundlage für 1. Wie wichtig oder unwichtig ist der betreffende die zu entwickelnden Szenarios. Ein/e Moderator/in Einflussfaktor? kann helfen, die gegenwärtige Situation zu be- 2. Ist der Einflussfaktor in seiner zukünftigen Aus- stimmen. Es geht auch ohne Moderation, dann ist prägung schon festgelegt oder offen?

©Tanja Berger/Hoch Drei e. V. Je nachdem, ob ein Ein- flussfaktor in seiner Aus- prägung bereits festgelegt ist oder nicht, wird zwi- schen treibenden Kräften – „drivers“ – und gegebenen Kräften – „givens“ – unter- schieden. Drivers sind Schlüsselfaktoren, die be- sonders wichtig und zu- gleich in ihrem Verlauf oder ihren Auswirkungen sehr ungewiss sind. Diese sind für ein Szenario be- sonders interessant, weil hier die Gestaltungsspiel- räume liegen. Eine Be- schränkung auf zwei wirk- lich bedeutende „driver“ ist notwendig, damit es nicht zu komplex wird. Von den beiden „drivers“ wer- Prüfung von Informationsmaterial den Gegensatzpaare gebil-

412 ARBEITSFORMEN UND METHODEN

det, welche die beiden Maximalausschläge kenn- Szenarien haben nicht nur einen Ausgangspunkt in zeichnen. Also bspw. nicht viel Geld – wenig Geld, der Gegenwart und folgen einem roten Faden, der sondern kein Geld – Geld im Überfluss. deutlich macht, wie es zur fantasierten Zukunft kommt, sondern haben auch Hauptfiguren. Das kön- Damit ein Szenario realistisch wird, sind „givens“ nen einzelne Menschen notwendig. Das sind Schlüsselfaktoren, die in ih- Es soll deutlich werden, sein, die ihren Alltag ge- rem Verlauf relativ sicher sind und als gegeben für welche Zusammen- stalten, eine charismati- weitere Überlegungen angesehen werden können. hänge zwischen den sche Person in leitender Im Szenario sollten ein paar dieser „givens“ vor- allgemeinen gesell- Funktion, die Regierung kommen. schaftlichen Entwick- eines Landes usw. Am be- lungen und individu- sten ist die Beschreibung ellen Lebenswegen der konkreten Auswir- Erarbeiten und Schreiben der Szenarien bestehen kungen eines Einflussfak- Sind Fragestellung, Zeitrahmen, Einflussfaktoren tors – für unterschiedli- und Entwicklungstrends geklärt, kann es an das che Ebenen wie Individuum, Gesellschaft, Politik, Schreiben der Szenarien gehen. Es wird in Klein- Wirtschaft. Es soll deutlich werden, welche Zu- gruppen gearbeitet zu einem der sich aufspannen- sammenhänge zwischen den allgemeinen gesell- den Szenarien – +/- Ausschlag der beiden „driver“ schaftlichen Entwicklungen und individuellen Lebens- zusammen mit den „givens“. Es wird eine Rohfas- wegen bestehen, d. h. man soll verstehen, was den sung entwickelt. Wichtig ist es, sich dabei Zeit zu Menschen wichtig ist und warum. Das Ende der Ge- lassen, bspw. für Definitionen von Begrifflichkei- schichte sollte offen gestaltet werden und zum ten, für kurze Diskussionen usw. Weiterdenken anregen.

Zwischendurch empfiehlt es sich, im Plenum mit allen zusammenzukommen, um die bisherigen Arbeitser- gebnisse vorzustellen, sich Anregungen zu geben und anschließend wieder in der Kleingruppe die Szenarien zu überarbeiten. Wichtig ist, dass man sich nicht auf die grobe Struktur be- schränkt, sondern ausführ- liche und detailreiche Sze- narien entwickelt – so lebendig wie möglich. Da Szenarien neben sachli- chem Analysieren und dem Erkennen von Zusammen- hängen auch von Kreati- vität und Ideenreichtum leben, sind sie immer ein Werk derjenigen, die sie erarbeitet haben. Sie dür- fen ruhig sehr vielfältig sein. Gerade wenn mehre- re Gruppen oder Personen Szenarien zu einem Thema entwickeln, ist die Band- breite unterschiedlicher Zukünfte und der Wege dorthin spannend. Zum Schluss wird noch ein grif- figer einprägsamer Titel

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formuliert, mit dem die Grundstimmung des Sze- ne fiktive Radiosendung handeln, einen Reisebe- narios deutlich wird. Ein guter Titel erleichtert das richt oder einen Krimi. Behalten und das Reden über das Szenario in der nächsten Phase. Anschließend werden die vorgestellten Szenarien diskutiert. Leitfragen können dabei z. B. sein: Beispiele für Szenarien finden sich im Netz unter: Welche Entwicklung streben wir an, welche Zu- www.brandeins.de/ximages/11098_108deutsch.pdf kunft würden wir uns wünschen? http://www.zwanzig50.de/szenarien/beispiele- Welche Maßnahmen müssen/können ergriffen fuer-szenarien/ werden, um die gewünschte Entwicklung zu errei- web.conact-org.de/downloads/Reader_Szena- chen bzw. die unerwünschte zu verhindern? rien_2025.pdf Was können wir davon gestalten und was nicht? Was können andere, z. B. Politiker/-innen tun? Präsentation und Diskussion der Szenarien Welche Warnzeichen finden sich? Die fertigen Szenarien werden den anderen Teil- nehmenden vorgestellt. Der Kreativität bei der Diese letzte Phase ist der eigentliche energievolle Präsentation sind keine Grenzen gesetzt: Vorlesen, Part, der dazu anregt, konkret zu handeln, strate- Vorspielen, Visualisieren. Es kann sich dabei um ei- gisch weiter zu denken, und der die eigene Arbeit, das eigene Engagement auch beflügelt.

Chancen und Grenzen der Szenario-Methode

Im Rahmen der Mädchen- und Frauenbildung kann die Szenario-Technik ebenso gut eingesetzt wer- den wie in anderen politischen Bildungszusam- menhängen. Während der Durchführung, in den debattierenden Kleingruppen kommt es ganz automatisch zu anregenden Gesprächen über ak- tuelle gesellschaftspolitische Fragen, über Wün- sche und über individuelle und allgemeine Proble- me. Gerade für kluge Strategien zur Forcierung von Frauen und Mädchen fördernden bzw. er- © Tanja Berger/Hoch Drei e. V. mächtigenden Maßnahmen oder zur Abwehr von Szene bei der Präsentation eines Szenarios einengenden und potenziell diskriminierenden Entwicklungen ist die Analyse der erarbeiteten Szenarien hervorragend geeignet. Gerade in Zei- ten wie jetzt, in denen es zum einen die Tendenz eines „neuen Feminismus“ gibt, zum anderen aber viele Zeichen auf Gegenreaktionen zurück zu Ge- schlechterrollen hinweisen.

Die Methode lässt sich vor allem bei recht homoge- nen Gruppen einsetzen. Menschen mit einer ge- meinsamen Zielstellung, aus einem ähnlichen Kon- text mit vergleichbarem Erfahrungshintergrund arbeiten sehr schnell sehr konzentriert an den Zu- kunftsszenarien. Bei sehr gemischten Gruppen ist mehr Zeit für den gesamten Prozess einzuplanen – die Arbeit selbst ist dann umso spannender.

Bei der Szenario-Technik ist es von Vorteil, in einer vereinbarten Sprache zu arbeiten, für internationale Gruppen mit Sprachmittlung ist es kaum geeignet. Der Prozess ist relativ komplex, kann aber in Eigenre- © Tanja Berger/Hoch Drei e. V. gie der Gruppe durchgeführt werden, sofern ein Publikum bei der Präsentation eines Szenarios Gruppenmitglied Erfahrung mit der Methode hat.

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Die konkreten Ergebnisse regen dazu an, inner- der Szenarien Wirklichkeit werden zu lassen und halb der Gruppe bzw. der Organisation über die ei- die negativen schon in den ersten Anzeichen zu er- gene Arbeit zu reflektieren und innovative Strate- kennen und gegenzusteuern. gien zu entwickeln, um die faszinierenden Aspekte

Szenario Methode in Kürze

Raum: Es müssen geeignete Räume in Bezug auf Gruppengröße, Inhalt und Dauer der Szenarioübung gefunden werden. Das heißt konkret, es müssen genügend Rückzugsecken für die Kleingruppenphasen vorhanden sein sowie ein gro- ßer Raum für die Plena. Es sollte möglichst bequem und ungestört gearbeitet werden können.

Zeit: Der zeitliche Rahmen kann von einem Nachmittag bis zu drei Tagen reichen. Dabei gilt: je kürzer die Zeit, desto ge- ringer ist die Intensität. Man kann die Szenariowerkstatt auch auf verschiedene Tage aufteilen (z. B. Ausgangslage klären, Fragestellung entwickeln – ein Nachmittag, Einflussfaktoren bestimmen und sortieren – ein Nachmittag, Sze- narios schreiben – ein Nachmittag, Szenarios vorstellen und diskutieren – ein Nachmittag).

Arbeitsmaterialien: Es sollten reichlich A4-Blätter vorhanden sein und eine große Anzahl Stifte (dicke und dünne). Für jede/-n Teilneh- mer/-in je einen Stift zur Verfügung stellen.

Teilnehmer/-innen: Eine gute Gruppengröße sind 8 bis 12 Personen, damit jede/-r aktiv mitwirken kann. Es können aber auch mehr sein, dann werden mehrere Gruppen gebildet und das Thema wird parallel behandelt. Die Ergebnisse der einzelnen Gruppen können so miteinander verglichen werden. Es empfiehlt sich auch, Flipchartpapier oder anderes großfor- matiges Papier sowie Moderationskarten parat zu haben, insbesondere dann, wenn man sich erst in das Thema ein- arbeiten und sich Hintergrundwissen aneignen oder vertiefen will. Bei Bedarf sollten Hintergrundmaterialien wie Bücher, Broschüren, Bilder, Filme usw. zum Thema bereitliegen (oder aber die/der Moderator/-in übernimmt diese Rolle).

Moderation: Muss nicht unbedingt sein, hat aber den Vorteil, dass es jemanden gibt, der/die sich um die Koordination der Klein- gruppenarbeit und der Plena kümmert. Wenn es jemand ist, der fachlich gut im Thema steht, kann sie/er auch dabei behilflich sein, die Ausgangslage zu klären und Einflussfaktoren zu bestimmen. Die Moderation erläutert zu Beginn kurz die Methode, das Vorgehen und die Ziele der Entwicklung von Szenarien. Dazu kann sie die verschiedenen Schritte zur Erstellung eines Szenarios auf große Papierbögen schreiben, gut sichtbar für alle. Sie/er steht außerdem für Rückfragen zur Verfügung und kann z. B. durch gezieltes Fragen dabei helfen, eine konkrete Fragestellung zu entwickeln. Es empfiehlt sich, für ca. 10 Personen eine Moderation einzusetzen, bei mehr als 10 Teilnehmenden sind mehrere Moderator/-inn/-en hilfreich.

Zum Weiterlesen und Vertiefen: Peter Weinbrenner, u. a. (Hrsg.): Wege zur Zu- kunftsfähigkeit – ein Methodenhandbuch, Stiftung Internet: Mitarbeit, Bonn 1998. www.4managers.de www.buergergesellschaft.de www.szenario.com/ Tanja Berger ist Koordinatorin für Bildung bei www.ipa-netzwerk.de – Institut für prospektive Hoch Drei e.V. Die Schwerpunkte liegen auf Analysen e.V. Der Geschäftsführer Sascha Meinert den Themen Interkulturelle Kompetenzen, verfügt über ein umfangreiches Wissen und Erfah- Gendersensibilisierung, Konfliktmanagement rungen zur Szenario-Methode und in einem breiten Spektrum der politi- schen Bildung. Anschrift: Über Hoch Drei e. V., Schulstraße 9, Literatur: 14482 Potsdam. Falko E. P. Wilms (Hrsg.): Szenariotechnik: Vom Um- gang mit der Zukunft, Bern 2006 E-Mail: [email protected]

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Meldungen

Bundestag verabschiedet Bundeshaushalt 2009 im Zeichen der Finanzkrise

In der letzten Novemberwoche Bundesministeriums für Bildung Verfügung gestellt, die im Etat- 2008 verabschiedete der Bundes- und Forschung im Jahr 2009 auf entwurf der Bundesregierung tag den Haushalt für das Jahr über 10,2 Milliarden wachsen nicht vorgesehen waren. Eine 2009, der eine Größenordnung und damit rund 854 Millionen Million Euro wurde zusätzlich für von etwa 290 Milliarden Euro hat Euro mehr als im Vorjahr umfas- Integrationsmaßnahmen ein- und damit das vom Bundeskabi- sen. Darüber hinaus stellte der geplant, wobei nunmehr allein nett beschlossene Ausgaben- Haushaltsausschuss ein 200 Milli- für den Kinder- und Jugendplan volumen von 288,4 Milliarden onen-Euro-Paket für Bildung und 142 Millionen Euro und insge- Euro noch um 1,6 Milliarden Euro Forschung bereit. Damit leistet samt für Maßnahmen der Kinder- übersteigt. Zur Bewältigung der der Bund seinen Beitrag zur Stei- und Jugendarbeit 192 Millionen sich abzeichnenden Rezession gerung der Ausgaben für For- Euro zu Verfügung stehen. erhöhte der Bund die Neu- schung und Entwicklung auf verschuldung auf 18,5 Milliarden nunmehr fast 2,9 % des Brutto- Der Etat des Bundesinnenminis- Euro, wobei die zur Stärkung der inlandsprodukts (BIP). teriums wurde in der Größen- Konjunktur im kommenden Jahr ordnung von 5,62 Milliarden Euro vorgesehenen Maßnahmen den Bundesbildungsministerin Schavan beschlossen. Die Mehrausgaben Haushalt als Folge von mehr Aus- bewertete diese zusätzlichen gegenüber dem Ansatz 2008 sind gaben und Mindereinnahmen Investitionen als „ein klares Sig- vor allem für den Bereich der mit rund 2,3 Milliarden Euro nal, dass Bildung und Forschung inneren Sicherheit vorgesehen, belasten. entscheidend sind für Wachstum außerdem ist die Tariferhöhung und Beschäftigung“. Die nun im öffentlichen Dienst darin ent- Der Haushaltsausschuss hatte in beschlossenen zusätzlichen 200 halten. seiner „Bereinigungssitzung“ im Millionen Euro sollen in den For- Vorfeld der Verabschiedung die schungsorganisationen vor allem Nach den Mitteilungen des größte Veränderung im Etat des für Energie-, Klima- und Umwelt- Statistischen Bundesamtes von Verkehrsministeriums vorgenom- forschung eingesetzt werden. Anfang Dezember 2008 haben men, der um eine Milliarde Euro Das BMBF setzt im Haushalt 2009 Bund, Länder und Gemeinden für angehoben wurde. Der Etat des weitere Schwerpunkte: For- das Jahr 2008 Bildungsausgaben Familienministeriums wurde um schung für die alternde Gesell- in Höhe von etwa 92,6 Milliarden 236 Millionen erhöht, und für schaft und Gesundheitsforschung, Euro veranschlagt. Die Beträge den Bereich Bildung und For- FOE-Kapazitäten in kleinen und liegen in allen Bildungsbereichen schung sollen 124 Millionen Euro mittleren Unternehmen durch über dem Niveau der tatsäch- mehr ausgegeben werden als die Förderinitiative „KMU-inno- lichen Aufwendungen für 2005, geplant. vativ“, Klima- und Energie- dem letzten Jahr, für das endgül- forschung sowie internationale tige Angaben verfügbar sind. Bundeskanzlerin Forschungszusammenarbeit. Das Damals wurden von Bund, führte bei der Debatte über den Meister-BAföG soll ausgebaut Ländern und Gemeinden insge- Haushalt aus, dass die Politik und Aufstiegsstipendien, die samt 86,7 Milliarden Euro für angesichts des dramatischen Kon- beim Bildungsgipfel im Oktober Bildung zur Verfügung gestellt. junktureinbruchs Handlungs- in Dresden beschlossen wurden, Bezogen auf die Einwohnerzahl grundsätze brauche, zu denen sollen vorangetrieben werden. wendeten die öffentlichen Haus- unter anderem der Erhalt von halte 2005 einen Betrag von je Gerechtigkeit und Zusammenhalt Der Etat des Bundesministeriums 1052 Euro auf, der im Jahr 2008 in der Gesellschaft gehöre. Für für Familie, Senioren, Frauen und nach den Haushaltsansätzen bei die Zukunftsfähigkeit Deutsch- Jugend wurde auf 6,38 Milliarden 1127 Euro liegen wird. lands sei die langfristige Investi- erhöht. Der größte Teil der Mehr- tion in Bildung von essentieller ausgaben ist für das Elterngeld Die Entwicklung ist unterschied- Bedeutung. Die Bundesregierung vorgesehen, das nach Aussage lich: während sich die Bildungs- habe auf allen Stufen des Bildungs- von Bundesfamilienministerin ausgaben im früheren Bundes- systems neue Impulse gesetzt. „unglaub- gebiet in den vergangenen lich gut“ angenommen werde. Jahren kontinuierlich erhöhten, Nach den Beschlüssen des Für den Kinder- und Jugendplan lagen sie in Ostdeutschland in Bundestags soll der Haushalt des werden zusätzliche Mittel zur den letzten drei Jahren nominal

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unter den Ausgaben von 1995, deutschen Stiftungen ein Programm „Lernen vor Ort“ ist was auf die demografische Ent- Programm auflegen, das rund ein zentraler Bestandteil der wicklung zurückgeführt wird, die 60 Millionen Euro umfasst. Dieses Qualifizierungsinitiative der mit einer Reduzierung der Auf- Geld soll in einer öffentlich-priva- Bundesregierung. Die Stiftungen wendungen für Schulen und Kin- ten Partnerschaft aus Bund, Kom- haben einen Stiftungsverbund dertageseinrichtungen einher- munen und Stiftungen die gegründet, dessen Mitglieder am ging. Bildung vor Ort stärken. Städte, Programm beteiligte Städte, Landkreise und Regionen werden Landkreise und Regionen als Im Bereich der Weiterbildung darin unterstützt, gute Ansätze Paten fördern werden. Der Ver- will das Bundesministerium für für ein ganzheitliches Bildungs- bund ist offen für die Mitwir- Bildung und Forschung mit den management auszubauen. Das kung weiterer Stiftungen.

Bildungsgipfel enttäuschte Erwartungen

Nach der Ausrufung der „Bil- werden müsse, da Bildung sich schäftigten im Bildungsbereich dungsrepublik“ in diesem Früh- nicht in Qualifizierung erschöpfe zu stärken und unter anderem jahr richtete die Bundesregie- und man befürchte, dass Fragen die Weiterbildung solide zu rung ihre Bemühungen auf die der kulturellen Bildung beim Bil- finanzieren, da zwischen der Vorbereitung des sogenannten dungsgipfel keine Rolle spielen Bedeutung der Weiterbildung in Bildungsgipfels, der am 22. Okto- und wichtige bildungspolitische Sonntagsreden und der Wirklich- ber 2008 in Dresden stattfand. Akteure wie die Kommunen und keit eine wachsende Kluft ent- Im Vorfeld hatte sich die Bundes- die Kulturverbände nicht gehört stehe. kanzlerin auf eine „Bildungs- würden. reise“ begeben, die sie an zahl- Nach Auffassung der Verbraucher- reiche Bildungsorte im Land Der Deutsche Bundesjugendring zentrale Bundesverband (vzbv) führte. Sie besuchte neben Kin- kritisierte, dass in der aktuellen soll Verbraucherbildung in allen dergärten und Grundschulen, Diskussion um den Bildungsgipfel Schulen Pflichtunterricht werden. Gymnasien, Hochschulen und der Blick ausschließlich auf das Die Finanzmarktkrise habe auf anderen Bildungseinrichtungen formale Lernen gerichtet werde. dramatische Weise offenbart, unter anderem auch eine Heim- Es reiche nicht, nur in Schulen dass Verbraucherbildung als zen- volkshochschule in Brandenburg, und Hochschulen zu investieren. trales Thema auf der Agenda des die am Seddiner See in ihren An- Kinder und Jugendliche brauch- Bildungsgipfels stehen müsse. geboten berufliche, politische ten auch andere Orte zum Lernen und kulturelle Bildung im ländli- und Freiräume, um ihre Persön- Der Bundesausschuss für politi- chen Raum miteinander verbindet. lichkeit zu entwickeln. sche Bildung mahnte ebenso wie der Deutsche Kulturrat ein ganz- Die publizistische Vorbereitung Zehn Thesen formulierte der DGB heitliches Bildungsverständnis an des Bildungsgipfels hatte im Vor- zum Bildungsgipfel, mit denen er und beklagte, dass die allgemei- feld zahlreiche Organisationen eine nationale Strategie in der ne und die politische Jugend- dazu angeregt, ihre Erwartungen Bildungspolitik forderte und und Erwachsenenbildung beim an dieses Ereignis oder ihre Vor- Bund, Länder und Kommunen Bildungsgipfel nicht auf der Tages- behalte gegenüber den damit dazu aufrief, klare Entwicklungs- ordnung stehen würden. Die verbundenen Zielen zu formulie- ziele zu definieren und verbindli- deutsche Bildungspolitik setze ren. Der Deutsche Kulturrat, Spit- che Vereinbarungen zu treffen. nach wie vor allein auf die for- zenverband der Bundeskultur- Die soziale Herkunft dürfe nicht male Bildung und die berufliche verbände Deutschlands, begrüßte, mehr den Bildungserfolg der Weiterbildung. In seiner Stellung- dass sich die Bundeskanzlerin Menschen bestimmen; notwen- nahme, die im Wortlaut auf der und die Ministerpräsidenten der dig sei ein Recht auf Bildung vom Homepage des BAP( www.bap- Länder gemeinsam des Themas Kindergarten bis in die Aus- und politischebildung.de) abgerufen Bildung annehmen wollten, Weiterbildung. werden kann, fordert der BAP reklamierte jedoch, dass dabei strukturelle Veränderungen für ein ganzheitliches Verständnis Zu den Forderungen des DGB ge- mehr Bildungsgerechtigkeit. Bil- von Bildung zugrunde gelegt hört, die Professionalität der Be- dung müsse für alle und von

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Anfang an zugänglich sein. Die wicklung resultierenden Ressour- zudem, das Geld, das aus dem für ein zukunftsfähiges Deutsch- censpielräume sollten insbeson- Rückgang der Studierenden- land erforderlichen Kompeten- dere dazu genutzt werden, weiter zahlen frei wird, „insbesonde- zen würden vor allem in nicht in die Verbesserung der Bildungs- re“ für die Bildung zu nutzen. formalen und informellen qualität von der frühen Bildung ■ Die Förderung von Klein- Zusammenhängen vermittelt, über Schulen, Hochschulen bis kindern soll gestärkt werden, die als gleichwertige anerkannt hin zur Weiterbildung zu inves- wobei Bund, Länder und Kom- werden müssten. Staatliche Bil- tieren. munen bis 2013 schrittweise dungsinvestitionen sollten des- eine Betreuung für 35 % der halb auch Investitionen in nicht- Die Bundeskanzlerin wandte sich Unter-Dreijährigen aufbauen formale Bildungsmöglichkeiten – am 18. Oktober in einem Video- wollen. Die Sprachförderung wie die Kinder- und Jugendhilfe Podcast an die Öffentlichkeit und für Kinder aus Migrantenfami- sowie die allgemeine Weiterbil- kündigte an, dass der Bildungs- lien soll verbessert werden. dung – sein. Der Staat dürfe sich gipfel vor allen Dingen dazu ■ Bund und Länder wollen die nicht aus der Finanzierung ein- dienen solle, die verschiedenen Zahl der Schulabbrecher/-innen zelner Bildungsbereiche zurück- Übergänge – von der frühkind- bis 2015 im Bundesdurch- ziehen. lichen Bildung in die Schule, von schnitt von derzeit 8 % auf 4 % der Schule in die Berufsausbil- halbieren und dies durch eine Dass der Gipfel zu einer bloßen dung, von der Hochschulbildung verstärkte individuelle Förde- Symbolik verkommen könne, die hin zur Forschungstätigkeit – rung von Schülern mit Lern- ohne Wirkung bleibe, fürchteten besser zu verzahnen und zu problemen schaffen. die Schülervertretungen der Län- gestalten. Sie kündigte an, dass ■ Die Zahl der Ausbildungs- der, die bundesweit eine Beteili- bei dem Bildungsgipfel Bund und abbrecher soll im bundes- gung der Betroffenen und einen Länder unterschiedliche Ver- weiten Durchschnitt ebenfalls offenen Dialog mit allen Ent- pflichtungen bei der Planung der halbiert werden, wozu der scheidungsträgern im Vorfeld des Bildungspolitik der künftigen Ausbau der Berufsorientierung Gipfels forderten. Die Schüler- Jahre eingehen wollten. Der Bil- an Schulen beitragen soll. vertretungen hätten mehrfach dungsgipfel sollte die gesamt- ■ Bund und Länder wollen den versucht, am Gipfel teilnehmen gesellschaftliche Aufgabe der Bil- Ausbau der Hochschulen fort- zu können, diese Bitte wurde dung noch einmal deutlich setzen und 275 000 zusätzliche jedoch vom Bundeskanzleramt machen. Plätze an Hochschulen bis und den Ministerien abgelehnt. 2020 schaffen. Der Hochschul- Der Bildungsgipfel in Dresden zugang für qualifizierte Absol- Am Vorabend zum Bund-Länder- dauerte rund drei Stunden und venten einer Lehre soll leich- Bildungsgipfel trafen sich in endete mit der Verabschiedung ter werden. Dresden Vertreterinnen und Ver- einer Abschlusserklärung, die ■ Im Zusammenhang mit dem treter der Bildungspraxis und unter dem Titel „Aufstieg durch Hochschulpakt sollen beson- erarbeiteten in einem Workshop Bildung – die Qualifizierungsiniti- dere Anreize für Studien- einen Forderungskatalog, in ative für Deutschland“ die von anfänger/-innen in den soge- dessen Mittelpunkt der Schul- Bund und Ländern getroffenen nannten MINT-Fächern alltag stand. Gefordert wurde, Vereinbarungen dokumentiert. (Mathematik, Informatik und Schule anders als bisher zu leben. Natur- und Technikwissen- ■ Die Ausgaben für die Bildung schaften) und für beruflich Auch die Kultusministerkonferenz sollen bis 2015 auf 10 % des Qualifizierte vorgesehen kam im Vorfeld des Bildungs- Bruttoinlandsprodukts (BIP) werden, um den Fachkräfte- gipfels zu einer Sitzung zusam- steigen, davon 7 % für Bil- nachwuchs in den MINT-Beru- men, um sich über die laufenden dung und 3 % für Forschung. fen zu sichern. Vorbereitungen für die geplante Da sich Bund und Länder nicht ■ Zur Weiterbildung sprach sich Qualifizierungsinitiative für darauf verständigen konnten, der Bildungsgipfel dafür aus, Deutschland „Aufstieg durch Bil- wie diese Finanzierung gere- die Quote der Berufstätigen, dung“ zu beraten. Die Kultus- gelt werden soll, wurde eine die Möglichkeiten zur Weiter- minister/-innen plädierten dafür, Arbeitsgruppe eingesetzt, die bildung nutzen, von derzeit dass Bund und Länder ihre Auf- bis Ende Oktober 2009 Vor- 43 % auf 50 % der Erwerbs- wendungen für den Bildungs- schläge entwickeln soll, wie bevölkerung zu steigern. Ins- bereich weiter erhöhen sollten. die Ausgaben verteilt werden. besondere die Gruppe der Die aus der demografischen Ent- Die Länder verpflichten sich gering Qualifizierten solle

