Rundfunk und Geschichte

Mitteilungen des Studienkreises Rundfunk und Geschichte Informationen aus dem Deutschen Rundfunkarchiv

22. Jahrgang Nr. 1 - Januar 1996

Nutzungsgeschichte des Rundfunks

Das DDR-Hörspiel im Urteil der Hörer

SED und Rundfunk. Quelleninventar

Rundfunk und Jazz im Dritten Reich

Molotow im Rundfunkam 22. Juni 1941

Geschichte der Politpropaganda

Zehn Jahre Sonderforschungsbereich »Bildschirmmedien«

Neues Rundfunkgesetz in Ungarn

Rezensionen

Bibliographie

Mitteilungen des Studienkreises Rundfunk und Geschichte

Informationen aus dem Deutschen Rundfunkarchiv

Zitierweise: RuG -ISSN 0175-4351

Redaktion: Ansgar Diller Edgar Lersch i I

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Redaktionsanschrift

Dr. Ansgar Diller, Deutsches Rundfunkarchiv Frankfurt am Main - Berlin, Bertramstraße 8, 60320 Frankfurt am Main, Tel. 069-15687212, Fax 069-15687200. Dr. Edgar Lersch, Süddeutscher Rundfunk, Neckarstraße 230, 70190 Stuttgart, Tel. 0711-9293233, Fax 0711-9292698. Redaktionsassistenz: Dr. Stefan Niessen. Herstellung: Michael Friebel. Redaktionsschluß: 27. Februar 1996. Inhalt

22. Jahrgang Nr. 1- Januar 1996

Aufsätze Carsten Lenk Das Dispositiv als theoretisches Paradigma der Medienforschung Überlegungen zu einer integrativen Nutzungsgeschichte des Rundfunks 5 Siegtried Hahnel Das DDR-Hörspiel im Urteil der Hörer Versuch einer Interpretation der Hörer-Hörspielpreise (1977- 1991) 18

Dokumentation SED und Rundfunk. Quelleninventar zu den Protokollen der Parteiführungsgremien (1946 - 1989) (Ansgar Diller, lngrid Pietrzynski) 30

Miszellen Filmpioniere im Rundfunk (1931) (Jeanpaul Goergen) 43 Rundfunk und Jazz im Dritten Reich (Ansgar Diller) 45 »Unsere Sache ist gerecht« Die Rundfunkansprache Molotows am 22 . Juni 1941 und ihre Hintergründe (Carola Tischler) 48 Franz Thedieck ( 1900 - 1995) (Frank Capellan) 51 Bert Donnepp (1914- 1995) (Wolf Bierbach, Manfred Erdenberger) 53 Wim Toelke (1927- 1995) (Christoph Schneider) 55 Wunsch und Wirklichkeit Colloquium zur Geschichte der Politikpropaganda in Deutschland (Jürgen Zieher) 56 »Perspektiven der Medien- und Kommunikationswissenschaften« 10 Jahre Sonderforschungsbereich »Bildschirmmedien« (Edgar Lersch) 59 Rezeptionsgeschichte des Rundfunks Ein Projekt des Südwestfunks (Ralf Hohlfeld) 62 »Peter Huchel zum Kennenlernen« . Eine Ausstellung in Potsdam (lngrid Pietrzynski) 66 Gesetz für Rundfunk und Fernsehen in Ungarn (Susanna Grossmann-Vendrey, Andras Szekfü) 67 2 Rundfunk und Geschichte 22 (1996)

Rezensionen Die ästhetische Faszination des Nationalsozialismus. Positionen und Probleme Peter Reichel: Der schöne Schein des Dritten Reiches Karsten Witte: Lachende Erben, Toller Tag Ulrich Hermann/Uirich Nassen (Hrsg.): Formative Ästhetik im Nationalsozialismus Franz Dröge/Michael Müller: Die Macht der Schönheit (Konrad Dussel) 70 Fernsehgeschichte, aber die Fernsehgeschichte der Bundesrepublik? Knut Hickethier (Hrsg.): Institution, Technik und Programm Helmut Schanze/Bernd Zimmermann (Hrsg.): Das Fernsehen und die Künste (Edgar Lersch) 74 Klaus Petersen: Zensur in der Weimarer Republik (Ansgar Diller) 77 Klaus Winker: Fernsehen unterm Hakenkreuz Heiko Zeutschner: Die braune Mattscheibe (Ansgar Diller) 78 Deutsches Rundfunkarchiv (Hrsg.): »Hier spricht Berlin .. . « (Wolfgang Mühi-Benninghaus) 78 Axel Schildt: Moderne Zeiten (Wolfgang Mühi-Benninghaus) 79 Konrad Dussel u.a: Rundfunk in Stuttgart 1950-1959 (Axel Schildt) 80 Heinz-B. Heller/Peter Zimmermann (Hrsg .): Blicke in die Weit (Christian Filk) 81 Heiner Boehncke u.a. (Hrsg.): hr- 50 Jahre Rundfunk für Hessen (Ansgar Diller) 82 Tarnara Domentat (Hrsg.): Coca-Cola, Jazz und AFN (Oliver Zöllner) 83 Knut Hickethier: Geschichte der Fernsehkritik in Deutschland (Wolfgang Mühi-Benninghaus) 84 Ludwig Jäger/Bernd Switalla (Hrsg.): Germanistik in der Mediengesellschaft (Christian Filk) 84 Hans Bentzien: Meine Sekretäre und ich (Wolfgang Mühi-Benninghaus) 86 Günter Herlt: Sendeschluß (lngrid Pietrzynski) 87 Andreas Arthur Wernsing: E- und U-Musik im Radio (Themas Münch) 87 Rainer Fromm/Barbara Kernbach: ... und morgen die ganze Weit. (Christian Filk) 88 Christoph Mick: Sowjetische Propaganda, Fünfjahrplan und deutsche Rußlandpolitik 1928-1932 (Carola Tischler) 89 Inventar der Befehle des Obersten Chefs der SMAD 1945-1949 90 Rainer E. Latz u.a.: Discographie der deutschen Sprachaufnahmen 90 Inhalt 3

Bibliographie Rundfunkbezogene Hochschulschriften aus kommunikationswissenschaftliehen Fachinstituten Fachgebiet Kommunikationswissenschaft I Journalistik am Institut für Sozialwissenschaften der Universität Hohenheim (Regine Kleeberger) 91 Zeitschriftenlese (69) (Rudolf Lang) 91

Mitteilungen des Studienkreises Rundfunk und Geschichte Vorstand des Studienkreises 93 Jahrestagung in Baden-Baden. Sitzungen der Fachgruppen am 5. Oktober 1995 Archive und Dokumentation (Edgar Lersch) 93 Rezeptionsgeschichte (Ralf Hohlfeld) 94 Technikgeschichte 95 24. Doktoranden-Kolloquium des Studienkreises in Grünberg 1996 96 27. Jahrestagung des Studienkreises in Wien 1996 96

Informationen aus dem Deutschen Rundfunkarchiv Neue Buchreihe des Deutschen Rundfunkarchivs 97 CDs des Deutschen Rundfunkarchivs 98 Zurück nach Adlershof Die westdeutsche »Ostaufzeichnung« im Deutschen Rundfunkarchiv Berlin (Sigrid Ritter) 98 Promotionsstipendien für Dissertationen zur DDR-Rundfunkgeschichte 100 Dokumente des Rundfunks - Zeichen der Zeit Beitrag in der »Buchhandelsgeschichte« 100 4 Rundfunk und Geschichte 22 (1996)

Autoren der längeren Beiträge

Dr. Ansgar Diller, Deutsches Rundfunkarchiv Frankfurt am Main - Berlin, Bertramstraße 8, 60320 Frankfurt am Main. Dr. Konrad Dussel, Universität Heidelberg, Wannenstraße 45, 76694 Forst. Dr. Siegtried Hähne!, Sterndamm 22a, 12487 Berlin. Dr. Ralf Hohlfeld, Südwestfunk Unternehmensplanung/Medienforschung. Dr.des. Carsten Lenk, Universität Regensburg, Roter-Brach-Weg 46, 93049 Regensburg. Dr. Edgar Lersch, Süddeutscher Rundfunk, Historisches Archiv, Neckarstraße 230, 70190 Stuttgart. Jürgen Zieher, Student an der Universität Mannheim, Sandgewannstraße 20, 68526 Ladenburg. Carsten Lenk

Das Dispositiv als theoretisches Paradigma der Medienforschung Überlegungen zu einer integrativen Nutzungsgeschichte des Rundfunks

Die Entwicklung theoretischer Modelle ist - so wenn sie nicht an konkrete gesellschaftliche Be­ lehrt ihre Anwendung - immer auch ein trade-off­ funde, an eine empirische Basis rückgebunden Geschäft. ln der Regel geht beim Erklettern werden . Andererseits scheint ihre Existenz dort theoretischer Abstraktionshöhen genau jenes legitim, wo die Fülle der Fakten und Beobach­ Potential an Spezifik verloren, was auf der ande­ tungen nach einer übergeordneten Betrach­ ren Seite der Bilanz an Generalisierbarkeit hin­ tungsweise verlangt. Theoriemodelle wären zugewonnen wird. Umso schmerzlicher gilt diese dann eine Art Denk- und Ordnungshilfe beson­ Einsicht all jenen Wissenschaften, die von ihrem ders für jene Forschungsfelder, die noch wenig Untersuchungsgegenstand her auf eine kasuisti­ erschlossen sind. Sie sind diesem Verständnis sche Perspektive verpflichtet sind, die sich eben nach also weniger als allgemeingültige Wahrhei­ einem konkreten Ereignis, einer spezifischen hi­ ten zu betrachten, sondern als Werkzeuge, de­ storischen Entwicklung innerhalb bestimmter ren Brauchbarkeit im Laufe eines Forschungs­ Zeiträume, unter konkreten gesellschaftlichen prozesses durchaus obsolet werden kann, weil Bedingungen, innerhalb bestimmter Kulturen sie sich mit der Zeit als zu grob, zu unscharf er­ widmen . Die historischen Wissenschaften zählen weisen, um dem Forschungsgegenstand in sei­ zweifelsohne zu diesem Feld, in dem das Stre­ ner Differenziertheit gerecht zu werden. ben nach Differenz, die Erhellung jener Fakto­ Die Erforschung historischer Rezeptionssi­ ren , durch die sich eine historische Situation in tuationen, der Versuch, Mediengeschichte als ihrer Spezifik gerade von allen anderen unter­ Nutzungsgeschichte zu schreiben, gehört ohne scheidet, zum maßgeblichen Paradigma wird . So Zweifel zu den relativ neu beschrittenen Feldern scheint sich zu bewahrheiten, was Rudolf Braun der Medienhistoriographie. Die Geschichte des einmal als »Schicksal der historischen Fächer<< Zeitunglesens, des Radiohörens, des Fernseh­ bezeichnet hat, nämlich »an eirer permanenten schauens oder des Kinobesuchs ist gerade ein­ Theoriebedürftigkeit zu leiden«. mal in groben Linien projektiert, nachdem sie in Ganz im Gegensatz zu diesem Dilemma der den 80er Jahren als eine andere Perspektive auf historischen Fächer, unter die hier auch die Er­ die Geschichte der Medienentwicklung, nämlich forschung von Rundfunk- und im weiteren Sinne aus der Perspektive der Nutzer, neben die etab­ Mediengeschichte eingereiht werden darf, wird in lierten Bereiche von Institutionen- und Pro­ der Kommunikationswissenschaft seit ihren An­ grammgeschichte getreten ist. Mittlerweile hat fängen gerne mit einer Vielzahl von theoreti­ sich gezeigt, daß das Unternehmen Rezeptions­ schen Modellen gearbeitet. Begonnen mit dem geschichte eine ganze Reihe von Tücken und klassischen Kommunikationsmodell aus Sender, Problemen aufwirft, die man ohne theoretische Botschaft und Empfänger bis hin zu hoch­ Vorüberlegung und Reflexion nicht bewältigen komplexen Prozeßmodellen gehört diesem Wis­ wird. Das beginnt mit dem Problem der Datener­ senschaftsverständnis nach die Entwicklung hebung: Die Geschichte der Mediennutzung ist theoretischer Modelle zum täglichen Brot einer dem direkten sozialwissenschaftliehen Zugriff in­ Wissenschaft, die es sich gerade zum Anliegen sofern entzogen, als Nutzungsweisen bestenfalls gemacht hat, das allgemeingültig Generalisierba­ aus der Erinnerung von Informanten erfragt oder re von Kommunikations- und Informationspro­ aus ihren Aufzeichnugen erschlossen werden zessen zu untersuchen. Auch die Erforschung können. Zum anderen wird schnell deutlich, daß von Medienrezeption und Medienwirkung bedient Rezeptionsgeschichte ohne enge Anbindung an sich vielfältiger Modellvorstellungen, um psycho­ die Technik-, Institutionen- und Programmge­ logische, kognitionstheoretische, soziologische schichte eines Mediums nicht zu schreiben ist, Dimensionen und Einflußfaktoren ihres For­ es sei denn , man begnügt sich damit, eine mehr schungsgegenstands zu fassen . ln der For­ oder weniger gefällige Sammlung von »aparten schungspraxis gilt es, solche Wirkungsmodelle Kabinettstückehen kommunikativer Kulturge­ mit den Methoden der empirischen Sozialfor­ schichte« zusammenzutragen, wie Winfried B. schung wie Befragung, Beobachtung und Expe­ Lerg seine Skepsis gegenüber der medienbio­ 2 riment zu stützen oder in Frage zu stellen. graphischen Erhebungsmethode artikulierte. Theoretische Modelle tendieren einerseits dazu , allzu leicht zum Selbstzweck zu geraten, 6 Rundfunk und Geschichte 22 (1996)

5 Die Erforschung der Hörfunknutzung im er­ retiker J. L. Baudry übernommen, haften die­ sten Jahrzehnt des neuen Mediums (1923 bis sem Begriff gewisse Eigenheiten des französi• 3 1932) mag verdeutlichen, daß es für eine inte­ schen Denkens, nämlich eine nicht zu leugnende grativ gedachte Rezeptionsgeschichte nicht aus­ Nähe zur strukturalistischen Theoriebildung, an. reicht, mediengeschichtliche Belege zur Rezep­ ln seinem allgemeinsten Sinne meint Dispositiv tion lediglich zusammenzutragen. Diese verteilen zunächst eine Anordnungsstruktur, eine Anord­ sich auf ein breites Spektrum von Quellen, ange­ nung etwa zwischen medialem Apparat und dem fangen von den medienbiographischen Erinne­ wahrnehmenden Subjekt. Der Begriff kennzeich­ rungen älterer Hörerinnen und Hörer, über die net ein wechselseitiges Verhältnis des aufeinan­ Empfehlungen, die Rundfunkzeitschriften und der Bezogenseins, dessen spezifische Konstel­ Werbeschriften geben, bis hin zu Bildbelegen, lation das Dispositiv bildet. Damit ist ein Disposi­ die Hörsituationen dokumentieren (oder besser:) tiv immer auch Ausdruck einer Beziehung, die inszenieren. Das Hauptproblem der Rezeptions­ von verschiedenen französischen Theoretikern historiographie ist es nun, diese Quellen in Be­ auch als Machtbeziehung (bei Foucault) oder un­ ziehung zu setzen zur Entwicklung der Geräte• ter psychoanalytischen Aspekten (bei Lyotard) technik, zur Entwicklung des Programms sowie ausgelegt wird. zu juristischen und wirtschaftlichen Rahmenbedi­ Im hier verwendeten Sinne soll unter Disposi­ gungen, innerhalb derer sich Rundfunkhören be­ tiv eine noch näher zu beschreibende Mensch­ wegte. Die Vernetzung dieser gegenseitigen Ab­ Maschine-Relation verstanden werden. Immer hängigkeiten und Einflußfaktoren kann nicht also, wenn Koppelungen zwischen Apparaten ohne Entwicklung theoretischer Modelle geleistet und Subjekten vorliegen, läßt sich von einer dis­ werden, deren Aufgabe es ist, die Fülle des vor­ positiven Anordnung sprechen. Damit ließe sich gefundenen Materials zu strukturieren und sie in beispielsweise die Nutzung des elektrischen Beziehung zu setzen zu einem übergeordneten Lichts oder Autofahren als Dispositiv beschrei­ theoriegeleiteten Bezugssystem. ben, da sie eine spezifische Abhängigkeit von Mensch und Apparatur voraussetzen.6 Medien wären dieser Definition nach nur ein Sonderfall Zur Herleitung des Dispositiv-Begriffs von Dispositiven, nämlich solche, die eine Bot­ schaft, ein Programm, eine wie immer auch ko­ Ein solches Bezugssystem hat Knut Hickethier dierte Zeichenmenge transportieren. Das bereits bereits vor einigen Jahren mit dem Dispositiv­ angedeutete Koppelungsverhältnis läßt sich da­ Begriff in die mediengeschichtliche Diskussion bei auf zwei Ebenen beschreiben (Vgl. Grafik 1) : 4 eingebracht. Von dem französischen Filmtheo- Zum einen hinsichtlich der Aufmerksamkeits­ zuwendung, die menschliche Wahrnehmung an

Encoding Decoding Zeichenstrom Software Wahrnehmen kognitive (über "Oberfläche") (Programm) Ebene

materiell­ leibliche Ebene Hardware Bedienen Bedienermanual Handeln

Grafik 1: Das Dispositiv als Koppelungsverhältnis Lenk: Das Dispositiv als theoretisches Paradigma der Medienforschung 7 einen Apparat bindet, die uns (um es alltags­ vielmehr die medialen Rahmenbedingungen, be­ sprachlich auszudrücken) an ein Buch oder ei­ sonders die apparativen Strukturen von Spei­ nen Fernsehbildschirm fesselt, zum anderen auf cher- und Übermittlungsprozessen. Im Rahmen der Ebene der Materialität, auf welcher die des Forschungsprojektes »Ästhetik, Pragmatik Leiblichkeit des Menschen, sein Körpereinsatz und Geschichte der Bildschirmmedien« hatten zum Bedienen der Knöpfe und Schalter (und sei Monika Elsner und Themas Müller die Metapher es der Finger zum Umblättern der Seiten) mit der vom »angewachsenen Fernseher« in die Dis­ Materialität des Mediums korrespondiert. Diese kussion eingebracht. Sie kennzeichnet, doppel­ ist im Papier der Buchseiten genauso gegeben deutig im Sinne des Dispositivs, sowohl den im wie in einem mehr oder weniger aufwendig ge­ Wohnalltag verorteten Apparat als auch jenen stalteten Bedienermanual eines Radios oder »im Kopf angewachsenen Fernseher«, der im Fernsehers, heute als Fernbedienung dem Gerät Laufe seiner Habitualisierung begann, renschli­ nur noch extern zugehörig und damit dem Kör• che Sehgewohnheiten zu beeinflussen. per näher als der technischen Apparatur. Das Paradigma von der Materialität der Die hier vorausgesetzte Koppelung beruht auf Kommunikation verdeutlicht mit aller Konse­ einem systemtheoretischen Denkmodell, das quenz die Tatsache, daß es Inhalte, Botschaften sich sowohl den übermittelnden Apparat wie das ohne eine sie übermittelnde oder speichernde wahrnehmende Subjekt als geschlossene Sy­ Apparatur nicht gibt, daß diese stets an die Ma­ steme vorstellt, die über zwei Schnittstellen, terialität eines Zeichenträgers oder -erzeugers sowohl kognitiv als auch leiblich miteinander gebunden sind und sei es an die Leiblichkeit des verbunden sind. Man könnte auf der Seite des Menschen, nämlich an einen Sprachlaute erzeu­ Apparates als Software und Hardware analytisch genden Kehlkopf. Immer also hat Kommunika­ auseinanderhalten, was beim Menschen als tion neben dem Aspekt der Performanz eine an Wahrnehmen auf der einen Ebene, Handeln Materialität gebundene Basis. Zuweilen ereigne­ (also Bedienen) auf der anderen diesen beiden ten sich sogenannte »Revolutionen« in der Ge­ Dimensionen der Medienbezogenheit entspricht. schichte der Medien nur deshalb, weil Medien ih­ Eine so verstandene Koppelung kommt dem re Materialität veränderten. Auch nach Guten­ Modell eines kybernetischen Regelkreises nahe. bergs Erfindung, den Druck mit beweglichen Let­ Dabei kann das Koppelungsverhältnis je nach tern auszuführen und damit die Reproduzier­ Medium unterschiedlich eng ausfallen, hier bei­ barkeit von Texten enorm zu erhöhen, blieb das spielsweise liegen größte Unterschiede zwischen Buch ein immobiles Medium in der Gestalt der visuellen bzw. audiovisuellen und rein auditiven Folianten, die auf Altären,. Sängerpulten oder Medien. Peter M. Spangenberg hat dies unter Pulten von Schreibstuben ruhten . Erst die Ein­ Zuhilfenahme einer systemtheoretischen Wahr­ führung des Oktav-Formats, das ein Buch in je­ nehmungstheorie am Beispiel de~ Fernseh­ der Satteltasche Platz finden ließ, sicherte dem schauens ausführlich exemplifiziert: Die hohe Gedruckten den Aufstieg zum sich über ganz Eu­ Zeichendichte der übermittelten Bilder, deren ropa ausbreitenden Medium. Materialitäten von Erfassen durch das Auge eine gleichzeitige Re­ Medien, der »Körper des Buches« etwa, sind al­ flexion über das Gesehene nahezu ausschließt, so immer ein maßgeblicher Faktor bei ihrer Nut­ wäre in diesem Sinne ein Beispiel intensiver zung und Aneignung. Koppelung zwischen menschlicher Wahrneh­ Diese knappen Ausführungen zur theoreti­ mung und medialer Apparatur. schen Herleitung des Dispositiv-Begriffs mögen verdeutlichen, daß es sich um ein systemtheore­ tisch fundiertes Modell zur Medienrezeption han­ Die Materialität der Kommunikation delt, das primär der Frage verpflichtet ist, wie sich Wahrnehmung via Medien vollzieht und Auf den Aspekt der Materialität von Kommunika­ welche selbst nicht sinnhaften Bedingungen da­ tionsprozessen ist in den letzten Jahren vor al­ bei eine Rolle spielen. Damit unterscheidet sich lem durch die literaturwissenschaftlich inspirier­ diese Konstellation grundlegend vom »klassi­ ten Arbeiten unter der Initiative von Hans Ulrich schen« Kommunikationsmodell, bei dem voraus­ Gumbrecht und K. Ludwig Pfeiffer hingewiesen gesetzt wird, daß es mit Hilfe eines Mediums worden. Das Hauptanliegen der dort vertretenen miteinander Kommunizierende gibt. Vor jeder Medientheorie zielte zunächst darauf, nach den Kommunikation - so ließe sich mit Hilfe des selbst nicht sinnhaften Voraussetzungen, dem Dispositiv-Modells einwenden - stehen aber Ort, den Trägern und den Modalitäten von Sinn­ Wahrnehmungsprozesse. Knut Hickethier hat 8 Genese zu fragen Diese folgenreiche Interes­ das verschobene Interesse wie folgt zusammen­ senverschiebung fokussierte nicht länger Texte gefaßt oder Botschaften selbst als interpretierbare Trä• »Kommunikationsgeschichte als Geschichte ger von Sinneinheiten , sondern untersuchte der Mediendispositive ist interessiert am Zu- 8 Rundfunk und Geschichte 22 (1996) sammenwirken der ganz unterschiedlichen Rah­ Modell zu erweitern, in dessen Mittelpunkt sich menbedingungen, innerhalb derer Kommunika­ Mediennutzung als Verhaltnis aus Apparat, Pro­ tion funktioniert, daran, wie sich diese Dispositive gramm und Subjekt konstituiert (Vgl. Grafik 2). im Nutzungsverhalten, in Erwartungsstrukturen Zwischen den drei Faktoren existiert eine Relati­ umsetzen, aber auch daran, wie sich innerhalb on gegenseitiger Bedingtheiten, die sich wech­ solcher Dispositive die Subjekte selbst mit ihrer selseitig beeinflussen. Diese Verhältnisse (und 10 Medienwahrnehmung verhalten.« nicht die Faktoren selbst) sind das eigentlich konstitutive Moment des Dispositiv-Modells. Dabei lassen sich in jede dieser Relationen Das Dispositiv als Strukturmodell gesellschaftliche Rahmenmomente einschreiben, für Rezeptionsprozesse die Medienrezeption über Elemente des sozialen Wissens und Handeins erst mitbestimmen. Sie Für eine pragmatisch orientierte Analyse von bilden (anders formuliert) zugehörige Kontexte, Rezeptionssituationen ist es hilfreich, das dyadi­ die über die eigentliche Rezeptionssituation her­ sche Modell des Dispositivs (im Sinne eines ausweisen und sie zurückbinden an die Institu­ Koppelungsverhältnisses) zu einem triadischen tionen-, Programm- und Technikentwicklung. So

Kommunikatoren (setzen inhaltliche Intentionen um)

Metaebene des Diskursiven

Apparat Bedienun Subjekt

Soziale Orga sation der Geräteindus ie Medien tzuung (schafft techn ehe Innovationen) (gibt Verh tensvorgaben)

aus Wissenselementen

Aufmerksamkeitszuwendung Grenzen der Reproduzierbarkeit Zeichenordnung Belebung mit Inhalten

Grafik 2: Rezeptionsstruktur des Dispositiv-Modells Lenk: Das Dispositiv als theoretisches Paradigma der Medienforschung 9 steht das Programm im Kontext der lichkeiten des Mediums und anderes mehr, reicht »Produktion« und Distribution von Botschaften zurück bis in die ersten Jahre nach dem Ersten durch Kommunikatoren, der Apparat im Kontext Weltkrieg. Horst 0. Halefeldt hat die wichtigsten von GerEiteindustrie und technischer Innovation, Diskurselemente dieser frühen Jahre anhand der das Subjekt aber ist rückgebunden über seine entstehenden Rundfunkpresse analysiert und Sozialität in Rezeptionskontexte, die sich auf so­ außerdem darauf verwiesen, daß dieser frühe ziale Ordnungen beziehen: Werden Medien al­ Rundfunk-Diskurs kaum über eine interessierte lein rezipiert oder in Gruppen; sind solche Kon­ Fachöffentlichkeit hinaus geführt wurde. 11 texte privat (im familiEiren Zusammenhang oder Der »Redegegenstand« Rundfunk konnte Freundeskreis) oder öffentlich (z.B. inmitten ei­ damit auch erst allmEihlich zu einem integralen nes anonymen Publikums, wie es beim Kino der Bestandteil des Alltagswissens werden: ln den Fall ist)? Damit sind all jene Elemente benannt, ersten Jahren dominierten die Radiogerüchte, die man als situative und soziale Rahmenbedin­ und nicht nur schlichtere Gemüter hatten Pro­ gungen zusammenfassen könnte. bleme mit der Verwechselung der Begriffe Radio 12 Bevor die drei Faktoren des Dispositiv-Mo­ und Radium. Es waren jene Jahre, in denen dells in ihrer gegenseitigen Relation am Beispiel vor allem Intellektuelle weitreichende Spekula­ der Rundfunknutzung betrachtet werden sollen, tionen über die Auswirkungen des neuen Medi­ sei darauf verwiesen, daß sich um den eigentli­ ums auf die menschliche Gesellschaft anstellten, chen Handlungskern der konkreten Mediennut­ die je nach Ausrichtung zwischen fortschritts­ zung eine äußere, dem Diskursiven zugehörige euphorischen Glückseligkeitsutopien und dem »Schale« von Wissenselementen legt: Sie ist Untergang des Abendlandes angesiedelt waren . definiert als Metaebene, indem sie reflektiert, Wo die einen wie Hans Bredow von der was beispielsweise Kommunikatoren und Rezi­ »veredelnden Wirkung« im Sinne eines Kultur­ pienten übereinander wissen, abgehoben von bringers für alle sprachen, prognostizierten einer konkreten Nutzungssituation, dennoch skeptische Zeitgenossen u.a. der Publizist Wil­ diese immer mitbeeinflussend. Dazu gehören helm Stapel, der Rundfunk wer~~ die Konzert­ beispielsweise jene Erkenntnisse, die Radiojour­ und Vortragskultur zertrümmern. Als Diskursfo­ nalisten aus Zuhörerbefragungen über ihr Publi­ rum wurde die expandierende Rundfunkpresse kum zu wissen glauben, oder umgekehrt - was genutzt, die sehr viel stärker als die heutigen Hörer durch andere Medien oder Maßnahmen Programmzeitschriften als Diskussions- und der Werbung und Öffentlichkeitsarbeit über Darstellungsorte für Programmverantwortliche, »ihre« Sender erfahren. Hier artikulieren sich GerEiteindustrie, Hörer bzw. Bastler und nicht Erwartungshaltungen (um das Programm, die zuletzt für die Interessen der Reichspost begrif­ Gerätetechnik, aber auch die Rezipienten), und fen wurden. damit Vorgaben und Vorstellungen zur Medien­ Erst allmählich begann sich auch eine Dis­ nutzung, die als Diskurse beispielsweise in den kussion darüber zu entwickeln, was denn nun ei­ Programmillustrierten der Weimarer Zeit ihren gentlich Programm, also Inhalt des Mediums Niederschlag finden . Rundfunk, zu sein habe. Es ist auffEillig und be­ zeichnend, daß der größte Teil der Kritiker sich in der Bevorzugung der Begriffe Unterhaltung Diskurse und Dispositiv und Bildung einig waren. Gerade die Bildungsbe­ fürworter wollten das neue Medium als eine Kaum läßt sich die Habitualisierung und Verän• Fortsetzung von Vortrags- und Konzertsaal mit derung der dispositiven Anordnung Rundfunk anderen Mitteln verstanden wissen: eine riesige besser studieren, als im Rückblick auf jene Zeit, Bildungsmaschine, die in der Lage wäre, die In­ als das junge Medium seine Aufnahme und Ver­ stitutionen des Kulturbetriebes hunderttausend­ breitung in Deutschland erfuhr. Freilich wird man fach zu multiplizieren. Der Diskurs um den dabei berücksichtigen müssen, daß vor dem Rundfunk war in jenen Jahren deutlich davon Kennenlernen des Mediums durch eigene Hörer• gekennzeichnet, daß man das neue Medium ge­ fahrungen für viele Zeitgenossen das Radio le­ rade an den tradierten Dispositiven der Bil­ diglich ein Begriff blieb, den man bestenfalls aus dungsvermittlung maß: am Konzert- und Opern­ der Zeitung oder vom Hörensagen kannte. Mit saal, am Vortragswesen, an Lesungen und am anderen Worten: Die diskursive Erscheinung des Theaterbetrieb. Selbst jene, die auf die publizisti­ Rundfunks, zumindest aber seine Vorbereitung, schen Potentiale des Rundfunks verwiesen, be­ vollzog sich in mancherlei Hinsicht vor seiner schrieben diese Zuweisung bezeichnenderweise materiellen Anwesenheit und Verbreitung. Der als »gesprochene Zeitung« . Diskurs um den Rundfunk, die Diskussionen um Nur vor diesem Hintergrund wird verständlich, seine Umsetzung als »Unterhaltungsrundfunk« warum auch in der Alltagssprache der 20er in Deutschland , die neuen, »ungeahnten« Mög- Jahre (und damit im Verständnis der Zeitgenos- 10 Rundfunk und Geschichte 22 (1996) sen) der Rundfunk ein Konzert oder eine Oper Dispositivs Rundfunk an: ln den Vordergrund gab (die ersten Rundfunkprogramme orientierten stellten die Befürworter die privatistische Rezep­ sich auch formal an Spielplänen), warum man tionssituation, »die Welt im Heim«, der »neue sich abends zum Abhören von Rundfunkkonzer­ Familienmittelpunkt« und dergleichen Argumen­ ten traf. Damit werden diskursiv Erwartungshal­ tationsformeln mehr, mit denen 30 Jahre zuvor tungen gesetzt, die sich direkt auf die Beurtei­ für die Einführung des Radios geworben wurde. lung und Umsetzung dispositiver Strukturen Der Ausbau zu einem Medium der Privatheit er­ auswirken. Es wäre eine am historischen Mate­ streckte sich bis in die Gestaltung der Pro­ rial zu überprüfende Hypothese, daß Medien in gramme hinein, wo über die Einführung der der Frühphase ihrer Einführung stets an bekann­ Fernsehfamilie (Beispiel: Die Schölermanns) pa­ ten Modellen gemessen werden : Das Lesen rasoziale Interaktionsphänomene einer »medi­ hätte sich dann am Erzählen und Rezitieren ori­ alen Nachbarschaft~ das Publikum an »seine« entiert, die Photographie an der Malerei, das Sendungen banden . 5 Fernsehen am Kino. Nicht also der Diskurs alleine ist verantwort­ Und gerade das Beispiel des Fernsehens lich für eine erfolgreiche Einführung und weitere verdeutlicht, daß dieser Vergleich die Einführung Verbreitung von neuen Medien, vielmehr ist ein und Durchsetzung neuer Medien entscheidend Zusammenfallen solcher Diskurse mit dispositi­ retardieren konnte. Die Fernsehstuben des Jah­ ven Grundkonstellationen anzunehmen: Unter res 1936, die dem interessierten Berliner Publi­ dem Aspekt der sozialen Organisation der Medi­ kum das Geschehen im Olympiastadion via Ka­ ennutzung (Vgl. Grafik 2) dominierten bei Fern­ mera vermittelten, wurden nicht nur wegen sehen wie Rundfunk die Qualitäten und Möglich• technischer Mängel skeptisch beurteilt. Es war keiten einer privaten Rezeptionssituation, ein vor allem der Vergleich mit dem Bild-/ Tonme­ Modell, das sich schon in den 20er Jahren mit dium Film, dem der Fernsehfunk nicht standhielt, dem Radio entwickelte und auf das sich das der aber insofern naheliegend war, als die orga­ Fernsehen der 50er Jahre direkt beziehen konn­ nisatorische Umsetzung des Fernsehens als te. Die Bevorzugung des privaten Rezeptions­ öffentliche Veranstaltung (also nach dem Vorbild rahmens für diese Medien lassen sich mögli• des Kinos) erfolgte. Damit besaßen die Fernseh­ cherweise aus einem langperspektivischen stuben eine möglicherweise als unbefriedigend, Wandel der Öffentlichkeitsformen im Laufe der in jedem Falle ungewohnt empfundene »Zwitter­ letzten 60 bis 70 Jahre ableiten. stellung zwischen der Privatheit der Stube und Diese Überlegungen können an dieser Stelle der fronymen Öffentlichkeit des Filmthea­ nicht vertieft, statt dessen soll noch einmal zu­ ters« . sammenfassend auf die gegenseitige Beeinflus­ Das Beispiel zeigt darüber hinaus auch die sung von Diskurs und Dispositiv verwiesen wer­ relative Beschränktheit der Wirkung von Diskur­ den: Keinesfalls geschieht die Umsetzung und sen: Obwohl der Bildfunk in der Programm­ Habitualisierung neuer Medien als bloßer Nach­ presse seit 1930 durch Artikel eine lange dis­ vollzug diskursiv vermittelter Vorstellungen und kursive Vorbereitung erfahren hatte, überzeugte Verhaltensanweisungen. Vielmehr ist hier ein seine Umsetzung zunächst nicht: Verglichen mit dialektischer Prozeß wechselseitiger Abhängig• dem Kino fehlte ihm die dort erzeugte Simula­ keiten und Bedingtheiten zu postulieren: Habi­ tionsqualität, gegenüber dem Radio mangelte es tualisierungsprozesse von Dispositiven vollzie­ ihm an Privatheit. Hier sei auf eine historische hen sich sowohl diskursgeleitet als auch erfah­ Parallele zum Rundfunk verwiesen: Das Vorha­ rungsbezogen, verschränkt in einer Art Zirkelbe­ ben der Rundfunkplaner, Radiohören zunächst wegung : als Saalfunk-Veranstaltung zu organisieren, hat­ »Die Ablösung vertrauter und Habitualisie­ te bekanntlich wenig Gegenliebe. Der Rundfunk rung zunächst als fremd erfahrener Mentalitäts• entwickelte seine eigentlichen Qualitäten als Me­ strukturen, zu welcher das Medium drängte, voll­ dium des privaten Rezeptionsrahmens, wenn­ zog sich in einem Zusammenspiel von Wech­ gleich andere Nutzungsweisen immer auch mög• selwirkungen, wobei die Neu-Habitualisie­ lich und üblich waren. Offentliehe Hörstuben und rung(en) zugleich Konsequenz, aber auch : zu­ organisiertes Gemeinschaftshören konnten sich mindest eine Bereitscha~ dazu, Vorraussetzung 6 daher in den 20er Jahren kaum institutionalisie­ der Medienwirkung war.« ren . ln diesem Sinne funktionieren auch die be­ Bezeichnenderweise scheint man in den 50er gleitenden Diskurse - das Beispiel erfolgreicher Jahren, bei der (Wieder)-Einführung des Fern­ Werbemaßnahmen mag dies verdeutlichen -, in­ sehens in Deutschland, aus diesen Erfahrungen dem sie vor- wie nachschreiben, stets changie­ Konsequenzen gezogen zu haben . Der Diskurs rend zwischen Vorstellungen über Medien und um das Medium Fernsehen lehnte sich argu­ die Praxis ihrer Umsetzung. Diese Praxis hat mentativ eng an die soziale Organisation des sich an den drei Grundkonstellationen der dis- Lenk: Das Dispositiv als theoretisches Paradigma der Medienforschung 11

positiven Struktur zu orientieren, die im folgen­ auf den sich die Sitzmöbel hin ausrircten, wäre den eingehender betrachtet werden sollen. ein Beispiel für ein solches »Setting«. Das Akzeptieren dieser durch die dispositive Anordnung gesetzten Wahrnehmungsbedinun­ gen ist Grundvoraussetz~ng für das Gelingen Apparat-Subjekt-Koppelungen 0 medialer Kommunikation. ln der Phase der Aus technischen Gründen, aus der Unvollkom­ Kopfhörernutzung lief die beschriebene Isolie­ menheit des Apparates heraus begründet, war rung von Raum und sozialer Umwelt aber ganz Radiohören in der ersten Phase nach Einführung offenbar sozialen und kommunikativen Grundbe­ des »Unterhaltungsrundfunks« (vom Oktober dürfnissen entgegen. Nicht anders ist zu erklä• 1923 bis ca. 1926) weitgehend nur mit Hilfe von ren, weshalb sich zahlreiche Hörerinnen und Hö• Kopfhörern möglich. Präziser als der Ausdruck rer an Umnutzungsstrategien erinnern, die es »Radiohören« kennzeichnet der zeitgenössische erlaubten, allen versammelten Hörwilligen auch Terminus vom »Abhören des Senders« das ei­ vor Einsatz eines Lautsprechers die Teilnahme gentlich Charakteristische der Hörsituation: Im am Radiohören zu ermöglichen. Zuweilen wur­ Mittelpunkt stand zweifelsohne das Verhältnis den die Kopfhörer in zwei Hälften zerlegt und Subjekt- Apparat. wanderten demokratisch von Hand zu Hand, an­ Relevant, so der Konsens zahlreicher Erinne­ derswo half man sich mit Gefäßen, beispiels­ rungsberichte zum Rundfunkhören in den 20er weise Eimern, Schüsseln, sogar eine Bowlen­ Jahren, war nicht die Frage was, sondern die schale kam zu Ehren, indem es die Kopfhörer• Tatsache, daß man etwas härte. Programminhal­ muscheln aufnahm und so klangverstärkend wir­ te waren von untergeordneter Bedeutung und ken konnte. Es ist aufschlußreich zu beobachten, der Apparat dominierte nicht nur die Inhalte, wie Nutzer bestrebt sind, die apparativen sondern auch das Subjekt, indem er eine be­ Grundbedingungen der Medien zu ihren Gunsten stimmte Stellung zum Apparat geradezu er­ und damit im Sinne einer zunehmenden Verfüg• zwang: Der Kopfhörer fesselte (im wörtlichen barkeit aufzuheben. Hier offenbaren sich Aneig­ Sinne) an das Medium, machte seinen Nutzer nungsstrategien, die mit Kreativität und Eigen­ immobil, isolierte ihn gleichzeitig von der alltägli• sinn arbeiten, indem sie die Apparatur manipulie­ chen Lebensweit Radiohören war eine vom All­ ren. tag abgehobene Veranstaltung. Zudem fand sie Mit der Durchsetzung des Lautsprechers zwi­ nicht als Raumklang statt, sondern konzentriert schen 1926 und 1928 (gleichwohl blieb der im Ohr, in einer Ra~91dimension zwischen zwei Kopfhörer in vielen Haushalten zumindest als Al­ Kopfhörermuscheln. Erinnerungsberichte re­ ternative in Betrieb) fand Radiohören schließlich flektieren die Tücke dieser Anordnung, z.B. in als Raumklang statt. Dies erst ermöglichte die für jener kleinen Anekdote, die in ähnlicher Form das Radiohören so typische Durchmischung von aus verschiedenen Berichten überliefert ist: Medien- und Alltagswahrnehmung, wie sie sich »Manchmal kam es auch ( ... ) zu einer Kata­ in einem Hörverhalten manifestiert, das schon strophe, bei der ich mir dann eine saftige Wat­ damals leicht abfällig als »Nebenbeihören« cha­ schn einhandelte. Dies war garantiert der Fall, rakterisiert wurde. Ab etwa 1930 schließlich er­ wenn es plötzlich an der Wohnungstür läutete scheint, zumindest als technikphantastische und ich mit dem Kopfhörer und dem daran hän• Antizipation der tragbare Empfänger auf dem genden Apparat aufsprang, um die Tür zu öff• deutschen Markt, der als Begleitmedium Ver­ nen. Die Sendung war damit beendet, und die fügbarkeit in allen Situationen und an allen Orten Suche n~~h der richtigen Einstellung begann von versprach. Erst die Umsetzung im Transistorra­ neuem.« dio sollte diese Versprechen einlösen, in Medien zwingen also ihre Nutzer immer Deutschland freilich erst nahezu drei Jahrzehnte schon qua ihrer Anordnungsstruktur, sich auch später. leiblich in eine bestimmte Position zum Apparat Vorraussetzung jeder Mediennutzung bleibt zu begeben, die Wahrnehmung erst erlaubt (bei es, die Geräte zu bedienen, sie über eine mate­ visuellen Medien ist es beispielsweise eine be­ rielle Schnittstelle zu manipulieren. Alle Anstren­ stimmte Distanz, die zum Sehen nötig ist). Damit gungen der Geräteindustrie richteten sich schon ist je nach Medium eine mehr oder weniger re­ in der zweiten Hälfte der 20er Jahre darauf, die striktive Choreographie ihrer Nutzung vorgege­ Bedienung der Geräte so einfach wie möglich zu ben. Medien prägen somit, wie sich am Beispiel gestalten, was angesichts des umfangreichen des Fernsehens zeigen läßt, möglicherweise Apparateensembles der ersten Röhrengeräte sogar Raumstrukturen, die sich auf die soziale nicht verwundert, da sie den Empfang zu einer Organisation des Wohnraumes ausprägen. Der komplizierten Handlung machten, die nicht uner­ im Wohnzimmer zentral positionierte Apparat, hebliches Technikwissen erforderte. Diese Be­ dienungsvereinfachung gipfelte logischerweise in 12 Rundfunk und Geschichte 22 (1996) dem Versprechen mancher Werbestrategen, aus fordert zur Kritik dieser Verlusthypothese heraus, Bedienern Bediente zu machen. Eine zeitge­ die den Grad der körperlichen Partizipation bei nössische Anzeige versprach in diesem Sinne: der Mediennutzung allein aus der medialen »Zeigen Sie nur - welchen Sender Sie hören Grundstruktur heraus zu erklären versucht. Das wollen, zeigen Sie es mit dem Zeiger der Auto­ Medium selbst ist eben noch nicht die Botschaft, Skala, dann macht der neue Rad io-Apparat und so sind Programm und soziale Norm in >Telefunken 343 mit Selbst-Trenner< alles selber. Form bestimmter Konventionen für bestimmte Er stellt den Sender trennscharf ein, er beseitigt Anlässe (»Fiaz dich nicht so im Sessel!«, lautete Störungen, er erweitert den Tonumfang - alles eine beliebte väterliche Ermahnung während automatisch, alles immer richtig . ( .. .) >Man ?e­ gemeinsam~r Fernsehstunden) ebenso mitein­ 2 5 dient ihn nicht- man wird von ihm bedient.<« zubeziehen. Die allmahlich erreichte Vereinfachung der Handhabung ermöglichte es überhaupt erst, das Radio »eben mal« einzuschalten, ohne größeren Subjekt und Programm vorbereitenden Aufwand zu treiben. Nicht länger galt es, die einzelnen Elemente der Empfangs­ Hinsichtlich der Inszenierung von Hörsituationen anlage über Kabel zu verbinden, externe in der Programmpresse und Gerätewerbung der Stromquellen für Röhrenheizung und Anoden­ 20er Jahre, die bestimmte Bilder (im wahrsten spannung sowie einen separaten Lautsprecher Sinne des Wortes, nämlich Fotografien oder anzuschließen. Im kombinierten Gerät schließ• Zeichnungen) über die Art und Weise, wie Radio lich (der Lautsprecher war nun in das Gehäuse zu hören sei, entwarfen, lassen sich eine Reihe integriert), das ab 1930 zumindest die Produktion von Hörfiguren oder Hörmodellen differenzieren. beherrschte, fand das Radio zu seiner eigentli­ Sie unterscheiden sich voneinander bezüglich chen Form. Mit verbesserter Leistung offerierte der Art der Aufmerksamkeitszuwendung, mit der ein Ensemble von Schaltern und Knöpfen all­ sich Menschen dem Medium widmen, und damit mählich entwickelte Standards der Bedienung: in den dargestellten Körperhaltungen und -konfi­ Senderwahl, Klang- und Lautstärkeeinstellung. gurationen. Nur in aller Knappheit kann hier an­ »Insgesamt stellen alle Lenkvorrichtungen auf gedeutet werden, daß sich solche Hörmodelle den Sichtseiten der Gehäuse Werkzeuge mit ho­ immer auch aus traditionell gekannten und er­ hem Aufforderungscharakter dar. Speziell die probtem Rezeptionsverhalten ableiten. Drehknöpfe als Vermittler von Unterhaltungs­ Dem Abhören von Opern oder anderen Kon­ wünschen waren ein Novum. Daumen, Zeige­ zerten klassischer Musik wurde ein kontemplati­ und Mittelfinger waren Gehilfen des Gehörs bei ves, gesammeltes Zuhören zugeordnet, das sich der Suche nach einem befriedigenden akusti­ an den Vorbildern bürgerlicher Bildungsvermitt­ schen Angebot gewor~en, hatten eine Art Lot­ lung - Konzertsaal und Opernhaus - und damit senfunktion erhalten.i einer bürgerlichen Rezeptionsasthetik orientierte. Zur Haltung eines konzentrierten, gesammelten Zuhörens gehört auch, Musik oder Wort nicht Exkurs: Medien und Körpererfahrung über Motionen, so~dern lediglich über Emotionen 6 nachzuvollziehen. Die Imitation der tradierten Immer also ist der Mensch auch leiblich am Muster aus dem Konzertsaal konnte soweit ge­ Kommunikationsprozeß beteiligt, wenngleich hen, daß bestimmte Kleidungs- und Verhaltens­ seine Mitwirkung im Rahmen vereinfachter Be­ rituale auch in die hausliche Sphare übernom• dienung auf ein Minimum reduziert wurde. Be­ men wurden . Noch 1935, als man im Rahmen stimmte Formen medialer Zuwendung basieren einer Telefunken-Studie nach den Programm­ sogar wesentlich auf der Fähigkeit, körperliches praferenzen der Rundfunkteilnehmer in und um Erleben zu unterdrücken. Monike Elsner und an­ Berlin fragte, beschrieb ein Hörer: »Man zieht dere exemplifizierten am Beispiel des Lesens die sich abends zum Hören von Rundfunkkonzerten »weitgehende Ausblendung des Körpers aus oder Opern schön an und trinkt manchmal We!9 dem Bewußtsein«, damit anderen Erfahrungs­ dabei, um das festliche Fluidum zu schaffen.« ebenen (der imaginierten eines Romans bei­ ln gleicher Manier zeigt ein Telefunken-Werbe­ spiels~eise) Aufmerksamkeit zutei.~ werden foto von 1952 ein im Wohnzimmer versammeltes kann . Zuweilen wurde - auf diese Uberlegun­ Publikum in festlicher Abendgarderobe, das mit gen aufbauend - versucht, die Geschichte der dem Habitus eines Theaterbesuchs gespannt auf 28 Mediennutzung als Geschichte von V~rlusterfah­ den Bildschirm schaut. 2 rung an Körperlichkeit zu schreiben, immer im Solchen Verhaltensnormen entgegengesetzt Hinblick auf eine interaktiv körperbezogene di­ ließe sich ein Modell der Aufmerksamkeitszu­ rekte Kommunikation, in der der ganze Leib wendung beschreiben, das erst mit der allmähli• spricht Eine Überprüfung am Dispositiv-Modell chen Entwicklung des Weimarer Rundfunks zu Lenk: Das Dispositiv als theoretisches Paradigma der Medienforschung 13 einem sich auch publizistisch verstehenden Me­ Apparat und Programm dium bedeutsam wurde. Um 1928 kamen ver­ mehrt Liveberichterstattung und Reportagefor­ Nur kurz soll zur Vervollständigung des Disposi­ men in den deutschen Rundfunkprogrammen tiv-Modells auf die Relation von Apparat und zum Tragen, bekanntermaßen bewährte sich vor Programm eingegangen werden: Die technische allem die Sportreportage als Experimentierteid Apparatur setzt jeder (analogen wie digitalen) dieser neuen Programmästhetik. Der Terminus Übermittlung von Klang, Bildern und Zeichen »Dabeisein«, das Miterleben kennzeichnet die Grenzen der Reproduzierbarkeit. Ob es sich um neue Vorgabe; ikonographisch wurde diese Art begrenzte Speicherkapazitäten handelt (wie bei der Partizipation als attentionaler, gerade körper• den ersten Schallplatten) oder um medientypi­ lich gespannter Hörgestus gekennzeichnet (und sche Übermittlungsmodalitäten, etwa das Phä• dies bezeichnenderweise auf seiten der Sen­ nomen der Frequenzbandbeschneidung bei denden wie Hörenden; vgl. Grafiken 1 und 2). Kohlekörnermikrophonen oder Trichterlautspre­ Was hier gezeigt werden kann, ist die Abhängig• chern mit entsprechender Schalldose: Immer keit von Aufmerksamkeitszuwendung und Pro­ bleibt der menschlichen Wahrnehmung ein Ver­ grammform; die Geste des Hörens, so der Medi­ lust an Realisitik, den es auszugleichen gilt, entheoretiker Vilem Flusser, wird sowohl von der wenn man Medien an der Qualität ihres Abbil­ empfangenen Botschaft als auch vom Kanal ge­ dungscharakters mißt. prägt, über den sie transportiert wird . Weit mehr Programme dagegen bringen Apparate erst als beim Lesen passe sich der me~~chliche »zum Laufen« , machen aus ihnen eigentlich erst Körper an die empfangene Botschaft an . ein Medium, ihre Abwesenheit reduziert Radio­ Immer aber ist für das Gelingen medialer hören auf das Wahrnehmen eines weißen Rau­ Kommunikation die Kenntnis der Ordnung der sches, dem Zuschauer bleibt der flimmernde übermittelten Zeichen, nämlich ihre Organisation Bildschirm. Das mag banal klingen - geht man und Klassifikation in Sparten, Genres, Pro­ aber zurück in die Anfangszeit des Rundfunks, grammtypen, unerläßlich. Der Hinweis auf jenes als der Großteil der Bevölkerung mit einfachsten mediale Mißverständnis großen Zuschnitts Detektorgeräten hörte, wird rasch deutlich, wie (George Orwells Hörspiel über die ~&vasion der wenig selbstverständlich die Möglichkeit, ein Pro­ 3 Marsbewohner ist hier prototypisch ), mag ver­ gramm zu empfangen, eigentlich war. Es war ein deutlichen, daß bei Unkenntnis oder Unsicher­ unendlich mühsamer Akt, mit Hilfe dieses Appa­ heit über die Eigenheiten fiktionaler und nicht-fik­ rats einen Sender zu finden und diesen auch tionaler Repräsentations- und Sprechweisen hörbar zu machen. Eine Hörerin berichtet: nicht Begreifen, sondern Verwirrung die Folge »Mit einem winzig kleinen ganz feinen ist. Die Modi der Repräsentation (wie funktioniert Drähtchen wurde nun mühsam der Sender ge­ ein Hörspiel, wie eine Nachrichtensendung) mit sucht. Welch' strahlende Gesichter, als nach ihren Einsetzungs- und Übergangsritualen langem Suchen endlich Musik aus den Kopfhö• müssen ebenso gelernt werden wie die Bedie­ rern klang. Andachtsvoll lauschten meine Eltern nung der Apparate; ihre Kenntnis zählt ZU!Jl gern der Aufführung einer Oper. Ich schlich dann grundsätzlichen Alltagswissen über Medien. ganz vorsichtig durchs Zimmer, denn allein Damit läßt sich, wie Knut Hickethier es vorge­ schon duch das Knarren des Parkettfußbodens schlagen hat, nicht nur der kommunikative Rah­ konnte es passieren, daß sich das feine men, sondern auch die Binnenstruktur der Pro­ Drähtchen nur eine Winzigkeit verschob und gramme in das Dispositiv-Modell miteinbeziehen: schon mußte mit ganz ruhiger Hand und ~iel »Denn so wie eine topographisch beschreib­ Geduld erneut der Sender gesucht werden.« 3 bare Anordnung von Zuschauer und Bild möglich Ein Beispiel mag die hier angenommene ist, in der die situativen und gesellschaftlichen Wechselwirkung zwischen Apparat und Pro­ Rahmenmomente darstellbar sind, lassen sich gramm verdeutlichen. Die Einführung und all­ auch innerhalb des Bilderflusses der Programme mähliche Verbreitung des Transistorradios er­ und innerhalb der Bilder selbst Ordnungen be­ folgte in der Bundesrepublik in den späten 50er, schreiben, als Ordnungen der Darstellung, der verstärkt im Laufe der 60er Jahre. Es wäre eine Dinge, die auf diese Weise auch die historiegra­ zu überprüfende Hypothese, inwiefern diese In­ phische Einbeziehung der Medienästhetik er- novation zur Anregung und Ausbildung eigener .. ,. h 32 mag 1c en .« Jugendprogramme mit entsprechendem Musik­ angebot beigetragen hat, da die mobilen Koffer­ radios eine Hörfunknutzung unabhängig von ei­ nem zentralen Familiengerät auch für Jugendli­ che überhaupt erst ermöglichte. ln diesem Sinne dürfte durchaus ein Zusammenhang bestehen zwischen der Ausbildung von Zielgruppenpro- 14 Rundfunk und Geschichte 22 (1996)

grammen und der (ökonomischen) Möglichkeit ln diesem Sinne erzeugen Medien nicht Hy­ zur Anschaffung von Zweitgeräten innerhalb ei­ perrealität oder eine andere (Pseudo-) Realität, nes Haushaltes. Freilich ist auch hier vor einer sondern verlängern menschliche Wahrnehmung allzu einseitigen Ursache-Wirkung-Theorie zu in die apparative Anordnung hinein, indem sie warnen: Der Erfolg der jugendspezifischen Ziel­ Bedingungen unserer Wahrnehmung simulieren. gruppensendungen war sicher eine Antwort auf Wir nehmen wahr, wir hören und sehen im Kino Bedürfnisse jugendlicher Radiohörer, ebenso und im Fernsehen, wir lauschen dem Radio, und trugen sie dazu bei, diese Bedürfnisse vorzube­ dabei stellt sich immer wieder das Gefühl von reiten. Auch das Autoradio bewirkte zeitgleich Unmittelbarkeit ein: Dabeizusein, das bedeutet, mit einer weiteren Aufsplitterung der Sende­ das Medium zu übersehen, zu überhören, die frequenzen in den 70er Jahren überhaupt erst Existenz des Apparates, aber auch das Gestal­ die Ausbildung eines bestimmten Typs von tete an jeder Programmstruktur aus dem Be­ Servicesendungen. wußtsein auszublenden. Oder aber es bleibt uns während des Wahrnehmens so viel Reflexion, das Medium selbst als solches zu vergegenwär• Das Dispositiv als Simulationsapparat tigen, zu wissen, daß es eine Apparatur ist, die für uns zu sehen, für uns zu hören vorgibt. Es ist Nachdem das Dispositiv-Modell mit seinen Fak­ eine bemerkenswerte Erscheinung, daß Medien toren und deren Beziehungen untereinander sich in der Phase ihrer Einführung in ihren Pro­ eingehend beschrieben wurde, gilt es zu erläu• grammen gerne selbst und damit auch die Mo­ tern, wie dieses Modell den Rezeptionsprozeß dalitäten ihrer Übermittlung thematisieren, also selbst eigentlich erklärt. Wie also werden Medien zum Programm machen. Dieser selbstreferen­ wahrgenommen, und wo liegen die Stärken des tielle Gestus begegnet uns beispielsweise bei vorgestellten Ansatzes? gewissen Hörspielexperimenten, die über Klang­ ln Vorbereitung postmoderner Medientheo­ experimente und Verfremdungseffekte die Ei­ rien hatte Jean Baudrillard im Zusammenhang gen~.;iten der Rundfunkübertragung erkunde­ mit den sogenannten »neuen Medien« von der ten. Erzeugung künstlicher, virtueller Realitäten ge­ Den gegenteiligen Weg beschritten jene Pro­ sprochen, in denen das lndivi~u~ sich zu ver­ grammacher, die Liveberichterstattung und Re­ lieren und aufzulösen drohe. D1e Hypothese portage favorisierten: Dort war es geradezu er­ von der »Wirklichkeit aus zweiter Hand«, die wünscht, die Apparatur und die medialen Über• Medien erzeugten, ist als Bestandteil intellektuel­ mittlungsbedingungen zu übersehen. Das pro­ ler Kulturkritik so alt wie die Medien selbst: Die grammpolitische Stichwort dieser Bemühungen Veränderungen in der Wahrnehmung von Wirk­ hieß Aktualität, das rezeptionsbezogene Pendant lichkeit durch Medien wurde gerne als schadli­ »Dabeisein«, und programmästhetisch ging es cher Wirklichkeits- und Sinnverlust angeprangert. um die Vermittlung eines Authentizitätsgestus, Im ausgehenden 18. Jahrhundert fürchtete man der den Anspruch des Rundfunks, »Ohr der die Verführung der lesenden Jugend (und reife­ Welt« zu sein, einzulösen versprach. Es ist auf­ ren »Frauenzimmer«) durch die Romane; Rund­ fällig, daß Programmkritiken jener Zeit bei Be­ funkpadagogen warnten schon in den 20er Jah­ sprechung von Liveübermittlungen beispielswei­ ren vor einem übermäßigen und vor allem un­ se großer Sportereignisse genau jenes Moment kontrollierten Radiohören; zur gleichen Zeit be­ in den Vordergrund stellen: richtete Siegtried Kracauer amüsiert über »die »Die Übertragung verlief ganz vorzüglich. kleinen Ladenmädchen«, die in der Traumfabrik Nicht nur, daß ausgezeichnete Sprachqualität Kino ihrem grauen Alltag eine Filmlänge zu ent­ ohne jede Schwankung vorhanden war, die 35 kommen suchten. Allzuviel Erklärungsgehalt Rundfunkhörer konnten sogar deutlich das Puf­ wird man der kulturkritischen Warnung vor Reali­ fen der Bootsmotoren hören; ferner die anfeu­ tätsverlust nicht beimessen dürfen. ernden Zwischenrufe der am Ufer befindlichen Um die Wirkungsvorstellungen des Dispositiv­ Ruderkameraden und die Zwischenrufe aus dem Modells zu erläutern, sei nochmals auf die Aus­ Publikum, so daß ein außerordentlich lebhafter führungen J. L. Baudrys zum Kino zurückgegrif• Eindruck vom Verlauf der R~~atta den Rund­ fen: funkhörern übermittelt wurde.« »Das Dispositiv insgesamt schließt das Sub­ Diese auffällige Detailfreude bei der Be­ jekt ein. ( ... ) Das gesamte kinematographische schreibung der Übertragung verdeutlicht die Be­ Dispositiv wird in Gang gesetzt, allein, um diese deutung des akustischen Hintergrundes, der in Simulation hervorzurufen: Es ist tatsächlich eine der Wahrnehmung der Hörenden für die Au­ Simulation der Bedingung des Subjekts an sei­ thentizität der Übermittlung zu stehen scheint. nem Platr eines Subjekts und nicht einer Wirk­ Diese Vorliebe zeigt die Arbeitsweise der dispo­ 6 lichkeit.« sitiven Anordnung: Die Ohrenzeugenschaft wird Lenk: Das Dispositiv als theoretisches Paradigma der Medienforschung 15

über die Modalitäten der Wahrnehmung simu­ als historisch geformte (und damit kulturell liert. Für diese Leistung ist gleichermaßen Pro­ überformte) Funktionen zu denken. Das reiht die gramm (über eine Semiotik des Authentischen) Bemühungen um eine Geschichte des Hörens wie Apparat gefragt. Zahlreiche Verbesserungs­ oder Sehens ein in mentalitätsgeschichtliche anstrengungen der Geräte widmen sich vor al­ Kontexte, die von einer Veränderung in langen lem dem Problem, noch authentischer, noch stö• Zeitabschnitten (Iangue duree) auszugehen ha­ rungsfreier übermitteln zu können - ein Prozeß ben. Seit der frühen Neuzeit, letztlich aber mit der sich mühelos in das Zeitalter von Stereo~ Anbruch der industriellen Moderne (und der da­ technik und digitaler Bildübermittlung verlängern mit verbundenen Demokratisierung zahlreicher läßt. Medien) spielen Dispositive eine dominante Rolle in der Beeinflussung menschlicher Wahr­ nehmung. Paul Virilio hat darauf hingewiesen, Wahrnehmungs- daß jedwede Phänomenologie der Wahrneh­ statt Wirkungsforschung mung mit »der Technisierung von Wahrneh­ mungsfunktionen obsolet geworden« sei: Nicht eine Wirklichkeit also wird gemäß dem »Natürliche Wahrnehmung« existiert nicht mehr, Dispositiv-Modell simuliert, sondern die Wahr­ und jede Beschreibung von Wahrnehmungsope­ nehmungsbedingungen des Subjekts. Diese fol­ rationen muß davon ausgehen, »daß eine me­ genreiche Verschiebung ist es, die das Interesse dial unvers~ellte, direkte Sicht auf die Obj~fte der von der Medienwirkung auf die Medienwahr­ Weit I Realität nicht mehr zu denken ist.« nehmung verschiebt. Peter M. Spangenberg hat Die Rolle der Medien bei diesem Prozeß diese Verlagerung im Hinblick auf die Fernseh­ transparent zu machen, ihre Wirkung als abhän• forschung zusammengefaßt: giges Produkt aus Programm, Apparat und »Nicht mehr die Wirkungen eines als transpa­ Wahrnehmungsweisen zu begreifen, darin liegen rent angesehenen Mediums sind also das Ziel die eigentlichen Stärken des Dispositiv-Modells. des Interesses, sondern die Frage nach den Orientiert am historischen Prozeß der Medien­ vorbewußten Konventionen und dem Erwerb von entwicklung verweist das Modell auf ein Wech­ Wissensstrukturen, die unseren automatisierten selspiel dieser drei Dominanten: Apparative Ver­ änderungen beispielsweise werden immer auch Umgan~ mit dem Fernsehen erst ermögli• chen .« Umgangs- und Wahrnehmungsweisen beeinflus­ Das bedeutet auch eine Abkehr vom klassi­ sen. Umbrüche in den Strukturen unseres Be­ schen Wirkungsbegriff, der auf der Basis eines wußtseins und im Bereich des sozialen Wissens Reiz-Reaktions-Schemas eine behavioristisch lassen sich auf diese Weise konturieren, nicht orientierte Stimulus-Response-Theorie implizier­ nur dort, wo mit der Einführung neuer Medien te. Ein »an der kognitivistischen Systemtheorie (das Beispiel Rundfunk hat dies gezeigt) »die Koppelung zwischen kognitivem Apparat ung orientierter Wirkungsbegriff« dagegen hat nicht 4 nur Medienaussagen, also Programme, sondern Medium noch nicht perfekt habitualisiert« ist. in gleichem Maße soziale und Situationale Rah­ So verstanden und auf die historische Verände• menbedingungen mit zu berücksichtigen. Klaus rung von Mediennutzung angewendet, bleibt das Merten hat dies als trimodale Bedingtheit aus Dispositiv-Modell nicht Selbstzweck, sondern Aussage, sozialem Umfeld und Medienverfas­ wird zum theoretischen Werkzeug einer Alltags­ sung bzw. -verfügbarkeit bezeichnet. Unschwer und Mentaliti:!tsgeschichte. Kaum ein Phänomen ist schwieriger zu beschreiben als die Selbstver­ lassen sich hier die dr~i Faktoren des Dispositiv­ 4 Modells identifizieren. ständlichkeiten alltagskulturellen, habitualisierten Worauf aber zielt nun Wahrnehmungsfor­ Handelns. Dies gilt nicht nur für die Mediennut­ schung , auf der ein differenzierter Wirkungsbe­ zung - aber besonders dort, denn nichts wird griff aufzubauen wäre? Anders als beispielswei­ konsequenter übersehen als die Vorbedingun­ se die philosophische Anthropologie, die in gen der eigenen Wahrnehmung. gleichsam phänomenologischer Annäherung das »Wesen« menschlicher Wahrnehmung, ihr Anmerkungen überhistorisches Grundkontinuum (im Sinne ei­ ner anthropologischen Konstante) bestimmen Rudolf Braun: Probleme des soziokulturellen will , zielt das Dispositiv-Modell gerade auf den Wandels im 19. Jahrhundert. ln : Günter Wiegel­ historischen Wandel , auf die Dynamik in der mann (Hrsg .): Kultureller Wandel im 19. Jahrhun­ Veränderung von Wahrnehmungsfunktionen . dert. Verhandlungen des 18. Deutschen Volks­ Nicht nur Programme und Apparate, sondern kunde-Kongresses vom 13. bis 18.9.1971 in Trier. auch der Wahrnehmungsapparat ist einem Göttingen 1973, S. 11-23, hier S. 20. Wandel unterworfen : Hören, Sehen (Schmek­ 2 Winfried 8 . Lerg: Persönliche Zeugnisse in der ken , Riechen und Fühlen) sind immer und nur Rundfunkgeschichte. Zur Kritik der Oralistik (Oral 16 Rundfunk und Geschichte 22 (1996)

