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Einzelheft 19. Jahrgang 3,– Euro Heft 3/2012

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Anz_Brecht_SPD_A5.indd 1 12.03.2009 9:34:14 Uhr Inhalt

Editorial . 2 Rezensionen Impressum...... 2 Von den entzückenden Widersprüchen der Welt...... 43 Begegnungen Von Jürgen Schebera „Es war eine stille, kleine Hochzeit“...... 3 Begutachtung eines gespaltenen Verhältnisses: Von Dirk Heißerer und Anton Löffelmeier Brecht und die DDR...... 45 „Wir waren Emigranten!“ Paula Ludwig Von Paul Sharratt erinnert sich an Bert Brecht. 10 Nachruf Ein Text aus dem Nachlass von Ernst Schumacher gestorben...... 47 Paula Ludwig...... 13 Von Stephan Dörschel Von Ulrike Längle Leserbrief aus Schweden ...... 19 In Kürze Selbstinszenierung bei Benn und Brecht . . 20 Mitteilung des Brecht-Archivs...... 1 Von Mathias Mayer CALL FOR PAPERS: The Creative Spectator – Karambolage und Dialog...... 44 Brecht international Santa Monica: Brecht-Haus nicht gefährdet 48 Ungewöhnlich viel Brecht in Norwegen . 23 Von Finn Iunker China re-importiert Brechts „Kreidekreis“. 29 Von Michael Friedrichs

Theater Trommeln in der Nacht – Das Gastspiel Mitteilung des Brecht-Archivs der Münchener Kammerspiele in Augsburg 1922...... 30 Im Bertolt-Brecht-Archiv gibt es personelle Von Dirk Heißerer Veränderungen. Dorothee Aders und Uta Kohl haben das Archiv verlassen. Iliane Brecht und Musik Thiemann, die bereits seit einem Jahr halb- „Die Standarte des Mitleids“: Ein Nachtrag 32 tags im Handschriftenbereich gearbeitet hat, ist seit dem 1. Juni auf einer Vollzeit- Von Mautpreller und Joachim Lucchesi stelle. Neu im Team ist Anett Schubotz. Brecht im Netz Anett Schubotz: Foto-Archiv, AVM, Sekre- tariat / 030 20057-1831, [email protected] Brecht on Wiki...... 33 Helgrid Streidt: Bibliothek / 030 20057- Von Benutzer:Mautpreller 1834, [email protected] Festival Iliane Thiemann: Handschriften / 030 20057-1847, [email protected] Kultur für alle. 40 Dr. Erdmut Wizisla: Archivleiter / 030 / Von Jan Knopf 20057-1832, [email protected] (ew)

Dreigroschenheft 3/2012  Editorial Impressum

Eine Reihe von Funden prägt dieses Heft. Dreigroschenheft Es beginnt mit einer Entdeckung im Stadt- Informationen zu Bertolt Brecht archiv München zur Eheschließung Brecht- Gegründet 1994 Herausgeber 1994-2009: Kurt Idrizovic Zoff 1922, gefunden und interpretiert von Dirk Heißerer und Anton Löffelmeier. Erscheint vierteljährlich zu Quartalsbeginn Einzelpreis: 3,- € Die Erinnerungen der weitgehend verges- Jahresabonnement: Inland: 15,- €, Ausland: 20,- € senen Dichterin Paula Ludwig an Brecht, Anschrift: zur Verfügung gestellt und erläutert von Wißner-Verlag GmbH & Co. KG Dr. Ulrike Längle, sind ebenfalls eine Ar- Im Tal 12, 86179 Augsburg chivquelle, die lesenswert ist. Telefon: 0821-25989-0 www.wissner.com [email protected] Mathias Mayer hat sich in einem Vortrag [email protected] bei der Jahrestagung der Gottfried.Benn- www.dreigroschenheft.de Gesellschaft dem Verhältnis Benn-Brecht Bankverbindung: Wißner-Verlag GmbH & Co. KG gewidmet und ist dabei auf Unbekanntes Stadtsparkasse Augsburg Kto.-Nr. 28 24 1 BLZ 720 500 00 Swift-Code: AUGSDE77 gestoßen – wir dokumentieren Auszuüge IBAN: DE15 7205 0000 0000 0282 41 aus seinem Vortrag. Redaktionsleitung: Auf die großen Anstrengungen der Wikipe- Michael Friedrichs (mf) dia-Gemeinde in Sachen Brecht sind wir in Wissenschaftlicher Beirat: Heft 1/2012 aufmerksam geworden (Entde- Dirk Heißerer, Joachim Lucchesi, Mathias Mayer, ckung der musikalischen Quelle der „Stan- Werner Wüthrich darte des Mitleids“). Wir haben den Autor, der in Wiki als „Mautpreller“ schreibt, Autoren in dieser Ausgabe: Stephan Dörschel, Dirk Heißerer, Michael Friedrichs, Finn gebeten, uns Hintergrundinformationen Iunker, Jan Knopf, Ulrike Längle, Anton Löffelmeier, Joachim über die Schreib- und Korrekturabläufe zu Lucchesi, Mautpreller, Mathias Mayer, Jürgen Schebera, Paul geben, die zu immer zuverlässigeren und Sharratt, Erdmut Wizisla umfassenderen Informationen im Netz führen. Vielleicht kann dieser Artikel dazu Titelbild: Chinesische Kreidekreis-Inszenierung als Sichuan-Oper zu beitragen, dass einige Brecht-Spezialisten Gast bei den Wiesbadener Maifestspielen ihr Wissen dort zur Verfügung stellen? (Foto © Chongqing Sichuan Opera Theatre)

Das internationale wissenschaftliche und künstlerische Interesse an Brecht zeigt sich Druck: Druckerei Joh. Walch, Augsburg diesmal insbesondere an den Beispielen ISSN: 0949-8028 Norwegen, China und Großbritannien.

Eine ganze Reihe von Autoren, deren Bei- Gefördert durch die träge druckreif vorliegen, mussten wir auf Stadt Augsburg die nächste Ausgabe vertrösten – wir bitten sie und auch unsere Leser um Geduld. Gefördert durch den Bert Brecht Kreis Lesen Sie wohl! Ihr Michael Friedrichs Augsburg e.V.

 Dreigroschenheft 3/2012 „Es war eine stille, kleine mit den Unterschriften der Brautleute und ihrer beiden Trauzeugen ist nun neuer- Hochzeit“ dings auch im Original zusammen mit bis- lang unbekannten Beilagen im Stadtarchiv Ein Quellenfund im Stadtarchiv München einsehbar. (Abb. 1) Begegnungen München zu Brechts Eheschließung 1922 mit Marianne Zoff (sowie zur Hintergründe: Neues Personenstandsrecht Scheidung 1927) Den originalen Eintrag im Heiratsregister des Standesamtes München I konnte die Von Dirk Heißerer und Anton Löffelmeier Brecht-Forschung lange nicht zur Kennt- nis nehmen, da nach dem bis vor kurzem Am 3. November 1922 haben sich der 24- geltenden Personenstandsrecht für die Ein- jährige Bühnenschriftsteller Eugen Bertold sichtnahme in standesamtliche Register [sic] Friedrich Brecht (1898-1956) und die und Akten ein streng reglementiertes Ver- 29-jährige Opernsängerin Marianne Jose- fahren galt. Der Zugang war in der Haupt- phine Zoff (1893-1984) vor dem Standes- sache an die direkte Abstammung von der amt München I zivilrechtlich trauen las- gesuchten Person gebunden und sah für sen. Dass der 38-jährige Schriftsteller und die wissenschaftliche Auswertung nur eine Doktor der Philosophie Lion Feuchtwanger Kann-Möglichkeit vor, die von vielen Stan- (1884-1958) und der 22-jährige Student der desämtern eher restriktiv gehandhabt wur- Medizin Otto Müller-Eisert (1900-1967) de. Als historische Quelle konnten die stan- als Trauzeugen zugegen waren, wusste man desamtlichen Register daher nicht intensiv bislang durch zwei Quellen. Marianne Zoff- genutzt werden. Brecht-Lingen gibt in einem Interview aus dem Jahr 1981 an: „Es war eine stille, kleine Von der Forschung weitgehend unbeach- Hochzeit. Lion Feuchtwanger und Brechts tet trat am 1. Januar 2009 eine Reform des Schulfreund Müller-Eisert fungierten als Personenstandsrechts in Kraft, welche di- Trauzeugen. Wir hatten zwei Zimmer in ese Überlieferung nun zu großen Teilen der Akademiestraße, ein paar Möbel und der Wissenschaft zugänglich machte. So eine ungewisse Zukunft.“ Und Werner legte das am 19. Februar 2007 vom Bundes- Hecht führt in seiner Brecht Chronik 1997 tag verabschiedete Gesetz zur Reform des das „Aufgebotsverzeichnis Nr. 1862“ vom Personenstandsrechts fest, dass die bisher 3. November 1922 an, das als Kopie des geführten sogenannten „Primärbeurkun- Standesamts München aus dem Jahr 1966 dungen“ (Ehe-, Lebenspartnerschafts-, Ge- im BBA vorhanden ist. Dieses Dokument burts- und Sterberegister) zwar erhalten bleiben, aber ab Inkrafttreten des Gesetzes  StadtAM, Standesamt München 1538 (Heiratsregi- nur in elektronischer Form und auch nur stereintrag Standesamt München I, 1893/1922). für einen begrenzten Zeitraum geführt wer-  Marianne Zoff-Brecht-Lingen erzählt Willibald Eser den sollten. Sah der Gesetzgeber für die Ein- über ihre Zeit mit Bert Brecht. In: Paula Banholzer: So viel wie eine Liebe. Der unbekannte Brecht. Er- führung der elektronischen Register noch innerungen und Gespräche, hrsg. von Axel Poldner eine Übergangsphase bis zum 31. Dezem- und Willibald Eser. München 1981, S. 153–193, ber 2013 vor, so hatte die Neueinführung hier S. 171. Vgl. Hiltrud Häntzschel: „Serbati fido! von Fortführungsfristen (Geburtenregister: – Bleibe getreu mir! Marianne Zoff.In: Dies.: Brechts Frauen. Reinbek bei Hamburg 2002. S. 37–64, hier S. 110 Jahre, Ehe- und Lebenspartnerschafts- 54. register: 80 Jahre, Sterberegister: 30 Jahre;  Vgl. Werner Hecht: Brecht Chronik 1898–1956. Frankfurt a. M. 1997, S. 148 f.; BBA Z4/106; 107-  Personenstandsreformgesetz (PStRG), BGBl., 108. S. 122–148. Dreigroschenheft 3/2012  Begegnungen

Abb. 1: Standesamt München I. Heiratsurkunde Nr. 1893 vom 3. November 1922. 1 Bl., 2 S. Mit den Unterschriften der Brautleute Brecht-Zoff und der Trauzeugen Dr. Lion Feuchtwanger und Otto Müller Eisert (rechts vergrößert). StadtAM, Standesamt München 1538.

 Dreigroschenheft 3/2012 § 5 PStRG) unmittelbare Konsequenzen für zenden Unterlagen und zusätzlichen Infor- die Tätigkeit der Standesämter, die bisher mationen, die Ansätze für weitergehende die Register wie auch die in Zusammen- und vielfältige Auswertungen bieten. Sam- hang mit der Beurkundung angefallenen melakten zu den Heiratsregistern sind ge- Dokumente (abgelegt in Sammelakten) seit nerell durchaus umfänglich und enthalten Begegnungen Einführung im Jahr 1876 ständig fortge- neben den Unterlagen zum aktuellen Per- schrieben und selbst aufbewahrt hatten. sonenstand der Beteiligten auch Nachweise über vergangene und zukünftige personen- Vom Stichtag an hatten die Standesämter standsrelevante Ereignisse. nun die nicht mehr fortzuführenden Per- sonenstandsregister, die Sicherungsregister Das Aufgebot und die Sammelakten nach den jeweiligen archivrechtlichen Vorschriften den zu- Damit wären wir wieder bei dem zukünf- ständigen öffentlichen Archiven zur Über- tigen Ehepaar Brecht-Zoff angelangt. Am nahme anzubieten (§ 7 Abs. 3 PStRG). 31. Oktober 1922 erschienen „Eugen Ber- Allerdings gewährte der Gesetzgeber den told Friedrich Brecht / Bühnenschrift- Archiven einen gewissen Handlungsspiel- steller“, geboren am 10. Februar 1898 zu raum in der Bewertung der angebotenen Augsburg, und „Marianne Josephine Zoff / Unterlagen, da die in Buchform geführten Opernsängerin“, geboren am 30. Juni 1893 Register „dauernd“ aufzubewahren waren, zu Hainfeld (Bezirk Lilienfeld in Niederö- während dem in Zusammenhang mit den sterreich), vor dem Standesamt München I Eintragungen angefallenen Schriftwechsel, und beantragten unter den Nummern den sogenannten Sammelakten, nur eine „Heiratsregister Nr. 1893/1922“ und „Auf- „begrenzte“ Aufbewahrungsfrist zugestan- gebotsverzeichnis Nr. 1862/1922 mit 8 Bei- den wurde. Bei letzteren endet die Pflicht lagen“ das Aufgebot für ihre Eheschließung zur Aufbewahrung mit Ablauf der für das am 3. November. Dieses bislang unbekann- jeweilige Register genannten Frist. Bewertet te Aufgebot zeigt anhand der acht ebenfalls also ein Archiv die angebotenen Sammelak- unbekannten Beilagen einen gewissen Vor- ten als „nicht archivwürdig“, sind diese lauf für die Eheschließung. durch das Standesamt datenschutzgerecht zu vernichten. So datiert das früheste Dokument, der „Ge- burts= und Taufschein“ von „Zoff / Ma- Erste Stichproben in der Sammelakten­ rianne / Josefine“ des Pfarramts „Hainfeld überlieferung der beiden Münchner Standes­ in Nieder-Oesterreich“ vom 14. März 1921 ämter (die Stadt Pasing hatte sich bei der (wenn auch ergänzt durch einen Zahlungs- Eingemeindung 1938 das Fortbestehen eines stempel vom „8.IX.1922“). Das bedeutet eigenen Standesamtes vertraglich zusichern wohl, dass Marianne Zoff, die im März 1921 lassen) führten bei den damit befassten Ar- chivaren des Stadtarchivs München sehr  Vgl. hierzu Anton Löffelmeier: Besaß Kurt Eisner rasch zu der Auffassung, die Sammelakten die bayerische Staatsangehörigkeit? – Zum Quellen- wert standesamtlicher Sammelakten. In: Archive in insgesamt zu übernehmen. So wurden im Bayern, Band 6 (2010), S. 393–414. September 2009 insgesamt 580 Meter Per-  Hier und im Folgenden angeführt und zitiert nach: sonenstandsregister und Sammelakten in StadtAM, Standesamt München 4757. Die im BBA das Stadtarchiv übernommen. Vor allem verwahrten Dokumente, die vom Standesamt Augs- burg 1966 beglaubigte Geburtsurkunde Brechts vom die in den Aktensammlungen zu den Hei- 10.2.1898 (BBA 2803), der „Geburts=Schein“ (BBA rats- und Sterberegistern enthaltenen Do- Z 4/114) und der „Taufbuch“-Auszug des Evang.- kumente und Schriftwechsel offenbarten Luth Kirchengemeindeamts in Augsburg vom eine reichhaltige und dichte Fülle an ergän- 21. Juni 1966 (BBA Z4/104) sind mit den Beilagen nicht identisch. Dreigroschenheft 3/2012  Begegnungen

Abb. 2: Hofrat Dr. Alexander Dillmann: Brief an das Standesamt München I. München, 31. Oktober 1922. 1 Bl., 2 S. Beilage 8 zur Heiratsregister-Nr. 1893/1922 des Standesamtes München I. StadtAM, Standesamt München 4757.

zum ersten Mal von Brecht schwanger gewe- gehörigkeitsausweis / (Zur Benutzung im sen war, damals schon die Vorbereitungen Inland.)“ für den „Studirend[en] / Herr[n] für die Hochzeit treffen wollte, gegen die Eugen Bertold Friedrich Brecht […] Augs- sich Brecht freilich sträubte, bevor Marian- burg, den 21. August 1922“ sowie ebenfalls ne Zoff ihr Kind „Anfang der zweiten Mai- das „Familienstandszeugnis“ der Polizeidi- woche 1921“ verlor und sich das ‚Problem‘ rektion München vom 24. August 1922 für damit vorerst von selbst erledigte. „Eugen Berthold Brecht“ mit dem selben Vordruck „dahier im Aufenthalt und soviel Die zweite Beilage ist das „Familienstands- bekannt ledig“. zeugnis“ der Polizeidirektion München vom 17. August 1922 für „Josephine Ma- Zweisprachig, tschechisch-deutsch, ist so- rianne Zoff“ mit dem Vordruck „dahier dann das „Ehefähigkeitszeugnis“ der „Poli- im Aufenthalt und soviel bekannt ledig“. Es tischen Bezirksverwaltung“ in Brünn-Brno folgt vom „Freistaat Bayern“ der „Staatsan- (wohin der ehemals im österreichischen  Vgl. Häntzschel: Brechts Frauen (Anm. 2), S. 45–48. Kronland Niederösterreich gelegene Ge- Zur „Wiesbadener Episode“ Marianne Zoffs und burtsort Hainfeld zugehörig war) für Ma- Brechts vom Oktober 1921 vgl. DGH 1/2006, S. 35– rianne Zoff vom 14. September 1922. Das 45.  Dreigroschenheft 3/2012 Standesamt Augsburg hat schließlich am und kann ohne Berufsstörung und grosse 16. September 1922 den „Geburtsschein / Kosten nicht so rasch wieder hierherkom- Geburtsregisternummer 325“ für „Eugen men. Eine frühere Stellung des Gesuches war Berthold Friedrich Brecht“ ausgestellt. aber nicht möglich, weil die Beibringung der Begegnungen erforderlichen Papiere der Braut (aus der Formell hatten die Brautleute damit alle er- Tschechoslowakei) so lange Zeit in Anspruch forderlichen Unterlagen beigebracht, Ehe- genommen hat.“ (Abb. 2) hindernisse bestanden nicht, die Aufgebots- verhandlung konnte damit abgeschlossen Dillmann bat daher „um geneigte Berück- werden. Das Eheaufgebot musste nun zehn sichtigung des Gesuches und möglichstes Tage lang an öffentlich zugänglicher Stelle Entgegenkommen an die Brautleute“. Dem ausgehängt werden, um eventuelle Ein- wurde unverzüglich Folge geleistet. Noch sprüche geltend machen zu können. Dieses am selben Tag reichte das Standesamt den Verfahren wollten die beiden jedoch nicht Antrag an das Referat V der Polizeidirek- einhalten. Sie legten einen Schriftsatz des tion (Gesundheitspolizei) weiter, das eben- Münchner Rechtsanwalts Hofrat Dr. Ale- falls noch am 31. Oktober dem Antrag der xander Dillmann (1878-1951) vor, in dem Brautleute stattgab und Dispens erteilte. dieser um die Verkürzung der Aufgebots- Am 2. November wurde das „Aufgebot / frist bat, und zwar in dem Umfange, „dass N. 1862“ im Rathausschaukasten öffentlich die Eheschliessung spätestens am Freitag, 3. ausgehängt und bereits einen Tag später, am oder Samstag, 4. November 1922 möglich Tag der zivilrechtlichen Trauung, wieder ist.“ Begründet wurde dieses Gesuch mit abgenommen. Die Kosten für das Aufge- zwei Argumenten: botsverfahren in Höhe von „M 8000 (Acht- tausend)“ (wir befinden uns bereits in der „1.) Die Braut befindet sich im 5. Monate der Frühphase der galoppierenden Inflation), Schwangerschaft (ärztl. Zeugnis in Anlage) wie sie auf der Rückseite des Dillmann’schen und hat infolgedessen ein besonderes Interes- Schreibens angegeben und von Brecht quit- se, dass der Tag der Geburt des Kindes nun tiert werden, hatten die beiden Eheleute zu möglichst lange vor dem Hochzeitstage liegt. tragen. (Abb. 3) Mit einem gewissen Amüse- ment mag der Leser zur Kenntnis nehmen, 2.) Der Bräutigam, der durch die erfolgreiche dass der religions- und kirchenkritische Uraufführung seines Stückes: ‚Trommeln Autor Bert Brecht an einem hohen evange- in deR Nacht‘ (Kammerspiele) bekannt lischen Gedenktag, dem Reformationstag, gewordene Bühnenschriftsteller Berthold das Aufgebot bestellte und dieses an einem Brecht, muss zur Vorbereitung der Erst- hohen katholischen Gedenktag (Allersee- aufführungen in etc. München auf len) öffentlich ausgehängt wurde. längere Zeit zu Beginn nächster Woche ver- lassen. Mit der Eintragung in das standesamtliche Er begibt sich dann zur Vorbereitung der ver- Heiratsregister war das administrative Ver- schiedenen in ganz Deutschland angesetzten fahren zu einem vorläufigen Abschluss Erstaufführungen auf ein längeres Reiseleben gekommen, die Dokumente wurden einst- weilen ad acta gelegt. Der von Rechtsanwalt  Dr. Dillmann war der Sohn des ehemaligen kgl. Po- Dillmann angegebene Grund für die bevor- lizeipräsidenten von München, Rechtsanwalt Alfred zugte Behandlung war zugleich der Grund Dillmann (1849-1924); vgl. Sylvia Krauss: Nachlässe im Bayerischen Hauptstaatsarchiv 1800 bis heute. für die Heirat überhaupt gewesen: Am München 2005, S. 84. Ein Nachlassbestand Alfred 12. März 1923 brachte Marianne Brecht in Dillmann ist auch im StadtAM im Umfang von 1,6 der Münchner Wohnung des Ehepaars an m erhalten und kann über ein Bandrepertorium er- der Akademiestraße15/0 die gemeinsame schlossen werden. Dreigroschenheft 3/2012  bekanntlich nicht lan- ge halten sollte. Brecht zog im Jahr 1924 nach Berlin und ging dort Begegnungen eine Liaison mit der Schauspielerin Helene Weigel (1900–1971) ein; am 3. November 1924 kam in Berlin der gemeinsame Sohn Stefan (1924–2009) zur Welt. Dass sich Marianne Zoff die Ehe mit Brecht anders vor- gestellt hatte, überlie- fert Marta Feuchtwan- ger (1890–1987). Auf ihren Einwand, wenn man mit einem Genie verheiratet sei, müsse man auf manches ver- zichten können, habe Marianne Zoff geant- wortet: „‘Ich will kein Genie […]. Ich will einfach einen Mann, der mich liebt.‘“ Die Ehe zwischen Brecht und Marianne Zoff en- dete drei Jahre später auch formal und wur- Abb. 3: Brecht mit seiner Frau Marianne, etwa 1922. (Fotograf unbekannt, hier de am 22. November reproduziert nach: Werner Hecht, Hrsg.: Bertolt Brecht. Sein Leben in Bildern und 1927 nach mündlicher Texten. Frankfurt a. M. 1988, Abb. 60, S. 49.) Verhandlung durch ein Urteil des Landgerichts Tochter Hanne Marianne, die spätere Han- Berlin III geschieden.10 Eine mit Beglaubi- ne Hiob (1923–2009), zur Welt. gungsstempeln versehene Abschrift davon sandte die Gerichtsschreiberei an das Stan- Scheidung 1927 desamt München I, das es der schon be- stehenden Aktensammlung hinzufügte. So Die Akte Brecht im Standesamt München erfahren wir nicht nur etwas zum formellen I erfuhr aber noch eine Ergänzung, da das Ende der Ehe, sondern auch zu den privaten von Anfang an durch die Doppelbeziehung Hintergründen der Scheidung, die nach Brechts zu Marianne Zoff und zu seiner dem damals geltenden Schuldprinzip für Jugendliebe Paula Banholzer (1901–1989), das richterliche Urteil heranzuziehen wa- der Mutter seines außerehelichen Sohnes Frank (1919–1943), äußerst fragwürdige  Marta Feuchtwanger: Nur eine Frau. Jahre. Tage. Eheglück noch aus einem zweiten Grund Stunden. München 1983, S. 151. 10 BBA 2179/12–14.  Dreigroschenheft 3/2012 ren. Demnach lebten die Ehepartner schon an seine Ehefrau Marianne, besonders von seit mehreren Jahren getrennt. Brecht hatte April bis Juni 1926, zu lesen, mit welcher im April 1926 „die Scheidungsklage ein- Intensität er darum kämpfte, die Tochter geleitet“, wie er seiner Frau schrieb11, und Hanne dem Umkreis seines Nebenbuhlers beantragt, Marianne Zoff aufgrund ihres Theo Lingen zu entziehen.14 Theo Lingen Begegnungen Verhältnisses mit dem Schauspieler Theo und Marianne Zoff heirateten Anfang 1928 Lingen (1903–1978) für den allein schul- und bekamen am 9. Februar 1928 in Ber- digen Teil zu erklären. Dem widersprach lin die Tochter Ursula. Brecht und Helene jedoch seine Ehefrau, da Bertolt Brecht seit Weigel wiederum heirateten am 1. April Jahren mit Helene Weigel zusammenlebe 1929 und bekamen am 18. Oktober 1930 und auch ein Kind, besagten Sohn Stefan, die Tochter Barbara.15 Brechts Tochter mit ihr habe. Theo Lingen sollte als Zeuge Hanne wuchs zwar bei ihrer Mutter und vernommen werden, machte jedoch von dem Stiefvater auf, doch auch als „Hanne seinem Zeugnisverweigerungsrecht ebenso Lingen“ gehörte sie 1931 und 1932 zu den Gebrauch wie Helene Weigel.12 Daraufhin Kindern und Freunden der Familie Brecht- sah das Gericht die beiderseitigen Ehebrü- Weigel, die die Sommerferien in Schondorf che als erwiesen an und beschloss, „die Ehe und Utting am Ammersee verbrachte.16 der Parteien auf Klage und Widerklage zu scheiden.“ Beide Parteien trügen die Schuld Der umfangreiche Quellenbestand an Ak- an der Scheidung, die Kosten des Rechts- ten der Münchner Standesämter ist noch streits wurden gegeneinander aufgehoben.13 nicht annähernd für alle möglichen Fra- Damit wurde die Akte Brecht beim Stan- gestellungen ausgewertet. Unstrittig ist je- desamt München endgültig geschlossen, im doch, dass in den Sammelakten eine über August 2009 gelangte sie in das Stadtarchiv längere Zeiträume kontinuierlich gebil- München und wird hier erstmals öffentlich dete Quellengattung vorliegt, die Ansätze vorgestellt. für vielfältige Auswertungsmöglichkeiten bietet. Im Fall des ersten bayerischen Mi- Interessant ist es, in den Briefen Brechts nisterpräsidenten Kurt Eisner konnte die Auswertung seiner beim Standesamt Groß- 11 Bertolt Brecht: Briefe an Marianne Zoff und Hanne hadern bzw. Standesamt München III ge- Hiob. Hrsg. von Hanne Hiob. Redaktion und An- führten Heiratsakten ebenfalls interessante merkungen Günter Glaeser. Frankfurt a. M. 1990, 17 S. 142. zeitgeschichtliche Bezüge aufzeigen. Für 12 Die Passage mit der „Zeugnisverweigerung“ der familiengeschichtliche, biographische, so- Weigel, wie sie das Urteil im BBA eindeutig anführt zialgeschichtliche, rechtliche und für all- (vgl. BBA 2179/13), fehlt allerdings seltsamerweise gemein historische Forschungen eröffnen in der Münchner Abschrift. 13 Ebd. Das von Hecht in seiner Brecht Chronik (1997) die Akten der Münchner Standesämter auf S. 239 zitierte „Protokoll vom 28. September 1928 jeden Fall wichtige neue Quellen. [sic], verkündet am 22. November 1927“, ist im BBA nicht nachweisbar. Dafür finden sich dort zur Dr. Dirk Heißerer ist Literaturwissenschaftler Scheidung 1927 noch folgende Dokumente: Brief und Sachbuchautor in München. von Brecht an Marianne Brecht-Zoff betr. Ehe- scheidungsklage, [April 1926] (BBA E 21/325-326, Anton Löffelmeier M. A. ist Archivamtsrat im „ich habe also die Scheidungsklage“; vgl. Anm. 11, Stadtarchiv München. S. 142–144, Nr. 134; GBA Bd. 28, S. 258 f., Nr. 318); Einverständniserklärung Marianne Brecht-Zoffs betr. Ehescheidungsklage und Rechtsvollmacht für Brecht, April 1926 (BBA E 21/336, von Brecht auf- 14 Wie Anm. 11, S. 142-160. gesetztes Schriftstück „ich bin damit einverstanden“, 15 Wie Anm. 11, S. 163. o. U.) sowie Brechts Tauf- und Geburtsurkunde (BBA 16 Vgl. die Erinnerungen von Hildegard Mahler in: Z 4/104-105, 114; BBA 2803). Freundliche Auskunft DGH 1/2008, S. 14–18. von Iliane Thiemann, BBA, vom 24.4.2012. 17 Wie Anm. 5, insbes. S. 401–406. Dreigroschenheft 3/2012  „Wir waren Emigranten!“ Paula Ludwig erinnert sich an Bert Brecht Begegnungen