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stärker aktiviert werden. Auch der Koalitionspartner dis- Bildung einer Arbeitsgruppe aus Angekündigt wurde ein Maß- tanzierte sich vom Bildungsgipfel Bund und Ländern den größten nahmenpaket, das die Einfüh- in Dresden, der – so Kajo Wasser- Erfolg des Dresdener Bildungs- rung der Bildungsprämie und hövel, Bundesgeschäftsführer der gipfels. Die Kanzlerin habe eine das Lernen vor Ort gemeinsam SPD – „mit großem Getöse“ persönliche Niederlage mit die- mit Stiftungen und Kommunen angekündigt, aber ohne Ergeb- sem Gipfel erlitten, zu der sie unter Einbeziehung der in den nisse geblieben sei. jedoch auch selbst beigetragen Ländern bestehenden Weiter- habe, indem sie den Bund mit bildungsinfrastruktur fördern Unterstützung versagten auch der Föderalismusreform in der soll. Die Weiterbildungsbera- Vertreter und Vertreterinnen Bildungspolitik nahezu hand- tung soll verbessert werden, des Bildungssystems. Während lungsunfähig gemacht habe. der Bund will eine Weiterbil- die Initiative D21, eine Plattform Sie habe allerdings nicht damit dungskampagne initiieren, der Medienwirtschaft, beklagte, gerechnet, dass das Bildungs- Strategien zur Steigerung der dass die Nichtberücksichtigung thema einen derartigen politi- Motivation aller Beschäftigten von neuen Medien im Unterricht schen Druck erzeugte, der sie zur Teilnahme an Weiterbil- die zentrale Kompetenz der gezwungen habe, es „zur Chef- dung entwickeln und die Zukunft vernachlässige, bezeich- sache“ zu machen. Merkels „Bil- Weiterbildungsaktivitäten für nete die Präsidentin der Hoch- dungsrepublik“ habe sich am kleine und mittelständische schulrektorenkonferenz, Prof. Dr. Ende als billige PR-Kampagne Unternehmen fördern. Durch Margret Wintermantel, den Auf- entpuppt. Wiedereinstiegsprogramme schub für Finanzierungsfragen wollen Bund und Länder dazu beim Bildungsgipfel als „unver- Die GEW appellierte an Bund und beitragen, dass das Potential antwortlich“. Wenn das Finanz- Länder, die Reform der Erb- gut ausgebildeter Frauen system in Nöten sei, werde ent- schaftssteuer zu nutzen und ver- nach einer familienbedingten schlossen gehandelt, wenn das bindlich mehr Geld in das Bil- Erwerbsunterbrechung gezielt Bildungswesen Not leide, „wird dungswesen zu investieren. genutzt wird. eine Arbeitsgruppe gebildet“. Notwendig sei ein Generationen- pakt für Bildung, der dazu führe, Die Reaktion auf die Ergebnisse Der Vorsitzende des Wissen- die Einnahmen aus einer Erhö- des Gipfels in den Medien war schaftsrates, Prof. Dr. Peter Stroh- hung der Erbschaftssteuer in Kin- durchweg negativ. „Wo bleibt schneider, forderte, das geplante dergärten, Schulen, Fachhoch- die Bildungspolitik?“ fragte Konjunkturprogramm zu nutzen, schulen und Weiterbildung zu FOCUS-Online, SPIEGEL ONLINE um einen Schritt zur Umsetzung investieren. resümierte als Bilanz der Veran- der Versprechen für Bildung und staltung: „Drei Stunden Streit Wissenschaften zu machen. In Quellen: tagespiegel.de (Zugriff und ein elfseitiges Papierchen einer zukunftsfähigen Investi- 13.11.2008), Bund-Länder-Papier voller Absichtserklärungen“ und tionspolitik spielten Bildung und „Aufstieg durch Bildung – die Qua- welt.de konstatierte: „Bildungs- Wissenschaft eine zentrale Rolle, lifizierungsinitiative für Deutsch- gipfel endet mit Bund-Länder- und an Deutschlands Schulen land“ (22.10.2008), FOCUS-Online Blockade“. Einen „ Bildungsflop“ und Forschungseinrichtungen (Zugriff: 13.11.2008), SPIEGEL machte die „Rheinische Post“ bestehe ein enormer Investitions- ONLINE (Zugriff: 23.11.2008), aus und die „Financial Times bedarf. bildungsklick.de, Nrn. 63823, Deutschland“ resümierte die 63855, 64108, 64114, Presse- Kritik am Bildungsgipfel mit der Ulrich Thöne, Vorsitzender der information der Initiative D21 Formulierung: „Als Tiger gestar- Gewerkschaft Erziehung und vom 23.10.2008, „Erziehung und tet, als Bettvorleger gelandet“. Wissenschaft (GEW), sah in der Wissenschaft“, Nr. 11/2008

Bildung in der Diskussion

Das Bildungssystem in Deutsch- realität in Deutschland den Erfor- tum und Wohlstand in Deutsch- land steht seit geraumer Zeit in dernissen an eine Bildung Rech- land erhalten kann. Im Oktober der Kritik. Bildungsforscher nung trägt, die den Fachkräfte- wurden Ergebnisse einer Studie bezweifeln, dass die Bildungs- nachwuchs sichern und Wachs- bekannt, die unter dem Titel

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„Zukunftsvermögen Bildung“ Die Leibniz-Gemeinschaft ist ein unterstützt von den Vertretern/ von der Unternehmensberatung Zusammenschluss deutscher For- -innen der anderen Oppositions- McKinsey & Company im Auftrag schungsinstitute unterschied- fraktionen und den Sozialdemo- der Robert Bosch Stiftung erstellt licher Fachrichtungen und kraten. wurde. Ihr Ergebnis ist, dass Serviceinrichtungen für die For- weder der Arbeitsmarkt noch das schung. Sie verfügt mit dem , bildungspoliti- Bildungssystem auf die steigende Deutschen Institut für Erwachse- sche Sprecherin der SPD, verwies Nachfrage nach hoch qualifizier- nenbildung in Bonn, dem Deut- auf die scharfe Kritik, die der ten Arbeitskräften vorbereitet sei schen Institut für internationale Bericht an der mangelnden und sich der Bildungsabstand pädagogische Forschung in Durchlässigkeit des deutschen Deutschlands zu wichtigen Indus- Frankfurt am Main, dem Leibniz- Bildungssystems übe. Die Bil- triestaaten zusehends vergrößere. Institut für die Pädagogik der dungsinvestitionen lägen immer Die Studie geht davon aus, dass Naturwissenschaften an der Uni- noch unter dem Durchschnitt der im Jahr 2020 in Deutschland rund versität Kiel und dem Institut für westlichen Industrieländer. Die 2,4 Millionen Fachkräfte auf- Wissensmedien in Tübingen über Union habe mit ihrer Bildungs- grund fehlender Innovationen – Einrichtungen der Bildungs- politik in den 80er und 90er Jah- und bedingt durch den Reform- forschung, deren Kompetenzen ren den heutigen Fachkräfte- stau im Bildungswesen sowie den durch Soziologen, Wirtschafts- mangel mitproduziert. Die FDP demografischen Wandel – fehlen wissenschaftler und Raumwissen- hingegen lobte, dass die Kanzle- werden. Die notwendige schaftler ergänzt werden. Der rin Bildung zur Chefsache mache. Beschleunigung der Bildungs- aktuelle „Zwischenruf“ der Leib- , forschungspoliti- reform zu einer Bildungsoffensive niz-Gemeinschaft wurde anläss- sche Sprecherin der FDP, forderte sei jedoch erst möglich, wenn ein lich des Bildungsgipfels in Dres- eine dauerhaft eingerichtete Bil- Paradigmenwechsel in der Politik den veröffentlicht und bestätigt dungskonferenz von Bund und und in den Bildungsinstitutionen die Ergebnisse früherer Bildungs- Ländern, die gesetzlich verankert vollzogen sei. Künftig müsse der studien, die auf die Benachteili- werden solle, und den Anstieg Bildungserfolg konsequent an gung von Kindern aus bildungs- der Bildungsausgaben. Cornelia der Zahl der Qualifizierten fernen Haushalten hinweisen, Hirsch, Fraktion Die Linke, schloss gemessen werden, die Schulen denen sehr häufig der Bildungs- sich der Forderung nach einer und Universitäten verlassen. Nur erfolg versagt bleibt. Erhöhung der Bildungsausgaben wenn auf allen Stufen des Bil- an und forderte zudem die dungssystems signifikante Steige- Der Deutsche Bundestag erörter- bundesweite Einführung von rungen erzielt würden, könne te im Oktober den bereits im Juni Gemeinschaftsschulen, Gebühren- man von einem Erfolg sprechen. 2008 vorgelegten „Nationalen freiheit von der Kita bis zur Bildungsbericht“. Die Bundesmi- Weiterbildung und einen bundes- Auch Wissenschaftler der Leibniz- nisterin für Bildung und For- weit einheitlichen Zugang zur Gemeinschaft haben sich kritisch schung, Dr. , Hochschule. zum Bildungssystem in Deutsch- betonte, dass die Bildungspolitik land geäußert, das zu viele Men- in der Mitte der Politik angekom- In die Debatte schaltete sich auch schen von Bildungschancen aus- men sei und sich Bund und Län- Bundespräsident Horst Köhler schließe. Die Wissenskluft der auf eine Qualifizierungsiniti- ein, der auf seiner Eröffnungs- zwischen „bildungsfernen“ und ative verständigt hätten, die rede zum Deutschen Historiker- „bildungsnahen“ Bevölkerungs- positive Veränderungen zur Folge tag die ungleichen Bildungs- gruppen vertiefe sich, was sich haben werde. Die Koppelung chancen in Deutschland als über die gesamte Bildungs- von sozioökonomischer Herkunft beschämend für das Land bezeich- biographie vom Kindergarten bis und erworbenen Kompetenzen nete. Man dürfe sich nicht damit zur beruflichen Weiterbildung sei schwächer geworden, und es abfinden, dass die Zugangs- nachweisen lasse. Die Leibniz- könne bereits eine ansteigende chancen zu guter Bildung Gemeinschaft hat unter dem Titel Zahl von Studienanfängern ver- ungleich verteilt seien und dass „Bildung fördern. Teilhabe ermög- zeichnet werden. Renate Künast, die schulische Entwicklung eines lichen“ Beiträge zur Bildungs- Fraktionschefin von Bündnis Kindes immer noch maßgeblich debatte vom Kindergartenalter 90/Die Grünen, stellte den von von seiner Herkunft und dem bis zur beruflichen Weiterbildung der Bundesbildungsministerin Geldbeutel seiner Eltern bestimmt aus der Perspektive der Bildungs-, hervorgehobenen Erfolgen in der werde, erklärte Köhler. Auch bei Sozial- und Raumforschung ver- Bildungspolitik Negativpunkte der Semestereröffnungsfeier der öffentlicht. gegenüber und wurde darin Staatlichen Hochschule für Gestal-

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tung in wiederholte dungspolitiker, aus denen „die 15-jährigen mit verzögerten Köhler seine Kritik an den unzu- größte Risikogruppe“ in Deutsch- schulischen Karrieren in allen reichenden Investitionen in Bil- land bestehe. Das Wissen und Ländern zurückgegangen. dung, in denen Deutschland im Austesten schulischer Leistung sei Vergleich zu anderen Ländern in der Bundesrepublik nach wie Dennoch gebe es nach wie vor immer noch viel zu wenig tue. vor von der Verbesserung der große Leistungsunterschiede Wer an der Bildung spare, spare konkreten Bedingungen an den zwischen den 15-jährigen Schüle- an der falschen Stelle. Das könne Schulen entkoppelt. Trotz der rinnen und Schülern, wobei die teuer zu stehen kommen im seit zwei Jahren vorliegenden Abstände zwischen den Ländern internationalen Wettbewerb, gemeinsamen Erklärung der Kul- nach wie vor erheblich seien und aber auch bei der Bekämpfung tusminister, jede Schülerin und es keinem Land gelinge, in Mathe- der Arbeitslosigkeit oder der jeden Schüler individuell zu för- matik und Lesen den Leistungs- Integration von Zuwanderern. dern und zu fordern, bestehe der stand der internationalen Spitzen- schulische Alltag nach wie vor gruppe zu erreichen. Zudem Dass Bildung einen Wert an sich aus Unterrichtsausfall, Lehrer- mache die Studie deutlich, dass habe und nicht nur für die mangel, zu großen Klassen und sich vor allem in deutschen Bil- Bedürfnisse der Wirtschaft bzw. zu wenig individuellen Förder- dungsgängen, die zum Haupt- des Arbeitsmarktes „verzweckt möglichkeiten. Die Länder seien schulabschluss führen, große werden“ dürfe, mahnte der in der gravierenden Frage keinen Anteile leistungsschwächerer Deutsche Bundesjugendring Schritt vorangekommen, wie die Schülerinnen und Schüler befin- in einer Pressemitteilung vom überdurchschnittlich starke den und darunter viele aus sozial 25. Oktober 2008 an. Bildung sei Abhängigkeit der Leistung vom benachteiligten Familien und mit ein umfassender Prozess und sozialen Status der Schüler, von Migrationshintergrund sind. In befähige junge Menschen, ihr deren ethnischer Herkunft und der gezielten Förderung der leis- Leben selbst zu gestalten und die inzwischen auch von der tungsschwächeren Schülerinnen komplizierten Zusammenhänge Herkunft nach Bundesland zu und Schüler sieht die Kultusminis- unserer Welt zu verstehen. Dazu mindern sei. terkonferenz daher den Schwer- bedürfe es mehr als den hoch- punkt gemeinsamer Aktivitäten gradig formalisierten Bildungsort Die Kultusministerkonferenz hat und hat eine umfassende Schule, auch die Jugendverbände sich zu den Ergebnissen der jüngs- gemeinsame Initiative verabredet, seien als originäre Lernorte anzu- ten PISA-Studie am 18. November die deren Anzahl deutlich ver- erkennen und durch Unterstüt- 2008 in einer Stellungnahme ringern, Jugendliche mit Migra- zungsleistungen in die Lage zu geäußert. Darin wird zwischen tionshintergrund wirksamer als versetzen, ihren eigenständigen den einzelnen PISA-Studien von bisher fördern und die Bildungs- Auftrag zu erfüllen. 2000 bis 2006 ein insgesamt posi- chancen unabhängig von der tiver Trend festgestellt, auch sozialen Herkunft erhöhen soll. Eine im November bekannt wenn die große Mehrzahl der Zu den beschlossenen Maßnah- gewordene neue PISA-Studie Länder nach wie vor erhebliche men gehören unter anderem bestätigt indes die Mängel des Anteile leistungsschwächerer zusätzliche Lern- und Betreu- Bildungssystems. Trotz der jüngs- Schülerinnen und Schüler auf- ungsangebote, der Ausbau der ten Anstrengungen sei die Zahl weise. Der Zusammenhang zwi- Sprachförderung und die Erhö- der Schülerinnen und Schüler, die schen sozialer Herkunft und hung des Angebots von Ganz- nicht über basale Fähigkeiten im Kompetenzerwerb sei jedoch tagsschulen insbesondere in den Lesen, in Mathematik und in den leicht zurückgegangen, wenn- Regionen mit einem hohen Naturwissenschaften verfüge, in gleich die festgestellten Fort- Anteil sozial benachteiligter den Stadtstaaten und mehreren schritte der Schülerinnen und Schülerinnen und Schüler. Ländern im Westen der Bundes- Schüler unterschiedlich deutlich republik weiter gewachsen. Den ausfallen würden. In den meisten von den Wissenschaftlern auf Ländern könne eine Verbesse- diese Gruppe angewandten rung in den naturwissenschaft- Quellen: bildungsklick.de, Begriff „Risikogruppe“ bezog lichen Leistungen festgestellt Nrn. 63694, 63764, 63431, 64411, Ludwig Eckinger, Bundesvorsit- werden, und in allen Ländern 64425, 64442, bpa bulletin, zender des Verbands Bildung und habe sich der Anteil der Schüle- 22.10.2008, Das Parlament, Nr. 43 Erziehung, auf die Ministerpräsi- rinnen und Schüler an Gymnasien vom 20.10.2008, DBJR-Presse- denten, Finanzminister und Bil- erhöht. Auch sei der Anteil der mitteilung vom 25.10.2008

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DFG startet Bildungspanel

Die Deutsche Forschungsgemein- nicht nur bessere Handlungs- Bund und Ländern beschlossenen schaft (DFG) ist an einem For- optionen für die Bildungspolitik Strategie zum Lebenslangen Ler- schungsprojekt beteiligt, das vom entwickeln, sondern auch direkt nen und den sich ergebenden Bundesministerium für Bildung auf das Bildungssystem einwirken. Anforderungen an den Einzelnen und Forschung in enger Abstim- und an das Bildungssystem mung mit den Ländern und der Das Nationale Bildungspanel für geben. DFG entwickelt wurde. Das Pro- die Bundesrepublik Deutschland jekt eines Nationalen Bildungs- schafft die Voraussetzung dafür, Das Panel wird von einem inter- panels soll Bildungsverläufe von erstmalig zu beobachten, wie disziplinär zusammengesetzten Menschen in Deutschland über sich Kinder aus gleichen Her- „Exzellenznetz“ unter der Lei- längere Zeiträume hinweg kunftsfamilien und mit gleichen tung von Prof. Dr. Hans-Peter begleiten und in Erfahrung Kompetenzen in unterschied- Blossfeld organisiert und vom bringen, was und wie Kinder, lichen Bildungseinrichtungen Bundesbildungsministerium im Jugendliche und Erwachsene entwickeln, welche Faktoren Jahr 2009 mit rund 7,5 Millionen vom Kindergarten über Schule, positive Entwicklungen begüns- Euro finanziert. Die Mittel sollen Studium und Ausbildung bis ins tigen, mit welchen Einflüssen bis 2013 kontinuierlich auf gut Berufsleben lernen. Im Oktober Scheitern verbunden ist, und wie 16 Millionen Euro erhöht wer- wurde das Projekt der Öffentlich- die sogenannten „Risikofälle“ den. keit vorgestellt. Es soll auf der aufgefangen werden können. Grundlage der im Rahmen dieser Das Nationale Bildungspanel soll Quellen: bildungsklick.de, Längsschnittstudien erhobenen außerdem wichtige Datengrund- Nr. 63708, BMBF-Pressemitteilung Daten der Bildungsforschung lagen für die Umsetzung der von 181/2008

Volkshochschulen im Aufwind?

Die neue Statistik der Volkshoch- sich um Kurse, die im Auftrag von Der Vorsitzende des Deutschen schulen, die vom Deutschen Insti- Betrieben, Unternehmen oder Volkshochschul-Verbandes kriti- tut für Erwachsenenbildung auf Arbeitsagenturen durchgeführt sierte das rückläufige Engage- der Grundlage der übermittelten werden. Den höchsten Zuwachs ment des Staates, das dazu führe, Daten erstellt wird, zeigt Steige- erzielte der Programmbereich dass die Teilnahme an der Weiter- rungen in fast allen Bereichen „Grundbildung und Schul- bildung immer häufiger am der Volkshochschularbeit. Mit abschlüsse“ mit einer Steigerung schmalen Geldbeutel scheitere. 562 000 Kursen im Jahr 2007 sei von gut 6 %. Etwas mehr als 40 % der höchste Stand an Kursen seit aller Unterrichtsstunden gehen Auch die wirtschaftliche Situa- Beginn der Zählung im Jahr 1962 auf das Konto des Sprachkurs- tion der vor allem freiberuflich erreicht, teilte Dr. Ernst Dieter Angebotes der VHS, dem die Pro- tätigen Dozentinnen und Dozen- Rossmann, MdB, Vorsitzender des grammbereiche Gesundheit (mit ten an den Volkshochschulen ist Deutschen Volkshochschul-Ver- einem Anteil von 18 %), Arbeit/ kein Anlass zur Freude. Die taz bandes, mit. Damit sei die zwi- Beruf (15,5 %), Kultur/Gestalten veröffentlichte am 23. Oktober schen 2003 und 2005 zu beobach- (10,9 %), Grundbildung/Schul- 2008 einen Artikel, der am Bei- tende Phase des Rückgangs von abschlüsse (9,9 %), Politik/Gesell- spiel Bremen darauf hinweist, Kursen endgültig gestoppt. Der schaft/Umwelt (4,4 %) folgen. dass seit mehr als acht Jahren die positive Trend zeige sich in fast Stundenlöhne stabil bei 18 € je allen Fachbereichen. In der beruf- Die Teilnehmerinnen und Teil- Unterrichtsstunde liegen. Die lichen Weiterbildung stieg 2007 nehmer haben mit ihren Bei- Bremer Volkshochschule wies die Zahl der Auftragsmaßnahmen trägen erstmals mehr Mittel für darauf hin, dass für eine Erhö- deutlich mit 5 % mehr Unter- die Volkshochschulkurse auf- hung der Honorarsätze entweder richtsstunden und 9,7 % mehr Teil- gebracht (385 Millionen Euro) die staatlichen Zuwendungen nehmerinnen und Teilnehmern als Länder und Kommunen steigen oder die Kursgebühren als im Vorjahr. Dabei handelt es (381 Millionen Euro). erhöht werden müssten.

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Nach einer Studie des Bundes- Die Dozentinnen und Dozenten Die Bürgerschaftsfraktion der bildungsministeriums aus dem müssen sich zudem als Freiberuf- Grünen in Bremen empfahl zu Jahr 2005 lebt fast jede vierte ler auf eigene Kosten sozial versi- überlegen, ob und wie die Gebüh- freiberufliche Honorarkraft aus- chern und können im Krankheits- renordnungen der Weiterbil- schließlich von ihrer Lehrtätig- fall weder auf Lohnfortzahlung dungsanbieter überarbeitet keit. Vor- und Nachbereitung für noch mit bezahltem Urlaub rech- werden könnten. Kurse werden generell nicht nen. So bleiben, so der VHS-Kurs- bezahlt, neue Kurskonzepte leiterInnenrat in Bremen, netto müssen in der Regel auf eigenes 7 bis 10 € je Unterrichtsstunde Quellen: bildungsklick.de , Nr. Risiko ausgearbeitet werden. übrig. 64664, taz.de, 23.10.2008

Bundestag zur Lage der Politischen Bildung in Deutschland

Am 4. Dezember 2008 diskutierte und methodischen Anforderun- erinnerte an deren Anfänge, in der Deutsche Bundestag über gen noch entsprechen. denen auch die Einrichtungen drei Anträge zum Thema „Politi- der politischen Bildung geschaf- sche Bildung“. Die Koalitions- Die FDP-Fraktion forderte in ihrem fen worden seien. Er konstatierte fraktionen CDU/CSU und SPD Antrag, die Politische Bildung Konsens darüber, dass politische hatten in einem gemeinsamen stärker zur Bekämpfung des Bildung immer wichtiger werde. Antrag Mitte des Jahres gefor- Rechts- und des Linksextremis- Trotz aller Genugtuung über das dert, die Politische Bildung zu mus zu nutzen. Die Inhalte der Erreichte dürften die deutlichen verstärken und dabei insbeson- Lehrpläne aller Schulen sollen in Warnzeichen der heutigen Zeit dere bildungs- und politikferne Bezug auf die Vermittlung der nicht übersehen werden. In die- Zielgruppen in den Blick zu neh- Themen „Nationalsozialismus“ sem Zusammenhang nannte Beck men. Demokratie sei kein Selbst- und „SED-Diktatur“ bewertet den Rückgang der Wahlbeteili- läufer, sondern müsse immer werden. Im Rahmen der Kultus- gung, die Nachwuchsprobleme wieder neu gelernt werden. ministerkonferenz solle darauf der Parteien und die Politik- Politische Bildung soll der politi- hingewirkt werden, dass Gedenk- verdrossenheit einer zunehmen- schen Entfremdung vieler Men- stätten häufiger besucht werden den Zahl von Bürgern und schen entgegen wirken und in und der persönliche Austausch Bürgerinnen, die er mit dem der frühkindlichen Erziehung, mit Zeitzeugen verstärkt werde. mangelnden Verständnis für lau- der Schule und der Erwachsenen- Aufklärende Bildung auch zur fende politische Prozesse begrün- bildung verankert werden. Die SED-Diktatur sei notwendig, dete. Er äußerte die Hoffnung, Anstrengungen beim Kampf da das Urteilsvermögen vieler dass die politische Bildung die gegen Extremismus und Frem- Jugendlicher hinsichtlich der politikverdrossenen und apoliti- denfeindlichkeit auf dem Feld deutschen Vergangenheit schen Menschen davon abhalten der Politischen Bildung sollten gering sei. könne, politischen Scharlatanen intensiviert werden, angespro- nachzulaufen. Beck forderte eine chen werden sollte mehr als bis- Der Antrag der Grünen konzen- Allianz über Parteigrenzen hin- her die große Gruppe der triert sich auf die Bekämpfung weg und bat das Parlament um Migranten, die bislang von der des Rechtsextremismus und for- eine breite Unterstützung der Politischen Bildung vernachläs- dert wie die Koalitionsfraktionen Politischen Bildung und ihrer sigt worden sei. Mit neuen For- ein verstärktes Bemühen um Einrichtungen. maten sollen die Bildungsträger Migranten wie um sogenannte verstärkt die Gruppen erreichen, bildungs- und politikferne Ziel- Für die FDP führte Christian die der Politischen Bildung bis- gruppen. Ahrendt aus, dass Studien den lang ferngeblieben sind. Der Mangel an politischen und Bundeszentrale für politische Bil- In der Debatte bekräftigte der geschichtlichen Kenntnissen dung wird in diesem Zusammen- Vorsitzende des Kuratoriums der belegten. Um die politische Bil- hang eine zentrale Rolle zuge- Bundeszentrale für politische Bil- dung der Menschen sei es nicht wiesen. Es wird aber auch dung, Ernst-Reinhard Beck, die gut bestellt, wenn 70 % der gefordert zu prüfen, ob ihre För- Bedeutung der Politischen Bil- Deutschen die Bedeutung der derrichtlinien neuen didaktischen dung für die Demokratie und bedeutendsten Ereignisse der