15 History). ln: Mitteilungen StRuG Jg. 10 (1984), H. Vgl. Elsner I Müller (wie Anm. 9), S. 405. 1, S. 105. 16 Elsner I Müller (wie Anm. 9), S. 403. 3 Ich beziehe mich hierbei im wesentlichen auf die 17 Vgl. Chup Friemert: Radiowellen. Objektgeschich- Ergebnisse meiner Dissertation, die im Januar te und Hörformen. ln: Wolfgang Ruppert (Hrsg.): 1995 am Ludwig-Uhland-lnstitut für empirische Chiffren des Alltags. Erkundungen zur Geschichte Kulturwissenschaft an der Universität Tübingen der industriellen Massenkultur. Marburg 1993, S. angenommen wurde. Die Arbeit mit dem Titel 76. »Die Erscheinung des Rundfunks. Vermittlungs-, 18 Aneigungs- und Nutzungsweisen eines neuen Erinnerungsbericht aus dem Bestand des Deut­ Mediums 1923-32« wird im Sommer 1996 als schen Rundfunkarchivs. Insgesamt 133 solcher Buch erscheinen. Berichte älterer Hörerinnen und Hörer sehr unter­ 4 schiedlichen Umfangs liegen vor, sie sind das Er­ Knut Hickethier: Apparat - Dispositiv - Programm. gebnis eines Schreibaufrufes, der 1983 über die Skizze einer Programmtheorie am Beispiel des Rundfunkanstalten der ARD erfolgt ist. Deutsches Fernsehens. ln: Knut Hickethier I Siegfried Zie­ Rundfunkarchiv Frankfurt am Main, Historisches linski (Hrsg.): Medienkultur. Schnittstellen zwi­ Archiv der ARD (künftig zitiert: DRA HA ARD: Er­ schen Medienwissenschaft, Medienpraxis und ge­ innerungsberichte). sellschaftlicher Kommunikation. Berlin 1991, S. 19 421-447; sowie ders.: Kommunikationsgeschichte: Vgl. Martin Warnke: Zur Situation der Couchecke. Geschichte der Mediendispositive. Ein Beitrag zur ln: Jürgen Habermas (Hrsg.): Stichworte zur Rundfrage »Neue Positionen zur Kommunikati­ »Geistigen Situation der Zeit«. Bd. 2: Politik und onsgeschichte«. ln : Medien & Zeit Jg. 7 (1992), H. Kultur. Frankfurt am Main 1979, S. 673-687. 2, S. 26-28. 20 Vgl. Hickethier: Apparat (wie Anm. 4), S. 427: 5 J. L. Baudry: Le dispositif: Approches metapsy­ Beim Theater ist es die axiale Blickkonstruktion, chologiques de l'impression de realite (1975). ln: die durch Zuschauerpositionierung erreicht wird . Ders. : L'effet cinema. Paris 1978, S. 27-49. 21 Anzeige Telefunken. ln: Die Werag Jg. 7 (1932), 6 Marshall MacLuhan sprach in diesem Sinne vom H. 33, S. 336. Licht als »Medium ohne Inhalt«; es könne zwar 22 auch Botschaften transportieren, wirke aber auch Hans-Uirich Kölsch: Das Radio brüllte bakeliten. ohne solche, indem es »die Faktoren Zeit und Eine kleine Geschichte des Radiogehäuses. ln: Raum im menschlichen Zusammenleben« verän• Kultur & Technik Jg. 14 (1990), H. 1, S. 8. 23 dert. Marshall MacLuhan: Die magischen Kanäle Monika Elsner u.a. : Von Revolution zu Revolution. (Understanding Media. 1964). Düsseldorf 1968, S. Zur Kulturgeschichte der Medien. ln: Medien und 14. Kommunikation. Konstruktionen von Wirklichkeit. 7 Peter M. Spangenberg: TV, Hören und Sehen. ln: Weinheim I Basel1990, S. 106. 24 Hans Ulrich Gumbrecht I K. Ludwig Pfeiffer Mehr allerdings im Titel des Buches als im Gang (Hrsg.): Materialität der Kommunikation. Frankfurt der Argumentation findet sich dieser Aspekt be­ am Main 1988, S. 782f. reits bei Erich Schön: Der Verlust der Sinnlichkeit 8 Vgl. K. Ludwig Pfeiffer: Materialität der Kommuni­ oder Die Verwandlung des Lesers. Mentalitäts• kation? ln: Gumbrecht I Pfeiffer (wie Anm. 7), S. wandel um 1800. Stuttgart 1987. 15-30. 25 Für das Kino hat Roland Barthes eine eigene Art 9 Monika Elsner I Thomas Müller: Der angewach­ »moderner Erotik« ausgemacht, die ganz wesent­ sene Fernseher. ln: Gumbrecht I Pfeiffer (wie lich auf körperlichen Verhaltensweisen basiert: Anm. 7), S. 393. Die »dichte Ansammlung von Menschen, die Ab­ wesenheit des Mondänen( .. .), das Erschlaffen der 10 Hickethier: Kommunikationsgeschichte (wie Anm. Körperhaltungen ( .. .) - all dies macht den Kinosaal 4), S. 28. (des gängigen Typus) zu einem Ort der Ungebun­ 11 denheit, und es ist diese Ungebundenheit ( ... ), Horst 0. Halefeldt: Das erste Medium für alle? diese Lässigkeit der Körper, welche am besten die Erwartungen an den Hörfunk bei seiner Einfüh• moderne Erotik definiert.« Roland Barthes: Beim rung in Deutschland Anfang der 20er Jahre (1. Verlassen des Kinos. ln: Kersten und Caroline Teil). ln: Rundfunk und Fernsehen Jg. 34 (1986), Neubauer (Hrsg.): Grand Guignol. Das Vergnü• H. 1, S. 23-43; vgl. auch Esther-Beate Körber: Ei­ gen, tausend Tode zu sterben. Berlin 1976, S. ne Galaxis hinter Gutenberg. Die Diskussion über 123f. Möglichkeiten und Wirkungen des Rundfunks in 26 der Zeit der Weimarer Republik. ln: Mitteilungen Vgl. Hans-Werner Heister: Das Konzert. Theorie StRuG Jg. 21 (1995), H. 1, S. 3-12. einer Kulturform. Bd. 2. Wilhelmshaven 1983, S. 12 388. Zur Genese dieser Rezeptionshaltung vgl. Vgl. Rundfunk oder Radio? ln : Der Deutsche auch Hans-Uirich Gumbrecht: Unerreichbare Nä• Rundfunk Jg. 2 (1924), H. 10, S. 354. he, Sport, Medien, Philosophie in den dreißiger 13 Zit. nach Halefeldt (wie Anm. 11 ), S. 36 u. 41 Jahren. ln: N. Fischer I M. Lämmer (Hrsg.): Sport 14 und Literatur. Clausthai-Zellerfeld 1986, S. 30: Im Spangenberg (wie Anm. 7), S. 789. späten 18. Jahrhundert »entsteht - vorerst in der Lenk: Das Dispositiv als theoretisches Paradigma der Medienforschung 17

Philosophie, aber daraus wurde bald ein Element vollkommnung darein setzt, möglichst gar nicht des sozialen Wissens - die Überzeugung, daß mehr in Erscheinung zu treten.« Edgar Piehl : Der >distanzierte Partizipation< dem >Erkenntnissub­ »ehrliche Makler« oder Die Provision. Zur frühen jekt< besondere kognitive Chancen bietet.« Problematik eines Massenmediums. ln: Sprache 27 im technischen Zeitalter Jg. 1978, Nr. 67, S. 248. Zit. nach: 1 000 Hörer antworten ... Eine Marktstu­ 38 die. Für den Funkhandel bearbeitet von Werner Der Rundfunkansager im Rennboot. ln: Die Hensel und Erich Keßler. Berlin u.a. 1935, S. 53. Werag Jg. 7 (1932), H. 29, S. 120. Der Befragte zählt zu der Gruppe »Freie Berufe 39 Spangenberg (wie Anm. 7), S. 778. und höhere Beamte«. 4 28 Klaus Merten: Allmacht oder Ohnmacht der Me­ Vgl. Claus Eurich I Gerd Würzberg: 30 Jahre ° dien? Erklärungsmuster der Medienwirkungsfor­ Fernsehalltag. Wie das Fernsehen unser Leben schung. ln: Medien und Kommunikation. Kon­ verändert hat. Harnburg 1980, S. 12. struktion von Wirklichkeit (= Studienbrief 22) . 29 Viiern Flusser: Gesten. Versuch einer Phänome• Hrsg. vom Deutschen Institut für Fernstudien. Ba­ nologie. Sensheim 1993, S. 151 . sel/ Weinheim 1990, S. 45. 30 41 Parallelen gibt es auch in der deutschen Pro- Paul Virilio: Krieg und Kino. Logistik der Wahr- grammgeschichte: Erich Ebermayers Sendespiel nehmung. München 1986; zit. nach Elsner I Müller »Der Minister ist ermordet« von 1926 wurde just (wie Anm. 9), S. 393. zu einem Termin gesendet, als Stresemann von 42 Ebd ., S. 394 . einer Völkerbundsitzung aus Genf zurückerwartet wurde. Ebermayers akustisch simulierte Zei­ tungsverkäufer, die die Nachricht ausriefen, »bewirkten in Berlin Entsetzen und Verwirrung«. Zit. nach Heinz Schwitzke: Das Hörspiel. Drama­ turgie und Geschichte. Köln 1963, S. 141f. 31 Zu Einsetzungsritualen des Authentischen und der dazu gehörigen Programmästhetik vgl. Carsten Lenk: Gewalt im Fernsehen. Ein Problemaufriß aus kulturwissenschaftlicher Perspektive. ln: Kuckuck. Notizen zu Alltagskultur und Volkskunde Jg. 7 (1992), H. 2, S. 26-33. 32 Hickethier: Apparat (wie Anm. 4) , S. 28. 33 DRA HA ARD: Erinnerungsberichte. 34 Vgl. Jean Baudrillard: Kool Killer oder Der Auf­ stand der Zeichen. Berlin 1978. Vor allem der Terminus »Hyperrealität« avancierte zum belieb­ ten Terminus des postmodernen Mediendiskur­ ses. 35 Siegtried Kracauer: Die kleinen Ladenmädchen gehen ins Kino. ln: Ders.: Das Ornament der Masse. Essays. Frankfurt am Main 1977, S. 279- 294. 36 Baudry (wie Anm. 5), S. 43f.; zit. nach Joachim Paech: Eine Dame verschwindet. Zur dispositiven Struktur apparativer Erscheinungen. ln: Hans Ul­ rich Gumbrecht I K. Ludwig Pfeiffer: Paradoxien, Dissonanzen, Zusammenbrüche. Situationen of­ fener Epistemologie. Frankfurt am Main 1991 , S. 782. 37 Ein prominentes Beispiel dieser Art ist Alfred Au­ erbachs allegorisches Hörbild »Dr. Funkius«, am 6.2.1928 von der Westdeutschen Funkstunde ge­ sendet; vgl. Die Werag Jg. 3 (1928), H. 6, S. 6. Auch Brechts Rundfunk-Bearbeitungen themati­ sieren über Zwischentitel oder illusionszerstören­ de Hinweise die medientypischen Übermittlungs• bedingungen. Brecht wurde dieses Vorgehen als »Kultus des technischen Apparates« vorgeworfen , »da doch der Apparat seinen Erfolg als Vermittler von Kultur mit zunehmender technologischer Ver- Siegtried Hähnel*

Das DDR-Hörspiel im Urteil der Hörer Versuch einer Interpretation der Hörer-Hörspielpreise (1977- 1991)

Es gehört zu den Grundproblemen der elektroni­ Preise winkten (mit denen die Medien derzeit so schen Massenmedien, daß sie gleichsam in ei­ großzügig sind), nur aus Spaß und Freude an nen leeren Raum senden und nicht, z.B. wie im der Sache: ein Umstand, der eigentlich erst im Theater, eine direkte Kommunikation stattfinden Rückblick in seiner ganzen - möglicherweise so­ kann. Einschaltquoten lassen sich relativ verläß• gar DDR-spezifischen - Bedeutung ermessen lich ermitteln, aber was das Einschalten und das werden kann. Das Hörspiel bzw. Kinderhörspiel, Hören für den einzelnen wirklich bedeutet, das das die meisten Stimmen auf sich vereinigen wird in der Statistik nicht berücksichtigt. konnte, 4 erhielt den Hörer-Hörspielpreis; gleich­ Genau hier, bei dieser für die Bewertung des zeitig wurde auch ein Kritikerpreis sowie - ab DDR-Hörspiels vielleicht besonders wichtigen 1980 - ein Kinderhörspielpreis verliehen. 5 Frage, setzen die folgenden Darlegungen an, Die Hörer-Hörspiel~reise, die statistisch weit­ und zwar auf der Grundlage eines in sich abge­ gehend erfaßt sind, dürften inhaltlich Auf­ schlossenen Faktenmaterials, das bisher - fast schlüsse zulassen über den realen »Gebrauchs­ unverständlicherweise - unaufgearbeitet geblie­ wert« des Gesendeten und damit zugleich auch ben ist die Unterlagen zu den Hörer-Hörspiel• über den Zustand der Gesellschaft, die eine der­ preisen des Rundfunks der DDR. Sie verstehen artige Reaktion hervorbringt. 7 sich als Ergänzung gerade zu den jüngsten Ver­ suchen, die Leistungen des DDR-Hörspiels hi­ storisch zu bewerten. 1 Und die Diskussion hier­ Die Voraussetzungen über kann keineswegs als abgeschlossen ange­ sehen werden . So widmete die >Sächsische Zei­ Zunächst kann festgehalten werden, daß sich tung< am 23. Juni 1995 eine ganze Seite der Hörspiel und Kinderhörspiel unter personell wie »deutsch-deutschen Hörspielvergangenheit«. materiell ausgesprochen günstigen Bedingungen Außer einem langen Interview mit Gerhard entwickeln konnten - natürlich in den Grenzen Rentzsch, dem »Methusalem des DDR-Hör• der von der (unselig-unsäglichen) Abteilung Agi­ spiels«, veröffentlichte sie eine Betrachtung von tation und Propaganda des ZK der SED vorge­ 8 Valeria Heintges unter der bezeichnenden Über• gebenen politischen Rahmenbedingungen - und schrift »Politik, Propaganda oder Literatur - das ihnen in allen vier bzw. fünf Programmen des ist hier die Frage. Ein Blick auf die Hörspielge• DDR-Rundfunks9 feste Sendeplätze zur Verfü• schichte zeigt Ignoranz und Arroganz auf beiden gung standen. Für die durchschnittlich pro Jahr Seiten verhinderten über Jahre ein objektives Ur­ 300 Neuproduktionen gab es weit über 1 000 teil«.2 Sendetermine.10 Das sicherte ihnen die Möglich• keit, sich einerseits auf ein breites Hörerpublikum Die folgenden Ausführungen fassen eine um­ hin zu orientieren, andererseits auch sehr diffe­ fangreiche Studie aus dem Jahre 1992 für das renzierte Hörerinteressen bedienen zu können. 11 Institut für Medienforschung der Hochschule für Obwohl angesichts dieser Dimensionen auch viel Film und Fernsehen »Konrad Wolf« in Babels­ künstlerisches Mittelmaß produziert wurde, war 3 berg zusammen. Diese Studie zu den Hörer• der qualitative Standard der Texte und Inszenie­ Hörspielpreisen des Rundfunks der DDR ver­ rungen insgesamt hoch und brachte Leistungen suchte, sich auf der Basis gesicherter Fakten der hervor, die zunehmend auch internationales An­ Frage zu nähern, was die Hörspielsendungen für sehen in Ost und West erringen konnten. Davon die Adressaten, die Hörer bedeuteten? zeugen die diversen internationalen Preise Den Hörer-Hörspielpreis, Teil des Hörspiel• ebenso wie die zunehmende Zahl von Über• preises des Rundfunks der DDR von 1977 bis nahmen durch ausländische Rundfunkstationen, 1991, vergab nicht eine das Publikum stellvertre­ auch der Bundesrepublik. Im übrigen sind noch tende Hörerjury (wie z. B. beim Hörspielpreis der heute in den Programmen von MDR, ORB, SFB, Berliner Akademie der Künste oder beim Kin­ DeutschlandRadio Berlin und Deutschlandfunk derfilm-Festival »Goldener Spatz«), sondern Köln immer wieder alte Hörspielproduktionen des Tausende von jungen und alten Hörerinnen teil­ DDR-Rundfunks zu finden . ten alljährlich dem Rundfunk schriftlich mit, was Der Wunsch nach einem nationalen Hörspiel• ihnen am besten gefallen hat. Sie begründeten preis wurde lange vor 1977 geäußert. Zwei das oft noch ausführlich , und das alles, ohne daß Gründe seien eigens hervorgehoben. Der eine materielle Anreize geboten wurden , keinerlei Hähne/: Das DDR-Hörspiel im Urteil der Hörer 19

ist genereller Natur und keineswegs DDR-spezi­ vom Publikum selbst vergeben wurde: Die Hö• fisch. ln fast allen Landern litt und leidet das rerlnnen wurden dazu aufgerufen, das Stück zu 17 Hörspiel unter mangelnder öffentlicher Anerken­ benennen, das »mir am besten gefallt«, und nung, ja Kenntnisnahme. Selbst eine Zimmer­ danach wurden dann, wie bereits erwähnt, ein­ theater-Aufführung findet in der Regel mehr kriti­ fach die Hörerstimmen ausgezahlt. Im Statut von sches Echo in der Presse als eine Hörspiel-Ur• 1976, Abschnitt I, heißt es zu den Zielen des oder -Erstsendung, die weit mehr Menschen er­ Hörspielpreises: reicht.12 Gelangt ein Hörspieltext per Adaption »Der Hörspielpreis dient der Förderung und 13 ins Theater, Kino oder auf den Bildschirm, Publizierung des Hörspielschaffens in der DDR: 14 oder liegt er gar gedruckt vor, so findet das in Er soll die Hörer zum Hören und die Autoren der Regel auch eine viel breitere und gewichti­ zum Schreiben ermuntern. Er soll die öffentliche gere öffentliche Resonanz. ln vielen Fallen - Diskussion um funkdramatische Werke beleben, zumindest war das in der DDR zu beobachten - soll Maßstabe ideologisch-künstlerischer Ein­ wurde dabei unterschlagen, daß es sich über• schätzung festigen und Ansprüche formulieren .« haupt um eine solche handelt und bedenkenlos An erster Stelle werden die Hörer genannt! von »Uraufführung« gesprochen. Das ist kein Zufall, sondern ordnet sich, wie Sy­ Die zweite Ursache ist schon DDR-spezifi­ bille Bolik darlegt, ein »in die seit Anfang der scher. Nachdem es - im Unterschied zur Bun­ 70er Jahre wieder verstärkten Bemühungen um desrepublik, in der seit 1951 alljahrlieh der re­ ein attrativeres, hörerfreundlicheres Programm, nommierte »Hörspielpreis der Kriegsblinden« das sich auch gegen die westliche Medienkon­ vergeben wird - nicht gelungen war, noch in der kurrenz behaupten sollte« .18 ersten »Blütezeit« des DDR-Hörspiels (Ende der Allen Skeptikern zum Trotz bestätigte die 15 50er, Anfang der 60er Jahre ) einen Hörspiel• Entwicklung der Hörerbeteiligung die Richtigkeit preis zu schaffen, wurde die Situation Mitte der dieser Entscheidung: Was mit einigen hundert 60er Jahre zunächst schwierig. Das lag zum ei­ Hörerstimmen begann, zählte bald nach Tau­ nen an dem berühmt-berüchtigten elften Plenum, senden und erreichte seinen Höhepunkt 1988 das dazu führte, daß der Chefdramaturg - und mit fast 9 000 Stimmen, wobei seit 1980 auch bedeutende Hörspielautor - Gerhard Rentzsch das Kinderhörspiel gleichberechtigt mit dem Kin­ abgelöst wurde und nur noch als Dramaturg wei­ der-Hörspielpreis des Rundfunks der DDR, der terarbeiten durfte. Zum anderen schien die im­ auf einem vergleichbaren Statut und etwa glei­ mer stürmischere Fernsehentwicklung und chen Bedingungen basierte, in die Hörspiel• -Verbreitung in diesen Jahren - nicht nur in der Preisverleihung einbezogen worden war. Insge­ DDR - zu einer Krise des Hörspiels zu führen; samt haben sich im Verlauf der Jahre ca. 60 000 seine Zukunft wurde - selbst unter den Machern alte und junge Hörerinnen am Hörer-Hörspiel• 19 - in Frage gestellt. Es bedurfte daher erst des preis beteiligt. (Vgl. Tabelle und Grafik) z.T. unerwarteten quantitativen wie qualitativen Aufschwungs des DDR-Hörspiels in den 70er Jahren, auf dessen Ursachen hier nicht einge­ Stimmen 16 gangen werden kann, damit sich die Erkennt­ Jahr Hörspiel Kinder- gesamt nis durchzusetzte, daß Hörspiel nicht »Fernseh­ Hörspiel spiel ohne Bild« (und das Fernsehspiel eben 1977 412 412 nicht »Hörspiel mit Bild«) ist. Jetzt aber scheiter­ 1978 (ca.) 500 te die Einrichtung eines Hörspielpreises ganz 1979 664 664 simpel an der leidigen Geldfrage, die übrigens 1980 817 817 auch lange Zeit eine Teilnahme am international 1981 1 258 2 325 3 583 renommierten PRIX ITALIA unmöglich machte. 1982 1 118 2 264 3 382 Den Hörspielpreis der OIRT gab es erst später: 1983 1 253 2 939 4 192 5 048 für das Kinderhörspiel seit 1978 und für das Hör• 1984 1 198 3 850 1985 1 127 3 904 5 031 spiel seit 1982 jeweils in jedem zweiten Jahr. 1986 1 326 5 075 6 401 Erst für 1976 konnte - dank des Kulturfonds 1987 1 702 4 234 5 936 der DDR - die Finanzfrage endlich gelöst wer­ 1988 3 117 5438 8 555 den. Das ohne Zweifel wirklich Besondere des 1989 1 931 5 022 6 953 nun eingerichteten und erstmals für den Hör• 1990 1 856 4 234 6 090 spieljahrgang 1976 vergebenen Hörspielpreises 1991 532 1 893 2 425 war, daß neben einer Kritikerjury als program­ Summe: (ca.) 18 000 41 178 (ca.) 60 000 matische Entscheidung auch bewußt ein Hörer• Preis geschaffen wurde, der - als einziger Kunst­ Tabelle preis der DDR und möglicherweise auch interna­ tional einmalig - auf höchst demokratische Weise 20 Rundfunk und Geschichte 22 (1996)

Repräsentative Beteiligung bar die Angebote von Hörspiel und Kinder­ hörspiel angenommen, in denen sich die Höre• Besonders aufschlußreich für den Zusammen­ rinnen mit ihren Problemen im Unterschied zu hang zwischen den Kommunikationsangeboten den meisten journalistischen Äußerungen in den und deren Annahme durch die Hörer ist der je­ Medien mehr oder minder direkt wiederfinden des Jahr aufs neue zu verzeichnende Umstand, konnten .22 daß es vielen jungen und alten Hörerinnen nicht Auch der darauf folgende Rückgang in der genügte, nur das Hörspiel ihrer Wahl zu benen­ Beteiligung, die zur letzten Hörspielpreisverlei• nen oder auf einem der in verschiedenen Pres­ hung 1991 ihren Tiefpunkt fand , hat seine Ursa­ seorganen publizierten »Tippzettel« einfach chen in gesamtgesellschaftlichen Zusammen­ anzukreuzen: Durchschnittlich zehn bis 15 Pro­ hängen . Mit der »Wende« veränderte sich die zent der Teilnehmer schrieben ausführliche Be­ Situation der öffentlichen Auseinandersetzung gründungen zu ihrer Wahl. 20 Zum einen war das fast schlagartig und schuf so eine völlig neue Art ohne Zweifel Ausdruck der Verbundenheit, ja der öffentlichen Verständigung und Selbstver­ des Vertrauens der Hörerinnen zur Funkdrama­ ständigung .23 tik, zum anderen aber verweist es zugleich auf Für die breite Annahme des Hörspielange• einen aufschlußreichen Widerspruch - dem zwi­ bots spricht zunächst ein wichtiges Indiz: Es gab schen den gravierenden Mängeln in der gesell­ bei Hörspiel wie Kinderhörspiel keinen Jahrgang, schaftlichen Kommunikation und Selbstverstän• bei dem nicht wiederholte Produktionen jeweils digung und dem daraus resultierenden aus­ Stimmen bekamen. Jeder Beitrag erreichte »sei­ geprägten , aber weithin unbefriediqt bleibenden ne« Hörer, wenngleich quantitativ unterschied­ Bedürfnis der Menschen danach.21 ln diesem lich . Gleichzeitig wurden auch nicht in den Wie­ Sinne sehe ich einen direkten Zusammenhang derholungsreihen enthaltene Stücke benannt. zwischen der Verschärfung dieses Widerspruchs Das ist ein Beleg dafür, wie breit die von den jun­ in den 80er Jahren und der wachsenden Hörer­ gen und alten Hörerinnen rezipierte Palette des beteiligung. Besonders auffällig hierbei ist die funkdramatischen Gesamtangebots tatsächlich sprunghafte Zunahme im Jahre 1988 in der Ab­ war.24 stimmung über das Hörspielschaffen 1987. Seit ln diesem Zusammenhang interessiert die Gorbatschow wurde das Bedürfnis nach ehrli­ Frage, inwieweit es sich nur um einen eng be­ cher und offener Auseinandersetzung über die grenzten, gewissermaßen elitären Hörerkreis unübersehbaren inneren Probleme des Landes handelt, der von den Hörspiel- und Kinderhör• drängender. Seitens der politischen Führung spielangeboten Gebrauch machte, oder ob das zeichnete sich jedoch keine Spur von Ände­ Publikum so breit gefächert war, daß eine be­ rungswillen ab. Umso dankbarer wurden offen- stimmte Repräsentanz als gesichert angesehen

6000 ~--~======,------~Hörspiel ----Kinderhörspiel

0 +----r--~----+----r--~----+---~---+----r---~---+--~r---~--~ 1977 1978 1979 1980 1981 1982 1983 1984 1985 1986 1987 1988 1989 1990 1991

Grafik Hähne/: Das DDR-Hörspiel im Urteil der Hörer 21 werden kann . Zunächst eine auffällige Äußer• schatten sehr gut verstanden. Noch in den ein­ lichkeit: Es beteiligten sich stets mehr weibliche fachsten Dingen wurde Verschlüsseltes gerade­ als männliche Hörer (sind die Frauen und Mäd• zu manisch gesucht.«27 chen nur schreib- oder auch hörfreudiger?). Ver­ Aber auch auf die Kehrseite dieser Medaille treten waren alle Altersgruppen und nahezu alle muß hier hingewiesen werden - in Hermann Berufe und sozialen Schichten, in den einzelnen Kants »Abspann« findet sich folgende auf­ Jahrgängen z.T. unterschiedlich. Lediglich beim schlußreiche Klammerbemerkung: »(ln der Kinderhörspiel, das aus Platzgründen im folgen­ Technik, mit Schwung um heikle Stellen herum­ den ausgeklammert werden muß, 25 dominierten zuschreiben, haben es unsere Buchbesprecher konstant die Zehn- bis 13jährigen und hier wie­ zu einiger Meisterschaft gebracht; ihre freundli­ der besonders die Zwölfjährigen. che Absicht war vermutlich, keinen der vielen Um die Bandbreite der beteiligten Bevölke• schlafenden Hunde zu wecken. Doch wurden die rungsgruppen zu illustrieren, seien einige von ih­ manchmal ganz von selbst munter.)« 28 nen erwähnt (die Reihenfolge bestimmt keine Was Kant hier leicht ironisch beschreibt, um­ Rangfolge): Schüler, Lehrlinge, Studenten, Rent­ reißt ziemlich genau das hier Gemeinte, und die ner, Hausfrauen, Angehörige der Intelligenz, pä• Formulierung »keine schlafenden Hunde wek­ dagogische Berufe, Arbeiter, Ingenieure, Kraft­ ken« war tatsächlich ein durchaus geläufiger fahrer, Bauern, Mediziner und medizinisches Begriff in der Praxis. Nichts wollten die meisten Personal, kaufmännische Berufe, Angestellte im direkt oder indirekt Beteiligten weniger, als weitesten Sinne. Dabei ist hervorhebenswert, freiwillig »die Scheinwerfer richten« auf irgendein daß diese repräsentative Zusammensetzung möglicherweise problematisches Stück, vielmehr auch bei der Zunahme der Beteiligung erhalten sollten Horizonte erweitert und nicht verengt blieb und sowohl hinsichtlich der Altersgruppen werden. als auch der sozialen Zusammensetzung nur ge­ ringfügige Verschiebungen zu verzeichnen sind. Auffällig ist in allen Hörer-Hörspielpreisjahr• Inhaltliche und methodische Probleme gängen, soweit sich dies aus den Zuschriften mehr oder weniger eindeutig ableiten läßt, daß Da es nicht möglich war, sämtliche von den Hö• die einzelnen Sendungen sowohl altersmäßig als rerlnnen genannten Produktionen zu analysie­ auch sozial durchaus auf unterschiedliche Präfe• ren, mußten bestimmte Auswahlkriterien gefun­ renzen stießen. Wenn also jedes Hörspiel jeweils den werden . Sie orientieren sich an folgenden seine Hörer fand, fragt sich, welches davon auf Auffälligkeiten: besonders große Hörerresonanz stieß. Analog 1.) Im Hörspiel für Erwachsene gingen, bis zur generellen Diskrepanz zwischen den Kritiker­ auf eine Ausnahme, die aber offenbar als Ge­ Preisen und dem Hörer-Preis kann mit Sicherheit genwartsstück rezipiert wurde,29 alle Hörerpreise davon ausgegangen werden, daß die unter­ an Gegenwartsstücke im engeren Sinne, d.h. sie schiedlich hohe Stimmenresonanz bei den Hö• waren auch stofflich in der Jetztzeit angesiedelt, rerlnnen ein Indiz dafür ist, welche Probleme in wobei es deutliche Unterschiede gab, welche der Gesellschaft als besonders virulent empfun­ Hörergruppen welche Angebote favorisierten. den wurden und nach öffentlicher Diskussion 2.) Drei »Grundmuster« kristallisierten sich verlangten. Denn wie sich herausstellt, entschie­ dabei heraus: den die Hörer vorwiegend nach dem »Problem­ a) es gab einen eindeutigen »Favoriten«; wert« des Angebotenen, weniger nach dessen b) es gab zwischen zwei »Favoriten« ein »Kunstwert«, der vor allem für die Kritikerjurys im »Kopf-an-Kopf-Rennen«; Mittelpunkt stand. c) es ergab sich eine auffällige »Ausgeglich­ Um dies nachzuvollziehen, muß man die enheit« der Stimmenverteilung. DDR-Situation aus eigenem Erleben kennen, Es wurden Jahrgänge ausgewählt, in denen insbesondere, was die fehlende publizistische es entweder einen klaren Favoriten oder ein 26 Erörterung anstehender Probleme betrifft. Es »Kopf-an-Kopf-Rennen« gab, da hier wegen der gab daher eine besondere Sensibilisierung für ausgeprägten Stimmenverteilung besonders das Unausgesprochene. Darauf hat auch der aufschlußreiche Aussagen zu erwarten sein Opernregisseur Harry Kupfer in einem Interview müßten. Dabei war es wichtig, jeweils den Zu­ hingewiesen: »Wer die Wahrheit sagt, sticht sammenhang zwischen »Reihen«-Umfeld und immer in irgendein Wespennest. Aber Kunst dem Gesamtumfeld herzustellen. kann ohnehin nichts verändern . Eine solche Die Hauptschwierigkeit bestand jedoch in den Mission wollte uns der Stalinismus zwar Einzelanalysen selbst Ginge es z.B. um die Kri­ einreden, aber auch im Sozialismus war Kunst tikerpreise, so wäre eine Analyse sehr einfach wirkungslos. Nur war das mitunter aufregender, gewesen, liegen doch für alle Kritikerentschei­ weil die Leute im Parkett verschlüsselte Bot- dungen schriftlich formulierte Begründungen vor. 22 Rundfunk und Geschichte 22 (1996)

Bei den Hörerpreisen jedoch mußte der Versuch »Tadel«), 33 1981 »Der kleine König« von Bernd gewagt werden, aus statistisch gesichertem Ma­ Schirmer, 1983 »Auf der Schaukel« von Ralf terial inhaltlich-funktionale Bezüge und Wertun­ Wohlgemuth, in gewisser Hinsicht auch 1987 gen abzuleiten. Das schloß ohne Zweifel die »Nun heule ich doch« von Gabriele Bigott - zu­ Gefahr des Spekulativen ein , waren doch die gleich die weitgehend tabuisierten Probleme 34 Hörerwertungen weniger nach dramaturgisch-äs• Behinderter erfassend -, und, wenn auch nur thetischen Kriterien zu beurteilen, als die sehr vermittelt, 1984 »Fahrschule« von Bernd künstlerischen Angebote vor allem inhaltlich für Schirmer, auf das noch zurückzukommen sein die Hörergunst zu »entschlüsseln« . wird . ln diesem Zusammenhang ist aufschlußreich, daß es 1984 einen in der Stimmenzahl deutlich Hörerpräferenz für Gegenwartshörspiele abgehobenen zweiten Platz für »Dies Blatt der weißen Rose« von Friedbert Stöcker gab. Dies Der Hörer-Hörspielpreis begann 1977 mit einem ist deswegen bedeutsam, da insgesamt nur Paukenschlag: Ausgerechnet in dem nachge­ zweimal ein Hörspiel mit historischem Sujet ei­ rade »opulenten« Hörspieljahrgang 1976 errang nen zweiten Platz erringen konnte: 1980 der nicht etwa »Die Grünstein-Variante« von Wolf­ Monolog »Ich war die Neuberin« von Katharina gang Kohlhaase die Palme der Hörer Rothärmel, der allerdings durch seine vielen ak­ (ausgezeichnet mit dem ersten und einzigen tuellen Bezüge durchaus wie ein Gegenwarts­ PRIX ITALIA für das DDR-Hörspiel und Jahre stück rezipiert werden konnte, und 1988 die später von Bernhard Wicki erfolgreich verfilmt), Märchenadaption »Rumpelstilzchen« von Franz nicht »Zwiesprache halten« von Helmut Bez (von Fühmann. Zwar ist »Dies Blatt der weißen Ro­ den Kritikern ausgezeichnet und mit dem auch se« ein Beitrag zum Gedenken an die Geschwi­ im Theater experimentiert wurde) und auch nicht ster Scholl, also eigentlich ein historisches Hör• »Ich will nicht leise sterben« von Martin Stephan spiel, aber durch die Rahmenhandlung ist es (das vom Fernsehen der DDR kurz danach zugleich in der Gegenwart, und zwar im verfilmt wurde), sondern Erich Schlossareks Schulmilieu, angesiedelt. Das verleiht diesem »Der Tadel« (kurz danach ebenfalls vom DDR­ Hörspiel eine politische Brisanz, die nicht zufällig Fernsehen verfilmt), ein vergleichsweise »biede­ in der dazu veröffentlichten Annotation einfach res «, von der gesellschaftlichen Brisanz her unterschlagen wird, um nicht die berühmten 35 jedoch äußerst interessantes Hörspiel aus dem »schlafenden Hunde zu wecken.« Geht es da­ Schulalltag.30 ln einer Besprechung des RIAS bei doch um nicht mehr und nicht weniger als um wurde »Der Tadel« als der »politisch engagier­ die Haltung der jungen Generation zur anti­ teste« Beitrag bezeichnet. 31 Obwohl die Teilneh­ faschistischen Vergangenheit. Als z.B. der Vater merzahl damals noch wenige Hundert betrug, der jugendlichen Hauptperson ihr rät, Fragen nur sollte sich dieses Hörervotum in verschiedener als »Arbeitsstufe« zu berücksichtigen, antwortet Hinsicht bei späteren Entscheidungen als sie: »Dann schreib' ich lieber bloß ab. Eh's falsch charakteristisch erweisen. wird« . Aufschlußreich an der Hörerreaktion ist »Der Tadel«32 ist ein Gegenwartsstück im dabei, daß vor allem junge und ältere engeren Sinne, nicht nur von der Problematik Hörerinnen für diesen Beitrag votierten, also her, sondern auch in stofflich-thematischem solche, die etwa im damaligen Alter der Ge­ Sinne. Er spielt im »vertrauten« Alltag, seine Ak­ schwister Scholl waren, und jene, die in etwa teure sind Menschen »wie Du und Ich«, die deren Zeitgenossen waren, die sich also jeweils dargestellten Konflikte sind nachvollziehbar. Die unmittelbar in ihren eigenen Erfahrungen ange­ Sicht auf den gegenwärtigen Alltag ist kritisch. sprochen fühlten. Das wurde auch in diversen Und es wird ein Stoffbereich (Volksbildung) be­ Hörerbriefen direkt zum Ausdruck gebracht. handelt, der in der öffentlichen Kritik nahezu Ein dem Schulbereich vergleichbarer, von »tabu« war, aber inoffiziell zu den am meisten den Hörern bevorzugter Stoff- bzw. Themenbe­ kritisch diskutierten Bereichen der Gesellschaft reich sind ohne Zweifel die - auch in den gehörte, zu dem auch nahezu jeder auf direkte »Schulstücken« keineswegs ausgesparten - all­ oder indirekte Weise eine Beziehung hatte. Und : täglichen Liebes-, Ehe- und Familienbeziehun­ Schulprobleme spiegeln den Zustand und die gen. Diese dominieren mit unterschiedlichsten Probleme der Gesellschaft wie in einem Brenn­ Akzentuierungen und unterschiedlichstem hi­ glas wider. storisch-gesellschaftlichen Hintergrund in »Chris­ So ist es sicher kein Zufall, daß »Schul­ tina« von lrina Liebmann, eine von dramatischer stücke« später mehrfach von den Hörern ausge­ Zuspitzung lebende Ehe- und Familiengeschich­ zeichnet wurden : 1978 »Nachtkonferenz oder te mit einer jugendlichen Hauptfigur, die 1980 mit Wie beg innt ein Regenguß« von Joachim Priewe 32,2 Prozent den zweiten Platz mit großem (in gewisser Weise ein Gegenstück zum Abstand vor allen weiteren Nenneungen belegte. Hähne/: Das DDR-Hörspiel im Urteil der Hörer 23

Weiter gehören dazu 1982 »Ich sehe was, was durchaus nicht selten, daß sich qualifizierte du nicht siehst« von Martin Stephan (die Leute auch von weniger qualifizierten weiterbil­ Infragestellung einer »eingefahrenen« Partner­ den lassen mußten. beziehung}, 1984 in gewisser Weise auch die Schirmer verquickt das Fahrschulthema zu­ bereits genannte »Fahrschule« von Bernd dem geschickt mit den Frau-Mann-Beziehungen Schirmer, die mit 34,9 Prozent der Stimmen den - ein »Dauerbrenner« in der DDR. Vor allem Spitzenplatz belegte, und 1985 »Im Schrank, un­ aber fängt »Fahrschule« - und das dazu eben term Bett oder wo« von Jochen Hauser. Ähnli­ noch heiter-kritisch - eine Fülle von DDR-Alltags­ ches gilt auch 1986 für »Bienchens Verwandte« realität ein. Die Bandbreite reicht dabei von Ver­ von Gerhard Rentzsch, 1988 »Die letzte Hoch­ sorgungsproblernen (»es gab lange keine Salz­ zeit« von Helmut Sakowski und 1990 für heringe«) und der Diskussion über das Auto als »Traumreise« von Christian Martin. Renommier- oder Gebrauchsobjekt verbunden Obwohl kein Gegenwartsstück im engeren mit dem Thema Reisesehnsucht (»Ich denke ei­ Sinne, gehört 1989 »Der werfe den ersten Stein« gentlich mehr an fahren . Rausfahren. Ins Grüne von Michael Brautzsch, eine tragische Liebes­ fahren . Nach Bulgarien fahren«}, über berech­ geschichte aus der Nachkriegszeit. die aber von tigte, aber nicht gewährleistete Ansprüche ans den Hörerinnen ganz offensichtlich auch als Ge­ Leben (»Ich will noch was haben vom Leben«), genwartsgeschichte rezipiert wurde, dazu. Hin­ der Notwendigkeit von gegenseitig vorteilhaften zuzuzählen ist auch 1979 »Traumposten« von Beziehungen (»Wenn Sie zufällig Zement brau­ Horst Matthies. Vergleichbar der Schulproblema­ chen oder Fliesen«) über gängige Heucheleien tik liegt ein Thema zu Grunde, das für eine kriti­ (»Ich hatte mal eine am Steuer, die war Lehrerin sche Darstellung weitgehend tabuisiert war: die für Staatsbürgerkunde oder so was. Und mitten Nationale Volksarmee. Zunächst als Theater­ auf der Kreuzung fing die an zu zittern, und sie stück konzipiert, das aus politischen Gründen rief: Komm, Herr Jesus, sei unser Gast und ohne Resonanz blieb, fand es erst durch die nur segne, was du uns bescheret hast«) bis zu den im Hörspiel mögliche Umsetzung in eine Traum­ Zwängen der auf Kosten der Arbeit und der handlung Aufmerksamkeit. Außerdem ist Freizeit gehenden Alltagsprobleme (das Organi­ »Traumposten« eine wirklich vergnügliche Ge­ sieren von Autoersatzteilen, von Terminen für schichte, getragen von einer heiter-kritischen Pflege und Reparatur etc.) und tiefer gehenden Sicht auf den Alltag . Auseinandersetzungen um den Sinn des Lebens Besonders interessant ist, daß die Hörerin• (»Wir haben doch alle mal klein angefangen. Wir nen mehrfach »honorierten«, wenn die kritische hatten doch alle Ideale. Wir wollten uns nicht Auseinandersetzung mit dem Lebens- und Ar­ einmauern lassen von den Dingen«). beitsalltag auf heiter-überlegene und vergnügli• Übrigens ging auch der letzte Hörerpreis che Weise erfolgte. 36 Dabei war das Bedürfnis 1991 an ein Hörspiel, das sich in unterhaltsamer nach solchen Hörspielen stets größer als das Weise mit der veränderten deutsch-deutschen reale Angebot. Neben dem »Traumposten« sind Gegenwart befaßte, an »Augenblickchen II« von hier auch die bereits erwähnten Hörspiele »Im Gerhard Rentzsch. Angesichts der wenig rühmli• Schrank, unterm Bett, oder wo« und »Fahrschu­ chen deutschen Tradition in Sachen Komödie ist le« zu nennen, wobei es in einem Hörerbrief zu diese Seite der Hörergunst allerdings mehr als letzterem hieß: »Es ist erquickend, wenn in verständlich. unseren ernsten Zeiten auch einmal ein Autor mit Humor an ein Problem herangeht.« »Fahrschule«, später auch von der DEFA Hörspiele als Reflex auf den verfilmt, ist ein wichtiger Beleg dafür, daß ein »tatsächlichen Gesellschaftsprozeß« heiterer Inhalt aber allein nicht ausreichte für ei­ ne positive Hörerresonanz. Zunächst ist auf­ Bei dem Versuch, die Hörer-Präferenzen funktio­ schlußreich, daß 1984, wie auch im Folgejahr, nal zu »entschlüsseln«, ergaben sich folgende wirklich brisante konfliktreich-kritische Gegen­ Zusammenhänge: Die Hörerinnen suchten vor wartshörspiele fehlten. Dies ist wahrscheinlich allem nach kritischen Bezügen zu ihrem eigenen auch der Grund für einen leichten Rückgang der Alltag , zu ihren eigenen Arbeits-, Liebes-, Ehe-, Hörerbeteiligung. »Fahrschule« war schon vom Familienproblemen, die sie im funkdramatischen Gegenstand her ein überaus brisantes Thema, Angebot wiederfinden wollten und - zunehmend da man in der DDR nicht nur auf ein (bestelltes!) 37 im Unterschied zum Beispiel zum Fernsehen - Auto viele Jahre warten mußte, sondern auch auch konnten . Ein besonders aufschlußreiches viel Zeit verstrich, bis die Fahrschule absolviert Beispiel hierfür ist, obwohl es sich dabei nicht um war. Hinzukam, daß das Thema Weiterbildung, ein mit dem Hörerpreis ausgezeichnetes Stück der Schul-Problematik sehr verwandt, die DDR­ handelte, die große Resonanz auf das erstmals Bürger doch sehr beschäftigte. Dabei war es die Problematik der Homosexualität38 behan- 24 Rundfunk und Geschichte 22 (1996)

delnde Hörspiel »Harro« von Norbert Mahren; es Konsumenten dieser Texte oft größer als das kam 1988 auf den »dritten Rang«! Wie der den Interesse an der ausgefeilten künstlerischen Hörerpreis betreuende und auswertende Drama­ Gestaltung« war. Er fahrt fort: »Wirklichkeitsnahe turg Wolfgang Beck berichtete, hatten sich in ist ein allgemeines Qualitätsmerkmal des DDR­ diesem Jahr viele Hörer auf Grund dieses Hör• Hörspiels. Gewachsen aber ist in den achtziger spiels erstmals an der Umfrage beteiligt, und das Jahren das Interesse und die Fähigkeit der Hör• mit z.T. sehr vertraulichen Briefen, in denen sie spielauteren zur Sozialanalyse, die keine erwar­ sich selbst »outeten«. Das veranlaßte die teten Muster bedient, sondern auf Entdeckungen Hörspielabteilung, sich bei den betreffenden in der Wirklichkeit aus ist.« Dabei hebt er weiter Hörern die Erlaubnis einzuholen, von ihren hervor: »Diese Beispiele machen eine neuge­ Briefen in der Öffentlichkeitsarbeit Gebrauch zu wonnene Ehrlichkeit der Autoren gegenüber dem machen, was sehr unterschiedliche Reaktionen sozialen Prozeß deutlich, eine Ehrlichkeit, die hervorrief. Als nun diese Hörer im nächsten Jahr nicht unmaßgeblich das Wirkungspotential der erneut zur Teilnahme an der Umfrage eingela­ aktuellen Funkdramatik vergrößert hat. ( ... ) den wurden, war die Reaktion eher spärlich, da Konfliktfeld ist starker die individuelle Existenz - ein Hörspiel mit vergleichbarer Thematik nicht hier als Gegenpol zur vornehmlich gesellschaft­ auf dem Programm stand - ein Beleg dafür, wie lich-öffentlichen Existenz verstanden. Die Auto­ wichtig den Hörern die persönliche Betroffenheit, ren reflektieren weniger die Synchronität als die persönlichen Identifikationsmöglichkeiten mit Momente der Asynchronität zwischen gesell­ den dargestellten Problemen und Konflikten war. schaftlicher und individueller Entwicklung und Für die Hörerinnen stand so der »Problem­ Entwicklungserwartung.« Dadurch würde das wert« des Angebotenen im Mittelpunkt, sofern er »DDR-Hörspiel ganz unmittelbar ein Umschlag­ für sie persönlich von Belang war. Sie erwarteten platz sozialer Erfahrungen und gewinnt interes­ und »honorierten« das, was man - auch wenn sierte Hörer«.40 das mittlerweile altmodisch klingt - »Lebenshilfe« Diese Wertung korrespondiert aufschlußrei• nennen könnte. Bei aller allgemeinen Freude am cherweise mit der EinscMtzung von Jürgen Hörspielhören wurde ganz offensichtlich be­ Becker, Hörspielchef des Deutschlandfunks, sonders nach Anregungen gesucht, sich mit dem über ein Jahrzehnt, bis zum Ende der DDR, zu­ eigenen Lebens- und Arbeitsalltag besser ständig für einen monatlichen Sendeplatz »Hör• auseinandersetzen und diesen besser bewälti• spiel in der DDR«: »Im Deutschlandfunk bekam gen zu können. man zu hören sehr realistische Bilder aus dem Ein hierfür besonders wichtiger dramaturgi­ sozialistischen Alltag. Da wurde der Sozialismus scher Umstand ist dabei, daß in den meisten zwar nicht in Frage gestellt, aber was sich unter Fällen mit »Offenen« Schlüssen gearbeitet, auf seinen Oberflächen abspielte, am Arbeitsplatz, in gewissermaßen »modellhafte« Lösungen, die es der Schule, in der Familie, in all diesen provin­ zu Beginn des DDR-Hörspiels sehr viel gegeben ziellen Nischen, wo das Versagen von Ideologie hat, verzichtet wurde. Dies geschah zugunsten und Utopie die Tagesordnung war - darüber 41 von Gestaltungsweisen, die den Hörer zum erhielt man unverblümt kritische Nachricht.« Nachdenken anregen, ihn als Partner in die Su­ Und im Vorspruch des Deutschlandfunks zum che nach Lösungen einbeziehen wollten, die er zweiteiligen Radio-Essay »Hörspiel in der DDR« letztlich nur selber für sich finden kann.39 Das wird in gleichem Sinne noch der Bezug zum Hö• wird nur verständlich, wenn man berücksichtigt, rerecho hergestellt: »Statt dessen sendeten wir daß in der öffentlichen Diskussion viele dieser Stücke aus einem Alltag, der überaus realistisch Probleme einfach nicht existierten, bzw. nur und zu unserer eigenen Überraschung mitunter schöngefärbt behandelt wurden. Die Hörer durchaus kritisch beschrieben wurde. Vielleicht honorierten, daß offen/öffentlich zur Sprache deshalb auch fand das Hörspiel bei den Hörern kam, was die Medien sonst verschwiegen. der ehemaligen DDR so viel Beifall«.42 Eine interessante Bestätigung dieser Schlußfolgerungen findet sich in dem Aufsatz von Michael Hametner »Geschichten für das Erzählende Hörspiele gut plaziert Hörspiel. Zur Entwicklung des Genres in der Mitte der achtziger Jahre«. Er spricht von der Wie die Analyse ergab, war der Problemwert Funkdramatik als einem »besonders kraftigen allein keineswegs das wichtigste Kriterium für die Reflex« auf den »tatsächlichen Gesellschaftspro­ Hörergunst, sondern diese war zugleich auch zeß«, mißt dem Hörspiel einen »wesentlichen gekoppelt an ästhetische Voraussetzungen. So Beitrag zur Sozialanalyse ( .. .) in der Wahl habe ich, gewissermaßen als »Gegenprobe«, brisanter Problemfelder« zu und spricht davon, die Ergebnisse der Hörerresonanz daraufhin daß »das Interesse an der Meinungsbildung im durchgesehen, inwieweit unter den »Schlußlich• öffentlichen Bewußtsein ( ... )für Produzenten wie tern« Hörspiele sind , die nicht nur prozentual am Hähne/: Das DDR-Hörspiel im Urteil der Hörer 25

Ende der Rangskala stehen, sondern im Ver­ Fühmannschen Märchenadaption sehe ich vor hältnis zu den vorangehenden Beiträgen auch allem zwei Gründe: Erstens fehlten im Angebot tatsächlich eindeutig »abfallen«. Es sind vier: Gegenwartsstücke von wirklicher Brisanz (wie 1983 »Leerer Raum« von Jörg Kowalski, 1985 »Der Tadel« oder »Nachtkonferenz«) oder hei­ »Die Zwillinge von Callanda oder Über einige ter-kritische Beiträge (wie »Fahrschule«) oder Gesetzmäßigkeiten bei der Entwicklung politi­ wichtige neue Themen (wie »Harro«). Zweitens scher Phänomene« von Garlos Cerda (Kritiker­ ist »Rumpelstilzchen« von einer nachgerade be­ Autorenpreis!), 1988 »Tod eines deutschen stürzenden politischen Brisanz mit vielen aktuell­ Clowns« von Holger Jackisch (Kritiker-Autoren­ kritischen Anspielungen,43 die in mehrfacher preis!) und 1990 »Und hinter uns der Front­ Hinsicht der Grundstimmung breiter Schichten mann« von Bert Koß. entsprach. Das Bewußtsein von einer gefährde• Eigentlich unzulässig vereinfachend und die ten Weit hatte weit um sich gegriffen, genannt jeweiligen ästhetischen Qualitäten hier bewußt seien hier nur der Reaktorunfall von Tschernobyl ausklammernd, handelt es sich bei diesen vier und die Angst vor einem Atomkrieg,44 und vor Hörspielen um zwei - in der DDR höchst seltene, allem die sich verschärfenden, öffentlich tabui­ also die DDR-Hörgewohnheiten nicht bedienen­ sierten ökologischen Probleme. Ich halte es de- politische Parabeln (»Zwillinge« und »Front­ sogar für möglich, daß hierbei eine gewisse mann«) und zwei zugegeben kompliziert erzählte »Endzeitstimmung« eine Rolle gespielt haben historisch-biographische Stücke, die ebenfalls kann , die für apokalyptische Bilder einen frucht­ stark politisch akzentuiert sind: Dargestellt wird baren Boden bot. 45 im einen Fall eine Episode um den Studenten Eindeutig bevorzugt wurden von der Mehrheit Adam Koch aus dem Jahr 1840 und die po­ der Hörerinnen tatsächlich jene Beiträge, die am litische Verfolgung der »Gesellschaft der Men­ unmittelbarsten, also ohne ästhetische »Umwe­ schenrechte« und im anderen Falle eine Episode ge«, möglichst viele Bezüge und Assoziationen aus dem Leben des Dichters Paul Scheerbart. zu ihrer eigenen Lebenswirklichkeit erlaubten, ja Vier Beiträge also, die jeweils auf ihre Weise herausforderten, und zwar anhand einer in der tatsächlich »Gegenstücke« sind zu den Hörspie• Gegenwart spielenden (Alltags-) Geschichte um len, die in der Hörergunst jeweils am höchsten und mit Figuren »wie Du und Ich«. Dabei ist fest­ standen, und zwar, und das ist in diesem Zu­ zuhalten, daß auch die beiden preisgekrönten sammenhang besonders wichtig, unabhängig Monologhörspiele »Nachtkonferenz« und »Im von ihren mehr oder weniger brisanten aktuell­ Schrank, unterm Bett oder wo« auf ihre Weise politischen Bezügen. Denn für mich sind z.B. der jeweils eine wirkliche Geschichte erzählen. ln­ »Frontmann« oder die »Zwillinge« oder manch wieweit dem allerdings eine (letztlich doch ab­ anderes Hörspiel mit historischem Stoff politisch wertende) Einschätzung wie die, daß die Hörer weitaus brisanter als die am Ende mit dem Hö• »mehrheitlich einem konventionellen Alltagsrea­ rer-Hörspiel-Preis ausgezeichneten Beiträge. So lismus den Vorzug« gaben,46 gerecht wird, wage stand z.B. für den Hörerpreis 1984 auch der Mo­ ich zu bezweifeln. Sie ist zwar vom literaturhisto­ nolog um Katharina von Bora »Die Befreiung« rischen Standpunkt her nicht falsch, läßt aber von Helmut Bez zur Auswahl, der hinsichtlich der hörspielgeschichtlich eben genau das außer Frauen- und Emanzipationsproblematik an aktu­ acht, was mir so wichtig erscheint: die Be­ ell-bedeutsamen Bezüglichkeiten nichts zu deutung des jeweiligen Hörspielangebotes im wünschen übrig ließ. Das wurde übrigens auch konkreten gesellschaftlichen Kontext. besonders von den Hörerinnen erkannt und ho­ Für die Hörer standen nicht ästhetische Fra­ noriert: 67,6 Prozent der Stimmen für dieses gen im Zentrum, sondern das, was die Schau­ Stück kam von weiblichen Hörern. Die Erklärung spielerin Jutta Wachowiak in ihrer Rede anläß• dafür lautet: Vergangenheitsgeschichtliche Stoffe lich der Verleihung der Hörspielpreise am 29. waren in vielen Fällen die einzige Möglichkeit, in März 1990 angesichts der damals drohenden einer Gegenwartsgeschichte brisante Probleme Eliminierung des Hörspiels aus den Programmen künstlerisch zu artikulieren. so formulierte: »Mir ist in all den Jahren meiner Nur einmal, beim Hörspielpreis 1988, hätte es Tätigkeit im Funk immer wieder die Begegnung fast eine Ausnahme gegeben. Da kam es zu mit Stoffen ermöglicht worden, deren aus­ zwei eindeutigen Favoriten: Die (postum schließliche Verpflichtung der Wahrheit und produzierte) Adaption des Märchens »Rumpel­ aufrichtige Sicht auf unsere Realität enorm an­ stilzchen« von Franz Fühmann, das sehr bittere genehm aufgefallen ist. Ich habe dies mehrere Ausblicke auf die Gegenwart eröffnete, sowie Male bei entsprechender Gelegenheit auch öf• »Die letzte Hochzeit« von Helmut Sakowski, eine fentlich gemacht. Der Grund für diese ausdrück• »Geschichte von Liebe und Tod, hineingestellt in liche Hervorhebung einer solchen Tatsache war heutige Zeit«. Dieses Hörspiel erhielt lediglich 13 der, daß ich damit die Gelegenheit nutzte, die Stimmen mehr. Für die gute Plazierung der 26 Rundfunk und Geschichte 22 (1996)

Reputation der Arbeit im Funk trotz der sattsam 47 haft versichern konnte, daß einfach die eingegan­ bekannten Restriktionen, zu unterstreichen.« genen Stimmen exakt gezählt wurden (übrigens Allerdings ist es auch kein Zufall, daß die Kri­ ein Indiz für das sich hinter solchen Fragen ver­ tikerpreise für das beste Stück in der Regel vom bergende latente Mißtrauen in die »demokrati­ Urteil der Mehrheit der Hörer abwichen. Über• schen« Praktiken in der DDR) . einstimmung gab es nur selten : bei »Nacht­ 5 Vgl. hierzu: Siegtried Hähne!: Zehn Jahre Hör• konferenz« von Priewe, bei »Bienchens Ver­ spielpreis des Rundfunks der DDR - Zehn Jahre wandte« von Rentzsch und in gewisser Weise Hörspiel im Urteil der Hörer und Kritiker. ln: Bei­ bei »Traumposten« von Matthies, dem die träge zur Geschichte des Rundfunks Jg. 20 Kritikerjury (zusammen mit dessen Hörspiel (1986), H. 3, S. 46-61 . »Wölfe im Lager«) 1978 den Sonderpreis zuer­ 6 Die wichtigste Einschränkung betrifft die am Er­ kannte. Aber die Aufgabe der Kritikerjury war gebnis nichts ändernden genauen Stimmenzahlen eben auch eine andere. Insofern halte ich den des Hörspielpreises 1978, die trotz intensiver Hörspielpreis des Rundfunks der DDR mit den Recherchen nicht mehr zu ermitteln waren und die beiden »Säulen« Hörer und Kritiker auch im demzufolge im Diagramm ausgespart wurden. nachhinein für ein hörspielgeschichtlich bedeut­ Vgl. auch Medien (wie Anm. 3), Kap . 2.2., Anm. sames und weiterhin untersuchenswertes Phä­ 91, Kap. 3.1., Anm. 102 und Kap. 3.2.2 ., Anm. nomen. 131 . 7 Möglich wurde diese Studie, da ich 25 Jahre an der Humboldt-Universität zu Berlin nicht nur das Anmerkungen Spezialgebiet »darstellende Kunst im Hörfunk« in Lehre und Forschung aufgebaut und vertreten, Der Autor war von 1976 bis 1986 Vorsitzender der sondern die Entwicklung der sogenannten »Funk­ Kritikerjury für den Hörspielpreis des Rundfunks dramatik« im Rundfunk der DDR auch als Kritiker der DDR und von 1986 bis 1990 Stellvertretender verfolgt habe. Das führte dazu, daß der Rundfunk, Leiter der Hauptabteilung Funkdramatik beim als der Hörspielpreis aus der Taufe gehoben Rundfunk der DDR. werden konnte, mich in die Kritikerjury berief und mich das Gremium zum Vorsitzenden wählte. ln Vgl. Sybille Bolik: Das Hörspiel in der DDR. The­ dieser Position blieb ich bis zu meinem men und Tendenzen. Frankfurt am Main u.a. Ausscheiden aus der Universität und dem Antritt 1994; Mitteilungen StRuG Jg. 20 (1994), H. 2/3, meiner Funktion als stellvertretender Leiter der S. 152 u. H. 4, S. 246; Penelope J. Jackson-Un­ Hauptabteilung Funkdramatik. So habe ich die derwood - Authority and rebell ion : The GDR-Kin­ ganze Entwicklung des Hörspielpreises des derhörspiel, its role and place in German Radio Rundfunks der DDR zehn Jahre lang als Außen• Drama, Phil. Diss., Tennessee, 1993; Peter und stehender und danach fast fünf Jahre als Renate Gugisch: Hörspiel in der DDR , Radio Es­ »Insider« so aktiv wie intensiv verfolgt. say in zwei Teilen. Deutschlandfunk 11 .7.1992 u. 18.7.1992. 8 Vgl. das aufschlußreiche Feature von Rainer Schwochow »Jetzt flieg ich weiter zur Sonne« um 2 Wobei sicher nicht hervorgehoben werden muß, das Verbot des Kinderhörspiels »lkaros« von Ha­ daß es, so wenig es die DEFA oder den DEFA­ raid Gerlach, gedruckt in: Edith Spielhagen Film gab, überhaupt richtig wäre, von dem Rund­ (Hrsg .): So durften wir glauben zu kämpfen ... Er­ funk der DDR oder dem Hörspiel der DDR, also fahrungen mit den DDR-Medien. Berlin 1993, alle Differenzierungen im einzelnen außer acht S.13ff. lassend, überhaupt zu sprechen. 9 DDR I, Radio DDR II, Berliner Rundfunk, Stimme 3 Entstanden als Beitrag zu dem Forschungsprojekt der DDR, Jugendradio DT 64. »Medien im Prozeß gesellschaftlicher Umbrüche - kulturelle und soziale Aspekte der Entwicklung 10 Besonders bemerkenswert, auch im internationa­ und Funktion der AV-Medien in den neuen Bun­ len Kontext, ist, daß dem Kinderhörspiel wöchent• desländern«, das aber aus finanziellen Gründen lich durchschnittlich sechs Sendeplätze zur Verfü• nicht realisiert werden konnte. Exemplare dieser gung standen. Vgl. hierzu z.B. Hans-Uirich Studie sind verfügbar in der Hochschule für Film Wagner: Gratwanderung. ln: Funkkorrespondenz und Fernsehen in Babelsberg, im Hamburger V. 18.2.1993. Hans-Bredow-lnstitut, in der Bibliothek des Insti­ 11 Vgl. Medien (wie Anm. 3) , Kap. 2.1 .1. bis 2.1.4. tuts für Kommunikations- und Medienwissen­ Hingewiesen sei in diesem Zusammenhang auf schaften an der Universität Leipzig und im Deut­ Radio DDR II, ein Kultur- und Bildungsprogramm, schen Rundfunkarchiv, Standort Berlin . das für eine interessierte Minderheit konzipiert 4 Dieser Tatbestand war für viele Außenstehende war. keineswegs selbstverständlich. ln meinen Semi­ 12 ln der DDR war- bei aller Unterschiedlichkeil der naren, Vorträgen etc. zu diesem Themenkreis wurde ich immer wieder daraufhin angesprochen, Hörbeteiligung zu den verschiedenen Tageszeiten und an den verschiedenen Programmen - sozio­ wie die Hörerpreise wirklich zustande kämen. Es erzeugte in der Regel Erstaunen, wenn ich glaub- logisch gesichert davon auszugehen, daß eine Hörspielsendung durchschnittlich so viele Hörer Hähne/: Das DDR-Hörspiel im Urteil der Hörer 27

erreichte, wie an einem Abend Zuschauer ins bis zum 31 .12.1988. ln ihnen sind die Namen der Theater gingen, genauer: von der Platzkapazität Autoren, welche erstmals mit einem Originalhör• her gehen konnten, also über 50 000. - Natürlich spiel vertreten sind, hervorgehoben. Es wird auch ist das nicht vergleichbar mit den Zahlen in den dokumentiert, wie »treu« viele der bewährten Hör• Jahren vor dem Siegeszug des Fernsehens. Die spielauteren diesem Metier auch blieben. Auch Sendung der Trilogie »Genesung« von Karl Georg die öffentliche Resonanz wurde zunehmend in­ Egel und Paul Wiens 1954 z.B. erreichte damals tensiver und förderte die publizistische Auseinan­ nahezu die gesamte Republik, war republikweit dersetzung über den Hörspielpreis hinaus mit dem Gesprächsgegenstand, was in den 70er und 80er gesamten Hörspielschaffen. Jahren nur noch bei Fernsehsendungen möglich 20 Diese und alle anderen über die Stimmenstatistik war. hinausgehenden Angaben verdanke ich den 13 Vgl. hierzu die Dokumentation Hörspiel- und (internen) sehr gründlichen schriftlichen Analysen Feature-Texte als Spielgrundlage für Theater, der Hörerbeteiligung, die durch den - inzwischen Film und Fernsehen. ln: Beiträge zur Geschichte verstorbenen - Dramaturgen Wolfgang Beck des Rundfunks Jg . 20 (1986), H. 3, S. 96-111 und (Hörspiel), mit dem ich noch mehrere Gespräche deren (hektographierte) Fortsetzung von Stephan zu diesem Thema führen konnte, bzw. von der Göritz bis mit 31 .12.1988 zugänglich im Deut­ Abteilung Hörerpost- und Eingabenanalyse, An­ schen Rundfunkarchiv, Standort Berlin. nelise Niebei (Kinderhörspiel) erarbeitet wurden . Aus drei Gründen habe ich in meiner Studie die 14 Vgl. hierzu Peter Gugisch: Bibliographie der Hör­ mehr als eine Benennung enthaltende Hörerpost spielveröffentlichungen 1945-1965. ln : Beiträgen nicht ausgewertet: Zum einen lag sie mir nicht zur Geschichte des Rundfunks Jg . 20 (1986), H. mehr vor (sofern sie heute überhaupt noch vor­ 3, S. 67-89, sowie ebenfalls die (hektographierte) handen ist) , zum anderen wäre dies eine eigene Fortsetzung von Stephan Göritz bis mit Studie wert gewesen. Vor allem mußte ich dem 31 .12.1988 zugänglich im Deutschen Rundfunk­ Ziel meiner Untersuchung entsprechend die je­ archiv, Standort Berlin. weilige Verteilung der Gesamtheit der Stimmen (= 15 Vgl. Peter Gugisch: Abriß der Hörspielentwicklung 100 Prozent) zugrundelegen und auswerten. auf dem Gebiet der Deutschen Demokratischen 21 Möglicherweise entsprang die Resonanz auf sol­ Republik von 1945 bis zur Gegenwart. ln: Hör• che Umfragen auch dem im allgemeinen zu wenig spiele 6. Berlin 1966. befriedigten Bedürfnis nach demokratischer Mit­ 16 Hingewiesen sei aber doch zumindest auf die bestimmung, nach wirklichem Mitentscheiden­ Impulse, die zunächst vom VIII. Parteitag der SED können. Auf diesen Zusammenhang machte mich und besonders von dem nachfolgenden soge­ Wolfgang Beck in einem Gespräch am 2.7 .1992 nannten Kulturplenum, der 6. Tagung des ZK der aufmerksam. Hierin liegt auch begründet, warum SED 1972, tatsächlich ausgegangen waren, selbst die Hörerbeteiligung beim Kinderhörspiel von wenn auch diese sich zunehmend und letztlich als Anfang an auf signifikante Weise weit höher lag! verhängnisvolle Illusion erweisen sollten. 22 So signalisierte der Leiter der Abteilung Hörer­ 17 Dabei wurden zur Erleichterung für die Hörer je­ post, Manfred Hegewald, in der Komiteesitzung weils mehrere Hörspiele und Kinderhörspiele, vom 1.8.1989 in einem mündlichen Bericht, daß ausgewählt von der Kritikerjury und der Drama­ die Zuschriften kritischer Natur anwachsen, die turgie, noch je zweimal wiederholt, unter dem Hörer ihre Alltagssorgen im Programm wiederfin­ Motto »Was mir am besten gefällt« bzw. »Mach den wollten, vieles gar nicht oder zu spät behan­ mit! Hör zu! Entscheide!«. delt werde und diese Kritiken so weit gingen, daß die Hörer einschätzen, die Innenpolitik werde nur 1 8 Bolik (wie Anm . 1) , S.159; vgl. dort auch die fol­ noch durch den Gegner abgehandelt (sinngemäß genden Ausführungen, z.B. zu der Kurzhörspiel• zitiert nach meinen Notizen). aktion »Hörer->Momentaufnahmen«<. Allerdings war eine Absage an den Hörer, wie sie bei Heinz 23 Aus diesem Grunde gehe ich - im Unterschied zu Schwitzke zu finden ist, zu keiner Zeit des DDR­ meiner Studie - im folgenden auch nicht näher auf Rundfunks denkbar: »Das Hörspiel ist ( ... ) unent­ diesen letzten Hörspielpreis ein. behrlich ( ...) vielleicht nicht für die hörende Masse, 24 Andererseits muß darauf hingewiesen werden, sondern für das Experiment und für die literari­ daß nicht als Wiederholung gesendete Hörspiele sche, formgeschichtliche, geisteswissenschaftli­ von vornherein keine Chance hatten, den Hörer• che Entwicklung«. ln: Das Hörspiel. Köln/Berlin preis zu erhalten. Daher muß angemerkt werden, 1963, S.107. daß die Auswahl für diese Wiederholungen in der 19 Auch die beiden anderen Ziele wurden übrigens Regel im Verhältnis 50 :50 von den Kritikerjurys mit dem Hörspielpreis wesentlich gefördert. Was und den beiden dramaturgischen Abteilungen für die Autoren betrifft, so genügt ein Blick in die Liste Hörspiel und Kinderhörspiel erfolgte. Sicherten der Hörspiel-Ursendungen. Vgl. Peter Gugisch sich damit die Jurys ab, daß ihre voraussichtlichen und Siegtried Hähnel: Hörspiel-Ursendungen Preisstücke in den Reihen enthalten waren, hiel­ 1945 - 1985. ln : Beiträge zur Geschichte des ten sich die dramaturgischen Abteilungen die Rundfunks Jg . 20, H. 3, S. 29ft. Vg l. auch die Möglichkeit offen , die erfahrungsgemäß wichtig­ hektographierte Fortsetzung von Stephan Göritz sten potentiellen Hörerpreisstücke vertreten zu 28 Rundfunk und Geschichte 22 (1996)

haben. Allerdings ergaben sich bei dieser Aus­ mit sich selbst versucht sie, dafür die Gründe zu wahl gelegentlich auch Probleme. So informierte erforschen. Am Ende findet sie die Kraft, sich wie­ mich Wolfgang Beck z.B. in dem Gespräch am der zu engagieren: Sie sorgt dafür, daß das 2.7.1992 darüber, daß 1985 »Der Filmriß« von Thema erneut auf die Tagesordnung gesetzt wird . Horst Matthies aus politischen Vor- bzw. Rück• Ein aufschlußreiches Detail aus dieser »Nacht­ sichten von der Dramaturgie nicht in die Wieder­ konferenz<<: »Kollegin Bertoch, bilden Sie bitte holungsreihe »Was mir am besten gefällt« aufge­ mal den Komparativ von dramatisieren! Dramati­ nommen wurde. Ähnliches gilt offenbar im Kinder­ sieren, verharmlosen, verschweigen, schönfär• hörspiel 1988 für Petra Seedorffs »Robert J.«. ben ... «

25 Vgl. »Medien« (wie Anm. 3), Kap.3.2.2. und 34 Hans Bräunlich, damals Dramaturg in der Hör• 3.2.3.2 . spielabteilung, schreibt im Vorwort zum Hörspiel• band »Schrei der Wildgänse«, Berlin, 1988, S.12, 26 Ein besonders aufschlußreiches Beispiel, Bolik zum »großen Zuspruch ( .. .) bei den Hörern«, den (wie Anm. 1), S. 216. Wenn sie an »Ich will nicht dieses titelgebende Hörspiel und »Nun heule ich leise sterben« von Martin Stephan (1976) beson­ doch« gefunden hatte: »ln der starken Resonanz ders hervorhebt, daß hier »der Würde der Arbeit« herrscht dabei eine tiefe Betroffenheit über die Ausdruck gegeben wird, so ist das eben nur die dargestellten Menschenschicksale vor. Die Forde­ halbe Wahrheit. Die große Resonanz dieses Hör• rung nach unspektakulärer, alltäglicher, menschli­ spiels bis hin zu seiner Verfilmung für das Fern­ cher Solidarität mit den durch Behinderung be­ sehen der DDR ist vor allem der Tatsache ge­ nachteiligten Menschen wird mit Erschütterung schuldet, daß hier das damals Tabu-Thema Ster­ wahrgenommen. Sie findet ein Echo im Wissen, ben in den Mittelpunkt gerückt wurde. So erschien daß institutionelle, gesetzliche und gesellschaft­ z.B. erst 1982, in der Deutschen Zeitschrift für lich sanktionierte Hilfeleistungen allein nicht aus­ Philosophie Jg. 30 (1982), H. 7, S. 876-891 , der reichen.« wirklich bemerkenswerte Artikel von Uwe Körner »Sterben und Tod und der Sinn des Lebens«. 35 Diese, von dem jeweiligen Dramaturgen verfaßten Frau Bolik antwortete mir damals brieflich, daß ihr Annotationen hießen damals nicht zufällig die »Anstößigkeit des Themas Sterbens ( ... ) so »Argumentationen« und sind oft dadurch gekenn­ fremd« war, daß sie »den >Knackpunkt< des Stük• zeichnet, daß sie die politische Brisanz eines kes verkannt habe.« Stückes möglichst nicht für Außenstehende er­ kennbar werden lassen sollten, sondern bewußt 27 vom 14./15.3.1992 (Hervorhe­ den Eindruck schaffen wollten, es handele sich bung, S.H.) um einen rundum »positiven« Beitrag. 28 Hermann Kant: Abspann. Berlin/Weimar 1991, 36 Hiermit korrespondiert übrigens die große Hörer• S. 50. resonanz auf die Unterhaltungssendung von Ra­ 29 Michael Brautzsch, ... der werfe den ersten Stein, dio DDR I »Alte Liebe rostet nicht«, die allerdings ein Hörspiel, angesiedelt in der Nachkriegszeit. nur als Aufzeichnung, keinesfalls live gesendet wurde. Das Geheimnis des Erfolgs neben der 30 »Der Tadel« entwickelt seinen Konflikt aus einer glänzenden Moderation durch das überaus popu­ fast banal-alltäglichen Situation: Da sagt eine Leh­ läre Paar Günter Hanse! und Manfred Uhlig, be­ rerin einfach »Nein«, als ein kurzfristiger Sonder­ stand in der Einbeziehung der Bürger vor Ort in auftrag erfüllt werden soll. Wenig später weigert die Vorbereitung zeichnete sie sich durch nach­ sie sich, eine von ihr verantwortlich getroffene prüfbaren Realitätsgehalt aus und behandelte Entscheidung zurückzunehmen, nicht einmal auf Mißstände und Probleme auf heiter-kritische Art. dienstliche Weisung ihres Direktors, weil sie diese für grundsätzlich falsch hält, auch wenn der Vor­ 37 Das Hörspiel, das weit weniger Aufmerksamkeit gang sogar über den Schulrat ins Rollen gekom­ von politischer Seite auf sich zog, hatte tatsächlich men war. mehr Freiräume als das Fernsehen, wo Gegen­ wartsproblerne nur noch im » Polizeiruf 11 0« oder 31 Autor und genaues Sendedatum fehlen leider auf »Der Staatsanwalt hat das Wort« behandelt wur­ meinen damaligen Notizen. den. 32 Gedruckt in : Die Grünstein-Variante. Berlin 1980. 38 Von den DDR-Medien totgeschwiegen, hatten ln den vom Rundfunk der DDR herausgegebenen sich bereits 1973 Homosexuelle zu organisieren Hörspielbüchern sind auch fast alle anderen, im begonnen (HIB, Homosexuelle Interessengemein­ folgenden herangezogenen Hörerpreis-Stücke schaft Berlin), fanden dann 1976 einen Anlauf­ publiziert - mit zwei Ausnahmen: »Christina« von punkt im Gründerzeitmuseum Berlin der Charlotte lrina Liebmann wurde auf Wunsch der Autorin von Mahlsdorf. 1978 wurden ihre Aktivitäten ver­ ausgetauscht gegen »Neun Berichte über Ronald, boten , als eine Mitstreiterin ein republikweites der seine Großmutter begraben wollte«, und Lestentreffen organisieren wollte. Vgl. Berliner Bernd Schirmers »Der kleine König«, dessen Zeitung vom 8.7.1992, S.13. Thematik offenbar zu brisant war. 39 Unter Bezug auf den Titel des Hörspiels von Hel­ 33 Hier hat eine Lehrerin das Kämpfen bereits auf­ mut Bez »Zwiesprache halten« schreibt Bernd gegeben und zu einer ungerechten Kritik an einer Schirmer im Nachwort zu dem Reclamband (883) Kollegin geschwiegen. ln einer »Nachtkonferenz« »Brot und Salz, 15 Hörspiele aus den siebziger Hähne/: Das DDR-Hörspiel im Urteil der Hörer 29

Jahren« (1982), S. 428: »Wenn etwas kennzeich­ nend ist für das Hörspielschaffen der letzten Jahre, dann dieses: Zwiesprache halten.« 4 0 ln: Siegtried Rönisch (Hrsg .): DDR-Literatur '87 im Gespräch. Berlin und Weimar 1988, S. 108-127. Hamelner war ab 1987 Vorsitzender der Kritikerjury für den Hörspielpreis des Rundfunks der DDR. 41 »Im Schaufenster bei sich selber. Ein Interview mit DLF-Hörspielchef Jürgen Becker«. ln: ep­ d/Kirche und Rundfunk Nr.85 vom 30.10.1991, S. 9f.

