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Medien

SENDER Die Pop-Beamtin Anfang dieser Woche startet die MTV-Chefin Catherine Mühlemann einen neuen Kinderkanal. Unterdessen arbeitet sie hinter den Kulissen daran, ihr kleines Fernsehimperium umzubauen, denn die Erwartungen des US-Mutterkonzerns sind groß: MTV und Viva sollen erwachsen werden.

gespür die Rede ist und von der so kreati- Denn bislang verlief die Karriere der stu- ven Aufgabe, sich Unterhaltung für ande- dierten Medienwissenschaftlerin steil und re Menschen auszudenken. Es ist eine un- schnell: 1994 Einstieg als Medienforscherin gewöhnliche Antwort noch dazu für die beim öffentlich-rechtlichen Schweizer Fern- Chefin von MTV, seit fast 25 Jahren ein sehen SF DRS, dann Programmstrategie- flimmerndes Symbol der Jugendkultur Chefin. Ende der neunziger Jahre baute sie rund um den Globus. den Privatsender TV3 mit auf. 2001 holte Geht es hier nicht vor allem um Pop- der US-Konzern sie zu MTV kultur, um Stars, um den Glamour, den die Deutschland, 2003 übernahm sie auch die Werbekunden wollen? MTV-Aktivitäten von Osteuropa bis in den Mühlemann interessiert das nicht. Noch Mittleren Osten. wichtiger: Ihre Bosse beim amerikanischen Doch in der glamourverliebten Musik- Mutterkonzern Viacom interessiert das und TV-Branche ist sie eine Außenseiterin nicht. Die Zeiten, als MTV nur kraft eige- geblieben. Zwar gilt sie als gute Geschäfts- ner Coolness und Kreativität die Werbe- frau. Aber wo ihre Vorgängerin als MTV- kunden anzog, sind vorbei. „Die Marke Chefin, Christiane zu Salm, das schillern- garantiert den Erfolg nicht mehr allein“, de Etikett einer „Pop-Prinzessin“ trug, sagt Mühlemann. „Es ist ein sehr zahlen- wurde Mühlemann schnell zur „Pop-Be- getriebenes Geschäft geworden.“ amtin“ degradiert. Bis vor ein paar Jahren war alles noch Es gibt keine Bilder von ihr mit Stars im ganz anders: Die Musiksender verdienten Arm. Sie hört lieber Jazz oder Klassik. Um

WERNER SCHUERING einfach mit Musik. Kaum eine Platte, kaum die zahllosen Partys macht sie, wann im- TV-Managerin Mühlemann ein Künstler, der nicht massiv auf den Clip- mer möglich, einen Bogen. Auf Branchen- „Ganz neue Strategie“ kanälen beworben wurde. Doch seit die treffs ist sie fast nie zu sehen. Sie sagt: „Ich Plattenkonzerne in einer scheinbar nicht bin in erster Linie Unternehmerin.“ o ist das also, wenn man bei MTV und enden wollenden Krise stecken, ist diese Es gibt Leute, die nehmen ihr das übel. Viva reinschaut: In der Lobby wird Einnahmequelle versiegt. „Die Musik- Wer es böse meint, nennt sie spröde und STischfußball gespielt, Flaschenbier industrie spielt für unsere Einnahmen eine langweilig. Wer ihr Gutes will, nennt sie kostet an der Bar 1,50 Euro, und natürlich deutlich kleinere Rolle als noch vor weni- „die Frau der leisen Töne“, was aber vor al- ist niemand über 25. Das Sendergebäude ist gen Jahren“, sagt Mühlemann. Nur noch lem mit ihrem langjährigen Gegenüber bei ein ehemaliges Lagerhaus in -Fried- fünf Prozent des Werbeumsatzes kommt Viva, dem Dampf- und Kampfplauderer richshain. Zehn Millionen Euro hat der Um- von den Plattenkonzernen. Dieter Gorny zu tun hat. Der war zwar im- bau gekostet. Jetzt strotzt es vor Glas und Die Folgen sind durchaus existentiell: mer lautstark im Dienste des Rock’n’Roll Stahl und Holz, und der Blick fällt direkt Die Musiksender brauchen dringend ein im Land unterwegs, fuhr dabei aber seinen auf die Spree. Herrlich hip. So stellt man neues Geschäftsmodell. Sender an die Wand. Mühlemann dagegen sich das vor bei MTV. Doch das ist nur noch Beim einstigen MTV-Konkurrenten Viva schuf Renditen von 30 Prozent. die Fassade. wurde das Problem offenbar zu spät er- Zuletzt klappte das aber vor allem dank Was die großen Jugendsender der Nation kannt: Viele Jahre lang war der kleine Köl- eines unvermittelt aufgetauchten Phäno- wirklich ausmacht, wird drei Stockwerke ner Kanal zwar schneller, besser und be- mens: dem Boom der Handy-Klingeltöne. weiter oben bestimmt. Dort ist das Büro von liebter als MTV. Bloß das Geldverdienen Mehr als 40 Prozent des Werbeumsatzes Catherine Mühlemann. Sie ist Chefin von wurde dabei vergessen. Mehr als 40 Mil- machen die Musiksender inzwischen mit MTV, Viva, Viva Plus und dem am Montag lionen Euro Verlust hatten die Viva-Sender Reklame für Klingeltöne. Die Konsequenz: dieser Woche startenden Kindersender in nur zwei Jahren angehäuft – und wurden Komplette Werbeblöcke bestehen nur noch Nick. Mühlemann ist Schweizerin und so prompt Anfang 2005 von MTV geschluckt. aus dem immer gleichen Grabbeltischge- schmal, dass sie sich fast hinter den Stahl- Mühlemann soll nun dafür sorgen, dass schrei für Mobiltelefonmelodien von sin- trägern verstecken könnte, die ihr Büro zumindest eine gemeinsame Musiksender- genden Küken. Die Klingelton-Firma Jam- durchziehen. An den Wänden hängen kei- gruppe Geld verdienen kann. Ihre Strate- ba war im vergangenen Jahr einer der ne Goldenen Schallplatten oder große Fotos gie ist ebenso naheliegend wie riskant: Das größten Werbekunden im deutschen TV. mit Popstars wie bei den meisten Leuten, Jugendfernsehen soll erwachsen werden – Nur sind die Musiksender wieder in der die irgendwas mit der Musikbranche zu tun auch wenn noch kräftig pubertiert wird. gleichen Situation wie vorher mit den Plat- haben. Fragt man die 38-Jährige, wie krea- Die Übernahme von Viva war lang und tenkonzernen: Sie sind von einer einzelnen tiv oder bunt ihre Arbeit ist, sagt sie: „Das holprig, die Integration der Sendergruppe Branche abhängig. Geht es der schlecht, ist schon ein eher kaufmännischer Job.“ hängt dem Zeitplan bereits gut ein halbes geht es auch den Sendern schlecht. Die Eine ungewöhnliche Antwort in einer Jahr hinterher. Es ist Mal, dass für MTV-Strategen in den Konzernzentralen Branche, wo sonst zuerst von Programm- Mühlemann etwas nicht läuft wie geplant. in New York und London glauben bereits