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jüngeren deutschen Geschichte Jugendbildung die Kürzungen im Staatsform und angewiesen auf nicht kennen. Demokratisches Bereich der Jugendhilfe nur den Einsatz der aktiven Bürger. Bewusstsein gehe über erlern- schwer damit in Einklang brin- In politischer Bildung gehe es um bares Wissen hinaus und zeige gen, was auch für den Bereich historische Wahrheit und Aufklä- sich in Einstellungen, die sich in der wissenschaftlichen Grund- rung auch über jene geschicht- einem fortwährenden Prozess lagen politischer Bildung gelte, lichen Zusammenhänge, die man herausbildeten. Studien hätten wenn man an die Abberufung gerne verdränge, wie die man- allerdings gezeigt, dass anti- von Professoren an vielen politik- gelhafte Aufarbeitung der Zeit demokratische Einstellungen wissenschaftlichen Fachbereichen des Nationalsozialismus und der trotz politischer Bildung in den denke. Der Abgeordnete beklag- SED-Diktatur zeige. letzten Jahren nicht verschwun- te, dass die FDP in ihrem Antrag den seien, sondern zugenommen den NS-Terror und die SED-Dikta- Dieter Grasedieck, SPD, wies dar- hätten. tur in einem Atemzug nenne und auf hin, dass in vielen Landtagen, damit die Einmaligkeit der Nazi- Stadtparlamenten und Kommu- , SPD, wies Verbrechen leugne. Zustimmung nalparlamenten bereits Nazis als darauf hin, dass politische Bildung äußerte er hingegen zum Antrag Abgeordnete sitzen und dieser eine gesamtstaatliche und gesamt- von Bündnis 90/Die Grünen vor Gefahr begegnet werden müsse. gesellschaftliche Aufgabe sei. In allem zu dem Punkt, in dem ge- Die Bundeszentrale habe diese den Haushaltsberatungen sei es fordert werde, dass man sich Gefahr erkannt und Hilfen ange- gelungen, mehr Geld für die Bun- auch mit der eigenen Politik kriti- boten. Grasedieck verwies auf deszentrale für politische Bildung scher auseinandersetzen müsse, zahlreiche Projekte der Bundes- einzustellen, die bereits ein Kon- wenn man politisches Engage- zentrale für politische Bildung zept für Vorhaben vorgelegt habe, ment der Bürgerinnen und Bür- und der Landeszentralen für poli- die aus den zusätzlichen Mitteln ger erwarte. tische Bildung. realisiert werden sollten. Damit sollten vor allem neue methodi- , Bündnis 90/Die , CDU/CSU, sche Ansätze finanziert werden. Grünen, beklagte den Vertrauens- forderte von der politischen Bil- Auch die politischen Stiftungen verlust in die Demokratie und dung, dass sie eine bessere Iden- gingen neue Wege in der politi- bezeichnete neonazistische Ideo- tifikation mit der parlamentari- schen Bildung wie auch andere logien aktuell als die größte schen Demokratie ermögliche. Träger und gesellschaftliche Gefahr für die Demokratie. Die Geschichte habe gerade den Akteure, die zur Gestaltung des Dennoch gebe es auch Nachhol- Deutschen gezeigt, dass beson- Gemeinwesens beitragen. Den- bedarf in Kenntnissen über die ders in wirtschaftlich schwierigen noch könnten nicht alle Menschen Geschichte der DDR, die eine Dik- Zeiten Menschen zu autoritären und Zielgruppen mit politischer tatur gewesen sei. Politische Bil- Lösungen neigten und sich an Arbeit erreicht werden, weshalb dung müsse als gesamtgesell- Vorstellungen orientierten, die es keinen Grund gebe, sich schaftliche Herausforderung im auf die Abschaffung des demo- zurückzulehnen. Rahmen der Demokratieentwick- kratischen Rechtsstaates und der lung begriffen werden. Dieser sozialen Marktwirtschaft zielten. Volker Schneider, Die Linke, stell- Daueraufgabe müsse sich die Überragend wichtig sei politische te Einvernehmen in zentralen Bundesregierung stellen und Bildung für Kinder und Jugendli- Fragen der politischen Bildung dabei die Bundesländer einbezie- che, die nicht nur lernen müssten, fest. Dennoch gebe es bei aller hen. Vor allem die Jugendlichen wie der Staat aufgebaut sei, son- grundsätzlichen Zustimmung Dif- müssten erfahren können, dass in dern auch welchen Gefahren die ferenzen im Detail. Schneider der Demokratie ihre Stimme zäh- Demokratie ausgesetzt sei. wies darauf hin, dass die Not- le. Gerade alltägliche Erfahrun- wendigkeit, Migranten stärker gen prägten das Demokratiebild Dr. Hans-Peter Bartels, SPD, als Zielgruppe für politische Bil- junger Menschen nachhaltig. bezeichnete Demokratie als eine dung zu begreifen, auch ein- Kulturtechnik, die man wie Lesen, schließen müsse, die Vermittlung , CDU/CSU, wies darauf Schreiben und Rechnen lernen von interkulturellen Kompeten- hin, dass der freiheitlich-demo- könne. Er ging insbesondere auf zen für hier lebende Menschen kratische Staat nur die Möglich- die Forderung des Koalitions- ohne Migrationshintergrund im keit habe, die Angebote der poli- antrages ein, die Forschung über Blick zu behalten. Auch könne tischen Bildung zu verstärken die Grundlagen der politischen man im Zusammenhang mit den und attraktiver zu gestalten. Bildung zu intensivieren. Dabei Erwartungen an außerschulische Demokratie sei die schwierigste handele es um einen absoluten

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Mangelbereich in der Wissen- Das Parlament überwies die Quellen: Internet-Ausgabe von schaftslandschaft. Angestrebt Anträge zur weiteren Beratung „Das Parlament“, Nr. 40-41 vom werden müsse so etwas wie ein an verschiedene Bundestags- 29.09.2008, heute im Bundestag, Institut für die Didaktik der ausschüsse unter Federführung Nr. 269, Protokoll der 193. Sitzung Demokratie. des Innenausschusses. des Deutschen Bundestages vom 04.12.2008

Neue Studien zur politischen Einstellung der deutschen Bundesbürger/-innen

Bei der Debatte über die Lage rechtsextreme Einstellungen. zu rechtsextremen Einstellungen der Politischen Bildung wurde Dennoch zeigt der Vergleich, auf. Während Mecklenburg-Vor- auf verschiedene Studien hin- dass die rechtsextremen Einstel- pommern bei der Befürwortung gewiesen, die Einstellungen von lungen von 2002 bis 2008 eher einer Diktatur deutlich an der Bundesbürger/-n/-innen in gesunken sind, wobei die Ent- Spitze liegt, gefolgt von Sachsen- Deutschland untersuchten. wicklungen jedoch in Ost- und Anhalt und Bayern, führt Bayern Die Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) Westdeutschland unterschiedlich bei der Zustimmung zum Chauvi- hatte unter dem Titel „Bewegung verliefen. Während noch 2006 nismus, auch hier gefolgt von in der Mitte – rechtsextreme Ein- der Chauvinismus in beiden Teilen Mecklenburg-Vorpommern und stellungen in Deutschland 2008“ Deutschlands einen leichten Hamburg, während das Saarland Einzelbefunde zu Ausländer- Anstieg an Zustimmung erfuhr, sowohl in Hinblick auf die Zustim- feindlichkeit, Antisemitismus und erhöhte sich im Jahr 2008 hier mung zur Diktatur als auch zum Chauvinismus als Dimensionen der Wert vor allem noch einmal Chauvinismus die geringste Anfäl- rechtsextremen Denkens doku- in Ostdeutschland, während er ligkeit zeigt. Die Ausländerfeind- mentiert. Die Wissenschaftler der im Westen um fast fünf Punkte lichkeit ist am stärksten verbrei- Universität Leipzig untersuchten sank. Die Ausländerfeindlichkeit tet in Sachsen-Anhalt, jedoch rechtsextreme Einstellungen in sank zwischen 2002 und 2008 in folgt Bayern auch hier auf dem einem Zeitvergleich, der die Jahre Westdeutschland kontinuierlich, Fuße, während das Saarland hier 2002 - 2008 umfasst und die Ver- erfuhr jedoch in Ostdeutschland wiederum am wenigsten Zustim- breitung solcher Einstellungen in nach einem kurzen Rückgang im mung zeigt. Das gilt auch für den den einzelnen Bundesländern Jahr 2004 eine weitere Steige- Sozialdarwinismus, der Mecklen- verdeutlicht. Dabei zeigen sich rung. Das gilt auch für den Anti- burg-Vorpommern an der Spitze zum Teil gravierende Unterschie- semitismus, der in den Jahren sieht; es folgt an zweiter Stelle de zwischen Ost und West; insbe- 2004 und 2008 in Ostdeutschland Thüringen, das auch bei der sondere bei der Ausländerfeind- eine erhebliche Steigerung erfuhr, Zustimmung zum Antisemitismus lichkeit zeigen sich die Menschen während er in Westdeutschland Bayern auf dem ersten und Baden- in Ostdeutschland erheblich von 13,8 % im Jahr 2002 auf 9,3 % Württemberg auf dem zweiten anfälliger als die im Westen, sank. Allerdings erfährt der Anti- Platz an dritter Stelle folgt. während die Westdeutschen semitismus im Osten Deutsch- stärker als die Menschen im lands generell weniger Zustim- Bei der Verharmlosung des Natio- Osten dazu neigen, den National- mung als im Westen, obwohl die nalsozialismus ist Brandenburg sozialismus zu verharmlosen und Zustimmungsquote steigt. am wenigsten anfällig; dort er- für Antisemitismus und Sozial- reicht die Zustimmung gerade darwinismus anfälliger sind. Eine Die Verharmlosung des National- 0,2 %, gefolgt von Hamburg mit Diktatur befürworten hingegen sozialismus ist ebenfalls im Osten 0,8 und Sachsen mit 0,9 %. An mehr Ostdeutsche im Verhältnis erheblich geringer ausgeprägt als der Spitze der Verharmlosung zu Westdeutschen. Eindeutig im Westen. Hier wurde 2004 ein liegen hier wiederum Baden- zeigt sich, dass rechtsextreme Anstieg verzeichnet, der vom da- Württemberg und Mecklenburg- Einstellungen eher von Männern, maligen Wert von 3,8 % bis zur Vorpommern mit je 7,2 und Thü- Arbeitslosen und älteren Men- aktuellen Erhebung auf 1 % sank. ringen mit 6,3%. schen (über sechzig) vertreten werden. Auch der Bildungs- Der Vergleich zwischen den ein- Die Autoren der Studie kommen abschluss hat einen erheblichen zelnen Bundesländern weist zu dem Schluss, dass rund 15 % Einfluss auf die Anfälligkeit für unterschiedliche Zustimmungen der Deutschen chauvinistisch ein-

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gestellt sind und bundesweit gut www.fes.de/rechtsextremismus sind Personen mit niedrigem Bil- ein Fünftel der Befragten eine zur Verfügung. dungsgrad, Geringverdiener und ausländerfeindliche Einstellung Arbeitslose demokratieverdros- zeigt. In dem bundesweiten Rück- Dass die Deutschen mit der Demo- sener als der Durchschnitt der gang rechtsextremer Einstellun- kratie nicht mehr zufrieden sind, Bevölkerung. Am zufriedensten gen sieht die Studie erste Erfolge belegt der im November veröf- sind die Menschen mit ihrer der vielfältigen Arbeit gegen den fentlichte „Datenreport 2008“, Wohnung und ihrem Familien- Rechtsextremismus, jedoch dürfe über den ZEIT-online am leben. man sich nicht zu früh freuen, 19.11.2008 berichtete. Auf einer denn die Veränderung des wirt- Skala von 0 bis 10 lag die Zufrie- Die Herausgeber des Daten- schaftlichen Klimas werde auch denheit mit der sozialen Siche- reports – Roland Habich vom Ber- bei den politischen Einstellungen rung im Westen der Republik im liner Wissenschaftszentrum für Folgen zeigen. Schnitt zuletzt bei 5,5 und im Sozialforschung und Heinz-Her- Osten bei 5, wobei insbesondere bert Noll von der Gesellschaft Die Autoren weisen darauf hin, die Einkommensschwachen, sozialwissenschaftlicher Struktur- dass sozialräumliche Unterschiede Arbeitslosen und die Alters- einrichtungen – sehen in dem bei der Bewertung der Ergeb- gruppe der 35- bis 39-Jährigen niedrigen Niveau der Demokra- nisse viel stärker gewichtet wer- Unzufriedenheit zeigten. tiezufriedenheit ein Risiko- und den müssten. Im reinen Ost-West- Konfliktpotential für die Demo- Vergleich gehe unter, dass auch Noch unzufriedener als mit ihrem kratie. Es werde verstärkt durch einige einzelne westdeutsche Haushaltseinkommen sind die das sinkende politische Interesse, Bundesländer einen sehr hohen Bürger und Bürgerinnen mit der die schwindende politische Teil- Anteil an Ausländerfeindlichkeit Demokratie. Die im Jahr 2005 habe der Bürger und Bürgerin- oder Antisemitismus haben. gemessenen Werte von 5,2 in nen, die sich in der schon seit West- und 3,9 in Ostdeutschland längerem sinkenden Wahlbeteili- Die Studie steht als Download wiesen auf ein besorgniserregend gung und dem Mitgliederrück- auf der Homepage der Friedrich- niedriges Niveau der Demokra- gang von Gewerkschaften und Ebert-Stiftung unter tiezufriedenheit hin. Auch hier Parteien zeige.

Politische Bildung stellt sich Herausforderungen

In Mecklenburg-Vorpommern lung der Werte der Demokratie, Wie man angesichts zunehmen- fand am 18. Oktober in Rostock auch das Wissen um deren Funk- der Politikverdrossenheit in der der erste Jahreskongress zur poli- tionsweisen und die Auseinander- Gesellschaft Jugendliche für Poli- tischen Bildung im Lande statt. setzung mit der schwierigen tik begeistern soll, ist eine Frage, Unter dem Motto „Politische Bil- Geschichte und mit den komple- die Jugendämter aus Stadt und dung im Umbruch?“ kamen etwa xen Problemen der globalisierten Kreis Aachen sowie Düren und 120 Teilnehmerinnen und Teilneh- Welt seien wesentliche Bestand- Hückelhoven mit dem Projekt mer aus den Bereichen der Politi- teile der umfassenden politischen „Generation Jugend – du hast die schen Bildung zusammen, die Bildung. Das Fazit des Direktors Wahl!“ zu klären versuchen. Hier einer Einladung der Landeszentra- der Landeszentrale für politische geht es um Politische Bildung im le für politische Bildung, des Insti- Bildung in Mecklenburg-Vorpom- Hinblick auf die bevorstehenden tuts für Politik- und Verwaltungs- mern, Jochen Schmidt, lautete, Kommunalwahlen im Juni 2009, wissenschaften der Universität dass es bei diesem Kongress ge- bei denen in Nordrhein-Westfalen Rostock und der Deutschen Verei- lungen sei, einen Diskussionspro- bereits 16- und 17-Jährige wahl- nigung für politische Bildung zess über die Zukunft der politi- berechtigt sind. Das Projekt soll unter der Schirmherrschaft des schen Bildung im Land in Gang zu zugleich zunehmenden rechts- Landeskulturministers Henry Tesch bringen, der fortgesetzt werden extremistischen Tendenzen ent- (CDU) gefolgt waren. Der Minister müsse. Er kündigte an, dass der gegenwirken. Es sei das Eine, bezeichnete auf dieser Tagung Kongress zu einer festen Einrich- über Rechtsextremismus zu infor- Politische Bildung als Dauerauf- tung werden solle. Die Beiträge des mieren, das Andere, dagegen zu gabe. Sie leiste nicht nur einen Kongresses sind unter: www.lpb- mobilisieren. Man versuche, den wichtigen Beitrag für die Vermitt- mv.de im Internet nachzulesen. Jugendlichen den Wert von Demo-

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kratie, Beteiligung und Zivil- genauso politisch interessiert nen und zur Politischen Bildung courage bewusst zu machen. sind wie 18-jährige Erstwähler, entwickelt hat, die an Förder- Dies gehe jedoch nicht nur über jedoch erheblich weniger über schulen in NRW, Bremen und den Kopf, sondern das Projekt Politik wissen und sie zudem viel Brandenburg eingesetzt wurden. wählt die Musik als „Türöffner“. weniger verstehen. Die Studie Die Ergebnisse des Projektes wur- Vorbereitet wird ein Wettbewerb wurde an der Universität Hohen- den am 28. November im Rahmen für Jugendbands, die mit eige- heim von Jan Kercher erarbeitet. einer öffentlichen Fachtagung nen Songtexten und Kompositio- Der Wissenschaftler zieht aus den vorgestellt. Bei der Entwicklung nen Position beziehen sollen Ergebnissen jedoch nicht den der Unterrichtseinheiten standen gegen Intoleranz, Rassismus und Schluss, dass 16-Jährige generell nicht nur die reine Vermittlung Gewalt. Eine Tanzpädagogin will nicht wählen sollten. Das Interes- von Informationen und Wissen zudem mit den 15- bis 19-Jähri- se und die Motivation, sich mit im Vordergrund, sondern die För- gen aus allen projektbeteiligten Politik zu beschäftigen, könnte derung der Motivation zur aktiven Kommunen Tanztheaterszenen durch ein niedrigeres Wahlalter Auseinandersetzung mit politi- zum Thema Zivilcourage erarbei- vielmehr unterstützt werden, schen Fragen und damit die För- ten, die im Juni 2009 aufgeführt meinte er, empfahl jedoch, mit derung politischer Mündigkeit werden sollen. der Politischen Bildung in Schulen trotz benachteiligender Lebens- früher zu beginnen, um die Vor- bedingungen. Die unterrichtsbe- Eine Studie, über die Spiegel- aussetzungen für die Senkung gleitende DVD soll Lehrern als online am 7. Dezember 2008 des Wahlalters zu schaffen. Unterstützung bei der Umsetzung berichtete, hat deutlich gemacht, des VorBild-Projekts dienen; sie dass viele Jugendliche unterhalb Die Stärkung der Politischen Bil- kann demnächst bei der Bundes- der Volljährigkeit nicht nur weni- dung von sozial und bildungs- zentrale für politische Bildung ge Kenntnisse über Politik haben, benachteiligten Schülergruppen angefordert werden. sondern auch nicht wissen, um ist Ziel des Projektes „VorBild“, was es eigentlich bei einer Wahl zu dem die Fakultät für Gesund- Quellen: mvregio.de/154493, geht. Die Studie nimmt Stellung heitswissenschaft der Universität www.ad-hoc-news.de vom zur Diskussion, ob das Wahlalter Bielefeld in Kooperation mit der 19.10.2008, www. spiegel.de vom für Jugendliche gesenkt werden Bundeszentrale für politische Bil- 7.12.2008, www.hz-web.de vom sollte. Nach den Wissenstests hat dung zwei Jahre lang Unter- 28.11.2008, idw-online.de vom sich gezeigt, dass 16-Jährige zwar richtsmodule zum sozialen Ler- 24.11.2008

Auseinandersetzung mit deutscher Geschichte

Der 60. Jahrestag der Pogrom- Nacht seien weitere Verbrechen ein Museum besteht, in dessen nacht vom 9. auf den 10. Novem- auf dem Weg bis hin zur organi- Mittelpunkt das besondere huma- ber 1938 war nicht nur Anlass, sierten Ermordung von 6 Millio- nitäre Engagement des Bürsten- dieses dunklen Kapitels deut- nen Juden in Europa gefolgt. fabrikanten Otto Weidt steht scher Geschichte erneut zu (Inge Deutschkron hat in dem gedenken, sondern auch Anstoß Menschen, die das Schweigen Buch „Ich trug den gelben Stern“ zur Auseinandersetzung mit gegenüber diesen Verbrechen über ihre Zeit in dieser Blinden- aktuellen Erscheinungsformen gebrochen hätten, seien die Aus- werkstatt berichtet; ohne ihren von Antisemitismus und Rechts- nahme gewesen. unermüdlichen Einsatz wäre das extremismus. „Museum Blindenwerkstatt Otto Der Bund finanziert nun eine Weidt“ nicht eingerichtet wor- Auf der zentralen Gedenkfeier Gedenkstätte in Berlin, die den den). Das Konzept für die Gedenk- zum 9. November, die in der Syna- „Stillen Helden“ gewidmet ist, stätte „Stille Helden“ wurde von goge Rykestraße in Berlin statt- die verfolgten jüdischen Men- der Gedenkstätte Deutscher fand, rief Bundeskanzlerin Angela schen während der Nazidiktatur Widerstand entwickelt, die dabei Merkel dazu auf, Antisemitismus, halfen. Diese Gedenkstätte wur- mit dem Zentrum für Antisemitis- Rassismus und Fremdenfeindlich- de im Oktober im Haus der frühe- musforschung der Technischen keit nie wieder eine Chance zu ren Blindenwerkstatt Otto Weidt Universität Berlin zusammen- geben. Den Pogromen in dieser eingerichtet, wo bereits seit 2001 arbeitete.

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Über die Fortschreibung der ten Birthler-Behörde und kündig- zu als fremd erlebten Menschen Gedenkstättenkonzeption in te an, dass auch im Bereich der Einfluss auf die politische Orien- Deutschland debattierte der Gedenkstätten zur SED-Herrschaft tierung der Bürger hat. In den Deutsche Bundestag am 13. No- drei weitere Einrichtungen in die Staaten Ostmitteleuropas wird vember 2008. Staatsminister institutionelle Förderung auf- an den jeweiligen politischen betonte in der genommen und andere Gedenk- Parteien deutlich, dass Rechts- Debatte die Bedeutung des Kon- stätten weiterhin unterstützt extremismus hier als Begleitphä- zeptes für die Erinnerungskultur werden sollen. nomen krisenhaft erlebter Moder- in Deutschland, deren Ziel es sei, nisierung gedeutet werden kann. Verantwortung wahrzunehmen, Für die Realisierung des Gedenk- die Aufarbeitung zu verstärken stättenkonzepts werden in den In Hinblick auf Strategien zur und das Gedenken zu vertiefen. Jahren 2008 und 2009 die Mittel Bekämpfung des Rechtsextre- Das neue Gedenkstättenkonzept, um 50 % auf insgesamt 35 Millio- mismus auf europäischer Ebene so Neumann, sehe vor, die nen Euro angehoben. wurde dafür plädiert, bei den Gedenkstätten in Bergen-Belsen, nationalen Besonderheiten des Dachau, Flossenbürg und Neuen- Die Gedenkstättenkonzeption Rechtsradikalismus in den einzel- gamme neu in die institutionelle des Bundes wurde von allen im nen Ländern anzusetzen, wenn- Förderung aufzunehmen und Deutschen Bundestag vertrete- gleich die EU-Antidiskriminie- darüber hinaus in einem Stufen- nen Fraktionen begrüßt, wobei rungsrichtlinie deutlich mache, plan für die Sanierung weiterer allerdings die Fraktion Die Linke dass auch Mindeststandards auf Gedenkstätten, wo nötig, Sorge beklagte, dass der Erinnerung an gemeinsamer Ebene sinnvoll sein zu tragen. die DDR-Geschichte im Vergleich können. zur Aufarbeitung der NS-Herr- Neben dem Gedenken an die schaft zu viel Raum gegeben Die Bundesregierung fördert Vernichtung der Juden sieht die werde. über das Bundesprogramm Bundesregierung die besondere „ XENOS-Integration und Viel- Verantwortung für das Gedenken Zur aktuellen Situation des falt“ 261 Projekte, die sich gegen an die ermordeten Sinti und Rechtsextremismus in Europa Fremdenfeindlichkeit, Rassismus, Roma, denen ein Denkmal an veranstaltete die Landeszentrale Rechtsextremismus und Diskrimi- einem Ort zwischen Reichstag für politische Bildung Rheinland- nierung in Betrieben, Schulen und Brandenburger Tor errichtet Pfalz im Herbst in der KZ-Gedenk- und Verwaltungen engagieren. werden soll. Gedacht werden soll stätte Osthofen eine Tagung, auf Dies teilte die Bundesregierung aber auch der nationalsozialisti- der die Erscheinungsformen von auf eine Kleine Anfrage der Frak- schen Morde an behinderten Rechtsextremismus beleuchtet tion Die Linke mit. Bis Ende Mai Menschen sowie der Verfolgung und zugleich mögliche Ansätze 2008 wurden 832 Förderanträge Homosexueller und anderer zu seiner Bekämpfung erörtert gestellt, von denen 491 als Opfergruppen. wurden. Die Experten stellten grundsätzlich förderwürdig ein- für Deutschland einen deutlichen gestuft worden seien. Die Aufarbeitung der SED-Dik- Zusammenhang zwischen natio- tatur und ihrer Folgen ist der naler Orientierung und Fremden- zweite Schwerpunkt des neuen feindlichkeit fest. Während hier Quellen: BPA-Bulletin vom Gedenkstättenkonzepts. Hier das Bildungsniveau ein weiteres 12.11.2008, BPA-Artikel vom sollen die Anstrengungen deut- entscheidendes Kriterium sei, 27.10.2008, REGIERUNGonline, lich verstärkt werden. Der Staats- könne dies in vielen anderen euro- 13.11.2008, Internet-Angebot minister würdigte in diesem päischen Ländern so nicht als „Das Parlament“, Ausgabe 47 Zusammenhang die Arbeit der Ursache belegt werden. Überall vom 17.11.2008, www.wormser- Bundesstiftung Aufarbeitung der zeige sich jedoch der Effekt, dass zeitung.de/region/objekt.php3?a SED-Diktatur und der sogenann- vor allem die Kontakthäufigkeit rtikel_id=3497207 03.11.2008

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Migrationsbewegungen und Integrationsbemühungen