Paula Ludwig Carl Zuckmayer! Carl Zuckmayer machte eine witzige Be- Unterschiede Brecht merkung. Aus war das Wiedersehen! Seine Frau Kannst Du Dir vorstellen, dass der Bert schrie: „Ich habe Hunger!“ Brecht, wenn er mich nach beiderseitigen Und alle Leute fanden das wahrscheinlich Irrfahrten 1956 in Düsseldorf wiedergese- auch sehr witzig. hen hätte, Ich aber stand da – total beschämt. kannst Du Dir vorstellen, dass der Bert Ich hatte immer meinen Freunden in Düs- Brecht mich nicht umarmt und bloß Unter- seldorf erzählt, was für ein Kamerad der schriften an die Leute gibt? Zuckmayer wäre usw. Und da stand ich da. Nun, nicht der Bert Brecht hat mich wie- Beschämt. dergesehen, sondern der medaillenge- Jedoch trösteten mich die Briefe von Bert schmückte, von dem Bürgermeister hoch Brecht. geehrte Dichter Carl Zuckmayer. Er ließ mir gleich durch den Suhrkamp- Verlag aus seinem eingefrorenen Konto  Bei dem vorliegenden Text handelt es sich um einen 100 DM zukommen und ließ mich wissen, Entwurf im Nachlass der Dichterin Paula Ludwig im Franz-Michael-Felder-Archiv der Vorarlberger dass er mir einen Ruf nach Ostberlin ver- Landesbibliothek in Bregenz (N10:A:4:68) auf neun schaffen könnte, falls mir nicht der Urwald einseitig mit Kugelschreiber beschriebenen Blättern; Düsseldorf besser gefiele! das letzte Blatt wurde nicht abgedruckt, da es dort Ach Bert Brecht! nicht mehr um Brecht geht. Zur besseren Lesbarkeit wurde die Rechtschreibung normalisiert, Satzzei- Ich wartete in Düsseldorf auf meinen Sohn, chen ergänzt und offensichtliche Flüchtigkeitsfehler der noch in Brasilien war. korrigiert. Im Original stehen statt der Beistriche Ach Bert Brecht! Dieses Düsseldorf! meist Gedankenstriche. Als ich von Deinem Tod erfuhr, hatte  Von Paula Ludwig mit Rotstift dazugeschrieben 10 Dreigroschenheft 3/2012 Du bist jetzt ein berühmter Dichter geworden! Aber für mich warst Du das schon im- mer. Als ich Dich zum ersten Begegnungen Mal im „Alt Wien“ sah, dem Gasthaus neben der „Akropo- lis“ 1920 oder 21, sagten mir Freunde – damals waren alle Menschen Freunde – : „Da sitzt ein interessanter junger Dichter!“ (Waren wir wirklich so jung? Er und ich?!) Ich sagte: „Er sieht aus wie eine Ameise!“ (Und wirklich – dieses mein naives Urteil hatte etwas in sich. Schließlich entschloss sich Bert Brecht zum Ameisentyp!) Aber damals, 1920, dachte überhaupt Paula Ludwig beim Bügeln (1927) (Zeitungsausschnitt Nachlass Paula noch niemand an irgendetwas. Ludwig, Franz-Michael-Felder-Archiv, Bregenz) Jedenfalls ich nicht. Zur sel- ben Zeit lernte ich Zuckmayer ich zum ersten Mal im Leben einen – wie kennen. Bei Lotte Pritzel, und ich saß auf sagt man? – einen Nervenzusammenbruch? seinem Schoss und alle sagten: Er hat den Oder wie sagt man? Preis gewonnen! Jedenfalls, Bert Brecht, verbindet sich mit Beide Hengste habe ich sozusagen aus der Nachricht Deines Todes ein mir unver- den Augen verloren. gesslicher, grässlicher Daseinsschwund. Aber ich traf sie wieder! Lieber Bert Brecht – es war furchtbar! Du lieber Himmel! Gar nicht, dass ich wegen Deines plötz- Manchmal frage ich mich heute, wie es lichen Todes so erschrocken wäre, 10, zwan- möglich ist, dass eine Nation von 50 Mil- zig Jahre lang wusste ich überhaupt nichts lionen Deutschen oder noch mehr doch über Deinen Verbleib, Du konntest doch nur ein paar Leute mit Namen aufzuweisen längst gestorben sein, ich konnte längst ge- hat. storben sein. Wir waren Emigranten! Und fast alle habe ich gekannt. Zumin- Du, mein einzigster Freund noch in Eu- dest die Namhaften. ropa, schriebst mir, ludest mich ein nach Damals in München waren sie noch nicht Osteuropa – und da plötzlich bist Du tot! namhaft. Mit Dir verlor ich den letzten Freund! Der Johannes R. Becher hat mir später Lieber Bert! in Berlin erzählt, dass er und die ganze lite- Ich habe nicht das Gefühl, Dich verloren rarische Jugend mich im Geheimen angeh- zu haben, denn ich höre in der Luft Deine immelt hätten. Im Kaffee „Maria Theresia“. Verse an den Baum Green [sic!]. Die Nadesda saß da mit ihren Anbetern. Ich kann sie nicht zitieren, denn ich besitze Ich hatte keine Zeit. Ich guckte nur einmal keine Bücher und nur mein Gedächtnis. Je- rein. Und einmal brachte ich mein Friedel- doch das genügt. chen mit. Und da ging die Woge der Begeis- Lieber Bert Brecht! terung hoch.

Dreigroschenheft 3/2012 11 Das habe ich aber erst später durch den mich nicht daran, was wir da auf dem Ober- Johannes R. Becher erfahren. Den traf ich deck gesprochen haben. in Berlin, aber ich fand ihn höchst langwei- Der Teufel soll mich holen! lig. Vielleicht befand er sich in einem Über- Ich erinnere mich nicht daran, was wir Begegnungen gangsstadium. Ein Gedicht von ihm: auf dieser Fahrt gesprochen haben! Wahr- „Und füllet nichts scheinlich haben wir überhaupt nichts ge- die hohen Krüge mehr“ sprochen! hat mich nie verlassen. Auch später, als ich ihn in seinem Atelier J. R. Becher sagte zu mir: „Weißt Du – für in der Nürnbergerstrasse besuchte und er uns warst Du ganz einfach ‚das Ideal‘!“ mir zeigte: Dass diese jungen Dichter überhaupt von „Das ist wie eine Schiffskabine, ich bin auf mir Kenntnis nahmen, wusste ich nicht. hoher See. Ein Schreibtisch mit weißen Und was hätte es auch ausgemacht? Blättern.“ Der Johannes R. Becher Als der Flachslander sein Fest arrangierte, der Carl Zuckmayer lud er auch Bert Brecht ein. Die Männer der Bert Brecht sollten Alkohol mitbringen, die Frauen (der Arnold [sic!] Bronnen) Brötchen. Das war zufällig der Sonnabend Ja, wer hätte damals gedacht, dass diese jun- vor dem Sonntag, wo in den Kammerspie- gen Leute später tatsächlich etwas bedeuten len oder im Deutschen Theater die Erst- würden?! aufführung von Brechts „Baal“ stattfinden Zu meinem Leidwesen muss ich geste- sollte. Und siehe da: Als erster zu dem Fest hen, dass ich in keinen dieser Dichter ver- (das nicht ich, sondern Flachs arrangiert liebt war. Tut mir leid! hatte) erschien Bert Brecht mit sechs Mann Jedoch in Berlin – in Berlin! und vielen Flaschen. Ich genierte mich als Alle zogen damals nach Berlin! einzige Frau, jedoch kamen gleich viele, Ganz München zog damals 1923 nach Ber- viele. – Über dieses Fest muss ich ja extra lin. berichten. In Berlin ging es mir sehr schlecht. Bert Brecht erwischte mich und sagte: Das Romanische Kaffee war die Zuflucht „Ich kann nur mit dieser Person tanzen. Wir und Hoffnung. haben den gleichen Rhythmus.“ Wir hatten Im Romanischen Kaffee setzte sich der Bert zu sehr den gleichen Rhythmus. Wir waren Brecht an mein Tischchen. In Lederjacke uns ganz einfach zu verwandt! Und dann und sehr ameisenhaft schmal im Gesicht! musste ich Kaffee kochen, und da hieß es: Kein Gesicht für mich zum Verlieben. (Ich „Um 10 Uhr die Premiere von ‚Baal’“! liebte dämliche blauäugige usw.) Bert Brecht Der Bert Brecht hat nicht geschlafen, und ließ nicht locker. „Stürmisch die Nacht und wir schliefen auch nicht. Ein Verehrer von die See geht hoch Brecht, ein Arzt, nahm mich mit in seine Und die Haie schwimmen ums Riff.“ Wohnung und zeigte mir die Sammlung Heut muss ich sagen: Ich war damals eine von Totenköpfen, was mich nicht beson- Gans! ders beeindruckte. Dann spendierte er mir Bert Brecht ließ sich jedoch von meiner in einem Beisel einen Hering mit Bier, und Dämlichkeit nicht so schnell enttäuschen. danach brachen wir auf zum Deutschen „Wir fahren jetzt zum Alexanderplatz – Theater. Zur Matinee! (Ob’s die Kammer- oben auf dem Omnibus“. spiele waren oder das Deutsche Theater, da Ich fuhr mit Bert Brecht auf dem Verdeck fragt ihr mich vergeblich). des Omnibusses nach dem Alexanderplatz Wir kamen an und hatten große Angst! hin und zurück. Der Vorhang ging auf! Du kannst mich totschlagen, ich erinnere Bert Brecht saß im Dunkel

12 Dreigroschenheft 3/2012 spielte Gitarre und sang seinen Song von Baal Unvergesslich! Und dann Begegnungen die herrlichen Dekorationen von ! Und der Paul Bildt! Und der Homolka! Und die Blandine Ebinger Na, meine Lieben: Das war Theater! Gepfiffen haben sie und getrampelt und alles wie es sein soll! Und war der Bert Brecht nicht großartig? Nie vergesse ich seinen Song von Baal! Nach einer Nacht am Kurfürstendamm 177 war die Premiere von „Baal“! Als dann später die Premiere der „Drei- groschenoper“ stattfand, hatte ich es zu spät erfahren. Abgesehen davon hatte ich auch gar kein Geld, mir ein Billett zu kaufen. Ich fuhr aber mit dem Omnibus in die Nähe des Theaters und an der Kasse sagte ich zu Paula Ludwig mit japanischer Frisur, um 1920 (Foto dem Fräulein: Nachlass Paula Ludwig, Franz-Michael-Felder-Archiv, „Ich möchte noch ein Billett, doch kann ich Bregenz) es nicht bezahlen, ich war Schauspielerin!“ Die Person sah mich an und sagte: Ein Text aus dem Nachlass „Alles ist ausverkauft! Es gibt für gar kein Geld einen Platz mehr!“ von Paula Ludwig „Bitte“ – sagte ich und schrieb an Bert Brecht eine Zeile, Von Ulrike Längle „Wollen Sie bitte dem Regisseur dies über- mitteln?!“ Der vorliegende Text mit dem Titel „Unter- (Eigentlich war es von mir eine Zumu- schiede“, vermutlich um 1970 geschrieben, tung!) ist ein Stück autobiographische Prosa aus Die Person sagte: „Gehen Sie hinein, ein dem Nachlaß der Dichterin Paula Lud- Stuhl ist für Sie eingesetzt!“ wig (1900–1974), in dem sie sich an ihre Also saß ich im ersten Rang, auf einem Freundschaft mit Bertolt Brecht erinnert. Er Stühlchen, und erlebte die Premiere von der dürfte aus einem undatierten Briefentwurf „Dreigroschenoper“! an den Philologen und Verleger Manfred Schlösser (geb. 1934 in Darmstadt) hervor- Wir danken dem Rechteinhaber, Verlag gegangen sein, der ebenfalls im Nachlaß C.H.Beck, für die freundliche Abdruckge- enthalten ist und ähnliche Erinnerungen an nehmigung Brecht enthält. Schlösser war der Gründer der Zeitschrift „Agora“ und 1960 gemein-

