Gottfried Benn
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Jürgen Schröder Gottfried Benn Poesie und Sozialisation CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek Schröder, Jürgen Gottfried Benn: Poesie und Sozialisation. 1. Aufl. - Stuttgart, Berlin, Köln, Mainz: Kohlhammer, 1978. (Sprache und Literatur; Bd. 103) Inhalt Polemisches Vorwort zur zweiten, digitalen Ausgabe ........................................... 4 Vorwort ..................................................................................................................................... 12 I. Poesie und Sozialisation ................................................................................................ 15 1. Einführung ............................................................................................................................. 15 2. Die frühe Konstellation ....................................................................................................... 17 3. Der Rückzug auf das »Unangreifbarste« ....................................................................... 22 4. Der Paria-Prometheus. »Heinrich Mann. Ein Untergang« ........................................ 36 5. »Der junge Hebbel«. Die Sozio- und Psychogenese des Künstlers ............................ 46 6. »Biographische Gedichte«. Die innere Emigration der Kunst ................................... 59 7. Der Graf von Finckenstein .................................................................................................. 79 II. Die Resozialisierung des Außenseiters. Benns Weg in das Jahr 1933 ..... 81 1. Benn und die Weimarer Republik .................................................................................... 81 2. »Kunst und Staat« ................................................................................................................ 83 3. Zwei literaturpolitische Affären ....................................................................................... 85 4. Genie und Gesellschaft. Das Essay-Jahr 1930 ................................................................ 89 5. Kunst und Politik. Benns Wendung zum »Geist« ......................................................... 96 6. Heimkehr in die Welt der Väter. Benns Krisenbeitrag an das Jahr 1932 ........... 102 7. Der »konstruktive Geist« und der »Mythos vom Norden« ...................................... 115 III. »Der soziologische Nenner . « Benn und die »Konservative Revolution« ...................................................... 125 1. Der Georg-Büchner-Preis (1951) .................................................................................. 125 2. Äußere Verbindungen zur »Konservativen Revolution« ......................................... 129 3. Benn und der »Geist« der »Konservativen Revolution« ........................................... 131 4. Oswald Spengler - Hans Zehrer - Edgar J. Jung ......................................................... 134 5. Das geistespolitische Umfeld .......................................................................................... 138 6. Gottfried Benn und der politische »Dezisionismus« Carl Schmitts ....................... 141 7. Gottfried Benn und Julius Evola .................................................................................... 148 8. Das Frühjahr 1933. Benn als geschichtlich handelnde Figur ................................ 154 9. Tendenzen der ›Gegensteuerung‹ in den Schriften der Jahre 1933/34 ............... 159 10. Der literaturgeschichtliche »Nenner« Gottfried Benns ......................................... 160 IV. Anmerkungen ............................................................................................................... 167 V. Literaturverzeichnis .................................................................................................... 197 VI. Namenregister .............................................................................................................. 205 2 Der soziologische Nenner, der hinter Jahrtausenden schlief, heißt: ein paar große Männer und die litten tief. G. B. (III, 182) 3 Polemisches Vorwort zur zweiten, digitalen Ausgabe Als dieses Buch 1978 erschienen war und Ilse Benn es zur Kenntnis genommen hatte, sagte sie seufzend: daran wird sich nun wohl die nächsten zwanzig bis dreißig Jahre die Benn-Forschung orientieren. »Leider« hat sie damals nicht gesagt, denn sie war eine sehr höfliche und taktvolle Frau. Stattdessen sagte sie dann und wann, mit Blick auf Edgar Lohner, Friedrich Wilhelm Wodtke und Reinhart Alter, dass Benn-Forscher auffällig früh stürben. Harald Steinhagen und ich arbeiteten zu dieser Zeit anlässlich der Herausgabe und Kommentie- rung der Oelze-Briefe freundschaftlich mit ihr zusammen. Ihr Wohnort Wolf- schlugen lag nur eine halbe Autostunde von