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Presse Das Bild der Kanzlerin wurde im Urlaub von Paparazzi überrascht und ärgerte sich darüber. Ihr Verhältnis zu Fotografen ist schon lange schwer gestört, aber sie vergisst, dass die Freiheiten der Demokratie auch für Bilder gelten. Von Dirk Kurbjuweit

oachim sauer geht voran, er führt, die Kanzlerin folgt. so stapfen sie in Jihrem Urlaub auf Ischia einen Hügel hinauf. seit der vergangenen Woche ist ein Foto im Umlauf, das genau dies zeigt: sauer vorne mit regenschirm, Merkel da - hinter. Aber was sagt das? Zeigt das Foto die Hierarchie einer ehe? Oder ist es eine zufällige Konstellation, ein gewürfelter Moment? ein Paparazzi hat dieses Foto geschos - sen, ein Fotograf, der nicht willkommen war. Jedenfalls hat sich Merkel über ihren stellvertretenden regierungssprecher un - gnädig über die Belästigung geäußert. sie möchte im Urlaub ihre ruhe haben, sie Ein Moment wird eingefroren legt Wert auf Privatheit. Aber da ist noch mehr. Die Bundeskanzlerin hat ein Pro - und bekommt damit eine Gültigkeit, die weit blem mit Bildern von sich selbst, hat ein über den Moment hinausweist. Problem mit Fotografen. sie weiß, zu wel - chen spekulationen Bilder einladen. sie weiß, dass Bilder eine große Macht haben. ein Moment wird eingefroren und be - kommt damit eine Gültigkeit, die weit über den Moment hinausweist. Bilder wir - ken wahr und authentisch, und Merkel hat so wenig Kontrolle darüber, unerträg - lich für sie. Das ist das eigentliche Thema, um das es bei diesen Fotos geht: Kontrolle. Mer - kel hat beinahe einen Kontrollzwang, der sich bei Bildern in besonderer Weise aus - tobt. sie will die Herrschaft darüber ha - ben, was die Öffentlichkeit von ihr sehen kann und was nicht. Deshalb kämpft sie häufig gegen Fotografen an. Auf den ers - ten Blick wirkt das verständlich. Fotogra - fen können sehr lästig werden, die Deu - Am Mittwoch der vergangenen Woche Missfallen darüber häufig Luft. Anderer - tung von Bildern führt oft in die Irre, und besuchte er die kreative szene der Haupt - seits ist sie die größte denkbare Zumu - Privatheit ist ein hohes Gut, auch für ei - stadt, und zwei Dutzend Journalisten folg - tung für Fotografen und Kameraleute, nen Politiker. Also führt Merkel einen ge - ten ihm, die meisten trugen Kameras. es denn sie will die Kontrolle über die Fotos. rechten Kampf? Nein. sie übertreibt, sie war nicht schön zu sehen, was sich an Bei vielen Auftritten wird genau festge - versteht nicht, dass zur Freiheit der Pres - diesem Tag abspielte. Die Fotografen und legt, wo die Bildmedien zu stehen haben, se auch die Freiheit für Fotografen gehört. Kameraleute wurden von steinbrücks Be - wie lange Fotografieren erlaubt ist, we - sie versteht nicht, dass sich eine Bundes - gleitung schwer geschurigelt und von ihm nige Minuten nur, und welche Perspekti - kanzlerin auch aus ihrem Privatleben selbst mit abfälligen Bemerkungen über - ven unerwünscht sind: von der seite, von heraus entwickelt und dass es deshalb ein schüttet. Allerdings traten sie auch als hinten. gewisses Interesse an diesem Privatleben wüster Haufen auf, rannten und schubs - Als Merkel einmal im reichstag mit geben darf, sogar an Bildern aus ihrem ten und schimpften miteinander. einer dem Fraktionschef der Union, Volker Privatleben. Begleiterin steinbrücks knallte eine Ka - Kauder, zusammenstand und fotografiert Als Angela Merkel auf Ischia wanderte, mera an den Kopf. wurde, raunzte sie: „Wer knipst denn da?“ machte ihr Herausforderer Peer stein - Das ist Alltag in , auch Angela Abfälliger kann man einen professionel - brück schon mal Wahlkampf in Berlin. Merkel erlebt das so und macht ihrem len Fotografen kaum ansprechen. Warum