42 Gugisch (wie Anm. 1). 4 3 Da fallen z.B . Begriffe wie »Sprachregelung« oder Sätze wie »Ein Staatsbürger hat kein Unterbe­ wußtsein , das wär ja noch schöner, wenn jeder Bürger so was Unkontrollierbares in seinem Hirn mit sich rumschleppen würde! Legitimiert jede An­ archie, Ihr Unterbewußtsein!« 44 Interessanterweise gab es gegen Ende 1985 in Finnland eine Panik anläßlich der Sendung des in den USA zum besten Hörspiel des Jahres erkore­ nen Beitrages »Der nächste Krieg« von Jan Hart­ mann. Vgl. Lutz Volke: Vorwort zum Hörspiel-dia• log-Band »Bienchens Verwandte« Berlin, 1987, S.7. 45 Was die Umweltproblematik betrifft, so ist dieser Zusammenhang sicher unbezweifelbar. So famu­ lierte z.B. Volker Lüderitz, der selbst fast zehn Jahre in der halbillegalen Umweltbewegung der DDR mitwirkte und dann später Mitglied des Landtages Sachsen-Anhalt wurde, in einem Inter­ view, daß es nicht zuletzt die Umweltbewegung war, »aus der maßgebliche Impulse für den Um­ bruch des Jahres 1989 kamen«. ln: Neues Deutschland v. 17.6.1992. 46 Bolik (wie Anm.1), S.168. 47 Abgedruckt in: Radio im Umbruch. Oktober 1989- Oktober 1990 im Rundfunk der DDR. Berlin 1990. SED und Rundfunk Quelleninventar zu den Protokollen der Parteiführungsgremien (1946 - 1989)

Die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands archiv Berlin erhalten und durch Findbücher, die (SED) verstand sich - wenn auch dieser An­ aus einer Auflistung der Tagesordnungspunkte spruch erst 1968 in der Verfassung der Deut­ bestehen, erschlossen.6 Für die nachfolgende schen Demokratischen Republik verankert wurde Dokumentation wurden die Tagesordnungspunk­ - als führende politische Kraft des ersten deut­ te ausgewählt, die sich vor allem mit dem Rund­ schen Arbeiter- und Bauernstaates auf deut­ funk und dem Fernsehen, aber auch mit den an­ schem Boden. Sie leitete ihren Führungsan• deren publizistischen Medien sowie mit allge­ spruch aus der historischen Mission der Arbeiter­ meinen Fragen der Agitation und Propaganda klasse ab und behauptete, die Partei habe immer befaßt haben. Wenn sich auch nicht immer er­ recht. Mit dieser Selbstgewißheit maßte sich die kennen läßt, womit konkret die beiden genann­ SED an, sämtliche Bereiche der Staatsverwal­ ten Gremien befaßt waren, so lassen die Tages­ tung, die anderen politischen Parteien, die Mas­ ordnungspunkts dennoch Rückschlüsse auf die senorganisationen, Wirtschaft und Kultur und Dichte der Beratungen über die Massenmedien eben auch die Massenmedien anzuleiten oder und auch auf Themen und Schwerpunkte zu. gar direkt zu lenken. 1 von denen einige exemplarisch vorgestellt wer­ Obwohl formell über dem Politibüro der SED den sollen. der Parteitag und das Zentralkomitee standen, Zentralsekretariat und Politbüro, so ist er­ bildete dieses aus zunächst neun und später 21 kennbar, waren an allen Weichenstellungen, die Mitgliedern und Kandidaten bestehende Gre­ den Rundfunk betrafen, beteiligt. Zur Beschluß• mium den »institutionellen Mittelpunkt des Herr­ fassung bzw. zur Kenntnisnahme wurden ihnen schaftszentrums«2 der DDR, konnte es doch organisatorische Fragen ebenso vorgelegt wie jede beliebige Frage an sich ziehen und ent­ personelle Veränderungen und Entscheidungen scheiden. Das Politbüro tagte wöchentlich diens­ über Investitionen zum Ausbau der Sende- und tags um 10.00 Uhr und arbeitete in etwa drei bis Studiotechnik oder der Weiterentwicklung der vier Stunden eine bis zu 30 Punkte umfassende Empfangstechnik. So behandelte beispielsweise Tagesordnung ab. Es fällte dabei in seinen das Politbüro am 5. August 1952 den Tagesord­ nichtöffentlichen und vom Generalsekretar gelei­ nungspunkt »Reorganisation des Rundfunks« in teten Sitzungen Grundsatzentscheidungen, legte der DDR, worunter sich nichts geringeres als die langfristig die Entwicklung der einzelnen Gesell­ Errichtung des »Staatlichen Rundfunkkomitees« schaftsbereiche fest und behandelte Personal­ verbarg, und am 2. Dezember 1952 den Tages­ fragen. Die in Abstimmung mit dem Generalse­ ordnungspunkt »Aufbau der Abteilung Presse kretär von den einzelnen Politbüromitgliedern und Rundfunk des ZK«, der besagte, daß die erarbeiten Beschlußvorlagen, die staatliche Maß• »Abteilung Rundfunkkontrolle« aus dem Regie­ nahmen zu sanktionieren hatten, wurden aber in rungsapparat herausgelöst und als »Sektor der Regel vom Gremium nur zur Kenntnis ge­ Rundfunk« dem Apparat der Staatspartei unter­ nommen, da eine Aussprache unterblieb. Die stellt wurde. fehlende Auseinandersetzung minderte aller­ Erstaunlicherweise hat der zweite gravie­ dings nicht die formelle Bedeutung der aller­ rende Eingriff in die Organisationsstruktur des höchsten Beschlußfassung. Vielmehr waren Rundfunks direkt keinen Niederschlag in den Partei- und Staatsorgane stets daran interes­ Protokollen des Politbüros gefunden: die Teilung siert, das Politbüro entscheiden zu lassen, da des »Staatlichen Rundfunkkomitees« in ein Ko­ dort gefaßte Beschlüsse Garantie dafür waren, mitee für den Rundfunk (Hörfunk) und in eines daß die vorgeschlagenen Maßnahmen auch für das Fernsehen im September 1968. Erst realisiert wurden.3 Vielfach entschied der Gene­ nachtraglieh befaßte sich das oberste Entschei­ ralsekretär aber auch ohne das Politbüro, allein dungsgremium der DDR damit und bestätigte am mit dem dafür verantwortlichen Sekretär des 26. November 1968 die beiden Vorsitzenden in Zentralkomitees, u. a. auch in Medienfragen.4 zwei separaten Beschlüssen. Die Einführung Welche Fragen das Politbüro sowie das Vor­ eines zweiten Fernsehprogramms und zwar in gängergremium für die Zeit 1946 bis 1949, das Farbe veranlaßte das Politbüro hingegen zu Zentralsekretariat. im einzelnen behandelt hat, mehreren Beratungsrunden. Zur Debatte stan­ ist der Überlieferung von Protokollen dieser bei­ den das (bundes)deutsche System PAL sowie den Gremien zu entnehmen. 5 Die Aufzeichnun­ das französische System SECAM; letzterem gen sind vollständig in der Stiftung Archiv der hatte sich die Sowjetunion angeschlossen. Das Parteien und Massenorganisationen im Bundes- Gremium entschied sich am 31 . Januar 1967 Protokolle des Politbüros 1949- 1989 31 gegen eine deutsch-deutsche Gemeinsamkeit Juli 1945 bis April 1946. München u.a. 1993; Vgl. und für die Treue zur Sowjetunion und beschloß, die Besprechung in: Mitteilungen StRuG Jg. 19 das SECAM-System einzuführen. (1993), H. 4, S. 227. 6 Das Politbüro sprach aber auch das letzte Stiftung Archiv der Parteien und Massenorganisa­ Wort über die Termine für den Beginn und das tionen der DDR im Bundesarchiv Berlin (= Ende bestimmter Programme und entschied, SAPMO) IV 2/2.1 (1946- 1949) u. IV 2/2, 1949- welche Mitglieder des Politbüros mit welchem 1989. 7 Text im Rundfunk als Redner oder Interview­ Vgl. zu weiteren Details Ansgar Diller: Der Rund­ partner zu Wort kommen durften. Außerdem funk als Herrschaftsinstrument der SED. ln: Mate­ befaßte es sich immer wieder mit der Bekamp­ rialien der Enquete-Kommission »Aufarbeitung fung der vor allem aus Westdeutschland in die von Geschichte und Folgen der SED-Diktatur in DDR einstrahlenden Westsender, aber auch mit Deutschland«, Bd. 11 ,2. Baden-Baden 1995, S. einem so abwegigen Problem wie dem Coctail­ 1214- 1242. empfang einer Delegation des finnischen Rund­ 8 Brunner (wie Anm. 1), S. 1005. funks? Auffallend ist, daß im Vergleich zu den frühen Jahren, in denen bis ins einzelne gehende Per­ Zentralsekretariat ( 1946 -1949) sonalfragen auf der Tagesordnung standen oder auch Beratungen über die Berichte aus den ein­ 16 24.6.1946 IV 2/2.1-16 zelnen Sendeorganisationen, die unter Umstän­ 4. Einbeziehung des Rundfunks in die Gemeinde- den den Charakter von Aussprachen mit Rund­ wahlen (Pieck) funkmitarbeitern annahmen, nach der Errichtung des Rundfunkkomitees die rundfunkbezogenen 19 15.7.1946 IV2/2.1-19 Tagesordnungspunkte des Politbüros abnah­ men: Die Zentralisierung des Rundfunks und 19. Vorbereitung Wahlen- Agitation und Propaganda seine Einbindung in feste Überwachungsstruktu• ren und Anleitungsmechanismen hatte die Ent­ 22 25.7.1946 IV2/2.1-20 scheidungskompetenz zumindest teilweise in 14. Fertigstellung der Rundfunkanlage im Gebäude andere Gremien verlagert, nicht zuletzt in das Parteivorstand Sekretariat des Zentralkomitee, auch wenn die­ ses »Sich vornehmlich mit parteiinternen Ver­ 24 17.8.1946 IV 2/2.1-24 waltun~ssachen und Kaderangelegenheiten be­ 6. Registrierung Namen Kriegsgefangener im Mos­ faßte.« kauer Rundfunk (Käthe Kern)

Die Dokumentation ist nach folgendem Schema 32 17.9.1946 IV 2/2.1 -32 aufgebaut: Nummer der Sitzung I Datum der Sit­ zung I Archivnummer; Nummer der Tagesord­ 3. Vorträge der Mitglieder des Zentralsekretariats im Rundfunk (Meyer) nung I Gegenstand der Tagesordnung (gegebe­ nenfalls für Berichterstattung oder Beschlüsse 15. Tätigkeit Rundfunk bei Kreis- und Landtagswah­ Verantwortliche). len Ansgar Diller, Frankfurt am Main lngrid Pietrzynski, Berlin 32 24.9.1946 IV 212 .1-34 1. Personalfragen Rundfunk (Schwab) Vgl. Georg Brunner: Staatsapparat und Partei­ 5. Maßnahmen Rundfunk zur SPD-Politik (Pieck) herrschaft in der DDR. ln: Materialien der Enque­ te-Kommission »Aufarbeitung von Geschichte und 45 8.11 .1946 IV2/2.1-45 Folgen der SED-Diktatur in Deutschland«, Bd. 11,2. 1. Beschäftigung von SED-Mitgliedern am Rundfunk­ Baden-Baden 1995, S. 989- 1029; hier S. 992 u. Sender Grünau 996. 2 Brunner (wie Anm . 1}, S. 1003. 48 19.11.1946 IV 2/2.1-48 3 Andreas Herbst u.a. : So funktionierte die DDR. 2. Einrichtung des Rundfunks in der SBZ Bd. 2, Reinbek 1994, S. 813. 4 Vgl. Günter Schabowski: Der Absturz. Harnburg 57 7.1.1947 IV 2/2.1-57 1992, S. 116. 7. Struktur Abteilung Werbung und Schulung 5 Ein weiteres Vorgängergremium, das Sekretariat (Oelßner, Mahle, Lenzer, Weimann, Winzer) des Zentralkomitees der KPD, befaßte sich eben­ 10. Lehrgang Journalisten falls mit Rundfunkfragen. Publiziert sind dessen 12. Personalfragen, u.a. Mahle, Lindau , Dusiska Protokolle in: Protokolle des Sekretariats der KPD 32 Rundfunk und Geschichte 22 (1996)

62 29.1.1947 IV 2/2.1-62 104 24.6.1947 IV 2/2.1-104 1. Lehrgang Journalisten 22.3.194 7 (Ackermann, 3. Personalfragen Max Seydewitz, Heinz Schmidt Meier) 6. Personalfragen Abteilung Werbung - Presse - 109 9.7.1947 IV 2/2.1-109 Rundfunk (Winzer, Weber) 8. Reorganisation Rundfunk. Bildung GmbH

63 4.2.1947 IV 2/2.1-63 130 18.9.1947 IV2/2.1-130 2. Kader für Schule Journalisten (Ackermann) 11 . Genehmigung von Rundfunkaufnahmen auf dem 7. Personalfragen, u.a. Bruno Goldhammer 2. Parteitag der SED

64 8.2.1947 IV 2/2.1-64 137 6.10.1947 IV 2/2.1-137 7. Personlfragen, u.a. Altred Zahn 12. Einsatz von Kadern im Rundfunk - Aufgabe Abtei­ lung Personalpolitik 69 25.2.1947 IV 2/2.1-69 11 . Befreiung Gerhart Eislers 138 13.10.1947 IV 2/2. 1-138 13. Konferenz Abteilung Werbung - Presse - Rund­ 6. Konferenz Abteilung Werbung - Presse - Rund­ funk 22./23.3.1947 funk 22./23.11 .1947

70 3.3.1947 IV 2/2.1-70 141 20.10.1947 IV 2/2.1-141 10. Kurse Journalisten Parteihochschule, Bruno 18. Vorbereitung Konferenz Landeszeitungen durch Goldhammer Abteilung Werbung - Presse - Rundfunk, Auswer­ tung Beschlüsse 2. Parteitag der SED 71 13.3.1947 IV2/2.1-71 10. Lehrgang Journalisten in SBZ 4.-7.4.1947, Eng­ 143 3.11 .1947 IV 2/2.1-143 land 18. Schüler Parteihochschule, u.a. Edith Hauser 11 . Konferenz Sekretäre Werbung und Schulung Landesvorstände SED 17.3.1947 155 8.12.1947 IV 2/2.1-155 1. Prämie für Mitarbeiter des Zentralsekretariats, u.a. 73 24.3.1947 IV 2/2.1-73 Abteilung Werbung - Presse - Rundfunk 2. Bericht Konferenz Redakteure 22./23.3.1947 (Meier) 162 8.1.1948 IV 2/2.1-162 14. Herausgabe Pressedienst Abteilung Werbung - 9. Personalfragen, u.a. Paul Wandel Presse - Rundfunk 13. Thema Sitzung Zentralsekretariat am 26.1.1948: Werbung, Presse, Rundfunk 78 11.4.1947 IV 2/2.1-78 13. Parität, Konferenz Abteilung Werbung - Presse - 166 19.1.1948 IV 2/2.1-166 Rundfunk, Arbeitsstil Chefredakteure 2. Reorganisation Deutsche Verwaltung für Volksbil­ dung (Wandel, Engel) 80 17.4.1947 IV 2/2.1-80 14. Personalfrage Artur Mannbar 167 20 .1.1948 IV 2/2.1-167 9. Delegation Journalisten aus SBZ nach Polen, u.a. 82 29.4.1947 IV 2/2.1-82 Markus Wolf 7. Personalfragen, u.a. Paul Wandel 168 26.1.1948 IV 2/2.1-168 95 3.6.1947 IV 2/2.1-95 1. Aufgaben Abteilung Werbung - Presse - Rund­ funk, Lehrgang Journalisten an Parteihochschule, 4. Beratung Abteilung Werbung- Presse- Rundfunk 29./30.7.1947, Vorbereitung 2. Parteitag der SED Gehalt, Honorar für Redakteure (Meier) 10. Kurse: Volontäre, Redaktionen, Presse, Gewerk­ 169 2.2.1948 IV 2/2.1-169 schaft (u .a. Heinz Schmidt) 1 . Lektoren für Lehrgang Journalisten (Kutz, Budzis­ lawski, Siewers) 98 10.6.1947 IV 2/2.1-98 10. Struktur Abteilung Werbung - Presse- Rundfunk 174 16.2.1948 IV 2/2.1-174 5. Delegation Journalisten aus SBZ nach Polen , u.a. Markus Wolf Protokolle des Politbüros 1949 - 1989 33

181 15.3.1948 IV 2/2.1-181 252 29.11 .1948 IV 2/2.1-252 3. PKW für Abteilung Werbung - Presse - Rundfunk 18. Personalfragen, u.a. Leo Bauer

185 22.3.1948 IV 2/2.1-185 258 30.12.1948 IV 2/2.1-258 6. Kurse Parteihochschule für Redakteure/Presse , 17. Herausgabe Funkzeitschrift Tagung Abteilung Werbung - Presse - Rundfunk 12.-18.4.1948 260 10.1.1949 IV 2/2.1-260 6. Rundfunkgebühren 188 5.4.1948 IV 2/2.1-188 15. Personalfragen, u.a. Leo Bauer Politbüro (1949 - 1989) 192 19.4.1948 IV 2/2.1-192 4. Delegation Journalisten aus SBZ nach Polen 15 8.4.1949 IV 2/2-15 4. Rundfunkwochenkommentar der SED 193 26.4.1948 IV 2/2.1-193 8. Personalfragen Redaktion Rundfunk »Deutsch­ 17 20.4.1949 IV 2/2-17 lands Stimme« 8. Die Lage am Berliner Rundfunk

203 31 .5.1948 IV 2/2.1-203 29 28.6.1949 IV 2/2-29 5. Kommission zur Bildung der Abteilung »Kulturelle 11. Wochenkommentar der SED im Berliner Rundfunk Aufklärung« bei Deutscher Verwaltung für Aufklä• rung - Entwurf Befehl SMAD 31 5. 7.1949 IV 2/2-31 201 26.5.1948 IV 2/2.1-201 19. Schreiben des General-Intendanten Mahle über Verbesserung der Sendeanlagen 14. Personalfragen, u.a. Leo Bauer 51 18.10.1949 IV 2/2-51 207 14.6.1948 IV 2/2.1-207 17. Die LageamBerliner Rundfunk 8. Personalfragen, u.a. Edith Hauser (Berichterstatter: Ulbricht}

211 28.6.1948 IV2/2.1-211 70 7. 2.1950 IV 2/2-70 14. Protestaktion für Gerhart Eisler 9. Kündigung in der Staatskapelle wegen geforderter Gleichstellung mit den Musikern des Berliner 215 5.7.1948 IV2/2.1-215 Rundfunks 1 . Durchführung Konferenzen Abteilung Werbung - Presse - Rundfunk zum Zweijahresplan 73 21. 2.1950 IV 2/2-73 7. Übernahme Leitung Redaktion Rundfunksender 2. Bericht der Propagandisten-Delegation nach der Grünau durch Wilhelm Spangenberg Sowjetunion

234 20.9.1948 IV 2/2.1-234 80 28 . 3.1950 IV 2/2-80 3. Ausbau Rundfunk Deutschlandsender (Meier) 6. Die Lage am Rundfunk

239 11 .10.1948 IV 2/2.1-239 84 18. 4.1950 IV 2/2-84 7. Zahlung Kuraufenthalt Leo Bauer 19. Protokoll über die Verhandlungen zwischen den Vertretern des Rundfunks der DDR und der Tschechoslowakischen Republik 246 1.11 .1948 IV 2/2.1-246 20. Benutzung der Brünner Langweile 16. Personalfragen, u.a. Wilhelm Girnus

20 28.11.1950 IV 2/2-120 248 15.11 .1948 IV 2/2.1-248 3. Propaganda für die DDR 1. Struktur Abteilung Werbung - Presse - Rundfunk

21 5.12.1950 IV 2/2-121 250 23.11 .1948 IV 2/2.1.-250 8. Rundfunkhaus Berichterstatter: Mahle 7. Verbandstag Verband Deutsche Presse 15./16.1. 1949 (Pohlmeyer) 34 Rundfunk und Geschichte 22 (1996)

27 16. 1.1951 IV 2/2-127 66 1.9.1953 J IV 2/2-321 19. Beitritt des Rundfunks der DDR zur OIR 3. Maßnahmen von Presse und Rundfunk im Zu­ sammenhang mit den Vorschlägen der Sowjetre­ gierung 54 26. 6.1951 IV 2/2-154 9. Personelle Veränderungen beim Rundfunk 8 9.02.1954 J IV 2/2-346 4. Die Aufgaben des Post- und Fernmeldewesens 69 2.10.1951 IV 2/2-169 bei der Durchführung des neuen Kurses 11. Entwicklung des Rundfunks 9 16.2.1954 J IV 2/2-347 87 15. 1.1952 IV 2/2-187 5. Die Arbeit des Rundfunks nach der Verkündung 7. Kampagne gegen das Abhören des feindlichen des neuen Kurses Rundfunks 15 6.7.1954 J IV 2/2-371 97 26 . 2.1952 IV 2/2-197 7. Bildung einer Abteilung Wissenschaft und Propa­ 12. Zusatzinvestition für das Funkwerk Köpenick ganda

98 4. 3.1952 IV 2/2-198 14 15.3.1955 J IV 2/2-411 18. Ergänzungsprogramm für die Entwicklung des 2. Bildung einer Kommission für Agitation beim Zen­ Rundfunkwesens tralkomitee

102 18.3.1952 IV 2/2-202 20 19.4.1955 JIV2/2-417 16. Aufbau der Hauptverwaltung Rundfunk im Mini­ 1. Protokollbestätigung sterium für Post und Fernmeldewesen (Arbeit des Genossen Fred Oelßner: Anleitung der 27. Überprüfung von Sendungen des Berliner Rund­ Agitations-, Presse- und Propagandaarbeit) funks 31 5.7.1955 J IV 2/2-428 112 20. 5.1952 IV 2/2-212 5. Vorlage der Agitationskommission 19. Entsendung einer Rundfunkdelegation zur Unter­ (Westdeutsch land) zeichnung eines Vertrages in die Sowjetunion 55 29.11 .1955 J IV 2/2-452 123 29. 7.1952 IV 2/2-223 8. Verbesserung der Rundfunkarbeit in Kirchenfra­ 16. Abschluß eines Rundfunkabkommens mit der gen Sowjetunion 58 6.3.1956 J IV 2/2-462 124 5.8.1952 IV 2/2-224 15. Vorlagen des Genossen Norden 7. Reorganisation des Rundfunks in der DDR a) Abberufung Kurt Heiß b) Austausch von Korrespondenten mit Jugoslawien IV 2/2-250 150 2.12.1952 c) Verbesserung des Fernsehfunks 9. Aufbau der Abteilung Presse und Rundfunk des ZK 9 13.3.1956 J IV 2/2-463 7. Weiterer Ausbau des Fernsehfunks der DDR 23 28. 4.1953 J IV 2/2-277 8. Abberufung des Genossen Heiß 7. Hauptverwaltung Funkwesen

25 30.5.1956 J IV 2/2-476 60 13. 8.1953 J IV 2/2-314 10. Veränderung des Kollegiums des Staatlichen 2. Rundfunkrede des Präsidenten Genosse Wilhelm Rundfunkkomitees Pieck

32 3.7.1956 J IV 2/2-486 61 17.8.1953 J IV 2/2-316 6. Aussprache mit dem Redaktionskollegium 2. Wiedereinrichtung des Deutschlandsenders »Staatliches Rundfunkkomitee«

65 26. 8.1953 J IV 2/2-320 39 31.7.1956 J IV 2/2-493 3. Abwehr reaktionären Rundfunkwesens 6. Veränderungen im Ministerium für Post- und Fernmeldewesen Protokolle des Politbüros 1949 - 1989 35

46 25.9.1956 J IV 2/2-500 37 9.9.1958 J IV 2/2-609 3. Umstellung der Fernsende- und Empfangsanla­ 10. 1nterview des Genossen Ulbricht mit dem stellver­ gen tretenden Vorsitzenden des Staatlichen Rundfunk­ komitees, Prof. Gerhart Eisler (im Umlauf vom Politbüro bestätigt) 2 15.1.1957 J IV 2/2-522 7. Auftreten von Mitgliedern und Kandidaten des Politbüros in Rundfunk und Fernsehen 46 18.11 .1958 J IV 2/2-618 19. Umlauf: Aufruf des Nationalrats der Nationalen Front zur psychologischen Kriegsführung 6 5.2.1957 J IV 2/2-526 15. Auszeichnung des Genossen Gerhart Eisler mit dem Vaterländischen Verdienstorden 8 17.2.1959 J IV 2/2-632 19. Aufnahmen für den Fernsehfunk 16. Entwurf eines Gesetzes über das Post- und (»Es ist dafür Sorge zu tragen, daß Sitzungen des Fernmeldewesen Präsidiums des Nationalrats der Nationalen Front des demokratischen Deutschland, des Blocks und 16 7.4.1959 J IV 2/2-640 auch eines Bezirkstages durch den Fernseh-Funk 7. Im Umlaufwurde bestätigt aufgenommen werden«.) 1) Brief der Regierung der DDR an die Regierung in Bonn 7 9.2.1957 J IV 2/2-527 2) Rundfunkrede des Genossen Gratewohl dazu 2. Durchführung der Beschlüsse des ZK über die Vereinfachung und Verbesserung der Arbeit des 26 26.5.1959 J IV 2/2-650 ZK (mit Bestätigung von Abteilungsleitern und 8. Einsatz des Genossen Werner Eberlein als Mit­ Stellvertretern im ZK) glied der Agitationskommission beim ZK der SED

11 7.3.1957 J IV 2/2-531 27 2.6.1959 J IV 2/2-651 2. Aufnahmen für den Fernsehfunk 3. Bildung einer Zentralen Kommission für Gesamt­ (»Genosse Matern wird beauftragt, zu veranlas­ deutsche Arbeit beim Politbüro sen , daß die Fernsehaufnahmen des Politbüros vom 5. Februar 1957 aus der Wochenschau zu­ rückgezogen wird.«} 34 14.7.1959 J IV 2/2-658 4. Zusammensetzung der Kommission für gesamt­ 48 26.11 .1957 J IV 2/2-568 deutsche Arbeit beim Politbüro (u . a. Gerhart Eisler für Rundfunk und Fernsehen) 8. Radiosendung in türkischer Sprache (»Es wird zugestimmt, daß eine Radiosendung in 5. Zusammensetzung der Propaganda-Kommission türkischer Sprache vom Gebiet der Deutschen (kein Rundfunkmitarbeiter) Demokratischen Republik aus erfolgt. Die Kosten gehen zu Lasten des Staatlichen Rundfunkkomi­ 35 27.7.1959 J IV 2/2-659 tees. Mit der Durchführung wird die Abteilung Au­ 11 . Entwurf eines Gesprächs mit Genossen Walter ßenpolitik und Internationale Verbindungen beauf­ Ulbricht im Fernsehen über die Genfer Außenmi• tragt.«) nisterkonferenz

4 14.1.1958 J IV 2/2-576 37 28.7.1959 J IV 2/2-661 18. Entwurf der Rundfunkrede des Genossen Grate­ 1. Festlegung der Aufgaben der Parteipropaganda wohl vom 21.1 .1958

42 1.9.1959 J IV 2/2-666 10 25.2.1958 J IV 2/2-582 3. Protokoll über die Aussprache mit den sowjeti­ 3. Die Aufgaben der Parteipropaganda bei der so­ schen Lektoren - durchgeführt von der Abteilung zialistischen Erziehung der Volksmassen Agitation und Propaganda 5. Vorlage der AußenpoL Kommission zur Verbesse­ 11 4.3.1958 J IV 2/2-583 rung und Erweiterung der Auslandspropaganda 17. Vorlage über die Aufgaben der Parteipropaganda bei der sozialistischen Erziehung der Volksmas­ 43 15.9.1959 J IV 2/2-667 sen 12. Erklärung des Genossen Oelßner 26 17.6.1958 J IV 2/2-598 50 9.11.1959 J IV 2/2-674 10. Durchführung der 3. Konferenz der Minister für Post- und Fernmeldewesen der sozialistischen 12. Fernseh-Interview des Genossen Ulbricht mit der Länder im Jahre 1959 in der DDR Westinghouse Broadcasting Company, Boston 36 Rundfunk und Geschichte 22 (1996)

52 23.11.1959 J IV 2/2-676 13 19.3.1962 J IV 2/2-820 6. Umlauf: Fernseh-Interview des Genossen Grate­ 11 . Veränderungen in der Leitung des Staatlichen wohl mit der französischen Fernseh-Gesellschaft Rundfunkkomitees »Radio-T eiE§vision-F ran<;;aise«, Paris 22 22.5.1962 J IV 2/2-828 56 15.12.1959 J IV 2/2-680 1. Vereinbarungen des Genossen Reimann mit Ge­ 9. Richtlinien zur Erweiterung und Verbesserung nossen Prof. Eisler über regelmäßige Sendungen unserer Auslandspropaganda in Rundfunk und Fernsehen

3 19.1.1960 J IV 2/2-684 57 10.1 .1963 J IV 2/2-863 5. Richtlinien zur Erweiterung und Verbesserung der 4. Einschätzung der Arbeitsweise der Ideologischen Auslandspropaganda Kommision

7 16.2.1960 J IV 2/2-688 2 5.2.1963 J IV 2/2-866 7. Festlegung von Preisen für Fernsehempfänger mit 7. Im Umlauf: Fernsehrede des Genossen Walter 17 Zoll Bildröhre Ulbricht zu Fragen der Beziehungen DDR - West­ (Vorschlag auf Herabsetzung des Preises abge­ berlin lehnt: »Diese Apparate gehen zum alten, bisher gültigen Preis in den Handel.«) 7 19.3.1963 J IV 2/2-871 3. Stellungnahme der Ideologischen Kommision zu 23 17.5.1960 J IV 2/2-704 der Fernsehoper »Fetzers Flucht« und dem Fern­ 2. Informationen des Genossen Ulbricht sehfilm »Monolog eines Taxifahrers« (Stellungnahme des Präsidiums des ZK der 8. Aufgaben der Auslandsinformation nach dem VI. KPdSU zur Gipfelkonferenz) Ausarbeitung von Parteitag der SED Noten a) Feindtätigkeit des RIAS b) Grenzprovokationen 17 5.6.1963 J IV 2/2-881 c) Spionagetätigkeit 9. Entwurf einer Erklärung des Ministeriums für Auswärtige Angelegenheiten zur Verhaftung des Chefredakteurs des Deutschlandsenders, Dr. Ge­ 43 13.9.1960 J IV 2/2-724 arg Grasnick 6. Zweites Fernsehprogramm der DDR 28 20.8.1963 J IV 2/2-892 44 20.9.1960 J IV 2/2-725 2. Bemerkungen zu einigen Fragen des Genossen 7. Lohnmaßnahmen im Post-, Fernmelde- und Ulbricht Funkwesen 1) Einladung von Journalisten aus Westdeutsch­ land und anderen kapitalistischen Ländern zur 46 27.9.1960 J IV 2/2-727 Volkskammerwahl 16. 2. Fernsehprogramm der DDR 11 . Bestätigung eines Mitgliedes der Agitationskom­ mission

55 6.12.1960 J IV 2/2-736 29 27 .8.1963 J IV 2/2-893 2. Entwurf eines Beschlusses über die Propaganda­ arbeit 13. Cocktail-Empfang des Staatlichen Rundfunkkomi­ tees für die Delegation des Verwaltungsrates des finnischen Rundfunks und Fernsehend am 6.9. 57 16.12.1960 J IV 2/2-738 1963 6. Leitung der Propagandaarbeit im Apparat des ZK 30 3.9.1963 J IV 2/2-894 4 24.1.1961 J IV 2/2-746 1. Cocktail-Empfang des Staatlichen Rundfunkkomi­ 5. Beschlußfassung über den Leiter für die Propa­ tees für die Delegation des Verwaltungsrates des gandaarbeit beim ZK der SED finnischen Rundfunks und Fernsehens am 6.9. 1963 49 19.9.1961 J IV 2/2-791 2. Informationen des Genossen Ulbricht 42 26.11.1963 J IV 2/2-907 (Falschmeldungen des RIAS und Sicherung der 10.1m Umlauf bestätigt: Vorschläge über die bei Staatsgrenze) Veröffentlichungen einzuhaltende Reihenfolge der Persönlichkeiten der Partei und des Staates Protokolle des Politbüros 1949 - 1989 37

43 3.12.1963 J IV 2/2-908 8 23.2.1965 J IV 2/2-976 9. Sendung des Deutschlandsenders »Das Sonn­ 4. Veränderung der politisch-ideologischen Arbeit, tagsgespräch« insbesondere der Propagandaarbeit der Partei

10 24.3.1964 J IV 2/2-925 41 27.10.1965 J IV 2/2-1009 7. Bericht über die Beratung der Ideologischen 3. Sendereihe des Deutschlandsenders für West­ Kommission mit den Gesellschaftswissenschaft­ deutschland lern am 19. und 20. 3. 1964 4. Sonntagsgespräch des Deutschlandsenders

19 9.6.1964 J IV 2/2-934 43 9.11 .1965 J IV 2/2-1011 2. Prinzipien der Zusammenarbeit des OFF mit dem 2. Entwicklung der Auslandsinformation der DDR Ministerium für Kultur und dem DTSB seit dem VI. Parteitag der SED-Schlußfolgerungen und Maßnahmen für ihre weitere Gestaltung 22 1.7.1964 J IV 2/2-934 5. Fragen der politischen Arbeit nach Westdeutsch­ 5. Einberufung der 4. Journalistenkonferenz des ZK land der SED 1O . lnformation des Genossen Stoph über ein Schrei­ 45 23.11 .1965 J IV 2/2-1031 ben des Bundesverbandes Deutscher Zeitungs­ 3. Ideologische Fragen auf dem Gebiet der Kultur verleger e. V. an die Deutsche-Buch-Export-und­ Import GmbH Leipzig zur Frage des Zeitungsaus­ tausches 46 30.11.1965 J IV 2/2-1041 12. Brief des Leiters des Presseamtes beim Vorsit­ 7. Einige Fragen der ideologischen Arbeit zenden des Ministerrates der DDR an den Leiter des Presse- und Informationsamtes der Bundes­ 49 11 .12.1965 J IV 2/2-1017 regierung über den Zeitungsaustausch zwischen 16. Arbeitsweise der Agitationskommission beim Polit­ beiden deutschen Staaten büro

24 21.7.1964 J IV 2/2-939 3 25.1. 1966 J IV 2/2-1 042 6. Veränderungen in der Agitationskommission beim 9. Veränderung des Beschlusses des Politbüros vom Politbüro 9.2.1965 über »lnvestitionsvorhaben Fernseh­ UKW-Turm Berlin« 34 15.9.1964 J IV 2/2-949 5. Westdeutsche Mitteilung über eine beabsichtigte 5 8.2.1966 J IV 2/2-1044 Fernsehsendung des Nordwestdeutschen Fern­ 1. Informationen - Proteste der westlichen Besat­ sehfunks und des Fernsehfunks der DDR zungsmächte zum Bau des Fernsehturmes

44 27.10.1964 J IV 2/2-959 7 22.2.1966 J IV 2/2-1046 4. 4. Journalistenkonferenz des ZK der SED 1. Bestätigung des Sonntagsgesprächs des Deutschlandsenders 53 15.12.1964 J IV 2/2-968 8. Gründung eines Verbandes der Film- und Fern­ 4. Erweiterung der Agitationskommission beim Polit­ sehschaffenden der DDR und eines Verbandes büro der Theaterschaffenden der DDR

4 26.1 .1965 J IV 2/2-972 10 22.3.1966 J IV 2/2-1049 7. Änderung der Arbeitsweise und die Zusammen­ 6. Direktive zur Ausarbeitung eines Dokumentes für setzung der Ideologischen Kommission beim Po­ ein einheitliches System der Kulturentwicklung im litbüro Perspektivzeitraum und die Bildung einer Partei­ 8. Bericht der Abteilung Propaganda des ZK zur und Regierungskommission zur Ausarbeitung die­ Frage, wie die Propagandaarbeit entsprechend ses Dokumentes den Beschlüssen der 7. Tagung des ZK geändert und geleitet wird 36 6.9.1966 J IV 2/2-1075 2. Bildung eines Arbeitskreises zur Planung der 6 9.2.1965 J IV 2/2-974 Strategie der Partei auf den Gebieten der Politik, 4. Zu den Aufgaben und der Arbeitsweise der Agita­ Wirtschaft und Kultur tionskommission und der Abteilung Agitation 4. Maßnahmen zur Verbesserung der Leitungstätig­ 9. Konzeption für die Ergänzung des Projektes Fern­ keit auf kulturellem Gebiet seh-UKW-Turm Berlin 38 Rundfunk und Geschichte 22 (1996)

49 13.12.1966 J IV 2/2-1088 26 1.7.1969 J IV 2/2-1234 2. Probleme der Agitation und Propaganda 11. Vorbereitung des 2. Fernsehprogramms

2 17.1 .1967 J IV 2/2-1094 12 10.3.1970 J IV 2/2-1272 9. Gründungskongreß des Verbandes der Film- und 3. Treffen der Sekretäre für ideologische Arbeit der Fernseh-Schaffenden ZKs der Parteien der sozialistischen Länder, Sofia 24./25.2.1970 4 31.1 .1967 J IV 2/2-1096 10. Vorbereitung und Einführung des 2. Fernsehpro­ 25 26.5.1970 J IV 2/2-1285 gramms (Farbfernsehen) in der DDR 1. Weitere Maßnahmen für die politisch-ideologische 11 . Anwendung des Farbfernsehsystems SECAM 111 Arbeit in Auswertung des Treffens des Genosssen (Sowjetur.ion) in der DDR Stoph mit Brandt in Kassel

17 25.7.1967 J IV 2/2-1127 42 22.9.1970 J IV 2/2-1302 29. Information des Genossen Stoph über Bespre­ 6. Propaganda NVA nach Westdeutschland chungen wegen Anwendung des französischen Farbfernsehens in der DDR 47 27.10.1970 J IV2/2-1307 5. Sendung des Fernsehens »Schwarzer Kanal« 19 8.8.1967 J IV 2/2-1129 vom 26.10.1970 5. Beschluß über die Gestaltung der Produktion und des Absatzes von Fernsehgeräten in den Jahren 49 5.11.1970 J IV 2/2-1309 1967- 1970 3. Fernsehgespräch von mit zwei Parteisekretären der SED über den Umtausch der 28 10.10.1967 J IV 2/2-1138 Parteidokumente 1. Informationen des Genossen Ulbricht - Vorschläge zur veränderten Westpropaganda 7 16. 2.1971 J IV 2/2-1325 über die DDR 6. Erste Vorschläge für die öffentliche Diskussion zum VIII. Parteitag der SED in Presse, Rundfunk 4 6.2.1968 J IV 2/2-1153 und Fernsehen 17. Einführung des 2. Fernsehens (Farbfernsehen) zum 20. Jahrestag der Gründung der DDR 2 29.6.1971 J IV2/2-1343 15. Zusammensetzung der Agitationskommission 12 22.3.1968 J IV 2/2-1161 beim Politbüro des ZK der SED 5. Ableben des Mitgliedes des ZK und Vorsitzenden des Staatlichen Rundfunkkomitees beim Minister­ 3 6.7.1971 J IV 2/2-1344 rat der DDR, Genosse Prof. Dr. h. c. Gerhart Eis­ 11. Veränderungen in der Leitung des Zentralorgans ler der SED »Neues Deutschland« und in der Leitung des Staatlichen Rundfunkkomitees 15 16.4.1968 J IV 2/2-1164 10. Maßnahmen zur weiteren Entwicklung der sozia­ 23 16.11 .1971 J IV 2/2-1364 listischen Unterhaltungskunst in der DDR unter 7. Auszeichnung des Genossen Heinz Adameck besonderer Berücksichtigung von Programmge­ ('NO Gold) staltung und Tanzmusik

24 23.11 .1971 J IV 2/2-1365 49 29 .10.1968 J IV 2/2-1199 6. Konzeption für den II.Kongreß des Verbandes der 2. Bericht über die Beratung der Sekretäre für ideo­ Film- und Fernsehschaffenden der DDR, 7. - logische Arbeit des ZKs der sozialistischen Länder 9.4.1972 in Moskau, 16.10.1968

3 25.1 .1972 J IV 2/2-1376 53 26.11 .1968 J IV 2/2-1203 6. Regelung zur Akkreditierung von Korresponden­ 6. Bestätigung des Vorsitzenden des Staatlichen ten der BRD und Westberlin in der DDR Komitees für Fernsehen beim Ministerrat der DDR 7. Bestätigung des Vorsitzenden des Staatlichen Komitees für Rundfunk beim Ministerrat der DDR 22 24.5.1972 J IV 2/2-1395 12. Bestätigung von zwei hauptamtlichen Mitgliedern für die Agitationskommission beim Politbüro Protokolle des Politbüros 1949 - 1989 39

35 29.8.1972 J IV 2/2-1409 18 2.5.1973 J IV 2/2-1446 10. Bestätigung der Genossin Johanna Töpfer als 20. Fortsetzung der Gespräche mit der BRD zur Tä• Mitglied der Agitationskommission beim Politbüro tigkeit von Journalisten des ZK 42 25.9.1973 J IV 2/2-1470 37 7.9.1972 J IV 2/2-1411 11 . Durchführung eines Gespräches mit der BRD zur 2. Weitere pressemäßige Behandlung der Vorgänge Tätigkeit von Journalisten in München (Olympische Spiele, Terrorüberfall) 43 9.1 0.1973 J IV 2/2-1471 46 31.10.1972 J IV 2/2-1420 13. Weiterführung der Gespräche mit der BRD zur 9. Standpunkt der DDR zu den Beschwerden der Tätigkeit von Journalisten 16. Verhandlung mit der SFR Jugoslawien über Funkstörungen auf den BRD über die Tätigkeit von Journalisten Frequenzen 611 kHz und 881 kHz, die von Rund­ funksendern der DDR und der SFR Jugoslawien 8.1.1974 J IV 2/2-1484/1485 gleichzeitig genutzt werden Bericht über die Beratung von Sekretären der ZKs kommunistischer und Arbeiterparteien sozialisti­ 42 7.11.1972 J IV 2/2-1421 scher Länder zu aktuellen Problemen der ideolo­ 4 . Aufgaben der Agitation und Propaganda bei der gischen Arbeit und der Auslandspropaganda in weiteren Verwirklichung der Beschlüsse des VIII. Moskau am 18. und 19.12.1973 Parteitages der SED 43 1.10.1974 J IV 2/2-1531/1532 50 28 .11.1972 J IV 2/2-1424 11 . Grundsätze für die einheitliche Führung der 16. Verhandlungen mit der SFR Jugoslawien über das Nachrichtendienste, des Rundfunks, des Fernse­ Problem der Nutzung von Wellenlängen hens und der Presse der DDR im Verteidigungs­ zustand 52 12.12.1972 J IV 2/2-1426 6. Vorschläge für die Arbeit von Presse. Rundfunk 10 11 .3.1975 J IV 2/2-1551 und Fernsehen im Zusammenhang mit der Unter­ 5. Treffen der Sekretäre für ideologische und inter­ zeichnung des Grundlagenvertrages zwischen nationale Fragen sozialistischer Länder in Prag , DDR und BRD am 21.12.1972 4./5.3.1975

4 30.1.1973 J IV 2/2-1432 19 6.5.1975 J IV 2/2-1560 6. Verbesserung der politisch-ideologischen Arbeit 17. Auszeichnung des Rundfunks der DDR und Leitung auf dem Gebiet der Unterhaltungs­ kunst 18 27.4.1976 J IV 2/2-1615 10. Ablehnung von Einreisen von Nachrichtenagen­ 5 6.2.1973 J IV 2/2-1433 turen aus der BRD 11 . Gespräche über Fragen der journalistischen Tä• tigkeit mit der BRD-Seite in Sonn am 8.2.1973 12 10.8.1976 J IV 2/2-1630 7. Konzeption für die Optimierung der Programme 6 13.2.1973 J IV 2/2-1434 und Standortverteilung der Rundfunksender der 3. Fortführung der Gespräche mit der BRD zur Frage DDR der Tätigkeit von Journalisten 16 7.9.1976 J IV 2/2-1636 8 27.2.1973 J IV 2/2-1436 2. Bereitstellung von Zwei-Norm-Farbfernsehgeräten 2. Fortsetzung der Gespräche mit der BRD zur Tä• (PAL- und SECAM-Systerm) für die Versorgung tigkeit von Journalisten der Bevölkerung der DDR 4. Entwurf der Verordnung über die Tätigkeit von Publikationsorganen anderer Staaten und deren 19 28 .9.1976 J IV 2/2-1638 Korrespondenten in der DDR 7. Aufbau eines 1 000 kW-Mittelwellenrundfunksen­ ders am Standort Nauen für das Fremdsprachen­ 11 20.3.1973 J IV 2/2-1439 programm von Radio Moskau 5. Fortsetzung der Gespräche mit der BRD zur Tä• tigkeit von Journalisten 40 Rundfunk und Geschichte 22 (1996)

24 9.11.1976 J IV 2/2-1643 35 30.8.1977 J IV 2/2-1691 1. 111. Kongreß des Verbandes der Film- und Fern­ 2. Fragen des Fernsehempfangs sehschaffenden der DDR 3. Sicherung der Fernsehversorgung der DDR im 5. Behandlung von Funkstörungen zwischen der Kanal 27 (Fernsehsender Berlin und Löbau) DDR und der BRD sowie zwischen der DDR und Westberlin 1 10.1.1978 J IV 2/2-1707 6. Maßnahmen der Öffentlichkeitsarbeit zur Vorbe­ 4.1.1977 J IV 2/2-1651 reitung und Durchführung des gemeinsamen be­ 18. Note der BRD-Regierung an die DDR-Regierung mannten Weltraumfluges UdSSR/DDR in der Angelegenheit Loewe 19. Fragen der Konterpropaganda gegenüber der 26 4.7.1978 J IV 2/2-1733 BRD 13. Information zu der beabsichtigten Ausstrahlung des SFB-Programms über einen Nebensender in 2 11 .1.1977 J IV 2/2-1652 der BRD und Vorschläge für das Vorgehen ge­ 8. Note der DDR-Regierung an die BRD-Regierung genüber der BRD und Westberlin zur Zurückweisung des Protestes der BRD gegen die Ausweisung des ARD-Fernsehkorresponden­ 32 15.8.1978 J IV 2/2-1739 ten Loewe 9. Gesetzwidriges Verhalten der in der DDR akkredi­ tierten Fernsehkorrespondenten 4 25.1.1977 J IV 2/2-1654 4. Maßnahmen zur Verstärkung der Konterpropa­ 33 22.8.1978 J IV 2/2-1740 ganda im nichtsozialistischen Ausland zur Entlar­ 6. Konzeption für die Vorbereitung der nächsten vung des Imperialismus der BRD und der von ihm Weltverwaltungskonferenz für den Funkdienst des ausgehenden Gefahren für Frieden und Entspan­ Internationalen Fernmeldevereins nung 17. Stellungnahme zum gesetzwidrigen Verhalten der in der DDR akkreditierten Fernsehkorresponden­ 8 22.2.1977 J IV 2/2-1685 ten 3. Stand der Öffentlichkeitsarbeit der DDR im nichtsozialistischen Ausland und Schlußfolgerun• 6 6.2.1979 J IV 2/2-1764 gen für weitere Verstärkung 3. Produktion und Bereitstellung von Farbbildwie­ dergaberöhren für den Bedarf nach 1980 9 1.3.1977 J IV 2/2-1659 4. Hetze der BRD-Massenmedien gegen Genossen 16 17.4.1979 J IV 2/2-1774 Michael Kohl 1. Information über die Ausforschung von Reisenden aus der DDR in der BRD durch den Bundesgrenz­ 10 8.3.1977 J IV 2/2-1659 schutz und Wirkung der Verordnung über die Tä• 2. Bericht über die Beratung der Sekretäre für inter­ tigkeit von Publikationsorganen anderer Staaten nationale und ideologische Fragen der ZKs der und deren Korrespondenten in der DDR Bruderparteien in Sofia 27 10.7.1979 J IV 2/2-1788 11 15.3.1977 J IV 2/2-1662/1663 2. Bericht über die Beratung der Sekretäre für inter­ 2. Konferenz des ZK der SED über die weiteren Auf­ nationale und ideologische Fragen der ZKs der gaben der politischen Massenarbeit der Partei kommunistischen und Arbeiterparteien sozialisti­ 3. Bericht der Delegation der SED über die Beratung scher Länder vom 3. - 5. 7.1979 in Berlin der Sekretäre für internationale und ideologische Fragen der ZKs der Bruderparteien in Sofia, 2. - 28 17.7.1979 J IV 2/2-1789/1790 3.3.1977 1. Bericht über die Beratung der Sekretäre für inter­ nationale und ideologische Fragen der ZKs der 21 24.5.1977 J IV 2/2-1674 kommunistischen und Arbeiterparteien sozialisti­ 15. Entwurf des Referats für die Konferenz des ZK scher Länder vom 3. - 5. 7.1979 in Berlin der SED über die weiteren Aufgaben der politi­ schen Massenarbeit der Partei 4 29.1.1980 J IV 2/2-1822 7. Einladung ehemaliger Kultur- und Bildungsoffi­ 29 19.7.1977 J IV 2/2-1684 ziere der Sowjetarmee durch den Kulturbund der 7. Vorgehen bei der Koordinierung der Frequenz­ DDR und die Gesellschaft für DSF nutzung zwischen der DDR und der BRD Protokolle des Politbüros 1949 - 1989 41

6 12.2.1980 J IV 2/2-1824 34 13.9.1983 J IV 2/2-2019 7. Grundsätze über die Tätigkeit von Bezirksbüros 3. Außerordentliche Beratung der Sekretäre der ZKs der Massenmedien in den Bezirken der DDR, ein­ für internationale und ideologische Fragen am schließlich der Hauptstadt der DDR, Berlin, im 20.9.1983 in Moskau Verteidigungszustand 5. Die politische Massenarbeit im Kampf gegen die imperialistische Kriegsvorbereitung 39 30.9.1980 J IV 2/2-1859 17. Außerordentliche Beratung der Sekretäre der ZKs 12. Aufgabenstellung zur Vorbereitung und Realisie­ für internationale und ideologische Fragen am rung des Vorhabens »Radiofabrik« in der Haupt­ 20.9.1983 in Moskau stadt der DDR, Berlin 36 27.9.1983 J IV 2/2-2021 46 18.11.1980 J IV 2/2-1866 3. Bericht über die Beratung der Sekretäre für inter­ 12. Umbesetzung der Funktion des Vorsitzenden des nationale und ideologische Fragen der ZKs kom­ Staatlichen Komitees für Rundfunk beim Minister­ munistischer und Arbeiterparteien sozialistischer rat der DDR und Neubestätigung eines Mitglieds Länder der Agitationskommission des ZK der SED (Becker/Böhme) 45 29.11.1983 J IV 2/2-2033 5. Maßnahmen zur Wahrung der Interessen der 51 16.12.1980 J IV 2/2-1872 DDR bei der Neuplanung der Frequenzen des 5. Errichtung von Anlagen zur Herstellung von UKW-Rundfunks in Vorbereitung und Durchfüh• Farbbildröhren rung der Regionalen Fernsehverwaltungskonfe­ renz des Internationalen Fernmeldevereins. Genf 1984 6.1.1981 J IV 2/2-1873 10. Verleihung des Kari-Marx-Ordens an F. K. Kaul 47 13.12.1983 J IV 2/2-2034 3. Beratung der Sekretäre für internationale und 14 28.7.1981 J IV2/2-1902 ideologische Fragen, Moskau, 9.12.1983 7. Auszeichnung des Genossen Hans Mahle 24 19.6.1984 J IV 2/2-2061 27 3.11 .1981 J IV 2/2-1917 19. Beschluß über den Beitritt der DDR zur internatio­ 18.1V. Kongreß des Verbandes der Film- und Fern­ nalen Konvention über den Gebrauch des Rund­ sehschaffenden der DDR funks im Interesse des Friedens vom 23.9.1936

3 25.1 .1983 J IV 2/2-1985 40 9.10.1984 J IV 2/2-2081 7. Maßnahmen der Öffentlichkeitsarbeit für die 6. Direktive für das Auftreten der Delegation der Durchführung der Agrarpreisreform in den Mas­ DDR auf der Regionalen Funkverwaltungskonfe­ senmedien renz zur Planung des UKW-Rundfunks in Europa und Afrika im November 1984 in Genf 7 22.2.1983 J IV 2/2-1989 8. Fernsehfilm zum 100. Geburtstag von Ernst 44 13.11 .1984 J IV 2/2-2085 Thälmann, 1986 20. Fernsehfilm »Ernst Thälmann«

11 22.3.1983 J IV 2/2-1993 46 27.11 .1984 J IV 2/2-2087 4. Bericht über die Beratung der Sekretäre für inter­ 13. Errichtung einer 100/150kW-Mittelwellensendean­ nationale und ideologische Fragen der ZKs kom­ lage in der DDR für den sowjetischen Rundfunk munistischer und Arbeiterparteien sozialistischer Länder (Moskau, 14. und 15.3.1983) 2 15.1.1985 J IV 2/2-2093 10. Bericht über die Ergebnisse der Regionalen Funk­ 15 26.4.1983 J IV 2/2-1997 verwaltungskonferenz zur Planung des UKW­ 10. 1nformation und Maßnahmen zur Produktions-, Rundfunks in Europa und Afrika, Genf 1984 Absatz- und Bestandsentwicklung von Farbfern­ sehempfängern 8 26 .2.1985 J IV 2/2-2100 11 40. Jahrestag des Rundfunks der DDR am 18 24.5.1983 J IV 2/2-2000-2003 13.5.1985 19. Schlußfolgerungen (des Zentralrates der FDJ aus Pfingsttreffen der Jugend) für die weitere politisch­ ideologische Arbeit der Jugend im »Friedensauf­ gebot der FDJ « 42 Rundfunk und Geschichte 22 (1996)

10 11 .3.1985 J IV 2/2-2102 33 23.8.1988 J IV 2/2-2290 6. Bericht über das Treffen der Sekretäre für Ideolo­ 10. Vorschlag zum weiteren Vorgehen im Zusam­ gie und Propaganda der ZKs kommunistischer menhang mit dem in der DDR möglichen Empfang und Arbeiterparteien sozialistischer Länder am von Fernseh- und Hörfunkprogrammen, die über 6.3.1985 in Moskau Satelliten abgestrahlt werden

7.1 .1986 J IV 2/2-2148 41 4.10.1989 J IV 2/2-2350 7. Bericht über die Beratung der Sekretäre für inter­ 1. Aktion Ausreise aus CSSR I Kommentar in den nationale und ideologische Fragen der ZKs von Medien der DDR Bruderparteien sozialistischer Länder (Bukarest, 19./20.12.1985) 48 3.11.1989 J IV 2/2-2357 1. Fernsehansprache von Krenz am 3.11.1989 7 18.2.1986 J IV 2/2-2154 11. Ergebnisse der Konsultation mit dem Minister für 55 22.11.1989 J IV 2/2-2365 Nachrichtentechnik der UdSSR über die Möglich• keiten der Einführung des Satellitenrundfunks in 10. Prinzipien für die Einrichtung neuer Organe und den sozialistischen Ländern Verantwortungsstrukturen zur Leitung des Rund­ funks und des Fernsehens 22 16.9.1986 J IV 2/2-2184 14. Auszeichnung des Genossen Hans Mahle mit dem Kari-Marx-Orden

30 11.11.1986 J IV 2/2-2193 8. Beteiligung der DDR am mehrseitigen Regie­ rungsabkommen zur Entwicklung und Vervoll­ kommnung von Satellitenfernmeldesystemen und zur Schaffung von Satellitenrundfunksystemen

4 27.1.1987 J IV 2/2-2203 5. Bericht über die Beratung der Sekretäre für inter­ nationale und ideologische Fragen der ZKs kom­ munistischer und Arbeiterparteien sozialistischer Länder in Warschau

5 3.2 .1987 J IV 2/2-2204 14. Grundsätze der Zensur von Veröffentlichungen in der DDR während der Mobilmachung und im Verteidigungszustand

41 13.10.1987 J IV 2/2-2243 11. V. Kongreß des Verbandes der Film- und Fern­ sehschaffenden der DDR

9 1.3.1988 J IV 2/2-2262 11 Auszeichnung des Genossen Schnitzler mit dem Kari-Marx-Orden

13 29.3.1988 J IV 2/2-2266 6. Bericht über die Beratung der Sekretäre für ideo­ logische Fragen der ZKs von Bruderparteien so­ zialistischer Länder vom 16. bis 17.3.1988 in Ulan Bator Miszellen