 Franz-Michael-Felder-Archiv, Nachlaß Paula Lud- wig, N10:B1:19:1 Dreigroschenheft 3/2012 13 sam mit Hans-Rolf Ropertz des Agora-Ver- und verdiente ihren kärglichen Lebensun- lages in Berlin, in dem die von ihm und terhalt als Hausangestellte, Modell bei Franz Ropertz herausgegebene Anthologie „An Stuck und anderen Malern und Bildhauern den Wind geschrieben. Lyrik der Freiheit. und Souffleuse und Statistin in den- Kam Begegnungen Gedichte der Jahre 1933–1945“ erschienen merspielen bei Otto Falckenberg; gelegent- ist, die auch das „Fragment 1938“ („Wohin, lich erhielt sie auch selbst kleinere Rollen, wenn von Todesgeschossen verfinstert“) z. B. in Brechts „Trommeln in der Nacht“, von Paula Ludwig enthält. „Unterschiede“ die 1922 dort uraufgeführt wurden. Für liest sich anfangs ebenfalls wie ein Brief die Brecht-Forschung interessant dürfte die an ein ungenanntes Du, ab der Wendung Tatsache sein, daß sie Brecht selbst bereits „Ach Bert Brecht“, wo Paula Ludwig sich seit 1920 oder 21 kannte, wie sie in „Un- an die Nachricht von Brechts Tod erinnert, terschiede“ schreibt. Damals begann Paula wird der Verstorbene selbst als fiktiver Ge- Ludwig auch zu malen und ihre Einkünfte sprächspartner mit Du angesprochen und durch den Verkauf ihrer Aquarelle aufzu- die Nähe zu Brecht dadurch erhöht. Im bessern. 1919 lernte sie Wolf Przygode, den letzten und längsten Teil des Textes ab der Herausgeber der expressionistischen Zeit- Erwähnung des „Ameisentypus’“ werden schrift „Die Dichtung“, kennen, der ihre die Erinnerungen dann wieder objektiviert, Gedichte an Hermann Kasack weitergab, Ludwig spricht Brecht nicht mehr direkt an, den damaligen Lektor beim Roland-Verlag sondern erinnert sich an ihn – neben an- in München. 1919 (mit Impressum 1920) deren Schriftstellern wie Becher, Bronnen erschien dort ihr erster Lyrikband „Die seli- oder Zuckmayer – in der dritten Person. ge Spur“, in dessen Vorwort Kasack schrieb: Auch hier taucht wieder, wie anfangs, die „Zu den wenigen dichterischen Frauenge- Wendung an ein unbekanntes Du auf, wenn stalten unserer Zeit […], zu jenen, die wir es heißt: „Du kannst mich totschlagen, ich in den Namen Else Lasker-Schüler, Regina erinnere mich nicht daran, was wir da auf Ullmann, Henriette Hardenberg umschrei- dem Oberdeck gesprochen haben.“ ben mögen, tritt, bislang nur Freunden be- kannt, mit ihrem schmalen, doch einhellig Die am 5. Jänner 1900 auf dem verfalle- gerundeten Gedichtband: Paula Ludwig.“ nen Schlößchen Amberg bei Feldkirch als Tochter eines schlesischen Orgelbauschrei- Aus Anlaß des 1927 bei S. Fischer in Berlin ners und eines Dienstmädchens aus Ober­ erschienenen zweiten Gedichtbandes „Der österreich geborene Paula Ludwig hatte ihre himmlische Spiegel“ stellte Kasack in einem Kindheit in einfachsten Verhältnissen bis Artikel in der „Vossischen Zeitung“ eine 1909 in Feldkirch verbracht, zog dann mit Verbindung zwischen Ludwig und Brecht der Mutter nach Linz und nach deren Tod her: 1914 zum Vater nach Breslau, wo sie sich ihren Lebensunterhalt als Dienstmädchen „Eines Tages erhielt ich durch Zufall eine kleine selbst verdienen mußte. Durch ihre Arbeit Anzahl von Gedichten in einer Handschrift, als Ateliergehilfin in der Malschule Wasner  Paula Ludwig, Gedichte. Gesamtausgabe. Hrsg. von kam sie mit Künstlern in Kontakt und be- Kristian Wachinger und Christiane Peter. Eben- gann ab 1916 selbst zu dichten, in diesem hausen bei München: Langewiesche-Brandt-Verlag Jahr wurde sie auch Mitglied der „Breslauer 1986, Nachwort S. 292. Dichterschule“. 1917 brachte sie ihren Sohn  Zitiert nach „Aus tausend Spiegeln sehe ich mich an“. Paula Ludwig 1900–1974, Dichterin. Malerin. Siegfried, genannt Friedel, zur Welt, dessen Ausstellung des Vorarlberger Landesmuseums und Vater der Offizier und dichtende Drucke- des Franz-Michael-Felder-Archivs der Vorarlberger reibesitzer Walter Rose war. Ende 1917 zog Landesbibliothek Bregenz. Hrsg. von Helmut Swo- Paula Ludwig mit Friedel nach München zilek. Dornbirn: Vorarlberger Verlagsanstalt 2004, Ulrike Längle: Katalog, S. 269. 14 Dreigroschenheft 3/2012 deren Naivität bestechend war. Gedichte, Nach Berlin zog Paula Ludwig Mitte 1923, von einer ergreifenden Kraft und Einfalt der wie viele Künstler und Intellektuelle da- Sprache, die in ihrem ursprünglichen, allem mals. Zu ihren Bekannten dort zählten ne- Literaturbetrieb abseitigen Charakter einen so ben Brecht auch Tucholsky, Döblin, Benn, entscheidenden Eindruck hinterließen, wie ich Begegnungen ihn nur noch einmal von ungedruckten Ma- Ringelnatz und Ina Seidel. Anfangs war nuskripten empfangen habe; als ich, seinerzeit sie obdachlos und „wohnte“ praktisch im im Lektorat eines Verlages beschäftigt, mitten Romanischen Café. Einer von den „däm- in dem Wust von Durchschnittsbegabungen lichen Blauäugigen“, in die sie verliebt war, Lieder und Balladen eines damals noch ganz als Brecht sich mit einem Song aus „Ma- unbekannten Autors entdeckte, ein Theater- hagonny“ dort an sie heranmachte, dürfte stück war dabei, das ein Münchner Verlag zu Waldemar Bonsels gewesen sein, mit dem drucken sich weigerte: die ersten Manuskripte  sie schon seit der Münchner Zeit eine Li- von Bert Brecht.“ aison hatte. Dann hauste sie ärmlich in ei- Paula Ludwig und Bert Brecht hatten also nem Dachzimmer am Halleschen Tor. Bis einen gemeinsamen Mentor, Hermann Ka- 1927 bewohnte sie eine Atelierwohnung sack, dem sie beide einiges verdankten: Pau- am Kurfürstendamm Nr. 177, ab 1927 eine la Ludwig den Druck ihres ersten Gedicht- Mansarde am Kurfürstendamm 112. In bandes, Brecht den Erstdruck des „Baal“ dem Atelier am Kurfüstendamm 177 fand 1922 beim Gustav-Kiepenheuer-Verlag in das von ihr erwähnte Fest vor der Premiere Berlin, wo Kasack Lektor war. Und beide, von „Baal“ statt, Flachslander war ein Woh- und zwar nur die beiden, wurden von Ka- nungsnachbar. sack als absolute Ausnahmeerscheinungen in der zeitgenössischen Literatur wahrge- Die Berliner Premiere von Brechts „Lebens- nommen. lauf des Mannes Baal“ war am Sonntag, den 14. Februar 1926, als Matinee um 11h30 an Paula Ludwig verkehrte in München in der Jungen Bühne im Deutschen Theater. verschiedenen Zirkeln. Die oben erwähnte Regie führte Brecht selbst, das Bühnenbild Lotte Pritzel, eine Puppenmacherin, bei der stammte von Caspar Neher, Oskar Homol- sie Zuckmayer kennenlernte, war der Mit- ka spielte den Baal, Paul Bildt den Eckart, telpunkt eines solchen Kreises: Blandine Ebinger die Johanna. Über die Tu- multe bei der Uraufführung berichtet z. B. „Die mondäne Lotte Pritzel mit dem silbrigen auch Hans Henny Jahnn: Pagenhaarschnitt und dem Beinamen ‚Puma’ ist im damaligen München ein gesellschaftlich- „Die Aufführung begann mit großer Verspä- künstlerisches Ereignis der besondern Art. Sie tung. Der Raum war mit Spannung und Unge- erfreut sich einer modischen Prominenz als duld geladen, geradezu vergiftet. Es war heiß. Schöpferin von Wachspuppen, die Rilke ‚früh- Es war unnatürlich. Irgendwann, ich glaube, alt‘ nennt und denen Zuckmayer einen ‚kind- es war nach dem Gesang Orges […], brach der  lich-verderbten Zug‘ akkreditiert“ . Tumult aus. Baal war abgetreten, die Chan- sonette war allein auf der Bühne. Man pfiff, Bei ihr fanden auch berühmte Atelierfeste schrie, heulte, klatschte im Zuschauerraum. statt, an die sich etwa Erich Mühsam erin- Die Schauspielerin schwang sich aufs Klavier, nert hat. bearbeitete mit den Füßen die Tasten und sang dazu: ‚Allons, enfants de la patrie!‘ Der Lärm  Hermann Kasack, Mosaiksteine. Frankfurt a. M. wurde ungeheuer. Ich glaubte, eine Panik werde 1956, S. 249 ff., zitiert nach Ludwig, Gedichte Ge- ausbrechen.“ samtausgabe, Nachwort, S. 292.  Heide Helwig, „Ob niemand mich ruft“: Das Leben der Paula Ludwig. Ebenhausen bei München: Lan-  In: Sinn und Form 2, S. 425, zitiert nach Werner gewiesche-Brandt-Verlag 2002, S. 54. Hecht, Brecht Chronik 1898-1956. Frankfurt a. M.  Ebda. 1977, S. 197. Dreigroschenheft 3/2012 15 Die Premiere der Dreigroschenoper schließ- suchte sie damals und schilderte in einem lich ging am 31. August 1928 im Theater am Brief an den deutschen Bundespräsidenten Schiffbauerdamm mit sehr großem Erfolg Theodor Heuß, an den er sich um Hilfe über die Bühne.10 für Paula Ludwig wandte, ihre menschen- Begegnungen unwürdige Wohnung direkt über einem Brecht begegnete Paula Ludwig vielleicht Stall.12 Fathwinter stellte offenbar auch die auch im Salon des Schriftstellers, Drama- Verbindung zu Brecht her: Er schickte aus turgen und Übersetzers Fred Antoine An- Murnau Ende Oktober 1954 auch einen germayer (1889–1951), eines Österreichers. heftigen Brief an Dr. Dr. Wilhelm Gerst­ In Angermayers Gästebuch der Berliner acker, Mitarbeiter des Kreises Deutsche Be- Jahre 1922–1931 finden sich zwei Eintra- gegnung. Darin heißt es unter anderem über gungen von Brecht, eine vom August 1923 Paula Ludwig: und eine undatierte; die Eintragung von Paula Ludwig (mit Zeichnung) ist eben- „Vor zwei Jahren kehrte sie voller Hoffnungen falls undatiert. Andere Gäste Angermayers nach Europa zurück. Nun, – Zuckmayer, Tho- waren etwa Arnolt Bronnen, Georg Kaiser, mas Mann uam. wurden hier mit viel Tamtam Alfred Wolfenstein, Rudolf Leonhard, Yvan und Ehre empfangen und überhäuft. Paula Goll, Luigi Pirandello, Egon Erwin Kisch Ludwig fand der Herr Bundespräsident Prof. 11 Heuß (über sein Präsidialsekretariat) mit der oder Kurt Weill . einmaligen ‚Ehrengabe‘ von DM 500.– ab. Nach den geistigen Substanzen also mit einem Bett- Mit Bert Brecht teilte Paula Ludwig das lerpfennig, den man quasi in ein buntes Seiden- Schicksal der Emigration: Obwohl sie we- papier wickelte. Paula Ludwig haust in Ehrwald der Jüdin noch Sozialistin oder Kommuni- in einer Bude über einem Stall. Öffnet man stin war, aber die Nazis verabscheute, ver- die eine Tür, fällt man in den Misthaufen, bei ließ sie Berlin 1934 und zog nach Ehrwald der andern in den Heuschober. Die früheren in Tirol. 1938 floh sie über Zürich nach Pa- Freunde und Kollegen (auch Zuckmayer und ris, wo ihr Geliebter Yvan Goll lebte. 1940 Mann gehören mit Benn und vielen andern emigrierte sie über Spanien und Portugal dazu) kümmern sich nicht um sie oder fertigen sie mit den billigen Worten billiger Briefe par nach Brasilien, von wo sie erst 1953 nach distanc[e] ab. Die Dichterin Paula Ludwig – in Deutschland zurückkehrte. Ihre Rückkehr einer Reihe stehend mit Hesse, Binding, Huch, gestaltete sich schwierig: Literarisch war sie Seidel, Le Fort, Bertram, Jünger, Däubler, Rilke, fast vergessen, viele ihrer Freunde waren tot, Trakl, Lasker-Schüler, Brecht, Benn – vegetiert ihre materielle Situation miserabel. Dazu abseits der Welt in einem Stall und Kuhdorf, kamen Krankheiten und Alkoholprobleme. verhöhnt und verspottet von den Bauern dort In Paris, ihrer ersten Station, erfuhr sie vom und sucht immer mehr im Alkohol den Trost, Tod Yvan Golls, auch Bonsels war tot, dann den die Welt – welcher sie selber so viel gege- ben hat – ihr nicht zu geben geneigt ist. Wenig- zog sie zu Freunden nach Icking bei Mün- 13 chen, Götzis in Vorarlberg und Ehrwald. stens diese verrottete hiesige Welt!“ Ihre nächsten Stationen waren Krefeld und Fathwinter wollte sich eigentlich persönlich Düsseldorf, bevor sie sich 1960 mit ihrem 12 Vgl. Ulrike Längle, Paula Ludwig (1900–1974) Die Sohn in Wetzlar niederließ und schließlich andere Klage. In: Macht Literatur Krieg. Österreichi- 1970 nach Darmstadt übersiedelte. sche Literatur im Nationalsozialismus. Hrsg. von Uwe Baur, Karin Gradwohl-Schlacher, Sabine Fuchs Der Düsseldorfer Maler F. A. Th. Winter, unter Mitarbeit von Helga Mitterbauer. Wien Köln Weimar: Böhlau 1998, S. 442. der sich als Künstler Fathwinter nannte, be- 13 F. A. Th. Winter in Murnau an Dr. Dr. Wilhelm Ger- 10 Werner Hecht, Brecht Chronik, S. 252. stacker in Nürnberg, 28. Oktober 1954, Akademie 11 Fred Antoine Angermayer, Gästebuch der Berliner der Künste (AdK), Berlin, Bertolt-Brecht-Archiv, Jahre 1922–1931. Franz-Michael-Felder-Archiv, 746/09, 746/10. Für die Erlaubnis, aus diesem Brief MS:82:1. zu zitieren, danke ich dem Bertolt-Brecht-Archiv. 16 Dreigroschenheft 3/2012 an Brecht wenden und ihn bitten, sich um freuen, von Ihnen zu hören. 16 Paula Ludwig zu bemühen, die Brecht noch Herzlich, Ihr Brecht.“ aus Berlin kenne, bittet nun aber Gerstacker, Am 15. März 1955 antwortete Paula Lud- Brecht diesen Brief zu überreichen (der im wig: Bertolt-Brecht-Archiv erhalten ist): Begegnungen „Lieber Bert Brecht – ich war sehr glücklich „Da hier im Westen – obwohl nominell ja über Ihren Brief! Jedoch – diesem neuen Eu­ wohl so was wie Kultusministerien existieren ropa fühle ich mich nicht mehr gewachsen. Ich sollen – sich also niemand um Paula Ludwig sehne mich zurück in meinen Urwald. Seit zwei kümmert, wende ich mich an Bert Brecht mit Jahren bin ich jetzt hier und habe überhaupt der Bitte, von seiner Seite aus zu helfen. […] noch keinen Contact bekommen. Sitze dahier Er wird es verstehen, daß alle Umstände meine in diesem Nazidorf herum und höre die To- Formlosigkeit begreiflich machen und mir den- tenglöcklein läuten. Das ist meine ‚Heimkehr‘! noch glauben, daß ich noch heute von vielen Mir ist es nicht vergönnt – am neuen geistigen seiner großartigen Werke zehre und in meiner Leben teilzunehmen. Dazu gehört Geld.“17 Verehrung dieser seiner Werke der Hoffnung bin, daß seine Hand die helfendere sein wird In Brasilien habe sie durch ihre Malerei unter all den ‚Freunden‘, welche Paula Ludwig Geld verdient, hier lebe sie in völliger Isola- die ihre verweigern.“14 tion und Einsamkeit, ohne Anteil am Kul- turleben. Sie sei mit einer Mappe mit Zeich- Mit der „helfenderen Hand“ hatte Fathwin- nungen, gemalt mit der roten Erde Brasili- ter sich nicht getäuscht: Brecht antwortete ens, nach Europa zurückgekehrt. Über ihr Gerstacker am 3. Januar 1955: Emigrationsschicksal schreibt sie:

„Sehr geehrter Herr Dr. Gerstacker, vielen „Mein Sohn war vier Jahre im Conzentrati- Dank für Ihre Mitteilung über Paula Ludwig. onslager in Spanien. Ich habe ihn da ‚besucht‘ Ich würde gern versuchen, etwas für sie zu – konnte ihn aber nicht befreien. In ‚Gurs‘ tun. Dazu benötigte ich jedoch einige ihrer war ich auch. Das ganze Inferno 1940 habe Gedichte. Wenn keine späteren erreichbar sind, ich miterlebt. – Möchte gerne die Geschichte dann frühere. Es gibt nicht viele hier, die genug meiner Flucht schreiben. Aber wer interessiert von ihr wissen. Könnten Sie welche besor- sich noch für ein Einzelschicksal? Obwohl: in gen?“15 meinem Schicksal sind tausend andere ver- flochten!“18 Die zwei Briefe, die Bertolt Brecht an Paula Ludwig richtete, sind im Franz-Michael- Sie brauche einen Verlag, der ihr Vorschuß Felder-Archiv erhalten: Am 28. Februar gibt, sonst kehre sie in ihren Urwald zurück, 1955 schrieb Brecht aus Berlin an Paula nach dessen Holzfällern und Ziegelbren- Ludwig in Ehrwald, das er fälschlich in nern sie sich ohnehin sehne. Über Brecht Oberbayern verortete: schreibt sie:

„Liebe Paula Ludwig, ich höre, dass es Ihnen nicht gut geht und würde gern erreichen, dass 16 Franz-Michael-Felder-Archiv, Nachlaß Paula Lud- man sich um Sie kümmert. Dazu brauche ich wig, N10/1:B1:0. Veröffentlicht in Bertolt Brecht: – was hier nicht aufzutreiben ist – irgendeine Briefe 3, S. 311f. 17 Paula Ludwig in Ehrwald an Bert Brecht in Berlin, Sammlung von Gedichten, womöglich auch 15. März 1955, AdK, Berlin, Bertolt-Brecht-Archiv solche aus der letzten Zeit. Ich würde mich 751/051. Für die Erlaubnis, aus diesem Brief zu zi- 14 Ebda. tieren, danke ich dem Brecht-Archiv. Eine Zusam- 15 Bertolt Brecht: Briefe 3, Berlin, Weimar: Aufbau- menfassung des Briefes siehe Bertolt Brecht, Briefe Verlag, Frankfurt am M.: Suhrkamp 1998 (= Große 3, S. 600. kommentierte Berliner und Frankfurter Ausgabe. 18 Paula Ludwig in Ehrwald an Bert Brecht in Berlin, Hrsg. von Werner Hecht, Jan Knopf, Werner Mit- 15. März 1955, AdK, Berlin, Bertolt-Brecht-Archiv tenzwei, Klaus-Detlef Müller. Bd. 30), S. 293. 751/053. Dreigroschenheft 3/2012 17 „Liebe Paula Ludwig, ich habe jetzt Gedichte von Ihnen gelesen. Vieles hat mir gefallen. Im Westen habe ich kaum Kontakte, werde aber, wenn ich jemanden treffe, von Ihnen erzählen.

Begegnungen Hier bei uns würden Sie nicht frieren, aber ob Sie sich wohl fühlen würden, weiß ich nicht. Düsseldorf ist weit urwaldähnlicher. Soll ich trotz meiner Bedenken, ob Sie sich hier wohl fühlen würden, doch versuchen, Ihnen einen Ruf hierher zu beschaffen? Schreiben Sie mir darüber und halten Sie mich überhaupt auf dem laufenden. Mein Westhonorar ist einge- froren, aber wenn Sie an den Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. Main, schreiben, daß ich Ihnen WM 103.– für die Kopien Ihres Gedichtbuches schulde, werden Sie vermutlich das bekommen. Herzlich“.21 Paula Ludwig antwortete am 30. Juni, daß sie die 103.- DM erhalten habe; sie „‚wür- de sehr gerne zu Euch kommen!‘“.22 Die ins Auge gefaßte Übersiedlung nach Ostberlin kam aber nie zustande.

Vor diesem Hintergrund ist es verständlich, Ein Band mit Gedichten von Paula Ludwig ist 1928 im daß Paula Ludwig über Brecht geschrieben S. Fischer Verlag erschienen. hat: „Du, mein einzigster Freund noch in Europa, schriebst mir, ludest mich ein nach „Viele Jahre habe ich mit Sorge an Sie gedacht. Osteuropa – und da plötzlich bist Du tot! In Paris hörte ich: dass Sie in Schweden sind. Mit Dir verlor ich den letzten Freund!“, ob- Das hat mich beruhigt. – Habe mit grosser wohl sich auch einige wenige andere um sie Freude ‚Die Legende von Laotse’ in der Antho- 19 gekümmert haben, wie der schon erwähn- logie gelesen!“ te Maler Fathwinter, Hermann Kasack, seit Sie schließt mit der Wendung: „In guter Ca- 1953 Präsident der Deutschen Akademie meradschaft herzlichst Ihre Paula Ludwig“.20 für Sprache und Dichtkunst in Darmstadt, Brecht erwies sich tatsächlich als „guter Ca- oder Ina Seidel. Zuckmayer, ebenfalls ein merad“, im Gegensatz zu Zuckmayer. Am alter Freund aus München, der in „Unter- 5. April antwortete Brecht, der inzwischen schiede“ als Gegenpol zu Brecht aufgebaut von Fathwinter Kopien von Gedichten Pau- wird, begrüßte sie 1956 in Düsseldorf nur la Ludwigs erhalten hatte: flüchtig und tat nichts für sie, obwohl er damals in der BRD wieder ein angesehener und hochgeehrter Autor war: 1952 erhielt 19 Ebda, AdK, Berlin, Bertolt-Brecht-Archiv 751/053 und 751/054. Bei der Anthologie handelt es sich er den Goethe-Preis der Stadt Frankfurt am um: Ergriffenes Dasein. Deutsche Lyrik 1900 Main und die Ehrenbürgerschaft seines Ge- – 1950. Ausgewählt von Hans Egon Holthusen burtsortes Nackenheim, 1953 die Silberne und Friedhelm Kemp. Ebenhausen bei München: Plakette der Stadt Göttingen für Kunst und Wilhelm-Langewiesche-Brandt-Verlag 1953, in der fünf Gedichte von Paula Ludwig und neun von Bert Wissenschaft, 1955 das Große Bundesver- Brecht enthalten sind. Brechts „Legende von der 21 Franz-Michael-Felder-Archiv, Nachlaß Paula Lud- Entstehung des Buches Taoteking auf dem Wege des wig, N10/1:B1:0. Veröffentlicht in Bertolt Brecht: Laotse in die Emigration“ steht auf S. 190-192. Briefe 3, S. 325f. 20 Ebda, AdK, Berlin, Bertolt-Brecht-Archiv 751/054. 22 Bertolt Brecht, Briefe 3, S. 606. 18 Dreigroschenheft 3/2012 dienstkreuz mit Stern und den Deutschen sie sich bei einem Wiedersehen verhalten Weinkulturpreis. hätten:

Auch als Dichter konnte Zuckmayer Brecht, „Ach – wenn ich denke – dass statt der Carl L eser b rief der in den Augen von Paula Ludwig ja Zuckmayer – der Bert Brecht da gewesen wäre! „schon immer“ ein „berühmter Dichter“ Nun – ich behaupte nicht – dass wir ein grosses gewesen ist, nicht das Wasser reichen. In Theater gemacht hätten – wegen unseres Wie- dem Briefentwurf an Manfred Schlösser dersehens nach so vielen Jahren. Aber – darauf könnt Ihr Euch verlassen: Wir hätten uns bekräftigt sie dieses Urteil: „Lieber Manfred immerhin ein paar Minuten umarmt! Darauf Schlösser! Ich sag es Ihnen gleich: Der Carl könnt Ihr Euch verlassen! Wir haben uns auch Zuckmayer hat sehr schöne Naturgedich- – ohne Wiedersehen umarmt! Darauf könnt Ihr te geschrieben. Aber der Bert Brecht war Euch auch verlassen!“27 für mich immer der Lyriker! Das habe ich nämlich 1925 schon gesagt.“23 Dr. Ulrike Längle leitet das Franz-Michael- Felder-Archiv in Bregenz. Bei der Enttäuschung über Carl Zuckmayer [email protected] dürften aber auch politische Gründe mitge- Manuskript „Unterschiede“, Nachlass Paula spielt haben. Paula Ludwig, die nach ihrer Ludwig, Franz-Michael-Felder-Archiv, Bre- Rückkehr nach Deutschland eine ausge- genz, N10:B1:19:1 sprochen polemische Ader entwickelte24, hielt die meisten ehemaligen Schriftsteller- 27 Franz-Michael-Felder-Archiv, Nachlaß Paula Lud- kollegen für Nazis oder verhinderte Nazis, wig, N10:B:1:19:1 auch Carl Zuckmayer – ob zu Recht oder zu Unrecht, kann hier nicht dargelegt werden. In dem schon mehrfach erwähnten Brief- Leserbrief aus Schweden entwurf an Manfred Schlösser schreibt sie: „Nur der Bert Brecht hat mir geholfen – seit Die kurze Wiedergabe von Ulf Peter Hall- meiner Heimkehr! Der Carl Zuckmayer bergs Statements durch Christian Hippe war so voller Goldmedaillen – dass er sich im Heft 2/2012, S. 29, könnte leicht zum nicht mehr bewegen konnte. Ein verhinder- Schluss verleiten, BRECHT habe im The- ter Nazi. Aber Brecht nicht!“25 Und später aterleben Schwedens keine oder nur eine in demselben Entwurf heißt es: „Nun: der unbedeutende Rolle gespielt. Dies kann Zuckmayer und der Schiebelhuth26 waren man m.E. in der Form nicht behaupten. Ei- schliesslich bloss verhinderte Nazis! Der ner der größten Theatererfolge hierzulande einzigste ist der Bert Brecht! (der Leon- war die legendäre Inszenierung des „Guten hard Frank und vielleicht noch ein paar Menschen von Sezuan“ im Stockholmer andere!)“. Und in diesem Briefentwurf stellt Stadteater 1971 mit 179 Aufführungen, Paula Ludwig sich auch vor, wie Brecht und welche es auf 134.713 Zuschauer brachte. Seit Erscheinen des Dreigroschenhefts 1994 23 Franz-Michael-Felder-Archiv, Nachlaß Paula Lud- habe ich eine Vielzahl, d.h. so gut wie sämt- wig, N10:B:1:19:1. 24 Vgl. dazu Ulrike Längle, Anwürfe und Hinwürfe. liche Brechtinszenierungen in Schweden Zum literarischen Nachlaß von Paula Ludwig. In: besprochen und bin den Herausgebern – in „Aus tausend Spiegeln sehe ich mich an“, S. 109- effigie – für Brecht dankbar, dass diese mir 118. die Gelegenheit dazu eröffnet haben! 25 Franz-Michael-Felder-Archiv, Nachlaß Paula Lud- wig, N10:B:1:19:1 Mit besten Grüßen Ihr 26 Hans Schiebelhuth, (1895-1944), Freund Carl Zuck- Fritz Joachim Sauer (Uppsala) mayers, expressionistischer Lyriker, Übersetzer von PS. Demnächst steht wieder eine vielver- Thomas Wolfe, ging 1937 mit seiner amerikanischen sprechende Aufführung an. Frau in die USA. Dreigroschenheft 3/2012 19 Selbstinszenierung bei gue-Gedichte deutlich, wie ja auch der Kommentar der Brecht-Ausgabe darauf Benn und Brecht verweist. Das ist nicht ganz so selbstver- Kleinig k eit ständlich, wie es scheinen mag. Zwei Passagen aus einem Vortrag bei der Jahrestagung der Gottfried-Benn- Denn nehmen wir noch einen zweiten Ab- Gesellschaft schnitt aus Brechts Nachlass-Typoskripten hinzu, dann wird auch daraus ersichtlich, Von Mathias Mayer dass er die Gedichte des kritisch-beäugten Gegenspielers gut gekannt hat, jedenfalls 1 wohl besser als die Brecht-Philologen, die den Hintergrund der folgenden Anspielung Im Nachlass von Bertolt Brecht finden sich nicht ermittelt haben. Bei Brecht ist zu le- zwei Typoskripte, die auf den Mai 1933 da- sen, unter der Überschrift Benn: tiert sind und sich mit aus- einandersetzen. Soeben hatte dieser eine „Dieser Schleim legt Wert darauf, mindestens Antwort auf die literarischen Emigranten im eine halbe Million Jahre alt zu sein. Während Berliner Rundfunk verlauten lassen, in der dieser Zeit ist er immer von neuem gewor- er sich zur „neuen Vision von der Geburt den, mehrmals vergangen, leider immer des Menschen“ bekannte, zur „vielleicht wieder geworden. Ein Schleim von höchstem […] letzten großartigen Konzeption der Adel.“ weißen Rasse“. Brecht beobachtet diese Verirrungen mit geißelndem Scharfsinn, Damit greift Brecht nicht einmal mehr auf wobei in den politisch geprägten Sarkas- Benns schon zitierte Antwort auf die litera- mus auch Beobachtungen zu Benns Lyrik rischen Emigranten zurück, sondern auf ein eingehen, die es sich anzusehen gilt. Brecht frühes Benn-Gedicht, das unter dem Titel schreibt also über Benn: Gesänge 1913 im Alaska-Zyklus erschienen und seither mehrfach nachgedruckt wor- „Von Beruf Arzt, veröffentlichte er einige den war (in Fleisch, 1917, den Gesammelten Gedichte über die Qualen der Gebärenden Schriften, 1922, und den Gesammelten Ge- und den Weg chirurgischer Messer durch dichten, 1927). Menschenleiber. Jetzt bekannte er sich em- phatisch zum Dritten Reich“. Gesänge

Auffällig an dieser Formulierung ist nicht I nur die Betonung des Brotberufs oder die O daß wir unsere Ururahnen wären. Wahrnehmung von Benns politischem Ein Klümpchen Schleim in einem warmen Moor. Kniefall, sondern ebenso die eigenwillige Leben und Tod, Befruchten und Gebären Filterung der Bennschen Morgue-Gedich- glitte aus unseren stummen Säften vor. te aus dem Jahr 1912. Brecht gesteht ihnen keinen Fanalcharakter zu, als Aufbruch in Ein Algenblatt oder ein Dünenhügel, den Expressionismus, sondern reduziert vom Wind Geformtes und nach unten schwer. sie auf motivische Einzelheiten, die eben Schon ein Libellenkopf, ein Möwenflügel aus Benns Berufsalltag abgeleitet werden. wäre zu weit und litte schon zu sehr. Immerhin ist die Anspielung auf die Mor-

 Benn, Sämtliche Werke. Stuttgarter Ausgabe, hg. v.  Brecht, GBFA 22.2, S. 875. Gerhard Schuster, Bd. IV, Stuttgart 1989, S. 27.  Brecht, GBFA 22.1, S. 9.  Brecht, GBFA 22.1, S. 9.  Wie in 22.2, S. 875, suggeriert. 20 Dreigroschenheft 3/2012 II seid, meine Lieben! Wenn ihr aber die Meinung Verächtlich sind die Liebenden, die Spötter, eines bedeutenden Mannes über mich hören alles Verzweifeln, Sehnsucht, und wer hofft. wollt, brauche ich euch nur zu sagen, daß ich

Wir sind so schmerzliche durchseuchte Götter eine ausgezeichnete Meinung von mir habe. Ich Kleinig k eit und dennoch denken wir des Gottes oft. habe so wenig einen Fuchs gestohlen wie jener Spartanerknabe, gegen den nur der Tod sich Die weiche Bucht. Die dunklen Wälderträume. unfair benahm. Die Sterne, schneeballblütengroß und schwer. Die Panther springen lautlos durch die Bäume. Wenn der junge Brecht in einem Selbst- Alles ist Ufer. Ewig ruft das Meer – zeugnis in Erscheinung tritt, dann sicher hier. Zum einen ist es der doppeldeutige Einstieg von Arroganz – „ich soll etwas Brecht und Benn, so kann man daraus über mich schreiben“ – und Bescheiden- schließen, haben mehr voneinander wahr- heit – „aber ich tue es nicht“, der dann ja genommen, als es zu ihren Lebzeiten, in ih- eben doch einem raffinierten Understate- ren selbst veröffentlichten Werken der Fall ment Platz macht: Denn Brecht schreibt zu sein schien. hier sehr wohl über sich. Gleichwohl spielt er schon mit der zum Weiterlesen anhal- 2 tenden Dialektik von wahr und falsch, von autobiographischer Zuverlässigkeit und Zu den nur wenigen Textformen, die Brecht Irrtum. Dabei hat er, obwohl er nur in ein eigentlich vermieden und kaum einmal Notizbuch schreibt, ständig ein Publikum ausprobiert hat, gehört die autobiographi- im Auge – „was ihr über mich lest“, heißt sche Darstellung. Schaut man sich den Re- es ja im Text, d. h. Brecht kann nicht über gisterband der 30bändigen Gesamtausgabe sich selbst schreiben, ohne sich zugleich an, so finden sich gerade einmal ein paar auf einer Bühne zu bewegen, das dramati- Abschnitte, die von den Herausgebern der sche Rollenspiel ist ihm angeboren, und er ja ohnehin inoffiziellen Journale als Auto- praktiziert es auch in der Lyrik. Dennoch biographische Notizen zusammengestellt wird dieses Publikum nicht ernstgenom- werden – ohne dass dieser Titel wirklich men, es wird, wenngleich notwendig für für jeden einzelnen Text dieser recht klei- den Auftritt des jungen B. B. im Text, ge- nen Fetzen im strengen Sinn gelten würde. radezu beschimpft, als „viel zu dumm“. Die Aber unter diesen unbeachtet gebliebenen „Lieben“ sind offenbar diesem raffinierten Splittern findet sich eine Perle wie der fol- Kalkül von Selbstdarstellung von vornher- gende Text, der im Notizheft von Brecht ein nicht gewachsen, – deshalb lässt sich immerhin unter die Überschrift Etwas über der junge Autor, mit seiner nicht nur ironi- mich gestellt wurde: schen Überlegenheit spielend, dazu hinab, nicht um Wahrheit oder Irrtum zu spielen, Etwas über mich sondern sein zu naives Publikum durch Man hat mir gesagt, ich soll etwas über mich eine bloße Meinung zu belehren: Im Un- schreiben, aber ich tue es nicht. Denn wenn es terschied zur Wahrheit ist die Meinung als auch nur einigermaßen wahr sein soll, was ihr je meine nur subjektiv, und Brecht beruft über mich lest, dann müßtet ihr erkennen kön- sich dazu, tongue in the cheek, auf diejeni- nen, auf was für Irrtümer ich verfallen bin, als ge „eines bedeutenden Mannes“, nämlich ich über mich schrieb. Aber das kann ich euch sich selbst, der „ihm“ (der zugleich er ist) nicht zumuten, weil ihr viel zu dumm dazu ein sehr gutes Zeugnis ausstellt. Indem Brecht hier mit doppelbödiger Ironie sich  Gottfried Benn: Gesänge, in: Sämtliche Werke, Bd. 1, Stuttgart 1986, S. 23.  Brecht, GBFA 26, S. 115f. Dreigroschenheft 3/2012 21 selbst eine ausgezeichnete Meinung von Was macht Brecht aus dieser Geschichte? sich bestätigt, führt er das autobiographi- Er erzählt sie nicht nach, sondern er prak- sche Genre freilich ad absurdum. Er setzt tiziert hier bereits jene Mythenumkehr, die Kleinig k eit auch hier geschickt den Bescheidenheits- er später als Zweifel am Mythos oder als gestus ein, indem er das ganze ja nur als Berichtigungen alter Mythen10 bezeichnet Meinung ausgibt, womit sie ganz relati- hat. Brecht korrigiert die plutarchische Ge- viert erscheint: da es sich aber um dieje- schichte, – der Knabe, mit dem sich Brecht nigen eines bedeutenden Mannes handelt, ironisch identifiziert, hat gar keinen Fuchs wird sie aber aufgewertet; und indem sie gestohlen – aber damit kokettiert er nur ausgezeichnet ausfällt, ist sie längst nicht noch einmal mehr mit der Unwahrheit, der mehr relativ, sondern von ganz erhebli- Lüge, denn der Knabe kommt ja nicht von chem Gewicht. – Bleibt nur noch der rät- ungefähr zu Tode, sondern eben weil er eine selhafte Schlusssatz des Textes: „Ich habe gefährliche Bestie versteckt hält unter sei- so wenig einen Fuchs gestohlen wie jener nem Mantel. So ist auch Brechts harmloser Spartanerknabe, gegen den nur der Tod Selbstverteidigung, er habe keinen Fuchs sich unfair benahm“. Der Kommentar der gestohlen, nicht zu trauen, – sein Selbst- Brechtausgabe gibt dazu ehrlicherweise zeugnis ist nicht belastbar, kein zuverlässi- an: „konnte nicht ermittelt werden“, d. h. ges Dokument, sondern ein, so scheint es offenbar wurde aber der Ebenenwechsel mir, durchtriebenes Stück Literatur, in wel- des Textes, das Zitatverfahren als solches chem er sich früh als weltliterarisch gebil- erkannt. det und als virtuoser Rollenspieler etabliert, – in mir habt ihr einen, auf den könnt ihr Es handelt sich um eine Anspielung auf eine nicht bauen. Als Elias Canetti Brecht in Passage, von der der von Brecht gerne gele- Berlin begegnete, war er nicht nur von sene Historiker Plutarch in seiner Lykurg- dessen Zynismus schockiert, sondern auch Biographie berichtet. Lykurg war der sagen- von „seinem Zwang zur Verkleidung“, zur umwobene Gründer Spartas (für den sich proletarischen Verkleidung.11 Brechts Selbst­ übrigens auch der „Seniorchef der Bank, inszenierung, so wird man sagen können, Herr Jacques Opper“ im Dreigroschenro- besteht in einem theatralischen Naturell, man interessiert). In dieser Biographie das sich aber zunehmend von einer markt- wird davon berichtet, wie die Spartaner strategischen zu einer politischen Orientie- ihre Kinder nur sparsam ernährten, um sie rung verändert. nicht zu dick werden zu lassen und um sie in Kühnheit und Verschlagenheit zu trai- Prof. Dr. Mathias Mayer ist Inhaber des Lehr- nieren. Dabei kommt es im 18. Kapitel zu stuhls für Neuere Deutsche Literaturwissen- folgender Episode: schaft an der Universität Augsburg.

„Beim Stehlen bewiesen die Knaben so viel Vorsicht und Behutsamkeit, daß wohl eher einer, der einen jungen Fuchs entwendet hat- te und ihn unter dem Mantel verborgen hielt, sich von dem Tiere mit Klauen und Zähnen den Bauch aufreißen, ja sogar sich töten ließ, als daß er die Sache entdeckte“. zig 1913, S. 130. – Der Band ist mit Anstreichungen  Brecht, GBFA 16, S. 158 und S. 452. Brechts in seiner Bibliothek erhalten.  Plutarch. Lebensbeschreibungen. Mit Anmerkun- 10 Brecht, GBFA 19, 338ff. gen nach der Übersetzung von Kaltwasser bearbeitet 11 Elias Canetti: Die Fackel im Ohr. Lebensgeschichte von Dr. Hanns Floerke, Bd. 1, München und Leip- 1921-1931, München 1980, S. 305 und S. 302. 22 Dreigroschenheft 3/2012 Ungewöhnlich viel Brecht in Norwegen

Von Finn Iunker

Auch hier in Norwegen ist Brecht fast im- Brecht I nternational mer da, wo über politisches Theater disku- tiert wird. Aber man spielt ihn nicht gern. Für die Avantgarde ist er unmodern, für das bürgerliche Publikum ist er immer noch ein kommunistisches Schwein, und – was bei uns noch schlimmer ist – er schreibt nicht wie Ibsen.

Gibt es gerade dennoch eine Brecht-Welle hierzulande? So fragten wir uns jedenfalls im Januar dieses Jahres, als klar wurde, dass drei Theater in unseren drei größten Städten – scheinbar unabhängig von einander – alle ihre Saison damit anfangen wollten, Stücke Ane Dahl Torp als Shen Te/Shui Ta in Oslo von Brecht zu spielen: Der gute Mensch von (Foto: Erik Berg) Sezuan auf Det Norske Teatret in Oslo, Mut- ter Courage und ihre Kinder auf Den Natio- nale Scene in Bergen und Der aufhaltsame nende Geschichte auf der Bühne zu er- Aufstieg des Arturo Ui auf Trøndelag Tea- zählen; man spürt, dass sie etwas anderes ter in Trondheim. Außerdem wurde eine suchen. Politische Ästhetik ist seit einigen vierte Produktion annonciert, der Fatzer Jahren wieder in die Mode gekommen, je- in Bergen im Mai, in einer Koproduktion denfalls in der Literatur, und obwohl nie- zwischen den Bergener Festspielen und der mand versteht, was neue Stars wie Jacques freien Theatergruppe Transiteatret. Rancière und Giorgio Agamben eigentlich meinen, bieten sie uns wenigstens eine Was ist los? Man ahnt, dass die Intendanten Neuorientierung. es müde geworden sind, „nur“ eine span- Für ein neues Suchen nach der wirklichen  Brecht-Produktionen in Norwegen der zwei letzten Jahre: Galileo (Leben des Galilei), Übersetzung: Trond Welt ist Bertolt Brecht im Bereich Theater Winje, Regie: Stein Winge, Premiere 13.11.2010 am sehr geeignet. Erstens ist er politisch, was Nationaltheatret, Oslo; Unntak og regel (Die Ausnah- auch immer das bedeuten mag; zweitens ist me und die Regel), Übersetzung: Georg Johannessen, er weltberühmt. Von ihm haben alle gehört. Regie: Marius Kolbenstvedt, Produktion: Fabula Außerdem hat er Die Dreigroschenoper ge- Rasa, Premiere 24.11.2010 am Black Box Teater, Oslo; Tolvskillingsoperaen (Die Dreigroschenoper), schrieben, und die kennen wir ja auch. Übersetzung (neu): Ragnar Olsen, Regie: Gabor Zsambeki, Premiere 15.9.2011 am Trøndelag Tea- Sezuan in Oslo ter, Trondheim; Build Me a Mountain! (über Brecht und Wuolijoki), von Daniel Wedel und Verk Pro- duksjoner, Regie: Fredrik Hannestad, Produktion: Det gode mennesket frå Sezuan war die Verk Produksjoner, Uraufführung 17.11.2011 beim erste in der Reihe norwegischer Brecht- Theaterfestival Helsinki Baltic Circle, Helsinki, nor- Aufführungen dieses Jahres. Aber war sie wegische Premiere 24.11.2011 am Black Box Teater, Oslo.  Det gode mennesket frå Sezuan, Übersetzung ins Dreigroschenheft 3/2012 23 wirklich norwegisch? Det Norske Teatret als wir die Aufführung ansahen, wussten hat den deutschen Regisseur Philip Tiede- wir nichts davon. Die Theaterleitung lachte mann engagiert, was an sich sehr gut ist, uns sicher aus, als wir da saßen und dach- denn wir (wir Norweger) brauchen neue ten, hier habe das Theater eine spannende Impulse. Mitgebracht hatte Tiedemann Form für ein spannendes Stück gefunden. ein kleines Team, nämlich Etienne Pluss

Brecht I nternational (Bühne), Stephan von Wedel (Kostüme) Courage in Bergen und Ole Schmidt (Komponist), was auch an sich sehr gut ist, denn sie alle machen In der Courage in Bergen war, anders als schöne Sachen. Aber als man später erfährt, im Osloer Sezuan, alles selbstgemacht, mit dass Philip Tiedemann dasselbe Stück am dem Ergebnis, dass das szenische Milieu, Düsseldorfer Schauspielhaus inszeniert hat obwohl eine Mischung von vielen Stilar- (2008), wird man misstrauisch – besonders ten, seine eigene, innere Logik besaß, und, weil davon nichts im Programmheft steht. wichtiger, dass man den Eindruck bekam, Ist die Aufführung in Oslo ein Remake, eine hier sprechen nicht nur Brecht und sein Kopie oder was? Am Düsseldorfer Schau- Stück, sondern das ganze Ensemble. spielhaus hat Tiedemann mit demselben Team gearbeitet, und wenn man Bühnen- Das Bühnenbild wurde von einer riesigen fotos von Det Norske Teatret mit Fotos der Wand von Containern beherrscht, als ob Düsseldorfer Produktion vergleicht, ist es wir uns an einem Hafen befänden. Der Wa- fast unmöglich, sie zu unterscheiden.

Det Norske Teatret bekommt tatsächlich jedes Jahr rund 20 Millionen Euro von uns (uns Norwegern), was vielleicht nicht so viel ist (was weiß ich), aber wir hätten es gern, dass das Theater dafür eigene Theaterpro- duktionen macht. Zumindest könnten sie uns im Programm oder anderswo darauf aufmerksam machen, wenn eine Produkti- on nicht als original gelten kann. Wie soll man sie nennen? Remake? Kopie? Halbim- port? Es spielt eigentlich keine Rolle, denn

Nynorsk (neu): Edvard Hoem, Regie: Philip Tiede- mann, Premiere 13.1.2012 am Det Norske Teatret, Oslo.  Vgl. Marion Troja, „Mit Pack und Plastiksack“, Westdeutsche Zeitung, 8.12.2008, www.wz-newsline. de; Petra Kuiper, „Brecht: Vom Knechten der Ge- rechten“, Der Westen, 8.12.2008, www.derwesten.de; Szenenfotos bei www.detnorsketeatret.no > Suche: „det gode mennesket frå sezuan“ > Framsyninger (Vorstellungen) > Det gode mennesket frå Sezuan > Bilete (Bilder). Siehe auch zahlreiche Fotos im Pro- „Miss Courage“ sagt man in Bergen wegen der jungen grammheft zu Der gute Mensch von Sezuan, Düssel- Siren Jørgensen, die die Hauptrolle spielt dorfer Schauspielhaus, Spielzeit 2008/2009, Heraus- (Foto: Fredrik Arff) geber: Neue Schauspiel GmbH, Redaktion: Thomas Jonigk und Stephanie Jorda, Programmheft Nr. 55. Herzlichen Dank an Dramaturgin Arina Nestieva  Mor Courage og barna hennes, Übersetzung ins Bok- beim Düsseldorfer Schauspielhaus, die mir das Pro- mål: Ole Grepp; Regie: Marit Moum Aune, Premiere grammheft zugeschickt hat. 14.1.2012 am Den Nationale Scene, Bergen. 24 Dreigroschenheft 3/2012 Brecht I nternational

Arturo Ui in Trondheim mit dem überzeugenden Hans Petter Nilsen in der Titelrolle (Foto: G.T. Nergaard).

Ui in Trondheim gen der Mutter Courage – bei Bergenern Miss Courage genannt, wegen der jungen Die Stückwahl des Trøndelag Teater war Siren Jørgensen – war durch einen dieser natürlich frischer als die des Norske Tea- Container ersetzt worden, aber auch ande- tret und die der Nationale Scene. Die Pro- re Container wurden ab und zu als kleine duktion in Trondheim hielt sich fester an Guckkasten benutzt, in denen kürzere Sze- die textliche Vorlage als die in Bergen und nen gespielt wurden. ist dadurch der Versuchung entflohen, die Geschichte neu zu allegorisieren; alles mit In der neugeschriebenen Musik von Atle allem zu verbinden, das können wir Zu- Halstensen waren Elemente der rock ope- schauer selber tun. ra angegliedert, ohne dass das Erbe von Dessau vergessen wurde. Diese Mischung Im siebten Bild, „Büro des Karfioltrusts“, von alt und neu schaffte es auch, drama- mussten wir alle auf die Bühne – eine sze- turgische Änderungen (szenische und text- nische Lösung, die für den Zuschauer fast liche) mit dem Ausgangspunkt, Brechts immer so irritierend ist, dass sie gar nicht Stück, gut zu verbinden; trotz Anachro- funktionieren kann, aber hier hatte das Ar- nismen (etwa: Soldaten in Tarnuniformen, rangement tatsächlich Sinn. Im hinteren Containern usw.) ergab sich sozusagen eine Bereich der Bühne stand Ui auf einem alten schöne Emulsion, mit der Musik als Emul- Lastwagen und brüllte „Mord! Schlächterei! gator. Es wurde getanzt und gesungen und Erpressung!“, während die Zuschauer zu- (vielleicht eben weil alles selbstgemacht sammen mit Teilen des Ensembles mitten war) den Schauspielern waren Brechts Text auf der Bühne standen, jetzt als Zuschauer und Brechts Themen gar nicht fremd, son- und Zuhörer einer politischen Versamm- dern sie verstanden tatsächlich alles, was  Arturo Ui – og hans knirkefrie vei til makten, Über- sie sagten und sangen. Die Aufführung war setzung ins Bokmål/Trondheimer Dialekt (neu): einfach gut anzuhören. Ragnar Olsen, Regie: Harry Guttormsen, Premiere 20.1.2012 am Trøndelag Teater, Trondheim. Dreigroschenheft 3/2012 25 lung. Die Perspektive war ver- ändert: Wir saßen nicht mehr auf unseren Sitzen, den lächer- lichen Ui sorglos beobachtend, sondern wir standen nah vor ihm, und es wurde alles sehr

Brecht I nternational unheimlich. Ohne einen guten Ui-Darsteller kann man nicht viel machen mit diesem Text. Hans Petter Nilsen als Ui war gut. Also konnte man viel ma- chen mit diesem Text.