Anfang Dezember wurden die Deutschland weniger nach ethni- Über 500 Volkshochschulen wur- Zahlen aus dem Migrations- scher Herkunft und sozialer Lage, den vom Bundesamt für Migra- bericht für das Jahr 2007 als vielmehr nach ihren Wertvor- tion und Flüchtlinge exklusiv bekannt, den die Integrations- stellungen und Lebensstilen. Ent- damit beauftragt, den Einbürge- beauftragte der Bundesregie- gegen der verbreiteten Vorstel- rungstest wohnort- und zeitnah rung regelmäßig vorlegt. Danach lung vom zunehmenden Einfluss durchzuführen. zogen im vorletzten Jahr 680 766 der Religion sind 84 % der Befrag- Menschen nach Deutschland, ten der Meinung, Religion sei rei- In seiner Erklärung zum Ersten denen 636 854 Auswanderer ne Privatsache. Die Integrations- Fortschrittsbericht zum Nationa- gegenüber standen. Der Wande- bereitschaft ist sehr groß, wobei len Integrationsplan, die das rungssaldo stieg damit leicht an die Migranten und Migrantinnen Bundeskabinett Anfang Novem- auf 44 000 Personen. Bei den ihre kulturellen Wurzeln nicht ber verabschiedete, wird auf die Zuzügen kamen fast 60 % der vergessen wollen. 85 % sehen in Intensivierung der Integrations- Personen aus der EU. Das gilt der Beherrschung der deutschen kurse hingewiesen. Die Bedin- auch für die Fortzüge, die zu Sprache eine wichtige Vorausset- gungen der Beteiligung wurden über 50 % in Länder der EU zung für Erfolg, 24 % finden es erleichtert. Die Verbesserungen führten. sehr wichtig, die Gleichstellung hätten nicht nur zu einer deutlich von Männern und Frauen als höheren Akzeptanz der Integra- Der seit 1993 anhaltende Rück- eigenständiges Thema voranzu- tionskurse, sondern auch zu einer gang bei Asylantragstellern treiben. Eine partnerschaftliche Steigerung der Teilnehmerzahlen setzte sich weiter fort. Im Jahr Aufgabenteilung ist auch unter geführt. Auch in den Bereichen 2007 wurden 19 000 Anträge Zuwanderern das am häufigsten Bildung, Ausbildung und Arbeits- gestellt. Zurückgegangen ist angestrebte Modell und wird im markt verweist die Bundesregie- auch die Zahl der Spätaussiedler, intellektuell-kosmopolitischen rung auf Initiativen zur Förderung die von 2006 – 7 747 Personen – Milieu von zwei Dritteln der von höherer Bildungsbeteiligung auf 5 792 zurückging. Befragten bevorzugt und von und verbesserten Aufstiegsmög- einem Drittel auch praktiziert. Im lichkeiten für Migrantinnen und Der Anteil ausländischer Staats- religiös verwurzelten Milieu ist Migranten. Weitere Maßnahmen angehöriger an der Gesamt- das Modell des Alleinverdieners gelten den Mädchen und Frauen, bevölkerung blieb konstant und sowohl als Wunsch wie auch in deren politische Partizipation liegt bei 8,8 %, wobei auch hier der Wirklichkeit am stärksten verbessert werden soll. Über das die größte Gruppe (34,6 %) vertreten. Programm „Soziale Stadt“ sollen Ausländer aus der EU sind, die Wohn- und Lebensbedingun- gefolgt von türkischen Staats- Infos zur Studie unter: www.si- gen in benachteiligten Stadt- angehörigen (25,4 %). nus-soziovision.de. quartieren, in denen besonders viele Migranten leben, verbessert Wie die neue Sinus-Studie Von den fast 9 000 Einbürge- werden. Weitere Initiativen gel- „Lebenswelten von Migranten“ rungsbewerber/-n/-innen, die in ten der Integration durch Medien verdeutlicht, ist die Lebenswelt den Monaten September und und der Integration durch bür- von Migrantinnen und Migran- Oktober den neu eingeführten gerschaftliches Engagement. ten weitaus vielfältiger und dif- Einbürgerungstest an einer ferenzierter, als allgemein Volkshochschule absolvierten, Der Erste Fortschrittsbericht zum angenommen wird. Das Spek- haben 98 % den Test bestanden. Nationalen Integrationsplan wird trum reicht von vormodernen, Die Präsidentin des Deutschen unter www.integrationsbeauf- bäuerlich geprägten Milieus über Volkshochschul-Verbandes, tragte.de veröffentlicht. gesellschaftliche Aufsteiger, Prof. Dr. Rita Süssmuth, nahm Befürworter individueller Selbst- dies zum Anlass für die Forde- Die Bedeutung der Bildung für verwirklichung und Emanzipa- rung, Vorurteile gegenüber die Integration steht im Mittel- tion bis hin zu Menschen, die sich Zugewanderten abzubauen und punkt der „Aktion Zusammen- nicht anpassen wollen und unter anzuerkennen, dass sie nicht wachsen – Bildungspatenschaf- Entwurzelung leiden. Nach der pauschal den bildungs- und ten stärken, Integration Studie unterscheiden sich die gesellschaftsfernen Schichten fördern“, die von der Integra- Migrantinnen und Migranten in zugeordnet werden können. tionsbeauftragten der Bundes-

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regierung, Prof. Dr. Maria Böh- sentiert, der praktische Tipps und lang seien junge Menschen mit mer, initiiert wurde. Auf einem Informationen enthält. Migrationshintergrund in den Kongress in Berlin tauschten sich Freiwilligendiensten deutlich Expertinnen und Experten aus Das zivilgesellschaftliche Engage- unterrepräsentiert. Das Qualifi- Patenschafts- und Mentoring- ment von Migrantinnen und zierungsangebot richtet sich an projekten aus ganz Deutschland Migranten soll gefördert werden. die Migrantenorganisationen, aus und stellten in Fachforen ihre Anfang Dezember wurde das die sich interkulturell öffnen, Erfahrungen vor. Die Bildungs- bundesweite Projekt „Migranten- indem sie junge Menschen unter- patinnen und -paten begleiten organisationen als Träger von schiedlicher Herkunft und auch Kinder und Jugendliche mit Freiwilligendiensten“ vorgestellt, deutsche Jugendliche anspre- Zuwanderungshintergrund durch in dessen Rahmen Migranten- chen. Sie sollen sich zudem zur die Bildungsinstitutionen und organisationen bei der Entwick- Zusammenarbeit mit anderen von der Ausbildung in den Beruf. lung von pädagogischen Konzep- Migrantenorganisationen und Die Integrationsbeauftragte hat ten oder bei der Gewinnung und traditionellen deutschen Trägern in diesem Zusammenhang einen Anleitung von Einsatzstellen bereit erklären. „Leitfaden Patenschaften“ prä- unterstützt werden sollen. Bis-

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Aus dem AdB

AdB-Jahrestagung „Zukunft hat Herkunft – Politische Bildung gestaltet Demokratie“

Das Jahr 2009 bietet viele heraus- das Thema des einleitenden der Kooperation mit Schulen, ragende Gelegenheiten zur Erin- Referates, mit dem der Leiter anzustreben, die über die Beteili- nerung an wichtige Ereignisse der Stiftung Niedersächsische gung an Führungen durch die der deutschen Geschichte. Von Gedenkstätten, Dr. Habbo Knoch, Gedenkstätten hinaus durch Pro- zentraler Bedeutung ist dabei die vielfältigen Funktionen von jektwochen und themenzentrier- der 20. Jahrestag des Mauerfalls. Gedenkstätten beschrieb. Er te Veranstaltungen erreicht wer- erinnerte daran, dass sich die den sollte. Gleichwohl dürfe die Vor dem Hintergrund der zu Gedenkstätten als Lernorte vor Gedenkstätte nicht auf die Funk- erwartenden zahlreichen Erinne- allem in den letzten zwanzig tion eines Lernortes reduziert rungs- und Gedenktage beschloss Jahren aus bürgerschaftlichem werden - sie sei zugleich immer der Vorstand des AdB, das Jahr Engagement von Menschen ent- auch Friedhof und Gedenkort. 2009 dem Thema „Zukunft hat wickelt haben, die sich in Initiati- Auch daraus ergeben sich Aufga- Herkunft - Politische Bildung ven organisierten, um die Erinne- ben: Gedenkstätten pflegen Kon- gestaltet Demokratie“ zu wid- rung an die Geschehnisse vor Ort takte zu Überlebenden, richten men. Der Arbeitskreis deutscher wach zu halten. Die Stiftung Gedenkfeiern aus. Sie sind Orte Bildungsstätten hat im Jahr 2009 Niedersächsische Gedenkstätten der Forschung und Orte der Ver- zudem einen Anlass, sich mit der wurde 2004 gegründet mit der mittlung, Museen und „Orte des eigenen Geschichte zu beschäfti- Aufgabe, Gedenkstätten und Authentischen“, die Nähe zu gen: er feiert dann sein fünfzig- regionale Initiativen zu fördern. dem Geschehen vermitteln. jähriges Bestehen. Ihre Gründung ging einher mit der Auflösung der Landeszentrale Zu den Fragen, denen sich die Das kommende Jahresthema für politische Bildung Nieder- Gedenkstätten stellen müssen, wurde eingeleitet mit einer sachsen, die ein Vakuum hinter- gehört das absehbare Ende der Veranstaltung, die in der Wirt- ließ. Die Zeit des Nationalsozia- Zeitzeugenschaft. Daraus entste- schafts- und Sozialakademie der lismus sei nicht der einzige he ein Legitimationswandel, und Arbeitnehmerkammer Bremen Gegenstand der Stiftungsarbeit, man müsse darüber nachdenken, in Bad Zwischenahn stattfand. jedoch ihr zentraler Ausgangs- was an deren Stelle treten solle. Vom 25. bis 26. November 2008 und Bezugspunkt. diskutierten Vertreter und Die öffentliche Betonung des Vertreterinnen aus den AdB-Mit- Knoch betonte die Notwendig- Nationalsozialismus werde inzwi- gliedseinrichtungen auf der AdB- keit, eine Nachhaltigkeit des Bil- schen relativiert, wie die Rede Jahrestagung über Zugänge zur dungsprozesses, insbesondere in von Martin Walser in Frankfurt Zeitgeschichte und setzten sich gezeigt habe. Inzwischen werde mit neuen Formen historisch- die Zeit der SED-Herrschaft stär- politischer Bildung auseinander. ker ins Zentrum der deutschen Erinnerungskultur gerückt, die Der AdB-Vorsitzende Peter sich allmählich pluralisiere, wo- Ogrzall wies in seiner Begründung mit auch das Entstehen einer des Vorstandsbeschlusses darauf „Erinnerungskonkurrenz“ ein- hin, dass man mit dem neuen hergehe. Jahresthema das Ziel verfolge, die Vielfalt historisch-politischer Zu den Bildungs- und Vermitt- Bildungsarbeit zu verdeutlichen. lungszielen der Gedenkstätten Für die politische Bildung stelle führte Knoch aus, dass es vor sich die Frage, wie sie den Teil- allem darum gehe, ein Rechts- nehmern und Teilnehmerinnen bewusstsein vor der Folie des in an ihren Veranstaltungen den der Gedenkstätte dokumentierten Zusammenhang zwischen der in- Unrechts zu entwickeln. Dieses dividuellen und der „großen“ Rechtsbewusstsein gelte es zu Geschichte verdeutlichen könne. stärken und die Teilnehmer und ©Arbeitskreis deutscher Bildungsstätten Teilnehmerinnen zur Wahrneh- „Historisch-politische Bildung an Dr. Habbo Knoch referierte über Auf- mung eigener Rechte zu befähi- außerschulischen Lernorten“ war gaben von Gedenkstätten gen. Auch Partizipation sei ein

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wichtiges Lernziel, da die Zerstö- von dem Referenten angemerkt, Arbeitsgruppe I, dass nach den rung von Partizipationsstrukturen dass die Mehrschichtigkeit der Erfahrungen mit europäischen in der Folge der Machtübernah- Orte verdeutlicht werden müsse. Projekten, die von biographi- me durch die Nationalsozialisten Er selbst sei gegen eine Rekon- schen Ansätzen als Zugang zur eine Folie für die Entwicklung struktion, die eine Anschauung europäischen Geschichte aus- von Gedenkstätten zu Lernorten von der damaligen Situation gingen, zwar von einem euro- bildete. Ein weiteres Lernziel sei geben wolle, jedoch präge jede päischen Gedächtnis gesprochen Empathie, wobei der Begriff Erinnerungsgeneration auf ihre werden kann, jedoch in diesem „Betroffenheit“ in der Diskussion Weise die Formen des Gedenkens. Gedächtnis sehr unterschiedliche über die Gedenkstättenarbeit Perspektiven wahrzunehmen umstritten sei, da Betroffenheit In drei dann folgenden Work- sind und eine Gemeinsamkeit der Lernprozesse sowohl anregen shops wurden viele der in dem Erinnerungen nicht vorausge- als auch blockieren könne. Die Eingangsreferat aufgeworfenen setzt werden könne. Die Arbeits- „reflektierte Empathie“ hin- Fragen weiter im Zusammenhang gruppe II war angesichts der Viel- gegen lasse Emotionalität zu, mit der Präsentation von Beispie- falt von Möglichkeiten der ohne zu überwältigen. len aus der Praxis historisch-poli- Auseinandersetzung mit der tischer Bildung erörtert. Geschichte zu dem Schluss Habbo Knoch betonte, dass es gekommen, dass historisch-politi- notwendig sei, die Autonomie Mit historischem Lernen in euro- sche Bildung mehr sei als Gedenk- der Bildungsarbeit jenseits politi- päischen Begegnungen und den stättenpädagogik und die scher Zusammenhänge zu sichern. Möglichkeiten, aus den Lebens- Geschichte der SED. Die neuen Dennoch bleibe die diskursive geschichten der daran Beteilig- Zugänge zur historisch-politi- Auseinandersetzung über die ten Zusammenhänge europäi- schen Bildung beruhen auf inter- Entwicklung von Lernorten eine scher Geschichte herzustellen, disziplinären Ansätzen, arbeiten fortdauernde Aufgabe. beschäftigte sich Workshop I. mit unterschiedlichen Lernfor- men und sind an dem Ziel orien- In der sich anschließenden Dis- Im zweiten Workshop wurden tiert, den Transfer zwischen kussion wurde der Begriff des innovative Methoden für die his- Jugend- und Erwachsenen- „Authentischen“ problematisiert, torisch-politische Bildung vor- bildung zu optimieren, Sperren da die Orte des Geschehens in gestellt, die besonders junge zwischen verschiedenen bislang ihrem ursprünglichen Erschei- Menschen für historische Themen voneinander getrennten Berei- nungsbild nicht mehr existieren, interessieren sollen. Sie nutzen chen zu überwinden und die sondern überlagert seien von Zugänge über die neuen Medien, Zusammenarbeit mit dem krea- Rezeptionen und Interpretatio- um beispielsweise im Rahmen tiv-künstlerischen Arbeitsfeld zu nen. Die Institutionalisierung von Stadtspaziergängen oder in intensivieren. Historisch-politi- des Gedenkens an solchen Orten anderen öffentlichen Räumen sche Bildung sei auch als Ausein- wurde von Habbo Knoch auch als zur Auseinandersetzung mit his- andersetzung mit der Lokalge- nicht unproblematisch angesehen, torischen Vorgängen an diesen schichte zu betrachten und nicht weil dadurch die Bindung an Orten anzuregen. nur auf die „großen Themen“ zu einen bestimmten Ort erfolge konzentrieren. und fluide Formen, wie sie in den Im Workshop III standen die „Stolpersteinaktionen“ realisiert friedliche Revolution und die Die Arbeitsgruppe III hatte in der werden, vernachlässigt würden. Wiedervereinigung als Thema Beschäftigung mit dem Ost-West- Der Distanzierung gegenüber politischer Bildung im Mittel- Projekt „Das Leben der Anderen“ Betroffenheit mochte nicht jeder punkt, exemplarisch bearbeitet erfahren, dass die Begegnung Teilnehmende folgen. Gedenk- an einem AdB-Projekt zur politi- zwischen Ost- und Westjugend- orte seien, so die Argumentation, schen Jugendbildung, das unter lichen nach wie vor interkulturel- auch immer Orte der Täterschaft, dem Titel „ Das Leben der Ande- les Lernen erfordert, Recherchen und Empathie mit den Opfern sei ren“ Jugendliche aus Ost- und notwendig sind als Vorausset- zu begrüßen. In der Diskussion Westdeutschland zur Erarbeitung zung, ein gemeinsames Produkt wurde die Frage nach der Berech- eines gemeinsamen Produkts erarbeiten zu können. Dabei sei tigung von „Geschichtsinszenie- zusammenführt. die gemeinsame Herangehens- rungen“ gestellt, die insbeson- weise entscheidender als die Ein- dere von amerikanischen Bei der Berichterstattung über heitlichkeit der Produkte, die Besuchern erwartet werden, wie die Diskussionen in den einzelnen durchaus unterschiedlich sein die Erfahrung zeige. Dazu wurde Arbeitsgruppen war Fazit der könnten.

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©Arbeitskreis deutscher Bildungsstätten Potential sind Charakteristika digitaler Verbreitungsmedien, die unterschiedliche Präsentatio- nen verschiedener Angebote zulassen, die auf Multiplikatoren und die Zielgruppe Jugendliche zielen. Allerdings werde gegen- über Sujets, die wie Computer- spiele auf Aufmerksamkeit und Unterhaltung zielen oder Zustän- de simulieren, die realistische Erfahrungen vortäuschen, schnell Gruppenbild mit Herrn in Workshop III der Verdacht der Trivialisierung laut. Angesichts der Schwierigkeiten, Formen des Erinnerns entstehen. unkonventionelle Methoden mit Insbesondere populäre mediale Wie historische Ereignisse fiktio- den Vorgaben der öffentlichen Darstellungen hätten regelmäßig nalisiert werden können, ver- Förderung in Einklang zu brin- Anschlussdiskussionen zur Folge. anschaulichte Dr. Erik Meyer am gen, wurde dafür plädiert, Erst der Film „Holocaust“, in Beispiel einer umstrittenen gegenüber den Zuwendungs- Form einer vierteiligen Fernseh- Aktion der Gedenkstätte Lidice. gebern die Notwendigkeit neuer serie, die 1978 entstand, führte Andere von ihm präsentierte Bei- Formate zu unterstreichen, zu einer Trendwende, die eine spiele waren Web-Sites zur The- denen gegenüber es unterschied- Auseinandersetzung mit der Ver- matik Holocaust, die über Such- liche Offenheit gibt. Allerdings nichtung der Juden in Deutsch- maschinen gefunden werden müsse man sich auch im Klaren land durch einen biographischen können. Die Möglichkeiten, die darüber sein, dass neue Formate Ansatz und die Personalisierung das Internet bietet, erschließen sehr viel Ressourcen binden und des Themas ermöglichte. sich jedoch nur denen, der damit die Förderungshöhe bei solchen umzugehen wissen. Die Gedenk- Projekten dem entsprechen Die neuen Medien haben neue stätten stellen sich auf die neuen müsse. Möglichkeiten eröffnet. Die Möglichkeiten ein und präsentie- unbegrenzte Speicherkapazität ren eigene Angebote im Netz. In dem abschließenden Referat relativiert die Bedeutung, die Die Gedenkstätte Jad Vaschem in stellte Dr. Erik Meyer, Universität ehemals dem Gedächtnis als Spei- Jerusalem sammelt beispiels- Gießen, unter dem Thema cherung von Inhalten zukam. weise biographische Angaben zu „Erinnerungskultur, Medien- Multimedialität und interaktives Opfern, die über Feedbacks von wandel und Aufmerksamkeits- Nutzern korrigiert oder ergänzt ökonomie“ Ergebnisse von werden können. Auch das Histo- Projekten aus dem Sonderfor- rische Museum in Berlin, das schungsbereich Erinnerungskul- Haus der Geschichte in Bonn turen vor. Hier ging es vor allem und andere Einrichtungen haben um die Optionen, die die digita- spezifische Präsentationsformen len Medien eröffnen. Meyer für das Internet entwickelt. betonte, dass es bei diesen Pro- Zudem gibt es neue Portale, die jekten um Formen der Verbreite- beispielsweise die Geschichte von rung von Erinnerung durch eine Zeitzeugen darstellen lassen. Form der Kommunikation gehe, Auch der SPIEGEL hat eine Platt- die auf Visualisierung und Virtua- form mit dem Titel „Eines Tages“ lisierung setzt. Gedenkstätten als eingestellt, auf der Zeitzeugen Erinnerungsorte setzten hingegen ihre Erinnerungen an bestimmte voraus, dass die Leute kommen. Ereignisse einstellen können. Die Veröffentlichung solcher Am Beispiel der Auseinanderset- Beiträge orientiere sich aber an zung über das Holocaust-Denk- ©Arbeitskreis deutscher Bildungsstätten Kriterien der Aufmerksamkeits- mal in Berlin verdeutlichte der Dr. Erik Meyer veranschaulichte den ökonomie und flankiere auch Referent die Probleme, die bei Einfluss der neuen Medien auf die bereits im SPIEGEL erschienene der Frage nach angemessenen Erinnerungskultur Beiträge.

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In der sich anschließenden Dis- habe aber bereits stattgefunden. tungen zu orientieren oder an kussion wurde vor der mit sol- Allerdings bieten auch die neuen Auszeichnungen von Websites chen medialen Vermittlungs- Medien über Angebote wie Wiki- durch den Grimme Award. Die formen verbundenen Gefahr der pedia die Möglichkeit, viele nunmehr gegebene Multipers- Fragmentierung von Öffentlich- unterschiedliche Positionen wie- pektivität sei auch eine Chance, keit gewarnt, da sich jeder aus- der zusammenzuführen. Bei der werde jedoch oft nicht als solche suchen könne, was er wolle und Entscheidung, welche Internet- wahrgenommen. Angesichts der eine Konfrontation mit dem, was Angebote im Rahmen der politi- bestehenden Unsicherheit, auch man nicht wissen wolle, vermie- schen Bildung genutzt werden der mangelnden Seriosität vieler den werden könne. Ein solcher könnten, wurde auf die Möglich- Internetangebote, sei es umso Strukturwandel der Öffentlich- keit hingewiesen, sich an den wichtiger, die Medienkompetenz keit, bestätigte der Referent, Angeboten etablierter Einrich- zu fördern.

AdB-Mitgliederversammlung beschloss Stellungnahme zum Jahresthema 2009 und nahm drei neue Mitglieder auf

Die sich der Jahrestagung tion weiter ausdifferenzierende gen dieser Krise auf die Arbeits- anschließende Mitglieder- globale Gesellschaft ebenso zählt platzsituation und die Lebens- versammlung beschloss nach wie der absehbare Verlust von bedingungen der Menschen einem längeren Diskussions- Zeitzeugen, der durch ein diffe- forderten von der politischen Bil- prozess eine Stellungnahme zum renziertes Methodenangebot dung, sich mit dieser Situation AdB-Jahresthema 2009, die unter ausgeglichen werden müsse. auseinander zu setzen. Der AdB- dem Titel „Zukunft hat Herkunft Auch die Prägung des Kommuni- Vorstand schlage deshalb vor, das – politische Bildung gestaltet kationsverhaltens und der Lern- man sich im Bundesausschuss Demokratie“ die AdB-Position zu kultur durch die neuen Medien Politische Bildung möglichst zeit- grundsätzlichen und aktuellen haben Auswirkungen auf die his- nah zu den Herausforderungen Aufgaben historisch-politischer torisch-politische Bildung und der Finanzkrise für die politische Bildung zum Ausdruck bringt. sollten kritisch reflektiert genutzt Bildung äußern solle. Es heißt darin, dass die Ausein- werden. Nicht zuletzt eröffnet andersetzung mit der Geschichte die europäische und internatio- Die Mitgliederversammlung im Rahmen politischer Bildung nale Dimension politischer Bil- hatte über Aufnahmeanträge ein Bewusstsein über Herkunft dung die Chance, unterschiedliche von drei Institutionen zu befin- und Grundlagen der Demokratie Perspektiven herauszuarbeiten den, die sich auf der Mitglieder- schaffe, das Denken in histori- und ein gemeinsames Verstehen versammlung präsentierten. schen Zusammenhängen unter- zu entwickeln. (Die Stellungnah- Aufgenommen wurden Dr. Lutz stütze und Orientierung für das me wird in der nächsten Ausgabe Brangsch für die Rosa-Luxemburg- eigene politische Handeln in der „Außerschulischen Bildung“ Stiftung, Dr. Thomas Ritschel für Gegenwart und Zukunft biete. dokumentiert.) die Weimar-Jena -Akademie – Politische Bildung beziehe ihren Verein für Bildung und Gerhardt Auftrag zur Auseinandersetzung Der AdB- Vorsitzende Peter Thiel für das Seminar- und mit der Geschichte vor allem von Ogrzall, der über die Schwer- Tagungshaus „Die Freudenburg“ den „Tiefpunkten“ deutscher punkte der Verbandsarbeit im zu in Bassum/Diepholz, der vorerst Geschichte wie der NS-Terror- Ende gehenden Jahr referierte, als assoziiertes Mitglied im Ver- herrschaft. Nach dem Erfolg der merkte an, dass die Situation der band mitwirken wird. friedlichen Revolution vor zwan- politischen Bildung nicht zuletzt zig Jahren sei aber auch die Aus- durch die Finanzkrise schwieriger Auch eine Neuwahl der Kassen- einandersetzung mit der SED- geworden sei, in der die Zweifel prüfer/-innen wurde erforderlich, Herrschaft in der DDR ein der Menschen an Politik und an weil Hans-Ulrich Nieder und weiterer Schwerpunkt. Für die den demokratischen Institutio- Jürgen Wittmer nicht wieder für Weiterentwicklung des Arbeits- nen und Regelungen wachsen. dieses Amt kandidierten. Die feldes müssten veränderte Vor- Der Eindruck, dass Gewinne pri- Mitgliederversammlung wählte aussetzungen bedacht werden, vatisiert und Verluste sozialisiert Birgit Ackermeier, Gesamteuro- zu denen die sich durch Migra- würden, und die absehbaren Fol- päisches Studienwerk Vlotho,

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die auf die Flexibilisierung von Seminarzeiten, die Ermöglichung neuer Formate politischer Bil- dung, die Aufhebung örtlicher Begrenzungen bei Europasemi- naren und die Anhebung von Förderungssätzen vor allem bei Teilnehmern zielten, die nur über ein geringes Einkommen verfü- gen. Sie verwies auf die Optio- nen, die bereits die bestehenden Richtlinien eröffnen, und auf die Perspektive einer Anhebung der Fördersätze. Einer Durchsetzung der anderen genannten Forde- rungen stand sie jedoch skeptisch gegenüber. ©Arbeitskreis deutscher Bildungsstätten Blick ins Plenum der Mitgliederversammlung Der Austausch der Mitglieder über die Situation der außerschu- und Martin Westphal, Bildungs- über die mangelnde Beteiligung lischen Bildung in den Bundes- haus Zeppelin, zu neuen Kassen- innerhalb des eigenen Verban- ländern zeigte, dass die Förde- prüfern; ihre Stellvertreter/-in des. Er wies darauf hin, wie wich- rung dieses Bereichs weitgehend wurden Frank Bobran, Tagungs- tig es sei, anhand von statisti- stagniert, sich in einigen Ländern haus Bredbeck, und Ina Notte- schem Material Aussagen über die Forderung nach Zertifizie- boom, Heimvolkshochschule die eigene Arbeit zu belegen und rung der Einrichtungen als Vor- Haus Neuland, Bielefeld. damit auch zur Verbesserung der aussetzung für die Inanspruch- Datenlage über die Politische Bil- nahme öffentlicher Mittel In den Diskussionen der Mitglie- dung beizutragen, da sich die durchsetzt. Das Thema Rechts- derversammlung ging es zu- Politik zunehmend auf eine sol- extremismus beschäftigt zuneh- nächst um die Verbandsstatistik, che durch Daten abgesicherte mend insbesondere die Träger an der sich immer noch nicht alle Grundlage beziehe. politischer Jugendbildung. Mitglieder beteiligen. Ingrid Am- bos vom Deutschen Institut für Ein weiterer Schwerpunkt der Die Mitgliederversammlung Erwachsenenbildung, Bonn, stell- Diskussion war die Handhabung wurde auf Anregung der Gender te Ergebnisse der Verbundstati- der Richtlinien der Bundeszentra- Mainstreaming-Steuerungs- stik vor, an der sich neben dem le für politische Bildung, zu der gruppe des AdB vom Gender- AdB auch andere Weiter- eine Kommission des AdB einige büro Berlin beobachtet, um bildungsverbände beteiligen. Überlegungen angestellt hatte. Impulse und konkrete Vorschläge Bernd Vaupel, der den AdB in der Hanne Wurzel, bei der Bundes- für die weitere Umsetzung von verbandsübergreifenden Steue- zentrale für politische Bildung Gender Mainstreaming auf Fol- rungsgruppe des DIE zur Statistik Leiterin des Förderbereichs, geveranstaltungen geben zu vertritt, äußerte sich enttäuscht nahm Stellung zu den Rückfragen, können.