Filmpioniere im Rundfunk ( 1931) Jung zum Film muß selbstverständlich für den Funk sein, der im Film eine Parallelerscheinung von der optischen Seite aus sieht.« 7 Dokumente zur frühen Rundfunkgeschichte fin­ Die Aufnahme einer regelmäßigen Filmkritik den sich gelegentlich an unvermuteten Stellen. ins Programm der Berliner Funkstunde ist als ein Der Text des nachfolgend abgedruckten Rund­ weiterer, sehr vorsichtig formulierter Versuch von funkinterviews im zwischen den Filmpionieren Flesch zu werten, den Rundfunk für mehr Ak­ Oskar Messter und Guido Seeber aus dem Jah­ tualitat und Zeitnahe zu öffnen. »Reichlich spät, re 1931, aus einer Zeit, als nur wenige Sendun­ aber immer noch früh genug, um freudig begrüßt gen aufgezeichnet und archiviert wurden, ist zu­ zu werden«, kommentierte der Rundfunkkritiker dem auch ein filmhistorisch interessantes Fund­ des >Film-Kurier< die erste Filmkritik von Kurt stück, dessen Hintergrund aber hier nicht aus­ Pinthus am 23. August 1930.8 geleuchtet werden soll. 1 Anlaß für dieses Inter­ Wahrend des Gesprachs zwischen Messter view durch den ersten deutschen Kameramann und Seeber kam es zu einem Zwischenfall den Seeber am 21. November 1931 in der Berliner der Berliner >Film-Kurier< zwei Tage spät~r in Funkstunde war Messters 65. Geburtstag. seinem Aufmacher thematisierte: »Zwischenfall Das Gespräch fand in der Reihe » 10 Minuten beim Messter-Interview I Max Skladanowsky pro­ Film« statt, die seit dem 23. August 1930 jeweils testiert I Messter antwortet im >Film-Kurier< 1 samstagsvon 17.50 bis 18.00 Uhr eine aktuelle Nachprüfung wird angeregt«.9 Filmbesprechung brachte.2 Intendant Hans Während des Interviews, das live, aber nach Flesch hatte Mitte August 1930 das Anliegen vorbereitetem Manuskript gesendet wurde, hatte dieser Sendereihe mit »Betrachtungen über Fil­ Max Skladanowsky, ebenfalls ein Filmpionier, bei me der Woche und allgemeine Filmprobleme«3 der Funkstunde angerufen und sich darüber be­ im Berliner >Film-Kurier<, einer von mehreren schwert, daß sein Name nicht genannt worden täglich erscheinenden Filmzeitungen, erlauterte: sei. Dieser Anruf, so der >Film-Kurier<, hätte »Wir werden ( ...) naturgemäß unsere Filmkritik nur auf sehenswerte Filme erstrecken. Es liegt uns nicht beinahe die Unterbrechung der Sendung zur daran, mittelmäßige Filme herunterzumachen, son­ Folge gehabt. Messter, dazu befragt, erklärte, dern daran, Probleme, die sich nach der Vorführung »daß ihm im Jahre 1896 weder die Herren qualitätsvoller Filme ergeben, zu besprechen. Skladanowsky noch deren Filme und Apparate Denn der Funk hat ja schon darum eine ganz an­ bekannt waren.« Skladanowskys Filme seien dere Funktion als die Zeitung, weil er ohne Antwort auch damals gar nicht im Handel gewesen. bleibt. Bei den Zeitungen gibt es verschieden einge­ »Außerdem waren sie für seine Apparate gar stellte Kritiken, der Funk dagegen könnte - sieht man nicht passend gewesen, da sie keine Normal­ von Diskussionen ab - nur eine Meinung bringen. breite besaßen.« Darum ist es uns nicht um eine zu fällende Kritik zu tun, sondern um die Probleme, die ein Film anregt. Skladanowsky hatte mit seinem »Bioscop« Ich denke da zum Beispiel an den schönen Piz genannten Doppelprojektor am 1. November Palüfilm,4 bei dem man etwa zu dem Problem Na­ 1895 im Variete-Programm des Berliner »Winter­ turfilm und Spielhandlung Stellung genommen hätte. garten« zum ersten Mal in Deutschland Filme Für unsere »Zehn Minuten Film« werden wir vor­ vorgeführt. Gegenüber der weitaus besseren aussichtlich keine Untertitel vorher publizieren kön• Technik der Brüder Lumiere - sie stellten ihre nen. Es wird sich von Fall zu Fall, von Woche zu Wo­ Filme am 28. Dezember 1895 in Paris öffentlich che an Hand der Filme ergeben, worüber gesprochen vor - erwies sich das Biascop aber als eine werden muß. Liegt keine aktuelle Filmbesprechung technische Sackgasse. Skladanowsky rekla­ vor, so wird über allgemeine Filmprobleme gespro­ chen werden. Wir denken daran, Leute vom Bau - mierte jedoch stets für sich die Anerkennung als Regisseure, Produktionsleiter und Theaterbesitzer Filmpionier, die ihm Messter aber absprach. usw. - heranzuziehen, die von ihren Erfahrungen Der >Film-Kurier< regte an, endlich durch eine sprechen sollen. Auch soziale Fragen, die mit dem neutrale Kommission die verschiedenen Appara­ Film zusammenhängen, wie die MusikertrageS und tetypen von Lumiere, Skladanowsky und Messter der Tonfilm sollen Erwähnung finden. Als erster wird untersuchen zu lassen, um den Prioritätenstreit 6 Pinthus am 23. August eine Art von Vorschau geben unter den Filmpionieren aus der Weit zu schaf­ und darlegen, wie der Stand des Films augenblicklich fen . Anschließend dokumentierte der >Film-Ku­ ist und was wir von der neuen Spielzeit zu erwarten rier< den Wortlaut des Rundfunkinterviews zwi­ haben. Die weiteren Filmerörterungen werden sich danach, wie gesagt, aus den Filmvorführungen selbst schen Guido Seeber und Oskar Messter.1 o ergeben. Der Zweck dieser zehn Minuten ist also der Hin­ Guido Seeber: Also, Herr Messter, Sie sind heute weis auf wichtige Filmprobleme. Eine positive Einstel- 65 Jahre alt geworden. Eigentlich ist das keine Ziffer, 44 Rundfunk und Geschichte 22 (1 996)

die man feiert. Meist ist das nur bei 60 oder 70 der und Ton auf und ich zeigte z.B. schon den zweiten Fall, aber bei dem Tempo unserer Zeit und der so Akt der »Fledermaus«. schnell groß gewordenen Filmindustrie sind auch Guido Seeber: Wie wurden diese Tonbilder halbe Dezennien ein Grund zum feiern. Unsere Be­ vom Publikum aufgenommen? kanntschaft, Herr Messter, liegt 35 Jahre zurück. Da­ Oskar Messter: Anfangs erregten sie großes mals war ich mit meinem Vater zum Einkauf der ers­ Aufsehen, auf die Dauer konnten sie sich aber nicht ten Kinoapparate in Berlin. Nun sagen Sie mir, wie halten, weil für die Vorführung hervorragend ge­ kamen Sie eigentlich zum Film? schulte Vorführer notwendig waren, die es damals 0 s k a r Messt er: Als Optiker und Mechaniker noch nicht gab. interessierten mich alle technischen Neuheiten, be­ Guido Seeber: Aber soweit ich mich erinnere, sonders die lebenden Photographien, wie man sie begann doch 1906 ein kolossaler Aufschwung? damals nannte. Diese habe ich im Anschützschen Oskar Messter: Das stimmt, denn inzwischen Schnellseher und Edisonschen Kinetaskap kennen waren die Franzosen mit richtigen Spielfilmen her­ gelernt. Dann härte ich von den Erfolgen Lumieres ausgekommen. und erfuhr, daß diese Apparate im Handel nicht zu Guido Seeber: Und sie sind auch weiter ge­ haben waren. Da reizte mich die Aufgabe, selbst Ap­ gangen? parate herzustellen und ein Zufall kam mir dabei zu Oskar Messter: Ja, ich vergrößerte meinen Hilfe. Ich lieferte für einen russischen Schausteller Betrieb und hatte die kühne Idee, sogar literarische eine Röntgen-Einrichtung. Dieser Schausteller fragte Filme, wenigstens dem Titel nach, herzustellen. Da­ mich , ob ich nicht etwas Neues hätte, und ich ver­ mals war gerade ein Roman von Karin Michaelis er­ sprach ihm die Lieferung eines Kinematographen, schienen, »Das gefährliche Alter«. Ich hatte damals obwohl mein Versuchsmodell noch gar nicht fertig den Roman noch nicht gelesen, aber der Titel reizte war. Trotzdem konnte ich mein Versprechen halten mich, und wir haben daraus einen Film gemacht. Nun und habe es fertig gebracht, bereits im Jahre 1896 54 passierte eine lustige Sache. Diesen Film gab ich , kinematographische Vorführungsapparate mit Bildern zusammen mit anderen, an einen meiner Abnehmer zu liefern. in Kopenhagen zur Ansicht. Als der Chef dieser Firma Guido Seeber: Sie sagen mit Bildern, wer lie­ den Film sah, lehnte er es ab, ihn vorzuführen, denn ferte denn damals die Filme? es sei unmöglich, daß ein Roman von der Karin 0 s k a r Messt er: Die ersten Filmbänder waren Michaelis in Deutschland verfilmt und dann in Däne• von Edison aus seinem Kinetoskop, dann gab es mark aufgeführt werden könnte. Er erwarb das Ver­ französische Filme von Melies u.a. und ab November fi lmungsrecht von der Karin Michaelis und drehte 1896 lieferte ich eigene Filme, die ich mit einer selbst einen neuen Film, aber nicht etwa nach dem Roman, hergestellten Kamera aufgenommen hatte. den er auch nicht gelesen hatte, sondern nach mei­ Guido Seeber: Was für Filme waren das, die nem Film, woraus sich dann später ein Plagiat-Pro­ Sie aufgenommen haben? zeß entwickelte. So ging es in den Gründerjahren des Oskar Messter: Meist aktuelle Sachen oder Films zu . kurze harmlose humoristische Szenen. Guido Seeber: Konnte eigentlich die deutsche Guido Seeber: Wie kam es, daß die Kinothea­ Filmproduktion damals den gesamten Inlandsbedarf ter damals bald wieder geschlossen wurden? decken? Oskar Messter: Die Sensationslust des Publi­ Oskar Messter: Nein, es wurden sehr viele kums war bald befriedigt, man ging gewöhnlich nur französische und auch schon amerikanische Filme einmal hinein, um sich Photographien, die sich bewe­ gezeigt, deren Einfuhr aber bei Kriegsbeginn sofort gen , anzusehen. Daher kam es, daß die Theater sich unterbunden wurde. nicht halten konnten. Die Filmvorführungen bildeten Guido Seeber: Wie wirkte sich das in dann nur noch die Schlußnummer der Variete-Pro­ Deutschland aus? gramme. Oskar Messter: Ich hatte Sorge, daß die ge­ Guido Seeber: Es gab also damals schon eine samte Filmproduktion und alle Kinotheater stillgelegt sogenannte Krisenzeit des Films? würden. Ich stellte mich dem stellvertretenden Gene­ Oskar Messter: Jawohl- und ich habe darüber ralstab zur Verfügung und hatte da Gelegenheit, die nachgedacht, wie man das Interesse neu wecken Bestimmungen für Photo- und Kinoaufnahmen an der könnte. Vor allem schwebte mir vor, bei meinen Fil­ Front auszuarbeiten. Anfang 1915 habe ich dann die men die auf der Leinwand gezeigten Personen auch automatische Fliegerkamera gebaut. Diese gestat­ sprechen und singen zu lassen. tete, große Geländeflächen als zusammenhängendes Guido Seeber: Aha, da zeigten Sie Ihr Bio­ Bild aufzunehmen. Hierfür wurde Filmmaterial ge­ phon, die lebenden, sprechenden, singenden und braucht und es gelang mir, zur Herstellung von Roh­ musizierenden Photographien. Wie haben Sie das film, Rohstoffe und Betriebspersonal für die Agfa frei­ damals, ich glaube, es war 1903, gemacht? zubekommen. Dadurch konnte auch die Filmindustrie Oskar Messter: Wir haben uns die Sache an­ in Deutschland während des Krieges mit Filmmaterial fangs möglichst einfach gemacht. Der Darsteller be­ beliefert werden. sprach zunächst eine Grammophonplatte und nach Guido Seeber: Jetzt beherrscht nun wiederum dieser wurde die Filmaufnahme vorgenommen, d.h. der Tonfilm die Kinotheater und zwar vorzugsweise der Schauspieler mußte sich mit seinen Mund- und der Lichttonfilm. Wie weit zurück kann man eigentlich Körperbewegungen nach der gleichzeitig laufenden die Bemühungen, Töne zu photographieren, verfol­ Platte richten . Später nahm ich auch gleichzeitig Bild gen? Misze/len 45

Oskar Messter: Bereits 1901 arbeitete Ernst 1332), hat folgenden Wortlaut: »Oskar Messter, Ruhmer auf diesem Gebiet. Er benutzte die spre­ der Altmeister des Films, wird zu seinem 65. chende Bogenlampe. Für den Filmtransport hatte ich Geburtstag von Guido Seeber befragt. (Messters ihm damals ein Laufwerk mit Schwungrad gebaut und Filme 1896; damalige Krisenzeit des Films; auch die Bearbeitung seiner Filme übernommen. Den Messters Biophon 1903 als Anfang des Tonfilms; wesentlichsten Anstoß für den Tonfilm gaben in Deut­ Messters Film »Das gefährliche Alter« nach Karin schland 1923 die Triergon-Leute. die aufbauend auf Michaelis; Messter in Kriegsdiensten; Erfindung ihre Erfahrungen in der Radiotechnik, ein Verfahren der automatischen Fliegerkamera 1915). Die schufen, das allgemein beachtet wurde, aber keine Aufnahme ist nicht erhalten. geschäftliche Ausbeutung erfuhr. Der eigentliche 11 Kameradschaft (Regie: G.W. Pabst, Uraufführung: Siegeszug des Tonfilms begann ja dann, wie Sie 17. November 1931). wissen, 1929. Guido Seeber: Haben Sie neue Zukunftsplä• ne? Oskar Messter: Ja, ich bemühe mich um die Rundfunk und Jazz im Dritten Reich Vereinfachung und Verbilligung der Tonfilm-Systeme. Aber reden wir darüber nicht weiter. Es bedrückt mich »Sie wissen, meine Parteigenossen, der Jazz ist sowieso, daß ich heute die 10-Minuten-Kritik den schon oft verboten worden und dieses verfluchte Funkhörern genommen habe. Denn hätten Sie, ver­ Luder ist immer wieder gekommen. Es ist wie mit ehrter Herr Seeber, als ältester Kameramann, nicht an mich ältesten Filmproduzenten und an meinen der Schlange, der man den Kopf abhaut und Geburtstag gedacht, so hätte man in diesen Minuten dafür wachsen drei oder vier nach! Die Klagen , auf die neuesten Filme der Woche hingewiesen. die aus den Kreisen der Hörerschaft gegen den Guido Seeber: Sie haben recht, Herr Messter, Jazz kommen, sind berechtigt oder sie sind nicht wir müssen abschließen, zumal es schon genug berechtigt. Wenn ich diese Klagen meinem unkameradschaftlich von uns war, die Zeit, die der zuständigen Sachbearbeiter gebe, dann weist Besprechung des Films >Kameradschaft< 11 dienen der eindeutig nach, daß das kein Jazz war, son­ sollte, für uns in Anspruch zu nehmen. dern ich weiß nicht was.« Mit diesen Worten er­ innerte Reichsintendant Heinrich Glasmeier in Die Geschichte der Filmberichterstattung im seiner Rede über »Praktische Rundfunkfragen« Rundfunk muß noch geschrieben werden; das am 21. Marz 1939 auf der Reichsarbeitstagung dokumentierte Gesprach vom 21 . November der Reichsrundfunkkammer an das - schon seit 1931 zwischen Oskar Messter und Guido See­ 1935 bestehende - Verbot, Jazz im Rundfunk zu ber kann als ein erster Hinweis auf dieses Desi­ spielen. Dabei berief er sich auf das gesunde derat der Forschung angesehen werden. Volksempfinden: »Ich habe demgegenüber - Jeanpaul Goergen, Berlin primitiv wie ich bin - erklart: Jazz ist die Musik, die das deutsche Volk nicht versteht und nicht Vgl. Oskar Messter - Filmpionier der Kaiserzeit mag . Ich glaube, das ist durchaus einleuchtend. Basel und Frankfurt am Main 1994. Stiftung Deut­ sche Kinemathek (Hrsg .): Der Filmpionier Guido Das Volk als solches lehnt das, was wir als Jazz Seeber. Berlin (West) 1979. empfinden, durchaus ab. Darüber müssen wir uns klar sein. ( ... ) Diese übertriebenen, wirklich 2 Vgl. Seeber interviewt Messter im Berliner Sen­ exotischen, abgehackten, vollstandig unmelidiö• der. ln: Film-Kurier Nr. 272 v. 20.11.1931. sen und unmusikalischen sogenannten Musiken 3 N.N .: Funkintendant Dr. Flesch: Der Funk spricht - die sind verboten. Und ich hoffe, daß Sie sie in vom Film. ln: Film-Kurier Nr. 188 v. 11 .8.1930. den letzten Wochen auch nicht mehr gehört ha­ 4 Die weiße Hölle von Piz Palü; Regie: Arnold ben . Sollten Sie sie noch gehört haben, so liegt Fanck. Berliner Premiere am 15.11 .1929. ein Versehen irgendwo vor.« 1 Die Zuhörer quit­ tierten die Ausführungen Glasmeiers am Schluß 5 Durch die Einführung des Tonfilms wurden die Ki- mit Lachen, vermochten sie dessen wenig quali­ nomusiker arbeitslos. fizierten Äußerungen doch nicht allzu viel abzu­ 6 Kurt Pinthus. gewinnen. ln der Berichterstattung über die mehr 7 N.N. (wie Anm. 3) . als einwöchige Reichstagung hieß es lediglich, Glasmeier habe als künftige Aufgabe der Rund­ 8 Ph. Fachon: Film erobert den Funk. ln: Film-Kurier funkmusiker die »Ablehnung aller jazzahnliehen Nr. 200 V. 25.8.1930. Tanzmusik« bezeichnet. 2 9 Zwischenfall beim Messter-lnterview. ln: Film-Ku­ Den schier ausweglosen Kampf der natio­ rier Nr. 274 v. 23.11 .1931. nalsozialistischen Kultur- und Propagandafunk­ 10 Der Beginn des Gesprächs wurde mitgeschnitten tionare gegen die ungeliebte »Niggermusik«, als und unter der Nummer Bin 1 341 (Länge: 4' 30") die der Jazz diffamiert wurde, hat der im kanadi­ archiviert. Der Eintrag im Katalog Schallaufnah­ schen Toronto lehrende Historiker Michael H. men der Reichs-Rundfunk-Gesellschaft vom Ende Kater erneut in einem jüngst erschienenen Buch 1929 bis Anfang 1936, S. 222 (laufende Nummer 46 Rundfunk und Geschichte 22 (1996)

rekonstruiert.3 Neben den von ihm ausgewerte­ schung dazu bleibt also ein Desiderat. Ein Äqui­ ten Akten in den deutschen Archiven standen valent wurde allerdings mit den Goldenen Sieben ihm auch zahlreiche Unterlagen von Privatper­ des Deutschlandsenders geschaffen, einer »Art sonen zur Verfügung - und manches konnte nur Modellorchester«, das »über Jazzmusiker mit durch Gespräche mit den damaligen deutschen, eindrucksvoller Befähigung (verfügte], die aller­ aber auch ausländischen Interpreten, Arrange­ dings durch Arran~ements und einen Nazichef uren und Komponisten und den trotz Verfol­ gezähmt wurden.« gungen nicht klein zu kriegenden begeisterten Obwohl Propagandaminister Joseph Goeb­ Jazzfans geklärt werden. Da der Jazz ohne das bels um die Attraktivität ausländischer Sender damals noch neue Medium Rundfunk, das all­ gerade wegen ihrer Jazzsendungen wußte, gab mi:ihlich zum weitestverbreiteten Massenmedium er dennoch Reichssendeleiter Eugen Hadamov­ wurde, kaum denkbar war, wird die Rolle des sky grünes Licht für seine Kampagne gegen den Rundfunks von Kater immer wieder thematisiert. Jazz im Rundfunkprogramm. Am 12. Oktober So erinnert Kater in dem dem »Jazz in der 1935 verkündete der Reichssendeleiter während Weimarer Republik« gewidmeten einführenden einer Intendantentagung (nicht: »Generalver­ Kapitel daran, daß das »erste vom Jazz inspi­ sammlung aller Direktoren der Rundfunksen­ rierte [Rundfunk-]Programm am 24. Mai 1924 der«8) im Großen Sendesaal des Reichssenders aus München - schwerlich ein Zentrum der München: »Nachdem wir zwei Jahre lang aufge­ neuen Musik - gesendet« wurde, die Live-Auf­ räumt haben und Stein an Stein fügten , um in nahme einer Band aus einem Hotel 4 Er erwähnt unserem Volke das verstümmelte Bewußtsein für auch das Ergebnis einer Umfrage unter die deutschen Kulturwerte wiederum zu wecken, Rundfunkteilnehmern vom Sommer 1924, das wollen wir auch mit den noch in unserer Unter­ eine nahezu 50prozentige Zustimmung zur haltungs- und Tanzmusik verbliebenen zerset­ Tanzmusik brachte, »ZU der natürlich auch die zenden Elementen Schluß machen. Mit dem damaligen Anfänge des Jazz gehörten«. 5 Etwas heutigen Tage spreche ich ein endgültiges Ver­ vage befaßt er sich danach mit der Entwicklung bot des Nigger-Jazz· für den gesamten deut­ des Jazz im Rundfunkprogramm, referiert dabei schen Rundfunk aus.« 9 aus dem Tagebuch eines Jazzfans, der die re­ Der Reichssendeleiter konnte sich bei seinem gelmäßigen Auftritte bekannter und vor allem Vorgehen auf namhafte Musikfunktionäre des jazzorientierter Kapellen notierte. Die Literatur Dritten Reichs stützen, die sich beflissen seinem zum Jazz in den Rundfunkprogrammen der Anti-Jazz-Kurs anschlossen. So erklärte der Anfangsjahre hat Kater aber offenbar nicht zur Pri:isident der Reichsmusikkammer, Peter Kenntnis genommen.6 Welchen Pressionen die Raabe, auch namens der Reichskulturkammer: Jazzmusik bei einer nationalsozialistischen »Ich begrüße den Entschluß der Reichssendelei­ Machtübernahme ausgesetzt sein würde, zeich­ tung, die Jazz-Musik aus dem deutschen Rund­ nete sich schon 1930 ab: Im April dieses Jahres funk zu verbannen, als etwas überaus Erfreuli­ verbot der nationalsozialistische Volksbildungs­ ches. Ein Mßliches und den Geschmack des minister in der Landesregierung von Thüringen, Volkes verseuchendes Gift wird damit ver­ Wilhelm Frick, Jazz wi:ihrend öffentlicher Musik­ schwinden.« 10 Selbst vom berüchtigten Gauleiter aufführungen innerhalb der freistaatliehen Lan­ Julius Streicher, dem Herausgeber der anti­ desgrenzen. semitischen Hetzzeitschrift >Der Stürmer<, erhielt Ihre Abneigung dem Jazz gegenüber suchten Hadamovsky in einem Telegramm Lob und die nationalsozialistischen Machthaber nach dem Anerkennung, weil er mit dem »Rest des Unrats, 30. Januar 1933 in irgendeiner administrativen der aus der Vergangenheit bis in die Gegenwart Form zum Ausdruck zu bringen. Da aber weder hineinreichte, aufri:iumen« wolle. 11 Zitate aus Schallplattenindustrie noch Schallplattenhandel Hörerbriefen, Fachzeitschriften und Tageszei­ mit ihren Jazzeditionen, geschweige denn die tungen, veröffentlicht in den >Mitteilungen der vielen Restaurants und Cafes, in denen Jazz­ Reichs-Rundfunk-Gesellschaft< sollten eine brei­ bzw. Tanzmusikensembles mit Jazztiteln auftra­ te Zustimmung für das Verbot suggerieren. So ten , zu kontrollieren waren, versuchten sie sich lobte der >Völkische Beobachter< am 14. Oktober zunächst am Rundfunk. So teilte im März 1933 1935: Da der Jazz als »undeutscher und we­ die Berliner Funkstunde mit, sie werde keine sensfremder Import internationalisierender Un­ »musikalische Entartung« wie den Jazz mehr kultur« aus dem deutschen Rundfunk ver­ senden, da er »vom gesunden Volksempfinden« schwunden sei, werde »Raum frei für die gesün• als Negermusik bezeichnet werde; der Süd• dere, deutsche Unterhaltungsmusik«. 12 Zwei deutsche Rundfunk in Stuttgart erwog ähnliches. Monate später erreichte die Kampagne gegen Der Frage, ob die Willenserklärungen der beiden den Jazz im Rundfunk ihren Höhepunkt. ln einer Sendegesellschaften auch wirklich umgesetzt Sondersendung »Vom Cake-Walk zum Hot« wurden, geht Kater leider nicht nach - die For- tauchten noch einmal sämtliche Ressentiments Miszel/en 47 gegen die »undeutsche Negermusik« auf. Der lieh »Musik mit verzerrten Rythmen« , »Musik mit Intendant des Reichssenders Frankfurt Hanns­ atonaler Melodienführung« sowie »die Verwen­ Otto Fricke machte sich zum Sprachrohr der dung von sogenannten gestopften Hörnern« ver­ Jazzgegner: »Angesichts gewisser, geradezu boten, 17 so sah er sich durch die Wehrmacht zu idiotischer Ausgeburten ist es Pflicht des deut­ Kompromissen gezwungen. Da vor allem die schen Rundfunks, den 'Niggerjazz· zu beseiti­ Soldaten von der »originalen anglo-amerikani­ gen. Der Jazz in solcher Fremdform ist keine schen Tanz- und Jazzmusik« fasziniert waren, 18 13 Groteske, sondern ist Frivolitat.« Garniert die die Auslandssender zuhauf sendeten, ließ wurde die Sendung mit angeblich besonders sich ein striktes Jazzverbot im Rundfunk nicht abschreckenden Tonbeispielen- zur besonderen mehr aufrechterhalten. Zunachst weniger im Freude der Liebhaber dieses Musikgenres, Reichsprogramm als vielmehr in den Sendungen konnten sie so doch wenigstens authentischen der deutschen Soldatensender - in Norwegen, in Jazz hören. Polen, auf dem Balkan und in den besetzten »Anläufe zu einem >Deutschen Jazz«< sieht Gebieten der Sowjetunion - setzte sich zunächst Kater in der Organisation eines Wettbewerbs für moderne Tanzmusik und vereinzelt sogar Rundfunktanzkapellen, die sich zunächst auf ört• einheimischer Jazz durch. Selbst im innerdeut­ licher, anschließend bei den Reichssendern auf schen Programm wurden die Jazzrhythmen regionaler Ebene für ein in Berlin auszurichten­ immer unüberhörbarer, wie der Sicherheitsdienst des Finale qualifizieren sollten. Doch die Beset­ der SS meldete. Er merkte an, eine Sendung am zung der Jury unter Vorsitz des ausgesproche­ 18. Januar 1942 habe zuviel Jazz in einer nen Jazzfeindes Hadamovsky unterstrich die Stunde gebracht, und bei einer Sendung zwei Absurdität des Unternehmens. Deswegen ver­ Tage später sei dies ebenfalls so gewesen; zichtete beispielsweise der Reichssender Köln außerdem werde, ganz allgemein, die Jazzmusik 19 darauf, überhaupt ein Orchester in die Reichs­ von der Bevölkerung beanstandet. Diese hauptstadt zu schicken. Statt des als heißer Fa­ Hinweise aus der Bevölkerung nahm Goebbels vorit bei den »Wahren Jazzfans« gehandelten zum Anlaß festzuhalten, »die überhandnehmen• und aus dem beim Reichssender Harnburg ver­ de Jazzmmusik [werde] von einem großen Teil anstalteten Wettbewerb hervorgegangenen En­ des deutschen Volkes nur mit Widerwillen entge­ sembles belegte bei der Berliner Endausschei­ gengenommen.«20 ln dieser Situation entschloß dung eine bis dato völlig unbekannte, vom sich der Propagandaminister zur Flucht in die Öf• Reichssender Frankfurt entsandte Gruppe den fentlichkeit und beruhigte in einem »Der treue ersten Platz, die nach diesem manipulierten Helfer« getitelten Beitrag für die Wochenzeitung Wettbewerb sofort in der Versenkung ver­ >Das Reich< die Gemüter, indem er offen die schwand. Auch den Bemühungen um ein Schwierigkeiten zugab, im Rundfunkprogramm »Musterorcherster für den gesamten deutschen es allen recht machen zu wollen; dabei kam er 14 Rundfunk« war kein Erfolg beschieden. auch auf den Jazz zu sprechen, den er zwar Wahrend Jazz nach deutscher Art im Rund­ nicht gerade verdammte, jedoch in seinen kras­ funk also nicht zustandekam und »Originai«-Jazz sen Formen (»übeltönendes lnstrumentenge­ verboten war, blieben den Fans neben den nach quieke«) weiterhin unterdrücken wollte.21 wie vor erhältlichen Schallplatten mit Aufnahmen Für diesen Kurs sollte das noch in den letzten renommierter, vor allem amerikanischer Ensem­ Monaten 1941 gegründete Deutsche Tanz- und bles immer noch die Rundfunkstationen des Unterhaltungsorchester stehen, dem die besten Auslands. Beliebt waren neben Radio Paris und Tanz- und Jazzmusiker des Reiches angehören Radio Luxemburg mit seiner »populären Musik, sollten. Sein Hauptzweck bestand darin, die Sol­ darunter die englischer Swingbands« auch die daten der Wehrmacht, besonders die Piloten, die Rundfunkstationen Seromünster und Sottens in bei ihren Flügen in Feindesland regelmaßig der Schweiz, Sender in Schweden, Danemark auslandische Sender einschalteten, »durch eine 15 und den Niederlanden und natürlich die BBC. akzeptable rhythmische Musik zufriedenzustel­ Und wie die anfangs zitierte Rede Glasmeiers len.« Außerdem hatte das Orchester endlich beweist, gab es zumindest Jazzahnliches auch »einen langgehegten Traum [zu] erfüllen und ei­ im deutschen Rundfunkprogramm. ne spezifisch deutsche Jazzmusik [zu] schaffen, Nach Beginn des Zweiten Weltkriegs und die der Öffentlichkeit und samtliehen Tanzorche­ 22 dem durch den Reichsverteidigungsrat erlasse­ stern als Vorbild dienen konnte.« Der Kom­ nen Abhörverbot für ausländische Sender wan­ promiß, unter dem das Deutsche Tanz- und Un­ delte sich der Stellenwert des Jazz im deutschen terhaltungsorchester anzutreten hatte, be­ Kulturleben und damit im deutschen Rundfunk­ schrankte jedoch seine Wirkung. Das Orchester programm erneut. Hatte Goebbels im Februar mußte die ausgesprochenen Jazzfans enttäu• 1941 noch getönt, er »schaffe die letzten Reste schen, durfte es doch keine amerikanischen Or­ 16 von Jazzmusik im Rundfunk ab« , und tatsäch- ginalmusikstücke spielen, und bei den Jazzge- 48 Rundfunk und Geschichte 22 (1996)

9 genern auf Ablehnung stoßen, da es nach deren Abgedruckt in: Mitteilungen der RRG Nr. 480 v. Auffassung zu sehr den Wünschen der »swing­ 14.10.1935, BI. 2. 23 10 begeisterten« Jugend entsprach. Trotz dieser Abgedruckt in: Mitteilungen der RRG Nr. 483 v. Kritik erfreute sich das Orchester des Wohlwol­ 1.11 .1935, BI. 4. lens von Goebbels, obwohl es eigentlich zu viele 11 Abgedruckt in: Mitteilungen der RRG Nr. 481 v. Jazzstücke brachte. Das Orchester produzierte - 24.10.1935, BI. 2. im Sommer nach Bombenangriffen auf 1943 12 Berlin nach Prag evakuiert - noch bis in die letz­ Nachgedruckt in: Mitteilungen der RRG Nr. 483 v. ten Kriegswochen 1945 unterhaltende Weisen 1.11.1935, BI. 5. 13 für das deutsche Reichsprogramm. Hanns-Otto Fricke: Der Jazz in der Tanzmusik. Ganz heiße Jazzrythmen, wiewohl verpönt, »Vom Cake-Walk zum Hot«. ln : Mitteilungen der gingen dennoch auch über deutsche Sender - RRG Nr. 487 v. 16.12.1935, BI. 1f . 14 allerdings nur in einer Art Geheimaktion und im Vgl. Kater (wie Anm . 3), S. 110-116. Reich kaum empfangbar. 1940 war als Appetizer 15 für das Zielpublikum in Großbritannien die Grup­ Vgl. Kater (wie Anm . 3) , S. 170f. 16 pe »Charlie and His Orchestra« gegründet wor­ Die Tagebücher von Joseph Goebbels. Teil 1: den , die der Auflockerung der englischsprachi­ 1924- 1941 . Bd. 4. München u.a. 1987, S. 488. gen Sendungen des Reichsrundfunks dienen 17 Willi A. Boelcke (Hrsg.): Kriegspropaganda 1939 - sollten . Für Kater ist das künstlerische Schaffen 1941 . Stuttgart 1966, S. 610. dieses Orchesters der Beweis, »daß der Jazz in 18 Deutschland sich als Kunstform entwickeln konn­ Vgl. Kater (wie Anm . 3} , S. 235. 19 te.«24 Vgl. Heinz Boberach (Hrsg .): Meldungen aus dem Ergänzend zum Buch von Michael H. Kater Reich . Bd. 9. Herrching 1984, S. 3225, 3266. 20 ist ein von Franz Ritter herausgegebener Sam­ Die Tagebücher von Joseph Goebbels. Teil II : melband erschienen, der Erinnerungen vor allem 1941 - 1945. Bd. 3. München u.a. 1994, S. 314. von jugendlichen Jazzfans im Dritten Reich so­ 21 wie Dokumente, die die Repression gegenüber Vgl. Kater (wie Anm . 3), S. 238 . Boberach (wie dieser Musik belegen, entMit.25 Auch die Pro­ Anm . 19), S. 3437. 22 paganda mit Hilfe des Jazz in den fremdspra­ Ebd. S. 244. 23 chigen Sendungen des Großdeutschen Rund­ Vgl. Boberach (wie Anm . 19), S. 3369. funks gegen Großbritannien und das heimliche 24 Abhören vor allem der BBC wegen der Jazz­ Kater (wie Anm. 3), S. 254. 25 stücke während des Zweiten Weltkrieges spielen Vgl. Franz Ritter (Hrsg.): Heinrich Himmlerund die dabei eine Rolle. Liebe zum Swing. Erinnerungen und Dokumente. Ansgar Diller, Frankfurt am Main Leipzig: Reclam Verlag 1994.

Tondokument, 21.3.1939. Deutsches Rundfunk­ archiv Frankfurt am Main 2 945 622/101 . Den »Unsere Sache ist gerecht« Hinweis auf dieses Dokument gab dankenswer­ Die Rundfunkansprache Molotows terweise mein Kollege Walter Roller. am 22. Juni 1941 und ihre Hintergründe 2 Rückblick auf die Reichsarbeitstagung 1939 der Reichsrundfunkkammer in Marienbad. ln: Rund­ Der 22. Juni 1941 war ein Sonntag. Es war son­ funk-Archiv Jg . 12 (1939), H. 4., S. 151ft., hier S. nig und sommerlich warm. Viele Moskauer be­ 153. fanden sich auf Datschen außerhalb der Stadt. 3 Vgl. Michael Kater. Gewagtes Spiel. Jazz im Na­ Wer die Stadt nicht verlassen hatte, suchte die tionalsozialismus. Köln: Kiepenheuer & Witsch Parks in der Stadt auf. An diesem freien Tag er­ 1995. Vgl. auch Ders.: Different drummers. Jazz fuhren mittags die Einwohner der Sowjetunion in the culture of . New York 1992. durch eine Radioansprache des Vorsitzenden Sein Buch von 1992 erwähnt der Autor in dem von des Rates der Volkskommissare und Volks­ 1995 merkwürdigerweise mit keinem Wort. kommissar des Äußeren Wjatscheslaw Molotow, 4 Kater (wie Anm. 3), S. 35. daß sich das Land im Krieg mit Deutschland be­ 5 fand . Über das Zustandekommen dieser Erklä• Ebd . rung gibt eine kürzlich erschienene Veröffentli• 6 Vgl. Bernd Hoffmann: Jazz im Radio der frühen chung, die auch die verschiedenen Textvarianten Jahre. ln : Thafs Jazz. Der Sound des 20. Jahr­ publiziert, Aufschluß.1 hunderts. Darmstadt 1988, S. 571-588. Stalin war von mehreren Seiten auf den be­ 7 Kater (wie Anm . 3) , S. 95. vorstehenden Überfall Deutschlands auf die So­ 8 wjetunion hingewiesen worden, sogar das ge- Kater (wie Anm . 3), S. 97 . Miszellen 49 naue Datum erfuhr er. Dennoch verhielt er sich vermeiden, betont. Die zugefügten Absätze las­ abwartend. ln der Nacht zum 22. Juni erhielt er sen bereits den Grundtenor für die Propagan­ kurz nach Mitternacht die Mitteilung, daß sich daarbeit der Sowjetunion in diesem Krieg erken­ deutsche Streitkräfte auf die sowjetische Grenze nen: sowohl die Berufung auf historische Vorbil­ zubewegten. Stalin gab die Anweisung, über al­ der als auch den Appell, sich um die politische les sofort informiert zu werden und entschloß Führung zu sammeln und um den Erhalt der sich, da sich die Lage zuspitzte, noch in der glei­ Heimat Sowjetunion - und damit auch der ge­ chen Nacht die Mitglieder des Politbüros im genwärtigen politischen Ordnung - zu kämpfen. Kreml zusammenzurufen. Aber die Ereignisse Zudem wird bereits an dieser Stelle das deut­ überschlugen sich. Um 4.00 Uhr überschritten sche Volk nicht pauschal als Kriegsverursacher Truppen der Wehrmacht die sowjetische Grenze. dargestellt, sondern nur deren politische Füh• Kurz darauf rief der deutsche Botschafter Fried­ rung- ein Motiv, das später immer wieder in den rich Werner Graf von der Schulenburg im Kom­ Reden Stalins auftaucht. missariat für Äußere Angelegenheiten an und Es erscheint nicht glaubwürdig, daß diese bat um eine Audienz beim Volkskommissar. doch relativ ausführlichen Passagen in der hal­ Schulenburg traf um 5.30 Uhr im Kreml-Kabinett ben Stunde zwischen 11.30 und 12.00 Uhr for­ Molotows ein, um ihm eine kurze Note der muliert wurden, in der Berija, Malenkow und Wo­ Reichsregierung zu überreichen. Mit dieser offi­ roschilow wieder bei Stalin anwesend waren. ziellen Kriegserklärung eilte Molotow zu Stalin, Eher ist anzunehmen, daß sie in der knappen wo er um 5.45 Uhr zeitgleich mit Berija, Timo­ Stunde, als Molotow und Stalin (von 10.40 bis schenko, Mechlis und Shukow eintraf: ln diesem 11 .30 Uhr) allein waren, ausgearbeitet wurden. Kreis wurde die Lage erörtert. Um 7.30 Uhr ka­ Die Passagen tragen die Handschrift Stalins und men Malenkow und Wyschinskij hinzu, wenig widersprechen daher der These von einer später auch noch Mikojan, Woroschilow, Kaga­ Handlungsunfähigkeit des Parteischefs. Der nowitsch und Kusnezow. Als letzte erschienen Schachzug Stalins, in dieser in der Tat völlig un­ kurz nach 8.30 Uhr Dimitrow und Manuilskij von übersehbaren Situation zunächst Molotow vor­ der Komintern zur Aussprache bei Stalin. zuschicken, deutet nicht auf eine Nervenschwä• Im Laufe des Vormittags verließen alle Mit­ che, sondern im Gegenteil auf die Nervenstärke glieder des Politbüros bis auf Molotow nach und des Diktators hin. Die Siegeszuversicht, die nach Stalins Dienstzimmer. Molotow hatte in der schon in dieser Radioansprache zum Ausdruck Zwischenzeit eine Erklärung an das sowjetische kommt, sollte sich als berechtigt erweisen. Volk verfaßt Warum er und nicht Stalin diesen Text schrieb und verkündete, ist oft mit einer Die Rundfunkansprache Molotows - in dieser Lähmung Stalins angesichts des Kriegsbeginns vollständigen Fassung erstmalig in deutscher begründet worden. Molotow äußerte später da­ Sprache veröffentlicht - hatte folgenden Wortlaut. zu, daß Stalins Art, genaue Richtlinien zu geben, Die in eckigen Klammern gesetzten Passagen zu diesem Zeitpunkt nicht zu realisieren war. fehlen im Entwurf, die in runden Klammern wur­ Stalin wollte erst einige Tage abwarten, um zu den umformuliert. sehen, wie sich die Lage an den Fronten entwik­ kelt.2 Es dauerte bis zum 3. Juli, bis sich Stalin [Die sowjetische Regierung und sein Vorsitzender selbst öffentlich an das Volk wandte. Genosse Stalin haben mich beauftragt, folgende Er­ Wer genau an dem Text Molotows mitredi­ klärung abzugeben:] gierte, kann auch aufgrund der exakten Besu­ Heute um vier Uhr morgens sind deutsche Streit­ kräfte, ohne irgendwelche Beschuldigungen gegen­ cherliste, die an diesem Tag erstellt wurde,3 über der Sowjetunion zu erheben und ohne eine nicht rekonstruiert werden. Bevor Molotow um Kriegserklärung abzugeben, in unser Land einge­ 12.00 Uhr Stalin verließ, um zum Zentralen Te­ drungen, haben unsere Grenzen an vielen Stellen at­ legrafenamt in der Gorkij-Straße zu eilen, waren tackiert und haben mit ihren Flugzeugen unsere Städ• noch einmal Berija, Malenkow und Woroschilow te Shitomir, Kiew, Sewastopol, Kaunas und einige bei Stalin eingetroffen. Möglicherweise haben andere bombardiert. [Infolgedessen sind mehr als außer Stalin selbst, dessen Mitarbeit von Molo­ zweihundert Personen getötet oder verwundet wor­ tow bestätigt wurde, auch diese drei noch Vor­ den.] Angriffe feindlicher Flugzeuge und Artilleriebe­ schläge gemacht. Die endgültige Fassung, die schuß sind auch von (rumänischem und finnischem Territorium ausgegangen.)4 um 12.15 Uhr von Molotow im Radio verlesen (Dieser unerhörte Überfall auf unser Land ist ein wurde, unterscheidet sich vom ersten Entwurf in beispielloser Verrat in der Geschichte der zivilisierten einigen Formulierungen sowie durch die Hinzu­ Völker. Unser Land wurde überfallen, obwohl zwi­ fügung mehrerer Absätze. Deutschland wird in schen der UdSSR und Deutschland ein Nichtangriffs­ schärferer Form als angreifende Seite beschul­ pakt abgeschlossen wurde und die Sowjetregierung digt; außerdem werden stärker die Bemühungen sämtliche Bedingungen dieses Vertrags mit großer der Sowjetunion, den Konflikt mit Deutschland zu Gewissenhaftigkeit eingehalten hat. Unser Land wur- 50 Rundfunk und Geschichte 22 (1996)

de überfallen, obwohl während der gesamten Gültig• Armee und das ganze Volk werden von neuem einen keitsdauer dieses Vertrags die deutsche Regierung siegreichen vaterländischen Krieg für die Heimat, die kein einziges Mal auch nur irgendeinen Einwand hin­ Ehre und die Freiheit führen. sichtlich der Vertragserfüllung durch die UdSSR er­ Die Regierung der Sowjetunion ist fest davon heben konnte. Alle Verantwortlichkeit für diesen räu• überzeugt, daß die gesamte Bevölkerung unseres berischen Überfall auf die Sowjetunion liegt vollstän• Landes, alle Arbeiter, Bauern und Vertreter der Intel­ dig bei den deutschen faschistischen Verrätern.)S ligenz, alle Männer und Frauen sich ihren Aufgaben Erst nachdem der Angriff schon vollzogen worden und ihrer Arbeit mit Pflichtbewußtsein zuwenden. Das war, hat der deutsche Botschafter in Moskau Schu­ gesamte Volk muß jetzt geschlossen und einig sein lenburg morgens um fünf Uhr dreißig mir als Volks­ wie niemals zuvor. Jeder von uns muß von sich sel­ kommissar für Äußere Angelegenheiten eine Erklä• ber und von den anderen Disziplin, Organisations­ rung seiner Regierung darüber abgegeben(, daß die vermögen und Aufopferungsbereitschaft, wie sie ei­ deutsche Regierung im Zusammenhang mit der Kon­ nes echten Patrioten würdig sind, fordern, um die Ro­ zentration von Einheiten der Roten Armee an der öst• te Armee, die Flotte und die Luftwaffe mit allem Not­ lichen Grenze Deutschlands sich dazu entschlossen wendigem zu versorgen und um den Sieg über den hat, gegen die UdSSR militärisch vorzugehen) .s Feind zu gewährleisten. Als Antwort darauf ist im Namen der sowjetischen Die Regierung ruft Sie, Bürger und Bürgerin der Regierung von mir erklärt worden, daß die deutsche Sowjetunion, dazu auf, die Reihen noch enger um Regierung bis zur letzten Minute keine Beschuldigun­ unsere ruhmreiche bolschewistische Partei, um unse­ gen gegenüber der sowjetischen Regierung geäußert re sowjetische Regierung und um unseren großen habe, (daß Deutschland den Überfall trotz der fried­ Führer Genossen Stalin zu schließen.] Unsere Sache liebenden Position der Sowjetunion vollzogen habe)7 ist gerecht. Der Feind wird geschlagen werden. Der und daß deshalb das faschistische Deutschland die Sieg wird unser sein. angreifende Seite ist. Carola Tischler, Berlin Im Auftrag der Regierung der Sowjetunion muß ich erklären, daß unsere Streitkräfte und unsere Luft­ »Nase delo pravoe«. Kak gotovilos' vystuplenie waffe sich an keiner Stelle einer Grenzverletzung V.M .Molotova po radio 22 ijunja 1941 goda schuldig gemacht haben. Aus diesem Grunde ist die (»Unsere Sache ist gerecht«. Wie die Radioan­ heute morgen im rumänischen Radio durchgegebene sprache Molotows vom 22. Juni 1941 ausgearbei­ Meldung, daß angeblich die sowjetische Luftwaffe tet wurde) . ln: lstori~eskij archiv 1995, H. 2, S. 32- rumänische Flughäfen beschossen habe, ein reine 39. Lüge und Provokation. [Eine ebensolche Lüge und Provokation stellt der heutige Versuch Hitlers dar, 2 Vgl. F.l. ~uev : Sto sorok besed s Molotovym nachträglich Ansehuldigungsmaterial bezüglich der (Einhundertvierzig Gespräche mit Molotow). Mos­ Nichteinhaltung des sowjetisch-deutschen Paktes von kva 1991, S. 50f. Seiten der Sowjetunion zusammenzubrauen.] Erst 3 Veröffentlicht wurde die Besucherliste vom jetzt, nachdem der Angriff auf die Sowjetunion schon 22.6.1941 in: lzvestija CK KPSS 1990, H. 6, S. vorgenommen wurde, hat die sowjetische Regierung 216. unseren Streitkräften den Befehl gegeben, den [räuberischen] Überfall zurückzuschlagen und die 4 Entwurf: von rumänischer Seite und von Seiten deutschen Streitkräfte von dem Territorium unseres Finnlands ausgegangen. Vaterlandes zu vertreiben . 5 Entwurf: Dieser unerhörte Überfall auf unser [Dieser Krieg wurde uns nicht vom deutschen Land, der trotz des Vorhandenseins eines Nicht­ Volk, nicht von den deutschen Arbeitern, Bauern und angriffsvertrags zwischen der UdSSR und Angehörigen der Intelligenz aufgezwungen, für deren Deutschland durchgeführt wurde, ist beispiellos in Leiden wir volles Verständnis haben, sondern von ei­ der Geschichte der zivilisierten Völker. Alle Ver­ ner Clique blutdürstiger faschistischer Führer antwortlichkeit für diesen Überfall auf die Sowjet­ Deutschlands, die Franzosen, Tschechen, Polen, union liegt vollständig bei der deutschen faschisti­ Serben, Norwegen, Belgien, Dänemark, Holland, schen Regierung. Griechenland und andere Völker versklavt haben.] Die Regierung der Sowjetunion drückt ihre unerschüt• 6 Entwurf: daß die deutsche Regierung angeblich terliche Überzeugung aus, daß unsere heldenmütige dazu gezwungen wurde, im Zusammenhang mit Armee und Flotte und die mutigen Falken der sowjeti­ der Konzentration bewaffneter Streitkräfte der schen Luftwaffe ihre Pflicht vor dem Vaterland und Roten Armee an der östlichen Grenze Deutsch­ vor dem sowjetischen Volk ehrenhaft erfüllen und lands militärische Gegenmaßnahmen zu treffen. dem (Aggressor)8 einen vernichtenden Schlag zufü• 7 Entwurf: daß der Überfall trotz der friedliebenden gen werden. Position der Sowjetunion von Deutschland vollzo­ [Es ist nicht das erste Mal, daß es unser Volk mit gen wurde einem überheblichen Feind, der in unser Land einfällt, zu tun hat. Seinerzeit hat unser Volk auf den Feldzug 8 Entwurf: Feind Napoleons mit einem vaterländischen Krieg geant­ wortet. Napoleon hat eine Niederlage erlitten und sei­ nen Zusammenbruch erlebt. Das gleiche wird dem überheblichen Hitler, der einen neuen Feldzug gegen unser Land angezettelt hat, widerfahren. Die Rote Miszellen 51

Franz Thedieck (1900- 1995) Bracht, stellvertretender Reichskommissar für Preußen, ernannte ihn 1932 zum Staatskommis­ Für viele Deutsche, die die Teilung ihres Landes sar für den Westdeutschen Rundfunk - zu einer bewußt miterlebt haben, hat sich mit der deut­ Zeit, als Thedieck als Regierungsrat in Diensten schen Vereinigung ein Lebenstraum erfüllt. Nur der Bezirksregierung Köln stand. Er hatte, nach von wenigen aber läßt sich sagen, daß sie so dem Wegfall der Politischen Überwachungsaus• kontinuierlich an der Erfüllung dieses Traumes schüsse der Rundfunkgesellschaften die strikte gearbeitet haben wie dies bei Franz Thedieck Überparteilichkeit des Programms zu kontrollie­ der Fall war. Wie ein roter Faden zieht sich das ren . Daß ausgerechnet Thedieck in dieses Amt Wirken für die deutsche Einheit durch sein Le­ berufen wurde, überrascht ein wenig, da er ben . Der Verpflichtung, sich nicht mit der Exi­ schon damals engagiertes Zentrumsmitglied war stenz zweier deutscher Staaten abzufinden, fühl• und der Politik des Kabinetts von Papen nicht te sich Thedieck stets verbunden, und er diente unbedingt nahestand.1 Ein halbes Jahr nach der ihr über Jahre hinweg an führender Stelle - als nationalsozialistischen Machtübernahme erhielt Staatssekretär im Gesamtdeutschen Ministerium Thedieck im Rahmen der des und später, bereits im Pensionärsalter, als Rundfunks durch die Nationalsozialisten seine zweiter Intendant des Deutschlandfunks. Entlassungsurkunde. Thedieck verfolgte dieses Ziel aus Überzeu• Es mögen diese ersten Erfahrungen mit der gung, nicht etwa qua Herkunft: Der Sohn eines Rundfunkgestaltung und -kontrolle gewesen Justizbeamten wurde am 26. September 1900 sein, die Thedieck auch nach dem Krieg bewo­ im westfälischen Hagen geboren und verbrachte gen, sich rundfunkpolitisch zu engagieren. Kindheit und Jugend in Köln . Nach Kriegsdienst Schnell wurde er während seiner Tätigkeit als im Ersten Weltkrieg studierte er Rechtswissen­ Staatssekretär im Gesamtdeutschen Ministerium schaften, Volkswirtschaft und Landwirtschaft an zu einem der vehementesten Befürworter eines den Universitäten Köln und Sonn, an letzterer »Wiedervereinigungssenders«. Noch vor der legte er 1923 das Examen als Diplomlandwirt ab. Gründung zweier deutscher Staaten stand für Seine berufliche Karriere begann er im preußi• ihn fest, daß man der ostdeutschen Rundfunk­ schen Innenministerium; dort leitete er eine propaganda etwas entgegensetzen müsse. »Die Dienststelle, die separatistischen Bestrebungen Rundfunksender der Zone sind reine Propa­ zur Loslösung des besetzten Rheinlandes von ganda- und Hetzsender. Sie stellen in der Sy­ Deutschland entgegenwirken sollte - für The­ stematik ihrer Arbeit die Rundfunkpropaganda dieck sicherlich eine erste Lehrstunde in Sachen eines Joseph Goebbels als dilettantisch in den deutscher Einheit. Während des Zweiten Welt­ Schatten«, erklärte Thedieck damals. Mit seinem krieges arbeitete Thedieck als Generalreferent späteren Chef Jakob Kaiser war er sich darin ei­ bei der Militärverwaltung für Belgien und Nord­ nig, daß man speziell für die Hörer in der Ostzo­ frankreich in Brüssel, wurde aber 1943 auf An­ ne eigene Rundfunkprogramme anbieten mußte, ordnung von SS-Chef Heinrich Himmler entlas­ um den Deutschen im Osten, wie sich Kaiser sen. Es folgten Kriegsdienst, Gefangenschaft ausdrückte, »ein Bild vom Werden und Wesen und eine kurzzeitige Tätigkeit als Regierungsrat der deutschen Bundesrepublik, dem Kerngebiet in Köln, ehe Thedieck in Sonn eine politische des künftigen einheitlichen Deutschland« zu Karriere startete. übermitteln.2 Ein »Sprachrohr gen Osten« hielt Politisch hatte Franz Thedieck immer dem auch Thedieck unbedingt für notwendig, um eine Zentrum nahegestanden, nach dem Krieg schloß wirkungsvolle Öffentlichkeitsarbeit des Gesamt­ er sich sehr bald der CDU an, deren Mitbegrün• deutschen Ministeriums zu garantieren. Sen­ der Jakob Kaiser ihn im September 1949 als dungen des NWDR und des RIAS wurden als Staatssekretär in das soeben gegründete Mini­ unzureichend angesehen, und so war es neben sterium für Gesamtdeutsche Fragen holte. The­ Kaiser vor allem auch Thedieck, der sich bei der dieck blieb Staatssekretär auch unter den Mini­ Alliierten Hohen Kommission für die Errichtung stern Ernst Lemmer und Rainer Barzel. Erst als eines Langwellensenders stark machte und mit Erich Mende 1963 ein FDP-Politiker Chef des damit den Grundstein für den späteren gesamtdeutschen Ressorts wurde, wählte The­ Deutschlandfunk legte. dieck als 66jähriger erstmals den Ruhestand. Thedieck entsprach damit ganz der Linie des Sein Abgang war mit einem spektakulären und Bundeskanzlers Konrad Adenauer, der den demonstrativen Rücktritt verbunden, wohl auch, Rundfunk in Deutschland zu einem politischen weil Mende eine veränderte gesamtdeutsche Li­ Führungsinstrument machen und ihn insbeson­ nie verkörperte, mit der sich Thedieck nicht ab­ dere zur Unterstützung seiner Politik nutzen woll­ finden wollte. te . Den daraus resultierenden Konflikt zwischen Schon früh hatte Franz Thedieck Verbindung dem Bund und den Ländern, die um ihre Rund­ zum noch jungen Medium Rundfunk. Franz funkhoheit fürchteten , nahm Thedieck in Kauf - 52 Rundfunk und Geschichte 22 (1996) die Folge war ein jahrelanger Streit um die Brandts vom »Wandel durch Annaherung« Schaffung des Langwellensenders, der auch den begann allmahlich den gesamtdeutschen Nerv Staatssekretär zermürben mußte. Was am Ende des Deutschlandfunks zu treffen. Hatte es in den als Anhängsel des NWDR dabei herauskam, Jahren zuvor einen Konsens in der hatte nicht nur er sich etwas anders vorgestellt, deutschlandpolitischen Linie von Regierungs­ und auch die Befugnisse, die ihm als Vor­ und Oppositionsparteien gegeben, so berührte sitzenden des im Januar 1958 konstituierten der Richtungsstreit den elementaren Auftrag des Langwellenbeirates zuteil wurden, dürften nicht in dieser Beziehung einst so unumstrittenen seinen Wünschen entsprochen haben. Zum ei­ »Wiedervereinigungssenders«. Es bestand nach nen hatte dieser Beirat allenfalls eine pro­ Ansicht zahlreicher Beobachter die Gefahr, daß grammberatende, nicht aber eine programmge­ die gesamtdeutsche Stimme aus altem Bewußt• staltende Funktion, zum anderen war das Lang­ sein heraus sprechen würde. wellenprogramm von äußerst bescheidenem Der Deutschlandfunk unterlag zwar keiner Umfang. Thedieck kämpfte aber weiter dafür, die Fachaufsicht des Bundes, doch war selbstver­ Arbeit seines Ministeriums irgendwann durch standlich, daß sich die Rundfunkanstalt mit ihrer einen eigenstandigen Rundfunksender begleiten außenpolitischen Bedeutung gerade im sensi­ zu können. Erst als nach jahrelangen politischen blen Bereich der Deutschlandpolitik nicht in Wi­ Auseinandersetzungen endlich 1960 das Bun­ derspruch zur offiziellen Linie Bonns stellen desrundfunkgesetz verabschiedet wurde, war für konnte. Mittlerweile aber entsprach das Thedieck dieses Ziel in greifbare Nähe gerückt. Deutschlandbild, das der Deutschlandfunk nach Nach Gründung des Deutschlandfunks wurde außen zu vermitteln suchte, nicht mehr jenem Thedieck zum ersten Vorsitzenden des Verwal­ Deutschland, auf dessen Boden die den Wandel tungsrates gewahlt, und schon in dieser Funktion einleitende Regierungserklarung Brandts nun leistete Thedieck regelrechte Pionierarbeit Da zwei gleichberechtigte Staaten sah . Doch eine mußte gleichsam aus dem Nichts eine Rund­ Änderung des Kurses bereitete Thedieck Bauch­ funkanstalt aufgebaut werden - ein Unterfangen, schmerzen. Er konnte nicht jene klassische das nach der unrühmlichen Entstehungsge­ Banner Deutschlandpolitik, die er 14 Jahre lang schichte nicht gerade einfach war. Die Rund­ als Staatssekretar mitgestaltet hatte, plötzlich für funkpolitik der Bundesregierung hatte Landes­ falsch halten, weil Brandt zum Kanzler gewählt rundfunkanstalten und Länder äußerst mißtrau• worden war. isch gemacht, folglich wurden dem Deutschland­ Die Neujahrsansprache Thediecks zum Jah­ funk immer wieder Stolpersteine in den Weg ge­ reswechsel 1969/70, ausgestrahlt über die legt - es gab weder Geld, noch Frequenzen, Wellen des Deutschlandfunks, brachte den Dis­ noch eine angemessene Bleibe für die Rund­ put um den Kurs der Kölner Anstalt ins Rollen. funkanstalt. Auch Thediecks Arbeit als zweiter Mit kritischem Unterton erinnerte Thedieck an Intendant von 1966 bis 1972 war vor allem von das in der Präambel des Grundgesetzes ver­ seinem Bemühen gekennzeichnet, die finanzielle pflichtend festgeschriebene Wiedervereinigungs­ Grundlage der Rundfunkanstalt zu sichern.3 gebot und die sich daraus für den Deutschland­ Inhaltlich versuchte Thedieck, den Deutsch­ funk ergebenden Konsequenzen. »An diesen landfunk auf eine Linie einzuschwören, die ihm Auftrag müssen wir uns halten, auch in Zeiten, in spater immer wieder den Vorwurf des Kalten denen das angestrebte Ziel in immer vagerer Kriegerturns einbrachte. Für ihn bestand die Ferne zu verschwinden scheint«, mahnte der Aufgabe des Senders im wesentlichen darin, Intendant und erweckte damit den Eindruck, als Hörer in der DDR anzusprechen und sie objektiv sei die Sozialdemokratie im Begriff, die deutsche zu informieren. Wo dabei die Grenze zwischen Wiedervereinigung als unrealisierbar aufzuge­ wirklicher Information und Propaganda verlief, ben . Mit einem Zitat aus einem >Welt<-Artikel rief darüber wurde schon damals viel gestritten. Thedieck dazu auf, den Willen zur Wiedervereini­ Thedieck indessen verwahrte sich immer gegen gung in der Bundesrepublik wachzuhalten: »Es Anschuldigungen, der Deutschlandfunk sei ein schwindet in unserer veröffentlichten und öffent• Instrument des Kalten Krieges. Unabhangig lichen Meinung die Fahigkeit zum Entsetzen vor davon, daß solche Behauptungen nur schwer der Diktatur, zum Mitleid gegenüber denen, die verifizierbar sind, läßt sich feststellen, daß 1969 ihr ausgeliefert sind, es schwindet der leiden­ mit dem Kanzlerwechsel von Kurt Georg schaftliche Wille zum Widerspruch, der von Kiesinger zu Willy Brandt für den Deutschland­ vielen schon zu einer Frage der Opportunität funk eine paradoxe Phase hinsichtlich seines degradiert wurde, weil sie ihn an der Absehbar­ äußeren, politischen Erscheinungsbildes be­ keit seines politischen Erfolges messen« . gann . die Thedieck aufgrund seiner politischen Schließlich bemühte Thedieck den Kennedy­ Überzeugung in tiefe Zweifel stürzte. Denn die Grundsatz aus dem Vietnamkrieg »Wir wollen Realisierung der Ideen Egon Bahrs und Willy Verhandlungen nicht fürchten , allerdings auch Miszellen 53 nicht aus Furcht verhandeln«, um seiner Skepsis 1 Vgl. Wolf Bierbach: Rundfunk zwischen Kommerz gegenüber der Verständigungspolitik Brandts und Politik. Der Westdeutsche Rundfunk in der Ausdruck zu verleihen. Rhetorisch fragte The­ Weimarer Zeit. Frankfurt am Main 1986, S. 290. dieck schließlich, ob der »erneute Versuch der 2 Zit. nach Rolf Steininger: Deutschlandfunk - die Regierung Brandt/Scheel, die so viele Vorlei­ Vorgeschichte einer Rundfunkanstalt 1949 - 1961 . stungen angeboten hat«, gelingen könnte und Berlin 1977, S. 22. lieferte die Antwort gleich mit: Alle Anzeichen 3 Vgl. auch Frank Capellan: Für Deutschland und sprächen dafür, daß die sowjetische Deutsch­ Europa: Der Deutschlandfunk. München u.a. landpolitik die gleiche geblieben sei und allein 1993. auf die Festigung des Status quo in Europa ab­ ziele. Gehe man nun auch in der Bundesrepublik von der Existenz zweier deutscher Staaten aus, Bert Donnepp (1914- 1995) komme man diesem Ziel einen ansehnlichen Schritt näher, meinte Thedieck, selbst im Sende­ Volkshochschule und Fernsehen manuskript die Buchstaben DDR in Anführungs• zeichen setzend. Der »Adolf-Grimme-Preis« des Deutschen Bereits durch diese Äußerungen wurde klar, Volkshochschulverbandes ist der angesehenste daß Franz Thedieck aufgrund seiner deutsch­ Preis für Fernsehsendungen in Deutschland, landpolitischen Überzeugungen dem Deutsch­ obwohl er den Preisträgern außer der Ehre landfunk nicht mehr auf Dauer würde vorstehen nichts einbringt. Man hätte ihn längst in »Bert­ können. ln der Rundfunkanstalt begann nun all­ Donnepp-Preis« umbenennen und damit auch mählich ein Generationswechsel, den Thedieck seinen Initiator ehren sollen. nicht mehr nachvollziehen mochte und konnte. Bert (Albert) Donnepp ist am 16. November Der Politik seines Intendanten-Nachfolgers Rein­ 1995 in Mari im Alter von 81 Jahren gestorben. hard Appel, der die Parole ausgab, aus dem Die westfälische Mittelstadt am Nordrand des »Antisender« einen deutsch-deutschen »Dialog­ Ruhrgebiets, ansonsten nur durch die Chemiein­ sender« machen zu wollen, konnte Thedieck dustrie bekannt, hat er nach Kriegsende zu ei­ nicht folgen . Für ihn war klar, daß sich Ost-Berlin nem Mekka der Fernsehkritik und auch -for­ einem Dialog immer verweigern würde; die Tat­ schung gemacht. Bert Donnepp wurde am 22. sache, daß niemals ein Korrespondent des April 1914 im anhaltinischen Roßlau am Zu­ Deutschlandfunks in der DDR akkreditiert wer­ sammenfluß von Rassel und Eibe in der Nähe den durfte, wertete er als Bestätigung dieser von Halle geboren. Der Vater war dort Bürger• Auffassung. 1985 machte Thedieck in einem Le­ meister. Nach dem Abitur in Dessau begann serbrief in der >Weit< seinem Ärger über das Donnepp im Wintersemester 1934/35 ein Stu­ Programm des Deutschlandfunks, das zu sehr dium der Pädagogik, Publizistik, Geschichte und von der ursprünglichen Konzeption abgewichen Psychologie an der Universität Leipzig, wo er sei, öffentlich Luft: »Die bedauerlichen Hörerver• u.a. bei Professor Hans Freyer hörte, einem der luste gehen nicht in erster Linie auf fehlende Begründer der Soziologie in Deutschland. Sei­ UKW-Frequenzen zurück, sondern, wie ich aus nen ersten akademischen Abschluß erlangte vielen Mitteilungen weiß, auf Enttäuschung ge­ Donnepp 1938 mit dem Examen für das Lehramt rade der Menschen in der DDR über den verän• an Volksschulen. Er blieb an der Universität, um derten Programminhalt Diese wollen nicht stän• weiter Publizistik, Pädagogik und Geschichte zu dig hören, für wie miserabel die Redakteure die studieren, wurde aber im April 1940 als Soldat Verhältnisse in der Bundesrepublik halten.« eingezogen und erst im August 1945 aus ameri­ Auch wenn Franz Thedieck die Arbeit des kanischer Gefangenschaft entlassen. Es ver­ Deutschlandfunks fortan immer auch mit etwas schlug ihn in die westfälische Heimat seiner Bitterkeit verfolgte - mit der Wiedervereinigung Frau, der Rechtsanwältin lnge(borg}, geb. vom 3. Oktober 1990 sah er sich bestätigt und Schnepper, die er 1943 geheiratet hatte, und die überzeugt davon, daß jener Rundfunksender, als in den 70er und 80er Jahren u.a. Justizministerin dessen geistiger Vater er sich gerne sah, zumin­ in Nordrhein-Westfalen war. dest einen Mosaikstein in jenem Gefüge bildete, ln Mari bekam Donnepp im Januar 1946 eine das schließlich zum Ende der DDR führte. Somit Anstellung als Lehrer und engagierte sich sofort hat sich für Thedieck wirklich ein Lebenstraum auch in der Erwachsenenbildung, vor allem für erfüllt. Thedieck starb am 20. November 1995 - heimgekehrte Soldaten. Daraus entwickelte er vier Wochen nach seinem 95. Geburtstag. das Konzept für eine der ersten Volkshochschu­ Frank Capellan , Köln len, die nach dem Kriege in Westdeutschland entstand. Am 1. April 1949 wurde er deren Direk­ tor. Gleichzeitig baute er ein Bildungswerk in der Industriestadt auf, das Vorbild für ähnliche lnsti- 54 Rundfunk und Geschichte 22 (1996) tutionen in Großstädten wurde. Schon zuvor daß es Anfang 1954 gerade einmal 10 000 an­ hatte er mit dem Institut für Zeitungsforschung gemeldete Fernsehgerate in der Bundesrepublik der Universität Münster in Dortmund die ersten gab. Presseausstellungen der Nachkriegszeit organi­ Man kann in dieser Tagung den Nukleus für siert und eine Pressebibliographie veröffentlicht. die Gründung des Adolf-Grimme-lnstituts1 im Bei diesem Engagement war es fast selbstver­ Jahre 1973 durch den Deutschen Volkshoch­ ständlich, daß er schon 1948 bei der Gründung schulverband sehen, finanziell unterstützt vom des Dachverbandes der westdeutschen Volks­ Land Nordrhein-Westfalen und ermöglicht von hochschulen Vorstandsmitglied wurde und die der Stadt Mari. Auf Drangen von Donnepp hatte (neben-amtliche) Chefredaktion der Zeitschrift diese 1954 ein völlig neues Bildungsgebäude »Volkshochschule im Westen« übernahm, von bauen lassen: die »insel«. Unter einem Dach der wichtige Impulse für die Erwachsenenbildung wurden Volkshochschule, Räume für Filmvorfüh• ausgegangen sind. Neben all diesen Aktivitäten rungen und Stadtische Bibliothek zusammenge­ nahm er sich 1950 auch noch die Zeit, sein aka­ faßt - ein Modell, das dann Schule auch in Groß• demisches Studium mit dem Dr. phil. abzu­ städten machte. Die »alte insel« hatte sich an­ schließen. Bei Walter Hagemann promovierte er gesichts der vielfaltigen Aktivitäten, die von ihr an der Universität Münster mit der Arbeit »Sport ausgingen, schon Ende der 60er Jahre als zu und Rundfunk«, einer der ersten rundfunkwis­ klein erwiesen. Die Stadt baute inmitten eines senschaftlichen Dissertationen in Deutschland. Einkaufszentrums ein neues Gebäude für ihr Er untersuchte darin vor allem die Sportbericht­ beispielhaftes Bildungswerk. Wieder mit dem be­ erstattung der mitteldeutschen Sender in den zeichnenden Namen »insel«, der für Muße eben­ Jahren 1924 bis 1939. Zugute kam ihm dabei, so steht wie für Refugium. Treibende Kraft blieb daß er während seines Studiums in Leipzig beim auch hier bis zu seiner Pensionierung 1979 Bert dortigen Reichssender Leipzig sowie dem Donnepp. Aus der »alten insel« hat er sich aber Reichssender Breslau mitgearbeitet hatte. bis zu seinem Tode nicht zurückgezogen, son­ Bis zu diesem Punkte ist das eine zwar be­ dern mit sehr kritischem Auge verfolgt, wie sich achtliche, aber nicht völlig aus dem Rahmen fal­ das Fernsehen entwickelte und vor allem auch lende Lebensleistung. Diese ergibt sich aber aus veränderte. dem , was Bert Donnepp aus dem Erwachse­ Der »Erwachsenenbildner« Donnepp, der nenbildungswerk und der Volkshochschule in viele Tagungen nicht nur aufgrund seiner körper• Mari machte und was weit über die Stadt hinaus­ lichen Größe überragte, hat sich stets gegen die strahlte. ln Mari entstand mehr als eine normale Verflachung der Fernsehprogramme gestemmt, Volkshochschule. Donnepp erweiterte von An­ die Unterhaltung als notwendiges Element der fang an das klassische Feld der Erwachsenen­ Programme aber anerkannt. »An den Gremien­ bildung und bezog Presse und Rundfunk ein. Be­ fuchs und Konfliktvirtuosen Donnepp zu denken, reits unmittelbar nach der Gründung nahm er heißt, sich jemanden vorzustellen, der die ande­ Kontakt zur Rundfunkschule des NWDR in Harn­ ren ein Stück überragte - als ein Besonderer, der burg auf und ließ dort Dozenten aus Mari im eben daran gerade dann keinen Zweifel ließ, Umgang mit den neuen Medien schulen. Als ei­ wenn er sich wie demütig in Dienst stellte. Daß ner der ersten erkannte er auch die Bedeutung Kampf für diesen Charakter notwendig war, ver­ des Fernsehens. Noch heute muß man staunen, steht sich von selbst - denn was läßt sich bewe­ daß es ihm schon im März 1954 gelang, eine in­ gen ohne Widerstand?« hat Hans Janke in sei­ ternational hochrangig besetzte Tagung »Das nem Nachrut2 geschrieben, Fernsehspielchef Fernsehen und die Volkshochschulen« in Mari des ZDF und bis 1989 Leiter des Grimme-Insti­ auszurichten, einer Stadt, von der bis dahin tuts. »Kauzig war er und auch ein wenig scheu, kaum einer der Teilnehmer gehört hatte und in streitbar und in seinen Überzeugungen von der es nur wenige Unterbringungsmöglichkeiten freundlicher Harte. Beliebigkeit war seine Sache gab. Vertreter der UNESCO, des Hans-Bredow­ nicht. Rudern und Schalke 04 - ja. Champagner lnstituts an der Universität Hamburg, des Insti­ und Pate - nein. Statt dessen Charme und spitz­ tuts für Publizistik der Universität Münster sowie bübische Wahrheiten, brillant bis sarkastisch« der damalige Fernsehintendant des NWDR, beschreibt Michael Schmid-Ospach, heute stell­ Werner Pleister, erklärten sich zum Abschluß be­ vertretender Fernsehdirektor des WDR, seine reit, die Volkshochschulen und insonderheit na­ Erinnerungen an Don nepp.3 Dieser hat den da­ türlich die in Mari mit Literatur, technischen Ge­ maligen Redakteur von epd/Kirche und Rund­ räten und Dozenten zu unterstützen. Es wurde funk 1970 in die Jury des Grimme-Preises ge­ außerdem beschlossen, möglichst an allen holt, neun Jahre, nachdem dieser auf seine In­ Volkshochschulen Fernseharbeitsgemeinschaf­ itiative vom Volkshochschulverband gestiftet ten zu gründen. Der Weitblick Donnepps wird worden war. erst richtig deutlich , wenn man berücksichtigt, Miszellen 55

Don nepp, der wenige Monate vor seinem Tod 2 Hans Janke: Der Vater des Grimme-Instituts. ln: eine Ehrenprofessur des Landes Nordrhein­ Süddeutsche Zeitung v. 17.11 .1995. Westfalen verliehen bekam, hat Maßstabe für 3 Michael Schmid-Ospach: Fernsehen und Bildung eine Medienkultur gesetzt, die es zu halten gilt. gehörten für Bert Donnepp zusammen. ln: Frank­ Wolf Bierbach, Köln furter Rundschau v. 18.11.1995.