152 15/2013 führt sie diesen Krieg gegen eine Berufs - sie hat selbst einmal darüber gespro - es frey sein, sie zu haben oder nicht zu gruppe, die ja nicht Waffen trägt, sondern chen, dass ihr Gesicht manchmal etwas haben“. Kameras? anderes ausdrückt, als sie empfindet. sie eine solche Liberalität würde auch Die Pfarrerstochter Angela Merkel hat weiß auch nicht, warum das so ist. Aus Merkel gut stehen. Wenn sie ihre eigenen schon in ihrem elternhaus in der DDr ihrer sicht ist so ein Foto auch noch eine Worte kontrolliert, ist das ihre sache, gelernt, dass selbstkontrolle existentiell falsche Festlegung. In den Fotografen eine ausufernde Kontrolle über die Pres - ist. sie durfte in der schule nicht alles sa - sieht sie Leute, die ihre schrägen Gesich - se darf es in einer Demokratie nicht ge - gen, was zu Hause besprochen wurde, ter gleichsam in stein meißeln wollen, da - ben. Und da geht Merkel bei den Bildern weil ihre eltern das regime der seD mil - mit sie dann als Belege für alles Mögliche zu weit. Natürlich sind Fotografen de kritisch sahen, ohne es zu bekämpfen. gelten. manchmal lästig, und einige benehmen Merkel hat eine hohe Fertigkeit entwi - Für eine Frau, die nicht ständig für ihre sich fürchterlich, aber zur politischen ckelt, ihre Worte zu hüten. Das ist ein schönheit gelobt wird, sind Fotos ohne - Kommunikation gehören auch Fotos, rezept ihres erfolgs in der bundesdeut - hin schwieriger als für einen Mann. Gutes mehr und mehr, weil viele Leser nur schen Politik. sie spricht selten Klartext Aussehen zählt bei Frauen immer noch dann lesen mögen, wenn sie über ein in - und eckt somit kaum an. mehr, und Merkel musste oft genug spott teressantes Bild in die Geschichte rein - gezogen werden. Fotos sind also ein wich - tiger Teil der Pressefreiheit, und deshalb haben Fotografen nicht Merkels Verächt - lichkeit und Widerwillen verdient. es gibt eine Ausnahme, das ist Andreas Mühe, der sohn des verstorbenen schau - spielers Ulrich Mühe. Zu ihm hat Merkel ein besonderes Vertrauen entwickelt, von ihm lässt sie sich inszenieren, und dabei entstehen sehr schöne Porträts. Merkel weiß, dass Mühe nichts zeigen würde, was ihr unangenehm sein könnte. Aber eine solche Kultur der Begegnung kommt aus dem Königtum und nicht der Demo - kratie, in der das ergebnis eines Treffens zwischen regierenden und Journalisten nicht vorher feststehen sollte. Die Könige hatten ihre Hofmaler, Luther hatte seinen Lucas Cranach, der ihn auch immer wohl - wollend porträtierte. Merkel kann ihren Mühe haben, kein Problem, aber etwas mehr Pluralität, Offenheit wäre schon wünschenswert. Gilt das auch für das Private? Was wirk - lich nicht sein muss, sind die Fotos, die Merkel auf Ischia im Badeanzug zeigen. Da geht es nicht nur um die Privatheit, sondern um die Initimität einer Bundes - kanzlerin, die früher einsetzt als bei einer schauspielerin. Diese Intimsphäre ist un - D P

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K die Merkel auf Ischia im Kreis ihrer Fa - milie zeigen. Die sind so eingeschlagen, ein Problem Merkels ist, dass sie ihre über ihre Frisuren ertragen, ihre Mund - weil sie Merkel in einer bis dahin unbe - Gesichtszüge nicht so kontrollieren kann winkel oder einen schweißfleck bei einer kannten rolle präsentieren, als Oma, als wie ihre Worte. sie weiß, dass sie dazu Premiere in Bayreuth. Auch das führt Mensch mit einer größeren Familie. Ihr neigt, seltsame Grimassen zu schneiden. dazu, Fotografen kontrollieren zu wollen. ehemann Joachim sauer hat aus erster es gibt unzählige Fotos davon, viele Und sie ist Protestantin. Die reforma - ehe zwei söhne und deshalb enkel. Auf werden gedruckt, und es ist sicherlich tion begann auch mit Bilderstürmerei. Ischia haben sie zusammen Urlaub ge - kein Vergnügen für die Bundeskanzlerin, Manche der ersten Anhänger Martin Lu - macht, und dabei wurden sie von Papa - sich so zu sehen, zumal eine solche Auf - thers wollten die Kirchen von Darstellun - razzi überrascht. nahme dann manchmal dazu dient, eine gen säubern, und bis heute herrscht im Über Merkel sagen diese Bilder erst ein - bestimmte stimmung zu illustrieren: evangelischen die Wortkultur vor. Die mal etwas Gutes. sie wirken so fremd und Wut, Verwirrtheit, Müdigkeit. Aus einer Kirchen sind eher karg ausgestattet. Da - neu, weil Merkel nie versucht hat, ihre Fa - Millisekunde wird eine Festlegung, und bei wird manchmal vergessen, dass Lu - milie politisch zu instrumentalisieren, ob - Merkel hasst Festlegungen. Ihre Politik ther selbst das lockerer sah und 1522 in wohl ihr vorgehalten wurde, dass sie als hält sie meist in der schwebe und ent - einer seiner Invokavit-Predigten sagte, Kanzlerin nicht richtig wäre, weil ihr diese scheidet sich, wenn die Mehrheiten gesi - dass „die Bilder weder sonst noch so, we - erfahrung fehle. Das war so im Wahl - chert sind. der gut noch böse sind, sondern man lasse kampf 2005, als die Frau von Bundeskanz -