AdB-Fortbildung „Europa vor Ort: Europäische Fördermittel für die politische Bildung“

In der Politischen Bildungsstätte der EU teil. Die Veranstaltung päische Fördermittel“ eine Helmstedt nahmen 17 Vertreter/ fand vom 30. - 31. Oktober 2008 besonders große Relevanz für die -innen aus Mitgliedseinrich- statt. politische Bildung, werden doch tungen des AdB an der 2008 erst- die politischen Weichenstellun- malig realisierten Kompaktfort- Die Geschäftsstelle des AdB sieht gen für die Arbeit der Bildungs- bildung mit Dr. Helle Becker zur in dem Themenfeld „Europa, stätten ganz maßgeblich von Förderungspolitik auf der Ebene Europäische Politiken und Euro- europäischen Politikprozessen

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verantworteten Politiken zu ver- geben. Es wurde klar, dass das mitteln. zunächst nahe liegende Förder- programm in vielen Fällen nicht Dr. Helle Becker gab den Teilneh- die ideale Unterstützung dar- menden im Rahmen des sehr stellt.

©Helle Becker kompakt angelegten und mit vielen Inputs gespickten Seminars Im Rahmen des Seminars hatten zunächst einen grundlegenden die Teilnehmenden auch die Überblick über die verschiedenen Möglichkeit, anhand von konkre- Verantwortungsebenen und ten Projektideen exemplarisch ei- Handlungskompetenzen der euro- ne Zielstellung für den Antrag zu päischen Politikbereiche. Einigen erarbeiten. Die Anforderung, das Teilnehmenden eröffnete sich lokale Projektvorhaben in einen dadurch erstmals ein Einblick in europäischen Begründungskon- die Zuständigkeiten auf den ver- text einzubinden, stellte dabei schiedenen Ebenen (europäisch, die größte Hürde dar. national, regional) beim Manage- ment der europäischen Förde- Das Kompaktseminar hat viele rungsprogramme. Gerade die neue Einsichten gebracht. Nach genaue Kenntnis der jeweiligen einhelliger Teilnehmermeinung Die Beratung durch Referentin Helle Verantwortlichkeit ist eine ent- sind wichtige Schneisen in den Becker fand große Anerkennung scheidende Voraussetzung für EU-Förderdschungel geschlagen die Antragstellung. worden, die vielen erstmalig ein beeinflusst. Die Fördersituation grundlegendes Verständnis zum für Angebote der politischen Bil- Die Seminarteilnehmer/-innen „How to do it“, verbunden mit dung scheint noch nie so gut lernten, dass bei der Antragstel- „Aha-Erlebnissen“, ermöglicht gewesen zu sein wie aktuell und lung zwischen Aktionsprogram- haben. Die Beratungsleistung der wird sich auf absehbare Zeit ste- men und Strukturprogrammen Referentin Helle Becker fand gro- tig verbessern. sowie nach zentralen und dezen- ße Anerkennung. Der AdB wird tralen Verwaltungsbereichen die von den Teilnehmenden Deshalb erschien es notwendig, unterschieden werden muss. Für wärmstens empfohlene Fortbil- den Mitgliedseinrichtungen einen ein- und dasselbe Anliegen kann dung auch 2009 anbieten. fundierten Überblick über die es also mehrere, grundsätzlich Ziele der auf europäischer Ebene verschiedene Förderebenen Bericht: Georg Pirker

DARE- Konferenz zum interkulturellen Dialog in Wien

„Interkultureller Dialog als denen Ebenen (lokal, national Organisiert wurde die Konferenz Herausforderung für politische und europäisch). Themen wie im Rahmen des aktuellen DARE Bildung und Menschenrechts- die bildungspolitischen Voraus- Projekts – Democracy and Human bildung“ war das Thema einer setzungen zur politischen Bil- Rights Education in Adult Lear- europäischen Konferenz, die in dung und Menschenrechts- ning von Zentrum polis – Politik Wien vom 14.-16. November bildung in Europa oder die lernen in der Schule und vom 2008 stattfand. Sie bot ein strukturellen Barrieren für Inter- österreichischen Bundesministe- Forum für über 160 Akteure/ kulturalität in Bildungsorganisa- rium für Unterricht, Kunst und Akteurinnen der politischen tionen wurden von Diskussions- Kultur. Erwachsenenbildung aus gruppen erörtert. Eine Vielzahl 30 europäischen Ländern und von Workshops bot den Aus- Das europäische Netzwerk DARE ermöglichte damit bereichsüber- tausch von bewährten Modellen – Democracy and Human Rights greifende Zusammenarbeit von und Fortbildungen zur Thematik in Europe besteht derzeit aus Bildungspraxis, Wissenschaft Interkulturelles Lernen für die 44 Mitgliedsorganisationen in und Bildungspolitik auf verschie- tägliche Berufspraxis. 28 europäischen Ländern.

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Koordiniert wird das aktuell aus nisse der Konferenz sollen in eine politische Bildung als europäi- dem EU-Programm Lebenslanges Anhörung vor dem Europaparla- sche Querschnittsaufgabe“ Lernen geförderte DARE-Projekt ment einfließen, die DARE im veranstaltet. 2007-2010 vom Arbeitskreis deut- Frühjahr 2009 zum Thema scher Bildungsstätten. Die Ergeb- „Menschenrechtsbildung und Bericht: Georg Pirker

Die Haustechniker des AdB tagten in Papenburg

Die Außenanlagen von Bildungs- führung und die Gefährdungs- de und Nichtwohngebäude vor. stätten standen im Mittelpunkt einschätzung der Hausleitungen Bildungsstätten gelten laut Ver- der diesjährigen AdB-Tagung für bei den Außenarbeiten mit ordnung als energieausweis- Haustechniker, die vom 14. bis Maschineneinsatz, die der tat- pflichtig. 17. Oktober in der Historisch- sächlichen Nutzung und den Ökologischen Bildungsstätte erforderlichen Arbeiten ange- Auf die Bildungsstätten kommt (HÖB) im emsländischen Papen- passt sein sollten und sicher sein mit der Energieausweispflicht burg stattfand. müssen. Die Haustechniker eine weitere Aufgabe zu, die wünschten eine kontinuierliche erhebliche Kosten nach sich zie- Ein Großteil der Haustechniker in Weiterbildung und den regel- hen kann. Die Haustechniker den Bildungsstätten hat die Pfle- mäßigen Erfahrungsaustausch waren sich trotz aller Skepsis dar- ge der Grün- und Nutzflächen zu diesem Themengebiet. in einig, diesen Energieausweis ebenfalls im eigenen Zuständig- auch als Instrument der Planungs- keitsbereich - Grund genug, um Einen Überblick über die neue hilfe bei Um- und Erweiterungs- sich im Rahmen der Tagung mit Energiesparverordnung (EnEV), bauten von Bildungsstätten stra- diesem Thema zu befassen. Die die ab nächstem Jahr gilt, gab tegisch zu nutzen. Teilnehmer stellten durch Fotos der Papenburger Ingenieur und und Pläne die Außenanlagen Energieberater Guido Lüppens. Begeistert hat die Teilnehmer die ihrer Einrichtungen vor und Mit Beginn des Jahres 2009 Exkursion zur Papenburger Mey- diskutierten in Arbeitsgruppen schreibt die EnEV einen sog. er-Werft. Gemeinsamkeiten und Unter- Energieausweis für Wohngebäu- Bericht: Boris Brokmeier schiede der Gestaltung, formu- lierten Verbesserungsvorschläge und tauschten sich über Gestal- tungskonzepte aus. Deutlich wurde dabei die Unterschiedlich- keit der Anlagen, die im Wesent- lichen vom Charakter des Gebäu- des abhängt.

Die Haustechniker waren sich einig in ihrer Einschätzung, dass die Nutzung der Freiflächen von Bildungsstätten multifunk- tional möglich sein sollte und so gestaltet wird, dass eine perso- nalextensive Pflege und Instand- haltung möglich ist, da die wenigsten Einrichtungen über einen eigenen Gärtner verfügen.

Allen Bildungsstätten empfahlen die teilnehmenden Haustechniker u. a. die Verwendung von Pflan- ©Arbeitskreis deutscher Bildungsstätten zen und Sträuchern zur Wege- Führung in der Werft

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„Update Medienkompetenz!“ für Politische Jugendbildner/-innen im AdB

Politische Jugendbildner/-innen Neuen Medien in ihrem Arbeits- Impulsreferate zu Themen wie des AdB haben vom 22. bis bereich. Um die Voraussetzungen Urheberrecht, Social Networks, 25. Oktober 2008 die Gelegen- für eine erfolgreiche Vermittlung Arbeiten mit Open Source Soft- heit genutzt, ihre Kompetenzen von Medienkompetenz zu schaf- ware und Anwendungsfeldern im Umgang mit den Neuen fen, war es wichtig, sich selbst für die „Neuen Medien“ im Medien zu erweitern. Die Multi- Kompetenzen im Umgang mit Bereich der politische Bildung plikator/-innen-Fortbildung digitaler Video- und Fototechnik, ergänzten das Programm. Bei „Update Medienkompetenz! Computerspielen, Podcasting dem Impulsreferat „Doing Me Politische Jugendbildung 2.0“, oder Weblogs anzueignen. Des- and the Others. Identitätskon- die im Berliner WannseeForum halb bot die Fortbildung inner- struktionen in Online-Communi- stattfand, ermöglichte den halb der Arbeitsgruppen viel ties“ am zweiten Abend der Fort- Einstieg in jugendliche Medien- Raum zum Kennenlernen und bildung ging es beispielsweise welten. Organisiert und konzi- Ausprobieren. um Identitätskonstruktionen in piert wurde Update Medien- Online-Communities. Am Beispiel kompetenz von den Jugend- Der Workshop „Video/Foto“ wur- von sozialen Netzwerkseiten bildungsreferent/-innen der de von Annette Ullrich (wannsee- (SNS) wie Facebook, MySpace Projektgruppe „Politische Bil- FORUM, Berlin) und Henning und StudiVZ wurde dargestellt, dung mit Neuen Medien“ im Wötzel-Herber (ABC Bildungs- wie Identität als interaktiver Aus- Programm Politische Jugend- und Tagungszentrum, Hüll/Ham- handlungsprozess und diskursives bildung des AdB. burg) geleitet. In diesem Work- Konstrukt zwischen strukturellen shop erstellten Nicole Thönnes Vorgaben, aktivem Handeln und Während des viertägigen Semi- und Adalbert Schlag ihre erste symbolischer Repräsentation auf nars widmeten sich die Teilneh- Video-Prokuktion: eine Doku- den Profilseiten von Nutzer/-innen mer/-innen vor allem der Frage, mentation zu der AdB-Fortbil- sichtbar wird. Auch dieser Vor- wie man junge Menschen zu dung. Interessierte können die trag kann in Form einer Power- reflektierten Nutzer/-innen und Dokumentation unter www.pro- point-Präsentation von www.pro- Gestalter/-innen der Medien- jektwiese.de – der Website der jektwiese.de herunter geladen gesellschaft ausbilden kann. In Projektgruppe „Politische Bil- werden. vier Arbeitsgruppen erarbeiteten dung mit Neuen Medien“ des die teilnehmenden Fachkräfte Programms Politische Jugendbil- Konzepte für das Lernen mit dung des AdB – ansehen. Bericht: Boris Brokmeier

Kommission Europäische und Internationale Arbeit arbeitete zum Thema Menschenrechtsbildung

Die Herbstsitzung der Kommis- absehbare Zeit nicht übernom- deckende Angebote zu ent- sion Europäische und Internatio- men werden. wickeln. nale Arbeit fand vom 29. Sep- tember bis zum 1. Oktober 2008 Was ist wichtig bei Anträgen Im Mittelpunkt der Sitzung wid- in der Internationalen Jugend- im Bereich KJP-International? mete sich die Kommission dem bildungsstätte Burg Liebenzell Die Kommission diskutierte Thema „Bildungsstandards? statt. Dabei ging es zunächst um darüber, welche Kriterien bei Menschenrechtsbildung im Kon- internationale Begegnungsmaß- Anträgen und Sachberichten text internationaler Begegnungs- nahmen, die über den Kinder- erfüllt sein müssen, damit sie arbeit der politischen Bildung“. und Jugendplan des Bundes qualitativen Ansprüchen gerecht Dr. Peter G. Kirchschläger vom gefördert werden. Der AdB ist werden. Die Geschäftsstelle kann Institut für Menschenrechtsbil- zurzeit Zentralstelle für den dabei durch Fortbildungen unter- dung an der PH Luzern hielt dazu deutsch-tschechischen Jugend- stützen. Allerdings wurde auch als externer Experte einen ein- austausch. Andere Länder kön- Kritik an der Höhe der Förder- führenden Vortrag. Dabei ging nen wegen Mangel an Ressour- sätze geübt, die den Bildungs- es darum, sich die Anliegen der cen von der Geschäftsstelle auf stätten nicht erlaube, kosten- Menschenrechtsbildung und ihre

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aktuelle Verankerung in Aufga- Dabei wurde v. a. die Grund- Teilnehmenden per definitionem ben und Praxis der internationa- annahme, dass Politische Bildung exkludiert von Teilhaberechten len Begegnungsarbeit zu ver- immer explizit Menschenrechts- im jeweiligen Staat sind, implizit gegenwärtigen. Darauf auf- bildung sei bzw. ohne Menschen- oder explizit in der Bildungs- bauend sollte für die Kommission rechtsbildung nicht auskomme, praxis berücksichtigt wird. und den AdB eine tiefere kritisch beleuchtet. Ausgehend Beschäftigung mit den Anforde- von der Untersuchung der Bezie- Der Brückenschlag von Men- rungen der Menschenrechtsbil- hung zwischen Staat und Bürger schenrechtsbildung zu politischer dung an die Arbeit der politi- bzw. Mensch und Staat drängte Bildung wird sichtlich erleichtert schen Bildner/-innen im sich die Frage auf, ob und wie durch das Ziel, Menschen zu internationalen Kontext ange- der Begriff „Teilnehmer“ und befähigen, politisch handelnde regt werden. Es wurde deutlich, „Teilhabe“ in Bildungssettings Subjekte zu sein. dass die Thematik die Kommis- praktisch umgesetzt wird. Klar sion weiter begleiten wird und ist: Politische Bildung arbeitet Weitere Themen, die im Rahmen beobachtet werden muss. bereits auf nationaler Ebene oft- dieser Kommissionssitzung disku- mals mit Nicht-Staatsbürgern. tiert wurden, waren: Der aktuelle Ausgehend von einer Analyse des Erst recht bei internationalen Stand in der Entwicklung von Ist-Zustands der Menschenrechts- Begegnungen erscheint es sinn- DARE, Querschnittsaufgaben, die bildung in der eigenen Praxis voll, grundlegend das Verständ- bildungspolitische Situation in wurde erörtert, wie Anliegen der nis von „Teilhaberechten“ und den Bundesländern. Menschenrechtsbildung generell „Teilnehmenden“ abzuklären. in die Praxis der politischen Bil- Dabei geht es um die Frage, ob dung eingebracht werden. die Tatsache, dass 20%-50% der Bericht: Georg Pirker

Basa erhielt hessischen Weiterbildungspreis

Im Oktober erhielt die Bildungs- schaftsminister Dr. Alois Rhiel Anspach“ richtet sich an junge stätte „Alte Schule Anspach“ und den Vorsitzenden von Menschen und verbindet Rollen- einen der ersten drei Preise des Weiterbildung Hessen e. V., spiele, kritische Informations- Wettbewerbs „Weiterbildung Claus Kapelke. Bei den prämier- analysen, Medienrecherchen, Innovativ 2008“. Die Jury zeich- ten Angeboten war das ent- Erlebnispädagogik und Stadt- nete Projekte aus, die für ver- scheidende Kriterium, dass sie rallye in einem Angebot der poli- schiedene Wege zur Erneuerung jeweils an den Bedürfnissen des tischen Bildung. Damit soll politi- der Weiterbildung stehen. Die Marktes bzw. der Teilnehmenden sches Handeln für die Teilneh- Preisverleihung erfolgte im Rah- ausgerichtet sind. Das mit dem mer/-innen erlebbar gemacht men einer feierlichen Veranstal- Preis ausgezeichnete Projekt der und das demokratische Denken tung durch den hessischen Wirt- Bildungsstätte „Alte Schule geschult werden.

Neue Projekte von AdB- Mitgliedern

Am 15. Dezember 2008 fand die des Klimawandels auf die eigene Klima- und Meerespolitik infor- Auftaktveranstaltung für die Lebenswelt und die Zukunftspers- miert werden. Ein Forum für die „Kampagne K - Klimawandel an pektiven der folgenden Genera- Begegnung und den Austausch der Nordseeküste - wir holen die tionen. Bürgerinnen und Bürger mit politischen Entscheidern wird EU ins Boot“ statt, die vom Euro- und lokale Akteure/Akteurinnen geboten. Begleitet wurde die pahaus Aurich initiiert wurde und sollen im Rahmen von Fachvor- Einführungsveranstaltung von von der EU-Kommission geför- trägen, Seminaren, Bürgerdiskus- einer Ausstellung, die über die dert wird. Ziel der Kampagne ist sionen, Exkursionen und Aktions- Klimapolitik der Europäischen die Sensibilisierung der Bevölke- tagen über die EU-Maßnahmen Union informiert und vom 11. bis rung in der niedersächsischen Küs- und -Strategien zur Entwicklung 19. Dezember 2008 im Europa- tenregion für die Auswirkungen einer integrierten europäischen haus Aurich gezeigt wurde.

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Die Weimar-Jena Akademie-Ver- auf dem „schwer erreichbare „DDR: Mythos und Wirklichkeit“ ein für Bildung e. V. hat das Pro- Zielgruppen politischer Bildung“ (www.DDRMythen.de). In sechs jekt „Laboratorium Demokratie – im Mittelpunkt stehen. Die dritte Kategorien informiert diese Weimar 2009/2019“ entwickelt. Es Veranstaltung im März 2009 fin- Plattform wissenschaftlich und geht dabei um die Entwicklung det zum Thema „Klassik als didaktisch fundiert u. a. über „All- mobiler multimedialer Stadt- Ressource politischer Bildung“ tag und Leben“, „Kirche“ sowie erkundungssysteme als mögliche statt. „Widerstand, Opposition und Werkzeuge für die politische Bil- Flucht“. Ein Mythen-Lexikon setzt dung. Auf der ersten Sondierungs- Interessierte an diesem Projekt sich kritisch mit populären Irrtü- veranstaltung soll ein Erfahrungs- können sich unter: www.demo- mern auseinander. Zeitzeugen- austausch über die Vor- und kratielab-weimar.de informieren. Interviews, historische Bilder und Nachteile bestehender Systeme Diese Website soll Ende Januar Videos sowie ein Jahreskalender erfolgen und sollen mögliche geschaltet werden. ergänzen das Angebot. Das Portal Pilotprojekte in Weimar und richtet sich vorrangig an Lehrer/ anderen Orten vorbereitet wer- Die Konrad-Adenauer-Stiftung -innen und Lehrende sowie Ju- den. Im Februar 2009 ist ein wei- startete zum Jahresbeginn eine gendliche und wird stetig ausge- teres Sondierungsforum geplant, Wissensplattform im Internet: baut und mit Inhalten aufgefüllt.

Neue Publikationen von Mitgliedseinrichtungen des AdB

Dr. Henrik Otten, IKAB-Bildungs- Anliegen von Claus Schöndube, Die „Geschichte des Jugend- werk, ist Koautor einer Studie, der Anfang 2007 verstorben ist, werkes der Arbeiterwohlfahrt die unter dem Titel „Qualität, zu erinnern. Schöndube begleite- (AWO)“ ist der Titel eines Buches, Professionalität und Kompetenz te publizistisch die Entwicklung mit dem der Bundesverband der für nicht-formale Bildung und der europäischen Einigung und Arbeiterwohlfahrt nicht nur über Training im Kontext europäischer der europäischen Begegnungsar- Gründungsmotive und die Ent- Jugendarbeit“ erschien. Diese beit und war in zahlreichen euro- wicklung des AWO-Kinder- und Studie, die er gemeinsam mit päischen Organisationen aktiv. Jugendverbandes informiert, Helmut Fennes erarbeitete, ist Bezug: über jede Buchhandlung sondern auch über die Vorausset- ein Beitrag zur Definition erfor- sowie über das Europa-Haus zungen, die zu dessen Gründung derlicher Kompetenzen für Aus- Marienberg, Europastr. 5, führten. bildung und Training auf europä- 56470 Bad Marienberg. Bezug: AWO-Bundesverband ischer Ebene im Jugendbereich, e.V., Verlag und Vertrieb, die als Grundlage für Ausbil- Die Heinrich-Böll-Siftung veröf- Blücherstr. 62/63, 10961 Berlin. dungskurse für Trainerinnen und fentlichte anlässlich des 60. Jah- Trainer dienen soll. Die Studie restages der UN-Menschenrechts- Die letzte Doppelausgabe der wurde in der deutschen Überset- deklaration ein aktuelles Heft „aktuellen ostinformationen“ im zung im Rahmen der „Docu- aus der Reihe „Böll.Thema“, in Jahrgang 2008, die vom Gesamt- ments“-Reihe für Jugend für Euro- dem unter dem Titel „Menschen- europäischen Studienwerk e.V. pa veröffentlicht und ist dort als rechte sind nicht teilbar“ nach herausgegeben werden, berichtet Download unter www.jugend- der Aktualität von Menschen- über aktuelle Entwicklungen im fuereuropa.de erhältlich. rechten, nach Erfolgen und Her- Nachbarland Polen, die deutsch- ausforderungen gefragt wird. polnischen Beziehungen und die „Die Menschen für Europa gewin- damit verbundenen Aktivitäten nen – für ein Europa der Bürger“ Die Publikation informiert, was des GESW. Weitere Artikel wid- ist der Titel einer Gedenkschrift, sich in den letzten 60 Jahren bei men sich dem Kosovo, der Politik die das Europa-Haus Marienberg der Umsetzung der Menschen- in der Ukraine sowie den kompli- im Eigenverlag veröffentlicht hat. rechte getan hat, greift aktuelle zierten Verhältnissen in Zentral- Gewidmet ist sie dem europäi- Herausforderungen und Debat- asien und Kooperationen mit den schen Vordenker und Aktivisten ten auf und porträtiert Menschen, so genannten „Stan-Staaten“. Wie Claus Schöndube, dessen Lebens- die sich für die Menschenrechte in jedem Heft sind Buchreports werk von Freunden und Wegge- weltweit engagieren. und Einzelbesprechungen zu aktu- fährten gewürdigt wird. Ziel der Bezug: Per E-Mail über ellen Sachbüchern und Belletristik Gedenkschrift ist es, an Ideen und [email protected]. aus Südosteuropa abgedruckt.

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Personalien

Dr. Dieter von Schrötter, seit Einrichtung für aktuelle euro- Sie war Gründungsmitglied der 1993 Direktor von Studienhaus päische Fragestellungen und die Bildungsstätte Kinder- und Wiesneck in Buchenbach, wurde Verankerung der Bildungsein- Jugendzentrum Bahnhof Göhrde im November 2008 feierlich in richtung in europäischen Netz- und maßgeblich an dem Aufbau den Ruhestand verabschiedet. werken. Er galt als Kenner der der Arbeit dort beteiligt. Im AdB Sein Nachfolger als Direktor Verhältnisse in Osteuropa und vertrat sie die Einrichtung in der wurde Prof. Dr. Ulrich Eith, sprach sich bereits in der Zeit des Mädchen- und Frauenbildungs- Ansprechpartnerin für den Kalten Krieges für Verständigung kommission und in Teilen des Arbeitskreis deutscher Bildungs- und Kooperation mit den ost- AdB-Programms „Politische stätten ist in Studienhaus Wies- europäischen Staaten aus. Jugendbildung“. neck jetzt Dr. Beate Rosen- Ihre Nachfolgerin in der zweig, stellvertretende Friedhelm Jostmeier über- Bildungsstätte wurde Imke Direktorin der Einrichtung. nimmt nach über zehnjähriger Glamayer. Tätigkeit im AKE-Bildungswerk, Ein personeller Wechsel steht im davon acht Jahre als Leiter, ab Britta Duckwitz, Dozentin am Europahaus Aurich bevor: Die Januar 2009 die Aufgabe des Salvador-Allende-Haus, dort bisherige Verwaltungsleiterin Geschäftsführers der Landes- zuständig für die Kooperation und AdB-Vorstandsmitglied arbeitsgemeinschaft für eine zwischen Schule und Jugend- Anna Alberts geht in den Ruhe- andere Weiterbildung in hilfe, geschlechtsspezifische stand. Leiterin des Europahauses NRW e. V. (LAAW). Arbeit (Mädchenarbeit), Gender wird Meta Jannssen-Kucz, Für die Leitungsaufgaben im Mainstreaming, Interkulturelles ehemalige Abgeordnete im AKE-Bildungswerk haben Team und Internationales und Mitglied Niedersächsischen Landtag und und Vorstand vorerst eine der AdB-Kommission Mädchen- Landesvorsitzende der Grünen Interimslösung vereinbart: und Frauenbildung, verlässt das von 1995 bis 1997. Ahmed Musa Ali übernimmt Salvador-Allende-Haus, um ab 1. Januar 2009 die kommis- Geschäftsführerin des nordrhein- Franz Eberhard Otto (F.E.O.) sarische Leitung, Nadya Homsi westfälischen Landesverbandes Jagemann, seit 1968 zunächst seine Stellvertretung und Frank der Falken zu werden. als hauptamtlicher Dozent, von Wittemeier die Aufgaben der Finanz- und Verwaltungsleitung. Die Mitgliederversammlung des Arbeitskreises deutscher Bildungs- Martin Karolczak, bis Ende stätten wählte neue Kassen- September Jugendbildungs- prüfer/-innen und deren Stell- referent in der Jugendbildungs- vertreter/-innen: stätte „Mühle“ in Bad Segeberg, Birgit Ackermeier, Gesamt- hat seit 1. Oktober 2008 eine europäisches Studienwerk Vlotho Stelle als wissenschaftlicher Mit- und bisher stellvertretende arbeiter im Fachbereich Erzie- Prüferin, wurde neue Kassen- hungswissenschaften der Univer- prüferin. Neuer Kassenprüfer sität Hamburg. Er arbeitete im wurde Martin Westphal, Leiter Programm Jugendbildung und in des Bildungshauses Zeppelin in der Gender Steuerungsgruppe des Goslar. AdB mit und engagierte sich für Zu stellvertretenden Kassen- den Fachkräfteaustausch des AdB prüfer/-n/-innen wurden Frank mit Partnern in der Mongolei. Bobran, Tagungshaus Bredbeck, Bildungsstätte des Landkreises Edith Krenz, die 30 Jahre in der Osterholz, und Ina Nottebohm, 1973 bis zu seinem Eintritt in den Bildungsstätte Kinder- und Heimvolkshochschule Haus Neu- Ruhestand 1982 Leiter des Jugendzentrum Bahnhof Göhrde land, Bielefeld, gewählt. Europahauses Aurich, starb am e. V. als pädagogische Mitarbei- 23. Oktober 2008 im Alter von terin, im Leitungsteam und im Ulrike Mascher, Vorsitzende 92 Jahren. Vorstand und Mit- Vorstand arbeitete, verabschie- der Georg-von-Vollmar-Akade- arbeiter/-innen des Europa- dete sich von ihrer hauptberuf- mie e. V., wurde auf einem hauses Aurich würdigten seine lichen Tätigkeit im Mai 2008, um außerordentlichen Bundes- Verdienste vor allem in Hinblick nun als freiberufliche Dozentin verbandstag in Berlin zur neuen auf die offensive Öffnung der und Heilpraktikerin zu arbeiten. Präsidenten des Sozialverband

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VdK Deutschland gewählt. Die nis Waldemar von Knoeringens Maria Deisel, zuletzt als Pro- Wahl war erforderlich, da der entsprechen. grammreferentin für den euro- bisherige Präsident, Walter päischen Freiwilligendienst bei Hirrlinger, aus Altersgründen Dr. Alois Becker wurde von der „JUGEND für Europa“ in Bonn zurückgetreten war. Ulrike Mitgliederversammlung der tätig, verabschiedete sich Ende Mascher war von 1990 bis 2002 Arbeitsgemeinschaft katholisch- des Jahres aus diesem Amt. Bundestagabgeordnete und von sozialer Bildungswerke in der 1989 bis 2002 Parlamentarische Bundesrepublik Deutschland Prof. Dr. Ada Pellert, ehe- Staatssekretärin im Bundes- (AKSB) am 26. November in der malige Vizerektorin der Donau- arbeitsministerium. Akademie Schwerte für weitere Universität Krems, wird Grün- drei Jahre zum AKSB-Vorsitzen- dungspräsidentin der Deutschen Die Georg-von-Vollmar-Akade- den gewählt. Neu in den AKSB- Universität für Weiterbildung mie würdigte Dr. Wilhelm Vorstand wählte die Mitglieder- (DUW). Sie tritt ihr Amt in Berlin Ebert, Ehrenpräsident des BLLV, versammlung Benedikt am 1. Januar 2009 an. Die Deut- mit dem Waldemar-von-Knoe- Widmaier, seit 1998 Direktor sche Universität für Weiterbil- ringen-Preis 2008. Die Verlei- der Akademie für politische dung wurde als wissenschaftliche hung fand am 23. November und soziale Bildung der Diözese Hochschule in privater Träger- 2008 im Alten Rathaus in Mainz, „Haus am Maiberg“, in schaft im April 2008 staatlich München statt. Der Preis wird Heppenheim (Hessen). anerkannt. Träger ist die Deut- von der Akademie für Leistungen sche Universität für Weiterbil- in Politik, Bildung, Wissenschaft Kathrin Moosdorf wurde von dung GmbH, an der die Freie und Kunst vergeben, die der der Vollversammlung des Deut- Universität Berlin und die Deut- Tradition der Arbeiterbewegung, schen Bundesjugendrings Ende sche Weiterbildungsgesellschaft den Zielen des demokratischen Oktober 2008 zur stellvertreten- Klett Gruppe Stuttgart jeweils Sozialismus und dem Verständ- den Vorsitzenden gewählt. zur Hälfte beteiligt sind.