Erinnerungen an Prof. Dr. Bert Donnepp Wim Thoelke (1927- 1995) Meine erste Begegnung mit Bert Donnepp stand am Beginn meines Volontariates in der Lokalre­ Er weigerte sich, als Showmaster einen Hand­ daktion Mari der >Ruhr-Nachrichten<. Ich war be­ stand machen zu müssen, um beim Publikum eindruckt von der Kompetenz und Autorität des anzukommen. Als er am 11. Dezember 1992 von Leiters der »insel« - auch gegenüber seiner der Fernsehbühne abtrat, verschwand mit ihm Mannschaft. Was die prominenten Gäste des dann auch das Betuchliche, das Biedere. Das Bildungswerkes anging, das auch den »Adolf­ hier und da manchmal hölzern, beinahe allzu Grimme-Preis« verlieh, so schien er jeden zu brav Wirkende ging. Er räumte den Platz für das kennen - und jeder schien ihn zu mögen. Seine Hektische. Für die Gottschalks, de Mols, und wie Ecken und Kanten, seine gelegentliche Distan­ sie alle heißen . ziertheit, die häufig knappe Auskunft, verbargen Wim Thoelke schrieb Fernsehgeschichte. Er einen weichen Kern unter harter Schale - das war mehr als drei Jahrzehnte einer der bedeu­ habe ich erst später gelernt. Wenn er belehrend tendsten Unterhalter im deutschen Fernsehen. agierte, dann aus gutem Grund: Er wußte von Seit Herbst 1970 führte Thoelke durch die ZDF­ seinem Metier eben mehr als andere. Quizsendung »Drei mal Neun« (Nachfolgesen­ Dennoch haßte er jeden Aufwand um seine dung von Peter Frankenfelds »Vergiß mein eigene Person. Ich weiß von vielen Gelegenhei­ nicht«), für die er auch das Drehbuch schrieb. ten, bei denen er sich (erfolglos) gegen Inter­ Mit 25 Millionen Zuschauern im Schnitt war die views wandte - letztlich sah er doch die Chance, Unterhaltungsshow damals eine der beliebtesten für seine Institution, mehr noch: für seine Über• Sendungen. Vier Jahre später wartete Thoelke zeugung zu werben. Das letzte Hörfunkinterview mit der Nachfolgesendung »Der große Preis. Ein habe ich mit ihm vor wenigen Wochen geführt - heiteres Spiel für gescheite Leute« auf - eine Erinnerungen an seine Verdienste, für die er ge­ Quizshow, deren Erfolgsrezept ZDF-Intendant rade zum Professor ernannt worden war. Noch Dieter Stolte später als »die Verbindung von einmal hatten wir zuvor in seinen großen Alben spielerisch-unterhaltenden, informativen und kul­ geblättert, in denen er bis zuletzt Jahr für Jahr turell-bildenden Elementen« bezeichnete. »Der Geschichte und Geschichten um Mari und seine große Preis«, eine deutsche Variante der italie­ »insel« gesammelt und dokumentiert hatte. nischen Sendung »Riscia tutto« (deutsch: Riskie­ Welch ein Fundus, welch ein bewegtes Leben! re alles), bzw. der schweizerischen »Wer Obwohl er nach schmerzhaften Operationen gwünnt«, festigte Thoelkes Rang als beliebtester kaum noch laufen konnte, waren wir noch einmal deutscher Showmaster. Von durchschnittlich zusammen essen gegangen, hatten uns an viele neun Millionen Zuschauern gesehen, verband gemeinsame Jahre erinnert. Früh schon wollte er die Sendung, wie bereits schon »Drei mal mich , den Weggefährten aus der anderen Gene­ Neun«, das Unterhaltsame mit dem Nützlichen. ration, erst in die »insel«, dann zum Landesver­ Bis 1991 spielte die mit dem »Großen Preis« band der Volkshochschulen holen. Auch als ich verbundene, inzwischen erfolgreichste Fernseh­ mich für den Weg zum Hörfunk entschieden lotterie der Welt rund drei Milliarden Mark ein, hatte, begleitete er mich bis zuletzt mit Rat und von denen mehr als die Hälfte an die Aktion Sor­ Tat auch aus diesem Medium. Nichts davon genkind gingen. möchte ich missen! Ich habe ein Vorbild und ei­ Im Dezember 1992 rief Thoelke ein letztes nen Freund verloren. Nicht nur mir wird er feh­ Mal seinen, in den einer Tauchglocke nicht un­ len. ähnlichen, ein wenig steril wirkenden Glaskapsel, Manfred Erdenberger, Köln sitzenden Kandidaten ein »Risikoooo« entgegen. Er ging, wie es sich für einen Biedermann ge­ 1 Adolf Grimme, Schulreformer und Politiker (SPD), hört, mit 65 Jahren in Rente. Aus gesundheitli­ 1930-1932 preußischer Kultusminister, 1942-1945 chen Gründen und nicht aufgrund rückläufiger wegen Beziehungen zum Widerstand in Haft, Zuschauerzahlen (von 24 auf 8,2 Prozent), ließ 1946-1948 Kultusminister in Hannover bzw. Nie­ er wissen . Er hörte auf, um einem jüngeren Kol­ dersachsen, 1948-1956 erster deutscher Gene­ legen beim »Großen Preis« Platz zu machen. raldirektor des NWDR, seit 1956 Präsident der Studienstiftung des Deutschen Volkes. Umso mehr war Thoelke erbost, als das ZDF den damals sechs Jahre älteren Hans-Joachim 56 Rundfunk und Geschichte 22 (1996)

Kulenkampff zu seinem Nachfolger machte. er jeweils samstags die zweistündige Sendung Doch Thoelke war der »Große Preis«, und nach »Thoelke am Sonnabend« moderierte, und gab Kulenkampff blieben auch Caroline Reiber und die >Sport-Illustrierte< heraus. Wolfgang Lippert als seine Nachfolger letztlich Thoelke und das ZDF gingen im Streit aus­ erfolglos. Im August 1995 wurde die Sendung einander. »Ich möchte nicht gefeiert werden«, eingestellt. sagte er vor der Abschiedssendung im Dezem­ Obwohl Thoelke seit 1990 auch die ZDF­ ber 1992. Die Trennung gipfelte in der - schließ• Sendung »Klassentreffen« leitete, war nicht die lich im Sommer 1995 beigelegten - Auseinan­ Unterhaltung, sondern der Sport für Thoelke dersetzung über Thoelkes Biographie, in der er »menschlich und beruflich die schönste Zeit Vorwürfe gegen Mitarbeiter des ZDF erhoben meines Lebens.« Ohne das Jura-Studium an der hatte. Am 26. November 1995 ist Wim Thoelke in Kölner Uni abgeschlossen zu haben, folgte er Wiesbaden gestorben. Willi Daumes Ruf und wurde 1952 Hauptge­ Christof Schneider, Köln schäftsführer des Deutschen Handballbundes. Journalistisch arbeitete er nebenher für die Sportredaktionen des Westdeutschen Rundfunks Wunsch und Wirklichkeit sowie des Süddeutschen Rundfunks. 1960 Colloquium zur Geschichte der tauschte er, der sich selbst einmal als »unruhi­ Politikpropaganda in Deutschland gen Menschen« bezeichnete hatte, für drei Jahre das Mikrophon gegen den Steuerknüppel einer Das Projekt der Deutschen Forschungsgemein­ Boing 707. Er gründete die Charterfluggesell­ schaft (DFG) »Propagandageschichte« beschäf• schaft Bavaria und war deren kaufmännischer tigt sich seit 1992 mit den vielfältigen Aspekten Leiter. Doch der Sportjournalismus ließ ihn nicht von Propaganda der politischen Systeme in der los. Gleich nach Gründung des ZDF 1963 mode­ Bundesrepublik Deutschland und der DDR. Zu rierte Thoelke die Nachrichtensendung »heute« einem Austausch über den aktuellen For­ und hob noch im gleichen Jahr mit Harry Valeri­ schungsstand trafen sich etwa 80 amerikanische en und Rainer Günzler »Das aktuelle Sportstu­ und deutsche Wissenschaftler auf Einladung der dio« aus der Taufe. Seine brave wie korrekte Art, DFG vom 14. bis 16. Dezember 1995 in Leipzig Sportler zu befragen, empfanden viele Zuschau­ zu dem interdisziplinären Colloquium »Zur Ge­ er als fair, 1970 wählten ihn die Fernsehzu­ schichte der Politikpropaganda in Deutschland«, schauer zum beliebtesten Sportmoderator der das vom Kulturwissenschaftlichen Institut im Bundesrepublik. Er erhielt den »Goldenen Bam­ Wissenschaftszentrum Nordrhein-Westfalen, bi« und immer wieder viel Lob. »Big Wim« war Forschungsstelle Leipzig, mitveranstaltet wurde. schließlich ein Ehrentitel. ln der ersten Sektion »Propagandageschichte Sieben Jahre ließ er die Fußballer der noch als Forschungsproblem« erläuterten die beiden jungen Bundesliga auf die Torwand schießen, Projektleiter Gerald Diesener, Leipzig, und lehnte das Angebot, beim ZDF Hauptabteilungs­ Rainer Gries, Freiburg/Jena, die Grundlagen und leiter zu werden, ab, wechselte stattdessen in die Richtungen des DFG-Projekts. Ihre zentralen Unterhaltung und übernahm schließlich »Drei Fragestellungen lauten: Welche Formen der mal Neun«. Zweifelsohne war Thoelke ein »Bun­ Propaganda verwendeten Politiker in der Bun­ ter Vogel«, wie er sich selbst einmal beschrieb. desrepublik und der DDR, um die jeweilige Be­ Am 9. Mai 1927 als Sohn eines Oberstudiendi­ völkerung zu beeinflussen und zu gewinnen; rektors in Mühlheim/Ruhr geboren, wurde Georg welche Botschaften sollten den Deutschen ver­ Heinrich Wilhelm, genannt Wim, 1944 vor dem mittelt werden; wie konnten große Teile der Be­ Abitur zur Fliegerausbildung und damit zum völkerung in beiden deutschen Staaten zu Kriegsdienst eingezogen, kam aber nicht mehr »Opfern« von politischer Propaganda werden? zum Einsatz. Nach dem Krieg holte er das Abitur ln der Beantwortung dieser Fragen sehen die nach und arbeitete sich im Bergbau als Direk­ Projektleiter sowohl einen Beitrag zum Ver­ tionsassistent hoch, entschloß sich dann aber ständnis der »Beziehungsgeschichte« zwischen zum Jura-Studium. Im Laufe seines Lebens der Bundesrepublik und der DDR als auch der machte er einen Autohandel auf, entwarf Kra­ Geschichte der Genese von Mentalitäten und watten und Hemden, erfand die Dehnbundhose ldentitäten in beiden deutschen Gesellschaften. und errichtete als Bauunternehmer Reihenhaus­ Die zweite Sektion befaßte sich mit »Realität siedlungen. und Wirkung politischer Propaganda von der Auch nach dem Weggang vom »Großen Weimarer Republik bis zum Totalen Krieg«. Preis« ruhte er nicht: Er schrieb die Autobiogra­ Ausgangspunkt des Referats von Randall Byt­ phie »Stars, Kollegen und Ganoven«, arbeitete werk, Grand Rapids, »Die Organisation der na­ an drei Kinderhörspielen, war mit acht Prozent tionalsozialistischen Versammlungspropaganda Anteilen Gesellschafter des Spreeradio, bei dem vor 1933« war die weit verbreitete Vorstellung , Miszellen 57

daß der Nationalsozialismus auch vor der plakaten und Fotos offerierten die Nationalsozia­ »Machtergreifung« als disziplinierte und organi­ listen ein Maximum an Projektionsfläche bei ei­ sierte Massenbewegung in Erscheinung getreten nem Minimum an Aussage. Der beispiellose Ein­ sei. Der amerikanische Kommunikationswissen­ satz der neuesten technischen Entwicklungen schaftler kam jedoch zu dem Ergebnis, daß die wie in den Deutschlandflügen vor den Wahlen Realität anders aussah. Veranstaltungen der ermöglichte die Omnipräsenz des Führers. Von NSDAP waren vor 1933 meist keine Massenver­ 1933 an entwickelte sich der »Marktführer« Hitler anstaltungen, sondern fanden im kleinen Kreis zum »Marktbeherrscher«, und alle Hoffnungen statt. Die Organisation der Veranstaltungen des deutschen Volkes wurden auf Hitler konzen­ erwies sich mitunter aufgrund der Disziplinlosig­ triert. Diese »Produktwerbung« diente zur Her­ keit der Redner und leerer Kassen der Ortsgrup­ stellung des Glaubens an den neuen Staat. Mit pen als sehr schwierig. Zudem mangelte es dem Sieg über Frankreich 1940 erreichte der vermutlich an einem allgemeingültigen Konzept »Führermythos« seinen Höhepunkt, Hitler er­ der Versammlungspropaganda; eine reichsweite scheint als außerhalb der NSDAP stehender Koordination der NS-Propaganda begann erst Halbgott. Nicht die Partei oder ihre Ideologie, mit der Ernennung von Goebbels zum Reichs­ sondern in erster Linie der Führermythos habe propagandaleiter im April 1930. Als einheitliche die entscheidende Integrationskraft des Natio­ Propagandamittel für die Versammlungsredner nalsozialismus erzeugt, so Sabine Behrenbeck. dienten lediglich Infoschriften und Pamphlete. Die Referate der dritten Sektion »Public Re­ ln ähnlicher Weise entlarvte der Tübinger lations für Staats- und Gesellschaftsordnung in Volkskundler Themas Balistier in seinem Dis­ der Bundesrepublik und in der DDR in den 50er kussionsbeitrag »Die >Tatpropaganda< der SA - und 60er Jahren« beschäftigten sich mit Erfolgen Erfolg und Mythos« die vermeintliche Allmacht und Mißerfolgen deutsch-deutscher Propaganda. der SA auf den Straßen vor 1933. ln vielen Ge­ Die konkreten Auswirkungen solcher Propagan­ genden trat die SA erst ab 1930 in Kolonnen auf, da machte die Leipziger Historikerin und Mitar­ die katholischen oder proletarischen Milieus beiterin im DFG-Projekt Monika Gibas in ihrem blieben bis 1933 fast uneinnehmbare Bastionen. Diskussionsbeitrag »>Die Frau, der Frieden und Von einem »unaufhaltbaren Siegeszug« in allen der Sozialismus< - Erziehungspropaganda oder sozialen Schichten vor 1933 kann deshalb keine Emanzipationskampagne? Zur DDR-Propagan­ Rede sein. Die Fiktion von einer »braunen Om­ da in den 60er Jahren« am Beispiel der Gewin­ nipotenz« entstand in erster Linie durch eine nung von Frauen für den Sozialismus deutlich. »Neuordnung der Zeit«, indem einzelne Propa­ Aufgrund der wirtschaftlichen Notlage wurde in gandaveranstaltungen beträchtlich ausgedehnt der DDR Ende 1961 eine staatlich gelenkte und modernste Techniken eingesetzt wurden. Kampagne gestartet, um die Frauen in stärke• Überall sollte symbolisch schon vor 1933 »NS­ rem Maße am Aufbau des Sozialismus zu betei­ Herrschaft« inszeniert und die Menschen, not­ ligen. Im Zuge dieser Werbemaßnahmen in allen falls mit physischer Gewalt, von der Macht der Medien bis 1965 sollte auch die Gleichberechti­ SA überzeugt werden. Balistier machte deutlich, gung der Frauen in Wirtschaft und Gesellschaft daß es falsch wäre, die propagandistischen An­ erreicht werden. Die Propaganda der verordne­ strengungen der SA bis zur »Machtergreifung« ten Berufstätigkeit deckte sich offenbar mit den mit deren Wirksamkeit gleichzusetzen. Mit der Wünschen der Frauen und zeigte dementspre­ Ernennung Hitlers zum Reichskanzler schien die chend Erfolge. Frauen wurden fortan in immer SA-» Tatpropaganda« 1933 den Sprung in eine stärkerem Maße berufstätig und fühlten sich er­ neue Zeit anzubieten, die nicht mehr vergehen muntert, auch öffentlich ihre Emanzipation ein­ würde. Eine schmachvolle Vergangenheit sollte zufordern. Die Frage, ob sich Frauen in der DDR sich nun rasch in ein ewig dauerndes vaterländi• als »Opfer« von Propaganda bezeichnen wür• sches Paradies verwandeln. den, die keine andere Wahl hatten, bleibt sicher Die Historikerin Sabine Behrenbeck, Berlin, untersuchenswert. untersuchte anhand von Fotos und Plakaten der Daß die staatliche Propaganda sich der Ent­ NSDAP »Ikonographie und Symbolsprache na­ wicklung und den Möglichkeiten moderner Unter­ tionalsozialistischer Propagandamittel«. Der Er­ haltungsmedien bedient, erläuterte Gerald folg dieser Propaganda beruhte auf der ständi• Diesener in seinem Referat »Krupp und Krause - gen Wiederholung von Symbolen und der Über• eine deutsch-deutsche TV-Geschichte« . Diese redung der Massen. Die »Marke« NSDAP ver­ Ende 1968/Anfang 1969 in der DDR ausge­ kaufte ihren besten »Artikel«, den Führer Adolf strahlte Fernsehserie schildert die fiktive Lebens­ Hitler, jedoch nicht als Person , sondern in der geschichte eines Arbeiters des Essener Unter­ Funktion als Symbolträger für eine neue Zeit, nehmens und der Familie Krupp vor dem Hinter­ z B. im Plakat: »Unsere letzte Hoffnung: Hitler« . grund der politischen Entwicklung von 1900 bis Mit der bloßen Darstellung Hitlers auf den Wahl- 1968. Die Firma symbolisiert in dem Film den 58 Rundfunk und Geschichte 22 (1996)

Kapitalismus, während der Arbeiter Krause sich Systems hervorgehoben und auf die Schwächen zum entschiedenen Verfechter des Sozialismus des anderen Systems hingewiesen. entwickelt. Die Darstellung des Erfolges von Unter der Formel: Propaganda plus materielle Krause, der als Direktor eines Magdeburger VEB Interessiertheit wurde in den folgenden Refera­ um einen Auftrag mit der Firma Krupp kämpft, ten eine neue Qualität von Propaganda im 20. unterstreicht, daß >>nur dem Sozialismus die Jahrhundert thematisiert. Materielle, konsumtive Zukunft gehört«. Die Serie bestach durch ihre Gratifikationen für die jeweiligen Zielgruppen er­ realistische Darstellungsform und führte zu einer gänzten so die bloße Wortpropaganda. Der Ein­ intensiven Diskussion unter der ostdeutschen satz von Propaganda in Deutschland richtete Bevölkerung über das bessere gesellschaftliche sich nicht nur an die Menschen im jeweiligen an­ System. Kurzfristige Erfolge der Fernsehserie, deren deutschen Staat, auch die eigene Bevöl• wie etwa die beabsichtigte stärkere Identifikation kerung war Zielgruppe solcher Maßnahmen, ins­ der Menschen in der DDR mit dem Sozialismus, besondere dann, wenn ökonomische Propagan­ wurden bald durch die Aufnahme von Ge­ da betrieben wurde. RainerGries legte in seinem schäftsbeziehungen zwischen der DDR und der Referat >»Deine Hand für Dein Produkt<. Produk­ Firma Krupp zunichte gemacht. Da Anspruch tionspropaganda als Politikpropaganda in der des staatlichen Systems und die erfahrbare DDR« den Beitrag der Produktionspropaganda Wirklichkeit auseinanderklafften, war langfristig als Mittel zur Produktivitätssteigerung in den ein Mißerfolg der Propaganda absehbar. 50er Jahren dar. Die Parole des V. Parteitages Dirk Schindelbeck, Projektmitarbeiter in Frei­ 1958 >>Der Sozialismus siegt« sollte durch den burg, referierte über eine bislang weitgehend un­ republikweiten Einsatz von Propaganda in allen bekannte Propagandamaßnahme des Bundes­ Massenmedien von den Werktätigen »produktiv« verteidigungsministeriums. Zum Thema >>Propa­ umgesetzt werden. Die Unterschiede zwischen ganda als Sandkastenspiel - mit Gummiballons Anspruch und Wirklichkeit wurden jedoch sehr und Pappraketen. Zum deutsch-deutschen Flug­ bald deutlich. Ideelle Gratifikationen konnten die blattkrieg nach dem Bau der Mauer« analysierte Arbeiter letztlich nicht ausreichend motivieren. er anhand eines eindrucksvollen Beispiels, wie Der Einsatz materieller Gratifikationen erfolgte die psychologische Kampfführung der Bundes­ erst in der zweiten Hälfte der 60er Jahre und im wehr mit ihren Aktionen seit 1959 Einfluß auf die Zuge des VIII. Parteitages 1971. Die Erziehungs­ DDR-Bevölkerung im Grenzgebiet zu nehmen bemühungen am Arbeitsplatz standen in Wider­ versuchte. Generalstabsmäßig geplant wurden spruch zu den Erfahrungen des Produktions­ vor allem zwischen 1962 und 1966 mit Hilfe von alltags. Daher dürfte die Produktionspropaganda Gummiballons Flugblätter auf das Gebiet der insgesamt langfristig als gescheitert gelten. DDR geschossen. Diese Maßnahmen blieben Auf einen weiteren materiellen Aspekt der vermutlich nicht ohne Erfolg im Bewußtsein der Politikpropaganda in Deutschland ging der Menschen in der DDR. Die innerdeutschen Tübinger Historiker Klaus Schönberger in seinem Ballonflüge wurden bis zur Annäherung der Beitrag >>Public Relations für den Marshall-Plan beiden deutschen Staaten Anfang der 70er in Westdeutschland« ein. Die amerikanische Jahre fortgesetzt. Werbung für die Wirtschaftshilfe beim deutschen Mit der Fracht solcher Ballons, nämlich den Wiederaufbau stellte die Westzonen als prospe­ Flugschriften und Flugblättern, beschäftigte sich rierendes Terrain dar und machte den Marshall­ die Historikerin und Bibliothekarin Eva Bliem­ Plan unter der Bevölkerung bald zum Synonym bach, Berlin, in ihrem Beitrag >>Fiugblattpropa­ für ökonomischen Aufschwung und zu einem ganda des Kalten Krieges - eine Quelle deutsch­ Hoffnungsträger. Die Überzeugung der Men­ deutscher Auseinandersetzungen?«. Von Anfang schen gelang durch die Bekanntmachung der der 50er Jahre bis Ende der 60er Jahre wurden Ziele des Plans, seiner Funktionsweise und kleinformatige Ausgaben von westdeutschen durch die materiellen Tatsachen, auf die zum Zeitungen in Auflagen bis zu 600 000 per Ballon Beispiel die Schilder >>Hier hilft der Marshall­ in die DDR geschickt. Auf dem gleichen Wege Plan« überall hinwiesen. Mit der annähernden gelangten Soldatenzeitungen der DDR in einer Realisierung der Konsumbedürfnisse in West­ Auflagenhöhe von bis zu 65 000 Exemplaren an deutschland wirkten diese Werbe- und Informa­ die Angehörigen der Bundeswehr in den grenz­ tionsmaßnahmen auch im Sinne einer politi­ nahen Gebieten. Gerade an diesem Beispiel schen Stabilisierung. Die Mentalität der Bevölke• wird erkennbar, wie schwierig es ist, die bloße rung war von den Amerikanern richtig einge­ Vermittlung von Informationen von der Propa­ schätzt worden. Anspruch und Realität klafften ganda zu trennen. Unter dem Vorwand, die beim Marshall-Plan daher nicht auseinander. Er jeweilige Bevölkerung besser und umfassender kann als solcher als die vielleicht erfolgreichste zu informieren, wurden mit Hilfe dieser Ballonak­ amerikanische Werbemaßnahme seit 1945 an­ tionen die Stärken des eigenen politischen gesehen werden. Miszellen 59

Weitaus weniger Erfolg hatte die US-Propa­ »Perspektiven der Medien- und ganda gegen die DDR zu Beginn der 50er Jahre. Kommunikationswissenschaften« wie der Politikwissenschaftler Christian Oster­ 10 Jahre Sonderforschungsbereich mann. Washington. in seinem Referat »Amerika­ nische Propaganda gegen die DDR. Eine Fall­ »Bildschirmmedien« studie zur US-Informationspolitik im Kalten Krieg« aufzeigte. Die zentral koordinierte ameri­ Ende 1995 bestand der von der Deutschen For­ kanische Propaganda gegen die nicht durch freie schungsgemeinschaft (DFG) geförderte Sender­ Wahlen legitimierte Regierung in Ost-Berlin sollte forschungsbereich »Bildschirmmedien« an der letztendlich die sowjetische Herrschaft in Ost­ Universität/Gesamthochschule Siegen zehn deutschland untergraben. Der Einsatz des Jahre. Aus diesem Anlaß fand am 11 . und 12. eigenen Senders RIAS in West-Berlin war das Dezember 1995 in Siegen dessen Jahrestagung wichtigste Mittel, um den vermeintlichen Antago­ statt - dieses Mal unter der Überschrift »Per­ nismus zwischen der DDR-Bevölkerung und spektiven der Medien- und Kommunikationswis­ ihrer Regierung zu verstärken. Nach den Ereig­ sens cn aften« . Man kam zusammen, um einer­ nissen vom 17. Juni 1953 wurden zum Beispiel seits Bilanz zu ziehen und andererseits darüber in West-Berlin Lebensmittelpakete an DDR­ nachzudenken. wie der Ertrag des Forschungs­ Bürger verteilt, die sogenannten Eisenhower­ zusammenhangs und möglicherweise auch sei­ Pakete. Aufgrund der eingeleiteten Reformmaß• ne In frastruktur oder Teile von ihr, in der Zukunft nahmen in der DDR und zunehmender Kritik in weiter fruchtbar gemacht werden könnten . der Bundesrepublik und sogar in den USA Zur Eröffnung der Tagung hielten der derzei­ zeitigte die amerikanische Propaganda jedoch tige Sprecher eines der größten Sonderfor­ nicht den gewünschten Erfolg. ln Amerika setzte schungsbereiche der DFG, Helmut Schanze, sich im Laufe der 50er Jahre die Erkenntnis Siegen, und der Initiator des Unternehmens wie durch, daß sich die ostdeutsche Bevölkerung mit sein erster Sprecher, Helmut Kreuzer, Siegen. dem Status quo abgefunden habe. Rückschau auf die vergangenen zehn Jahre - Ergebnis der durch inhaltliche Vielfalt und ei­ aber im Kern war die Tagung zukunftsorientiert. ne gute Organisation gekennzeichneten Tagung Dabei wurden zwei im Sonderforschungsbereich war eine Antwort auf die Frage nach den Formen kontrovers diskutierte Problemstellungen sicht­ und Zielen der Politikpropaganda in Deutschland bar: Die Ansichten gehen darüber auseinander. seit dem 19. Jahrhundert. Es wurde deutlich, ob nach dem Auslaufen der letzten Bewilli­ daß Erfolg oder Mißerfolg der Propaganda je­ gungsperiode Ende 1997 ein neuer, auf dem al­ weils von mehreren Faktoren abhängt: vom Ein­ ten aufbauender Sonderforschungsbereich be­ satz moderner Medien, auch begünstigt durch antragt werden oder mit nachgelagerten Projek­ die Technisierung des Alltags; von der Überein• ten und Abwicklungsarbeiten das Unternehmen stimmung des proklamierten Anspruches mit den endgültig abgeschlossen werden solle. ln engem erfahrbaren Alltagsrealitäten im jeweiligen politi­ Zusammenhang damit stand auch die Frage, schen System; von der richtigen Einschätzung inwieweit die den Sonderforschungsbereich fast von Stimmungen und Befindlichkeit der Zielgrup­ ausnahmslos tragende Medienphilologie bereits pen. Erstaunlich war. daß die Propagandisten in in der Vergangenheit den Herausforderungen Ost und West sich vielfach der gleichen Mittel des Gegenstandes gewachsen war. Diskutiert bedienten , um ihren Botschaften eine möglichst wurde auch, inwieweit das Fortschreiten der breite Wirkung zu verschaffen. Diese Wirkung zu Medienentwicklung nicht neuer Konzepte in For­ untersuchen ist Aufgabe der Mitarbeiter im Pro­ schung und Lehre und einer viel konsequenteren jekt »Propagandageschichte«. Die theoretischen Ausrichtung auf andere Wissenschaften hin Grundlagen von Propaganda bleiben jedoch wei­ sowie einer noch konsequenter praktizierten ln­ terhin ein Desiderat in Forschung und Lehre. terdisziplinarität bedürften. Schanze räumte in Methoden der »Oral History« zur Rezeptionsge­ seinem Eingangsstatement ein, daß sich für je­ schichte von Propaganda scheinen zusätzlich dermann ersichtlich die Rahmenbedingungen notwendig, um zu einer Geschichte der Massen­ seit 1985 wesentlich verändert hätten. Einmal sei beeinflussung in Deutschland zu gelangen. an die durchaus folgenreiche Etablierung des Das Colloquium wird in einem Band doku­ dualen Rundfunksystems in Deutschland zu mentiert. welcher noch 1996 in der Wissen­ denken; noch einschneidender sei aber die mit schaftlichen Buchgesellschaft in Darmstadt er­ der Digitalisierung der elektronischen Medien scheinen soll. einhergehende Veränderung der Medienland­ Jürgen Zieher, Ladenburg schaft Es zeichne sich ab, daß weltweite Netz­ verbünde und die vielbeschworene Interaktivität dazu beitragen könnten. die klassischen Pro­ grammedien zum Verschwinden zu bringen . 60 Rundfunk und Geschichte 22 (1996)

Schanze ließ anklingen, daß auf jeden Fall neue broso, der mit Hilfe von Vermaßung und Rubri­ Bezugsfelder in universitärer Forschung und zierung alles Lebenden - auch des Menschen Lehre für eine künftige, wie auch immer im und seiner Hervorbringungen - die Weit in den einzelnen zu organisierende Medienwissenschaft Griff zu bekommen suchte und damit alles Unbe­ oder einen »Fachbereich Medien« bestünden. rechenbare, Abseitige als nichtexistent habe Studienabsolventen könnten sich für eine ausschließen wollen. Dem stellte Zielinski das wissenschaftliche Begleitforschung qualifizieren, ästhetische Ideal der »Heterologie« vor, das die sich als Instrument beispielsweise der Sammeln und die Weitergabe ästhetisch vermit­ Politikberatung jedoch mehr Gehör verschaffen telter Erfahrungen des Am-Rande-Liegenden, müsse. Einen Bedarf an Vermittlung medienwis­ Nicht-lntegrierbaren, wie es z. B. Georges Ba­ senschaftlicher Erkenntnisse gebe es mehr denn taille, Carl Einstein und Michel Leiris beschrieben je in zahlreichen pädagogischen Berufen . Auch hätten. Mit einem allzu kühnen Sprung - wie dem das Stellenangebot im sich ausweitenden Medi­ Berichterstatter schien - in die Weit der digi­ enmarkt, dessen Konturen ja bereits sichtbar talisierten Kommunikationsmedien formulierte würden, sollte natürlich nicht ohne Rückwirkung Zielinski die Sorge, daß die Arbeitsweise der auf die Konzeption einer künftigen Medienwis­ Maschinen - der vernetzten Rechner - letzten senschaft und vor allem die differenzierte Aus­ Endes nur das passieren ließe, was sich den gestaltung einzelner Studiengänge bleiben . Regeln der Baaleschen Logik anpasse und an­ Kreuzer schilderte in einem knappen Überblick dere Erfahrungen nicht zuließe: Ortsgebunde­ die verschlungenen Wege, die zur Einrichtung nes, Leidenschaft, Leere, Tod. Es bestehe die des Sonderforschungsbereichs in der ersten Gefahr, daß schließlich nur noch den Ge­ Hälfte der 80er Jahre an der noch relativ jungen brauchswertversprechen der universalen digita­ Siegener Universität führten , nachdem ein len Netze vertraut werde und damit Formen des vergleichbarer Forschungsschwerpunkt sich in Wissens und des Erlebens, die durch sie vermit­ Tübingen nicht etablieren ließ. telbar seien. Ganz zukunftsorientiert forderte dann Christi­ Der Informatiker Wolfgang Coy, Bremen, be­ an W. Thomsen, Siegen, in seinem Vortrag von schäftigte sich in seinem Vortrag »Bildschirmme­ künftig an deutschen Hochschulen einzurichten­ dium Internet. Thesen zu zwei kulturellen den »Media Studies« strikten Praxisbezug und Paradigmen im Zeitalter der Digitalisierung« mit konsequente lnterdisziplinarität. Dazu besäßen - der Frage, inwieweit die klassischen Kommuni­ so seine Überzeugung - insbesondere Geistes­ kationsmedien durch die miteinander vernetzten wissenschaftler gute Voraussetzungen, da bei­ Rechner sich quasi auflösten und in eine neue des von ihnen immer wieder abverlangt worden Struktur eingingen. Im Netz würden nämlich die sei und abverlangt werde. Dabei dürfe man je­ Medien der Individualkommunikation wie Brief­ doch nicht stehen bleiben. Die fortschreitende post, Telefon, Fax etc. mit denen der Massen­ mediale Inszenierung des Alltags, die zuneh­ kommunikation wie Flugschrift, Buch , Zeitung, mende Vermischung von Funktionalität und Hörfunk und Fernsehen verbunden. Zerstreuung Design etwa in der Architektur lasse in Zukunft und Unterhaltung, Information und Werbung isolierte Vergehensweisen von Einzeldisziplinen seien künftig in den unterschiedlichsten Konfigu­ überhaupt nicht mehr zu . So könne man in einer ration und Mischungen denkbar. Im übrigen wies künftigen Medienwissenschaft nicht auf engste Coy darauf hin, daß die im Netz angebotenen Kooperation mit Informatikern, Soziologen, Öko• Wissensbestände als »Ware« anzusehen seien . nomen, Juristen usw. verzichten. Thomsen erin­ Deren Nutzung und die Zugriffsberechtigung auf nerte an die beispielsweise tarifrechtliehen Fol­ sie müßten im nationalen wie internationalen gen neuer Medientechnologien, etwa wenn Maßstab geregelt werden, wolle man nicht sich Spracherkennungssysteme die Umwandlung des naturwüchsig etablierenden Strukturen das Wort gesprochenen Wortes in Textverarbeitungssyste­ reden . me ermöglichten. Wissenschaftliche Forschung, Die anwesenden Publizistik- und Kommuni­ Ausbildung und Fortbildung in den Medienberu­ kationswissenschaftler beurteilten die Auswir­ fen müßten viel enger aufeinander abgestimmt kungen der sich abzeichnenden Entwicklungen werden. auf ihr Fach bzw. die Perspektiven für eine künf• Das von Thomsen angedeutete Zukunftss­ tig breiter angelegte Medienwissenschaft vor­ zenarium wurde anschließend in weiteren Bei­ sichtiger. Jürgen Wilke, Mainz, artikulierte nicht trägen konkretisiert. Siegtried Zielinski von der nur Unbehagen gegenüber den Thesen von Zie­ Hochschule für Medienkunst in Köln verglich die linski, sondern wollte auch in Richtung einer ver­ Allgegenwart digitalisiert vermittelter Kommuni­ stärkten lnterdisziplinarität nicht so schnell die kation - im weitesten Sinne des Wortes - mit dem mühsam errungenen Standards der Publizistik­ hemmungslosen Positivismus des im 19 Jahr­ und Kommunikationswissenschaft - wie er es hundert lebenden Turiner Arztes Caesare Lam- formulierte - zugunsten von sich nur in vagen Miszellen 61

Umrissen abzeichnenden »Media Studies« auf­ um Organisationsformen politischer Kommunika­ geben. Andererseits wurde jedoch in dem Bei­ tion bemühten Publizistikwissenschaft. Anderer­ trag von William Uricchio, Utrecht, aus Sicht ei­ seits kann festgehalten werden, daß es gerade nes Filmwissenschaftlers wieder einmal deutlich, diese Hauptdimensionen waren, die die »Siege­ daß die Trennung zwischen einer eher kulturwis­ ner« in ihren Arbeiten oft vernachlässigten und senschaftlich orientierten Produktanalyse und diese darin eine notwendige Ergänzung fänden, einer empirisch-analytischen Fernseh- (Zuschau­ die manchen Befund besser erklärten. er-)Forschung auch in den Vereinigten Staaten Richard Münch, Bamberg, referierte unmittel­ dazu führt, daß jeweils ganze Untersuchungs­ bar vor der Podiumsdiskussion über die »Per­ felder ausgeblendet werden, die eigentlich für spektiven einer künftigen Medienforschung«, eine umfassende Analyse und Interpretation von während der sich die derzeit im Sonderfor­ Produktion und Rezeption des Films und des schungsbereich besonders engagierte Genera­ Fernsehen unerläßlich wären: Die einen be­ tion jüngerer Wissenschaftler äußerten, über schäftigten sich im wesentlichen mit dem Publi­ »Die dynamische(n) Prozesse der öffentlichen kum ohne den Zusammenhang von Publikums­ Kommunikation«. Diese Plazierung war in ge­ interesse und angebotenen Inhalten ausreichend wisser Weise kontraproduktiv, weil die Thesen beschreiben zu können, die anderen analysier­ des Vortrags zu stark die Diskussionen des ten detailliert die Angebote und betrachteten das Vormittags beherrschten, obwohl diese nur einen Publikumsinteresse jedoch lediglich als abstrakt relativ kleinen Ausschnitt der Gesamtthematik bleibende Chiffre. Leider blieben die ja auch für repräsentierten . Münchs Aussage lautete: Der den deutschsprachigen Raum beschreibbaren Trend zur medialen Inszenierung des öffent• Folgen dieser Trennung zwischen den beiden lichen Lebens verstärke sich, mit der Folge, daß Forschungsrichtungen weitgehend unerörtert. immer häufiger Ereignisse erzeugt würden und Doch räumte der Publizistikwissenschaftler Wolf­ die an »realen« Ereignissen orientierte Berichter­ gang Langenbucher, Wien, durchaus Defizite der stattung beginne sich aufzulösen. Das führe weitgehend empirisch-analytisch arbeitenden auch zu einer qualitativen Veränderung der Publizistik- und Kommunikationswissenschaft im Politik und Dysfunktionalisierung des politischen deutschsprachigen Raum ein und sprach aus­ und des Kommunikationssystems. Ein ähnlicher drücklich an, daß diese es versäumt habe, sich Vorgang sei in der Wirtschaft zu beobachten, in mit Formen und Inhalten des Fernsehangebots, der die von realen Warenströmen gelöste inter­ soweit es nicht einzelne sehr umgrenzte Felder nationale Finanzspekulation die regionalen Märk• wie die politische Kommunikation beträfe, aus­ te destabilisiere. Der systemtheoretisch inspirier­ einanderzusetzen: Dieses Feld habe man in der te Ansatz der »Selbstreferentialität« der Medien, Tat der Medienphilologie überlassen. Immerhin, der durchaus einen Trend in der Fernsehent­ ein erster Schritt aufeinander zu wurde jedoch wicklung beschreibt ohne diese in toto erklären durch die Anwesenheit mehrerer Publizistik- und zu können, schien sich auch im Vortrag von Kommunikationswissenschaftler und ihre Mei­ Münch zu verselbständigen, ohne daß mit ihm nungsäußerungen getan. erschöpfend das Ineinander von »wirklicher« ln diesem Sinne war auch der Vortrag von Wirklichkeit und medialer vermittelter Wirklichkeit Ulrich Saxer, Zürich, zu verstehen. Er näherte - und dazu in verschiedenen Kommunikations­ sich mit einem wissenschaftstheoretischen Be­ medien - zureichend beschrieben werden könne, griffsinstrumentarium der Frage, wie eine mehre­ wie Saxer an einigen Beispielen aufzeigte. Die re Fächer in sich integrierende »Medienwissen­ Auseinandersetzung darüber überlagerte leider schaft« aussehen müsse. Er warnte davor, daß mehr als notwendig die Schlußdiskussion. eine lediglich verbale Integration leere Ver­ ln ihr wurden noch einmal zahlreiche auf der bundenheit hervorrufe, ein zu hoher Komplexi­ Tagung häufig angesprochene Fragen themati­ täts- bzw. Integrationsgrad jedoch zu viele Pro­ siert, z. B. inwieweit ein neues Fach den verän• blemstellungen ausblende. Sein medienwissen­ derten Bedingungen gerecht werden könne bzw. schaftliches Konzept in seiner allgemeinsten müsse. Es wurde das Spannungsverhältnis dis­ Formulierung »Medien sind komplexe institutio­ kutiert zwischen notwendigerweise rückwärts• nalisierte Systeme um organisierte Kommunika­ gewandter historischer Analyse und prognose­ tionskanäle von spezifischem Leistungsvermö• fähiger wissenschaftlicher Begleitforschung, die gen« konnte noch jegliche Form medial angesichts von durchaus als bedrohlich empfun­ vermittelter Kommunikation umgreifen . Seine denen Entwicklungen vonnöten sei. Es müsse acht Hauptdimensionen: »Systemhaftigkeit, ln­ aber auch - wie Langenbucher es formulierte - termedialität, Technizität, Organisiertheit, Funk­ das »Netz« als Chiffre für alles Negative in der tionalität, lnstitutionalisiertheit, Medienwandel medialen Zukunft »entmythologisiert« werden. und Mediengesellschaft« orientierten sich jedoch Insgesamt litt das Verständnis der Diskussion für wieder stark an dem klassischen Modell einer den »Außenstehenden« etwas darunter, daß der 62 Rundfunk und Geschichte 22 (1996) den einzelnen Beiträgen inhärente Kontext inter­ in gemeinsame Vorhaben mit Rundfunkhistori­ ner Kontroversen und Auseinandersetzungen kerinnen eingebracht werden, um historische des Sonderforschungsbereichs sich nicht immer Programmüberlieferungen aufzubereiten. Dieses leicht erschloß. Es blieb auch am Schluß offen, Projekt »Programm- und Rezeptionsgeschich­ ob die unterschiedlichen Zugangsweisen zum te/Baden-Baden« baut dabei zunächst auf dem Gegenstand bzw. die neuen Anforderungen an systematischen Wissen der bisher beteiligten Praxisfelder der künftigen Studienabsolventen Wissenschaftler auf. Auf diese Weise fließt Kom­ eine Integrationswissenschaft erfordern, ver­ petenz aus den Fachrichtungen Rundfunkge­ gleichbar dem Spannungsverhältnis der einzel­ schichte, Rezeptionsforschung und Programm­ nen Philaiegien und der Querschnittwissensch­ analyse in einem einzigen Vorhaben zusammen. aft: allgemeine und vergleichende Literaturwiss­ Das Projekt wird, so eine erste Skizze, sich enschaft, wie es Kreuzer noch einmal aus der schwerpunktmäßig mit vier Themenbereichen Tradition der den Sonderforschungsbereich prä• befassen: genden Philaiegien formulierte. Es wäre auf je­ - der Programmentwicklung im Bereich Fern­ den Fall wünschenswert, daß das in Siegen be­ sehen; gonnenen Gespräch über die Grenzen der ein­ - der Programmentwicklung im Bereich Hör• zelnen um Kommunikation und Medien sich be­ funk; mühenden Fächer hinweg fortgesetzt würde. - der Rezeptionsentwicklung im Bereich Fern­ Edgar Lersch, Stuttgart sehen und - der Entwicklung der quantitativen Nutzung und der situativen Bedingungen der Hörfunkre• Programm- und Rezeptionsgeschichte zeption. des Rundfunks Dies ist zunächst nur die Beschreibung der relevanten Themenfelder. Es wäre vermessen Ein Projekt des Südwestfunks anzunehmen, daß in einem einzigen Projekt diese Vorhaben angepackt und zu einem befrie­ Wenn heute von Rundfunkgeschichte die Rede digenden Ende geführt werden könnten. Gleich­ ist, wird darunter trotz aller Diskussionen über wohl läßt sich eine vorläufige, systematisch auf­ die Notwendigkeit eines breiteren Verständnis• gebaute Forschungsstrategie entwerfen, die den ses vor allem Organisationsgeschichte der pro­ Wandel der Inhalte und der Rezeptionsweisen grammproduzierenden Institutionen verstanden. des Rundfunks beschreibt und in ihren Voraus­ Daran ändert auch eine mittlerweile nicht uner­ setzungen und Ursachen analysiert. Insbesonde­ hebliche Zahl an Projekten aus den anderen Be­ re die Fragen der Nutzung machen die Anwen­ reichen der Rundfunkgeschichte (z.B. Studien zu dung von sozialwissenschaftliehen Arbeitsme­ einzelnen Aspekten der Programmgeschichte) thoden notwendig: Rezeption läßt sich nach so­ wenig. Dieser Befund ist nicht neu. Dementspre­ ziodemographischen Merkmalen aufschlüsseln, chend sind nach wie vor massive Defizite vor beim Hörfunk zusätzlich der situative Kontext der allem bei der Rezeptionsgeschichte zu beklagen. Nutzung einbeziehen. Auch die Kenntnisse zur Gleichzeitig ist eine andere Entwicklung in einem Programmstrukturgeschichte des Rundfunks benachbarten Forschungszweig festzustellen. können durch das Projekt gefördert werden. Ne­ Die häufig in den öffentlich-rechtlichen Rund­ ben den klassischen Fragen nach den Anteilen funkanstalten als »Medienforschung« bezeichne­ von Wort- und Musikbeiträgen, Programmfunk­ ten Abteilungen, die sich in erster Linie mit dem tionen und thematischer Zusammensetzung in- . Umfang der Rundfunknutzung, in jüngerer Zeit teressieren mehr und mehr der Wandel der Mo­ jedoch auch mit der Programmforschung be­ derationsstile, der Zuschaueradressierung, der schäftigen, erheben seit nunmehr fünf bis zehn Programmpräsentation, der Hörerbeteiligung u.ä. Jahren in erheblichem Maße Daten, die zumin­ Der Standort Baden-Baden als Kristallisati­ dest für die 90er Jahre Material für eine künftig onspunkt des Projekts ist dabei kein Zufall. integrierte Betrachtung von Programmangebot Durch die enge Kooperation der Projekts mit und Medienrezeption in der Rundfunkhistorio­ dem Südwestfunk steht das methodische Wissen graphie bereitstellen. zweier Fachabteilungen (Medienforschung und Historisches Archiv) zur Verfügung. Außerdem Initiativen zur Programm­ ist für dieses wissenschaftliche Projekt der Zu­ und Rezeptionsgeschichte gang zu dem im Südwestfunk entwickelten Ver­ Auf dem Hintergrund dieser Ausgangslage hat fahren der Hörfunk- und Fernsehprogramm­ ein kleiner Arbeitskreis mit Standort Baden-Ba­ analyse gewährt. den seit Mitte September 1995 folgendes Vorha­ Im Studienkreis Rundfunk und Geschichte ist ben in Angriff genommen: Kenntnisse der aktuel­ das Projekt in die neu eingerichtete Fachgruppe len Programm- und Rezeptionsforschung sollen »Rezeptionsgeschichte« eingebettet, die sich Miszellen 63 den Problemen der Medienrezeption in Vergan­ Bänder zu wechseln. Hinzu kommen Material­ genheit und Gegenwart widmet. Die Ergebnisse und Lagerungskosten. Gleichwohl kann mit Hilfe des Projekts sollen auch dort jeweils vorgestellt dieser Mitschnitte die tatsächliche Abfolge von und diskutiert werden. Sendungen und ihre Verknüpfungen in Gänze verfolgt werden . Dies bringt einen erheblichen, Untersuchungsmaterial hoch einzuschätzenden Gewinn nicht nur für die historische und empirische Rundfunkforschung, Um Programmentwicklungen in Hörfunk und sondern kann auch für die Rundfunkanstalten Fernsehen aufzuarbeiten, wird als erstes eine selbst von erheblichem Nutzen sein. Darauf hat Dokumentation der in den Rundfunkarchiven Winfried B. Lerg innerhalb und außerhalb des oder bei anderen Einrichtungen vorhandenen Studienkreises Rundfunk und Geschichte in den Programmitschnitte erstellt: eine entsprechende ?Oer und 80er Jahren häufiger hingewiesen.3 Umfrage lauft bereits. Oie Untersuchung von Mitschnitte, die eine Aufzeichnungsdauer von Programminhalten soll möglichst von großflächig mindestens einem Tag haben, sind aus mehre­ aufgezeichneten Programmdokumenten ausge­ ren Gründen nur in gr~ ringem Umfang vorhan­ hen , die den Programmablauf eines ganzen den . Dies hat folgende Ursachen: Tages oder einer ganzen Woche wiedergeb.en. - Die Rundfunkanstalten zeichneten selten den Für spezielle Betrachtungen (z.B. der Entwick­ Programmablauf eines kompletten Tages auf. lung der Fernsehprogramme) sollen einzelne - Sofern sie - wie das ZDF - doch das Gesamt­ Sendungen wie Nachrichten, politische Magazi­ programm mitschneiden , heben sie es aus Ka­ ne oder aus aktuellem Anlaß in das Programm pazitätsgründen allenfalls für eine kurze Frist von genommene Features detailliert analysiert wer­ ein paar Wochen auf. den . Über die audiovisuell belegten Programm­ - Hörfunkmitschnitte aus den frühen 70er Jah­ strecken hinaus kann, falls nötig, auch auf die ren liegen nur auf Speichermedien älteren Zu­ rundfunkhistorische Rekonstruktionstechnik der schnitts, z.B . als sogenannte Assmann-Mit­ »quantitativen Sekundäranalyse« zurückgegrif• schnitte vor,4 die mit der heutigen Abspieltechnik fen werden, die sich auf archivierte Schriftstücke, nur noch mit beträchtlichem Aufwand abgehört wie Sendemanuskripte, Protokolle, Programm­ werden können . zeitschriften, interne Papiere und andere Quellen - Stichtagmitschnitte, wie der ARD-weite für stützt.1 Daß sich das Projekt primar auf alle Hörfunk- und Fernsehprogramme aufge­ inhaltsanalytisch zu untersuchende Programm­ zeichnete 28. September 1989, sind bis heute aufzeichnungen konzentriert, bedeutet innerhalb leider singulare Ereignisse geblieben, obwohl sie seines Kontextes nicht, die klassischen Quellen bleibenden zeitgeschichtlichen Wert besitzen. der Programmgeschichtsforschung ersetzen zu Nach dem aktuellen Stand der Recherche zu wollen, die überwiegend mit verschriftlichten Fernsehmitschnitten liegen die größten Bestände Dokumenten arbeitet. Diese soll vielmehr durch beim Institut für empirische Medienforschung quantitative bzw. empirisch-analytische Verfah­ (IFEM) in Köln, das seit 1985 jährliche Pr~­ ren erganzt werden. Mit anderen Worten: »So­ grammerhebungen durchführt: Anfangs wurde Je fern überlieferte Aufzeichnungen in methodisch eine Untersuchungswoche, spater - seit 1989 - erforderlichen Arten und Umfängen vorhanden dann vier Wochen je Programmanbieter mitge­ sind« ,2 sollen diese auch zur Einordnung publi­ schnitten. Gegenwartig werden pro Jahr mehr zistischer Leistungen der Programme herange­ als 20 Programme jeweils aufgezeichnet. Eben­ zogen werden . Für den Fall, das »nur« sekun­ falls in großem Umfang haben seit Mitte der 80er däre Quellen vorliegen, können diese immerhin Jahre Universitaten und private Forschungsinsti­ noch zur Rekonstruktion der Vermittlungsstruktur tute für die Begleitforschung zu den Kabelpilot­ der Rundfunkmedien dienen. projekten Fernsehprogramme mitgeschnitten. Leider wurde das meiste wieder gelöscht oder Suche nach Quellenmaterialien die Bander wieder überspielt, teils aus Kosten­ Eines der Hauptprobleme des Projekts besteht gründen, teils, weil man den Wert solcher Doku­ darin, weiter zurückliegende und/oder möglichst mente nicht richtig einschatzte, so daß heute d1e zusammenhängende Programmstrecken der damals analysierten Programmwochen nur noch Programmanbieter in den Archiven aufzuspüren. fragmentarisch vorliegen. Als Katalysator für die Diese Schwierigkeit hat mehrere Ursachen. Zum empirische Programmforschung und damit für einen sind Mitschnitte von größeren Programm­ systematisch betriebene Aufzeichnungen ~ungie­ strecken sowohl zeit- als auch kosten- bzw. per­ ren auch die Landesmedienanstalten, d1e se1t sonalaufwendig . Um einen einigermaßen 1988 in unterschiedlichem Umfang Geld für Pro­ brauchbaren Umfang zu erreichen , muß Perso­ grammforschung - bislang insgesamt 40 Projekte nal rund um die Uhr zur Verfügung stehen, um - bereitstellen.S Unter dem Strich bleibt die Er­ die Aufnahme zu programmieren und um die kenntnis . daß - bezogen auf das Fernsehen - 64 Rundfunk und Geschichte 22 (1996)

Aufzeichnungen von längeren Programmstrek­ von Untersuchungen der Programmstruktur ken erst etwa mit dem Beginn des dualen Rund­ näher beschrieben werden. funksystems in nennenswertem Umfang vorhan­ Im Hörfunk interessieren neben Veränderun• den sind. Für den Hörfunk sieht die vorläufige gen von Inhalt und Präsentation vor allem die Bilanz insofern besser aus, als die Tagesmit­ Programmtreue der Hörer und situative Faktoren schnitte, für die in diesem Fall die Rundfunk­ der Rezeption. Auch der intermediäre Vergleich, anstalten selbst verantwortlich zeichnen, bis in der unterschiedliche Stellenwert beider Rund­ die frühen 70er Jahre reichen . Insbesondere die funkmedien verdient Beachtung. Eine interes­ seit 1973 jährlich an einem Stichtag aufgezeich­ sante Fragestellung ist auch, inwieweit Verände• neten Programmdokumente des Westdeutschen rungen der Strukturen und Inhalte, der Formate Rundfunks weisen kaum Lücken auf. und Präsentationsstile, die sich ja den Rezepti­ Parallel zur Recherche nach audiovisuellen onsgewohnheiten des Publikums anpassen, die Programmdokumentationen läuft eine Erhebung Zuwendung der Nutzer zu Hörfunk oder Fernse­ der heute noch sekundäranalytisch auswertba­ hen steuerten und steuern. Lassen sich etwa ren Materialien zur Hörfunk- und Fernsehnut­ auch Funktionsverschiebungen der Medien er­ zung. »Nutzung« ist dabei ein Synonym für alle kennen? Die Einstellung der Bevölkerung gegen­ Daten, die zur Bewertung des Umgangs mit ei­ über dem Fernsehen bzw. dem Hörfunk, also zu nem Medium notwendig sind, also von quantita­ deren Leistungen, Funktionen und deren Images tiven bis hin zu qualitativen Datenbeständen. können mit Hilfe vorhandener Umfrageergebnis­ se belegt werden, wie sie in der Langzeitstudie Erkenntnisinteressen »Massenkommunikation« periodisch ermittelt bzw. aus dem Datenmaterial erarbeitet wurden . Das Unternehmen zur historischen Programm­ Deren zwischen 1964 und 1995 gelegte sieben analyse und Nutzungsforschung legt sich zu­ Zeitschnitte könnten idealiter auch die Phasen nächst bewußt keine zeitlichen, sachlichen und sein, innerhalb derer Untersuchungen auf ande­ inhaltlichen Beschränkungen auf, indem es etwa ren relevanten Feldern angestellt werden sollten. a priori Forschungsfragen auf einzelne Pro­ Dies ist allerdings auch abhängig von den end­ grammanbieter, Zeiträume und das Aufkommen gültigen Ergebnissen der Recherchen nach den bestimmter Programmformen reduziert, die das noch vorhandenen Programmitschnitten. Erkenntnisinteresse determinieren könnten. Ge­ nausowenig wartet es mit einer allumfassenden Geplante methodische Vergehensweise Generalhypothese auf. Das Projekt hat vielmehr den Charakter einer explorativen Studie, die den Entsprechend der vorgestellten Systematik von Gesamtrahmen dessen abstecken könnte, was vier Forschungsfeldern: Inhalt und Nutzung, mit Hilfe integrierter Programm- und Nutzungs­ Hörfunk und Fernsehen bedarf es einer Metho­ forschung an Fragestellungen entwickelt und be­ dik, die alle Dimensionen des Projekts bearbei­ antwortet werden könnte. Es möchte ein Sam­ ten kann. Als Instrumente zur Untersuchung der melbecken jedoch nicht nur für historisch rele­ Rundfunkangebote dienen Programmanalysen, vante Fragestellungen sein. Mit Blick auf das die programmstrukturelle Faktoren und inhalts­ Fernsehen läßt sich z.B. die vieldiskutierte These analytische Aspekte umfassen. Das dazu nötige einer Konvergenz der Systeme prüfen bzw. der methodische Know-how, die Apparate sowie die häufig unterstellte Wandel vom Informations­ Analyseerfahrungen sind, wie erwähnt, in einer zum Unterhaltungsmedium betrachten. Dieser Hand, d.h. in der Abteilung Medienforschung des Wandel kann aus mindestens drei Perspektiven Südwestfunks versammelt. analysiert werden: zum einen aus der Sicht der Für den Hörfunk kann die etablierte Pro­ Erwartungen und Bedürfnisse der Zuschauer, grammanalyse »Radio-Coder«, die Radioerhe­ zum anderen in bezug auf das tatsächliche Ein­ bung der ARD, genutzt werden, in deren Erhe­ schalt- bzw. Rezeptionsverhalten der Zuschauer bungspool auch eine Vielzahl privater Hörfunk• und schließlich mit Hilfe einer Analyse der Inhal­ programme eingeht. 1995 wurden am 28. No­ te der Programme selbst. Als weitere Bezugs­ vember über 73 Sender mitgeschnitten, für 60 ebene können auch die einschlägigen Aussagen von ihnen liegt ein Analyseauftrag vor. Mit der der Programmverantwortlichen in den vergange­ Programmanalyse können die Programmbe­ nen Jahrzehnten untersucht werden. Zuschau­ standteile Musik, Information, Moderation, Un­ ererwartungen und -bewertungen lassen sich un­ terhaltung, Service, Jingle und Werbung sekun­ ter anderem mit Hilfe der Langzeitstudie »Mas­ dengenau identifiziert werden. Auf diesem Wege senkommunikation« ermitteln, die Akzeptanz lassen sich beispielsweise in einem Längsschnitt wurde mittels kontinuierlicher Zuschauerfor­ Strukturveränderungen hinsichtlich der Anteile schung erhoben, und das Angebot kann mit Hilfe von Wort- und Musikbeiträgen nachvollziehen Über die strukturelle Verteilung der Programm- Miszellen 65 gattungen hinaus ermöglicht das Verfahren im komplexe Filterführung bei der Variablenabfolge, Prinzip auch Analysen, die bis in die Syntax der die wichtige inhaltliche Merkmale, wie die Nachrichtensprache eindringen . Mit Hilfe eines Programmfunktion, losgelöst von der subjektiven computergestützten Verfahrens werden die auf­ Entscheidung des Codierers eruiert. Ob ein Pro­ gezeichneten VHS-Bänder zur Sekundengenau­ grammbeitrag aus einem vermeintlichen Infor­ en Codierung mit einem Time-Code belegt. Auch mationsmagazin das Etikett »Information« erhält, die Codierung selbst wird in der Weise von der entscheidet nicht mehr die bloße Zugehörigkeit vorhandenen Software unterstützt, daß per zu einer bestimmten Sendungsform. Statt des­ Mausecliek die entsprechend standardisierten sen wird über die logische Verknüpfung qualitati­ Kategorien der Variablen angewählt werden kön• ver Variablen wie Thema. Handlungsträger, Prä• nen. Die auf diese Weise entstandenen Daten­ sentation und Bearbeitungsniveau erst als ab­ sätze werden in eine Datenbank eingespeist, die hängiges Ergebnis - gleichsam a posteriori - eine sender- und zeitbezogene Auswertungen zuläßt. Funktionszuweisung vorgenommen. So wird der in einer Pilotstudie wurde das aktuelle Analyse­ einzelne Codierer von der Last einer ebenso instrument auf seine Praktikabilität hinsichtlich diffizilen wie folgenreichen Entscheidung ent­ älteren Materials - in diesem Fall eines Mit­ bunden, die, sofern sie unabhängig und a priori schnitts des WDR 2-Morgenmagazins aus dem getroffen wird , meist intersubjektiv schwer nach­ Jahre 1978 - mit positivem Ergebnis geprüft. vollziehbar ist. Der TV-Coder wird noch 1996 Ohne den Rückgriff auf dokumentiertes Origi­ zum Einsatz kommen und computergestützt die nalmaterial läßt sich für die Fernsehprogramm­ Zuspielung von Fernsehnutzungsdaten ermögli• forschung die Methode der TV-Spartencodierung chen. einsetzen, die der Südwestfunk stellvertretend Was verschiedene Längsschnitte angeht, die für das Erste Fernsehprogramm, die acht dritten den Wandel der Hörfunk - bzw. der Fernsehre­ Fernsehprogramme und 3sat durchführt. Der zeption belegen , so kann auf die Tageslauferhe­ Codeplan wird - unter ständiger Modifizierung - bungen zur Radionutzung (seit 1968: Infratest seit 1992 zur kontinuierlichen , das heißt tägli• und MediaAnalyse) und die kontinuierliche Fern­ chen Rubrizierung und Analyse von Fernseh­ sehnutzungsforschung (seit 1963: lnfratam, Ieie­ sendungen genutzt. Die Spartencodierung er­ skopie und GfK-Fernsehforschung) zurückge• laubt es, alle Fernsehsendungen nach einem griffen werden. Die Verfahren der Hörfunk- und bestimmten hierarchisierten Klassifizierungssy­ Fernsehnutzungsforschung arbeiten mit sehr un­ stem den Sparten Information, Sport, Unterhal­ terschiedlicher Informationsqualität Die aktuellen tung, Fiktion und Werbung zuzuordnen, die Tagesablauferhebungen der MediaAnalyse er­ wiederum in zahlreiche Untersparten gegliedert mitteln heutzutage die Hörfunknutzungsdaten in werden. Darüber hinaus wird das Programm zwei Wellen pro Jahr.s Per Fragebogen (1995: zusätzlich nach weiteren Merkmalen wie Sen­ 44 226 Interviews) wird das Nutzungsverhalten dungsform, Thema, Zielgruppen, Produktionsart nach einem Tagesablaufschema erfaßt, das in oder Herkunftsland differenziert. Die Anteile der Viertelstundenintervalle eingeteilt ist. Bezugs­ Sparten am Programm und die Nutzung der punkt der Befragung ist der Tag vor dem Inter­ Sparten durch die Zuschauer werden in einem view. Neben der Gesamtnutzung des Mediums jährlichen »Spartenbericht« niedergelegt. Eine und der Nutzung der einzelnen Hörfunkangebote vergleichbare Berichtsform ist im Prinzip auch im lassen sich durch das Tagesablaufschema auch Blick zurück für Programme aus den ?Oer und die parallel zum Radiohören ausgeübten Tätig• 80er Jahre realisierbar. keiten erheben. Auf diesen Weise erhält man Diese Spartencodierung arbeitet nach dem Aufschlüsse über die individuelle Rezeptionssi­ Muster einer Dokumentenanalyse, das heißt es tuation bei der Nutzung. werden zur Codierentscheidung Hilfsmittel wie Die Fernsehzuschauerforschung erhebt auf Programmfahnen und Programmzeitschriften der Basis ausgewählter Haushalte fortwährend herangezogen. Aus diesem Grund und infolge die Reichweiten und Marktanteile der Anbieter der täglichen, kontinuierlichen Codierweise kann und weist Daten, bezogen auf Zeitschnitte, Sen­ das Fernsehprogramm bislang nur sendungs­ dungen, Programmsparten und soziodemogra­ weise analysiert werden. Um diesem Mangel phische Haushalts- bzw. Personenmerkmale, Abhilfe zu schaffen , wird die Codierung künftig aus. Die Nutzungsdaten werden also nicht auf durch eine zunächst beitragsbezogen, später so­ einen bestimmten Tag bezogen, sondern gar sequenzbezogen operierende TV-Pro­ kontinuierlich für jede Sekunde jedes Programms grammanalyse mit dem Arbeitstitel »TV-Coder« errechnet. Die Möglichkeit der präzisen, Sekun ­ unterstützt, die analog der Hörfunkfeinanalyse dengenauen Ausweisung korrespondiert mit der das Fernsehprogramm in kleinste Segmente differenzierten Fernsehanalyse des TV-Coders, zerlegt. Das Besondere an dieser Methode ist - so daß je nach Bedarf einem Beitrag , einer Mo­ neben dem mikroanalytischen Zugriff - eine deration , letztlich sogar jeder Senderkennung 66 Rundfunk und Geschichte 22 (1996)