218 der spiegel 37/2005 MTV-Sendung „MTV A Cut“, Nick-Programm „Backyardigans“, Viva-Format „Unser Block“ Massentauglich in die Zukunft

– ein bisschen wie RTL II vielleicht, wo Mühlemanns Partner Josef Andorfer kürz- lich den Chefposten räumen musste. Schon länger finden sich in Mühlemanns TV normal zur Hauptsendezeit kaum noch Videoclips, sondern meist vom Mutter- konzern übernommene oder adaptierte Realityshows und Promi-Berichte. Die neuen Programme haben den erwünschten Effekt: mehr Zuschauer. Denn genau das hatte den großen Wer- bekunden stets gefehlt: eine messbare Min- destzahl an Zuschauern, die MTV und Viva nun in der clipfreien Zeit problemlos liefern können. Und so wurden zu Beginn der neu- en Programmsaison vergangene Woche mehr Formate gestartet, die auf ein breites Publikum zielen: darunter eine Casting- Show („MTV A Cut“), eine Doku-Soap („Unser Block“), eine Karaoke-Show („Shi- buya“). Und den Werbekunden werden nicht mehr nur 14- bis 29-jährige, sondern sogar bis 49-jährige Zuschauer angeboten. Von Montag dieser Woche an verschwin- det noch dazu der Clip-Kanal MTV2 Pop und wird durch den Kindersender Nick er- setzt, den die Mutter Viacom auch in ande- ren Ländern für die Zielgruppe der 3- bis 13- Jährigen betreibt. Zu sehen sind zunächst vor allem amerikanische Shows und Serien. Auch hier gilt: Kurs aufnehmen Richtung Quote – und neue Werbekunden. Die Werbewirtschaft reagiert zögerlich. Und so verbringt Mühlemann einen Groß- teil ihrer Zeit damit, Werbekunden davon zu überzeugen, dass man kein Plattenkon- zern oder Klingelton-Anbieter sein muss, um auf MTV Reklame zu schalten. Bei den großen Privatsendern gehen die Sender- chefs einmal im Jahr auf Agenturtour. Müh- lemann reiste viermal durchs Land. Viel Zeit für einen erfolgreichen Umbau bleibt der Schweizerin nicht: Der Druck vom Mutterkonzern ist groß – und wächst. Der US-Mediengigant Viacom leidet unter einem Verfall seines Aktienkurses und wird deswegen Anfang 2006 in zwei Teile ge- spalten. Die Börse soll ein neuer Konzern befeuern, der aus dem Hollywood-Studio Paramount und MTV besteht. Weltweit ste- hen die MTV-Manager nun vor demselben Problem: Sie müssen expandieren und ihre Gewinne steigern, um die Konzernteilung

VIVA (O.); NICK (M.); MTV (U.) NICK (M.); MTV (O.); VIVA zu rechtfertigen. Umso dringender muss Mühlemann ihre erkannt zu haben, dass der Klingelton- gelton-Werbung mehr bei MTV zwischen Sendergruppe schnellstens umbauen: Ein Boom nicht mehr lange währt. 16 und 24 Uhr, bei Viva folgt die Sperr- Wachstum von bislang sechs Prozent in Dazu kommt, dass andere Werbekun- stunde ab März. Mühlemann sagt: „Wir ha- diesem Jahr ist nicht genug, um die hohen den zunehmend von den penetranten Klin- ben eine ganz neue Strategie.“ Vorgaben zu erfüllen. Klar ist bislang nur: gelton-Spots vergrault werden. Banken Und die heißt: Die Musiksender sollen Kantigkeit im Programm, die gestern noch und Autohersteller fühlen sich zwischen ganz normale Fernsehkanäle werden. Mit das Image beförderte, bringt schon heute Reklame für grölende Elche einfach nicht einer messbaren Einschaltquote, mit Shows keine Quote mehr. Quote ist aber alles – wohl. Also hat Mühlemann jetzt die Not- und Serien und dadurch vor allem mit fi- und Massentauglichkeit deshalb die Zu- bremse gezogen, um die Abhängigkeit zu nanzkräftigen Werbekunden, die Spots für kunft. Erwachsenwerden tut bekanntlich reduzieren. Ab Oktober gibt es keine Klin- Markenartikel von Nivea bis Nutella buchen manchmal weh. Thomas Schulz

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