Es wurde meist in Trondheimer Dialekt gespielt – bei Nilsen in sehr breitem Dialekt. Das wider- spricht dem Gedanken Brechts, im „großen Stil“ zu spielen, aber für nicht-norwegische Leser muss man dazu sagen: Anders Spielt einen „(re)konstruierten“ Fatzer in Bergen: Eindride Eidsvold (Foto: Thor Brødreskift). als in vielen anderen Ländern spricht man in Norwegen sehr gerne Dialekt. Auch Politiker und mäch- „(Re)Konstruktion“ hat er dann einen ganz tige Businessleute tun es, ohne dabei etwas anderen Text konstruiert (oder rekonstru- Besonderes signalisieren zu wollen. So ist iert?), der als Spielfassung gelten soll. Ne- es halt. Hätte man also den Ui im „großen ben erkennbaren Szenen aus den Fatzer- Stil“ gespielt (auf konservativem Riksmål), Fragmenten enthält dieser Text, so scheint wäre es von den meisten Trondheimern es mir jedenfalls, einfach alles, was der Re- zwangsläufig als eine Kritik an der Osloer gisseur während der Probezeit gelesen hat: Bourgeoisie verstanden worden. Selbst un- Bemerkungen über die Wirtschaftskrise ser Präsident Dag Terje Andersen (nicht (heute und damals), den Sozialismus (heu- zu verwechseln mit unserem Premiermini- te und damals), hier ein Zitat von Hobbes ster Jens Stoltenberg) spricht Dialekt, auch (auf Latein, natürlich), da einige offene Fra- wenn er im Storting redet. Deswegen wirkte gen (wie lange kann ein durchschnittlicher es nicht verwirrend, wenn der Richter im Mensch überleben ohne Essen?), hier ein Speicherbrandprozess (Bild 8) denselben Lied aus der Maßnahme, da noch ein Lied Dialekt benutzte wie Dag Terje Andersen. aus der Maßnahme – nicht zu vergessen Heiner Müller, ja, der ist gut, der muss rein Fatzer in Bergen irgendwo, zum Beispiel hat er was über Fat- zer und die Rote Armee Fraktion geschrie- Für seinen Fatzer habe der Regisseur, sagt ben. Ich sage wie amerikanische Dealer: er, einfach alle dem Fatzer-Projekt gehö- Don’t get high on your own supply. renden Fragmente studiert und dann sei- nen eigenen Text „(re)konstruiert“. Dieser Dazu kamen Schreien & Rennen, Rauch & Text liegt jetzt gedruckt vor. Aus seiner Singen (NB! sehr schön, habe ich notiert),  Fatzer, Regie, Konzept und Übersetzung ins Bok-  Bertolt Brecht, Avgjørelsen – Fatzer (Die Maßnahme mål (neu): Tore Vagn Lid, Produktion: die Bergener und Fatzer), übersetzt und herausgegeben von Tore Festspiele und Transiteatret, Premiere 25.5.2012 Vagn Lid, Spartacus Forlag (Oslo) 2012; 188 Seiten. während der Bergener Festspiele, Bergen. 26 Dreigroschenheft 3/2012 Theaterblut & Ficken, und wenigstens zwei Über die Courage stellte die Bergens Tidende lebendige Mäuse, die eine in einem Rohr in ihrem Titel fest: „Dies würde Brecht ge- hoch über uns (Kapitalismuskritik?), die fallen!“, während die Bergensavisen meinte, andere musste in eine Faltschachtel am „in seiner reinsten Form ist ein Theater die- Ende der Vorstellung. Es hat zwei Stunden sen Typus einigermaßen veraltet,“ und das gedauert. Dagbladet fand, dass Krieg anstrengend sei,

„und so auch hier: anstrengend zu spielen Brecht I nternational Nach der Vorstellung gab es eine Diskus­ und anstrengend anzuschauen“.10 sion mit dem Regisseur. Heiner Müller hat ja auch eine Bühnenfassung von dem Fast alle Kritiker lobten den Trondheimer Fatzer-Material gemacht – fühlen Sie sich Ui.11 in einer Art Dialog mit der Arbeit Heiner Müllers? Nein, überhaupt nicht. Aber Sie Brecht in der Diskussion zitieren tatsächlich aus Müllers Vorwort zu Fatzer? Ja, warum nicht? Im Februar und März gab es in der Presse auch eine Diskussion über Brecht. Schon Brecht in der Kritik im Januar schrieb ein junger Kritiker in der liberal-konservativen Zeitschrift Minerva Ausgenommen Fatzer, über den bis heu- einen Artikel unter dem vielsagenden eng- te (1.6.) nur ein Kritiker geschrieben hat lischen Titel „Commies ain’t cool“; Der gute (stark ablehnend), waren die Rezensionen den Produktionen gegenüber im allgemei- 10 Rezensionen über Mor Courage og barna hennes in Jan H. Landro, „Dette ville Brecht ha likt!“ („Dies nen positiv, wenn nicht direkt begeistert. würde Brecht gefallen!“), Bergens Tidende, 15.1.2012; Karen Frøsland Nystøyl, „Fra fjærpryd til krigseste- Über Sezuan schrieb zum Beispiel die Dags­ tikk“ („Vom Gesteck zur Kriegsästhetik“), NRK (nrk. avisen, dass Brecht in diesem Stück „seine no), 16.1.2012; Jon Selås, „Brecht-bragd i Bergen“ („Große Brecht-Leistung in Bergen“), VG, 16.1.2012; kräftige und humanistische Spitze“ zeige; Nils Olav Sæverås, „Fascinerende“ („Faszinierend“), das Dagbladet, dass es bei Brecht „einen Bergensavisen, 16.1.2012; Inger Merete Hobbelstad, kühlen, enthusiastischen Zynismus“ gebe. „Krigens gruelige gru“ („Das grauenhafte Grau- Die Kritikerin des Morgenbladet hingegen en des Krieges“), Dagbladet, 16.1.2012; Charlotte vermisste „Spielfreude“. Myrbråten, „Det grådige mennesket“ („Der gierige Mensch“), Aftenposten, 17.1.2012; Therese Bjørne-  Jan H. Landro, „Brecht druknet i teknologi“ boe, „Ufarlig Brecht“ („Ungefährlicher Brecht“), („Brecht ertränkt in Technologie“), Bergens Tidende, Norsk Shakespeare – og teatertidsskrift (Oslo) Nr. 1, 26.5.2012. 2012, S. 62–64.  Rezensionen über Det gode mennesket frå Sezuan 11 Rezensionen über Arturo Ui – og hans knirkefrie vei in Mode Steinkjer, „Ujevn og imponerende Brecht“ til makten in Ole Jacob Hoel, „Hei Hans!“ („Hallo („Unebener und imponierender Brecht“), Dagsavi- Hans!“), Adresseavisen, 23.1.2012; Inger Merete Hob- sen, 16.1.2012; Liv Riiser, „Er det liv laga?“ („Im- belstad, „Sniktotalisering“ („Schleichtotalisierung“), mer noch lebendig?“), Vårt Land, 16.1.2012; Ida- Dagbladet, 23.1.2012; Amund Grimstad, „Litt vel Lou Larsen, „I Brechts ånd“ („In Brechts Geist“), pedagogisk“ („Ein wenig zu pädagogisch“), Klasse- Klassekampen, 16.1.2012; Andreas Wiese, „Gudene kampen, 23.1.2012; Lars Erik Skjærseth, „Skråblikk vet ikke“ („Die Götter wissen nicht“), Dagbladet, på Hitlers veg til makt“ („Seitenblick auf Hitlers Weg 16.1.2012; Therese Bjørneboe, „Formsikker og sexy zur Macht“), NRK Trøndelag (nrk.no), 23.1.2012; Brecht“ („Brecht formbewusst und sexy“), Aftenpo- Audhild Øye, „Mesterlig om makt“ („Hervorra- sten, 17.1.2012; Bent Kvalvik, „Symbol slår symbol gend über Macht“), Sør-Trøndelag, 24.1.2012; Mar- i hel“ („Symbol schlägt Symbol tot“), Dag og Tid, tin Nordvik, „Brechts advarende analyse“ („Brechts 20.1.2012; Ine Therese Berg, „Besværlige Bertolt“ warnende Analyse“), Aftenposten, 24.1.2012; Kri- („Bertolt, der Beschwerliche“), Morgenbladet, 20.– stoffer Svendsen, „Harselas med Hitler“ („Necke- 26.1.2012; Anette Therese Pettersen, „Gudene må rei mit Hitler“), Under Dusken (Trondheim), Nr. være gale“ („Die Götter müssen verrückt sein“), 2, 2012, S. 46; Therese Bjørneboe, „Ufarlig Brecht“ Norsk Shakespeare- og teatertidsskrift (Oslo), Nr. 1, („Ungefährlicher Brecht“), Norsk Shakespeare – og 2012, S. 60–61. teatertidsskrift (Oslo) Nr. 1, 2012, S. 62–64. Dreigroschenheft 3/2012 27 Mensch von Sezuan sei geprägt von einer Brecht in Zukunft „extrem radikalen Philosophie, die genau- so simpel wie menschenfeindlich ist“. Zwei Bald ist Theater-Urlaub und Meeresstille. Wochen später meinte ein Historiker der Eine Welle dauert nicht ewig. Die meist- Denkfabrik Civita, dass es moralisch sehr gespielten Stücke von Brecht werden be- fragwürdig sei, Brecht zu spielen, ohne stimmt immer ein natürlicher Teil des nor-

Brecht I nternational Brecht als historische Figur zu kritisieren; wegischen Theaterrepertoires bleiben, und Brecht habe Stalins Schauprozesse und Ul- ansonsten gehen wir Norweger sowieso brichts Verfahren am 17.6.1953 verteidigt, lieber ins Kino. es fehlte ihm „ein moralisch praktisch-po- litischer Kompass“, und er hatte eine „feh- Es verwundert mich, dass Brecht – jeden- lerhafte Wut gegen den Kapitalismus“. Die falls in liberal-konservativen Kreisen – im- Produktionen zeigten eine „naive Brecht- mer noch ein Problem ist, hier im Norden, Verehrung“. weit weg, über zwanzig Jahre nach dem Kal- ten Krieg. „Naive Brecht-Kritik“, entgegnete dann ein anderer; Brecht hatte schlechte Arbeitsbe- Vielleicht sollte man nicht zu großes Ge- dingungen in der DDR, und in seinem Brief wicht darauf legen, dass drei große bürger- an Ulbricht nach dem Juni-Aufstand gab es liche Theater diesen Frühling Brecht spielen auch scharfe Kritik. Der Historiker schluss- wollten, aber der Wunsch, politisches Thea- folgerte, dass die neue Brecht-Welle in Nor- ter neu zu untersuchen, scheint höchst reell, wegen Ausdruck eines „Ostalgiekitsches“ und die Trondheimer Produktion zeigt eine sei, während der Brecht-Verteidiger das Bereitschaft, tiefer im Material zu suchen, letzte Wort bekam: „Wer meint, dass Brechts als nur dem Publikum schon sehr bekannte Dramen uns Material für kritische Reflexi- Stücke noch einmal zu verkaufen. on geben können, unabhängig von seinem politischen Standpunkt, wird weiterhin sei- Auch Der gute Mensch von Sezuan hätte uns ne Dramatik aufsuchen, seine Theatertheo- viel sagen können, wenn wir es nur selber rien diskutieren und sich an seinen Gedich- machen möchten. Hier in Norwegen gibt es ten und Erzählungen erfreuen.“12 viele erfolgreiche Geschäftsfrauen, die of- fenbar gewohnt sind, Shen Te und Shui Ta zu spielen, denn in Interviews sagen sie fast immer dasselbe: Zuhause bin ich eine net- 12 Nicolai Strøm-Olsen, „Commies ain’t cool“, Minerva te Mamma, aber wenn‘s um business geht, (minervanett.no), 19.1.2012; Håkon C. Pedersen, muss ich (leider?) sehr hart sein. Süß und „Kommunist og dramatiker“ („Kommunist und Dramatiker“), Minerva (minervanett.no), 2.2.2012; brutal, das perfekte Ideal. Bård Larsen, „Naiv Brecht-dyrking“ („Naive Brecht- Verehrung“), Bergens Tidende, 8.2.2012; Anton Finn Iunker ist Schriftsteller und arbeitet an Helleshøy, „Naiv Brecht-kritikk“ („Naive Brecht- einer Dissertation an der Universität Oslo über Kritik“), Bergens Tidende, 14.2.2012; Nicolai Strøm- Einverständnis in „Der Jasager“ und „Die Maß- Olsen, „Ukritisk blikk på politisk teater“ („Unkri- tischer Blick auf politischem Theater“), Dagbladet, nahme“ . [email protected] 20.2.2012; Bård Larsen, „Brecht-bølgen – igjen“ („Die Brecht-Welle – noch einmal“), Bergens Ti- dende, 27.2.2012; Bjørgulv Braanen, „Brecht av pla- katen?“ („Brecht nicht mehr spielen?“), Klassekam- pen, 6.3.2012; Bård Larsen, „Vil ikke fjerne Brecht“ („Will nicht Brecht entfernen“), Klassekampen, 10.3.2012; Anton Helleshøy, „Vi andre får glede oss“ („Wir anderen sollten uns freuen“), Bergens Tidende, 14.3.2012. 28 Dreigroschenheft 3/2012 China re-importiert Brechts „Kreidekreis“

Von Michael Friedrichs

Brechts „Kaukasischer Kreidekreis“, wäh- Brecht I nternational rend des 2. Weltkrieges mit Blick auf ameri- kanische Bühnen geschrieben, hat bekannt- lich eine lange Ahnenreihe. Vorläufer ist ein chinesisches Versdrama der Yuan-Dynastie (1259-1368) mit dem Titel „Hoei-lan-ki“ von Li Qianfu. Das Stück kam nach Europa durch die französische Übersetzung des Si- nologen Stanislas Julien 1832 („Le Cercle de Wegen seines losen Mundwerks wird Sha Sida (der Craie“), die 1924 von Klabund ins Deutsche spätere Richter) im ersten Akt von der Fürstin (links) übertragen wurde und international großen bestraft. Foto © Chongqing Sichuan Opera Theatre Erfolg hatte. wird nicht als Strich gezogen, sondern aus Im Rahmen der Initiative „Deutschland und Kreidepulver gestreut (vgl. Coverbild). China – Gemeinsam in Bewegung“ wurde 2008 in der Millionenstadt Chongqing eine Tatsächlich schloss sich mit diesem Re- chinesische Bearbeitung des Brecht-Dramas Import des chinesischen Stücks noch ein uraufgeführt, in der Form einer traditionel- weiterer Kreis, denn Brecht hatte ja 1935 in len Sichuan-Oper, die damit das Stück nach Moskau die Theaterkunst von Mei Lan-fang China re-importierte (Text Yang Xiao, Mu- bewundert und in seinen Schriften reflek- sik Wang Xiaogang). Diese Inszenierung tiert – dass der Schauspieler auf der chi- war nun im Rahmen der Maifestspiele 2012 nesischen Bühne niemals mit seiner Rolle im Hessischen Staatstheater Wiesbaden als verschmilzt, wurde zu einem Vorbild für Gastspiel in chinesischer Sprache mit deut- Brechts episches Theater. In dieser Insze- schen Übertiteln zu sehen. nierung von Ou Yangming und der künst- lerischen Leitung von Shen Tiemei konnte Die Handlung spielt im alten China. man das sehr gut nachvollziehen. Brechts Rahmenhandlung mit dem „Streit um das Tal“ ist entfallen, im Übrigen ori- Die deutschen Übertitel, die es ermöglich- entiert sich der Plot eng an Brecht. Es ist ten, das Spiel im Detail zu verfolgen, waren eine durchkomponierte Sichuan-Oper mit extra von der Dramaturgie in Wiesbaden großem Orchester und traditionellen In- erstellt worden. Allerdings war darin von strumenten, die Darsteller tragen prächtige Brechts Sprache kein Spurenelement mehr Kostüme, sie singen und tanzen, Masken zu finden – es war das chinesische Libretto, und Schminke werden vielfältig eingesetzt. mit Hilfe einer englischen Rohübersetzung Sehr eindrucksvoll der Paralleltanz der jun- zusammengefasst in deutsche Prosa. gen Hauptdarstellerin (Wu Xi) und ihres Schattens im nächtlichen Wald, erinnernd Das Publikum war von der Aufführung fas- an Anna I und II in den „Sieben Todsün- ziniert und klatschte die Darsteller immer den“. Großartig die Gerichtsszene mit dem wieder hinter dem Vorhang hervor. Das drastischen Richter-Filou (Xu Yongming). fremde China war an diesem Abend ganz Ein faszinierendes Detail: Der Kreidekreis nahe gerückt.

Dreigroschenheft 3/2012 29 Trommeln in der Nacht

T heater – Das Gastspiel der Münchener Kammerspiele in Augsburg 1922 Von Dirk Heißerer

Die Uraufführung von Brechts Kriegsheim- kehrer-Drama Trommeln in der Nacht am 29. September 1922 im Hinterhoftheater der Münchener Kammerspiele an der Au- gustenstraße 89 unter der Regie von Otto Falckenberg war bekanntlich ein großer Er- folg (zur ausführlich dokumentierten „Wir- kungsgeschichte“ vgl. das Brecht-Hand- buch Bd. 1, S. 97). Weniger Beachtung fand bislang das einmalige „Gesamtgastspiel der Münchener Kammerspiele“ im Stadttheater Augsburg am Mittwoch, dem 13. Dezember 1922: die erste Aufführung eines Brecht- Abb. 1: Theaterzettel des Augsburger Gastspiels. (Stadt- Stücks in der Geburtsstadt des Autors archiv Augsburg, Schriftdokumentation, Theaterzettel, (Abb. 1). Für dieses Gastspiel sind derzeit 13.12.1922) zwei Kritiken nachweisbar, zum einen die mit „A.“ gezeichnete in der Schwäbischen für Abuschs Kritik nun noch ein zweiter Volkszeitung vom 19. Dezember 1922, die Druckort nachweisen. Der Hinweis auf dem kurioserweise das Stück zur „Komödie“ Blatt aus Stempelangaben mit handschrift- erklärt; zum anderen die von Alexand- lichen Ergänzungen „1922 / Dezember / er Abusch vom 23. Dezember 1922 in der N.Z. 273 / 23. Dez. 1922“ ist bibliographisch Bayerischen Arbeiterzeitung; beide Kritiken wie folgt auflösbar: Neue Zeitung. Organ liegen nachgedruckt vor. Die im Augsbur- der Kommunistischen Partei Deutschlands ger Volkswille-Verlag erscheinende Baye- (Sektion der Kommunist. Internationale), 5. rische Arbeiterzeitung änderte ihren Namen Jg., Nr. 273, Samstag, 23. November 1922, ab dem 24. Januar 1923 in Rote Bayern- S. [5]: „Tribüne der proletarischen Kultur / Fahne. Tageszeitung der Kommunistischen Beilage zur kommunistischen Presse“. Partei Deutschlands. Durch einen Beleg in der Zeitungsausschnittsammlung zu Bert Alexander Abusch (1902–1982) aus Kra- Brecht im Stadtarchiv München lässt sich kau war bereits 1918 Mitglied der KPD; als Redakteur verschiedener kommunistischer  Vgl.: A.: Augsburger Stadttheater / „Trommeln in der Nacht“ / Komödie von Bertolt Brecht. In: Schwäbi- Zeitungen leitete er von 1930 bis 1932 das sche Volkszeitung. / Organ für die Interessen des ge- Parteiorgan Die Rote Fahne. Nach dem samten werktätigen Volkes. / „Allgäuer Volkswacht.“ Exil in Moskau kehrte Abusch 1946 nach / Mit der Unterhaltungsbeilage „Mußestunden“. 22. Deutschland zurück und wurde in der DDR Jg., Nr. 294, Augsburg, Dienstag, den 19.12.1922, S. 3, Rubrik: „Theater, Musik, Kunst, Wissenschaft“. einer der führenden Kulturfunktionäre.  Vgl. Wolfgang M. Schwiedrzik (Hrsg.): Trommeln Nacht“-Inszenierung der Münchner Kammerspiele in der Nacht. Frankfurt a. M. 1990, S. 282-286. 1922 im StadtAM. Die weiteren Zeitungsartikel zu  StadtAM ZA-P 55/1. Abuschs Rezension ist der Brecht in dieser Sammlung aus den Jahren 1923 bis einzige Zeitungsartikel zu der „Trommeln in der 1927 harren noch einer eigenen Darstellung. 30 Dreigroschenheft 3/2012 T heater

Abb. 2: Brecht und Abusch (r.) 1948. Historische Originalbeschreibung: „Berlin, Intellektuelle bei Friedenskundgebung. ADN-Zentralbild Friedenskundgebung des Kulturbundes am 24.10.1948 in der Deutschen Staatsoper (Admiralspalast) in Berlin. Unter dem Motto ‚Verteidigung des Friedens ist Verteidigung der Kultur‘ treten namhafte Vertreter der Kul- tur- und Geistesschaffende auf und fordern, dem Krieg den Kampf anzusagen, damit der Frieden Wirklichkeit wird. U.B.z.: v.l.n.r.: Julius Hay, Bert Brecht, Ernst Legal, Alexander Abusch.“ Bundesarchiv Bild 183-H0611-0500-001.