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Bücher

Arbeitskreis deutscher Bildungsstätten (Hrsg.): Between the lines: Voices of women engende- ring peace and democracy – Berlin 2008, Selbstverlag, 183 Seiten (engl.)

Januar 2009. Im Nahen Osten lange Jahre unmöglich, weitere andersetzung aller beteiligten herrscht wieder Krieg: Israel star- Treffen zu organisieren, und die Frauen ist es zu verdanken, dass tete die „Bodenoffensive“ seines Zusammensetzung der Gruppen Gräben – auch wenn sie unüber- Militärs im Gazastreifen. Es ist wechselte – aus privaten wie poli- windbar schienen – nicht zum schwer, angesichts des jahrzehn- tischen Gründen – immer wieder. vorzeitigen Ende des Projektes telangen Konfliktes nicht zu Am Projektbericht beteiligten führten. Dass das Projekt aus- resignieren… sich 17 Frauen, die unterschied- schließlich von Frauen getragen lich lange mitgearbeitet hatten. wurde, wird in vielen Berichten „Between the lines“ – frei über- Das Projekt und die Publikation als hilfreich hervorgehoben. Han- setzt: „Zwischen den Fronten“ – wurden weitestgehend aus Mit- nelore Chiout beschreibt am Ende ist der englischsprachige Bericht teln des Bundesministeriums für ihrer Einführung, dass es gelun- über ein trinationales Projekt, in Familie, Senioren, Frauen und gen ist, zum Ende des Projektes dem politisch und sozial aktive Jugend finanziert. einen sozialen Raum zu schaffen Frauen aus drei beteiligten Län- (der auch noch weiter genutzt dern/Gebieten – Deutschland, Der Bericht – in einem gut ver- wird), in dem die Beteiligten Israel, Palästina – über fast zehn ständlichen Englisch geschrieben – Unterschiedlichkeit leben kön- Jahre hinweg (1998-2007) einen folgt konsequent der Logik des nen, ohne dass das Trennende Dialog etabliert haben, um sich Projektes. Nach einer kurzen Ein- überwiegt. Es liegt nahe, in die- über ihre Identität(en), politische führung einer der Editorinnen sem Projekt eine realisierte und Partizipation und soziale Fragen (Margot Brown) und einem ein- hoffnungsstiftende Form der aus der Perspektive von Frauen leitenden Bericht von Hannelore gewaltfreien und demokrati- auszutauschen und gegenseitig Chiout folgen sechzehn Berichte schen Zusammenarbeit und in ihrer Arbeit zu fördern. Bei der beteiligten Frauen, die jeweils damit des Friedens zu sehen! dieser Konstellation versteht es ihre Sicht auf die Begegnungen, sich von selbst, dass der israelisch- die Begleitumstände, ihre Ängste, Für Interessierte an (internatio- palästinensische Konflikt (bzw. Hoffnungen und Erfahrungen naler) Konfliktbearbeitung, inter- die konkreten Ereignisse, insbe- während des Projektes und ihre kultureller Arbeit, dem israelisch- sondere die „Zweite Intifada“) Beurteilung im Rückblick palästinensischen Konflikt, die Zusammenarbeit massiv über- beschreiben. Deutlich wird, dass feministischen Projekten und der schattet und beeinflusst hat. Auf hier Frauen aus mindestens vier Bedeutung des Holocaust in den Initiative von Hannelore Chiout Perspektiven – der palästinensi- beteiligten Ländern ist die Lektü- (damals noch Referentin für schen, der arabisch bzw. jüdisch- re dieses Projektberichtes drin- Internationale Arbeit im AdB) israelischen und der deutschen gend zu empfehlen! und begleitet von Margot Brown (und eigentlich müsste noch stär- und Jenny Zobel (beide Großbri- ker differenziert werden: einer Bei dieser Gelegenheit ein weite- tannien) fand Ende 1998 ein ers- west- bzw. ostdeutschen, zionisti- rer Hinweis zu einer äußerst tes Treffen in Deutschland statt, schen, atheistischen, muslimi- wichtigen israelisch-palästinensi- bei dem die Hoffnung bestand, schen, etc. Perspektive…) – ver- schen Kooperation: Ein bi-natio- dass ihm viele weitere folgen sucht haben, sich gegenseitig nales Geschichtsbuch (für Schu- würden. Am Ende des Projektes, ihre Erfahrungen und ihr Denken len): „Learning each other´s März 2007, konnten fünf mehr- zu erläutern, und dieser Prozess historical narrative: Palestinians tägige, trinationale Treffen häufig ein sehr schmerzhafter and Israelis“, herausgegeben von (1998, 1999, 2000, 2005, 2007) in gewesen ist. Nicht zuletzt der Peace Research Institute in the allen drei Ländern/Gebieten rea- Moderation, aber letztlich natür- Middle East (siehe: www.vispo. lisiert werden. Die politische bzw. lich der Ausdauer, dem starken com/PRIME) militärische Lage machte es im- Willen und der immer wieder mer wieder sehr schwer und über aktivierten Fähigkeit zur Ausein- Barbara Thimm

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Ilan Pappe: Die ethnische Säuberung Palästinas – 4. Auflg. Frankfurt 2008, Zweitausendeins, 416 Seiten

Dieses Buch ist schockierend, Palästinas seit 1947entwarf. Das, städtisches Proletariat. Die Dörfer ■ weil es mit dem lange geheg- was faktisch später geschah, wur- wurden später von Juden besie- ten Vorurteil aufräumt, Israel de vorher systematisch geplant delt. habe immer nur Verteidi- und von der Hagana – nach der gungskriege gegen die über- Unabhängigkeitserklärung Israels Die militärische Gegenwehr der mächtigen arabischen Nach- am 14. Mai 1948 israelische Armee Araber war völlig hilflos. Es gab barn geführt, IDF (Israeli Defense Forces) – sys- zwar arabische Freiwilligenver- ■ wegen der darin wiedergege- tematisch und plangenau umge- bände (Arab Liberation Army), benen Tatsachen, setzt. Sämtliche arabischen Dör- die aber nach Zahl und Bewaff- ■ weil die Geschichte des Autors fer sollten auf die eine oder nung hoffnungslos unterlegen ein Licht auf die Wissen- andere Weise entvölkert und zer- waren. Die arabischen Nachbar- schaftspolitik in Israel wirft, stört werden. staaten unterstützten sie halb- ■ weil es die Sicht des Rezensen- herzig oder gar nicht. Die inter- ten auf die Lage im Nahen Die Spur der Vertreibungen nationale Öffentlichkeit, vor Osten erschüttert. begann im Süden in Gaza, folgte allem die UNO, wusste von den der Mittelmeerküste nach Nor- Ereignissen, ließ aber alles unge- Unbestritten – wenn auch nur den – mit „Abstecher“ nach Jeru- rührt geschehen. zögernd zugegeben – war bisher salem – bis Haifa und Akko nach die Tatsache, dass die Terrorgrup- Nordgaliläa an die libanesische Die Vorbereitungen zur ethni- pen Irgun und Stern-Bande in Grenze, über Safed wieder nach schen Säuberung Palästinas setz- den 30er und 40er Jahren des Süden durch das Jordantal über ten nicht etwa erst nach dem letzten Jahrhunderts Massaker Tiberias bis Baysan. Schließlich UN-Teilungsplan von 1947 oder an arabischen Einwohnern Paläs- wurden im äußersten Süden auch mit dem Rückzug der Engländer tinas verübt haben. Der Name die Beduinen des Negev aus ihren als Mandatsmacht im Mai 1948 des Dorfes Deir Yassin – knapp angestammten Gebieten ver- ein. Sie begannen teilweise auf westlich von Jerusalem, heute drängt. Dabei spielte es keine Anregung und mit Duldung der Stadtteil Givat Shaul – stand Rolle, ob die Araber sich friedlich britischen Mandatsmacht Ende dafür stellvertretend. Dort wurde verhielten oder nicht, ob sie in der 30er, Anfang der 40er Jahre. am 9. April 1948 fast die gesamte guter Nachbarschaft mit jüdi- Topografen, Orientalisten und arabische Bevölkerung von Irgun schen Siedlungen – überwiegend Geheimdienstler der Hagana leg- und Stern-Bande ermordet, Frau- Kibbuzim – lebten oder nicht. ten Dossiers über die arabischen en wurden vergewaltigt. Die Dörfer an, die Grundlage für das Angaben über Opfer-Zahlen Das militärische Vorgehen in den spätere militärische Vorgehen schwanken, allgemein wird von einzelnen Dörfern folgte einer von Hagana und IDF waren. 245 Toten ausgegangen. Interes- Systematik, von der selten abge- sant ist, dass die Hagana – offi- wichen wurde. Zunächst wurde Das sind keine Hirngespinste ara- zielle „Selbstverteidigungsorga- das Dorf von drei Seiten belagert bischer Extremisten oder Propa- nisation“ der zionistischen und durch Artillerie, später durch gandalügen. Die offizielle israeli- Gemeinschaft – das Massaker Bomber angegriffen. Dann rück- sche Lesart war lange: die stillschweigend duldete. Einige ten die Bodentruppen nach, arabische Bevölkerung hat den Führer von Irgun und Stern-Ban- massakrierten die Bevölkerung – UN-Teilungsplan nicht akzeptiert, de wurden einflussreiche Politi- gelegentlich wurden Frauen ver- die arabischen Nachbarstaaten ker im Staat Israel: z. B. Mena- gewaltigt – oder vertrieben sie haben die palästinensische Bevöl- chem Begin, Jitzchak Schamir. (dazu ließ man die vierte Seite kerung durch Verbreitung von offen); schließlich wurden die Gräuellügen zur Flucht animiert, Dies ist nach Ilan Pappe kein Gebäude zerstört, um eine Rück- Israel musste sich gegen eine Zufall, denn die Zerstörung des kehr der Flüchtlinge zu verhin- militärische Bedrohung wehren. Dorfs war Teil eines „Plan Dalet“, dern. Die Vertreibungen erfolg- Die von Pappe zitierten Quellen den eine Gruppe von Beratern ten über die Grenzen in die reden eine andere Sprache und um den späteren Ministerpräsi- Nachbarländer oder in größere sie sind keineswegs obskur: er denten Israels, David Ben Gurion, Städte wie Nazareth oder bezieht seine Kenntnisse u. a. aus zur „ethnischen Säuberung“ Schfar'Am. Dort entstand so ein den Archiven von Hagana, IDF

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und der UNO, den Tagebüchern En Hod ist ein Sonderfall. Dieses männlichen Bewohner (im Alter David Ben Gurions, Korrespon- Dorf – arabisch Ayn Hawd, 15 zwischen 10 und 50 Jahren) wur- denzen der Beteiligten u. a. im Kilometer südlich von Haifa am den von den Frauen und Kindern Ben-Gurion-Archiv, Erinnerungen Hang des Carmel – wurde besetzt, getrennt; diese flohen ins nahe damals beteiligter jüdischer Poli- die Bevölkerung vertrieben, aber, Furaydis. Nach vorbereiteten Lis- tiker und Militärs (Quellenkunde) was ungewöhnlich war, es wurde ten wurden die Männer selek- sowie aus Sekundärliteratur. nicht zerstört, „weil es in der Ein- tiert, in 10er Gruppen an den Ergänzt werden die Hinweise aus heit, die den Ort besetzte, einige Strand, auf einen Friedhof und in offiziellen Quellen durch Erinne- Bohèmiens gab: Sie erkannten eine Moschee geführt und hinge- rungen betroffener Araber (oral sofort das Potenzial des Dorfes“ richtet. Soldaten zogen durch das history). (Pappe, S. 219) und machten dar- Dorf, plünderten und zerstörten aus eine Künstlerkolonie, in der es. Der jüdische Bürgermeister Der Aufbau von Pappes Buch später „Israels bekannteste des nahe gelegenen Zichron Yaa- folgt streng historisch-wissen- Künstler, Musiker und Schriftstel- kov versuchte die Soldaten zu schaftlicher Methodik. Von der ler, die meist zum ‚Friedenslager’ stoppen, kam aber zu spät. Die Definition der Begriffe über die des Landes gehörten“ (a. a. O.), genaue Zahl der Toten ist unge- Darstellung der Ereignisse bis zu lebten. Hier drehte eine Jugend- klärt, es müssen aber hunderte deren Bewertung ist alles sauber gruppe, mit der ich in den 90er gewesen sein. hergeleitet und entspricht den Jahren dort war, einen Film1, Anforderungen moderner histo- ohne den historischen Hinter- Schockierend ist auch die Reak- rischer Wissenschaft. Jede Tatsa- grund des Ortes zu kennen. tion der „offiziellen“ Historiker che ist genau belegt, jede Quelle in Israel auf die Forschungen von wird durch mindestens eine zwei- Furaydis, ebenfalls ein Sonderfall, Pappe und anderen. Ein Student te verifiziert, das gilt besonders liegt in unmittelbarer Nähe des der Universität Haifa stieß bei für die persönlichen Erinnerun- ehemaligen Kibbuz und jetzigen Recherchen auf den Fall Tantura gen (oral history), die nie für sich Feriendorfs Nach Scholim, wo und führte Interviews mit Überle- genommen für bare Münze meine Partnerorganisation „Dia- benden. „Als es publik wurde, gehalten, sondern durch Quellen log“ ihren Standort hat. Mehr- disqualifizierte die Universität aus offiziellen Archiven bestätigt mals war ich dort mit Jugend- nachträglich seine Doktorarbeit, werden. lichen und Fachkräften Gast. und Veteranen der Alexandroni- Furaydis wurde von der IDF ver- Brigade verklagten (ihn) wegen An dieser Stelle sei eine Anmer- schont: die Einwohner der Verleumdung.“ (a. a. O., S. 188) kung des Rezensenten erlaubt: benachbarten jüdischen Siedlun- Ich bin seit 1985 im deutsch-israe- gen setzten sich für seinen Erhalt Auch Pappe selbst blieb nicht lischen Jugend- und Fachkräfte- ein, weil sie die arabischen Ein- ungeschoren. Er ist Jahrgang 1954, austausch engagiert. Viele der wohner als ungelernte Arbeits- Sohn von Emigranten aus Nazi- Orte, die in Pappes Buch vorkom- kräfte benötigten. Deutschland, studierte Geschichte men, sind mir bestens vertraut, in Jerusalem und Oxford, war z. B. das Latrun-Tal, das „gesäu- Ganz in der Nähe lag auch der akademischer Leiter der Bildungs- bert“ wurde, wo ich mehrfach etwas größere Ort Tantura. Hier und Begegnungsstätte Givat Havi- mit Gruppen Gast des Neve Scha- wurde am 22. Mai 1948 eines der va, langjährige Partnerorganisa- lom (Friedensdorf) war, z. B. der schlimmsten Massaker angerich- tion des AdB. Dann wurde er Pro- Ort Lydda, heute Lod, wo der tet. Das Vorgehen der IDF, kon- fessor an der Universität Haifa, Flughafen liegt, auf dem ich kret der Alexandroni-Brigade, geriet in fachlichen und politi- jedes Mal landete oder startete, war hier untypisch. In diesem schen Konflikt mit der Universi- z. B. Yaad in Nordgaliläa, wo ich Verband war übrigens der späte- tätsleitung, resignierte schließlich 1985 bei meiner ersten Reise mit re Premierminister Ariel Scharon und ging als Professor nach Groß- dem Arbeitskreis deutscher Bil- Zugführer. Das Dorf wurde von britannien an die Universität Exe- dungsstätten die Entwicklung vier Seiten eingekreist, so dass ter. Sein Fall ist ein Beleg dafür, Israels als Computer-Hochburg eine Flucht unmöglich war. Die wie schwer man sich in Israel bewundert habe, z. B. die Städte noch heute damit tut, die eigene Nazareth, Safed und Schfar'Am – Vergangenheit unvoreingenom- hier war ich mehrfach Gast des 1 Vgl. Jürgen Fiege: Neue Wege im men zur Kenntnis zu nehmen, die Jugendamtes, eines drusischen deutsch-israelischen Jugendaustausch. eigene Geschichte zu reflektieren Scheichs und des (arabischen) In: außerschulische bildung Nr. 2/1989, und sich von bequemen Interpre- „House of Hope“. S. 145 ff tationen zu trennen.

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Die Lektüre dieses Buches ist tätig sind. Aber gerade für sie gewonnenen Überzeugungen erschütternd, vor allem für dieje- sollte die Lektüre zur selbst auf- trennen muss. Aber: Lernen ist nigen, die im deutsch-israelischen erlegten Pflicht werden, auch manchmal schmerzlich. Jugend- und Fachkräfteaustausch wenn man sich dabei von lieb Jürgen Fiege

Achim Schröder/Angela Merkle: Leitfaden Konfliktbewältigung und Gewaltprävention. Pädagogi- sche Konzepte für Schule und Jugendhilfe – Schwalbach/Ts. 2007, Wochenschau Verlag, 221 Seiten

Der konstruktive Umgang mit zu „Zivilcouragetrainings“ und Buches: Jede/r Pädagoge/in Konflikten und Gewalt ist längst „Medienpädagogischen Angebo- der/die auf der Suche nach einem zu einem Schwerpunktthema in ten“. Unter diesen Überschriften passgenauen Verfahren ist, kann der pädagogischen Arbeit mit sind viele der bekannten und die Auswahl auf der Basis der Kri- Jugendlichen geworden. Dafür erfolgreichen Konzeptionen zu- terien selbst vornehmen und existiert in der Zwischenzeit ein sammengefasst. Jeder einzelne wird nicht geleitet durch empiri- umfassendes, reichhaltiges und Ansatz wird in seinen Grundlagen sche Forschungsergebnisse oder vielfältiges Spektrum an Program- und methodischen Besonderhei- subjektive Meinungen von Fach- men, Ansätzen und Methoden. ten beschrieben. experten. Der überschaubare Damit sollen und können unter- Leitfaden bietet dafür die schiedliche Einzelaspekte mit Das Wertvolle an dieser Publika- wesentlichen Grundinformatio- sehr verschiedenen Zielgruppen tion ist die Möglichkeit, eine nen zu den Konzepten und soll bearbeitet werden. Der vorlie- direkte Vergleichbarkeit der um ein „Handbuch Konflikt- und gende „Leitfaden Konfliktbewäl- Ansätze vorzunehmen. Dafür ste- Gewaltpädagogik“ ergänzt wer- tigung und Gewaltprävention“ hen acht Kriterien zur Verfü- den, in dem die verschiedenen versucht nun, einen Überblick gung, die eine Unterscheidung Verfahren in ausführlicheren Bei- über diese nur schwer zu über- der Konzepte ermöglichen, aber trägen vorgestellt werden sollen. schauende Konzept- und Verfah- auch zur Zuspitzung spezifischer Damit können vertiefende Infor- rensvielfalt zu geben. Und um es Merkmale geeignet sind. Die mationen gegeben werden, die vorwegzunehmen: Dem Band ist jeweils auch mit einem kurzen in einer solchen knappen Über- das insgesamt recht gut gelungen. Beispiel aus der Praxis und Kon- sicht nicht leistbar sind. Im Rahmen eines Forschungspro- takten zu entsprechenden Anbie- jektes „Pädagogische Konflikt- tern vorgestellten Konzepte prä- Jedoch bleibt die Frage offen, und Gewaltforschung“ am Fach- ferieren verschiedene inwieweit sich der Leitfaden (und bereich Sozialpädagogik an der Ansatzpunkte, die sich in vier das geplante Handbuch) um Voll- Hochschule Darmstadt haben sich grundsätzlichen Orientierungen ständigkeit bemühen. Von einem die Autoren der Systematisierung beschreiben lassen. Je nachdem, mehrjährigen universitären For- und Kommentierung gängiger was bei der anvisierten Zielgrup- schungsprojekt darf das eigent- Ansätze gewidmet. pe an Wirkungen erreicht wer- lich erwartet werden. Konzepte den soll, lassen sich die Verfahren z. B. aus den Bereichen „Demo- Ein knappes Kapitel führt in das im Blick auf „Verhalten“, „Refle- kratie- und Toleranzerziehung“ Thema „Konflikt und Gewalt bei xion“, „Bildung“ oder „Partizipa- oder „Interkulturelle Verständi- Heranwachsenden“ ein und for- tion“ vergleichen. Vor diesem gung“ fehlen vollständig und das muliert zugleich daraus erwach- Hintergrund bieten Kriterien wie macht dann doch auch ein wenig sende Erwartungen an die Päda- „Zielgruppe“, „Konflikte als ärgerlich, weil sich keine nach- gogik. Damit wird der Rahmen Selbstbehauptungsversuche“, vollziehbare Begründung dafür eröffnet, in dem im Folgenden „Adoleszenz“, „Erreichbarkeit finden lässt, warum diese beiden eine Vielzahl von Konzepten, der Person“, „kreative Spielräu- wichtigen Aspekte keine Berück- Verfahren und Trainings vorge- me“, „Reichweite der Maßnah- sichtigung gefunden haben. Im stellt werden. Der Bogen reicht men“ und „Prävention“ die Zusammenhang mit Konflikt- von „Konfrontativer Pädagogik“, Chance, für die jeweilige Perso- bewältigung haben aber in der „Meditativen Verfahren“, „Kör- nengruppe die geeignetsten Zwischenzeit auch Programme perorientierten und erlebnispä- Konzepte auszuwählen. Eine Vor- wie „Miteinander – Erfahrungen dagogischen Konzepten“, „Trai- orientierung durch die Autoren mit Betzavta“, „Achtung (+) Tole- nings sozialer Kompetenzen“, wird bewusst vermieden, und ranz“, „Fit für Differences“, „Life“ „Szenischen Verfahren“ bis hin das ist der größte Wert dieses oder andere eine weite Verbrei-

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tung gefunden. Nicht zuletzt vor wie die hier vorgestellten. Was gesamt aber handelt es sich um dem Hintergrund der immer grö- das Buch aber noch bietet, ist eine eine durchaus sinnvolle und für ßer werdenden Bemühungen um kurze Darstellung von Weiterbil- die Praxis wertvolle Publikation, Integration in unserer Gesell- dungsmöglichkeiten und For- die einen guten Wegweiser schaft dürften solche Konzepte schungsvorhaben zu den darge- durch einen Teil des Dschungels nicht ausgelassen werden. Eben- stellten Konzepten – aber auch an Programmen und Konzepten so fehlen Ansätze wie „Fit für Life“ da bleibt die Auswahl etwas im bietet und zur Klarheit bei der oder „Buddy“, deren Bemühun- Ansatz stecken, da sie unvollstän- Methodenauswahl verhilft. gen in die gleiche Richtung gehen dig und willkürlich erscheint. Ins- Stephan Schack

Benno Hafeneger/Reiner Becker: Rechte Jugendcliquen. Zwischen Unauffälligkeit und Provoka- tion. Eine empirische Studie – Schwalbach/Ts. 2007, Wochenschau Verlag, 108 Seiten