und dem Abspann eine exakte Quote zugewie­ 5 Vgl. Christian Breunig: Programmforschung - sen werden kann . Kontrolle ohne Konsequenzen. ln: Media Per­ spektiven 1994, H. 12, S. 574-594. Erste Teilprojekte 6 Vgl. zuletzt Michael Keller und Walter Klingler: Hörfunk behauptet sich im Wettbewerb. ln: Media Vermutlich werden sich nicht alle vorgestellten Perspektiven 1995, H. 11, S. 522-534. Ressourcen ausschöpfen lassen, und einiges an Material und einige der zur Verfügung stehenden Instrumentarien werden ungenutzt bleiben müs• »Peter Huchel zum Kennenlernen« sen. Es geht hier vor allem darum zu zeigen, Eine Ausstellung in Potsdam was - ohne den normalerweise unerläßlichen Forschungspragmatismus - im Prinzip möglich Leben und Werk des Lyrikers Peter Huchel ist. Zunächst werden aber - nun eben doch ganz (1903-1981) sind in Ostdeutschland wenig be­ pragmatisch - in den folgenden Arbeitsschritten kannt. Der »Dichter der Mark « erste Einzelprojekte realisiert. Zwei Teiluntersu­ hatte 1971, nach einem Jahrzehnt erzwungener chungen sollen beispielhaft die weitere Verfah­ Isolation und Leben als öffentliche Unperson in rensweise verdeutlichen: Eine Analyse zum Wilhelmshorst bei Potsdam, die DDR verlassen. Thema Veränderungen von Hörfunkprogramm• 1962 war er zum Rücktritt von seiner Position als formaten über die letzten 20 bis 30 Jahre hin­ Chefredakteur der Literaturzeitschrift >Sinn und weg , und als zweites Projekt: Konsum des Spar­ Form< gezwungen worden, der er seit 1949 - tenfernsehens in den 60er, 70er, 80er und 90er abseits von sozialistischen Literaturkampagnen - Jahren. internationales Renomee verschafft hatte. ln der Das Projekt wurde auf der Jahrestagung des nationalsozialistischen Zeit hat Huchel eine Studienkreises Rundfunk und Geschichte im Reihe von Hörspielen geschrieben und war von Oktober 1995 in Baden-Baden vorgestellt. Auf 1945 bis 1948 Sendeleiter, Dramaturg und Anhieb erklärten sich dort zahlreiche interes­ Künstlerischer Direktor am Berliner Rundfunk. sierte Fachwissenschaftler zur Mitarbeit bereit. Die Ausstellung des Brandenburgischen Lite­ Selbstverständlich ist das Projekt »Programm­ raturbüros, zu sehen in Potsdam vom 11. Januar und Rezeptionsgeschichte/Baden-Baden« mit bis 11. Februar 1996, ist die erste offizielle Eh­ seinen Mitgliedern Sabine Feierabend, Maria rung des einst in der Region lebenden Schrift­ Gerhards, Ralf Hohlfeld und Walter Klingler wei­ stellers. Sie wurde mit Mitteln des Landes, der terhin zugangsoffen und dankbar für jede Form Stadt Potsdam, des SWF, des ZDF und der fachlicher Unterstützung. Akademie der Künste gefördert und wird im Fe­ Ralf Hohlfeld, Baden-Baden bruar/März auch im Schloß Rheinsberg und im April in Staufen i. Br., Huchels letztem Wohnort, 1 Vgl. Arnulf Kutsch: Die quantitative Sekundärana• zu sehen sein. Dem Besucher wird eine Mi­ lyse als Methode der Programmgeschichte. ln: schung aus Werkwürdigung und chronologi­ Mitteilungen StRuG Jg. 3 (1976), H. 1, S. 17-22. schem Überblick über die wechselvollen Lebens­ 2 Winfried B. Lerg: Mit der Tür ins Haus der Pro­ stationen von Peter Huchel geboten, die von grammgeschichte. ln : Mitteilungen StRuG Jg. 3 einer Ausstellungsfirma in recht sparsamer Bild­ (1976), H. 1, S. 30. Text-Kombination gestaltet wurde. Verdienstvoll, 3 Winfried B. Lerg : Rundfunkdokumentation: Wis­ daß in Auswahl auch einige Fotos, Briefe, senschaftliche Wahrnehmung eines Mediums. ln: Dokumente und Stasi-Beobachtungsprotokolle Jo Groebel: Menschen und Medien. Zum Stand gezeigt werden, die den schikanösen Umgang von Wissenschaft und Praxis in nationaler und des Staates DDR mit diesem Dichter belegen. internationaler Perspektive. Zu Ehren von Hertha Die große Resonanz in der Öffentlichkeit Sturm. München u.a. 1987, S.133ff. und Berlin auf die unter dem Titel 4 Assmann-Mitschnitte sind sogenannte Endlosmit­ »Am Tage meines Fortgehns« (Anfangszeile des schnitte, die aus Gründen der Rechtssicherung Gedichtes, das Huchel nach seiner DDR-Ausrei­ angefertigt wurden, wie sie inzwischen fast alle se schrieb) laufende Ausstellung faßt ein Eintrag Landesmediengesetze zwingend vorschreiben, in das Besucherbuch treffend zusammen: jedoch nur eine zeitlich befristete Aufbew~h­ »Huchel zum Kennenlernen. Endlich wird nach­ rungsdauer von einigen Wochen fordern . D1es entsprach auch der Praxis ohne gesetzliche Ver­ geholt, was schon lange fällig war!« pflichtung. Vgl. auch : Bericht über die Sitzung der Den Lebensumständen Huchels in der DDR 1 Fachgruppe Archive und Dokumentation im Stu­ ist auch der Begleitband zur Ausstellung dienkreis Rundfunk und Geschichte im Oktober schwerpunktmäßig gewidmet, in dem ein Doku­ 1985 in Mainz. ln : Mitteilungen StRuG Jg. 12 mentenanhang die vorwiegend von Freunden, (1986) , H. 1, S. 6-8. Kollegen und Zeitzeugen geschriebenen Beiträ• ge ergänzt. Der Band enthält viel Anekdotisches Misze/len 67 und erzählt auch zum Teil sich widersprechende Gesetz für Rundfunk und Begebenheiten aus der Sicht unterschiedlicher Fernsehen in Ungarn Zeitzeugen. Er umgeht allerdings »mit dem Blick auf eine an Demütigungen reiche und von Igno­ Der Umbau kann beginnen: Nach langem politi­ ranz entstellte Zeit« die Gefahr der Verklärung schen Tauziehen und zähen Verhandlungen trat nicht immer. Neben den Erinnerungsbeiträgen das neue Rundfunk- und Fernsehgesetz beschreiben auch einige eher biographisch-lite­ (Mediengesetz) Ungarns, vom Parlament gebil­ raturwissenschaftlich als zeithistorisch angelegte ligt, am 1. Februar 1996 in Kraft. Damit ist im Überblicksdarstellungen den Dichter. Dabei las­ ehemaligen Ostblockland, gut fünf Jahre nach sen die Behandlung von Huchels Zurückgezo• der politischen Wende, das Zeitalter des staatli­ genheit in der Zeit des Nationalsozialismus und chen Rundfunks vorbei. Für die elektronischen seine durchaus nicht geradlinige Entwicklung Medien gilt künftig auch in Ungarn das duale Sy­ zum DDR-Gegner manche Fragen offen. stem . Nicht nur die Befürworter privaten Rund­ Peter Huchels Rundfunkzeit wird in der Aus­ funks, sondern auch jene, die den ungarischen stellung kürzer abgehandelt, als es die ohnehin »Medienkrieg« vor drei Jahren noch in Erinne­ dürftige Quellenlage erlaubte. Dies resultiert of­ rung haben, 1 können jetzt aufatmen. fensichtlich aus dem generellen Anliegen des ln den elektronischen Medien wird in der Bekanntmachens mit dem Dichter und mit seiner nächsten Zeit einiges in Bewegung geraten, aber unwürdigen Behandlung in der DDR , wobei es dürfte noch eine Weile dauern, bis der Umbau Huchels Tätigkeit beim Berliner Rundfunk nach der Rundfunk- und Fernsehlandschaft beendet dem Kriege wohl eher als politisch unspektakulär ist. Die »alten« staatlichen Sendeanstalten müs• und somit weniger wichtig eingeschätzt wurde. sen in öffentlich-rechtliche umgewandelt werden , Heike Tauch hat zum Begleitband einen Beitrag die teils schon bestehenden kommerziellen Sen­ »Der Hörspielautor Peter Huchel« beigesteuert, der müssen auf die neue, diesmal abgesicherte in dem sie einige der bis 1939 geschriebenen gesetzliche Grundlage verpflichtet werden. Mit Hörspiele als Gratwanderung zwischen ideologi­ neuen landesweiten kommerziellen Sendern ist scher Anpassung und Broterwerb vorstellt und jedoch frühestens 1997 zu rechnen : Zuerst muß beschreibt. Auf der dem Begleitband beigefügten noch das oberste Rundfunkorgan, das über neue CD kann man Huchel auch akustisch kennenler­ Frequenzen und Kanäle entscheidet, die nen, jedoch nur in späten Aufnahmen ab 1972. »Landeskörperschaft für Rundfunk und Fernse­ Die wenigen Tondokumente, die sich aus der hen« Orszagos Radio-Televizi6 Testület (ORTT) Zeit davor im Deutschen Rundfunkarchiv Berlin berufen werden. befinden, hätten auch Eindrücke davon vermit­ Verhältnismäßig reibungslos wird wohl nur teln können, wie der Dichter Aufbruchsstimmung die Privatisierung vonstatten gehen. Hier steht und Zeitgeist der frühen DDR-Jahre mittrug. Für neben der Vergabe neuer Frequenzen die Priva­ Interessenten seien sie hier aufgeführt: tisierung des Danubius-Radio, eines vormals Hauptreferat Peter Huchel auf der Ersten staatlich kontrollierten, aber kommerziell arbei­ Konferenz der Kulturschaffenden 1952; tenden Rundfunksenders an . Beim Fernsehen Rede Peter Huchels während der Beratung werden die Frequenzen von MTV2, des zweiten der Lyriker beim IV. Deutschen Schriftstellerkon­ staatlichen Fernsehprogramms, privaten Anbie­ greß 1956; tern überlassen. Das Programm von MTV2 wird Befragung von Schriftstellern zu ihren Ein­ jedoch erhalten, wobei noch unentschieden ist, drücken, u.a. Peter Huchel, während des IV. ob es künftig per Satellit und/oder per Kabel ver­ Deutschen Schriftstellerkongresses 1956; breitet wird . Ein weiterer fetter Brocken, der au­ Sendung »Zeitgenössische Lyrik« am 14. Ok­ ßerdem noch veräußert werden soll, stammt aus tober 1962, es spricht u.a. Peter Huchel. der Hinterlassenschaft der sowjetischen Besat­ lngrid Pietrzynski, Berlin zungsmacht: ein Fernsehkanal, der ehemals als Relaisstation für die Versorgung der russischen Peter Walther (Hrsg.): Am Tage meines Fort­ Truppen im Budapester Ballungsgebiet diente. gehns. Peter Huchel (1903-1981). Begleitband zur Ausstellung des Brandenburgischen Literaturbü• Er ließe sich ohne Schwierigkeiten zu einem ros. München 1996, 336 und 46 Seiten Dokumen­ zweiten landesweiten kommerziellen Fernseh­ te. Auch erschienen ohne Dokumentenanhang sender ausbauen. und CD unter dem Titel: Peter Huchel. Leben und Schon eine ganze Reihe ausländischer Medi­ Werk in Texten und Bildern. Frankfurt am Main enunternehmen hat ihr Interesse an der Privati­ 1996. sierung angemeldet: Aus Deutschland sind an­ geblich Bertelsmann, die Ferenczy-Gruppe und - durch seine ungarische Tochter MTM vertreten - der Medienmulti Leo Kirch mit im Spiel. Aber auch Franzosen (TF 1 und Canal plus) und Ame- 68 Rundfunk und Geschichte 22 (1996) rikaner (Ted Turners CNN) befinden sich unter striktes Gleichgewicht zwischen Regierungs- und den Konkurrenten. Der Italiener Berlusconi ist in­ Oppositionsparteien . teressanterweise noch nicht Sicht. Als oberstes Medienorgan Ungarns fungiert Wie das Rennen ausgehen wird , steht noch künftig - wie erwähnt - die »Landeskörperschaft in den Sternen : Es wird nicht alles machbar sein. für Rundfunk und Fernsehen«. Sie vergibt die Das neue Mediengesetz enthält für privatrecht­ Frequenzen, entwirft neue Projekte, kontrolliert lieh organisierte Sender umfangreiche Anti-Mo­ die Medienwirtschaft, beobachtet die Programme nopol-Klauseln. Es läßt als Eigentümer nur Kon­ und nimmt Beschwerden entgegen . Ihre insge­ sortien zu, bei denen die Beteiligung von Einzel­ samt sieben Mitglieder werden von den einzel­ personen und Ausländern prozentuell begrenzt nen Fraktionen des Parlaments gestellt; der ist: So ist vorgeschrieben, daß mindestens 26 Vorsitzende wird vom Regierungschef und vom Prozent Eigentumsanteile eines Senders in un­ Staatsoberhaupt gemeinsam ernannt. Die Lan­ garischen Händen verbleiben müssen . Außer• deskörperschaft ist allein dem Parlament ver­ dem dürfen sich Unternehmer, die bereits antwortlich , ihr Vorsitzender ist gegen Abberu­ Hauptanteilseigner eines Printmediums sind , im fung weitgehend geschützt. Die Objektivität der elektronischen Breich nur begrenzt engagieren. Mitglieder ist durch eine Reihe von Unvereinbar­ Die kommerziellen Sender (mit Ausnahme von keitsklausein gesichert. Einen ähnlich hohen Sport- und Musikkanälen) sind zur objektiven verfassungsmäßigen Status genießt in Ungarn Berichterstattung verpflichtet - eine Regelung , nur noch das Verfassungsgericht So könnte die politische Einseitigkeit im Äther unterbinden man ohne Übertreibung behaupten , daß in der sol l. Dafür dürfen in Zukunft auch private Sender »Landeskörperschaft für Rundfunk und Fernse­ (zum Beipiel reg ionale Sender mit kulturellem hen« sich quasi eine unabhängige vierte Gewalt Anspruch) für Aufgaben, die »im öffentlichen der elektronischen Medien institutionalisiert hat. Interesse« liegen, Mittel aus einem staatlichen Für die Zukunft sind in Ungarn drei öffentlich• »Programmdienst-Fonds« beantragen . rechtliche Sender: der Ungarische Rundfunk, die Die Kritiker der neuen Regelung sprechen Ungarische Television und die Duna-Television vom schwerfälligsten und zugleich sensibelsten vorgesehen. Die beiden ersten stammen aus der Gesetzeswerk, das seit der Wende in Ungarn Erbmasse des alten Reg imes vor der Wende, geschaffen wurde. Und in der Tat zeigt es in we­ der dritte ist Erbschaft der konservativen Antaii­ sentlichen Punkten die Spuren des »Medien­ Regierung, gegründet als Satellitenprogramm für kriegs« und des wechselseitigen Mißtrauens, die im Ausland lebenden Ungarn. Für diese das die Politik gegenwärtig bestimmt. Die neuen Sender ist eine Organisationsstruktur gefunden organisatorischen Strukturen, die das Gesetz worden, wobei nebeneinander nach den Prinzi­ vorschreibt, bilden ein kompliziertes Gefüge, pien von Stiftung und wirtschaftlichem Unterneh­ dessen einzelne Glieder zudem noch unter­ men verfahren wird . Diese Doppelstruktur spie­ schiedliche politische Vorstellungen widerspie­ gelt recht genau die politischen Kräfteverhältnis• geln. Ihre praktische Handhabung wird um­ se in den Gremien wider: Bei den Verhandlun­ ständlich und mühsam: Schnelle Entscheidungs­ gen favorisierte die nationalkonservative Seite prozesse haben eine Reihe verfahrensmäßiger die Stiftungsform, weil sie einzig darin den wirk­ Hürden zu überwinden. Deren Bremswirkung ist samen Schutz gegen die »rote Gefahr« in den aber durchaus einkalkuliert und könnte sich u U. Medien gewährleistet sah; die Liberalen dagegen durchaus positiv auswirken, beispielsweise dann, plädierten im Interesse eines finanziell konsoli­ wenn es jemand von außen - etwa der Staat dierten Unternehmens für die Form der Aktien­ oder die Regierung - versuchen sollte, sich in die gesellschaft. Als Kompromiß kam eine Verbin­ Rundfunkangelegenheiten einzumischen. Erin­ dung beider Organisationsformen zustande. nert sei nur an den »Medienkrieg« vor zweiein­ Eigentümer der Sender sind drei Stiftungen halb Jahren, als die Regierung mit brutalen Ein­ des öffentlichen Rechts (»Stiftung Ungarischer griffen - mit Etatsperre und mit Androhung von Rundfunk«, »Stiftung Ungarische Television«, Polizeigewalt - die Botmäßigkeit der elektroni­ »Stiftung Hungaria Television«) mit jeweils eige­ schen Medien erzwingen wollte. Damit ist es nun nen Kuratorien, deren Mitglieder sich aus Vertre­ vorbei: Das neue Gesetz schafft eine Organisati­ tern politischer Parteien, gesellschaftlich relevan ­ onsstruktur, die einen Eingriff in die Medien von ter Gruppen (Kirche, Verbände) und der journa­ außen praktisch ausschließt bzw. zumindest er­ listischen Berufsgruppen zusammensetzen . Re­ schwert. Vom Idealbild eines Rundfunks ganz gierungsparteien und Opposition stellen in die­ ohne politische Einflußnahme hat man allerdings sen Gremien je zur Hälfte die achtköpfigen Vor­ auch in Ungarn Abschied nehmen müssen : Das stände; ähnlich paritätisch wird die Stelle des Gesetz läßt den politischen Entscheidungsträ• Vorstandsvorsitzenden bzw. seines Stellvertre­ gern ein gewisses Mitspracherecht in den ver­ ters besetzt. Die programmproduzierenden Sen ­ schiedenen Gremien , es sichert jedoch ein der selbst sind Aktiengesellschaften und arbeiten Miszellen 69 nach den üblichen wirtschaftlichen Kriterien . Ihr Budget soll - nach deutschem Muster - aus Rundfunkgebühren und aus Werbeeinnahmen bestritten werden. Kritiker des neuen Gesetzes befürchten, daß die Gremien und Kuratorien der öffentlich-recht• lichen Sender Unsummen verschlingen, während die Programme durch Sparmaßnahmen ausge­ zehrt werden könnten. Der Vorstand des Fern­ sehens, Adam Horvath, hat bereits seinen Rück• tritt erklärt. Wie allerdings die Umstrukturierung der alten Sender, Personalabbau eingeschlos­ sen, ohne Desaster, ohne Blut und Tränen zu bewerkstelligen ist, vermag noch niemand zu sagen. Eine »Stunde Null« für einen Neuanfang nach Kriterien eines wirtschaftlichen Manage­ ments kann es bei laufendem Programm nicht geben. Schmerzhafte Einschnitte bei den Mitar­ beitern, die einen zwar schlecht bezahlten, aber sicheren Status als Angestellte im öffentlichen Dienst genießen, sind kaum zu vermeiden. Si­ cherlich wird schon aus Existenzangst kaum ei­ ner freiwillig auf seine gewohnten, fragwürdigen »Privilegien« verzichten wollen. Damit ist nichts Ehrenrühriges gesagt. Das strukturell korrupte System des staatlichen Rundfunks zwang viele seiner durchaus anständigen Mitarbeiter dazu, neben ihrer Tätigkeit als Angestellter des Sen­ ders noch ein kleines Privatunternehmen mit Nutzung rundfunkeigener Einrichtungen (wie Studios, Kameras, Schneidetische usw.) zu be­ treiben. Viele finden ihr finanzielles Auskommen nur durch solche Tricks. Daß es in einer Aktien­ gesellschaft so nicht weitergehen wird, ist jeder­ mann klar. Susanna Grossmann-Vendrey, Frankfurt am Main Andras Szekfü,

1 Vgl. Susanna Grossmann-Vendrey/Andras Szek­ fü: Ein Lehrstück in praktischer Demokratie. Un­ garns Regierung greift nach den elektronischen Medien. in: Mitteilungen StRuG Jg . 19 (1993) , H. 1, S. 29-32. Rezensionen

Die ästhetische Faszination Iistischen Staates, ist zwar oft und ausführlich be­ schrieben worden. Wer sich darauf zu beschränkt, des Nationalsozialismus übersieht jedoch die breite Zustimmung, die dessen Positionen und Probleme Herrschaft bis Anfang der 40er Jahre in Deutschland erfuhr. Und diese Zustimmung war nicht durch Gewalt Peter Reiche! erzwungen; das Regime bot Anreize, die vielen seine Der schöne Schein des Dritten Reiches. Mängel tolerabel erscheinen ließen. Das konnte nicht Faszination und Gewalt des Faschismus. zuletzt deshalb funktionieren, weil die Anreize zum München, Wien : Carl Hanser Verlag 1991, Teil direkt auf die bewußten Bedürfnisse der Men­ 452 Seiten. schen abgestimmt waren. Doch insgesamt waren sie komplex konstruiert, verwoben Rationales und Emo­ Karsten Witte tionales, Bewußtes und Unbewußtes, Politisches und Lachende Erben, Toller Tag. Unpolitisches zu einer nur schwer durchschaubaren Fi lmkomödie im Dritten Reich. manipulativen Einheit. Die Ästhetik wurde zu einer Berlin : Verlag Vorwerk 8 1995, 276 Seiten. Dimension von eigenem Gewicht, das von den Natio­ nalsozialisten nie gering geschätzt wurde. Und mit Ulrich Herrmann/Uirich Nassen (Hrsg.) einem Mal werden Zäsuren brüchig, die letztlich nur Formative Ästhetik im Nationalsozialismus. von der Politik her bestimmt sind; Kontinuitäten zwi­ Intentionen , Medien und Praxisformen totalitärer schen Weimarer Republik und nationalsozialistischem ästhetischer Herrschaft und Beherrschung. Staat, aber auch zwischen nationalsozialistischem Weinheim, Basel: Beltz Verlag 1994, 250 Seiten. Staat und den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg treten in den Blick. Franz Dröge/Michael Müller Die Komplexität ästhetischer Phänomene bildet Die Macht der Schönheit. jedoch ein großes Problem für jede Analyse, insbe­ Avantgarde und Faschismus oder Oie Geburt der sondere wenn nicht nur die Produkte und ihr Entste­ Massenkultur (= Europäische Bibliothek, Bd . 21). hungskontext, sondern auch noch Fragen der Rezep­ Hamburg: Europäische Verlagsanstalt 1995, tion und Wirkung thematisiert werden sollen. Allzu 419 Seiten. schnell wird dann häufig von der Intention auf die tatsächliche Wirkung geschlossen, die ältere Propa­ »Rundfunk und Geschichte« ist ein Thema , das nicht gandaforschung ist von diesem Ansatz geradezu allzu eng gefaßt werden darf, um den Blick auf über• beherrscht. greifende Zusammenhänge - Stichwort lntermedialität Trotzdem ist kein Grund zur vollständigen Resi­ - nicht zu versperren. Die Gefahr, dabei in modische gnation gegeben. Wirkungsspuren lassen sich in den Unverbindlichkeit abzugleiten, die dann auch weit verschiedensten Quellen ausmachen. Nicht nur, daß Abliegendes und miteinander kaum noch Verbunde­ die alten Quellen gleichsam gegen den Strich neu zu nes unter dem Motto der Pluralität nebeneinander zu lesen sind ; unter mentalitätsgeschichtlichem Aspekt - besprechen rechtfertigt, ist jedoch groß. Gerade dann denn in diese Richtung weist alle auf ästhetische Fra­ bedarf es der Konzentration auf den Ausgangspunkt, gen gerichtete Forschung - sind auch die Möglichkei­ der Orientierung an »Rundfunk und Geschichte«. ten autobiographischer Analyse noch längst nicht Auf den ersten Blick haben die vier hier zu be­ ausgeschöpft. Und schließlich ist es ja auch hilfreich, sprechenden Bücher unter dieser Perspektive nur sich klarzumachen , daß selbst die modernen Sozial­ wenig zu bieten . Einzig Peter Reiche! widmet dem wissenschaften letztlich bislang keine definitiven Wir­ Rundfunk in der nationalsozialistischen Zeit aus­ kungsgesetzehaben aufstellen können . drücklich ein Kapitel, das er jedoch mit Presse und Die neue Schwerpunktsetzung innerhalb der For­ Fi lm teilen muß, so daß ihm am Ende gerade zwölf schung über den Nationalsozialismus ist seit rund Seiten bleiben (S. 159-171). Bei genauerer Lektüre zehn Jahren im Gange. Trotz verschiedener wichtiger finden sich zwar noch vor allem bei Franz Dröge und Vorarbeiten war die mittlerweile fünf Jahre alte Studie Michael Müller einige Hinweise zum Rundfunk, doch Peter Reicheis in gewisser Weise aber doch bahn­ handelt es sich dabei nur um Lesefrüchte aus älteren brechend - das zeigt nicht zuletzt ihre breite Rezep­ einschlägigen Arbeiten, von Pohle über Diller bis tion. Obwohl methodisch völlig unspektakulär, weil Klingler. Auf der Suche nach neuer, inhaltlicher In­ einzig vorliegende Literatur sekundär verarbeitend, formation zur Rundfunkgeschichte wird man also liegt das Verdienst des Hamburger Politologen nicht nicht fündig werden . Die Gewinne liegen statt dessen nur darin, ein gewaltiges Repertoire an Kulturge­ auf Seiten der Horizonterweiterung: durch interes­ schichtsschreibung umfassend verarbeitet zu haben, sante , möglicherweise übertragbare Hypothesen und sondern aufgrund systematischer Neuordnung be­ ebensolche methodischen Ansätze, die sich mit eini­ kannten Materials eben das Doppelgesicht der natio­ ger Mühe aus 1 400 Seiten denn doch herausarbei­ nalsozialistischen Diktatur mit seiner Gewalt und sei­ ten lassen . ner Faszination nicht nur in einzelnen Aspekten , son­ Inhaltlich geht es allen Autoren vor allem darum, dern insgesamt scharf ausgeleuchtet zu haben. Rei­ das Herrschaftssystem des Nationalsozialismus durch che! bringt Phänomene auf den Begriff, ohne deren eine umfassendere Sicht besser erklären zu können . Berücksichtigung eine pl ebiszitäre Massenbewegung Oie Gewal t, die diktatorische Seite des nationalsozia- Rezensionen 71 wie der Nationalsozialismus nicht hinreichend zu Schriftenartikel - hat daneben vergleichsweise wenig analysieren ist. Gewicht. Doch gerade letzteres könnte ganz anders Reicheis Argumentation führt in die Vorgeschichte gesehen werden - wie überhaupt Wittes Zugriff zu des Dritten Reiches weit zurück. Zentral erscheint wissenschaftstheoretischen Diskussionen reizt. Und ihm , daß bereits im frühen 19. Jahrhundert ein stark die sind nicht gerade leicht zu führen, weil eine ge­ kulturreligiös gefärbter Begriff von Politik immer wei­ wisse Pietät zu wahren ist: Der gerade 51 jährige Wis­ tere Verbreitung fand . Daran anknüpfend entwickelte senschaftler, seit 1992 Professor an der Freien Uni­ sich ein breites Repertoire politischer Rituale, das bei versität Berlin , ist im Oktober 1995 gestorben. jener strukturellen Entdifferenzierung von Kultur und Im Zentrum der Auseinandersetzung muß Wittes Politik, die die Nationalsozialisten schließlich auf die Frankfurter Dissertation stehen, die der Autor mit ei­ Spitze trieben, so vorteilhaft instrumentalisiert werden ner neuen »Vorbemerkung« versehen und ansonsten konnte. Nicht die Ästhetik wurde politisiert, wie dies nur in vernachlässigenswertem Umfang verändert die Linke in den Jahren der Weimarer Republik ver­ erneut vorgelegt hat. Sein Thema - die Filmkomödien sucht hatte, die Politik selbst wurde ästhetisiert. im Dritten Reich - behandelt er strikt chronologisch, Die Tragfähigkeit seiner Thesen demonstriert Rei­ jedem Jahr von 1933 bis 1939 ist ein eigenes Kapitel che! an vielfältigem Material. »Schöner Schein«, das gewidmet. Dann bricht die Arbeit ab. Oie Kapitel ist ihm nicht nur Stichwort zur Anlayse spezifisch na­ wiederum bestehen einzig und allein aus Interpre­ tionalsozialistischer Politikinszenierung wie bei tationen einzelner Filme, mehr oder minder über• Reichsparteitagen, Totengedenkfeiern und SS-Zere­ gangslos aneinandergereiht Wittes Arbeit könnte auf moniell; der Politologe durchschreitet auch den gan­ diese Weise als Filmlexikon dienen, allerdings wurde zen Kreis alltäglichen Lebens und prüft seine Prä• auch beim Neudruck unverständlicherweise darauf gung durch die braunen Machthaber. Ausführlich wid­ verzichtet, das Ganze durch ein Titel- und Personen­ met er sich Presse, Rundfunk, Film, Architektur und register leichter nutzbar zu machen. zeitgenössischem Produktdesign genauso wie der Auf diese Weise artikuliert sich ein Wissenschafts­ entstehenden, sofort durch KdF instrumentalisierten verständnis, auf das die Begrifflichkeit der Jahrhun­ Freizeitgesellschaft und der Weit des Sports mit dem dertwende in Reinkultur anzuwenden ist. Der Heidel­ Paradigma Olympiade 1936. Daß am Ende die tradi­ berger Neukantianer Wilhelm Windelband hat damals tionellen Künste Literatur, Musik und Bildende Kunst den Gegensatz von idiographischen und nomotheti­ nicht fehlen können, versteht sich fast von selbst. schen Modellen entwickelt, denen er paradigmatisch Kein Buch kann alles behandeln, und so sind Rei­ die dem Einzelfall zugewandte Geschichte und die cheis »Defizite« denn auch nur in Anführungszeichen nach gesetzmäßigen Verallgemeinerungen suchen­ zu setzen. Ergänzungsbedürftig ist seine Studie in den Naturwissenschaften zuordnete. Witte ist ein ex­ zweierlei Richtung: Zum einen bedarf sie intensiver tremer Verfechter idiographischer Geschichtsschrei­ empirischer Forschung - nicht zuletzt im Rundfunkbe­ bung , der jede explizite Verallgemeinerung seiner reich -, um die Tragfähigkeit der allgemeinen Thesen Thesen strikt verweigert. Diese Verweigerung ist an am Detail zu überprüfen und das Modell insgesamt zu zwei Stellen genauso offenkundig wie obsolet: Zum konkretisieren. Zum anderen bedarf es jedoch auch einen vermag auch Witte nicht jede deutsche Film­ weiterer theoretischer Diskussionen, um verschie­ komödie der nationalsozialistischen Jahre zu analy­ dene, bislang noch weitgehend voneinander getrenn­ sieren. Er beschränkt sich auf einen Teil, je nach Jahr te diskursive Felder miteinander zu verbinden. Das zwischen einem Drittel und der Hälfte der Produktion. neue Interesse an der Ästhetik des Nationalsozia­ Auswahlkriterien nennt er nicht, man ist auf das Ver­ lismus darf nicht übersehen, daß es eine umfang­ trauen in die Kompetenz des Autors, schon das Aus­ reiche Forschung zur Avantgarde des Jahrhundert­ sagekräftige ausgewählt zu haben, verwiesen. Was beginns gibt, die auch immer wieder das Verhältnis das denn sei, wird - zum anderen - nicht expliziert; es von Faschismus und Avantgarde thematisiert hat. wird nur angedeutet, denn Witte faßt zusammen und Als Konkretisierung Reichelseher Überlegungen gruppiert die einzelnen Filme in deutlich voneinander könnte Karsten Wittes Studie über die Filmkomödie getrennte Abschnitte. Die Mühe des Begriffs verwei­ im Dritten Reich gelesen werden: Witte interessiert gert er jedoch auch hier; den einzelnen Einheiten sich für den Massenerfolg des Nationalsozialismus fehlen Titel , sie werden nur schlicht durchgezählt. und dabei wiederum für ästhetische Phänomene wie Cineasten mag dieses Vorgehen begeistern, be­ den Film und konkret: was »als unterhaltend im Fa­ kommen sie doch eine Menge interessanter Informa­ schismus gilt« (S . 42). Eine Beeinflussung durch Rei­ tionen zu einzelnen Filmen, die in der Regel zudem che! in striktem Sinne ist dabei jedoch auszuschlie­ erfrischend unprätentiös formuliert sind. Kulturge­ ßen : Die Studien und Zeitungsartikel, die in Wittes schichtlich reizvoll wird das Ganze jedoch nur, wenn Sammelband zusammengefaßt sind, erschienen be­ man entweder Anekdotisches goutiert oder die Zu­ reits in den 70er und 80er Jahren. Aber die erneute sammenhänge selbst herzustellen sucht. Denn über• Veröffentlichung dürfte durchaus im Zusammenhang greifende Themen arbeitet Witte genausowenig her­ mit der Aufmerksamkeit stehen, die Reicheis Buch aus, wie er etwa den sich abzeichnenden Medienver­ gefunden hat. bund thematisiert. Oie offensichtlichen Verbindungsli­ Die Auseinandersetzung mit Wittes Werk ist kom­ nien gerade zwischen heiterer Gebrauchsdramatik pliziert. Vordergründig könnte darauf hingewiesen und Filmkomödie werden entweder überhaupt nicht werden, daß sein Hauptteil aus der fast unverändert erwähnt (z. B. bei »Petermann ist dagegen«, S. 136f.) übernommenen Dissertation von 1986 besteht und oder explizit ignoriert (z . B. bei »Straßenmusik«, S. ein weiterer größerer Teil aus zwei Kapiteln eines 267, Anm. 1). Anscheinend hat Witte die Problematik 1979 veröffentlichten Sammelbandes - beides leicht seiner wissenschaftstheoretischen Position später zu gänglich ; der Rest - sieben Zeitungs- und Zeit- selbst gesehen. Die knappen Thesen, die er seiner 72 Rundfunk und Geschichte 22 (1996) alten Dissertation vorangestellt hat (S . 46 ff.) , vermö• nicht nur die spezifischen Intentionen des weiblichen gen die angesprochenen Mängel allerdings nicht zu Arbeitsdienstes nachzuzeichnen, sondern auch die kompensieren. psychologischen Voraussetzungen typisierend zu Ausdrücklich auf den Ansatz Reicheis bezieht sich verdichten (»ewig junge >Arbeitsmaid<«) und wichtige der von Ulrich Herrmann und Ulrich Nassen heraus­ Überlegungen zur Wirkung anzustellen. Ihre Auswer­ gegebene Sammelband, wenn als Thema formuliert tung von authentischer Erlebnisliteratur und im nach­ wird , »die Voraussetzungen, Praktiken und Auswir­ hinein veröffentlichten Erinnerungsberichten zeigt, kungen der ästhetischen Inszenierung nationalsozia­ welche Erkenntnismöglichkeiten in dieser Hinsicht listischer Herrschafts- und Beherrschungspraxis an noch vorhanden sind. Denn die emotionale Prägung ausgewählten repräsentativen Beispielen (zu] unter­ verrät sich gerade in Nebensächlichkeiten, die den suchen« (S . 9). Und die Erwartungen werden noch Autorinnen kaum bewußt gewesen sein dürften. höher geschraubt, wenn es kurz darauf heißt, daß es Auch Lorenz Pfeifer stellt mit seinem Beitrag über um »die Aspekte der Präformierung, Sozialisierung die Militarisierung und Disziplinierung des Sportunter­ und lnstrumentalisierung von Wahrnehmung, Erleben richts an höheren Knabenschulen wichtige Einsichten und Verhalten« geht und »die Einsicht in die Mecha­ bereit, indem er eine wesentliche Voraussetzung für nismen des Bewirkens von bestimmten Bewußtseins• den Erfolg nationalsozialistischer Maßnahmen be­ formen und die Einsicht in die kognitive Struktur des schreibt: eben die, gar nicht spezifisch nationalsoziali­ Bewirkten« im Vordergrund stehen soll (S . 12). stisch zu sein, sondern weit (in diesem Fall: unter der Offensichtlich waren dies allerdings nur die Ziele, Sportlehrerschaft) verbreitete Forderungen aufzuneh­ unter denen 1991 ein Symposium am Sielefelder men und zu verwirklichen. Harald Scholz zeigt am Zentrum für interdisziplinäre Forschung abgehalten Beispiel der Verpflichtungsrituale für 14jährige ein wurde, von dessen Vorträgen 16 Eingang in den Stück Heterogenität des Nationalsozialismus. Martin Sammelband fanden, der textgleich auch als 31. Bei­ Kipp beschreibt eindringlich die Militarisierung der heft der Zeitschrift für Pädagogik vorgelegt wurde. Die Lehrlingsausbildung beim neu entstehenden VW­ allermeisten Autoren thematisieren nur den einen Werk, Ulrich Nassen beschäftigt sich mit Arbeits­ oder anderen Aspekt und noch dazu auf gänzlich dienstliteratur für Kinder und Jugendliche, und Moni­ unterschiedliche Weise. ka Wagner untersucht die Programmatik der Fresken Im ersten Hauptteil »Mediale Symbolisierungen im Karlsruher Helmholtz-Gymnasium. und ästhetische Praxis der totalitären Herrschaft über Nicht ganz nachzuvollziehen ist, warum Friedrich Wahrnehmung und Bewußtsein« werden fünf Beiträ• Kochs Beschäftigung mit Hans Steinhaffs »Hitlerjun­ ge präsentiert: Martin Leiperdinger beschreibt präzise ge Quex« nicht im Kontext mit den beiden anderen die Entstehung des ersten, als verschollen geltenden Filmanalysen präsentiert wird und warum die weit Parteitagsfilms von Leni Riefenstahl »Sieg des Glau­ ausholenden theoretischen Überlegungen von Wolf­ bens« und Ulrich Linse ergänzt dies durch eine Ana­ gang Manz zu den Voraussetzungen von Arbeitsbe­ lyse des Films »Ewiger Wald« , der als filmische Um­ reitschaft nicht ebenfalls ausgegliedert wurden. Der setzung von Rosenbergs »Mythus des 20. Jahrhun­ abschließende, gesondert aufgeführte Beitrag von derts« interpretiert werden kann. Die - allerdings nur Hans-Christian Harten über die eschatologischen implizite - Gegenüberstellung von zwei Typen natio­ Komponenten einer spezifischen Richtung des Natio­ nalsozialistischer Kulturideologie wird fortgesetzt in nalsozialismus stände dann weniger isoliert da. den Beiträgen von Elke Harten, die sich mit dem na­ Ein gewisses Theoriebedürfnis, das alle drei bis­ tionalsozialistischen Regenerationsmythos in Aus­ lang besprochenen Bücher unbefriedigt lassen, wird stellungen und Weihehallen beschäftigt, sowie von durch den Band Franz Dröges und Michael Müllers Themas Alkemeyer und Alfred Richartz, die die mehr als befriedigt. Hat man deren Opus bewältigt, Präformierung faschistischer Körperbilder (Beispiel sehnt man sich förmlich wieder nach Anschaulichkeit Olympiade 1936) durch die Jugendbewegung her­ und Empirie, denn an beidem mangelt es der extrem ausarbeiten. Themas Balistier steuert schließlich psy­ elaborierten Gedankenführung und Diktion. Die Auto­ choanalytisch inspirierte Überlegungen zur Gewalt­ ren haben ein großes Ziel vor Augen - ihnen geht es faszination der SA in der sogenannten Kampfzeit bei. um das Insgesamt der Kultur und seiner Entwicklung: Der zweite, weit umfangreichere Teil ist unter dem Ihr Thema ist nichts weniger als die »Transformation Titel »Formative Ästhetik als Instrument zur mentalitä• der Kultur durch Avantgarde und Nationalsozialismus ren Beherrschung von Jugendlichen« dem pädagogi• in die (sie!) einer Massenkultur« (S . 9). Als Vorberei­ schen Ansatz der Nationalsozialisten gewidmet. Was tung und Einstimmung präsentieren sie deshalb eine darunter zu verstehen ist, erläutert Ulrich Herrmann, akzentuierende, an Wolfgang Welschs Thesen orien­ indem er ebenso wichtige, keineswegs nationalsozia­ tierte Skizze ästhetischer Theorie seit Baumgarten listische oder faschistoide Vorläufer vorstellt: Die Ju­ und Kant sowie ein knappes Modell des Kulturpro­ gendlichen sollen nicht individuell, sondern in Forma­ zesses überhaupt (Teil I) . tionen erzogen werden und dabei sollen vor allem Im folgenden geht es um dessen Entfaltung - al­ ästhetische, nicht intellektuelle Prägungen im Vorder­ lerdings nur um die »Darlegung der historischen grund stehen. Sechs Beiträge versuchen dies mehr Konstitution, d.h. der tatsächlich konzeptionell in sie oder minder stringent zu konkretisieren . eingehenden Bestände, nicht ihres kontingenten hi­ Besonderer Stellenwert kommt dabei der Untersu­ storischen Herausbildungsprozesses« (S. 375). ln chung Gisela Miller-Kipps zu , die sich mit dem wenigen Worten läßt sich dies etwa folgendermaßen Reichsarbeitsdienst für die weibliche Jugend be­ skizzieren: Die affirmative Kultur des Kaiserreichs schäftigt. Methodisch hochreflektiert, nähern sich ihre entsprach immer weniger dessen sozioökonomischen Ausführungen als einzige in umfassender Weise den Gegebenheiten. Immanente Reformbemühungen Zielen des gesamten Projekts: Am Deta1l vermag sie unterschiedlichster Spielart waren zum Scheitern ver- Rezensionen 73 urteilt (Teil II). Erst die Avantgarde im Ersten Weit­ spitzt wird. So weit sind die Autoren am Ende bei der krieg wie in der Weimarer Republik war in der Lage, Bewertung der kulturellen Prozesse um Avantgarde grundsätzliche Alternativen aufzuzeigen. Sie zielte und Faschismus von Wissenschaftlern wie Vittorio auf eine erneute Verbindung von Kunst und Leben , Lampugnani oder Heinrich Klotz auch wieder nicht auf eine grundlegende Politisierung der Kunst, auf entfernt, wie ihre Polemik glauben machen will. Massenkultivierung (Teillll). Die in diesem Programm Die Diskussion muß sich vielmehr auf ganz zen­ enthaltenen grundsätzlichen Ambivalenzen wurden trale Prämissen konzentrieren. Die wichtigste ist die durch die Nationalsozialisten eliminiert, der Rest ausdrückliche Übernahme der aus anderen Kontex­ übernommen - die massenkulturelle Orientierung ten bekannten »Sonderwegs«-These durch die bei­ wurde mit der Perspektive auf eine »ästhetisch luxu­ den Autoren: Die Durchsetzung der Massenkultur sei rierende Konsumentenkultur« (S. 235) uminterpretiert »mit der massendemokratischen Entwicklung der und als Herrschaftsmittel instrumentalisiert. »Dieses westlichen Gesellschaften und mit den Prosperitäts• Konzept stieß bei der Bevölkerung auf Verständnis schüben ihrer kapitalistischen Ökonomien zusam­ und Begeisterung, nicht nur als Zwang, was wir von mengefallen«, in Deutschland aber hätten sich die den Konzepten der Avantgarde schwerlich behaupten Zusammenhänge »in mannigfachen Schieflagen be­ können. Bei aller Barbarei ist also das faschistisch funden« (S. 375). Eine solche »Schieflage« war denn interpretierte kulturelle Transformationsmodell offen­ zweifellos der Nationalsozialismus mit seiner spezifi­ kundig das akzeptanzfähigere«, müssen Dröge und schen Interpretation von Massenkultur. Selbst wenn Müller zugeben (S . 285) und betonen auf dieser Basis man aber nun die bereits zitierte These hinzunehmen auch gleich die Kontinuität zur Nachkriegszeit - trotz bereit ist, daß es »keinen wirklichen Bruch zwischen des »Wechsels der Sinninstanznivellierte Mittelstandsgesellschaft<« lassen Rundfunk zurück, wenn sie die massenkulturellen sie sich auf strukturelle Analysen ein, die sehr schnell Entwicklungen im Nationalsozialismus konkreter be­ anfechtbar werden . Umstandslos wird etwa Wahl­ schreiben (v.a. S. 241f., 280, 295ft.). Die bisherige kampf zur Vorform des Medienverbundes stilisiert, empirische Forschung vermag jedoch kaum die Last werden Einzelbeobachtungen überbewertet (bei­ ihrer theoretischen Folgerungen zu tragen. Hier ist spielsweise der Stellenwert der von Altred Rosenberg Abhilfe zu schaffen. Dröge und Müller haben eine herausgegebenen Zeitschrift >Kunst im Dritten/Deut­ prägnante These formuliert, wenn sie behaupten, daß schen Reich<) oder massive Thesen ohne viel Be­ Massenkultur ein Herrschaftsmittel sei, das strukturell gründung plaziert (»gibt es keinen wirklichen Bruch unempfindlich gegen den Wechsel der Sinninstanz - zwischen nationalsozialistischer und BRD-Massenkul­ Politik oder Ökonomie - ist. Vielleicht haben sie ja mit tu r<<, S. 371). ihrer Behauptung recht, daß der ökonomische Prozeß Es wäre nun allerdings verfehlt, den groß ange­ in den USA zu einem vergleichbaren Radioprogramm legten theoretischen Entwurf durch den Nachweis geführt habe wie die nationalsozialistische Diktatur in einiger empirischer Unzulänglichkeiten entwerten zu Deutschland. Der rundfunk- wie kulturgeschichtlichen wollen. Dazu bedürfte es systematischerer Detailfor­ Diskussion würden einige empirische Studien zu die­ schung - wenn man überhaupt geneigt ist, der nicht sem Thema nur gut tun. unumstrittenen wissenschaftstheoretischen Position Konrad Dussel , Mannheim der Falsifizierbarkeit von Theorien durch Empirie zu­ zustimmen. Auch der Hinweis darauf, daß das theoretische Modell insgesamt so neu nun auch wieder nicht ist, wie man vielleicht vermuten könnte , darf nur am Rande erfolgen. Immerhin verblüfft es dabei aber doch, wie viele Grabenkämpfe in diesem Kontext von Dröge und Müller ausgefochten werden, wie die in­ nerwissenschaftliche Auseinandersetzung manchmal in einer kaum noch nachvollziehbaren Weise zuge- 74 Rundfunk und Geschichte 22 (1996)

Fernsehgeschichte, des institutionellen und - etwas hoch gegriffen aber die Fernsehgeschichte formuliert - des gesellschaftlichen Zusammenhangs (Bde. 1 u. 5) zerfällt. Es wird der Ertrag der beiden der Bundesrepublik? letztgenannten Bände für die Einzeldarstellungen selten fruchtbar gemacht, was den Bezug der Knut Hickethier (Hrsg.) einzelnen Programmgattungen, des Angebots bzw. Institution, Technik und Programm. dessen Entwicklung, zu den sich im Laufe der Jahre Rahmenaspekte der Programmgeschichte des verändernden Tages- bzw. Wochenrhythmen des Fernsehens (= Geschichte des Fernsehens in der strukturierten Gesamt-»Programms« meist verloren Bundesrepublik Deutschland, Bd.1 ). gehen läßt. Wie einige gelungene Beiträge im übrigen München: Wilhelm Fink Verlag 1993, 428 Seiten. zeigen. sind ja auch die ästhetischen und thema­ tischen Konventionen des Programmangebots bzw. Helmut Schanze/Bernd Zimmermann( Hrsg.) seine Veränderungen nicht sinnvoll ohne den Bezug Das Fernsehen und die Künste. zum Mainstream des Wandels im Ganzen denkbar, (= Geschichte des Fernsehens in der doch wird die Entwicklung der Programmstrukturen Bundesrepublik Deutschland, Bd. 2). für das Gesamtwerk weitgehend folgenlos von Knut München: Wilhelm Fink Verlag 1994, 431 Seiten. Hickethier im Bd. 1 behandelt. Dabei zeigte ein kon­ sequentes Nachzeichnen der Änderungen in der zeit­ Wer in den 80er Jahren den Stand der Diskussion um lichen Plazierung eines Genres dessen Wertigkeit im den richtigen Zugang zur Geschichte des Hörfunk• Selbstverständnis der Programmacher bzw. seine und Fernsehprogramms verfolgte sowie versuchte, Zuordnung zu spezifischen Nutzerkreisen an. Be­ die wenigen und thematisch unkeordiniert angefertig­ zeichnenderweise wird auch die Darstellung der ten und somit weit gestreuten Einzelstudien mit Fernsehnutzung in Bd. 5 - ebenfalls verfaßt von Schwerpunkten in kulturell anspruchsvollen Pro­ Hickethier -, für die einzelprogrammbezogenen Bei­ grammsegementen zu übergreifenden Gesamtdar­ träge nicht herangezogen. Dabei kann vermutlich stellungen zusammenzufassen, konnte den for­ unschwer nachgewiesen werden, daß sich Zuschau­ schungsorganisatorischen Ansatz des Sonderfor­ erquoten auch in den langen Jahren des öffentlich• schungsbereichs 240 »Bildschirmmedien« der Deut­ rechtlichen Monopols weniger auf abrupte Verände• schen Forschungsgemeinschaft in Siegen nur be­ rungen von Gestaltung und Plazierung bzw. das grüßen. Jetzt schien es zum ersten Mal möglich, daß Auftauchen und Verschwinden einzelner Programm­ in einem langfristig angelegten und mit großer Perso­ gattungen bzw. Sendereihen auswirkten, diese sich nalausstattung arbeitenden Forschungsverbund vielmehr langsamer als heute und teilweise kaum einerseits methodische Probleme einer systematisch bemerkbar wandelten. Erst bei umfassenderen Be­ angelegten wie historischen Programmanalyse aus­ standsaufnahmen an den Zäsuren der Programmge­ führlich behandelt würden. Andererseits schien nun schichte - ein in den Bänden trotz mancher Anstren­ auch Gewähr dafür gegeben, daß der Sonderfor­ gung ungelöst gebliebenes Problem, dem man viel­ schungsbereich mit Hilfe dieses methodischen Rüst• fach durch eine einfache Dekadengliederung zu ent­ zeugs, d.h. mit mehr oder weniger einheitlichen kommen sucht - könnte man feststellen, daß auch die Fragestellungen, die in 30 bis 40 Jahren aufgelaufe­ beiden Monopolanbieter ARD und ZDF auf Verände• nen Massen an »Programmstoff« bearbeiten werde rungen in der Lebensweise sowie die Bedürfnisse (mit dem zusätzlichen Effekt übrigens, die entwickel­ ihrer Zuschauer reagierten. ten analytischen Instrumentarien auch auf weitere Bleiben also für die auf einzelne Programme be­ Untersuchungsfelder, z.B. bei der Aufarbeitung der zogenen Beiträge Rahmenaspekte aus Gründen der Programmgeschichte des Hörfunks, anwenden zu Gesamtgliederung weitgehend folgenlos, so dis­ können). Schließlich hoffte der eine oder andere auf pensieren sich die Herausgeber auch dezidiert davon, elaborierte Ergebnisse, die auch das Gespräch mit den zeitgeschichtlichen sowie institutionellen Kontext der Geschichtswissenschaft über die Relevanz der als relevanten Faktor der Genese und des Wandels Medien im gesellschaftlichen Kontext erleichtern des Fernsehprogramms näher zu untersuchen - ein könnten. Faktor, der die Qualität des Gesamtwerkes erheblich Es fragt sich daher, ob die jetzt in fünf Bänden beeinträchtigt: »Ereignisse der allgemeinen Politik­ vorliegende »Geschichte des Fernsehens in der Bun­ und Gesellschaftsgeschichte, Phänomene der all­ desrepublik Deutschland« diesen Ansprüchen ge­ gemeinen Kulturgeschichte und Mediengeschichte recht wird. Daß es nicht gelungen ist, den Ertrag ei­ [kommen] nur so weit in den Blick ( ... ), als sie sich nes so umfangreichen und personell so weitverzweig­ konkret erkennbar auf Bild und Ton der Sendungen ten Unternehmens »unter einen Hut zu bringen«, ist auswirkten« (Bd. 1, S. 11 ). Damit wird programma­ zwar bedauerlich, war aber wohl kaum zu vermeiden. tisch festgehalten, daß das Sammelwerk den Ansprü• Ob alle Brüche und Spannungen zwischen den Bän• chen moderner Kommunikationsgeschichte entsagt: den und den einzelnen Beiträgen, vor allem jedoch der ist es ja gerade um die Wechselwirkung von ge­ die z.T. sehr unterschiedliche Qualität der Abhand­ sellschaftlichen und institutionellen Bedingungen ei­ lungen unvermeidlich waren, werden sich die Her­ nerseits und medial vermittelter Aussage andererseits ausgeber ernsthaft fragen lassen müssen. zu tun. Noch schwerwiegender ist, daß in seiner Gesamt­ in den Einzelbeiträgen wirkt sich dies so aus. daß gliederung das Werk in eine dreibändige (Bde. 2 bis für den Zusammenhang von Institution und Pro­ 4) Darstellung der einzelnen Fernsehgenres einer­ gramm vielfach nur die teilweise zu Klischees geron­ seits und in eine zweibändige Darstellung von Pro­ nenen Versatzstücke des zeitgenössischen öffentli• duktionsvoraussetzungen bzw . Folgewirkungen. d.h. chen Rundfunkdiskurses reproduziert werden. Dies ist Rezensionen 75 z.B . der Fall in dem Beitrag über die Politikmagazine, dies geschah in den 50er Jahren analog der Entwick­ wo die gegenseitigen Vorwürfe der parteipolitischen lung im Hörfunk der frühen 30er Jahre -, sondern Einseitigkeit einerseits und die Forderung nach Aus­ auch permanent jeweils spezifische »fernsehgerech­ gewogenheit andererseits wiederholt werden, ohne te« Ausprägungen der einzelnen Gattungen. Mag daß die Handlungs- und Aussagekontexte der betref­ sich mit dem von Hickethier auch in anderen Ver­ fenden Jahre neu ausgemessen würden. Das hat öffentlichungen mehrfach erläuterten Begriff des auch damit zu tun, daß internes Material aus den Ak­ Dispositivs nicht alles hinreichend erklären lassen - tenarchiven in erster Linie der Rundfunkanstalten so sind vor allem bei Detailanalysen die Ungleichzei­ bzw. öffentlicher Archive, das häufig eine im Gegen­ tigkeilen der Diskurse und Zuschreibungen sorgfältig satz zu den Zeitgenossen differenzierende Sicht er­ zu beachten - Hickethier präsentiert u.a. mit Hilfe des laubt, fa s~ ."'i e herangezogen wurde; und das lag nicht skizzierten Ansatzes eine Fernsehgeschichte »in nur an d ;;;;71 gelegentlich eingeschränkten Zugang. nuce«, die die wichtigsten Trends gut zusammenfaßt Da jedoch manche Autoren auf den zeit-, sozial­ und deren Aussagen den genreorientierten Beiträgen und kulturhistorischen Kontext für ihre Detailanalysen jeweils als Grundlage hätten dienen können. Ein nicht verzichten können und wollen, »zimmern« sie eiliger Leser wird sich ihrer als fundierter, das ge­ sich einen solchen für den »Eigengebrauch« zurecht. sellschaftliche und mentale Umfeld zumindest nicht Besonders deutlich wird dies z.B. in dem Beitrag von aus dem Blick verlierender Gesamtdarstellung bedie­ Siegtried J. Schmidt und Renale Spieß über die nen können. Fernsehwerbung in Band 4, die ohne diesen Rahmen Die weiteren Beiträge im ersten Band tragen, nicht auskommen wollen. Die zeitgeschichtlichen wenn sie denn überhaupt im weiteren Verlauf der Durchblicke sind in der Regel unbefriedigend: Wäre Fernsehgeschichte herangezogen werden , insgesamt da nicht ein höheres Maß an Arbeitsteilung bzw. nur wenig zur Erklärung des Wandels im Fernsehan­ Integration von Teilergebnissen möglich gewesen? gebot bei. Da Medienkonkurrenz bzw. -komplementa­ Exemplarisch für eine gewisse Widersprüchlich• rität ein wesentliches Element der jeweiligen Verän• keil in der Anlage des Gesamtwerkes und seine inne­ derung in den unterschiedlichen Medien gesellschaft­ ren Brüche ist z.B. auch, daß trotz der zitierten Be­ licher Kommunikation ist, hätte Werner Faulstichs schränkung Joan Bleicher einen Überblick über die Beitrag »Der Produktverbund mit anderen Medien: » Institutionengeschichte des Fernsehens« gibt (Bd. 1, Arten , Ausmaß. Entwicklung« (S. 323ft.) sich auf die­ S. 67ft.). Doch auch er wird gleichfalls für die weitere sen Gesichtspunkt konzentrieren sollen. Das statisti­ Darstellung nicht fruchtbar gemacht. Er kann es auch sche »Zahlenfeuerwerk« über die »Visualisierung« nicht - und damit beginnen wir nach der Gesamt­ des Buches im Fernsehen bzw. der »Verbuchung« schau mit der Detailanalyse von Bd. 1 -, da der des feievisionären Angebots bleibt im wesentlichen Beitrag die vorhandene Literatur kompiliert und nicht auf der quantitativen Ebene stehen. Faulstich stellt einmal in Ansatzpunkten Kriterien für eine Zusam­ auch keine Verbindung zum ersten Beitrag des Folge­ menschau von Institutionen- und Programment­ bandes über Literatur und Fernsehen her - was wicklung enthält. Bleichers gelegentliche Äußerungen sinnvoll gewesen wäre. z.B. zu ökonomischen Aspekten von Programmver­ Das Ende der 80er Jahre konzipierte Projekt einer änderungen lesen sich dann etwa so: ln den 70er »Fernsehgeschichte der Bundesrepublik Deutsch­ Jahren habe die »Reorganisation des Redaktions­ land« konnte die seit etwa 1991 gegebenen Möglich• und Produktionsbetriebs unter dem Diktat von Effizi­ keiten des Zugriffs auf die Materialien des DDR-Fern­ enzsteigerungen zu Programmverflachungen« geführt sehens nicht mehr berücksichtigen. PeterHoff stellt in (Bd . 1, S. 11 0) . Ähnlich folgenlos bleibt der konzise einem Überblick dar (S. 245ft.), wie sich im Span­ technikgeschichtliche Abriß von Siegtried Zielinski (S . nungsfeld zwischen programmliehen und technischen 135ft.). Möglichkeiten sowie parteiamtlichen Vorgaben das Weitere Grundsatzfragen der Programmentwick­ spezifische Programmprofil des DDR-Fernsehens in lung werden in den Beiträgen von Monike Elsner, Struktur und quantitativen Anteilen der einzelnen Gat­ Thomas Müller und Peter M. Spangenberg »Zur Ent­ tungen entwickelte. Damit sind interessante Thesen stehungsgeschichte des Dispositivs Fernsehen« (S . aufgestellt, die Ausgangspunkt für eine detailliertere 31ft.), Knut Hickethier »Dispositiv Fernsehen, Pro­ Beschäftigung mit dem DDR-Fernsehen sein gramm und Programmstrukturen in der Bundesrepu­ könnten. blik Deutschland« (S . 171ft.) und Gebhard Rusch Im zweiten Band der Fernsehgeschichte steht das »Fernsehgattungen in der Bundesrepublik Deutsch­ Fernsehen als Produzent und Vermittler von »Kultur«, land« (S . 289ft.) behandelt. ln ihnen geht es darum, d.h. nach dem Verständnis der Herausgeber von das Gesamtangebot und seine Veränderungen auch »Hochkultur« auf dem Prüfstand. Kern ist die aus den Impulsen der spezifischen situativen Konfigu­ »Wechselwirkungsgeschichte« (S. 13) des Fernse­ ration des Fernsehempfangs - als »lnhouse-Kino« - hens als neuem »audiovisuellen« Vermittlungskanal zu erklären. Vor allem Hickethier zeigt, wie diese mit den ihm vorausgehenden »Medien« Literatur, spezifische Anordnung des in der Privatheil verfügba• Theater, Film etc. Diese werden von ihm schon allein ren »Kinos« die unterschiedlichen Zuschreibungen aus Hunger nach Stoffen »ausgebeutet« - dies aber der Funktion des Mediums durch Programmverant­ durchaus in Analogie zu den alten Künsten, die sich wortliche, Fernsehkritiker und Rundfunkpolitiker inso­ ähnlich verhielten, als diese ebenfalls neu waren -, fern konterkarierte, als sich vermittels dieser Anord­ und das Fernsehen paßte sie sich seinen spezifi­ nung massiv die Zuschauerinteressen durchsetzten. schen Verwertungsbedingungen an. Dabei wird in der Das bewegte Bild auf der Mattscheibe im Wohnzim­ Einleitung von den Herausgebern Helmut Schanze mer erforderte nicht nur eine Erweiterung des Ange­ und Bernd Zimmermann nicht darüber reflektiert, was bots . weil es prinzipiell ständig verfügbar sein sollte - denn dies - auf einen generellen Nenner gebracht - 76 Rundfunk und Geschichte 22 (1996)

überhaupt sein könnte. Oeplaziert erscheint in dem integriert werde (so Helmut Kreuzer und Christian W. Band, da eigentlich keine »Vorgängerkunst« aufgrei­ Thomsen, Bd. 1, S. 10), läßt den Verdacht aufkom­ fend , der Beitrag über die Geschichte der Kunstsen­ men , daß Schanze und Zimmermann das Fernsehen dungen (S . 67ft.). Die Autoren Gundolf Winter, Mar­ nicht nach seinen sich zweifellos wandelnden Eigen­ tina Dobbe und Christoph Schreier räumen auch ein, gesetzlichkeilen als populäres Massenmedium, son­ daß die für sie verantwortlichen Redaktionen bei der dern letztens danach beurteilen möchten, inwieweit Gestaltung ihrer Sendungen gerade nicht »aus der es als (Hoch-)Kulturmedium bewertet werden kann . Tradition des Kunst- und Kulturfilms schöpfen bzw. Daß die Verhältnisse schon in der nach allgemei­ sich eine eigene ästhetische Individualität schaffen nem Urteil am ehesten kulturell - und kaum politisch wollte[n]« (S . 76) . Sie hätten sich mehr den Bildungs­ bzw. aktutell informierend - zu kennzeichnenden er­ und Informationsendungen verpflichtet gefühlt; dem­ sten Phase der bundesrepublikanischen Programm­ nach gehörte der Beitrag eigentlich in den dritten geschichte anders lagen, belegt auch der im wesent­ Band, wie auch die teilweise Berücksichtigung der lichen programmstatistisch argumentierende Beitrag Kulturmagazine belegt, die jedoch eine eigene Dar­ über »Theatersendungen im Fernsehen« von Ooris stellung erfahren. Nach Einschätzung der Autoren Rosenstein, Peter Seibert und Renate Gompper (S . sind die Kunstsendungen losgelöst vom »Dispositiv 159 ff.): Von 239 Übertragungen von Bühnentheater• Fernsehen« (S. 67). Ist diese möglicherweise hinter­ aufführungen in den Jahren 1953 bis 1963 waren 186 fragbare Feststellung mit dafür verantwortlich , daß Komödien und lediglich 49 literarisch anspruchsvolle außer nicht gründlich unternommenen Recherchen Dramen (augenfällig sind hier die Parallelen zum z.B. in den Redaktionsarchiven die Thematisie­ Hörspiel der 40er und 50er Jahre. das in hohem Ma­ rungsstudien trotz des grob umrissenen zeitge­ ße als Theaterersatz galt). Oie Vermittlungsleistung schichtlichen Kontextes nicht recht interpretiert wer­ des Fernsehens könne nicht als Widerspiegelung des den? Theatergeschehens gelten, so resümieren die Helmut Schanzes und Bernhard Zimmermanns Autoren, wobei - ähnlich wie bei Schanze und Zim­ Ausführungen über »Fernsehen und Literatur. Fiktio­ mermann - offen bleibt, was die Auswahl von Thea­ nale Fernsehsendungen nach literarischer Vorlage« terstücken durch die Redaktionen »unter dem Blick­ (S. 19ft.) wird durch die Darstellung der Kunstsendun­ winkel ihrer Verwendbarkeit als geeigneter Pro­ gen nicht nur äußerlich von den Beiträgen über »The­ grammstoff« (S. 180) letzten Endes für den generel­ atersendungen«, den Spielfilmen im Fernsehen und len Trend des Fernsehangebots aussagt. dem Fernsehspiel getrennt. Sie erheben zwar den Was in der Gesamtanlage der Fernsehgeschichte Anspruch, das Auf und Ab der Verwendung un­ und auch in vielen Einzelbeiträgen nicht zusammen terschiedlichster literarischer Stoffe, die das Fernse­ gesehen wird, versucht lrmela Schneider in ihrem hen »entsprechend seinen eigenen Produktionsre­ Beitrag »Ein Weg zur Alltäglichkeit. Spielfilme im geln« be- und vernutzt zu beschreiben . Die von Fernsehprogramm« (S. 227ft.) in bezug auf das Schanze und Zimmermann - in nicht immer einsichti­ Spielfilmangebot multiperspektivisch darzustellen. Sie gen Dekadenschritten, die aber, wie erwähnt, man­ geht von der These aus, daß auch der Spielfilm im gels anderer eindeutiger Periodisierungsmöglichkei• Fernsehen Teil der medienvermittelten Auseinander­ ten auch zahlreiche andere Beiträge kennzeichnen - setzung mit der Wirklichkeit sei, aber in den jeweili­ skizzierte »Verfallsgeschichte« vom orginären Fern­ gen Abspielorten Kino oder Fernsehen eine eigene sehspiel in Analogie zum literarischen Hörspiel der Funktion habe. Ohne expressis verbis sich auf das 50er Jahre über die vornehmlich epische Stoffe Dispositiv-Modell zu beziehen, schildert sie den Weg ausbeutende Praxis der 60er Jahre und die weitere des Spielfilms im Programmangebot der 50er bis 80er Entwicklung bis hin zur Serialisierung im dualen Sy­ Jahre und zeigt, wie im Kräftespiel von Programm­ stem wird eben nicht an dem Maßstab der »Produk­ vorstellungen der Redaktionen mit ihren z.T. an­ tionsregeln« gemessen. Dies wird um so deutlicher, spruchsvollen filmästhetischen und filmgeschichtli­ wenn man ihre Ausführungen etwa mit dem Beitrag chen Ambitionen, von Programmkritik, Fi lmindustrie Hickethiers über das Fernsehspiel (S. 303ft.) ver­ und den Rechteinhabern (Kirch) und damit ökonomi• gleicht. Schanze und Zimmermann deuten nur in schen Überlegungen der Rundfunkanstalten sowie vagen Umrissen an , anstatt es deutlich als Arbeits­ den Interessen der Zuschauer das Angebot sich hypothese zu formulieren, daß auch das Fernsehen kontinuierlich ausdehnte, aber auch veränderte. von Anfang an, entgegen der Rhetorik seiner »Wirkungen« bzw. die Akzeptanz des Spielfilmange­ Hauptverantwortlichen, ein Instrument der Kultur­ bots, dessen Wandel übersichtliche, nach verschie­ vermittlung zu sein, sich ganz selbstverständlich in denen Kriterien sortierte Tabellen am Ende des Bei­ hohem Maße dem Zerstreuungs- und Unterhal­ trags belegen, kann sie nur aus dem allgemeinen tungsbedürfnis des Publikums verpflichtet fühlte, und »kulturellen Klima« extrapolieren, nicht eigentlich zwar analog zum Hörfunk. Geht es ihnen nicht letzt­ empirisch belegen. Das ist ein gewisses Manko des lich doch darum, die »Rolle und Bedeutung bestim­ Beitrags, dessen vielschichtiges Bild eingehender zu mer Sendungen oder >Autoren< (in einem fernsehge­ bewerten sich dem Nichtfachmann entzieht. mäßen und nichtliterarischen Begriffsverständnis)« ln Knut Hickethiers vergleichweise knapper Dar­ analog hochliterarischer Wertungskriterien zu be­ stellung des Fernsehspiels (S . 303ft.) werden die stimmen? Der Hinweis, daß damit die »Fernsehge­ zeitgeschichtlichen Bezüge angedeutet sowie auch schichte auch einen Beitrag zur Kanonbildung leiste« einige Verbindungen zu Entwicklungen anderer Me­ und sich in der gewählten Form der gattungsbezoge­ dien hergestellt. Wie lrmela Schneider versucht auch nen Vergehensweise nicht nur die »populären Erfolge er, den Wandel des Genres in seinen Bezü gen zum der Vergangenheit« abzeichneten, sondern auch bis­ Gesamtprogramm zu analysieren . Hickethier zeigt. la ng wen iger Beachtetes ins historische Bewu ßtsein« daß sich das Fernsehspiel anfangs mi t seinem ex- Rezensionen 77 pliziten Kunstanspruch als »gegen das Programm nung durch Wort, Schrift, Druck, Bild oder in sonstiger gerichteter Versuch der Sinnstiftung« zu definieren Weise frei zu äußern.« suchte und dabei einen von Film und Theater abge­ Inwieweit der hehre Anspruch , Zensur nicht zuzu­ setzten eigenen Inszenierungsstil entwickelte. Dieser lassen bzw. den Anspruch des einzelnen auf Mei­ Ansatz ließ sich aber nicht durchhalten. Im Umfeld nungsfreiheit durch die Verfassung zu schützen, auch eines im wesentlichen filmischen Mediums wurden der politischen und gesellschaftliche Realität der 20er nicht nur die spezifische Studioästhetik verlassen und und frühen 30er Jahre in Deutschland standhielt, hat filmische Verfahren angewandt. Man bemühte sich Petersen anhand von generellen Bestimmungen und auch, die Sterilität der anfänglich häufigen Anleihen einzelnen Zensurmaßnahmen untersucht. So sind der dramatischen und epischen Literatur mit der z.B. Schulbuchprüfung und -Zulassung sowie die Suche nach dem Originalfernsehspiel zu durchbre­ Rundfunkkontrolle für ihn Ausfluß der »kulturellen chen. Das gelang nicht, und entsprechend seinem Gestaltungsmacht des Weimarer Staates« (S . 42) auch inzwischen stark publizistischen Kontext beweg­ und damit »strukturelle Zensur«. Im einen Fall fand te sich das Fernsehspiel thematisch auf eine Ausein­ die Bevormundung durch den Staat ihren Rückhalt in andersetzung mit der unmittelbaren geschichtlichen den Verfassungsbestimmungen über die staatliche Vergangenheit wie eine Einbeziehung der Alltagswelt Schulaufsicht und im anderen in den auf dem Verord­ zu - ein Ansatz, der sich Ende der 60er Jahre auch nungsweg zustande gekommenen Betriebskonzes­ mit dem zeitgenössischen kulturellen Umfeld deckte. sionen für die privatrechtliehen Sendegesellschaften. Das Aufgehen des Fernsehspiels im sogenannten Bei jeder Gesellschaft war ein Politischer Überwa• »amphibischen Film« im Rahmen der Filmförderungs• chungsausschuß mit Vertretern des Reiches und der abkommen erleichterte dann die weitgehende Einver­ Ländern vorgesehen zur Überwachung des (politi­ leibung des Fernsehspiels in den allgemeinen Trend schen) Programms mit dem Recht der Einsichtnahme zur stärkeren Fiktionalisierung des Programms seit in die Sendetexte vor der Ausstrahlung. Petersen Aufkommen des dualen Systems, die sich in der schließt sich bei der Beurteilung dieser Tatsache der Vermehrung der Serie manifestiert. Deren Weg durch rundfunkhistorischen Forschung an , die sich »über das bundesrepublikanische Fernsehen von den er­ den Zensurcharakter dieser Form der Überwachung sten Familienserien (»Die Schölermanns«) bis zu den weitgehend einig« sei (S . 49) . Lehrer- und Arztserien der Gegenwart wird im letzten Weitere Kontroll-, Repressiv- und Strafmittel ver­ Beitrag dieses Bandes von Günther Giesenfeld und schaffte sich die Weimarer Obrigkeit u.a. durch das Prisca Prugger (S. 349ff.) beschrieben. Lichtspielgesetz vom 12. Mai 1920 - »das einzige Alles in allem wird man nach der Lektüre der er­ Zensurgesetz im Sinne des formellen Zensurbegriffs sten beiden Bände feststellen müssen, daß die ein­ der Verfassung« (S . 51). So unterlagen alle für eine gangs geschilderten Erwartungen nur zum Teil erfüllt öffentliche Vorführung vorgesehenen Filme generell wurden . Dem methodisch weit ausholenden Ansatz einer staatlichen Genehmigung durch Reichsbehör• vor allem Hickethiers entsprechen weitere Beiträge den; die Zulassung war zu versagen beispielsweise zum Rahmenkonzept im ersten Band nicht. Ange­ bei Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ord­ sichts der beschriebenen Einschränkungen wird es nung, Verletzung des religiösen Empfindens oder der auch schwerfallen, zumindest den Ertrag der Beiträge Gefährdung des deutschen Ansehens im Ausland. Im des Sammelwerks - es gibt auch zahlreiche Einzel­ Gegensatz zur Filmzensur ermöglichte das Gesetz monographien zu einzelnen Programmgattungen, für zur Bewahrung der Jugend vor Schund- und die aber möglicherweise Ähnliches gelten dürite - für Schmutzschriften vom 18. Dezember 1926 die lndi­ eine komplexe Geschichte der elektronischen Medi­ zierung bestimmter Schriften nach deren Erscheinen. en , für eine Integration der Fernsehgeschichte in eine Neben der kontinuierlichen Kontrolle, die die Freiheit Geschichte der Bundesrepublik Deutschland frucht- ganzer Medienbereiche unmittelbar beeinträchtigte, bar zu machen. gab es noch die individuelle strafrechtliche Verfol­ Edgar Lersch, Stuttgart gung einzelner, die sich an Gesichtspunkten der Ord­ nung und Sittlichkeit orientierten. Und es kam ab En­ de der 20er Jahren - nach einem ersten Höhepunkt Klaus Petersen 1923/24 - erneut in immer größerem Umfang zum Zensur in der Weimarer Republik. Verbot von Zeitungen, das sich auf das Notverord­ Stuttgart/Weimar: J. B. Metzler Verlag 1995, nungsrecht der Reichspräsidenten nach Artikel 48 der 346 Seiten . Reichsverfassung stützte. Petersen hat durch seine materialreiche Unter­ »Eine Zensur findet nicht statt« , dekretierte in ihrem suchung nachhaltig auf einen politischen und gesell­ Artikel 118 die Verfassung der Weimarer Republik. schaftlichen Tatbestand aufmerksam gemacht, der Um im darauffolgenden Nebensatz gleich eine Ein­ vielfach in der euphorischen Beschreibung der blü­ schränkung hinzuzufügen: »Doch können für Licht­ henden Literatur- und Kunstlandschaft während der spiele durch Gesetz abweichende Bestimmungen »goldenen Zwanziger« unterbelichtet geblieben ist: getroffen werden.« Auch sollten »zur Bekämpfung der daß die Zensur allgegenwätig war, sie zum Instru­ Schund- und Schmutzliteratur sowie zum Schutze der ment von Zeitgenossen wurde, die damit ihren lieb­ Jugend bei öffentlichen Schaustellungen und Darbie­ gewonnenen Vorurteilen und Ängsten Ausdruck ver­ tungen gesetzliche Maßnahmen zulässig« sein. Aber liehen, und gleichzeitig den Weg ebnete zur Suspen­ im gleichen Paragraphen der Reichsverfassung hieß dierung der wichtigsten Grund- und Freiheitsrechte es auch: »Jeder Deutsche hat das Recht. innerhalb durch die nationalsozialistischen Machthaber 1933. der Schranken der allgemeinen Gesetze seine Mei- Ansgar Diller. Frankfurt am Main 78 Rundfunk und Geschichte 22 (1996)