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Kirche kämpfte. Da hätte er gern Cranach Porträts von sich und seiner Frau Katharina zum Konzil geschickt, „die hei - ligen Väter, allda versammelt, fragen lassen, ob sie lieber ha - ben wollten den ehestand oder den Cölibatum“. ein so schöner Anblick, dachte Lu - ther, könne die Kirchenherren dazu verleiten, die Priesterehe zuzulassen, schreibt sein Bio - graf Heinz schilling. Merkel käme wohl nie auf die Idee, ihren Mann so ein - zusetzen, und er würde sich das vermutlich verbitten. Die beiden zeigen eine geradezu panische Kontrolliertheit ge - genüber der Öffentlichkeit. sauer tritt nie eigenständig in den Medien auf, so dass man fast vergessen kann, dass die Bundeskanzlerin verheiratet ist. Ihr ging das einmal so ähn - lich, als sie bei einem emp - fang von Us-Präsident Barack Obama aus dem Auto heraus die Treppe hochstürzen woll - te, bis ihr einfiel, dass sie in Begleitung war – von Joachim sauer. Auch dieser Moment wurde natürlich im Bild ein - gefangen. In Wahrheit schätzt die Bun - deskanzlerin ihren Mann sehr, vor allem die politischen Ge - spräche mit ihm. er ist einer ihrer wichtigsten Berater, und manchmal kommt sie nach Kanzlerin Merkel, Familie: „Was hast du gemacht?“ Hause, und er sagt sätze der Art: „Was hast du denn da ge - ler Gerhard schröder, Doris schröder- macht?“ so hat sie es erzählt. Da wird es Köpf, sagte: „Das ist nicht Merkels Welt.“ demokratietheoretisch interessant. Auch Gemeint war die Welt von Frauen, die Be - wenn man nichts über die interne Hier - ruf und Familie vereinbaren müssen. archie der ehe sauer/Merkel weiß und Auf den Fotos sieht es nun aus, als sei nichts wissen muss, so ist doch gewiss, das doch Merkels Welt. Aber wahrschein - dass Joachim sauer seit fast acht Jahren lich zeigen die Fotos eher eine Ausnah - einfluss auf die deutsche Politik nimmt, mewelt der vielbeschäftigten Bundeskanz - wahrscheinlich sogar großen einfluss. ein lerin. Das ist bei jenen Politikern, die gern bisschen Öffentlichkeit wäre da ganz ihre Familie herzeigen, oft auch nicht an - schön, ein großes Interview vielleicht, in ders. Jedenfalls ist es sicherlich klug von dem man mal erfährt, was die Koordina - Merkel, dass sie mit ihrer Familie keine ten dieses Mannes sind, zur Not auch Politik macht im sinne von: schaut her, ohne Fotos, reine Wortkultur. was für eine tolle Oma ich bin. Merkel hat sich einmal sehr aufgeregt, Aber es ist auch nicht schlimm, dass als sie im sPIeGeL las, dass zwischen Po - sie bei einem privaten Urlaub fotografiert litikern und Menschen unterschieden wur - wurde, angeblich gegen ihren Willen. Bei de. Politiker sind auch Menschen, sagte einem Menschen, der Politik total macht sie, zu recht natürlich. Politiker sind Men - so wie Merkel, verschwimmen die Gren - schen, aber Merkel gibt sich in der Öf - zen von privat und Politik ohnehin, und fentlichkeit mit ziemlich viel Krampf die die Fotos schaden ihr nicht, im Gegenteil, Aura einer etwas künstlichen Figur, die sie dürften ihre ohnehin hohen sympa - stark am eigenen Bild heruminszeniert, thiewerte noch kräftigen. und das soll möglichst wenig nach echtem Der Ur-Protestant Luther war da wenig Leben aussehen. so viel Kontrolle muss zimperlich. er konnte sich gut vorstellen, nicht sein, passt auch gar nicht zum sys - mit privaten Bildern Politik zu machen, tem. Locker zu werden, das wäre mal ein als er gegen den Zölibat der katholischen Ziel für den Wahlkampf. ◆

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