„Der jugendliche und erwachse- sind „als kenntnisreiche ‚Experten Die Leserin/der Leser erhalten ne Rechtsextremismus ist ein für Jugend' zu verstehen“ (S. 41). zunächst einmal einen aufschluss- Merkmal und durchgängiger Insgesamt kamen 123 Antworten reichen und versiert dargestellten Bestandteil moderner Industrie- zurück, was einen Rücklauf von Abriss der allgemeinen Soziolo- gesellschaften, der sich in der 28,3 % bedeutet. (S. 43) Diese gie rechter Cliquen, ihrer Typolo- Geschichte der Bundesrepublik Resonanz ist gering. Das könnte gie und Merkmale sowie der The- wiederholt (re)organisiert und entweder ein Streiflicht auf die orie der Jugendkultur (S. 9 - 24). verändert hat.“ (S. 9) Diese Skepsis gegenüber wissenschaft- Diese Darstellung wird dann mit grundlegende Beobachtung ist lichen Explorationen ausgerech- dem besonderen Blick auf die der Ausgangspunkt für die net bei denjenigen werfen, die Situation in Hessen verdeutlicht „zweite Hessenstudie“ der Mar- wie kaum andere in ihrem berufli- und mit Namen der Zusammen- burger Wissenschaftler Benno chen Alltag von der hier erforsch- schlüsse und Kameradschaften, Hafeneger und Reiner Becker, die ten Thematik betroffen sein den Orten und Aktivitäten kon- sich bereits in zahlreichen Veröf- dürften. Oder aber es ist ein Hin- kretisiert (S. 24 - 40). Dabei fol- fentlichungen mit dem Rechts- weis auf die arbeitsmäßige Über- gen Hafeneger/Becker u. a. der extremismus auseinander gesetzt lastung der Jugendpfleger/-innen, von Stefan Glaser und Thomas haben. denn der 18 Punkte umfassende Pfeiffer gut begründeten These Fragebogen erforderte differen- von der „Erlebniswelt Rechtsex- In einer ersten, von Benno Hafe- zierte und elaborierte Antworten tremismus“: „Der jugendliche neger u. a. erstellten „Hessen- (S. 107 - 108). Die Angeschriebenen Rechtsextremismus ist immer studie“ aus dem Jahr 1999 wurde sollten über die ihnen bekannten auch eine Erlebnis-, Medien- und nachgewiesen, dass in diesem Aktivitäten rechter Cliquen Konsumwelt.“ (S. 17). Besonders Bundesland „eine breite rechte berichten, deren Merkmale und bedenklich macht bei der Lektüre Jugendszene“ (S. 7) existiert. Treffpunkte beschreiben, ihre der Verweis auf das „hohe Acht Jahre später fragen die bei- Entwicklung und Geschichte skiz- Niveau“ der Gewaltbereitschaft den Forscher nach, „ob es sich zieren und den politischen und und -taten rechter, vor allem um ein episodales, vorüberge- pädagogischen Umgang mit männlicher Jugendlicher. (S. 39) hendes oder ein längerfristiges, ihnen darstellen – viel Arbeit für Im Weiteren werden dann die sich verstetigendes Phänomen beruflich bereits Belastete. Ergebnisse der Befragung vorge- handelt“ (S. 7). Um das herauszu- stellt, und zwar in zwei Teilen: finden, adressierten sie eine Hafeneger/Becker relativieren einmal als Bestandsaufnahme der schriftliche Befragung an alle, daher mit Recht die Aussagekraft rechten Jungendcliquen in Hes- d. h. 434 kommunale Jugendpfle- ihrer Studie, sie betonen ein- sen (S. 41- 70) und dann als gen in Hessen mit der Bitte, den schränkend, dass sie die Szene Zusammenfassung der politi- Fragebogen an Einrichtungen nicht vollständig erfasse. (S. 42) schen und pädagogischen Reak- mit hauptamtlichen Mitarbeiter- Diese Zurückhaltung mindert tionen auf sie (S. 71 - 93). Von 22 innen und Mitarbeitern in der aber nicht den Stellen- und Orten in Hessen wurden Hinwei- jeweiligen Jugendarbeit weiter- Erkenntniswert der kleinen, aber se auf rechte Cliquen gegeben. zuleiten. Dieser Ansatz ist sinn- sehr detailliert und präzise dar- Auf der Grundlage dieser Infor- voll, denn Jugendarbeiter/-innen gestellten Studie. mationen gibt die Studie Aus-

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kunft über Struktur, Aktivitäten, rechtsextremistischen Orientie- Generationenfolge immer wieder, Ideologie, Vernetzung und rungen manifestieren sich vor neue Jugendliche für diese Kultur Gewaltbereitschaft der Cliquen. allem in fremdenfeindlichen Ein- (und auch das Lager) zu gewinnen Von den verschiedenen aufschluss- stellungen.“ (S. 58) und einzubinden.“ (S. 101) reichen Erkenntnissen ist – ganz Darüber hinaus werden abschlie- im Sinne der rechtsextremisti- Nach dem zweiten Teil der Ergeb- ßende politische und pädagogi- schen „Erlebniswelt“ – die Bedeu- nisdarstellung, der Benennung sche Hinweise gegeben, bei- tung rechter Musik (S. 58) aussa- verschiedener politischer und spielsweise, dass sie „der gekräftig. Sie spielt als pädagogischer Umgangsformen politischen Absicherung, Unter- Inszenierungs-, Ideologisierungs- vor Ort (S. 71 – 93) kommen stützung und einer materiellen und Vergewisserungsmoment Becker und Hafeneger zu Schluss- Absicherung“ (S. 102) bedarf. rechtsextremer Gesinnung eine folgerungen, die für weitere Notwendig ist auch die Feststel- wichtige Rolle. Wer pädagogisch, theoretische und praktische lung, dass Jugendarbeit zwar sozial und/oder politisch „gegen Arbeiten gegen Rechtsextre- „ein (wichtiger) Baustein“ (S. 103) rechts“ aktiv werden will, muss mismus wichtig sind. Einmal bilan- in der Auseinandersetzung mit sich über die Bedeutung der zieren sie, dass es „vielfach kein Rechtsextremismus ist, dass sie „Ästhetisierung“ und Stilisierung Tabubruch mehr“ ist, sich zu den aber auch „nicht überschätzt von rechten Botschaften im Kla- extremen Rechten zu bekennen und überfordert werden“ (S. 103) ren sein und an seinen – mögli- (S. 100). Weiter: „Es war und ist darf – weder in Hessen noch cherweise nur – normativen Kon- kein ‚einmaliges' und episodales anderswo. zepten arbeiten. Deutlich ist aber Phänomen in einem kurzen Zeit- auch, worum es immer geht: „Die raum, sondern es gelingt in der Klaus-Peter Hufer

Helmut Bremer: Soziale Milieus, Habitus und Lernen. Zur sozialen Selektivität des Bildungswe- sens am Beispiel der Weiterbildung – Weinheim und München 2007, Juventa Verlag, 307 Seiten

Eine alte Fragestellung in der langen Zwang, um die Berufsfä- Herrschaft des Konstruktivismus Erwachsenenbildung ist die, wen higkeit zu wahren, sondern Bil- und der mit dem Selbst konno- das Angebot erreicht. Und zu dung wurde als Glück und Chan- tierten Ansätze und Lernkonzep- ihren Legitimationsgrundlagen ce zur Mündigkeit, als Nachholen te eine soziale Enträumlichung gehört gerade ihre nachholende von aus sozialen oder politischen des Subjekts. Gegen diese Über- oder kompensatorische Funktion. Gründen Verwehrtem begriffen. höhung des einzelnen Lernsub- Interessant ist aber auch die Auch wenn es zum politischen jekts und das Vergessen der sozi- Beobachtung, dass die Erwachse- Ritual gehört, die soziale Selekti- alen Bezüge diskutiert der Autor nenbildung in der Vergangenheit vität des Bildungssystems zu kriti- in den drei großen Kapiteln seines oft selber Forschungsdesigns und sieren, und trotz eines jetzt auf- Buches theoretische und empiri- Instrumentarien entwickelt hat, gelegten Programms des DIE zu sche Zugänge zum Adressaten um sich dieser Probleme ange- Exklusion und Inklusion scheint und seiner jeweiligen gesell- messen zu vergewissern. So erin- das Interesse der wissenschaft- schaftlichen und sozialen Lage. nert auch Helmut Bremer in sei- lichen Auseinandersetzung an Im ersten Teil werden die bisheri- ner Habilitationsschrift an die solchen Fragen bescheiden gen Ansätze und Ergebnisse der Anfänge der Teilnehmerfor- geworden zu sein. Dominant sind Teilnehmerforschung bis in die schung in den 20er Jahren in Ber- eher Probleme der Organisations- 80er Jahre resümiert. Das zweite lin, Wien oder Leipzig und an die entwicklung, der Qualitätssiche- Kapitel setzt sich intensiv mit großen Studien der Nachkriegs- rung und eines selbst gesteuer- dem Konzept des sozialen Mili- zeit, etwa die Hildesheim-Studie ten oder selbst organisierten eus und des Habitus auseinander von Wolfgang Schulenberg aus Lernens, die entsprechend auch und referiert die Ergebnisse jün- dem Jahr 1957 oder die in Göttin- von politischer Seite gefördert gerer Studien zum Zusammen- gen unter Willy Strzelewicz ent- wurden und werden. hang von Milieuzugehörigkeit standene Untersuchung mit dem und Bildungsteilnahme, von Titel „Bildung und gesellschaftli- Die Kritik an dieser Gegenwart denen auch einige speziell auf ches Bewußtsein“. Damals gab es bildet auch ein wichtiges Motiv die politische Bildung gerichtet noch nicht das Lernen als lebens- für Bremer, denn er sieht in der waren. Der letzte große Abschnitt

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beschäftigt sich mit verschiedenen nur individuell, sondern sozial auch milieu- und habitusbezoge- subjekttheoretischen Zugängen angelegt ist und deren Gebrauch ne professionelle Reflexivität. und ihren Implikationen für die zum Teil automatisch oder vor- Pädagogen sollten sich ihre eige- Struktur von Lerngelegenheiten reflexiv erfolgt. Der Habitus kor- ne Herkunft, ihre alltagskulturel- und Lernarrangements. respondiert also mit sozialen len Handlungsmuster und soziale Milieus und entsprechenden kul- Verankerung bewusst machen Die Herangehensweisen und turellen und alltagsästhetischen und Einrichtungen ihre Situie- Deutungsrahmen empirischer Handlungsgewohnheiten. rung im sozialen Raum. Sozialforschung haben sich seit den 20er Jahren natürlich weiter- Interessant wird es, wenn mit Bremers Argumentationslinien entwickelt, Bremers zentrale Teilnehmern und Pädagogen sind komplex, deshalb ist seine Bezugsgrößen bilden die Kultur- Angehörige unterschiedlicher Studie nicht einfach als ein Stein- soziologie von Pierre Bourdieu Milieus und damit unterschiedli- bruch zu benutzen, aus dem man und die Milieuforschung, wie sie che habituelle Konstruktionen mal ein paar aktuell nützliche vor allem in der Projektgruppe aufeinander stoßen oder auch Argumente herausholen kann. um den Hannoveraner Soziolo- Bildungsstätten sich mit ihrem Wer aber einen Überblick und gen Michael Vester weiterent- Angebot und einer jeweils spezi- eine anspruchsvolle Einführung wickelt wurde. fischen Kultur (Gestaltung, Art in die Teilnehmerforschung der der Verpflegung, Freizeitangebo- Erwachsenenbildung sucht und Ein Schlüsselbegriff, den der te) auf bestimmte Milieus und auch bereit ist, sich in die Argu- Autor immer wieder bemüht, ist deren Bildungsverständnis aus- mentationen einzufinden, der der des Habitus. Im jeweiligen richten. Hier finden wir Formen wird mit dieser Lektüre belohnt Habitus haben die Lernsubjekte symbolischer Herrschaft und sozi- werden. Wahrnehmungs-, Denk- und aler Distinktion, und hier liegen Handlungsschemata inkorporiert, vielfältige Gründe für Exklusion. Paul Ciupke deren Konstruktion eben nicht Deshalb fordert Bremer eine

Anne Schlüter (Hrsg.): „In der Zeit sein...“ Beiträge zur Biographieforschung in der Erwachse- nenbildung – Bielefeld 2005, W. Bertelsmann Verlag, 148 Seiten

Die sieben Autorinnen dieses von ren kann. Mit Hilfe einer Fall- gigen Vorwurf der Wiedergabe Anne Schlüter herausgegebenen darstellung, bei der relevante rein subjektiver Anschauungen Sammelbandes beschäftigen sich biographische Daten aus einem zu befreien. mit der Ressource Zeit, und zwar narrativen Interview gewonnen im Hinblick auf Projekte und werden, rekonstruiert die Auto- Michaela Bleischwitz beschäftigt Ergebnisse der Biographiefor- rin den Lebensweg einer Frau, sich mit der (neuen) Herausforde- schung in der Erwachsenenbil- die durch die von den Eltern rung für nebenberuflich Lehren- dung. Zeit als flüchtiges und übernommene Maxime einer de an Volkshochschulen (VHS). zugleich kostbares Gut, als Klassi- zielgerichteten, sinnvollen Zeit- Am Beispiel einer biographischen fizierungsmittel, das Biographien planung geprägt wurde, und die Falldarstellung arbeitet die Auto- und Karrieren nachhaltig beein- hinsichtlich ihrer beruflichen Kar- rin heraus, wie die Protagonistin flusst und prägt, steht in Anne riere einige Umwege zu gehen vor dem Hintergrund ihrer bio- Schlüters einführendem Artikel hatte. graphischen Erfahrungen einen im Vordergrund. zeitgeschichtlich bedingten Den expliziten Kontext zur Umgang (1980er Jahre) in der Cornelia Feider beschäftigt sich Erwachsenenbildung stellt dann Erwachsenenbildung pflegt, dann mit dem Thema sinnvoller Nicole Husten dar, indem sie sich indem sie vor allem auf ihre Fach- biographischer Zeit als paradoxer mit Angeboten für biographische kompetenz abhebt, gegenüber Erfahrung. In ihrem Beitrag wird Arbeit am Selbst beschäftigt. Die den Kursteilnehmenden aber dis- rekonstruiert, wie ein Mehr an Relevanz biographischer Arbeit tanziert bleibt. Diese Haltung sei Freiheit, als Loslösung von star- in der Erwachsenenbildung wird aber heute nicht zeitgemäß, ren Zeitvorgaben, zu einem Mehr dabei in erster Linie daran deut- denn gegenwärtig werde von an selbst auferlegtem Druck füh- lich, dass es gelingt, sie vom gän- den nebenberuflichen Kursleite-

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rinnen in der VHS verlangt, dass von den Teilnehmenden in der torinnen auf. Zunächst geht die sie nicht nur kompetente Fach- Regel mit der VHS identifiziert Autorin intensiv auf den Begriff frauen sind, sondern ebenfalls werden, sind hier nur komplexe des Mentoring und die interna- versierte Lernbegleiterinnen. Lösungsansätze vorstellbar, die tionale Mentoring-Forschung ein. Insofern scheint ein „up date“ zeitintensiv sind und eine dichte Ausgehend von der These, dass ihrer Lehr- und Lernerfahrungen Kommunikationsstruktur zur grundlegende biographische dringend erforderlich. Offen Voraussetzung haben. Erfahrungen darüber entschei- bleibt allerdings, wie die Institu- den, ob und in welchem Maße tion VHS aufgrund verdichteter Den Karrierebiographien von Lei- Zeit in Mentoring-Beziehungen Zeit-, Personal- und Finanzres- terinnen an VHS in NRW ist der investiert wird, rekonstruiert sourcen diese Herausforderung Aufsatz von Ulrike Nollmann Schell-Kiehl am Beispiel sehr im Hinblick auf die Fort- und gewidmet. Ausgehend vom Luh- unterschiedlicher Berufsbiogra- Weiterbildung ihrer nebenamt- mannschen Karrierebegriff phien zweier weiblicher Füh- lichen Mitarbeitenden bewälti- rekonstruiert die Autorin mit Hilfe rungskräfte, wieso sich beide gen soll. (S. 81) einer Falldarstellung die Berufs- für das Mentoring entschieden biographie und Karriere einer haben. Beide Mentorinnen ver- Mit einer ähnlichen Problematik, Frau, die über den zweiten Bil- deutlichen dabei, dass das Men- dem Image der VHS, setzt sich dungsweg und durch die konse- toring für sie persönlich einen Andrea Thiele auseinander. Zwar quente Nutzung ihrer eigenen Gewinn darstellt und nicht nur postuliert sie, dass die VHS noch Ressourcen eine „Karriere aus ein (lästiges) Bereitstellen zusätz- immer eine hervorragende Bil- sich heraus“ macht und durch licher Ressourcen. dungseinrichtung sei, dass sie Zielstrebigkeit und Leistungs- mittels eines systematischen Mar- bereitschaft in eine Führungspo- Das Resümee zu diesem Buch ketings allerdings mehr für ihre sition gelangt. Nollmann gibt fällt nicht schwer: es hat einen Positionierung auf dem Erwach- ihrer Überzeugung Ausdruck, klaren Aufbau, verfügt über senenbildungsmarkt tun müsse. dass die Zeit für diesen Typus von einen leserfreundlichen Stil, ist Dabei wird deutlich, dass diese Karrierefrauen gekommen sei, da mit entsprechenden weiterfüh- berechtigte und nachvollzieh- sie mehr aus ihren gesellschaft- renden Literaturhinweisen aus- bare Forderung im Hinblick auf lich geprägten geschlechtsspezi- gestattet und erlaubt einen ihre Umsetzung voraussetzt, dass fischen Rollenerwartungen frü- guten ersten Einblick in das es entsprechende strukturelle herer Generationen heraustreten wenig bestellte Feld der Biogra- Veränderungen gibt. Angesichts könnten. (S. 120) phieforschung in der Erwachse- der enormen Asymmetrie zwi- nenbildung. schen hauptamtlichen und Eine ähnliche Thematik greift nebenamtlichen pädagogischen Ines Schell-Kiehl am Beispiel von Mitarbeitenden, wobei letztere qualitativen Interviews mit Men- Zbigniew Wilkiewicz

Jugendbildungsstätte Anne Frank (Hrsg.): Zeitzeugengespräche mit Migrantinnen und Migranten. „Interessante Erwachsene“ im interkulturellen Unterricht und in der Jugendbildungsarbeit – Frankfurt/M. 2006, Brandes & Apsel-Verlag, 117 Seiten

Ein „erweiterter Zeitzeugen- neuen oder fortbestehenden -inn/-en in Deutschland – führt Begriff“ beginnt sich allmählich Möglichkeiten erkannt werden, ein Band der Frankfurter Jugend- durchzusetzen – und mit ihm eine z. B. auch in der Auseinanderset- bildungsstätte Anne Frank vor, Wahrnehmung der Chancen, die zung mit der DDR-Geschichte, für worin der Wert solcher Dialoge über den klassischen Bereich des die Millionen von Zeitzeugen- liegen kann. Hier wurden in den Holocaust-Lernens hinaus in der Biografien der bildenden Ausein- Jahren 2001 bis 2005 etwa 40 Beschäftigung mit erinnerten andersetzung und gemeinsamen Begegnungen mit Migrantinnen Lebensgeschichten und inter- Reflexion harren. und Migranten organisiert; die generationellen Dialogen liegen. begleitend entwickelte Konzep- Die stereotype Klage über das Für ein anderes hochaktuelles tion wird im vorliegenden Bänd- „Ende der Zeitzeugen“ könnte Thema – Migration und die Iden- chen vorgestellt. Meist mit (eth- aufhören, wenn und soweit die titätsbildung junger Migrant/ nisch heterogenen) schulischen

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Gruppen realisiert, erscheint der mit Migrationsgeschichte. U. a. träumen, die Produktion weiter- Ansatz aber auch auf andere findet sich hier ein Plädoyer führender Fragen usf. werden Kontexte der Jugendbildung dafür, die „Ressourcen der Bikul- hier nicht nach Art eines Rezept- übertragbar. Die Autoren siedeln turalität“ wahrzunehmen und buchs behandelt, sondern im ihr Experiment in einem Zwischen- den lernenden Jugendlichen Rahmen dieses Verwendungs- bereich zwischen historisch-poli- nicht nur Problemtableaus, son- kontexts plausibel gemacht und tischem Lernen, Menschenrechts- dern auch gelungene „Modelle einschließlich möglicher Proble- erziehung und „Begegnung“ an selbstbestimmter Integration“ me erfahrungsgesättigt reflek- und wollen das immer noch oft anzubieten. Dass dabei auf die tiert. Dass bei den durchgeführ- randständige Thema Migration Lernenden auch allerlei Irritatio- ten Begegnungen offenbar (mit damit zum Gegenstand öffent- nen warten, wird nicht ignoriert, Beteiligung von Sponsoren) lichen Interesses und der schuli- sondern als zusätzlicher Vorteil besondere Rahmenbedingungen schen Würdigung machen – oral hervorgehoben. Im Band werden vorlagen, entwertet die vorge- history als „Raum sozialer Begeg- anschließend fünf dieser Begeg- stellten Modelle nicht; es unter- nung“, wie Lutz Niethammer nungen, ihr Verlauf, der „Neuig- streicht nur erneut, dass so etwas schon in den 1980er Jahren keitswert“ und die Reaktionen nicht beiläufig gelingen kann, unterstrich. Es handelt sich dabei der Jugendlichen in knappen sondern der Anstrengung und nämlich – so die Überzeugung Skizzen geschildert. Phantasie bedarf. Die Weckung der hier Schreibenden – um „eine eines ernsthaften Interesses, eine emotional und politisch bedeut- Relevanter noch als die Berichte partizipative Gestaltung der same Geschichte“, mit der man sind die ausführlich entfalteten Lernsituation und ein kultur- sich engagiert auseinandersetzen Hinweise zur methodischen Vor- sensibler Umgang mit „Störun- kann und anhand derer respekt- und Nachbereitung der Zeitzeu- gen“ und Widerständen sind voll-neugierig ein vorübergehen- gengespräche. Über die banale aber keine Beigaben, sondern der Perspektivwechsel vorge- Botschaft hinaus, dass eine gute notwendiger Bestandteil von nommen werden kann. Vorbereitung solcher Begegnun- produktiven Begegnungen der gen essentiell ist, wird es hier geschilderten Art. Dabei kann Der gesellschaftliche Kontext endlich einmal konkreter: Stille diese bescheiden-originelle dieses Experiments ist nicht aus- Dialoge, „Phantasiereisen“, die Handreichung sehr hilfreich geklammert: Ein kurzes Kapitel Art der Moderation, Vorberei- sein. umreißt das Potenzial der „Inte- tung der Zeitzeug/-inn/-en, die grationsdebatte“ für Lernende Auseinandersetzung mit Lebens- Norbert Reichling

Stiftung Jugendburg Ludwigstein und Archiv der deutschen Jugendbewegung (Hrsg.): Histori- sche Jugendforschung. Jahrbuch des Archivs der deutschen Jugendbewegung – NF Band 1/2004, Schwalbach/Ts. 2006, Wochenschau-Verlag, 455 Seiten

Stiftung Jugendburg Ludwigstein und Archiv der deutschen Jugendbewegung (Hrsg.): Histori- sche Jugendforschung. Jahrbuch des Archivs der deutschen Jugendbewegung – NF Band 2/2005, Schwalbach/Ts. 2006, Wochenschau-Verlag, 287 Seiten

Mit dem Kürzel NF (vermutlich Beide Bände enthalten eine Fülle des 2/2005 geht über Jugendbe- Neue Folge) sind 2006 kurz von lesenswerten Beiträgen, die wegung und Kolonialismus. hintereinander zwei weitere hier nur in einer Auswahl ange- Jahrbücher des Archivs der deut- sprochen werden können. Band Die nach 1945 versuchten Anknüp- schen Jugendbewegung erschie- 1/2004 ist gleich zwei interessan- fungen an die Jugendbewegun- nen. Nach dem Time lag infolge ten Schwerpunkten gewidmet: gen und Bünde der Zeit vor 1933 organisatorischer und personel- Dem Wiederaufleben bündischer werden nach ihren Leitbildern ler Wechsel im Archiv der deut- Gruppen nach 1945 und den und Handlungsformen befragt. schen Jugendbewegung und mit Begegnungen west- und ost- Hans Ulrich Thamer konstatiert in einem neuen Beirat ist nun die deutscher Jugendorganisationen seinem Überblicksbeitrag das verdienstvolle Reihe wieder in sowie den Jugendkulturen in der Vorhandensein einer „ langen der „Gegenwart“ angekommen. DDR. Der Schwerpunkt des Ban- und verschlungenen Verwand-

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lungszone“, die bis in die späten kammer an vorderen Stellen übten auf die Jugendbewegten 50er Jahre andauerte und dann betätigt hatten, nun im Jugend- zweifelsohne einen großen Reiz von neuen Prozessen abgelöst hof Vlotho als „Demokraten- aus, der nicht nur in Großfahrten wurde. Dass nach 1945 verschie- Macher“ neu etablierten oder befriedigt wurde, sondern auch denste Wiederbelebungsversu- etablieren wollten. Nicht nur der in schwärmerischen, zum Teil che stattfanden, ist unbestritten. Aufsatz über Vlotho kann als Bei- auch verklärenden Texten über Die hier vorgestellten Beispiele trag zur Frühgeschichte politi- die „edlen Wilden“. Andererseits bieten natürlich nur einen Aus- scher Jugend- und Erwachsenen- wurden deutsche Kolonialinteres- schnitt der Aktivitäten: der BDP bildung nach 1945 gelesen sen in entsprechender Jugendlite- wird von Hannes Moyzes porträ- werden. Auch wenn diese Pers- ratur und Abenteuerromanen tiert, Hotte Schreiber untersucht pektive nicht ausdrücklich einge- auch nach 1918 weiter festgehal- in einem längeren interessanten nommen wird, die Wiederbele- ten. Hans Paasche kann als ein Beitrag die Nerother und ihre bungsversuche nach 1945 sind Beispiel für die kritische Verarbei- Spaltung in zwei ganz unter- Teil der Vorgeschichte einer sich tung der Erfahrungen als deut- schiedliche Jugendprojekte, des- in den 60er Jahren neu formie- scher Kolonialoffizier gelten. sen eines sich in den 60er Jahren renden Jugend- und Protestbe- Weniger bekannt ist, dass die zu den bekannten überbündi- wegung. Nerother Wandervögel Ende der schen immer mehr weltoffenen 30er Jahre dokumentarisches Sängertreffen auf der Burg In sieben weiteren Beiträgen Material lieferten, aus dem der Waldeck weiterentwickelt, wäh- wird von den Autorinnen und NS-Propagandafilm „Deutsches rend die andere Richtung in den Autoren herausgearbeitet, wie Land in Afrika“ zum Teil zusam- alten Strukturen und Ansichten trotz aller ideologischen Gegen- mengesetzt wurde. erstarrt. Thomas Groß-Bölting sätze und einer brutalen Grenze und Meinulf Barbers schreiben ost- und westdeutsche Jugend- Weitere Beiträge über die Arta- über konfessionelle Bünde und kulturen und Jugendorganisatio- manen, über den Antisemitismus im Besonderen über den Quick- nen ineinander verschlungen und und völkisches Denken im Mäd- born. Lokale Jugendmilieus und aufeinander bezogen waren. chen-Wanderbund, über Tusk Freischargruppen werden ebenso Vielfältige Begegnungen und und dj.1.11., eine quellen- und vorgestellt wie interkonfessionel- Versuche gegenseitiger politi- ideologiekritische Betrachtung le Pfadfindergruppen. scher Einflussnahme von west- über die berühmte von Werner deutschen Jugendverbänden und Kindt herausgegebene „Doku- Am Beitrag von Klaus-Peter FDJ werden im Detail beschrieben. mentation der Jugendbewe- Lorenz kann man nachverfolgen, gung“ sowie die üblichen Rezen- wie Repräsentanten der ehemali- Ein bisher kaum bekanntes Kapi- sionen und Berichte aus der gen Jugendmusikbewegung, die tel ist das Verhältnis von Jugend- Arbeit des Archivs ergänzen den in der NS-Zeit sich in der Hitler- bewegung und deutschem Kolo- Band 2005. jugend oder der Reichsmusik- nialismus. Ferne fremde Welten Paul Ciupke