Tübingen entfernt. Mit der ersten Prognose hat sie annähernd recht behalten. Karl Krolow (Stutt- garter Zeitung v. 16.11.78), Michael Hamburger (Times Literary Supplement v. 3.10.80) und Uwe Schweikert (Frankfurter Rundschau v. 18.10.80) nahmen das Buch wohlwollend auf und auch die folgenden literaturwissenschaftlichen Re- zensionen wichen kaum von diesem Tenor ab. Obwohl es nun schon seit Jahr- zehnten vergriffen ist, blieb es bis heute im Blutkreislauf der Forschung. Die nachhaltigste Bestätigung der offenbar unwiderstehlichen Wirkung meines ersten Benn-Buches wurde mir aber erst in diesem Jahr zuteil, als ich mitten in seiner Überarbeitung steckte, um es, auf Vorschlag unserer Universitätsbiblio- thek ›ins Netz‹ zu stellen und so endlich wieder (›weltweit‹!) verfügbar zu ma- chen. Diese Würdigung stammt von meinem alten Freiburger Kollegen Joachim Dyck, dem Vorsitzenden der Gottfried Benn-Gesellschaft und Herausgeber des Benn- Forums, also dem Präzeptor der gegenwärtigen Benn-Forschung, und sie ist der Anmerkung 21 seiner gerade erschienenen »Einführung in Leben und Werk« Gottfried Benns (Berlin/New York 2009) anvertraut. Sie lautet: »Besonders verheerend hat die Einschätzung von Jürgen Schröder (Gottfried Benn, Poesie und Sozialisation, Stuttgart 1978) gewirkt, der im Sinne der neomarxistischen, sozialpsychologischen Erklärungsmuster der Studentenbewegung vom Kind Benn sagt: ›Die extreme soziale und politische Spannung ging mitten durch das Pfarrhaus, noch mehr aber durch den jungen Benn.‹ (S. 19)« Denn auch heute »wird das Urteil noch genauso unkritisch von Wolfgang Emmerich, Gottfried Benn, Reinbek 2006, S. 15 […] wiederholt.« (Einführung, S. 165f.) Kann einem literaturwissenschaftlichen Buch, einem kleinen Stückchen Sekun- därliteratur etwas Besseres widerfahren, als dass eine seiner zentralen Thesen wie ein Taifun, also ungeheuer, flächendeckend und unwiderstehlich gewirkt hat und wirkt? Weitaus weniger erfreulich hört sich dieses Urteil freilich für die »Verheerten« an. Denn wo anders kann die »Verheerung« angerichtet worden sein, als in den Köpfen und Schriften einer langen Reihe von Benn-Forschern, seit den achtziger Jahren bis heute, bis hin zu einem Wolfgang Emmerich. Sollten sie fast alle mei- ner fatalen These blindlings zum Opfer gefallen sein? 4 Hier kann ich nur für mich selbst antworten. Und da muss ich nun gestehen, bei allem Respekt vor dem Herrn Vorsitzenden: als ich mein Buch nach langer Zeit kürzlich wieder las, habe ich mich nochmals und speziell von seinem ersten Ka- pitel ( »Poesie und Sozialisation«) gründlich verheeren lassen. Ja, ich kann mir nicht helfen: dieses Kapitel entwickelt seine These so behutsam, so Schritt für Schritt, mit so vielen Belegen, Gründen und Argumenten aus der gesamten Le- bens- und Werkgeschichte Benns, dass ich ihr nochmals verfallen bin. Sie über- zeugt mich auch heute noch – insoweit eine literaturwissenschaftliche These überhaupt überzeugen kann. Das kann man von der dürftigen und rein spekulativen Gegenthese, die Joachim Dyck an ihre Stelle rücken möchte (S. 6-9), leider nicht behaupten. Sie beruft sich auf das »Drama des begabten Kindes« (Alice Miller), auf eine missglückte Familien-Sozialisation: »Nicht die Klassenunterschiede bedrängen das Kind, sondern die mangelnde Anerkennung seiner kindlichen Bedürfnisse und das Schweigen auf seine diesbezüglichen Fragen [welche denn?] nehmen seine auf- geweckte und verletzliche Seele in Anspruch.« (S. 6) Um diese kalte, gefühlsar- me Familienatmosphäre zu belegen, wird sogar, gegen die wörtlichen Zeugnisse Benns, sein liebevolles Mutterverhältnis (angeblich ein »Klischee« der »Sekun- därliteratur«, S. 8 u. 166) geleugnet. Denn erst dann »versteht man leichter, daß sie ihrem Sohn auf eine grundlegende Art [?] nicht zur Verfügung stand, und daß das seelische Klima der ländlich-pfarrhäuslichen Kindheit für den kleinen Gottfried nicht förderlich genug war.« (S. 8) Nun gut – es gibt zwar kaum Zeugnisse für diese familiären Defizite, aber ver- stärken sie nicht meine These einer prekären Sozialisation zwischen den extre- men sozialen Klassen ohne eine bürgerliche Mitte? Beides wäre durchaus ver- einbar. Dyck zitiert sogar die verräterische »Phimose«-Passage, an die meine These eines dichterischen Rückzugs auf das »Unangreifbarste« anknüpft, bricht das Zitat aber just an der Stelle ab, wo es sozial wird und um die höheren, be- neideten Gesellschaftsschichten geht, und er hütet sich, die entscheidende Zu- spitzung zu zitieren: »Demgegenüber: man: angewiesen sich auf das Unangreif- barste zurückzuziehen, Lächerlichkeiten oder Verzicht. « (Poesie und Sozialisa- tion, S. 21ff.) Er nimmt es überhaupt nicht so genau mit den Sätzen, den Argumenten und dem Argumentieren. Mein gesamtes zweites Kapitel ist der »Resozialisierung des Außenseiters« zwischen den Jahren 1927/28