Klaus Winker Fernsehen vom Dezember 1935 habe, laut Zeutsch­ Fernsehen unterm Hakenkreuz. ner, den Rückzug des Reichspost-Zentralamtes aus Organisation, Programm, Personal dem Programmbetrieb gefordert, obwohl dieses Amt (=Medien in Geschichte und Gegenwart, Bd. 1). mit keinem Wort im Text des Erlasses erwähnt wird. Köln Böhlau Verlag 1994, 527 Seiten. Weder war die Reichs-Rundfunk-Gesellschaft der Reichssendeleitung unterstellt, wie Zeutschner be­ Heiko Zeutschner hauptet, noch hat der Postminister Ende Dezember Die braune Mattscheibe. 1935 »dem Propagandaminister einen neuen Fern­ Fernsehen im Nationalsozialismus. sehsender zum Betrieb durch die Reichsrundfunk­ Hamburg: Rotbuch-Verlag 1995, 175 Seiten. kammer« übergeben. Zeutschner gelingt es nicht, seinen Anspruch, eine Lücke zu schließen, auch Daß das Fernsehen der 30er und frühen 40er Jahre wirklich einzulösen. Dabei braucht er sich noch nicht ein »Medium ohne Publikum« (Winfried 8 . Lerg) ge­ einmal an Winker messen zu lassen. wesen ist, gehört seit Jahrzehnten zur gesicherten Er­ Ansgar Diller, Frankfurt am Main kenntnis der rundfunkhistorischen Forschung. Ebenso besteht Konsens, daß es den nationalsozialistischen Ergänzend dazu vgl. Michael Rother: Fernsehsen­ Machthabern nicht so sehr um die Propaganda im der Paris. Das deutsch-französische Besatzungs­ Fernsehen als um die Propaganda mit dem Fernse­ fernsehen (1942-1944). in : Wolfgang Drost u.a. hen ankam, um Deutschlands führende Stellung als (Hrsg .): Parissous l'occupation- Paris unter deut­ Industrienation im internationalen Vergleich zu be­ scher Besatzung. Heidelberg 1995, S. 156- 165. weisen. Zu diesen Befunden kommen auch das volumi­ nöse Buch von Klaus Winker, hervorgegangen aus Deutsches Rundfunkarchiv (Hrsg.) einer Mainzer Dissertation, und der kursorische »Hier spricht Berlin ... «. Überblick des Journalisten Heiko Zeutschner, der laut Der Neubeginn des Rundfunks in Berlin 1945 Klappentext »gegenwärtig an einer medienwissen­ (= Veröffentlichungen des Deutschen schaftlichen Dissertation« arbeitet. Seide Autoren Rundfunkarchivs, Bd . 1). haben ihre Darstellungen ähnlich strukturiert: Erfin­ Potsdam : Verlag für Berlin-Brandenburg 1995, dung der Lochscheibe durch Paul Nipkow 1883 als 199 Seiten . eine der Voraussetzungen für spätere Fernsehexpe­ rimente; Vorgeschichte in der Weimarer Republik; Mit der Dokumentation »Hier spricht Berlin ... « eröffnet Machtübernahme durch die Nationalsozialisten in das Deutsche Rundfunkarchiv Frankfurt am Main/Ber­ Staat und Rundfunk; übereilter Sendebeginn 1935 bei lin eine neue Publikationsreihe, die im weitesten keineswegs ausgereifter Technik, um den Engländern Sinne den Ergebnissen rundfunkhistorischer For­ beim Fernsehstart zuvorzukommen; Ausbau der Or­ schung sowie Quellenerschließung ein Forum bietet. ganisation und Entwicklung von Programmstrukturen Der erste von mehreren Bänden, die innerhalb weni­ und -sparten ; Bedeutung während der Olympischen ger Wochen erschienen sind, ist insofern program­ Spiele 1936; Fernsehstuben und Fernseheinheits­ matisch, als hier ein umfangreicher Nachweis von empfänger; Rolle des Mediums bei der Truppen­ Tondokumenten und Sendemanuskripten, der Ab­ betreuung während des Zweiten Weltkriegs; Fernse­ druck von faksimilierten Presseausschnitten, Fotos, hen im besetzten Paris 1. Erinnerungsberichten und Urteilen von Zeitzeugen mit Winker hat alle erreichbaren ungedruckten und einer Übersicht über das Programm des Berliner gedruckten Quellen ausgewertet, vor allem im Bun­ Rundfunks 1945 verbunden sind. Dem Buch voran­ desarchiv mit seinen Standorten Koblenz, Potsdam, gestellte Zeittafeln und ein Personenregister, das Freiburg und Berlin sowie im Politischen Archiv des durch Klammerzusätze kenntlich macht, in welcher Auswärtigen Amtes, und einige Privatarchive heran­ Quellenart die aufgeführte Person zu finden ist, run­ gezogen. So war er in der Lage, die Geschichte des den die Dokumentation ab. »Fernsehens unterm Hakenkreuz« in allen seinen Die dokumentierten Wort- und Musikbeiträge er­ organisatorischen und personellen, technischen und möglichen historisch interessierten Rundfunkredak­ programmliehen Verästelungen im Kontext der politi­ teuren einen schnellen Zugriff auf die in Berlin-Ad­ schen und propagandistischen Vorgaben nachzu­ lershof vorhandenen Bestände und gewähren insge­ zeichnen. Nicht selten schießt er aber in seinem Mit­ samt einen umfassenden Überblick über die gedruck­ teilungsdrang über das Ziel hinaus, wenn er private ten und nicht gedruckten schriftlichen Unterlagen. Affären von Mitarbeitern detailliert darstellt, die mit Eine Ergänzung hätte zusätzlich der Abdruck einer im dem Forschungsgegenstand wenn überhaupt nur Archiv vorhandenen Zusammenstellung der 1945 ganz am Rande etwas zu tun haben. vom Berliner Rundfunk ausgestrahlten Literatur- und Besticht Winker mit soliden, auf Quellen fußenden Hörspielsendungen sein können, die den Nutzern des Informationen, so ist bei Zeutschners sich ausschließ• Archivs für die Formulierung entsprechender Frage­ lich auf die Sekundärliteratur stützenden Ausführun• stellungen eine große Hilfe sein kann. Dennoch ist gen Vorsicht angezeigt. Er will in seiner Studie, so der die in ihrer Art einmalige Quellendokumentation dazu Autor in seinem Vorwort. »die Daten und Fakten aus geeignet, nicht nur historisch orientierte Hörfunksen• dieser Zeit ( ...) zusammenfassend« darstellen und dungen zu bereichern, sondern auch der zeithistori­ damit eine Lücke schließen. Aber wie es um die Be­ schen Forschung Anregungen zu geben, Zeugnisse handlung der Daten und Fakten bestellt ist, zeigen des Rundfunks überhaupt bzw. stärker als bisher bei einige Beispiele nur innerhalb eines einzigen Absat­ der wissenschaftlichen Arbeit zu berücksichtigen. zes auf Seite 110: Der zweite Führererlaß über das Rezensionen 79

Vor allem für die Orientierung des historisch nur Axel Schildt bedingt vorgebildeten Lesers sind die beiden Zeitta­ Moderne Zeiten. feln zum »Jahr 1945« mit Hinweisen zur Rundfunk­ Freizeit, Massenmedien und »Zeitgeist« in der entwicklung in den Westzonen sowie zum »Berliner Bundesrepublik der 50er Jahre (= Hamburger Rundfunk und [zur] Rundfunkpolitik in der sowjeti­ Beiträge zur Sozial- und Zeitgeschichte, Bd. 31) . schen Besatzungszone und in Berlin« eine hinrei­ Hamburg: Hans Christians Verlag 1995, 733 Seiten. chende Einführung. Doch einige Eintragungen sind zu vermissen, andere ungenau. So fehlen Angaben Seit Beginn der 80er Jahre ist das allgemeine Inter­ zum Ende der Sendungen des Reichssenders Berlin esse an den Gründerjahren der Bundesrepublik sowie die Erwähnung des Befehls Nr. 51 der Sowjeti­ Deutschland erheblich gewachsen. Der Hamburger schen Militäradministration vom 4. September 1945, Sozialhistoriker Axel Schildt hat diese widersprüchli• der ausdrücklich festlegt, daß die Medien einschließ• che Zeit unter die Lupe genommen: Auf der einen lich des Rundfunks vor allem russische bzw. sowjeti­ Seite herrscht eine liebevolle, fast kultische Vereh­ sche Kulturleistungen verbreiten und würdigen soll­ rung für die Warenweit aus den »50ern«. Auf der an­ ten. Wenn auch in den Sendungen des Berliner deren Seite wird diese Zeit in historischen Rückblik• Rundfunks schon vor diesem Datum die Kultur der ken stark kritisiert. Die Kritik gipfelt vor allem in zwei Besatzungsmacht - vor allem in Musiksendungen - teilweise miteinander verknüpften Thesen: Erstens eine ausschlaggebende Rolle spielten, dürfte dieser habe die Aufbaugeneration schwer gearbeitet, um Befehl eine wichtige Grundlage für die Programmge­ sowohl die jüngste Vergangenheit zu verdrängen als staltung auch über das Jahr 1945 hinaus gewesen auch zu Wohlstand zu kommen . Zweitens sei die sein. Vom 1. bis 4. Juli 1945 zogen nicht die Truppen Entnazifizierung unter den Bedingungen des Kalten der Westalliierten, sondern nur diejenigen der Ameri­ Krieges abgebrochen und eine bürgerlicher Restau­ kaner und Briten in Berlin ein, die Franzosen folgten ration durch die konservativen alten Männer der nicht erst am 14., sondern bereits am 12. August. Weimarer Republik betrieben worden, die sich zum Radio Frankfurt nahm nicht am 4., sondern am 1. Juni Teil auch der Kenntnisse kompromittierter National­ 1945 als Sender der amerikanischen Militärregierung sozialisten, wie Globke und anderen, bedienten. Nicht seinen Betrieb auf. zuletzt im Umfeld der Vereinigung beider deutscher Den Beitrag über das Programm des Berliner Staaten wurde dieser Vorwurf wieder verstärkt erho­ Rundfunks und seine Quellenüberlieferung erarbeite­ ben. ten Jörg-Uwe Fischer und lngrid Pietrzynski, Mitarbei­ Als Ergebnis seiner Untersuchungen präsentiert ter des Historischen Archivs des Deutschen Rund­ Schild! eines der spannendsten und umfassendsten funkarchivs am Standort Berlin. Den beiden Autoren Bücher, die bisher über die erste Dekade der Bundes­ gelingt eine sich auf ungedruckte wie gedruckte Ma­ republik geschrieben worden sind. An seinem Ende terialien stützende profunde Übersicht über das Pro­ steht die Erkenntnis, daß die Ambivalenz, die die ge­ grammangebat Dabei wird das anfängliche Suchen genwärtige historische Diskussion bestimmt, auch nach einer hörerfreundlichen Programmstruktur mit den »Zeitgeist« der 50er Jahre über weite Strecken entsprechenden permanenten Änderungen deutlich. beherrschte: Armut, Beengtheit, politisches Desin­ Die einzelnen Sendesparten werden beschrieben und teresse, Wiederaufbau - der dank seiner rasanten auch Details nicht ausgelassen unter anderem die Entwicklung bedingt auch zu einem Neuaufbau mit Zensureingriffe bei der Sendereihe »Tribüne der De­ einem erheblichen Modernisierungsschub wurde -, mokratie«, die nach der Zulassung von politischen Beschwingtheil und - vor allem in der zweiten Hälfte Parteien eingerichtet wurde (S . 60). Bedauerlich ist, der 50er Jahre - auch ein zunehmender Optimismus daß die wenigen auf den Rundfunk bezogenen Do­ durchdrangen sich gegenseitig. kumente, die in den Beständen des Bundesarchivs Für sein Buch nutzte der Autor reiches Quellen­ vorhanden sind, nicht berücksichtigt wurden. Aus material, das auf 130 eng gedruckten Seiten im An­ ihnen geht zum Beispiel hervor, daß sich die Deut­ hang zusammengestellt ist. Um zu klären, welches sche Zentralverwaltung für Volksbildung darum be­ Verständnis von Freizeit in den 50ern vorherrschte mühte, die Berichterstattung über die Nürnberger und wie vor allem Hörfunk und Fernsehen genutzt Prozesse zu verbessern. Aus den Akten der ameri­ wurden, hat Schildt Meinungsumfragen und andere kanischen Militärregierung hätten sich zudem Rück• soziologische Erhebungen akribisch ausgewertet. schlüsse über die im Beitrag nicht thematisierten Den »Zeitgeist« jener Jahre charakterisiert er über• Auseinandersetzungen zwischen den Alliierten um wiegend an Hand von Zitaten aus etwa 60 zeitge­ Einfluß auf den Berliner Rundfunk ergeben. Trotz der nössischen Zeitungen und Zeitschriften. Teilweise mit marginalen Kritikpunkte liegt ein in vielerlei Hinsicht Rückgriffen auf die Weimarer Republik und die natio­ anregendes Buch vor. Es bleibt zu hoffen, daß weite­ nalsozialistische Zeit weist Schildt überzeugend nach, re Jahre der Berliner Rundfunkgeschichte auch unter daß nach den ersten eineinhalb Jahrzehnten bun­ Einbeziehung des RIAS Berlin, des NWDR-Berlin desdeutscher Nachkriegsgeschichte eine Epoche zu sowie des Senders Freies Berlin in gleicher umfas­ Ende ging, die nach dem Ersten Weltkrieg begann sender Weise aufgearbeitet werden. und die in den 60er Jahren in den »Strukturbruch der Wolfgang Mühi-Benninghaus, Berlin Moderne« mündete. Deutlich wird, daß in den 50er Jahre:n wirtschaftliche, soziale und mentale Entwick­ lungen entstanden, die die Folgezeit prägten, daß aber die Lebensformen stärkere Ähnlichkeiten zu den 30er Jahren als zur Gegenwart aufwiesen. Die Schei­ delinie sieht Schild! im Jahr 1957. Im Verkehrswesen begannen Wandlungen , die SPD bereitete ihr Go- 80 Rundfunk und Geschichte 22 (1996) desberger Programm vor, die Kanzlerdemokratie zeugend zeichnet Schild! nach, daß sich die im Adenauers stand im Zenit ihrer Macht, die Industrie Rundfunk noch über Jahrzehnte hinziehende versuchte durch Rationalisierung Voraussetzungen Entwicklung im Fernsehen in relativ kurzer Zeit voll­ für Arbeitszeitverkürzungen zu schaffen, der freie zog. Bereits am Ende der 50er Jahre dominierten die Samstag führte zu verändertem Freizeitverhalten und Unterhaltungssendungen, oft nach amerikanischen der »Sputnik-Schock« bedingte Umorientierungen in Vorbildern gestaltet. der Forschungslandschaft. 1957 überstieg die Zahl Mit einer Darstellung der US-amerikanischen Ein­ der Deutschen, die im Ausland ihren Urlaub verleb­ flüsse auf die Gesellschaft der frühen Bundesrepublik ten, erstmals die Zahl der Ausländer, die in Deutsch­ beschließt der Autor seine Monographie. Nochmals land Erholung suchten. Nicht zuletzt überflügelte am zeigt sich das Janusgesicht der 50er Jahre. Oie kultu­ Ende des Jahrzehnts die Zahl der angemeldeten relle Überheblichkeit der Europäer gegenüber den Fernsehapparate die der Kinositze. Vor allem das Vereinigten Staaten blieb zwar bestehen, sie wich Entstehen der Fernsehgesellschaft begünstigte For­ aber zunehmend der Anerkennung der amerikani­ men der Geselligkeit, bei der das Anschauen von schen Demokratie als politischer und sozialer Sport- und Unterhaltungssendungen im Mittelpunkt Lebensform. Nicht zuletzt unter den Bedingungen des standen, das ihrerseits zum großen Kinosterben bei­ Kalten Krieges wurden die USA zum Impulsgeber der trug. ZUgleich überschritt das Radiozeitalter seinen Modernisierung in der Bundesrepublik. Damit faßt Höhepunkt, obwohl das Programmvolumen enorm Axel Schild! noch einmal zusammen, was das ge­ zunahm und den unterschiedlichen Me­ samte Buch als roter Faden durchzieht: Wiederauf­ dienpräferenzen des Publikums besser als zuvor ent­ bau, Beengtheit, langsamer aber unübersehbarer sprach. Abschied von elitären, nur eine Minderheit anspre­ Die vom Autor ausgewerteten Umfragen zum Pro­ chenden Hörfunk- und Fernsehsendungen und eine grammangebat des Hörfunks machen deutlich, daß zunehmende Modernisierung und Demokratisierung Macher wie Hörer zu Beginn der 50er Jahre mit hei­ sind zwei Seiten ein und derselben Gesellschaft, die - matlichen Klängen und leichter Muse deutlich an be­ zunächst überkommenen Traditionen verhaftet - sich reits Ende der 20er Jahre bewährten Konzepten fest­ zunehmend neu orientiert. hielten. Jazz war ebenso unbeliebt wie der in den Wolfgang Mühi-Benninghaus, Berlin USA entstandene Rock and Roll. Der Widerspruch zwischen dem kulturellen Auftrag des Rundfunks im Verständnis der Rundfunkhierarchie und dem Hö• Konrad Dussel u.a. rerwillen forderte zum Nachdenken in den Sendelei­ Rundfunk in Stuttgart 1950-1959. tungen heraus. »Gegen >die Diktatur des Massenge­ (= Südfunk-Hefte, Bd. 21) . schmacks< wurde ( ... ) die Möglichkeit >einer unmerkli­ Stuttgart: Süddeutscher Rundfunk 1995, 256 Seiten. chen und vorsichtigen Lenkung bzw. Beeinflussung des Publikums< erörtert« (S. 244). Vor allem an der Auf den ersten Blick mag es willkürlich anmuten, ein Rezeption von Jose Ortegay Gassets »Der Aufstand Jahrzehnt als Abschnitt der Rundfunkgeschichte aus­ der Massen« und Hans Sedlmayers »Verlust der zuweisen, pflegen sich doch historische Zäsuren nicht Mitte« weist Schild! nach, daß deren kulturpessimisti­ an die Grenzen von Dezennien zu halten. Aber im sche Denkhaltung in den Führungsspitzen der Funk­ Fall des Süddeutschen Rundfunks (SOR) macht dies häuser am Beginn des Jahrzehnts einen breiten so­ Sinn. ln der Geschichte dieser öffentlich-rechtlichen zialen Widerhall fand. Gleichzeit existierten gegen­ Rundfunkanstalt prägten die 50er Jahre die legen­ wartsnahe und offenere Haltungen in allen politischen däre »Ära Eberhard«, der von 1949 bis 1958 als In­ und weltanschaulichen Lagern. Dies wurde unter an­ tendant an der Spitze stand, bis er nach einer Kampf­ derem an der sich zunehmend verbreiternden Re­ abstimmung im Rundfunkrat von Hans Bausch abge­ zeption von Radio Luxemburg und AFN signifikant. löst wurde. Beide Sender traten vor allem beim jugendlichen Die Darstellung über den SDR in den 50er Jah­ Publikum in starke Konkurrenz zu den öffentlich• ren, aufbauend auf früheren Veröffentlichungen des rechtlichen Programmen, die sich mit neuen Konzep­ Hauses, 1 ist in drei Kapitel gegliedert. Im ersten skiz­ ten dem Wettbewerb um die Hörer stellten. Gleichzei­ ziert Konrad Dussel die institutionelle Seite der »Ära tig zwang die Konkurrenz des Fernsehens zum Um­ Eberhard«. Fritz Eberhard, geboren 1896 als Hellmut denken. Das Radio wurde in der zweiten Hälfte der von Rauschenplat in Dresden, in der Weimarer Re­ 50er Jahre unter den sich verändernden Gesamtbe­ publik und im Londoner Exil Funktionär des Interna­ dingungen, zu denen etwa auch die besseren Wohn­ tionalen Sozialistischen Kampfbundes (ISK) und seit verhältnisse zählten, »mehr und mehr zum Begleiter 1946 für die SPD im ersten württemberg-badischen des Einzelnen - im Auto, im Schlafzimmer und auf Landtag, wurde 1949 zunächst für drei Jahre gewählt, Reisen« (S. 260). und sehr bald begann ein »Kräftemessen« (S. 23) Mit dem »Vorspiel auf dem Theater« aus Goethes zwischen Intendant und Teilen des Verwaltungsrates »Faust« begann 1951 das reguläre Versuchspro­ sowie anderer Gremien um personelle Belange und gramm des Fernsehens. Eine Bühneninszenierung sachliche Probleme, die nicht allein auf eine politi­ von Shakespeare »Was Ihr wollt« leitete das reguläre sche Lagerbildung reduziert werden können . Eber­ Programm 1954 ein. Dennoch waren es - wie mehr­ hard wurde zwar, in der Atmosphäre eines bundes­ fach beschrieben - nicht die traditionellen Künste, die deutschen McCarthyismus Anfang der 50er Jahre. zur massenhaften Verbreitung des neuen Mediums seine »sozialistische Emigranten-Vergangenheit« (S führten, sondern die Übertragungen der Krönungsfei• 59) vorgehalten, aber gerade er selbst ließ sich in der erlichkeiten 1953 aus Großbritannien und der Fuß• Kompromißlosigkeit seines Antikommunismus nicht ballweltmeisterschaft 1954 aus der Schweiz. Über- übertreffen. Im heftigen Streit über die Frage . ob die Rezensionen 81

westdeutschen Rundfunkanstalten Bach-Kantaten Lersch bei der Sichtung der Literatur- und vom Leipziger Sender übernehmen sollten. trat er Kunstsendungen, wobei der legendäre junge sogar einsam und »im Stil Kurt Schumachers« (S .37) »Genietrupp« (S . 176) um Helmut Jedele, Martin Wal­ dafür ein, keinerlei Kooperation mit dem SED-Regime ser und Hans Gottschalk in der ersten Hälfte der 50er zuzulassen. Dussel zitiert Eberhard mit der im Kalten Jahre eine Ausnahmestellung einnahm, ebenso wie Krieg typischen Dramatik: »Ob wir in den kommenden der von Alfred Andersch geleitete »Radio-Essay« (S . Jahren und Jahrzehnten zum abendländischen Kul­ 178) in der zweiten Hälfte des Jahrzehnts. turkreis gehören oder nicht, steht auf des Messers ln einem kurzen Beitrag erinnert Jürgen K. Müller Schneide.« (S . 40) Es war offenbar nicht zuletzt seine an die Anfänge des Fernsehens beim SDR, für das »wenig ausgeprägte Fähigkeit, überzeugend Per­ seit dem 1. Oktober 1953 Jedele als »Fernsehbeauf­ sonalpolitik zu gestalten« (S .56) . die immer wieder tragter« verantwortlich zeichnete. Es wird deutlich, Anstoß erregte und schließlich dazu führte, daß Eber­ daß der SDR keine entscheidenden Impulse zur hard 1958 völlig überraschend bei der Neuwahl des Entwicklung des neuen Mediums lieferte, das vom Intendanten Hans Bausch im dritten Wahlgang knapp Nordwestdeutschen Rundfunk in Harnburg vorange­ unterlag. Seitenblicke werden in diesem vornehmlich trieben wurde. Allerdings geben Hinweise auf einige institutionengeschichtlichen Abriß auf den Ausbau der Fernsehspiele, Unterhaltungssendungen, die »Stutt­ Rundfunkanstalt, die Stuttgarter Studioneubauten, auf garter Schule« der Fernsehdokumentation und die Schwetzinger Festspiele als Konzert- und Thea­ schließlich die erste Aufklärungsserie über das natio­ terunternehmen des SDR und auf die Auseinander­ nalsozialistische Regime (»Das Dritte Reich«, 14 setzungen um die Organisation des Fernsehens ge­ Teile, 1960/61 ) einen Eindruck von Stuttgarter Beiträ• worfen . gen zum Fernsehprogramm der ARD , die näher be­ Mit dem Hörfunkprogramm des SDR beschäftigt trachtet werden sollten. sich Edgar Lersch. Er profiliert es einerseits als Die Publikation des SDR ist mit 150 Abbildungen »Freizeitmedium« (S. 93) , in dem »Unterhaltung und aus dem Innenleben des SDR illustriert und bietet Zerstreuung« (S. 95) eine zentrale Funktion besaßen. nicht nur einen soliden Überblick über die Geschichte andererseits wurde »in hohem Maße [der] kulturelle dieser Sendeanstalt in den 50er Jahren, sondern ist und volkserzieherische Auftrag des Rundfunks, wie er in einigen Teilen , vor allem durch die Analyse der bereits in der Weimarer Republik formuliert worden Programmstrukturen, als Mosaikstück einer noch zu war«, betont (S . 97) . Damit befand man sich in einem schreibenden Sozialgeschichte des öffentlich-rechtli• fortwährenden Spannungsverhältnis zu den Wün• chen Rundfunks in der Nachkriegszeit anzusehen. schen des Publikums, die von keiner anderen Rund­ Axel Schild!, Harnburg funkanstalt über einen ähnlich langen Zeitraum (von 1949 bis in die 60er Jahre) derart präzise ermittelt Vgl. Eberhard Klumpp: Das erste Jahrzehnt - Der wurden wie vom SDR bzw. dem beauftragten Institut Südfunk und sein Programm 1924-1933/34. für Demoskopie Allensbach. Stuttgart 1984; Edgar Lersch: Rundfunk in ln einer Analyse der Programmstrukuren kommt Stuttgart 1934-1949. Stuttgart 1990. Lersch zu dem Ergebnis, daß das »Programmange­ bot in den fünfziger Jahren weitgehend unverändert« (S . 107) blieb: ein Musikanteil von 55 bis 60 Prozent, Heinz-8. Heller/Peter Zimmermann (Hrsg.) davon wiederum mehr als zwei Drittel Unterhaltungs­ Blicke in die Welt: musik, die mit anderen Unterhaltungssendungen vor Reportagen und Magazine des nordwestdeutschen allem die hauptsächlichen Nutzungszeiten am Mittag Fernsehens in den 50er und 60er Jahren und Abend bestimmte. Mit der Programmreform von (= CLOSE UP: Schriften aus dem Haus des 1953 paßte sich der SDR - mit großem Erfolg bei den Dokumentarfilms, Bd. 3) . Hörern - dem Verfahren anderer Anstalten an, an­ Konstanz: UVK-Medien/Öischläger 1995, 304 Seiten. spruchsvolle Sendungen nicht zur Hauptsendezeit auszustrahlen (S. 113). Eine Alternative zum jeweili­ Die Auseinandersetzung mit der Genese, Theorie und gen Beitrag bot im übrigen das zweite Programm auf Ästhetik des Fernsehdokumentarismus, gerade in UKW, das als »direkter Kontrast« (S . 121) zum ersten den Anfängen der Nachkriegszeit, gerät allzuoft in Programm konzipiert war. ln der zweiten Hälfte der den Hintergrund der gegenwärtigen medienwissen­ 50er Jahre bekam das Radio zunehmend Konkurrenz schaftlichen Forschungspraxis. Um so mehr Aufmerk­ durch das Fernsehen. Dies galt vor allem für die Ein­ samkeit verdient der von Heinz-B. Heller und Peter schaltquoten der bis dahin erfolgreichsten Rundfunk­ Zimmermann herausgegebene Sammelband »Blicke sendungen, die mit Quizelementen durchsetzten in die Welt«. Die Beiträge von kompetenten Autorin­ »Bunten Abende«, die dann auch ohne große Verän• nen und Autoren, insbesondere von Zeitzeuginnen derungen vom Fernsehen übernommen werden und -zeugen, gewähren wichtige Einsichten in die konnten. Rundfunkgeschichte nach 1945: Sie resümieren die Besonders aufschlußreich sind die Ausführungen Fernsehberichterstattung über den Wiederaufbau, zum Musikgeschmack und den Versuchen einer kul­ das Wirtschaftswunder und den Kalten Krieg in den turell legitimierten GängeJung des Verlangens nach 50er Jahren bis zu den ersten Versuchen eines - dem Schlagerschnulzen, bis hin zum inkriminierenden politischen Establishment unliebsam-kritischen, in­ Stempel »L.M. « (>Lieschen Müller<). der Musikstücke vestigativen Journalismus, beispielsweise im NDR­ von der besten Sendezeit ausschloß (S . 152). Neben Magazin »Panorama«, in den 60er Jahren. Unterhaltung und Information bildeten Kultur, E-Musik Die erste Gruppe von Beiträgen befaßt sich mit und Literatur die dritte Säule des Programmangebots; organisatorischen. produktionstechnischen und pro- »wenig Neues. eher Bewährtes« (S. 173) findet 82 Rundfunk und Geschichte 22 (1996)

grammatischen Aspekten des frühen deutschen te des Mediums von Bedeutung sein sollten. Dabei Fernsehens. Rüdiger Proske erörtert Voraussetzun­ bescheiden sich die Beiträge der Autorinnen und gen , Probleme und (Miß-)Erfolge beim Aufbau eines Autoren nicht mit Darstellungen der - mehr oder we­ Fernsehprogramms für den NWDR, bei der Einrich­ niger - geläufigen Zäsuren in der Rundfunkgeschich­ tung der Hauptabteilung Zeitgeschehen im NWRV/ te, sondern sie vermögen diese mit zum Teil kaum NDR und bei der Begründung innovativer Dokumen­ bekannten Tatsachen zu ergänzen. Dies trifft bei­ tarreihen (»Auf der Suche nach Frieden und Sicher­ spielsweise zu auf die nationalsozialistische Hinter­ heit« , »Pazifistisches Tagebuch«) bzw. Magazinfor­ lassenschaft in den Funkhäusern und deren Bekämp• mate (»Nordschau«, »Panorama«). Carsten Diercks fung, auf frühzeitige Versuche der lnstrumentalisie­ schildert die Entwicklung der Pilotton- und der Direkt rung und Vereinnahmung des Rundfunks durch Poli­ Cinema-Technik und die damit verbesserten Podukti­ tik und Interessenverbände sowie auf neue produkti­ onsbedingungen für eine qualitativ hochwertige Fern­ ons-, distributionstechnische und programmkonzep­ sehberichterstattung sowie für neue journalistische tionelle Errungenschaften. Die wissenschaftlich ange­ Präsentationsformen. Max H. Rehbein beschreibt die legten Beiträge vermitteln darüber hinaus wichtiges Ausbildung und Entwicklung nichtfiktionaler Fernseh­ Kontextwissen, da sie Zusammenhänge mit der Me­ genres von der Reportage bis hin zum halbdokumen­ dienpolitik, -geschichte und -ästhetik herstellen. Der tarischen Doku-Drama. Heinz Riek widmet sich den Sammelband leistet insgesamt einen wichtigen Bei­ besonderen politischen, institutionellen und pro­ trag zur rundfunkhistorischen Rekonstruktion der 50er grammgestalterischen Bedingungen des NWDR-Ber­ und 60er Jahre. lin, der später im SFB aufging . Christian Filk, Köln/Siegen Die zweite Gruppe von Beiträgen analysiert Sen­ dereihen und Magazine in den ersten beiden Jahr­ zehnten des Fernsehprogramms. Heller weist auf den Heiner Boehnke u.a. (Hrsg.) medienhistorischen bzw. -ästhetischen Zusammen­ hr - 50 Jahre Rundfunk für Hessen. hang von Hörfunkfeature und Fernsehdokumenta­ Eine mediengeschichtliche Dokumentation. rismus der 50er und 60er Jahre hin und stellt den Frankfurt am Main: Insel Verlag 1995, 256 Seiten. mittels spezifischer Präsentationsmodi erzeugten »filmischen Konstruktionscharakter« des NWDR-Do­ Am 1. Juni 1945 nahm der Rundfunksender in Frank­ kumentarismus heraus. Thilo Koch berichtet von der furt seinen Betrieb wieder auf. Zwar stand der Sender Entstehungsgeschichte der Senderreihe »Die rote von Radio Frankfurt, wie sich die von der amerikani­ Optik« , die sich des DDR-Fernsehens annahm, indem schen Besatzungsmacht initiierten Station nannte, in sie von der neuen technischen Möglichkeit des Sen­ der Nähe Bad Vilbels, und die Sendungen kamen aus dungsmitschnitts Gebrauch machte. Heidemarie provisorischen Studios in einer Pension in Bad Nau­ Schumacher untersucht die Gründung des kritischen heim. Doch schon im Februar 1946 war das kriegs­ Magazins »Panorama« und die Auswirkung von des­ zerstörte Funkhaus in der Eschersheimer Landstraße sen investigativem Journalismus insbesondere auf in Frankfurt so weit hergerichtet, daß der Rundfunk die Befindlichkeit von Politikern. Peter von Zahn wieder an seinem früheren Standort präsent war. Und zeichnet mit der Geschichte der »Reporter der Wind­ inzwischen war durch eine Proklamation von General rose« die Entwicklung eines der ersten und bedeu­ Dwight D. Eisenhower am 19. September 1945 das tendsten Auslandsmagazine im deutschen Fernsehen Land Hessen gegründet worden. Diese Ereignisse nach, das für viele nachfolgende Sendungen Weg­ vor 50 Jahren haben Mitarbeiter des Hessischen ma1Xen setzte. Birgit Peulings betrachtet mit »Der Rundfunks zum Anlaß eines Sammelbandes genom­ Polizeibericht meldet« und »Stahlnetz« des Regis­ men , um in Text und Bild Rückschau zu halten auf ein seurs Jürgen Roland zwei halbdokumentarische halbes Jahrhundert »Rundfunk für Hessen« .. Sendereihen mit kriminalistischen Sujets. Helga Nor­ Zu den Mitarbeitern an der »mediengeschicht­ den erinnert sich der Entwicklung der »Nordschau«, lichen Dokumentation« gehören auch zwei Prominen­ die der Idee des Regionalprogramms verpflichtet war. te, die auf dem Titelblatt nicht genannt werden: der Ludwig Schuber! gibt eine Übersicht über Fernseh­ hessische Ministerpräsident Hans Eichel und der In­ features und -dokumentationen des NDR von den tendant des Hessischen Rundfunks, Klaus Berg. Ei­ 60er bis zu den 80er Jahren. chel nutzt sein »Grußwort«, um daran zu erinnern, Die letzte Gruppe von Beiträgen konzentriert sich daß der Rundfunk für das Land und das Land selbst auf medienhistorische Überblicke. Peter Zimmermann auf die amerikanische Militärregierung in Deutschland rekonstruiert detailliert die Genese des nordwestdeut­ zurückgehen und die Gründung von öffentlich-rechtli• schen Fernsehens in der Adenauer-Ära und arbeitet chen Landesrundfunkanstalten eine Reaktion auf den dabei Wechselbeziehungen zwischen Rundfunk- und Mißbrauch des Rundfunks durch die nationalsoziali­ Zeitgeschichte heraus. Abschließend analysiert Wil­ stische Diktatur gewesen ist. Trotz einer Vervielfa­ liam Uricchio akribisch die Entwicklung des Kultur­ chung des Informations- und Unterhaltungsangebots films vor 1945, die sich nachdrücklich auf das anfäng• hat, so der Ministerpräsident, »der öffentlich-rechtli• liche Fernsehen auswirkte. che Rundfunk als Bewahrer der kulturellen Identität Der Sammelband öffnet den Blick auf grundle­ einer Gemeinschaft nicht nur seine Bedeutung« (S . gende Gesichtspunkte der Fernsehgeschichte im 12), seine Bedeutung werde noch zunehmen und Nachkriegsdeutschland. Protagonistinnen und Pro­ damit seine Existenz auch langfristig gesichert wer­ tagonisten jener Zeit geben sehr genau Auskunft über den können . Berg geht u.a. auf die Verabschiedung wesentliche institutionelle, technische, ästhetische des Gesetzes über den Hessischen Rundfunk 1948 sowie programmatische Rahmenbedingungen des ein und darauf, daß die für das Land zuständige Fernsehens , die für die gesamte Programmgeschich- Rundfunkanstalt sich stets bemüht habe, hessenweit Rezensionen 83 präsent zu sein. Der Hessische Rundfunk werde in (laut Impressum die Verfasserin, faktisch aber die der Debatte um einen Neuzuschnitt der Rundfunkan­ Herausgeberin des Bandes) zeichnet für fünf der um­ stalten nicht aktiv, es sei, so der Intendant. aber fangreicheren Texte verantwortlich, ebenso für viele daran zu erinnern. daß Rheinhessen historisch, der Miszellen. Ihre Koautoren sind Historiker. Kunst­ landsmannschaftlich, kulturell und ökonomisch eng wissenschaftler. Journalisten und Zeitzeugen. mit Hessen verbunden sei - und, so hätte er hinzufü• Die gewählte Form der Darstellung ist unter­ gen können. von 1923 bis 1945 auch über den Rund­ schiedlich: Von der wissenschaftlichen Abhandlung funk verbunden gewesen ist. bis zur vergnüglichen Reminiszenz reicht das Spek­ Diesem rundfunkhistorischen Aspekt kann freilich trum. Insbesondere Domentals zahlreiche Beiträge auch der Marburger Historiker Rolf Messerschmidt in überzeugen durch lebendige, versierte Darstellung, den einleitenden Absätzen seines Beitrags zur Rolle stilistische Eleganz und Detailreichtum; sie halten das des Hessischen Rundfunks in den ersten Nachkriegs­ Buch zusammen. Die Qualität der übrigen Texte vari­ jahren. die dem Rundfunk in der Weimarer Republik iert. Bryan van Sweringens exzellent recherchierter und im Dritten Reich gewidmet sind. nichts abgewin­ kursorischer Überblick über die Geschichte der ame­ nen. Er verkürzt den Frankfurter Rundfunk. zuständig rikanischen Truppenpräsenz in Berlin gehört zu den für Südwestdeutschland, wie seiner Bezeichnung lohnens\vet"testen. Er geht unter anderem auf die »Südwestdeutscher Rundfunk« unschwer zu entneh­ »signifika •1:e symbolische Dimension« der Beziehung men ist. auf die Standorte Frankfurt und Kassel und zwischen den US-Streitkräften und der »Hauptstadt läßt unerwähnt. daß in diesen Jahren von ihm zeit­ des Kalten Krieges« ein. Ein kleiner Irrtum unterläuft weise Studios und/bzw. Sender in Mannheim. Trier. van Sweringen: die Abkürzung AFN löst er als Freiburg. Kaiserslautern und Koblenz betrieben wur­ »American Armed Forces Radio Network« (S . 11) auf den - abgesehen von der Zuständigkeit für die Rund­ - der Sender heißt allerdings seit seiner Gründung funkversorgung des seinerzeit vom Völkerbund ver­ »American Forces Network«. Joseph Hoppe befaßt walteten Saargebiets. Weitere unterschiedlich lange sich etwas eingehender mit dem AFN , das in Berlin Beiträge - manche nur als zweiseitiges Statement am 4. August 1945 auf Sendung ging und am 15. Juli verfaßt - befassen sich mit der Regionalpolitik im 1994 seinen Betrieb in der Stadt einstellte. Es muß Hörfunk- und Fernsehprogramm. der Unterhaltung, nicht jeder Beitrag zu einer akademischen Stilübung die durch die im Buch abgedruckten Interviews mit geraten - die Publikation wendet sich an eine breite Liesel Christ und Heinz Schenk zusätzlich Farbe und Leserschaft -. aber Hoppes unstrukturierte, anekdoti­ Anschaulichkeit gewinnt. den vielfältigen Bemühun• sche Darstellung kratzt kaum die Oberfläche des gen um Kultur und Bildung in den verschiedenen Pro­ Themas an. Nur gelegentlich in den Text einge­ grammangeboten. von denen nur das in Frankfurt streute. diffuse Quellenangaben tragen nicht zur Se­ »erfundene« Funkkolleg hervorgehoben werden soll. riosität bei. Besser nimmt sich da Andreas Borsts Auch die vom Hessischen Rundfunk ausgehenden Beitrag »Radio Days. Der RIAS und die Reeducation Impulse für die Filmkultur. das musikalische Leben 1945 - 1949« aus. Er belegt pointiert den Wandel des und das Engagement bei Volksfesten und sonstigen »Rundfunks im amerikanischen Sektor« vom perso­ öffentlichen Veranstaltungen im Land werden ge­ nell anfangs linksliberal besetzten »demokratischen streift. Zahlreiche, bisher unbekannte Fotos illustrie­ Experimentierfeld« zum (ab Herbst 1947) Verbreiter ren außerdem den Redaktionsalltag und halten do­ antikommunistischer Gegenpropaganda. kumentierenswerte Programmhöhepunkte fest. Weitere, zum Teil recht belanglose Texte behan­ Ansgar Diller. Frankfurt am Main deln Berlin als Spionagemetropole, den Siegszug der US-Musik und die lokale Jazz-Szene, deutsch-ameri­ kanische Ehen. DDR-Agitation oder die undurchsichti­ Tarnara Domentat (Hrsg.) gen Hintergründe des Anschlags auf die Diskothek Coca-Cola, Jazz und AFN. »La Belle« 1986. Einige dieser Artikel dürften nur für Berlin und die Amerikaner. Berliner von größerem Interesse sein, Restdeutschen Berlin: Schwarzkopf & Schwarzkopf Verlag 1995, aber kaum relevant erscheinen. Die dokumentierten 205 Seiten. Spuren der US-Präsenz vermitteln einiges vom Le­ bensgefühl der Stadt gestern und heute. Ein allzu Ende 1994 verließen die letzten alliierten Soldaten kritischer Umgang mit den einstigen Besatzern oder Berlin. Fast 50 Jahre herrschten und wachten sie ihrem (alltags-)kulturellen Erbe ist dabei nicht zu über die Stadt. Nur wenige Monate nach ihrem Abzug konstatieren. Hier und da schwingt ein bißchen Weh­ begibt sich ein Buch auf die Suche nach ihren Hinter­ mut mit. lassenschaften. Exemplarisch wählt es die der US­ Eine sorgfältigere Redaktion hätte dem Band gut­ Amerikaner aus, der politisch und kulturell wahr­ getan: ln vielen der Beiträge finden sich kuriose scheinlich einflußreichsten Besatzungsmacht. Das Er­ Schreibfehler (»Berli4n« etc.) und ungelenke oder gebnis ist ein reich bebildeter, großformatiger Band völlig verunglückte Sätze. die darauf schließen las­ zur Rückschau auf das, was geblieben ist von fast sen. daß hier die Diskette direkt in den Satz gegan­ einem halben Jahrhundert »Prägung kultureller In­ gen ist. Auch ein »noch heute jährlich mit einer Para­ frastruktur« nicht nur durch »Coca-Cola. Jazz und de in New York gefeierter Preuße ( ... ) Friedrich Wil­ AFN«. sondern auch durch RIAS . Besatzungsstatut helm von Preußen« (S. 52) dürfte sich über seinen und lnseldasein . unfreiwilligen Namenswechsel posthum grämen. Die Rund 300 oft ungewöhnliche Bilder und Illustratio­ New Yorker feiern lieber ihre Steuben-Parade. nen begleiten 13 längere Aufsätze und eine ganze Wieso »Coca-Cola, Jazz und AFN« den Namen Reihe kürzerer und kürzester Beiträge verschiedener der berühmten koffeinhaltigen Brause aus Atlanta so Autoren. Die Berliner Amerikanistin Tarnara Domentat prominent im Titel führt, ahnt der Leser nach einem 84 Rundfunk und Geschichte 22 (1996)

Bl ick auf die letzte Seite, die eine Werbeanzeige für die Bundesrepublik erweist. ln der Regel charakte­ das Getränk füllt. Die Edition von Bildbänden ist verle­ risiert Hickethier Entwicklungen an Hand ausgewähl• gerisch kostenintensiv. ter Kritiker, wie Kurt Wagenführ für die Oliver Zöllner, Bochum >Fernsehinformationen< oder »Ponkie« für die >Abendzeitung< , und setzt sie in Beziehung zur Ge­ schichte des Mediums. Die Vielzahl der aufgeführten Knut Hickethier Namen liest sich wie ein >>Who is who« deutscher Geschichte der Fernsehkritik in Deutschland. Fernsehkritik. Die teilweise sehr langen Zitate geben (= Sigma-Medienwissenschaft, Bd . 19). darüber hinaus Auskunft über stilistische Eigenarten Berlin: Edition Sigma 1994, 279 Seiten. der Autoren . Die Darstellung verdeutlicht auch die prägende Wirkung der Fachkorrespondenzen für die Das Fernsehen ist heute weltweit das am meisten Emanzipation der Fernsehkritik sowie deren Maß• genutzte Medium. Dort verbreitete Produktionen errei­ stäbe setzende Rolle. Zeitlich parallel wandelte sich chen ein nach Millionen zählendes Publikum. Trotz die Rolle der Kritiker. Sie begann mit der Beschrei­ dieser Popularität führt die Kritik über das Fernsehen bung technischer und formaler Entwicklungen. Ihr verbreiteter Kultur- und Kunstproduktionen (ein meist folgten Ende der 60er Jahre vor allem ideologisch schlecht bezahltes) Schattendasein. Demgegenüber geprägte Kritikmuster, die ihrerseits abgelöst wurden bestimmen die traditionellen Künste, wie Literatur von einer subjektiven, nüchternen Beschreibung des oder bildende Kunst, nach wie vor die Feuilletonsei­ Gesehenen. Mit Beginn des dualen Rundfunks wur­ ten der Presse und die Themen vieler Rundfunksen­ den die Fachkorrespondenzen zu einer Instanz für dungen. Qualitätsfernsehen. Die Traditionslinien deutscher Fernsehkritik von »Kritik will die Wahrnehmung der Zuschauer den Anfängen unter dem Hakenkreuz bis in die Ge­ schärfen und langfristig den Boden bereiten für ein genwart zeichnet zum ersten Mal Knut Hickethier anderes Sehen . Ihr wohnt der Anspruch auf eine bes­ nach . Als Mitarbeiter im Siegener Sonderforschungs­ sere Kunst- und Medienwirklichkeit inne, auch wenn bereichs der Deutschen Forschungsgemeinschaft sie ihn nicht explizit formuliert« (S . 17), behauptet hatte er sich des Themas angenommen und im Rah­ Knut Hickethier als Antwort auf landläufige Vorwürfe men der fünfbändigen Fernsehgeschichte erste Er­ gegen die Fernsehkritik. Den Beweis für diese kühne gebnisse publiziert. 1 Umfassender und detaillierter These bleibt er schuldig. Dennoch ist ein empfeh­ als in diesem Beitrag gelingt es dem Autor in seinem lenswertes, spannendes Buch über einen kleinen Buch , die unterschiedlichen Positionen und Konzepte Ausschnitt deutscher Mediengeschichte entstanden. vorwiegend an Hand von Personen und überregio• Leider enthält es neben vielen Satzfehlern zumindest nalen Zeitungen zu verdeutlichen. Gegenüber früher einen falschen Namen: Der gegenwärtige erweitert er den Blick des Lesers in mehrere Rich­ >Tagesspiegei<-Redakteur Huber heißt Joachim und tungen: Hickethier beginnt nach einer kurzen Be­ nicht Josef (S . 241) . schreibung des Verhältnisses von Öffentlichkeit und Wolfgang Mühi-Benninghaus, Berlin Kritik mit einem kursorischen Rückblick auf die Film­ Vgl. Knut Hickethier: >>Bruderschaft der geröteten und Hörfunkkritik in der Weimarer Republik. Danach Augen« . Eine kleine Geschichte der Fernsehkritik beschäftigt er sich mit der >>Kunstbetrachtung in der in Deutschland. ln: Werner Faulstich (Hrsg.): Vom NS-Zeit«, in der sich Kritiker, wie Kurt Wagenführ, als >Autor< zum Nutzer: Handlungsrollen im Fernseh­ >> Kollaborateure der Fernsehleute« verstanden (S . en . München 1994, S. 119-216 40). Um seine These zu untermauern zitiert Hickethier Texte, die belegen, daß die Kritiker nicht nur die damalige Phraseologie mieden, sondern sich Ludwig Jäger/Bernd Switalla (Hrsg.) auch aus den permanenten parteipolitischen Kontro­ Germanistik in der Mediengesellschaft versen der führenden Fernsehmitarbeiter heraushiel­ München: Wilhelm Fink Verlag, 1994, 425 Seiten. ten . Für die Zeit nach 1945 stellt Hickethier alle wichti­ Die nachhaltigen technischen, kulturellen, sozialen gen Abschnitte der Fernsehkritik der DDR gleichbe­ sowie ästhetischen Folgen und Konsequenzen der rechtigt neben der der alten Bundesrepublik dar. Dies massenmedialen Kommunikation an der Schwelle ist deshalb hervorzuheben, weil er mit sehr viel De­ zum 21. Jahrhundert konfrontieren eine ganze Reihe tailkenntnis dem Leser auch aufzeigt, welche Nach­ von Wissenschaften grundlegend mit der Frage nach richten die Rezipienten ostdeutscher Zeitungen vor ihrem fachlichen, gesellschaftlichen und politischen 1989 den relativ monotonen Texten entnehmen konn­ Selbstverständnis - so auch die Philologien. Der ten . So beschreibt er etwa unter der Überschrift Sammelband »Germanistik in der Mediengesell­ »Stellvertreterkämpfe in der Kritik«, wie mit Hilfe von schaft« von Ludwig Jäger und Bernd Switalla ver­ Fernsehkritik Machtkämpfe bzw. ideologische Streitig­ sammelt 19 Beiträge in erster Linie von Literatur- und keiten zwischen führenden Parteifunktionären, etwa Sprachwissenschaftlern - darunter leider nur eine zu Beginn der 70er Jahre, zwischen dem für Agitati­ Autorin -, die den Versuch einer programmatischen onsfragen zuständigen Politbüromitglied Werner Terrain- und Identitätsbestimmung der philologischen Lamberz und dem Chefredakteur des >>Neuen Wissenschaft unter veränderten Bedingungen unter­ Deutschland« und dem ZK-Mitglied Joachim Herr­ nehmen. mann ausgetragen wurden (S. 148 f.). ln ihrer Einleitung konstatieren die Herausgeber Typisch für das gesamte Buch ist die deduktive einmütig, daß es in beiden Teildisziplinen der Germa­ Ve rgehensweise des Autors. die sich besonders vor­ nistik, sowohl in der Literatur- als auch auch in der teilhaft für die historische Darstellung des Themas für Rezensionen 85

Sprachwissenschaft, an eingehenden Reflexionen die aus der literarischen Anthropologie stammende über die disziplinäre Funktion des Faches als philo­ Auffassung, wonach dem Menschen eine besondere logische Wissenschaft mangelt, woraus sie den Be­ Stellung in der Natur zukomme. Der >»große< Erfolg« darf an einer offenen, (selbst-)kritischen und inter­ des Menschen basiert nicht auf einer außergewöhnli• disziplinären Diskussion hinsichtlich der gegenwärti• chen biologischen Ausstattung, sondern auf der Kom­ gen Forschungsperspektiven ableiten. binatorik verschiedener Charakteristika wie aufrechter Die erste Gruppe von Beiträgen konzentriert sich Gang, Handfertigkeit, großes Gehirn und Sprachfä• auf die »Literaturwissenschaft im Medienzeitalter«. higkeit Mittels eines Vergleichs der Sprachwissen­ Nach Jürgen Fahrmann bedarf es in der krisenge­ schaft mit dem Management eines Unternehmens schüttelten Literaturwissenschaft eines »memorialen benennt Michael Giesecke einige wichtige Arbeitsfel­ Prinzips« des kulturellen Gedächtnisses, welches der des Fachs: der Mensch als informationsver­ besagt: Jede erkenntnisgeleitete Differenzierung in arbeitendes System und die Welt als Ensemble in­ der Gegenwart setzt notwendig die Referenz der Ver­ formationsverarbeitender Systeme. Anhand innova­ gangenheit voraus. Aufgrund der wachsenden Be­ tiver Systementwicklungen diskutiert Burghard Rieger deutung der audiovisuellen Kultur fordert Hubertus einige exemplarische Aufgaben- und Fragestellun­ Fischer neben einer grundlegenden Strukturreform gen, die demonstrieren, daß sich mit Hypertext ein der Germanistik eine stärkere Berücksichtigung der Konzept zu etablieren beginnt, das mit dem Potential Informations- und Kommunikationstechnologien in seiner Multi-Media-Anwendungen weit über die Forschung und Lehre. Hartmut Böhme, der auf eine technologischen Veränderungen der Textproduktion, Mitverantwortung der Geistes- und Sozialwissen­ -distribution und -rezeption hinausweist. schaften an den ökologischen, sozialen und techno­ Bei dieser Bestandsaufnahme handelt es sich logischen Problemen der Weltgesellschaft verweist, nicht um die erste. aber gewiß auch nicht um die letz­ sieht eine große Herausforderung für die Germanistik te ihrer Art. Seit der Erweiterung des Literaturbegriffs in der kritischen Reflexion auf den durch die neuen Mitte der 60er Jahre hat das - chronisch zu nennende Massenmedien und Technologien evozierten sozio­ - Krisenphänomen der Einzelphilologien mit sich kulturellen Wandel. Aus Sicht einer kognitiven Psy­ wandelnden Kristallisationspunkten ihren Nieder­ chologie (»kognitiver Konstruktivismus«) skizziert schlag in zahlreichen Denk- und Streitschriften, Ta­ Norbert Groeben das Forschungsdesign einer empiri­ gungs- und Konferenzbänden gefunden. Trotz unter­ schen Literaturwissenschaft, die mit einer Umstellung schiedlicher Hintergründe, Ansätze und Überzeugun• von Historie auf Aktualität bzw. Systematik, von gen zeichnen sich doch einige markante Konvergen­ (hermeneutischer) Interpretation auf (empirie-wissen­ zen in der Auseinandersetzung um die Zukunft der schaftliche) Explikation und von Schriftmedien auf Germanistik ab. Als konsensfähig - in beiden Teildis­ neue Medien den Beginn einer interdisziplinären, ziplinen - zeigt sich die explizite Aufnahme neuer In­ empirischen Kulturwissenschaft markieren könnte. formations- und Kommunikationsmedien in den Ka­ Jutta Wermke konzentriert sich auf den philologi­ non germanistischer Forschungs- und Vermittlungs­ schen Begriff der »Autorenschaft« und analysiert die­ gegenstände; es wird allerdings Wert auf eine diffe­ sen - gestützt auf Interviewresultate - unter den Pro­ renzierte Betrachtung der einzelnen Medien und ihrer duktionsbedingungen des Fernsehens; dabei gewinnt Funktionen gelegt. Weniger einheitlich aber ist die sie Aufschluß über das besondere Verhältnis eines Einbeziehung empirischer Untersuchungsdesigns in Autors zu seinem Werk, das für die Autorin unbe­ die Wissenschaftspraxis der Germanistik. ln diesem schadet von der Wahl des Mediums besteht. Am Bei­ Zusammenhang wird für eine interdisziplinäre Koope­ spiel postmodernistischer Konzepte einer Medien­ ration mit Sozial-, Natur- und (formalen) Strukturwis­ »Ästhetik« (Fiorian Rötzer, Paul Virilio, Peter Weibel) senschaften geworben, beispielsweise mit der Sozio­ destruiert Martin Seel die Thesis: Erkenntnis sei logie und Psychologie, mit der Kognitionswissen­ nichts als mediale Konstruktion, indem er die Frag­ schaft und Biologie sowie mit der Mathematik und würdigkeit ihrer philosophischen Prämissen heraus­ Systemtheorie. Einiges davon wird bereits - ansatz­ stellt. weise - projektiert. Resümierend läßt sich feststellen: Die zweite Gruppe von Beiträgen fokussiert die Von den einzelnen Beiträgen gehen - trotz konflikt­ »Sprachwissenschaft im Medienzeitalter«. Mit Blick trächtiger Perspektiven - durchaus innovative Impulse auf die Fachgeschichte seit den 50er Jahren kontu­ für eine künftige Germanistik aus. Dieser ist eine riert Günter Grewendorf die jüngsten Theorieentwick­ wachsende Zahl aktiver Diskutanten zu wünschen. lungen der interdisziplinären, kognitiven Linguistik Die nächsten Jahre werden zeigen, ob und wieweit und analysiert deren Folgen und Konsequenzen für sich angesichts der Vielfalt an Ausdifferenzie­ die sprachwissenschaftliche Germanistik, was die rungstendenzen die Rede von der Einheit der Ger­ Organisationsform, die Forschungs- und Ausbil­ manistik bewahren läßt. dungspraxis sowie die wissenschaftspolitische Legiti­ Christian Filk, Köln/Siegen mation anbelangt. Im Zusammenhang mit der kontro­ versen Diskussion um das antagonistische Verhältnis des >>deskriptiv-interpretierenden Verstehens« einer­ seits und des >>nomologisch-systematisierenden Er­ klärens« andererseits gibt Manfred Bierwisch zu bedenken, daß die Sprachwissenschaft bei zu starker Anbindung an die technologische Entwicklung Gefahr läuft, ihr genuines Erkenntnisinteresse, die Gesetz­ mäßigkeiten von Sprache und Geist. zu verlieren. Aus der Sicht der Hirnforschung diskutiert Gerhard Roth 86 Rundfunk und Geschichte 22 (1996)