Wolf-Peter Szepansky: Souverän Seminare leiten – Bielefeld 2006, W. Bertelsmann Verlag, 108 Seiten

Jedes Seminar ist ein Wagnis für funktioniert die Technik, ist das Gruppendynamik und die Phasen den Trainer, die Referentin, die Material hergerichtet, sind die der Gruppenentwicklung bilden Verantwortlichen und letztlich Teilnehmer konstruktiv, stimmen den roten Faden, die Rand- und auch für die Teilnehmer. Wer die Rahmenbedingungen? Rahmenbedingungen werden ohne präzise Vorbereitung, ohne Bücher über Erwachsenenbil- etwas vernachlässigt. Das schma- nervliche Anspannung und Neu- dung gibt es zuhauf, aber weni- le Buch ist in acht Punkte geglie- gier ein Seminar beginnt, hat ge geben Ratschläge und zeigen dert, Anfang und Abschied stel- meistens den Beruf verfehlt. Lösungsmöglichkeiten für len dabei die Klammer dar. Jedes Seminar ist anders, jedes schwierige Seminarsituationen ein Unikat, jedes eine Herausfor- auf. Das Buch von Wolf-Peter „Aller Anfang ist schwer“ und derung, die immer auch ein Szepansky will nun konkrete „jedem Anfang wohnt ein Zau- Scheitern beinhalten kann. Sind Hilfestellung geben für schwieri- ber inne.“ Anfangssituationen alle Experten gut vorbereitet, ge Situationen im Seminar. Die sind für Rednerinnen und Semi-

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narleiter besondere Stresssitua- Es gibt nahezu nichts zu kritisieren Höhepunkt dieses Buches, das tionen. Es gibt fast keine zweite an diesem vorzüglichen Praxis- man jedem Anfänger – und Chance für den ersten Eindruck. buch, daher nur drei kleine manchmal auch Fortgeschritte- Daher geht es in diesem Kapitel Anmerkungen: Bei den Skalie- nen – der Erwachsenenbildung um Attacken und Aggressionen, rungsfragen (S. 59) könnte die als Pflichtlektüre ans Herz legen um Vielredner und Schweiger, imaginäre Skala durch eine möchte. um Spielregeln und Struktur, um anschauliche Skala ersetzt wer- passende Einstiege und prakti- den, z. B. durch ein langes Seil Das Buch endet mit Anmerkungen sche Einsichten. Schon nach mit den Polen plus und minus. zu Schlusssituationen. Hektische wenigen Zeilen merkt man, dass Das auf Seite 60 erwähnte sozio- Seminarleiter übersehen manch- der Verfasser nicht nur reichhalti- metrische Feedback sollte erklärt mal den Schluss, weil es ja noch ge Seminarerfahrungen mitbringt, werden. Und schließlich entste- so viel Stoff gebe. Szepansky sondern diese auch anschaulich hen schwierige Situationen im macht klar, dass der Schluss oft und verständlich zu verschrift- Seminar nicht selten wegen des emotional aufgeladen ist und lichen weiß. Jedes Kapitel endet falschen Verhaltens des Modera- daher nicht selten eine Gratwan- mit einer kurzen Zusammenfas- tors, eines tatsächlich langweili- derung zwischen Nähe und Dis- sung. Im nächsten Abschnitt geht gen Vortrags oder schlechter tanz darstellt. Rituale und vertie- es um den Vorwurf des langweili- Rahmenbedingungen. fende Übungen fangen diese gen Unterrichts. Das kann eine Emotionalität auf, verdichten sie Provokation, aber auch eine Rea- Im nächsten Kapitel geht es um und geben ihnen einen verbind- lität sein. Souverän zeigt der Vielredner und wie man sie zur lichen Rahmen. Nicht immer ist Autor Lösungswege auf. Neben besonnenen Kommunikation die Kritik am Seminar eine Strate- der Zusammenfassung wird am bringen kann. Natürlich dürfen gie, sich den Abschied zu erleich- Ende noch ein Test geboten, mit hier die vier Seiten einer Nach- tern (S. 105). Manchmal, eher dem man sein Verhaltensreper- richt von Schulz von Thun nicht meistens, sollte man von solchen toire prüfen kann. fehlen, allerdings wird dann die- tiefenpsychologischen Interpre- ses Modell auch auf die Strategie tationen Abstand und die Kritik Im vierten Kapitel geht es um bei schwierigen Gesprächen ange- ernst nehmen. den schwierigen Prozess, der ent- wendet. Der siebte Abschnitt steht, wenn ein neuer Teilnehmer setzt sich mit den Widerständen Das Buch sollte jeder junge aufgenommen werden soll. Ganz der Teilnehmer auseinander. Auf Erwachsenenbildner, jede Stu- nebenbei werden Methoden und der Grundlage des Riemann- dentin und jeder, der irgendwie Theoriebruchstücke eingestreut. Kreuzes werden vier Charakter- mit Seminaren zu tun hat, gele- Auch dies ist didaktisch vorzüg- typen beschrieben: Dauermensch, sen haben. Auch ist es für Lehre- lich, denn diese Theorien und Wechselmensch, Distanzmensch rinnen und Lehrer dringend zu Methoden stehen nicht auf den und Nähemensch. Danach werden empfehlen. Der Autor schöpft sonst so hohlen Füßen der diese Typen auf den Prüfstand aus einem reichen persönlichen Abstraktion. So bekommt die der Erwachsenenbildung gestellt Erfahrungsschatz und verfügt Leserin Einblicke in die Themen- und in einer Matrix deren belieb- über die Fähigkeit, die notwendi- zentrierte Interaktion (S. 40f), in te bzw. unbeliebte Methoden gen Theorien unaufdringlich, die Methode Blitzlicht (S. 41) und und Seminarformen übersichtlich aber Gewinn bringend an den in das Phasenmodell von Tuckman aufgelistet. Obgleich es etwas Leser zu vermitteln. Ein gelunge- (S. 45). Der nächste Abschnitt schablonenhaft klingt, ist diese nes Buch! behandelt Dilemma-Situationen. Zusammenstellung sicherlich ein Werner Michl

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Markt

Termine Kaiserslautern, www.atlantische-aka- und Veranstaltungen in der demie.de. „Langen Nacht der Demokratie“ Vom 3.-4. Februar 2009 findet an in Bonn zu beteiligen. der Otto-Friedrich-Universität Bamberg die Auftaktveranstal- Vom 28. bis 31. Mai 2009 findet Infos: Bundeszentrale für politische tung zum Nationalen Bildungs- an verschiedenen Orten in Berlin Bildung, Svetlana Alenitskaya, Fach- panel statt, verbunden mit der das „Geschichtsforum 1989 | 2009: bereich Veranstaltungen, Adenauer- Fachtagung zum Thema „Zum Europa zwischen Teilung und allee 86, 53113 Bonn, www.bpb.de. Analysepotential des nationalen Aufbruch“ statt, in dessen Rah- Bildungspanels“. Bildungsexper- men über 150 Veranstaltungen ten/-innen und Politiker/-innen unter der Schirmherrschaft von Wettbewerbe erörtern die Bedeutung eines so Bundespräsident Köhler an den genannten Bildungspanels, mit Fall der Berliner Mauer und die Der neue Victor-Klemperer- dem Bildungsverläufe über lange friedlichen Revolutionen in der Jugendwettbewerb richtet sich Zeit verfolgt werden sollen. DDR und in Ostmitteleuropa an Jugendliche, Schulklassen, erinnern sollen. Mit Ausstellun- Vereine und Initiativen, die Infos zum Programm: www.uni-bam- gen, szenischen Aufführungen, aufgefordert werden, sich in berg.de/neps/fachtagung. einer großflächigen Plakat-Instal- kreativen Projekten mit dem Zu- lation, Lesungen und musikali- stand der Demokratie in Deutsch- schen Interventionen werden land an ihrem 60. Geburtstag In Hannover findet die „Didacta – künstlerische Sichtweisen auf die auseinander zu setzen. Bildungsmesse“ vom 10.-14. Geschichte präsentiert, über die Februar 2009 statt. Wie immer in Vorträgen, Podiumsgesprächen Unter dem Motto „Mitmischen! wird die Messe von einem Fach- und Workshops von Historikern, 60 Jahre Grundgesetz“ sollen sie programm begleitet. Politikern, Journalisten und in Reportagen, Gedichten, Video- Künstlern diskutiert wird. produktionen, Theaterstücken Infos zu den Schwerpunkten und zum oder Internetseiten Fragen wie Rahmenprogramm gibt es unter: Orte: Humboldt-Universität, den folgenden nachgehen „Was www.didacta-hannover.de/presse- Deutsches Historisches Museum heißt Demokratie? Wozu braucht service. und Maxim-Gorki-Theater in ein Land eine Verfassung? Wie Berlin. könnte und sollte unsere Demo- kratie in 60 Jahren aussehen?“. Die USA als Gegenstand der schu- Infos unter: www.geschichts- lischen und außerschulischen forum09.de oder über die Bundes- Teilnahmeberechtigt sind Jugend- politischen Bildung steht im zentrale für politische Bildung, liche und junge Erwachsene im Mittelpunkt einer Tagung, die Stabsstelle Kommunikation, Alter von 12 bis 20 Jahren. von der Bundeszentrale für poli- Adenauerallee 86, 53113 Bonn. tische Bildung, dem US-General- Einsendeschluss für die Produk- konsulat Frankfurt und der tionen ist der 31. März 2009. Atlantischen Akademie Rhein- Am 23. Mai 2009 findet in Bonn Veranstaltet wird der Wett- land-Pfalz e. V. vom 23. bis 25. die „Lange Nacht der Demokra- bewerb vom Bündnis für Demo- April 2009 in der Akademie des tie“ statt, die den Abschluss der kratie und Toleranz, der Bistums Mainz veranstaltet wird. bundesweiten Aktionstage für Dresdner Bank und dem ZDF. Unter dem Titel „Tocqueville politische Bildung bildet. Die (1805-1859) zu ehren“ sind Veranstalter der „Langen Nacht Infos: Bündnis für Demokratie und politische Bildner/-innen, Journa- der Demokratie“ sind die Toleranz, Stresemannstr. 90, 10963 list/-en/-innen und alle am Thema Bundeszentrale für politische Berlin, www.victor-klemperer-wett- Interessierten eingeladen, um Bildung, der Bundesausschuss für bewerb.de. sich mit dem Amerikabild Alexis politische Bildung und die Lan- de Tocquevilles und seiner deszentrale für politische Bildung Bedeutung für die außerschuli- NRW in Zusammenarbeit mit der Das Deutsche Institut für Erwach- sche politische Bildung heute Stadt Bonn und den Museen der senenbildung vergibt alle zwei auseinander zu setzen. Museumsmeile. Die Träger der Jahre den „Preis für Innovation in politischen Bildung sind aufge- der Erwachsenenbildung“. Im Infos: Atlantische Akademie Rhein- fordert, sich mit ihren Vorschlägen Jahr 2009 wird der Preis zum land-Pfalz e.V., Lauterstraße 2, 67657 und Angeboten für die Aktionen Thema „Übergänge unterstützen

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– Lernen im Lebenslauf fördern“ Zeitschriften zur politischen erschien ein neues Heft der Zeit- ausgeschrieben. Das DIE will mit Bildung schrift „Politik & Unterricht“. diesem Thema einen Kontra- Die Nummer 3/2008 stellt exem- punkt zur weitgehend pro- Ausgabe 4/2008 der Zeitschrift plarisch Gedenkstätten vor, die grammatisch geführten öffent- „Praxis Politische Bildung“, die an den nationalsozialistischen lichen und bildungspolitischen vom Bundesausschuss für Politi- Terror im Südwesten Deutsch- Diskussion über Lebenslanges sche Bildung herausgegeben lands erinnern. Das Heft bietet Lernen setzen. Übergänge wird, behandelt das Thema Hintergrundinformationen zum würden zu oft auf der Grundlage „Kompetenzen in der außer- Thema und praktische Arbeits- schematischer Darstellungen des schulischen Bildung“. Gefragt materialien für die schulische Bildungssystems betrachtet und wird nach dem Stand der Diskus- und außerschulische Bildung. konzentrierten sich auf die sion über Kompetenzdefinitio- formalisierten Strukturen. nen und -nachweise, der bildungs- Bezug: Landeszentrale für politische politischen Kompetenzentwick- Bildung Baden-Württemberg, Staff- Das DIE will mit seiner Ausschrei- lung auf nationaler und euro- lenbergstraße 38, 70184 Stuttgart, bung auch andere Übergänge, päischer Ebene und Beispielen www.lpb-bw.de/shop. beispielsweise im Bereich des aus der Kompetenzvermittlung informellen Lernens oder in der in der Bildungspraxis. Phase nach dem Erwerbsleben, in Die Bundeszentrale für politi- den Blick nehmen und fragt nach Bezug: Juventa Verlag GmbH, sche Bildung gibt das Magazin innovativen Ideen zur Gestaltung Ehretstraße 3, D-69469 Weinheim, „fluter.“ heraus. Es wendet sich von Passagen, die im gesamten oder den Buchhandel. vor allem an Jugendliche. Die Lebenszusammenhang verortet Ausgabe 28/2008 widmet sich sind. den Vereinigten Staaten von Nachhaltige Entwicklung ist das Amerika unter dem Titel „Wo Informationen zur Ausschreibung Thema von Heft 4/2008 der Zeit- soll´s denn hingehen?“. (Einsendeschluss ist der 30. März 2009) schrift „Kursiv“, die im Wochen- gibt es unter: www.die-bonn.de/por- schau-Verlag erscheint. Hier geht Bezug: Bundeszentrale für politische trait/innovationspreis/index.htm es um Fragen der Umweltbildung Bildung, www.bpb.de in der politischen Bildung an Schulen und in der außerschuli- Die UNICEF hat den Wettbewerb schen Bildung und in der politi- Bundeswehr zur politischen um den Juniorbotschafter des schen Bildung mit Kindern. Bildung der Soldaten Jahres 2009 ausgeschrieben. Aufgerufen sind auch diesmal Bezug: Wochenschau-Verlag, Adolf- Die Bundeswehr hat in Nr. 2/2008 wieder Kinder und Jugendliche Damaschke-Str. 10, 65824 Schwal- der „Zeitschrift für Innere Füh- bis 18 Jahre, die sich einzeln oder bach/Taunus. rung“ die politische Bildung der als Gruppe oder Schulklasse für Soldaten in den Mittelpunkt Kinderrechte engagieren. Sie gestellt. Anlass ist die Neu- können sich bei zum 31. März Dort erscheint auch die Zeit- fassung der zentralen Dienst- 2009 bewerben. schrift „Wochenschau“, konzi- vorschrift 10/1 „Innere Führung“, piert für die politische Bildung in die Bezug nimmt auf die politi- Informationen und Anmeldefor- der Schule. In den Ausgaben sche Bildung als Gestaltungsfeld mulare zum Wettbewerb gibt es 5/2008 geht es um „Eigentum“ der „Inneren Führung“, und der auf der neuen UNICEF-Jugendsei- für die Sekundarstufe I, die Aus- ZEV/1 „Politische Bildung in der te www.younicef.de, die den gabe für die Sekundarstufe II Bundeswehr“, die an den ver- Aktivitäten aller Kinder und konzentriert sich auf das Thema änderten Bedarf angepasst und Jugendlichen gewidmet ist, die „Rechtsextremismus“, seine ebenfalls neu herausgegeben sich für Kinderrechte einsetzen. gesellschaftliche Verortung und wurde. Informiert wird über Aktivitäten Begründung, seine Erscheinungs- der Juniorbotschafter, aber auch formen und fragt nach Möglich- Bezug: Bundesministerium für Vertei- Eltern und Lehrer können von keiten der Gegenwehr. digung, Presse- und Informations- der Seite viele Anregungen zur stab, www.if-zeitschrift.de Vermittlung der Kinderrechte zu Hause und im Unterricht ent- Bei der Landeszentrale für politi- nehmen. sche Bildung Baden-Württemberg

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Publikationen zur Jugend- Migration und Integration sind nenbildung herausgegeben wird, arbeit Thema von Nr. 2/2008 der Zeit- setzt sich mit dem Europäischen schrift „Dreizehn“, die heraus- Qualifikationsrahmen und seiner Nr. 12/2008 der Zeitschrift gegeben wird von Kooperations- Entsprechung auf der nationalen „deutsche jugend“ hat „Jugend verbund Jugendsozialarbeit. Ebene in Deutschland auseinan- und Geschlecht“ zum Schwer- der. In den Beiträgen wird ver- punkt. Es geht um Perspektiven Sie ist zu beziehen über die Stabs- sucht, Verbindungen zwischen geschlechtsbezogener Kinder- stelle des Kooperationsverbundes den Qualifikationsrahmen und und Jugendarbeit, um die Bedeu- Jugendsozialarbeit, Chaussee- der Erwachsenenbildung herzu- tung des Geschlechts in der straße 128, 10115 Berlin. stellen und Perspektiven für die Gewaltprävention und um Erfah- Entwicklung dieser Qualifika- rungen aus der Genderarbeit. tionssysteme auf die Bildungs- Um Integration durch Bildung realität aufzuzeigen. Bezug: Juventa-Verlag, Ehretstraße 3, geht es in Nr. 2/2008 des Maga- 69469 Weinheim. zins der Bertelsmann Stiftung, Bezug: W. Bertelsmann Verlag, die unter dem Titel „Change“ [email protected] erscheint. Berichtet wird über Der Deutsche Bundesjugendring den Träger des Carl Bertelsmann hat eine neue Broschüre auf- Preises 2008, die Schulbehörde Gewerkschaften zur Weiter- gelegt, die unter dem Titel der Stadt Toronto, die bewiesen bildungspolitik „Beispielhaft: Frauen- und Mäd- habe, wie Integration auch in chenförderung in der Jugend- einem schwierigen Umfeld Die gewerkschaftliche Initiative verbandsarbeit“ Projektbeispiele gelingen könne. Zudem ist ein „Bundesregelungen für die aus der Jugendverbandspraxis Expertengespräch zwischen der Weiterbildung“, die von den präsentiert. Sie kann kostenlos Integrationsbeauftragten der Gewerkschaften ver.di. IG-Metall beim Deutschen Bundesjugend- Bundesregierung, Prof. Dr. Maria und GEW getragen und von ring unter www.bestellung.dbjr.de Böhmer, und Dr. Johannes Meyer Bildungsexperten unterstützt bezogen werden. zum Thema „Integrationsgerech- wird, hat in einer Broschüre ihr tigkeit“ dokumentiert. Konzept für die Weiterbildungs- politik in Deutschland vorgelegt. Der Hessische Jugendring ist Her- Bezug: Bertelsmann Stiftung, Ausgehend von den veränderten ausgeber einer Publikation, in der Postfach 6305 3306 Gütersloh. Rahmenbedingungen, die sich Jugendverbände als zivilgesell- durch neue Anforderungen an schaftliche Akteure in der Ausein- Weiterbildung, die Folgen der andersetzung mit lokalem Rechts- Die Zeitschrift „Sozial Extra“ Föderalismusreform und den extremismus vorgestellt werden. hat in ihrer letzten Ausgabe Einfluss der EU-Bildungspolitik Es handelt sich dabei um das Er- im Jahr 2008 die Situation von ergeben haben, wird ein gebnis eines Projekts, das als Reak- Flüchtlingen aus Katastrophen- „Weiterbildungsnotstand“ tion auf rechtsextremistische Um- und Krisengebieten thematisiert konstatiert, dem durch eine triebe in drei mittelhessischen und auf Möglichkeiten hin- andere Weiterbildungsstrategie Gemeinden entwickelt wurde. gewiesen, wie diesen Menschen begegnet werden soll. Die Initia- bei der Bewältigung des Erlebten tive fordert unter anderem ein Bezug: www.hessischer- geholfen werden kann. Bundesgesetz als Voraussetzung jugendring.de einer öffentlichen Weiterbil- Bezug: VS Verlag für Sozialwissen- dungspolitik, die die Weiterbil- schaften, dungslandschaft aktiv gestalten Über diese Web-Adresse ist auch Abraham-Lincoln-Straße 46, solle, statt alles dem Markt zu die Publikation „Integrations- 65189 Wiesbaden. überlassen. lotsen für die Jugendverbands- arbeit“ erhältlich, die eine inter- Bezug über die Koordinierungsstelle: kulturelle Trainingsreihe doku- DIE-Zeitschrift zum Thema Mechthild Bayer, ver.di - Bundes- mentiert, die zusammen mit dem EQF und DQF verwaltung, Ressort 11 - Bildung, Hessischen Sozialministerium und Wissenschaft und Forschung, Bereich dem Amt für multikulturelle Die letzte Ausgabe des Jahrgangs Weiterbildungspolitik, Paula-Thiede- Angelegenheiten der Stadt 2008 der Zeitschrift DIE, die vom Ufer 10, 10179 Berlin. Frankfurt/M. realisiert wurde. Deutschen Institut für Erwachse-

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AKSB – Konvention über Fachwissenschaft zu zentralen zur Entwicklung Europas beitra- katholisch-sozialorientierte Aspekten der AKSB-Konvention gen und was sie unter bestimmten politische Jugend- und und zu den gesellschaftlichen innovativen Bedingungen und Erwachsenenbildung und politischen Zielen. Dynamiken einbringen können. Dazu wurden Projekte des for- Die Arbeitsgemeinschaft katho- Bezug: Arbeitsgemeinschaft mellen und informellen Bildungs- lisch-sozialer Bildungswerke katholisch-sozialer Bildungswerke, sektors mit konkretem Europa- beschloss vor zehn Jahren eine Heilsbachstr.6, 53123 Bonn. bezug erhoben und analysiert. „Konvention über katholisch- Zu den Ergebnissen der Studie sozialorientierte politische informiert die Töpfer Stiftung Jugend- und Erwachsenen- Materialien zur internatio- unter: www.toepfer-fvs.de/euro- bildung“, die das Selbstverständ- nalen und interkulturellen pa-integration.html?+L=0 nis der in der AKSB zusammen- Begegnung geschlossenen Träger formuliert und die gemeinsame Arbeits- Die Alfred Töpfer Stiftung F.V.S. Die Bundesarbeitsgemeinschaft grundlage bildet. Diese Konven- beauftragte ein Wissenschaftler/ der katholischen Jugendsozial- tion wurde in einem Reflexions- -innen-Team um Prof. Dr. Alexan- arbeit (BAG KJS) hat eine Hand- prozess auf ihre Aktualität hin der Thomas, Universität Regens- reichung zum Thema „interkultu- überprüft, die bisherigen Ergeb- burg, mit der Erarbeitung einer relle Öffnung“ vorgelegt. Sie soll nisse wurden im Rahmen eines Studie zu „Realität und Innova- Trägern und Einrichtungen als Werkstattheftes veröffentlicht. tion in der europäischen Begeg- Praxishilfe dienen und ist zu Dieses Heft erscheint unter dem nung“. Untersucht werden sollte, beziehen bei der Geschäftsstelle Titel „Unter dem Puls der Zeit“ was europäische Begegnungen, der BAG KJS: riegel@jugensozial- und enthält Stellungnahmen der speziell von jungen Menschen, arbeit.de.

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Außerschulische Bildung 4-2008 Die Außerschulische Bildung wird als Fachzeitschrift für politische Jugend- 39. Jahrgang und Erwachsenenbildung vom Ar- beitskreis deutscher Bildungsstätten Materialien zur politischen Jugend- und Erwachsenenbildung – (AdB) herausgegeben. Verband, Her- Mitteilungen des Arbeitskreises deutscher Bildungsstätten e. V. ausgeberin und Herausgeber, Redak- tionsbeirat und die Redakteurin Herausgeber: möchten dadurch Arbeitskreis deutscher Bildungsstätten e. V., vertreten durch Dr. Paul Ciupke und Ulrike Steimann ■ zur fachlichen und wissenschaft- lichen Reflexion der Praxis politi- Redaktion: scher Jugend- und Erwachsenen- Ingeborg Pistohl bildung beitragen und damit die Professionalität pädagogischen Redaktionsbeirat: Handelns stärken, Ina Bielenberg, Gertrud Gandenberger, Dr. , Wolfgang Pauls, Dr. Melanie Piepenschneider, Imke Scheurich ■ aktuelle und relevante Themen aus Politik und Gesellschaft auf- Namentlich gekennzeichnete Beiträge entsprechen nicht unbe- greifen und im Hinblick auf ihre dingt der Meinung des Herausgebers/der Herausgeberin und der Behandlung in der politischen Bil- Redaktion. dung aufbereiten,

Redaktionschluss: ■ Beispiele der Bildungsarbeit öf- 1. Dezember 2008 fentlich machen und ein Schau- fenster des Arbeitsfeldes bieten, Redaktions- und Bezugsanschrift: AdB, Mühlendamm 3, 10178 Berlin, ■ theoretische und fachliche Diskus- Tel. (0 30) 400 401-11 u. 12 sionen in Beziehung setzen und www.adb.de die Diskurse in der Profession und E-Mail: [email protected], den wissenschaftlichen Bezugs- [email protected] disziplinen jeweils miteinander bekannt machen, Herstellung: Druckcenter Meckenheim/Brandenburgische ■ Methoden der politischen Bildung Universitätsdruckerei und Verlagsgesellschaft vorstellen, Potsdam mbH ■ neue fachbezogene Publikationen ISSN 0176-8212 und Medienproduktionen präsen- tieren und in ihrer Relevanz für Bildnachweis: die Bildungsarbeit einschätzen, Copyrighthinweise s. Fotos. Die Abbildungen von Wikipedia ste- hen unter der GNU Free Documentation License. ■ über bildungs- und jugendpoliti- sche Entwicklungen in Bund und Bezugsbedingungen (gültig ab Ausgabe 1-2003) Ländern berichten, Einzelheft € 6,00 1-3 Abonnements (jährlich) € 16,00 ■ Nachrichten aus dem AdB und an- ab 4 Abonnements (jährlich) € 12,00 deren Fachverbänden verbreiten. Abonnements für Studenten, Prakti- kanten, Referendare, Arbeitslose (jährlich) € 12,00 (bitte jährlich Bescheinigung übersenden) (zuzüglich Porto)

Die Mitglieder des Arbeitskreises deutscher Bildungsstätten er- halten je ein Exemplar kostenlos.

Diese Zeitschrift wird maßgeblich durch Mittel des Bundesminis- teriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend gefördert und von der Landeszentrale für politische Bildung Nordrhein-West- falen unterstützt.

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Außerschulische Bildung 4-2008 ISSN 0176-8212 Zukünfte denken Demokratie organisieren als Werkstätten der Beteiligungsprozesse politische Stiftungen Politikberatung durch politische Bildung Deliberation und überholt? Ist utopischesDenken 4-2008