Brecht hatte mit Abusch zu Beginn seiner mißt oft falsch. […] Man merkt, daß Brecht Zeit in Ost-Berlin auf Funktionärsebene Büchners Revolutionsdrama ‚Danton‘ genauer zu tun, wie auch ein Foto von einer „Frie- kennt als gut ist und dessen Theaterpathos in denskundgebung des Kulturbundes“ am 24. eine diesem sehr ferne Welt der Gegenwart Oktober 1948 in der Deutschen Staatsoper übertrug. “ (Admiralspalast) in Berlin zeigt (Abb. 2). Seine revolutionären Vorbehalte steigert Den kritischen Tenor in der Schwäbischen Abusch in seiner Schluss-Sentenz zu einer Volkszeitung vom 19. Dezember 1922 zum strammen ideologischen Bürgerschelte: Gastspiel der Kammerspiele – „ ‚Ganz Augs- burg‘ lief aus diesem Anlaß ins Theater und „Die Aufführung der ‚Trommeln in der Nacht‘ kam mit dem bekannten Mühlrad im Kopfe durch die Spieler der Münchner Kammer- wieder heraus“ – nimmt Abusch seinerzeit spiele zeigte, wieviel sogar guten bürgerlichen auf und bemängelt das aus revolutionärer Schauspielern an der Gestaltung proletarischer Sicht literarische Machwerk, dem die Ereig- Menschen mißglücken kann. Bei einem Gast- nisse vom März 1919 im Berliner Zeitungs- spiel der Münchner Spieler im Augsburger viertel nur als Vorlage dienten: Stadttheater saß die ganze Blase des kleinbür- gerlichen Theaterpublikums wie angedonnert Brechts Verknüpfung mit dem revolutionären vom Inhalt des Brechtschen Stückes. Beson- Geschehen ist unreal und von rein litera- ders die Gehirne der tonangebenden Bürger rischem Format – auch dort, wo er kräftige und Bürgerinnen versagten den Dienst ob der Ausdrücke häuft. Die brennende Skala der ungewohnten Speise.“ Geschehnisse hat Sprünge, Kittstellen und

Dreigroschenheft 3/2012 31 „Die Standarte des Mitleids“: Ein Nachtrag

Von Mautpreller und Joachim Lucchesi 1903 ist sein Wohnsitz im Annuaire des

Brecht un d Musi k Artistes et de l’Enseignement Dramatique Im Dreigroschenheft 1/2012 haben wir Emile et Musical (Jahrbuch der Künstler und des Wesly als den Komponisten von L’Étendard Musik- und Schauspielunterrichts) mit de la Pitié identifiziert, der musikalischen Brüssel, rue des Confédérés 54, angegeben Vorlage zu Brechts Ballade von den Seeräu- (S. 1124 und 1129). Bereits 1905, in dem bern und dem Lied der Mutter Courage. Wir Jahr, in dem Wesly L’Étendard de la Pitié können nun noch einige weitere Eckdaten komponierte, finden sich dort zwei -ver von Weslys Biografie ergänzen, die nach Pub­ schiedene Adressen: die Brüsseler Anschrift likation des Beitrags im Dreigroschenheft und eine weitere in Paris, und zwar in der entdeckt wurden. rue de Ranelagh 97 (S. 212 und 1130). Das bleibt auch in den Jahren 1906 bis 1909 so, Emile Michel Wesly ist am 1. November 1910 schließlich findet man nur noch die 1858 in Maastricht geboren. Seine Eltern Pariser Adresse. In den Jahren des Ersten waren Henri Wesly (1819–1884) und Caro- Weltkriegs besorgte er eine große Zahl von line Amelie Hollender (1827–1891), Emile Neuharmonisierungen der Nationalhym- war ihr viertes und jüngstes Kind. nen der Allierten für den Musikverlag Gau- det. Gestorben ist Wesly am 26. März 1926, Für 1882 ist eine Adresse Weslys an der wahrscheinlich in Paris. Place de la Vieille Halle aux Blés in Brüssel überliefert (heute ist dort das Jacques-Brel- Am 1. August 1930 wurde das Copyright für Dokumentationszentrum). Zwei Jahre spä- seine Suite printanière noch im Namen von ter, im April 1884, lebte er in Schaerbeek, Emile Wesly, Paris, „als Urheber“ erneuert, einer Nachbargemeinde Brüssels, in der am 16. August tat dies für den Walzer Pa- rue de Cologne 95 als Publizist. 1890 war risienne seine Witwe (die hier, in anderer er als Korrespondent der bekannten fran- Schreibung, als „Maixant Beaubœuf“ fir- zösischen Nachrichtenagentur Havas in miert – wohl ein Übertragungsfehler). Sie Saint Josse ten-Noode tätig, einer weiteren beantragte in den folgenden Jahren immer Nachbargemeinde Brüssels. 1899 wohnte er wieder Copyright-Erneuerungen für seine als Schriftsteller und Journalist in Brüssel Kompositionen, so am 10. Januar 1940 für und heiratete Marie Anne Maxant-Beau- die Tarantella Festa Napoletana und für die bœuf in Ixelles (ebenfalls eine Gemeinde Ouvertüre Neerlandia (unter dem Namen am Stadtrand Brüssels). Pauline Wesly, sehr Marie Anne Léopoldine Renée Maxant wahrscheinlich seine Schwester (jedenfalls Beaubœuf Wesly, Paris) und im Oktober hatte er eine drei Jahre ältere Schwester 1951 für Songes Roses (unter dem Namen dieses Namens), beging im selben Jahr ihre Renée Maxant Wesly). Hochzeit mit Gustave Jules Oscar Maxant- Beaubœuf in Brüssel. Es klingt also nach Für Auskünfte danken wir der Association einer Doppelhochzeit der Familien Wesly de Généalogie Juive Internationale (GenA- und Maxant-Beaubœuf. Emile Wesly hat mi, www.genami.org), der Société des Au- also seinen größten kommerziellen Musik­ teurs, Compositeurs et Éditeurs de Musique erfolg, die Fiançailles oder „Flitterwochen“ (SACEM), Isabelle Dupas (Musikverlag Ri- von 1900, offenbar ungefähr in der Zeit sei- cordi) und Bruno Leroy (Musikverlag Sala- ner eigenen Flitterwochen komponiert. bert) sowie Peter Wesly, Amsterdam.

32 Dreigroschenheft 3/2012 Brecht on Wiki Allein die deutschsprachige Wikipedia hat in gut zehn Jahren die unglaubliche Menge Für Mbdortmund von 1,4 Millionen Artikeln produziert. In Brechts Typologie hat sie sich fraglos in er-

Von Benutzer:Mautpreller ster Linie als Distributionsapparat etabliert: Brecht i m N etz Schüler, Studenten, Journalisten, ja auch Neue Medien: Rundfunk und Wikipedia Wissenschaftlerinformieren sich in der Wi- kipedia, wenn sie etwas nicht wissen. Mich 1932 hielt Brecht eine Rede über ein da- – Wikipedia-Autor seit 2005 – interessiert mals noch ziemlich neues Massenmedium, hier die „andere Seite“, die produktiven und den Rundfunk. Sein zugegebenermaßen kommunikativen Prozesse der Wikipedia, utopisches Ziel war es, den Rundfunk aus und zwar am Beispiel von Brecht selbst. einem einseitigen Distributionsapparat in einen Kommunikationsapparat zu verwan- Die deutschsprachige Wikipedia verfügt deln. Denn er habe das Potenzial, „nicht heute über eine Vielzahl von Artikeln zu nur auszusenden, sondern auch zu emp- Brecht und seinem Werk von sehr unter- fangen, also den Zuhörer nicht nur hören, schiedlicher Länge und Qualität. Wie sind sondern auch sprechen zu machen und diese Texte zustande gekommen? Was hat ihn nicht zu isolieren, sondern ihn in Be- die Autoren dazu getrieben, sie unentgelt- ziehung zu setzen“. Er sei der ideale Ort für lich zu verfassen und zu veröffentlichen? die „Dispute der Kommunen“, er könne die Gibt es hier tatsächlich eine kollektive Pro- Aufgabe angehen, „dass das Publikum nicht duktion eines „Publikums“, und wie sieht sie nur belehrt werden, sondern auch belehren aus? Werden hier die „großen Gespräche“ muß“. geführt? Und nicht zuletzt: Was kommt da- bei raus, taugt das was, und wovon hängt Passt dieser utopische Entwurf nicht viel das ab? Auf diese Fragen werfe ich anhand besser auf die Massenmedien des so ge- einiger umfangreicher Wikipedia-Artikel nannten „Web 2.0“? Sie leben ja gerade von zu Brecht ein paar Schlaglichter. der selbstständigen Aktivität des (inter- netfähigen) Publikums und beziehen ih- Bertolt Brecht ren gesamten Stoff („content“) aus dessen ungesteuerter Kommunikationstätigkeit. Die „Mutter aller Brecht-Artikel“, der Per- Bieten sie nicht prinzipiell die Möglichkeit sonenartikel Bertolt Brecht, ist nicht unbe- für die „großen Gespräche“, die Brecht vor- dingt ein Ruhmesblatt der Wikipedia, eher schwebten? Eine kollektive Produktions- ein Flickenteppich. In den biografischen weise, wie Brecht sie propagierte und (in Stationen des Texts findet man eine -Rei Grenzen) experimentell betrieb, könnte mit he von fragwürdigen Behauptungen und dem Apparat des Web 2.0 eine technisch – Widersprüchen. Die Schwerpunktsetzung und vielleicht auch sozial? – leistungsfähige wirkt zufällig und unausgewogen. Ande- Basis erhalten. rerseits fällt etwa ab der Jahreszahl 1945 ein Bruch auf: Ab hier liest sich der Text fast Zum Web 2.0 zählt die Wikipedia, ein von schlagartig besser, er wirkt durchdachter, jedermann bearbeitbares, von Freiwilligen besser ausformuliert und kenntnisreicher. getragenes und auf Spenden und unbezahl- te Arbeit angewiesenes Unterfangen, eine Schaut man hinter die Kulissen des „ferti- Art Universalenzyklopädie zu schaffen. Sie  Eine kommentierte Liste findet man unter Benut- gehört zu den meistaufgesuchten Seiten im zer:Mbdortmund/Brecht-Artikel. Vollständiger, aber Internet (Platz 6 in der Alexa-Rangliste). unkommentiert ist die Artikelliste unter Kategorie: Bertolt Brecht. Dreigroschenheft 3/2012 33 gen Texts“, in seine Produktionsgeschich- und klischeehafte Darstellung anhand um- te, so stellt sich heraus: Die Urversion fangreicher Lektüre richtigstellen wollte. von Bertolt Brecht war gerade einmal drei Der neue Artikel fing sich alsbald einen Druckseiten lang und wurde noch in der ‚Löschantrag‘ ein: Er sei zu löschen, weil

Brecht i m N etz Urgeschichte der deutschen Wikipedia er zentrale Wikipedia-Richtlinien verletze. erstellt, am 30. September 2002, mit der Grob gesagt war der Hauptvorwurf ‚The- Bemerkung „Dieser Artikel braucht noch oriefindung‘, d. h. der Artikelautor habe Arbeit (er hat etwas das Niveau des Refe- nicht Fachliteratur referiert, sondern selbst- rats einer Zehntklässlerin), aber wenigstens ständig und subjektiv Quellen ausgewertet; gibt es jetzt einen Brechteintrag in der dt. dies liege bei einem Lemma ‚Brecht und …‘ Wikipedia.“ Danach wuchs der Text lang- ja auch nahe. Es handele sich eher um einen sam und recht unsystematisch vor sich hin; Essay als einen Lexikonartikel. Tatsächlich was jemand beitragen wollte und halbwegs wurde der Artikel von einem Administrator vernünftig aussah, kam in den Artikel, ohne gelöscht, und auch die ‚Löschprüfung‘ ver- großen Blick auf das Textganze. Es gab die lief erfolglos. Unmittelbar danach gab der üblichen Scharmützel: Schülervandalismus Benutzer seine Wikipediatätigkeit auf. oder auch Konflikte mit Kommunistenfres- sern, die gern moralische Verurteilungen In den folgenden Jahren fiel Bertolt Brecht des „Stalinfreunds“ einbringen wollten weitgehend in sein quasi vegetatives Dasein – Wikipedia-Alltag, der ohne besondere zurück. Einen Anlauf wie 2008 unternahm Probleme bewältigt wurde. niemand mehr, die Darstellung zum 17. Juni wurde allerdings noch überarbeitet. So ent- Die wichtigste Phase der langen Artikelge- spricht der Entstehungsprozess des Artikels schichte umfasste nur etwa einen Monat. weitgehend einem bekannten Klischeebild Im September/Oktober 2008 schaltete sich der Wikipedia: der ‚Schwarmintelligenz‘ ein einzelner „Benutzer“ (so der Wikipedia- vieler einzelner Beiträger, die kaum aufei- Jargon) ein und erhöhte den Artikelumfang nander Bezug nehmen. Anfällig sind dafür im Alleingang fast auf das Doppelte (von 12 besonders Themen, zu denen es extrem viel auf 22 Druckseiten). In der Biografie waren Literatur gibt. Ein guter Überblick in zu- es besonders die Abschnitte zu Brecht in mutbarer Länge erfordert dann gute Litera- der DDR, die er massiv ausbaute und rich- turkenntnis und ein sicheres Urteil bei der tigstellte; dazu kamen neue Kapitel zum Auswahl und Auswertung; es hat sich kein Werk, insbesondere zu den Lehrstücken einzelner Autor bzw. keine Autorengruppe und zur Lyrik, zur Rezeption und zu den mehr gefunden, die sich dieser Aufgabe Erben. Diese Arbeit ist vollständig erhalten gewachsen gefühlt hätten. So wartet die- geblieben; leider endete sie bald. ser Text noch heute auf eine grundlegende Überarbeitung – denn verloren geht in der Denn dieser Benutzer schrieb im Oktober Wikipedia nichts. 2008 einen eigenen Artikel Brecht und der 17. Juni 1953. Er hielt das für nötig, weil der Die Geschäfte des Herrn Julius Caesar Text den biografischen Abriss überfordert hätte und weil er offenbar eine schlechte Ein ganz anderer Fall ist der erste zum ‚Ex- zellenten‘ gewählte Brecht-Artikel: Die Ge-  Die Darstellungen beruhen durchweg auf den sog. schäfte des Herrn Julius Caesar. Dieser Text Versionsgeschichten der Wikipedia, die öffentlich jeden Bearbeitungsschritt mit Autor, Datum, Uhr- ist kein Flickenteppich, sondern aus einem zeit und Begründung dauerhaft dokumentieren, so- Guss. Er verfolgt ein klares Konzept, das er wie auf den Diskussionsseiten zu den Artikeln, die auch expliziert, stellt interessante Fragen, einen Einblick in die gesamte Abstimmungs- und vermittelt zuverlässige Information, deckt Konfliktgeschichte erlauben. 34 Dreigroschenheft 3/2012 alle wesentlichen Aspekte ab. Ich muss in der über den Artikel verhandelt und die- zugeben, dass ich ihn nicht mit Begeiste- ser weiter bearbeitet wurde, nämlich im Zu- rung gelesen habe: Mir fehlt es vor allem sammenhang des Wikipedia-Bewertungs- an ‚übergreifender‘ Sicherheit in der Text- und Qualitätssicherungsverfahren. Themen analyse und der Kenntnis des Umfelds (Bo- der Diskussion waren die Brauchbarkeit als Brecht i m N etz napartismusthese, Exildebatten). Trotzdem Lexikonartikel, die Vernetzung mit ande- ist das im Ganzen ein solider, ideenreicher, ren Wikipedia-Artikeln, die ‚historische mit den Herausforderungen eines Wikipe- Korrektheit‘ des Romantexts und vor allem dia-Artikels bewusst und geschickt umge- die Länge. So führte der gemeinschaftliche hender Text. Review-Prozess, sehr ungewöhnlich für die Wikipedia, tatsächlich zu einer spürbaren Dieser Artikel hat eine Hauptautorin, die Raffung des Texts. praktisch den gesamten Text verfasst hat. Und dies nicht in einem Prozess der Rei- Die Anlage als ‚Musterartikel‘ für die Be- bung mit vorgefundenem Material, son- arbeitung eines literarischen Themas in dern in einem einzigen Bearbeitungsschritt der Wikipedia, wie sie bereits durch den am 3. September 2007. Dies hängt eng da- Ausschreibungstext der Zedler-Medaille mit zusammen, dass der Artikel gar nicht präformiert war, bildete ein übergreifen- innerhalb der Wikipedia entstanden ist. Die des Thema in den Diskussionen rund um Autorin hat ihn als Beitrag für die Zedler- diesen Artikel. So wurde er als Anschau- Medaille verfasst, einen mit 3.000 € do- ungsbeispiel in einer Diskussion des Por- tierten Wettbewerb, im „Jahr der Geistes- tal:Literatur angeführt. Denn nicht nur wissenschaften“ 2007 erstmals ausgeschrie- die mangelhafte Qualität vieler Artikel zu ben, und zwar gemeinsam von Wikimedia literaturwissenschaftlichen Themen, son- Deutschland, der Mainzer Akademie der dern auch eine gewisse Abneigung zahl- Wissenschaften und dem Verlag Spektrum reicher WP-Autoren gegen derart Inexaktes der Wissenschaft. Die Zedler-Medaille zielte machte zeitweise Autoren dieses Bereichs auf Kandidaten, „denen es gelingt, einen Kopfzerbrechen; so etwa eine ganze Serie Sachverhalt aus dem Gebiet der Geisteswis- von Löschanträgen gegen Kurzgeschich- senschaften zugleich auf inhaltlich hohem ten von Wolfgang Borchert, die angeblich Niveau wie auch in allgemeinverständ- so nicht in eine Enzyklopädie gehörten. Es licher Form darzustellen“. Von der Wikime- gab hier also Ansätze zu einer übergreifen- dia-Seite her wollte man so neue Autoren den Zusammenarbeit, die jedoch letztlich und Artikel gerade in den „inexakten“ Be- folgenlos blieben, unter anderem auch, weil reichen gewinnen, denn die Wikipedia hat die Autorin 2008 die Wikipedia verließ. seit ihrer Gründung eine Schlagseite zum  „Faktischen“. Erinnerung an die Marie A. Auf diese „einsame“, durchaus konventio- Dieser Artikel über eines der bekanntesten nelle Produktion folgte jedoch eine intensive Gedichte Brechts ist ungefähr so lang wie und gemeinschaftliche zweite Arbeitsphase, der über sein voluminöses Romanfrag-  Der Artikel erhielt jedoch keinen Preis, dieser ging ment. Es ist ein sehr umfassender Text, der an Ludwig Feuerbach. Die Zedler-Medaille existierte auf eine Vielzahl relevanter Aspekte eingeht nur bis 2010 und ist inzwischen durch einen „Zed- und in der Literatur aus dem Vollen schöpft. ler-Preis“ ersetzt worden (vgl. Wikipedia:Zedler- Preis). Nicht alle Abschnitte passen jedoch bruch-  So erklärt es sich auch, dass es in der Wikipedia zwar los zusammen. eine funktionierende Redaktion Biologie oder Me- dizin gibt, das Portal:Literatur dagegen niemals eine Auch dieser Artikel hat einen eindeutigen feste Form gefunden hat. Dreigroschenheft 3/2012 35 Hauptautor: den Benutzer:Mbdortmund, den Musikteil der Marie A. zu bearbeiten. einen Lehrer für Deutsch und Philosophie Das geradezu rauschhafte Entdeckerlesen, an einem Berufskolleg. Der kürzlich an das unmittelbar zur Produktion öffent- einer schweren Krankheit gestorbene Au- lich prominent aufzufindender Ergebnisse