Hans Bentzien Fühmann . Bei den abgedruckten Texten der Gauck­ Meine Sekretäre und ich. Behörde beläßt er es bei den Decknamen, obwohl es Berlin: Verlag Neues Leben 1995, 351 Seiten. sich , so ist einem kurzem Vorwort zu entnehmen, um bekannte Künstler handelt, die auch heute noch eine Oie Autobiographie von Hans Bentzien, dem wichtige Rolle spielen. Von dem Arzt der Staatssi­ vorletzten Generalintendanten des DDR-Fernsehens, cherheit, der Bentzien nach seiner Entmachtung als ist eine schwierige Lektüre. Sie fordert stets zum Kulturminister die Stimmbänder zerschnitten hat, er­ Widerspruch heraus und vermittelt doch innerhalb fahren wir nur den Anfangsbuchstaben. Oie überlie­ ihrer Argumentationslinien ein Verständnis für eine ferten Dokumente geben offensichtlich keinen letzten (Auto-)Biographie, die den Weg eines ehemaligen Aufschluß. ob es sich um einen ärztlichen Kunstfehler Wehrmachtsangehörigen zu einem überzeugten oder eine absichtliche Verstümmelung handelt, selbst Kommunisten nachzeichnet, der höchste Ämter in der wenn alles auf das letztere hindeutet. DDR bekleidete und mehrfach wegen parteischädi• Die Hörfunk- und Fernsehgeschichtsschreibung gendem Verhalten aus wichtigen Funktionen ver­ wird durch das Buch um einige wichtige Punkte berei­ drängt wurde. Dennoch - diese Aussage durchzieht chert. So bestätigt es, daß in der Hörspielabteilung das gesamte Buch - ist der Autor seinen in der unmit­ des DDR-Rundfunks eine geistig freiere Atmosphäre telbaren Nachkriegszeit gewonnenen Überzeugungen herrschte als in den Abteilungen, die sich mit Tages­ bis heute treu geblieben. poli tik beschäftigten. Am Beispiel des Verbotes einer Bentzien beginnt mit der Darstellung von Reflexio­ Bearbeitung der Aitmatow-Erzählung »Der Aufstieg nen während seiner Kriegsgefangenschaft in Groß• auf den Fudschijama« verdeutlicht Bentzien die zwie­ britannien und seinen ersten Begegnungen mit spältige Haltung der DDR-Führung zur Sowjetunion. Kommunisten in der Ostzone. Deren Vorbild führte Die Freundschaft zwischen beiden Ländern ließ sich ihn selbst in KPO und SEO . Spätestens an dieser auf allen Versammlungen immer wieder beschwören, Stelle wird ein Anliegen Bentziens deutlich, wenn er das Politbüro der SEO aber ging nicht nur nach dem schreibt: »Auf Orts-, Kreis- oder Landesebene habe XX. Parteitag der KPdSU auf Distanz, sondern immer ich nicht erlebt, daß irgendein ernstzunehmender dann, wenn die Berliner Genossen glaubten. daß Widerstand erhoben worden wäre. Es ging immer um geistige Erzeugnisse zwischen Bug und Pazifik nicht den Abschluß einer unseligen Zeit: Nie wieder Fa­ in die ideologische Landschaft der DDR paßten. schismus, nie wieder Krieg . Niemals wieder sollte die Ohne diese Ambivalenz näher zu benennen, zeigt der deutsche Arbeiterbewegung eine Niederlage durch Autor an Hand seiner Biographie ein Stück der Zwietracht erfahren. Es ging um den Aufbau einer ideologischen Schwierigkeiten zwischen der DDR­ neuen Zeit« (S. 60). Und wenig später fährt er mit ei­ Führung und ihrem propagierten großen Vorbild. Oie nem noch deutlicheren Bezug auf die Gegenwart fort: Folgen dieser Politik bestimmten auch die (Nicht­ »Aber es scheint als politische Methode zu gelten, )lnhalte der Hörspielsendungen. den Antifaschismus heute auf die kleine Schar der Auch die Vorgänge um das von Bentzien 1978 Autonomen, die sowieso als Bürgerschreck fungieren, verantwortete Fernsehspiel »Geschlossene Gesell­ zu beschränken« (S . 65). schaft« werden in ihrem Vorfeld umfassender als Dieses Buch wurde nicht geschrieben, um eine bisher dokumentiert: Der Autobiographie ist eine klei­ Biographie nach 1945 zu rechtfertigen. Vielmehr ne Textauswahl dazu aus der Stiftung Archiv der möchte Bentzien mit Erklärungsversuchen am Parteien und Massenorganisationen der DDR im Beispiel seines Lebens aufzeigen, daß es sich Bundesarchiv und der Gauck-Behörde vorangestellt. manche gegenwärtige historische Darstellungen zu Den Hintergrund für diese Dokumente liefert der einfach machen, wenn sie die 40jährige DDR-Ge­ Autor gegen Ende seines Buches. Das Fernsehspiel schichte pauschalisierend und undifferenziert beurtei­ wurde mit Unterstützung des für das Fernsehen len . Seine Antwort auf diese Tendenzen ist insofern verantwortlichen Politbüromitglieds Werner Lamberz. mangelhaft, als das Buch über viele Passagen dem aber gegen den Willen des Vorsitzenden des Sprachduktus seines Autors entspricht. Vielen Stel­ Fernsehkomittees. Heinz Adameck, produziert. len , etwa wenn Bentzien erzählt, wie er vergeblich Während der Dreharbeiten verunglückte Lamberz versuchte, in Moskau Nachhilfeunter­ tödlich . Sein Nachfolger, Joachim Herrmann, schloß richt in Russisch zu geben, fehlt die notwendige Di­ sich der Auffassung Adamecks an , der die stanz. Ärgerlich wird der fehlende Abstand, wenn es »Geschlossene Gesellschaft« als dem Sozialismus im Zusammenhang mit der Schilderung der persönli• abträglich eingestuft hatte. Oie Ausstrahlung des chen Lebenssituation am Beginn der 50er Jahre Fernsehspiels konnten beide nicht verhindern, da die heißt: »Viele Jahre stotterten wir in 50-Mark-Portio­ Sendung bereits in der Presse angekündigt war. Um nen den Kredit ab. Solcherart waren die Privilegien, den Zuschauerkreis möglichst klein zu halten, änderte die gegenwärtig eine Rolle spielen« (S . 93) . An die­ Adameck mit Zustimmung Herrmanns den Sendeab­ sen und mehreren anderen Stellen hätte ich mir mehr lauf. Infolgedessen wurde das Fernsehspiel zwar aus­ Reflexion gewünscht, die den Gehalt des Buches gestrahlt. aber zu einer sehr viel späteren Uhrzeit als wesentlich erhöht und späteren, von gegenwärtigen angegeben. Diese unrühmliche Zusammenarbeit zwi­ Diskussionen unberührten Lesern einen besseren schen dem Politbüro und dem Komiteevorsitzenden Zugang zu der historischen Person Hans Bentzien verdeutiichte vielen der Beteiligten, daß die ideologi­ garantiert hätte. schen Einschränkungen auf Dauer zunehmen wer­ Der Leser erfährt Klarnamen von hauptamtlichen den . lnfolge der mit dem Fernsehspiel verbundenen oder informellen Mitarbeitern der Staatssicherheit, Strafmaßnahmen verließen viele bekannte Künstler. we nn die Personen tot sind und deren diesbezügliche wie Armin Müller-Stahl, Jutta Hoffmann und Klaus Arbei t bereits bekannt ist, etwa im Fall von Franz Poche , die DDR. in diesem Zusammenhang wird Rezensionen 87 auch erkennbar, daß zumindest unter Lamberz die Generation, der die DDR Ausbildung und Aufstieg Machtposition von Adameck im Politbüro zeitweise ermöglichte, was vor 1945 für jemanden dieser sozia­ und partiell nicht unumstritten war. Außerdem lenkt len Herkunft nicht eben üblich gewesen war. Dies Bentzien die Aufmerksamkeit des Lesers auf histori­ bewirkte nicht nur Loyalität und Dankbarkeit, sondern sche Dokumentationen, die er - ohne dies hervorzu­ auch ein ausgeprägtes Freund-Feind-Denken und die heben - in das Fernsehprogramm brachte. Fähigkeit, jähe Wendungen der SED-Politik mitzu­ Das Buch endet mit der Berufung des Autors zum vollziehen und zu vertreten. Dabei war die Intendanten des Fernsehfunks unter der Modrow­ »Machtfrage« der Kern des vorherrschenden und Regierung. Zwei kleine Begebenheiten sind hier be­ verinnerlichten Journalistenselbstverständnisses, was sonders hervorhebenswert. Zum ersten Mal wird über auch Wille zur persönlichen Machtausübung die Absicht von Kommandeuren des Ministeriums für einschloß, die je nach individuellem Ehrgeiz und cha­ Staatssicherheit berichtet, ihr gegenüber dem Fern­ rakterlicher Veranlagung unterschiedlich gestaltet sehgelände stationiertes Regiment aufmarschieren zu wurde. Zwar beinhaltete solch eine Karriere auch lassen, um die Berichterstattung des Fernsehens im Ärger, Zurechtweisungen und Unverständnis über Sinne der SED zu garantieren. Zum gleichen Zeit­ bestimmte Entscheidungen von oben, nicht jedoch punkt erhielt ein Team des Jugendsenders Elf 99 eine ernsthaften Zweifel oder nennenswerten Widerstand. Einladung von Angehörigen des gleichen Regiments, Wer in der Lage ist, diese Voraussetzungen für um eine dort stattfindende Versammlung von Ange­ eine DDR-Medienkarriere relativ vorurteilsfrei als ge­ hörigen des Truppenteils zu filmen. Im Verlauf der geben hinzunehmen, wird das Buch mit Gewinn le­ Veranstaltung erklärten die Teilnehmer unmißver• sen . Denn es bietet eine Fülle von Informationen dar­ ständlich, daß auch sie zum Volk gehören. Unbe­ über, wie Hörfunk und Fernsehen in der DDR ge­ kannt war schließlich bisher auch, daß noch im Okto­ macht wurden, mitunter mehr, als überlieferte Akten ber 1989 als regimetreu geltende Personen beim auszusagen vermögen. Das sachlich und anschaulich DDR-Fernsehen eingestellt wurden, um, wie der Au­ geschilderte Spektrum geht weit über bloße politische tor vermutet, die Sicherheit des Mediums im Sinne Indoktrination und puren Befehlsempfang hinaus und der SED-Spitze zu gewährleisten. reicht von einfallsreichen Improvisationen bis hin zu Die genannten und viele andere oft nur am Rande engagierter Professionalität. Auch die Beschreibung erzählte Einzelheiten machen das Buch interessant. der Jahre in Sonn liefert differenzierte Einblicke in Hans Bentzien bereichert den historischen Rückblick den bundesrepublikanischen Umgang mit einem auf die ostdeutsche 45jährige Nachkriegsentwicklung. Korrespondenten aus dem Osten. Für all jene, die sich für mentalitäts-, kultur- und me­ Bis auf wenige Ausnahmen entgeht der Autor der diengeschichtliche Fragestellungen dieser Zeit inter­ Gefahr anekdotischen Hinwegplauderns oder der essieren, ist sicher vieles anregend. Der Autor hat Selbststilisierung zum Opfer. Herlt, der sich auf Zu­ allerdings Chancen vertan, weil er dem Leser einiges schauerforen und in Zeitschriften auch oft über »Ziele vorenthält, was seine Handlungen erklärbarer ge­ und Methoden der Bewußtseinsmanipulation in den macht hätte. So etwa fehlen Hinweise auf das Ver­ bürgerlichen Medien« äußerte, war kein Opportunist. hältnis des propagierten Neuaufbaus in der SBZ/DDR Wenn er schreibt, er kenne »seinen Schuldanteil an und den Wiederaufbau in der Bundesrepublik in der geistigen Kasernierung unseres Landes«, betrifft seinem und im Denken der ihn umgebenden das jedoch auch sein Wirken als Chef, seine persön• Genossen. Insofern ist es eine lesenswerte Au­ liche Machtausübung im Fernsehfunk. Hierüber geht tobiographie, die viele Wünsche offen läßt. er mit einigen unverbindlichen Floskeln hinweg, auf­ Wolfgang Mühi-Benninghaus, Berlin richtige Beschreibung und Nachdenklichkeil lassen sich daraus nicht erkennen. Auch wenn solch eine Lebensgeschichte den Le­ Günter Herlt sern im Westen fremd sein muß: Die plastische Schil­ Sendeschluß. derung der Winkelzüge, des Taktierens und Lavie­ Ein Insider des DDR-Fernsehens berichtet. rens in den Mechanismen der DDR-Medien wird sie Mit einem Vorwort von Klaus Feldmann. möglicherweise an mangelnde Zivilcourage, Hierar­ Berlin: Edition Ost 1995, 153 Seiten. chiedenken und Bunkermentalität in ihren eigenen Lebens- und Arbeitszusammenhängen erinnern. Günter Herlt, Jahrgang 1933, hat über mehrere Jahr­ lngrid Pietrzynski, Berlin zehnte das DDR-Fernsehen mitgeprägt und mitver­ antwortet Er begann in den 50er Jahren als Reporter und Redakteur im Regionalrundfunk, war Funkhaus­ Andreas Arthur Wernsing direkter in Schwerin, leitete in den 60er Jahren die E- und U-Musik im Radio. Fernseh-Hauptabteilungen Dramatische Kunst und Faktoren und Konsequenzen funktionsbedingter Ka­ Unterhaltung, war Mitglied der Kommentatorengruppe tegorien im Programm. Musik-Programmanalyse beim der »Aktuellen Kamera«, Korrespondent in Bonn und Westdeutschen Rundfunk. Chefredakteur für Auslandsreportagen. Frankfurt am Main u.a.: Peter Lang 1995, 244 Seiten. Eine solche Journalistenkarriere war in der DDR nur möglich durch »Disziplinierung und Selbstdiszi­ E(rnst) und U(nterhaltend), die historisch gewachsene plinierung im Interesse der Sache«, wie er selbst Unterteilung der Musik in unterschiedliche Bereiche schreibt. »Die allermeisten Journalisten fügten sich in und die damit zusammenhängende unterschiedliche die Strukturen. Die meisten waren überzeugt, daß die Bewertung und Funktionszuordnung hinterläßt noch neue Ordnung - alles in allem - besser war als die heute ihre Spuren in öffentlich-rechtlichen Rund­ alte .« Herlt war Arbeiter gewesen und gehört zu der funkanstalten . U- und E-Musikredaktionen haben we- 88 Rundfunk und Geschichte 22 (1996)

nig miteinander zu tun , in den Programmen selbst klar bleibt dabei, was er darunter versteht und in wel­ findet sich normalerweise eine klare Trennung. cher Weise sie Einfluß nehmen sollen. Wesentliche Lediglich der Jazz scheint sich einer eindeutigen Aspekte von Musik im Radio wie die dramaturgische Klassifizierung zu entziehen. Abfolge der Musiktitel, die Art der Moderation, die Art Andreas Arthur Wernsing untersucht in seiner der Blenden werden in seiner Arbeit nicht themati­ 1994 abgeschlossenen Dissertation, inwieweit es siert. Lediglich der Zusammenhang zwischen Titel­ Unterschiede in der Gestaltung zwischen E- und U­ einsatz und der Tageszeit des Sendeplatzes (Tages­ Musikprogrammen gibt. Seine Hypothese lautet: »Bei ablaufkurve) wird untersucht. ihrem Spiel im Radioprogramm befinden sich Titel Das eigentlich Anregende dieser Arbeit liegt weni­ von E- und U-Musik gleichermaßen in Abhängigkeit ger in der Fragestellung und den Ergebnissen als in von Einsatzkriterien, die durch die strukturellen Be­ dem Versuch, neue methodische Wege zu gehen. dingungen von Radio verursacht werden. Ihre ka­ Statistische Verfahren spielen in der Forschung über tegoriale Verschiedenheit wird durch die spezifischen Musik im Radio bisher zu Unrecht eine untergeordne­ Funktionen der Musik innerhalb des Programms kon­ te Rolle. Es wäre schön, wenn die Arbeit von Wern­ trastiert«. sing den Anstoß zu einer verstärkten Berücksichti• Die Studie beginnt mit einer ausführlichen Darstel­ gung statistischer Verfahren geben würde. lung der »Enstehungs- und Geltungsbereiche der Thomas Münch, Oldenburg funktionellen Trennung von Musik nach den Katego­ rien >ernst< und >unterhaltend<« . Danach werden ver­ schiedenen Studien, die sich in unterschiedlicher Rainer Fromm/Barbara Kernbach Weise mit Musik im Radio auseinandergesetzt haben, ... und morgen die ganze Welt. kurz angesprochen. Rechtsextreme Publizistik in Westeuropa. Die zentralen Kapitel der Arbeit, die nur in einem Marburg u.a.: Schüren Presseverlag 1994, losen Zusammenhang zu den vorherigen Abschnitten 328 Seiten. stehen, enthalten die statistische Erfassung und Aus­ wertung verschiedener U- und E-Musikprogramme Der Rechtsextremismus ist auf dem Vormarsch - und des Westdeutschen Rundfunks (WDR). Zur Klassifi­ dies europaweit. Die nationalen und internationalen zierung der in den Sendeablaufplänen genannten Vernetzungsbestrebungen antidemokratischer, rassi­ 6 360 Titel nutzt Wernsing das in der Datenbank des stischer, militaristischer sowie nationalsozialistischer WDR verwendete Kategoriensystem. Dort werden die Kräfte wurde noch bis weit in die 80er Jahre hinein einzelnen Musiktitel mit verschiedenen Parametern unterschätzt. ln dem empfehlenswerten Band » .. . und (Titel, Komponist, Interpret etc.) erfaßt. Anschließend morgen die ganze Weit« setzen sich der Journalist untersucht er, welche Organisationsprinzipien für die Rainer Fromm und die Journalistin Barbara Kernbach Programmgestaltung sich anhand der vorhandenen auf umfassende Weise mit Gruppen und Parteien am Daten(kategorien) ermitteln lassen. Im Ergebnis kann rechten Rand auseinander. Die Verfasser untersu­ der Autor keine wesentlichen Unterschiede zwischen chen sowohl die Blut- und Bodenideologeme als auch dem Einsatz von U- und E-Musik feststellen, weshalb die organisatorischen und publizistischen Infrastruktu­ er als »zentrale Aussage« seiner Untersuchung ren sowie die öffentliche Agitation der westeuropäi• resümiert: »Die Gepflogenheiten der Verwendung von schen Rechten. E- und U-Musik im Radioprogramm widersprechen Detailliert schildern die Autoren, wie rechtsex­ den Prämissen von öffentlich-rechtlichem Rundfunk«. treme Gruppen und Parteien versuchen, gestützt auf Nach Wersings Auffassung hat der Einsatz von E­ eine populistische Propaganda aus primitiven Freund­ Musik entsprechend dem Rundfunkauftrag der musi­ Feind-Schemata, martialischem Nationalismus und kalischen Bildung, der Einsatz von U-Musik dagegen fatalem Geschichtsrevanchismus, Einfluß zu nehmen der Unterhaltung zu dienen. auf die Lösung der komplexen Probleme von Ge­ Der methodische Ansatz der Arbeit rechtfertigt genwart und Zukunft. Dabei ist der extremen Rechten solche Schlußfolgerungen nicht. Allein aus der stati­ ein wachsender - wenn auch mehr als fragwürdiger - stischen Auswertung weniger, sehr heterogener kate­ Erfolg beschieden, wovon ein Blick in die Parlamente gorialer Merkmale von Musik kann nicht schlüssig auf der europäischen Demokratien zeugt. Als ein effekti­ die Art der Musikgestaltung und noch viel weniger auf ves Instrument zur Verbreitung rechtsextremer, prolo­ die Funktion der Programme geschlossen werden. und neofaschistischer Doktrinen nehmen sich die Die von Wernsing verwendeten Kategorien dienen im einschlägigen Medien aus: Eine große Anzahl von WDR der Archivierung von Tonträgern und stellen im Publikationen trägt über ausgeklügelte Distributions­ musikredaktionellen Alltag nur eine Orientierungshilfe wege rechte und ultrarechte Weltanschauungen in zur Bestimmung der einzelnen Titel dar. Keinesfalls verschiedene Teilöffentlichkeiten. Anhand von in­ bilden sie in ihrer Gesamtheit ein System, mit dem in struktiven Beispielen aus Belgien, Dänemark, ausreichend differenzierter Form die ganze Band­ Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Irland, breite musikalischer Erscheinungsformen erfaßt wer­ Italien, Luxemburg, den Niederlanden, Österreich, der den kann. Wenn keine signifikanten Unterschiede Schweiz und Spanien verdeutlichen die Verfasser die zwischen verschiedenen Musikprogrammtypen ermit­ engen personellen, organisatorischen und medialen telt werden, so zeigt dies vor allem, daß das For­ Verflechtungen der Rechtsextremisten. Ein besonde­ schungsinstrumentarium zu unscharf und zu wenig res Augenmerk gilt hier außer der Ideologie, Struktur sachgerecht gewesen ist. und Resonanz dem publizistischen bzw. dem media­ Wernsing macht die »strukturellen Bedingungen len Potential der Gruppen und Parteien: Das Spek­ von Radio« dafür verantwortlich , daß es keine Unter­ trum reicht von massenattraktiven Tageszeitungen, schiede zwischen E- und U-Musik im Radio gibt. Un- konspirativen Mitgliederzeitschriften, Szenemagazi- Rezensionen 89 nen, Insidermitteilungen über »nationale lnfotelefone« Dissertation hervorgegangenen Buches von Chri­ bis zu systematischer »Reichspropaganda« in inter­ stoph Mick. Sein Ziel war es vielmehr zu untersuchen, nationalen Online-Datennetzen. wie die Sowjetunion in Deutschland wahrgenommen Die Untersuchung vermittelt einen einzigartigen worden ist, und wie sich diese Wahrnehmung auf die Überblick über die rechtsextreme Publizistik in West­ Politik des Auswärtigen Amtes in Berlin niederschlug europa. Fromm und Kernbach zeigen, daß es schon (S . 9) . Diese Perspektive wurde auch durch den längst nicht mehr nur um Aufkleber, Flugblätter und Nichtzugang zu sowjetischen Archiven diktiert. Daß Fanzine (Fan-Magazine) mit nationalsozialistischer sich für die Buchfassung durch die veränderte Archiv­ Symbolik geht; vielmehr nutzt die Rechtsextreme zu­ landschaft in Moskau noch wichtige Bestände aus nehmend die modernen elektronischen Kommunika­ dem ehemaligen Parteiarchiv, dem Staatsarchiv und tions- und lnformationstechnologien. Dies hat zur dem Archiv des Ministeriums für Auswärtige Angele­ Folge, daß die personellen, organisatorischen und genheiten einarbeiten ließen, hat die Ergebnisse der programmatischen Abstimmungen perfekter werden Arbeit nicht revidiert, sondern sehr bereichert. Über• und viele Medienangebote immer mehr Gemeinsam­ haupt ist der Wert der Studie in seiner unglaublich keiten aufweisen. Fromm und Kernbach machen zu reichhaltigen Verwendung von Quellenmaterial zu Recht auf die wachsende Gefahr aufmerksam, die sehen. Darin liegt aber auch ein Schwachpunkt in von sogenannten »intellektuellen«, rechtskonservati­ der Sorge, keine der aufgefundenen Quellen zu ven Zeitungen ausgehen, die zur Akzeptanz rechts­ übergehen, hat Mick zu sehr die einzelnen Erkennt­ extremistischer Positionen in Teilen der Gesellschaft nisse der beteiligten Behörden referiert und dabei so beitragen. Die Verfasser lassen keinen Zweifel daran manche Wiederholung zugelassen. aufkommen, daß sich der Rechtsextremismus - in Die Arbeit ist dreigeteilt. Sie beginnt mit einer Be­ seinen mannigfaltigen Ausprägungen - auch aus der schreibung der Kanäle, durch die in Deutschland In­ Mitte der Gesellschaft und der sie repräsentierenden formationen über die Sowjetunion gewonnen wurden. Parteien nährt. Das Thema ist nach wie vor - auch im Neben der Presse waren dies wissenschaftliche Ein­ sich einenden Europa - von trauriger Aktualität. richtungen wie die »Deutsche Gesellschaft zum Stu­ Christian Filk, Köln/Siegen dium Osteuropas«, das »Wirtschaftsinstitut für Ruß• land und die Oststaaten« sowie der »Rußland-Aus• schuß der deutschen Wirtschaft« als Beratungsorga­ Christoph Mick ne für die Wirtschaft. Das Auswärtige Amt verfügte Sowjetische Propaganda, Fünfjahrplan und darüber hinaus durch Berichte der Moskauer Bot­ deutsche Rußlandpolitik 1928-1932. schaft, der Konsulate sowie von Rußlandreisenden Stuttgart: Franz Steiner Verlag 1995, 490 Seiten. über zusätzliche lnformationsquellen. Deutschland war damit nach Meinung von Mick zu dieser Zeit das 1929 strahlte eine Moskauer Radiostation die erste über die UdSSR am besten informierte Land (S . 64) . deutschsprachige Sendung aus. in Deutschland in dem zweiten , umfangreichsten Teil werden um­ wurde dieses Ereignis genau registriert. Zunächst gab gekehrt die Kanäle benannt, durch die die Sowjet­ es keinen Anlaß zur Beunruhigung, da sich die Sen­ union ihre Ansichten nach Deutschland transportierte. dungen auf Vorträge über die sowjetische Innenpolitik Mick unterscheidet dabei drei Zielgruppen der sowje­ beschränkten. Doch lösten einzelne Programmbeiträ• tischen Propaganda: Arbeiterschaft, bürgerliche Intel­ ge aus Moskau, die in Deutschland als Einmischung ligenz und national-konservatives Bürgertum. Detail­ in die inneren Angelegenheiten empfunden wurden, liert werden die Versuche aufgezeigt, diese verschie­ schon bald von deutscher Seite diplomatische Schrit­ denen deutschen Gesellschaftsschichten für den te aus. Das Kommissariat für Auswärtige Angelegen­ Sozialismus zu gewinnen. Mittel zum Zweck waren heiten der UdSSR reagierte darauf mit dem Argu­ Arbeiterdelegationen und Einzelreisen von deutschen ment, die Radiosendungen in deutscher Sprache Intellektuellen, Gesellschaften wie der »Bund der seien für die deutschsprachige Minderheit in der So­ Freunde der Sowjetunion« oder das »bürgerliche« wjetunion bestimmt. Aber aufgrund der sich wiederho­ Gegenstück »Gesellschaft der Freunde des neuen lenden Beschwerden drang das Kommissariat, an­ Rußlands«, Kongresse, Filme oder eben Radiosen­ gewiesen von der kommunistischen Partei, auf Mäßi• dungen. gung bei der Auswahl der behandelten Themen. Dies Im dritten und letzten Teil schließlich werden die wiederum führte 1931 zu Konflikten mit der Agitprop­ beiden Kanäle zusammengeführt und mit Inhalt ge­ abteilung der Komintern, die sich dieser Anordnung füllt. Anhand von ausgesuchten Problemfeldern für nur widerwillig beugte. Trotzdem fanden Politiker in die Jahre von 1928 bis 1932 - der sowjetischen Wirt­ Berlin immer wieder Anlaß zu Kritik an einzelnen schaftspolitik, den Prozessen gegen bürgerliche Sendungen, und der deutsche Rundfunk begann Ge­ Spezialisten, der »Kolonistenaffäre«, den Religions­ gensendungen über die Lage in der Sowjetunion zu verfolgungen und des »Russen-Geschäftes« im Zei­ verbreiten. Dieser- wie die >Deutsche Zeitung< es im chen der Weltwirtschaftskrise - wird die sowjetische Mai 1931 nannte - »sowjetrussisch-deutsche Radio­ Politik und die deutsche Reaktion darauf kenntnis­ krieg« hielt bis zum Ende der Weimarer Republik an reich dargeboten. (S . 149-155). Bei diesem Blick auf die deutsch-sowjetischen Die Auseinandersetzungen um die deutschspra­ Beziehungen zur Zeit des ersten Fünfjahrplans durch chigen Rundfunksendungen aus Moskau sind ein die Brille vor allem des deutschen Außenministeriums vergleichsweise kleiner Ausschnitt aus den deutsch­ kommt zutage, daß weder von Deutschland noch von sowjetischen Beziehungen zur Zeit des ersten Fünf• der Sowjetunion eine »reine« Politik betrieben wer­ jahrplans. Die deutsch-sowjetischen Beziehungen an den konnte. Das Faktum eines sozialistischen Landes sich sind jedoch nicht der Gegenstand des aus einer bestand seit 1917, und die übrigen Staaten der Weit 90 Rundfunk und Geschichte 22 (1996)

mußten mit diesem Faktum umgehen lernen. Sie ta­ Rainer E. Lotz u.a. ten es in gleicher Manier wie die UdSSR es umge­ Discographie der deutschen Sprachaufnahmen. kehrt auch handhabte: im Wechsel zwischen Prag­ (=Deutsche National-Discographie, Reihe 4, Bd. 1). matismus, ideologischer Starrheit und althergebrach­ Sonn: Latz 1995, 288 Seiten. ter Diplomatie. Dieses Wechselspiel detalliert aufge­ zeigt zu haben, ist das Verdienst von Mick. Daß bei Als vierte Reihe, nach Verzeichnissen über Klein­ einem solch faktengesättigten Werk ein Namensver­ kunst, Tanzmusik und Gesangsaufnahmen, ist nun­ zeichnis fehlt, ist bedauerlich. So entzieht sich man­ mehr innerhalb der »Deutschen National-Discogra­ cher wertvolle Hinweis im Text oder in den Anmer­ phie« (Herausgeber: Rainer E. Lotz) der erste Band kungen einem schnellen Zugriff. einer »Discographie der deutschen Sprachaufnah­ Carola Tischler, Berlin men« erschienen. Die alphabetisch nach Sprechern angeordnete Publikation enthält alle auf Schel­ lackplatte erschienen Reden u.a. von Politikern (z . 8 . Inventar der Befehle des Obersten Chefs Bethmann-Hollweg, Breitscheid, Groener, Ribbentrop, der Sowjetischen Militäradministration Kaiser Wilhelm II.), Schriftstellern (Rudolf G. Binding, in Deutschland (SMAD) 1945-1949. Feuchtwanger, Kurt Schwitters, Toller), Schauspielern (=Texte und Materialien zur Zeitgeschichte, Bd. 8). (Gründgens, Moissi, Kainz, Adolf von Sonnenthal), München u.a.: K G Saur 1995, 229 Seiten . Forschungsreisenden (Sven Hedin), Erfindern (Carl von Linde), Originalen (Wilhelm Voigt = der Im Auftrag der Potsdamer Außenstelle des Instituts Hauptmann von Köpenick mit seiner Ansprache vom für Zeitgeschichte hat Jan Foitzik die Texte der zu­ 17. August 1908, einen Tag nach seiner Begnadi­ gänglichen Befehle - es gibt daneben auch geheime gung) - ein Potpourri aus den verschiedensten Be­ und streng geheime - der mit der obersten Regie­ reichen der Schallplattenproduktionen (außer Musik) . rungsgewalt in der Sowjetischen Besatzungszone Neben den Industrieschallplatten verzeichnet der (SBZ) ausgestatteten SMAD ermittelt und in einem Katalog vor allem auch die Schallplatten der Reichs­ übersichtlich angelegten Inventar annotiert. Die Rundfunk-Gesellschaft (RRG) und die der kulturhi­ chronologisch angelegte Dokumentation vermittelt storisch sehr bedeutsamen »Sammlung Doegen«. eindrucksvoll, wie direkt die sowjetische Besatzungs­ Hierzu gehört z. B. die Ansprache Philipp Scheide­ verwaltung die deutschen Behörden unter Kontrolle manns »Ausrufung der Republik« vom 9. Januar hielt und sie mit Weisungen für nahezu alle Bereiche 1920, bei der Scheidemann seine berühmte Anspra­ des politischen und ökonomischen Lebens versahen - che vom 9. November 1918 wortgetreu wiederholte: nicht nur auf zentraler oder Länderebene, sondern Bei der in historischen Rundfunkdokumentationen oft auch auf Stadt- und Landkreisebene. So erhielten gehörten Ansprache handelt es sich also nicht um nicht nur die deutsche Wirtschaftskommission, die eine »Life-Aufnahme« - dies war aus technischen Länderregierungen, die Führungen der Parteien und Gründen auch gar nicht möglich -, sondern um eine Interessengruppen, sondern auch Oberbürgermeister drei Jahre später aufgenommene Studioproduktion. und Landräte, Wirtschaftsbetriebe und sogar Ein­ Hier wie bei zahlreichen anderen Persönlichkeiten zelpersonen ihre Befehle. ln seiner umfangreichen werden nicht nur die reinen discographischen Einleitung beschreibt der Bearbeiter die Organisation Angaben - wie Sprecher, Titel, Plattenfirma und Ma­ der SMAD, ihre Kommunikationsstrukturen, die Be­ trizen-Nr., Datum und Länge der Aufnahme - ange­ fehlspraxis und die Vollzugskontrolle sowie die engen führt, sondern auch der Text wird wortgetreu wieder­ Verbindungen zwischen ihr und der KPD/SED. Die gegeben (»Der Kaiser hat abgedankt, er und seine mehr als 1 000 nachgewiesenen Anweisungen spie­ Freunde sind verschwunden. Über sie alle hat das geln die Prioritäten der Besatzungspolitik wider, wo­ Volk auf der ganzen Linie gesiegt.«). bei sich mehr als 100 Befehle auf die Landwirtschaft WR bezogen, gefolgt von Reglementierungen für die Ver­ sorgung und Anweisungen für die Industrie. Ver­ gleichsweise scheinbar gering blieb die Einflußnahme auf die Medien; so wurden Filmwesen und Kino laut Sach-, Orts- und Personenregister mit neun und der Rundfunk mit fünf Befehlen bedacht, während die Presse unbehelligt blieb. So bezogen sich Befehle mit eher marginalem Inhalt auf den Sender Königswus• terhausen (31.8.1 945), allgemein auf den Sendebe­ trieb (27.9.1945), auf die Nutzung von Radios durch die deutsche Bevölkerung (29.4.1946) und auf das Funkhaus sowie den Sender in Grünau (8 .7.1947 und 17.5.1948). AD Bibliographie

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Vorstand des Studienkreises ln seinem Kurzvortrag ging Robert Kretz­ schmar von der Landesarchivdirektion in Stutt­ Durch Wahl in der Mitgliederversammlung des gart davon aus, daß AV-Materialien unbestritten Studienkreises Rundfunk und Geschichte e.V. als historische Quellen anzusehen sind, die am 6. Oktober 1995 in Baden-Baden und langfristig gesichert und allgemein zugänglich Kooptation umfaßt der Vorstand folgende Mit­ gemacht werden müßten. Ideal sei dafür seiner glieder: Ansicht nach eine Institution, die alle schriftli­ chen, audiovisuellen Unterlagen und Produktio­ Vorsitzender: Dr. Helmut Drück, Berlin nen einer Rundfunkanstalt sichert und nutzbar macht, denen jenseits ihrer Funktion als Teil des Stellvertretende Vorsitzende: Dr. Walter Klingler, Programmvermögens bleibender Wert als Kul­ Baden-Baden (Fachgruppe Rezeptionsgeschich­ turgut im weitesten Sinne beizumessen ist. Die te); Prof. Dr. Rüdiger Steinmetz, Leipzig archivische Bewertung müsse alle Unterlagen in Schriftführer: Dr. Edgar Lersch, Stuttgart (Fach­ ihrem Beziehungsgeflecht erfassen. Die Verein­ gruppe Dokumentation und Archive) barung mit dem SDR sei unter der Vorausset­ zung zustandegekommen, daß dieser eine Si­ Schatzmeister: Dr. Michael Crone, Frankfurt am cherung der landesgeschichtlich relevanten Pro­ Main grammbestände nicht garantieren könne. Der Beisitzer: Prof. Dr. Lothar Albertin, Horn-Bad SDR habe sich seinerzeit auch als nicht zustän• Mainberg; Dr. Ansgar Diller, Frankfurt am Main; dig dafür betrachtet. Die staatliche Archivverwal­ Wolfgang Hempel, Baden-Baden (kooptiert); tung sei daher - nicht zuletzt auf Drängen des Prof. Dr. Friedrich P. Kahlenberg (kooptiert); Det­ SDR selbst - subsidiär eingetreten. Zur ur­ lef Kühn, Dresden (kooptiert); Dr. Joachim-Felix sprünglich angekündigten Abgabe von landes­ Leonhard, Frankfurt am Main (Mitglied laut Sat­ geschichtlich bedeutsamen Altbeständen sei es zung); Prof. Dr. Wolfgang Mühi-Benninghaus, aber nicht gekommen. Das im Hauptstaatsarchiv Berlin; Dr. Marianne Ravenstein, Münster; Peter Stuttgart eingerichtete AV-Archiv habe sich folg­ Pfirstinger, München (Fachgruppe Technik); lich ganz auf Mitschnitte aktueller Sendungen Prof. Dr. Helmut Schanze, Siegen (kooptiert); Dr. bzw. Beiträge mit bleibendem Wert für die Lan­ Heiner Schmitt, Mainz (Mitglied laut Satzung); desgeschichte beschränkt. Die begonnene Ko­ Dr. Wolfgang Sieber, Frankfurt am Main (Fach­ operation, in deren Rahmen die landesgeschicht­ gruppe Musik); Dr. Reinhold Viehoff, Halle-Wit­ lich relevante Berichterstattung des SDR als Er­ tenberg (Fachgruppe Literatur) gänzungsdokumentation beim Hauptstaatsarchiv archiviert wird, könne sinnvoll weitergeführt wer­ den, wenn eine präzise funktionale Abgrenzung hinsichtlich der endarchivischen Verantwortlich­ Jahrestagung in Baden-Baden keiten mit den Rundfunkarchiven erfolge und die Sitzungen der Fachgruppen am Altbestände einbezogen würden. Parallele Dop­ 5. Oktober 1995 pelarbeit müsse unbedingt vermieden werden. Grundsätzlich sei die staatliche Archivverwaltung Archive und Dokumentation Baden-Württemberg aber auch offen für andere Lösungen einer Sicherung und Zugänglichma• Auf der Sitzung der Fachgruppe »Archive und chunQ der Bestände, wie der Referent ausdrück• Dokumentation« des Studienkreises wurde die lich betonte. Frage der »Kooperation von öffentlichen Archi­ Edgar Lersch, Stuttgart, kritisierte die konkre­ ven mit Programmarchiven der Rundfunkanstal­ te Ausgestaltung der Kooperation als zu kurz ten« besprochen. Seit Anfang der 80er Jahre greifend und argumentierte im wesentlichen auf gibt es eine Kooperation zwischen dem Süd• einer abstrakteren, archivtheoretischen Ebene. westfunk (SWF) und dem Landeshauptarchiv Seine wichtigsten Einwände waren: Angesichts Koblenz und seit 1988 zwischen dem Süddeut• einer sich faktisch kaum unterscheidenden schen Rundfunk (SDR) und der Landesarchivdi­ Quote bei der Entscheidung für die Aufbewah­ rektion Baden-Württemberg. Diese Vereinbarun­ rung sowohl im SDR wie im AV-Archiv des gen mit ihren detaillierten Regelungen stand im Hauptstaatsarchivs, führe die Archivkooperation Zentrum der beiden Kurzvorträge und der Aus­ zu einer überflüssigen Doppelarchivierung und sprache, die Wilhelm van Kampen leitete. verhindere so, daß die aufgewandten, nicht un- 94 Rundfunk und Geschichte 22 (1996) betrachtliehen Mittel als Beitrag der öffentlichen Forschung einzubeziehen, sei eine lnstitutionali­ Hand einer nach wie vor letztlich vom »Good­ sierung notwendig geworden. Mit der neu einge­ will« der Rundfunkanstalten abhangigen endgül• richteten Fachgruppe Rezeptionsgeschichte tigen Sicherung des gesamten Archivbestandes habe der Studienkreis nun diese Lücke schlies­ einschließlich des Schriftgutes zugute kamen . sen können. Das Kriterium der landesgeschichtlichen Rele­ Über die Hörfunknutzung in der Weimarer vanz der Programmüberlieferung könne sich Republik informierte Carsten Lenk in seinem nicht allein auf einen spezifischen Begriff von Vortrag zur »lmplementierungsphase des neuen Landesgeschichte beziehen, der sich im großen Mediums«. Lenk stellte seinen Ausführungen ei­ und ganzen an klassischer Landespolitik und ne Warnung voran, die an ein Zitat von Winfried konventionellen landesgeschichtlichen Sendun­ B. Lerg angelehnt war. Er beabsichtige »durch gen im SRD orientiere, dagegen viele landesge­ die methodische Tür ins Haus der Rezeptions­ schichtlich ebenfalls relevante gesellschaftliche geschichte« hineinzufallen. Wahrend gegenwar­ Phanomene bzw. deren Dokumentation im tige Nutzungsforschung durch sozialwissen­ Rundfunk unberücksichtigt lasse. Im übrigen schaftliche Methodik abgesichert sei, müsse die müsse wohl doch davon ausgegangen werden, Erforschung der historischen Hörfunkrezeption daß alle Eigenproduktionen des SDR als im nach anderen Wegen suchen, um die Aneignung weiteren Sinne landesgeschichtlich relevant zu des Mediums Radio durch die Hörer angemes­ bezeichnen sind. Lersch machte außerdem auf sen und differenziert zu beschreiben. den Umstand aufmerksam, daß die SDR-Über• Leitfaden des Referats war der Wandel des lieferung in einem ersten Zugriff lediglich Aus­ Radios von der technischen Sensation zum all­ kunft über die Berichterstattung des SDR, seine taglich genutzten Medium. ln kulturwissenschaft­ spezifische Sichtweise der Ereignisse im Land licher Perspektive entwickelte Lenk die These, gebe. Inwieweit diese darüber hinaus auch als daß diese Entwicklung aus der Dialektik einer Quelle zur Landesgeschichte herangezogen gesellschaftlichen Bedürfnislage und der werden könne, sei im vorhinein gar nicht zu ent­ Vermittlung eines offenbar allgemeinen Be­ scheiden. Dazu benötige man immer auch die wußtseins für dieses Bedürfnis entstanden war. Kontextüberlieferung, d.h. das produktionsbeglei­ Der eingangs beklagte quantitative Malus histori­ tende Schriftgut, das über die Programmroutinen scher Rezeptionsforschung, der Verzicht auf und Aussageintentionen Auskunft gebe und zur Reichweitenerhebungen, kann, das machten Quellenkritik herangezogen werden könne. Lenks Ausführungen deutlich, leicht in einen Diese Überlieferung sei aber nicht in die Koope­ qualitativen Bonus umgewandelt werden, wenn rationsvereinbarung einbezogen worden. Im das historische Material akribisch nach Anhalts­ schlimmsten Fall des Verlustes der Überlieferung punkten für Nutzungsmuster durchforstet wird des SDR sei eine kritische Wertung der von der und die kulturellen, gesellschaftlichen und tech­ staatliche Seite gesammelten AV-Dokumente im nischen Randbedingungen sinnvoll einbezogen beschriebenen Sinne nicht mehr möglich. werden. Sie geben der mühevollen Patchwork­ Lersch und Kretzschmar vertraten letzten En­ arbeit einen Rahmen, so daß das kulturge­ des keine gegensatzliehen Standpunkte. Sie wa­ schichtliche Gesamtbild entstehen kann. So ar­ ren sich vielmehr darin einig, daß Kooperations­ beitet Lenk mit Hickethiers medientheoretischem vereinbarungen zwischen Rundfunkanstalten Modell des Dispositivs, der wechselseitigen Ab­ und öffentlichen Archiven trotz zahlreicher vor­ hangigkeit von Apparat, Zuschauer und Pro­ handener juristischer und organisatorischer gramm(organisation) als erscheinungsbildendem Schwierigkeiten so gestaltet werden müßten, Moment der Radiogenese. Dieser Systematik daß sich die aus den zur Zeit geltenden Vertra­ folgend hat er seine Quellen ausgewertet, zu­ gen ergebenden Unzulanglichkeiten und aporeti­ meist Programmillustrierte und -blatter, Technik­ schen Lösungsansatze vermieden würden. zeitschriften und Jahrbücher.. Besonderes Au­ Edgar Lersch, Stuttgart genmerk galt auch Bildbelegen wie Reklame und WerbemateriaL Lenk bewies nicht nur deren do­ Rezeptionsgeschichte kumentarische Tauglichkeit für die Beantwortung der Forschungsfrage, das visuelle Material illu­ Die neu gegründete Fachgruppe Rezeptionsge­ strierte darüber hinaus den Vortrag auf ange­ schichte des Studienkreises tagte zum ersten nehme Weise. Mal. Walter Klingler, Baden-Baden, eröffnete als Als Ergebnis seiner Quellenforschung faßte Moderator die Fachgruppensitzung mit dem Lenk zusammen: Die Rezeptionssituation des Hinweis, das Problem der Rezeption sei bislang Hörfunks war - trotz der besonders in Stadten in der Forschung zur Rundfunkgeschichte stark schon weit vorangeschrittenen Ausstattung der unterreprasentiert. Gerade in einer Zeit, in der Privathaushalte mit Rundfunkgeraten - bis zu allenthalben postuliert wird, das Publikum in die Beginn der 30er Jahre primar an öffentlichen - Mitteilungen des Studienkreises Rundfunk und Geschichte 95

kollektiv organisierten Veranstaltungen entl~hn­ Engagement nicht nur möglich, sondern not­ ten - Verhaltensmustern orientiert, wie sie sich wendig ist (vgl. auch S. 62). im bürgerlichen Bildungsbetrieb in Konzert- und Ralf Hohlfeld, Baden-Baden Vortragsalen manifestierten. Trotzdem fand in den folgenden Jahren, nachdem sich für die Em­ Technikgeschichte pfangsgerate ein »kalkulierbares Preis-Leis­ tungs-Verhaltnis« herauszubilden begann, das Die Fachgruppe Technikgeschichte des Studien­ Radio den Weg zu seiner eigentlichen Bestim­ kreises, letztmalig unter Leitung des scheiden­ mung als »Heimmedium«, »prodesse et delec­ den Günter Rössler, Köln, beschaftigte sich auf tare« frei Haus, Kunstgenuß in behaglicher Um­ ihrer Sitzung mit dem technischen Wiederaufbau gebung, in der von Lenk so bezeichneten des Rundfunks in Deutschland nach dem Zwei­ »Radioecke«. ten Weltkrieg und leistete damit ihren Beitrag Zwei zu dieser Zeit dominierende Hörmodelle zum 50. Jahrestag des Kriegsendes. konkurrierten auch langer miteinander: Auf der Fritz Pichin, Köln, blickte zunachst auf die Zeit einen Seite das Begleitmedium, das die Haus­ des Zweiten Weltkriegs und die Veranderungen frau durch den Alltag der hauslichen Verrichtun­ des Sendernetzes infolge der deutschen militä• gen geleitete, und auf der anderen Seite der rischen Eroberungen in Europa und des spate­ verantwortliche Umgang, das angeleitete, auf ren Rückzugs der deutschen Truppen zurück Konzentration und Bewußsein ausgerichtet Hö• und bilanzierte dann in einer Bestandsaufnahme ren, das auf der Suche nach sittlicher Erbauung die noch vorhandenen technischen Einrichtun­ dem leichtfertigen Vergnügen eine Absage er­ gen der Funkhauser und Senderanlagen. Da teilt. Diese Muster existierten Lenk zufolge paral­ vieles zerstört oder demontiert worden war, lel, wobei sich eine »bürgerliche« und eine mußte unendlich viel improvisiert, mußten z.B. »medienindustrielle« Öffentlichkeit überlagerten. die in den meisten Fallen unterbrochenen Lei­ Die anschließende Diskussion des For­ tungen erst wieder hergestellt werden. Eines der schungsansatzes, die im Plenum vereinzelt die größten Probleme stellte die Speicherung von Einschatzung freisetzte, endlich einmal wieder Tonmaterial dar, da Magnetophongerate als historischer Rundfunkforschung in ihrer ureigen­ Kriegsbeute überaus begehrt und somit zur sten Gestalt teilhaftig geworden zu sein, förderte Mangelware geworden waren . Pichins Bericht nur einen Kritikpunkt zutage, den der Referent schloß mit einem Ausblick auf die Fernsehtech­ nicht überzeugend widerlegen konnte: Rezepti­ nik, mit der zu befassen die alliierten Besat­ onsgeschichte bedarf neben der Grundausstat­ zungsmachte den Deutschen bis 1948 verboten tung eines kulturell- und rahmenorientierten hatten. Quellenmaterials auch der Aufarbeitung der Pro­ Albrecht Hafner, Baden-Baden, zeigte am gramminhalte, und die hatte Lenk in seiner Arbeit Beispiel des Südwestfunks, mit gelegentlichen doch etwas aus den Augen verloren. Hinweisen auf parallele oder abweichende Ent­ Walter Klingler stellte in seinen Ausführungen wicklungen bei den benachbarten Rundfunkan­ zur Rezeption von Radioprogrammen in den stalten Saarlandischer bzw. Süddeutscher 70er und 90er Jahren ein Projekt vor, das genau Rundfunk, daß die Technik sich zunächst mit an dieser Stelle ansetzt. Statistische Daten zur den aus der Kriegs- und Vorkriegszeit vorhande­ Rundfunknutzung und empirische Rundfunkpro­ nen robusten und unhandlichen Geraten abfand grammanalysen sollen verknüpft werden, um und an altbewahrten technischen Methoden ori­ den Wandel vom Angebot- zum Nachfragemedi­ entierte. Danach setzte eine Entwicklung ein, die um zu skizzieren. Entlang den zeitlichen Ein­ zu kleineren handhabbareren und damit auch schnitten der »Langzeitstudie Massenkommuni­ raumsparenden technischen Einheiten führte. kation«, die Funktionen und Images der Einzel­ War zunächst ein Hörfunkprogramm Ober Mittel­ medien ermittelt, soll sowohl das Angebot von welle zu hören, so gab es durch die Einführung Hörfunk und Fernsehen als auch der Nutzungs­ von UKW schnell ein zweites Hörfunkprogramm, umfang der beiden Rundfunkmedien analysiert dem das Fernsehen folgte. Die neuen Verbrei­ werden . Die Forschungsinstrumente der Nut­ tungswege und die Vermehrung der Programm­ zungsforschung und Inhaltsanalyse sind in Ba­ angebote waren jeweils mit spezifischen Anfor­ den-Baden vorhanden. Interessierte Fachgrup­ derungen an die Technik verbunden. penteilnehmer wurden abschließend zur Mitar­ Im Referat von Werner Hinz, Bergisch-Giad­ beit an dem Baden-Badener Projekt aufgefor­ bach, stand die Rundfunktechnik im Berlin der dert. Dieses legt sich zu Beginn absichtlich keine Nachkriegszeit im Mittelpunkt. Da am Schnitt­ programmatischen Beschränkungen legt, um punkt des Ost-West-Konflikts gelegen und we­ nicht unnötig wichtiges Forschungsterrain abzu­ gen ihres Charakters als Vier-Sektoren-Stadt, treten, dessen Bearbeitung bei entsprechendem verlief der Wiederaufbau in der ehemaligen Reichshauptstadt anders als in den vier Besat- 96 Rundfunk und Geschichte 22 (1996)

zungszonen - unter dem Konkurrenzdruck unter­ Sonnabend, 1.Juni 1996 schiedlicher Rundfunkorganisationen: Berliner 8.00 Uhr Frühstück Rundfunk, von den Sowjets gesteuert, NWDR­ Berlin, unter der Obhut der Briten, RIAS Berlin 9.00 Uhr Bildung der Arbeitsgruppen Gruppenarbeit als Gründung der Amerikaner. Und mit noch ei­ ner Besonderheit hatten sich Berlin und seine 11.00 Uhr Kaffeepause Bevölkerung herumzuschlagen: dem Befehl des 12.30 Uhr Mittagessen sowjetischen Stadtkommandanten, (als Repara­ 13.30 Uhr Fortsetzung der Gruppenarbeit tionsleistung) ihre Rundfunkgeräte abzuliefern, 15.30 Uhr Kaffeepause noch bevor die Westalliierten im Sommer 1945 18.30 Uhr Abendessen ihre Sektoren in der Stadt eingenommen hatten. Den Vorsitz der Fachgruppe Technik des Sonntag, 2. Juni 1996 Studienkreises hat Peter Pfirstinger, München, 8.00 Uhr Frühstück während der Jahrestag des Studienkreises von 9.30 Uhr Martin Grocholl: Entwicklung spezialisier­ Günter Roessler übernommen. ter Fernsehangebote in Deutschland, AD/PP Österreich und der Schweiz 10.30 Uhr Christian Maatje: Die Entwicklung der Hörfunkwerbung in Deutschland 24. Doktoranden-Kolloquium des 11.30 Uhr Schlußdiskussion Studienkreises in Grünberg 1996 12.30 Uhr Mittagessen und Abreise

Vom 31 . Mai bis 2. Juni 1996 findet das alljährli• Tagungsort ist die hessische Landessportschule che Doktoranden-Kolloquium des Studienkreises in Grünberg bei Gießen. Teilnehmen können Rundfunk und Geschichte wieder in Grünberg Doktoranden und Studierende im Hauptstudium, (Hessen) statt. Während dieser Veranstaltung die im Rahmen einer wissenschaftlichen Ab­ haben Doktoranden, Diplomanden und Magi­ schlußarbeit ein Thema aus dem Bereich der sterkandidaten und -kandidatinnen die Möglich• Rundfunkforschung bearbeiten. Dies können keit, ihre geplanten Examensarbeiten vorzustel­ sowohl historische wie auch gegenwartsbezoge­ len und sich dabei von Kommunikationswissen­ ne Themen sein, mit organisationsgeschichtli­ schaftlern, Rundfunkpraktikern und Archivfach­ chen, programmwissenschaftlichen, technikbe­ leuten beraten zu lassen. Die verschiedenen in zogenen oder rezeptionsorientierten Schwer­ Grünberg vorgestellten Themen dokumentieren punkten. deutlich, daß rundfunkbezogene Forschung nicht An den Tagungsort Grünberg kann der Studi­ das Monopol einer einzelnen wissenschaftlichen enkreis Rundfunk und Geschichte bis zu 30 Teil­ Disziplin ist. Gerade die Erfahrungen der letzten nehmer und Teilnehmerinnen einladen. Anmel­ Jahre zeigen, daß verschiedene universitäre deschluß ist der 15. April 1996. Übernachtung Fachrichtungen ihren klassischen thematischen und Verpflegung sind kostenlos. Interessenten Kanon erweitert und sich rundfunkbezogenen können die Anmeldeunterlagen erhalten bei: Dr. Fragestellungen geöffnet haben. Eine Examens­ Marianne Ravenstein, Institut für Publizistik, betreuung im Rahmen des Grünberger Dokto­ Bispinghof 9-14, 48143 Münster. randen-Kolloquiums bietet eine Hilfestellung an, die in dieser Form an den Fachinstituten der Hochschulen kaum geleistet werden kann . Alle 27. Jahrestagung des Studierenden haben die Möglichkeit des Erfah­ Studienkreises in Wien 1996 rungsaustauschs mit Kommilitonen , die an ver­ gleichbaren wissenschaftlichen Fragestellungen Die 27. Jahrestagung des St4dienkreises Rund­ arbeiten. funk und Geschichte findet 1996 vom 3. bis 5. Folgendes Programm ist vorgesehen: Oktober auf Einladung des Osterreichischen Rundfunks in Wien statt. Wie üblich werden am Freitag, 31. Mai 1996 ersten Tag während des Nachmittags die Fach­ 18.00 Uhr Anreise gruppen zusammentreffen, und anschließend 18.30 Uhr Abendessen wird es während des traditionellen Kaminabends 19.30 Uhr Begrüßung und Vorstellung der Gelegenheit geben, mit einer führenden Per­ Teilnehmer/innen sönlichkeit des Gastgebers ins Gespräch zu kommen. Am zweiten und dritten Tag sollen die 20.30 Uhr Michael Radtke: Medienkonzentration in Deutschland am Beispiel von Leo Kirch deutsch-österreichischen Rundfunkbeziehungen von den 20er Jahren bis in die Gegenwart in verschiedenen Referaten thematisiert werden. Informationen aus dem Deutschen Rundfunkarchiv

Neue Buchreihe des Fernsehens der DDR nachgewiesen. Sie werden Deutschen Rundfunkarchivs erschlossen durch Kurzbeschreibungen des Inhalts, Angaben der Autoren und technische Unter dem Titel »Veröffentlichungen des Deut­ Hinweise zum Material, ein chronologisches Ti­ schen Rundfunkarchivs« hat das Deutsche tel- sowie alphabetische Register der Autoren Rundfunkarchiv Frankfurt am Main 1 Berlin im Regisseure und Darsteller. Damit stehen archi~ Herbst 1995 eine neue Buchreihe im Potsdamer varisch-dokumentarische Informationen über die Verlag für Berlin-Brandenburg eröffnet. ln ihr sol­ Sendungen einer Programmsparte zur Verfü• len in lockerer Folge neben Bestandsverzeich­ gung, die u.a. die erzieherische Funktion des nissen und Monographien auch Dokumentatio­ DDR-Fernsehens widerspiegelt. nen, Sammelbände, Bibliographien und Quellen­ Deutsches Rundfunkarchiv (Hrsg.): Fernse­ inventare erscheinen. Die Reihe bietet der rund­ hen für Kinder. Ein Bestandsverzeichnis tunk- und damit auch zeithistorischen Forschung (= Veröffentlichungen des Deutschen Rund­ ein breites Publikationsforum, da in ihr sowohl funkarchivs, Bd. 2). Potsdam: Verlag für Berlin­ die von der ARD über das Deutsche Rundfunk­ Brandenburg 1995, 370 Seiten. Broschiert. ISBN archiv durch Stipendien geförderten Dissertatio­ 3-930850-13-3. nen als auch die mit den ungedruckten wie ge­ druckten Quellen des Deutschen Rundfunkar­ Die Monographie »Sozialistische Audiovision« chivs erarbeiteten wissenschaftlichen Abschluß• von Themas Beutelschmidt, die sich mit der arbeiten publiziert werden sollen. Veröffentlicht »Geschichte der Medienkultur in der DDR« be­ werden hier auch die Arbeitsergebnisse von faßt, ist aus einer von der ARD über das Deut­ anderen Institutionen mitgetragener Forschungs­ sche Rundfunkarchiv durch ein Stipendium geförderten und von der Freien Universität Berlin und Dokumentationsprojekte. angenommenen Dissertation hervorgegangen. ln Bis Anfang 1996 sind drei Bände erschienen seiner kulturhistorischen Gesamtschau unter­ die sich mit unterschiedlichen Aspekten de~ Rundfunkgeschichte befassen. sucht der Verfasser neben dem Fernsehen bei­ spielsweise den staatlichen Filmbetrieb, die ln der Dokumentation >»Hier spricht Berlin ... <« Amateurfilmbewegung, die Schmalfilmszene und werden Quellen wie Tondokumente -Wort und das Design von Computern sowie Fernsehem­ Musik - und Manuskripte erschlossen sowie pfängern. Trotz der Medienlenkung durch die Presseausschnitte und Fotos zum Neubeginn SED entsteht ein erstaunlich differenziertes Bild des Rundfunks in Berlin bzw. in der sowjetischen und es wird deutlich, daß die geringen ökonomi~ Besatzungszone 1945 abgedruckt, die sich im sehen Möglichkeiten die DDR zwangen, den Ab­ Archiv des DDR-Rundfunks - jetzt: Deutsches stand zu den in westlichen Staaten gängigen Rundfunkarchiv, Standort Berlin - befinden. Er­ technischen Standards immer größer werden zu gänzt wird die Dokumentation durch Zeittafeln lassen. zur politischen und zur Rundfunkgeschichte, Themas Beutelschmidt: Sozialistische Audio­ einen Beitrag zum Programm des Jahres 1945 vision. Zur Geschichte der Medienkultur in der sowie Aussagen und Erinnerungen von Zeit­ DDR (= Veröffentlichungen des Deutschen zeugen. Die Veröffentlichung will außerdem Rundfunkarchivs, Bd. 3) . Potsdam: Verlag für daran erinnern, daß in der Zeit des Mangels Berlin-Brandenburg 1995, 503 Seiten. Bro­ nach dem Zweiten Weltkrieg der Rundfunk ein schiert. ISBN 3-930850-14-1. lebensnotwendiges Informationsmedium war. Deutsches Rundfunkarchiv (Hrsg.): »Hier Weitere Monographien u.a. über Gewerkschaf­ spricht Berlin ... «. Die Anfänge des Rundfunks in ten . und Rundfunk sowie zur Wirtschaftsge­ schichte des Rundfunks in der Weimarer Re­ Berlin 1945 (= Veröffentlichungen des Deut­ schen Rundfunkarchivs, Bd. 1 ). Potsdam: Verlag publik, über Film- und Fernseharchive, eine Do­ für Berlin-Brandenburg 1995, 199 Seiten. Bro­ kumentation von Rundfunkquellen zum Nürnber• schiert. ISBN 3-930850-11-7. ger Prozeß 1945/46 sowie Verzeichnisse über Tondokumente zu Judenverfolgung und jüdi• Im Bestandsverzeichnis »Fernsehen für Kinder« sches Leben und ein Lexikon der Magazine im werden in alphabetischer Reihenfolge rund 450 Fernsehen der DDR werden derzeit für die neue szenisch gestaltete Produktionen des Kinderpro­ Buchreihe vorbereitet. gramms des Deutschen Fernsehfunks bzw. des AD 98 Rundfunk und Geschichte 22 (1996)

CDs des Deutschen Rundfunkarchivs men aus der Nachkriegszeit Deutschlands hierzu enthalt. Das Deutsche Rundfunkarchiv hat 1995 gemein­ Seide CDs sind vom Deutschen Rundfunkar­ sam mit dem Deutschen Historischen Museum in chiv zu je DM 9,50 (zuzüglich ~ersandkosten) zu Berlin die CD »Wir sind wieder wer« und zusatz­ beziehen. ' lieh in Kooperation mit der Bundeszentrale für WR politische Bildung in Bann die CD » 1945 - Kapi­ tulation und Wiederaufbau« veröffentlicht. Die CD »Wir sind wieder wer« enthalt 22 Ori­ Zurück nach Adlershof ginaltonaufnahmen aus den Jahren 1949 bis Die westdeutsche »Ostaufzeichnung« im 1955, von der Gründung der beiden deutschen Deutschen Rundfunkarchiv Berlin Staaten - Bundesrepublik Deutschland und DDR - im Herbst 1949 bis zu ihrer Eingliederung in die Im Fernseharchiv des Deutschen Rundfunkar­ beiden militarischen Paktsysteme - NATO und chivs (DRA) am Standort Berlin-Adlershof wer­ Warschauer Pakt - Mitte 1955. Neben Theodor den die Sendungen des Fernsehens der DDR Heuss, Konrad Adenauer, Ludwig Erhard und verwaltet, inhaltlich erschlossen, für die Nutzung Kurt Schumacher als Reprasentanten der Bun­ im wissenschaftlich-kulturellen Bereich und für desrepublik Deutschland kommen Walter Ul­ die Programmgestaltung der öffentlich-rechtli• bricht, Wilhelm Pieck und Otto Gratewohl als chen Rundfunkanstalten sowie anderer Rund­ Vertreter der DDR zu Wort. Diese politischen funkanbieter zur Verfügung gestellt. Reden - zu denen auch vier 0-Ton-Aufnahmen ln den vergangenen vier Jahren bearbeiteten aus Ost und West zum 17. Juni 1953 gehören• die Mitarbeiter über 20 000 Videobander, die bei werden kontrastiert durch zwei Reportagen der Auflösung des Deutschen Fernsehfunks in (ARD-Hörfunk und Deutschlandsender) vom einem sogenannten Umlaufbestand ohne die deutschen Sieg im Endspiel gegen Ungarn um notwendige Erschließung zurückblieben. So ist die Fußball-Weltmeisterschaft in Bern 1954 so­ es gelungen, Bestandslücken aus den letzten wie einer Reportage vom Sieg des popularen Jahren des Deutschen Fernsehfunks zu einem Radrennfahrers Tave Schur auf einer Etappe der großen Teil zu schließen. Fernfahrt Prag-Warschau-Berlin 1955. Dazwi­ Für diese Lücken können folgende Ursachen schen wurden typische Reklamespots aus den genannt werden: 50er Jahren eingestreut. Neben den 0-Tönen - Bis Mitte der 60er Jahre wurden viele Sen­ tragen auch zehn Photos (vom Deutschen Histo­ dungen live ausgestrahlt und nur in wenigen rischen Museum) im Begleitheft zur Vergegen­ Fallen auf Film aufgezeichnet. wartigung der ersten Halfte der 50er Jahre bei. - >Aktuelle Kamera< und Magazinsendungen Die CD » 1945 - Kapitulation und Wiederauf­ wurden nach der Ausstrahlu~g in die einzelnen bau« enthalt 21 Originaltonaufnahmen aus dem Filmbeitrage getrennt, die nur zum Teil in das Jahr 1945, etwa je zur Halfte aus den letzten Archiv gelangten, da Einzelbe'itrage in einer nicht Monaten des Zweiten Weltkrieges sowie zum geringen Anzahl gleich wieder für neue Beitrage beginnenden Wiederaufbau in Deutschland im genutzt, dem Archiv also gar nicht übergeben Sommer und Herbst 1945. Enthalten ist z.B. die wurden . Bild und Ton von Nachrichten und Mo­ letzte Rundfunkansprache Hitlers am 30. Januar deration wurden aber überhaupt nicht archiviert. 1945, eine Aufnahme anlaßlieh der Befreiung - Bis zum Jahr 1981 (Einführung der Abklam­ des Konzentrationslagers Sergen-Belsen durch mertechnik im Fernseharchiv) wurde für die Pro­ die Briten am 16. April 1945, die Rundfunkrede duktion neuer Beitrage unter Verwendung von Stalins zur Kapitulation Deutschlands am 9. Mai Archivmaterial direkt im Origit:~al geschnitten und 1945 sowie zwei Ansprachen auf einer Veran­ der entnommene Teil nicht wieder eingefügt. staltung »Sechs Monate Berliner Magistrat« am Dadurch entstanden große Schäden im Bestand, 19. November 1945. die nicht mehr zu beseitigen waren. Auf beiden CDs wurde die Anzahl der Origi­ Ähnliche Probleme und Verfahrensweisen naltöne bewußt beschrankt zugunsten langerer gab es auch in Archiven der ARD-Rundfunkan­ Ausschnitte - zwischen zwei und sieben Minuten stalten. Daher waren z. 8. >Tagesschau<, >Titel, Lange -, um auch die Zusammenhange deutlich Thesen, Temperamente< und >Report< bis zur werden zu lassen. Samtliehe Dokumente stam­ Mitte der 70er Jahre nicht als komplette Sendun­ men aus den beiden Phonotheken des Deut­ gen überliefert. ln den vergangenen Jahren schen Rundfunkarchivs in Berlin und Frankfurt konnte das DRA hier mit der sogenannten am Main. Für das Frühjahr 1996 ist eine weitere »Westaufzeichnung« helfen; die Lücken zu CD geplant, die Tonaufnahmen aus den Jahren schließen. Der Grund für die: Entstehung dieser 1930 bis 1996 zur Verfolgung der Juden in der Aufzeichnung des westdeutschen Fernsehens in Zeit des Nationalsozialismus bzw. Stellungnah- Informationen aus dem Deutschen Rundfunkarchiv 99

Adlershof war seinerzeit propagandistischer Art. Die ca. 3 000 Aufzeichnungen der >Aktuellen Umso erfreulicher ist, daß die Beobachtung des Kamera< , die vor allem aus den 60er Jahren Programms des »kapitalistischen Gegners« stammen, dokumentieren eindrucksvoll, wie das durch die DDR letzten Endes, freilich unbeab­ DDR-Fernsehen zur Verbreitung der Tagespolitik sichtigte, positive »Spätfolgen« gerade für jene der SED genutzt wurde. Sie stellen zu diesem westdeutsche Rundfunkanstalten hatte, deren Komplex das einzige überlieferte Zeugnis be­ Fernsehberichterstattung seinerzeit das propa­ wegter Bilder dar, da die DEFA-Wochenschau gandistische Angriffsziel eines Kari-Eduard von >Der Augenzeuge< sich weniger der Tagespolitik Schnitzler waren. Im Herbst 1993 wurde die widmete, sondern in erster Linie vertiefende »Westaufzeichnung« des DDR-Fernsehens vom Berichte zu einzelnen Themen enthielt. DRA an einige Archive von ARD und ZDF abge­ Da von Schnitzler den >Schwarzen Kanal< geben. aus unbekannten Gründen kaum archivieren Den wenigsten ist jedoch bekannt, daß auch ließ, gab es nur knapp 30 Aufzeichnungen in umgekehrt, in der Bundesrepublik, eine soge­ Adlershof. Durch die Übernahme von 400 Auf­ nannte »Ostaufzeichnung« entstand. Das Pro­ zeichnungen aus Koblenz können nunmehr die gramm des Fernsehens der DDR wurde von häufigen Nachfragen aus dem wissenschaftli­ verschiedenen Einrichtungen in der Bundesre­ chen Bereich zufriedengestellt werden. publik aufgezeichnet. Bekannt sind gegenwärtig Zu den Aufzeichnungen gehören außerdem: Aufzeichnungen durch das Gesamtdeutsche In­ 113 >Blickpunkt< (1962 bis 1967) stitut, die 1990 die Bundeszentrale für politische 132 >Telestudio West< (1958 bis 1965) Bildung übernahm, den SFB und das ZDF. Die 136 >Tele-BZ< (1963 bis 1970) Mitschnitte betrafen hauptsächlich die >Aktuelle Diese Sendungen beschäftigten sich jeweils Kamera< , Magazinsendungen wie den >Schwar­ mit politischen Tagesfragen. Wie die Titel schon zen Kanal<, publizistische Einzelbeiträge und die erkennen lassen, meistens mit Blick in westliche Übertragung politischer Großveranstaltungen. Richtung. Vereinzelt wurden auch Unterhaltungssendun­ Erwähnt seien unter anderem auch die Auf­ gen, Fernsehfilme/-spiele, Kinderprogramme und zeichnungen vom siebten, achten und neunten Sportsendungen aufgezeichnet. Parteitag der SED (40 Bänder), von Sonderbe­ Die Aufzeichnungen des SFB und des Ge­ richten zu politischen Großereignissen (20), samtdeutschen Instituts auf Film gingen vor eini­ Sendungen der und mit der KPD (35), Berichten gen Jahren an das Bundesarchiv in Koblenz. Die zu kulturellen Höhepunkten und von der DDR­ Nutzung war wegen fehlender Erschließungsun• Werbesendung >Tausend Tele Tips<. Aufzeich­ terlagen und ungeklärter Rechte schwierig bzw. nungen von Unterhaltungssendungen bzw. Aus­ ausgeschlossen. Im September 1995 wurden schnitte daraus werden auch für die heutige diese Filmbestände auf der Basis eines Vertra­ Programmgestaltung gerne genutzt. ges zwischen dem Bundesarchiv und dem Deut­ Sowohl von der Bundeszentrale für politische schen Rundfunkarchiv dem Fernseharchiv des Bildung als auch vom Bundesarchiv für die Mit­ DRA übergeben. Es handelt sich um ca. 15 000 schnitte des SFB hat das Deutsche Rundfunkar­ Filmbüchsen, die, entsprechend ihrer Herkunft, chiv Erschließungsunterlagen erhalten. Seide mit zwei unterschiedlichen Nummernsystemen Hilfsmittel müssen zwar für die elektronisch gekennzeichnet sind. Leider wiesen etwa 30 Pro­ gestützte Erfassung der Sendungen überarbeitet zent der Materialien einen mehr oder weniger werden, erleichtern aber eine schnelle Nutzung. starken Schimmelbefall auf. Da die Aufzeichnun­ Es zeigt sich , daß das deutsch-deutsche gen sich aber teilweise überschneiden, ist der Tauziehen um politischen Einfluß und Publi­ Schaden durch den Schimmelbefall insgesamt kumsgunst, in dessen Kontext die wechselseitige gering. Ob und wie das befallene Material im Programmbeobachtung von West- und Ostfern­ Einzelfall genutzt werden kann, ist noch zu sehen seinerzeit entstanden war, am Ende für klären . alle Beteiligten äußerst positive Nachwirkungen Trotz dieser Einschränkung konnte mit der und fruchtbare Kooperationsbeziehungen mit Übernahme der Aufzeichnungen die erwähnte sich brachte. Bestandslücke für die 60er und 70er Jahre zu ei­ Sigrid Ritter, Berlin nem großen Teil geschlossen werden. Damit stehen für die wissenschaftliche AufarbeitunQ der DDR-Geschichte und für die Programmgestal­ tung Materialien zur Verfügung, die nach der Ausstrahlung eigentlich nicht mehr vorhanden waren, die also niemand mehr sehen bzw. nut­ zen konnte. 100 Rundfunk und Geschichte 22 (1996)

Promotionsstipendien für Dissertationen der gedruckten Fassung sind alle Tonbeispiele zur DDR-Rundfunkgeschichte transkribiert und mit weiteren erläuternden Hin­ weisen versehen. Der Beitrag kann einschließlich einer Tonkas­ Die Stipendien der ARD für Förderung von Dis­ sette über das Deutsche Rundfunkarchiv zum sertationen zur Erforschung der Rundfunkge­ Selbskostenpreis von DM 9,80 (zzgl. Versandko­ schichte der DDR sind Anfang 1996 vergeben sten) bezogen werden. worden. Gefördert werden für den Zeitraum 1. DRA Januar bis 31. Dezember 1996 mit jeweils mo­ natlich DM 1 800,- zwei Stipendiatinnen, die vom Deutschen Rundfunkarchiv betreut werden, dessen Berliner Archivmaterialien vorrangig aus­ zuwerten sind. Frederique Dantonel, Straßburg, befaßt sich in ihrer Dissertation mit »Geschichte, Erbe und Tradition im DDR-(Fernseh-)Film«. Untersucht werden sollen die Unterschiede zwischen der offiziellen DDR-Geschichtsschreibung und der in DDR-Filmen vermittelten Geschiehtsauffassung anhand von Reformation und Bauernkrieg, der Geschichte Preußens und Sachsens sowie des deutschen Widerstandes gegen den National­ sozialismus. Simone Tippach-Schneider, Berlin, schreibt an einer »Kulturgeschichte des DDR-Werbefern­ sehens von 1959 bis 1976«. Auf dem Hinter­ grund der Auseinandersetzungen über das Menschenbild im Sozialismus und den Entwürfen von Leitbildern analysiert sie das Werbefilm­ angebot in bezug auf die Bewertung von Alltags­ gegenstanden und -Situationen. DRA

Dokumente des Rundfunks - Zeichen der Zeit Beitrag in der >Buchhandelsgeschichte<

Unter dem Titel »Dokumente des Rundfunks - Zeichen der Zeit« ist in der >Buchhandelsge­ schichte< (Jg. 1995, H. 4, S. 154-164), einer Beilage des >Börsenblatts des Deutschen Buch­ handels< (Jg . 1995, Nr. 100), ist in leicht verän• derter Fassung der Nachdruck eines öffentlichen Vortrags des Vorstands des Deutschen Rund­ funkarchivs, Joachim-Felix Leonhard, erschie­ nen, den dieser am 12. April 1995 auf der Früh• jahrstagung der Historischen Kommission des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels in Frankfurt am Main gehalten hat. Der Beitrag ver­ steht sich als Appell an die Historiker, audiovi­ suellen Quellen bei der Erforschung der Ge­ schichte des 20. Jahrhunderts mehr als bisher Beachtung zu schenken. Während des Vortrags wurden zahlreiche Tondokumente aus der Zeit vom Beginn der Tonaufzeichnung Ende des 19. Jahrhunderts bis Anfang der 60er Jahre vorge­ spielt und auf deren Stellenwert im Kontext des damaligen Ereignisses aufmerksam gemacht. ln