Brecht i m N etz tor hatte zwei Hauptmotive: einerseits die führt, habe ich hier nicht zum erstenmal Etablierung des Themas Literatur in der erlebt; ich bin überzeugt, dass es zu den Wikipedia; andererseits die Erfahrungen primären Schreibantrieben der Wikipedia mit seinen Schülern, die in der Wikipedia zählt. Und zugleich ist die situative inten- etwas Brauchbares an die Hand bekommen sive Kooperation ein enorm befriedigender sollten. Und nicht zuletzt ein Faible für Antriebsfaktor. Brechts schönes Gedicht, aus dem ein Vier- zeiler in seine Todesanzeige aufgenommen Um den Artikel hatte sich also (im Fall worden ist. Brecht: erstmals) eine lockere Produktions- gemeinschaft gebildet, die auch in weiteren Anders als die Geschäfte des Herrn Julius Brecht-Artikeln wieder zusammenfand, mal Caesar entstand dieser Text innerhalb der etwas erweitert, mal etwas geschrumpft. In Wikipedia, und zwar in drei großen Schü- erster Linie hatte sie die Gestalt eines Kreises ben: im September 2006, im Dezember interessierter und sachkundiger Reviewer, 2008 und ab Juni 2010. Zwischen diesen die einem verantwortlichen Hauptautor Schüben geschah nichts Relevantes, der Feedback und Anregungen geben. Wirk- Artikel ‚wartete‘. Bis zum Juni 2010 war er lich ‚verteilte‘ Artikelarbeit kommt auch in in einsamer Arbeit des Autors gewachsen, der Wikipedia selten vor, obwohl es einige dann stellte dieser ihn ins Wikipedia:Review Beispiele dafür gibt; meist ist dann eine Ab- ein. Daraus ergab sich eine dauerhafte Zu- sprache zur Aufteilung nach Themen oder sammenarbeit mehrerer Autoren, die sich Abschnitten notwendig – oder ein Arbeiten in der Folgezeit auf andere Brecht-Artikel in getrennten „Phasen“, da der Artikel ja ausdehnte. Eine Reihe von Benutzern aus „wartet“. dem Literaturbereich meldete sich mit um- fangreichen Rückmeldungen, Vorschlägen, Episches Theater Anregungen und Kritiken zu Aufbau und Sprache des Artikels, die Mbdortmund je- Dieser Artikel ist meines Erachtens der be- weils beantwortete. Es kam zu lebhaften ste der gesamten Brechtfamilie in der Wiki- Diskussionen, die meist schnell zu einer pedia. Er verfügt über ein schlüssiges Kon- Überarbeitung des Artikels durch den zept und behandelt zum Teil sehr detailliert Hauptautor führten.  Eine solche Zusammenarbeit gab es etwa auch bei einem weiteren „Ausläufer“ der Marie A.: In der In einem Fall kam es sogar zur unmittelbar Veröffentlichungsgeschichte der Marie A. stach kooperativen Arbeit: Ich fragte im Review mir ein gewisser Jo Lherman ins Auge, der in sehr nach den Vertonungen des Gedichts, nach- unterschiedlichen Schreibungen immer wieder in dem ich aus dem Text in diesem Punkt nicht der Literatur erwähnt wird, über den ich aber zu- nächst nichts Substanzielles finden konnte – bis ich recht schlau geworden war. Darauf gab es in einem etwas entlegenen Jahrbuch für Exilliteratur offenbar keine einfache Antwort, und so be- einen biografischen Aufsatz entdeckte. Ich war fas- gann ich selbst zu suchen und zu lesen. Ich ziniert von dieser unglaublichen Lebensgeschichte, legte einen ‚Ausläufer‘ an, den neuen Arti- recherchierte weiter und schrieb Walter Ullmann (Regisseur und Journalist). Als ich halbwegs zufrie- kel Franz Servatius Bruinier zu Brechts er- den war, schaltete sich ein Spezialist für „schräge“ stem Komponisten, stimmte mich mit dem Biografien, ein, der in anderem Zusammenhang auf Hauptautor ab, beschaffte mir Literatur aus Lhermans zweite Inkarnation Gaston Oulmàn ge- den Universitätsbibliotheken und begann stoßen war, und es begann eine neue, unmittelbar kooperative Produktionsphase. 36 Dreigroschenheft 3/2012 eine große Auswahl wesentlicher Aspekte. Vielleicht noch wichtiger: Im Zuge der Das Gesamtergebnis macht auf mich einen Kandidaturen kam erstmals ein Programm runden Eindruck. Aufgrund der enormen für die Brechtartikel in der Wikipedia zu- Länge kann man sich allerdings streiten, ob stande, eine Art Brechtprojekt. Mbdort- der Text noch als Überblicksartikel ‚durch- mund hatte parallel bereits eine ganze Serie Brecht i m N etz geht‘. an Brechtartikeln ausgebaut oder neu an- gelegt und veröffentlichte eine kommen- Hier ist Mbdortmund noch in höherem tierte Bestandsaufnahme. Insbesondere für Maße als bei der Marie A. Hauptautor. Er die Mutter Courage kam es zu konkreten fand einen Kurztext vor, der im Wesent- (wenn auch, wikipediatypisch, nur wenig lichen identisch mit dem Überblick im Per- verbindlichen) Planungen. Aber auch Ber- sonenartikel Bertolt Brecht war, und bear- tolt Brecht selbst stand auf der Agenda, der beitete ihn in einer einzigen langen Produk- Zustand des Personenartikels wurde von tionsphase praktisch als Einziger. So ist es Diskutanten als ‚beschämend‘ beurteilt (lei- nicht verwunderlich, dass sich in der Kon- der bisher ohne Folgen). dolenzliste für den Autor die Eintragung findet: „Vitae volant, scripta manent: Dein Mutter Courage und ihre Kinder Artikel Episches Theater wird sicher noch viele Jahre viele Leser finden und (was dich Mit 56 Druckseiten ist dieser Artikel der besonders freuen dürfte) noch abertausen- längste der gesamten Brechtfamilie in der den Schülern helfen, und ganz sicher wirst Wikipedia, und das ist noch nicht alles: Es du so irgendwann der gleich nach Brecht gibt separate Artikel Mutter Courage und meistgelesene Autor zum Thema sein ihre Kinder (Figurenanalyse), Mutter Cou- – mindestens so bist du hier ein bisschen rage und ihre Kinder (Vertonung), Mutter unsterblich“ (Benutzer:Janneman). Courage und ihre Kinder (Verfilmung) und Lied der Mutter Courage. Eine ungeheure In einsamer Arbeit ist der Artikel dennoch Fülle an Material und Literatur wurde ver- nicht entstanden. Eine ausgedehnte Dis- arbeitet. Das Ergebnis ist längst nicht „fer- kussion im Review und bei der Exzellenz- tig“, es fehlt ihm die Abstimmung – aber kandidatur hatte enorme Auswirkungen einen leichter zugänglichen Einblick in die auf den wachsenden Artikel. Daran nah- umfassende Bedeutung dieses wohl erfolg- men nun noch weitere Autoren teil, etwa reichsten Bühnenstücks von Brecht wird der Verfasser eines „exzellenten“ Artikels man kaum finden können. über Piscator, der viel zur Klärung der Be- griffsgeschichte beitrug; ein Kenner ame- In diesem Fall gab es vor Mbdortmunds rikanischer Literatur, der den Einfluss auf Bearbeitung bereits einen nennenswerten Thornton Wilder betonte; die unvermeid- „Altbestand“, was die Arbeit nicht er- liche Marxismusfrage wurde recht undog- leichterte. Andererseits existierten hier von matisch, aber intensiv besprochen; Debat- vornherein Absprachen für den gemein- ten über Adornos Stellung zum Epischen schaftlichen Ausbau des Artikels, die frei- Theater führten zum erheblichen Ausbau lich (nicht untypisch) nicht ganz eingehal- dieses Abschnitts. Diese sehr produktive ten wurden (unter anderem von mir). So Zusammenarbeit ist zugleich aber ein nicht ist fast der gesamte Text des Hauptartikels unwesentlicher Faktor für die Länge des erneut auf Mbdortmunds Arbeit zurückzu- Artikels. Es kamen halt immer noch neue führen. Er stellte umfangreiche Lektüren an Aspekte hinzu – eine Raffung des Textes und baute parallel den Artikel immer weiter war in diesem Produktionsprozess offen- aus. So wuchs er über alle Grenzen: An sei- kundig nicht zu schaffen. nem Gipfelpunkt gehörte er mit 82 Druck-

Dreigroschenheft 3/2012 37 seiten zu den längsten Artikeln der deutsch- dass die Autoren unkoordiniert gemeinsam sprachigen Wikipedia überhaupt, auch jetzt an einem Text schreiben. Das war bekannt- nimmt er noch Platz 160 unter 1,4 Millio- lich auch nicht die Kooperationsform, mit nen Artikeln ein. der Brecht selbst experimentiert hat; ihm

Brecht i m N etz ging es durchaus um strukturierte gemein- Dieser Umfang überforderte die Wikipe- same Arbeit, und nicht zuletzt war er sehr dia-Qualitätsicherungsmechanismen und interessiert daran, die Arbeit zu leiten und führte letztlich zu größeren Kürzungen, vor das Ergebnis zu kontrollieren (was in der allem aber zu Auslagerungen einzelner Teile Wikipedia sehr viel schwieriger wäre). (siehe oben). Die erneut intensiven Diskus- sionen verlagerten sich auf andere Wikipe- Die wichtigste Voraussetzung für das Ge- dia-Seiten, insbesondere gab es lebhafte De- lingen der Kooperation ist freilich, dass ein batten auf Mbdortmunds Benutzer-Diskus- soziales Netzwerk von Zusammenarbeiten- sionsseite und einen regen Austausch per den entsteht; dass es ihnen gelingt, sich „in E-Mail. Unter anderem führte eine Debatte Beziehung zu setzen“. Diese sozialen Vo- über eine Analyse von Jan Knopf zu einem raussetzungen müssen (durchaus aufwän- weiteren „Ausläufer“: Der Literaturwissen- dig und mühsam) in Eigenarbeit geschaffen schaftler Clemens Lugowski, Urheber der werden. Und bei den existierenden Netz- von Knopf angewandten Begriffe der Wie- werken ist die Fluktuation hoch. Einerseits Spannung und der Ob-Überhaupt-Span- liegen die Barrieren für situative Kooperati- nung, erhielt in der Diskussion zunächst on, auch und gerade über Disziplingrenzen einen „Rotlink“ (also einen Verweis auf hinweg, sehr niedrig und bieten beispiellose einen noch ungeschriebenen Artikel) und Möglichkeiten für pragmatisches Zusam- dann einen eigenen Eintrag. Und die Ab- menarbeiten ohne institutionelle Hemm- sprache zur Vertonung der Mutter Courage nisse; andererseits müssen sich die Leute im gab Anlass zu umfangreichen Recherchen, Datendickicht erstmal „finden“, was weitge- die schließlich in dem von mir gemeinsam hend von Zufällen und individuellen Ini- mit Joachim Lucchesi verfassten Dreigro- tiativen abhängt, und die sich ergebenden schenheft-Beitrag „Die Standarte des Mit- Projekte sind wenig verbindlich (schließ- leids – gefunden“ resultierten. Dieser hat lich handelt es sich um eine Freizeitaktivi- wiederum Niederschlag in der Wikipedia tät). Kommt ein Netzwerk aber zustande gefunden: Die Urheber und Interpreten und erweist sich als tragfähig, können die von L’Étendard de la Pitié, Léon Durocher, Ergebnisse sehr ansehnlich sein. Jean Noté und Yvonneck haben dort mitt- lerweile ihre eigenen Artikel, Émile Wesly Dazu trägt vor allem die Distributionssei- wird folgen. te des Mediums bei. Wie beim Rundfunk (genauer: bei der Livesendung) ist, was Es ist ungewiss, wie die Arbeit an diesem produziert wurde, unmittelbar öffentlich. enormen Material weitergehen wird. Jede neue Version eines Artikels erreicht ohne Verzögerung ein potenziell fast un- Ein Brecht’scher Kommunikationsapparat? begrenztes Publikum. Aus zahlreichen Ge- sprächen weiß ich, welche große Rolle die- Wie der Überblick zeigt, kann die Wikipedia se enorme Reichweite ohne zeitliche Puffer durchaus als Kommunikationsapparat für für die Schreibmotivation spielt. Ein tech- Texte funktionieren, die in kollektiver Ar- nischer Fortschritt ist daneben die schrift- beit entstehen – freilich nicht in der Form, liche Fixierung; so bleiben alle Zwischen- ergebnisse erhalten und warten weltweit  Vgl. Dreigroschenheft 1/2012 sowie den Nachtrag zugänglich auf ihre Fortsetzung, Revision im vorliegenden Heft. 38 Dreigroschenheft 3/2012 oder Erweiterung – und auf Kommentar ganz besonders die Fähigkeit zur Selbstdar- und Diskussion des Publikums. stellung in schriftlicher Form.

Brecht hebt getreu seiner Poetik die klas- Und es gibt eine andere Form der sozialen sische Funktion der Belehrung hervor, und Schließung, nämlich die Abgrenzung nach Brecht i m N etz sie ist es, die auch in der Wikipedia-Artikel- „außen“. Gerade sachkundige Autoren, die arbeit eine überragende Bedeutung hat, wie etwas beitragen möchten, aber die Wikipe- sich gerade an den Brecht-Artikeln zeigen dia nicht kennen und über kein Insiderwis- ließ. Hier beginnen freilich die Einschrän- sen verfügen, tun sich oft sehr schwer. Denn kungen. Denn die Diskussionsprozesse und die prinzipielle Offenheit der Wikipedia die gemeinsamen Produkte sind eben nicht hat zu einem ausgedehnten Kontrollwesen auf die lebendigen „Dispute der Kommu- geführt, das für einen Außenseiter kaum nen“ zugeschnitten, sie zielen dem Selbst- durchschaubar ist. Gerade hier können die verständnis der Wikipedia nach auf Re- „plebejischen“ Umgangsformen durchaus produktion „gesicherten Wissens“, und das hinderlich sein: Sie haben eben nicht nur heißt in erster Linie: kanonisierten Wissens. eine demokratisierende und Fähigkeiten Die sog. Grundprinzipien der Wikipedia freisetzende Dimension, sondern brin- zeigen das deutlich: Der „neutrale Stand- gen oft auch Ressentiment zum Ausdruck. punkt“ (NPOV) und die Direktive „keine Dass alle Accounts anonym und gleich Theoriefindung“ (NOR, KTF) sind nicht sind, kann allzu oft bedeuten: Du bist auch mit einer offenen Auseinandersetzung über nichts Besseres als wir, magst Du auch noch die Gestaltung der Gesellschaft vereinbar; so viel wissen und im „Real Life“ noch so buchstäblich angewandt, würden sie die viele akademische Titel besitzen. „So wird Artikelarbeit auf ausgewogene Präsentati- das hier gemacht“, kann es dann heißen. on „des“ Forschungsstandes beschränken (wenn es so etwas denn gäbe). Doch die Bei allen Einschränkungen: Ich würde mich Wikipedia ist mehr als ihre „Grundprin- sehr freuen, wenn Brechtkenner sich an un- zipien“. So sehr diese als allgegenwärtige serer Arbeit beteiligen. Gibt es Probleme, Berufungsinstanzen und damit als „Kitt“ bitte ich um Nachricht auf Benutzer Diskus- für das enormen Fliehkräften ausgesetzte sion:Mautpreller; ich kann zwar sicher nicht soziale Gebilde der Wikipedia fungieren immer abhelfen, aber meistens Rat geben. – was und wie in ihrem Rahmen diskutiert und produziert wird, hängt in erster Linie an den lebendigen Produzenten und ihren sozialen Netzwerken. Es ist konkret nicht (nur) Reproduktion, sondern Aneignung.

Über die Herkunft der Schreibenden sollte man sich keine Illusionen machen. Zwar ist das Selbstverständnis der Wikipedia „plebejisch“ (jeder kann mitmachen), real gibt es aber deutliche Prozesse der sozialen Schließung. Der soziale und kommunika- tive Habitus der Teilnehmenden lässt sich  Adorno hat dieses Zitat der bösen Heimleiterin aus nicht verbergen: Es dominiert, wie könnte Tucholskys Schloß Gripsholm mehrfach aufgenom- es anders sein, das Bildungsbürgertum, das men, um Anweisungen zu glossieren, die in Aus- – mit Bourdieu zu reden – sein kulturelles sagesatzform daherkommen und sich damit gegen Kapital in die Waagschale werfen kann, Hinterfragung sperren (so etwa im Jargon der Ei- gentlichkeit). Dreigroschenheft 3/2012 39 Kultur für alle Nach seinem beigegebenen Foto zu urteilen, gehört Seiler einer Generation an, die schon

F estival Von Jan Knopf mal was vom Nationalsozialismus gehört haben sollte. Künstler wie Breker oder die Anlass zu diesem kleinen Artikel ist die of- Vereinnahmung Wagners durch Hitler und fenbar vorsätzlich böswillige Stellungnah- seine Schergen als Beispiele für repräsenta- me in der DAZ, genannt Am Krankenlager tive deutsche Kunst anzuführen, ist nur als des Brecht-Festivals, am 2. Mai 2012 von sträfliche Ignoranz zu qualifizieren, zumal Manfred Seiler, durch die auch ich mich Seiler auch gleich noch zwei ehemalige angesprochen sehe, weil ich ja als wissen- DDR-Schriftsteller/Innen nennt und das schaftlicher Berater tätig und deshalb auch Leipziger Gewandhausorchester und diese für die inhaltliche Ausstattung des diesjäh- also zu staatstragenden undemokratischen rigen Festivals mitverantwortlich war. Kräften deklariert. Da diese Ausführungen im Kontext eines Brecht Festivals gemacht Zunächst aber muss ich mich ein wenig werden, muss man sich schon fragen, ob wundern, dass Seiler offenbar nicht in der Seiler, der ja angeblich so gut vom Politi- Lage ist, Argumente, die ich ihm (im letz- ker Brecht Bescheid weiß, je was von Exil, ten Dreigroschenheft) vorgelegt habe, zu Verfolgung und Ermordung von Tausenden reflektieren und meinetwegen zu widerle- (nicht nur) deutschen Künstlern gehört hat, gen; aber so wiederholt er nur, was er schon was durch den Faschismus in einem Um- vorher ausgebreitet hatte, nun aber mit der fang geschah, dass die halbe Welt umge- prinzipiellen Unterstützung des Buchs Der krempelt und verwüstet wurde und alle Kulturinfarkt, das auf dem politischen Ni- nicht staatstragenden Künstler zumindest veau der Piratenpartei argumentiert, ein ihre Heimat verloren. Niveau, dessen Untiefen wir schon bei der Elefantenrunde des Festivals in der Person Und noch eins, was Seiler auch wissen von Sebastian Nerz ausloten durften. könnte: Alle Diktaturen verfolgen oder maßregeln zumindest die Künstler, die Zunächst zu den falschen Behauptungen. nicht auf ihrer politischen Linie sind, denn Dass Peter Grab auf die Standing Ovations es hat sich offenbar herumgesprochen, dass hingewiesen hat, tut Seiler so ab, als hätten die Künste schon immer den herrschenden sie nur in Grabs Kopf stattgefunden, und Diskurs in Frage stellten und, wie umge- was, bitte sehr, zeichnet ein gelungenes Fe- kehrt es sich offenbar nicht herumgespro- stival aus: doch wohl dann, wenn das Pu- chen hat, dass die Staatskunst keine Kunst, blikum begeistert werden kann? Dies als sondern Kitsch ist. Leider muss man diesen billiges Plebiszit abzutun, kann nur der, Vorwurf auch Gründgens machen, dem der darunter nicht eine Volksabstimmung, Klaus Mann in seinem Mephisto-Roman als sondern ein Pöbelgetrampel versteht. We- scheiternden Künstler auf klassische Weise sentlich schlimmer aber wird’s, wenn Seiler ein Denkmal errichtete. Dass Gründgens schreibt: nach Krieg und Faschismus wieder auf die künstlerische Linie zurückfand, verdankte „Ob Gustaf Gründgens, Wagner Festspiele er u.a. jenem Bertolt Brecht, der – kaum in Bayreuth, Arno Breker, Hermann Kant, nach Berlin zurückgekehrt – Gründgens Christa Wolf oder das Gewandhausorchester: am 18. Januar 1949 telegrafierte: „Sehr ge- Sie alle waren Teil des jeweiligen Systems ehrter Herr Gründgens! / Sie fragten mich und repräsentierten es. Der subversive bezie- 1932 um die Erlaubnis, ‚Die heilige Johan- hungsweise der demokratische Charakter der na‘ aufführen zu dürfen. Meine Antwort ist Kunst war und ist ein Märchen.“ ja. / Ihr bertolt brecht“.

40 Dreigroschenheft 3/2012 Immer noch geht es um die Frage, ob 3 Brecht Kommunist war? Der alte Popanz! In diesen Jahren fiel das Wort Freiheit

Wer Brechts Werke genauer kennt, weiß, Aus Mündern, drinnen Eis zerbrach. F estival dass darin nichts ist, was auch nur entfernt Und viele sah man mit Tigergebissen mit dem Parteikommunismus zu tun hat, Ziehend der roten, unmenschlichen Fahne auch in der Maßnahme nicht, wie man sich nach. gerade an der Augsburger Inszenierung überzeugen konnte, ganz abgesehen davon, 10 dass sowohl die zeitgenössische als auch die Und mit dem Leib, vom Regen hart spätere DDR-Kritik von kommunistischer Und mit dem Herz, versehrt von Eis Seite dieses Stück mit heftigster Ablehnung Und mit den blutbefleckten leeren Händen verfolgte, weil natürlich mal wieder einmal So kommen wir grinsend in euer Paradeis. niemand die spezifisch ästhetische Lösung des Stücks verstanden hatte. Und eine Strophe aus dem Heimlichen Auf- marsch von 1929, vertont 1938 von Hanns Dass das diesjährige Festival das Thema Eisler, gesungen in der klassischen Version verfehlt hätte, ist ebenfalls eine Unterstel- von Ernst Busch, wobei mir die Version, die lung. In der Eröffnungsveranstaltung gab Nino Sandow im Goldenen Saal zu Gehör es – neben den üblichen grundsätzlichen brachte, noch besser gefiel: Beiträgen und auch künstlerischen Einla- gen – die Kinderhymne, von Brecht gedacht Arbeiter horch, sie zieh‘n ins Feld, als neue Nationalhymne eines vereinten doch nicht für Nation und Rasse. Deutschlands (in den 50er Jahren, von de- Das ist der Krieg der Herrscher der Welt, nen wir heute wissen, dass die westliche gegen die Arbeiterklasse. Seite, sprich: BRD, hauptsächlich die Alt- Nazis wieder in die politisch verantwort- Und während sie schon zum Schlag ausholen lichen Ämter hob, und es ein absoluter betrügen sie dich mit Friedensparolen. Glücksfall war, dass das „Reich“ nicht noch Der Krieg der jetzt vor der Türe steht einmal erneuert wurde), den Gesang des ist der Krieg gegen dich, Prolet! Soldaten der roten Armee, über den Brecht behauptet hatte, er beziehe sich auf die bay- Refrain: erische rote Armee, was natürlich ein Fake Arbeiter, Bauern, nehmt die Gewehre, war, dann Der heimliche Aufstand von Erich für das proletarische Vaterland. Weinert mit der Musik von als Zerschlagt die faschistischen Räuberheere, Höhepunkt am Schluss, glänzend vorgetra- setzt alle Herzen in Brand! gen von der Bolschewistischen Kurkapelle Pflanzt eure roten Fahnen des Sieges Schwarz-Rot. auf jede Schanze, auf jede Fabrik. Dann blüht aus der Asche des letzten Krieges Nur zwei Kostproben aus Brechts Lied die sozialistische Weltrepublik! über die Rote Armee der Sowjetunion, die Strophen 3 und 10, geschrieben 1925, u.a. Ich bin mir sicher, dass solche Töne der veröffentlicht in der Hauspostille 1927 in Goldene Saal noch nie gehört hat; war Herr mindestens zwei Auflagen, also ein Jahr Seiler nicht dabei? Ich gebe zu, dass Joach- nach Brechts angeblicher „Konversion“ im Lang und ich ein wenig Sorge hatten, zum Kommunismus; 2012 als Urauffüh- ob der Ruf nach der sozialistischen Welt- rung in Augsburg in der musikalischen republik womöglich einen kleinen Skandal Bearbeitung von Geoffrey Abbott und Isa- auslösen könnte – aber was können wir bell Münsch: dafür, wenn das Publikum – wie ich finde

Dreigroschenheft 3/2012 41 mit Recht – richtig begeistert war, und zwar Höhepunkte gedacht, ausfiel, die extra für ziemlich einhellig, eben weil die künstleri- Augsburg ein politisches Brecht-Programm

F estival sche Qualität stimmte? ausarbeiten wollte (wobei auch hier gleich wieder gemutmaßt wurde, sie habe nur des- Die Maßnahme hat natürlich nichts mit halb abgesagt, weil sie das Festival zu poplig Politik zu tun; die Stadtratssitzung Plan B fand), und Meret Becker, die durchaus nicht natürlich auch nicht, die Fraktionsrunden, Ersatz war, nur ein bereits eingeübtes Pro- die die Grünen boykottierten (was einfach gramm vortragen konnte, das zugegeben nur schlechter Stil war), waren Versamm- nur sehr bedingt politisch war, und ande- lungen von Gesangsvereinen (oder so), und rerseits daran, dass wir als die Veranstalter die Politikerrunde im Goldenen Saal war die ausübenden Künstler nicht zwingen selbstredend ausschließlich mit Vertretern konnten, sich an die vereinbarte Linie zu von Fußballvereinen besetzt (unter Aus- halten (was wir uns natürlich merken). schluss des FC Augsburg, von dem damals noch niemand so recht glauben wollte, er Die Autoren des Kulturinfarkts, deren Ur- überstünde seine erste Runde in der 1. Bun- teile Seiler unbefragt übernimmt, sind ge- desliga). nau auf der modischen Linie der Kommer- zialisierung aller Bereiche der Gesellschaft. Wer Brecht ein wenig kennt, weiß, dass die Wer „hohe Kunst“ mit Langeweile identifi- meisten seiner Kindergedichte zugleich ziert – etwa in der Dichtung auf der Linie politische Gedichte sind (wie am erfolgrei- eines Stefan George, des gefeierten Minder- chen Kindernachmittag mit Karla Andrä dichters von heute (der keine Förderung zu überprüfen war), wie auch – wie schon benötigt) – und nicht mit Qualität, was im letzten Heft ausgeführt – derAugsburger gerade Brecht (u.a. mit Weill und Eisler) Kreidekreis zwei politische Systeme verhan- unter Beweis stellte, indem er zur Zeit der delt und sich der Richter als Gesetzesbre- Weimarer Republik in die Unterhaltungsin- cher outet. Auch der Baal (im Stadtbad) dustrie einbrach, ohne an Qualität einzubü- verhandelt das politische Thema vom Un- ßen, der fördert am Ende jenen Empfind- tergang des bürgerlichen Individuums, das samkeitsmüll, der uns aus allen Ecken der in den heutigen restaurativen Zeiten wie- Republik entgegendröhnt. Darauf gehe ich der anachronistisch auf den Thron gehoben einen heben. wird und deshalb dringend aktueller Kritik bedarf. Ich verweise etwa an den unsägli- P.S.: Als kleine Eigenwerbung füge ich noch chen Singsang der Söhne Mannheims oder an, dass im August meine Brecht-Biografie von Silbermond, dessen Sängerin dermaßen im Carl Hanser Verlag erscheint, die mit nach Luft schnappt, dass ich immer wieder neuem Quellenmaterial nachweisen kann Sorge habe, sie könnte unmittelbar auf der (oder es zumindest versucht), wie es mit dem Bühne verröcheln. – Da es keine Maßstäbe politischen und ideologischen BB wirklich mehr gibt, erhalten diese Gruppen einen aussieht. Allerdings muss die geneigte Lese- Preis nach dem anderen und brauchen na- rin dafür ca. 600 Seiten überstehen und wird türlich keine öffentliche Förderung, weil danach ihren alten Brecht nicht wiederer- alle hinrennen, um u.a. die Fraueneman- kennen. zipation endgültig zu verabschieden und jeden politischen Sinn auszutreiben.

Dass nicht alle Veranstaltungen das The- ma streng einhielten, lag einerseits dar- an, dass Marianne Faithfull, als einer der

42 Dreigroschenheft 3/2012 Von den entzückenden Widersprüchen der Welt R ezension Ein neues Eisler-Buch

Von Jürgen Schebera

Friederike Wißmann: Hanns Eisler. Komponist – Weltbürger – Revolutionär. Vorwort: Peter Hamm. 302 S. mit 48 Abb., Edition Elke Hei- denreich bei C. Bertelsmann, München 2012, 20,- €.

Im Jahr des 50. Todestages sind eine ganze Reihe neuer biographischer wie musikwis- senschaftlicher Bücher über Hanns Eisler zu erwarten. Den Anfang macht jetzt eine „musikalische Biographie“ von Friederi- ke Wissmann. Zu ihren Intentionen be- merkt die Autorin in der Einleitung (de- voll sind einige kleine Exkurse, etwa zu Be- ren Überschrift, auf Eisler zurückgehend, ginn des Buches, wenn sie die Handschrift wir für die Rezension entlehnt haben), der des Komponisten detailliert unter die Lupe Komponist solle „in seiner Widersprüch- nimmt und, davon abgeleitet, seinen Cha- lichkeit dargestellt werden, als Zeitgenosse rakter zu bestimmen sucht (S. 27f.). Oder des 20. Jahrhunderts wie als gestrandeter wenn sie im Abschlusskapitel („Eislers Vermittler zwischen Avantgarde und Mas- ,Anatomie einer Kugel’“), ausgehend von sengeschmack. Es wird dabei nicht von Wolf Biermanns Gedicht, Körperlichkeit seinem Lebenslauf auf die Kompositionen und Körpersprache des Komponisten be- geschlossen, […] sondern umgekehrt sein schreibt. Gleichermaßen gelungen ist die in Leben durch sein Werk betrachtet. […] die Biographie eingeflochtene Vorstellung 14 Werkporträts stehen exemplarisch für der drei Ehefrauen Charlotte, Louise und je eine bestimme Schaffensphase.“ (S. 24) Stephanie sowie der zeitweiligen Lebensge- Eine reizvolle Grundidee, und Wißmann fährtin Hedwig Gutmann. Und noch etwas realisiert sie sehr überzeugend. Bei ihrer muss hervorgehoben werden: Einleitend Betrachtung der gewählten Kompositionen schreibt Wissmann (sich selbst als „aus – der Vielfalt des Oeuvres entsprechend Westfalen stammende Autorin“ vorstellend nicht nur Vokalwerke, sondern auch Kam- [S.25]), ihr Buch reihe „sich ein in den zeit- mer- und Orchestermusik – vermeidet sie genössischen Trend, DDR-Geschichte aus das herkömmliche Fachchinesisch musi- westdeutscher Perspektive zu schreiben“ (S. kologischer Analyse, statt dessen entstehen 24). Doch die Betrachtung von Eislers Ost- tatsächlich „Werkporträts“, die auch der Berliner Jahren gelingt, entgegen diesem Nichtfachmann lesen und verstehen kann. Trend, sehr differenziert. Auch Wissmanns Betrachtung des Sozialisten Eisler generell Wissmann erzählt den Lebens- und Schaf- atmet jenen Geist, den sie in der Danksa- fensweg Eislers lebendig und auf dem neu- gung an ihren verstorbenen Mentor Gerd sten Stand der Forschung. Besonders reiz- Mattenklott formuliert, dass nämlich „das

Dreigroschenheft 3/2012 43 Interesse an einem Künstler nicht mit der CALL FOR PAPERS: persönlichen Überzeugung übereinstim- men muss und dass Sympathien in ihrer The Creative Spectator R ezension Ambivalenz besonders nachhaltig reifen“ – Karambolage und Dialog (S. 229). 14. Symposium der Internationalen Brecht- Das Buch erscheint in einem der großen Gesellschaft, Porto Alegre, 20.-23. Mai 2013 Publikumsverlage des Landes – ein Glücks- Theater, das im Sinne Brechts politisch ist, muss fall, denn damit wird es viele Menschen er- heute vom Zuschauer her denken, und Brechts reichen, auch solche, die sich hier erstmals Forderung nach einer neuen “Zuschaukunst” mit Eisler beschäftigen. In seinem brillan- muss unter den Bedingungen einer Medienum- ten Vorwort („Bekenntnis zu Hanns Eis- welt realisiert werden, in der die Praxis des ler“), bestimmt wohl vor allem für heutige Zuschauens dramatische Veränderungen erlebt. jüngere Leser, beschreibt der Schriftsteller, Zuschauer konsumieren zerstreut Musik, Fern- Filmautor und frühe westdeutsche Eisler- sehen oder Kino; sie sind als Smartphone-Be- Pionier Peter Hamm seine Begegnungen nutzer und Internetuser an oberflächliche, aber mit Eislers Musik und erinnert insbesonde- blitzschnelle interaktive Kommunikation ge- re an die Zeit der 1950/60er Jahre, als der wöhnt. Welche Chancen hat politisch gemeintes Komponist in der Bundesrepublik noch Theater in diesem veränderten Umfeld, Zu- persona non grata war. Hamm: „Es war die schauer zur eigenen Kreativität zu ermutigen? Zeit des kältesten Krieges, in der Hanns Gerade in Lateinamerika gibt es eine lebendige Eislers Name und Musik so tabu waren wie Tradition von politischem Theater nach Brecht, alles, was aus der DDR kam, die damals das – wie zum Beispiel Augusto Boals Begriff nur in Anführungszeichen existierte oder des “spect-actor” zeigt – neue “Dramaturgien als ,Ostzone’. […] Die Adenauer-Jahre er- des Zuschauers” entwickelt. Diese direkte oder schienen mir (und nicht nur mir) später als indirekte Brechtrezeption in den letzten 25 ,bleierne Zeit’, eine Metapher aus Hölder- Jahren soll den Schwerpunkt des Symposiums lins Gedicht Komm! ins Offene, Freund!, die bilden. ich bei niemand anderem als Hanns Eisler Theater beansprucht in der Regel nicht mehr, fand“ (S. 8). aus der Position des Wissens heraus Antworten von oben herab an das Publikum zu vermitteln, Ein Wermutstropfen – an die Adresse des sondern einen gemeinsamen Denkraum zu Verlages – trübt freilich den erfreulichen schaffen. Politisch ist Theater eher dadurch, Gesamteindruck: Das kostbare Bildma- dass es seine eigene Praxis befragt, zum Thema terial (darunter als Erstveröffentlichung und zum Problem macht. Es geht um den kre- ein Porträtfoto von Arnold Schönberg mit ativen Zuschauer, der nicht Antworten serviert handschriftlicher Widmung für Eisler [S. bekommen will, sondern im Theater Material 54]) wird durchgehend in etwas mehr als sucht, mit dem er selbst einen genaueren Aus- Briefmarkengröße präsentiert, was den Fo- druck seiner Fragen und Probleme schaffen tos fast alle Wirkung nimmt und bei Auto- kann. In welchen institutionellen Kontexten grafen etc. zu nahezu Unleserlichkeit führt. und mit welchen künstlerischen Verfahren ist Chère Elke Heidenreich, hier wurde am fal- ein solcher Raum gemeinsamen Denkens heute schen Platz gespart! möglich? (…) (aus: Eisler-Mitteilungen Nr. 53, gekürzt) Themenvorschläge bis 27. Juli 2012 an: [email protected] Einzelheiten unter http://brechtportoalegre.wordpress.com/

44 Dreigroschenheft 3/2012 Begutachtung eines Die Wechselwirkung zwischen den Essays, vor allem im ersten Drittel der Sammlung, gespaltenen Verhältnisses: ist ein großes Verdienst der Redakteure. Ka- R ezension Brecht und die DDR ren Leeders ausgezeichneter Beitrag über Lateness und Late Style in Brechts Lyrik er- Von Paul Sharratt gänzt Stephen Parkers Studie über Brechts abnehmende Gesundheit und die Auswir- Brecht and the GDR: kungen der Antiformalismus-Kampagne Politics, Culture, Poste- gegen ihn perfekt. Es wird klar, dass die rity. Edinburgh German Autoren der verschiedenen Aufsätze um die Yearbook Vol. 5, edited Arbeiten der anderen Mitwirkenden wis- by Karen Leeder & Laura sen, die neben ihren eigenen veröffentlicht Bradley. 250 Seiten, ca. werden sollten. Eine deutliche Anstren- 60 €. gung wurde unternommen, um ein Ganzes aus verbundenen Teilen zu präsentieren. Brecht and the GDR ist Leeders Beitrag, in dem sie Edward Saids der neueste Sammelband in der weitrei- posthumes Werk On Late Style als theo- chenden Edinburgh German Yearbook retischen Ausgangspunkt benutzt, ist sehr Reihe von Camden House. Das erklärte überzeugend als Versuch, einen Ausweg Ziel des Buches ist es, die erste übergreifen- aus dem Patt zwischen Interpretationen der de Studie über Brechts Werk und sein Erbe Buckower Elegien mit vorgründig politi- in der DDR vorzulegen, ferner die Über- schen Aspekten sowie denjenigen, die die prüfung seiner theatralischen, literarischen Gedichte als vornehmlich private und in- und politischen Aktivitäten in den 1950er trospektiv sehen, zu finden. Patrick Harkins Jahren; die posthume Verwaltung seines interessante Neubewertung von Brechts Re- Erbes; sowie die Sicherung der kreativen aktion auf die Ereignisse des 17. Juni 1953 Antworten auf seine Arbeit in Literatur, setzt sich auseinander mit der verbreiteten Musik und Theater. Die Sammlung wird Auffassung, dass Brecht mitschuldig an der von Beiträgen von Brecht-Wissenschaftlern SED-Unterdrückung des eigenen Volkes aus der ganzen Welt ergänzt, viele sind Pro- war. Er zeigt einen entscheidenden Unter- dukte laufender Forschung. schied, den Brecht-Kritiker gerne ignorie- ren: In seinem Brief an Ulbricht erklärte Die Beiträge zu Brechts sieben Jahren in der Brecht seine Loyalität gegenüber der Partei, DDR konzentrieren sich auf eine Studie des dem ideologischen Konzept, nicht der aktu- eigentlichen Produktionsansatzes Brechts ellen Regierung. von seiner dramatischen Theorie bis hin zu einer Neubewertung von Brechts Reaktion In dem zweiten und fesselndsten Teil des auf die Ereignisse des 17. Juni 1953. Darin Buches geht es um die Verwaltung von wird Brecht als ein historisches Individuum Brechts Erbe. Darin erleben wir einen Über- untersucht. David Barnetts Beitrag, der die gang, Brecht ist nicht mehr Handlungsträ- Sammlung eröffnet, ist vor allem kämpfe- ger, Bestimmer seines eigenen Vermächt- risch, und das nicht ohne Grund. Barnett nisses, sondern ein Mensch, der mittels demonstriert überzeugend, dass Brecht seine Arbeit erinnert wird, dessen Freunde nicht nur mit der Ästhetik der Produktion und Verwandte in einem Kampf um sein experimentierte, sondern mit der Organisa- Werk und dessen Interpretation stehen. tion von Theater selbst, entgegen den Dar- Wir haben eine Geschichte des Brecht- stellungen von Kritikern wie John Fuegi Archivs von seinem Direktor, Erdmut Wi- und W. Stuart McDowell. zisla, einen Abriss der Brecht-Jubiläen im

Dreigroschenheft 3/2012 45 Ensemble und ein Porträt von Elisabeth satz unterstreicht die Attraktivität des Gro- Hauptmann. Vielleicht der zentrale Aufsatz tesken im frühen Werk Brechts für Künstler dieser Sammlung ist der von Wizisla. Denn wie Wolf Biermann, Hans-Eckhardt Wenzel R ezension ohne das Archiv, seine Gründung und Ver- und Mensching. Moray McGowans Essay teidigung, die Wizisla so gekonnt und prä- verfolgt die Auswirkungen des Fatzer-Frag- gnant beschreibt (mit einem Einblick in die ments und den spezifischen Einfluss des versuchte Unterdrückung und das Auftau- 500-Seiten-Manuskripts auf Heiner Müller. chen der berüchtigten BBA 7 oder Stalin- McGowan erklärt sowohl das Fehlen der- Datei), hätte die Mehrzahl der Artikel in selben auf der Bühne der DDR als auch das dieser Sammlung nicht geschrieben werden wachsende Interesse an dem Stück seit dem können. Die gewissenhafte Forschung von Untergang des sozialistischen Staates. Erdmut Wizisla, Laura Bradley und Paula Hanssen zeigt die schwierige Geschichte der Loren Krugers Beitrag über die Wiederbe- Institutionen und Personen, über die Brecht lebung der Heiligen Johanna der Schlachthöfe am besten in Erinnerung behalten werden schließt den Band auf bewundernswerte konnte. Wizislas und Bradleys Beiträge er- Weise. Er balanciert zwischen einer kurzen gänzen sich wieder gegenseitig, indem sie Studie über Brechts Kritik am Kapitalismus sehr deutlich zeigen, dass Brechts Familie und der Geschichte seiner letzten Produk- sein Vermächtnis schützte und erhielt, so- tionen, bezugnehmend auf die Finanzkrise wie die Dichotomie zwischen privaten Un- in 2008. Entscheidend für Krugers Essay ternehmungen wie dem Archiv und mehr ist die Vorstellung, dass nach dem Zusam- öffentlichen, staatlich geförderten Anlässen menbruch des Staatssozialismus ein Bedarf wie den Jubiläumsveranstaltungen am Ber- an den frühen antikapitalistischen Stücken liner Ensemble. Brechts existierte. Während einige Kritiker Johanna als Vereinfachung des Kampfes zwi- Angesichts der Fokussierung auf kreative schen Kapital und Arbeit gesehen haben, Antworten auf Brechts Werk ist es vielleicht macht Kruger überzeugende Argumente verständlich, dass das letzte Drittel das dif- für eine erneute Aktualität seiner Kritik an fuseste ist. Während Brechts Einfluss auf dem Fundamentalismus des freien Marktes die Musik in der DDR sehr gut analysiert geltend. wird, ist die Unterlassung der Erwähnung jedweden Einflusses Brechts auf das deut- Durch die Untersuchung der Rolle der sche Kino sehr bedauerlich (obwohl natür- Brecht-Erben, Mitarbeiter und künstleri- lich jede Studie über Brechts Einfluss auf schen Nachfolger hat das Buch die Debatte die ostdeutschen Kinos nach seinem Tod in erfolgreich erweitert. Die Debatte über die erster Linie im Neuen Deutschen Film des Frage der eigenen Loyalität Brechts und Westens und nicht bei dem staatlich kon- Dissens in den 1950er Jahren ist ein kultu- trollierten Kino des Ostens zu suchen war). relles Feld, das immer breiter und komple- Die letzten Aufsätze sind jedoch chronolo- xer war als die Frage von Brechts Verhältnis gisch angeordnet, so bringen sie uns ange- zu Beamten in der SED. messen auf den heutigen Stand. Paul Sharratt ist Student am King’s College, Im letzten Abschnitt zeigt Joy H. Calico London, derzeit an der Humboldt-Universi- eine eingehende Studie über musikalische tät Berlin. Threnodien für Brecht von Paul Dessau und [email protected] Hanns Eisler, während David Robb einen Überblick über Brechts Erbe in der ostdeut- schen Musik und Poesie gibt. Robbs Auf-

46 Dreigroschenheft 3/2012 Ernst Schumacher

gestorben N achruf

Von Stephan Dörschel

Der renommierte Brecht-Forscher, Thea- terwissenschaftler, Publizist, Kritiker und Schriftsteller Ernst Schumacher starb, über 90jährig, am 7. Juni 2012 in seinem Haus in Schwerin am Teupitzer See.

Nach einer glücklichen, aber wirtschaftlich bedrängten Kindheit konnte er aufgrund der Unterstützung seines Onkels Karl Schu- macher Abitur machen, um gleich danach, 1940, als Soldat am Zweiten Weltkrieg teil- zunehmen. 1942 wurde er in der Sowjet­ union schwer verletzt und ausgemustert und studierte in München Philosophie, Li- teraturwissenschaft und Geschichte. Nach Ende des Krieges engagierte er sich publi- zistisch gegen die Spaltung Deutschlands Ernst und Renate Schumacher am Bertolt-Brecht-Platz und die starke Westorientierung Konrad vor dem Berliner Ensemble, im Juni 2008 (Foto: Manfred Mayer) Adenauers. Schumachers Weg zum Kom- munisten war kein zwangsläufiger, aber ein folgerichtiger. Die Gründung beider deut- Castorf, der Intendant der Berliner Volks- scher Staaten ließ ihn in die damals noch bühne. 1964 begann er für die „Berliner stalinistisch geprägte KPD eintreten. Im Zeitung“, damals noch die Zeitung der gleichen Jahr 1949 lernte er Bertolt Brecht Berliner SED, Kritiken zu schreiben und persönlich kennen, über den er 1953 an prägte damit über Jahrzehnte die veröffent- der Karl-Marx-Universität Leipzig unter lichte Wahrnehmung des DDR-Theaters. Hans Mayer und Ernst Bloch seine Disser- Seine Kritiken waren immer parteiisch, tation „Die dramatischen Versuche Bertolt aber auch immer verläßlich. Was er nicht Brechts 1918–1933“ verfaßte und damit die veröffentlichen konnte, schrieb er dennoch wissenschaftliche Beschäftigung mit Brecht in sogenannten Schattenkritiken, die nie er- einläutete. 1962 erfolgte die Übersiedlung scheinen konnten und sich im Ernst-Schu- nach Ostberlin, um der drohenden Verhaf- macher-Archiv der Berliner Akademie der tung wegen seiner illegalen Betätigung für Künste befinden. Erst 1972 wurde er Bürger die KPD zu entgehen. der DDR und Mitglied der SED.

1965 konnte er sich mit der Untersuchung Bis auf kurze politisch bedingte Unterbre- „Drama und Geschichte: Bertolt Brechts chungen konnte Ernst Schumacher als Rei- ‚Leben des Galilei’ und andere Stücke“ ha- sekader seine vielfältigen internationalen bilitieren und wurde kurz darauf auf einen Verbindungen nach Ost wie West zu ausge- Lehrstuhl für Theaterwissenschaft an die dehnten Auslandsreisen bis nach Japan und Humboldt-Universität zu Berlin berufen. China nutzen. Seit 1970 war Schumacher Sein prominentester Student war Frank Mitglied der Ostberliner Akademie. 1993

Dreigroschenheft 3/2012 47 wurde er nicht mehr in die vereinigte Berli- ner Akademie der Künste aufgenommen –

N achruf eine Demütigung, die ihn nicht nur wegen seines großen Engagements auch in dieser Institution bitter werden ließ und wofür ihn die Übernahme seines künstlerischen und wissenschaftlichen Archivs durch die Aka- demie der Künste Jahre später nur ungenü- gend entschädigen konnte. Auch das Ende der DDR empfand er als bittere Niederla- ge, obwohl er schon Jahre vorher in seinen Santa Monica: Brecht-Haus persönlichen Aufzeichnungen die Stagna- tion anprangerte (vgl. Ernst Schumacher: nicht gefährdet Ein bayerischer Kommunist im doppelten Eine Weile bestand im Frühjahr die Sorge, Deutschland. Aufzeichnungen 1945–1991. das Brecht-Wohnhaus im kalifornischen München 2007). Santa Monica werde abgerissen. Denn da stand ein Schild, das den Antrag auf Abriss­ Nach außen hat Ernst Schumacher eine erlaubnis bekanntgab: beispiellose Karriere durchlaufen, und führt man sich vor Augen, welche Zeiten er erlebt und durchkämpft hat, dann war es auch ein glückliches und glückhaftes Leben. Wer ihn kennenlernen durfte, weiß aber: Er empfand es anders – Ernst Schu- macher war eine beeindruckende faustisch- tragische Persönlichkeit. Im Gegensatz zum Goetheschen Faust war es ihm aber bis zu- letzt nicht vergönnt, den Augenblick zu ge- nießen – auch wenn er sich immer wieder Prof. Ehrhard Bahr, der in 3gh 3/2011 be- darum (be)mühte. Auch die glückliche Ehe richtet hatte, dass das Haus unter Denkmal- mit Renate Schumacher gehört hierher. Der schutz gestellt wurde, teilt uns dazu mit: tragische, viel zu frühe Tod des gemeinsa- men Sohnes Raoul warf einen tiefschwar- Der endgültige Verkauf des Brecht-Hauses zen Schatten auf Ernst Schumachers letzte wurde am 13. März 2012 im Internet gemel- Jahre. det. Vom 9. Januar 2012 gibt es ein Dokument der Planungsbehörde von Santa Monica, in Stephan Dörschel leitet die Archivabteilung dem den Käufern und deren Architekten ein Darstellende Kunst der Akademie der Künste Anbau an der südlichen Rückseite genehmigt Berlin. [email protected] wird unter der Bedingung, dass der Anbau die ursprüngliche Ansicht des Hauses nicht beein- trächtigt. Alle Nachrichten können unter „Brecht House Santa Monica“ im Internet nachgeprüft werden. Mit besten Grüßen Ihr E. Bahr

Dank an Klaus Schreiber, Volkmar Häußler und Joachim Lucchesi für die Informations- vermittlung! Fotos: Klaus Schreiber. (mf)

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